Besonderes Verwaltungsrecht [7., neubearbeitete Auflage. Reprint 2020] 9783112328385, 9783112328378


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German Pages 937 [940] Year 1985

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Besonderes Verwaltungsrecht [7., neubearbeitete Auflage. Reprint 2020]
 9783112328385, 9783112328378

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de Gruyter Lehrbuch

Besonderes Verwaltungsrecht Herausgegeben von Ingo von Münch Bearbeitet von Peter Badura Karl Heinrich Friauf Otto Kimminich Thomas Oppermann Walter Rudolf Jürgen Salzwedel

Rüdiger Breuer Gerhard Hoffmann Ingo von Münch Dietrich Rauschning Franz Ruland Eberhard Schmidt-Aßmann

7., neubearbeitete Auflage

Zitiervorschlag z. B. Badura in von Münch, Bes. VerwR, 7. Aufl. 1985, S. 300

w DE

G 1985

Walter de Gruyter • Berlin • New York

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Besonderes Verwaltungsrecht / hrsg. von Ingo von Münch. Bearb. von Peter Badura . . . - 7., neubearb. Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1985. (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-009986-1 PI. flexibel ISBN 3-11-010337-0 geb. NE: Münch, Ingo von [Hrsg.]; Badura, Peter [Mitverf.] © Copyright 1984 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Ernst Kieser G m b H , Graphischer Betrieb, 8900 Augsburg Buchbinderei: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe G m b H , 1000 Berlin 61

Vorwort zur siebenten Auflage Mit der vorliegenden 7. Auflage soll das Lehrbuch „Besonderes Verwaltungsrecht", dessen 6. Auflage im Jahre 1982 erschienen war, auf den neuesten Stand gebracht werden. Das Ziel des Buches ist unverändert geblieben: den Studenten ein didaktisch aufbereitetes Lehrbuch an die Hand zu geben, darüber hinaus aber durch die wissenschaftlich-praktische Gestaltung des Buches allen mit dem Verwaltungsrecht Beschäftigten - insbesondere Richtern, Rechtsanwälten und Verwaltungsbeamten - ein Hilfsmittel anzubieten, das Präzision und Übersichtlichkeit in sich vereint. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur auf dem Gebiet des Besonderen Verwaltungsrechts sind seit dem Erscheinen der 1. Auflage (1969) von Jahr zu Jahr angeschwollen. In dem Bestreben, über den Stand dieses Rechtsgebietes möglichst umfassend zu informieren, ist auch der Umfang dieses Lehrbuches von Auflage zu Auflage gestiegen. Während die 1. Auflage sich noch mit 630 Seiten begnügte, war der Umfang der 6. Auflage bei 1057 Seiten angelangt. Angesichts dieses Volumens haben die Autoren und der Verlag - vermutlich aber auch Leser - dieses Lehrbuches den Eindruck gewonnen, daß ein weiteres Anschwellen der Seitenzahl ungut wäre, insbesondere weil darunter die Übersichtlichkeit der Darstellungen leiden würde. Der Umfang der Vorauflage erschien unter diesem Aspekt problematisch. Aus diesem Grunde sind in der neuen Auflage etliche Kürzungen vorgenommen worden. Die alte Autorenweisheit, daß „Abspecken" unendlich viel schwieriger ist als „Anfuttern", hat sich hier erneut bewahrheitet. Sofern längere Abschnitte der Kürzung zum Opfer gefallen sind, ist dies in der Neubearbeitung vermerkt worden, damit der Leser Zugang zu den entfallenen Abschnitten behält. Im Kreis der Autoren hat sich eine Veränderung ergeben: Georg Christoph von Unruh und Wilhelm Wertenbruch sind nach ihrer Emeritierung ausgeschieden. Beide Autoren waren von der ersten Auflage an dabei und deshalb gebührt ihnen großer Dank. Als neue Autoren wurden für den Abschnitt Kommunalrecht Eberhard Schmidt-Aßmann und für den Abschnitt Sozialrecht Franz Ruland gewonnen. Das vorliegende Lehrbuch „Besonderes Verwaltungsrecht" versteht sich auch in dieser 7. Auflage als Fortsetzung und Ergänzung des in derselben Reihe erschienenen, von Hans-Uwe Erichsen und Wolfgang Martens herausgegebenen Lehrbuches „Allgemeines Verwaltungsrecht", das inzwischen in 6. Auflage (1983) erschienen ist.

VI

Vorwort

Das Sachverzeichnis hat Herr Referendar Uwe Haux angefertigt. Für Hinweise und Anregungen sind die Bearbeiter - jeder von ihnen trägt für den von ihm verfaßten Abschnitt die alleinige Verantwortung - und der Herausgeber dankbar. Im Sommer 1984 Peter Badura • Rüdiger Breuer • Karl Heinrich Friauf • Gerhard Hoffmann • Otto Kimminich • Ingo von Münch • Thomas Oppermann • Dietrich Rauschning • Walter Rudolf • Franz Ruland • Jürgen Salzwedel • Eberhard Schmidt- Aßmann.

Autoren- und Inhaltsübersicht* Dr. Ingo von Münch Professor an der Universität Hamburg öffentlicher Dienst Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann Professor an der Universität Heidelberg Kommunalrecht

1

91

Dr. Karl Heinrich Friauf Professor an der Universität Köln Polizei- und Ordnungsrecht

181

Dr. Peter Badura Professor an der Universität München Wirtschaftsverwaltungsrecht

255

Dr. Franz Ruland Professor, stellv. Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Frankfurt a. M. Sozialrecht

329

Dr. Karl Heinrich Friauf Professor an der Universität Köln Bau- und Bodenrecht

439

Dr. Rüdiger Breuer Professor an der Universität Trier Umweltschutzrecht

535

Dr. Jürgen Salzwedel Professor an der Universität Bonn Wege- und Verkehrsrecht

615

* Jedem Abschnitt ist eine ausführliche Gliederung vorangestellt.

Vili

Autoren- und Inhaltsübersicht

Dr. Jürgen Salzwedel Professor an der Universität Bonn Wasserrecht

655

Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann Professor an der Universität Tübingen Bildung

687

Dr. Otto Kimminich Professor an der Universität Regensburg Wissenschaft

749

Dr. Walter Rudolf Professor an der Universität Mainz Presse und Rundfunk

785

Dr. Dietrich Rauschning Professor an der Universität Göttingen Wehrrecht und Wehrverwaltung

823

Dr. Gerhard Hoffmann Professor an der Universität Marburg Internationales Verwaltungsrecht

851

Sachverzeichnis

871

Abkürzungsverzeichnis AA AAF aaO ABA AbfG ABl. AbwAG AcP aF AFG AfK AfP AG AgrarR AJIL AktG ALR AnBA ÄndG Anm. AO AOK AöR AP APuZ ArbA ArbplSchG ArbRGgwart ArbVers ArchVR ARD ARS Art. ArVNG AS

Ausführungsanweisung; Auswärtiges Amt Amt für Ausbildungsförderung an angegebenen Ort Arbeitsgemeinschaft f. betriebliche Altersversorgung Abfallbeseitigungsgesetz Amtsblatt Abwasserabgabengesetz Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Kommunalwissenschaften Archiv für Presserecht Aktiengesellschaft; Amtsgericht Agrarrecht. Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes American Journal of International Law Aktiengesetz Allgemeines Landrecht Amtl. Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit Änderungsgesetz Anmerkung Abgabenordnung Allgemeine Ortskrankenkasse Archiv des öffentlichen Rechts Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis Aus Politik und Zeitgeschichte Arbeitsamt Arbeitsplatzschutzgesetz Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit) Die Arbeiter-Versorgung Archiv des Völkerrechts Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Rundfunkanstalten Arbeitsrechts-Sammlung Artikel Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz) Amtliche Sammlung

X ASOG AT AtAnlVO AtG, AtomG AtVfV Aufl. AuR AuS AusbFöG AusfG AÜG AVAVG AVG AVR AWG B BA BAnz. BAB1. Bad.-Württ. bad.-württ. Bad.-Württ. VB1. BAföG BAG BAT BAusglA BauAufsG BaunutzVO BauO BaupolVO BauR bay., bayer. BayBgm BayBs BayHSchG BayObLG BayStrWG BayVBl. BayVerfGH BayVGH BB BBahn

Abkürzungsverzeichnis Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin Allgemeiner Teil Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes (Atomanlagenverordnung) Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Atomrechtliche Verfahrensverordnung Auflage Arbeit und Recht Arbeits- und Sozialrecht Ausbildungsförderungsgesetz Ausführungsgesetz Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen ArbeitnehmerÜberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Angestelltenversicherungsgesetz Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsgesetz BundesBundesanstalt für Arbeit Bundesanzeiger Bundesarbeitsblatt Baden-Württemberg baden-württembergisch Baden-Württembergische Verwaltungsblätter Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Bundes-Angestelltentarifvertrag Bundesausgleichsamt Bauaufsichtsgesetz Baunutzungsverordnung Bauordnung Verordnung über die baupolizeiliche Behandlung von öffentlichen Bauten Baurecht bayerisch Der bayerische Bürgermeister Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts Bayerisches Hochschulgesetz Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerisches .Straßen- und Wegegesetz Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebsberater Bundesbahn

Abkürzungsverzeichnis BBahnG BBauBl. BBauG BBergG BBesG BBG BBVA Bd. BDH BDiszG BDO BEG BerHG beri., bin. BROG Best. BesVNG Betr. BEvG Beweissicherungs- und FeststellungsG BezO BfA BFH BFStrG BG BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BGSG BHO BImSchG BImSchV BK BKA BKGG BKK BKn BKnEG BKVO BldW

XI

Bundesbahngesetz Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Bundesberggesetz Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Bundesbahnversicherungsanstalt Band Bundesdisziplinarhof Bundesdisziplinargericht Bundesdisziplinarordnung Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz) Beratungshilfegesetz berlinisch Bundesraumordnungsgesetz Bestimmung Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz Der Betrieb Bundesevakuiertengesetz Gesetz über die Beweissicherung und Feststellung von Vermögensschäden in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und im Sowjetsektor von Berlin Bezirksordnung Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfnanzhof Bundesfernstraßengesetz Beamtengesetz; Berufsgenossenschaft; Zeitschrift „Die Berufsgenossenschaft" Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof (Strafsachen) Bundesgerichtshof (Zivilsachen) Gesetz über den Bundesgrenzschutz Bundeshaushaltsordnung Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz) Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen 4. BImSchV Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), 1950ff. (Loseblattsammlung) Bundeskartellamt Bundeskindergeldgesetz Die Betriebskrankenkasse Bundesknappschaft Bundesknappschaftserrichtungsgesetz Berufskrankheitenverordnung Blätter der Wohlfahrtspflege

XII BLG B1GBW BLK Bin BlStSozArbR BLV BMA BMI BMJ BMP BMT-G II BMVg BNatSchG BNebTVO, BNV Bochalli, VerwR BPersVG BPersVWO BpflVO BPolBG BPräs BRat BRD BReg brem. Brinkmann, GG BRKG BRRG BROG BRS BSchVG, BSchG BSeuchG BSG BSHG BS/KMK BStBl. BT(ag) BT-Drs. BT-OElt BT-Sten.Ber. BUKG

Abkürzungsverzeichnis Bundesleistungsgesetz Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht Bund-Länder-Kommission Berlin Blätter für Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht Bundeslaufbahnverordnung Bundesminister(ium) für Arbeit Bundesminister(ium) des Innern Bundesminister(ium) der Justiz Bundesminister(ium) für das Post- und Fernmeldewesen Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Bundesminister(ium) der Verteidigung Bundesnaturschutzgesetz Verordnung über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (Bundesnebentätigkeitsverordnung) A. Bochalli, Besonderes Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1967 Bundespersonalvertretungsgesetz Wahlordnung zum Bundespersonalvertretungsgesetz Bundespflegesatzverordnung Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Polizeivollzugsbeamten des Bundes (Bundespolizeibeamtengesetz) Bundespräsident Bundesrat Bundesrepublik Deutschland Bundesregierung bremisch Grundrechts-Kommentar zum Grundgesetz, herausgegeben von K. Brinkmann, 1967 ff. (Loseblattsammlung) Gesetz über die Reisekostenvergütung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten (Bundesreisekostengesetz) Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) Bundesraumordnungsgesetz Baurechtssammlung Gesetz über den gewerblichen Binnenschiffsverkehr Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Beschlüsse der Kultusministerkonferenz Bundessteuerblatt Bundestag Drucksachen des Deutschen Bundestages Verordnung über allg. Tarife f. d. Versorgung mit Elektrizität Stenograph. Berichte des Deutschen Bundestages Gesetz über die Umzugskostenvergütung und Trennungsentschädigung für die Bundesbeamten, Richter im Bundesdienst und Soldaten

Abkürzungsverzeichnis BVA BVerfG BVerfGG BVersorgBl. BVerwG BVFG

XIII

BWV BWVB1 BWVPr

Bundesversicherungsamt Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesversorgungsblatt Bundesverwaltungsgericht Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) Bundesversorgungsgesetz Baden-Württemberg Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes Bundeswehrverwaltung Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Baden-Württembergische Verwaltungspraxis

ChemG CPL

Gesetz zum Schutz vor gefahrlichen Stoffen Conférence des Pouvoirs Locaux et Régionaux

DAG DAng.Vers. DAR DB DBB DDR ders. DEVO DFG DGB DGO DIN DirRufV

Deutsche Angestelltengewerkschaft Die Angestellten-Versicherung Deutsches Autorecht Der Betrieb Deutscher Beamtenbund Deutsche Demokratische Republik derselbe Datenerfassungsverordnung Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gemeindeordnung Deutsches Institut für Normung VO über das öffentliche Direktrufnetz für die Übertragung digitaler Nachrichten Dissertation DisziplinarDeutscher Juristentag Deutsche Lebensrettungsgesellschaft Der öffentliche Dienst Die öffentliche Verwaltung Die Ortskrankenkasse Dokumentarische Berichte aus dem Bundesverwaltungsgericht Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsches Richtergesetz Deutsche Rechtspfleger-Zeitung Deutsche Rentenversicherung Deutscher Städtetag Deutsches Steuerrecht Dienststrafhof Deutsch(es)

BVG BW BWGöD

Diss. Disz. D(t)JT DLRG DöD DÖV DOK Dok. Ber. DR DRiZ DRiG DRpflZ DRV DST DStR DStrH Dt.

XIV

DuR DUZ DÜVO DV DVGW DVB1 DVO DVZ DWW E EA EAG, Euratom EAGV EG EGBGB EGKS EGSB EGStGB EHG EKD EGKSV EMRK Erichsen, VwR u. VwGerichtsbkt.I Erichsen/Martens, Allg. VwR ErsK ESVGH 1 ET EuGH EuGRZ EuR EvStL, Ev. StaatsL EWG EWGV FAG FAZ FamRZ FeststellungsG FEVS

Abkürzungs Verzeichnis

Demokratie und Recht Die Deutsche Universitätszeitung Datenübermittlungsverordnung Die Verwaltung Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Versicherungs-Zeitschrift für Sozialversicherung und Privatversicherung Deutsche Wohnungswirtschaft Entscheidung(en); Entwurf Europa-Archiv Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel Evangelische Kirche Deutschlands Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäische Menschenrechtskonvention H.-U. Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit I, 3. Aufl., 1982 H.-U. Erichsen/W. Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1983 Ersatzkasse; Zeitschrift „Die Ersatzkasse" Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Energiewirtschaftliche Tagesfragen Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte - Zeitschrift Europarecht Evangelisches Staatslexikon, herausgegeben von H. Kunst, R. Herzog und W. Schneemelcher, 2. Aufl. 1975 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Finanzausgleichsgesetz Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegsschäden Fürsorgerechtl. Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte

Abkürzungsverzeichnis Fg. f. FGG FGO FIDE FinanzändG FinArch FluchtLinG FlüHG FlurbG Fn. Forsthoff, VwR FRG Fs. f. FStrG Fürs. G G131 GAL GaststG GBl. GefGBefG GemO GerSichG GewArch GewO GFG GG GGK GjS GK-AFG GKÖD GK-SGB GKV GkZA GmbH GMB1. GO GoA GoltdA GRe

XV

Festgabe für Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fédération Internationale pour le Droit Européen Finanzänderungsgesetz Finanzarchiv Fluchtliniengesetz Flüchtlingshilfegesetz Flurbereinigungsgesetz Fußnote E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band: Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973 Fremdrentengesetz Festschrift für Bundesfernstraßengesetz Fürsorge Gesetz Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte Gaststättengesetz Gesetzblatt Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter Gemeindeordnung Gerätesicherheitsgesetz Gewerbearchiv Gewerbeordnung Graduiertenförderungsgesetz Grundgesetz Grundgesetz-Kommentar, hrsg. von I. von Münch, 2. Aufl.; Bd. 1, 1981 ; Bd. 2, 1983; Bd. 3, 1983. Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsgesetz Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsames Ministerialblatt Gemeindeordnung; Geschäftsordnung Geschäftsführung ohne Auftrag Goltdammer's Archiv für Strafrecht und Strafprozeß Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Band I, 1. und 2. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, F. L. Neumann, H. C. Nipperdey, 1966/67; Band II, hrsg. von F. L. Neumann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner, 2. Aufl. 1968; Band III, 1. 2. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner,

XVI

GRUR GRV GS GS. NW GüKG GUV GÜV GVB1., GVOB1. GWB GWF H. HäftlHG

HandwO HdbVerfR HdW Hdw(b) hmb. Hb, HdB HbFinWiss HBKWP, KomHdB

HdbDtStR HDSW HdWW HeimkG hess. Hesse, VerfR HFR HGrG HHG HKWP h. L. h. M.

Abkürzungsverzeichnis 1958/59; Band IV, 1. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, U. Scheuner, 1960, 2. Halbband, hrsg. von K. A. Bettermann, H. C. Nipperdey, 1962 Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetzliche Rentenversicherung Gesetzessammlung Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen. 1945-1956 Güterkraftverkehrsgesetz Gesetzliche Unfallversicherung Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Das Gas- und Wasserfach Heft Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen im Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins (West) in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz) Handwerksordnung E. Benda/W. Maihofer/J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 1983 Handbuch des Wissenschaftsrechts Handwörterbuch hamburgisch Handbuch Handbuch der Finanzwissenschaft Handbuch der Kommunalen Wissenschaft und Praxis, hrsg. von H. Peters, Band I, Grundlagen, 2. völlig neubearbeitete Aufl. 1981 Band II, Kommunale Verwaltung, 1957 Band III, Kommunale Finanzen und Kommunale Wirtschaft, 1959 Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von G. Anschütz/R. Thoma, Band I 1930, Band II 1932 Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handbuch der Wirtschaftswissenschaften Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz) hessisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl. 1984 Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Haushaltsgrundsätzegesetz Häftlingshilfegesetz Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis herrschende Lehre herrschende Meinung

XVII

Abkürzungsverzeichnis HRR HRG Hrsg. hrsg. HSchLG HS(ch)G HVO HzS HwVG

Höchstrichterliche Rechtsprechung Hochschulrahmengesetz Herausgeber herausgegeben Hochschullehrergesetz Hochschulgesetz Haushaltsverordnung Handbuch zum Sozialrecht Gesetz über eine Rentenversicherung (Handwerkerversicherungsgesetz)

i. d. F. d. Bek. ICLQ IHKG IPR IVR

in der Fassung der Bekanntmachung The International and Comparative Law Quarterly Gesetz über die Industrie- und Handelskammern Internationales Privatrecht Internationales Verwaltungsrecht

JA JÄ JAV Jb JB1 Jellinek, VwR

Juristische Arbeitsblätter Jugendämter Jahresarbeitsverdienst Jahrbuch Juristische Blätter W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931 (Neudruck 1966) Jahrbuch für Internationales Recht Justizministerialblatt Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristen-Jahrbuch Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Gesetz für Jugendwohlfahrt Juristenzeitung

JIR JMinBl JöR JR JSchÖG JurA Jura JurJB JuS JW JWG JZ KAG KÄV KDVNG KG KgfEG KHG KJ KMK KnVnG KO Kopp, VwVfG Kopp, VwGO

der

Handwerker

Kommunalabgabengesetz Kassenärztliche Vereinigung Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz Kammergericht Gesetz über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener (Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz) Krankenhaus(finanzierungs)Gesetz; Kunsthochschulgesetz Kritische Justiz Kultusministerkonferenz Knappschaftsrentenversicherungs- Neuregelungsgesetz Konkursordnung; Kreisordnung F. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., 1980 F. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl., 1981

XVIII KOVVerfG KR KRG Krüger, Staats L KRV KStZ KSVG KtK-Bericht KV KVG KVKG KVLG KWG L LadSchlG LAG LArbÄ LBG Lehrb. Leibholz/Rinck, GG LFG,LFZG LG LImSchG UÄ LKO LM LPlanG LPflG LS LSG LStrG LStVG LT LuftVG LuftVZO LV(erf.) LVA LVG LVwG LWG

Abkürzungsverzeichnis Gesetz üb. d. Verwaltungsverfahren d. Kriegsopferversorgung Kontrollrat Kontrollratsgesetz H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966 Die Krankenversicherung Kommunale Steuer-Zeitschrift Kommunalselbstverwaltungsgesetz Berichte der Kultusministerkonferenz Kassenärztliche Vereinigung Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz Gesetz über die Krankenversicherung für Landwirte Gesetz über das Kreditwesen Land(es) Ladenschlußgesetz Lastenausgleichsgesetz Landesarbeitsämter Landesbeamtengesetz Lehrbuch G. Leibholz/H. J. Rinck, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 6. Aufl. 1979 ff. Lohnfortzahlungsgesetz Landgericht, Landschaftsgesetz Landes-Immissionsschutzgesetz Landesjugendämter Landkreisordnung Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von F. Lindenmaier und Ph. Möhring Landesplanungsgesetz Landschaftspflegegesetz Leitsatz Landessozialgericht; Luftschutzgesetz Landstraßengesetz Bayer. Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Landtag Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Landesverfassung Landesversicherungsanstalt Landesverwaltungsgericht Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz) Landeswohnungsgesetz; Landeswassergesetz

Abkürzungsverzeichnis

XIX

von Mangoldt/Klein, GG Das Bonner Grundgesetz, erläutert von H. von Mangoldt, 2. Aufl. neu bearbeitet von F. Klein, Bände I, II, 2. Aufl. 1966, Band III, 2. Aufl. 1970/74 Th. Maunz, R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 25. Aufl. Maunz/Zippelius, 1983 StaatsR Maunz/Dürig/Herzog/ Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz/P. Lerche/H.-J. Scholz, GG Papier/A. Randelzhofer/E. Schmidt-Aßmann, Grundgesetz, Kommentar, Band I, II und III, 4. Aufl., 1958 ff. (Loseblatt) Mayer, VwR O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I und II, 3. Aufl. 1924 MBauO Musterbauordnung MdE Minderung der Erwerbsfähigkeit MDR Monatsschrift für Deutsches Recht ME Musterentwurf MedR Medizinrecht MeldeG Gesetz über das Meldewesen (Meldegesetz) MinBl. Ministerialblatt MitbestG Mitbestimmungsgesetz Mitt. HV Mitteilungen des Hochschulverbandes MTB II Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes MTLII Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder von Münch (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. Bd. I, von Münch, GGK 1981; Bd. II, 1983, Bd. III, 1983 Mutterschutzgesetz MuSchG NachbRG Nachbarrechtsgesetz Nachr. Nachrichten NDBZ Neue Deutsche Beamtenzeitung NDV Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge nds, nieders. niedersächsisch NdsAGAbfG Niedersächs. Ausführunsgesetz zum Abfallbeseitigungsgesetz NdsMBl Niedersächs. Ministerialblatt n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift nrw, nordrh.-westf. nordrhein-westfalisch NROG Niedersächs. Gesetz üb. Raumordnung u. Landesplanung NRW Nordrhein-Westfalen NsSmtGO Niedersächsische Samtgemeindeordnung NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NuR Natur und Recht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NW, Nordrh.-Westf. Nordrhein-Westfalen NZWehrR Neue Zeitschrift für Wehrrecht O OBG OEG

Ordnung Ordnungsbehördengesetz Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

XX

Abkürzungsverzeichnis

özw

Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Ortskrankenkasse Oberlandesgericht Jahrbuch f. d. Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PAG

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern (Polizeiaufgabengesetz) Parlamentarischer Rat Personenbeförderungsgesetz Die Personalvertretung Personalvertretungsgesetz H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949 Polizeigesetz Polizeiorganisationsgesetz Polizeigesetz Verordnung über die Laufbahn der Polizeivollzugsbeamten Verordnung über die Organisation und Zuständigkeit der hessischen Vollzugspolizei Gesetz über die Zuständigkeit der Polizei Postarchiv Postverwaltungsgesetz Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Pressegesetz preußisch Preußisches Oberverwaltungsgericht Preußische Städteordnung Preußisches Wassergesetz; Preußisches Wegereinigungsgesetz Polizeistrafgesetzbuch G. Püttner, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1979 Aus Politik und Zeitgeschichte Polizeiverwaltungsgesetz Politische Vierteljahrsschrift

OKK OLG ORDO OVG OWiG

ParlRat P(ers)BefG PersV PersVG Peters, VwR PG POG PolG PolLVO PolOrg.VO PolZustG PostArch PostVerwG PrALR PreßG preuß. PrOVG PrStädteO PrWG PStGB Püttner, Allg. VwR PuZ PVG PVS R Rabeis Z RAG ARS RBG RdA RdJ RdJB Rdnr. RdSchr. RdWW RegBez. RegBl. Reg.E(ntw.)

Recht Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begr. von Rabel Reichsarbeitsgericht in : Arbeitsrechtssammlung Reichsbeamtengesetz Recht der Arbeit Recht der Jugend Recht der Jugend und des Bildungswesens Randnummer Rundschreiben Recht der Wasserwirtschaft Regierungsbezirk Regierungsblatt Regierungsentwurf

Abkürzungsverzeichnis RehaAnglG RepG Rez. RG RGBl. RGG RGSt RGZ RHO rheinl.-pfälz. Rh.-Pf. RhPfVerfGH RiA RKG RMB1. RMfWEV

XXI

ROG Rspr. RStW RTW RV RuF RuG RuSt. RuStAngG RV RVA AN RVO RVerwBl. RWS RZ RzW

Rehabilitationsangleichungsgesetz Reparationsschädengesetz Rezension Reichsgericht Reichsgesetzblatt Gesetz über das Revisionsgericht. Saarland Reichsgericht (Strafsachen) Reichsgericht (Zivilsachen) Reichshaushaltsordnung rheinland-pfälzisch Rheinland-Pfalz Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz Das Recht im Amt Reichsknappschaftsgesetz Reichsministerialblatt Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Raumordnungsgesetz Rechtsprechung Recht, Staat, Wirtschaft Recht, Technik, Wirtschaft Rentenversicherung: Die Rentenversicherung Rundfunk und Fernsehen Recht und Gesellschaft Recht und Staat Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Rentenversicherung: Die Rentenversicherung Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes Reichsversicherungsordnung Reichsverwaltungsblatt Recht und Wirtschaft der Schule Randziffer Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht

s. S. saarl. SAE Schl.-H. schlesw.-holst. SchlHA Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG SchOG Schönke/Schröder, StGB SchrVfS SchVG SchwbG SF

siehe Seite saarländisch Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schleswig-Holstein schleswig-holsteinisch Schleswig-Holsteinische Anzeigen B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl. 1983 Schulordnungsgesetz Strafgesetzbuch, Kommentar, begründet von A. Schönke, fortgeführt von H. Schröder, 20. Aufl. 1980 Schriften des Vereins für Sozialpolitik Schulverwaltungsgesetz Schwerbeschädigtengesetz; Schwerbehindertengesetz Sozialer Fortschritt

XXII SGb SGB SGG SGVO SKV SOG Soz. SozR Soz.Sich. SozVers. StabG StAnz. Statist.Jb StBFG StbJb Stein, StaatsR Stern, StaatsR I StGB StGH StHG StO StPO str. StrG StrlSchVO StT StVO StVZO StW, StuW StWG SVG TA TH TelwegG TrennEVO TuP Turegg/Kraus, VerwR TVG T? u. a. UBG UFITA UG

Abkürzungsverzeichnis Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Niedersächs. Gemeindeverordnung Staats- und Kommunalverwaltung Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Soziale Arbeit Sozialrecht Soziale Sicherheit Die Sozialversicherung Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Staatsanzeiger Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland Städtebauförderungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, 8. Aufl. 1982 K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl., 1984 Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Staatshaftungsgesetz Steuerordnung Strafprozeßordnung strittig Straßengesetz Strahlenschutzverordnung Städtetag Straßenverkehrsordnung Straßenverkehrs-Zulassungsordnung Steuer und Wirtschaft Straßen- und Wegegesetz Selbstverwaltungsgesetz, Soldatenversorgungsgesetz Technische Anweisung Technische Hochschule Telegraphenwege-Gesetz Verordnung über die Gewährung von Trennungsentschädigung Theorie und Praxis der sozialen Arbeit K. E. von Turegg, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 4. neu bearbeitete Aufl. von E. Kraus, 1962 Tarifvertragsgesetz Textziffer unter anderem Gesetz über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige Kriegsgefangenen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Universitätsgesetz

von

Abkürzungsverzeichnis Ule, VerwProzR UNESCO UNTS UPR Urt. USG UVNG UWG UZwG UZwGBw UZwVO VA VBKOV VB1BW VDE VDI VdK-Mitt. VDR VEnergR Verb Verf. VerfGH Verh. Verk. Mitt. VersÄ VersR Vers Rundschau VersWirt VerwA VerwRdSchau VerwRspr VG VGG VGH VGHE n.F.

vgl.

XXIII

C. H. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 8. Aufl. 1983 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation United Nations Treaty Series Umwelt- und Planungsrecht Urteil Gesetz über die Sicherung des Unterhalts der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen und ihrer Angehörigen (Unterhaltssicherungsgesetz) Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen Verordnung über die Anwendung unmittelbaren Zwangs Verwaltungakt Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden in der Kriegsopferversorgung Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verband Deutscher Elektrotechniker Verein Deutscher Ingenieure Mitteilungen des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer Verband deutscher Rentenversicherungsträger Veröffentlichungen des Instituts für Energierecht Verband(s) Verfassung Verfassungsgerichtshof Verhandlungen Verkehrsrechtliche Mitteilungen Versorgungsämter Versicherungsrecht Die Versicherungsrundschau Versicherungswirtschaft Verwaltungsarchiv Verwaltungsrundschau Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Verwaltungsgericht Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofes und des Bayerischen Gerichtshofes für Kompetenzkonflikte. Neue Folge vergleiche

XXIV Vhdlungen VjHfZG VkBl. VO VOB VRS VRspr., VerwRspr. VSSR VuVO WDStRL WG WKOV VwGO VwKG VwR VwVfG VwVG VwZG WaStrG WBO WDO WegeG WG WHG

Abkürzungsverzeichnis Verhandlungen Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Verkehrsblatt. Amtsblatt des Bundesministers für Verkehr Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Verkehrsrechts-Sammlung Verwaltungsrechtsprechung Vierteljahresschrift für Sozialrecht Versicherungsunterlagen-Verordnung Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Gesetz über den Versicherungsvertrag Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungskostengesetz Verwaltungsrecht Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

Bundeswasserstraßengesetz Wehrbeschwerdeordnung Wehrdisziplinarordnung Hamburgisches Wegegesetz Wassergesetz; Wegegesetz Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz) WiGBl. Wirtschaftsgesetzblatt WiR Wirtschaftsrecht WissHG Gesetz über die wissenschaftlichen Hochschulen WissR Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung WissRat Wissenschaftsrat WiVerw Wirtschaft und Verwaltung, Vierteljahresbeilage zum GewArch WoGG Wohngeldgesetz WoGV Wohngeldverordnung WohnG Wohnungsgesetz Wolff, VwR H.-J. Wolff, Verwaltungsrecht, Band I; 8. Aufl. 1971, Band II, 3. Aufl. 1970, Band III, 3. Aufl. 1973 Wolff/Bachof, VwR I H.-J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. I, 9. Aufl 1974 Wolff/Bachof, VwR II H.-J. Wolff/O. Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. II, 4. Aufl. 1976 Wolff/Bachof, VwR III H.-J. Wolff/O.Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. III, 4. Aufl. 1978 WP Wahlperiode, Wirtschaftsprüfer WpflG Wehrpflichtgesetz WRK Westdeutsche Rektorenkonferenz WRP Wettbewerb in Recht und Praxis

Abkürzungsverzeichnis WRV WsG WuW WVMB1. WVR WWO WzS ZaöRV ZAS ZBR ZDF ZDG ZevKR ZfA ZfArbR u. SozR ZfB ZfBR ZfE ZfF ZfRV ZfS ZfSH ZfU ZfvglRechtswiss ZfW ZgesStW, ZStW ZGR ZHR ZLR ZLW ZO ZögU ZPO ZRP ZSR ZustVO SOG ZV + Zv ZVersWiss

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Weimarer Reichsverfassung Wehrsoldgesetz Wirtschaft und Wettbewerb Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr Wörterbuch des Völkerrechts, begr. von K. Strupp, hrsg. von H.-J. Schlochauer, Band I 1960, Band II 1961, Band III 1962 Verordnung über Wasser- und Bodenverbände (Wasserverbandsverordnung) Wege zur Sozialversicherung Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zweites Deutsches Fernsehen Gesetz über den zivilen Ersatzdienst Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Energierecht Zeitschrift für das Fürsorgewesen Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung Zeitschrift für Sozialhilfe Zeitschrift für Umweltpolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Luftrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen Zulassungsordnung Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform (nieders.) Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr Zeitungsverlag und Zeitschriftenverlag Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft

ERSTER ABSCHNITT Ingo von Münch

Öffentlicher Dienst Literatur U. Bat Iis, Bundesbeamtengesetz, 1980 U. Battis, Die Entwicklung des Beamtenrechts im Jahre 1983, NJW 1984, 1332ff. H. Bernhard / R. Hoffmann, Landesbeamtengesetz für Baden-Württemberg, 1964. W. Bietfelder (Hrsg.), Handwörterbuch des öffentlichen Dienstes. Das Personalwesen, 1976. H. Bierschneider, Bayerisches Beamtenrecht, 1968 ff. A. Bochalli, Bundesbeamtengesetz, 3. Aufl. 1966. A. Bochalli, Landesbeamtengesetz von Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1963. J. Crisolli/ M. Schwarz, Hessisches Beamtengesetz, 1962 ff. K. Ebert, Das gesamte öffentliche Dienstrecht, 2. Aufl. 1972 ff. O. Fischbach, Bundesbeamtengesetz, 3. Aufl., 1. Halbbd. 1964, 2. Halbbd. 1965. O. Fischbach, Landesbeamtengesetz von Berlin, 1954. W. Frotscher, Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975. W. Fürst / A. Strecker, Beamtenrecht (einschließlich Disziplinar- und Personalvertretungsrecht), 1975. W. Fürst (Hrsg.), Gesamtkommentar öffentliches Dienstrecht, 1973 ff. — Bd. I: W. Fürst / H. J. Finger/O. Mühl/F. Niedermaier, Beamtenrecht des Bundes und der Länder. — Bd. II: H.-D. Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder. — Bd. III: M.-C. Schinkel, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder. — Bd. IV: G. Arndt / S. Baumgärtel / C. Fieberg, Recht der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst. — Bd. V: A. Fischer / H.-J. Goeres, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder. E. Geib, Schleswig-Holsteinisches Landesbeamtenrecht, 1956. H.-D. Genscher / K. H. Friauf/M. Löwisch / W. Bierfelder / H. Schneider, Der öffentliche Dienst am Scheideweg, 1972. K. Gerhardt / K. Hahn / A. Schaufele, Landesbeamtenrecht für Baden-Württemberg, 1966. W. Grabendorff / P. Arend, Beamtengesetz von Rheinland-Pfalz, 2. Aufl., 1967 ff. A. Hartinger / Chr. Hegemer, Dienstrecht in Bayern, 1975ff.

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Ingo von Münch

H. Hartmann / F. Janssen / U. Kühn, Bayerisches Beamtengesetz, 5. Aufl., 1978. H. Hävers / G. Schnupp, Beamten- und Disziplinarrecht, 4. Aufl., 1979. W. Hildebrandt / H. Demmlef / H.-G. Bachmann, Kommentar zum Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 1963 ff. G. Hilg / G. Müller, Beamtenrecht in Bayern, 1. Halbband — Allgemeines Beamtenrecht 2. Aufl., 1981. J. Isensee, öffentlicher Dienst, in: Handbuch des Verfassungsrechts (hrsg. von E. Benda/W. Maihof er / H.-J. Vogel), 1983, S. 1149ff. K. König/H. W. Laubinger /F. Wagener (Hrsg.), öffentlicher Dienst. Fs. f. C. H. Ule, 1977. H. Korn / G. Siechen, Das Beamtenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1962 ff. W. Kümmel, Niedersächsisches Beamtengesetz, 1965 ff. H. Lecheler, Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, 1977. W. Leisner, Grundlagen des Berufsbeamtentums, 1971. W. Lewner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975. C. Leusser/ E. Gemer/K. Kruis, Bayerisches Beamtengesetz, 2. Aufl. 1970, 1971. W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderverbindung, 1982. A. Maneck / H. Schirrmacher, Hessisches Bedienstetenrecht, 6. Aufl. 1977. H. Minz, Recht des öffentlichen Dienstes, 1979. G. Müller / E. Beck, Beamtenrecht in Baden-Württemberg, 1962 ff. H. Otto, Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, 1973 (6. Aufl. der gleichnamigen Schrift von G. Wacke). E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz mit Beamtenversorgungsgesetz, 2. Aufl. 1965 ff. F. Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger, 1981. W. Rudolf, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, W D S t R L 37 (1979), S. 175 ff. C. Sachse/E. Topka, Niedersächsisches Beamtengesetz, 1961. H. W. Scheerbarth / H. Höffken, Beamtenrecht, 4. Aufl. 1982. W. Schmidt / G. Ehrenthal, Niedersächsisches Beamtengesetz, 3. Aufl. 1967. F. E. Schnapp, Amtsrecht und Beamtenrecht, 1977. H. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 1983. E. Schütz / C. Ulland / A. Cecior / H. Schnellenbach, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, 5. Aufl. 1973ff. G. P. Strunk, Beamtenrecht, 2. Aufl. 1983. W. Thieme, Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1961. C. H. Ule, Beamtenrecht, 1970. C. H. Ule, Öffentlicher Dienst, in: GRe IV/2, 1962, S. 537ff. G. Wacke, Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, 1957. F. Wagener, Der öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, W D S t R L 37 (1979), S. 215 ff. H. Weiss / F. Niedermaier / R. Summer / S. Zängl, Bayerisches Beamtengesetz, 2. Aufl. 1966 ff. E. Weißhaar, Beamtenrecht, 2. Aufl. 1983. W. Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972. W. Wiese, Handbuch des öffentlichen Dienstes — Bd. I: H. Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, 1980. - Bd. II: W. Wiese, Beamtenrecht, 2. Aufl. 1982.

öffentlicher Dienst

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- Bd. III: H. E. Meixner, Personalpolitik, 1982. — Bd. IV: Teil 1: D. Rogalla, Dienstrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1981. Teil 2: J.-D. Busch, Dienstrecht der Vereinten Nationen, 1981. H. J. Wolff/ O. Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl., 1976, § 105 - 119. H. Zeiler, Beamtenrecht, 1983. Zeitschriften: Bayerische Beamtenzeitung; Die Bundesverwaltung; Der Deutsche Beamte; Der ö f fentliche Dienst; Neue Deutsche Beamtenzeitung; Die Personal Vertretung; Recht im Amt; Zeitschrift für Beamtenrecht.

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Gesetze Bund: BundesbeamtenG i. d. F. vom 3. Januar 1977 (BGBl. I, S. 1), zuletzt geändert am 25. Juli 1984 (BGBl. I, S. 998). Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (BeamtenrechtsrahmenG) i. d. F. vom 3. Januar 1977 (BGBl. I, S. 22), zuletzt geändert am 25. Juli 1984 (BGBl. I, S. 998). Länder: Baden-Württemberg: LandesbeamtenG i. d. F. vom 8. August 1979 (GBl. S. 398), zuletzt geändert am 9. Dezember 1980 (GBl. S. 595). Bayern: Bayerisches BeamtenG i. d. F. vom 17. November 1978 (GVB1. S. 831, ber. S. 958), zuletzt geändert am 23. Dezember 1981 (GVB1. S. 533). Berlin: LandesbeamtenG i. d. F. vom 20. Februar 1979 (GVB1. S. 368), zuletzt geändert am 9. Dezember 1983 (GVB1. S. 1506). Bremen /Bremisches BeamtenG i. d. F. der Bekanntm. vom 3. März 1978 (GBl. S. 107), zuletzt geändert am 28. September 1981 (GBl. S. 159). Hamburg: Hamburgisches BeamtenG i. d. F. vom 29. November 1977 (GVB1. S. 367), zuletzt geändert am 31. März 1981 (GVB1. S. 71). Hessen: Hessisches BeamtenG i. d. F. vom 14. Dezember 1976 (GVB1. 1977 I, S. 42), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juni 1982 (GVB1. S. 1401). Niedersachsen: Niedersächsisches BeamtenG i. d. F. vom 28. September 1982 (GVB1. S. 677), zuletzt geändert am 20. Dezember 1982 (GVB1. S. 526). Nordrhein- Westfalen: LandesbeamtenG i. d. F. vom 1. Mai 1981 (GVB1. S. 234), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Juli 1983 (GVB1. S. 236). Rheinland-Pfalz: LandesbeamtenG i. d. F. vom 14. Juli 1970 (GVB1. S. 241), zuletzt geändert am 20. Juli 1982 (GVB1. S. 255). Saarland: Saarl. BeamtenG i. d. F. vom 25. Juni. 1979 (ABl. S. 570), zuletzt geändert am 10. Dezember 1980 (ABl. S. 1081). Schleswig-Holstein: LandesbeamtenG i. d. F. vom 10. Mai 1979 (GVOB1. S. 299), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 1980 (GVOB1. S. 236).

Öffentlicher Dienst

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Gliederung I. Begriff des öffentlichen Dienstes 1. Bedeutung 2. Abgrenzungsmerkmale a) Art der Tätigkeit b) Normative Ausgestaltung des Dienstverhältnisses c) Dienst bei juristischer Person des öffentlichen Rechts 3. Wirtschaftliche Betätigung 4. Dauer und Eingliederung 5. Personenkreis II. Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1. Geschichtliche Entwicklung a) Beamte b) Angestellte und Arbeiter 2. Gegenwärtige Struktur und Problematik a) Ausweitung des öffentlichen Dienstes b) Angleichung der Gruppen c) Schwächung des Beamtentums III. Beamtenrecht 1. Beamtenbegriff a) Staatsrechtlicher Beamtenbegriff b) Haftungsrechtlicher Beamtenbegriff c) Strafrechtlicher Beamtenbegriff d) Verhältnis der Beamtenbegriffe zueinander 2. Beamtenarten a) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte b) Berufsbeamte c) Ehrenbeamte 3. Begründung des Beamtenverhältnisses a) Allgemeine Voraussetzungen b) Ernennung aa) Zuständigkeit zur Ernennung bb) Form der Ernennung cc) Anspruch auf Ernennung? c) Mängel der Ernennung d) Rücknahme der Ernennung aa) Obligatorische Rücknahme bb) Fakultative Rücknahme cc) Anfechtung e) Folgen von Mängeln aa) Innenverhältnis bb) Außenverhältnis 4. Inhalt des Beamtenverhältnisses a) Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums b) Beamtenpflichten aa) Dienstpflicht (Dienstleistungspflicht)

7 7 7 7 8 8 9 9 10 10 10 10 12 12 12 13 14 15 15 15 15 16 16 17 17 18 20 21 21 23 23 24 25 29 31 31 31 32 32 32 33 34 34 37 37

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bb) Allgemein bezogene, unparteiische Amtsführung cc) Beratungs-, Unterstützungs-, Gehorsamspflicht dd) Amtsverschwiegenheit ee) Treuepflicht ff) Ahndung von Pflichtverletzungen (Disziplinarrecht) c) Beamtenrechte aa) Recht auf Schutz und Fürsorge bb) Dienst- und Versorgungsbezüge cc) Einsicht in Personalakten, Dienstzeugnis d) Grundrechte im Beamtenverhältnis aa) Geltung der Grundrechte bb) Einzelne Grundrechte 5. Vermögensrechtliche Haftung des Beamten a) Unmittelbare Schädigung des Dienstherrn aa) Privatrechtliche Tätigkeit bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes b) Mittelbare Schädigung des Dienstherrn aa) Privatrechtliche Tätigkeit bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes c) Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit d) Geltendmachung der Ansprüche des Dienstherrn 6. Veränderungen im Beamtenverhältnis a) Beförderung b) Versetzung c) Umsetzung d) Abordnung 7. Beendigung des Beamtenverhältnisses a) Eintritt in den Ruhestand b) Entlassung c) Verlust der Beamtenrechte durch Gerichtsurteil d) Entfernung aus dem Dienst durch Disziplinarurteil 8. Rechtsschutz im Beamtenverhältnis a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe aa) Beschwerde beim Dienstvorgesetzten bb) Beschwerde beim Personalrat und Personalausschuß cc) Petitionsrecht b) Gerichtliche Rechtsbehelfe aa) Zivilgerichte bb) Disziplinargerichte cc) Verwaltungsgerichte IV. Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst 1. Begriff der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst 2. Begründung des Dienstverhältnisses 3. Inhalt des Dienstverhältnisses 4. Beendigung des Dienstverhältnisses V. Personalvertretung 1. Personalrat 2. Personalversammlung VI. Bundes-(Landes-)Personalausschuß

40 41 42 43 43 46 46 49 54 57 57 58 65 65 65 65 66 66 66 66 67 68 68 70 71 71 72 72 74 76 76 77 77 77 78 78 78 78 78 78 80 80 81 81 83 83 85 88 89

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I. Begriff des öffentlichen Dienstes 1. Bedeutung Die Klärung des Begriffs „öffentlicher Dienst" ist bedeutsam, weil für den öffentlichen Dienst zahlreiche Sonderregelungen gelten, die ihn von privaten Dienstverhältnissen unterscheiden. So ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen (Art. 33 IV GG). Den Angehörigen des öffentlichen Dienstes werden besondere Treuepflichten auferlegt: In den öffentlichen Dienst darf nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt1. Einem Teil der Angehörigen des öffentlichen Dienstes — nämlich den Beamten — wird das Streikrecht versagt2. Wie ist die Beschäftigung in einem sog. öffentlichen Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland rechtlich zu qualifizieren, d. h. in einem Unternehmen, an dessen Kapital die öffentliche Hand maßgeblich oder allein beteiligt ist3? 2. Abgrenzungsmerkmale Einen allgemeingültigen Begriff des öffentlichen Dienstes gibt es nicht4. Der Begriff ist vielmehr für jede gesetzliche Vorschrift nach deren Sinn und Zweck besonders auszulegen3. Bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt, so müssen sachgerechte Merkmale für die Abgrenzung des öffentlichen Dienstes vom privaten Dienst gesucht werden. Drei Abgrenzungsmerkmale liegen nahe: a) Art der Tätigkeit; b) Normative Ausgestaltung des Dienstverhältnisses; c) Dienst bei juristischer Person des öffentlichen Rechts. a) Art der Tätigkeit: Eine früher vom BAG vertretene Ansicht meinte, eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst liege dann vor, wenn die dienstliche Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Art ist6. Dieses Merkmal ist jedoch unbrauchbar7. Viele Tätigkeiten sind ihrer Art nach neutral; sie können daher entweder als private oder als öffentliche Auf1 3 4 5 6 7

2 Vgl. dazu S. 22, 59 ff. Vgl. dazu unten S. 63 f. Vgl. dazu unten S. 9. BVerfGE 15, 46 (61); 38, 326 (343); 55, 207 (227); Lecheler, JZ 1984, 76. BVerwGE 9, 314 (316). BAGE 3, 124 (aufgegeben in BAGE 8, 84); Gröbing, AuR 1959, 225. Pfennig, Der Begriff des öffentlichen Dienstes und seiner Angehörigen, 1960, S. 33.

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gäbe betrachtet und entsprechend privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich organisiert werden (z. B.: Krankenpflege in öffentlichen Krankenanstalten oder privaten Krankenhäusern; Personenbeförderung durch Postbus oder privaten Reisebus; Unterricht an öffentlicher Schule oder an Privatschule). Auch können Privatpersonen öffentliche Aufgaben erfüllen, ohne zugleich im öffentlichen Dienst zu stehen (Bsp.: die sog. beliehenen Unternehmer) 8 . b) Normative Ausgestaltung des Dienstverhältnisses: Mögliches Kriterium des öffentlichen Dienstes könnte die Ausgestaltung des Dienstverhältnisses durch Normen sein, d. h. durch generelle Regelungen (Rechtsform = Rechtsnorm) im Gegensatz zu individuellen Arbeitsverträgen 9 . Daran ist zwar richtig, daß das öffentliche Dienstrecht weitgehend durch Normen (Gesetze, Verordnungen) geregelt ist; aber auch die privaten Dienstverhältnisse sind nicht normfrei (vgl. z.B. §§611 ff. BGB; KündigungsschutzG; MutterschutzG). Soweit die Dienstverhältnisse — wie dies bei den Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst der Fall ist — durch Tarifverträge geregelt sind, besteht insoweit überhaupt kein Unterschied zu den ebenfalls durch Tarifverträge geregelten Privatdienstverhältnissen. Die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst lassen ausdrücklich auch den Abschluß von individuellen (Einzel-)Arbeitsverträgen zu. Die normative Ausgestaltung bildet daher ebenfalls kein befriedigendes Abgrenzungskriterium 10 . c) Dienst bei juristischer Person des öffentlichen Rechts: Das BVerfG, das BVerwG und die neuere Rechtsprechung des BAG sehen das entscheidende Merkmal des öffentlichen Dienstes zutreffend in der öffentlich-rechtlichen Rechtsform des Dienstherrn, d. h. darin, daß die Bediensteten im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen11. Diese Auffassung liegt auch der Legaldefinition in mehreren Gesetzen und Tarifverträgen zugrunde; so bestimmt z. B. § 15 II ArbeitsplatzschutzG: „Öffentlicher Dienst im Sinne dieses Gesetzes ist die Tätigkeit im Dienste des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde (eines Gemeindeverbandes) oder anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts oder der Verbände von solchen . . ,"12 Da juristische Personen heute nur noch durch Gesetz oder auf8

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Dazu Ossenbühl / Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private VVdStRL 29 (1971), S. 137ff., 211 ff. Weitere Hinw. bei Erichsen /Martens in: Erichsen / Martens, Allg. VwR, § 11 II b, und bei Rudolf, in: Erichsen / Martens, a. a. O., § 56 II 3. 10 Fischbach, DÖV 1955, 709. Pfennig, a. a. O., S. 37. BVerfGE 6, 257 (267); 55, 207 (230); BVerwGE 30, 81 (84); BAGE 8, 84; Battis, BBG, Erl. 2 a zu § 2; Pfennig, a. a. 0., S. 40ff.; Ule, GRe IV/2, S. 545; Wolff/Bachof, VwR II, § 105 II a; Rudolf, VVDStRL 37 (1979), S. 191/192. BGBl. 1957 I, S. 293, i. d. F. d. Bekanntm. v. 14. 4.1980 (BGBl. 1980 I, S. 425); das G nimmt die Tätigkeit bei öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften oder deren Verbänden vom Begriff des öffentl. Dienstes aus (vgl. dazu aber auch unten S. 10). Zum Begriff des öffentl. Dienstes vgl auch §§ 29 I, 40 VII BBesG.

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grund eines Gesetzes errichtet oder aufgelöst werden können, läßt sich das Vorhandensein einer juristischen Person des öffentlichen Rechts — von Einzelfällen aus historischer Zeit abgesehen — verhältnismäßig klar feststellen (Rechtssicherheit!). 3. Wirtschaftliche Betätigung Bund, Länder und Gemeinden sind in erheblichem Maß an Wirtschafts-, Verkehrs- und Versorgungsbetrieben beteiligt13. Ist die Beschäftigung bei der Volkswagenwerk AG (16% Bundeseigentum, 20% Eigentum des Landes Niedersachsen), bei der Lufthansa AG (rd. 75% Bundeseigentum), bei der Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen GmbH (100% Bundeseigentum), beim Wasserwerk einer Gemeinde öffentlicher Dienst? Die Abgrenzung nach der Rechtsform des Dienstherrn gibt die Antwort. Hat das Unternehmen die Form der juristischen Person des Privatrechts (AG, GmbH), so ist diese juristische Person des Privatrechts Arbeitgeber; also liegt kein öffentlicher Dienst vor, selbst dann nicht, wenn die öffentliche Hand 100% des Gesellschaftskapitals besitzt (sog. Eigengesellschaft)14. Handelt es sich aber um einen Betrieb, der keine selbständige Rechtsperson ist, sondern der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts — z. B. einer Gemeinde — geführt wird (sog. Eigenbetrieb), so ist die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst Dienstherr. Die Beschäftigung in dem Eigenbetrieb ist also Dienst bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, mithin öffentlicher Dienst15. 4. Dauer und Eingliederung Zum Begriff des öffentlichen Dienstes gehört ferner, daß die Dienstleistung dauernd (berufsmäßig) erbracht wird16 und der Dienstnehmer in die Organisation des Dienstherm eingegliedert ist17. Nicht zum öffentlichen Dienst gehören daher: ehrenamtlich Tätige (die nicht Ehrenbeamte sind), Wehrpflichtige, Ersatzdienstpflichtige (da nicht dauernd oder berufsmäßig tätig), Notare (es sei denn, sie sind — wie in Baden-Württemberg — Beamte) und beliehene Unternehmer. Abgeordnete sind, wie das BVerfG zutreffend festgestellt hat, nicht Beamte, „sondern — 13

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Vgl. Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in diesem Lehrbuch, 4. Abschnitt, III 2 d; vgl. auch von Münch, in: Erichsen / Martens, Allg. VwR, § 2 III 2. Pfennig, a. a. O., S. 43. Vgl. auch BVerfGE 27, 364ff. BAGE 8, 87; a. A. für Eigenbetriebe, die rein wirtschaftliche Zwecke verfolgen, Denecke. RdA 1955, 401 und Gröbing, AuR 1959, 230. OVG Lüneburg DVB1. 1958, 803. Vgl. auch Wiese, Beamtenrecht, S. 63 ff. BVerfGE 17, 371 ff.; Fischbach, BBG I, S. 74; Pfennig, a. a. 0., S. 53.

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vom Vertrauen der Wähler berufen — Inhaber eines öffentlichen Amtes"18. Zweifelhaft ist, ob die Mitglieder der Bundesregierung (Bundeskanzler, Bundesminister) und der Landesregierungen zum öffentlichen Dienst gerechnet werden können. Dafür spricht, daß sie an der Spitze der staatlichen Organisation der Bundesrepublik bzw. der Länder stehen, also nicht außerhalb dieser Organisation. Entscheidend dagegen spricht aber, daß sie kraft ihrer Stellung und Funktion aus dem „normalen" öffentlichen Dienst herausgehoben sind: Gemäß § 1 des G über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (BundesministerG)19 stehen sie „nach Maßgabe dieses Gesetzes zum Bund in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis". 5. Personenkreis Unter den Begriff des öffentlichen Dienstes fallen demnach die Richter, die Berufssoldaten, die freiwilligen Soldaten auf Zeit, die Beamten sowie die Angestellten und Arbeiter, die im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, sowie - was allerdings str. ist20 - die Bediensteten der als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Kirchen und der ihnen gleichgestellten öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften.

II. Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1. Geschichtliche Entwicklung a) Beamte .Die Entwicklung des Beamtenrechts ist eine Folge der Entwicklung der neuzeitlichen Verwaltung. Die rechtliche Ausgestaltung des heutigen deutschen Beamtenrechts geht insbesondere auf die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. von Preußen (1713 - 1740) zurück21. Während vorher die Rechtsverhältnisse der „landesherrlichen Diener" zu ihrem Fürsten und der „land18 19 20

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BVerfGE 40, 314; a. A.: von Mangoldt / Klein, GG, Anm. IV 2 zu Art. 38. Vom 17. Juni 1953 i. d. F. vom 27. Juli 1971 (BGBl. 1971 I, S. 1166). Str.; wie hier BVerfGE 55, 207 (230ff.); VGH Bad.-Württ. DVBI. 1981, 31 (33); Ule, GRe IV/2, S. 545; a. A.: BVerwGE 10, 355ff.; Isensee, HdbVerfR, S. 1150; differenzierend W.Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 149ff.; vgl. auch OVG Hamburg DÖV 1970, 102. Vgl. auch BVerwG DVBI. 1983, 507ff.: Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen schließt das Dienst- und Versorgungsrecht der kirchlichen Amtsinhaber ein. Zur geschichtl. Entwicklung allg.: Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, 1980; W. Thiele, Die Entwicklung des deutschen Berufsbeamtentums — Preußen als Ausgangspunkt modernen Beamtentums, 1981; K. Twesten, Der Preußische Beamtenstaat, in: Preuß. Jahrb. 18 (1866), S. 1 ff., 109 ff. (Nachdr. 1979); Hinw. auch bei Wolff / Bachof, VwR II, § 106.

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ständischen Diener" zu den Ständen durch Privatdienstvertrag geregelt waren, wurde nun das Beamtenverhältnis durch einseitigen Hoheitsakt begründet und beendet; auch begann man die Ablegung von Prüfungen zur Aufnahmevoraussetzung zu machen. Das Preuß. ALR von 1794 gewährte erstmalig gesetzlich Beamtenrechte und Schutz gegen willkürliche Entlassung; die Bezeichnung des betr. Titel 10 Teil II mit „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates" 22 zeigt deutlich den Wandel vom Diener des Monarchen zum Staatsdiener. In der Folgezeit wurde die Rechtsstellung der Beamten weiter verstärkt, so im RBG vom 31. Januar 187323 und den Beamtengesetzen der Länder, vor allem aber in der Weimarer Republik durch Art. 128—131 WRV mit der Garantie der „wohlerworbenen Rechte". Die NS-Zeit unterbrach diese Entwicklung 24 . Das „G zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 193325 ordnete die Entlassung der „politisch unzuverlässigen" und „nichtarischen" Beamten an; das DBG vom 26. Januar 193726 wollte die Beamten im nationalsozialistischen Sinne politisieren und mit der Person Hitlers verbinden (Präambel: „Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Berufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates"). Der Beschluß des Großdeutschen Reichstages vom 26. April 194227 gab Hitler die Möglichkeit, jeden Beamten „ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und aus seiner Stellung zu entfernen". Das GG knüpft in Art. 33 V mit der „Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" an die Tradition der Weimarer Zeit an. Das Beamtenrecht ist seitdem in zahlreichen Gesetzen neu kodifiziert: das Recht der Bundesbeamten im BBG, das Recht der Landesbeamten im jeweiligen LBG; Rahmenvorschriften für die Landesgesetzgeber (§§ 1 — 120) und unmittelbar geltende Vorschriften für alle Beamten (§§ 121 — 133) enthält das BRRG (sog. Beamtenbundesrecht). Auch gibt es zahlreiche Gesetze, die neben anderem beamtenrechtliche Regelungen enthalten, wie z. B. das HochschulrahmenG 28 für das wissenschaftliche Personal an Hochschulen.

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23 24 25 28

Vgl. auch: bayer. Hauptlandespragmatik vom 1. Juni 1805 „über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und ihr Gehalt"; württ. G vom 28. Juni 1821 „betreffend die Verhältnisse der Civilstaatsdiener". Einzelheiten bei Wunder, Privilegierung und Disziplinierung. Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern und Württemberg (1780-1825), 1978. RGBl. I, S. 61. Vgl. BVerfGE 3, 58ff. Zum Beamtenrecht in der NS-Zeit allg. vgl. Hattenhauer (Fn. 21), S. 369ff.; H. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, 1966. RGBl. I, S. 175 . 26 RGBl. I, S. 39. 27 RGBl. I, S. 247. BGBl. 1976 I, S. 185ff.; vgl. dazu auch Kimminich, Wissenschaft, in diesem Lehrbuch, 11. Abschnitt, V.

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In der DDR ist das Berufsbeamtentum abgeschafft; dort gibt es nur noch kurzfristig kündbare Staatsangestellte 29 . b) Angestellte und Arbeiter: Getrennt vom Beamtenrecht hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst entwickelt 30 , deren Rechtsverhältnisse durch private Dienstverträge gestaltet wurden. Zweck dieser Regelung war es, kündbare Arbeitskräfte für vorübergehende und nicht spezifisch hoheitliche Aufgaben zu gewinnen und die beamtenrechtlichen Versorgungslasten zu sparen. In die Weimarer Zeit fällt der Abschluß der ersten Tarifverträge für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst. Die Tarifverträge übernahmen mehrere beamtenrechtliche Grundsätze (z. B. Verpflichtung zu Treue, Verschwiegenheit, unparteiischer Dienstführung), wodurch das Dienstrecht der Angestellten und Arbeiter dem Beamtenrecht angenähert wurde. Das NS-„G zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" galt gemäß §15 1 auch für die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, deren Rechtsverhältnisse im übrigen durch Tarifordnung arbeitsrechtlich geregelt wurden; entsprechend ähnelte das „G zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben" vom 23. März 193431 stark dem (allgemeinen) „G zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 193432. Heutige Rechtsquelle des Rechts der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist für die Angestellten der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961, für die Arbeiter die Manteltarifverträge vom 27. Februar 1964 (MTB II für den Bund, MTL II für die Länder) 33 . 2. Gegenwärtige Struktur und Problematik a) Ausweitung des öffentlichen Dienstes: Seit Beginn dieses Jahrhunderts, insbesondere seit dem 1. Weltkrieg, ist die Zahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten in Deutschland laufend gestiegen 34 . Im Jahre 1913 standen bei rd. 60 Millionen Einwohnern rd. 730000 Personen im öffentlichen Dienst; im 29

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34

Vgl. Leissner, Verwaltung und öffentlicher Dienst in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 1961, S. 253ff.; Mampel, Das Recht in Mitteldeutschland, 1966, S. 118ff.; Jacobs, Das Recht des Staatsdienstes in der DDR, Diss. Würzburg 1975. Vgl. Neesse, ZBR 1967, 35f.; Otto, Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, 1973, S. 24ff. RGBl. I, S. 220. 32 RGBl. I, S. 45. Text des BAT bei Clemens / Scheuring / Steingen / F. Wiese / Fohrmann, Kommentar zum Bundes-Angestelltentarifvertrag — BAT mit Vergütungsordnungen, Bd. I, 1961 (Loseblattslg.); Texte des MTB II und des MTL II sind hrsg. vom Tarifsekretariat der Gewerkschaft ÖTV. - Vgl. auch Wolff/ Bachof, VwR II, § 118 II. Zur Entwicklung der Personalzahlen im öffentl. Dienst vgl. F. Wagener, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 239ff.; Ellwein, DÖV 1978, 475ff.; Breidenstein, ZBR 1984, 29ff.

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Jahre 1920 waren es - trotz des verringerten Gebietsbestandes — schon über eine Million, im Jahre 1983 allein in der Bundesrepublik fast 4 Millionen. Im Jahre 1930 standen rd. 4% aller Erwerbstätigen im öffentlichen Dienst, 1950 rd. 9%, 1970 rd. 11%, 1982 schon 17,7%. Die öffentliche Hand ist heute der größte Arbeitgeber in der Bundesrepublik. Jeder achte Erwerbstätige steht im öffentlichen Dienst. Innerhalb der EG steht die Bundesrepublik mit der Zahl ihrer Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst an erster Stelle. Mitte 1982 wurden jeweils 13 Bürger der Bundesrepublik von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes verwaltet. Die Gründe für die starke, nicht auf die Bundesrepublik beschränkte Ausweitung des öffentlichen Dienstes liegen vor allem in der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft (Verstädterung, Energieversorgung, Verkehrsintensivierung) und der Hinwendung zum Sozialstaat (Wohlfahrtspflege), kurz: im „Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit" (Adolph Wagner). Je größer aber die Zahl der im öffentlichen Dienst Tätigen wird, um so problematischer wird es, für sie ein Sonderrecht zu begründen. b) Angleichung der Gruppen: In einzelnen Ländern (Bremen, Hessen)35 sollte nach 1945 ein einheitliches öffentliches Dienstrecht geschaffen und damit das Beamtenrecht als selbständiges Rechtsgebiet beseitigt werden. Dieses Bestreben, das schon 1918 innerhalb der SPD und USPD verfolgt worden war 36 , wurde durch Art. 33 V GG gestoppt und abgeblockt 37 . Dennoch sind Tendenzen einer Angleichung des öffentlichen Dienstrechts der Angestellten und Arbeiter an das Beamtenrecht nicht zu verkennen 38 . Beispiele hierfür bilden die Einführung des sog. Bewährungsaufstiegs der Angestellten (d. h. Aufstieg nicht nach Tätigkeitsmerkmalen, sondern beamtenlaufbahnähnlich) und die Altersversorgung nach beamtenrechtsähnlichen Grundsätzen 39 ; umgekehrt sind in die Beamtenbesoldung typische arbeitsrechtliche Elemente eingeflossen40, so die Gewährung von Weihnachtsgratifikation 41 und Stellenzulagen. Die Vermengung des öffentlichen Dienstrechts mit dem Arbeitsrecht ist im ein Teilaspekt der Verwischung der Grenzen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht42. Für ein einheitliches Dienstrecht hat sich die vom BMI 1970 35 36 37 38

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Art. 50 I brem. Verf.; Art. 29 I, 135 hess. Verf. W. Thieme, Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des GG, 1961, S. 7. Vgl. BGHZ 9, 328 (zur Grundgesetzwidrigkeit von Art. 29 I hess. Verf.). Dazu Battis, BBG, Erl. 4 zu § 4; Matthey, Zur Rechtsangleichung bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, 1971; Menzel, DÖV 1969, 513ff. (516f.); Jung, Die Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes, 1971; F. Wagener, W D S t R L 3 7 (1979), S. 212 ff. (221 f., 228 f.). Neesse, ZBR 1967, 114f. Zu Einwirkungen des Arbeitsrechts auf das Beamtenrecht allgemein vgl. K. Kröger, NJW 1975, 953 ff. Vgl. BVerfG ZBR 1967, 364f.; dazu Schick, ZBR 1968, 206. Vgl. dazu von Münch, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 2 II 1.

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gebildete „Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts" ausgesprochen 43 . c) Schwächung des Beamtentums: Die Zahl der Beamten hat sich in den letzten Jahren nur noch leicht erhöht, die Zahl der Arbeiter ist vorübergehend gefallen, die Zahl der Angestellten ist stark gewachsen. Zusammengenommen haben Angestellte (1,4 Mio.) und Arbeiter (1,0 Mio.) im öffentlichen Dienst zahlenmäßig die Beamten (1,8 Mio.) schon überflügelt 433 . Die Irrationalität, die das Wesen des Beamtentums kennzeichnet (Dienst statt Arbeit; Treue; Eid), ist problematisch geworden44. Die Verrechtlichung des Beamtenverhältnisses hat es zugleich profanisiert. Vom Beamtenethos wird kaum noch gesprochen 45 . Der Beamte hat seine Stellung als Repräsentant des Staates verlorerf6-, er ist nur noch Organ. Seine Entschlußfreiheit wird durch eine perfektionierte Gesetzgebung 47 eingeengt; seine Ermessensfreiheit schrumpft 48 ; die Technisierung der Verwaltung setzt an die Stelle persönlicher Entscheidungen die serienmäßige Anfertigung von Verwaltungsfabrikaten 49 . Die eigentliche Krise des Beamtentums liegt jedoch in der Ämterpatronage, d. h. der nicht selten praktizierten Einstellung und Beförderung nach parteipolitischen und konfessionellen Gesichtspunkten. Zutreffend ist festgestellt worden, „daß das Beamtentum in zunehmendem Maße zur Unterbringung von Exponenten politischer oder sozialer Machtgruppen ohne entsprechende Eignung und Befähigung mißbraucht wird" 50 . Diese wegen Verstoßes gegen Art. 3 III, 33 II, III GG verfassungswidrige Praxis gefährdet die parteipolitisch neutrale Amtsführung, die ein unabdingbares Merkmal des Beamtentums im Rechtsstaat ist51.

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Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bericht der Kommission, 1973. Bilanz des Reformvorhabens: Sträter, ZBR 1983, 197ff. 43a Stand: 30. 6. 1982 (unmittelbarer öffentl. Dienst); zit. nach Breidenstein, ZBR 1984, 29 ff. (31). 44 W. Thieme, ZBR 1960, 170. 45 Vgl. dazu Burmeister, W D S t R L 37 (1979), S. 304. 46 R. Hoffmann, AöR 91 (1966), S. 176; W. Thieme, ZBR 1960, 173; einschränkend Ule, GRe IV/2, S. 649 („Teilrepräsentation"). 47 Der Gesetzesperfektionismus bläht auch den öffentlichen Dienst auf; vgl. dazu G. Stockinger (Hrsg.), Gesetzesperfektionismus und Beamtenschwemme, 1979. 48 Röttgen, DÖV 1957, 443; vgl. auch Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976. 49 Vgl. Badura, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 41 II 2; H. P. Bull, Verwaltung durch Maschinen, 2. Aufl. 1964; Zeidler, Über die Technisierung der Verwaltung, 1959, S. 15ff. 50 Grabendorff, DÖV 1953, 723; vgl. auch H. H. von Arnim, Ämterpatronage durch politische Parteien, 1980; ders., PersV 1982, 449ff.; Eschenburg, Ämterpatronage 1961; Isensee, HdbVerfR, S. 1164; von Münch, ZBR 1960, 245fT.; Henke, BK, Zweitbearb. Art. 21, 1975, Rdnr. 28; W. Leisner, ZBR 1981, 143ff. (146). Zur Politisierung der Ministerialbürokratie vgl. K. Seemann, DV 13 (1980), S. 137 ff. 51 H. Reuss, JK 1964,2.

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III. Beamtenrecht 1. Beamten begriff Das deutsche Recht hat keinen einheitlichen Beamtenbegriff; es kennt vielmehr drei verschiedene Begriffe: den staatsrechtlichen, den haftungsrechtlichen und den strafrechtlichen Beamtenbegriff 52 . a) Staatsrechtlicher Beamtenbegriff: Eine Legaldefinition fehlt. Der (auch als beamtenrechtlicher Beamtenbegriff bezeichnete) Begriff ist aber unstreitig, da sich seine wesentlichen Merkmale aus Art. 33 IV GG, §§ 2 I BRRG, 2 I BBG in Verbindung mit §§ 5 BRRG, 6 BBG 53 ergeben. Danach ist Beamter im staatsrechtlichen Sinne, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis steht, in das er unter Aushändigung der vorgeschriebenen Ernennungsurkunde berufen worden ist. Der staatsrechtliche Beamtenbegriff wird also von Inhalt und Form der Begründung des Beamtenverhältnisses bestimmt; er liegt allen Gesetzen zugrunde, für die nicht ausdrücklich oder sinngemäß ein anderer Beamtenbegriff festgelegt ist54. b) Haftungsrechtlicher Beamtenbegriff: Gem. Art. 34 S. 1 GG, § 839 BGB 54a ist Beamter im haftungsrechtlichen Sinne jemand, dem die zuständige Stelle die Ausübung eines öffentlichen Amtes anvertraut hat. Ausübung eines öffentlichen Amtes ist hier jede dienstliche Betätigung, die nicht lediglich zivilrechtliche Belange wahrnimmt 55 . Während also eine fiskalische Tätigkeit für den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff nicht ausreicht, ist es im übrigen gleichgültig, welcher Art die Tätigkeit ist, d. h. ob sie der Eingriffsverwaltung oder der schlichten Hoheitsverwaltung zuzurechnen ist. Für den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff entscheidet allein die ausgeübte Tätigkeit, nicht die Ernennung. Deshalb können auch Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst, ja sogar Angestellte und Arbeiter eines privaten Dienstherrn

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54 54a

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Dazu GKÖD I, Rz. 3 zu § 1 BBG. Die entsprechenden Best, in den LBG sind: §§ 2, 9, 12 bad.-württ. LBG; Art. 2, 7, 8 bayer. BG; §§ 2, 8 berl. LBG; §§ 2, 7 brem. BG; §§ 2, 8 hamb. BG; §§ 2, 9 hess. BG; §§ 4, 7 nieders. BG; §§ 2, 8 nordrh.-westf. LBG; §§ 5, 8 rheinl.-pfälz. LBG; §§ 2, 10, 11 saarl. BG; §§ 2, 8 schlesw.-holst. LBG.

Vgl. dazu Wolff /Bachof, VwR II, § 109 Ia.

Zum Verhältnis von § 839 BGB (haftungsbegründende Norm) zu Art. 34 GG (haftungsverlagernde Norm): BVerfG 61, 149ff. (Verfassungswidrigkeit des StaatshaftungsG vom 26. Juni 1981). BGH VerwRspr. 8 Nr. 141, S. 585; Stern, StaatsR I, S. 387.

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Beamte im haftungsrechtlichen Sinne sein, wenn sie von der zuständigen Stelle mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes betraut sind56. c) Strafrechtlicher Beamtenbegriff: Hier gilt die Legaldefinition in in § 11 I StGB n. F. mit den Kategorien „Amtsträger", „Richter" und „für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter" 57 . d) Verhältnis der Beamtenbegriffe zueinander: Die Beamtenbegriffe decken sich nicht. Der engste ist der staatsrechtliche Beamtenbegriff, der nur die formell ernannten Beamten (also nicht Angestellte und Arbeiter) umfaßt. Weiter geht der haftungsrechtliche Beamtenbegriff, der jedermann (also auch den Angestellten und Arbeiter) umfaßt, dem ein öffentliches Amt anvertraut ist. Am weitesten ist der strafrechtliche Begriff des Amtsträgers und des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, weil darunter jede Person fallt, deren Tätigkeit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllt 58 . Jeder Beamte im staatsrechtlichen Sinn und jeder Beamte im haftungsrechtlichen Sinn ist zugleich Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter im strafrechtlichen Sinn. Dagegen ist nicht jeder Beamte im staatsrechtlichen Sinn auch Beamter im haftungsrechtlichen Sinn und umgekehrt nicht jeder Beamte im haftungsrechtlichen Sinn auch Beamter im staatsrechtlichen Sinn: der förmlich ernannte, aber fiskalisch handelnde Beamte ist Beamter im staatsrechtlichen Sinn, nicht aber im haftungsrechtlichen; der mit einem öffentlichen Amt betraute und hoheitlich handelnde Angestellte ist Beamter im haftungsrechtlichen Sinn, nicht aber im staatsrechtlichen.

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Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl., 1983, S. 8ff.; Rüfner, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, §51 II 2. — Die Rspr. bejaht die Beamteneigenschaft im haftungsrechtlichen Sinn für Schiedsmänner (BGHZ 36, 193; vgl. auch BGH DVB1. 1970, 674 f.), Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr (BGHZ 20, 290), Sachverständige eines TÜV (OLG Celle MDR 1953, 676); vgl. ferner die Bsp. in BGH VRspr. 23, 184 f. — Verneint für Ärzte einer Universitätsklinik gegenüber Patienten (BGHZ 9, 145 ff.), Schrankenwärter (OLG Braunschweig, VkBl. 1954, 418), Arzt als vom Gericht beauftragter Sachverständiger (BGH JZ 1973, 24fF.); Bauunternehmer, der von Gemeinde zur Aufstellung von Verkehrszeichen beauftragt ist (BGH DVB1. 1974, 285 ff.). Vgl. dazu Schönke / Schröder, StGB, Rdnr. 17 ff. zu § 11. - Speziell zur Verpflichtung: G über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (VerpflichtungsG) vom 2. März 1974 (BGBl. 1974 I, S. 547): Für eine besondere Verpflichtung nach dem VerpflichtungsG kommen diejenigen Beschäftigten einer Behörde in Betracht, die keine öffentlichen Aufgaben wahrnehmen (Schreibkräfte, Boten, Reinemachkräfte). Fischbach, BBG I, S. 96, sieht - ungenau - den wesentl. Unterschied zwischen dem haftungsrechtl. und dem strafrechtl. Beamtenbegriff in der Unterscheidung von „Innenverhältnis" und „Außenverhältnis".

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Die Zerreißung des Beamtenbegriffs ist ungut 59 , aber durch seine unterschiedlichen Rechtsfunktionen bedingt: Für die Begründung der beamtenrechtlichen Pflichten und Rechte (z. B. Besoldung, Disziplinarrecht) ist ein jeglichen Zweifel ausschließender Beamtenbegriff erforderlich; deshalb ist hier der an das formale Merkmal formgerechter Ernennung anknüpfende Beamtenbegriff sinnvoll. Dagegen kann es für die Haftung des Staates gegenüber dem Bürger nicht auf den Formalakt der Ernennung ankommen, der für den Geschädigten nicht erkennbar und nicht interessant ist, sondern nur darauf, ob die Schädigung aus der Ausübung eines öffentlichen Amtes herrührt. Wieder anders im Strafrecht: der mehrschichtige Strafbarkeitsgrund (Bruch des Treueverhältnisses gegenüber dem Staat, Mißbrauch staatlicher Machtbefugnisse, Vereitelung der Erfüllung staatlicher Aufgaben 60 ) erzwingt eine mehrschichtige Anknüpfung, die im einen Fall auf die Ernennung, im anderen auf die Tätigkeit abstellt. 2. Beamtenarten Die Beamtenarten lassen sich nach mehreren Kriterien unterscheiden, nämlich a) nach der juristischen Person, in deren Diensten der Beamte steht (sog. Dienstherr), d. h. ob es sich um Beamte des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes oder einer sonstigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts mit Dienstherrnfähigkeit handelt, b) ob es sich um Berufsbeamte oder c) um Ehrenbeamte handelt. Innerhalb dieser Gruppen sind weitere Unterteilungen möglich. a) Bundesbeamte, Landesbeamte, Gemeindebeamte: Bundesbeamter ist nach der Legaldefinition in § 2 I BBG „wer zum Bund oder zu einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis) steht". Wer den Bund zum Dienstherrn hat, ist sog. unmittelbarer Bundesbeamter, so z. B. die Beamten der BMinisterien und der ihnen nachgeordneten Behörden, des BTages, der BBahn, der BPost und die Polizeivollzugsbeamten des Bundes61. Dagegen ist mittelbarer Bundesbeamter, wer nicht unmittelbar den Bund, sondern eine bundesunmittelbare rechtsfähige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zum Dienstherrn hat, z. B. den Bundesverband für den Selbstschutz (Körperschaft), die Deutsche 59

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Vgl. W. Jellinek, HdbDtStR II, 1932, S. 30: „Wirklich sinnvoll ist nur ein einheitlicher Beamtenbegriff, da dessen strafrechtliche, beamtenrechtliche und sonstige Ausstrahlungen aufs engste miteinander zusammenhängen." Beispiel für diese Gründe: Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst (§ 353a StGB); Rechtsbeugung (§336 StGB); Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB). Zur Problematik allgemein vgl. H. Wagner, Amtsverbrechen, 1975. Vgl. § 2 II S. 1 BBG; § 176 BBG; § 19 BBahnG; § 23 I Post VerwG; § 1 BPolBG.

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Bundesbank (Anstalt) oder die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" 62 . Das BBG gilt sowohl für die unmittelbaren als auch für die mittelbaren Bundesbeamten; deshalb ist die Trennung beider Beamtenarten normalerweise ohne praktische Bedeutung 63 . Für den Begriff der Landesbeamten und der Gemeindebeamten gelten die dem § 2 I BBG entsprechenden (d. h. auf das Land bzw. die Gemeinde bezogen) Legaldefinitionen in den Landesgesetzen64. b) Berufsbeamte: Der Normalfall des Beamten ist der Berufsbeamte, d. h. derjenige, für den der öffentliche Dienst Haupt- und Lebensberuf ist65. Innerhalb der Berufsbeamten kann nach der Dauer des Beamtenverhältnisses unterschieden werden: Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit66 ist der häufigste Fall, aber nicht wörtlich zu nehmen, da das Beamtenverhältnis mit dem Eintritt in den Ruhestand endet. Der Beamte auf Zeit wird nur für eine bestimmte Zeitdauer in das Beamtenverhältnis berufen 67 , z. B. die auf längstens 5, mindestens auf 2 Jahre ernannten Vorstandsmitglieder der BBahn68, ferner die Wahlbeamten, insbesondere die von den kommunalen Vertretungskörperschaften gewählten leitenden Beamten der Gemeinden und Gemeindeverbände 69 . Die Berufung eines Beamten auf Lebenszeit in ein Beamtenverhältnis auf Zeit bei demselben Dienstherrn ist keine Umwandlung, sondern eine (neue) Begründung des Beamtenverhältnisses70. Beamter auf Widerruf ist, wer den vorgeschriebenen oder üblichen Vorbereitungsdienst ableistet (Bsp.: Referendar) 71 oder nur nebenbei oder vorübergehend Beamtenaufgaben erfüllt (Bsp.: Posthalter)72.

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Vgl. § 11 Abs. 1 des G über die Erweiterung des Katastrophenschutzes vom 9. Juli 1968 (BGBl. I, S. 776); § 13 I G üb. die Stiftung Preuß. Kulturbesitz vom 25. Juli 1957 (BGBl. I, S. 841). Wie hier E.Plog/A. Wiedow/ G. Beck, BBG, Rdnr. 38 zu §2; a. A.: Wolff/ Bachof, VwR II, § 110 Ib (mittelbare Treue- und Fürsorgepflicht). §§ 1, 2 bad.-württ. LBG; Art. 1, 2 bayer. LBG; § 2 berl. LBG; § 2 brem. LBG; §§ 1, 2 hamb. BG; §§ 1, 2 hess. BG; §§ 1, 4 nieders. BG; § 2 nordrh.-westf. LBG; §§1,5 rheinl. -pfälz. LBG; §§1,2 saarl. BG; §§ 1, 2 schlesw.-holst. LBG. Vgl. BGHZ 16, 129; Wiese, Beamtenrecht, S. 58. § 5 I Nr. 1 BBG; § 3 I Nr. 1 BRRG. § 5 IV BBG; §§ 3 I Nr. 2, 95 BRRG. 68 § 8 III S. 2 BBahnG. Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in diesem Lehrb., 2. Abschnitt, III 3a, auch zur str. Frage der Möglichkeit einer Abwahl; vgl. auch Erichsen, DVB1. 1980, 723ff. OVG Münster ZBR 1977, 129. §5 II BBG; §3 I Nr. 4 BRRG. - Vgl. auch Schwechten, Die beamtenrechtliche Sonderstellung des Rechtsreferendars, Diss. Bochum 1974. Zur besonderen Rechtsstellung des Posthalters vgl. Ute, ZBR 1975, 129ff.

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Beamter auf Probe ist, wer zur späteren Verwendung als Beamter auf Lebenszeit eine Probezeit abzuleisten hat 73 (Bsp.: Assessor); dies ist für alle Laufbahnbeamten vorgesehen74. Die Beamten auf Probe und Beamten auf Widerruf sind — solange sie nicht angestellt sind — haushaltsrechtlich gesehen „nichtplanmäßige Beamte", d. h. sie haben — anders als die planmäßigen Beamten — keine im Haushaltsplan ausgewiesene Planstelle. Die Ausbringung einer Planstelle im Haushaltsplan bedeutet die Bereitstellung der entsprechenden finanziellen Mittel und die Erhebung des betreffenden Aufgabenkreises zu einem dauernd von einem Beamten wahrzunehmenden Dienstposten 75 . Ein Amt ( = Gesamtheit der Aufgaben, die einem Träger öffentlicher Gewalt für einen bestimmten Bereich zugewiesen sind) darf gemäß § 49 BHO nur zusammen mit der Einweisung in eine besetzbare Planstelle verliehen werden. Nach der für die Wahrnehmung des Amtes erforderlichen Vorbildung und Ausbildung sind bei den Berufsbeamten die Laufbahnbeamten von den anderen, freien Bewerbern zu unterscheiden. Die „Laufbahn"umfaßt „alle Ämter derselben Fachrichtung, die die gleiche Vor- und Ausbildung oder eine diesen Voraussetzungen gleichwertige Befähigung erfordern (Laufbahnbefähigung)" 76 , z. B. mittlerer fernmeldetechnischer Postdienst. Innerhalb der Laufbahnfachrichtung gibt es die 4 Laufbahngruppen des einfachen Dienstes (Hauptschulbildung; Ämter: Amtsgehilfe bis Amtsmeister), des mittleren Dienstes (Realschulbildung; Assistent bis Hauptsekretär), des gehobenen Dienstes (Fachhochschulreife; Inspektor bis Oberamtmann) und des höheren Dienstes (Hochschulstudium; Regierungsrat bis Staatssekretär)77. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Aufstieg von einer niederen in die nächsthöhere Laufbahngruppe möglich (Aufstiegsbeamte)1*. Auch können mehrere Laufbahngruppen zu einer Einheitslaufbahn zusammengefaßt werden, die unten beginnt und bis zum höchsten Amt führen kann 79 . Die Geltung der Laufbahnbefähigung für entsprechende Laufbahnen bei allen Dienstherren im Geltungsbereich des BRRG regelt § 122 II BRRG 80 . Neben den Laufbahnbewerbern können andere, freie Bewerber in das Beamtenverhältnis berufen werden, die zwar nicht die für die betreffende 73 74 75 76

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§ 5 I Nr. 2 BBG; § 3 I Nr. 3 BRRG. § 7, BLV. Vgl. dazu VG Karlsruhe NJW 1980,75. Dienstposten bedeutet Amt im funktionellen Sinne zum Unterschied zum Amt im statusrechtl. Sinne. §2 II BLV. Dazu im einzelnen H. Schröder / B. Lemhöfer / R. Kraft, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten. Kommentar zur Bundeslaufbahnverordnung, 1979; zur Neufassung der BLV vom 15. November 1978 (BGBl. 1978 I, S. 1763) vgl. J. Güssregen, DÖD 1978, 73 ff. Zur Zuordnung der Bildungsgänge und ihrer Abschlüsse zu den Laufbahnen vgl. § 15a BBG; § 13 BRRG. Vgl. § 2 I BLV. Vgl. §§ 22, 28, 29, 33 BLV. 79 Vgl. § 11 II S. 2 BRRG. Zum Begriff „entsprechende Laufbahnen" vgl. BVerwG DVB1. 1984, 432ff. (433) m. Anm. Schoch, S. 434ff. Vgl. zu Art. 33 II auch unten S. 25f.

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Laufbahn erforderliche Vorbildung besitzen, aber die Befähigung dafür durch Lebens- und Berufserfahrung innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes erworben haben81. Eine Sondergruppe der Berufsbeamten bilden die sog. politischen Beamten. Das sind Beamte, die ein Amt bekleiden, bei dessen Ausübung sie in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Welche Beamten hierunter fallen, ist für den Bund in § 36 I BBG, für die Länder in den entsprechenden Bestimmungen der Landesbeamtengesetze abschließend geregelt82; danach sind politische Beamte z. B. die Staatssekretäre und Ministerialdirektoren, der Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung und sein Stellvertreter, die Präsidenten der Ämter für Verfassungsschutz, der Generalbundesanwalt und die Generalstaatsanwälte, in einigen Ländern auch die Regierungspräsidenten und Polizeipräsidenten. Die politischen Beamten können jederzeit, allerdings nicht willkürlich, in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Sinn dieser beamtenrechtlich nicht ganz unbedenklichen, aber — bei nicht zu großer Ausweitung des Personenkreises83 — haltbaren Regelung ist es, diejenigen hohen Beamten, die mit der Regierung besonders eng zusammenarbeiten müssen, bei Fortfall des gegenseitigen Vertrauens ablösen zu können84. Die bloße Zugehörigkeit zu bestimmten Altersjahrgängen („Verjüngungsaktion") ist also kein sachgemäßer Grund für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand85. Unzulässig ist auch die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand trotz vorhandenen Vertrauensverhältnisses (Fall Klose / Bissinger); eine solche Maßnahme widerspricht dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes, das nicht nur im Interesse des Beamten, sondern auch im Interesse der Öffentlichkeit (Ausschluß von Versorgungskündigung) die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand an bestimmte Voraussetzungen bindet. c) Ehrenbeamte, d. h. Personen, die neben ihrem eigentlichen bürgerlichen Beruf ein hoheitliches Amt im organisatorischen Sinne ohne Besoldung und 81 82

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Vgl. §§ 71 Nr. 3b, 21 BBG. § 31 BRRG; § 71 berl. LBG; § 57 hess. BG; § 47 nieders. BG; § 38 nordrh.-westf. LBG; §50 rheinl.-pfälz. LBG; §48 schlesw.-holst. LBG. - Zum polit. Beamten allg.: Kugele, Der politische Beamte, 1977; H. G. Steinkemper, Amtsträger im Grenzbereich zwischen Regierung und Verwaltung, 1980, und die Hinw. bei C. Brodersen, JuS 1977, 694. Zutreffend Isensee, HdbVerfR, S. 1183: Der Kreis der polit. Beamten ist „möglichst eng zu ziehen." Vgl. BVerfGE 7, 155ff. (166); BVerwGE 19, 332ff. (335); OVG Münster ZBR 1958, 141; Ule, GRe IV/2, S. 575ff., 600f.; kritisch Juncker, ZBR 1974, 205ff. BVerwGE 52, 33ff. m. ablehnender Anm. Wiese, DVB1. 1977, 718; dazu Juncker, ZBR 1977, 285; C. Brodersen, JuS 1977, 694; Nierhaus, Jus 1978, 596; Vorinstanz: OVG Münster DVB1. 1974, 169ff.

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ohne Versorgungsansprüche wahrnehmen86, spielen hauptsächlich in der kommunalen Selbstverwaltung eine Rolle87. Im Bundesbereich sind Ehrenbeamte selten; zu erwähnen sind hier die Honorarkonsularbeamten (Wahlkonsuln), die im Gegensatz zu den Berufskonsularbeamten (Berufskonsuln) in der Regel Angehörige des Aufnahmestaates, d. h. des Staates, auf dessen Staatsgebiet das Konsulat sich befindet, sind88. Von einzelnen ehrenamtlichen Tätigkeiten, wie z. B. Wahlvorsteher oder Schöffe, unterscheidet der Ehrenbeamte sich formell dadurch, daß ihm eine Ernennungsurkunde („unter Berufung in das Beamtenverhältnis als Ehrenbeamter") ausgehändigt wird und materiell dadurch, daß für ihn die Beamtengesetze — allerdings mit den sachgegebenen Abweichungen — gelten. 3. Begründung des Beamtenverhältnisses a) Allgemeine Voraussetzungen: Ein Beamtenverhältnis kann nur unter bestimmten objektiven und subjektiven Voraussetzungen begründet werden88®. Objektive Voraussetzung ist zunächst, daß bestimmte Aufgaben, nämlich hoheitsrechtliche Aufgaben oder solche Aufgaben wahrgenommen werden sollen, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich privatrechtlich beschäftigten Personen übertragen werden dürfen89. Der Begriff der „hoheitsrechtlichen Aufgaben" ist gesetzlich nicht definiert, die Abgrenzung zu den nicht-hoheitsrechtlichen Aufgaben ist schwierig90. Hoheitsrechtliche Aufgaben sind nicht nur solche der Eingriffs86

Vgl. §§ 5 III, 177 BBG; §§ 3 II, 115 BRRG; § 7 V bad.-württ. LBG; Art. 6 II bayer. BG; § 7 II berl. LBG; § 6 VI brem. BG; § 5 II hamb. BG; § 6 II hess. BG; § 6 I Nr. 5 nieders. BG; § 5 IV nordrh.-westf. LBG; § 7 III rheinl.-pfälz. LBG; § 6 I Nr. 5 saarl. BG; §6 IV schlesw.-holst. LBG. - Vgl. dazu Stober, Der Ehrenbeamte in Verfassung und Verwaltung, 1981; Wolff/ Bachof, VwR II, § 110 II b. 87 Vgl. Schmidt-Aßmann, in diesem Lehrbuch, S. 140. Zur Frage eines Dienstbefreiungsanspruches von Bundesbeamten zur Ausübung kommunaler Ehrenämter: Jutzi, ZBR 1980, 137 ff. 88 Zu Einzelheiten vgl. das G über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (KonsularG) vom 11. September 1974 (BGBl. 1974 I, S. 2317ff.). Zu den völkerrechtlichen Rechten und Pflichten der Konsuln vgl. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (BGBl. 1969 II, S. 1587 ff.). 88a Vgl. dazu Isensee, in: Fg. f. BVerwG, 1978, S. 337ff., mit dem zutreffenden Hinw. (S. 348), daß es sich dabei nicht um subjektive und objektive Zulassungsschranken i. S. der Stufenlehre des BVerfG zu Art. 12 handelt, sondern um objektive Erfordernisse des öffentlichen Amtes. 89 Vgl. § 4 BBG, § 2 II BRRG; § 5 bad.-württ. LBG; Art. 5 bayer. BG; § 6 II berl. LBG; § 5 brem. BG; § 4 hamb. BG; § 5 hess. BG; § 5 nieders. BG; § 4 nordrh.westf. LBG; § 6 rheinl.-pfälz. LBG; § 5 saarl. BG; § 5 schlesw.-holst. LBG. 90 Vgl. Kirchhoff, Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Art. 33 Abs. IV des Grundgesetzes, 1968. Vgl. auch die Hinw. bei Matthey, in: von Münch, GGK II, Art. 33 Rdnr. 30 ff.,

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Verwaltung, sondern auch der Leistungsverwaltung91, nicht dagegen rein fiskalische und rein mechanische Tätigkeiten. Zweck dieser Eingrenzung der durch Beamte wahrzunehmenden Aufgaben ist es, die Verwaltung daran zu hindern, den durch besondere Rechte und Pflichten gekennzeichneten Beamtenstatus mißbräuchlich zu verwenden. Objektive Voraussetzung ist ferner, daß eine besetzbare Planstelle vorhanden ist92. Ein Rechtsanspruch auf Ausweisung (Schaffung) neuer zusätzlicher Planstellen besteht nicht93. Subjektive Voraussetzungen sind solche, die in der Person des Bewerbers liegen. So muß der Bewerber Deutscher i. S. des Art. 116 I GG sein94. Besteht für die Gewinnung eines Ausländers ein dringendes dienstliches Bedürfnis, so kann mit im freien Ermessen stehender, aber unwiderruflicher Genehmigung des Bundesinnenministers für Bundesbeamte bzw. des Landesinnenministers für Landesbeamte von diesem Erfordernis abgesehen werden; Beispiel hierfür ist die Gewinnung von ausländischen Hochschullehrern für Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Eine weitere Ausnahme vom Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit bzw. Volkszugehörigkeit gilt für Honorarkonsularbeamte95. Die Ernennung eines Ausländers zum Beamten hat nicht zur Folge, daß er damit automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt. Die gegenteilige Regelung der §§14, 151 RuStAngG (historischer Anwendungsfall: Hitlers Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch seine 1932 vom braunschweigischen Staatsminister für Inneres und Volksbildung vorgenommene Ernennung zum Beamten96) ist durch § 194 BBG aufgehoben worden. — Der Bewerber muß ferner die Gewähr dafür bieten, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung i. S. des GG eintritt97; er muß (im Fall des Laufbahnbewerbers) die nach den LaufbahnVOen 91

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Leisner, in Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975, S. 121ff.; Wolfg. Loschelder, ZBR 1977, 265ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 33 zu Art. 33; E. Plog/A. Wiedow/ G. Beck, BBG, Rdnr. 3 zu § 4. Zu Prinzipien der Leistungsverwaltung allg. vgl. W. Martens, in: Fs. f. H. J. Wolff, 1973, S. 429 ff. Vgl. §§ 17 V, 49 BHO (dies gilt nicht für Beamtenverhältn. auf Widerruf). VG Augsburg DÖV 1978, 367 ff. (367). Vgl. § 7 I Nr. 1 BBG; § 4 I Nr. 1 BRRG; § 6 I Nr. 1 bad.-württ. LBG; Art. 9 I Nr. 1 bayer. BG; § 9 I Nr. 1 berl. LBG; § 8 I Nr. 1 brem. BG; § 6 I Nr. 1 hamb. BG; § 7 I Nr. 1 hess. BG; § 9 Nr. 1 nieders. BG; § 6 I Nr. 1 nordrh.-westf. LBG; § 9 I Nr. 1 rheinl.-pfalz. LBG; § 7 Nr. 1 saarl. BG; § 9 I Nr. 1 schlesw.-holst. LBG. § 177 I Nr. 2 BBG. Vgl. auch oben S. 21. „Das Braunschweigische Staatsministerium hat beschlossen, den Schriftsteller Adolf Hitler, in München,... im Braunschweigischen Staatsdienste unter Ernennung zum Regierungsrat anzustellen, ihm die freie Planstelle eines Regierungsrates bei dem Landeskultur- und Vermessungsamt zu verleihen . . . " (Die Weimarer Republik. Zur Geschichte in Texten, Bildern und Dokumenten. Hrsg. von F. A. Krummacher /A. Wucher, 1965, S. 335). § 7 Nr. 2 BBG; § 4 I Nr. 2 BRRG; § 6 I Nr. 2 bad.-württ. LBG; Art. 9 I Nr. 2 bayer. BG; § 9 I Nr. 2 berl. LBG; § 8 I Nr. 2 brem. LBG; § 6 I Nr. 2 hamb. BG; § 7 I Nr. 2

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für seine Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildung besitzen und den vorgeschriebenen oder üblichen Vorbereitungsdienst mit einer Prüfung erfolgreich abgeschlossen haben bzw. — im Fall des anderen, freien Bewerbers — die erforderliche Befähigung durch Lebens- und Berufserfahrung erworben haben 98 ; es müssen in bezug auf das Lebensalter bestimmte Mindestund Höchstgrenzen beachtet werden"; er muß die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter besitzen100, und es darf kein Grund vorliegen, der zur Nichtigkeit oder zur zwingend vorgeschriebenen Rücknahme der Ernennung führen würde; er muß die erforderliche charakterliche Eignung besitzen; er darf schließlich nicht Mitglied des Bundestages sein101. b) Ernennung: Der Begriff der Ernennung ist ein Oberbegriff, der mehrere Verwaltungsakte umfaßt, nämlich 1. die Einstellung als Beamter (also die Begründung des Beamtenverhältnisses); 2. die erste Verleihung eines Amtes (die sog. Anstellung; Bsp.: Ernennung zum Regierungsrat), die in der Regel, aber nicht notwendig mit der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zusammenfällt; 3. die Verleihung eines anderen Amtes mit anderem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung (Bsp. : Beförderung eines Regierungsrates zum Oberregierungsrat); 4. die Umwandlung des Beamtenverhältnisses (Bsp.: Ernennung des Beamten auf Probe zum Beamten auf Lebenszeit). aa) Zuständig zur Ernennung von Bundesbeamten ist der BPräs.102, soweit nicht — wie z. B. für die Beamten des BTages, des BRates und des BVerfG103 — etwas anderes bestimmt ist. Der BPräs. kann die Ausübung des Ernennungsrechtes anderen Stellen übertragen, wovon er in weitem Umfang Gebrauch gemacht hat104. Strittig ist, ob der BPräs. einen vom zuständigen

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hess. BG; § 9 Nr. 2 nieders. BG; § 6 I Nr. 2 nordrh.-westf. LBG; § 9 I Nr. 2 rheinl.pfälz. LBG; § 7 Nr. 2 saarl. BG; § 9 I Nr. 2 schlesw.-holst. LBG. - Zum Begriff der freiheitl. demokrat. Grundordnung vgl. BVerfGE 2, lff. (13) - SRP-Urteil - und 5, 85 ff. (140) — KPD-Urteil. — Zur Einstellung von Bewerbern, die Mitglieder von Parteien oder Organisationen sind, die die verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen, vgl. unten S. 59 f. § 7 I Nr. 3 BBG, § 4 I Nr. 3 BRRG. 99 § 14 II BLV. 100 Vgl. §§ 45 - 45b StGB. Arg. aus § 28 II BBG, § 33 II BRRG. Zur Rechtsstellung der in den Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes vgl. unten S. 74. — Die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) von Landtags-Abgeordnetenmandat und Beamtenstellung ist auch in mehreren Bundesländern gesetzlich festgelegt; vgl. z. B. § 3 Ia u. b Saarl. Gesetz Nr. 970 über den Landtag des Saarlandes vom 20. Juni 1973 (ABl. S. 517), dazu BVerfGE 40, 296ff. (320); das nordrh.-westf. RechtsstellungsG vom 25. April 1972 (GVB1. S. 100), geändert durch Gesetz vom 18. März 1975 (GVB1. S. 240). Art. 60 I GG, § 10 I BBG. - Gegenzeichnungspflicht gemäß Art. 58 S. 1 GG. Vgl. § 176 BBG. Anordnung des BPräs. über die Ernennung und Entlassung der Bundesbeamten und Richter im Bundesdienst vom 3. Juli 1969 (BGBl. I, S. 713).

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BMin. gemachten Ernennungsvorschlag ablehnen darf 105 ; die h. L. bejaht ein sog. materielles Prüfungsrecht des BPräs. in bezug auf Beamtenernennungen. Die Landesbeamten werden entweder vom Ministerpräsidenten (BadenWürttemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein), von der Landesregierung (Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland), oder vom Senat (Berlin, Bremen, Hamburg 1053 ) ernannt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Auch hier besteht die Möglichkeit der Übertragung dieser Befugnis auf andere Stellen. bb) Form der Ernennung: Die Ernennung ist aus Gründen der Rechtssicherheit streng formgebunden; sie erfolgt durch Aushändigung einer Urkunde (Formalprinzip; Urkundsprinzip), die enthalten muß die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis" mit dem die Art des Beamtenverhältnisses bestimmenden Zusatz („auf Probe", „auf W i d e r r u f , „auf Zeit" mit der Angabe der Zeitdauer, „auf Lebenszeit", „als Ehrenbeamter"). Die Aushändigung der Urkunde hat, anders als nach der Rspr. des RG, die ihr nur d e l a t o rische Wirkung beilegte106, konstitutive Wirkung mit der Folge, daß ohne Aushändigung der formgerechten Urkunde eine Ernennung nicht vorliegt107. Ist über die Beförderung eines Beamten sachlich entschieden, so gebietet es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die erforderlichen Vorkehrungen dafür zu treffen, daß die Ernennungsurkunde unverzüglich ausgehändigt werden kann. Entstehen zwischen der Entscheidung über die Beförderung und der Übergabe der Ernennungsurkunde Zweifel, ob der Beamte zur Wahrnehmung des neuen Amtes gesundheitlich geeignet ist, so ist die Übergabe bis zur Ausräumung dieser Zweifel zurückzustellen1072. Der Zeitpunkt, in dem die Ernennung wirksam wird, ist der Tag der Aushändigung der Ernennungsurkunde, es sei denn, daß in der Urkunde ausdrücklich ein späterer Ernennungstag bestimmt ist. Eine Ernennung auf einen zurückliegenden Zeitpunkt ist unzulässig; erfolgt sie trotzdem, so ist erst der Tag der Aushändigung maßgebend 108 . Der Begriff der Aushändigung ist. gesetzlich nicht definiert. Eine Aushändigung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Originalurkunde mit dem Willen der zuständigen Behörde in die Hände des zu Ernennenden gelangt ist und dieser 105

Vgl. Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 2 zu Art. 60; Menzel, BK, Erl. II 7 zu Art. 60; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 10; Hemmrich, in: von Münch, GGK II, Art. 60 Rdnr. 14. 105a In Hamburg kann der Senat die Ernennung und Beförderung von Beamten nur aussprechen, wenn der Ausschuß für die Ernennung und Beförderung von Beamten (Art. 45 II hbg. Verf.) dies vorgeschlagen hat. 106 RGZ 139, 305. 107 Arg. aus: § 6 II S. 1 BBG; § 5 II S. 1 BRRG; § 12 I S. 1 bad.-württ. LBG; Art. 8 I S. 1 bayer. BG; § 8 II S. 1 berl. LBG; § 7 II S. 1 brem. BG; § 8 II S. 1 hamb. BG; § 9 II S. 1 hess. BG; § 7 II S. 1 nieders. BG; § 8 II S. 1 nordrh.-westf. LBG; § 8 II S. 1 rheinl.-pfälz. LBG; § 10 II S. 1 saarl. BG; § 7 II schlesw.-holst. LBG. 107a BGH ZBR 1983, 336ff. 108 Vgl. § 10 II BBG, § 5 IV BRRG.

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sie vorbehaltlos annimmt 109 (Ernennung ist mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt; früher Str.). Keine Aushändigung liegt vor, wenn nur eine Abschrift übergeben wurde, nur Einblick in die bei den Personalakten befindliche Urkunde gewährt wurde oder die Urkunde durch Diebstahl der Verfügungsmacht der zuständigen Behörde entzogen worden ist110. Problematisch sind die Fälle, in denen die Urkunde einem Vertreter oder Bevollmächtigten des zu Ernennenden übergeben oder ihm formlos postalisch oder durch die Behörde zugestellt wird111. Da es entscheidend auf die Sicherung der Besitzverschaffung an der Urkunde und die genaue Kenntnis des Aushändigungsdatums ankommt, kann anstelle der Übergabe von Hand zu Hand nur durch eigenhändig zuzustellenden eingeschriebenen Brief mit Rückschein oder durch Postzustellungsurkunde unter Ausschluß der Ersatzzustellung zugestellt werden 112 . Eine Zustellung im Ausland ist nur mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der konsularischen oder diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in jenem Staat möglich (§ 14 VwZG); ein Verstoß gegen dieses zwingende Erfordernis ist nicht (wie andere Zustellungsmängel gemäß § 9 I VwZG) heilbar. cc) Gibt es einen allgemeinen Anspruch auf Ernennung? Gemäß Art. 33 II GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt112®; die Auslese der (durch Stellenausschreibung 113 zu ermittelnden) Bewerber ist ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen (Leistungsprinzipj114. Eine Legaldefinition der Begriffe Eignung, Befähigung und fachliche Leistung enthält neuerdings § 1 der (neu gefaßten) BLaufbahnVO (BLV)114a. Eine Durchbrechung des in Art. 33 II GG vorgeschriebenen Leistungsgrundsatzes zwecks Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist — wenn überhaupt — nur in gesetzlich festzulegenden, 109

E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, Rdnr. 7 zu § 6. Vgl. OVG Münster DÖV 1961, 271; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 7 zu §6. 111 Vgl. Bank, DÖV 1964, 769; Dorn. ZBR 1970, 183ff.; Scheerbarth/Höffken, S. 224f. 112 Vgl. RdSchr. d. BMI vom 8. Dezember 1966 (MinBIFin. vom 30. 1. 1967, 113). Eine Aushändigung an einen Bevollmächtigten genügt nicht: Wegmann, BayVBl. 1981, 40 ff. (43). 112a Dazu Isensee, in: Fg. f. BVerwG, 1978, S. 337ff. 113 Vgl. dazu M. von Hippel, Gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern durch Stellenausschreibung, 1972. 114 § 8 S. 2 BBG; § 7 BRRG; § 11 I bad.-württ. LBG; Art. 12 II bayer. BG; § 10 I S. 2 berl. LBG; § 9 brem. BG; § 7 I hamb. BG; § 8 I S. 1 hess. BG; § 8 I nieders. BG; § 7 I nordrh.-westf. LBG; § 10 I rheinl.-pfälz. LBG; §9 I saarl. BG; § 10 I schlesw.holst. LBG. — Ausführlich dazu Isensee, a. a. O.; Schmidt-Aßmann, NJW 1980, 16ff. Zu Eignungstests: M. Wilke, Psychologische Eignungstests und öffentlicher Dienst, 1981. 114a I. d. F. vom 15. November 1978. 110

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klar umrissenen Ausnahmetatbeständen zulässig1 l4b ; die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist im Sozialstaatsprinzip zu suchen. Rechtsprechung und h. L.115 verneinen ein unmittelbares Recht des Bewerbers auf Ernennung, da die Entscheidung darüber kraft der Personalhoheit (Ämterhoheit)115* im Ermessen des Dienstherrn stehe; Art. 33 II GG gewähre nur das Recht, sich zu bewerben. Diese Auslegung wird dem Sinn des Art. 33 II GG nicht gerecht, der eine Doppelfunktion hat: den Schutz der Verwaltung und damit auch der Allgemeinheit vor ungeeigneten Bewerbern und den Schutz des einzelnen Bewerbers vor ungerechtfertigter Benachteiligung. Ein Recht auf Bewerbung kann allerdings diese doppelte Schutzfunktion allein nicht erfüllen. Entscheidend ist vielmehr die verfassungsrechtlich und beamtenrechtlich abgesicherte materielle Gewährleistung, daß bei der Entscheidung über die Ernennung lediglich die Leistung zählt und sachfremde Motive ausgeschaltet werden. So gesehen gibt es zwar kein allgemeines Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern (auch wenn nur ein Bewerber vorhanden ist, hat er — wenn er nicht die erforderliche Qualifikation besitzt — kein Recht auf Ernennung), wohl aber ein Recht auf sachgerechte Beurteilung der Bewerbung unter dem Gesichtspunkt des gleichen Zugangs bei fachlicher Eignung"6. Deshalb ist es grundsätzlich117 verfassungswidrig, wenn eine Frau allein wegen ihres Geschlechtes nicht zur Beamtin ernannt wird118, wie umgekehrt auch eine Bevorzugung allein wegen des Geschlechtes unzulässig ist. Sog. Quotenregelungen im Bereich des öffentlichen Dienstrechts verstoßen deshalb gegen Art. 33 II und gegen Art. 3 II GG 118a . Die Tatsache, daß ein Bewerber seine Prüfung in einem anderen Bundesland abgelegt hat, ist allein kein Grund zur Ablehnung; § 122 II BRRG ist im Lichte des Art. 33 II GG verfassungskonform auszulegen118b. ll4b

Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, a . a . O . (insbes. zu Aktionen der Kultusminister zur Beseitigung der Lehrerarbeitslosigkeit). Vgl. auch — hinsichtl. der Einstellung Schwerbehinderter - § 4 III S. 2, § 13 BLV. 115 BVerfGE 39, 334ff. (354); BVerwGE 2, 151 ff. (153); BVerwG DÖV 1982, 76 (m. Ausführungen zu Anforderungen an den die Ernennung ablehnenden Verwaltungsakt); BGHZ 23, 36ff. (42); BayVerfGH BayVBl. 1982, 431; H. J. Becker, ZBR 1982, 258ff. (261); ders., RiA 1983, 221ff. (225); Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 11 ff. zu Art. 33. 115a Zur Abgrenzung von Personalhoheit und Organisationsgewalt vgl. E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964; H. Lecheler, Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, 1977; Isensee, a. a. O., S. 338. 116 Matthey, in: von Münch, GGK II, 2. Aufl., 1983, Art. 33 Rdnr. 25. 117 Vgl. (zutreffend) bayer. VGH n. F. 10,1. Teil, S. 110ff(118). 118 Ausnahmen gelten für geschlechtsrelevante bzw. (hinsichtlich des Bekenntnisses) für konfessionsgebundene Ämter; vgl. dazu BVerfGE 39, 334ff. (368); BVerwGE 47, 330ff. (354). 1 l>Si Schmitt-Glaeser, DÖV 1982, 381ff.(387); Mengel, JZ 1982, 530ff. (535). 118b Vgl. dazu BVerwG DVB1. 1984, 432ff. m. Anm. Schock, S.434ff.; OVG Münster

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Glaubt ein Mitbewerber, er sei rechtswidrig übergangen, und will er gegen diese Benachteiligung gerichtlich vorgehen, so ergeben sich schwierige prozessuale Fälle; sie lassen sich unter dem Stichwort „Konkurrentenklage im Beamtenrecht?" (auch „Ernennungsklage" genannt) zusammenfassen 119 . Die Diskussion dieser Frage dürfte noch nicht abgeschlossen sein. Im einzelnen sind die folgenden Fallkonstellationen denkbar: a) Ist der andere (d. h. rechtswidrig bevorzugte) Bewerber noch nicht ernannt, steht aber seine Ernennung bevor, so kann der rechtswidrig benachteiligte Bewerber Unterlassungsklage oder Feststellungsklage erheben 120 ; b) ist der andere (rechtswidrig bevorzugte) Bewerber noch nicht ernannt, und wäre die Ernennung des rechtswidrig benachteiligten Bewerbers die einzige Möglichkeit ermessensfehlerfreier Entscheidung, so kann Verpflichtungsklage erhoben werden 121 ; c) ist der andere (rechtswidrig bevorzugte) Bewerber bereits ernannt, so kommt entweder der hier auf Vergabe eines ähnlichen Amtes gerichtete Folgenbeseitigungsanspruch 122 oder eine auf Art. 34 GG, § 839 BGB 122 * gestützte Schadensersatzklage in Betracht; dagegen scheiden Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage in diesem Fall aus 123 : der Anfechtung der Ernennung des (rechtswidrig bevorzugten Bewerbers) steht die Rechtsbeständigkeit erfolgter Ernennungen entgegen, der Verpflichtungsklage die Tatsache, daß nicht verlangt werden kann, für den (rechtswidrig benachteiligten) Bewerber eine im Haushalts- und Stellenplan nicht vorgesehene Stelle zu schaffen123®.

DVB1. 1983, 1115ff.; a. A.: BayVGH NJW 1982, 786. Zur Auslegung des § 122 II BRRG vgl. BVerwGE 64, 142ff. u. 64, 153ff. 119 Vgl. dazu BayVGH DÖV 1983, 391; VG Berlin ZBR 1983, 100, 103; VGH Mannheim NVwZ 1983, 41 (zum vorläufigen Rechtsschutz); Battis, BBG, Erl. 6 b zu § 8; ders., NJW 1984, 1336; P. Bellgardt, Die Konkurrentenklage des Beamtenrechts: der Rechtsschutz des unterlegenen Bewerbers auf Einstellung und Beförderung, 1980; K. Finkelnburg, DVB1. 1980, 809ff.; Günther, ZBR 1983, 45ff.; Matthey, in: von Münch, GGK II, 2. Aufl. 1983, Art. 33, Rdnr. 25a; Remmel, Die Konkurrentenklage im Beamtenrecht, 1982; Sembdner, PersV 1983, 41 ff.; A. Schmitt-Kammler, Jura 1979, 641 ff.; ders., DÖV 1980, 285ff.; W.Thiele, ZBR 1980, 133ff.; M. Willke (Z 1980. 440 ff. 120 VGH Mannheim DVB1. 1968, 256; Battis, BBG, a. a. O. Zur Fortsetzungsfeststellungsklage: VGH München NVwZ 1983, 755 ff. 121 Battis, a. a. O.; Ule, GRe IV/2, S. 585 Fußn. 135. 122 OVG Lüneburg DVB1. 1967, 206; Battis, a. a. O.; Tietgen, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben. Fs. f. d. DJTz. Hundertjähr. Bestehen, Bd. II, 1960, S. 342ff. 123 Str.; a. A.: VG Hannover DVB1. 1977, 584, das (unzutreffend) in der Ernennung einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung sieht und die Möglichkeit der Anfechtungsklage bejaht (zustimmend: Kopp, VwGO, Rdnr. 89 zu § 113; von Mutius, VerwArch. 69 [1978] S. 103 ff.). 123a A. A. - im Fall der Beförderung - VGH Kassel DVB1. 1983, 86. - Ablehnend gegenüber der Beamten-Konkurrentenklage allg. Isensee, HdbVerfR, S. 1166; skeptisch: H. J. Becker, RiA 1983, 226; bejahend Schmitt-Kammler, a. a. O.; Schick, DVB1. 1975, 741.

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Gerichte können in der Regel die Einstellungsbehörde nicht dazu verurteilen, den Bewerber in den öffentlichen Dienst zu übernehmen, „sondern allenfalls den Ablehnungsbescheid aufheben und dadurch die Verwaltung nötigen, erneut über den Antrag auf Übernahme in den öffentlichen Dienst zu entscheiden" 124 . Die Einstellung in den öffentlichen Dienst kann deshalb im Regelfall auch nicht durch einstweilige Anordnung gem. § 123 I S. 2 VwGO erzwungen werden125. Von dem Grundsatz, daß kein allgemeiner Anspruch auf Ernennung besteht, gibt es noch andere Ausnahmen: Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn dem Bewerber eine entsprechende Zusicherung gemacht worden ist126. Während das RG die Selbstbindung der Verwaltung auf Grund von beamtenrechtlichen Zusicherungen als mit der Personalhoheit unvereinbar abgelehnt hat, werden heute beamtenrechtliche Zusicherungen grundsätzlich für zulässig angesehen (Umkehrschluß aus § 183 I S. 1 BBG, der nur bestimmte Zusicherungen verbietet). Rechtsverbindlich ist eine Zusicherung aber nur dann, wenn sie von einem dafür zuständigen Beamten gemacht worden ist, der Zusicherung keine zwingenden Gesetzesvorschriften entgegenstehen und der Wille zur verbindlichen Zusicherung unmißverständlich ersichtlich ist; gem. § 38 I S. 1 VwVfG bedarf die Zusicherung der Schriftform. Als zusätzliches Erfordernis wird gelegentlich noch verlangt, daß die Zusage aktenkundig ist (Aktenvermerk) 127 , und daß die Nichteinhaltung Treu und Glauben widerspräche 128 . Die Beweislast für die Behauptung einer Zusage trägt der Bewerber129. Ein Anspruch auf Ernennung besteht ferner bei der Aufnahme in einen Vorbereitungsdienst, der zugleich rechtliche oder tatsächliche Voraussetzung für andere, außerhalb des öffentlichen Dienstes liegende Berufe ist (Bsp.: Referendardienst für spätere Rechtsanwälte)130. Schließlich besteht ein Anspruch auf Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei einem Beamtenverhältnis auf Probe spätestens nach fünf Jahren 131 , bei einem Wahlbeamten nach Annahme und Nichtbeanstandung der Wahl132 sowie in Fällen der Wiedergutmachung von nationalsozialistischem Unrecht 133 . 124 126

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BVerfGE 39, 334ff. (354). 125 VGH München NJW 1976, 1858f. (1859). Vgl. Fiedler, Funktion und Bedeutung öffentlich-rechtlicher Zusagen im Verwaltungsrecht, 1977, S. 101 ff.; Grellert, Zusicherungen im Beamtenrecht, 1964; Pappermann, ZBR 1968, 202ff.; Pfander, Die Zusage im öffentlichen Recht, 1970, S. 117 ff.; Schütz, DöD 1969, 21 ff. - Aus der Rspr. vgl. BVerwG DVB1. 1966, 857ff. (858); DÖV 1966, 202ff. (205); BVerwGE 26, 31 ff.; OVG Rheinl.-Pfalz ZBR 1974, 233 f. Dazu Bank, ZBR 1964, 38ff. (41); a. A.: BGHZ 23, 52; BVerwGE 26, 35. Hess VGH ZBR 1956, 362. 129 BVerwGE 26, 35. BVerwGE 6, 13 (55 Jahre alte Referendarin); 16, 241 (Forstreferendare). Zum Anspruch auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst und dessen Beschränkbarkeit allg. vgl. auch Menger, VerwArch 73 (1982), S. 86 ff. § 9 II BBG. 132 OVG Münster E 13, 237; OVG Lüneburg E 6, 358. Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des

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c) Mängel der Ernennung können — wie bei anderen Verwaltungsakten — zur Folge haben, daß die Ernennung entweder ein Nichtakt, ein nichtiger Akt oder rücknehmbar ist134. Ein Nichtakt liegt vor, wenn die Ernennungsurkunde nicht ausgehändigt worden ist135, oder wenn die Ernennung durch eine sachlich absolut unzuständige Stelle erfolgt ist (z. B. durch eine Privatbank). Ein nichtiger Akt liegt vor beim Verstoß gegen zwingende Formvorschriften. Zwingendes Formerfordernis bei der Einstellung sind die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis". Fehlt nur der die Art des Beamten Verhältnisses bestimmende Zusatz („auf Probe", „auf Widerruf usw.), so kann der Landesgesetzgeber bestimmen, daß in diesem Fall keine Nichtigkeit eintritt136. Gesetzlich zwingend vorgeschriebene Formulierungen können nicht durch sinngemäß entsprechende Angaben ersetzt werden137. Geringfügige Schreibfehler sind unschädlich 138 . Entsprechend dem Urkundenprinzip ist bei allen zwingend vorgeschriebenen Formulierungen allein der Wortlaut der Ernennungsurkunde maßgebend 139 : enthält z. B. die Urkunde eines Beamten den Zusatz „auf Lebenszeit", eine Begleitverfügung dagegen den Zusatz „auf Widerruf, so ist der Ernannte Beamter auf Lebenszeit. Unklarheiten in der Ernennungsurkunde, die nicht zwingend vorgeschriebene Formulierungen betreffen, können durch Auslegung geklärt werden, und zwar durch Ermittlung von Umständen, die sich nicht aus dem Inhalt der Urkunde selbst ergeben140. Sind Formvorschriften verletzt und macht die Ernennungsbehörde diesen Mangel geltend, so kann dem nicht der Einwand der Arglist entgegengehalten werden 141 ; wohl aber kann u. U. eine Schadensersatz begründende Fürsorgepflichtverletzung vorliegen142. Nichtig ist die Ernennung durch eine z. Z. der Ernennung sachlich unzuständige Behörde 1421 (z. B. eines Postbeamten durch das Justizministerium). Kann eine Ernennung nur durch nach außen in Erscheinung tretenden gemeinsamen Akt mehrerer Behörden erfolgen (Bsp.: Ernennung des Oberfinanzpräsidenten durch den BPräs. und die zuständige Landesbehörde), und ist eine der beiden ernennenden Behörden sachlich unzuständig, so ist die ganze Ernennung nichtig. Handelt es sich nicht um eine gemeinsame Ernennung, muß aber eine andere Stelle (z. B. der Personalausschuß oder die Aufsichtsbehörde) bei der Ernennung mitwirken, so ist bei fehlender Mitwirkung

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öffentlichen Dienstes i. d. F. vom 15. Dezember 1965 (BGBl. 1965 I, S. 2073), zuletzt geänd. durch das HaushaltsstrukturG v. 22. Dezember 1981 (BGBl. 1981 I, S. 1523). Vgl. Ebert, a. a. O., S. 72f.; Otto, ZBR 1955, 1 ff. Str.; Forsthoff, VwR, S. 237, nimmt hier nur Nichtigkeit an. Vgl. § 5 III S. 2 BRRG. — Einige Landesbeamtengesetze sehen in diesem Fall eine Ernennung zum Beamten auf Widerruf vor, andere zum Beamten auf Probe. E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 6 zu § 6. Vgl. § 42 VwVfG. 139 BVerwG DVB1. 1968, 641. BVerwG NJW 1965, 1978. 141 OVG Münster E 6, 112. BGH DVB1. 1953, 674. 142a Vgl. dazu Blasius, VerwRdschau 1981, 386ff.

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die Ernennung nur dann nichtig, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Die wegen sachlicher Unzuständigkeit nichtige Ernennung kann durch die sachlich zuständige Stelle rückwirkend bestätigt werden 143 (Ausnahme von dem Grundsatz, daß eine beamtenrechtliche Rechtsstellung nicht rückwirkend begründet werden kann!). Die durch eine örtlich unzuständige Behörde erfolgte Ernennung ist dagegen rechtswirksam, wobei die Einstellung für den örtlichen Bereich der ernennenden Behörde gilt. Nichtig ist die Ernennung, wenn der Ernannte z. Z. der Ernennung nicht Deutscher i. S. des Art. 116 GG war und keine diesbezügliche Ausnahmegenehmigung vorlag144. Erwirbt der Ernannte später die deutsche Staatsangehörigkeit, oder wird die Ausnahmegenehmigung später erteilt, so bleibt die Ernennung trotzdem nichtig. Verliert dagegen ein Beamter nach der Ernennung die deutsche Staatsangehörigkeit, so bleibt die Ernennung wirksam; der Beamte ist aber kraft Gesetzes entlassen145. Nichtig ist eine Ernennung, wenn der Ernannte entmündigt war oder ihm im Zeitpunkt der Ernennung infolge verfassungsgerichtlichen oder strafgerichtlichen Urteils die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter fehlte. Wird diese Fähigkeit erst nach der Ernennung aberkannt, so bleibt die Ernennung wirksam; das Beamtenverhältnis endet aber mit der Rechtskraft des Urteils146. Schließlich kann der Landesgesetzgeber bestimmen, daß die Ernennung eines kommunalen Wahlbeamten nichtig ist, wenn die zugrunde liegende Wahl unwirksam war147. Als Grundsatz für die Nichtigkeit von Ernennungen ist festzuhalten, daß hier weder eine allgemeine verwaltungsrechtliche Schwere- oder Evidenztheorie noch die in § 44 VwVfG vorgesehene Regelung gilt, sondern die Nichtigkeitsgründe gesetzlich und abschließend festgelegt sind (Bestimmtheitsgrundsatz)149. Über diese gesetzlich bestimmten Nichtigkeitsgründe hinaus darf die Behörde keine weiteren Nichtigkeitsgründe geltend machen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz abschließender Festlegung besteht nur zugunsten des Ernannten; eine ohne seine Mitwirkung (d. h. ohne seine Zustimmung) erfolgte Ernennung ist — obwohl nicht ausdrücklich gesetzlich aufgeführt — ebenfalls nichtig (str.)149.

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Vgl. § 11 I S. 2 BBG; § 10 I S. 2 BRRG. - Zur Nichtigkeit von Ernennungen wegen unterbliebener Mitwirkung der Aufsichtsbehörde oder des Landespersonalausschusses allgemein vgl. BVerwG ZBR 1981, 67ff; Zängl, ZBR 1973, 138ff. Vgl. § 11 II Nr. 1 BBG; § 8 II Nr. 1 BRRG. Dazu unten S. 74. 146 Dazu unten S. 76. Vgl. § 10 II BRRG; § 14 IV schlesw.-holst. LBG. Scheerbarth/Höffken, S. 266 ff. Wiese, Beamtenrecht, S. 82; a. A.: E. Plog/A. Wiedow/G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu §11; Brückner, Das faktische Dienstverhältnis, 1968, S. 20.

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d) Die Rücknahme der Ernennung ist ebenfalls abschließend geregelt. Neben der abschließenden Aufzählung der Gründe für die Nichtigkeit oder Rücknahme der Ernennung in den Beamtengesetzen ist also für die Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (kodifiziert in § 48 VwVfG) kein Raum 150 . Bei der Rücknahme der Ernennung wird zwischen obligatorischer und fakultativer Rücknahme unterschieden. Sinn dieser Unterscheidung ist es, die Bewahrung der Entschließungsfreiheit der Ernennungsbehörde und den Ausschluß von ungeeigneten Personen in abgestufter, sachgemäßer Weise zu sichern. aa) Obligatorisch ist die Rücknahme, wenn die Ernennung durch Zwang, Bestechung oder arglistige Täuschung herbeigeführt wurde151. Die arglistige Täuschung kann sowohl durch Angabe falscher als auch durch Verschweigen wahrer Tatsachen erfolgen. Beim Verschweigen ist problematisch, ob eine Offenbarungspflicht auch hinsichtlich solcher Tatsachen besteht, nach denen die Behörde nicht gefragt hat; eine solche Offenbarungspflicht ist nur dann anzunehmen, wenn der Bewerber eine Tatsache verschweigt, von der er weiß oder mit dolus eventualis in Kauf nimmt, daß sie für die Entscheidung der Ernennungsbehörde von Bedeutung ist oder sein kann 152 . Die Ernennung kann (und muß) wegen Zwanges, arglistiger Täuschung oder Bestechung nur dann zurückgenommen werden, wenn die Ernennung durch diese Umstände herbeigeßihrt worden ist (Kausalität i. S. der conditio sine qua non), d. h. wenn die Ernennungsbehörde andernfalls — zumindest zu diesem Zeitpunkt — die Ernennung tatsächlich nicht vorgenommen hätte153. Obligatorisch ist die Rücknahme ferner, wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte wegen eines vor der Ernennung vollendeten Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt war oder wird, das ihn für die Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen läßt 154 (Bsp.: Schwere Eigentumsdelikte; problematisch: Trunkenheit am Steuer). bb) Fakultativ ist die Rücknahme, wenn bei einem nach seiner Ernennung Entmündigten die Voraussetzungen für die Entmündigung im Zeitpunkt der 150

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Bayer. VGH ZBR 1977, 154 (zum Fall, in dem die Ernennungsurkunde zwar ausgehändigt war, die Ernennung aber erst später wirksam werden sollte); GKÖD I, Rz 1 zu § 12BBG. Vgl. § 12 I Nr. 1 BBG; § 9 I Nr. 1 BRRG. BVerwGE 13,158f.; einschränkend E.Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 12. - Vgl. auch BVerwGE 18, 276 ff. BVerwGE 16, 342; 17, 3. Vgl. auch BVerwGE 16, 343ff. (auch Beförderung ist Ernennung; Rücknahme auch nach Versetzung in den Ruhestand möglich); GKÖD I, Rz. 1 1 - 1 2 z u § 12 BBG.

Vgl. § 12 I Nr. 2 BBG; § 9 I Nr. 2 BRRG; dazu E.Plog/A.

Wiedow / G. Beck.

BBG, Rdnr. 9 zu § 12, insbes. auch zur Frage, ob Wohlverhalten nach der Tat zu berücksichtigen ist.

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Ernennung vorlagen155. Treten die Voraussetzungen für die Entmündigung erst nach der Ernennung ein, so kommen nur Entlassung oder Versetzung in den Ruhestand in Betracht. Die Ernennung kann ferner zurückgenommen werden, wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte in einem Disziplinarverfahren aus dem Dienst entfernt oder zum Verlust der Versorgungsbezüge verurteilt worden war. cc) Anfechtung: Schließlich kann die Ernennung rückwirkend auch dadurch beseitigt werden, daß der Ernannte selbst seine ausdrücklich oder durch Entgegennahme der Ernennungsurkunde konkludent erklärte Zustimmung zur Ernennung wegen Zwanges, Drohung, arglistiger Täuschung oder eines wesentlichen Irrtums unverzüglich anficht156. Diese Möglichkeit ist zwar in den Beamtengesetzen nicht vorgesehen; sie ergibt sich aber aus den Grundgedanken der §§ 119, 123 BGB, ferner daraus, daß der Bestimmtheitsgrundsatz der abschließenden gesetzlichen Aufzählung der Rücknahmegründe (ebenso wie bei der Nichtigkeit) nur zugunsten des Beamten besteht, und endlich aus der Tatsache, daß der Ernannte ein Interesse daran haben kann, daß sein Beamtenverhältnis durch Rücknahme beendigt wird (z. B. um einer Disziplinarstrafe zu entgehen). e) Folgen von Mängeln: War die Ernennung ein Nichtakt, nichtig oder ist sie zurückgenommen, so stellt sich die Frage, welche Folgen dies zusätzlich zur Beseitigung des Beamtenverhältnisses hat156a. Die Fehlerhaftigkeit des Beamtenverhältnisses kann sich sowohl auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Ernannten und seiner Behörde (Innenverhältnis) als auch auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Ernannten und Dritten (Außenverhältnis) auswirken. aa) Innenverhältnis: Im Fall einer nichtigen Ernennung (der — obgleich im Gesetz nicht erwähnt — insoweit die Nichternennung gleichsteht), muß der Dienstvorgesetzte nach positiver Kenntnis des Grundes dem Ernannten die weitere Führung der Dienstgeschäfte untersagen; bei Kenntnis eines Rücknahmegrundes kann dies geschehen157. Da ein Beamtenverhältnis nicht bestanden hat bzw. rückwirkend beseitigt wird, die bereits gezahlten Dienstbezüge also von dem fehlerhaft Ernannten ohne Rechtsgrund erlangt sind, muß der Dienstherr sie an sich zurückfordern (§812 BGB); die Beamtengesetze sehen aber vor, daß er davon absehen kann 158 . Gesetzlich nicht geregelt sind andere Fragen, z. B.: Gilt für den nicht oder fehlerhaft Ernannten die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit? Was gilt hinsichtlich der Haftung für von ihm begangene rechtswidrige Handlungen? Die 155

Vgl. hierzu und zum folgenden § 12 II BBG, § 9 II BRRG. Dazu OVG Münster DVB1. 1952, 606 (für den ähnlich gelagerten Fall einer Entlassung auf Verlangen). Vgl. auch Wiese, Beamtenrecht, S. 82. 156a Zu den Rechtsfolgen der fehlerhaften Beamtenerneuerung allg. vgl. Fromme, DÖD 1981,169ff. 157 Vgl. § 13 BBG. 158 Vgl. § 14 S. 2 BBG; vgl. auch Bayer. VGH ZBR 1973, 59.

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Antwort auf diese Fragen muß von der Rechtsnatur des fehlerhaften Beamtenverhältnisses ausgehen. Hierzu sind sechs Lösungsmöglichkeiten entwikkelt worden: 1. Privatrechtlicher Dienstvertrag (Umdeutung) 159 ; 2. Faktischer privatrechtlicher Dienstvertrag 160 ; 3. Geschäftsführung ohne Auftrag 161 ; 4. Rechtsverhältnis sui generis162; 5. Öffentlich-rechtlicher Vertrag (Umdeutung) 163 ; 6. Faktisches öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis 164 . Den privatrechtlichen Konstruktionen steht die Tatsache entgegen, daß Ernennungsbehörde und Ernannter nicht den Willen hatten, ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zu begründen, sondern ein Beamtenverhältnis. Deshalb erscheint es richtig, ein faktisches öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis anzunehmen, das man als „faktisches Beamtenverhältnis" 1643 bezeichnen könnte, wenn diese Bezeichnung wegen des im Beamtenrecht geltenden Formalprinzips nicht ein Widerspruch in sich wäre; auf dieses Verhältnis sind die beamtenrechtlichen Vorschriften zwar nicht unmittelbar, aber analog insoweit anwendbar, als dies nach der zeitlichen Dauer des faktischen Dienstverhältnisses und den dabei ausgeübten Funktionen sinnvoll ist. bb) Außenverhältnis: Die bis zum Verbot der Führung der Dienstgeschäfte oder bis zur Zustellung der Rücknahmeerklärung vorgenommenen Amtshandlungen des Ernannten sind — sofern nicht Mängel hinzukommen, die auch die Amtshandlung eines fehlerfrei Ernannten fehlerhaft machen würden — gültig165. Sinn dieser Regelung ist der Schutz der allgemeinen Rechtssicherheit und des Vertrauens der Allgemeinheit auf den Bestand von Amtshandlungen; deshalb ist es nach h. L. unbeachtlich, ob der einzelne Adressat der Amtshandlung die Nichtigkeit der Ernennung oder die Gründe für die Rücknahme kannte 166 . Gesetzlich nicht geregelt sind die Fälle der Nichternennung oder Nichtigkeit der Ernennung wegen Formmängeln. Da es einerseits auf den Rechtsschein nach außen ankommt, andererseits die Gründe für die Nichternennung (Fehlen der Aushändigung der Ernennungsurkunde) oder für die Nichtigkeit (Formmängel der Ernennungsurkunde) nach außen nicht erkennbar sind, müssen auch diese Handlungen als gültig angesehen werden (str.)167. Fehlt auch der Rechtsschein, wie beim Scherzakt oder bei der Ernennung durch eine sachlich absolut unzuständige Stelle, so gilt dies nicht. 159

RAG ARS 38, 3; a. A.: BAG JZ 1960, 134. LAG Frankfurt a. M. NJW 1954, 248. Vgl. dazu (allerdings ablehnend) Brückner, a. a. O., S. 103. 162 BayVerwGHE N. F. 7, 113. 1 6 i LVG Rheinl.-Pfalz DVB1. 1952, 597. 164 Brückner, a. a. O., S. 107ff.; Schröcker, DVB1. 1957, 664f.; Bayer. VGH ZBR 1973, 59. 164a Vgl. dazu BVerwG DÖV 1983, 898. 165 Vgl. § 14 S. 1 BBG. 166 E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 3 zu § 14. 167 E. Schütz/ C. Ulland, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Rdnr. 3 zu § 14; a. A. Schröcker, DVB1. 1957, 668. 160 161

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Die Frage der Haftung ist unproblematisch168. Hat der fehlerhaft Ernannte in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, so tritt stets die Haftung nach Art. 34 GG, § 839 BGB ein, da hierfür nicht die Beamteneigenschaft im staatsrechtlichen Sinn vorliegen muß. Umgekehrt ist die staatsrechtliche Beamteneigenschaft Voraussetzung der persönlichen Haftung aus § 839 BGB, so daß diese Haftung beim fehlerhaft Ernannten ausscheidet. Hat der fehlerhaft Ernannte fiskalisch gehandelt, so wird bei Vertragsverletzung nach §§276, 278 BGB, bei unerlaubten Handlungen nach §§823 ff. BGB i. Vbg. mit § 831 BGB oder § 31 BGB (§ 89 BGB) gehaftet. 4. Inhalt des Beamtenverhältnisses a) Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln" — diese lapidare Bestimmung des Art. 33 V GG wirft mehrere schwierige Rechtsfragen auf169. Zunächst ist umstritten, ob der Begriff „Öffentlicher Dienst"hier im weiten Sinne zu verstehen ist, d. h. sowohl die Beamten als auch die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst erfaßt 170 , oder ob er eng auszulegen ist und damit nur die Beamten betrifft 171 . Die sprachliche Fassung des Art. 33 V GG spricht für die weite Auslegung: da aber unzweifelhaft gerade die Trennung zwischen dem Beamtenrecht und dem Recht der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes einer der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ist, spricht der Sinn der Vorschrift entscheidend für die enge Auslegung, d. h. für die Beschränkung auf das Beamtenrecht172. Art. 33 V GG ist nicht lediglich ein Programmsatz, sondern unmittelbar geltendes Recht'73; die Vorschrift verpflichtet also den Gesetzgeber in zweifacher Weise, nämlich „zu regeln", d. h. überhaupt tätig zu werden, und sodann bei diesem Tätigwerden die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu berücksichtigen. Was im einzelnen zu den „hergebrachten Grundsätzen"gehört, ist umstritten. Fest steht jedoch, daß nicht schon jede überkommene beamtenrechtliche 168 169

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Vgl. zum folgenden Brückner, a. a. O., S. 86ff. Dazu Lindgen, DÖD 1981, 170ff.; Matthey, in: von Münch, GGK II, 2. Aufl. 1983, Art. 33 Rdnr. 3 5 - 4 4 ; Stern, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 193ff.; W. Thiele, DÖV 1981, 773ff.; F. Rottmann, Der Beamte als Staatsbürger. Zugleich eine Untersuchung zum Normtypus von Art. 33 Abs. 5 GG, 1981. W. Thieme, Der öffentliche Dienst in der Verfassungsordnung des GG, S. 35ff.; Wacke, Grundlagen des öffentlichen Dienstrechts, 1957, S. 27 ff. BVerfGE 3, 186; 16, 110f.; h. L., z. B. Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 46 zu Art. 33; Ule, GRe IV/2, S. 549ff„ beide mit weit. Hinw. Stern, StaatsR I, S. 351. - Art. 33 V GG umfaßt auch die Richter (BVerfGE 12, 87), nicht dagegen die Soldaten: BVerfGE 3, 334f.; 16, 111 (nicht unbedenklich). BVerfGE 9, 286; Battis, Erl. 2 c aa zu § 2.

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Detailregelung ein (hergebrachter) Grundsatz ist, sondern nur die das Beamtentum tragenden Grundregeln, d. h. der „Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewährt worden sind"174. Hergebrachte Grundsätze sind danach insbesondere175: Die Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis, die Gewährung angemessener Dienst- und Versorgungsbezüge (nicht aber ein Anspruch darauf, daß Gehalts- und Versorgungsbezüge in bestimmter Summe ungekürzt fortbestehen175® und nicht der Schutz sog. wohlerworbener Rechte überhaupt176), die Festlegung der Dienst- und Versorgungsbezüge durch Gesetz; die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten, der Anspruch auf eine amtsangemessene Amtsbezeichnung1762, der Grundsatz parteipolitischer Neutralität im Dienst, das Koalitionsrecht, die Unzulässigkeit des Beamtenstreiks, der Schutz gegen willkürliche Beendigung des Beamtenverhältnisses und die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes. Die hergebrachten Grundsätze sind zu berücksichtigen. Bei der Frage was unter „Berücksichtigung" zu verstehen ist, unterscheidet das BVerfG177 zwischen hergebrachten Grundsätzen, die (nur) zu berücksichtigen sind und „besonders wesentlichen" hergebrachten Grundsätzen, die zu beachten sind. Diese Unterscheidung findet weder im Wortlaut noch im Sinn des Art. 33 V GG eine Stütze; sie ist daher abzulehnen178. Vielmehr ist „Berücksichtigung" einheitlich dahin auszulegen, daß die hergebrachten Grundsätze einerseits nicht ignoriert und nicht negiert werden dürfen, andererseits aber Raum bleibt für eine weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers: solange der Gesetzgeber sich überhaupt noch auf dem Boden der hergebrachten Grundsätze befindet, kann er sie mehr oder weniger intensiv zur Geltung bringen1783. Die Ansicht, der Gesetzgeber könne aber sogar von den hergebrachten Grundsätzen abweichen, wenn dies zwingend geboten sei179, ist nicht richtig, 174

BVerfGE 8, 343; 32, 246; 43, 278; BVerwGE 24, 235; 25, 85. - Überblick über die Rspr. des BVerfG und des BVerwG bei Stern, StaatsR I, S. 355ff.; vgl. auch Isensee, HdbVerfR, S. 1179ff.; bei Lecheler, AöR 103 (1978), S. 354ff.; Battis, Erl. 2 c bb zu § 2. 175 Vgl. (z.T. noch weitergehend) F.Mayer, in: Studienkommission Bd. 5, 1973, S. 608; Ule, GRe IV/2, S. 570ff. 175a BVerwG ZBR 1979, 372. 176 BVerfGE 8, 13f.; zur Besoldung vgl. auch BVerfGE 44, 249ff. 176a BVerfGE 43, 154ff. (167); 62, 374ff. (383) - Lehrer. Gemeint ist damit das dem Beamten verliehene Amt, d. h. das Amt im statusrechtlichen Sinne. Nicht durch Art. 33 V geschützt ist die Bezeichnung des Amtes im funktionellen Sinne, d. h. die Funktionsbezeichnung (BVerfG ZBR 1983,59 - Rechtspfleger). 177 BVerfGE 8, 16f; ebenso Stern, StaatsR I, S. 354. 178 Maunz in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 58 zu Art. 33. 178a Zur Elastizität der hergebrachten Grundsätze durch Auslegung vgl. BVerfGE 43, 154(168); Isensee, HdbVerfR, S. 1184f.; Stern, StaatsR I, S.353f. 179 Vgl. Ule, GRe IV/2, S. 568 f.

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weil sie der in Art. 33 V GG festgelegten Bindung des Gesetzgebers ( „ . . . ist unter Berücksichtigung . . . zu regeln") widerspricht. Dem berechtigten Anliegen, die an Traditionsgut anknüpfende und daher problematische Vorschrift des Art. 33 V GG nicht zur permanenten rechtlichen Fixierung des Status quo und zur Blockade notwendiger Reformen werden zu lassen, muß vielmehr anders Rechnung getragen werden: nämlich dadurch, daß man unter hergebrachten Grundsätzen nur den in das System des GG sich einpassenden „Kernbestand von Strukturprinzipien" ansieht, der das Wesen der Institution Beamtentum ausmacht. Nicht ausgeschlossen ist aber, daß sich mit der Zeit neue hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums entwickeln, also solche, die es in der Weimarer Republik noch nicht gab l79a . Zutreffend ist auch die Feststellung des BVerfG, daß Art. 33 V GG „einen weiten Ermessungsspielraum für die Anpassung des Beamtenrechts an neue Entwicklungen" beläßt, allerdings „keine völlige Regelungsfreiheit"; vielmehr ist der einzelne hergebrachte Grundsatz „in seiner Bedeutung für die Institution des Berufsbeamtentums in der freiheitlichen rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zu würdigen" 179b . Str. war früher, ob die Teilzeitbeschäftigung von Beamten generell gegen Art. 33 V GG verstößt180. Dies ist zu verneinen. Eine andere Frage ist, ob die Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung immer weiter ausgedehnt werden dürfen, ohne daß dadurch die Grundsätze des Berufsbeamtentums aufgelöst werden (Figur des „Nebenerwerbsbeamten") 181 , oder ob Teilzeitbeschäftigung von Beamten nur personell und funktional begrenzt zulässig ist181". Das geltende Recht, das die ursprüngliche Beschränkung auf Teilzeitbeamtinnen aufgegeben hat, läßt sich heute mit „arbeitsmarktpolitischer Regelung" und „familienpolitischer Äege/ung"umschreiben 181b . Angesichts der Knappheit des Gutes Arbeit und angesichts des allgemeinen Trends zu Arbeitsverkürzungen, 179a

So wird z. B. die Ansicht vertreten, daß die gleitende Arbeitszeit im öffentlichen Dienst sich zu einem hergebrachten Grundsatz entwickeln könnte (Martin, ZBR 1979, 171). Zur gleitenden Arbeitszeit allg. vgl. G. B. Müller, RiA 1981, 46. 179b BVerfGE 42, 278. 180 Vgl. z. B. Ilbertz, ZBR 1968, 175ff. (zulässig); B. Wilhelm, ZBR 1968, 25ff., 178ff. (unzulässig). 181 Bedenken bei W. Loschelder, ZBR 1978, 133ff. (138); M. Schröder, ZBR 1979, 189ff.; W. Thiele, ZBR 1980, 339ff. - Zur Auswirkung der Teilzeitbeschäftigung auf den öffentl. Dienst allg. vgl. D. Brüning, Teilzeitbeschäftigung und Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes, 1983. 181 a So W. Rudolf, W D S t R L 37 (1979), S.208ff., 214. Vgl. auch - zum Antrag auf Teilzeitbeschäftigung eines Beamten mit hervorgehobenen Führungs- und Aufsichtsfunktionen - VGH Bad.-Württ. ZBR 1980, 123. 181 "Vgl. §§ 44 a BRRG, 72 a BBG („arbeitsmarktpolitische Regelung", insbes. zur Beseitigung der Lehrerarbeitslosigkeit, befristet bis 31. Dezember 1990); §§ 48 a BRRG, 79 a BBG, 48 a DRiG („familienpolitische Regelung"), eingefügt bzw. geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10. Mai 1980 (BGBl. 1980 I, S. 560; Änderung: BGBl. 1984, 998). Zur Vorgeschichte: Battis, BBG, Erl. 1 zu § 79 a; E. U. Schwandt, ZBR 1980, 305ff.

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die auch das Beamtenrecht nicht unbeeinflußt lassen können, dürfte mit den geltenden Teilzeitbeschäftigungsregeln die Grenze des verfassungsrechtlich zulässigen noch nicht erreicht, jedenfalls aber nicht überschritten sein181c. Erhebliche rechtliche und praktische Probleme wirft allerdings die Frage der Nebenbeschäftigung von Teilzeitbeamten auf 181d . Schließlich ist umstritten, ob aus Art. 33 V GG auch subjektive, durch Verfassungsbeschwerde verfolgbare Individualrechte des einzelnen Beamten abgeleitet werden können. Da gerade der gerichtliche Rechtsschutz zu den hergebrachten Grundsätzen gehört und Art. 93 I Nr. 4 a GG, § 90 I BVerfGG ohne Einschränkung von „in Artikel 33 . . . des Grundgesetzes enthaltenen Rechten" spricht, ist die Frage in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG („grundrechtsähnliches Individualrecht")zu bejahen 182 . b) Beamtenpflichten: Die rechtliche Stellung des Beamten wird entscheidend von seinen Pflichten geprägt. Der Gesetzgeber hat dies dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sowohl das BBG als auch das BRRG und die Landesbeamtengesetze bewußt die Pflichten vor den Rechten aufzählen. Die Pflichtigkeit des Beamtenverhältnisses ist die Konsequenz der Tatsache, daß das Beamtenverhältnis ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis ist. Die allgemeine beamtenrechtliche Dienst- und Treuepflicht wird durch Einzelpflichten konkretisiert, wobei zwischen dienstlichen und außerdienstlichen Pflichten zu unterscheiden ist. aa) Dienstpflicht (Dienstleistungspflicht): Die Dienstpflicht des Beamten ist — nüchtern betrachtet — zunächst eine Dienstleistungspflicht, d. h. eine Arbeitspflicht. Der Beamte ist verpflichtet, in der regelmäßigen Arbeitszeit, und — wenn zwingende dienstliche Gründe es erfordern — über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus (in bestimmten Grenzen sogar ohne Vergütung) Dienst zu tun 183 . 181

Zutreffend Roeper, NJW 1980, 1779ff. Dort auch - S. 1779 Fn. 3 - Hinw. auf die Regelungen in den Landesbeamtengesetzen. ,81d Kritisch dazu Isensee, HdbVerfR, S. 1183. 182 BVerfGE 8, 17f.; BVerfGE 43, 154ff. = DÖV 1977, 558ff. m. abw. Meinung Wand und Niebeler(S. 562ff.); Maunzin: Maunz / Düng, GG, Rdnr. 82 zu Art. 33; a. A.: Ule, GRe IV/2, S. 565 ff. Kritisch zum unmittelbaren Rückgriff des BVerfG auf die hergebrachten Grundsätze auch Niedermaier / Günther, ZBR 1977, 238ff. — Kritik an der Entsch. des BVerfG auch bei Bender, DÖV 1977, 565 ff, und Menger, VerwA 69(1978), S. 221 ff. (226). 183 Vgl. § 72 II BBG; VO über die Arbeitszeit der Bundesbeamten vom 15. Juni 1954 i. d. F. vom 24. Sept. 1974 (BGBl. 1974 I, S. 2356), derzufolge die Arbeitszeit auf im Durchschnitt 40 Std. in der Woche festgesetzt ist. Für Landesbeamte vgl. die entspr. Regelungen im Landesrecht, z. B. niedersächs. VO über die Arbeitszeit der Beamten vom 23. Sept. 1974 (GVB1. 1974, S. 425). Zur Überstundenvergütung für Beamte vgl. die VO über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte i. d. F. der Bekanntm. vom 1. Juli 1977 (BGBl. I, S. 1107); vgl. auch Wilhelm, ZBR 1969, 229 ff., und BVerwG ZBR 1971, 88 ff. mit Anm. Wilhelm, S. 91 ff.

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Eine besondere Form der Dienstleistung ist der Bereitschaftsdienst; hier hat der Beamte in seiner Dienststelle anwesend zu sein, um erforderlichenfalls jederzeit die Arbeit aufzunehmen. Vom Bereitschaftsdienst zu unterscheiden ist die sog. Rußereitschaft, bei welcher der Beamte sich zwar nicht in seiner Dienststelle, aber unter einer von ihm angegebenen Adresse dienstbereit aufhalten muß, und erforderlichenfalls gerufen werden kann 184 . Für die Inanspruchnahme durch Rufbereitschaft besteht kein Anspruch auf Freizeitausgleich und zusätzliche Vergütung184®. Ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten darf der Beamte dem Dienst nicht fernbleiben. Für die Zeit eines ungenehmigten, schuldhaften Fernbleibens erhält der Beamte keine Dienstbezüge185. Eine vom regelmäßigen Aufgabenbereich (z. B. einer bestimmten Fachrichtung des Beamten) abweichender Dienst kann gefordert werden, wenn dies geboten und zumutbar ist186. Auf Verlangen seiner obersten Dienstbehörde kann der Beamte verpflichtet werden, eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst187 zu übernehmen, sofern sie seiner Vorbildung oder Berufsbildung entspricht und ihn nicht über Gebühr in Anspruch nimmt 188 . Umgekehrt kann eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unzulässig sein188". Von dieser Verpflichtung zur dienstlichen Nebentätigkeit sind die Nebentätigkeiten im privaten Interessem zu unterscheiden, wobei hier wiederum zwischen genehmigungsfreier und genehmigungspflichtiger Nebentätigkeit zu differenzieren ist190. Genehmigungsfrei sind wegen Art. 2 I GG Nebentätigkei184

Dazu W. Böhme, RiA 1976, 202ff. Zur Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst vgl. OVG Bremen ZBR 1980, 285. 184a BVerwGE 59, 176. 185 Vgl. § 73 I, II BBG. Zur Frage des Rechtsweges: BVerwG DÖD 1976, 111. 186 BDHE6, 92ff. - Zum sog. Recht am Amt vgl. BVerwG NDBZ 1968, 142; Lepke, DVB1. 1966, 135 ff. — Zum Rechtsanspruch des Beamten auf Beschäftigung vgl. Schick, in: Fg. f. Maunz, 1971, S. 329ff. 187 Zum Begriff der Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst vgl. § 2 VO über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (Bundesnebentätigkeitsverordnung - BNV) vom 22. April 1964 (BGBl. I, S. 299) i. d. F. vom 28. August 1974 (BGBl. I, S. 2117), geändert durch Art. 2 VO vom 10. Juli 1979 (BGBl. 1979 I, S. 1023). Die Nebentätigkeitsbestimmungen der Länder sind aufgeführt bei Thieme, in: Fs. f. W. Weber, 1975, S. 625 Fn. 1. Zur Nebentätigkeit allg. vgl. C. Jansen, Nebentätigkeit im Beamtenrecht, Diss. Würzburg 1983; Noftz, ZBR 1974, 209ff.; Ule, in Fs. f. W. Weber, 1975, S. 609 ff. Zur Abgrenzung von Hauptamt und Nebentätigkeit: BVerwG NVwZ 1982, 506f. 188 Vgl. § 64 BBG. 188a BVerwGE 41, 195 (Mitgliedschaft eines Richters im Verwaltungsrat einer öffentlichen Sparkasse). 189 Gem. § 1 I BNV ist „Nebentätigkeit" der Oberbegriff, der sowohl die Ausübung eines Nebenamtes als auch einer Nebenbeschäftigung umfaßt. Eine Nebentätigkeit im privaten Interesse ist — ganz korrekt gesprochen — eine Nebenbeschäftigung. 190 Vgl. §§ 64, 65 BBG; § 5 BNV.

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ten, die wegen ihres geringen Umfanges oder aus anderen Gründen mit der Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, oder mit anderen Dienstpflichten nicht kollidieren (z. B. Verwaltung eigenen Vermögens; künstlerische Tätigkeit190®). Genehmigungspflichtig sind dagegen solche Tätigkeiten, bei denen die Möglichkeit einer solchen Kollision besteht (z. B. bei gewerblicher Tätigkeit; Eintritt in den Vorstand oder Aufsichtsrat eines Unternehmens); die Genehmigung darf allerdings nur versagt werden bzw. nach Erteilung widerrufen werden, wenn zu befürchten ist, daß die Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen, die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten oder andere dienstliche Interessen beeinträchtigen würde. Die Gefahr von Interessenkollisionen wird generell bejaht, wenn ein Beamter als Nebentätigkeit anwaltliche Prozeßvertretungen in Sachen übernimmt, in denen sein Dienstherr als Prozeßgegner auftritt 191 ; ein Interessenkonflikt liegt auch vor bei der Nebentätigkeit eines Steuerbeamten in einem Lohnsteuerhilfeverein191®. Im Fall eines Bereitschaftspolizisten, der nach Dienstschluß in einer privaten Fahrschule Fahrunterricht gab, ist dagegen die Behörde zur Erteilung der Genehmigung verurteilt worden 192 . Wird die Genehmigung erteilt, so ist eine andere Frage, ob private Konkurrenten gegen die Erteilung der Genehmigung gerichtlich vorgehen können 193 . Neuere Bestimmungen zielen auf eine stärkere Beschränkung der Nebentätigkeit1933. Bei Massenarbeitslosigkeit ist eine solche stärkere Beschränkung sinnvoll und, da die Gestattung von Nebentätigkeiten nicht den Schutz des Art. 33 V GG genießt193b, verfassungsrechtlich zulässig1930. Wichtig ist vor allem auch die Frage, ob den Beamten eine Pflicht zur Abßihrung der Einkünfte aus der Nebentätigkeit an den Dienstherrn trifft 194 . Sofern es sich um eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst handelt, ist dies zu 190a

Vgl. dazu Sembdner, PersV 1981, 305 ff. OVG Hamburg JZ 1978, 188 ff. Zur (abgelehnten) Zulassung eines wiss. Assistenten als Rechtsanwalt vgl. BGH JZ 1978, 314ff. 191a BVerwGE 60, 254. 192 VG Schleswig ZBR 1972, 148ff.; OVG Münster ZBR 1974, 364ff. Vgl. auch BVerwG DÖV 1977, 134ff. 193 So z. B. gegen den Vorsteher eines Finanzamtes als Steuerrechtsrepetitor: OVG Hamburg JZ 1964, 562 ff. mit Anm. Rupp, S. 564 f. I93ayg| Entwurf eines Vierten (Bundes-)Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (Bereinigungsgesetz), BT-Drucks. 9/336, BRats-Drucks. 635/80; Entwurf eines Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetzes der CDU/CSU u. FDP, BT-Drucks. 10/1319; Entwurf eines Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetzes der SPD, BT-Drucks. 10/1034; dazu Battis, MittHV 2/1984, S. 78ff. 193b BVerfGE 44, 249ff. (263). 193c Ablehnend Benndorf, ZBR 1981, 84ff. - Zur sog. Arbeitsmarktabgabe: Berg / Tettmann, ZBR 1983, 217ff. 194 Vgl. dazu BVerfGE 33, 44ff.; BVerwG JZ 1974, 131 ff. mit Anm. Ule;BVerwG ZBR 1973, 309ff. mit Anm. Görg S.312f.; VG Schleswig ZBR 1973, 111 ff.; Drescher ZBR 1973, 105ff.; Etzrodt, DVB1. 1975, 308ff.; Thieme, Fs. f. W. Weber, 1975, S. 625 ff. 191

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bejahen 195 ; dem Gesetzgeber ist es auch im Hinblick auf Art. 33 V GG unbenommen, den Anreiz zur Übernahme von Nebenbeschäftigungen durch Vorschriften entgegenzuwirken, die die Nebentätigkeitsvergütungen einschränken195®. Sofern es sich dagegen nicht um eine Nebentätigkeit im öffentlichen Dienst handelt und sofern der Beamte nicht dienstliche Mittel (Personal, Geräte usw.) in Anspruch nimmt, ist die Frage zu verneinen 196 . bb) Allgemein bezogene, unparteiische Amtsfiihrung: Eine Besonderheit der Dienstpflicht des Beamten liegt darin, daß er bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht nehmen muß und seine Aufgaben gerecht und unparteiisch zu erfüllen hat. Es gibt also eine Neutralitätspflicht des Beamten 197 . Die schon in Art. 130 I WRV getroffene Feststellung, daß die Beamten „Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei" sind, ist mit inhaltlich gleicher, im Wortlaut ähnlicher Formulierung in § 52 I S. 1 BBG, § 35 I S. 1 BRRG und in den Landesbeamtengesetzen 198 ausgesprochen. Da nach Art. 3 III GG niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf, ist die Pflicht zur unparteiischen Amtsführung eine beamtenrechtliche Konsequenz dieses Verfassungsgebotes199. Indem der Beamte Weisungen seines Ministers ausführen muß, der Minister aber mit seinen Weisungen häufig die Ansichten der regierenden Partei durchsetzen will, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit von unparteiischer Amtsführung des Beamten und politischer Praxis200. Die Antwort ergibt sich aus dem parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem 201 ; diesem System entspricht es, daß die Anliegen der durch die Wahl legitimierten Partei durch am Allgemeinwohl orientierte Gesetze und Erlasse durchgesetzt werden können. An die ministeriellen Weisungen ist der Beamte allerdings nur gebunden, wenn das Gesetz eine Sachlage nicht abschließend regelt. Der Beamte ist — ebenso wie der Minister — an das (verfassungsmäßige) Gesetz gebunden; deshalb darf der Beamte „nur diejenigen politischen Ziele des Ge195

Zur Berechtigung des Dienstherrn, die Abführung einer für Nebentätigkeit im öffentl. Dienst erhaltenen Vergütung zu fordern, vgl. BVerwGE 41, 316; 49, 184. Anders für Nebentätigkeiten im öffentl. Dienst von Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst: BVerwG DVB1.1977, 580ff. 195a BVerfGE 55, 207ff. (238) (auch zu den Grenzen der Rechtsetzung durch VO). 196 OVG Lüneburg DVB1. 1974, 171 ff. - Zur wissenschaftlichen Nebentätigkeit vgl. W. Schrödter, Die Wissenschaftsfreiheit des Beamten, 1974; speziell zur Nebentätigkeit von Hochschullehrern vgl. K. A. Ludwig, ZBR 1979, 225 ff. 197 Dazu Püttner, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 383ff; GKÖD I, Rz. 22 zu § 2 BBG; kritisch zum Terminus „Neutralitätspflicht" M. Schröder, ZBR 1981, 109ff. (110). - Zur Höflichkeitspflicht vgl. W. Lübbert, VerwRdschau 1980, 196 ff. 198 § 64 I bad.-württ. LBG; Art. 62 I bayer. BG; § 18 I berl. LBG; § 53 I brem. BG; § 55 I hamb. BG; § 67 I hess. BG; § 61 nieders. BG; § 55 I nordrh.-westf. LBG; § 63 rheinl.-pfälz. BG; § 66 I saarl. BG; § 65 I schlesw.-holst. LBG. 199 Frowein, Die politische Betätigung der Beamten, 1967, S. 14. — Zum öffentl. Dienst in der Parteiendemokratie allg.: Isensee, HdbVerfR, S. 1154ff. 200 Zum Problem allgemein vgl. Bültes, Die Neutralität des Berufsbeamten, 1973. 201 Frowein, a. a. O., S. 15 ff.

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setzes" verfolgen, die im Gesetz Ausdruck gefunden haben, er darf nicht seinerseits weitere politische Ziele hinzufügen und muß auch die politischen Gedanken des Gesetzes zu Ende denken 202 . Nur in dieser strengen Bindung an das verfassungsgemäße Gesetz kann das Berufsbeamtentum die ihm obliegende Funktion erfüllen, „eine stabile Verwaltung zu sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften zu bilden 203 . Von Amtshandlungen, die dem Beamten selbst oder seinen Angehörigen Nachteile oder Vorteile bringen würden, ist der Beamte zu befreien 204 . Zur Begrenzung der dienstlichen Tätigkeit eines Beamten bei Kollision dienstlicher und privater Interessen wird ein strenger Maßstab angelegt2043. Belohnungen oder unübliche Geschenke, die dem Beamten in bezug auf sein Amt gegeben werden, darf er nur mit Zustimmung der zuständigen Behörde annehmen 205 . cc) Beratungs-, Unterstützungs-, Gehorsamspflicht: Der Beamte ist verpflichtet, seine Vorgesetzten zu beraten, zu unterstützen und deren verbindliche dienstliche Anordnungen und allgemeine Richtlinien zu befolgen 206 . Da der Beamte einerseits zur Befolgung der Weisungen seiner Vorgesetzten verpflichtet ist, andererseits er selber für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung trägt, kann das dienstliche Weisungsrecht zu Konflikten führen. Hat der Beamte Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung, so muß er diese Bedenken unverzüglich bei seinem Vorgesetzten und, wenn dieser dennoch die Anordnung aufrechterhält, bei seinem nächsthöheren Vorgesetzten geltend machen (Remonstrationspflicht)2'". Die Remonstrationspflicht, die zugleich ein Remonstrationsrecht ist207", hat den Sinn, den Beamten in diesen Fällen von seiner persönlichen (disziplinarrechtlichen und haftungsrechtlichen) Verantwortung freizustellen. Wird trotz der Remonstration die Anordnung vom nächsthöheren Vorgesetzten aufrechterhalten, so muß der Beamte (wiederum ohne disziplinarrechtlich und haf202

Scheuner, Die politischen Pflichten und Rechte des deutschen Beamten, in: Dt. Berufsbeamtentum (hrsg. von F. Gärtner) H. 4 (1962), S. 19 ff. (26). 203 BVerfGE 8, 16. - Kritisch dazu F. Schäfer, 48. DJT, II O 18. 204 Vgl. § 59, 54 I S. 2 BBG; BDHE 4, 59ff.; Wenzel, DÖV 1976, 411 ff. 204a BVerwGE 43, 42ff. (44): Der Beamte hat sich jeder dienstl. Tätigkeit zu enthalten, „die nach außen auch bloß den Anschein einer Parteilichkeit oder Eigennützigkeit erwecken könnte". 205 Vgl. § 70 BBG, § 43 BRRG; BDHE 7, 67ff.; Thiele, ZBR 1958, 33ff. 206 Vgl. § 55 BBG, § 37 BRRG. - Zum Problemkreis allgemein: E. Stein, Die Grenzen des dienstlichen Weisungsrechts, 1965; A. Risken, Grenzen amtlicher und dienstlicher Weisungen, 1969; Rittstieg, ZBR 1970, 72ff. 207 Vgl. § 56 II, III BBG, § 38 II, III BRRG. - Zu den Besonderheiten des Remonstrationsverfahrens in bezug auf Vollzugsbeamte des Bundes und der Länder vgl. § 7 IV UZwG des Bundes und die entspr. landesrechtl. Bestimmungen; dazu Leinius, ZBR 1974, 182 f. 207a Str.; a. A.: Wiese, DVB1. 1981, 273 (nur Remonstrationspflicht).

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tungsrechtlich verantwortlich zu sein) die Anordnung ausführen, es sei denn, daß die Anordnung bei zumutbarer Sorgfalt erkennbar gegen Strafgesetze verstößt oder die Würde des Menschen verletzt. Hier entfällt also die Gehorsamspflicht. Unabhängig davon ist das Widerstandsrecht gemäß Art. 20IV GG, das sich aufgrund der Treuepflicht für Beamte zu einer Widerstandspflicht verdichten kann, wenn dies zur Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich ist208. dd) Amtsverschwiegenheit: Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit (d. h. amtskausal) bekannt gewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren209. Hierunter fallen auch solche Angelegenheiten, mit denen der Beamte zwar nicht selbst dienstlich befaßt ist, die ihm aber bei Gelegenheit seiner amtlichen Tätigkeit bekannt geworden sind210. Es genügt jeder Zusammenhang mit dem dienstlichen Bereich. Auch über rechtswidrige Anordnungen darf der davon betroffene Beamte nicht ohne weiteres die Öffentlichkeit unterrichten210». Dagegen besteht keine Amtsverschwiegenheit für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr (d. h. für Mitteilungen, die in Erfüllung eines dienstlichen Auftrages oder zu dienstlichen Zwecken erfolgen) sowie über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen211. Die Amtsverschwiegenheit besteht auch gegenüber anderen Behörden und Gerichten. Der Beamte darf deshalb über Angelegenheiten, die der Amtsverschwiegenheit unterliegen, ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten weder gerichtlich noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben 212 , gleichgültig, ob der Beamte als Beschuldigter, Partei oder Zeuge beteiligt ist212". Versagt der Dienstvorgesetzte die Genehmigung, so erschwert dies die Wahrheitsfindung in dem betreffenden Verfahren bzw. die Verfahrenssituation des betreffenden Beamten. Deshalb darf die Genehmigung zur Zeugenaussage in einem Gerichtsverfahren oder im Verfahren vor einer Stelle die — wie z. B. ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß — berechtigt ist, ein 208

Dazu von Münch, Rechtsgutachten zur Frage eines Streikrechts der Beamten, 1970, S. 22 ff. Zu den Voraussetzungen des Widerstandsrechtes allg. vgl. BVerfGE 5, 85 ff. (377). 209 Vgl. § 61 I S. 1 BBG, § 39 I S. 1 BRRG. Vgl. allg. Düwel, Das Amtsgeheimnis, 1965, und eingehend BVerwG DVB1. 1983, 505 ff. (ehem. Präsident eines Landesarbeitsamtes). 210 E. Plog/A. Wiedow/ G. Beck, BBG, Rdnr. 2 zu § 61 ; GKÖD I Rz. 4 zu 61 BBG. 210a BVerwG DVB1. 1983, 506. 211 Vgl. § 61 I S. 2 BBG; § 39 I S. 2 BRRG. 212 Vgl. § 61 II BBG; § 39 II BRRG. 212a Zur Möglichkeit konkludenter Genehmigung für Zeugenaussagen von Polizeibeamten vgl. K. Böhm, NStZ 1983, 158ff.

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förmliches Beweisverfahren durchzuführen 213 , nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde 214 ; bei dieser Entscheidung hat der Dienstvorgesetzte kein Ermessen2l4a. Ist der Beamte Partei oder Beschuldigter in einem gerichtlichen Verfahren oder soll sein Vorbringen der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen dienen, so sind die Voraussetzungen noch strenger, unter denen die Genehmigung verweigert werden darf 215 : nämlich zusätzlich zu den genannten Voraussetzungen nur dann, wenn die dienstlichen Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Umstritten ist, ob die Aussagegenehmigung verweigert werden darf, wenn der Beamte als Zeuge den Namen eines sog. Gewährsmannes (Behörden-Informant; V-Mann) nennen soll216. Jedenfalls ist die Aussagegenehmigung selbst ein Verwaltungsakt; im Fall der Verweigerung ist daher zulässiges Rechtsmittel die auf Erteilung der Aussagegenehmigung gerichtete Verpflichtungsklage. ee) Treuepflicht: Die Treuepflicht des Beamten durchzieht das ganze Beamtenverhältnis 217 . Praktische Bedeutung gewinnt sie vor allem im Zusammenhang mit den außerdienstlichen Pflichten des Beamten; da die außerdienstlichen Pflichten die Grundrechtssphäre des Beamten berühren, werden Treuepflicht und außerdienstliche Pflichten im Abschnitt „Grundrechte im Beamtenverhältnis" (unten d) behandelt. f f ) Ahndung von Pflichtverletzungen (Disziplinarrecht): Verletzt ein Beamter schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten, so begeht er ein Dienstvergehen, das disziplinarrechtlich geahndet werden kann 218 . 213

Str. ist die Frage, ob auch die Aussage im förmlichen Disziplinarverfahren einer Genehmigung bedarf; bejahend Diiwel, a.a.O., S. 86 ff.; verneinend BDH NJW 1962, 1884 (Fall des Geschwaderkommodore Barth). 214 Vgl. § 62 I BBG, § 39 III BRRG. 214a BVerwGE 46, 303 ff. (307); BVerwGE 66, 39 ff. (42). 215 Vgl. § 62 III BBG; § 39 IV BRRG. 216 Dazu BVerwG DÖV 1965, 488ff. Zum Problem des anonymen Zeugen („Zeuge vom Hörensagen") auch BVerfGE 57, 250ff. (284f.); BGH NJW 1984, 247ff.; Miebach, ZRP 1984, 81 ff. 217 Dazu Stern, StaatsR I, S. 369ff. Zur histor. Entwicklung: Laubinger, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 89 ff. 218 Vgl. § 77 I BBG, § 45 I BRRG, und die Disziplinargesetze der Länder, z. B. Bayer. Disziplinarordnung in Neufassung vom 17. November 1978 (GVB1. S. 831), dazu M. Stegmüller / P. Hartmann, BayVBl. 1979, 737 ff. - Zum Disziplinarrecht allg. vgl. R. Auerbach, Das Bundesdisziplinarrecht, 1969; K. Behnke, Bundesdisziplinarordnung, 2. Aufl. 1969; W. Breithaupt / IV. Hodler, Niedersächsisches Disziplinarrecht, 1972; H. R. Claussen / W. Janzen, Bundesdisziplinarordnung, 3. Aufl. 1976; H. Hävers / G. Schnupp, Beamtenrecht und Disziplinarrecht, 3. Aufl. 1976; J. Jülicher, Das Disziplinarrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl. 1978; Fr. X. Lochbrunner, Bundesdisziplinarrecht, 1968; E. Lindgen, Handbuch des Disziplinarrechts, Band I und II, 1966ff.; C. Römer, Bundesdisziplinarordnung, 1954; E. Schütz, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, 3. Aufl. 1971; H. R. Claussen, Handbuch für Untersuchungsführer im Disziplinarverfahren, 2. Aufl., 1978.

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Das materielle Disziplinarrecht regelt die Frage, welches Tun oder Unterlassen eines Beamten als ein Dienstvergehen anzusehen ist und welche Disziplinarmaßnahmen in Betracht kommen. Ob ein Dienstvergehen vorliegt, läßt sich verhältnismäßig leicht feststellen, wenn es sich um die Verletzung einer konkret umschriebenen Beamtenpflicht, z. B. der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit oder der Pflicht zur Dienstleistung219, handelt; schwieriger ist dies jedoch, wenn es um die beamtenrechtlichen Generalklauseln geht, z. B. um die Pflicht des Beamten, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordern. Neben eindeutigen Fällen, wie Unzucht eines Lehrers mit einer minderjährigen Schülerin220, Diebstähle eines Polizeibeamten221, Beschimpfen der Bundesflagge mit den Worten „Schwarz-Rot-Scheiße" 222 , Beleidigung von Untergebenen mit dem Ausdruck „Ich trete Euch in den Arsch" 223 , gibt es Fälle, die problematisch sind. Dies gilt vor allem für Verkehrsdelikte; Ordnungswidrigkeiten und Vergehen sind disziplinarrechtlich in der Regel nicht zu ahnden, wohl aber Verkehrsunfallflucht und Alkohol am Steuer224. Ehebruch ist von der Rspr. früher stets als Dienstvergehen behandelt worden 225 ; die neuere Rspr. nimmt dies zutreffend nur dann an, wenn er den dienstlichen Bereich berührt oder besonders verwerflich ist226; gerade in dieser Frage sollte das Disziplinarrecht sich vor ethischem Rigorismus hüten. Exhibitionismus 2268 , Warenhausdiebstahl 226b , „Unehrenhaftes Schuldenmachen" 227 und „verschuldete Trunksucht" 228 (zwei Drittel aller Disziplinarfälle sind Alkoholverfehlungen) und mangelnde Verfassungstreue228® werden ebenfalls als Dienstvergehen betrachtet. Außerdienstliches, nichtkriminelles Verhalten eines Beamten kann grundsätzlich nur dann disziplinarisch verfolgt werden, wenn es dienstliche Belange berührt229' 229a. 219

Unterstützung von Bummelstreiks (sog. „Dienst nach Vorschrift") durch Beamte ist deshalb ein Dienstvergehen (BVerwG NJW 1978, 178ff.). 220 BayDStrH bei Lersch. ZBR 1963, 322 (Nr. 12); vgl. auch BVerwG D Ö D 1978, 73f. 221 DiszSenat OVG Münster bei Witaschek, ZBR 1963, 320 (Nr. 23). 222 HessDStrH, in: BDHE 1, 2 1 3 . 223 BVerwG ZBR 1975, 66. 224 BDHE 7, 95f.; BVerwG NJW 1968, 858; Lindgen, DÖD 1978, 41ff. 225 OVG Münster ZBR 1965, 120. 226 BVerwG ZBR 1976, 61 f. — Zur disziplinaren Relevanz von intimen Beziehungen eines Vorgesetzten zu einer dienst- oder arbeitsrechtlich von ihm abhängigen Person: BVerwG NJW 1984, 936ff. 226a BVerwG ZBR 1979, 148. 226b Vgl. dazu P. Czapski, ZBR 1981, 186ff. 227 BDHE 5, 61; Claussen, ZBR 1964, 304ff. 228 Vgl. dazu BVerwGE 63, 327ff.; BVerwG DVB1. 1984, 485ff. OVG Münster NJW 1982, 1347; Schaffer/Wemdl, ZBR 1983, 227ff., und - wie überhaupt zur Handhabung der Disziplinargewalt — den Bericht des Bundesdisziplinaranwaltes für die Jahre 1979/80 in ZBR 1981, 177 ff. 228a Vgl. dazu unten. S. 59ff. 229 Konow, ZBR 1976, 47ff.; Fliedner, DÖV 1973, 664ff., 668. 229a Vgl. dazu Hellfritzsch, Das außerdienstliche Fehlverhalten der Beamten, 1980.

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Zulässige Disziplinarmaßnahmen230 sind der Verweis (d. h. ein förmlicher, über eine bloße Mißbilligung hinausgehender Tadel eines bestimmten Verhaltens), die Geldbuße, die Gehaltskürzung231 die Versetzung in ein Amt mit niedrigerem Endgrundgehalt, die Entfernung aus dem Dienst sowie bei Ruhestandsbeamten die Kürzung des Ruhegehaltes und die Aberkennung des Ruhegehaltes. Sonderregeln gelten für Beamte auf Probe und auf Widerruf 232 . Das formelle Disziplinarrecht betrifft das ebenfalls in den Disziplinarordnungen geregelte Disziplinarverfahrensrecht. Werden Tatsachen bekannt, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, so muß der Dienstvorgesetzte die zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen veranlassen (sog. Vorermittlungen)233. Diese Vorermittlungsverfahren müssen ohne unangemessene Verzögerungen geführt werden 234 wie überhaupt im Disziplinarverfahren das Beschleunigungsgebot gilt2343. Verweis und Geldbuße werden durch Disziplinarverfügung des Dienstvorgesetzten bzw. der obersten Dienstbehörde verhängt 235 ; den Disziplinargerichten vorbehaltene Maßnahmen können nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden 236 , wobei das förmliche Dienstverfahren nur dann rechtswirksam eingeleitet ist, wenn die Einleitungsbehörde in der Einleitungsverfügung den Sachverhalt bezeichnet, der den Verdacht eines Dienstvergehens des Beamten rechtfertigt237. In beiden Verfahrensarten entscheidet letztlich (bei Bundesbeamten) das Bundesdisziplinargericht, gegen dessen Entscheidungen im förmlichen Disziplinarverfahren jedoch noch das BVerwG angerufen werden kann 238 . Stets gilt der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens, der gebietet, daß der Dienstvorgesetzte oder die Einleitungsbehörde über alle bekannten Verfehlungen des betr. Beamten gleichzeitig entscheidet238». Problematisch ist das Verhältnis des Disziplinarrechts zum Strafrecht. Trotz gewisser Parallelen zum Strafrecht wird das Disziplinarrecht als Teil des Ver230

Vgl. §5 ff. Bundesdisziplinarordnung (BDO) i. d. F. der Bekanntm. vom 20. Juli 1967 (BGBl. I, S. 751). — Zur Angemessenheit von Disziplinarmaßnahmen vgl. Fliedner, Die Zumessung der Disziplinarmaßnahmen, 1972. Vgl. auch BVerwG ZBR 1979, 148: hohe dienstl. Stellung und Vorgesetzteneigenschaft sind bedeutsame Disziplinarmaßfaktoren; BVerwG NJW 1984, 936 ff. (937) spricht von der „Leitbildfunktion" des Vorgesetzten. 231 Dazu Finger, ZBR 1973, 144ff.; Zur Kritik: GKÖD II, Rz. 8 zu § 9 BDO. 232 Vgl. §§ 5 III, 126 BDO. 233 Vgl. § 26 BDO. Vgl. auch allg. Claussen / Benneke, Vorermittlungen im Disziplinarverfahren, 2. Aufl., 1981. 234 VG Berlin DVB1. 1977, 739f. m. Anm. Kloepfer, S. 740ff. 234a Vgl. § 66 BDO; Kodal, ZBR 1981, 89ff.; Schulz-Koffka, ZBR 1981, 167ff. 235 Vgl. § 29 BDO. 236 Vgl. §§ 33 ff. BDO. 237 Bayer. VGH ZBR 1976, 94ff. 238 Vgl. §§ 41 ff., 79 BDO. 238a BVerwGE 63, 123ff. (124); Battis, BBG, Erl. 2 zu §77; Buschmann, RiA 1980, 205 ff.

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waltungsrechts (Beamtenrechts) angesehen. Demgemäß gilt für das Verhältnis zwischen Kriminalstrafe und Disziplinarstrafe nicht das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 III GG — ne bis in idem); jedoch ist aus rechtsstaatlichen Gründen eine bereits verhängte Disziplinarmaßnahme bei der Strafzumessung im Strafverfahren zu berücksichtigen 239 . Gemäß § 14 BDO dürfen neben gerichtlichen oder behördlichen Strafen und Ordnungsmaßnahmen wegen desselben Sachverhaltes grundsätzlich keine zusätzlichen Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden (disziplinarrechtliches Maßnahmeverbot) 239 ". Geldbuße, Gehaltskürzung und Kürzung des Ruhegehalts dürfen nur verhängt werden, „wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten oder Ruhestandsbeamten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen des Beamtentums zu wahren" 240 . Die ein rechtskräftiges Urteil im Straf- oder Bußgeldverfahren tragenden tatsächlichen Feststellungen haben im Disziplinarverfahren betr. denselben Gegenstand bindende Wirkung (§181 S. 1 BDO). Jedoch kann sich in Ausnahmefällen das Disziplinargericht von den entscheidungserheblichen Feststellungen des Strafurteils lösen (§ 18 I S. 2 BDO), sog. Lösungsbeschluß241. c) Beamtenrechte: Innerhalb der Rechte des Beamten sind die spezifischen Beamtenrechte von den Grundrechten des Beamten zu unterscheiden. Von den spezifischen Beamtenrechten seien hier als wichtigste genannt: aa) Recht auf Fürsorge und Schutz: „Zu den hergebrachten und nicht nur zu berücksichtigenden, sondern zu beachtenden Grundsätzen des Beamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) gehört der Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten... Der genannte Grundsatz ist das Korrelat zum hergebrachten Grundsatz der Treuepflicht des Beamten" 242 . Auf Grund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn243 hat der Beamte ein Recht darauf, daß sein Dienstherr für sein und seiner Familie Wohl sorgt und ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter schützt. Der Dienstherr muß also Handlungen unterlassen, die den Beamten schädigen, und muß ihn vor Nachteilen bewahren und zu seinem Vorteil dienende Maß-

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BVerfGE 21, 378ff.; OLG Hamm NJW 1978, 1063f. Zur Berücksichtigung einer einschlägigen strafgerichtlichen Vorstrafe bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme vgl. § 14 BDO; BVerwGE 33, 268ff.; 46, 335f. 239a Nicht anwendbar bei Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Dienstvergehen: BVerwGE 66, 19. 240 Überblick über die Rspr. dazu bei Fliedner, ZBR 1973, 230ff. 241 Vgl. BVerwG ZBR 1983, 208 (Lösung von Freispruch). 242 BVerfGE 43, 154ff. (165) m. Anm. Bender, DÖV 1977, 565ff. 243 Vgl. §79 BBG, §48 BRRG; §90 bad.-württ. LBG; Art. 86 bayer. BG; §43 berl. LBG; §78 brem. BG; § 82 hamb. BG; § 92 hess. BG; § 87 nieders. BG; § 85 nordrhein.-westf. LBG; §87 rheinl.-pfälz. LBG; §92 saarl. BG; §95 schlesw.-holst. LBG.

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nahmen vornehmen 244 . Sofern der Umfang der Fürsorgepflicht nicht gesetzlich festgelegt ist, muß zwischen den öffentlichen Interessen des Dienstherrn und den Interessen des einzelnen Beamten abgewogen werden 245 . Soweit Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) bestehen — wie z. B. für Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen 246 —, kann über den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) eine Bindung des Ermessens des Dienstherrn eintreten (sog. Selbstbindung der Verwaltung) 247 . Besondere Regelungen bestehen für den Mutterschutz 2478 . Anwendungsfälle des Rechts auf Fürsorge und Schutz sind: Schutz von Leben und Gesundheit248 (berufsübliche Gefahren, z. B. für Polizei und Feuerwehrbeamte, verstoßen nicht gegen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit248®, sind aber durch Schutzvorschriften oder Sicherheitsvorkehrungen auf ein Mindestmaß zu beschränken); Schutz des Eigentums249 (z. B. durch gesicherte Unterbringung von Kleidungsstücken oder zur Verwahrung gegebenem Geld 250 ); Recht auf Beratung und Belehrung durch den Dienstherrn251 (z. B. durch Hinweis auf Fristablauf); Förderung entsprechend seiner Eignung und Leistung252 (z. B. auch Ermöglichung dienstlicher Fortbil-

244

Lecheler, ZBR 1972, 129 ff. Eingrenzungen in BVerwG ZBR 1980, 379 und BVerwG ZBR 1981, 254ff. 245 Dazu BVerfGE 19, 84; BVerwGE 12, 277; OVG Lüneburg DVB1. 1951, 351 ff. mit Anm. von Reinicke, S. 352ff.; OVG Münster DVB1. 1951, 419f. 246 Zum Beihilfenrecht allg.: BVerfG ZBR 1978, 237; H. J. Becker, ZBR 1975, 233ff.; von Zezschwitz, ZBR 1978, 21 ff. Einzelfälle zum Beihilferecht: BVerwGE 64, 333ff.; ZBR 1977, 184, 186, 188, 189, 191, 195. Die gegenwärtige Form des Beihilfesystems gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen i. S. des Art. 33 V: BVerfG DÖV 1981, 670. Beihilfen sind nach BVerwGE 60, 212 (217) nicht Bestandteil der beamtenrechtl. Alimentation. Zur Kürzung: VGH Bad.-Württ. DVB1. 1983, 511 ff. 247 Vgl. zu dieser Frage allgemein: BVerwGE 16, 70; 19, 48ff.; 25, 7; 27, 193ff.; BGHZ 13, 77; Pappermann, ZBR 1969, 70ff.; Pietzcker, NJW 1981, 2087ff. - Zur Frage, ob der Gleichheitssatz dadurch verletzt wird, daß die Pflichtstundenzahl der Lehrer nicht in Anpassung an die Verminderung der allgemeinen Arbeitszeit im öffentlichen Dienst herabgesetzt wird, vgl. BVerwGE 38, 191 ff.; zur unterschiedlichen Pflichtstundenzahl für Lehrer am gleichen Schultyp: BVerwG DVB1. 1983, 502ff. 247aygj 3 y q z u r Änderung der VO über den Mutterschutz für Beamtinnen vom 27. Juni 1979 (BGBl. 1979 I, S. 835) mit der Möglichkeit von Mutterschaftsurlaub bis zu dem Tag, an dem das Kind 6 Monate alt wird (§ 4 a). 248 Vgl. BVerwGE 25, 141. Zum Schutz des „Passivrauchers" vor dem „Aktivraucher" in Diensträumen: VG Bremen ZBR 1976, 290f.; vgl. dazu auch Wolfg. Loschelder, ZBR 1977, 337ff.; OVG Münster NJW 1981, 244; NJW 1983, 1627. 248a Vgl. Doehring, in: Fs. f. Mosler, 1983, S. 145ff. (156f.); Rupprecht, in: Fs. f. Samper, 1982, S. 51 ff. (59ff.); Sachs, BayVBl. 1983, 460ff„ 489ff. 249 Vgl. OVG Münster, ZBR 1977, 104ff. 250 BVerwG NJW 1978, 717ff. 251 BGHZ 7, 74; 14, 122. 252 BVerfGE 43, 154ff. (165).

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dung 253 ); Schutz vor mißbilligenden Äußerungen über seine Amtsführung durch Vorgesetzte gegenüber Dritten254; Schutz gegen unberechtigte Anwürfe von außen (z. B. durch Gewährung strafrechtlichen Schutzes. — Str. ist, ob die Sorgepflicht es dem Dienstherrn verbietet, den Namen eines Beamten, der eine Dienstverletzung begangen hat, dem Geschädigten mitzuteilen 255 ); Mindeststandard an ordentlicher und fairer Gestaltung des verwaltungsmäßigen Verfahrens im Fall der Entlassung256. Was der Dienstherr aufgrund der Fürsorgepflicht dem Beamten schuldet, läßt sich im übrigen nur im Einzelfall genauer konkretisieren 257 . Da das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I GG) im Beamtenrecht durch ins einzelne gehende Regelungen konkretisiert ist, bietet es im Beamtenrecht keine darüberhinausgehende unmittelbare Anspruchsgrundlage258. Verletzt der Dienstherr seine Sorgepflicht, so kann der dadurch geschädigte Beamte auf Erfüllung seines Rechtes auf Fürsorge und Schutz aus § 79 BBG bzw. den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen klagen. Problematisch ist aber, ob der Beamte auch auf Schadensersatz klagen kann und ob dieser Schadensersatzanspruch gegebenenfalls neben dem Anspruch aus schuldhafter Amtspflichtverletzung gegenüber dem Beamten, dem der Dienstherr die Erfüllung der Sorgepflicht übertragen hatte, besteht. Der BGH hat früher den Schadensersatzanspruch aus Fürsorgepflichtverletzung verneint 259 ; er hat sich jedoch inzwischen der Rechtsprechung des BVerwG angeschlossen, das ihn bejaht 260 . Anspruchsgrundlage ist nach Auffassung des BVerwG nicht unmittelbar § 79 BBG (was m. E. sinnvoll wäre), sondern der Anspruch sei „unmittelbar aus dem Beamtenverhältnis", aus den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen der §§ 276, 278, 618 III BGB" abzuleiten. Da diese Vorschriften keinen Schmerzensgeldanspruch einräumen, beschränkt das BVerwG (insofern folgerichtig) den Anspruch aus Fürsorgepflichtverletzung auf den Ersatz materiellen Schadens; einen Schmerzensgeldanspruch kann der verletzte Beamte im hoheitlichen Bereich aber aus §§ 839, 847 BGB i. Vb. mit Art. 34 G G bzw. im nichthoheitlichen Bereich aus §§ 31, 89, 831, 847 BGB geltend machen. Daß der Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens aus Sorgepflichtverletzung neben dem Anspruch aus Amtspflichtverletzung gewährt wird, hat zur 253

254 255

256 257 258 260

§ 42 III BLV; Ule, Beamtenrecht, Rdnr. 5 zu § 48 BRRG. Dem Ziel der Fortbildung der Beamten dient die im Jahre 1969 auf Grund des § 36 I BLV a. F. errichtete „Bundesakademie für öffentliche Verwaltung"; vgl. dazu Mattern, ZBR 1975, 97ff. Hess. VGH ZBR 1974, 261 ff. BVerwGE 10, 274; BVerwG JZ 1961, 701 mit Anm. Lerche. Zu der davon zu unterscheidenden Frage einer persönlichen Kennzeichnung von Polizeibeamten: Grei-

feld, ZRP 1982, 318 ff.

BVerfGE 43, 154ff. (166). BVerfGE 43, 154ff. (166); BVerwGE 19, 54; BVerwG ZBR 1980, 379. BVerwGE 37, 37 f. 259 BGHZ29, 310. BVerwGE 13, 17ff.; BGHZ 43, 178ff.; vgl. auch BVerwGE 28, 353ff.

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Folge, daß bei gleichem Sachverhalt entweder der Verwaltungsrechtsweg (Sorgepflichtverletzung) oder der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (Amtspflichtverletzung) beschritten werden kann. Dieser Zustand ist rechtspolitisch ungut, für den verletzten Beamten allerdings vorteilhaft; der vom Amtshaftungsanspruch unabhängige Schadensersatzanspruch aus Sorgepflichtverletzung ist für ihn deshalb günstig, weil letzterer auch auf Naturalrestitution gehen kann, die Beweislast leichter ist (Beweis nur der Verletzung der Sorgepflicht und des Schadens, nicht des Verschuldens) und nicht die kurze Verjährungsfrist der §§ 839, 852 BGB gilt. bb) Dienst- und Versorgungsbezüge: Das Recht der Dienst- und Versorgungsbezüge war jahrelang Anlaß zu Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern. Die Streitigkeiten entstanden daraus, daß einzelne Länder mit Besoldungserhöhungen für ihre Beamten vorpreschten und damit das Besoldungsgleichgewicht durcheinanderbrachten. Auf Grund des Art. 74 a GG 261 ist das Bundesbesoldungsgesetz durch das Zweite Besoldungsvereinheitlichungsund Neuregelungsgesetz (2. BesVNG)262 und durch das sog. Besoldungsstrukturgesetz2624 neu gefaßt worden; das Gesetz hatte das Ziel, das zersplitterte Besoldungs- und Versorgungsrecht in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes in Bund, Ländern und Gemeinden zu vereinheitlichen. Kernpunkt des Gesetzes ist der Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung: „Die Funktionen der Beamten, Richter und Soldaten sind nach den mit ihnen verbundenen Anforderungen sachgerecht zu bewerten und Ämtern zuzuordnen" (§ 18 S. 1 BBesG). Die damit verbundene sog. Dienstpostenbewertung bereitet allerdings erhebliche Schwierigkeiten; in einigen Bereichen — z. B. Deutsche Bundespost; hamburgische Verwaltung263 — wird sie bereits seit längerem praktiziert264.

261

Dazu BVerfGE 34, 9ff. (Hessische Lehrerbesoldung); von Münch, Art. 74a, in: von Münch, GGK 3, Erl. zu Art. 74a; Schick, in: Fs. f. Maunz, 1981, S. 281 ff. 262 Vgl. H. Clemens/H. Lantermann, ZBR 1975, 161ff.; Käppner, ZBR 1975, 171 ff.; Millack, ZBR 1975, 177ff.; Schinkel, in: GKÖD III. Das 2. BesVNG ist zuletzt geändert durch das 3. Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10. Mai 1980 (BGBl. 1980 I, S. 561). 262a Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher und versorgungsrechtlicher Vorschriften 1980 vom 20. August 1980 (BGBl. 1980 I, S. 1509); dazu Finger, RiA 1981, 21 ff.; Jockel, ZBR 1980, 329. 263 Dazu U. Becker, DÖV 1977, 339ff.; H. Lange, VerwArch 74 (1983), S. 353ff. 264 O. Seewald, Bisherige Erfahrungen mit der „Analytischen Dienstpostenbewertung" in der Bundesrepublik Deutschland, 1973; Siepmann, ZBR 1977, 362ff. (zum KGSt-Gutachten „Stellenplan - Stellenbewertung", 5. Aufl. 1970). Zur Frage der Zulässigkeit von Beamtenklagen gegen Dienstpostenbewertungen vgl. BVerwG ZBR 1974, 14ff.; Mitt. der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung VerwRdschau 1977, 312.

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Die Dienstbezüge des Beamten265 bestehen aus Grundgehalt, Ortszuschlag, Zulagen, Vergütungen und (bei dienstlichem Wohnsitz im Ausland) Auslandsbezügen. Die Grundgehälter sind in den Besoldungsordnungen festgelegt266. Die Besoldungsordnung A umfaßt die sog. aufsteigenden, d. h. nach Dienstaltersstufen alle 2 Jahre bis zum Endgrundgehalt steigenden Gehälter; sie sind in 16Besoldungsgruppen gestaffelt (A 1—5: einfacher, A 5—9: mittlerer, A 9 — 13: gehobener, A 13 — 16: höherer Dienst). Die Besoldungsordnung B für hohe Beamte (z. B. Ministerialdirektoren, Oberstadtdirektoren, Staatssekretäre) sieht feste Gehälter vor und ist in 11 Besoldungsgruppen eingeteilt. Besondere Besoldungsordnungen sind für Hochschullehrer (C) und Richter und Staatsanwälte (R) eingeführt worden. Der Ortszuschlag richtete sich früher nach der (höheren) Ortsklasse S und der (niedrigeren) Ortsklasse A, wobei die Einstufung des Ortes, an dem der Beamte seinen dienstlichen Wohnsitz hat, sich aus dem Ortsklassenverzeichnis ergab267. Neuerdings richtet sich der Ortszuschlag nur nach der Tarifklasse, der die Besoldungsgruppe des Beamten zugeteilt ist, und nach der Stufe, die den Familienverhältnissen des Beamten (ledig, verheiratet, Kinderzahl) entspricht268. Die Zulagen werden für herausgehobene Funktionen gewährt269. Unterschieden wird hierbei vor allem zwischen Amtszulagen und Stellenzulagen: Amtszulagen sind unwiderrufliche und ruhegehaltsfähige Dienstbezüge (Teil des Grundgehalts), die für Ämter vorgesehen sind, die sich von dem dazugehörigen Grundamt zwar nicht wesentlich, aber doch deutlich abheben (Bsp.: Erster Staatsanwalt). Stellenzulagen sind widerruflich und nur in gesetzlich bestimmten Fällen ruhegehaltsfähig; sie dürfen nur für die Dauer der Wahrnehmung der herausgehobenen Funktionen gewährt werden (Bsp.: Piloten von Strahlflugzeugen; Beamte, Richter und Staatsanwälte, die in ihrem Hauptamt mindestens zur Hälfte im Rahmen der Ausbildung und Fortbildung als Lehrkräfte tätig sind269"). 265

Vgl. § 1 II Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) i. d. F. der Bekanntm. v. 13. November 1980 (BGBl. 1980 I, S. 2081). Erhöhung der Dienst- und Versorgungsbezüge durch G über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1983 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsG 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGBl. 1982 I, S. 1870). H. Clemens / Chr. Millack / H. Engelking / H. Lantermann / K. H. Henckel, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, 2. Aufl. 1978ff. (Loseblattwerk); B. Schwegmann / R. Summer, Bundesbesoldungsgesetz, 1975ff. (Loseblattwerk).; Wurster / Wurster, Bundesbesoldungsrecht für Beamte, Richter und Soldaten, 3. Aufl. 1979ff. (Loseblattslg.). Historische und Zukunftsaspekte der Besoldung bei Chr. Millack/R. Summer, ZBR 1978, 138., Zur Besoldung von Teilzeitbeamten vgl. § 6 BBesG. 266 Vgl. die Anlagen zum BBesG, insbes. Anlage IV. 267 Vgl. Pappermann, ZBR 1969, 70 ff. 268 Vgl. § 39 I BBesG. 269 Vgl. § 42 BBesG. Dazu Clemens, ZBR 1980, 269 ff. 269a Vgl. § 44 I S. 1 BBesG.

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Erschwerniszulagen sind widerruflich und nicht ruhegehaltsfähig; sie werden zur Abgeltung besonderer, bei der Bewertung des Amtes oder bei der Regelung der Bezüge nicht berücksichtigter Erschwernisse gewährt270 (Bsp.: Sonntagsdienst). Vergütungen271 können für Mehrarbeit (Überstunden) festgesetzt werden, soweit die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen wird, ferner für Beamte im Vollstreckungsdienst (Bsp.: Gerichtsvollzieher). Die Rechtsnatur der Dienstbezüge ist umstritten. Das BVerfG und die h. L. vertreten die Alimentationstheorie, derzufolge die Dienstbezüge nicht Entgelt für geleistete Arbeit sind (Lohnprinzip), sondern den amtsgemäßen, angemessenen Unterhalt sichern sollen272. Begründet wird die Alimentationstheorie u. a. damit, daß die Dienstbezüge der Beamten gesetzlich festgesetzt sind, bei Innehabung von zwei Ämtern nur eine Besoldung erfolgt, Überstunden des Beamten nicht gesondert vergütet werden 273 und der Beamte auf die Dienstbezüge nicht verzichten kann 274 . Alle diese Folgerungen können aber auch bei Annahme eines öffentlich-rechtlichen Leistungsentgeltes gezogen werden, so daß das Alimentationsprinzip („dienen, nicht verdienen") entbehrlich ist und aufgegeben werden sollte275. Das Alimentationsprinzip könnte künftig als Besoldungsprinzip bezeichnet werden2758. Die Rechtsprechung unterscheidet neuerdings auch schon zwischen einem „Kernbereich"des Alimentationsanspruches (Besoldung) und seinen Randzonen (wie z. B. Beihilfen im Krankheitsfall, Weihnachtszuwendungen usw.)276; auch soll der Alimentationsgrundsatz nicht für Beamte im Vorbereitungsdienst gelten277. Die Pflicht, den Beamten amtsangemessen zu alimentieren, umfaßt den Beamten und seine Familie; Familie in diesem Sinne ist nicht die eheähnliche Lebensgemeinschaft2773. 270

Vgl. §47 BBesG; dazu VO über die Gewährung von Erschwerniszulagen vom 26. April 1976 (BGBl. I, S. 1101). 271 Vgl. §§48 ff. BBesG. 272 BVerfGE 8, 14f.; 22, 421; 39, 201; 44, 264; 53, 306; 61, 57; BVerwGE 38, 137; Thiele, DVB1. 1981, 253 ff. — Eingehende Darstellung des Alimentationsprinzips in Vergangenheit und Gegenwart bei Summer / Rometsch, ZBR 1981, 1 ff. Zur Problematik der Gewährung einheitlicher Festbeträge („Sockelbetrag") bei Besoldungsanpassungen vgl. D. Merten, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 349ff. 273 BVerwG ZBR 1971, 88ff. mit Anm. Wilhelm, S. 91 ff.; Wilhelm, ZBR 1969, 229ff. 274 Vgl. § 2 III BBesG. 275 Kritisch dazu auch Wiese, VerwArch 57 (1966), S. 240ff.; a. A.: Thiele, DVB1. 1981, 258. — Battis, BBG, Erl. 1 zu § 83, meint, angesichts der zeitgemäßen Fortentwicklung des Alimentationsprinzips sei die Auseinandersetzung um die Berechtigung dieses Prinzips und damit um die Rechtsnatur der Dienstbezüge ein „unergiebiger Streit um Worte." 275 " Summer /Rometsch, ZBR 1981, 20. 276 OVG Münster DVB1. 1975, 308; BVerwG DÖD 1978, 32ff. 277 OVG Münster DVB1. 1975, 307. Zum (abgelehnten) Anspruch einer Beamtin auf Mutterschaftsgeld vgl. BSG DÖD 1978, 77 f. 2 7 7 a O V G ß e r l i n Z B R 1 9 g l 278; zustimmend Knüppel, ZBR 1981, 308f.

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Zur Höhe des amtsangemessenen Unterhaltes hat das BVerfG ausgeführt 278 : „ . . . die Dienstbezüge sowie die Alters- und Hinterbliebenenversorgung sind so zu bemessen, daß sie einer je nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung des Amtes und entsprechender Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt gewähren und als Voraussetzung dafür genügen, daß sich der Beamte ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf widmen und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann." Jedoch hat der Gesetzgeber bei Regelungen des Besoldungsrechts „eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit" 278a So können durch den Gesetzgeber die Struktur der Besoldungsordnung, des Beamtengehalts und die Zahlungsmodalitäten innerhalb des Rahmens, den die durch Art. 33 V GG garantierte Alimentierungspflicht zieht, jederzeit für die Zukunft geändert werden2781*; insbes. können Gehaltsbeträge, solange sie nicht an der unteren Grenze einer amtsangemessenen Alimentierung liegen, gekürzt werden. Eine Garantie der Besitzstandswahrung gibt es weder im Besoldungsrecht noch im Versorgungsrecht2780. Jedoch muß der Gesetzgeber den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) beachten278«1. Die Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter Bezüge ist in den Beamtengesetzen geregelt279, die als Spezialgesetze der allgemeinen Regelung des § 48 II S. 5 — 8 VwVfg vorgehen280. Erfolgte eine Überzahlung deshalb, weil die Besoldung durch Gesetz rückwirkend verschlechtert worden ist, so braucht der Beamte die zuviel gezahlten Beträge nicht zu erstatten. Sind dagegen Überzahlungen aus anderen Gründen erfolgt (z. B. infolge unrichtiger Anwendung des Gesetzes, unrichtiger Ermessensausübung oder infolge von Rechenfehlern), so richtet die Rückforderung sich nach den Vorschriften des

278

NJW 1977, 1869ff. (1870). BVerfGE 61, 43ff. (63); BVerwG NVwZ 1983, 548. Zum Rechtsschutz gegenüber dem Besoldungsgesetzgeber: Bethge, Jura 1984, 308ff. 278b BVerfGE 44, 263; 53, 207; BVerwG ZBR 1979, 270. 278c Zur Anrechnung von Rentenansprüchen auf die Versorgungsansprüche (§ 55 BeamtVG) vgl. BVerfG NVwZ 1982, 429, 553; OVG Lüneburg NVwZ 1983, 109; Fürst / Loschelder, ZBR 1983, 1 ff.; Plagemann, NVwZ 1983, 82ff. 278d BVerfGE 61, 43 ff. (62 f.). 219 § 87 BBG; § 53 BRRG; § 12 BBesG. Vgl. im einzelnen BVerwGE 8, 261; 30, 296; 32, 228ff.; BVerwG BayVBl. 1980, 568; ZBR 1970, 323; NJW 1962, 266; DÖV 1967, 273; Bad.-Württ. VGH DÖD 1979, 89; DÖV 1979, 802 (zu diesen beiden Entsch.: von Mutius, VerwArch. 17 [1980], S. 413 ff.). Bad.-Württ. VGH VB1BW 1983, 309ff.; OVG Münster NVwZ 1983, 108ff., 371 ff. Zur Rückzahlung der Weihnachtsgratifikation beim Ausscheiden eines Beamten s. Henrichs, ZBR 1969, 79 ff. Zur Verjährung: BVerwGE 66, 25ff., 256ff. 280 BVerwG ZBR 1983, 206. 278a

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BGB über die ungerechtfertigte Bereicherung 281 . Bei geringfügigen Überzahlungen (z. B. bis 10% des rechtmäßig zustehenden Betrages) sehen Verwaltungsanweisungen zuweilen vor, daß der Wegfall der Bereicherung als offenkundig gilt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind Leistungen auf Grund eines wegen unzutreffender Rechtsanwendung fehlerhaften (aber nicht nichtigen) endgültigen Festsetzungsbescheides nicht ohne rechtlichen Grund erbracht (str.)281a. Eine Kassenanweisung, eine Abschlagszahlung und eine Zahlung unter Vorbehalt sind keine endgültigen Bescheide 282 . Die Rückforderung zuviel gezahlter Dienstbezüge soll nach Ansicht des BVerwG 283 durch Leistungsbescheid möglich sein. Das dürfte ebenso wie bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Dienstherrn 284 nicht unbedenklich sein. Von der Rückforderung zuviel gezahlter Dienstbezüge zu trennen ist die Frage nach der Rückzahlung von Ausbildungskosten nach vorzeitigem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis, wenn der Dienstherr diese Kosten getragen hat (Bsp.: Bundeswehr bildet Berufsoffizier zum Düsenjägerpiloten aus, anschließend geht der Pilot zu privater Fluggesellschaft; Bundespost bildet Fernmeldeaspiranten aus, anschließend geht dieser in die Privatwirtschaft). Verträge, die durch Finanzierung der Vorbildung den Beamtennachwuchs sichern sollen, sind öffentlich-rechtliche Verträge eigener Art mit beiderseitigen Verpflichtungen 284 ". Sofern die Gewährung von solchen Studienförderungsmitteln mit der Auflage verbunden wird, sie bei Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis zurückzuzahlen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit bedingter Rückzahlungsverpflichtung 284b . Die Rechtsprechung sieht in der RückZahlungsverpflichtung keinen Verstoß gegen Art. 3 I, 12 I und 33 V GG, sofern es sich um „Zuwendungen außerhalb einer gesetzlichen Verpflichtung unter Eingehen einer potentiellen Rückzahlungsverpflichtung" handelt 285 . Diese Ansicht ist zutreffend, sofern es sich um besondere Ausbildungskosten handelt, denen keine adäquate Gegenleistung von seiten des Beamten gegenübersteht. Dagegen sind Rückzahlungsvereinbarungen unwirksam, in denen der Dienstherr von einem Beamten bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Dienst die während des Vorbereitungsdienstes im

281

BayVGH DVB1. 1983, 513f. (514) betr. Ortszuschlag. Zur Prüfungspflicht bei Überzahlungen vgl. BVerwG ZBR 1980, 189. 281a BVerwGE 8, 264; BVerwG ZBR 1961, 122, 278; a. A.: E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 6 ff. zu § 87. 282 BVerwG ZBR 1961, 122, 278. 283 BVerwGE 28, 1 ff.; 29, 310ff.; 37, 314ff. 284 Vgl. unten Abschn. III 5 a. 284a BVerwG ZBR 1981, 126. 2Mb K. Gürtner, ZBR 1981, 274ff. 285 BVerwGE 40, 237ff. (239); vgl. auch BVerwGE 30, 65, 77; ZBR 1973, 57ff. - Gesetzliche Regelung für Berufssoldaten: §46 IV SoldG (dazu: BVerwG ZBR 1977, 287 ff., 321 ff.).

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Beamtenverhältnis auf Widerruf entstandenen allgemeinen Ausbildungskosten zurückfordert 286 . Im Falle einer Verletzung oder Tötung eines Beamten geht ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch des Beamten oder seiner Hinterbliebenen gegen den Schädiger (z. B. nach § 823 BGB, § 7 StVG, § 1 RHaftpflichtG, § 33 LuftVG) auf den Dienstherrn über, da dieser während der Dienstunfähigkeit des Beamten weiterhin Dienstbezüge gewährt oder zu Versorgungsleistungen verpflichtet ist. Sinn dieses im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses eintretenden Überganges gesetzlicher Schadensersatzansprüche ist es, dem Schädiger die Lasten aufzuerlegen, für die er verantwortlich ist, und von denen er nicht deshalb freikommen kann, weil der Dienstherr Dienst- und Versorgungsbezüge leisten muß287. Ob im Beamtenrecht ein ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz der Vorteilsausgleichung gilt, aus dem folgt, daß für die Zeit, in der ein Beamter schuldlos keinen Dienst geleistet hat, auf die Dienstbezüge eine anderweitige erzielte Arbeitsvergütung anzurechnen ist, erscheint zweifelhaft 288 . Besondere Formen der Dienstbezüge sind Unterhaltszuschuß 289 , Aufwandsentschädigungen und die Versorgungsansprüche (insbes. Ruhegehalt, Unterhaltsbeitrag, Hinterbliebenenversorgung, Bezüge bei Verschollenheit, Unfallfürsorge, Übergangsgeld)290. cc) Einsicht in Personalakten, Dienstzeugnis: Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, ein Recht auf Einsicht in seine vollständigen Personalakten 291 . Der Begriff der Personalakten umfaßt alle den Beamten betreffenden Vorgänge, gleichgültig, wo und wie sie aufbewahrt werden und gleichgültig, ob sie vom Dienstherrn als „Personalakten" gekennzeichnet sind (materieller Personalaktenbegriff, nicht formeller Personalaktenbegriff) 292 . Maßgebend ist also der Inhalt des Vorgangs, nicht die Art seiner Registrierung und Aufbewahrung292". Allerdings „betreffen" nur solche Vorgänge den Beamten, die 286

BVerwGE 52, 183, auch unter Hinw. auf § 59 V BBesG. Vgl. dazu Brodersen, JuS 1978, 1978; Krebs, VerwArch 70 (1979), S. 81 ff. 287 Vgl. § 87a BBG; § 52 BRRG; dazu: BGH NJW 1962, 1961; 1965, 907; OLG Düsseldorf NJW 1965, 205. Ausführlich: Riedmaier, ZBR 1976, 73ff. Speziell zu Sterbegeld und Beerdigungskosten: BVerwGE 47, 55ff.; BGH NJW 1977, 802f. 288 BVerwGE 31, 253. 289 Zur Möglichkeit der Kürzung: VG Münster NVwZ 1983, 497ff. 290 Vgl. Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG) vom 24. August 1976 (BGBl. 1976 I, S. 2485); W. Kümmel, Beamtenversorgungsgesetz, 1978; M. Stegmüller / R. Schmalhofer / E. Bauer, BeamtenVersorgungsgesetz, 1976 (Loseblattsammlung). 291 Vgl. § 90 BBG, § 56 BRRG. Allgemein vgl. R. Düx, Einsichts- und Korrekturrechte des Beamten in bezug auf seine Personalakten, Diss. Mainz 1976; Wiese, ZBR 1981, 55ff. 292 BVerwGE 36, 134ff. (137f.); 59, 355ff. (356); Lazik, DÖV 1970, 702. 292a BVerwGE 59, 355 (356); Günther, ZBR 1984, 161.

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in einem inneren dienstlichen Zusammenhang mit dem Beamtenverhältnis stehen (z. B. dienstliche Beurteilung293, Schlußbericht des Untersuchungsführers im Disziplinarverfahren 294 ). Hinsichtlich der Aufnahme von Vorgängen in die Personalakten wird im übrigen unterschieden zwischen Vorgängen, die in die Personalakte aufgenommen werden müssen, und Vorgängen, die in die Personalakte aufgenommen werden können. Zur ersteren Gruppe gehören Vorgänge, die ihrem Inhalt nach den Beamten „in seinem Dienstverhältnis betreffen"; zur letzteren Gruppe gehören Vorgänge, die zwar den Beamten nicht in seinem Dienstverhältnis betreffen, die aber den Beamten persönlich betreffen und bei seiner Dienstbehörde entstanden oder ihr zugegangen sind295. Ob Prüfungsakten zu den Personalakten gehören, ist strittig296. Zur Einsicht in die Personalakten bedarf es keiner Genehmigung des Dienstvorgesetzten, ja nicht einmal des Nachweises eines schutzwürdigen Interesses297; geregelt werden darf lediglich die Art und Weise der Einsicht, d. h. Ort, Zeit und die Anwesenheit eines bestimmten Beamten298. Das Recht auf Einsicht ist ein höchstpersönliches Recht; wenn keine dienstlichen Belange entgegenstehen oder im Falle eines Rechtsstreites zwischen dem Beamten und seinem Dienstherrn kann es aber auch durch einen Bevollmächtigten ausgeübt werden299. Das Recht auf Einsicht besteht nur in bezug auf die eigenen Personalakten. Problematisch ist der Fall, in dem die Einsicht in die eigenen Personalakten zugleich Aufschluß über einen Teil der Personalakten (im materiellen Sinn) anderer Beamter, vor allem also von Mitbewerbern300, enthält; denn für Personalakten gilt der Grundsatz der Geheimhaltung. Jedoch hat das BVerwG entschieden, „aus dem grundsätzlichen Gebot, Personalakten geheimzuhal293

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300

BVerwG DÖV 1977, 132ff. (133). Zur dienstl. Beurteilung allg. R. Schaefer, ZBR 1983, 173 ff.; zur Rechtsnatur (nach — unzutreffender — Ansicht des BVerwG kein Verwaltungsakt sondern tatsächliche Maßnahme): BVerwGE 49, 351 ff.; zum Rechtsschutz: F. Rottmann, ZBR 1983, 77ff. (91 f.); zum Umfang der gerichtl. Nachprüfbarkeit und zum Erlaß von Beurteilungsrichtlinien: BVerwG DÖV 1982, 80ff.; zur Frage der Aufnahme von die Beurteilung vorbereitenden Stellungnahmen verneinend BVerwGE 62, 135 ff., m. krit. Anm. Wiese, DVB1. 1982, 193 ff. BVerwGE 38, 94ff. BVerwGE 59, 355 (356); vgl. aber auch OVG Rheinl.-Pfalz DÖD 1982, 92f.; kritisch dazu Wiese, ZBR 1981, 59. Verneinend BVerwGE 7, 153ff.; 14, 33; 36, 138; Wiese, Beamtenrecht, S. 212; bejahend Friebe, NJW 1959, 904; Schütz, ZBR 1958, 241 (mit der Einschränkung, die Prüfung müsse beim Dienstherrn abgelegt sein); landesgesetzlich ist die Frage z. T. ausdrücklich geregelt: z. B. § 102 I nordrh.-westf. LBG. Zu Referendarakten als Teil späterer Personalakten: VG Koblenz DÖD 1982, 211 f. m. abl. Anm. Stauf, S. 212. BVerwGE 38, 98; 49, 94. 298 OVG Münster DVB1. 1963, 30. OVG Münster DVB1. 1951, 116; Gerhard Düng, ZBR 1956, 405; kritisch E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 12 zu § 90. So der Fall in BVerwGE 49, 89. Vgl. dazu auch BVerwG DVB1. 1984, 53 ff. (mit ausführlicher Erörterung des § 29 I VwVfG); BVerwG DVB1. 1984, 55ff.

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ten, folgt aber nicht zwangsläufig, daß Personalakten stets und bezüglich jedes Teiles ihres Inhalts geheimgehalten werden müßten"; Ausnahmen erkennt das BVerwG vielmehr u. a. dann an, wenn der betroffene Beamte zustimmt oder die Erteilung einer Auskunft daraus in seinem wohlverstandenen Interesse liegt, schließlich dann, wenn „nach den Umständen des Einzelfalles dem schutzwürdigen Interesse des Beamten an der Geheimhaltung ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit oder auch eines Dritten an der Auskunftserteilung gegenübersteht" 301 . Wie auch sonst beim Datenschutz30'" geht es hier also um Abwägung. Vor Aufnahme von Beschwerden und nachteiligen Tatsachenbehauptungen in die Personalakten muß der Beamte gehört werden302. Diese gesetzliche Anhörungspflicht gilt nicht für dienstliche Beurteilungen, Befahigungsberichte und sonstige Werturteile ohne Tatsachenbehauptungen; jedoch gebietet es die Fürsorgepflicht, den Beamten vor einer ungünstigen Beurteilung zu hören303. Befinden sich in den Personalakten unrichtige Angaben, so hat der Beamte einen Anspruch auf Berichtigung oder, wenn der Dienstherr die Berichtigung nur unzulänglich vornimmt oder sie ablehnt, auf Vernichtung 304 . Befinden sich in den Personalakten Vorgänge, die zwar nicht unrichtig sind, die aber zu Unrecht in die Personalakten aufgenommen wurden, so ist zu unterscheiden: Handelt es sich um Vorgänge, die der Sache nach in die Personalakten hineingehörten, aber unter Verletzung des dem Beamten zustehenden vorherigen Anhörungsrechtes in die Personalakten gelangt waren, so hat der betroffene Beamte wegen des Prinzips der Vollständigkeit der Personalakten nur einen Berichtigungsanspruch305; handelt es sich dagegen um Vorgänge, die schon der Sache nach nicht in die Personalakten gehören und die geeignet sind, dem Beamten Nachteile zuzufügen, so hat der Beamte einen Entfernungsanspruchm. Voraussetzung der Zulässigkeit einer entspr. Klage i. S. des § 126 BRRG ist allerdings, daß das Vorhandensein der Vorgänge in den Personalakten geeignet ist, den Beamten oder früheren Beamten in seinen Rechten zu berühren 307 .

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BVerwGE 35, 227 f. "Dazu Kuhla, Datenschutz im Beamten- und Arbeitsverhältnis, 1983. 302 Vgl. § 90 S. 2 BBG; § 56 S. 2 BRRG. 303 BGH NJW 1957, 298; VG Koblenz ZBR 1977, 77f. 304 Vgl. § 101 IV nieders. BG; BGH ZBR 1961, 317; OVG Lüneburg NJW 1964, 1588. — Zum Anspruch auf Aufnahme einer Gegendarstellung in die Personalakte und zur gerichtlichen Durchsetzung vgl. W. K. Geck / C. Böhmer, JuS 1973, 101 ff. 305 BVerwG DÖV 1977, 132ff. (133). 306 BVerwGE 59, 355 (357f.). Zum Verhältnis dieses Anspruchs zum Gebot der Amtshilfe vgl. BVerwGE 50, 301 ff. (310). Zum Problemkreis der Entfernung einzelner Vorgänge aus den Personalakten allg. vgl. Hanusch, NVwZ 1982, 11 ff.; Seilmann, VerwArch. 73 (1982), S. 122 ff. 307 BVerwG DÖV 1977, 132ff. (134). 301

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Strittig ist, ob Strafvermerke und Strafregisterauszüge aus den Personalakten entfernt werden müssen, wenn die Strafe im Strafregister getilgt ist308. Nach Beendigung des Beamtenverhältnisses hat der Beamte ein Recht auf Erteilung eines Dienstzeugnisses309. Im Streit über die Richtigkeit des Zeugnisses kann das Verwaltungsgericht Angaben über Art und Dauer der Tätigkeit des Beamten voll nachprüfen, Wertungen über Befähigung und Leistungen des Beamten dagegen nur nach den Grundsätzen über die Nachprüfung von Prüfungsentscheidungen 310 . d) Grundrechte im Beamtenverhältnis: Von den speziellen Beamtenrechten ist die Frage zu trennen, inwieweit der Beamte sich auf die allen Bürgern zustehenden Grundrechte berufen kann 310a . aa) Geltung der Grundrechte: Die Grundrechte gelten auch im Beamtenverhältnis, jedoch kann ihre Ausübung eingeschränkt werden. Rechtsgrund dieser Einschränkung war nach einer früher vertretenen Ansicht ein in der Freiwilligkeit des Eintritts in das Beamtenverhältnis gesehener Verzicht, nach neuerer Auffassung die Institutionalisierung des Beamtentums im GG (Art. 33 IV, V)311. Das BVerfG hat nunmehr (für den Strafvollzug) entschieden, daß Grundrechte nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können 312 . Da das Beamtenrecht wie kaum ein anderes Rechtsgebiet durch Gesetze und Verordnungen durchkodifiziert ist, liegt eine rechtliche Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten der Beamten meist vor. Jedoch kann sich die Frage stellen, ob die betreffende Rechtsnorm das Ausmaß der Einschränkung deckt. Das Ausmaß dieser Einschränkung ist für die einzelnen Grundrechte verschieden. Jedenfalls aber darf die Einschränkung .nicht weiter gehen, als Sinn und Zweck des Beamtenverhältnisses dies unabweislich fordern. Das wiederum bedeutet, daß das Maß der Einschränkung unterschiedlich sein kann je nachdem, um was für eine Art von Beamtenverhältnis es sich handelt (z. B.

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Vgl. dazu BVerwGE 56, 102; Wiese, ZBR 1981, 63ff. - Der Entwurf des sog. BereinigungsG (BT-Drucks. 9/336) sieht vor, daß Eintragungen über strafgerichtl. Verurteilungen u. ä. mit Zustimmung des Beamten nach 3 Jahren zu tilgen sind, wenn diese Eintragungen keinen Anlaß zu disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegeben haben. 309 Vgl. § 92 BBG. 310 Dazu BVerwGE 12, 34; 21,130. 310a Dazu ausführlich GKÖD I, Rz. 5 ff. der Vorb. zu §§ 55 ff. BBG. - Allg. und umfassend zur Institutionalisierung der engeren Staat/Bürger-Beziehungen: W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982; Thiele, ZBR 1983,345ff. 311 Dazu und zum folgenden: Ule, GRe IV/2, S.615ff.; Schick, ZBR 1963, 67ff.; Wolff/Bachof, VwR II, § 107 III c. 312 BVerfGE 33, 1 ff. Vgl. auch von Münch, in: Erichsen / Martens. Allg. VwR, § 3 II 2; Schnapp, ZBR 1977, 208ff.; Erichsen, VerwArch 71(1980), S. 437.

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Lehrer313, Polizeibeamter, Steuerbeamter), und je nachdem, welchen Dienstrang der betreffende Beamte in diesem Beamtenverhältnis bekleidet. Im übrigen ist eine Berufung auf Grundrechte innerhalb des Dienstes zwar nicht ausgeschlossen (z. B. bei Weisungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen), wird aber selten praktisch314. Die Berufung auf Grundrechte hat vielmehr ihren Hauptanwendungsbereich dort, wo es um das Verhalten des Beamten außerhalb des Dienstes geht. Die frühere Auffassung, der Beamte sei immer im Dienst315, ist aufgegeben; der zeitgemäßen Auffassung entspricht es, „daß die Eingriffe in die Privatsphäre auf ein unerläßliches Mindestmaß beschränkt bleiben sollen"316. bb) Einzelne Grundrechte: Das Grundrecht der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit und der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 I, II GG) wird durch das Beamtenverhältnis nicht gesondert eingeschränkt 317 ; so ist z.B. die Werbung für die Zeugen Jehovas durch Hausbesuche eines Polizeimeisters außerhalb der Dienstzeit und nicht in Uniform zulässig318, unzulässig dagegen eine Werbung für einen bestimmten Glauben (religiöse Propaganda) oder eine Abwerbung (antireligiöse Propaganda) durch einen Lehrer im Schulunterricht318®. Kein Verstoß gegen Art. 4 I liegt in der Pflicht des Beamten zur Verfassungstreue3181". Das Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 I, S. 1 GG) wird durch die „allgemeinen Gesetze" beschränkt (Art. 5 II GG). „Allgemeine Gesetze" sind auch die Beamtengesetze, z. B. die Bestimmungen über die Amtsverschwiegenheit und die Bestimmungen über die Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung319. Bei der politischen Betätigung320 ist im übrigen zu 313

Vgl. Hemmrich, Die Einschränkung der Grundrechte bei Lehrern, Diss. Bochum 1970; Hantke, Meinungsfreiheit des Lehrers, 1973. 314 VG Bremen NJW 1978, 66 f. m. krit. Anmerkung von Münch (S. 67 f.) und zust. Anmerkung Meyn (S. 657f.); Meyn nimmt unzutreffend eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 I GG) an, wenn dienstliche Ferngespräche nach Tel.-Nr., Datum, Uhrzeit und Gebührenhöhe registriert werden; zutreffend OVG Bremen NJW 1980, 606; dazu Erichsen, VerwArch 71 (1980), S. 429ff. (436); BVerwG NJW 1982, 840. 315 PrOVG JW 1927, 2867; BDHE 1, 25. 316 BDHE 7, 94. 317 Ule, GRe IV/2, S. 630. Vgl. auch Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, 1969; ders., JuS 1968, 120ff. Zu Gewissensfreiheit und Ausrüstung (weiblicher) Kriminalbeamter mit Dienstwaffen vgl. BVerwG ZBR 1979, 202. 318 BVerwGE 30, 29 ff. 318a Hemmrich, in: v. Münch, G G K I, Rdnr. 21 zu Art. 4. 318b BVerwGE 47, 330, 365; 52, 313. 319 Dazu und zur freien Meinungsäußerung von Angehörigen des öffentl. Dienstes allg. Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 106ff. zu Art. 5; Koester, ZBR 1981, 210ff.; Lisken, NJW 1980, 1503f.; Lohse, VerwRdschau 1979, 257ff.; von Münch, ZBR 1959, 305 ff. 320 Dazu BVerwG DVB1. 1974, 463; Böttcher, Die politische Treuepflicht der Beamten und Soldaten und die Grundrechte der Kommunikation, 1967; Frowein, Die politi-

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unterscheiden: Politische Meinungsäußerungen innerhalb des Dienstes sind nur als privates, die Arbeitsleistung und das Betriebsklima nicht beeinträchtigendes Gespräch unter Kollegen zulässig, nicht dagegen als planmäßige Agitation und nicht gegenüber Dritten. Rechtlich zulässig ist daher z. B. das an Lehrer gerichtete Verbot, im Unterricht Plaketten mit politischen Slogans zu tragen3203. Politische Meinungsäußerungen außerhalb des Dienstes sind grundsätzlich zulässig, jedoch in der Form beschränkt (MäßigungspflichtJ320b, im Inhalt dagegen nur, soweit die Treuepflicht (Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung) eingreift. Unzulässig ist ein für eine ganze Beamtenkategorie, wie z. B. die Bereitschaftspolizei321, ausgesprochenes Verbot parteipolitischer Betätigung. Von besonderer Bedeutung ist die Pflicht zur Verfassungstreue (Stichwort: Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst). Gem. § 4 1 Nr. 2 BRRG, § 7 I Nr. 2 BBG und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer „die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". Diese Gesetzeslage zieht die Konsequenz aus der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Ausgestaltung des öffentlichen Dienstes als „öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis" (Art. 33 IV GG; vgl. auch Art. 5 III S. 2 GG). Die vom Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossenen „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst" von 1972322 (Radikalen-Erlaß"), wonach begründete Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers seine Ablehnung rechtfertigen, stellen also nur das geltende Recht dar. Nach geltendem Recht regelungsbedürftig ist also nur das Verfahren zur Feststellung mangelnder Verfassungstreue323. Verfahrensgrundsätze enthalten die Beschlüsse der BReg. betr. den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Verfassungstreueprüfung im öffentlichen Dienst vom 14. November 1978323" und die Grundsätze für die Prüfung der sehe Betätigung der Beamten, 1967; K. Kröger, A ö R 88 (1963), S. 121 ff.; Lüthje, Z B R 1968, 233ff.; Niethammer-Vonberg, Parteipolitische Betätigung der Richter, 1969; B. Wilhelm, ZBR 1968, l f f . 320a Z u t r e f f e n d VG Hamburg, N J W 1979, 2164; Behrend, Z B R 1979, 198ff. (200); Ebel, D Ö V 1980, 437ff. (mit Begründung aus Art. 3 G G ) ; a. A.: VG Berlin N J W 1979, 2629. Vgl. dazu auch von Münch, ZBR 1981, 157 ff. (163 f.). Zum Verteilen von schulbezogenen Flugblättern vor einer Schule: VG Berlin N J W 1982, 1113ff. 320b Vgl. dazu V G H M a n n h e i m N J W 1983, 1215 ff. 321 a. A.: BayVerfGH DÖV 1966, 95; Frowein, a. a. O., S. 34. 322 Vom 28. J a n u a r 1972, abgedr. in Bulletin Nr. 15 vom 3. Februar 1972, u n d in BVerfGE 39, 366. 323 Diesbezügliche Gesetzentwürfe der BReg u n d des Bundesrates (BTags-Drucks. 7/2433, 7/2432, 7 / 4 1 8 7 ; dazu Schick, Z B R 1975, l f f . , sowie die Beratungen im BTag, BTags-Drucks. 7/13538 - 13598) sind gescheitert (BT-Drucks. 7/4801). 323a Bulletin Nr. 131 vom 18. November 1978 S. 1221 ff.

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Verfassungstreue in der Neufassung vom 17. Januar 1979323b; untersagt werden dadurch u. a. Routineanfragen bei der Verfassungsschutzbehörde sowie die Weitergabe von Erkenntnissen, die die Tätigkeit des Bewerbers vor Vollendung des 18. Lebensjahres betreffen, sofern sie nicht Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens sind. Die politische Diskussion der Extremistenbeschlüsse ist nicht frei von Heuchelei: Gegner der Extremistenbeschlüsse haben nichts dagegen, wenn die Beschlüsse sich ausschließlich gegen ihre politischen Gegner richten würden, kritisieren aber die Extremistenbeschlüsse, wenn diese sich gegen sie selbst richten3230. Die bisherige Praxis hat zu einer kaum noch übersehbaren Flut von Gerichtsentscheidungen und Äußerungen im wissenschaftlichen Schrifttum geführt324. Soweit eine Verfassungswidrigkeit behauptet wird, kommt dieser Vorwurf aus zwei einander entgegengesetzten Richtungen: Die eine Seite begründet die Verfassungswidrigkeit mit einem Verstoß gegen Art. 3 III, 5 I, 12 I, 21 II S. 1 und 33 II GG325, während die andere Seite die Verfassungswidrigkeit darin erblickt, daß „der notwendige Schutz des öffentlichen Dienstes vor dem Eindringen von Verfassungsfeinden nicht mehr ausreichend gewährleistet" sei326.

323b 323c 324

325 326

Bulletin Nr. 6 vom 19. Januar 1979, S. 45ff. Vgl. von Münch, ZBR 1981, 162. Vgl. BVerwGE 61, 176ff. (zum Umfang der verwaltungsgerichtl. Überprüfung der Eignungsbeurteilung hinsichtl. der Gewähr der Verfassungstreue, zur Beweislast u. zum „Summeneffekt"); BVerwGE 61, 200ff.; 62, 280ff. (zur Entlassung eines Beamten auf Probe); BVerwG ZBR 1980, 89f. (zu Rückschlüssen auf die Verfassungstreue aus Mitgliedschaft in verfassungsfeindlicher Partei); BVerwG ZBR 1980, 90f. (zur Sicherheitsüberprüfung); BVerwG ZBR 1980, 119ff. (Unbeachtlichkeit einer Kandidatur zu Parlamentswahl; keine Pflicht zur Beiladung der polit. Partei); BVerwG ZBR 1983, 181 (Nichtbeantwortung der Frage nach Mitgliedschaft); BVerwG NJW 1982, 784 (Vorbereitungsdienst, Beamtenverhältnis auf Widerruf); BDG ZBR 1980, 278ff. (zum „Minimum an Evidenz" und zum Disziplinarmaß); BGH NJW 1979, 2041 ff. (keine Amtspflichtverletzung bei Einstellungsverzögerung durch Überprüfung). Aus dem Schrifttum vgl. z. B. Battis, BBG, Erl. 3 zu § 7; J. Claußen, ZBR 1980, 8ff.; E. Denninger/H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 7ff., 43ff.; Kriele, NJW 1979, l f f . (zum Spielraum für Liberalisierung); J. Linck, ZBR 1979, 129ff. (u. a. zu jugendl. Bewerbern); K. G. Meyer-Teschendorf, ZBR 1979, 261 (zur Amtshilfe durch den Verfassungsschutz); Schick, NVwZ 1982, 161 ff.; Schoch, NJW 1982, 545 (zum Rechtsbeistand beim Einstellungsgespräch); R. Scholz, in: Fs. f. Broermann, 1982, S. 409ff.; Stern, Zur Verfassungstreue der Beamten, 1974; H. Weiler, Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, 1979 (Dokumentation). Zu Rspr. u. Schrifttum vor 1979 vgl. die Hinw. in der 5. Aufl. dieses Lehrbuches, S. 56. Umfangreiche Hinw. auch bei Stern, StaatsR I, S. 371 f. Vgl. Abendroth u. a. in Blätter f. deutsche u. internat. Politik 1972 H. 2, S. 125 ff. Vgl. G. Arndt, ZBR 1975, 33ff„ 37.

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Das BVerfG327 teilt diese Bedenken nicht und begründet dies mit der besonderen Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Staat und seiner Verfassung (Art. 33 V, 33 IV, 5 III S. 2 GG). Die Grundentscheidung des GG für eine wehrhafte Demokratie (Art. 2 I, 9 II, 18, 20 IV, 21 II, 79 III, 91, 98 II GG) „schließt es aus, daß der Staat, dessen verfassungsmäßiges Funktionieren von der freien inneren Bindung seiner Beamten an die geltende Verfassung abhängt, zum Staatsdienst Bewerber zuläßt und im Staatsdienst Bürger beläßt, die die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen und bekämpfen" 328 . Bis zu diesem Punkt wird man dem BVerfG ohne weiteres folgen können. Problematisch ist aber, wann eine Verletzung der Pflicht zur Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder die Besorgnis einer solchen Verletzung vorliegt, insbesondere ob die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen, aber nicht verbotenen Partei oder Vereinigung dafür ausreicht oder als eines von mehreren Indizien gewertet werden kann. Nach Ansicht des BVerfG wird die Entscheidungsfreiheit des Dienstherrn bei der Anwendung der beamtenrechtlichen Vorschriften, die die politische Treuepflicht des Beamten näher regeln, durch Art. 21 GG nicht eingeschränkt, weil Art. 33 V GG in einem anderen rechtlichen Zusammenhang als Art. 21 GG steht: „Art. 33 Abs. 5 GG fordert vom Beamten das Eintreten für die verfassungsmäßige Ordnung, Art. 21 Abs. 2 GG dagegen läßt dem Bürger die Freiheit, diese verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es innerhalb einer Partei, die nicht verboten ist, mit allgemein erlaubten Mitteln tut." Diese Zwei-Ebenen-Theorie läßt sich begründen, jedoch enthebt sie nicht des Nachweises, daß die Partei oder Vereinigung, der der Beamte oder Bewerber angehört, auch wirklich verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Nur wenn dies offenkundig ist (wie z. B. wenn die Teilnahme an einer Landtagswahl als „Mittel" bezeichnet wird, „die Notwendigkeit des bewaffneten Aufstandes zu propagieren")328® und wenn sich — wovon allerdings im Regelfall ausgegangen werden muß — das Mitglied mit den Zielen seiner Partei bzw. Vereinigung identifiziert, liegt eine Verletzung bzw. Besorgnis der Verletzung der beamtenrechtlichen Treuepflicht vor. In diesem Fall kann der Beamte bzw. Bewerber sich nicht darauf berufen, daß seine Organisation nicht verboten ist; denn die Mitgliedschaft in einer Partei oder Vereinigung ist ebensowenig ein Privilegierungsgrund wie ein Disqualifikationsgrund für den öffentlichen Dienst. Mit dem geltenden Recht unvereinbar ist eine Unterscheidung zwischen sicherheitsempfindlichen Bereichen (z. B. Polizei, Staatsanwaltschaft) und 327

BVerfGE 39, 334ff.; vgl. auch BVerwG NJW 1982, 779ff. BVerfGE 39, 334 (349). Vgl. auch Sattler, Die rechtliche Bedeutung der Entscheidung für die streitbare Demokratie, 1982. 328a Vgl. OVG Hamburg NJW 1974, 1523 (1524) - K P D M / L . Zur Verfassungsfeindlichkeit der D K P vgl. BVerwG NJW 1982, 779 (781 ff.), zur Verfassungsfeindlichkeit der N P D vgl. BVerwGE 61, 194ff. (197f.). 328

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nichtsicherheitsempfindlichen Bereichen (z. B. Lehrer) oder zwischen hoheitlichen und nichthoheitlichen Funktionen328b. Die auf den Erfahrungen in der Zeit der Weimarer Republik mit deren selbstmörderisch tolerantem Verhalten gegenüber nationalsozialistischen Verfassungsfeinden 329 im öffentlichen Dienst beruhende Regelung des § 4 I Nr. 2 BRRG und die entsprechenden Bestimmungen des BBG und der Landesbeamtengesetze enthalten jedenfalls keine solche Differenzierung, durch die Beamte l . u n d 2. Klasse geschaffen würden. Die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III S. 1 GG) steht auch dem beamteten Wissenschaftler zu 329a ; jedoch entbindet die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung329b. In ausländischen Staaten wird ebenfalls Verfassungstreue im öffentlichen Dienst verlangt; diesbezügliche Maßnahmen unterliegen dort einer erheblich geringeren gerichtlichen Kontrolle als in der Bundesrepublik Deutschland3290. Die Kampagne in den kommunistischen Staaten gegen die sog. „Berufsverbote" ist angesichts der dortigen Praxis des Umganges mit politischen Gegnern pure Heuchelei. Das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 I GG) hat früher bei der Frage der Zulässigkeit des Heiratsverbotes für Beamte der Bereitschaftspolizei eine Rolle gespielt330. Eine Zölibatsklausel für Beamte ist generell verfassungswidrig, doch bleibt eine etwa bestehende und sachlich gerechtfertigte Pflicht zum Wohnen in Gemeinschaftsunterkunft (also eine gesteigerte Residenzpflicht) davon unberührt. Die Versammlungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit des Beamten (Art. 8, 9 GG) sind ebenfalls nur insoweit einschränkbar, als dies nach Sinn und Zweck des Beamtenverhältnisses erforderlich ist331. Deshalb verstoßen Protestversammlungen und Schweigemärsche außerhalb der Dienstzeit332, z. B. 328b

Vgl. BVerfGE 39, 355: Die Treuepflicht ist „einer Differenzierung je nach Art der dienstlichen Obliegenheiten nicht zugänglich." Vgl. auch BVerwGE 52, 333; BDG ZBR 1980, 284; H. J. Becker, ZBR 1982, 262; Kriele, NJW 1979, lff. (5); Kröger, ZRP 1982, 161 ff.; von Münch, ZBR 1981, 157ff. (161); R. Scholz, ZBR 1982, 161 ff. 329 Vgl. dazu Morsey, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 11 lff.; Schmahl, Disziplinarrecht und politische Betätigung in der Weimarer Republik, 1977. 329a Vgl. BVerwGE 52, 313ff. (331); Erichsen, VerwArch71 (1980), S. 429ff. (438). 329b Vgl. BVerwGE 61, 200 ff. (206); weit. Hinw. bei von Münch, GGK I, Rdnr. 77 zu Art. 5. 329c Dazu K. Doehringu. a., Verfassungstreue im öffentlichen Dienst europäischer Staaten, 1980; Böckenförde / Tomuschat / Umbach (Hrsg.), Extremisten und öffentlicher Dienst, 1981. 330 Dazu: BVerwGE 14, 21 ff. 331 Dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 88 zu Art. 8; von Münch, BK, Rdnr. 34 zu Art. 8 u. Rdnr. 98 zu Art. 9; Ule, GRe IV/2, S. 634 ff. 332 Weder aus Art. 5 I noch aus Art. 8 I ergibt sich ein Anspruch auf Sonderurlaub zwecks Teilnahme an einer politischen Demonstration während der Dienstzeit, BVerwGE 42, 79; von Münch, GGK I, Rdnr. 30 zu Art. 8.

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wegen unzulänglicher Besoldung, nicht schon an sich — d. h. wenn nicht besondere Umstände, etwa der Form, hinzukommen — gegen die Beamtenpflichten. Neben der positiven und negativen Vereinigungsfreiheit steht den Beamten auch die Koalitionsfreiheit zu, die von Art. 9 III S. 1 G G für alle Berufe — also auch für den öffentlichen Dienst — gewährleistet ist 333 ; die einschlägigen Vorschriften in den Beamtengesetzen 334 sind deshalb nur deklaratorischer Natur. Geschützt ist sowohl die positive und negative individuelle als auch die kollektive Koalitionsfreiheit; ein Beamter darf wegen Betätigung für seine Gewerkschaft oder seinen Berufsverband weder dienstlich gemaßregelt oder benachteiligt noch bevorzugt werden; der Dienstherr darf aber auch keine normativen oder tatsächlichen Verhältnisse schaffen, die den Beamten veranlassen können, sich gegen seine Überzeugung einer bestimmten Koalition anzuschließen oder darin zu verbleiben 335 . Nach Ansicht des BVerfG ist die gewerkschaftliche Werbung vor Personalratswahlen grundsätzlich auch in der Dienststelle und während der Dienstzeit verfassungsrechtlich geschützt; jedoch können Tätigkeiten der Koalitionen im Bereich des Personalvertretungswesens für unzulässig erklärt werden, „die die Dienstausübung, die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und Pflichten und die Ordnung in der Dienststelle beeinträchtigen würden", und bestimmten Personen, etwa dem Leiter der Dienststelle, kann eine Beschränkung der gewerkschaftlichen Werbetätigkeit vor Personalratswahlen auferlegt werden 336 . Die Bereitschaft zum Arbeitskampf ist zwar eine koalitionsgemäße, aber keine für den Koalitionsbegriff notwendige Betätigung 337 . Deshalb wird die Gewährung der beamtenrechtlichen Koalitionsfreiheit nicht dadurch sinnlos, daß den Beamten kein Streikrecht zusteht. Die Unzulässigkeit des Beamtenstreiks wird von Rechtsprechung 338 und Schrifttum 339 zu Recht vertreten. 333 334

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BVerwGE 59, 48 (54f.). § 91 I, II BBG; § 57 BRRG. - Dazu K. Dammann / M. Kutscha, PersV 1977, 47 ff. (S. 53ff.); von Münch, BK, Rdnr. 187 zu Art. 9; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 1, 8 zu § 91; Ule, GRe IV/2, S. 636. Hess VGH DVB1. 1974, 425 ff., 429. BVerfGE 19, 321; Söllner, JZ 1966, 404ff. Vgl. auch BVerfGE 28, 313. BVerfGE 18, 27 ff. gegen BAG E 12, 184; weitere Hinweise bei von Münch, BK, Rdnr. 131 zu Art. 9. BVerfGE 8, lfT. (17); 19, 303ff. (322); 44, 249 (264); BVerwGE 53, 330ff. (331); 63, 293 ff. (300); BGH JZ 1978, 239 ff. (240); Hess. VGH DVB1. 1977, 737 ff. (739); Disz.H. beim OVG Bremen DuR 1973, 427ff. m. Anm. Däubler, S.429ff.; OVG Münster DVB1. 1974, 476. Vgl. die Hinweise bei Isensee, Beamtenstreik, 1971; von Münch, BK, Rdnr. 193 zu Art. 9, und Rechtsgutachten zur Frage eines Streikrechts der Beamten, 1970, und ZBR 1970, 371 ff.; Hanau, JuS 1971, 120ff.; W. Reuss, in: Fs. f. Ule, 1977, S. 417ff.; W. Weber, in: Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat, 1975, S. 199ff. Dagegen a. A.: R. Hoffmann, AöR 91 (1966), S. 141 ff.; Blanke / Sterzel, Beamtenstreikrecht, 1980. Differenzierend Benz, Beamtenverhältnis und Arbeitsverhältnis, 1969, S. 128ff.; Däubler, Der Streik im öffentlichen Dienst, 2. Aufl. 1971; Ramm, Das Koalitions- und Streikrecht der Beamten, 1970;

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Einem Streikrecht der Beamten stehen nicht nur die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 V GG) und die Treuepflicht entgegen, sondern auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I; 28 I S. 1 GG); denn der öffentliche Dienst in der Bundesrepublik Deutschland 340 erbringt Leistungen, die zumeist nicht ersetzbar oder austauschbar sind, so daß ein Streik im öffentlichen Dienst nicht nur die Allgemeinheit insgesamt extrem belastet, sondern gerade die sozial schwachen Schichten des Volkes besonders hart trifft. Der sog. „Dienst nach Vorschrift" in Form des Bummelstreiks (go slow) und die organisierte gehäufte Krankmeldung (go sick) — sog. streikähnliche Maßnahmen — sind nach Intention und Wirkung ein Streik, so daß auch sie unzulässig sind341. Da den Beamten das Streikrecht nicht zusteht, ist der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht aber besonders verpflichtet, auf eine gerechte Besoldung zu achten 342 . Bemerkenswert ist schließlich, daß die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse zu beteiligen sind343, also bei der Vorbereitung von diesbezügl. Gesetzen gehört werden müssen. Eine Einschränkung der Freizügigkeit (Art. 11 I GG) ergibt sich aus der Residenzpflicht des Beamten3438. Die stark gelockerte Form dieser Pflicht nach dem geltenden Recht beinhaltet nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit 343b und begegnet deshalb keinen Bedenken. Verfassungsrechtlich zulässig wäre auch eine Regelung, die es den in der Bundesrepublik (also nicht: bei Auslandsvertretungen u. ä.) tätigen Beamten verbietet, im Ausland Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt zu nehmen; denn das Erscheinen des Beamten in seiner Dienststelle kann nicht in das Belieben eines auswärtigen Staates (Öffnung oder Schließung von Grenzübergängen) gestellt werden. Ramm, JZ 1977, 737ff.; Schnapp, Beamtenstatus und Streikrecht, 1972. - Rechtsvergleichend (USA — Bundesrepublik) Löwisch, Zulässiger und unzulässiger Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, 1980. Weitere Hinw. zu beiden Auffassungen bei Stern, StaatsR I, S. 373. 340 Zum Streikrecht der Beamten und sonstigen Bediensteten der EG: A. Weber, ZBR 1978, 326ff. (zulässig); H. Kitschenberg, ZBR 1979, 144ff. (unzulässig). Zum Ganzen: G. Leistner, DVB1. 1975, 281 ff. 341 BVerwG NJW 1978, 178ff. (179); NJW 1980, 1809; DVB1. 1980, 500; BGH JZ 1978, 239ff. (240); BDiszG NJW 1975, 1905f. (1906) - alle zum Bummelstreik der Fluglotsen (zu dessen staatshaftungsrechtl. Folgen vgl. BGH JZ 1977, 718; OLG Köln NJW 1976, 295); Stern, StaatsR I, S. 373. Zum Dienst nach Vorschrift allg.: Isensee, JZ 1971, 73ff.; Weiß,ZBR 1973, 221ff. 342 Vgl. dazu Seidel, DVB1. 1974, 141 ff., insbes. S. 147. 343 Vgl. §94 BBG; §58 BRRG. Zur Rechtsfolge einer unterbliebenen Beteiligung: BVerwGE 59, 48 ff. 343a Vgl. § 74 I BBG; § 92 bad.-württ. LBG; Art. 82 bayer. BG; § 37 berl. LBG; § 73 brem. BG; §78 hamb. BG; §87 hess. BG; §82 nieders. BG; §80 nordrh.-westf. LBG; § 82 rheinl.-pfälz. LBG; § 89 saarl. BG; § 90 schlesw.-holst. LBG. Battis. BBG, Erl. 1 zu § 74.

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5. Vermögensrechtliche Haftung des Beamten Eine vermögensrechtliche Haftung des Beamten auf Schadensersatz kann — je nachdem, ob nur der Dienstherr (Eigenschaden) oder auch ein außenstehender Dritter geschädigt wurde — sich ergeben entweder im Innenverhältnis, d. h. gegenüber dem Dienstherrn, oder im Außenverhältnis, d. h. gegenüber dem Dritten; die Schädigung eines Dritten kann aber, wenn der Dienstherr Schadensersatz leistet, zugleich auch zu einer Haftung gegenüber dem Dienstherrn führen. a) Unmittelbare Schädigung des Dienstherrn: Das BBG und die entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze trennen zwischen Pflichtverletzungen bei privatrechtlicher Tätigkeit und Amtspflichtverletzungen in Ausübung eines dem Beamten anvertrauten öffentlichen Amtes344. In beiden Fällen haftet der Beamte jedoch für unterschiedliches Verschulden, wobei das Verschulden sich in beiden Fällen nur auf die Pflichtverletzung, nicht auf den damit in adäquatem Kausalzusammenhang stehenden Schaden bezieht. aa) Privatrechtliche Tätigkeit: Verletzt ein Beamter bei privatrechtlicher Tätigkeit, also im nichthoheitlichen (fiskalischen) Bereich die ihm gegenüber seinem Dienstherrn obliegenden Pflichten (z. B. die Pflicht zu pfleglicher Behandlung von Staatseigentum), so hat er dem Dienstherrn den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen (Bsp.: Beschädigung eines Dienstwagens auf Privatfahrt, etwa beim Ausflug des Richtervereins zum Kegeln, ohne daß ein Dritter geschädigt wird). Der Beamte haftet hier für Vorsatz und jede — also auch leichte — Fahrlässigkeit345. bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes: Hat der Beamte dagegen die Pflichtverletzung in Ausübung (nicht bei Gelegenheit) eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes begangen (Bsp.: Beschädigung eines Dienstwagens auf Dienstfahrt, ohne daß ein Dritter geschädigt wird), so haftet er nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit: sog. Haftungsprivileg bei Tätigkeit im hoheitlichen Bereich346. Die unterschiedliche Regelung der Haftung bei hoheitlicher und nichthoheitlicher Tätigkeit kann zu unverständlichen Folgen führen: Zahlt ein beamteter Kassenleiter versehentlich zuviel Bezüge an einen Beamten, so haftet er - weil dies hoheitliche Tätigkeit ist - nur bei grober Fahrlässigkeit; leistet er die Überzahlung versehentlich an einen Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, so haftet er — weil dies eine Erfüllung von Dienst- und Ar-

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§ 78 I BBG; § 89 bad.-württ. LBG; Art. 85 bayer. BG; § 42 berl. LBG; § 77 brem. BG; § 80 hamb. BG; § 91 hess. BG; § 86 nieders. BG; § 86 rheinl.-pfälz. LBG; § 91 saarl. BG; § 94 schlesw.-holst. LBG. § 78 I S. 1 BBG. § 78 I S. 2 BBG. Dazu und zur Frage der Anwendbarkeit des § 282 BGB: BVerwG DÖV 1978, 105ff.; BVerwG ZBR 1983, 274.

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beitsverträgen, also nichthoheitliche Tätigkeit ist — für jede Fahrlässigkeit347. Das BVerwG hat dazu festgestellt: „Die unterschiedliche haftungsrechtliche Behandlung von wesentlich gleichartigen und gleichwertigen Tätigkeiten wird mit Recht als unbefriedigend empfunden. Sie zu beseitigen ist jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten." 348 b) Mittelbare Schädigung des Dienstherrn: Schädigt der Beamte bei privatrechtlicher Tätigkeit oder in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes einen Dritten, so regelt sich die Haftung gegenüber dem Dritten nach den allgemeinen Regeln349. Muß der Dienstherr infolge der schädigenden Handlung seines Beamten einem Dritten Schadensersatz leisten, so liegt neben der unmittelbaren Schädigung des Dritten auch eine mittelbare Schädigung des Dienstherrn vor. Für diesen mittelbaren Schaden haftet der Beamte dem Dienstherrn 349a , und zwar für unterschiedliches Verschulden, je nachdem, ob es sich um eine privatrechtliche Tätigkeit des Beamten oder um die Ausübung eines öffentlichen Amtes handelt. aa) Privatrechtliche Tätigkeit: Hier kann der Dienstherr gemäß § 78 I S. 1 BBG und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesgesetzen beim Beamten Rückgriff nehmen, und zwar bei jeder Form des Verschuldens, also auch bei leichter Fahrlässigkeit. bb) Ausübung eines öffentlichen Amtes: Gemäß Art. 34 S. 2 GG, § 78 I S. 2 BBG und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen kann der Dienstherr beim Beamten Rückgriff nehmen, wenn diesem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fallt. c) Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit: Haftet der Beamte seinem Dienstherrn nach § 78 BBG und den entsprechenden Bestimmungen der Landesbeamtengesetze, so stellt sich die Frage, ob die im bürgerlichen Recht und Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze über die Minderung der Haftung von Arbeitnehmern bei schadensgeneigter Arbeit auch im Beamtenrecht Anwendung finden (schadensgeneigte Arbeit nimmt das BVerwG dann an, „wenn die Eigenart der fehlerhaft ausgeführten dienstlichen Obliegenheit es erfahrungsgemäß mit sich bringt, daß auch dem sorgsamen Beamten gelegentlich Fehler unterlaufen 349b ). Die Antwort hierauf sollte differenzieren: 347

So der Fall in BVerwG DVB1. 1974, 158 ff. mit Anm. Reinhardt. BVerwG DÖV 1978, 106; vgl. auch BVerwGE 44, 27 ff. (29). 349 Vgl. dazu Rüfner, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, § 51 III, II. Zur Haftung des beamteten Arztes aus § 839 BGB: Kern, VersR 1981, 316ff.; zum Verweisungsprivileg des § 839 I S. 2 BGB bei Handeln eines beamteten Arztes mit Eigenliquidationsrecht: BGH MedR 1983, 104ff. (106f.). 349a Zum Rückgriffsanspruch des Dienstherrn wegen mittelbarer Schädigung im nichthoheitl. Bereich: VGH Bad.-Württ. ZBR 1983, 242. 349b BVerwGE 50,102 (110). 348

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Handelt es sich um eine Tätigkeit in Ausübung eines öffentlichen Amtes, so besteht für die Haftungsminderung kein Bedürfnis 350 , weil hier der Rückgriff des Dienstherrn ohnehin auf vorsätzliches und grob fahrlässiges Handeln des Beamten beschränkt ist — eine Situation also, in welcher der Beamte angesichts seines erheblichen Verschuldens nicht schutzwürdig ist. Handelt es sich dagegen um die Verletzung einer Amtspflicht, die nicht dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen ist, so kann der Dienstherr auch bei leichtem Verschulden des Beamten Rückgriff nehmen, so daß eine Haftungsminderung sinnvoll erscheint. Rechtsdogmatisch kann die Analogie zu den Grundsätzen und Regeln des Arbeitsrechts über die Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit mit der gleichen Interessenlage begründet werden, nämlich der Möglichkeit, infolge der starken Technisierung des Arbeitsprozesses schon durch leichte Fahrlässigkeit unverhältnismäßig hohe Schäden zu verursachen; auch beruht die Lehre von der Haftungsminderung bei schadensgeneigter Arbeit auf dem Grundsatz der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer, eine Pflicht, die im Beamtenrecht besonders stark ausgeprägt ist, weshalb die Haftungsminderung hier erst recht eingreifen muß 351 . d) Geltendmachung der Ansprüche des Dienstherrn: Ansprüche aus unmittelbarer Schädigung kann der Dienstherr gegen den Beamten durch verwaltungsgerichtliche Klage gemäß § 172 BBG, § 126 BRRG geltend machen. Stark umstritten ist die Frage, ob der Dienstherr 352 seinen Schadensersatzanspruch statt durch Klage auch durch Leistungsbescheid (d. h. durch Verwaltungsakt) durchsetzen kann, gegen den der Beamte Anfechtungsklage erheben müßte. Das BVerwG 353 hält den Leistungsbescheid für möglich 354 ; es begründet dies damit, das Beamtenverhältnis sei „ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, in dem der Dienstherr dem Beamten hoheitlich übergeordnet ist und deshalb seine Rechtsbeziehungen zu dem Beamten grundsätzlich durch Verwaltungsakte regeln kann . . . Für die Heranziehung des Beamten zum Ersatz des Schadens, den er durch Verletzung seiner Dienstpflicht dem Dienstherrn unmittelbar zugefügt hat, ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Gewohnheitsrecht etwas Abweichendes" 355 . Im Schrifttum wird 350 351

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BVerwGE 19, 249; Achterberg, DVB1. 1964, 605ff., 655ff. (mit weiteren Nachw.). OVG Saarland DVB1. 1968, 434; OVG Münster ZBR 1969, 84; Schick, ZBR 1969, 69f.; offen gelassen: BVerwGE 29, 127; 34, 129f.; 50, 110. Vgl. auch VGH Bad.Württ. ZBR 1983, 242f.; Weimar, RiA 1969, 22f. Zu Fällen, in denen der Leistungsbescheid schon wegen fehlender Dienstherrneigenschaft nicht erhoben werden konnte, vgl. VG Bremen NJW 1978, 66; OVG Münster ZBR 1974, 266. BVerwGE 19, 243; 24, 227; 27, 350; OVG Münster ZBR 1963, 188ff.; HessVGH DVB1. 1963; 555; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl., 1983, S. 70; a. A.: OVG Hamburg DÖV 1966, 348; Bücken, ZBR 1967, 1 ff.; Wacke, DÖV 1966, 311; vgl. auch Achterberg, JZ 1969, 354ff. BVerwG ZBR 1971, 176: gilt sogar bei Ansprüchen gegen die Erben. BVerwGE 19, 246.

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demgegenüber für Leistungsbescheide eine gesetzliche Grundlage gefordert356. Ein besonderes Verwaltungsverfahren (das sog. Erstattungsverfahreri) gibt es nach dem Erstattungsgesetz357 für die Fälle, in denen der Beamte schuldhaft einen Fehlbestand an öffentlichem Vermögen verursacht hat (Bsp.: Irrtümliche Kassenabbuchungen). Macht der Dienstherr Ansprüche gegen den Beamten aus mittelbarer Schädigung geltend, so gilt für Fälle der Amtshaftung Art. 34 S. 3 GG (Zuständigkeit der Zivilgerichte), während für Fälle der privatrechtlichen Tätigkeit die gleichen formellen Grundsätze wie bei der Geltendmachung der Ansprüche des Dienstherrn bei unmittelbarer Schädigung anwendbar sein dürften. 6. Veränderungen im Beamtenverhältnis Veränderungen im Beamtenverhältnis können sich durch Beförderung, Versetzung, Abordnung oder Umbildung des Dienstherrn ergeben. a) Beförderung: Die Beförderung, ein Unterfall der Ernennung und daher ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt358, bedeutet die Verleihung eines anderen Amtes mit höherem Endgrundgehalt und einer anderen Amtsbezeichnung359. Eine generelle Stellenhebung ist daher keine Beförderung359®. Beförderungen sind nach dem Leistungsprinzip vorzunehmen 360 ; denn „öffentliches Amt" i. S. von Art. 33 II GG ist nicht nur das Eingangsamt, sondern auch ein Beförderungsamt 361 . Die sog. Regelbeförderung und die sog. Bewährungsbeförderung sind beseitigt361®. Unzulässig ist eine Beförderung während der Probezeit, vor Ablauf eines Jahres nach der Einstellung oder der letzten Beförderung und innerhalb von zwei Jahren vor der Altersgrenze362. 356

W. Martens, in: Fs. f. H. J. Wolff, 1973, S. 434. Vgl. auch § 48 II S. 8 VwVfG. G über das Verfahren für die Erstattung von Fehlbeständen an öffentlichem Vermögen i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. Januar 1951 (BGBl. I, S. 87, 109), geändert durch Art. 40 EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469). - Zum Erstattungsanspruch eines öffentlich-rechtl. Arbeitgebers gegen einen Angestellten des öffentl. Dienstes: BVerwGE 38, 1 ff. 358 Vgl. oben S. 25. 359 § 12 I 1 BLV. Umfassende Darstellung der mit der Beförderung zusammenhängenden Rechtsfragen bei H. Günther, ZBR 1979, 93 ff. Zum sog. Beförderungs- und Verwendungsstau vgl. Meixner, ZBR 1980, 309 ff. 359a BGH NJW 1955, 1835; W. Müller, DVB1. 1962, 515. 360 Vgl. §§ 1, 4 III BLV; § 23 i. V. m. § 8 I S. 2 BBG; § 7 BRRG; Einzelheiten bei H. Günther, ZBR 1979,95 (S. 97: zur Bedeutung des Allgemeinen Dienstalters). 361 H. Günther, ZBR 1979, 95; Lecheler, JZ 1984, 78 Fn. 44. 361 a Art. 1 § 1 Nr. 2, Art. 47 HaushaltsstrukturG vom 18. Dezember 1975 (BGBl. 1975 I, S. 3091). 362 Vgl. § 12 IV BLV. Vgl. auch OVG Rh.-Pf. DÖD 1982, 203 f. 357

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Besteht ein Anspruch auf Beförderung? Die Problematik liegt hier ähnlich wie bei der Frage des Anspruches auf Einstellung. Das BVerwG verneint grundsätzlich einen Anspruch auf Beförderung 363 ; es begründete seine Ansicht früher wie folgt: Der Beurteilungsspielraum der Behörde bei der Prüfung von „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" stehe einem solchen Anspruch entgegen; die gesetzlichen Vorschriften über die Beförderung seien ausschließlich im öffentlichen Interesse erlassen (Personalhoheit), nicht aber im Interesse des Beamten, weshalb auch eine Amtspflichtverletzung des mit der Entscheidung über die Beförderung befaßten Beamten ausscheide; auch die Fürsorgepflicht verpflichte den Dienstherrn grundsätzlich nicht, „auf die Beförderung des einzelnen Beamten durch förderndes Handeln hinzuwirken, denn sie besteht nur in den Grenzen des zur Zeit bekleideten Amtes"364. Bilde mithin die „Nichtbeförderung als solche" keine Verletzung der Fürsorgepflicht, so sei davon zu unterscheiden (und je nach Lage des Falles u. U. zu bejahen) die Frage, „ob der Beamte bei fürsorgepflichtmäßigem Verhalten tatsächlich befördert worden wäre, die Nichtbeförderung sich also als eine adäquate Folge irgendeiner schuldhaften Verletzung der Fürsorgepflicht darstellt". In späteren Entscheidungen hat das BVerwG zwar an der Ablehnung eines Rechtsanspruches auf Beförderung „in aller Regel" festgehalten, jedoch einen Anspruch des Beamten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Dienstherrn über seine Beförderung bejaht: „Er (der Beamte) kann . . . beanspruchen, daß der Dienstherr ihn nicht aus unsachlichen Erwägungen von der Beförderung ausschließt. Die beamtenrechtlichen Vorschriften, nach denen sich die Beförderung von Beamten richtet, dienen zwar in erster Linie dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung der Beamtenstellen des öffentlichen Dienstes. Die im Beamtenrecht vorgesehene Möglichkeit von Beförderungen dient aber in zweiter Linie auch dem berechtigten Interesse des Beamten, im Rahmen der dienstlichen, beamten- und haushaltsrechtlichen Möglichkeiten angemessen beruflich aufzusteigen. Die Fürsorgepflicht und darüber hinaus die Pflicht zu beiderseitiger Treue . . . verbieten es dem Dienstherrn, sich bei der Ablehnung einer Beförderung von anderen als sachgerechten, ermessensfehlerfreien Erwägungen leiten zu lassen, wenn auch sein Ermessensspielraum sehr weit ist und eine Vielfalt möglicher sachlicher Erwägungen umfaßt" 365 . Das beamtenrechtliche Schrifttum neigt dem363

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BVerwGE 15, 3ff. mit krit. Anmerkung Schock, ZBR 1963, S. 353f. Zur Frage allgemein vgl. Adam, BWV 1977, 29ff.; Heise, ZBR 1969, 165ff.; Hess. VGH ZBR 1969, 174. Zur Beförderung während Parlamentsmitgliedschaft: BVerwG DÖD 1970, 118. Vgl. auch — für den Fall einer Mandatsniederlegung und erneuter Bewerbung um ein Mandat im BTag — § 7a BRRG. BVerwGE 15, 7. BVerwGE 19, 252ff. (254f.); BVerwG ZBR 1976, 121 ff. (123); BVerwG DÖV 1977, 139. Vgl. auch VGH Kassel DVB1. 1983, 86 (zu weitgehend allerdings darin, daß das Fehlen einer besetzbaren Stelle im Haushaltsplan den Schadensersatzanspruch auf Beförderung nicht hindere; kritisch dazu zutr. Lecheler, JZ 1984, 78).

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gegenüber mehr und mehr dazu, die Rechtsposition des bei der Beförderung übergangenen Beamten zu stärken365®. Unbefriedigend an der Ansicht des BVerwG und nicht gerechtfertigt ist die Beschränkung der Fürsorgepflicht auf das jeweils innegehabte Amt. Die Fürsorgepflicht erwächst aus dem Beamtenverhältnis, nicht aus der konkreten Amtsstellung; m. a. W.: sie ist persongebunden, nicht amtsgebunden 366 . Eine andere Frage ist allerdings, ob bei schuldhafter Verletzung der Fürsorgepflicht der Schadensersatz durch Naturalrestitution, d. h. durch Nachholung der unterbliebenen Beförderung, geleistet werden muß, oder ob er — was die richtige Auffassung ist — auf Nachzahlung des Differenzbetrages zwischen den bisher gezahlten Dienstbezügen und dem Gehalt bei Beförderung beschränkt ist367. Ein Anspruch auf Schadensersatz durch Ausgleich finanzieller Nachteile kommt — wenn überhaupt — nur dann in Betracht, wenn das Unterbleiben der Beförderung die adäquate Folge einer schuldhaften Fürsorgepflichtverletzung darstellt368. Eine rückwirkende Beförderung kann im Klagewege nicht erreicht werden369. Str. ist die Beurteilung eines Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, eine Planstelle für ein Beförderungsamt freizuhalten, um einen Anspruch des Antragstellers aus fürsorgepflichtwidriger Nichtbeförderung zu sichern370. Zurückstellen einer Beförderung während eines gegen den betr. Beamten laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ist nicht rechtswidrig371. b) Versetzung: Unter Versetzung eines Beamten ist die dauernde Zuweisung eines anderen Dienstpostens innerhalb des Dienstbereichs seines Dienstherrn oder eines anderen Dienstherrn zu verstehen. Die Versetzung erfolgt auf Antrag des Beamten oder wenn ein dienstliches Bedürfnis dafür besteht372. Mit Zustimmung des Beamten ist die Versetzung stets zulässig. Ohne Zustimmung ist sie dagegen nur zulässig, wenn das neue Amt derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn angehört wie das bisherige Amt und mit min365

"Vgl. H. Günther, ZBR 1979, 100 m. w. Hinw.; vgl. auch die Hinw. zu der ähnlichen Problematik der unterbliebenen Einstellung in das Beamtenverhältnis. 366 Ebenso H. Günther, ZBR 1979, 101. 367 Hierzu neigt BVerwGE 15, 11. Vgl. auch OVG Lüneburg ZBR 1974, 17ff. - Zum Rechtsschutzinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Hinblick auf einen beabsichtigten Schadensersatzprozeß vgl. OVG Koblenz NJW 1977, 72f. 368 OVG Saarlouis ZBR 1976, 87ff.; OVG Lüneburg OVGE 29, 479; VGH Kassel DVB1. 1983, 89. 369 VGH Bad.-Württ. ZBR 1975, 316; OVG Saarlouis ZBR 1976, 87ff. 370 VGH Bad.-Württ. ZBR 1974, 344; a. A.: VG Berlin ZBR 1974, 391 ff. 371 BVerwG BayVBl. 1975, 568; vgl. auch OVG Münster DÖD 1974, 211 (Disziplinarverfahren). 372 Vgl. hierzu und zum folgenden: § 26 BBG, § 18 BRRG; BVerwG RiA 1967, 130ff.; zum Begriff der Versetzung: Bad.-Württ. VGH DVB1. 1970, 695f. Zu Versetzung, Abordnung und Umsetzung: H. Günther, ZBR 1978, 73ff.; A. Kremer, NVwZ 1983, 6 ff.

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destens demselben Endgrundgehalt verbunden ist, es sei denn, daß die Versetzung infolge Auflösung oder Umbildung der Behörde erfolgt und eine dem bisherigen Amt entsprechende Verwendung nicht möglich ist, wie dies z. B. bei der Auflösung oder Zusammenlegung von Behörden auf Grund von Gebietsreformen (Eingemeindungen u. ä.) der Fall sein kann372*. Für die Versetzung in den Dienstbereich eines anderen Dienstherrn ist stets die Zustimmung erforderlich. Eine bestimmte Form ist für die Versetzung nicht vorgeschrieben; regelmäßig wird sie aber schriftlich angeordnet. Im Gegensatz zur bloßen Zuteilung anderer Dienstgeschäfte ist die Versetzung ein Verwaltungsakt. Unzulässig ist eine Vereinbarung zwischen dem Dienstherrn und einer Gewerkschaft dahin, daß Funktionsträger der Gewerkschaft gegen ihren Willen nur nach Rücksprache zwischen dem Vorgesetzten und dem zuständigen Gewerkschaftsorgan versetzt werden dürfen 372b . c) Umsetzung: Von der Versetzung zu unterscheiden ist die Umsetzung, durch die der Beamte zwar mit einer anderen Aufgabe (einem anderen Dienstposten) betraut wird, aber ohne Wechsel der Behörde oder des Dienstherrn. Str. ist, ob die Umsetzung ein anfechtbarer Verwaltungsakt ist373. Das BVerwG hat dies verneint, weil die Umsetzung „lediglich die das statusrechtliche Amt unberührt lassende Zuweisung eines anderen Dienstpostens (funktionelles Amt im konkreten Sinne) innerhalb der Behörde" sei: Die Umsetzung gehöre „ihrem objektiven Sinngehalt nach zu den Anordnungen, die die dienstliche Verrichtung eines Beamten betreffen und sich in ihren Auswirkungen auf die organisatorische Einheit beschränken, der der Beamte angehört"373*. Damit ist jedoch der gerichtliche Rechtsschutz nicht ausgeschlossen; denn zulässig ist zwar nicht die Anfechtungsklage, wohl aber die allgemeine Leistungsklage373b. Kein Verwaltungsakt ist die Änderung des Dienstaufgabenbereichs eines Beamten, also des Amtes im funktionellen Sinn durch Organisationsverfügung 374 . d) Abordnung: Als Abordnung bezeichnet man die vorübergehende Zuweisung einer Amtsstelle bei einer anderen Dienststelle ohne Verlust der Planstelle bei der Heimatbehörde. Der Begriff der Abordnung wird also von einer mehr oder minder kurzen Abwesenheit von der „alten" Dienststelle und einer spä372a

Zum Problemkreis kommunale Wahlbeamte in der Gebietsreform vgl. Juncker, ZBR 1972, 101 ff. 372b Windscheid, ZBR 1975, 310. 373 Vgl. dazu Erichsen, DVB1. 1982, 95ff.; Rottmann, ZBR 1983, 77ff. (89ff.); Teufel, ZBR 1981, 20ff.; Wolff /Bachof, VwR II, § 112 III a. Zum (atypischen) Fall einer Umsetzung in Form einer Dienstpostenübertragung als Vorentscheidung über eine spätere Beförderung vgl. Britz, DÖV 1982, 231 ff. 373a BVerwGE 60, 144ff (146f.). Dazu Menger, VerwArch 72 (1981), S. 149f.; a. A.: OVG Rheinl.-Pf. DÖD 1978, 184. 373b BVerwGE 60, 144ff. (150). 374 BVerwG DVB1. 1981,495.

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teren Rückkehr zu ihr geprägt374". Die Abordnung setzt ein dienstliches Bedürfnis voraus; die Zustimmung des Beamten ist dagegen nur erforderlich, wenn die Abordnung zu einem anderen Dienstherrn erfolgt und länger als ein Jahr (bei Beamten auf Probe: 2 Jahre) dauert 375 . Die Abordnung zu einem anderen Dienstherrn wird (ebenso wie die Versetzung zu einem anderen Dienstherrn) von dem abgebenden Dienstherrn verfügt, wobei der aufnehmende Dienstherr, der die Dienstbezüge zu zahlen hat, schriftlich sein Einverständnis erklären muß. Die Abordnung ist ein Verwaltungsakt (str.)376. 7. Beendigung des Beamtenverhältnisses Das Beamtenverhältnis kann, abgesehen vom Todesfall, durch Eintritt in den Ruhestand, Entlassung und Entfernung aus dem Dienst beendet werden. a) Eintritt in den Ruhestand:

In d e n einstweiligen

R u h e s t a n d k ö n n e n die

sog. politischen Beamten jederzeit versetzt werden 377 , sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, andere Beamte dagegen nur bei der sog. Umbildung von Körperschaften (z. B. Zusammenschluß von zwei Gemeinden zu einer neuen Gemeinde bei kommunaler Gebietsreform) 378 . Die Versetzung in den endgültigen Ruhestand ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Für den Beamten auf Lebenszeit379 kann der Eintritt in den Ruhestand kraft Gesetzes (bei Erreichen der Altersgrenze sowie bei Annahme der Wahl in den BTag)380 oder kraft Versetzungsverfügung (wegen Dienstunfähigkeit) erfolgen. Für den Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze381, d. h. mit dem Ende des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wur374a 375 376

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BayVGH BayVBl. 1983, 470ff. (472). Vgl. hierzu und zum folgenden: § 27 BBG, § 17 BRRG; Weimar, RiA 1968, 128f.; OVG Rheinl.-Pfalz RiA 1967, 34ff. Thiele, DÖD 1959, 43; a. A.: VG Freiburg ZBR 1954, 154; vgl. auch Wolf// Bachof, VwR II, § 112 III b. — Zum Inhalt der Abordnungsverfügung vgl. Bad.Württ. VGH ZBR 1976, 154 f. Dazu oben Abschn. III 2 b. Zur Verpflichtung des polit. Beamten, sich in ein Amt seiner früheren oder gleichwertigen Laufbahn berufen zu lassen, vgl. OVG Rheinl.Pfalz DÖD 1982, 204ff. Vgl. § 130 II S. 1 BRRG; BVerwG ZBR 1975, 348f.; VG Freiburg DÖV 1976, 536. Für den Beamten auf Probe gilt § 46 BBG. Eine Versetzung in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze gibt es für ihn nicht (vgl. § 31 V BBG). Beamte auf Widerruf und Ehrenbeamte können nicht in den Ruhestand versetzt werden. Für Beamte auf Zeit gelten spezialgesetzliche Regelungen (vgl. z. B. § 8 V BBahnG). Vgl. §§5 ff. G zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages vom 18. Februar 1977 (BGBl. I, S. 297); allgemein dazu J. Henkel, DÖV 1977, 350 ff. §41 BBG; §25 BRRG.

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de382, ist — ebenso wie bei der Dienstunfähigkeit — weitere Voraussetzung, daß der Beamte eine Dienstzeit von 5 Jahren abgeleistet hat; ist dies nicht der Fall, so ist der Beamte zu entlassen. Neuerdings kann der Beamte auf Lebenszeit die Versetzung in den Ruhestand in der Regel ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit 3 Jahre vor Erreichen der Altersgrenze beantragen; Schwerbehinderte können bereits mit Erreichen des 61. Lebensjahres ihre Versetzung in den Ruhestand beantragen 3828 . Die Festsetzung einer generell bestimmten Altersgrenze ist, auch wenn der betreffende Beamte sich noch voll dienstfähig fühlt, nicht verfassungswidrig383. Für einzelne Beamtengruppen kann gesetzlich eine niedrigere Altersgrenze festgesetzt werden; umgekehrt kann in Ausnahmefallen für einzelne Beamte der Eintritt in den Ruhestand für eine bestimmte Frist, jedoch nicht über die Vollendung des 70. Lebensjahres hinaus, verschoben werden. Wegen Dienstunfähigkeit wird der Beamte in den Ruhestand versetzt, wenn er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd unfähig ist, die Dienstpflichten seines konkreten Amtes zu erfüllen 384 . Ohne Nachweis der Dienstunfahigkeit kann der Beamte auf eigenen Antrag bei Vollendung des 63. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt werden 385 , es sei denn, daß dienstliche Gründe nichtfiskalischer Art entgegenstehen386. Mit Eintritt in den Ruhestand erhält der Beamte Versorgungsbezüge387. Die Einzelheiten regelt das G über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (BeamtenversorgungsG)387". Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Januar 1977 haben die Länder auf dem Gebiet der Beamten Versorgung — anders als für die Besoldung387b - keine Gesetzgebungskompetenz mehr. Auch nach Eintritt in den Ruhestand unterliegt der Beamte noch gewissen Beamtenpflichten (z. B. der Treuepflicht und der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit)3870, hat aber auch weiterhin einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge-

382

Bei am Monatsersten Geborenen beginnt nach BVerwGE 30, 167 der Ruhestand mit dem Ablauf des Monats, welcher der 65. Wiederkehr des Geburtstages vorangeht; dagegen Vogt, ZBR 1969, 149. 382a § 26 III BRRG. 383 BGH DVB1. 1954, 396. 384 §§ 42, 45 ff. BBG; § 26 BRRG. Vgl. auch BayVerfGH NVwZ 1983,90f. 385 § 42 III BBG n. F. 386 BVerwGE 16, 194 (unter der Geltung des § 42 III BBG a. F.). 387 Dazu allgemein Ule, Die Bedeutung des Beamtenversorgungsrechts für die Erhaltung des Berufsbeamtentums, 1973. — Zur Frage der Kürzung von Versorgungsbezügen bei mehreren Versorgungsansprüchen: BVerfGE 46, 97ff. Vgl. aber auch BVerwG NVwZ 1983, 548f. 387a Vom 24. August 1976 (BGBl. 1976 I, S. 2485, ber. S. 3839), Art. 32 des HaushaltsbegleitG vom 22. Dezember 1983 (BGBl. 1983 I, S. 1532). 387b Vgl. dazu § 1 IV BBesG. 3 8 7 0 BVerfG DVB1. 1983, 505 ff.

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Die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist mit Art. 3 I vereinbar 3870 . b) Entlassung: Die Entlassung kann kraft Gesetzes oder durch Entlassungsverfügung erfolgen. Kraft Gesetzes ist der Beamte entlassen, wenn er die Eigenschaft als Deutscher i. S. des Art. 116 1 GG verliert oder wenn er ohne Zustimmung der zuständigen Behörde seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Ausland nimmt oder in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstherrn tritt388. Da die Entlassung in diesen Fällen als gesetzliche Rechtsfolge eintritt, ist die Mitteilung über Grund und Zeitpunkt des Ausscheidens nur deklaratorischer Natur. Bei der Entlassung durch Entlassungsverfügung ist die obligatorische Entlassung von der fakultativen zu unterscheiden. Obligatorisch ist die Entlassung bei (1) Verweigerung des Diensteides™ (die Rspr. ließ früher die Berufung auf Art. 4 I GG nicht zu, da der Eid auch ohne religiöse Beteuerungsformel abgelegt werden könne 390 , während heute die Ansicht vertreten wird, daß im Einzelfall die Pflicht zur Leistung eines Diensteides hinter das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit zurücktreten kann 391 ), (2) wenn der Beamte zur Zeit der Ernennung bereits Mitglied des Bundestages war und sein Mandat nicht fristgemäß niederlegt (Fall der Inkompatibilität)3,92 und (3) auf Antrag des Beamten selbst. Der Entlassungsantrag, eine empfangsbedürftige Willenserklärung, ist streng formgebunden (Schriftform, eigenhändige Unterschrift); eine konkludente Handlung (z. B. Fernbleiben vom Dienst) reicht daher nicht aus393. Ein ohne den Willen des Beamten, etwa von seiner Ehefrau irrtümlich abgeschickter, formgerechter Entlassungsantrag ist jedenfalls dann wirksam, wenn der Beamte ihn nachträglich billigt394. Der Entlassungsantrag kann gemäß den ihrem Rechtsgehalt nach anwendbaren Vorschriften des BGB wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten werden395. Die Anfechtung muß unverzüglich erfolgen. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet es, den Beamten auf die rechtlichen Folgen der Entlassung (Verlust der Beamtenrechte, insbes. der Versorgungsansprüche) hinzuweisen, wenn der Beamte dies offensichtlich nicht erkennt 396 ; unter besonderen Umständen kann auch die Annahme eines in starker seelischer 387d 388 389

390 392 394 396

BVerfGE 54, 11 ff. Vgl. § 29 I BBG; § 22 I BRRG; dazu BVerwGE 32, 1 ff. Vgl. § 28 Nr. 1 BBG; § 23 I Nr. 1 BRRG. Dazu Wiese, Beamtenrecht, S. 106f. Dies gilt nach BVerwG ZBR 1967, 53 auch dann, wenn der Beamte bereits früher einen Diensteid geleistet hat und sich nur weigert, ihn erneut abzulegen. BayVerfGH DÖV 1965, 134. 391 VG Freiburg DÖV 1975, 434. Vgl. § 28 Nr. 2 BBG. 393 E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 30. BVerwGE 20, 35 ff. 395 OVG Münster DVB1. 1952, 606. E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 4 zu § 30.

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Erregung gestellten Entlassungsantrages gegen die Fürsorgepflicht verstoßen397. Eine schriftliche oder mündliche Rücknahme des Entlassungsantrages ist, bei Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Frist, bis zum Zugang der Entlassungsverfügung möglich398. Dagegen ist das Recht auf Entlassung unverzichtbar, und zwar auch dann, wenn der Dienstherr die Ausbildung des Beamten ganz oder teilweise finanziert hat399. Besondere Regeln gelten für die Entlassung von Beamten auf Probe und von Beamten auf Widerruf; zusätzlich zu den oben genannten obligatorischen Entlassungsgründen gibt es hier auch fakultative Gründe 399 ". Beamte auf Probe können u. a. wegen mangelnder Bewährung in bezug auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (Beurteilungsspielraum!) entlassen werden 400 , wobei das Versagen nicht schuldhaft zu sein braucht. Die Rechtmäßigkeit der Entlassung ist im Regelfall nicht davon abhängig, ob dem betr. Beamten zuvor seine dienstlichen Beurteilungen formell ordnungsgemäß vorher eröffnet sind, wenn er vor der Entlassung schriftlich gehört worden ist401. Die Entlassung kann ohne schuldhaftes Zögern auch noch nach Ablauf der Probezeit (alsbald401®) ausgesprochen werden, es sei denn, die mangelnde Bewährung stand schon vor Ablauf der Probezeit fest; in letzterem Fall muß unmittelbar zum Ablauf der Dienstzeit entschieden werden, ob der Beamte entlassen werden soll402. Beamte auf Widerruf können jederzeit nach pflichtgemäßem Ermessen aus nicht willkürlichen Gründen entlassen werden403. Soweit es sich um Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst handelt (z. B. Referendare), soll allerdings Gelegenheit gegeben werden, den Vorbereitungsdienst abzuleisten und die Prüfung abzulegen404.

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LVG Hannover DVB1. 1953, 117. Vgl. §30 I S. 3 BBG; zur mündlichen Rücknahmeerklärung BayVerwGH ZBR 1954, 353 (nicht unbedenklich). 399 Dazu und zur Frage der RückZahlungsverpflichtung vgl. BVerwG E 30, 65 ff. und oben Abschn. III 4 c bb). 399a Zur Mitwirkung des Personalrates bei der Entlassung vgl. unten Abschn. V 1. 400 Vgl. §31 BBG; §23 II BRRG; BVerfG DÖV 1977, 558ff. (561); BVerwGE 21, 56fT.; BVerwG ZBR 1976, 52 (Meineid); OVG Münster ZBR 1973, 206ff.; OVG Lüneburg ZBR 1975, 91 f. (Krankheit). Zur Entlassung von Beamten auf Probe wegen Extremismus vgl. Abschn. III 4 d bb. 401 BVerwG DÖV 1977, 137f. ^ ' " V G H Bad.-Württ. DÖD 1982, 61 ff. (Verlängerung der Probezeit nur unter Festlegung ihrer zeitlichen Dauer). 402 BVerwGE 19, 348. 403 Vgl. § 32 BBG, § 23 III BRRG; BVerwG DVB1. 1968, 430f. mit weiteren Nachw. 404 Vgl. § 32 II S. 1 BBG; § 23 III S. 2 BRRG; Martin, ZBR 1976, 177ff. 398

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Bundestagsabgeordnete, die nach Beendigung ihres Mandates die Rückführung in ihr früheres Amt ablehnen, sind damit entlassen404®. c) Verlust der Beamtenrechte durch Gerichtsurteil: Wird ein Beamter wegen vorsätzlich begangener Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder wegen vorsätzlicher friedensverräterischer, hochverräterischer, rechtsstaatsgefährdender, landesverräterischer oder die äußere Sicherheit gefährdender Handlung zu Gefängnis von mindestens sechs Monaten verurteilt, so endet das Beamten Verhältnis mit der Rechtskraft des Urteils; gleiches gilt bei Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter sowie bei Verwirkung eines Grundrechts gemäß Art. 18 GG 405 . Sinn dieser Regelung ist es, ein überflüssiges Disziplinarverfahren zu vermeiden, das bei derartig schwerem Dienstvergehen ebenfalls die Entfernung aus dem Dienst aussprechen müßte. Rechtsfolge ist insbesondere der Verlust der Dienstbezüge bzw. beim Ruhestandsbeamten der Versorgungsbezüge. Die Entscheidung über den Verlust der Beamtenrechte kann durch Begnadigung405" oder ein erfolgreiches Wiederaufnahmeverfahren rückgängig gemacht werden. Stirbt der Beamte vor der Rechtskraft des Strafurteils bzw. vor Erlaß des Urteils des BVerfG, so tritt — auch bei Selbstmord — kein Verlust der Beamtenrechte ein; den Hinterbliebenen bleiben also etwaige Versorgungsansprüche erhalten 406 . d) Entfernung aus dem Dienst durch Disziplinarurteil: Die Entfernung aus dem Dienst durch Disziplinarurteil 407 ist die einzige Möglichkeit, ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder auf Zeit gegen den Willen des Beamten wegen schwerer Dienstvergehen zu beenden; Voraussetzung ist, daß bei Abwägung aller Umstände der Beamte für den Dienst nicht mehr tragbar erscheint. Die Entfernung wird unmittelbar durch die Rechtskraft des Urteils bewirkt; es bedarf daher keiner weiteren Maßnahmen. Rechtsfolge der Entfernung aus dem Dienst ist der Verlust der Ansprüche auf Dienstbezüge und Versorgung408, wobei sich der Verlust der Versorgungsansprüche auf die Hinterbliebenen erstreckt. 404a

Vgl. dazu — auch zu Ausnahmen — § 6 II S. 2 u. 3 G zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages vom 18. Februar 1977 (BGBl. 1977 I, S. 297). 405 Vgl. hierzu und zum folgenden § § 4 8 - 5 1 BBG; § 24 BRRG. Durch das 1. G zur Reform des Strafrechts vom 9. Mai 1969 ist die Einheitsstrafe eingeführt und die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte abgeschafft worden. §§ 24 BRRG, 48 BBG sind mit Wirkung ab 1. April 1970 entsprechend geändert. Kritisch zu § 48 BBG: Juncker, ZBR 1970, 219ff. 405a Die Ablehnung des Gnadengesuches ist nicht gerichtlich überprüfbar: BVerwG NJW 1983, 187 ff. 406 E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 10 zu § 48. 407 Vgl. § 11 BDO; H. R. Claussen / W. Janzen, BDO, 3. Aufl. 1976, Rdnr. 1 ff. zu § 11. 408 Zur Frage der Vereinbarkeit mit Art. 14 GG vgl. BDHE2, 192; Wiese, VerwArch 57 (1966), S. 265 ff.

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8. Rechtsschutz im Beamtenrecht Der Rechtsschutz im Beamtenrecht läßt sich in außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe unterteilen. a) Außergerichtliche Rechtsbehelfe sind: die Beschwerde beim Dienstvorgesetzten und beim Personalrat, die Eingabe an den Bundes-(Landes-)Personalausschuß und das Petitionsrecht. aaj Beschwerde beim Dienstvorgesetzten: Der Beamte kann frist- und formlos Anträge (auf Erlaß einer Maßnahme) und Beschwerden (gegen eine bereits getroffene Maßnahme) vorbringen. Der Beamte muß jedoch den Dienstweg einhalten, d. h. die Beschwerde beim unmittelbaren Vorgesetzten einreichen (Dienstwegprinzip; Dienstwegvorbehalt)409; richtet die Beschwerde sich gegen den unmittelbaren Vorgesetzten, so kann sie beim nächsthöheren Vorgesetzten unmittelbar eingereicht werden 410 . Im übrigen steht der Dienstweg immer bis zur obersten Dienstbehörde offen. Eine „Flucht in die Öffentlichkeit" 41 1 ist nur in Ausnahmefällen zulässig, bei Staatsgeheimnissen nur dann, wenn schwere Verstöße gegen die „verfassungsmäßige Ordnung" im Sinne von „freiheitlicher demokratischer Grundordnung" in Frage stehen 412 . Die Beschwerde muß ein bestimmtes Verlangen enthalten; sie muß der Wahrheitspflicht entsprechen, darf also keine leichtfertigen Anschuldigungen enthalten. Die Behörde ist verpflichtet, die Beschwerde entgegenzunehmen, binnen angemessener Zeit zu prüfen und schriftlich 413 zu bescheiden. Ihrer Rechtsnatur nach ist die beamtenrechtliche Beschwerde eine Form der Dienstaufsichtsbeschwerde 414 ; sie berührt also weder die Wirksamkeit der behördlichen Maßnahmen, gegen die sie sich richtet, noch hemmt sie die Widerspruchsfrist. Ob das Begehren des Beamten als Beschwerde oder als Widerspruch aufzufassen ist, muß durch Auslegung ermittelt werden. Richtet die Beschwerde sich gegen eine Maßnahme, gegen die eine Klage beim Verwaltungsgericht zulässig ist, so wird im Zweifel ein Widerspruch, bei Unzulässigkeit der Klage eine Beschwerde anzunehmen sein 415 . 409 410 411

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Vgl. § 171 I BBG, § 60 BRRG. Der Ausdruck „dienstliche Petition" ist unglücklich. Vgl. § 171 II BBG. BGH ZBR 1977, 106 (Mitteilung an Presse); B D H E 1, 32 (Veröffentlichung von Flugschriften); B D H E 1, 25 (Mitteilung an eine Rundfunkanstalt); B D H E 3, 299 (Veröffentlichung im Mitteilungsblatt eines Beamten Verbandes); BVerwGE 33, 199ff. (Leserbrief). Umfassend: Weiß, ZBR 1984, 129ff. (auch zum Unterzeichnen von Aufrufen und Offenen Briefen, S. 137; dazu auch VGH Mannheim NJW 1983, 1215 ff.). Vgl. BGHSt. 20, 342ff.; BVerfGE 28, 191 ff. Str.; gegen Schriftform: BayerVerfGH DÖV 1957, 719; E. Plog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 12 zu § 171. E.Plog/A. Wiedow/ G. Beck, BBG, Rdnr. 5 zu § 171; vgl. jedoch für Bayern: H. Weiß / H. Kranz / T. Niedermaier, Bayerisches BeamtenG Anm. 3 zu Art. 182. Fischbach, BBG II, S. 1281.

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bb) Beschwerde beim Personalrat und Personalausschuß: Der Beamte kann sich mit Beschwerden auch an den Personalrat wenden 416 . Auch für diese Beschwerden gilt keine Frist, keine f o r m , aber auch nicht das Dienstwegprinzip. Gleiches gilt — mit Ausnahme der Form (hier: Schriftform) — auch für Eingaben an den Bundes-(Landes-)Personalausschuß 417 . Eine abschließende Entscheidungsbefugnis steht jedoch weder dem Personalrat noch dem Bundes-(Landes-)Personalausschuß zu. cc) Petitionsrecht: Das allgemeine Petitionsrecht (Art. 17 GG) steht auch den Beamten zu417a. Strittig ist die Frage, ob der Beamte Petitionen, die dienstliche Angelegenheiten betreffen, unter Umgehung des Dienstweges direkt an das Parlament richten kann 418 . b) Gerichtliche Rechtsbehelfe: Der Beamte kann gerichtlichen Rechtsschutz vor den Zivilgerichten, Disziplinargerichten und den Verwaltungsgerichten erlangen. aa) Zivilgerichte: Die Zivilgerichte sind zuständig für Amtspflichtverletzungen des Dienstherrn gegenüber dem Beamten (Art. 34 S. 3 GG) 419 . bb) Disziplinargerichte: Um sich vom Verdacht eines Dienstvergehens zu reinigen, kann der Beamte die Einleitung eines förmlichen Dienstverfahrens gegen sich selbst beantragen (sog. Selbstreinigungsverfahren). Lehnt die Einleitungsbehörde den Antrag ab, und stellt sie zugleich in den Gründen ein Dienstvergehen fest oder läßt sie offen, ob ein Dienstvergehen vorliegt, so kann der Beamte die Entscheidung des Disziplinargerichts beantragen 420 . cc) Verwaltungsgerichte: Gemäß §§ 40 II S. 2 VwGO, 126 I BRRG ist für alle Klagen der Beamten421, Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und der Hinterbliebenen aus dem Beamtenverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben4212. Die Rechtswegzuweisung nach § 126 BRRG hat ausschließlich verfahrensrechtlichen Gehalt 421b . Für das Verfahren in Beamtenrechtssachen gilt die Besonderheit, daß vor Erhebung aller Klagen aus dem Beamtenverhältnis, also auch bei Feststel416

§ 68 I Nr. 3 BPersVG: Der Personalrat hat die Aufgabe, zwischen dem Beamten und seiner Dienststelle zu vermitteln. 417 Vgl. §§ 171 III, 98 I Nr. 4 BBG: Der Bundespersonalausschuß kann nur in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung Stellung nehmen. 4,7a Vgl. dazu Riedmaier, RiA 1978, 210ff. 418 Vgl. dazu E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Rdnr. 2 zu §171; Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 31 zu Art. 17 GG; Weiß, ZBR 1984, 129ff. (134ff.). Vgl. auch § 179 II nordrhein-westfäl. LBG. 419 Vgl. dazu oben S. 48. 420 § 34 BDO. 421 Nach OVG Koblenz ZBR 1964, 242 ist der Verwaltungsrechtsweg auch für die Klage eines „Nichtbeamten" auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung einer Zusicherung zur Einstellung gegeben. 421 a Einzelheiten bei Kopp, VwGO, Rdnr. 75 - 78 zu § 40. 421b BVerwG ZBR 1980, 385.

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lungsklagen und auch wenn der Verwaltungsakt von der obersten Dienstbehörde erlassen worden ist, ein Vorverfahren erforderlich ist421 c. Problematisch und im Einzelfall oft schwierig zu entscheiden ist die Frage, welche Akte innerhalb des Beamtenverhältnisses zulässigerweise angefochten werden können 422 . In der Lehre ist hierzu die Trennung zwischen (anfechtbaren) Akten, die das „Grundverhältnis"berühren, und (nicht anfechtbaren) Akten, die das „Betriebsverhältnis"berühren, entwickelt worden 423 . Das „Grundverhältnis" berühren danach alle diejenigen Maßnahmen, die den Bestand des Beamtenverhältnisses als solches betreffen (z.B.: Ernennung, Entlassung), dagegen das „Betriebsverhältnis" nur solche Maßnahmen, die sich aus der Betriebsordnung (z. B. Zuweisung der Dienstgeschäfte) ergeben424. Eine andere Auffassung sieht alle innerdienstlichen Maßnahmen zwar als Verwaltungsakte an, verneint aber in weitem Umfang das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage425. Eine dritte Auffassung schließlich läßt den Rechtsschutz ohne Einschränkungen zu, verlegt also die Problematik von der Zulässigkeitsprüfung in die Begründetheitsprüfung 426 . Die Rechtsprechung neigt offensichtlich zur Unterscheidung zwischen „Grundverhältnis" und „Betriebsverhältnis", ohne indessen immer einheitlich zu judizieren 427 . Das BVerwG sieht in innerdienstlichen Anordnungen anfechtbare Verwaltungsakte nur dann, wenn sich die potentiellen Wirkungen der Anordnungen nicht auf die Stellung des Beamten als Amtsträger beschränken, sondern sich — über die Konkretisierung der Gehorsamspflicht hinaus — auch auf dessen Stellung als eine dem Dienstherrn mit selbständigen Rechten gegenüberstehende Rechtspersönlichkeit erstrecken428. Die Verwaltungsaktseigenschaft ist z. B. bejaht worden für: Zurücknahme der Ernennung 429 , Entlassung430, Versetzung in den Ruhestand und ihr Widerruf 3 1 , Festsetzung des allgemeinen Dienstalters432, Einweisung in eine andere Besoldungsgruppe 433 , Anordnung der Zurückzahlung überzahlter Bezüge434, Zwangsbeurlaubung 435 , Verlangen auf Nachweis einer Erkrankung durch amtsärztliches Zeugnis436, Änderung des Unterrichtsauftrages eines Lehrers, 421c

422 423 424 425 426

427 428 429 431 433 435

§ 126 III BRRG; dazu Wind, ZBR 1984, 167ff. Weitere Besonderheiten sind: § 52 Nr. 4 VwGO (Gerichtsstand); § 127 BRRG (erweiterte Zulassung der Revision, Nachprüfung von Landesrecht). Zu Grundrechten u. Rechtsschutz im Beamtenverh.: Rottmann, ZBR 1983, 77ff. Ule, VVDStRL 15 (1957) S. 152ff. Vgl. dazu Ule, VerwProzR, Anhang zu § 32 V mit zahlreichen Beispielen. K. Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 168 ff. Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 25, 26 zu Art. 19 IV, der insoweit keine Besonderheiten für Klagen im Beamten Verhältnis anerkennt; Paetzold, DVB1. 1974, 454ff., 455. Vgl. dazu Kopp, VwVfG, Rdnr. 47 - 51. BVerwGE 14, 84. Vgl. auch OVG Münster ZBR 1978, 66. BVerwGE 16, 343. 4 3 0 BVerwG DÖV 1954, 374. BVerwG ZBR 1965, 85. 4 3 2 BVerwGE 19, 19. Bad.-Württ. VGH ZBR 1960, 19. 4 3 4 BVerwG ZBR 1959, 224. OVG Münster ZBR 1962, 13. 4 3 6 VGH Bad.-Württ. ZBR 1975, 322.

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wenn die Anordnung seine Belange zu beeinträchtigen geeignet ist436". Auch gegen dienstliche Beurteilungen437 und gegen mißbilligende Äußerungen des Dienstvorgesetzten438 ist verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegeben. Dagegen ist die Anfechtbarkeit verneint worden für: Aufforderung zur Eidesleistung439, Umsetzung (es sei denn, es wird der subjektive Rechtsstand des Beamten berührt440), Festsetzung des Kaufkraftausgleichs für Beamte mit dienstlichem Wohnsitz im Ausland441, Versagung einer Dienstreisegenehmigung442. Auch für beamtenrechtliche Streitigkeiten gelten die Regelungen der §§ 80 und 123 VwGO (Suspensiveffekt bzw. einstweilige Anordnung)442®. IV. Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist teils vom Beamtenrecht verschieden, teils ihm auch sehr ähnlich; es ist deshalb besonders wichtig, weil die Angestellten und Arbeiter mit fortschreitender Entwicklung der modernen Industriegesellschaft Stellen mit wachsender Verantwortung ausfüllen und zahlenmäßig die größte Gruppe innerhalb des öffentlichen Dienstes bilden443. Die große Bedeutung des Rechts der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst steht in auffallendem Kontrast zu der — gemessen am Beamtenrecht — weitaus spärlicheren Behandlung in der Rechtswissenschaft443®. 1. Begriff der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst Die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst sind Arbeitnehmer, die in den Diensten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen, ohne Beamte im staatsrechtlichen Sinne zu sein. Die Abgrenzung erfolgt also 436aOVG 437

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j)ÖD 1981, 276.

BVerwGE 21, 129; 28, 191 ff. - Vgl. auch oben S. 55. 438 VGH Bad.-Württ. ZBR 1977, 165. 439 OVG Münster DVB1. 1951, 418; a. A.: Ute, VerwProzR, 8. Aufl. 1983, Anh. zu § 32 V 1. 440 OVG Münster DVB1. 1974, 472. Vgl. auch oben S. 71. 441 OVG Münster ZBR 1975, 128; BVerwG ZBR 1975, 226ff.; vgl. dazu auch Buhren, ZBR 1975, 205 ff. 442 BayVGH ZBR 1973, 218 f. ^ " V g l . aber VGH Mannheim NVwZ 1983, 41 (keine aufschiebende Wirkung bei vorläufigem Rechtsschutz gegen Ernennung eines Mitbewerbers). 443 Dazu oben S. 14. 443a Vgl. dazu Isensee, Der Tarifvertrag als Gewerkschafts-Staats-Vertrag, in: Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum im demokratischen Staat. Beiträge zum Dienstrecht und zur Dienstrechtsreform, 1975, S. 23 ff. (S. 25).

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nach einem formalen Kriterium444 Unbeachtlich ist mithin, ob die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst hoheitliche oder nichthoheitliche Aufgaben erfüllen; auch wenn sie Hoheitsbefugnisse ausüben, was allerdings wegen des nach h. L. nur für den öffentlichen Dienst im engeren Sinne (d. h. für Beamte) geltenden Funktionsvorbehaltes in Art. 33 IV GG nur ausnahmsweise zulässig ist445, so bleiben sie Angestellte und Arbeiter. Es besteht kein Anlaß, den Funktionsvorbehalt aufzugeben; jedoch werden mehr und mehr Zweifel daran geäußert, ob z. B. Lehrer in der Regel Beamte sein müssen445". 2. Begründung des Dienstverhältnisses Das Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst wird durch privatrechtlichen Dienstvertrag begründet. Ob ein Dienstverhältnis als Angestellter oder als Arbeiter begründet werden soll, hängt vom Willen der Vertragspartner und von den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen ab. Die Ausgestaltung der Dienstverhältnisse richtet sich grundsätzlich nach den Tarifverträgen. Für die Angestellten des Bundes, der Länder und Gemeinden gilt der Bundesangestelltentarif (BAT) vom 23. Februar 1961446, für die Arbeiter des Bundes der (zweite) Manteltarifvertrag (MTB II) vom 27. Februar 1964, für die Arbeiter der Länder der (zweite) Manteltarifvertrag (MTL II) vom 27. Februar 1964 und für die Arbeiter der Gemeinden der (zweite) Bundesmanteltarifvertrag (BMT-G II) vom 31. Januar 1962. Daneben gibt es für spezielle Berufsgruppen (z. B.: BBahn; BPost; künstlerisches Personal der Theater) noch spezielle Sonder-Tarifverträge. 3. Inhalt des Dienstverhältnisses Das Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist ein privatrechtlich begründetes und damit formell privatrechtliches Rechtsverhältnis, das aber inhaltlich (materiell) dem Beamtenrecht stark angenähert ist. Es bildet daher ein Dienst- und Treueverhältnis besonderer Art. Sein Inhalt ergibt sich im einzelnen aus den genannten Tarifverträgen und

444

Dazu oben S. 8. Grundsätzlich zum Funktionsvorbehalt Benndorf, DVB1. 1981, 23ff.; Isensee, HdbVerfR, S. 1170ff.; Loschelder, ZBR 1977, 265ff. m. w. Hinw.; Matthey, in: von Münch, GGK, Bd. 2, Rdnr. 30 zu Art. 33 ; Stern, StaatsR I, S. 348 ff. ^ " Z u t r e f f e n d bejahend Leisner, ZBR 1980, 361 ff.; skeptisch Bull und Rudolf, W D S t R L 37 (1979), S. 303. 446 H. Clemens / O. Scheuring / W. Steingen / F. Wiese / H. Fohrmann, Kommentar zum Bundes-Angestelltentarifvertrag - BAT - , 1961 ff., Stand: Juni 1982; H. Spiertz, BAT. Vergütung der Angestellten. Vergütungstabellen, 2. Aufl., 1978.

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aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (z.B. §§611 ff. BGB, 105ff. GewO); häufig wird auch auf beamtenrechtliche Vorschriften verwiesen447. Als wichtigste Pflichten seien hier genannt: die Pflicht zur gewissenhaften und unparteiischen Diensterfüllung, die Pflicht zur Befolgung von Weisungen, die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, die Pflicht, keine Belohnungen in bezug auf eine dienstliche Tätigkeit anzunehmen, die Genehmigungspflicht für Nebentätigkeiten, die Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung (Verfassungstreue)448 und die Pflicht innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordern 449 . Abweichend vom Beamtenrecht besteht keine Remonstrationspflicht. Auch ist kein Diensteid, sondern nur ein Gelöbnis zu leisten449"; in der Verweigerung des Gelöbnisses wird ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gesehen450. Neben dem Recht auf Dienstbezüge451 (hier nicht: Alimentationstheorie) haben die Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ein Recht auf Schutz und Fürsorge452 (z. B. durch Beihilfen), Einsicht in die Personalakten, Anhörung vor Aufnahme von ungünstigen Beurteilungen in die Personalakten453 und ein Recht auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses454. Umstritten ist, ob ihnen das Streikrecht zusteht. Die neuere und wohl h. L. bejaht dies im Prinzip455, macht aber Ausnahmen für die Erfüllung lebenswichtiger Funktionen4553. Gewisse Notdienstpflichten sind jedenfalls auch dem Streikrecht 447

Z. B. § 32 BAT. BVerfGE 39, 334 (355f.); BVerwGE 62, 364 (374); BAG NJW 1981, 71 ff.; BAG NJW 1983, 1812f.; BAG PersV 1983, 325 (330). Zu Unstimmigkeiten in der Rspr. des BAG: Battis, NJW 1982, 973ff.; Lecheler, JZ 1984, 81. GKÖD IV, Rz.l9ff. zu § 8 BAT. 449 Vgl. §§6, 8, 9, 11 BAT; §§9, 11, 12, 13 MTB II; §§9, 11, 12, 13 MTL II; §§ 8, 10 BMT-G II. 4493 Vgl. §§1, 2 G über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (VerpflichtungsG) vom 2. März 1974 (BGBl. 1974 I, S. 547). 450 Otto, a. a. O., S. 51. 451 Vgl. §§ 26ff. BAT; §§21 ff. MTB II; §§21 ff. MTL II; §§ 18ff. BMT-G II. - Zur Versorgung vgl. Gilbert / Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes (Loseblatt), 1975 ff. 452 Bsp.: Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über die Steuerpflichtigkeit eines dem Arbeitnehmer gezahlten Honorars (BAG RiA 1978, 20). 453 Fürsorgepflichtverletzung, wenn Strafurteile in Personalakten gelangen, obwohl sie beschränkter Auskunft unterliegen (BAG RiA 1978, 19). 454 Vgl. § 13 BAT, § IIa MTB II; § 13a MTL II; § 11 a BMT-G II. 455 Scholz, in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 379 zu Art. 9; F. Wagener, VVDStRL 37 (1979), S. 228 Fn. 49; Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 293f.; a. A.: Isensee, Beamtenstreik, 1971, S. 38; Leisner, ZBR 1975, 74f. Weitere Hinw. zu beiden Ansichten bei Stern, StaatsR I, S. 374; A. Janssen, Das Streikrecht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst und der „Dritte Weg" der Kirchen, 1982. 455a Nachw. bei H. P. Schneider, RdA 1982, 106 Fn. 29; speziell zum Streik in kommunalen Versorgungsunternehmen: von Münch, DÖV 1960, 294ff. 448

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der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst immanent. Das Streikrecht der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wird nicht verletzt durch die an Beamte gerichtete Anordnung sog. Streikarbeit (str.)455b. 4. Beendigung des Dienstverhältnisses Das Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst kann — abgesehen vom Todesfall, von Vereinbarung der Beteiligten oder vom Zeitablauf bei Dienstverhältnissen auf Zeit455c — durch ordentliche oder außerordentliche (fristlose) Kündigung enden. Abweichend von anderen privatrechtlich begründeten Arbeitsverhältnissen gelten für die ordentliche Kündigung längere Fristen; nach 15 Jahren Dienst (aber frühestens nach Vollendung des 40. Lebensjahres) ist eine ordentliche Kündigung nicht mehr möglich456. Die außerordentliche Kündigung kann nur aus wichtigem Grund erfolgen 457 . Zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung sind, wie für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Dienstverhältnis der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst, die Arbeitsgerichte zuständig. Disziplinarverfahren kennt das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst nicht. Grundlage des Versorgungssystems der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst ist das allgemeine Sozialversicherungsrecht; jedoch haben die Tarifverträge eine Zusatzversorgung geschaffen, deren Ziel eine dynamische Gesamtversorgung ist, die mit der Höhe des Ruhegehalts der Beamten konkurrieren kann 458 . Für Rechtsstreitigkeiten aus der Zusatzversorgung ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet, da die Rechtsbeziehungen der Rentner zur Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (anders als zu den Trägern der Sozialversicherung) privatrechtlicher Natur sind459.

V. Personalvertretung Das Personalvertretungsrecht ist eine wichtige Erscheinungsform des kollektiven öffentlichen Dienstrechts459". Grundgedanke des Personalvertretungsrechts ist es, mit den Personalvertretungen Stellen zu schaffen, die — im 455b

BVerwG ZBR1984, 238ff.; VG Düsseldorf ZBR 1982, 241; Badura /Stern, Die Rechtmäßigkeit des Beamteneinsatzes beim Streik der Tarifkräfte, 1983; v. Münch, DÖV 1982, 337ff.; a. A.: Menkens, RdA 1982, 101 ff. (104); G. Müller, RdA 1982, 86ff. (95); H.-P. Schneider, RdA 1982, 104ff.; Söllner, AuR 1982, 233ff. 455c Zu befristeten Arbeitsverträgen im öffentlichen Dienst vgl. BAG DUZ 1979, 224; Lecheler, JZ 1984, 80f. (auch zum „Kettenarbeitsvertrag"). Unzutreffend F. Jobs / P.Bader, Beil. Nr. 21/81 zu DB 1981 H. 38, S. 6, die Förderung wissenschaftl. Nachwuchses sei kein sachlicher Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses. 456 Vgl. § 55 BAT. 457 Vgl. § 54 BAT. 4 5 8 Vgl. Otto, a. a. O., S. 76. 459 BSG NJW 1972, 2151 f.; Otto, a. a. O., S. 77. 459aygj j p a b e r Personalvertretung und Mitbestimmung im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, 1979.

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Spannungsfeld zwischen sozialem Schutzauftrag und demokratischer Regierungsverantwortung stehend 460 — zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und der menschlichen Beziehungen beitragen. Das Bundespersonalvertretungsgesetz 461 und die innerhalb der Rahmenvorschriften (Art. 75 Nr. 1 GG) 461 * der § § 9 5 - 1 0 6 BPersVG zulässigen Personalvertretungsgesetze der Länder 462 bilden also eine die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes berücksichtigende Parallele zum BetriebsverfassungsG 463 . Das Bundespersonalvertretungsgesetz von 1974 464 hat gegenüber dem vorher geltenden Recht die Stellung der Gewerkschaften im System der Personalvertretung ausgebaut, den Schutz für die Träger personalvertretungsrechtlicher Funktionen unterstrichen, die Stellung des Personalrates gestärkt, die Jugendvertretung mit erheblichen Rechten ausgestattet und vor allem die förmlichen Beteiligungsrechte der Personalvertretungen bei innerdienstlichen Maßnahmen des Dienststellenleiters erweitert. 460

Dazu: Söllner, RdA 1976, 64ff. BPersVG vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 693), zuletzt geänd. durch G vom 10. Mai 1980 (BGBl. I, S. 561). Dazu Wahlordnung (BPersVWO) vom 23. Sept. 1974 (BGBl. I S. 2337); zu dieser vgl. H. Dietrich, ZBR 1975, 46ff. - Zu den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder vgl. R. Dietz / R. Richardi, Bundespersonalvertretungsgesetz unter Berücksichtigung der Landespersonalvertretungsgesetze, 2. Aufl. 1978; Fischer / Goeres, Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder, 1975; R.Geffken, Bundespersonalvertretungsgesetz, 1976; Grabendorff/ Windscheid / Ilbertz, Bundespersonalvertretungsgesetz, mit Wahlordnung 5. Aufl. 1981; U. Lorenzen / K. Eckstein, Bundespersonalvertretungsgesetz, 4. Aufl. 1975ff.; R. Weis, Personalvertretungsrecht in Rechtsprechung und Schrifttum (Bund und Länder), 1978ff.; K. Winkler, Die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder. Entscheidungsslg.; 1973ff.; M.Schwarz / A. Killinger, Das neue Personalvertretungsrecht in Baden-Württemberg, PersV 1976, 281 ff.; K. Schelter, Bayerisches Personalvertretungsgesetz, 1978; C. H. Germelmann, Personalvertretungsgesetz Berlin, 1975ff.; R. Großmann / R. Mönch / U. Rohr, Bremisches Personalvertretungsgesetz, 1979; H. Engelhardt / G. Ballerstedt / Schleicher, Personalvertretungsgesetz für das Land Niedersachsen, 3. Aufl. 1973; R.Spohn, Personalvertretungsgesetz für das Land Niedersachsen, 1977; Hävers, Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl. 1979; W. Hanßen / E. Krieg / K. Orth / H. Welkoborski, Kommentar zum Landespersonalvertretungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 1977; H. Schmidt / F. J. Reinartz, Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 1975; Donalies, Personalvertretungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, 1977. 461 "Zum Umfang der weitgehend eigenständigen Regelungsbefugnis der Länder innerhalb dieses Rahmens vgl. BVerfGE 7, 127; 9, 288; 51, 54. - Unmittelbar für die Länder geltende Vorschriften sind die §§ 107-109 BPersVG (zu § 108 II: BVerfGE 51, 52 f.). 462 Eine Übersicht über die z. Zt. in den Bundesländern geltenden Personalvertretungsgesetze findet sich in Grabendorff / Windscheid / Ilbertz, a. a. O., S. 82 f. 463 K. Fitting/ F. Auffahrt / H. Kaiser, Betriebsverfassungsgesetz nebst Wahlordnung, 13. Aufl. 1981, A n m . 4 z u § 130. 464 Dazu Dietrich, ZBR 1974, 113 ff.

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Organe der Personalvertretung, die bei jeder Dienststelle (Behörde) eingerichtet werden müssen, sind der Personalrat und die Personalversammlung. Zu Einzelheiten gibt es inzwischen eine kaum noch übersehbare Rechtsprechung464". 1. Personalrat Der Personalrat wird von den Beschäftigten der Dienststelle4641' nach dem Prinzip der Gruppenwahl in geheimer und unmittelbarer Wahl465 gewählt, d. h. die Beamten, Angestellten und Arbeiter wählen in getrennten Wahlgängen nach dem Prinzip der Verhältniswahl so viele Personalratsmitglieder, wie es ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Bediensteten in der Dienststelle entspricht 466 ; wichtig ist dabei auch der Minderheitenschutz für zahlenmäßig schwache Gruppen 467 . Wahlbewerber dürfen — allerdings nur in eng begrenztem Umfang — für sich Wahlwerbung betreiben467®. Der Personalrat ist Repräsentant der Gesamtheit der Beschäftigten. Die Personalratsmitglieder müssen sich deshalb bei ihrer Tätigkeit so verhalten, „daß das Vertrauen der Verwaltungsangehörigen in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung nicht beeinträchtigt wird' l467b . Obwohl die Personalvertretungen nicht zur Unterstützung der spezifischen Ziele der Koalitionen tätig werden467®, ist gewerkschaftliche Werbung durch Personalratsmitglieder nicht absolut verboten; eine solche Werbung ist jedoch dann pflichtwidrig, wenn sie „nachhaltig und unter Drwcfc"betrieben wird46™. Die Abwahl eines Personalratsmitgliedes während der laufenden Wahlperiode ohne besonderen Grund ist nicht möglich467*. Personalratsmitglieder sind zur Erfüllung ihrer Aufgaben ganz oder teilweise von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen467f. Eine Freistellung hat auch für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zwecks Erlangung der erforderlichen personalvertretungsrechtlichen Kenntnisse zu ^ » V g l . z. B. die Zusammenstellung von Windscheid, ZBR 1980, 258 ff. 464b Zum Begriff der Beschäftigten einer Dienststelle vgl. BVerwG ZBR 1981, 69. 465 Vgl. § 19 I BPersVG. Nachträgl. Verzicht auf Wahlgeheimnis ist - auch zur Aufdeckung des Verdachts von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl — unzulässig: BVerwGE 49, 75 ff. Zur Wahlanfechtungsbefugnis einer gewerkschaftlichen Spitzenorganisation (verneinend) BVerwGE 61, 334ff. Zur gerichtl. Überprüfung von Personalratswahlen vgl. G.-St. Thiele, PersV 1976, 401 ff. 466 Vgl. §§ 5, 17 BPersVG. 467 Vgl. § 33 S. 2 BPersVG. 467a VG Sigmaringen ZBR 1979, 346 m. zust. Anm. von Windscheid. S. 347. ^ V g l . § 67 I S. 2 BPersVG u. die entspr. Best, in den LPersVG. 467c BVerfGE 51, 77ff. 4 6 1d BVerwG ZBR 1979, 377. " ^ B V e r f G E 51, 77ff. (Brem. PersVG) m. Anm. R. Mönch, DVB1. 1979, 462ff. Zum Ausschluß eines Personalratsmitgliedes vgl. BVerwG ZBR 1980, 191. ^ " V g l . §46 III-V BPersVG. Vgl. BVerwG ZBR 1981, 106; zur Rechtsnatur einer Streitigkeit über die Auswirkung der Freistellung vom Dienst eines beamteten Personalratsmitgliedes auf die Arbeitszeitberechnung BVerwG ZBR 1981, 288.

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erfolgen, was in der Praxis häufig zu Streitfällen führt 4678 . Der Personalrat ist das geschäftsführende Organ der Personalvertretung 468 . Zusammen mit der Dienststelle hat er darüber zu wachen, daß alle in der Dienststelle tätigen Personen nach Recht und Billigkeit behandelt werden469. Der Personalrat kann Beschwerden entgegennehmen und ist vor allem in sozialen Angelegenheiten, in Fragen des Arbeitsschutzes und in Personalangelegenheiten mitbeteiligt470. Die Beteiligung ist abgestuft nach voller Mitbestimmung, eingeschränkter Mitbestimmung und Mitwirkung. Maßnahmen, die der sog. vollen Mitbestimmung471 unterliegen — z. B. Einstellung von Angestellten und Arbeitern471®, Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit472, Gestaltung der Arbeitsplätze von Angestellten und Arbeitern, Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs4723, Zuweisung und Kündigung von Dienstwohnungen 473 , Sozialeinrichtungen473®, Beurteilungsrichtlinien 473b , Inhalt von Personalfragebogen für Angestellte und Arbeiter4730, Regelung der Ordnung in der Dienststelle und des Verhaltens der Beschäftigten47311 — können nur mit Zustimmung des Personalrates getroffen werden. Verweigert der Personalrat die Zustimmung und kommt eine Einigung nicht zustande, so kann der Leiter der Dienststelle oder der Personalrat die betreffende Angelegenheit der obersten Dienstbehörde vorlegen. Im Fall der Nichteinigung zwischen der obersten Dienstbehörde und der an ihr bestehenden Personalvertretung entscheidet endgültig eine unabhängige Einigungsstelle474. 467

«Vgl. § 46 VI BPersVG. Vgl. dazu BVerwG ZBR 1979, 23 ff. und - auch zum Unterschied zwischen § 46 VI und § 46 VII - BVerwG ZBR 1979, 310ff. 468 Zu Aufgaben und Funktion des Personalrats vgl. O. E. Starke, DÖV 1975, 899ff.; zur Anfechtung von Beschlüssen des Personalrats vgl. Windscheid, PersV 1977, 125 f. 469 Vgl. § 67 I S. 1 BPersVG. 470 Vgl. §§ 75 ff. BPersVG. 471 Vgl. § 75, 76 BPersVG. 471 'Verlängerung eines Zeitvertrages ist eine Einstellung i. S. des § 75 I Nr. 1 BPersVG: BVerwG ZBR 1979, 279. 472 Zur Frage, ob dazu auch die Anordnung bzw. Festsetzung von Überstunden gehört, vgl. Schwerdtfeger, ZBR 1977, 176ff. 472a Modellversuch einer Privatisierung, der die Arbeitsplätze unberührt läßt, fällt nicht hierunter: BVerwG ZBR 1981, 257ff. (Bahnbusverkehr). 473 Dazu Sennekamp, ZBR 1975, 75ff. 4 7 3 a BVerwG ZBR 1979, 342ff. 473b BVerwG ZBR 1981, 71 ff. („Orientierungsbeurteilungen"). 4730 Zum Begriff Personalfragebogen: BVerwG ZBR 1981, 132f. 473dg 75 i n Nr. 5 BPersVG erfaßt nur generelle, von allen zu beachtende Vorschriften nicht jedoch Einzelmaßnahmen wie die Mißbilligung eines Arbeitnehmers: BVerwG DVB1. 1979, 469 f. (dort auch zur Überprüfung der Arbeitsplätze). 474 Vgl. §§69 IV S. 1, 71 BPersVG. Zu Errichtung, Verfahren und Entscheidung H. Kunze, PersV 1977, 161 ff.; zur gerichtl. Überprüfung ihrer Beschlüsse: M. Witzel, PersV 1977, 281 ff.

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Maßnahmen, die der sog. eingeschränkten Mitbestimmung475 unterliegen — z. B. Einstellung476, Beförderung, Abordnung von Beamten — können ebenfalls nur mit Zustimmung des Personalrates getroffen werden. Bei Verweigerung der Zustimmung und im Fall der Nichteinigung beschließt die Einigungsstelle eine (rechtlich nicht bindende) Empfehlung an die oberste Dienstbehörde, die sodann selbst entscheidet477. Mitbestimmung in Personalangelegenheiten von künstlerischem Personal verstößt nicht von vornherein gegen die Freiheit der Kunst (Art. 5 III S. 1 GG)477a. Bei Maßnahmen, die nur der Mitwirkung78 unterliegen — z. B. Vorbereitung von Verwaltungsanordnungen einer Dienststelle für die innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs, Auflösung, Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen, Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen Beamte479, Kündigung von Arbeitnehmern, Entlassung von Beamten auf Probe oder auf Widerruf (wenn sie die Entlassung nicht selbst beantragt haben)479® — braucht der Personalrat nur gehört xa werden480. In Eilfällen („bei Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden") kann der Dienststellenleiter bis zur endgültigen Entscheidung vorläufige Regelungen treffen480". Im Fall der Nichteinigung entscheidet ohne Einschaltung der Einigungsstelle die nächsthöhere Dienststelle, und — wenn wiederum keine Einigung erfolgt — die oberste Dienstbehörde (sog. dreistufiges Verfahren). Erfüllt eine beabsichtigte Maßnahme mehrere Beteiligungstatbestände, die unterschiedliche Beteiligungsrechte auslösen, so greift nur das weniger weitge475

Vgl. § 76 BPersVG. Ein Beteiligungsrecht an den der Entschlußfassung vorausgehenden Tätigkeiten — z. B.: Einstellungsgespräch - besteht nicht: OVG Rh.-Pfalz DÖV 1977, 858ff. 477 Vgl. §§ 69 IV S. 3 u. 4, 71 BPersVG. Zur Zustimmungsverweigerung allg. vgl. W. Franz, ZBR 1980, 143 ff. 477a BVerwGE 62, 55ff. (Stadttheater Bremerhaven), bestätigt durch BVerfG ZBR 1983, 107. Vgl. dazu auch Küttig, DÖV 1982, 765ff.; Kunig /Meirowitz, JuS 1984, 288ff.; H. P. Ipsen, DVB1. 1982, 112ff.; Ossenbühl, DÖV 1983, 785ff. 478 Vgl. §§ 78, 79, 72 IV BPersVG. 479 Dazu Weinmann, ZBR 1975, 136ff.; nicht aber bei nichtförmlichen Disziplinarmaßnahmen: Windscheid, ZBR 1975, 280f. Allg. dazu Schnupp, PersV 1978, 280ff. 479 "Unterbliebene Anhörung kann nicht im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden: BVerwGE 66, 291 ff. 480 Dazu P. Bopp/J. Goller, Beteiligung des Betriebs- und Personalrats bei Kündigungen, 1979. — In einigen Bundesländern (so in Hessen — § 64 I Nr. 2 g hess. PersVG) steht dem Personalrat bei der ordentlichen Kündigung nicht nur ein Mitwirkungsrecht, sondern ein Mitbestimmungsrecht zu; dies gilt nicht für ein faktisches Arbeitsverhältnis oder eine ohne Wissen des Arbeitgebers aufgenommene Tätigkeit: BVerwG ZBR 1979, 279 f. 480a Vgl. § 69 V BPersVG. Für weite Auslegung R. Fischer, ZBR 1979, 322 ff., für enge Auslegung K. Klein, ZBR 1980, 57 f. 476

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hende Beteiligungsrecht ein, wenn der Gesetzgeber unter Beachtung der rahmenrechtlichen Vorschrift des § 104 BPersVG nur diese schwächere Form der Beteiligung gewähren wollte480b. Die Folgen der unterlassenen Beteiligung sind jedoch in allen Fällen gleich, nämlich Rechtswidrigkeit (d. h. bei einem Verwaltungsakt Anfechtbarkeit) der getroffenen Maßnahme 481 . Dienststelle und Personalrat sollen vertrauensvoll zusammenarbeiten, dürfen den Frieden in der Dienststelle nicht gefährden und keine Arbeitskampfmaßnahmen gegeneinander führen 482 . Der Personalrat darf sich in der Dienststelle nicht parteipolitisch betätigen483, auch nicht die einzelnen Personalratsmitglieder 484 . Der Aufbau der Personalvertretung soll den Verwaltungsaufbau der Behörden widerspiegeln. Deshalb werden im Bereich mehrstufiger Verwaltungen bei den Mittelbehörden Bezirkspersonalräte, bei den obersten Dienstbehörden Hauptpersonalräte gebildet (sog. Stufenvertretung)485. Sinn dieser der behördlichen Verwaltungshierarchie entsprechenden Gestaltung ist es, zu vermeiden, daß die übergeordnete Behörde auf Grund ihres allgemeinen Weisungsrechtes oder im Bereich ihr vorbehaltener Entscheidungen gegenüber der untergeordneten Behörde den Einfluß der zur Beteiligung berechtigten Personalvertretung ausschalten könnte 486 . Die Frage, wer im Beschluß verfahren in Personalvertretungssachen Beteiligungsbefugnis besitzt, ist Tatfrage des Einzelfalles und nach materiellem Recht zu entscheiden486®. 2. Personalversammlung Die Personalversammlung ist die Versammlung aller Bediensteter der Dienststelle487. Sie findet als ordentliche Personalversammlung einmal im Jahr statt, sowie bei Bedarf als außerordentlich einberufene Versammlung. Auf der ordentlichen Personalversammlung erstattet der Personalrat einen Tätigkeitsbericht; im übrigen kann die Personalvertretung durch Anträge an den Personalrat und Stellungnahmen zu seinen Beschlüssen alle Angelegenheiten behandeln, die in die Zuständigkeit des Personalrates fallen.

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BVerwG ZBR 1981, 72f. (BlnPersVG). Dazu Scheerbarth / Höflken, S. 546f. 482 Vgl. § 66 II BPersVG. 483 Vg. § 67 I S. 3 BPersVG; zur gewerkschaftl. Betätigung vgl. oben S. 63, 85. 484 OVG Berlin ZBR 1976, 92 f. 485 Vgl. § 53 ff. BPersVG. 486 BVerwGE 7, 255. 486a Dazu Windscheid, ZBR 1980, 114f. - Vgl. auch BVerwG ZBR 1980, 59ff. (auch zum Begriff der Einführung einer grundlegend neuen Arbeitsmethode). 487 Vgl. §§48 ff. BPersVG. 481

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VI. Bundes-(Landes-)Personalausschuß Zur Objektivierung der Personalverwaltung 488 ist im Bund und in den meisten Bundesländern ein als unabhängiges, nicht an Weisungen gebundenes Organ konstituierter Bundes-(Landes-)Personalausschuß gebildet worden 489 . Die Aufgaben z. B. des Bundespersonalausschusses sind 490 : Mitwirkung bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse; Mitwirkung bei der Vorbereitung über die Ausbildung, Prüfung und Fortbildung von Beamten; Entscheidung über die allgemeine Anerkennung von Prüfungen; Stellungnahme zu Beschwerden von Beamten und zurückgewiesenen Bewerbern in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung; Vorschläge zur Beseitigung von Mängeln in der Handhabung der beamtenrechtlichen Vorschriften. Neben der Mitwirkung in Form des Beratungsrechtes hat der Bundespersonalausschuß aber auch Entscheidungsrechte 491 (z. B. Entscheidung über die Ausnahme vom Verbot der Sprungbeförderung). Soweit dem Bundespersonalausschuß Entscheidungsrechte übertragen sind, binden seine Beschlüsse die Behörde in der Weise, daß sie eine entsprechende Maßnahme treffen bzw. unterlassen muß. Die Entscheidung des Bundespersonalausschusses ist aber, da sie nur Voraussetzung für den Verwaltungsakt der Behörde ist, selbst kein Verwaltungsakt492. Die bisherige Tätigkeit der Personalausschüsse hat sich bewährt.*

488 489 490 491 492

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E. Plog/A. Wiedow / G. Beck, BBG, Vorbem. 2 vor § 95. Vgl. §§ 95ff. BBG; § 61 BRRG („Landespersonalämter"). Vgl. § 98 BBG. Vgl. §§ 8 II S. 2, 21 S. 2, 22 II, 24 S. 3, 41 II S. 1 BBG. E. flog / A. Wiedow / G. Beck, BBG, Randnr. 14 zu § 98. Zur Zulässigkeit der Klage eines Kommunalverbandes gegen eine beamtenrechtliche Entscheidung des Landespersonalausschusses BVerwGE 31, 345. Für wertvolle Mitarbeit danke ich Herrn Referendar Klaus Andreas Nagel

ZWEITER ABSCHNITT Eberhard Schmidt-Aßmann

Kommunalrecht

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Die einzelnen Kommunalgesetze Baden- Württemberg: GemeindeO vom 25.7. 1955 idF vom 3. 10.1983 (GBl. S. 578), LandkreisO vom 10. 10.1955 idF vom 22. 12. 1975 (GBl. 1976 S. 40), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. 7. 83 (GBl. S. 369). NachbarschaftsverbandsG vom 9. 7. 1974 (GBl. S. 261). Gesetz über kommunale Zusammenarbeit idF vom 16. 9. 1974 (GBl. S. 408), zuletzt geändert am 29. 6.1983 (GBl. S. 229). Bayern: GemeindeO vom 25. 1. 1952 idF vom 26. 10. 1982 (GVB1. S. 903). LandkreisO vom 16. 2. 1952 idF der Bekanntmachung vom 26. 10. 1982 (GVB1. S. 928, ber.S. 1136). Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit vom 12.7.1966 (GVB1. S. 218, ber S. 314), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. 7. 1982 (GVB1. S. 471). VerwaltungsgemeinschaftsO für den Freistaat Bayern idF der Bekanntmachung vom 26. 10. 1982 (GVB1. S. 965). Berlin: Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Berliner Verwaltung vom 2. 10. 1959 (GVB1. S. 947), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. 12. 1976 (GVB1. S. 2735). Bezirksverwaltungsgesetz von Berlin idF vom 5. 7. 1971 (GVB1. S. 1169), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. 12. 1978 (GVB1. S. 2272). Bremen: Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter im Gebiet der Stadtgemeinde Bremen vom 9. 4. 1979 (Brem.GBl. S. 115, ber. Brem.GBl. 1979, S. 223). Hamburg: BezirksverwaltungsG der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22. 5. 1978 (GVB1. S. 178), geändert durch Gesetz vom 19. 5. 1982 (GVB1. S. 117). Hessen: GemeindeO vom 25. 2. 1952 idF vom 1. 4. 1981 (GVB1.1 S. 66). Gesetz über den Umlandverband Frankfurt vom 11. 9. 1974 (GVB1. I S. 427), geändert durch Gesetz vom 26. 10.1976 (GVB1.1 S. 428). Hessische LandkreisO vom 25. 2. 1952 idF vom 1. 4. 1981 (GVB1.1 S. 97). Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 16.12. 1969 (GVB1.1 S. 307), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. 6. 1978 (GVB1.1 S. 420). Niedersachsen: Niedersächsische GemeindeO idF vom 22. 6. 1982 (Nds. GVB1. S. 229). Niedersächsische LandkreisO idF vom 22. 6. 1982 (Nds. GVB1. S. 256). Gesetz über den Verband Großraum Hannover idF der Bekanntmachung vom 2. 11. 1977 (GVB1. S. 569), geändert durch Gesetz vom 31. 5. 1978 (GVB1. S. 467). ZweckverbandsG vom 7. 6. 1939 idF der Verordnung vom 11.6. 1940 (RGBl. I S. 876), geändert durch Gesetz vom 21.6. 1972 (GVB1. S. 309). Nordrhein- Westfalen: GemeindeO idF der Bekanntmachung vom 1. 10. 1979 (GV NW S. 594). KreisO idF der Bekanntmachung vom 1. 10. 1979 (GV NW S. 612). Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit idF der Bekanntmachung vom 1. 10. 1979 (GV NW S. 621). Rheinland-Pfalz: GemeindeO vom 14. 12. 1973 (GVB1. S. 491), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.3. 1983 (GVB1. S.31).

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LandkreisO vom 14.12.1973 (GVB1. S. 451), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 12. 1982 (GVB1. S. 463). Zweckverbandsgesetz vom 22. 12. 1982 (GVB1. S. 476). Saarland: KommunalselbstverwaltungsG idF der Bekanntmachung vom 1. 9. 1978 (ABl. S. 801), geändert durch Gesetz vom 25. 11. 1981 (ABl. S. 945). Gesetz über die kommunale Gemeinschaftsarbeit vom 26. 2. 1975 (ABl. S. 490). Schleswig-Holstein: GemeindeO vom 24. 1. 1950 (GVOB1. S. 25) idF vom 11.11. 1977 (GVOB1. S. 410), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 12. 1982 (GVOB1. S. 308). KreisO vom 27. 2. 1950 (GVB1. S. 49) idF vom 11. 11. 1977 (GVB1. S. 436), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. 12. 1982 (GVOB1. S. 308). AmtsO vom 17.6.1952 (GVB1. S. 95) idF der Bekanntmachung vom 11.11.1977 (GVB1. S. 448). Landesverordnung über Nachbarschaftsausschüsse vom 29. 10. 1974 (GVB1. S. 412). Landesverordnung über Ortsbeiräte vom 6. 2. 1970 (GVB1. S. 39), geändert durch Landesverordnung vom 19. 9. 1973 (GVB1. S. 326). Gesetz über kommunale Zusammenarbeit idF der Bekanntmachung vom 11. 11. 1977 (GVB1. S. 455).

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Gliederung Vorbemerkung 1. Begriffe 2. Gesetzliche Grundlagen 3. Zur Entwicklung des Kommunalwesens 4. Statistische Angaben I. Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden 1. Die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung a) Rechtssubjektsgarantie b) Rechtsinstitutionsgarantie aa) Universalität bb) Eigenverantwortlichkeit cc) Gesetzesvorbehalt dd) Sog. Gemeindehoheiten c) subjektive Rechtsstellungsgarantie d) Erstreckungsgarantien 2. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden im Grundgesetz a) partielle Finanzgarantien b) Grundrechte aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfüllung bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit 3. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen II. Gemeinden und Staatsaufsicht 1. Aufgaben der Gemeinden a) Aufgabendualismus aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten bb) Auftragsangelegenheiten b) Aufgabenmonismus aa) interne Gliederung bb) Weisungsaufgaben als Mischform c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum . . . . 2. Rechtsaufsicht a) Aufsichtsmittel b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz 3. Fachaufsicht a) Wesen und Regelungen b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen 4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck und Typik b) spezielle Genehmigungsvorbehalte aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium III. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) Vorbemerkungen a) Das Bild der Einheitsgemeinde

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Eberhard Schmidt-Aßmann b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden aa) kreisangehörige Gemeinden bb) kreisfreie Städte cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden 1. Gemeindeverfassungstypen (Überblick) 2. Der Gemeinderat a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus aa) Rechts- und Pflichtenstatus bb)insbesondere: Befangenheitsvorschriften b) interne Organisation und Verfahren des Rates aa) Ratsvorsitzender bb) Ratsgeschäftsordnung cc) Ratssitzungen dd) Ratsausschüsse c) Aufgaben des Gemeinderates aa) Systematik bb)Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick) 3. Der Gemeindevorsteher a) Status b) Aufgaben aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung cc) übertragene Angelegenheiten dd) Dringlichkeitsentscheidungen ee) Verwaltungschef ff) Vertretung der Gemeinde gg) Einspruchsrecht 4. Besonderheiten der Magistratsverfassung 5. Kommunalverfassungsstreit a) Grundfragen und Entwicklung b) Einzelheiten

IV. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung .. 1. Kommunalwahlen a) Grundsätze b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen a) ehrenamtliche Tätigkeiten b) neuere Beteiligungsformen aa) schlichte Mitwirkungsmöglichkeiten bb) Mitentscheidungsmöglichkeiten 3. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften V. Die Rechtsetzung der Gemeinden 1. Gemeindliche Satzungen a) Regelungstypus b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt c) Verfahren aa) allgemein bb) Verfahrensfehler d) Rechtsschutz gegen Satzungen

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Kommunalrecht 2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte a) Rechtsverordnungen b ) inneradministrative Rechtssätze V I . D i e Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner 1. öffentliche Einrichtungen a ) Begriff b ) Nutzungsrechte c) Benutzungsverhältnis aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell b b ) T y p e n Vielfalt 2. Einrichtungen mit Anschluß- und Benutzungszwang a) Tatbestand b ) Grundrechtsfragen aa) Anschlußpflichtige b b ) Anbieter gleichartiger Leistungen V I I . D i e wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde 1. Begriffe und Abgrenzungen 2. Kommunalrechtliche Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen b ) Kommunalrechtliche Schrankentrias c) Rechtsschutz 3. allgemeine wirtschaftsrechtliche Schranken 4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen a) Formenvielfalt aa) Öffentlich-rechtliche Formen b b ) Privatrechtliche Formen b ) Eigenbetriebe V I I I . Das Recht der Landkreise (Kreise) 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung a ) Rechtssubjektsgarantie b ) Rechtsinstitutionsgarantie 2. Aufgaben der Kreise a ) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung b ) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden aa) übergemeindliche Aufgaben b b ) ergänzende Aufgaben cc) ausgleichende Aufgaben d d ) d i e Kompetenz-Kompetenz 3. Die Organe des Kreises a) Kreistag b ) Landrat c) Kreisausschuß 4. Staatliche Verwaltung im Kreis

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Vorbemerkung* 1. Begriffe Als Kommunalrecht bezeichnet man die Summe derjenigen Rechtssätze, die sich auf Rechtsstellung, Organisation, Aufgaben und Handlungsformen der Kommunalkörperschaften beziehen1. Zu den Kommunalkörperschaften zählen die Gemeinden, die Landkreise, die höheren Kommunalverbände und Sonderverbände sowie die kommunalen Zweckverbände. Das Gemeinderecht ist ein Teil des Kommunalrechts — der wichtigste Teil, weil die Gemeinden die Basis des körperschaftlich gegliederten kommunalen Verwaltungsgefüges sind. Zudem enthalten die anderen Teile des Kommunalrechts oft Verweisungen auf die Regelungsgebiete des Gemeinderechts. Daher steht das Gemeinderecht im Zentrum auch dieses Beitrages (Abschnitt I — VII), während aus dem übrigen Kommunalrecht nur das Recht der Landkreise dargestellt wird (VIII). 2. Gesetzliche Grundlagen Weder für das Kommunalrecht als Ganzes noch auch für das Gemeinderecht existiert eine geschlossene systematische Kodifikation. Wohl aber besteht in jedem Flächenstaat 2 der Bundesrepublik eine Gruppe von Gesetzen, die die Hauptmaterien des Kommunalrechts abdecken. Hierzu zählen die Gemeinde- und Landkreisordnungen und die Zweckverbandsgesetze. Kommunalabgabengesetze und Vorschriften über das kommunale Eigenbetriebs-, Kassen- und Haushaltswesen ergänzen diesen engeren Kreis kommunalrechtlicher Gesetze3. Kommunalrecht ist also in seinem Kern Landesrecht. In einem weiteren Sinne freilich finden sich wichtige kommunalrechtliche Rege-

• Frau Ass. Judith Schaupp, Herrn Ref. Michael Dörschuck und Herrn cand.iur. Stephan Berdesinski danke ich für ihre Hilfe bei der Ausarbeitung der Anmerkungen und für das Lesen der Korrekturen. 1 Ähnlich Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rdnr. 1. 2 Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg unterscheiden nicht zwischen staatlicher und gemeindlicher Aufgabenträgerschaft. Zum organisatorischen Aufbau und der Binnengliederung dieser beiden Länder vgl. Machalet, HkWP Bd. 2, 264 ff. und Bekker / Schneider, HkWP Bd. 2, 265 ff. Die Landesverfassung von Bremen kennt zwar eine eigene kommunale Ebene; in der nachfolgenden Darstellung bleibt jedoch auch dieses Land wie die beiden anderen Stadtstaaten außer Ansatz. Zu Bremen vgl. Heise, HkWP Bd. 2, 310ff. 3 Vgl. die ausführliche Darstellung der Rechtsgrundlagen bei Blümel, HkWP Bd. 1, 229 ff.

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lungen in vielen Bundes- oder Landesgesetzen 4 , die einzelne Materien des Verwaltungsrechts regeln (Fachgesetze), z. B. die gemeindliche Bauleitplanung im Bundesbaugesetz, das kommunale Markt- und Jahrmarktswesen in der Gewerbeordung, Straßen-, Abfallbeseitigungs-, Schul-, Sozialhilfegesetze — sie alle haben auch ihre kommunalrechtliche Seite, denn Gemeinden und Kreise sind zentrale Verwaltungsträger und finden in diesen Gesetzen die Grundlagen für ihre einzelnen Aufgabengebiete (Verwaltungsagenden). 3. Zur Entwicklung des Kommunalwesens Das Wort Gemeinde bezieht sich ursprünglich auf ein bestimmtes Gebiet, die Allmende, eine Gemarkung, an der eine Gruppe von Personen gemeinsame Rechte und Pflichten besaß 5 . Von diesem Realvermögen übertrug sich die Bezeichnung auf die in einem als Einheit verstandenen Gebiet ansässigen Rechtsgenossen, deren Ordnung aus der Notwendigkeit zur Erledigung gemeinsamer Pflichten erwuchs. Seit dem 12. Jahrhundert entwickelte sich ein kommunales Gemeinwesen besonderer Art, die Stadt. Ihre Ursprünge liegen in den Kaufmannssiedlungen, die sich besonderen Schutzes des Königs erfreuten, und in den Märkten, in denen sich ein vielfaltiger Güteraustausch unter Sicherung des Friedens vollziehen konnte. Hier siedelten sich neben den Handeltreibenden auch Handwerker an, die ihre Wohnstätte, häufig im Schutz einer Burg gelegen, gegen Angriffe von außen befestigten. So kam der Satz auf: „Bürger und Bauern scheiden Zinnen und Mauern". Wer nämlich über Jahr und Tag unangefochten an einem solchen Ort gelebt hatte, wurde als Bürger frei von persönlichen Bindungen an eine Leib- oder Grundherrschaft, wie sie gemeinhin auf dem offenen Land die Stellung des Bauern beeinträchtigten. Die Bürgerschaft gliederte sich in Gilden und Zünfte nach verschiedenen Erwerbszweigen. Diese Verbände führten häufig einen heftigen Streit um die politische Leitung des Gemeinwesens mit der Folge, daß soziale Schichtungen innerhalb der Städte mannigfache Differenzierungen 4

5

Zu den kompetenzrechtlichen Grundlagen, BVerfGE 26, 172 (182); Stern, Staatsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, § 12 III; weit. Nachw. bei Blümel, a. a. O., 230. Die daraus resultierende Rechtszersplitterung bereitet dem Studium ebenso wie jeder vereinheitlichenden Darstellung des Kommunalrechts erhebliche Schwierigkeiten. Die nachfolgenden Ausführungen wollen mit dem Text der jeweiligen Gemeindeordnung in der Hand gelesen werden. Zum Vergleich der Gemeindeordnungen vorzüglich geeignet Schmidt-Eichstaedt / Stade / Borchmann, Die Gemeindeordnungen und die Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland (Lsbl.), mit Einführungen und synoptischen Tafeln im Anhang; vgl. dort auch die jahrgangsweise, aktualisierten Nachweise zur kommunalrechtlichen Literatur. In das wissenschaftliche Arbeiten mit kommunalrechtlichen Materialien führt ein Borchmann, HkWP Bd. 1, 48 ff. Vgl. zu den folgenden Entwicklungsabschnitten ausführlich Droege, in: Jeserich / Pohl/v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, 1983, 177ff. und 193ff.; Herbom, dort 658 ff.

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schufen, so daß vielerorts nur Patrizier ratsfähig waren und eine hegemoniale Stellung erlangten. So wich das genossenschaftliche Prinzip, das einst wichtige Impulse zur Entwicklung dieser Gemeinden gegeben hatte, der Herrschaft einflußreicher Familien, die nun innerhalb der Stadt als Obrigkeit auftraten. Ein wesentliches Kriterium der Stadt war seit dem 13. Jahrhundert ihre Autonomie zur Rechtssetzung. Von größeren Orten, wie Nürnberg, Lübeck oder Magdeburg übernahmen Tochterstädte bis weit in die östlichen Staaten Europas ihre Verfassung, so daß „Stadtrechtsfamilien" entstanden, die in der Entwicklung des Rechts in Europa keine geringe Rolle spielen. Mit der Entwicklung des absolutistisch regierten Territorialstaates erstarrte fast überall in Deutschland das kommunale Leben. Städte und Dörfer bildeten nicht viel mehr als obrigkeitliche Verwaltungsbezirke. Neu belebt und auf neue Rechtsgrundlagen gestellt wurde die Idee einer gemeindlichen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Hier waren es zunächst die Stein-Hardenbergschen Reformen, die auf dieses Gedankengut zurückgriffen 6 . Ihren klarsten Ausdruck fanden diese Überlegungen in der preußischen Städteordnung vom 19. November 1808, die ihren Zweck dahingehend umreißt, „den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeinde einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten". Zunächst eher als staatsorganisatorisches Prinzip gedacht geriet die Selbstverwaltungsidee im weiteren Verlauf der Entwicklung stärker unter die vom süddeutschen Konstitutionalismus gespeisten Vorstellungen eines vorstaatlichen Status der Gemeinden 7 . § 184 der Paulskirchenverfassung von 1849 und Art. 127 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 führten die Selbstverwaltung der Gemeinden unter den Grundrechten auf. Die kommunalrechtliche Praxis dagegen blieb stets stärker der staatsorganisatorischen Deutung der gemeindlichen Selbstverwaltung verhaftet. Art. 28 Abs. 2 GG nimmt diese Gedanken auf und stellt die Selbstverwaltung in den Dienst einer gegliederten Demokratie (vgl. zu I). 4. Statistische Angaben Der heutige Gebietszuschnitt und Bevölkerungsstand der Kommunalkörperschaften geht im wesentlichen auf die Territorialreform zurück, die die Bundesländer zwischen 1967 und 1978 durchführten 8 . Vor der Reform gab es in der Bundesrepublik 24282 Gemeinden; davon hatten 10760 weniger als 500 Einwohner. Die Gebietsreform, die durch umfangreiche verwaltungswissenschaftliche Gutachten vorbereitet worden war, hatte sich eine Stärkung 6

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Dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 2. Aufl. 1967, 102ff. und 172ff; Lange, Fs. f. W. Weber, 1974, 851 ff.; v. Unruh, HkWP Bd. 1, 57 ff. Vgl. Forsthoff, VwR, 10. Aufl. 1973, 522ff. Dazu die Darstellung bei Mattenklodt, HkWP Bd. 1,154 ff.

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der Verwaltungskraft und die Lösung des Stadt-Umland-Problems („Einheit von Planungs- und Verwaltungsraum") zum Ziel gesetzt9. Mittel zur Erreichung dieses Zieles waren vor allem die Eingemeindung und der Gemeindezusammenschluß — teils auf freiwilliger Grundlage, teils durch Hoheitsakt verordnet. Die Zahl der Gemeinden ging dadurch bundesweit auf ein Drittel (8519) zurück. Länderweise fiel die Reduktion allerdings recht unterschiedlich aus: Während Nordrhein-Westfalen (2277 zu 396) zu radikalen Eingemeindungen griff, verminderten Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Zahl ihrer Gemeinden nur geringfügig und versuchten im übrigen, durch die Bildung zusätzlicher Gemeindeverbände (Verbandsgemeinden, Ämter) das Neuordnungsziel zu erreichen. In der gleichen Zeit ging die Zahl der kreisfreien Städte von 139 auf 92, die der Landkreise von 425 auf 235 zurück.

I. Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden Gemeinden sind nach heutigem Verständnis Teil des Staates. Sie üben Hoheitsgewalt aus und sind als Verwaltungsträger vollziehende Gewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG. Im dualistischen Einteilungsschema der Bundesstaatlichkeit (Bund/Länder) gehören sie zum Organisationsbereich der Länder und bilden hier das Zentrum jenes Verwaltungsteilbereichs, den man die staatsmittelbare oder Selbstverwaltung nennt10. Gleichwohl wäre mit dieser Zuordnung die besondere Stellung der Gemeinden im Staat nur unvollständig beschrieben. Nicht nur im politischen Geschäft werden die Kommunen gern als „dritte Säule" oder „dritte Ebene" bezeichnet. Auch das Grundgesetz nimmt von ihnen mehrfach neben Bund und Ländern Notiz und macht gerade ihr Verhältnis zu diesen etablierten Gewalten zum Gegenstand genauerer Regelungen. Es ist geradezu das Lebensgesetz der gemeindlichen Verwaltung, daß sie sich immer in einer Doppelrolle befindet: Teil organisierter Staatlichkeit zwar, aber eben doch nicht in jenem engeren Sinne hierarchisch aufgebauter Entscheidungszüge, sondern als dezentralisierte Verwaltung mit einem eigenen Legitimationssystem, das der Bürgernähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität verbunden sein soll — verfaßte Staatlichkeit an der Grenze zum gesellschaftlichen Bereich also. Das Grundgesetz hat sich für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute „gegliederte Demokratie"11 entschieden. So ist es nur konsequent, wenn Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG für die beiden wichtigsten Typen von Kommunalkörperschaften (Landkreise und Gemeinden) zwingend vorsieht, das Volk müsse in ihnen genauso wie in Bund und Ländern eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Volksvertretung haben. 9 10

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Zur Bewertung der Reformen aus heutiger Sicht jüngst Wagener, DÖV 1983, 745 ff. Rudolf, in: Erichsen /Martens, Allg. VwR, 1983, S. 533 (549 mit Hinw. auf Forsthoff, VwR, 1973, S. 471 ff.), ebenso BVerfGE 61, 82 (103), BVerwG DVB1. 1983, 1152(1153). BVerfGE 52, 95 (111 f.) unter Bezugnahme auf v. Unruh, DVB1. 1975, 1 ff.

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1. Die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung Das Verhältnis der Gemeinden zum Staat wird vor allem durch jenen Normenkomplex bestimmt, den man etwas verkürzend die Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung nennt. Die wichtigste Bestimmung dieses Gefüges ist Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, der von einigen Komplementärbestimmungen des Grundgesetzes umlagert und durch das Landesverfassungsrecht teils wiederholt, teils ergänzt wird. Nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G muß den Gemeinden das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Vorschrift ist keine bloße Normativbestimmung für eine gesetzliche Ausformung, sondern unmittelbar geltendes Verfassungsrecht, das Gesetzgeber, Verwaltung und Judikative in Bund und Ländern bindet. Auch „benachbarte" Hoheitsträger (Landkreise, Nachbargemeinden) haben sie zu respektieren 12 . Keine Wirkung entfaltet Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG dagegen im Verhältnis der Gemeinde zu privaten Dritten 13 . Die Tatsache, daß eine Materie zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört, ergibt folglich noch kein eigenständiges Eingriffsmandat der Gemeinde in Rechtspositionen Privater. Hier hat sich die Gemeinde an das zu halten, was für die öffentliche Verwaltung allgemein zu beachten ist (Grundrechte, Gesetzesvorbehaltslehre). Im einzelnen erleichtert man sich die Arbeit, wenn man innerhalb des Art. 28 Abs. 2 S. 1 vier „Garantieebenen" trennt: die Rechtssubjektsgarantie (a), die Rechtsinstitutionsgarantie (b), die subjektive Rechtsstellungsgarantie (c) und eine Gruppe von Erstreckungsgarantien (d)14. a) Rechtssubjektsgarantie: Gewährleistet wird als erstes, daß es überhaupt Gemeinden als Elemente des Verwaltungsaufbaus geben muß. Gemeinde in dem von der Verfassung vorausgesetzten Sinne ist „ein auf personaler Mitgliedschaft zu einem bestimmten Gebiet beruhender Verband, der die Eigenschaft einer (rechtsfähigen) Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt" 15 . Die Garantie bezieht sich also nicht auf eine beliebig zugeschnittene Verwaltungseinheit, sondern auf einen bestimmten Typus. Soziologisch gehört dazu sicher eine gewisse Überschaubarkeit des gemeindlichen Raumes. Doch weist dieses Kriterium, wie das Beispiel der Großstadt zeigt, eine zu große Spannbreite auf, um juristisch präzise zu sein. Ein spezifisches Nachbarschaftsgefühl der Einwohner oder die Existenz nur eines Siedlungskerns werden nicht verlangt. Rechtlich entscheidend für die Gemeinde als Typus sind die Rechtsfähigkeit und die Gebietshoheit. Gemeinden sind rechtsfähige Einheiten (Verwaltungsträger). Es muß ihnen also von der Rechtsordnung allgemein die Fä12

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Vgl. jüngst BVerwG DVB1. 1983, 1152ff.; Blümel, W D S t R L 36 (1978), 171 (210); a. A.: Pappermann. DVB1. 1976, 766 (768). a. A.: Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 523. In Anlehnung an Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 II b, der drei Garantieebenen unterscheidet; ferner Hoppe, in: Fs. f. v. Unruh, S. 555, Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (268). Stern, in: BK, Rdnr. 80 zu Art. 28 GG.

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higkeit zuerkannt sein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein16. Die Rechtsfähigkeit schafft „Bewegungsfähigkeit" im Rechtsverkehr und ist so rechtstechnisch der Garant einer Selbständigkeit gegenüber dem Staat. Gemeinden besitzen ferner Gebietshoheit, weil ihr Verhältnis als Verband zu ihren Verbandsmitgliedern nicht nur wie bei anderen Körperschaften auf punktuellen Zuordnungskriterien, sondern kraft Gesetzes umfassend durch den Wohnsitz begründet wird (Domizialität)11. Gemeinden sind Körperschaften in dem qualifizierten Sinne einer Gebietskörperschaft 18 . Für sie gilt: quidquid est in territorio, etiam est de territorio19. Die Garantie eines solchermaßen geformten Verwaltungsträgers gilt nicht der einzelnen Gemeinde in ihrem überkommenen Bestände, sondern nur institutionell: Dem Staat ist es durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG nicht verwehrt, eine Gemeinde aufzulösen und sie mit einer anderen Gemeinde zusammenzuführen. Verwehrt ist es ihm aber, die gemeindliche Verwaltungsebene ganz oder überwiegend zu beseitigen oder an die Stelle der Gemeinden des beschriebenen Typs unselbständige Verwaltungseinheiten zu setzen20. Daneben enthält Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG indirekt sogar eine beschränkt individuelle Rechtssubjektsgarantie. Gegen ihren Willen21 darf die einzelne Gemeinde nämlich nicht beliebig, sondern nur nach vorheriger Anhörung 22 und nur aus Gründen öffentlichen Wohles aufgelöst oder in ihrem Gebietszuschnitt geändert werden23. Es war diese beschränkt individuelle Bestandsgarantie, die in der kommunalen Gebietsreform (Territorialreform) vor den Verfassungsgerichten vielfach bemüht worden ist24 und in einigen Fällen zur Nichtigkeit einer Neugliederungsmaßnahme geführt hat, weil entweder die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt war, oder die Maßnahme durch kei16 17 18

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Wolff/Bachof, VwR II, § 71 III c 1. Wolff/ Bachof VwR II, § 84 III d 1; Pagenkopf Kommunalrecht, Bd. 1, 24 f. BVerfGE 52, 95 (117f.); str. ist, inwieweit die Universalität zum Begriff der Gebietskörperschaft gehört. Die überwiegende Meinung geht dahin, zumindest die subsidiäre Universalität des Wirkungskreises für ein konstituierendes Merkmal der Gebietskörperschaft zu halten, während andere [Nachw. bei BVerfGE 52, 95 (118)] es genügen lassen, wenn die Summe der Einzelzuständigkeiten zur effektiven Universalität neigt. Pagenkopf Kommunalrecht, Bd. 1, 26. Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 36 zu Art. 28 GG. Nicht garantiert sind gemeindliche Binnengliederungen, z. B. Bezirke, Ortschaften (vgl. unten IV). Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG schützt allerdings die Gemeinden nicht gegen sich selbst. Das Recht auf Selbstauflösung durch Eintritt in eine andere Gemeinde ist länderweise verschieden geregelt, z. B. für BW anerkannt in Art. 74 Abs. 2 LV BW. Vgl. ferner Saarl. VerfGH DVB1. 1984, 325 ff. BVerfGE 50, 195 (202f.); ausführlich: Löwer, Anhörungs- und Beteiligungsrechte, 1973. BVerfGE 50, 195 (202). Dazu ausführlich Hoppe / Rengeling, Rechtsschutz bei der kommunalen Gebietsreform, 1983, insbes. S. 64ff.; vgl. auch BVerfG NVwZ 1982, 95f. Granderath, DÖV 1973, 332ff.

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nerlei greifbare Gemeinwohlgründe gedeckt war. Letztere bilden einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der den neugliedernden Instanzen zwar einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt, gerichtlich jedoch auf eine prinzipielle Zweckeignung und auf die Einhaltung des Übermaßverbots überprüft werden kann 25 . Zur Rechtssubjektsgarantie rechnet auch der Schutz des Gemeindenamens26 als eines Statuselements, das der Individualisierung und der bürgerschaftlichen Integration dient. Der Name ist vielfach historisch überkommen. Zusätze („Bad", „Markt") gehören zwar nicht direkt dazu, genießen aber, wenn sie rechtens geführt werden, den gleichen Rechtsschutz. Die Bestimmung über den eigenen Namen gehört allerdings nicht zum Kernbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, sondern kann ohne Verfassungsverstoß durch staatlichen Organisationsakt vorgenommen werden. Die Gemeindeordnungen enthalten darüber Einzelregelungen. Der rechtens geführte Name ist dann gegen Beeinträchtigungen nicht nur im Zivilrechtsverkehr gemäß § 12 BGB27, sondern auch im Rechtsverkehr mit anderen Hoheitsträgern geschützt. In den letzten Jahren sind die Verwaltungsgerichte wiederholt mit Streitigkeiten zwischen Gemeinden und anderen Verwaltungsträgern (Bahn, Post, Straßenbauverwaltung) über die Benutzung des richtigen Gemeindenamens beschäftigt worden. Basis des hier einschlägigen öffentlich-rechtlichen Persönlichkeitsrechts ist die Rechtssubjektsgarantie der Verfassung i.V. mit den namensrechtlichen Vorschriften der Gemeindeordnungen. Der konkrete Anspruch der Gemeinde, der andere Hoheitsträger möge im amtlichen Verkehr keinen unrichtigen Namen gebrauchen, ist aus diesen Vorschriften abzuleiten, die um einen analog angewendeten § 12 BGB ergänzt werden. § 12 BGB wird in dieser Verbindung zu einer Norm des öffentlichen Rechts und ist tatbestandsmäßig solchenfalls bereits dann erfüllt, wenn der Gemeindename nicht so gebraucht wird, wie er amtlich festgelegt ist28. b) Rechtsinstitutionsgarantie: Die zweite Garantieebene des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist die Gewährleistung der Institution „gemeindliche Selbstverwaltung" 29 . Die meisten im kommunalrechtlichen Schrifttum behandelten Probleme liegen auf dieser Ebene. Die Übertragung einer bisher gemeindlichen Aufgabe auf einen anderen Verwaltungsträger, die Einführung eines staatlichen Weisungsrechts, die Aufstellung eines qualifizierten Fachplans — sie alle stellen immer wieder die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit der Institutionsgarantie. Das Grundgesetz nennt die Bestandteile dieser Ebene sehr 25

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Einzelheiten dazu bei Stüer, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, 1980, S. 138 ff. Eingehend Pappermann, DÖV 1980, 353ff.; BVerfGE 59, 216 (225ff.). Pappermann, HkWP Bd. 1, 313; Beispiel: RGZ 101, 169ff. („Stadttheater"). BVerwGE 44, 351 ff. („Bahnhof); BVerwG DÖV 1980, 97f. („Bad"). Dazu ausführlich Knemeyer, in Fs. f. v. Unruh, S. 209ff.; Stern, StaatsR Bd. 1 § 12

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deutlich: die Universalität (aa), die Eigenverantwortlichkeit (bb) und einen Gesetzesvorbehalt (cc). aa) Universalität: Gewährleistet wird Selbstverwaltung in allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft.30 Darunter sind mit dem Bundesverfassungsgericht solche Aufgaben zu verstehen, „die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können" 31 . Diese Umschreibung weist eine historisch-räumliche und eine aktuell-funktionale Komponente auf. Zahlreiche Fragen lassen sich bereits nach dieser Definition lösen. So gehören z. B. die Außenpolitik, die Verteidigungspolitik oder Maßnahmen der Globalsteuerung nicht zum gemeindlichen Aufgabenkreis. Die Gemeinde und ihre Organe haben kein allgemeinpolitisches Mandat 32 . Wohl aber kann eine einzelne Frage aus einem solchen Politikbereich ausnahmsweise in den Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hineintragen, wenn sie einen spezifischen Bezug zu einer bestimmten Gemeinde annimmt, eine einzelne Gemeinde z. B. in Durchführung eines verteidigungspolitischen Konzepts als Standort für besondere militärische Einrichtungen vorgesehen wird33. In manchen Bereichen ist es dagegen schwer, eine bestimmte Aufgabe nach der genannten Definition den Angelegenheiten der örtlichen oder aber einer nicht-örtlichen Gemeinschaft eindeutig zuzuweisen. Das hat mehrere Gründe 34 : Bei manchen Aufgaben schwankt die Zuordnung in der historischen Entwicklung („ Wanderungsprozesse"). So wurde die Versorgung mit leitungsgebundenen Energien (Strom, Gas) ursprünglich als Kommunalaufgabe verstanden, ging dann mit zunehmender technischer Zentralisierung vielfach auf regionale und überregionale Versorgungsunternehmen über und wird erst im Zusammenhang mit der Fernwärme unter dem Stichwort „örtliche Versorgungskonzepte" neuerdings wieder als Angelegenheit örtlicher Politik entdeckt35. Neben solchen Fällen von Wanderungsprozessen stehen Sachverhalte, an denen die örtliche und die überörtliche Gemeinschaft gleichermaßen interessiert und beteiligt sind („ Gemengelagen"). Beispiele finden sich in der Raumplanung. Die Standorte und Trassen regional bedeutsamer Verkehrsund Versorgungsanlagen treffen immer zugleich das Gebiet einer einzelnen Gemeinde. Ist die raumrelevante Planung solcher Einrichtungen darum eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, eines anderen Verwaltungsträgers oder ein mixtum compositum? 30

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Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 39ff.; Thiele, DVB1. 1980, 10 ff. BVerfGE 8, 122(134). OVG Lüneburg DVB1. 1983, 814f.; OVG Münster NVwZ 1984, 325f. Huber, NVwZ 1982, 662ff.; Uechtritz, NVwZ 1983, 334ff.; Süß, BayVBl. 1983, 513ff.; Graf Vitzthum, JA 1983, 557ff.; Schmitt-Kammler, DÖV 1983, 869ff. Stern, HkWP Bd. 1,207 f. Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 42 c zu Art. 28 GG: „Revitalisierung".

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Dieses Abgrenzungsdilemma ist oft beschrieben worden 36 . Zuweilen hat es Autoren veranlaßt, eine Neukonzeption der Selbstverwaltungsgarantie jenseits des Verfassungstextes zu suchen37. Die ganz herrschende Ansicht hält trotz mancher Schwierigkeiten jedoch an dem Tatbestandsmerkmal der „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" fest38. Sie orientiert sich an der Definition des Bundesverfassungsgerichts in der Art einer Faustregel und gewinnt ihre Ergebnisse materienspezifisch, indem sie prüft, ob eine Angelegenheit erstens nach überkommener Gesetzeslage und eingespielter Praxis gemeindlich oder übergemeindlich wahrgenommen worden ist39, und inwiefern sie zweitens in gemeindlicher Trägerschaft eine sachangemessene, auch für den Bestand anderer Gemeindeaufgaben notwendige Erfüllung finden kann 40 . Eine Orientierung dazu, was solchermaßen zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu rechnen ist, geben die als „Gemeindehoheiten" bezeichneten Zuordnungsbegriffe (s. unter dd), in denen die Einstufung einer Materie als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft mit den Steuerungsansprüchen der überörtlichen Verwaltungsträger kombiniert worden ist41. Soweit eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegt, fällt sie nach dem Garantiegehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich in den gemeindlichen Aufgabenbereich: Universalität (Allzuständigkeit). Der Gesetzgeber kann zwar auch für solche Angelegenheiten im Rahmen seines Regelungsvorbehalts eine andere Zuständigkeit begründen; er ist dabei aber Schranken unterworfen (s. unter cc). Liegt keine anderweitige Zuweisung vor, so ist die Gemeinde regelungsbefugt 42 . Dieser Grundsatz gilt auch für den Zugriff auf neue Sachaufgaben (Recht der Spontanität)43.

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Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen, 1975, S. 5ff.; Brohm, DVB1. 1984, 283ff. Vgl. Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977; Roters, Kommunale Mitwirkung an höherstufigen Entscheidungsprozessen; vgl. dazu die kurze, krit. Würdigung von Stern, in: HkWP Bd. 1, 207 - 211; Schmidt-Jortzig, Rdnr. 498 - 501. Antikritik dazu jetzt bei Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 41 zu Art. 28 GG. St. Rspr. des BVerfG: Zuletzt BVerfGE 59, 216 (226); BVerfGE 50, 195 (201); BVerwG NJW 1976, 2175f.; Stern, HkWP Bd. 1, 206; Leibholz/Rinck, GG, Rdnr. 13 zu Art. 28 GG; Schmidt-Bleibtreu, GG, Rdnr. 9 zu Art. 28 GG; offener: Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 61 f. zu Art. 28 GG. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 472, sieht die Auslegung des o.g. Tatbestandsmerkmals als „Annäherungsverfahren". Ähnlich Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 473 ff. Vgl. die Aufzählung in Art. 83 LV Bay. Vgl. speziell zur Konkurrenz mit Kreiskompetenzen die Nachweise bei Stern, HkWP Bd. 1, 216 unter cc) und unten bei Anm. 408, 409. Stern, in: BK, Rdnr. 87 zu Art. 28 GG.

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bb) Eigenverantwortlichkeit: Selbstverwaltung besteht darin, daß die eigenen Angelegenheiten „in eigener Verantwortung" geregelt werden können 44 . Eigenverantwortlichkeit heißt Freiheit von Zweckmäßigkeitsweisungen anderer Hoheitsträger, insbesondere des Staates. Darin liegt der politische Gestaltungsspielraum der Gemeinden, ohne den die Verpflichtung zu einem eigenen, direkt gewählten Legitimationssystem (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) sinnlos wäre. Die Eigenverantwortlichkeit bezieht sich grundsätzlich auf das Ob, Wann und Wie der Aufgaben Wahrnehmung; sie drückt sich in einem Ermessen im weitesten Sinne aus. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ermächtigt zu eigenverantwortlicher Regelung. Eine Festlegung der Gemeinden auf bestimmte Formen hoheitlichen Handelns ist damit nicht gemeint. Regelung heißt jede zulässige Art von Aufgabenerledigung; sie mag sich in den Formen des öffentlichen oder des privaten Rechts, direkt oder indirekt durch Einschaltung Dritter, planerisch, spontan oder routinemäßig vollziehen. Oft wird sich eine effektive Regelung nicht ohne eigene rechtssatzmäßige Absicherung vollziehen lassen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG legt die Rechtsordnung deshalb darauf fest, den Gemeinden mindestens ein Rechtsinstitut zur allgemeinen Regelung (Breitensteuerung) ihrer Angelegenheiten verfügbar zu halten. Daher gehört auch die gemeindliche Rechtsetzungshoheit zum Garantiebereich (vgl. unter dd). Nicht entbindet die Eigenverantwortlichkeit dagegen von der Beachtung der Gesetze und des Rechts. Das folgt schon aus der Gesetzesbindung der Exekutive (Art. 20 Abs. 3 GG), der alles gemeindliche Handeln verpflichtet ist. Der Regelungsvorbehalt (cc) bestätigt das nochmals. So selbstverständlich das ist, so liegen hier doch Gefahren für die gemeindliche Gestaltungsfreiheit; denn der Staat hat es weitgehend in der Hand, seine Zweckmäßigkeitsvorstellungen in Gesetzesformen zu gießen und die Gemeinden dann auf den Gesetzesvollzug festzulegen. Die im allgemeinen Verwaltungsrecht oft so vehement geforderte Verrechtlichung zeigt hier deutliche Schattenseiten45. cc) Gesetzesvorbehalt: Gewährleistet ist die Selbstverwaltung „im Rahmen der Gesetze". Der Vorbehalt bezieht sich trotz seiner mißdeutbaren syntaktischen Stellung auf beide Garantieelemente (Eigenverantwortlichkeit und Universalität) 46 wie übrigens auch auf alle Garantieebenen. Er ist ein Vorbehalt 47 , der den Gesetzgeber zur Ausformung des Garantiegehalts, zur Fixie44

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Dazu ausführlich: Wolff /Bachof, VwR II, § 86 VII b; Stern, in: BK, Rdnr. 94 zu Art. 28 GG. Zutreffend v. Mutius, Gutachten E z. 53. DJT, S. 57 ff. Inzwischen einhellige Auffassung: Vgl. zuletzt BVerfGE 56, 298 (312); Stern, in: BK, Rdnr. 114zu Art. 28 GG; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 52 zu Art. 28; a. A.: Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 1967, S. 50. Ganz herrschende Meinung: Vgl. st. Rspr. des BVerfG, zuletzt BVerfGE 56, 298 (309f.); Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 51 f. zu Art. 28; a. A.: Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 51 ff. zu Art. 28; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 486; dazu auch Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der Kommunalen Selbstverwaltung, 1977, S. 27 ff., 84 ff.

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rang immanenter Grenzen, aber auch zu Eingriffen in verfassungsunmittelbare Garantiebereiche ermächtigt. Gesetz i. S. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG sind neben Landes- und Bundesgesetzen auch Rechtsverordnungen 48 und Satzungen anderer Hoheitsträger, z. B. eines Landkreises oder eines Regionalverbandes. Verwaltungsvorschriften geben dagegen für sich keinen Bindungsrahmen; sie können insbesondere ein kommunales Ermessen nicht dirigieren 49 . Der Gesetzesvorbehalt kann zur Achillesferse der Garantie werden, wenn man ihm nicht seinerseits Grenzen setzt. Die dogmatischen Schwierigkeiten mit solchen Grenzen sind aus der in manchen Strukturen ähnlichen Problematik grandrechtlicher Gesetzesvorbehalte bekannt. Auch bei Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gibt es nicht in allen Punkten griffige Lösungen, weil auch hier der verfassungsunmittelbar vorgegebene Garantiegehalt, der Bestand einfach-gesetzlicher Garantiekonkretisierangen und neuer Eingriffsvorgänge nicht trennscharf nebeneinander stehen, sondern teilweise ineinander übergehen oder eine spezifische Wechselbezüglichkeit aufweisen. Literatur und Rechtsprechung nennen üblicherweise zwei Grenzen, die der Gesetzgeber im Garantiebereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG beachten muß: die sog. Kernbereichsgarantie und das Übermaßverbot 50 . — Die Kernbereichsgarantie (Wesensgehaltsgarantie) schützt „das Essentiale, das man aus einer Institution nicht entfernen kann, ohne daran Struktur und Typus zu ändern" 51 . Um diesen Kern zu bestimmen, wird wiederum auf die historische Entwicklung 52 , aber auch auf das aktuelle Erscheinungsbild der Selbstverwaltung abgestellt53. Eine exakte Abgrenzung fällt gleichwohl oft schwer, wenn es darum geht, ob eine einzelne Handlungsmöglichkeit oder gar nur eine spezifische Form ihrer Wahrnehmung zum Wesensgehalt gehört. So läßt sich zwar allgemein feststellen, daß die Bebauungsplanung nicht nur überhaupt eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist, sondern sogar zum Kern des kommunalen Aufgabenbestandes zählt. Ob das aber auch für alle 24 Festsetzungarten gilt, aus denen sich nach § 9 Abs. 1 BBauG der Bebauungsplan zusammensetzt, ist damit noch nicht gesagt. Nicht gesagt ist damit auch, inwieweit die Bebauungsplanung in einzelnen Bezügen nicht doch durch staatliche Vorgaben dirigiert werden kann. Nur in seltenen Fällen besonders krasser oder rabiater Eingriffe des Gesetzgebers wird der Wesensgehalt daher als absolute Sperre wirksam werden. In den übrigen Fällen ist der 48 49

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BVerfGE 26, 228 (237); E 56, 298 (309). Besonderheiten gelten jedoch für nicht rechtssatzförmig festgelegte Ziele der Raumordnung i. S. d. §§ 5 Abs. 4 BROG, 1 Abs. 4 BBauG. Vgl. Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt, IV. 1; Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972, S. 153 f.; Erbguth, DVB1. 1983, 305 ff. Vgl. BVerfGE 56, 298, (312f.); jüngst systematisch Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (269 ff.) mit zahlreichen Nachweisen. Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 III b. St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 38, 258 (278 f.). Stern, in: BK, Rdnr. 124 zu Art. 28 GG.

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Gedanke eines Aufgabenkerns nur ein Argumentationsgesichtspunkt im Rahmen des Obermaßverbots, das eine umfassendere Begrenzung des Gesetzgebers ermöglicht54. — Das Übermaßverbot mit seinen Kontrollfragen nach der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i.e.S. ist für den Gesetzgeber stets verpflichtend, wenn er regelnd in dem durch Universalität und Eigenverantwortlichkeit gebildeten Garantiebereich tätig wird. Die Breite der Anwendung wird freilich erkauft durch gewisse Unsicherheiten bei den notwendigen Bewertungen der Zweckeignung möglicher Eingriffsalternativen (Erforderlichkeit) und der Schaden-Nutzen-Bilanz (Verhältnismäßigkeit i.e.S.). Immerhin bewirkt das Übermaßverbot auf einer ersten Stufe eine spezifische Darlegungs- und Argumentationslast des Gesetzgebers. Auf einer zweiten Stufe verlangt es, daß Regelungen und Eingriffe durch desto gewichtigere übergemeindliche Interessen veranlaßt sein müssen, je weiter sie an diejenigen Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten heranreichen, die sich dem „Kern" nähern. Die Kerngehaltsvorstellung wird hier benutzt, um die relative Abwägungsposition zu bestimmen, mit der der berührte gemeindliche Belang in die Schaden-Nutzen-Bilanz einzustellen ist. dd) Sog. Gemeindehoheiten: Der Verdeutlichung des verfassungsgemäßen Aufgabenkreises dienen mehrere eingeführte Begriffe, die man als „Gemeindehoheiten" bezeichnen kann 55 . Genau betrachtet handelt es sich nicht um isolierte oder ausschließliche Gemeindekompetenzen und schon gar nicht um eindeutige Fixierungen von Wesensgehaltselementen. Die Begriffe bündeln vielmehr eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten, ohne für sie alle eine isolierte eigenverantwortliche kommunale Entscheidungsbefugnis verfassungsfest zu postulieren. Die Rechtsnatur dieser „Hoheiten" läßt sich durch zwei allgemeine Aussagen umschreiben: Jede dieser Hoheiten ist in ihrem Grundgedanken (nicht in allen Einzelausprägungen) für die Selbstverwaltungsgarantie unverzichtbar; denn sie beziehen sich auf elementare Handlungssektoren (insbes. Raum, Personal, Finanzen). Keine dieser Hoheiten besteht aber ohne gesetzliche Rahmenvorgaben und staatliche Einschränkungen. So bezeichnen sie eher einen eingespielten, sich freilich auch ständig wandelnden Dogmenbestand, der das von der herrschenden Anschauung für Rechtens erachtete Zusammenspiel von Staat und Gemeinde wiedergibt. — allgemeine Planungshoheit: Sie bezeichnet die Befugnis, die eigenen Angelegenheiten nicht nur von Fall zu Fall zu erledigen, sondern aufgrund von Analyse und Prognose erkennbarer Entwicklungen ein Konzept zu erarbeiten, das den einzelnen Verwaltungsvorgängen Rahmen und Ziel weist56. Da Planung grundsätzlich keine zusätzliche Sachaufgabe, sondern eine Methode der Aufgabenerledigung ist, folgt die Planungskompetenz grundsätzlich der 54 55 56

Ausführlich dazu Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (269ff.). Dazu Stern, StaatsR Bd. I, § 12 II 3 c. Zur Aufgabe öffentlicher Planung allgemein vgl. Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., 1983, §§ 21 - 23.

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Sachkompetenz. Die Gemeinden besitzen also, insofern nichts anderes bestimmt ist, für ihre Angelegenheiten auch die Planungshoheit. Ergebnisse ihrer planerischen Tätigkeit sind Organisations- und Geschäftsverteilungspläne, Infrastrukturpläne (z. B. Kindergärten-, Altersheim-, Sportstättenbedarfspläne). Für die Planung der wichtigen Ressourcen Raum und Finanzen gelten Besonderheiten (vgl. Raumplanungshoheit, Finanzhoheit). Über die Bindungskraft solcher Pläne gegenüber anderen Hoheitsträgern oder privaten Dritten ist damit noch nichts gesagt. — Raumplanungshoheit ist ein Sonderfall der allgemeinen Planungshoheit57. Sie umfaßt die Befugnis, für das eigene Gebiet die Grundlagen der Bodennutzung festzulegen. Entsprechend dem hohen Grad gesetzlicher Fixierung des gesamten öffentlichen Raumplanungssystems bestehen für die gemeindliche Raumplanungshoheit zahlreiche Vorschriften des einfachen Rechts, die den Begriff der örtlichen Angelegenheiten verdeutlichen, konkretisieren und abgrenzen. Ausdrucksformen der kommunalen Raumplanungshoheit sind der Bebauungsplan (§ 9 BBauG) und der gesamtgemeindliche Flächennutzungsplan (§ 5 BBauG)58. — Personalhoheit59 könnte man in einem weiten Sinne als Befugnis definieren, sowohl über die allgemeinen Fragen des eigenen Personalwesens (Stellenplanung, Einstellungs- und Beförderungsvoraussetzungen, Besoldungsund Vergütungsmaßstäbe) als auch über die konkreten Maßnahmen der Personaleinstellung, der Beförderung und des Personaleinsatzes nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wird traditionell nur ein Ausschnitt aus diesem Kreis personalrelevanter Maßnahmen gerechnet. Er betrifft im wesentlichen nur Einzelentscheidungen, „vornehmlich die Befugnis, das Personal, insbesondere die Gemeindebeamten auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen" 60 . Die allgemeinen Entscheidungen, z. B. des Laufbahn- und Besoldungswesens, werden seit langem von überörtlichen Instanzen getroffen. — Organisationshoheit: Sie ist die Befugnis, den Aufbau und das Zusammenspiel der eigenen Beschluß- und Vollzugsorgane, gemeindeinterner räumlicher Untergliederungen, gemeindeeigener Einrichtungen und Betriebe sowie deren Geschäftsgang zu regeln61. Die Gemeinden haben hier traditio57

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Dazu Schmidt-Aßmann VerwArch 71 (1980), 117 ff.; BVerfGE 56, 298 (310 ff.) mit der Besprechung bei Steinberg, JuS 1982, 578ff.; BVerwG NVwZ 1982, 310f.; Steinberg, DVB1. 1982, 13ff.; Blümel, VerwArch 1982, 329 (336); Hoppe, in: Fs. f. v. Münch, S. 555 ff. S. die Einzeldarstellung bei Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt, II 1. Lecheler, in: Fs. f. v. Unruh, S. 541 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Fs. f. Ule, S. 461 ff. Zur Personalhoheit des Dienstherrn allgemein v. Münch, in diesem Lehrbuch, 1. Abschnitt, III 3 b cc m. w. N. Stern, HkWP Bd. 1, 213 mit Nachw. der Rspr. in Fn. 67.; RhPfVerfGH, NVwZ 1982, 614f. Dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 68ff.; allgemein Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 26 ff.

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nell einen breiten Entfaltungsspielraum, den sie z. B. mit ihrer Hauptsatzung und ihren Anstaltsordnungen ausfüllen. Gesetzliche Grenzen bringen vor allem das Kommunalverfassungsrecht (vgl. unter III) und das Gemeindewirtschaftsrecht (vgl. unter VII). — Rechtsetzungshoheit: Sie ist um einer effektiven eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung willen notwendig 62 . Ausgeübt wird sie vor allem durch den Erlaß von Satzungen (vgl. V 1). — Finanzhoheit63: Sie „gewährt den Gemeinden die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens" 64 . Dazu gehört als Basis auch das Recht auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung. Seit je gab es in diesem Sektor freilich zahlreiche staatliche Eingriffsbefugnisse 65 . Außerdem nimmt der Staat z. b. im Rahmen von Mischfinanzierungen und mit Zweckzuweisungen reichlich faktischen Einfluß auf das gemeindliche Finanzgebaren (vgl. zu weiteren Finanzgarantien unter 2 a). c) subjektive Rechtsstellungsgarantie66: Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährt den Gemeinden kein Grundrecht 67 . Nach dem Verständnis unserer Verfassung sind die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus. Damit ist zwischen die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und den bürgerlichen Grundrechtsgewährleistungen eine klare Zäsur gelegt, die bestimmte Vergleichbarkeiten in der dogmatischen Struktur der Garantienormen nicht ausschließt. Unbestreitbar läßt es Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG darüber hinaus für die Gemeinden nicht beim objektiven Konstitutionsprinzip bewenden, sondern gewährt eine subjektive Rechtsstellung 68 : die einzelne Gemeinde kann vom Garantieverpflichteten die Einhaltung der Gewährleistungsgehalte verlangen. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wird folglich von einer Suite von Unterlassungs-, Beseitigungs-, Teilhabe- und gegebenenfalls auch Leistungsansprüchen begleitet. Dazu zählt auch ein Anspruch auf Gerichtsschutz, der unmittelbar aus der materiellen Garantienorm des Art. 28 Abs. 2 GG folgt. Ob sich die Gemeinden außerdem auf Art. 19 Abs. 4 GG stützen können, ist streitig69. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben; jedenfalls auf der Ebene des derzeit geltenden einfachgesetzlichen Prozeßrechts werden die aus Art. 28 Abs. 2 GG 62 63 64 65 66 67 68 69

Schmidt-Aßmann, HkWP Bd. 3, 182ff. Grawert, in: Fs. f. v. Unruh, S. 587ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 80ff.; VerfGH NRW DVB1. 1983, 714ff. m. Anm. Püttner. BVerfGE 26, 228 (244). Zur Globalsteuerung: Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S. 213 f. Dazu Stern, in: BK, Rdnr. 174ff. zu Art. 28 GG. So die h. M.; vgl. u. a. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 57 f. mit Nachw. in Fn. 65 für die Mindermeinung; Maunz, in: Maunz / Dürig, GG, Rdnr. 56 zu Art. 28. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 59 m. w. N. Dies wird von der h. M. bejaht: Schenke, in: BK, Rdnr. 38 zu Art. 19 Abs. 4 GG; krit.: Bethge, AöR 104 (1974), 265ff. (296); a. A.: Fehrmann, DÖV 1983, 311; offengelassen von BVerfGE 61, 82 (109).

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folgenden subjektiven Rechte der Gemeinden mit den subjektiven Rechten der Bürger gleich behandelt. Ergänzt wird der gemeindliche Rechtsschutz durch die kommunale Verfassungsbeschwerde10 (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, § 91 BVerfGG). Das Institut dient der Verteidigung speziell der Rechte aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG 71 gegen Verletzungen durch Gesetze. Gesetze i. S. dieser Vorsqhriften sind auch Rechtssätze unterhalb des förmlichen Gesetzes. Bei der Verletzung durch ein Landesgesetz ist die Subsidiaritätsklausel zugunsten der Landesverfassungsgerichte zu beachten. d) Erstreckungsgarantien: Zum Gehalt des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gehören schließlich einige Grundsätze, die sich zwar nicht unmittelbar aus dem Verfassungstext ergeben, aber notwendig Ergänzungen und Erstreckungen darstellen. — Hierher zählt zum einen der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens11. Es handelt sich um eine allgemeine Rücksichtnahmepflicht anderer Hoheitsträger auf gemeindliche Belange. Bei der weitreichenden gesetzlichen Durchnormierung der gemeindlichen Rechtsstellung ist dieser Grundsatz auf wenige Fälle der Lückenfüllung beschränkt. Keinesfalls unterbindet er „harte" Entscheidungen, die nach dem Gesetz gegenüber den Gemeinden getroffen werden müssen. Zu vermeiden sind nur unnötige Belastungen und Nebenfolgen. Bei der generalklauselartigen Unbestimmtheit dieses Grundsatzes verschwimmen die Grenzen zwischen Rechts- und Stilfragen; im Umgang mit ihm ist daher Vorsicht geboten. — Als eine Erstreckungsgarantie wird man auch jene Fälle zu behandeln haben, in denen den Gemeinden ein verfassungsunmittelbares Mitwirkungsrecht an staatlichen Planungen zuerkannt worden ist73. Teilweise handelt es sich bei diesen Planungen um originäre örtliche Angelegenheiten, die durch Gesetz ausnahmsweise einem anderen Verwaltungsträger zur Entscheidung übertragen worden sind; hier folgt das gemeindliche Mitwirkungsrecht aus dem Gedanken der Kompensation74. Teilweise handelt es sich aber auch um Planungen von überörtlicher Substanz, die jedoch wegen erheblicher Auswirkungen auf die einzelne Gemeinde zu einem Mitwirkungsrecht — regelmäßig in der Form des Anhörungsrechts — führen 75 . 70

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Dazu: Burmeister, JA 1980, 17ff.; Sachs, BayVBl. 1982, 37ff.; Zur kommunalen Verfassungsbeschwerde vor Landesverfassungsgerichten Hoppe, in: Landesverfassungsgerichtsbarkeit Bd. 2, 257 ff. Stern, StaatsR § 12 II 6 a; zum sog. „Rügepotential" der kommunalen Verfassungsbeschwerde; Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 265 (297f.). Dazu Macher: Der Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens, 1971; Stent, HkWP, S. 216f. m. w. N. Schmidt-Aßmann, AöR 101 (1976), 520ff.; Henrich, Kommunale Beteiligung in der Raumordnung und Landesplanung I u. II, 1983. Blümel, DVB1. 1973, 436, 440f.; ders. W d S t R L 36 (1977), 245ff.; Lerche, in: Fs. z. 100jährigen Bestehen des Bayerischen VGH, S. 223 ff., 227. Vgl. etwa BVerwGE 51, 6 (13f.); 56, 110 (134ff.); BVerwG DÖV 79, 517, 518; Blümel, DVB1. 1973, 436 ff., 440.

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2. Weitere Verfassungspositionen der Gemeinden im Grundgesetz a) partielle Finanzgarantien: Unter den Bestimmungen des Grundgesetzes, die die Stellung der Gemeinden im Staat weiter absichern, haben — neben der schon genannten kommunalen Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG — einige finanzverfassungsrechtliche Vorschriften einen wichtigen Rang 76 . Hierher gehören vor allem die Realsteuergarantie (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 1 GG), die Expektanz auf das Aufkommen der örtlichen Verbrauchs* und Aufwandsteuern (Art. 106 Abs. 6 S. 1 HS 2 GG), die Beteiligung der Gemeinden am Aufkommen der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 5 GG) und die Aussicht auf einen Prozentsatz am Länderanteil des Aufkommens der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 7 GG). Diese Vorschriften ergänzen die schon in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG angelegte kommunale Finanzhoheit (s. I 1 b dd), indem sie ihr Teile ihres realen Substrats liefern77. b) Grundrechte: Sehr kontrovers ist die Frage, inwieweit sich Gemeinden außer auf ihre speziellen Gewährleistungen auch auf Grundrechte 78 berufen können. Systematisch gehört dieses Problem in den Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG 79 , demzufolge die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die kaum noch überschaubare Literatur 80 zu diesem Thema vermittelt zuweilen den Eindruck, für manchen sei die rechtsstaatliche Welt nur dann in Ordnung, wenn möglichst alle grundgesetzlichen Freiheitssicherungen möglichst gleichmäßig auf möglichst alle nur denkbaren Schutzsituationen verteilt sind. Daß damit die differenzierten Garantien und Sicherungsmechanismen nivelliert und um ihre spezifische Wirkung gebracht wurden, wird dabei zu wenig beachtet81. Jedenfalls für die Gemeinden als universelle Verwaltungsträger des örtlichen Bereichs muß die grundrechtliche Hauptsicherungslinie doch wohl eindeutig zwischen verwaltender Kommune und verwaltetem Bürger und nicht zwischen verwaltender Kommune und verwaltendem Staat verlaufen. Im einzelnen ist zu trennen: aa) Bereiche öffentlicher Aufgabenerfullung: Soweit die Gemeinden öffentliche Aufgaben (Selbstverwaltungs- oder Fremdaufgaben) — in öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Form — wahrnehmen, versagte ihnen die

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Systematisch Stern, StaatsR Bd. 1, § 12 II 7 - 10; Kirchhof, DVB1. 1980, 711 ff. (Finanzausgleich). Sie sind daher auch nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG rügefähig; aber str.: Nachweise bei Stern, HkWP Bd. 1, 226, Fn. 152. Für Justizgrundrechte s. bereits oben Fn. 69 und BVerfGE 61, 82 (104, 109). Nicht jedoch in den des Art. 28 Abs. 2 GG, der die Frage offenläßt; Stern, in: BK, Rdnr. 71 zu Art. 28 GG. Nachweise bei v. Mutius, in: BK, Rdnr. 78ff. zu Art. 19 Abs. 3 GG. Zutreffend Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977, S. lff.

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herrschende Ansicht82 schon bisher die Grundrechtsfähigkeit. In diesem Bereich ist weder eine „grundrechtstypische" eigene Gefährdungslage der Gemeinden gegeben, noch ist ihr Handeln dem Lebensbereich ihrer Bürger so unmittelbar zugeordnet, daß ihnen daraus in der Art eines „Durchgriffs" grundrechtliche Substanz zuwachsen kann 83 . Das gilt selbst dann, wenn es sich um ein gemeindeeigenes Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt, z. B. ein als Aktiengesellschaft betriebenes Wasserversorgungsunternehmen 84 . bb) Bereiche fiskalisch-erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit: Für diese Bereiche wurde in der Literatur bisher ein Grundrechtsschutz, z. B. der Art. 12 und 14 GG, überwiegend für möglich gehalten85. Dem ist das Bundesverfassungsgericht jüngst im Sasbach-Beschluß86 entgegengetreten: Die Rechtsordnung billige den Gemeinden zwar die Möglichkeit zu, privatrechtliches Eigentum innezuhaben, das besage jedoch nicht, daß dieses auch grundrechtsgeschützt sein müsse; vielmehr fehle es auch hier an einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage". Das Gericht weist dazu auf zahlreiche Vorrechte („Fiskusprivilegien") hin, die das Eigentum öffentlich-rechtlicher Körperschaften genießt. „Auch die mannigfachen Einflußmöglichkeiten über staatsinterne Wege schließen jedenfalls eine Vergleichbarkeit mit der „Abhängigkeit" der Bürger, die materielle Grundrechtsverbürgungen besonders dringend macht, aus87. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen 88 . Allerdings werden neue Abgrenzungsfragen aufgeworfen. Können Gemeinden sich künftig wenn nicht mehr auf Grundrechte, so doch auf grundrechtskonkretisierende Normen des einfachen Rechts berufen? Das wird man auch nach dem Sasbach-Beschluß bejahen müssen89.

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Stern, in BK, Rdnr. 70 zu Art. 28 GG; v. Mutius, in: BK, Rdnr. 133 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Dürig, in: Maunz / Diirig, GG, Rdnr. 48 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Bethge, AöR 104 (1979), 265ff. (275, 277 - 279); BGHZ 63, 196ff. BVerfGE 45, 63 (78 f.). BVerfGE 45, 63 ff. v. Mutius, in: BK, Rdnr. 103 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 32f.; Stern, in: BK, Rdnr. 71 zu Art. 28 GG, W. Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, S. 37; a. M. bisher schon Starck, JuS 1977, 732; Dürig, in: Maunz /Dürig, GG, Rdnr. 48 zu Art. 19 Abs. 3 GG; Bethge, AöR 104 (1979), 265, 297 ff. BVerfGE 61, 82 (105 f.). BVerfGE 61, 82 (106) mit Verweis auf Dürig, in: Maunz / Dürig GG, Rdnr. 46 zu Art. 19 Abs. 3 GG. Ebenso Ronellenfitsch, JuS 1983, 594 (598); Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 192ff. zu Art. 14 GG; kritisch: Mögele, NJW 1983, 805; Blümel, in: Fs. f. v. Unruh, S. 267 Fn. 5. Bambey, DVB1. 1983, 936ff. (938); vgl. auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 597ff.zu Art. 14 GG.

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3. Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen Keine gesonderte Behandlung erfahren hier die Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen 90 . Die meisten von ihnen sind zwar „gesprächiger" als Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G ; doch ist durch die breite Entfaltung, die die Garantie der Bundesverfassung in Rechtsprechung und Lehre erfahren hat, eine weitgehende „Standardisierung" 91 erfolgt (Den Bearbeiter eines juristischen Falles, in dem eine Landesverfassungsgarantie einschlägig ist, entbindet das freilich nicht von der exakten Auseinandersetzung mit dem Verfassungstext!). Eigenständige Garantieerweiterungen finden sich für die Finanzhoheit 92 und die sog. Einheit der örtlichen Verwaltung 93 . Die Garantien der Landesverfassungen und des Grundgesetzes bestehen nebeneinander. Landesgesetzgebung und Landesexekutive haben beide Garantien zu beachten, während Bundesrecht nur an Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G gebunden ist94. Besonderes Gewicht erlangen die Landesgarantien wegen der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b G G vor den Landesverfassungsgerichten 95 .

II. Gemeinden und Staatsaufsicht Die gemeindliche Verwaltung untersteht der Aufsicht des Staates. Die Staatsaufsicht96 wird in gewissen Bereichen als eine auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkte Rechtsaufsicht (2), in anderen Bereichen als eine auch die Zweckmäßigkeit umgreifende Fachaufsicht (3) wirksam. Um die Grundgedanken des Aufsichtswesens zu verstehen, sollte man zunächst den Bestand der von den Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben betrachten 97 (1). Das Aufsichtssystem ist aufgabenorientiert. 1. Aufgaben der Gemeinden Eine rechtlich aussagekräftige Gliederung des Aufgabenbestandes 98 wird dadurch erschwert, daß die Gemeindeordnungen der Länder in den Begrif90 91 92

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Vgl. die Nachweise im Vorspann. Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 32 zu Art. 28 GG. Vgl. für die Garantie einer staatlichen Steuererschließungspflicht: Art. 45 LV Nds; Art. 79 LV NRW; für den Ausgleich für besondere Aufgabenübertragung: Art. 71 Abs. 3 LV BW; Art. 78 Abs. 3 LV NRW. Vgl. Art. 44 Abs. 3 LV Nds; Art. 78 Abs. 2 LV NRW. Stern, in: BK, Rdnr. 181 zu Art. 28 GG. Vgl. Art. 76 LV BW i. V. m. § 54 StGHG BW; Art. 120, 98 S. 4 LV Bay i. V. m. Art. 53 Abs. 1, BayVerfGHG; Art. 130 Abs. 1, 49 LV RhPf; § 49 VerfGHG Sa. Knemeyer, HkWP Bd. 1, 265; Wolff /Bachof, VwR II, § 77 II; Bracker, in: Fs. f. v. Unruh, 1983, S. 459 ff. Ausführlich: Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 9ff. Einer sachgebietsbezogenen Gliederung folgt z. B. das System des gemeindlichen Haushaltsplanes. In den Kategorien des allgemeinen Verwaltungsrechts könnte man die Gemeindeaufgaben ferner nach dem Rechtsregime der Aufgabenerfüllung

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fen und im Grundkonzept voneinander abweichen; zudem arbeiten die beiden wichtigsten Gliederungsmodelle - das dualistische (a) und das monistische (b) — mit Trennlinien, die mit den Hauptbegriffen der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie zwar vereinbar, nicht aber vollständig harmonisiert sind. a) Aufgabendualismus: Das dualistische Modell (Bay, Nds, RhPf, Sa) folgt der überkommenen Aufteilung der öffentlichen Aufgaben nach ihrer Substanz und trennt danach Selbstverwaltungsaufgaben und Staatsaufgaben. Für die Gemeinden bilden die Selbstverwaltungsaufgaben den eigenen Wirkungskreis, während Staatsaufgaben auf sie nur im Wege gesetzlicher Übertragung idR als Auftragsangelegenheiten überkommen. aa) Selbstverwaltungsangelegenheiten: Zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zählen alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sofern solche nicht ausnahmsweise durch Gesetz einem anderen Träger überwiesen sind. Dieser Kreis wird bereits durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG konstituiert; er kann sich aber erweitern, insofern durch einfache Gesetze den Gemeinden auch solche Aufgaben zugewiesen werden können, die an sich nicht eindeutig solche der örtlichen Gemeinschaft sind oder bei denen eine örtlich-überörtliche Substanzenmischung vorliegt". Jedenfalls macht dieser gesamte Bereich den festen eigenen Aufgabenkreis der Gemeinden aus, der nur durch Gesetz geändert werden kann. Staat und Gemeinden stehen sich hier im Außenrechtsverhältnis gegenüber, dessen typische Schutzinstrumente (Verfahren, Gerichtsschutz) den Gemeinden zugutekommen. Rechte aus dem eigenen Wirkungskreis sind Rechte i.S. § 42 Abs. 2 VwGO. Dem Staat fehlt die Befugnis zu Zweckmäßigkeitsweisungen. Innerhalb dieses Bereichs unterscheiden die Gemeindeordnungen regelmäßig zwischen freien Selbstverwaltungsaufgaben (z. B. Bau von Sportstätten, Museen), bei denen die Gemeinden allein entscheiden können, ob sie diese Aufgabe überhaupt in Angriff nehmen und wie sie sie durchführen wollen, und Pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, bei denen das Ob der Aufgabenwahrnehmung gesetzlich festgelegt ist (z. B. Bauleitplanung, Baulandumlegung, z. T. Schulbau). bb) Auftragsangelegenheiten: Den übertragenen Wirkungskreis machen die Auftragsangelegenheiten aus. Bei ihnen fallen Aufgabensubstanz und Aufgabenwahrnehmung auseinander. Die Aufgabensubstanz ist und bleibt staatlich100. Das Gesetz überträgt den Gemeinden nur die Ausführung. Damit ver-

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gliedern: Öffentlich-rechtlich erfüllte (hoheitliche und schlicht-hoheitliche), privatrechtlich erfüllte (verwaltungsprivatrechtliche und fiskalisch-erwerbswirtschaftliche) Aufgaben; vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 162ff. An dieser Stelle geht es um eine Einteilung, die nach der kommunalen oder staatlichen Aufgabensubstanz fragt. In den Einzelheiten weichen die Formulierungen der Gemeindeordnungen voneinander ab; am klarsten § 4 Abs. 1 GO Nds. Ausdrücklich z. B. BVerwGE 19, 121 (123); BGHZ 16, 95 (99); vgl. auch BVerwG NVwZ 1983,610(611).

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bunden ist ein staatliches Weisungsrecht, das — wenn es nicht ausdrücklich begrenzt ist - als unbegrenztes existiert. Inwieweit die Gemeinden dadurch faktisch in die Funktion von Staatsbehörden einrücken, ist streitig (vgl. unter 3)101. b) Aufgabenmonismus: Das monistische Gliederungsschema (BW, Hess, NW, SH), das auf den sog. Weinheimer Entwurf 102 zurückgeht, möchte, statt zwischen staatlichen und gemeindeeigenen Aufgaben zu trennen, von einem einheitlichen Begriff der öffentlichen Aufgaben ausgehen. Die Erfüllung aller dieser Aufgaben soll im Gemeindegebiet grundsätzlich allein und in eigener Verantwortung den Gemeinden obliegen, sofern die Gesetze nichts anderes bestimmen 103 . Freilich ist damit das Problem des Staatseinflusses nicht beseitigt. aa) interne Gliederung: Auch das monistische Modell kommt nicht ohne interne Anerkennung einer Aufgabentrias aus: Freie Aufgaben, Pflichtaufgaben und Weisungsaufgaben, d. h. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung gemäß einem gesetzlich festgelegten staatlichen Weisungsrecht. Das Weisungsrecht wird in der Gesetzespraxis für das einzelne Aufgabengebiet teils als beschränktes104, teils als unbeschränktes 105 eingeräumt. Materien, die sich üblicherweise als Pflichtaufgaben nach Weisung finden, sind die polizei- und ordnungsbehördlichen Aufgaben der Gemeinden und ihre Tätigkeit als untere Verwaltungsbehörden 106 . Während sich die freien und die Pflichtaufgaben, transponiert man sie auf das dualistische Schema, einigermaßen unproblematisch als solche des „eigenen Wirkungskreises" wiederfinden, besteht über eine vergleichbare Zuordnung der Weisungsaufgaben seit langem Streit107: Sind sie die alten Auftragsangelegenheiten unter „neuem Etikett", sind sie den Auftragsangelegenheiten wenigstens insoweit verwandt, daß man beide unter dem Oberbegriff der „Fremdverwaltung" 108 im wesentlichen gleichbehandeln kann, sind sie im

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„Quasistaatsbehörden": BayVGH BayVBl. 1977, 152(153); Forsthoff, Verwaltungsrecht, 1973, S. 479; a. A. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 547. Entwurf einer GO für die Länder der Bundesrepublik Deutschland, erarbeitet von den Landesinnenministern und den kommunalen Spitzenverbänden am 2-/3. 7. 1948 in Weinheim. Vgl. § 2 Abs. 1 GO BW. S. § 9 Abs. 2 OBG NRW. Vgl. dazu Rasch, HkWP Bd. 4, 118; vgl. auch § 51 PolG BW; § 25 LVG BW; § 3 OBG NRW. S. § 25 Abs. 3 LVG BW. Vgl. auch ausführlich Wahl, BWVB1. 1984, 123 ff. Zum Streitstand vgl. Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 20ff. m. w. N.; Dehmel, Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970, S. 91 - 100. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 541, im Anschluß an Wolff / Bachof VwR II, § 86 X.

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Gegenteil echte Selbstverwaltungsaufgaben oder aber ein Mischgebilde mit je gesondert zu ermittelnden Konsequenzen? bb) Weisungsaufgaben als Mischform: Keine der beiden eindeutigen Zuordnungen entspricht dem Aufgabenzuschnitt: Das Weisungsrecht paßt nicht zur Selbstverwaltungsaufgabe; die Begrenztheit dieses Rechts wiederum steht einer Einstufung als Auftragsangelegenheit entgegen. Überhaupt ist die gesetzliche Ausgestaltung, die die Weisungsaufgaben im Recht der einzelnen Bundesländer gefunden haben, zu unterschiedlich, um die typischen, mit der dualistischen Einstufung geklärten Probleme auch hier einheitlich lösen zu können — und nur das ist ja der Sinn des Qualifikationsstreits. Weisungsaufgaben sind auf dem Hintergrund eines dualistischen Schemas eine Zwischenform, für die die dogmatischen Konsequenzen nur nach genauerer Analyse der Gesetzeslage gefunden werden können 109 . Dabei mögen zunächst zwei Aussagen hilfreich sein, selbst wenn sie nur Faustregeln sind: — Wie Auftragsangelegenheiten sind Weisungsaufgaben dann zu behandeln, wenn es sich um Ländervollzug im Auftrage des Bundes nach Art. 85 GG, um Fälle des Art. 84 Abs. 5 GG oder um Bereiche handelt, in denen das Gesetz den Staatsbehörden ein unbeschränktes Weisungsrecht zuerkennt 110 . — In Bereichen dagegen, in denen das Weisungsrecht beschränkt ist, stehen die Weisungsaufgaben den Selbstverwaltungsangelegenheiten näher; denn hier wächst den Gemeinden sozusagen außerhalb der Tatbestandsmerkmale des Weisungsrechts ein eigener Rechtskreis zu. Von diesen Faustregeln unabhängig werden die Weisungsaufgaben in der Spezialfrage der zuständigen Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 VwGO) einheitlich als Auftragsangelegenheiten behandelt. Den Widerspruchsbescheid erläßt nicht die Gemeinde, sondern die nächsthöhere Behörde111. Ebenfalls unabhängig von den genannten Faustregeln können Weisungen grundsätzlich nicht auf die Handlungsformen des Außenrechts (Verwaltungsakt, Rechtsverordnung) festgelegt werden. Schon der Begriff „Weisung" steht dem entgegen. Vor allem aber passen die Institute der Verwaltungsverfahrensgesetze (Anhörungs-, Beratungs-, Begründungszwang), die mit der Qualifikation als Verwaltungsakt automatisch ins Spiel kämen, für das Verhältnis der Gemeinde zum Staat in Weisungsmaterien nicht. Die Frage, inwieweit Gemeinden gegen staatliche Weisungen um Gerichtsschutz nachsuchen können, ist damit noch nicht negativ entschieden, denn die Rechtswegeröffnung hängt heute anders als früher nicht mehr davon ab, daß die angegriffene Maßnahme als Verwaltungsakt eingestuft wird (vgl. unter 3 b). c) andere Formen öffentlicher Verwaltung im gemeindlichen Raum: Das unter a) und b) behandelte Spektrum öffentlicher Aufgaben und Aufgabenträgerschaft erschöpft die Erscheinungsformen öffentlicher Verwaltung im 109

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Zutreffend Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 22 (mit Auflistung eines Fragenkatalogs). Vgl. z. B. § 25 LVG BW. Vgl. z. B. § 7 AG VwGO BW; § 7 AG z. VwGO in NRW.

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gemeindlichen Raum nicht vollständig. Das Bild von der Einheit der Verwaltung auf der Ortsebene112 ist daher mehr Wunsch als Wirklichkeit. — Sonderbehörden: Zum einen gibt es zahlreiche Aufgaben, die der Staat auch „vor Ort" durch eigene Sonderbehörden wahrnimmt. Traditionell zählen hierher die Tätigkeiten der Finanz-, Arbeits- und Wehrverwaltung sowie der Gewerbeaufsichtsämter. Das Landesrecht kennt vielfältige weitere Fälle (z. B. Schulämter, Eichämter, Flurbereinigungsbehörden). Auch die Tätigkeiten von Bahn und Post müßten hierher gerechnet werden. — Organleihe: Eine Sonderform staatlicher Verwaltung begründen ferner diejenigen Gesetze, die ein einzelnes Gemeindeorgan ohne Rückbindung an seine originäre kommunale Trägerkörperschaft mit einer staatlichen Aufgabe betrauen. In diesen Fällen der Organleihem wird das betreffende Organ der staatlichen Verwaltung inkorporiert und unterliegt als solches allen Aufsichtsrechten des staatlichen Instanzenzuges. Bei gemeindlichen Organen sind solche Mischfälle selten114; der Standardfall dagegen findet sich auf der Landkreisebene (vgl. VIII 4). 2. Rechtsaufsicht 5

Die Rechtsaufsicht" („Kommunalaufsicht", „allgemeine Aufsicht") ist die Standardaufsicht des Staates über die Tätigkeit der Gemeinden. Sie folgt aus dem parlamentarischen System und aus der Gesetzesbindung der Verwaltung 116 und gehört notwendig zum Körperschaftsstatus der Gemeinde. Rechtsaufsicht heißt Überprüfung der Rechtmäßigkeit. Wo Maßstäbe des Rechts fehlen, mangelt der Rechtsaufsicht der Kontrollmaßstab. Der dogmatischen Vorstellung nach hat die Aufsichtsbehörde die gleichen rechtsmethodischen Schritte zu vollziehen, wie wir sie sonst bei der gerichtlichen Rechtskontrolle kennen: Ermessensfehler sind Rechtsfehler nach Maßgabe der § 40

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In manchen Landesverfassungen (z. B. Art. 137 LV Hessen, Art. 44 LV Nds) wird der Grundsatz der Einheit der örtlichen Verwaltung garantiert, nicht jedoch im Grundgesetz; a. A.: Stern, in: BK, Rdnr. 93 zu Art. 28 GG. Dazu Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, 28 f. m. w. N. Vgl. z. B. § 47 Abs. 3 GO NRW; § 62 Abs. 1 Ziff. 3 GO Nds; s. aber auch § 146 a GO He; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 181 f. m. w. N. Bei § 48 Abs. 4 PolG BW (Tätigkeit des Bürgermeisters als Ortspolizeibehörde) deutet zwar der Gesetzeswortlaut ebenfalls auf Organleihe hin (so auch Schmidt-Eichstaedt, HkWP Bd. 3, Fn. 56; Wolff /Bachof, VwR II, § 86 X f.); die Praxis in Baden-Württemberg behandelt den Bürgermeister jedoch insofern als Gemeindebehörde, gegenüber der allerdings sehr weitgehende Aufsichtsrechte des Staates (vgl. §49 Abs. 1, Ziff. 3 PolG BW) bestehen (Wöhrle / Beiz, PolG für BW, Rdnr. 5 zu § 48). Ausführlich Knemeyer, HkWP Bd. 1, 271 ff. Vgl. Art. 75 Abs. 1 LV BW; Art. 137 Abs. 3 LV Hessen; Art. 44 Abs. 1 LV Nds; Art. 78 Abs. 4 LV NRW; Art. 49 LV RhPf; Art. 122 LV Sa; Art. 39 Abs. 3 LV SchlH.

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VwVfG, § 114 VwGO117. Bei den Selbstverwaltungsaufgaben ist der Staat grundsätzlich auf diese Art der Aufsicht beschränkt. Systematisch lassen sich eine repressive, d. h. nachträglich einsetzende, und eine präventive"8, d. h. vor Vollendung eines gemeindlichen Rechtsaktes eingreifende Rechtsaufsicht unterscheiden. Die Gemeindeordnungen regeln unter der Überschrift „Aufsicht" zusammenhängend nur die repressive Rechtsaufsicht119, während sich präventive Aufsichtsvorgänge verstreut vor allem in den einzelnen Vorschriften finden, die bestimmte gemeindliche Handlungen staatlicher Genehmigung unterstellen. Demgemäß wird auch in diesem Beitrag verfahren (zu Genehmigungen vgl. unter 4). Den normalen Instanzenzug der Rechtsaufsichtsbehörden stellen die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung dar: der Innenminister — der Regierungspräsident — und, sofern es um kreisangehörige Gemeinden geht, das Landratsamt (Oberkreisdirektor) als untere staatliche Verwaltungsbehörde. a) Aufsichtsmittel12°: Aufsichtsvorgänge vollziehen sich in der Praxis vielfach durch informelle Kontakte zwischen Gemeinde und Aufsichtsbehörde (Beratung, Anregung, Korrekturvorschlag). Die Aufsicht soll den Gemeinden bekanntlich helfen und möglichst ohne Konfrontation erfolgen. Wenn das aber nicht zum Erfolg führt, muß das Recht allerdings auch zwangsweise gegen die Gemeinde durchgesetzt werden können. Für diese Eingriffsfälle halten die Gemeindeordnungen ein Instrumentarium bereit, das in der Art einer Klimax von einfachen Informationsrechten bis zu „schweren Geschützen" (z. B. Ersatzvornahme, Staatsbeauftragter) reicht. In Einzelheiten weichen die Gemeindeordnungen voneinander ab; zu den üblichen Mitteln gehören: — Informationsrecht: Soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, kann sich die Rechtsaufsichtsbehörde über einzelne Angelegenheiten unterrichten. Verlangt werden können die Vorlage von Akten, Erstellung von Berichten, die Einsichtnahme in Bücher. Eine generelle Vorlagepflicht, z. B. für alle Ratsbeschlüsse, kann jedoch nicht abgeleitet werden 121 , weil dieses allgemeine Informationsrecht schon zu den repressiven, nicht zu den nur präventiven Aufsichtsmitteln zählt. 117

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Dazu Kopp, VwGO, Rdnr. 4ff. zu § 114 VwGO; ders., VwVfG, Rdnr. 5ff. zu § 40 VwVfG. Hinweise auf die Schutzfunktion der Aufsicht lassen sich aus einigen Gemeindeordnungen entnehmen: Vgl. etwa Art. 108 GO Bay; § 11 GO Hessen; § 127 GO Nds; § 9 GO NRW; § 120 GO SchlH. §§ 118ff. GO BW; Art. 94ff. GO Bay; §§ 135ff. GO Hessen; §§ 127ff. GO Nds, §§ 106ff. GO NRW, §§ 117ff. GO RhPf, §§ 123 ff. KSVG Sa, §§ 120ff. GO SchlH. Sondervorschriften gelten für die aufsichtsbehördliche Rechnungsprüfung. Vgl. z. B. § 114 GO BW. Ausführlich Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1 S. 374ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 86ff.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 272ff. Vgl. auch Bracker, in: Fs. f. v. Unruh, S. 459 (471 f.). Knemeyer, HkWP Bd. 1, 272.

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— Beanstandungsrecht: Rechtswidrige Handlungen (Beschlüsse, Anordnungen) kann die Aufsichtsbehörde beanstanden und ihre Korrektur durch die Gemeinde verlangen, sofern die Gemeinde mit einer solchen Korrektur nicht erneut gegen das Gesetz verstoßen müßte 122 , indem sie z. B. zu einer rechtlich nicht möglichen Rücknahme eines Verwaltungsakts (§ 48 VwVfG) angehalten wird. Die in den neuesten Gemeindeordnungen vorgesehene „aufschiebende Wirkung" der Beanstandung 123 gilt nicht für die Außenwirksamkeit des betreffenden Aktes124; sie enthält aber ein Vollzugsverbot an die Gemeinde. — Anordnungsrecht: Erfüllt die Gemeinde die ihr nach Gesetz und Recht obliegenden Pflichten nicht, so kann die Aufsichtsbehörde anordnen 125 , daß die Gemeinde die notwendigen Maßnahmen innerhalb einer angemessenen Frist nachholt. Das Anordnungsrecht ist das auf gemeindliches Unterlassen bezogene Korrelat zum Beanstandungsrecht, das auf rechtswidriges Tun reagiert. — Ersatzvornahme: Kommt die Gemeinde einem der vorstehend genannten Verlangen der Aufsichtsbehörde innerhalb einer bestimmten Frist nicht nach, so ist die Aufsicht befugt, die notwendigen Maßnahmen an Stelle und auf Kosten der Gemeinde selbst durchzuführen. Hier wird die Aufsicht u. U. auch gegenüber Dritten tätig. Im Vorgang der Ersatzvornahme liegt also regelmäßig ein Doppelakt: ein Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde, der die Ausübung des Aufsichtsmittels zum Regelungsgegenstand hat, und ein zweiter Akt, dessen Rechtsnatur sich aus seinem Regelungsumfeld heraus bestimmt und der folglich z. B. Realakt, Akt der Normsetzung, aber auch eine privatrechtliche Willenserklärung sein kann. — weitere Aufsichtsmittel: Länderweise unterschiedlich eingeführt sind darüber hinaus weitere Aufsichtsmittel für schwere Fälle, z. B. die Bestellung eines Staatsbeauftragten 126 , die Auflösung des Gemeinderates 127 oder die vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Bürgermeisters128. b) Rahmenbedingungen und Rechtsschutz: Die eingreifenden Aufsichtsmittel unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zuweilen ist ausdrücklich vorgesehen, daß zunächst das gemeindeinterne Kontrollsystem einzu122 123 124

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Vgl. VGH München VGH E n. F. 11 I, S. lOff. (19f.). Vgl. z. B. § 121 Abs. 1 S. 3 GO BW; § 108 Abs. 2 GO NRW. So auch Seeger/ Wunsch, Kommunalrecht in Baden-Württemberg, 1983, S. 232, Kottenberg-Rehn, Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Anm. IV zu § 108 GO NRW. Nicht ausdrücklich in Bayern. Dort folgt das Anordnungsrecht nur indirekt aus Art. 112S.2GO. Vgl. u. a. § 124 GO BW; Art. 114 GO Bay; § 141 GO Hessen; § 132 GO Nds; § 110 GO NRW; § 124 GO RhPf; § 130 KSVG Sa; § 127 GO SchlH. Vgl. Art. 114 GO Bay; § 141 a GO Hessen; § 54 Abs. 1 GO Nds; § 111 GO NRW; 125 GO RhPf; § 53 Abs. 2 KSVG Sa; § 44 GO SchlH. § 128 GO BW; Art. 114 Abs. 3 GO Bay.

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schalten ist129. Generell dürfen Aufsichtsmaßnahmen nur durchgeführt werden, wenn sie dem öffentlichen Wohl dienen. Mit Ausnahme des Informationsrechts setzen alle Aufsichtsmaßnahmen rechtswidriges Gemeindehandeln voraus. Die Rechtswidrigkeit folgt primär aus Rechtssätzen des öffentlichen Rechts. Verstöße gegen privatrechtliche Vorschriften reichen jedenfalls dann nicht aus, wenn sie nur den Interessen des Privatrechtsverkehrs dienen 130 . Eine zum Einschreiten berechtigende Rechtsverletzung liegt auch dann vor, wenn sich ein Gemeindeorgan mit Materien beschäftigt, die wegen ihres überörtlichen Charakters nicht in seinen Kompetenzbereich fallen. Auch bei Vorliegen des Aufsichtsfalles ist die Aufsichtsbehörde, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, nicht zum Einschreiten verpflichtet, sondern kann nach Ermessen entscheiden (Opportunitätsprinzip) 131 . Klare Fälle einer Ermessensschrumpfung dürften selten sein, sind aber nicht ganz auszuschließen. In keinem Falle haben private Dritte einen Rechtsanspruch auf aufsichtsbehördliches Einschreiten; denn Aufsichtsvorschriften sind nicht einmal beiläufig ihren Interessen zu dienen bestimmt 132 . Adressat der genannten Aufsichtsmaßnahmen ist die Gemeinde als solche, die in ihrem Körperschaftsstatus dem Staat (Aufsichtsbehörde) im Außenverhältnis entgegentritt 133 . Regelnde Maßnahmen der Aufsichtsbehörde haben daher unstreitig die Qualität eines Verwaltungsaktes. Für ihren Erlaß sind, soweit das Kommunalrecht keine gleichlautenden oder entgegenstehenden Vorschriften enthält, ergänzend die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder einschlägig. Der Gerichtsschutz134 der Gemeinden richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Soweit die Gemeindeordnungen darauf verweisen, kommt ihnen angesichts des § 40 Abs. 1 S. 1, § 42 Abs. 2 VwGO nur deklaratorische Bedeutung zu135. 3. Fachaufsicht a) Wesen und Regelungen: Als Fachaufsicht 136 bezeichnet man die besondere Aufsicht in Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises bzw. der Weisungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen enthalten hierüber nur margi129 130 131 132 133 134 135 136

§ 108 GO NRW. OVG Münster DVB1. 1963, 862ff. Str. vgl. zum Streitstand Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. 1, 383f m. w. N.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 268 f; ferner Borchert, DÖV 1978, 721 ff. H. M.; vgl. BVerwG DÖV 1972, 723; BVerfGE 31, 33 (42). OVG Münster DVB1. 1981, 227f.; Fehrmann DÖV 1983, 311 (317). Dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 390f.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 101 f.; Knemeyer, HkWP Bd. 1, 275. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 102. In NRW „Sonderaufsicht". Dieser Begriff wird sonst anderen Fällen (vgl. unten 4) vorbehalten. Vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 372, 385ff.; Scholler/Broß, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 206, 221 f.; kritisch Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 82.

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nale Vorschriften und verweisen im übrigen auf die einschlägigen Fachgesetze137. Das Wesen der Fachaufsicht liegt in der ihr zugeordneten Weisungsbefugnis. Diese Befugnis ist im dualistischen Aufgabenmodell grundsätzlich unbegrenzt138, während sie im monistischen Modell für das einzelne Aufgabengebiet gesetzlich besonders verliehen sein muß. Weisungen erstrecken sich auf die Handhabung des gemeindlichen Ermessens und sind selbst vorrangig von Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit bestimmt. Damit bekommt die Aufsicht eine ganz andere Funktion: repressive Kontrolle und präventive Steuerung fließen hier zusammen. Vor allem die allgemeinen Weisungen in Verwaltungsvorschriften und Runderlassen zielen regelmäßig auf die Beeinflussung künftiger gemeindlicher Verwaltungsentscheidungen. Eine immanente Grenze aller Weisungsrechte liegt darin, daß sie Sachentscheidungen steuern sollen. Wie die Gemeinde die organisatorischen Voraussetzungen dafür schafft, muß ihr dagegen selbst überlassen bleiben139. Fachaufsicht ist nicht Dienstaufsicht 140 . Die Weisungsrechte werden von den zuständigen Fachbehörden ausgeübt, die mit den allgemeinen Aufsichtsbehörden häufig, aber keinesfalls durchgängig identisch sind. Außer zur Ausübung des Weisungsrechts sind die Fac/iaufsichtsbehörden zu Eingriffen in den gemeindlichen Bereich nicht berechtigt141. Kommt eine Gemeinde einer Weisung nicht nach, so ist allein die Äec/iisaufsicht berechtigt, darauf mit ihren allgemeinen Aufsichtsmitteln zu reagieren; die Fachaufsichtsbehörden haben sich an sie zu wenden. b) Rechtsschutz gegen fachaufsichtliche Maßnahmen: Dieses Problem wird heute eher in den Begründungsschritten als im Ergebnis kontrovers behandelt142. Dabei sollte zwischen der generellen Zulässigkeit einer gemeindlichen Klage, der richtigen Rechtsschutzform und der im Rahmen der Klagebefugnis und der Begründetheit zu behandelnden Frage nach den verletzten gemeindeeigenen Rechten unterschieden werden: — Unbestreitbar ist, den Gemeinden wird der Rechtsweg auch gegen fachaufsichtliche Maßnahmen nicht generell versperrt. Solche Maßnahmen sind keine gerichtsfreien Hoheitsakte, sondern Vorgänge, über die nach Maßgabe des öffentlichen Rechts zu entscheiden ist (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). — Davon unabhängig besteht der Streit um die Rechtsnatur fachaufsichtlicher Weisungen. Er hat Bedeutung für die Bestimmung der statthaften Klageart: Stuft man Weisungen als Verwaltungsakte ein, ist um Rechtsschutz mit 137 138

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Darstellung bei Knemeyer, HkWP Bd. 1, 276 ff. Besonderheit für Bayern: Vgl. Art. 109 Abs. 2 GO Bay; dazu Kneymeyer, HkWP Bd. 1, 291; ders., Bayrisches Kommunalrecht, 210f.; VGH München DÖV 1978, 100 f. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 548 f. Unterscheidung bei Wolff / Bachof, VwR II, § 77 II c 2. Ausdrücklich: § 129 Abs. 2 GO BW, § 116 Abs. 1 S. 2 GO Bay. Dazu ausführlich: Knemeyer, HkWP Bd. 1, 278f., 280; Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 488 ff.; Redeker / v. Oertzen, VwGO, Rdnr. 49 zu § 42 VwGO jeweils m. w. N.

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der Anfechtungsklage nachzusuchen. Tut man das nicht — und manche verwaltungsverfahrensrechtliche Konsequenzen sprechen dafür, es generell nicht zu tun 143 — so bleibt der Gemeinde immer noch die allgemeine Leistungsklage. — Die für allgemeine Leistungs- wie für Anfechtungsklagen gleichermaßen entscheidende Frage ist die nach den verletzten subjektiven Rechten144 Sind solche nachweisbar, so kann der Rechtsschutz nicht scheitern. Auf der Basis des monistischen Aufgabenmodells lassen sich solche gemeindeeigenen Rechte leichter ausmachen, weil hier alles, was außerhalb des gesetzlichen Weisungstatbestandes liegt, dem gemeindlichen Rechtskreis anwächst. Hält sich die Weisung nicht im Rahmen dieses Tatbestandes, so trifft sie sozusagen von selbst auf gemeindliche Rechte. Aber auch bei den Auftragsangelegenheiten des dualistischen Modells ist die Betroffenheit gemeindeeigener Rechte nicht auszuschließen; denn die Gemeinden bleiben auch hier mit ihrer Verwaltungsorganisation Körperschaften. Das Weisungsrecht darf, selbst wenn die Sachaufgabe staatliche Angelegenheit ist, nicht in den gemeindlichen Organisationsvorbehalt eingreifen 145 . Inwieweit eine Betroffenheit eigener Rechte nach der Konstellation des Einzelfalls immerhin möglich ist, inwieweit sie wirklich vorliegt und rechtsverletzend wirkt, ist dann eine Frage der Aufteilung des Prozeßstoffes auf die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfende Klagebefugnis und die letztendlich entscheidende Begründetheit. Hält sich die fachaufsichtliche Maßnahme im Rahmen der ihr durch das Recht gezogenen Grenzen, so mag sie so unzweckmäßig sein, wie sie will — ein gemeindliches Rechtsmittel kann dann keinen Erfolg haben. 4. Mittel präventiver Aufsicht a) Zweck und Typik: Die Aufsicht ist nicht notwendig darauf beschränkt, nachträglich korrigierend tätig zu werden. Oft ist es für alle Beteiligten besser, die Aufsichtsinteressen werden erfüllt, bevor das Kind in den Brunnen 143

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So auch Meyer-Borgs, VwVfG, 2. Aufl., § 35 Rdnr. 49; OVG Lüneburg NVwZ 1982, 385f.; a. M.: Knemeyer, HkWP Bd. 1, 279, 280; Schmidt-Jortzig JuS 1979, 488 (491); VGH München BayVBl. 1979, 305 m. w. N. Für die insofern vergleichbaren Fragen des Rechtsschutzes im Beamtenverhältnis wie hier aber BVerwGE 60, 144 (148); Kremer, NVwZ 1983, 6ff. Anfechtungsklage hat auch die Gemeinde ausnahmsweise dann zu erheben, wenn sie sich gegen Entscheidungen der Aufsichtsbehörde wendet, die diese als Widerspruchsbehörde (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) in einem von einem Dritten gegen eine gemeindliche Entscheidung angestrengten Widerspruchsverfahren getroffen hat. Der Widerspruchsbescheid erhält seinen Verwaltungsaktcharakter aus seiner Außenwirksamkeit gegenüber dem Dritten und behält ihn auch der Gemeinde gegenüber. Vgl. dazu BVerwG NVwZ 1982, 310f. Vgl. dazu BVerwG NJW 1978, 1820; Kopp, VwGO, Rdnr. 95 zu §42 VwGO; BVerwG NVwZ 1983, 610 (611). Schmidt-Jortzig, JuS 1979, 488 (490). Vgl. ferner Art. 109 Abs. 2 GO Bay; Knemeyer, HkWP Bd. 1,281.

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gefallen ist. Auch die informellen Mittel der Beratung und Besprechung lassen sich besser vorab einsetzen. Freilich birgt gerade die präventive Aufsicht auch die Gefahr, daß sie über eine Mitgestaltung zur Besserwisserei entartet, weil hier die notwendige Distanz zwischen Aufsichtsbehörde und Gemeinde leichter verlorengehen kann. Folglich muß das präventive Aufsichtswesen besonders sorgfältig gesetzlich geordnet sein. Aufsichtsmittel, die der Gemeinde verbindlich etwas vorschreiben wollen, bedürfen gesetzlicher Grundlage. Fehlt es daran, so können die Staatsbehörden nicht tätig werden. Im übrigen haben sich solche Mittel auf Vorgänge zu beschränken, in denen sich ein besonderes „Gefährdungs"- oder ein spezielles „Mitsprachepotential" angesammelt hat. Zu den Instrumenten der präventiven Aufsicht gehören als mildere Mittel Anzeige- oder Vorlagepflichten144. Sie sind Rechtstechniken, die der Aufsichtsbehörde die Kontrolle erleichtern sollen. Vor allem aber sind gesetzliche Genehmigungsvorbehalte Mittel präventiver Aufsicht. b) spezielle Genehmigungsvorbehalte: Sie finden sich als Erfordernisse aufsichtsbehördlicher Genehmigung, Zustimmung oder Bestätigung sowohl in den Kernbereichen des Gemeinderechts, z. B. bei der Satzungsgebung, bei Gebietsänderungen und im gemeindlichen Wirtschaftsrecht, vielfach aber auch in Fachgesetzen, z. B. gegenüber der gemeindlichen Bauleitplanung (§§ 6, 11 BBauG). Nicht einheitlich zu beantworten ist die Frage, inwieweit die Aufsichtsbehörde auf die reine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt ist oder ihrer Genehmigungsentscheidung auch Zweckmäßigkeitserwägungen zugrundelegen darf 147 . Nach überwiegender Ansicht müssen mehrere Typen von Genehmigungsvorbehalten unterschieden werden. aa) rechtliche Unbedenklichkeitserklärung: Der Normaltatbestand gestattet allein eine Rechtskontrolle. Die Genehmigung ist hier rechtliche Unbedenklichkeitserklärung. Solche Vorschriften finden sich dort, wo der gemeindliche Rechtsakt mit besonderen rechtlichen Risiken behaftet ist oder weiterreichende rechtliche Folgen hat. Wenn keine zusätzlichen Genehmigungsmaßstäbe genannt sind oder aus dem Kontext zwingend geschlossen werden können, ist allein eine Rechtskontrolle als das die Gemeinden am wenigsten belastende Mittel zulässig. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Rechtsakt gegen berücksichtigungsfähige Rechtsvorschriften nicht verstößt. Die Gemeinde hat auf die Genehmigung einen Rechtsanspruch, den sie mit der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage verfolgen kann 148 .

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Vgl. etwa § 108 Abs. 1 GO BW; Art. 65 Abs. 2, 90 G O Bay;: § 86 Abs. 1 G O N d s ; systematisch: Keller, Die staatliche Genehmigung von Rechtsakten der Selbstverwaltungsträger, 1976, S. 43 ff. Dazu Salzwedel, A f K 1, 1962, S. 203ff.; W. Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart, 1967, S. 123 (129f.); Wolff /Bachof, VwR II, § 86 IX b; Bracker, in: Fs. f. v. Unruh, S. 459ff., 475f. OVG Münster OVGE 19, 192ff.

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bb) staatliche Mitentscheidung, Kondominium: Daneben kennt das Gemeinderecht traditionell aber auch solche Genehmigungstatbestände, die den Staat zu einer mehr oder weniger umfassenden Zweckmäßigkeitskontrolle ermächtigen149. So unterliegt z. B. die Veräußerung (historisch) wertvoller Gegenstände des Gemeindevermögens einer Genehmigung, bei der es nicht allein um die Rechtmäßigkeit geht, sondern deren Sinn gerade darin liegt, gemeindliches Vermögen vor gemeindlicher Unbedachtsamkeit in Schutz zu nehmen 150 . Ähnliches gilt für Genehmigungen gemeindlicher Kreditaufnahmen oder gegenüber der Eingehung von Bürgschaften. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verbietet solche Tatbestände nicht grundsätzlich, denn auch die hier betroffene Eigenverantwortlichkeit steht unter einem Gesetzesvorbehalt. Größere Probleme werfen — freilich nur für landesgesetzliche Genehmigungsvorbehalte — diejenigen Selbstverwaltungsgarantien der Landesverfassungen auf, die die Staatsaufsicht außerhalb der Weisungsaufgaben ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeitsprüfung beschränken 151 . Teilweise hat man versucht, diese Verfassungsbestimmungen nur auf die repressive Aufsicht zu beziehen und die präventiven Aufsichtsvorgänge ganz aus dem Garantiebereich auszuklammern 152 . Angängig ist das freilich nur bei Materien, die wegen eines eindeutigen staatlichen Mitgestaltungsinteresses ohnehin in den Grenzbereichen des örtlichen Wirkungskreises liegen und die man als Angelegenheiten eines staatlich-gemeindlichen Kondominiums bezeichnen kann: gemeindliche Gebietsänderungen, Zweckverbandsbildungen, Wappen- und Siegelführung. Bei den meisten Genehmigungstatbeständen des Kommunalwirtschaftsrechts dagegen geht es ganz vorrangig um örtliche Belange, um einen Schutz der Gemeinde vor sich selbst. Eine exakte Regelung enthält hier allein Art. 75 Abs. 1 S. 2 der bad.-württ. LV, der die Genehmigungsmaßstäbe in den Grundzügen selbst normiert. Will man auch in den anderen Bundesländern die notwendige und eingespielte Präventivkontrolle weiterhin für zulässig ansehen, so bleibt nur der Weg, den Genehmigungsmaßstab auf einen freilich weit zu interpretierenden Rechtsbegriff der „Wirtschaftlichkeit" zurückzuführen und den Genehmigungsvorbehalt so als eine (weite) Rechtmäßigkeitskontrolle zu deuten 153 .

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Beispiele bei Wolff/ Bachof, VwR II, § 86 IX b y. Vgl. dazu Borchert, Kommunalaufsicht und kommunaler Haushalt, 1976, S. 162ff.; Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 243; Wolff/ Bachof, VwR II, § 86 IX c y. Vgl. § 137 Abs. 3 LVerf Hessen; Art. 44 Abs. 5 LVerf Nds; Art. 78 Abs. 4 S. 1 LVerf NRW; teilweise Art. 75 LV BW. Keller, Die staatliche Genehmigung von Rechtsakten der Selbstverwaltungsträger, 1976, S. 71 ff. m. N. Borchert, Kommunalaufsicht und kommunaler Haushalt, 1976, S. 190ff.

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III. Das Recht des internen Gemeindeaufbaus (Gemeindeverfassungsrecht) Vorbemerkungen Das Recht des internen Gemeindeaufbaus, das man auch das Gemeindeverfassungsrecht nennt, beschäftigt sich mit den Arten und dem Zusammenwirken der Gemeindeorgane. Es weist einen erheblichen Variantenreichtum im Ländervergleich auf, der vor allem historisch zu erklären ist. Gleichwohl gibt es vereinheitlichende Grundannahmen und Grundzüge. Hier sind vorab die externen Grundannahmen kurz zu erläutern. a) Das Bild der Einheitsgemeinde: Gemeinsam gehen alle Gemeindeordnungen vom Bild der Einheitsgemeinde aus. Die Einheitsgemeinde, so wie sie Gewährleistungsträger des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist - ohne Rücksicht auf ihre Größe, Verwaltungskraft, Versorgungsfunktion —, ist das Bezugsobjekt, an das das Gemeinderecht seine Regelungen standardmäßig knüpft. Sie ist nach außen mit ihrem Körperschaftsstatus die Einheit, die ihre Bürger umschließt und in einem rechtstechnischen Sinne ihren Organen und Untergliederungen Rückhalt und Zuordnung gibt. Weder interne Untergliederungen (Ortschaften, Gemeindebezirke) 154 noch Zusammenschlüsse von Gemeinden zu neuen Verwaltungsträgern (BW: „Verwaltungsgemeinschaften"; Nds: „Samtgemeinden"; RP: „Verbandsgemeinden"; SH: „Ämter" 155 ) sind in diesem Rechtssinne Gemeinden. b) kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden: Allerdings kann das Verwaltungsrecht nicht die Augen davor verschließen, daß in der Realität der Gebietszuschnitt, die Raumsituation, die Bevölkerungszahlen und die Leistungskraft der Gemeinden erheblich voneinander abweichen und zu Differenzierungen auch des Rechtsstatus veranlassen. Ein Teil solcher Differenzierungen im Bild der Einheitsgemeinde findet sich außerhalb des Gemeinderechts. So sind z. B. die unterschiedlichen Versorgungsfunktionen, die eine Gemeinde für sich und ihr Umland wahrnimmt, als zentralörtliches Gliederungsprinzip im Landesplanungsrecht 156 berücksichtigt. Andere Differenzierungen nimmt das Kommunalrecht selbst vor. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen kreisangehörigen und kreisfreien Gemeinden 157 , die sich an der unterschiedlichen Größe und Verwaltungskraft orientiert und daraus Konsequenzen für den Aufgabenbestand zieht. Vor allem bei der gesetzlichen Zuweisung 154 155 156 157

Vgl. unten III. 4. Vgl. unten VIII. Dazu Kistenmacher, in: Grundriß der Raumordnung, 1982, S. 248ff.; allgemein Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt, insbes. IV. 3. Daneben gibt es Sonderformen; z. B. „stadtverbandsangehörig" (§ 4 Abs. 2 KSVG Sa).

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von Auftragsangelegenheiten/Weisungsaufgaben wird auf diese Unterscheidung Bezug genommen. aa) kreisangehörige Gemeinden: Von den 8519 Gemeinden der Bundesrepublik sind 8427 kreisangehörig. Ohne ihre rechtliche Selbständigkeit anzutasten, besteht „oberhalb" — nicht eigentlich über — ihnen ein Gemeindeverband (Landkreis, Kreis), um diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen (vgl. unter VIII). bb) kreisfreie Städte: Kreisfreie Städte (Stadtkreise) sind diejenigen größeren Städte, denen der Status der Kreisfreiheit gesetzlich zuerkannt ist. Länderweise variieren die Schwellenwerte, an denen sich die Gebietsreform ausrichtet, nicht unerheblich. Insgesamt gibt es 92 kreisfreie Städte. Sie sind Gemeinden nach dem Bild der Einheitsgemeinde; insofern ist der Begriff des „Stadtkreises" (BW) irreführend. Ihr Aufgabenbestand ist wegen ihrer größeren Leistungsfähigkeit aber schon auf natürliche Weise größer als der der kreisangehörigen Gemeinden. Außerdem sind ihnen diejenigen Aufgaben übertragen, die im Landkreis von den Kreisorganen erfüllt werden, die Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörden. Das was im Landkreis von unterschiedlichen Verwaltungseinheiten (kreisangehörigen Gemeinden, Landkreisen, Kreisorganen als untere staatliche Verwaltungsbehörden) geleistet wird, erfüllen die kreisfreien Städte „in einer Person". cc) privilegierte kreisangehörige Gemeinden: Die kreisangehörigen Gemeinden haben unter sich wiederum stark voneinander abweichende Einwohnergrößen und Erscheinungsformen: kreisangehörig ist eine dörfliche Gemeinde mit nicht mehr als 3000 Einwohnern; kreisangehörig kann aber auch eine Gemeinde mit 100000 Einwohnern und total städtischem Gepräge sein. Um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen, stellen die Gemeindeordnungen aller Flächenländer eine — Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zwei — besondere Kategorien einer größeren kreisangehörigen Gemeinde zur Verfügung158. Die Erlangung dieses besonderen Status setzt das Erreichen eines länderweise (zwischen 20000 und 60000) variierenden Einwohnergrenzwertes und außer in Hessen einen besonderen staatlichen Akt der Statusverleihung voraus. Gemeinden mit privilegiertem Status erfüllen in den meisten Ländern neben ihren Aufgaben als kreisangehörige Gemeinden im übertragenen Wirkungskreis auch einen Teil derjenigen Aufgaben, die sonst nur von den kreisfreien Städten, im Landkreis aber normalerweise von den Kreisverwaltungsorganen als untere staatliche Verwaltungsbehörden wahrgenommen werden. Außerdem bestehen für privilegierte kreisangehörige Gemeinden Abweichungen im normalen Instanzenzug der Rechtsaufsicht.

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Vgl. dazu die Übersicht bei Schleberger, HkWP Bd. 2, 199.

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1. Gemeindeverfassungstypen (Überblick) Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind Gemeinden handlungsfähig durch ihre Organe 159 . Alle Gemeindeordnungen kennen wenigstens zwei Hauptorgane, den Gemeinderat als zentrales Beschlußorgan und ein Hauptverwaltungsorgan, das in den meisten Ländern monokratisch (Gemeindevorsteher: Bürgermeister, Gemeindedirektor), in zwei Ländern kollegial (Magistrat) verfaßt ist. Status und gegenseitige Zuordnung dieser Organe sind in den deutschen Ländern stets recht unterschiedlich geregelt worden 160 . Die Geschichte des Kommunalrechts überliefert zur Kennzeichnung der wichtigsten Gemeindeverfassungstypen die Begriffe Bürgermeister-, Magistrats- und Ratsverfassung, die auch heute noch gebräuchlich sind. Sofern mit diesen Begriffen schlagwortartig dasjenige Organ mit dem größeren Gewicht genannt werden soll, verwirren die Bezeichnungen mehr als daß sie erhellen. Die grundgesetzlich vorgeschriebene Direktwahl des Gemeinderats (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) gibt diesem Gremium heute in allen Gemeindeverfassungstypen einen natürlichen Vorrang 161 . Variationsmöglichkeiten bestehen daher nur (noch) in der Frage, ob der Gemeinderat allein das allzuständige Gremium sein (monistisches Modell) oder ob ihm ein ebenfalls aus einer Direktwahl hervorgegangenes oder durch einen festen Kompetenzbereich qualifiziertes zweites Organ von politischem Eigengewicht an die Seite gestellt werden soll (dualistische Modelle). Die derzeitigen Gemeindeverfassungstypen zeigen, daß auch dieser beschränkte Spielraum den Eigenwilligkeiten der Landesgesetzgebung kaum Einhalt gebietet. Keine Gemeindeordnung gleicht hier der anderen; zum Teil gibt es innerhalb desselben Landes zwei Modelle je nach der Größenklasse der Gemeinden. Die Unterschiede in der Begrifflichkeit, mit der die Gemeindeorgane belegt werden, machen die Sache noch bunter. Unübersichtlich wie die Materie sind auch die Einteilungsversuche des kommunalrechtlichen Schrifttums 162 . Keine Bezeichnung gibt ein Modell lupenrein wieder. Mehr als Orientierungspunkte sind alle Begriffe nicht. Entscheidend bleibt die Detailregelung der jeweils einschlägigen Gemeindeordnung. Für den Überblick mögen wenige Bezeichnungen genügen, die die derzeitigen Gemeindeverfassungstypen zu „Familien" zusammenfassen: — norddeutsche Ratsverfassung163: Ihr liegt ein vom englischen Kommunalrecht 164 beeinflußter Monismus zugrunde: Der Idee nach wird die Verwaltung der Gemeinde ausschließlich durch den Gemeinderat bestimmt, wäh159 160 161 162

163 164

Vgl. Wolff / Bachof, VwR II, § 85 I c. Dazu v. Mutius, Jura 1981, 126ff.; historische Darstellung bei Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 215 ff. Frowein, HkWP Bd. 2, 82. Vgl. Wolff / Bachof, VwR II, § 87 II b; Schmidt-Eichstaedt, Gemeindeordnungen und die Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland, Einführung 4 a); Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 222ff.; Schleberger, HkWP Bd. 2, 202f. Einzeldarstellung bei Berg, HkWP Bd. 2, 222ff. Vgl. Pagenkopf Kommunalrecht Bd. 1, 223, Fn. 35.

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rend der vom Rat gewählte Hauptverwaltungsbeamte nur Vollzugsorgan der Ratsentscheidungen sein soll. Diesem Modell folgen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In beiden Ländern hat sich allerdings nach und nach ein gemäßigter Monismus durchgesetzt, in dem auch der Hauptverwaltungsbeamte mit einem eigenständigen Kompetenzbereich ausgestattet worden ist. — süddeutsche Ratsverfassung165: Sie ist durch einen gemäßigten Dualismus bestimmt: Die zentrale Position des Gemeinderates ist gewahrt. Dazu tritt jedoch der aus eigener Volkswahl hervorgegangene Bürgermeister, der Verwaltungschef und stimmberechtigter Ratsvorsitzender ist. Dieser Gemeindeverfassungstypus herrscht in Baden-Württemberg und Bayern. — Magistratsverfassung166: Sie steht bei aller Anerkennung der zentralen Stellung des Rates dem dualistischen Modell näher. Die laufende Verwaltung besorgt ein vom Rat gewählter Gemeindevorstand, der kollegial verfaßte Magistrat (Bürgermeister und Beigeordnete). Diesem Typus folgen Hessen und für Städte Schleswig-Holstein167. Ansätze finden sich ferner in RheinlandPfalz168. — Bürgermeisterverfassung169: Der Bürgermeister erhält sein Gewicht nicht durch eine eigene Volkswahl; er wird vielmehr vom Gemeinderat gewählt und ist mit qualifizierter Mehrheit von diesem vorzeitig abberufbar. Gleichwohl hat der Bürgermeister durch einen festen gesetzlichen Kompetenzstamm, durch seine Funktion als Verwaltungschef und als Ratsvorsitzender eine gewichtige Position. Wesentlich ist die Trennung von Beschluß- und Ausführungsorgan, die in der Person des Bürgermeisters jedoch eine personelle Verklammerung erfährt. Das Grundmodell findet sich in der rheinischen Bürgermeisterverfassung. Heute ist es in unterschiedlichen Varianten im Gemeinderecht von Rheinland-Pfalz, des Saarlands und von SchleswigHolstein vorgesehen: Mit dem Bürgermeister als stimmberechtigtem Ratsvorsitzenden kraft Gesetzes (echte BgmVfGm) oder als nicht stimmberechtigtem Ratsvorsitzenden (unechte BgmVfG'7'). 2. Der Gemeinderat a) Zusammensetzung und Mitgliederstatus: Der Gemeinderat 172 ist die gewählte Repräsentation 173 der Bürgerschaft; gleichwohl ist er kein Parlament, 165 166 167 168 169 170 171 172

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Einzeldarstellung bei Wehling, HkWP Bd. 2, 230ff. Einzeldarstellung bei Schneider, HkWP Bd. 2, 209 ff. Schleswig-Holstein folgt diesem Modell für alle Städte. Vgl. § 57 GO Rh Pf. Einzeldarstellung bei Dreibus, HkWP Bd. 2, 241 ff. Vgl. § 36 Abs. 1 und 3 GO RhPf; § 55 GO SchlH. Vgl. § 42 KSVG Sa. Die Bezeichnung der Gemeindevertretung ist in den verschiedenen Bundesländern nicht einheitlich: „Gemeinderat" bzw. „Stadtrat" in BW, Bay, RhPf und Sa; „Rat" in NRW und Nds; „Gemeindevertretung" in He und SchlH; „Stadtverordnetenversammlung" in Bremerhaven und in den Städten Hessens. Nicht Körperschaft; s. u. und Wolff/ Bachof, VwR II, § 75 I d.

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sondern, wie die Gemeinde insgesamt, Teil der Exekutive. Begriffe und Regeln des Parlamentsrechts lassen sich nur im Ausnahmefalle auf ihn übertragen 174 . Soweit er als „Vertretungskörperschaft" bezeichnet wird, liegt dem ein erweiterter Körperschaftsbegriff zugrunde; jedenfalls ist damit dem Rat keine Rechtsfähigkeit zuerkannt; letztere besitzt allein die Gemeinde, deren Organ er ist. Das schließt nicht aus, daß der Gemeinderat intern im Verhältnis zu anderen Gemeindeorganen Träger von organschaftlichen Rechten ist und diese gerichtlich durchsetzen kann (vgl. unter 5). Mitglieder des Gemeinderates 175 sind die aus unmittelbaren Wahlen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) hervorgegangenen Gemeindevertreter. Die Mitgliederzahl richtet sich nach der Einwohnergröße. Zu den solchermaßen gewählten Mitgliedern tritt in einigen Ländern der Bürgermeister als Mitglied und Vorsitzender des Gemeinderates 176 . Die Mitglieder haben ein kommunalrechtliches Mandat eigener Prägung: in einigen Ländern sind sie ehrenamtlich tätig; in anderen Ländern ist dieser Status streitig und es werden nur einige Pflichten der ehrenamtlich Tätigen auch für Ratsmitglieder für anwendbar erklärt 177 . Jedenfalls sind sie Inhaber eines öffentlichen Amtes — auch im haftungsrechtlichen Sinne (Art. 34 G G i.V. § 839 BGB178) - , nicht jedoch (Ehren-) 179 Beamte 180 . Die Institute der parlamentarischen Immunität und Indemnität sind dem kommunalrechtlichen Mandat fremd 181 . Dagegen ist der Gedanke des freien Mandats in den Gemeindeordnungen aufgenommen worden. Die Ratsmitglieder entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung; an Verpflichtungen und Aufträge, durch die diese Freiheit beschränkt wird, sind sie nicht gebunden 182 .

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M. Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereiche des Parlamentsrechts, 1979, S. 37ff.; eher für teilweise übertragbar Frowein, HkWP Bd. 2, 84. In manchen Gemeindeordnungen werden die Mitglieder der Gemeindevertretung selbst als „Gemeinderat" bezeichnet, vgl. z. B. § 25 Abs. 1 G O BW. BW; Bay; RhPf. Vgl. auch Borchmann, NVwZ 1983, 457 (458f.); nur Vorsitz: Saarl., Schlesw.-Holst. Vgl. Einzelheiten bei Wolff / Bachof, VwR II, § 86 Vlle 3 y; zur streitigen Stellung der Ratsmitglieder in N R W Rauball / Pappermann / Roters, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen, 1981, § 20 Rdnr. 8ff.; als ehrenamtlich Tätige ausdrücklich genannt in § 32 G O BW. BGH NJW 1983, 215 f. (216). Ausnahmen dann, wenn Mitglied der Gemeindevertretung zugleich oberstes Verwaltungsorgan ist: Vgl. § 70 Abs. 3 G O Nds; § 55 Abs. 2 G O SchlH. Zu dem besonderen Institut „berufsmäßige Gemeinderats-Mitglieder" vgl. Art. 40, 41 G O Bay. Vgl. Wolff/Bachof, VwR II, § 86 VII e 3 a). Ausnahme in Bayern: § 51 Abs. 2 GO (nur für Abstimmungsverhalten). So ausdrücklich § 32 Abs. 3 GO BW, § 30 Abs. 1 G O N R W ; vgl. auch Frowein, DÖV 1976, 44 ff.

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aa) Rechts- und Pflichtenstatus: Im einzelnen wird der Status des Ratsmitglieds durch ein Netz von Regelungen bestimmt183, in dem dem Hauptrecht auf Mandatsausübung und einigen Annexrechten (Aufwandsentschädigung, Fürsorge bei Dienstunfall) eine Anzahl von Pflichten gegenübersteht. Mit ihnen versuchen die Gemeindeordnungen das für die Selbstverwaltung erwünschte, aber auch prekäre Element eines Entscheidens in geringer Distanz zum Sachvorgang rechtsstaatlich auszubalancieren. Hierher gehören außer den im wahlrechtlichen Vorfeld liegenden Ineligibilitätsregeln184 ein Verschwiegenheitsgebot185 und gewisse Neutralitätspflichten. So darf ein Ratsmitglied regelmäßig Ansprüche und Interessen eines anderen gegen die Gemeinde nicht geltend machen, soweit er nicht als gesetzlicher Vertreter handelt186. bb) insbesondere: Befangenheitsvorschriften: Im kommunalen Alltag besonders bedeutsam sind die Vorschriften der Gemeindeordnungen über den Ausschluß befangener Ratsmitglieder187. Sie haben einen ähnlichen Aufbau wie § 20 VwVfG, betreffen aber andere Vorgänge und Adressaten. Kommunalrechtliche Mitwirkungsverbote bestehen bei Angelegenheiten, die dem Ratsmitglied selbst, seinen Familienangehörigen oder sonstigen natürlichen oder juristischen Personen, zu denen eine spezielle Bindung besteht, einen unmittelbaren188 Vorteil oder Nachteil bringen können. Das gilt nicht bei Vorteilen oder Nachteilen, die nur darauf beruhen, daß jemand einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen berührt werden — konkret: Der hundebesitzende Ratsherr darf beim Erlaß der Hundesteuersatzung gleichwohl mitwirken, nicht aber der im Planbereich Eigentum besitzende Ratsherr beim Erlaß eines Bebauungsplanes 189 . Das Verbot erstreckt sich auf Abstimmungen, aber auch auf die Entscheidungsvorbereitung 190 . Es zwingt dazu, die Beratung zu verlassen 191 ; bei öffentlicher Sitzung ist ein Verweilen im Zuhörerraum zulässig192. Die Mitwirkung eines an sich ausge183 184

185 186

187 188 189 190 191 192

Dazu: Wolff /Bachof, VwR II, § 86 VII e 3; Frowein, HkWP Bd. 2, 87f. Dazu ausführlich: Scholler/Broß, VR 1978, 77ff.; vgl. auch BVerfGE 58, 177 (190ff.); Meyer, HkWP Bd. 2, 69; Schoch, Das kommunale Vertretungsverbot, 1981, S. 11 ff. Dazu OLG Frankfurt NVwZ 1982, 215; VG Minden NVwZ 1983, 495 f. Vgl. z. B. §§ 17 Abs. 3 GO BW; § 26 GO He; im einzelnen weitere Einschränkungen: BVerfGE 41, 231 (241 ff.); 52, 42, (53ff.); dazu die kritische Anm. v. Mutius, VerwArch. 71 (1980), 191 ff.; BVerfGE 56, 99 (107ff.) - Bürogemeinschaft - ; 61, 68 (72 ff.) - Sozietät - . Vgl. § 18 GO BW; Art. 49 GO Bay; § 25 GO He; § 26 GO Nds; § 30 Abs. 2 i. V. m. § 23 GO NRW; § 22 GO RhPf; § 27 KSVG Sa; § 22 GO SchlH. Dazu Krebs, VerwArch 71 (1980), 181 ff. OVG Münster OVGE 27, 60ff.; anders für Flächennutzungspläne: OVG Münster BauR 1979, 477ff.; Creutz, BauR 1979, 470ff. OVG Lüneburg NVwZ 1982, 200. Ausdrücklich z. B. § 18 Abs. 5 GO BW; § 23 Abs. 4 GO NRW; § 26 Abs. 5 GO Nds. Vgl. § 23 Abs. 4 GO NRW; OVG Koblenz NVwZ 1982, 204.

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schlossenen Ratsmitglieds macht den Beschluß ohne Rücksicht auf das Stimmenverhältnis rechtswidrig (abstrakte Kausalität), regelmäßig mit der Folge der Nichtigkeit193. Umgekehrt wird man dann, wenn ein materiell mitwirkungsbefugtes Mitglied vom Gemeinderat fälschlich ausgeschlossen worden ist, auf die konkrete Kausalität abstellen müssen, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist194. Da sich Verstöße gegen das Mitwirkungsverbot zu einer Dauerkrankheit von Ratsbeschlüssen entwickelt hatten, erklären die meisten Gemeindeordnungen sie heute ausdrücklich nur für einen gewissen Zeitraum für rechtsrelevant und danach, sofern es nicht zu einer besonderen Rüge gekommen ist, für unbeachtlich (vgl. unter V 1 c bb)195. b) interne Organisation und Verfahren des Rates: Der Gemeinderat ist ein Kollegialgremium, für dessen ordnungsgemäße Entscheidungsfindung die Gemeindeordnungen zahlreiche Organisations- und Verfahrensregelungen treffen 196 . aa) Ratsvorsitzender197: In den Ländern der Bürgermeister- und der süddeutschen Ratsverfassung ist der Bürgermeister kraft Amtes Ratsvorsitzender. In den anderen Ländern wählt der Gemeinderat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden. Dem monistischen Modell Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens entspricht es, daß der gewählte Ratsvorsitzende die anspruchsvolle Bezeichnung „Bürgermeister" 198 führt, während sich der Hauptverwaltungsbeamte mit der Amtsbezeichnung des „Gemeindedirektors" 199 zufriedengeben muß. Der Vorsitzende beruft die Sitzungen des Gemeinderates ein. Er leitet die Verhandlung und hat für den ordnungsgemäßen Ablauf 200 der Sitzung Sorge zu tragen. Im Regelfalle wird sich das durch die normalen Handlungen (Aufruf der Tagesordnungspunkte, Worterteilung, Führen einer Rednerliste) bewirken lassen. Die Gemeindeordnungen ermächtigen den Vorsitzenden jedoch auch, notfalls Ordnungsmaßnahmen201 (z. B. Wortentzug, Sitzungsausschluß) gegen störende Ratsmitglieder zu treffen 202 ; schwerere Ordnungsmaßnahmen sind in einigen Ländern nur auf Grund eines Gemeinderatsbeschlusses zulässig203. Außerdem übt der Vorsitzende gegenüber externen Stö193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203

Ausdrücklich § 18 Abs. 6 GO BW; anders Art. 49 Abs. 3 GO Bay, dazu BGH DVB1. 1967, 618f.; § 26 Abs. 6 GO Nds. Anders § 18 Abs. 6 GO BW. Dazu Hill, DVB1. 1983, lff. Ausführlich Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 1980, S. 18 ff. Umfassend Foerstemann, HkWP Bd. 2, 90ff. In kreisfreien Städten und in manchen Städten mit Sonderstatus: „Oberbürgermeister". In kreisfreien Städten: „Oberstadtdirektor". Dazu Foerstemann, HkWP Bd. 2, 104 ff. Dazu ausführlich: Foerstemann, HkWP Bd. 2, 106ff. Hierzu gehört auch die Verhängung eines Rauchverbotes: OVG Münster DVB1. 1983, 53 ff. Vgl. z. B. Art. 53 Abs. 1 GO Bay.

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rem das Hausrecht aus; die entsprechenden Vorschriften der Gemeindeordnungen 204 begründen ein spezielles öffentlich-rechtliches Hausrecht, das für die Sitzung anderen Hausrechten vorgeht. bb) Ratsgeschäftsordnung205: Allgemeine Fragen des Verhandlungsganges und der Ratsorganisation (Sitzungstage, Sitz- und Stimmordnung) werden üblicherweise in einer Geschäftsordnung niedergelegt, die jeder Rat sich zu geben ermächtigt ist. Die Geschäftsordnung ist keine gemeindliche Satzung, sondern ein besonderer inneradministrativer Rechtssatz, der nur die Ratsmitglieder bindet 206 und folglich über diesen Kreis hinaus förmlich nicht weiter bekannt gemacht sein muß. Anderen Gemeindeorganen oder Dritten kann die Geschäftsordnung keine neuen Pflichten auferlegen. Ob Geschäftsordnungsverstöße die Unwirksamkeit der betreffenden Entscheidung nach sich ziehen, ist streitig207. Geschäftsordnungen können regelmäßig mit einfacher Mehrheit abgeändert werden 208 . Soll bestimmten geschäftsordnungsmäßigen Regeln erhöhte Beständigkeit beigelegt werden, so müssen sie förmlich als Satzung erlassen werden209. cc) Ratssitzungen: Das Forum für die Meinungsbildung und Entscheidungen des Gemeinderats soll unbeschadet aller vorbereitenden Ausschußtätigkeit die Ratssitzung sein, die regelmäßig210 öffentlich stattzufinden hat 211. Eine ordnungsgemäße Entscheidungsfindung setzt voraus, daß die Sitzung vorschriftsgemäß einberufen worden ist212. Die dazu erforderliche Tagesordnung muß die Verhandlungsgegenstände so exakt nennen, daß die Ratsmitglieder wissen, was auf sie zukommt. Sie ist außerdem öffentlich bekanntzumachen. Die Festlegung der Tagesordnung fällt grundsätzlich in die Kompetenz des Ratsvorsitzenden; die Ratsmitglieder können die Aufnahme eines

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Vgl. § 36 Abs. 1 GO BW; Art. 53 Abs. 1 GO Bay; § 44 Abs. 1 GO Nds; § 36 Abs. 1 GO NRW; § 36 Abs. 2 GO RhPf; § 43 Abs. 1 KSVG Sa; § 37 GO SchlH. Speziell zum zivilrechtlichen Abwehranspruch gegenüber Tonbandaufnahmen in Ratssitzungen: OLG Köln DVB1. 1979, 523 ff. Ausführlich Foerstemann, HkWP Bd. 2, 108 ff., mit Katalog der in den Geschäftsordnungen regelmäßig behandelten Gegenstände. Speziell zur Festsetzung eines Rauchverbotes vgl. die Nachweise bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 110 Fn. 123. HM; vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 417; VGH Mannheim ESVGH 22, 180 (181 ff.); Foerstemann, HkWP Bd. 2, 108 m. w. N. in Fn 114; dazu auch VGH Kassel DVB1. 1978, 821 (822). Vgl. zum Streitstand Foerstemann, HkWP Bd. 2, 109 Fn. 119. Auch stillschweigend; aber str.; vgl. Foerstemann, HkWP Bd. 2, 109 mit Fn. 118. In Bad.-Württ. für gewisse Fragen Regelung in der Hauptsatzung. Ausführlich Foerstemann, HkWP Bd. 2, 97 ff. Zum Öffentlichkeitsprinzip und Tonbandaufnahmen vgl. auch OLG Köln DVB1. 1979, 523 ff. m. Anm. Scheuer. Einzelheiten dazu bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 93 ff. Seeger, Handbuch für die Gemeinderatssitzung, 1980, S. 57 ff.

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Gegenstandes beantragen 213 . Eine Ergänzung der Tagesordnung in der Sitzung ist nach den einschlägigen Vorschriften nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig. Ladungsmängel sind wesentliche Verfahrensmängel. Die Durchführung der Sitzung verlangt die Anwesenheit des für die Beschlußfähigkeit erforderlichen Mitgliederquorums 214 . In der Sitzung sind die Verhandlungsgegenstände zu beraten und gegebenenfalls einer Entscheidung zuzuführen. Die wichtigsten Entscheidungsformen sind die auf Verfahrensoder Sachfragen bezogenen Abstimmungen, die im Regelfall öffentlich durch Handaufheben erfolgen und bei der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet215, und Personalauswahlentscheidungen in der Form von Wahlen, für die die Gemeindeordnungen teilweise diffizile Detailregelungen enthalten 216 . dd) Ratsausschüsse217: Die Organisationskompetenz des Rates erstreckt sich darauf, Ausschüsse zu bilden. In einigen Fällen, z. B. für Haushaltsfragen, ist die Bildung in manchen Ländern sogar gesetzlich vorgeschrieben (Pflichtausschüsse2ii). Die Ausschüsse sind Unterorgane des Rates219. Sie sollen grundsätzlich das Parteienspektrum des Rates widerspiegeln220. Oft ist außerdem die Zuziehung sachkundiger Bürger zulässig221. Die primäre Aufgabe der Ausschüsse ist die vorherige Beratung und weitere Aufklärung einer Angelegenheit, über die später der Gemeinderat beschließen soll (beratende A.). Daneben hat der Rat aber auch das Recht, Ausschüsse mit ratsvertretender Beschlußkompetenz einzusetzen (beschließende A.); ausgenommen sind Vorbehaltsaufgaben des Rates oder anderer Gemeindeorgane (vgl. c aa). Über die Einrichtung beschließender Ausschüsse und die dem Rat verblei-

213 214 215 216 217 218 219

220 221

Inwieweit ein solcher Antrag wegen der Unzuständigkeit des Rates abgelehnt werden darf, ist länderweise unterschiedlich geregelt; vgl. bei Anm. 32, 33. Vgl. § 37 Abs. 2 GO BW; Art. 51 GO Bay; § 53 GO He; § 46 GO Nds; § 34 GO NRW; § 39 GO RhPf; § 44 KSVG Sa; § 38 GO SchlH. Daneben kennt das Kommunalrecht qualifizierte Abstimmungsformen und qualifizierte Mehrheiten; vgl. die Nachweise bei Foerstemann, HkWP Bd. 2, 103. Vgl. Foerstemann, HkWP Bd. 2, 103 f. mit Nachweisen der einzelnen gesetzlichen Vorschriften. Allgemein Körner, HkWP Bd. 2, 129 ff. Vgl. z. B. § 41 Abs. 2 GO NRW; § 45 Abs. 2 GO SchlH. Nicht alle gemeindlichen Ausschüsse sind Ratsausschüsse; nicht z. B. der Umlegungsausschuß nach § 46 BBauG, der Gutachterausschuß nach § 137 BBauG, Ausschüsse aufgrund landesrechtlicher Regelungen im Bereich des Schulwesens. Gemeinsam ist diesen Ausschüssen, daß ihre Bildung nicht auf kommunalem Verfassungsrecht, sondern auf sondergesetzlichen Vorschriften beruht; vgl. dazu Kömer, HkWP Bd. 2, 132f. Vgl. Art. 33 Abs. 1 GO Bay; § 51 Abs. 2 GO Nds; § 49 Abs. 2 KSVG Sa; BVerwG DÖV 1978, 415; VGH Mannheim BWVPr 1977, 204 (206). Vgl. § 41 GO BW; § 51 Abs. 7 GO Nds; § 42 Abs. 3 GO NRW; § 44 Abs. 1 GO Rh Pf; § 46 Abs. 2 GO SchlH.

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benden Einflußmöglichkeiten auf Ausschußbeschlüsse, z. B. durch ein Rückholrecht, treffen die Gemeindeordnungen unterschiedliche Regelungen 222 . c) Aufgaben des Gemeinderates: Entsprechend seiner zentralen Stellung hat der Rat die wichtigsten Führungs- und Kontrollaufgaben 223 in der Gemeinde. Die Führungsaufgaben224 werden in Planungen, Rechtsetzungsakten und wichtigen Einzelentscheidungen einschließlich der bedeutsamen Personalentscheidungen erfüllt. Für die Kontrollaufgaben 225 gegenüber der Gemeindeverwaltung stellt das Kommunalrecht eine Reihe von Informations- und Auskunftsrechten zur Verfügung, denen entsprechende Berichts- und Rechnungslegungspflichten der Gemeindeverwaltung korrespondieren; ein förmliches Enqueterecht, wie es parlamentarische Gremien besitzen, existiert dagegen nicht226. Im übrigen ist der Aufgabenbestand des Rates entsprechend den einzelnen Gemeindeverfassungstypen unterschiedlich ausgebildet. aa) Systematik: Eine freilich recht grobe Gliederung hat zunächst die Aufgaben des Gemeinderates von denen anderer Gemeindeorgane abzugrenzen. Hier bietet sich eine Dreiteilung an: — Vorbehaltsaufgaben des Rates: Diese in allen Gemeindeordnungen anzutreffende Gruppe umfaßt eine Reihe sehr wichtiger Aufgaben, die der Rat, von Dringlichkeitsfällen abgesehen, selbst entscheiden muß. Das Gesetz verbietet es, solche Entscheidungen zu delegieren; zulässig und üblich ist auch hier allerdings die Delegation der Entscheidungsvorbereitung. — variabler Aufgabenkreis: In diese Gruppe fallen alle Aufgaben, die der Rat zwar nicht notwendig entscheiden muß, die er aber entscheiden kann. Die Regelungstechniken der Gemeindeordnungen sind hier unterschiedlich: Teilweise fallen diese Aufgaben originär zunächst dem Rat zu, der sie allgemein oder im Einzelfall delegieren kann. Teilweise wird für Aufgaben dieser Art aber auch eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten eines anderen Organs gesetzlich begründet; der Gemeinderat ist dann jedoch ermächtigt, die Sache an sich zu ziehen. — Vorbehaltsbereich anderer Organe: Hierher zählen alle diejenigen Aufgaben, die die Gesetze einem anderen Organ, z. B. dem Bürgermeister oder dem Gemeindedirektor, zur eigenständigen und alleinigen Wahrnehmung übertragen. Auf diese Aufgaben kann der Rat weder Zugriff nehmen noch sonst verbindlich in sie hineinregieren. Für die dualistischen Kommunalverfassungen ist dieser dritte Bereich wesensnotwenig; vor allem die Zuständigkeiten des 222 223 224 225 226

Vgl. § 39 Abs. 3 S. 5 GO BW; § 50 Abs. 1 S. 5 GO He; § 44 Abs. 3 GO RhPf; § 27 Abs. 1 GO SchlH; s. a. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 246 f. Dazu Reichert, Das Spannungsverhältnis zwischen Bürgermeister und Gemeinderat, Diss. Speyer 1979. Vgl. z. B. § 24 GO BW; Art. 30 GO Bay; § 50 GO He; § 40 GO Nds. Vgl. § 24 GO BW; Art. 30 GO Bay; § 50 GO He; § 40 GO Nds; § 40 GO NRW; § 33 GO Rh Pf; § 37 KSVG Sa; § 30 GO SchlH. Zur Sachverständigenanhörung nach § 35 GO RhPf; vgl. OVG Koblenz DÖV 1984, 33f.; allgemein Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 194ff.

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Bürgermeisters für die Geschäfte der laufenden Verwaltung, für Dringlichkeitsentscheidungen und sein gemeindeinternes Einspruchsrecht gehören hierher. Aber auch die eher monistischen Verfassungen kennen solche Vorbehaltsaufgaben anderer Organe, sei es des Gemeindedirektors (Eilentscheidungen, Einspruch), sei es, wie in Niedersachsen, des Verwaltungsausschusses227. bb) Vorbehaltsaufgaben des Rates (Überblick): Zu den nicht delegierbaren Vorbehaltsaufgaben gehört der harte Kern der Führungsaufgaben. Die Gemeindeordnungen legen ihn durchgängig in langen Aufgabenkatalogen fest 228 . Bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen finden sich darin übereinstimmend u. a. folgende Materien: — Erlaß, Änderung und Aufhebung von Satzungen und anderem Ortsrecht, — Besetzung der Ausschüsse des Rates, — Wahl der Hauptverwaltungsbeamten, — Regelung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Gemeindebediensteten, — Beschlußfassung über den Gemeindehaushalt, — Beschlußfassung über Errichtung pp. wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinde. Weiter zählen die meisten Gemeindeordnungen hierher: die Festlegung allgemeiner Richtlinien, nach denen die Verwaltung geführt werden soll, die Entscheidung über die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen und der Entgelte und Tarife, ferner Gebietsänderungen und wichtige Ehrungen. Im übrigen wird das Zusammenspiel zwischen dem Gemeinderat und den anderen Organen auch hier nicht allein durch Rechtsregeln repräsentiert. Natürlich gibt es allenthalben auch über die Kompetenzgrenzen hinweg informelle und formelle Kontakte zwischen den gemeindlichen Entscheidungsträgern: Eine rigide Trennung wäre ganz unangemessen. Initiative, Vorbereitung, Entscheidung und Vollzug sollen vielfältig miteinander verwoben sein. Bei den Vorbehaltsaufgaben ist nur die Entscheidungskompetenz besonders festgeschrieben. 3. Der Gemeindevorsteher Das zweite Hauptorgan der Gemeinde ist der Gemeindevorsteher 229 . Für die dualistisch ausgerichtete süddeutsche Rats- und die Bürgermeisterverfas227 228

229

Vgl. § 57 GO Nds. Vgl. § 39 Abs. 2 GO BW; Art. 32 Abs. 2 GO Bay; § 51 GO He; § 40 Abs. 1 GO Nds; § 28 Abs. 1 GO NRW; § 32 Abs. 2 GO RhPf; § 35 KSVG Sa; § 28 GO SchlH. Begriff nach Wolff / Bachof, VwR II, § 87 I f. Seine Bezeichnung ist länderweise verschieden: In Bayern: „Erster Bürgermeister"; sonst „Bürgermeister", in kreisfreien Städten „Oberbürgermeister". In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird ihm eine derartige Amtsbezeichnung vorenthalten. Er heißt dort „Gemeinde"bzw. „Stadt"- oder „Oberstadtdirektor". Es finden sich auch die Bezeichnungen „Hauptgemeindebeamter" oder „Hauptverwaltungsbeamter".

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sung leuchtet das ohne weiteres ein; Gemeindevorsteher ist hier der Bürgermeister (Oberbürgermeister) als monokratisch organisierte Instanz. Auch die Magistratsverfassung kennt ein zweites Hauptorgan mit eigenen Kompetenzen; organisiert ist es jedoch nicht monokratisch, sondern kollegial und nötigt daher zu einer gesonderten Behandlung (vgl. unter 4). Einzig in der monistisch ausgerichteten norddeutschen Ratsverfassung möchte man das Fehlen eines zweiten Hauptorgans erwarten; doch haben sich auch hier Aufgaben eines typischen Konkretionsorgans 230 in einer Fülle angesammelt, daß man den Gemeindedirektor (Oberstadtdirektor) als ein zweites Hauptorgan bezeichnen kann. a) Status: Bürgermeister/Gemeindedirektoren sind Wahlbeamte. Die jeweils für eine gewisse Zahl von Jahren erfolgende Wahl nimmt in BadenWürttemberg231 und Bayern232 direkt das Volk, in den anderen Bundesländern der Gemeinderat vor. Der Gewählte wird nach Maßgabe des Beamtenrechts zum Beamten auf Zeit ernannt. Er ist im Regelfall hauptamtlich tätig; für kleinere Gemeinden kennen alle Gemeindeordnungen den ehrenamtlich tätigen Bürgermeister im Status eines Ehrenbeamten. Sofern nicht besondere Vorschriften für kommunale Wahlbeamte 233 bestehen, gilt das allgemeine Beamtenrecht234. Eine Besonderheit des Kommunalrechts ist die Abwahlmöglichkeit, die alle235 Gemeindeordnungen dem Rat gegenüber einem von ihm gewählten Bürgermeister/Gemeindedirektor einräumen 236 . Das Institut soll einer grundsätzlichen „Gleichgestimmtheit" 237 zwischen Gemeindevertretung und Gemeindevorstand dienen238. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist umstritten239, im Ergebnis aber anzuerkennen 240 . Freilich muß, z. B. durch qualifizierte Abwahlmehrheiten, sichergestellt sein, daß das im allgemeinen Beamtenrecht unzulässige Instrument (Art. 33 Abs. 4 und Abs. 5 GG) auch im 230 231 232 233 234 235

236 237 238 239 240

Zu diesem Terminus vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 62 und 230. Vgl. § 45 GO BW. Art. 17 GO Bay. Vgl. z. B. Art. 34 Abs. 6 GO Bay. Dazu ausführlich: v. Münch, in diesem Lehrbuch, 1. Abschnitt, III 2 b und c. Mit Ausnahme von Baden-Württemberg und Bayern. Bei beiden Ländern erschiene auch angesichts der unmittelbaren Volkswahl des Bürgermeisters eine Abwahl höchst problematisch. Vgl. dazu auch Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 242 mit Fn. 75 auf S. 94. Vgl. § 76 GO He; § 61 Abs. 2 GO Nds; § 49 Abs. 4 GO NRW; § 55 GO RhPf; § 58 KSVG Sa; § 40 a GO SchlH. BVerwGE 56, 163 (170). Ausführlich: E. Klein, DÖV 1980, 853ff. Zum Streitstand vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 242ff. m. w. N. Ebenso Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 244 a; Lichtenfeld, DVB1. 1982, 1021 ff.; a. A.: Erichsen, DVB1. 1980, 723ff.; Stober, Kommunale Ämterverfassung und Staatsverfassung am Beispiel der Abwahl kommunaler Wahlbeamter, in: Recht und Staat, Heft 508 (1982).

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Kommunalrecht nicht dazu mißbraucht wird, die Gemeindeverwaltung parteipolitisch Wechselbädern auszusetzen. b) Aufgaben: Im Aufgabenbestand machen sich auch hier die unterschiedlichen Gemeindeverfassungstypen deutlich bemerkbar. Vorbehaltlich genauen Studiums des jeweiligen Landesrechts lassen sich die folgenden Grundzüge erkennen: aa) Ratszuarbeitung, Ratsvorsitz: Zu den Standardaufgaben des Gemeindevorstandes gehört es, die Beschlüsse des Rates und der Ausschüsse verwaltungsmäßig vorzubereiten 241 und unter der Kontrolle des Rates auszuführen. Sofern zu letzterem außenwirksame Rechtshandlungen notwendig sind, ist das (Außen-)Vertretungsrecht (vgl. unter ff) der Transmissionsriemen, um dieselben vorzunehmen. Im übrigen dürfen Vorbereitungs- und Ausführungsaufgaben nicht als bloß technische Hilfsfunktionen unterbewertet werden. Schon die verwaltungsmäßige Vorbereitung der Ratsbeschlüsse — die meinungsbildende Vorbereitung sollen vor allem die Ratsausschüsse leisten — gibt dem Gemeindevorsteher im kommunalen Verfassungsleben Gewicht. Wesentlich erhöht ist dieses Gewicht natürlich dort, wo der Gemeindevorsteher zugleich Ratsvorsitzender ist (vgl. 2 b aa). bb) Geschäfte der laufenden Verwaltung: In diesem Geschäftskreis des kommunalen Alltags ist der Gemeindevorsteher nicht nur ausführendes Organ (vgl. aa, dd), sondern nimmt — sei es selbst, sei es durch seine Vertreter im Amt oder nachgeordnete Gemeindebedienstete — die Willensbildung vor. Der Begriff der Geschäfte der laufenden Verwaltung - in NRW „einfache" Geschäfte der laufenden Verwaltung — liegt nicht ein für allemal fest. Nach einem Definitionsversuch der Rechtsprechung fallen darunter „Geschäfte, die in mehr oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und zugleich nach Größe, Umfang, Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind" 242 . Diese Faktoren (Häufigkeit, Bedeutung) werden ihrerseits durch Gemeindegröße, Üblichkeit und Leistungsfähigkeit bestimmt. Die Rechtsbeständigkeit dieses Aufgabenkreises ist länderweise unterschiedlich geregelt: — Die meisten Gemeindeordnungen (BW, Bay, Nds, RhPf, Sa)243 rechnen die Geschäfte der laufenden Verwaltung zum festen gesetzlichen Aufgabenkreis des Gemeindevorstehers, den andere Organe nicht verkürzen dürfen. Erst wenn eine Angelegenheit der laufenden Verwaltung, z. B. durch das Aufsehen, das sie erregt, sozusagen den begrifflichen Rahmen laufender Geschäfte sprengt, kann der Gemeinderat sie an sich ziehen.

241 242 243

Insofern abweichend nur § 57 Abs. 1 S. 1 GO Nds (Verwaltungsausschuß). BGH DVB1. 1979, 514f. § 44 Abs. 2 GO BW; Art. 37 Abs. 1 GO Bay; § 62 Abs. 1 Nr. 6 GO Nds; § 47 Abs. 1 GO RhPf; § 59 Abs. 3 KSVG Sa.

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— in Nordrhein-Westfalen dagegen „gelten" die einfachen (!) Geschäfte der laufenden Verwaltung als vom Rat dem Gemeindedirektor übertragen 244 . Der Rat kann sich aber eine andere Regelung allgemein oder für den Einzelfall vorbehalten; er kann eine Sache auch ohne Vorbehalt später an sich ziehen245. cc) übertragene Angelegenheiten: In dieser Gruppe finden sich sehr unterschiedliche Aufgaben. — Teilweise handelt es sich um Aufgaben, die dem Gemeindevorstand vom Gemeinderat übertragen worden sind. Eine solche Übertragung ist — außer bei den Vorbehaltsaufgaben (vgl. 2 c bb) — zulässig. Zulässig ist auch der Rückruf; allerdings muß er in der gleichen Form wie die Übertragung vorgenommen werden. — Teilweise handelt es sich um gesetzlich übertragene Angelegenheiten. Solche Übertragungen finden sich vor allem bei Weisungs- und Auftragsangelegenheiten (vgl. II 1), bei denen mit der Übertragung der Aufgabe an die Gemeinde zugleich die innergemeindliche Zuständigkeit des Gemeindevorstehers gesetzlich vorgeschrieben wird246. Das begründet einen festen Vorbehaltsbereich des letzteren. Der Gemeinderat kann in diesen Kreis grundsätzlich nicht hineinregieren, es sei denn, das Gesetz räume ihm gewisse Mitwirkungsbefugnisse ein. dd) Dringlichkeitsentscheidungen: Fast alle Gemeindeordnungen betrauen den Gemeindevorstand (anders in NRW: Vgl. § 43 Abs. 1 GO) ferner mit Eilentscheidungen. In der Definition des Eilfalles und in dem einzuhaltenden Entscheidungsverfahren weichen die Landesgesetze allerdings erheblich voneinander ab247. ee) Verwaltungschef: Der Bürgermeister/Gemeindedirektor ist ferner Leiter des gemeindlichen Verwaltungsapparats. Das begründet zum einen organisatorische und dienstrechtliche Befugnisse zur Geschäftsleitung und Aufgabenverteilung sowie die Stellung als Dienstvorgesetzter der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde. Bei Grundentscheidungen, z. B. der Festlegung des Arbeitsbereichs der Beigeordneten, existieren allerdings länderweise unterschiedliche Einwirkungsbefugnisse des Gemeinderates. Als Verwaltungschef ist der Gemeindevorsteher die zentrale Gemeindebehörde. Die ein244 245 246

247

§ 28 Abs 3 GO NRW. Vgl. dazu Berg, HkWP Bd. 2, 228 f. m. w. N. Davon zu trennen sind die auf Gemeindeebene freilich nicht häufig anzutreffenden Fälle der Organleihe (vgl. II 1 c), in denen die Aufgaben nicht der Gemeinde übertragen, sondern der Gemeindevorsteher von der Gemeinde entliehen und zum staatlichen Verwaltungsorgan gemacht wird. Zu weit Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 250 f. Vgl. § 43 Abs. 4 GO BW; Art. 37 Abs. 3 GO Bay; § 48 GO RhPf; § 61 KSVG Sa; § 70 Abs. 3 GO He; § 49 Abs. 3 GO SchlH; in Nds (§ 66 GO) und NRW (§ 43 Abs. 1 GO) eingeschränkt.

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zelnen „Ämter" der Gemeinde (Ordnungsamt, Bauamt, Pressestelle) sind Untergliederungen dieser kommunalen Zentralbehörde. Die vom Gemeinderat als weitere leitende Verwaltungsbeamte auf Zeit gewählten „Beigeordneten" („weitere Bürgermeister", „Stadträte") sind folglich keine eigenständigen Gemeindeorgane 248 . Sie leiten aber ihre Ämter mit einer gewissen Selbständigkeit und vertreten insofern den Gemeindevorsteher in ihrem Ressort. Außerdem kommt aus ihrem Kreis der allgemeine Vertreter des Gemeindevorstehers249. f f ) Vertretung der Gemeinde: Hier geht es um die rechtsgeschäftliche Vertretung 250 der Gemeinde nach außen, nicht um die beim Gemeinderat liegende politische Repräsentation. Rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis bedeutet, im privat- und im öffentlich-rechtlichen Rechtsverkehr für die Gemeinde verbindliche Erklärungen abgeben zu können. Im Kommunalrecht muß also streng unterschieden werden zwischen der internen Willensbildungsbefugnis und der externen Vertretungsbefugnis, die zur Umsetzung der Willensentscheidungen in außenwirksame Handlungen (z. B. Verwaltungsakte, privatrechtliche Willenserklärungen) notwenig ist. Erstere ist innergemeindlich aufgeteilt (vgl. 2 c und 3 b bb, cc); letztere liegt einheitlich beim Bürgermeister/ Gemeindedirektor 251 und ist nur gesetzlich, nicht aber durch Ratsbeschluß beschränkbar. Werden im Rahmen der Vertretungsbefugnis Erklärungen abgegeben, die nicht der innergemeindlichen Willensbildung entsprechen, so sind sie für die Gemeinde regelmäßig gleichwohl verbindlich 252 . Um hier eine gewisse Sperre einzuführen, schreiben die Gemeindeordnungen für (wichtigere) Verpflichtungserklärungen der Gemeinden die Schriftform (z. T. auch Mitzeichnungserfordernisse) vor. Verstöße gegen solche Formerfordernisse machen eine Erklärung unwirksam 253 . Auf Treu und Glauben kann sich der Erklärungsempfänger nur berufen, wenn die Unwirksamkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führt 254 ; im übrigen hat der Schutz der Gemeinde Vorrang. gg) Einspruchsrecht: Zum eigenen Aufgabenkreis des Gemeindevorstehers gehören schließlich gewisse Rügerechte gegenüber Beschlüssen des Gemeinderats und der Ausschüsse. Diese Institute dienen der innergemeindlichen Rechtskontrolle und der Ausbalancierung der Gewalten. — Alle Gemeindeordnungen weisen dem Gemeindevorsteher die Aufgabe (Befugnis und Pflicht) zu, Beschlüsse des Rates, die seiner Ansicht nach das 248 249 250 251 252 253 254

Wolff / Bachof, VwR II, § 87 I g. Zu ihrer Rechtsstellung allgemein Wolter, Der Beigeordnete, 1978, S. 6ff. Vgl. dazu Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 280 m. w. N. Ausführlich Foerstemann, HkWPBd.2, 114f.; Wolff /Bachof, VwR II, § 87 III a. Ausnahmen für Akte im organschaftlichen Bereich des Rates (z. B. Ordnungsrufe). Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 257; BGH DVB1. 1979, 514. Dazu jüngst BGH NJW 1984, 606 f. BGH DVB1. 1979, 514 (516); allgemein dazu auch Fritz, Vertrauensschutz in Privatrechtsverkehr mit Gemeinden, 1983.

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Recht verletzen, — regelmäßig mit aufschiebender Wirkung — zu rügen 255 . Der Gemeinderat befaßt sich dann erneut mit der Angelegenheit. Bleibt er bei seinem Beschluß, so ist die Rechtsaufsichtsbehörde in die Sache einzuschalten. — Neben diesem auf Rechtsgründe gestützten Rügerecht kennen einige Gemeindeordnungen die Befugnis, Ratsbeschlüssen, die das Wohl der Gemeinde gefährden, zu widersprechen. Eine Widerspruchspflicht besteht nicht. Beharrt der Gemeinderat auf seiner Entscheidung, so hat es dabei sein Bewenden. Dieses auf grobe Zweckwidrigkeiten bezogene Recht steht dem Gemeindevorsteher nur in Baden-Württemberg und in der Bürgermeisterverfassung von Rheinland-Pfalz zu, während es in Nordrhein-Westfalen beim Ratsvorsitzenden und in Niedersachsen beim Verwaltungsausschuß liegt. 4. Besonderheiten der Magistratsverfassung Die Magistratsverfassung ist in Hessen für alle Gemeinden, in SchleswigHolstein für Gemeinden mit Stadtrecht vorgeschrieben 256 . Ihr Charakteristikum ist die kollegiale Organisation des Gemeindevorstandes. Der Gemeindevorstand (Magistrat) besteht aus dem Bürgermeister und den Beigeordneten (Stadträten), die vom Gemeinderat gewählt werden 257 . Die Magistratsmitglieder sind je nach Größe der Gemeinde gemäß besonderer Vorschriften in der Gemeindeordnung und der Hauptsatzung ehrenamtlich oder hauptamtlich tätig. In Hessen dürfen Mitglieder des Gemeindevorstandes nicht zugleich 255

256

257

Vgl. § 43 Abs. 2 GO BW; Art. 59 Abs. 2 GO Bay; § 63 GO He; § 65 Abs. 1 GO Nds; § 39 Abs. 2 GO NRW; § 42 Abs. 1 GO RhPf; § 60 Abs. 1 KSVG Sa; § 69 GO SchlH. In Rheinland-Pfalz existiert in Gemeinden mit zwei oder mehr hauptamtlichen Beigeordneten ebenfalls ein aus allen Beigeordneten und dem Bürgermeister gebildetes kollegiales Leitungsorgan, der Stadtvorstand. Für bestimmte Planungsaufgaben tritt dieses Organ an die Stelle des Bürgermeisters. Außerdem bedarf der Bürgermeister zur Aufstellung der Ratstagesordnung und zu Eilentscheidungen der Zustimmung dieses Gremiums (§ 58 GO). Man kann insofern von einer nicht voll ausgebauten Magistratsverfassung sprechen; vgl. auch Dreibus, HkWP Bd. 3, 241 ff., 252 — 254. Nicht in das Bild der Magistratsverfassung gehört dagegen der Verwaltungsausschuß in Niedersachsen. Er ist ein aus dem Ratsvorsitzenden, den Beigeordneten, dem Gemeindedirektor und gegebenenfalls weiteren Ratsmitgliedern bestehendes Leitungsorgan. Der Verwaltungsausschuß bereitet die Beschlüsse des Rates vor, hat ein Einspruchsrecht gegen Ratsbeschlüsse, die das Wohl der Gemeinde gefährden, und beschließt über diejenigen Angelegenheiten, die nicht anderen Organen vorbehalten sind. Gegenüber dem Gemeindedirektor, der im Verwaltungsausschuß nur beratende Stimme hat, sind die Zuständigkeiten nach Maßgabe der §§ 57 Abs. 2, 62 Abs. 1 GO abgegrenzt. Vgl. Seewald, Probleme der Optimierung des kommunalen Verfassungsrechts, dargestellt am Beispiel der niedersächsischen Kommunalverfassung, 1978, S. 57 ff. H. Meyer, in: Meyer/Stolleis, Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1983, S. 134 (158 ff.).

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Mitglieder des Gemeinderates sein, während in Schleswig-Holstein die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder aus der Mitte der Stadtvertretung gewählt werden und für die Dauer ihrer Amtszeit eine Doppelstellung in beiden Gremien einnehmen. Die Aufgaben des kollegialen Gemeindevorstandes sind die des monokratischen Gemeindevorstehers in den anderen Bundesländern. Bei allen Unterschieden in Einzelpunkten finden sich als typische Leitungsaufgaben auch hier die Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der Gemeindevertretung, die Verwaltungsleitung, die Wahrnehmung der Geschäfte der laufenden Verwaltung (Hes) als eigenständige Aufgabe, ferner die Erfüllung der vom Rat delegierten Aufgaben wie das Rügerecht (SchlH: neben dem Bürgermeister). Die Gemeinde wird nach außen vom Gemeindevorstand vertreten. Zusätzliche Fragen entstehen bei der Magistratsverfassung im Blick auf die magistratsinterne Aufgabenverteilung. Die starke, aus dem Kollegialitätsgrundsatz folgende Stellung der Beigeordneten (Stadträte) zeigt sich darin, daß sie in Schleswig-Holstein (§71 GO) durch Hauptsatzung festgelegte Sachgebiete zu eigenständiger Wahrnehmung zugewiesen erhalten haben 258 . Der Bürgermeister ist in ihrem Kreise nur primus inter pares: Er beruft den Gemeindevorstand ein, leitet die Verhandlungen, bereitet die Beschlüsse vor und führt sie aus. In Hessen hat er bei Abstimmungen das Recht des Stichentscheids. Gegen Beschlüsse des Stadtvorstands steht ihm ein Beanstandungsbzw. Widerspruchsrecht zu. Weisungsaufgaben der Gemeinde (vgl. oben II 1 b) erfüllt der Bürgermeister in Schleswig-Holstein 259 in alleiniger Verantwortung gegenüber der Aufsichtsbehörde; insoweit hat er seinerseits ein Weisungsrecht gegenüber den anderen Magistratsmitgliedern. In Hessen nehmen die Bürgermeister und Oberbürgermeister die Aufgaben der Orts- und Kreispolizeibehörden in alleiniger Verantwortung wahr (§ 150 GO). 5. Kommunalverfassungsstreit Im Geflecht der Kompetenzzuweisungen sind Reibereien zwischen den gemeindlichen Organen, Teilorganen oder Organteilen nicht zu vermeiden. Der gerichtlichen Entscheidung solcher inter- oder intraorganschaftlicher Streitigkeiten dient das sog. Kommunalverfassungsstreitverfahren 260 . „ Kommunal verfassungsstreitverfahren sind demzufolge gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen mehreren Organen oder innerhalb eines Kollegialorgans einer kommunalen Gebietskörperschaft (Gemeinde, Kreis) über die Rechtmäßigkeit des organschaftlichen Funktionsablaufs" 261 . 258 259 260 261

Für Hessen eingeschränkt: Vgl. § 70 Abs. 1 S. 1 GO. Vgl. § 70 Abs. 3 GO SchlH. Dazu ausführlich: Bethge, HkWP, Bd. 2, 176ff.; Papier, DÖV 1980, 292ff. Bethge, HkWP Bd. 2, 177; vgl. auch die Paralleldefinition bei Bleutge, Der Kommunalverfassungsstreit, 1970, S. 25.

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a) Grundfragen und Entwicklung: Die dogmatischen Schwierigkeiten, die die Ausbildung dieses Instituts im Richterrecht begleitet haben 262 , erklären sich vor allem historisch. Dem älteren Verwaltungsrecht, das sein Augenmerk fast ausschließlich auf die Außenrechtsbeziehungen richtete, mußten Rechtsbeziehungen innerhalb einer juristischen Person, hier also innerhalb der Gemeinde als rechtsfähiger Verbandspersönlichkeit, fremd bleiben. Inzwischen ist anerkannt, daß sich auch innerhalb einer juristischen Person öffentlichen Rechts die Beziehungen zwischen ihren Organen, Organwaltern und sonstigen Funktionsträgern nach Maßgabe des Rechts abwickeln (objektive Komponente), und daß den dabei erkennbaren, zunächst kompetenzrechtlich begründeten Rechtsstellungen eine dem klassischen subjektiven Recht vergleichbare gerichtliche Wehrfähigkeit zuzuerkennen ist, wenn sie nicht nur im Interesse des Gesamtorganismus, sondern zur Konstituierung von „Kontrastorganen" 263 zum Zwecke inneradministrativer Gewaltenbalancierung zugewiesen sind (subjektive Komponente). Während den Kompetenzen der einzelnen Behörden und Amtswalter im staatsunmittelbar-hierarchischen Organisationsbereich diese subjektive Komponente regelmäßig fehlt und „Insichprozesse" hier daher unzulässig sind, ist sie der Rechtsstellung der am kommunalen Willensbildungsprozeß beteiligten Organe und Organteile zwar nicht durchgängig, aber häufig eigen264. Man kann von subjektiven Rechten i.w.S. sprechen, die zwar nicht den Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG genießen 265 , wohl aber der im einfachen Verwaltungsprozeßrecht erforderlichen Klagebefugnis genügen266. Im Einzelfalle ist der subjektiv-rechtliche Gehalt einer innergemeindlich-organschaftlichen Rechtsstellung nach Funktion und Schutzzweck der Kompetenznorm zu ermitteln. Gerichtliche Auseinandersetzungen z. B. zwischen dem Gemeinderat und dem Bürgermeister über den Umfang von Informationspflichten, zwischen dem Gemeinderat und einem von einer Beschlußfassung wegen Befangenheit ausgeschlossenen Ratsmitglied, zwischen dem Ratsvorsitzenden und einem Ratsmitglied über ein Rauchverbot, zwischen dem Gemeinderat und einer Ratsfraktion über geschäftsordnungsmäßige Rechte sind heute Standardfälle des Kommunalverfassungsstreits 267 . b) Einzelheiten: Trotz dieser gesicherten Erkenntnis bereitet der Einbau dieses Verfahrens in die einzelnen Normen und Institute des Verwaltungsprozeßrechts nach wie vor Schwierigkeiten. Insbesondere bei der Bestimmung der richtigen Klageart, der Beteiligtenfähigkeit, der Klagebefugnis und beim Rechtsschutzbedürfnis, aber auch bei der Begründetheit der Klage gibt 262 263 264 265 266 267

Vgl. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 64 - 71. Kisker, Insichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 38. Bethge, HkWP Bd. 2, 179. Schenke, in: BK, Rdnr. 31 ff. insbes. Rdnr. 37 zu Art. 19 Abs. 4 GG. So die h. M. vgl. Kopp, VwGO, § 42 Rdnr. 44 m. w. N. Insbesondere OVG Münster NVwZ 1982, 318 (Geschäftsordnung); OVG Münster DVB1. 1983, 53 ff. (Rauchverbot), VG Minden NVwZ 1983, 495 f. (Verschwiegenheitspflicht).

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es Streitfragen. Immerhin kann als geklärt gelten, daß Kommunalverfassungsstreitverfahren öffentlich-rechtliche Streitigkeiten i.S. des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sind. Daß es sich trotz der mißverständlichen Bezeichnung um Streitigkeiten „nicht-verfassungsrechtlicher Art" handelt und daß mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde (s. oben I 1 c) keinerlei Verbindungen bestehen, ist selbstverständlich. Kläger und Beklagter im Kommunalverfassungsstreit sind nicht die das einzelne Organ bildenden Personen in ihrer natürlichen Rechtsstellung, sondern die Organe in ihrer organschaftlichen Stellung. Ihre Beteiligtenfähigkeit ergibt sich folglich nicht aus § 61 Nr. 1 VwGO, sondern aus einer analogen Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO. Lange Zeit streitig war die Frage der Klageart. Vor allem die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Münster gingen zunächst davon aus, der Kommunalverfassungsstreit passe in keine der üblichen verwaltungsprozessualen Klageformen und sei folglich als Klage eigener Art zu verstehen 268 . Heute dagegen dringt die Auffassung vor, das Verfahren in die normalen Klagetypen der VwGO einzupassen 269 . Dabei scheidet die auf den Verwaltungsakt bezogene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage allerdings aus; denn die streitenden Gemeindeorgane stehen nach materiellem Recht nicht in dem für den Verwaltungsakt typischen Subordinationsverhältnis. Wohl aber eignen sich die allgemeine Leistungsklage auf Vornahme oder Rückgängigmachung bestimmter Organhandlungen und die Feststellungsklage 270 ; daneben erscheint die Konstruktion einer „allgemeinen Gestaltungsklage" nicht angängig. Die mit diesen beiden Klagearten zu verfolgenden Rechte bzw. Rechtsverhältnisse sind zwar vorrangig, nicht aber ausschließlich solche des Außenrechtskreises. Sie können nach den Ausführungen zu a) auch durch organschaftliche Kompetenznormen konstituiert werden. Demgemäß ist um einstweiligen Rechtsschutz über die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO nachzusuchen 271 . Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Kommunalverfassungsstreit entfällt nicht schon dann, wenn das umstrittene Verhalten eines Organs auch zum Gegenstand gemeindeinterner oder aufsichtsbehördlicher Beanstandungsverfahren gemacht werden könnte 272 . Die für die Klagebefugnis und die Begründetheit der Klage gleichermaßen zentrale Aufgabe bleibt es, den subjektivrechtlichen Schutzumfang der ein268 269 270

271 272

Vgl. OVG Münster OVGE 27, 258 (260). Jüngst Fehrmann, DÖV 1983, 311 (313 f.). Daneben erscheint die Konstruktion einer „allgemeinen Gestaltungsklage" nicht angängig. Str.; wie hier: Papier, DÖV 1980, 292 (299); Fehrmann, DÖV 1983, 311 (312); anders Bethge, HkWP Bd. 2, 187; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 1983, § 32 II 5; Graf, BayVBl. 1982, 332 ff. Finkelnburg, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 1979, Rdnr. 28.

Bethge, HkWP Bd. 2, 180; Ausnahme aber für dasjenige Organ, das das interne Rügeverfahren selbst in der Hand hat; vgl. OVG Münster, DVB1. 1968, 392ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 268ff.; Sonderregelung in Hessen: §63 Abs. 2 S. 3 GO.

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schlägigen Normen der Gemeindeordnungen, der Hauptsatzungen oder der Geschäftsordnungen richtig zu bestimmen. Dabei kommt es allein auf den organisationsrechtlich-funktionalen Bezug, nicht auf Rechte der das Organ bildenden natürlichen Personen an273. Ein zur Ratssitzung nicht geladenes Ratsmitglied kann den in der betreffenden Sitzung gefaßten Beschluß über eine Steuersatzung im Kommunalverfassungsstreit angreifen, weil die Beschlußfassung sein Mitwirkungsrecht verletzt, nicht aber weil er sich durch einen Steuertatbestand als Steuerzahler in seinen Rechten verletzt glaubt. Erst recht ist der Kommunalverfassungsstreit kein Instrument einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle der von Gemeindeorganen gefaßten Beschlüsse274.

IV. Die Mitwirkung der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung Die Gemeindeordnungen unterscheiden zwischen Einwohnern und Bürgern 275. Einwohner ist, wer in der Gemeinde einen Wohnsitz hat; es muß nicht sein einziger Wohnsitz sein. Überhaupt kommt es auf die polizeilichmelderechtlichen Voraussetzungen nicht an. Entscheidend ist der tatsächliche Aufenthalt, der allerdings von einer gewissen räumlich-gegenständlichen Stabilität sein muß. Auch Ausländer und Staatenlose sind Einwohner derjenigen Gemeinde, in der sie leben. Bürger ist dagegen nur derjenige Einwohner, der in der betroffenen Gemeinde das aktive Kommunalrecht hat. Das wiederum setzt voraus, daß er Deutscher i. S. des Art. 116 GG ist276, das 18. Lebensjahr vollendet hat und seit einigen Monaten — die Länderregelungen variieren zwischen 3 und 6 Monaten — in der Gemeinde wohnt. Wer in mehreren Gemeinden wohnt, ist Bürger nur an seinem Hauptwohnsitz. Erwerb und Verlust des gemeindlichen Bürgerrechts treten bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ex lege ein, ohne daß es eines besonderen Aktes bedürfte. Die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger und Einwohner an der Gemeindeverwaltung sind unterschiedlich groß. Systematisch lassen sich drei Gruppen von Mitwirkungsformen ausmachen: Kommunalwahlen (1), ehren273 274 275

276

Sehr deutlich OVG Münster DVB1. 1983, 53 („Rauchverbot"), dazu Fehrmann, DÖV 1983, 311 (315). Bethge, HkWP Bd. 2, 192. Vgl. §§ 10, 12 GO BW; Art. 15 GO Bay; § 8 GO He; § 21 GO Nds; § 6 GO NRW; § 13 GO RhPf; § 18 KSVG Sa; § 6 GO SchlH. Ausführlich Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 379 f. Ob auch Ausländern das Kommunalwahlrecht durch eine Gesetzesänderung verliehen werden kann, ist Str.: Vgl. dazu Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 22 zu Art. 28 GG; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 65ff. jeweils m. w. N.; jüngst Quaritsch, DÖV 1983, lff. (3). Im Ergebnis wird man die Frage aus Verfassungsgründen verneinen müssen, weil der Begriff des Volkes in Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 S. 2 GG nur einheitlich, und zwar im Sinne von „Staatsvolk" interpretiert werden kann; vgl. Stern, StaatsR I, § 10 8 b; weitere Lit. bei H. Meyer, HkWP Bd. 2, 64 Fn. 164; v. Mutius, Gutachten zum 53. DJT, S. 212 Fn. 243.

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amtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen (2) sowie die Mitwirkung im Rahmen gemeindeinterner Gebietsgliederungen (3). 1. Kommunalwahlen a) Grundsätze: Kommunalwahlen sind vor allem die Wahlen zu den kommunalen Vertretungskörperschaften (vgl. auch III 2 a). Sie sind nach den auch für Bundes- und Landtagswahlen verpflichtenden Grundsätzen der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl vorzunehmen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG), die durch die Landesverfassungen zum Teil wiederholt und ergänzt werden und in den Kommunalwahlgesetzen ihre rechtstechnische Ausformung gefunden haben 277 . Im weiteren Sinne zählen zu den Kommunalwahlen auch die in Baden-Württemberg und Bayern direkt von den Bürgern vorgenommene Wahl des Bürgermeisters und die direkten Wahlen zu Ortschaftsräten. Im Wahlrecht der kommunalen Vertretungskörperschaften herrscht das System der Verhältniswahl vor. Eine landesgesetzliche Anordnung bestimmter Unterschriftenquoren 278 oder einer 5% Sperrklausel 279 gilt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts als zulässig. Den Besonderheiten der lokalen Politik mit ihrer stärkeren Personenbezogenheit und der Existenz sog. Rathausparteien versuchen die Kommunalwahlgesetze durch mancherlei Einschübe personalisierender Wahlelemente gerecht zu werden 280 . Daraus entstehen außerordentlich komplizierte Kombinationen 281 . Insbesondere das System der „starren Liste", bei der die Wähler an das personelle Angebot der vorschlagenden Parteien oder Wählergruppen strikt gebunden sind, wird zu modifizieren gesucht. So hat der Wähler in einigen Ländern mehrere Stimmen, die er, statt sie auf die Kandidaten einer Liste zu verteilen, auch auf einen Listenkandidaten zusammenziehen (kumulieren) oder auf Kandidaten verschiedener Listen verteilen kann (panaschieren)2S2. b) Rechtsschutz bei Kommunalwahlen: Nicht nur wegen des komplizierten Wahlsystems sind Kommunalwahlen reich an Rechtsstreitigkeiten. Zu den Streitigkeiten im Umfeld der Wahlen gehören die Auseinandersetzungen um die Nutzung gemeindlicher Einrichtungen (Plakatwände, Stadthallen) für die 277

278 279 280 281 282

Dazu ausführlich (mit Nachweis der Rechtsgrundlagen) H. Meyer, HkWP Bd. 2, 37ff.; ferner Scholler-Broß, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 101 ff. BVerfGE 12, 10(27). BVerfGE 6, 121 (130); 11, 266 (277); 47, 253 (277ff.); kritisch H. Meyer, HkWP Bd. 2, 56. Vgl. dazu H. Meyer, HkWP Bd. 2, 58 ff. Zur Abgrenzung der Kommunalwahlbezirke, OVG Münster NVwZ 1983, 627ff.; Schild, NVwZ 1983, 597 ff. Vgl. auch das Institut der unechten Teilortswahl (§27 GO BW); dazu StGH BW BWVPr 1980, 113 ff.

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Wahlwerbung. Soweit es hierbei um die gleichmäßige Zulassung zur Nutzung öffentlicher Einrichtungen geht, vollziehen sich diese gerichtlichen Verfahren in den normalen Klagearten des Verwaltungsprozeßrechts. Materiell ist eine gesteigerte Neutralitätspflicht der Gemeinde in Wahlkampfzeiten zu beachten 283 . Der eigentliche Rechtsschutz im Wahlrecht betrifft dagegen vor allem einerseits die unmittelbaren Wahlvorbereitungsentscheidungen, also Fragen der Eintragung in das Wählerverzeichnis, der Erteilung des Wahlscheines und der Zulassung der Wahlvorschläge und andererseits Wahlprüfungs- und Wahlanfechtungsfragen. Die verfassungsrechtliche Problematik eines angemessenen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gegenüber diesen Entscheidungen ist aus dem Bundestags- und Landtagswahlrecht bekannt 284 . Die Schwierigkeiten, die dem üblichen Individualrechtsschutz im Wahlrecht erwachsen, stellt Hans Meyer zutreffend heraus, wenn er schreibt: „Wie immer der Rechtsschutz ausgestaltet ist oder ausgestaltet sein sollte, es bedarf der Berücksichtigung, daß die Wahl anders als die meisten anderen anfechtbaren Entscheidungen insofern fristgebunden ist, als sie nicht um des Rechtsschutzes willen zu weit vor dem Beginn der Wahlperiode angesetzt und möglichst so frühzeitig abgeschlossen sein muß, daß nicht ein legitimationsloser Gemeinderat noch weiter amtieren muß" 285 . Die Kommunalwahlgesetze der Länder haben auf sehr unterschiedliche Weise versucht, diesem Interessenwiderspruch zwischen subjektivem Individualrechtsschutz und der Wahl als einem zeitgebundenen Kollektivvorgang gerecht zu werden. Teilweise werden nach vorgeschalteten internen Kontrollverfahren (Einspruch, Beschwerde) schon bei den genannten Wahl vorberei/««gsentscheidungen auch die Verwaltungsgerichte eingeschaltet 286 ; andere Länder behandeln die internen Kontrollverfahren dagegen als exklusiv und verweisen auf die Wahlprüfung 287 , die jeder Wahlberechtigte ex post einleiten kann. Zur Ungültigkeit der Wahl führt ein Wahlprüfungsverfahren in allen Ländern nur dann, wenn ein Wahlfehler festgestellt wird und dieser möglicherweise Einfluß auf die Sitzverteilung hat. Nicht alle Landesregelungen dürften, sofern sie den Individualrechtsschutz in Wahlangelegenheiten rigo283 284

285 286

287

Dazu VGH Mannheim DÖV 1984, 31 ff.; Die Gemeinde (BWGZ) 1984, 77f.; VGH München BayVBl. 1984, 79 f. Dazu Schenke, NJW 1982, 2440ff.; Badura, in: BK, Rdnr. 41 im Anh. zu Art. 38 GG; Übersicht zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Bettermann, AöR 96, (1971) 528 (543ff.), Franzke, DVB1. 1980, 730ff. HkWPBd. 2,74. Vgl. § 6 Abs. 3 KWG BW; Art. 10 Abs. 2 GWG Bay; § 14 Abs. 2 KWG RhPf - für Wählerverzeichnis —. Für Wahlvorschläge: Allein §8 Abs. 3 KWG BW; dazu Kunze/Merk, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, 1980, Anm. III zu § 8 KWG. §46 Abs. 4 KWG Nds; § 11 Abs. 5 KWG NRW - für Wählerverzeichnis - ; Nachweise neuerer Rechtsprechung bei Fehrmann, DÖV 1983, 311 (312) mit Fn. 8 ff.

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ros einschränken oder hinausschieben, mit Art. 19 Abs. 4 G G vereinbar sein 288 . 2. Ehrenamtliche Tätigkeiten und neuere Beteiligungsformen a) ehrenamtliche Tätigkeiten: Zu den traditionellen Mitwirkungsformen kommunaler Selbstverwaltung zählen ehrenamtliche Tätigkeiten. Die Gemeindeordnungen nennen sie ein Recht, aber auch eine Pflicht der Gemeindebürger, die nur aus wichtigem Grunde abgelehnt werden kann. In einigen Ländern sind auch die Einwohner zu ehrenamtlichen Tätigkeiten zugelassen. In den Kreis dieser Tätigkeiten fallen sowohl kurzfristige Verwaltungshilfen, z. B. als Wahlhelfer, wie auch dauerhafte Mitwirkungsformen, z. B. als Schöffe oder als sachverständiger Bürger in Ausschüssen des Gemeinderates (Ehrenämter). Dem ehrenamtlich Tätigen obliegen Verschwiegenheitspflichten und er hat wie die Mitglieder des Gemeinderats, die ja auch ehrenamtlich tätig sind, die Befangenheitsvorschriften zu beachten (vgl. III 2 a). Er ist Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne (Art. 34 G G i.V. § 839 BGB), regelmäßig aber nicht Ehrenbeamter im Sinne des Beamtenrechts. b) neuere Beteiligungsformen: Im Zuge der sog. Partizipationsdiskussion 289 haben sich im Gemeinderecht daneben neuere Formen der Bürger- und Einwohnerbeteiligung ausgebildet. Vorausgegangen ist Baden-Württemberg. Mittlerweile kennen auch die anderen Länder weitere Beteiligungsmöglichkeiten. Die Bezeichnungen („Bürgerversammlung", „Fragestunde", „Anhörungen") variieren länderweise ebenso wie die rechtliche Ausgestaltung und der politische Stellenwert 290 : Teilweise finden die Gesetze zu neuen Ansätzen unmittelbarer Demokratie jenseits dessen, was in Art. 28 Abs. 1 S. 3 G G über die Gemeindeversammlung in Kleinstgemeinden gesagt ist291. Teilweise handelt es sich bei den Reformbemühungen um bloße marginale Erweiterungen des ohnehin bestehenden allgemeinen Petitionsrechts nach Art. 17 GG 292 . Systematisch kann zwischen Möglichkeiten der schlichten Mitwirkung (aa) und der Mitentscheidung (bb) unterschieden werden 293 .

288 289

290 291 292 293

Einzelheiten bei H. Meyer, HkWP Bd. 2, 74 ff. Dazu Schmitt Glaeser, WdStRL, 31 (1972), 179ff., ders., in: Lerche/Schmitt Glaeser / Schmidt-Aßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35ff.; ferner Thaysen, Bürger-, Staats- und Verwaltungsinitiativen, 1982. Überblick bei Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 131 ff. Vgl. Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 29 zu Art. 28 GG (heute lediglich noch in SchlH für Gemeinden bis zu 70 Einwohnern, § 73 GO). Vgl. OVG Münster DÖV 1979, 60ff.; BVerwG NJW 1981, 700; Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 389. Vgl. dazu die Darstellung bei Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 206ff.; Püttner/ Jacoby, HkWP Bd. 2, 26ff.; Kühne/Meissner, Züge unmittelbarer Demokratie in der Gemeindeverfassung, 1977; v. Mutius, Gutachten zum 53. DJT, S. 212ff., 224ff.

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aaj Schlichte Mitwirkungsmöglichkeit: Hierher zählen vor allem die Informationsveranstaltungen und Anhörungen, die der Gemeindeverwaltung zur Pflicht gemacht sind. Schon das überkommene Gemeinderecht kennt z. B. die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Tagesordnung der Ratssitzungen und die gefaßten Ratsbeschlüsse. Eine Fortsetzung finden diese Ansätze in den „Fragestunden" und „Anhörungen", die der Gemeinderat veranstalten kann 294. Weiterem Informationsaustausch zwischen Verwaltung und Bürgerschaft dienen die heute in allen Gemeindeordnungen (Ausnahme: SchlH) vorgesehenen Bürgerversammlungen (Einwohnerversammlungen), die die Gemeinden in gewissen Zeitabständen — größere Gemeinden bezirksweise — als amtliche Veranstaltungen durchführen sollen. In Baden-Württemberg und Bayern kann die Einberufung von einem bestimmten Einwohnerquorum verlangt und gegebenenfalls gerichtlich erzwungen werden295. In diesen Ländern müssen sich die gemeindlichen Entscheidungsorgane auch innerhalb einer Frist mit den Vorschlägen der Bürgerversammlung förmlich befassen. Die anderen Gemeindeordnungen kennen solche Rechtspflichten nicht. bb) Mitentscheidungsmöglichkeiten: Sie finden sich als Bürgerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nur in einigen Gemeindeordnungen. Der quorenabhängige Bürgerantrag verpflichtet den Gemeinderat, die im Antrag bezeichnete Angelegenheit binnen einer bestimmten Frist zu erörtern, in Hessen auch zu entscheiden. Baden-Württemberg kennt daneben als Ausdruck unmittelbarer Demokratie den Bürgerentscheid (§ 21 GO)296. Ein solcher Entscheid findet (nur) über diejenigen Gemeindeangelegenheiten (z. B. Errichtung oder Aufhebung öffentlicher Einrichtungen) statt, die im Gesetz oder in der Hauptsatzung katalogmäßig festgelegt sind (Positivliste). Weisungsaufgaben, Organisations- und Haushaltsfragen sowie rechtlich gebundene Entscheidungen unterliegen nicht dem Bürgerentscheid (Negativliste). Eine Angelegenheit kann vom Gemeinderat selbst oder von einer bestimmten Anzahl von Bürgern (Bürgerbegehren) zum Bürgerentscheid gestellt werden. Die Verfassungsmäßigkeit des Instituts ist mit Hinweis auf die Repräsentativfunktion des Gemeinderates zwar bezweifelt worden 297 ; im Ergebnis ist gegen den Bürgerentscheid in der vorliegenden begrenzten Fassung jedoch nichts einzuwenden, weil die lokale Ebene weiteren Formen unmittelbarer Demokratie aus der Natur des Selbstverwaltungsgedankens eher zugänglich ist als die höheren Ebenen 298 .

294 295 296

297 298

Vgl. § 33 Abs. 4 GO BW; § 33 Abs. 1 S. 3 GO NRW. Vgl. § 35 Abs. 2 KWG BW; Art. 18 GO Bay. Dazu auch Sapper, BWVB1. 1983, 89ff.; VGH Mannheim BWVB1. 1983, 269ff. Vgl. auch VGH Mannheim BWVPr 1980, 138ff. (Einschränkungen für Bürgerinitiativen). Vgl. dazu v. Mutius, Gutachten zum 53. DJT, S. 213 m. w. N. Ebenso Püttner / Jacoby, HkWP Bd. 2, 31; Streinz, Die Verwaltung 1983, 293 ff. (299 f.).

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3. Gemeindeinterne Gliederungen: Bezirke, Ortschaften Alle Gemeindeordnungen sehen die Möglichkeit vor, den gemeindlichen Binnenraum in Bezirke oder Ortschaften aufzugliedern, diese innergemeindlichen Einheiten mit bestimmten Organen zu versehen und sie zur Aufgabenerfüllung heranzuziehen. Solche Aufteilungen können sich für Landgemeinden mit mehreren dörflichen Zentren ebenso wie für Großstädte als sinnvoll erweisen. Sie sind nicht erst in jüngster Zeit in das Kommunalrecht aufgenommen worden; wohl aber haben die Maßstabvergrößerungen der Gebietsreform dazu veranlaßt, verstärkt Gebrauch von diesen Formen zu machen, sie für bestimmte Größenklassen von Städten sogar verbindlich vorzusehen (Bay: Städte mit mehr als 100000 Einwohnern; Nds; N R W ; SchlH: kreisfreie Städte) 299 . Einteilungen dieser Art erleichtern die Überschaubarkeit der Verwaltungsorganisation, dienen als Anlaufstellen und bieten, sofern sie mit einer eigenen Vertretung ausgestattet sind, den Einwohnern weitere Beteiligungschancen, ihre im engeren Sinne lokalen Interessen wahrzunehmen. Ein verfassungsunmittelbarer Zwang zur Einführung solcher Untergliederungen ist gleichwohl nicht anzuerkennen 300 . In der Einzelausgestaltung weichen die Gemeindeordnungen erheblich voneinander ab 301 . Die meisten Länder stellen die Modelle der Binnengliederung den Gemeinden fakultativ zur Verfügung. In einigen Ländern ist die Einführung einer Bezirksverfassung für große Städte obligatorisch. Unterschiedlich ist auch die Ausstattung der Bezirke und Ortschaften mit eigenen Organen. Nur der dekonzentrierten Verwaltungsführung dient es, wenn Verwaltungsstellen in den Bezirken als Außenstellen der gemeindlichen Verwaltungszentrale eingerichtet werden. Elemente dezentraler Entscheidungsbildung dagegen kommen ins Spiel, wenn Ortsbeiräte (Bezirksausschüsse) u n d / oder Ortsvorsteher (Ortssprecher) bestellt werden, denen die Artikulation der besonderen lokalen Interessen des Ortes gegenüber der Gemeinde als ganzer obliegt oder sogar Entscheidungsaufgaben 302 übertragen sind. In den meisten Ländern werden die Organe der Binnengliederungen vom Gemeinderat bestellt303. Organisationsrechtlich bleibt in allen diesen Fällen die Gemeinde die einzige rechtsfähige Trägerkörperschaft 304 . Ihr allein gilt die Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Die Bezirke und Ortschaften können sich der gemeindlichen 299 300 301 302 303

304

Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 209 ff. Wolf Weber, Selbstverwaltung und Demokratie in den Gemeinden nach der Gebietsreform, 1982, S. 335 ff. Vgl. dazu die Darstellung bei Wiese, HkWP Bd. 2, 330ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 151 ff. Z. B. § 70 GO BW. Zur Abgrenzung vgl. VGH Mannheim BWVB1. 1984, 115 ff. Daneben finden sich Formen unmittelbarer Volkswahl: § 69 Abs. 1 S. 1 GO BW., § 82 Abs. 1 S. 1 GO He; § 55b Abs. 1 S. 3 GO Nds (Ortschaftsräte); § 13 a Abs. 1 S. 2 GO NRW (Bezirksvertretung). Wiese, HkWP Bd. 2, 339 f.

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Zentralinstanz gegenüber ihrerseits nicht auf die Selbstverwaltungsgewährleistung berufen. Wohl aber können sie sich — nach Maßgabe dessen, was über den Kommunalverfassungsstreit gesagt worden ist (s. oben III 5) — dann, wenn ihnen Beratungs- oder Entscheidungskompetenzen durch Rechtssatz eingeräumt sind, gerichtlich dagegen wehren, daß ihnen diese Kompetenzen rechtswidrig beschränkt oder entzogen werden.

V. Die Rechtsetzung der Gemeinden Mitwirkung an der gemeindlichen Willensbildung ist für die Einwohner nur interessant, wenn die Gemeindeverwaltung neben reinem Gesetzesvollzug Gestaltungsaufgaben, insbesondere der leistenden und planenden Verwaltung, wahrnehmen kann. Gestaltungsaufgaben ihrerseits lassen sich rechtlich nur dann erfüllen, wenn sich die Gemeinden die dazu notwendigen Rechtsregeln — selbstverständlich unter Wahrung des Gesetzesvorrangs — selbst schaffen können. Die Rechtsetzung305 ist folglich eine notwendige Äußerungsform der Gemeinden. Sie manifestiert sich in den dem allgemeinen Verwaltungsrecht auch sonst bekannten Formen der Satzung, der Rechtsverordnung und gewisser inneradministrativer Rechtssätze. 1. Gemeindliche Satzungen

a) Regelungstypus: Satzungen sind Rechtsetzungsakte selbständiger, dem Staate eingegliederter Verwaltungsträger zur einseitig hoheitlichen Regelung ihrer Angelegenheiten. Meistens enthalten Satzungen generell-abstrakte Regelungen. Satzungen dieses Typs finden sich vor allem im gemeindlichen Abgabenrecht (Steuer-, Beitrags- und Gebührensatzungen) und zur Regelung der öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden und ihrer Rechtsbeziehungen zu den Benutzern (Anstaltssatzungen). Die Allgemeinheit der Regelung dient hier der Gleichmäßigkeit des Verwaltungsvollzuges. Ein begriffsnotwendiges Merkmal der Satzung ist die Allgemeinheit jedoch nicht. Gerade in dem zweiten, zunehmend wichtiger werdenden Anwendungsbereich des Satzungsrechts, bei den gemeindlichen Planungen, finden sich Regelungen, die sich im Norm-Einzelakt-Schema keinesfalls eindeutig als generell-abstrakt einstufen lassen, sondern individuell-konkrete und generell-abstrakte Elemente mischen. Bekanntestes Beispiel ist der Bebauungsplan, der nach § 10 BBauG als Satzung ergeht, obwohl er von einem rechtstheoretischen Standpunkte aus auf diese Form nicht notwendig fixiert zu sein brauchte306. Beispiele wichtiger kommunaler Satzungen sind die Hauptsatzung, die Haushaltssatzung, Abgabensatzungen, Anstaltssatzungen, baurechtliche Satzungen (Bebauungspläne, Veränderungssperren, örtliche Bauvorschriften), straßenrechtliche 305 306

Vgl. zur kommunalen Rechtssetzungsbefugnis Schmidt-Aßmann, 182ff.; ders., in: Fs. f. v. Unruh, S. 607ff. Friauf, unten 6. Abschnitt, II 3 c ee.

HkWP Bd. 3,

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Satzungen und Eigenbetriebssatzungen. Die Steuerung von Vorgängen kommunaler Massenverwaltung, die Planung und die Organisation sind demnach die Hauptanwendungsgebiete des Satzungsrechts. b) Grundlagen, Gesetzesvorbehalt: Die Satzung ist das typische Instrument eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung. Deshalb gehört die Befugnis, in eigenen Angelegenheiten Satzungen zu erlassen — wenn auch nicht in allen Einzelheiten307, so doch im Grundsatz — verfassungsfest zur Selbstverwaltungsgarantie (vgl. oben I 1 b dd). Die Gemeindeordnungen enthalten in ihren allgemeinen Satzungsklauseln nur eine Bestätigung dieser Rechtsetzungsbefugnis (Autonomie). Aber auch in Weisungs- und Auftragsangelegenheiten sind Satzungen nicht ausgeschlossen. Der staatliche Gesetzgeber hat es hier jedoch in der Hand, den Gemeinden den Einsatz der Satzung als Regelungsinstrument vorzuenthalten oder ihn an besondere Voraussetzungen zu binden 308 . Satzungsgebung ist wie alle gemeindliche Tätigkeit „Verwaltung" und unterfallt der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG. Vom zwingenden Gesetzesrecht kann das Satzungsrecht nicht abweichen. Hierin finden z. B. Haftungsbeschränkungen, wie sie Gemeinden im Zusammenhang mit der Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen gern satzungsmäßig festzulegen pflegen, ihre Grenzen 309 . Nicht ganz eindeutig zu beantworten ist, ob und inwieweit für Satzungen neben dem Vorrang auch der Vorbehalt des Gesetzes gilt. Anerkannt ist immerhin, daß der in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG und in den vergleichbaren Vorschriften der Landesverfassungen festgelegte rechtsformabhängige Gesetzesvorbehalt für Rechtsverordnungen auch analog nicht auf Satzungen angewandt werden kann 310 . Die Gemeinden sind um ihres Selbstverwaltungsrechts willen freier gestellt als die staatsunmittelbare Verwaltung. Sie verfügen in dem von ihren Bürgern gewählten Gemeinderat ja auch über eine eigene direkte Legitimationsbasis. Trotzdem sind die Ordnungsfunktionen des parlamentarischen Gesetzgebers auch im Selbstverwaltungsbereich unverzichtbar. Die Gründe, die das Bundesverfassungsgericht im FacharztBeschluß311 für die berufsständische Selbstverwaltung hierzu gegeben hat, gelten im Prinzip auch für die gemeindliche Selbstverwaltung312. Dieser Ordnungsauftrag muß allerdings durch eine kommunalspezifische Fassung der Gesetzesvorbehaltslehre gesichert werden313. Einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf es eindeutig dort, wo Satzungen in Freiheit und Eigentum eingreifen oder ihrerseits zu Eingriffen er307 308 309 310 311 312 313

BVerfGE NVwZ 1982, 306 (307). Vgl. dazu Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 204 Fn. 1. BGHZ 61, 7 (14ff.) m. w. N.; ausführlich Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1983, § 44 3 mit zahlreichen Nachweisen. So die h. M.; vgl. Bryde, in: v. Münch, GG, Rdnr. 10 zu Art. 80 GG m. w. N. Beschluß vom 9. 5. 1972, BVerfGE 33, 125 (159f.). Dazu Starck, NJW 1972, 1489 (1490). Dazu jüngst Bethge, NVwZ 1983, 577 ff.

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mächtigen sollen. Der sog. klassische Eingriffsvorbehalt gilt also auch für Satzungen und verlangt eine gesetzliche Basis, die Art und Richtung des Eingriffs bezeichnet. Diesen Bestimmtheitsanforderungen an das gesetzliche „Ermächtigungsprogramm" genügen die allgemeinen Vorschriften der Gemeindeordnungen, denenzufolge Gemeinden in eigenen Angelegenheiten Satzungen erlassen können (allgemeine Satzungsklauseln), nicht. Die Gesetzgebungspraxis hat sich auf diesen Befund eingestellt und faßt die Voraussetzungen für Satzungen mit typischem Eingriffscharakter präziser: Satzungen, die den Anschluß- und Benutzungszwang an gemeindliche Einrichtungen vorschreiben dürfen, finden in Spezialklauseln der Gemeindeordnungen, baugestalterische Satzungen in den Regeln der Landesbauordnungen über „örtliche Bauvorschriften", Abgabensatzungen in den Kommunalabgabengesetzen ihre besonderen gesetzlichen Grundlagen. Diese Vorschriften haben zugleich eine Ausschlußwirkung. Soweit sie eine Materie dem kommunalen Zugriff nicht erschließen, können die Gemeinden das durch Satzungsregelung nicht nachholen. Für einen Gegenstand möglicher Besteuerung, den die staatlichen Steuergesetze den Gemeinden nicht freigeben, gibt es auch kein satzungsmäßiges Steuerfindungsrecht 314 . Ist der Anschlußzwang an Fernwärmeeinrichtungen aus Gründen des Immissionsschutzes zugelassen, kann ihn die Gemeinde nicht aus energiepolitischen Gründen anordnen (vgl. unter VI 2). c) Verfahren: Für das Satzungsgebungsverfahren als Normsetzungsverfahren fehlt es an einer geschlossenen gesetzlichen Regelung. aa) allgemein: Die wichtigsten Verfahrensvorschriften ergeben sich aus den allgemeinen Regeln der Gemeindeordnungen über die innergemeindliche Willensbildung. Da der Erlaß von Satzungen zu den Vorbehaltsaufgaben des Gemeinderates gehört, sind es also vor allem die Vorschriften über die Ratssitzungen, den Ausschluß befangener Ratsmitglieder und die Rügerechte des Gemeindevorstehers, die das Satzungsverfahren prägen. Dazu treten Sondervorschriften für einzelne Arten von Satzungen, z. B. über die Öffentlichkeitsbeteiligung beim Erlaß von Bebauungsplänen nach § 2 a BBauG. Staatlicher Genehmigung bedürfen Satzungen nur dann, wenn diese ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist. Existierende Genehmigungsvorbehalte berechtigen die Aufsichtsbehörde im Regelfall nur zur Rechtskontrolle. Dem gleichen Ziel dienen Vorschriften, die den Gemeinden die schlichte Vorlage des beschlossenen Satzungsentwurfs zur Pflicht machen. Um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen, bedarf jede Satzung förmlicher Publikation. Dieses Erfordernis folgt schon, wenn es in den Gemeindeordnungen nicht nochmals genannt würde, aus dem Rechtsstaatsgrundsatz. Über die technischen Einzelheiten, insbesondere über zulässige Publikationsorgane und die For-

314

Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 88 f.

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men der normalen, der Ersatz- und der Notbekanntmachung trifft das Gemeinderecht genaue Festlegungen 315 . bb) Verfahremfehler: Verstöße gegen das gesetzliche Verfahrensrecht begründen Rechtsfehler und machen, wenn es sich nicht um Verstöße gegen bloße Ordnungsnormen handelt, die Satzung nichtig 316 . In der Vergangenheit sind gerade Verfahrensfehler oft die Ursache gewesen, die zur Unwirksamkeit wichtiger gemeindlicher Satzungen geführt haben. In manchen Bereichen, z. B. im Bauplanungs- und im Kommunalabgabenrecht, ist dadurch eine erhebliche Rechtsunsicherheit eingetreten. Das hat den Gesetzgeber auf den Plan gerufen und ihn dazu veranlaßt, die nur „dienende Funktion" des Verfahrensrechts dahin auszumünzen, daß Verfahrensfehler nicht notwendig die gleiche Fehlerfolge der Nichtigkeit haben, wie sie für Inhaltsfehler gilt. Die Techniken, mit denen die Gesetzgeber in Bund und Ländern Verfahrensfehler für unbeachtlich, nur teilweise beachtlich, nur zeitweise beachtlich oder nachträglich behebbar erklärt haben, weichen erheblich voneinander ab und sind insgesamt noch nicht ausgewogen 317 . Am weitesten gehen die Sonderregelungen für Satzungen nach dem Bundesbaugesetz — also vor allem für Bebauungspläne —, die unter Verstoß gegen Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzes ergangen sind. Hier sehen §§ 155 äff. BBauG ein ganzes Bündel von Unbeachtlichkeits-, Rüge- und Heilungsklauseln vor 318 . Aber auch die Gemeindeordnungen enthalten heute Sondervorschriften über Verstöße gegen kommunalrechtliche Verfahrensvorschriften beim Erlaß von Satzungen 319 . Alle Länder bis auf Bayern 320 folgen dabei einer Technik, die man als Rügemodell bezeichnen kann 321 . Die entsprechenden Bestimmungen finden sich entweder, beschränkt auf diese, bei den Befangenheitsvorschriften oder sind den allgemeinen Satzungsklauseln angefügt und beziehen sich dann auf alle oder wenigstens auf einen größeren Kreis von Verfahrensvorschriften. Im Grundtenor erklären alle dem Rügemodell folgenden Bestimmungen die bzeichneten Verfahrens- und Formfehler für unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb einer länderweise unterschiedlichen Frist entweder von bestimmten Amtsträgern (Gemeindevorsteher, Aufsichtsbehörde) oder 322 315

316

317

318

319 320

321 322

Dazu Ziegler, Die Verkündung von Satzungen und Rechtsverordnungen der Gemeinden, 1976, S. 67ff.; F. Kirchhof, DÖV 1982, 397ff. Im einzelnen s. Schmidt-Aßmann, Kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, S. 19. Schmidt-Aßmann, Kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, S. 18 ff. Dazu Friauf unten 6. Abschnitt, II 3 c m. w. N.; zuletzt v. Mutius/Hill, Die Behandlung fehlerhafter Bebauungspläne durch Gemeinden, 1983, S. 7 ff. Im einzelnen Hill, DVB1. 1983, 1 ff. In Bayern nur für Befangenheit, vgl. Art. 49 Abs. 3 GO, jedoch „Kausalitätsklausel". Vgl. §§ 4 Abs. 4, 18 Abs. 6 GO BW; § 5 Abs. 4 GO He; § 6 Abs. 5 GO Nds; § 4 Abs. 6 GO NRW; § 24 Abs. 6 GO RhPf. Einschränkung § 47 KSVG Sa.

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Dritten der Gemeinde gegenüber gerügt worden sind. Eine einmal erhobene Rüge dagegen perpetuiert den Fehler. Sie wirkt für und gegen jedermann. Ist innerhalb der Frist von keiner Seite eine Rüge erhoben worden, so kann der Verfahrensfehler nicht mehr geltend gemacht werden. Rechtskonstruktiv wird man insoweit von einer rechtswidrigen, gleichwohl aber nicht mehr angreifbaren Satzung auszugehen haben 323 . d) Rechtsschutz gegen Satzungen324: Der Gerichtsschutz gegen Satzungen vollzieht sich zum einen im Rahmen eines gerichtlichen Vorgehens gegen satzungskonkretisierende Vollzugsakte über die sog. Inzidentkontrolle, zu der der Richter aufgrund seiner Prüfungskompetenz in jedem anhängigen Prozeß verpflichtet ist. Stellt sich dabei die materielle oder formelle Fehlerhaftigkeit der Satzung heraus, so kann sie (von den Fällen zu c bb abgesehen) nicht Rechtsgrundlage des angegriffenen Vollzugsaktes sein und bleibt für diesen Prozeß außer Anwendung. Eine allgemein verbindliche Nichtigkeitsfeststellung dagegen gibt es im Rahmen der Inzidentkontrolle nicht. Letzteres ist Ziel der sog. prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Sie ist bundesgesetzlich obligatorisch für die städtebaulichen Satzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, vor allem also für Bebauungspläne 325 , eingeführt. In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein können darüber hinaus auch alle anderen unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften mit der prinzipalen Normenkontrolle angegriffen werden. Einen wesentlichen Komplex dieser Normgruppe stellen die gemeindlichen Satzungen dar326. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO setzt weniger strenge Maßstäbe als die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO; verlangt wird aber auch hier ein Nachteil in rechtlich geschützten Interessen 327 . Auch die prinzipale Satzungskontrolle ist also keine Popularbeschwerde. Die Wege der inzidenten- und der prinzipalen Kontrolle stehen einem Betroffenen grundsätzlich nebeneinander zur Verfügung 328 . In denjenigen Ländern, die eine prinzipale Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO nicht kennen, kann es besondere Rechtsschutzprobleme dann geben, wenn sich eine Satzungsregelung ohne Vollzugsakt sogleich belastend in die Individualsphäre umsetzt, so daß die klassische Inzidentkon323 324 325 326

327 328

Meyer, in: Kohlhammer-Kommentar zum Bundesbaugesetz, Rdnr. 33ff. zu § 155 a BBauG; vgl. jüngst Maurer, in: Fs. f. Bachof, 1984, S. 215ff. Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, S. 51 ff. m. w. N. Dazu Friauf, in diesem Lehrbuch 6. Abschnitt II 3 c ff. Vgl. Redeker/v. Oertzen, VwGO, Rdnr. 14 zu §47 m. w. N.; problematisch für Haushaltssatzungen der Gemeinde, dazu VGH Mannheim DÖV 1967, 175 (Prüfung nur insoweit, als die Vorschriften der Haushaltssatzung die rechtliche Stellung Privater berühren) und Kopp, VwGO, Rdnr. 13 zu § 47 m. w. N. Vgl. Kopp, VwGO, Rdnr. 25 zu § 47 m. w. N.; Braun, BayVBl. 1983, 577 ff. VGH München BayVBl. 1972, 443f.; VGH Mannheim ESVGH 11, 128ff.; zur Rechtskraftbindung vgl. BGH DÖV 1981, 337 ff., mit Anm. Kerbusch, DÖV 1982, 42 f.

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trolle nicht eingreifen kann. Da nach nicht unbestrittener, aber richtiger Ansicht die gesamte administrative Normsetzung unter den Begriff der öffentlichen Gewalt i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG fällt329, können sich hier im Lichte dieser Bestimmung Rechtsschutzlücken ergeben. Diese müssen durch eine verfassungskonforme Handhabung der Feststellungsklage nach § 43 VwGO geschlossen werden, die allerdings nicht zur allgemeinverbindlichen Nichtigkeitserklärung der fehlerhaften Satzung führt 330 . 2. Weitere gemeindliche Rechtsetzungsakte Satzungen sind die wichtigsten aber nicht die einzigen Rechtsetzungsakte der Gemeinden. a) Rechtsverordnungen . Gemäß besonderer gesetzlicher Ermächtigung können Gemeinden auch Rechtsverordnungen erlassen. Beispiele finden sich vor allem im Polizeirecht. In den Einzelheiten weichen die einschlägigen Gesetze allerdings so stark voneinander ab, daß sich allgemeine Aussagen verbieten331. b) inneradministrative Rechtssätze: Zahlreiche Rechtsetzungsakte der Gemeinden lassen sich weder den Satzungen noch den Rechtsverordnungen zurechnen, sondern müssen als inneradministrative Rechtssätze eingestuft werden. Gerade die kommunale Praxis zeigt, daß diese Gruppe, die nicht zu den klassischen Außenrechtssätzen zählt, mehr umfaßt als die Verwaltungsvorschriften. Neben den innerorganschaftlichen Geschäftsordnungen der gemeindlichen Kollegialorgane sind es vor allem die nicht als Satzung erlassenen sog. schlichten Anstaltsordnungen der kommunalen öffentlichen Einrichtungen und eine Reihe gemeindlicher Pläne, unter ihnen der Flächennutzungsplan nach § 5 BBauG, die dieser Gruppe zuzurechnen sind332. VI. Die Leistungen der Gemeinden für ihre Einwohner Wenn das Verhältnis der Gemeinden zu ihren Einwohnern, unter politischem Aspekt betrachtet, durch das Gegensatzpaar Mitwirkungsrecht/Mitwirkungspflicht bestimmt wird (vgl. oben IV), so läßt es sich unter admini329

330 331 332

Ob Art. 19 Abs. 4 GG unter „öffentlicher Gewalt" mindestens auch die administrative Normsetzung versteht, wird zwar vom Bundesverfassungsgericht [vgl. BVerfGE 31, 364 (368)] offengelassen, entspricht aber heute der ganz herrschenden Meinung. Vgl. ausführlich Schenke, in: BK, Rdnr. 249ff. zu Art. 19 Abs. 4 GG m. w. N. Vgl. auch BVerwG, DVB1. 1983, 552 (553); Koop, VwGO, Rdnr. 10 zu § 47. Vgl. Friauf, in diesem Lehrbuch, 3. Abschnitt, III 2 c. Dazu die Darstellung bei Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, S. 31 ff.; speziell zu den Flächennutzungsplänen, Friauf, in diesem Lehrbuch, 6. Abschnitt II 3 b.

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strativem Aspekt mit den Begriffen Leistungsrecht/Lastentragungspflicht kennzeichnen. Die Lastentragung wird heute ausgeformt vor allem durch das Abgabenrecht. In einigen Ländern gibt es daneben noch die Möglichkeit, die Einwohner durch Satzung zu Naturaldiensten (sog. Hand- und Spanndiensten) zu verpflichten 333 . Das korrespondierende Leistungsrecht umfaßt in einem weiten Sinne alle das örtliche Gemeinwohl fördernden Aktivitäten. Dazu zählen z. B. die kommunale Wirtschaftsförderung, das gemeindliche Gesundheits- und Sozialhilfewesen und die vielfältigen Aktivitäten der Gemeinden im Bau- und Wohnungswesen 334 . In einem engeren Sinne ist das kommunale Leistungsrecht ein Recht der Daseinsvorsorge. Es ist die Daseinsvorsorge, die gerade im Kommunalwesen traditionell eine starke Wurzel hat. Der Leistungsauftrag, das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner durch die Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen zu fördern, ist eine Grundpflicht gemeindlicher Selbstverwaltung. Gerade für diesen Bereich stellen die Gemeindeordnungen die Verbindung von Lastentragung und Leistungsanspruch deutlich heraus. So heißt es in § 10 Abs. 2 der bad.württ. Gemeindeordnung: „Die Einwohner sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden nach gleichen Grundsätzen zu benützen. Sie sind verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen". Ein Schlüsselbegriff des Rechts daseinsvorsorgender Kommunalverwaltung ist also die öffentliche Einrichtung 335 . 1. öffentliche Einrichtungen a) Begriff: Der kommunalrechtliche Begriff der öffentlichen Einrichtungen meint „Betriebe, Unternehmen, Anstalten und sonstige Leistungsapparaturen höchst unterschiedlicher Struktur und Zweckbestimmung, denen letztlich nur die Funktionsweise gemeinsam ist, die Voraussetzungen für die Daseinsfürsorge und Daseinsvorsorge der Bevölkerung zu schaffen und zu gewährleisten" 336 . Hierher zählen also Museen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Verkehrsbetriebe, Altenheime, Kindergärten, Schulen, Friedhöfe, Theater, Freizeitanlagen. Der Begriff ist von seiner realen Substanz her weiter gefaßt als der der öffentlichen Anstalt 337 . Eine besondere, von der normalen Gemeindeverwaltung abgesetzte Organisation ist ebensowenig Voraussetzung wie die Existenz eines besonders aufwendigen Apparats. Auch Parks, Sport- und Kirmesplätze werden deshalb zu den öffentlichen Einrichtungen gerech333

334

335 336

337

Zur Zulässigkeit vgl. BVerwGE 2, 313ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 486 zu Art. 12 GG. Umfassend zu den gemeindlichen Aktivitäten vgl. HkWP Bd. 4 (Fachaufgaben); K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 3 ff. Ausführlich Frotscher, HkWP Bd. 1, 135ff. Ossenbühl, DVB1. 1973, 289; ders., HkWP Bd. 1, 381; OVG Münster DVB1. 1976, 398 ff. OVG Münster, DVB1 1976, 398; Frotscher, HkWP Bd. 1, 139f.

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net338. In einem sehr weiten Sinne könnte man sogar das gemeindliche Straßennetz als öffentliche Einrichtung ansehen. Das wird jedoch überwiegend und letztlich zu Recht mit Blick auf die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung abgelehnt339. Öffentliche Straßen sind Sachen im Gemeingebrauch, an denen das Straßenrecht jedermann ohne Rücksicht auf eine spezielle gemeindliche Trägerschaft oder Zugehörigkeit ein dingliches Nutzungsrecht einräumt. Für die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden sehen die Gemeindeordnungen dagegen regelmäßig ein im Adressatenkreis begrenztes, obligatorisches Nutzungsrecht vor (vgl. unter b). Auf die Rechtsform der öffentlichen Einrichtung kommt es nicht an. Öffentliche Einrichtungen werden keineswegs nur in den Organisationsformen des öffentlichen Rechts als Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder als Eigenbetrieb, sondern auch in der Form der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung geführt 340 . Auch das Maß der rechtlichen Verselbständigung ist für den Begriff unerheblich. Öffentliche Einrichtungen können von Stellen der Gemeindeadministration, von Regie- oder Eigenbetrieben, aber auch von rechtsfähigen Betriebseinheiten unterhalten werden. Es ist nicht einmal notwendig, daß die Gemeinde die ausschließliche Vermögensträgerin ist. Auch Aktiengesellschaften, an denen die Gemeinde nur beteiligt ist, ja selbst ein ausschließlich in privaten Händen liegendes Unternehmen kann, wenn eine entsprechende Widmung vorliegt, eine öffentliche Einrichtung der Gemeinde ausmachen. So ist die Abfallbeseitigung eine öffentliche Einrichtung, selbst dann, wenn sie von einem Privatunternehmer durchgeführt wird, dem die Gemeinde diese Aufgabe vertraglich anvertraut hat341. Vom Rechtsbegriff her schließen sich auch öffentliche Einrichtungen und gemeindliche Wirtschaftsunternehmen nicht aus342. Zahlreiche öffentliche Einrichtungen werden von gemeindlichen Wirtschaftsunternehmen geführt (s. unter VII1). Ein Gegenstand oder eine Sachgesamtheit erhält die Eigenschaft als öffentliche Einrichtung durch Widmung. Die Widmung ist der Rechtsakt, der die Nutzung der Sache durch die kommunale Öffentlichkeit konstituiert. An eine spezifische Rechtsform ist sie nicht gebunden. Vielfach wird sie durch einen eigenen Ratsbeschluß ausgesprochen. Doch kommen auch rein administrative und konkludente Widmungen vor. Bei einer faktisch von der Öffentlichkeit genutzten Einrichtung spricht im Zweifel eine Vermutung für ihre öffent338 339

340 341 342

Wolff/Bachof, VwR II, § 55 III b 1. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 155; Frotscher, HkWP Bd. 1, 138 mit Nachweisen zum Streitstand in Fn. 14; a. A.: Lange, HkWP Bd. 1, 163 f. Diese Trennung liegt trotz mißdeutbarer Formulierung auch Art. 21 Abs. 4 GO Bay zugrunde; vgl. Knemeyer, Die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden, 1973, S. 12. Zu den kommunalen Unternehmensformen allgemein Häuselmann, BWVB1. 1983, 230 ff. Kein Fall der Beleihung, vgl. dazu Frotscher, HkWP Bd. 1, 147f. Frotscher, HkWP Bd. 1, 140.

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liehe Widmung343. Die Gemeinde kann die Vermutung jedoch durch den Nachweis widerlegen, die Bereitstellung erfolge eindeutig als private Einrichtung. Die Widmung legt den genauen Nutzungszweck und damit auch die Nutzungsgrenzen fest. Eine Halle, die praktisch auch für Versammlungen genutzt werden könnte, aber nur als Sporthalle gewidmet ist, ist nur insofern eine öffentliche Einrichtung. Nicht zu den öffentlichen Einrichtungen zählen Vermögensgegenstände, die ausschließlich in das Finanzvermögen fallen, wie das z. B. für die erwerbswirtschaftlichen Betriebe einer Gemeinde gilt. Ebenfalls nicht öffentliche Einrichtungen sind die Sachen im Verwaltungsgebrauch, z. B. Dienstgebäude, Dienstwagen und andere Verwaltungseinrichtungen, die unmittelbar nicht der Nutzung durch Dritte, sondern der Erfüllung administrativer Amtsgeschäfte dienen. Daß in manchen dieser Einrichtungen Publikumsverkehr herrscht, macht sie noch nicht zu öffentlichen Einrichtungen i.S. des Kommunalrechts. b) Nutzungsrechte: Die Einwohner sind nach den insoweit übereinstimmenden Gemeindeordnungen aller Länder 344 berechtigt, die kommunalen öffentlichen Einrichtungen zu nutzen. Den Einwohnern sind Personen, die in der Gemeinde Grundstücke oder eine gewerbliche Niederlassung haben (sog. Forensen), gleichgestellt. Ferner werden heute Einwohner der Nachbargemeinden als Nutzungsberechtigte jener Einrichtungen anzuerkennen sein, mit denen die Standortgemeinde zentralörtliche Funktionen für das Umland wahrnimmt 345 . Gebietsfremde dagegen haben regelmäßig kein Nutzungsrecht 346 . Auch für die Einwohner bestehen Nutzungsrechte nur im Rahmen des Widmungszwecks. Wünschen nach einer den Widmungszweck übersteigenden besonderen Nutzung einer öffentlichen Einrichtung kann die Gemeinde entgegenkommen; das Gemeinderecht verpflichtet sie dazu jedoch nicht. Die wichtigste Grenze des Nutzungsrechts ist die Kapazität. Zur Schaffung neuer Einrichtungen ist die Gemeinde selbst bei nachhaltigem Bedarf allenfalls politisch, nicht aber rechtlich verpflichtet 347 . Ebensowenig besteht eine 343 344

345 346

347

OVG Münster DVB1 1976, 398 (399); vgl. auch OVG Koblenz NVwZ 1982, 379ff. Vgl. § 10 Abs. 2 GO BW; Art. 21 GO Bay; § 20 GO He; § 22 GO Nds; § 18 Abs. 2 GO NRW; § 14 Abs. 2 GO RhPf; § 19 KSVG Sa; § 18 GO SchlH. Daneben gibt es Spezialvorschriften, z. B. § 70 GewO, § 6 EnWG, § 22 PBefG - vgl. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 156 ff. - , die den Kreis der Berechtigten zum Teil erweitern; s. dazu auch die Vorschriften im Schul- und Krankenhausrecht. Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 386. Speziell zum Problem der Standplätze für Schausteller auf Volksfesten, BVerwG NVwZ 1982, 194f.; VGH Mannheim NVwZ 1982, 516f.; BWVB1. 1983, 37ff.; VGH München NVwZ 1982, 120ff.; OVG Lüneburg NVwZ 1983, 49ff.; Pitschas, BayVBl. 1982, 641 ff.; Lässig, NVwZ 1983, 18ff. Ossenbühl, HkWP Bd. 1, 384; anders z. B. im Bereich des Energierechts: § 6 EnWG. Etwas anderes mag allenfalls für Fälle ungewöhnlicher sozialer Hilfsbedürftigkeit gelten, vgl. Pitschas, BayVBl. 1982, 641 ff. (642 bei Fn. 12); dazu auch BVerfGE 40, 121 (133); weitergehend Lässig, NVwZ 1983, 18 (20).

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Pflicht, vorhandene Einrichtungen im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten 348 . Der notwendige haushaltsrechtliche Umschichtungsspielraum der Gemeinden darf nicht durch die übereilte Konstruktion von Nutzungsansprüchen verdrängt werden. Liebgewordene Gewohnheiten schaffen noch keinen Vertrauenstatbestand und erst recht keine Grundrechtspositionen. Bei knapper Kapazität freilich muß die Auswahlentscheidung einwandfrei sein. Das ist ein Problem vor allem der Maßstäbe, z. B. Priorität, Rotation, Alter. Sie müssen inhaltlich vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben. Zutreffend wird außerdem ihre vorherige förmliche Fixierung durch Rechtssatz gefordert 349 . c) Benutzungsverhältnis: Der Nutzungsanspruch der Gemeindeordnungen ist öffentlich-rechtlicher Natur. Die Zulassung zur Nutzung einer gemeindlichen öffentlichen Einrichtung muß daher gegebenenfalls nach § 40 Abs. 1 VwGO im Verwaltungsrechtsweg erstritten werden. Meinungsverschiedenheiten bestehen in der Frage, wie auf der Basis dieses Nutzungsanspruchs das Nutzungsverhältnis rechtlich zu konstruieren ist350. aa) öffentlich-rechtliches Einheitsmodell: Ein Teil der Literatur geht von einem einheitlichen öffentlich-rechtlichen Modell aus351. Die Nutzung vollzieht sich danach im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Vertrages (§§ 54ff. VwVfG) oder eines mit der oft nur konkludenten Zulassung zustandekommenden verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses. Auf ein solches schlichtes Schuldverhältnis wird vor allem dort zurückgegriffen werden müssen, wo sich im Verwaltungsalltag die für den Vertrag obligatorische Schriftform (§ 57 VwVfG) als unhandlich erweist. Handlungsmaßstäbe, Haftungs- und Rechtswegfragen bestimmen sich beim Einheitsmodell nach öffentlichem Recht. Das soll selbst dann gelten, wenn die öffentliche Einrichtung nicht von der Gemeinde selbst, sondern von einer juristischen Person des Privatrechts betrieben wird und die Leistungsbeziehungen zwischen ihr und dem Benutzer in Rede stehen. So sehr die Einheitlichkeit des Konzepts besticht, so begegnen ihm doch in der Praxis, insbesondere bei privatrechtlicher Organisationsform der öffentlichen Einrichtung, Schwierigkeiten; denn der privatrechtlich organisierte Träger der Einrichtung wird regelmäßig nicht als Beliehener und folglich auch nicht öffentlich-rechtlich tätig, sondern erfüllt die gemeindliche Leistungspflicht dem Benutzer gegenüber privatrechtlich. Das öffentlich-rechtliche Lösungsmodell ist folglich zwar eine durchaus mögliche Konstruktion, aber sie paßt nicht für alle öffentliche Einrichtungen der Gemeinden.

348 349 350 351

VGH Kassel NJW 1979, 886ff.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 152 m. w. N. in Fn. 81. Bethge, NVwZ 1983, 577 (580). Dazu Barbey, WiV 1978, 77 (89ff.). Ossenbühl, DVB1. 1973, 289 (291 f.); ders., HkWP Bd. 1, 387 mit Nachweisen zum Streitstand Fn. 50ff.; vgl. auch Pappermann, JZ 1969, 485 (488), sowie v. Mutius, JuS 1978, 400f.

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bb) Typenvielfalt: Die nach wie vor herrschende Lehre geht davon aus, daß die Nutzungsverhältnisse in mehreren Typen erfaßt werden können und daß der einzelnen Gemeinde in gewissen Grenzen ein Wahlrecht zusteht, nach welchem Modell sie verfahren möchte352. Eine öffentlich-rechtliche Konstruktion wird dabei häufig anzutreffen sein, aber sie ist nicht die einzige Gestaltungsmöglichkeit. Im einzelnen muß zwischen der bereits oben (unter a) behandelten Wahl der Organisationsiorm und der Wahl der Rechtsform — genauer: des Rechtsregimes und der in ihm verfügbaren Handlungsformen — unterschieden werden353. — Erbringt die Gemeinde die Leistungen der öffentlichen Einrichtung selbst ohne Zwischenschaltung einer Person des Privatrechts, so kann sie wählen, ob sie das Nutzungsverhältnis insgesamt öffentlich-rechtlich (in den unter aa) genannten Formen) abwickeln oder aber sich des Privatrechts bedienen will. Die Wahl des Privatrechts muß sich mindestens aus Indizien (z. B. AGB statt Anstaltssatzung, Preise statt Gebühren) eindeutig ergeben354. Fehlt es daran, streitet eine Vermutung für das öffentliche Recht. Inhaltlich gestattet freilich auch die Wahl des Privatrechts der Gemeinde nicht eine vollkommen freie, privatautonome Gestaltung der Leistungsbeziehungen 355 . Vielmehr gilt Verwaltungsprivatrecht, jenes mit gewissen dem öffentlichen Recht entlehnten Bindungen versehene Privatrecht, dem die öffentliche Hand bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht entrinnen kann 356 . Rechtskonstruktiv bewirkt die Wahl des Privatrechts, daß die Leistungserbringung in der Form eines privatrechtlichen Vertrages erfolgt. Dadurch treten der auf den öffentlich-rechtlichen Zulassungsanspruch (s. unter b) antwortende öffentlich-rechtliche Zulassungsakt — in der Regel ein Verwaltungsakt — und das ihm folgende Nutzungsverhältnis stärker auseinander (Zweistufenlehre). Das wiederum ist ein Kritikpunkt an der herrschenden Lehre; denn in der Tat wirken bei alltäglichen Nutzungsvorgängen, wie z. B. dem Besuch eines kommunalen Schwimmbades, solche Zweistufigkeiten überkonstruiert. Das gilt nicht zuletzt für Rechtsschutzfragen. So muß nach dieser Lehre auf Zulassung zur Nutzung vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden, während für Leistungsstörungen und Haftungsfälle nach § 13 GVG die ordentlichen Gerichte zuständig sind. 352 353 354 355

356

Wolff/Bachof, VwR II, § 99 III a; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1977, S. 42ff.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 149. Scholz, Das Wesen und die Entwicklung der gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen, 1967, S. 21 ff. Dazu jüngst Stober, NJW 1984, 449 ff. VGH Mannheim DÖV 1978, 569 ff. Speziell zur Frage, ob auch bei Vorliegen des Anschluß- und Benutzungszwanges noch das Privatrecht gewählt werden kann, vgl. OVG Lüneburg NJW 1977, 450f.; Frotscher, HkWP Bd. 3, 155f.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 656. Allgemein Badura, in diesem Lehrbuch, 4. Abschnitt, III 2 d; Wolff/Bachof, VwR I, § 23 II b; vgl. auch Frotscher, HkWP Bd. 3, 157.

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— Ist die öffentliche Einrichtung als juristische Person des Privatrechts organisiert, so ist mit der Wahl der Organisationsform auch die Frage der Handlungsform entschieden. Ohne gesetzesbegründete Beleihung - und daran fehlt es durchgängig — können Privatrechtssubjekte ihre Rechtsbeziehungen zum Benutzer nicht öffentlich-rechtlich regeln. Die Leistungserbringung vollzieht sich hier folglich zwangsläufig in den Formen des Privatrechts. Prozessual führt das nicht nur zu der beschriebenen Doppelung in Rechtswegfragen, sondern es stehen dem Kläger in den Prozessen auch unterschiedliche Beklagte gegenüber. Im Verwaltungsprozeß auf Zulassung zur Nutzung ist es die Gemeinde selbst, die „auf Verschaffung der Zulassung" in Anspruch zu nehmen ist. Im Zivilprozeß über Fragen aus dem Leistungsverhältnis dagegen ist Beklagte die juristische Person privaten Rechts, die die öffentliche Einrichtung betreibt. — Wenn man Einfachheit und Übersichtlichkeit als besondere Werte einer Rechtsordnung ansieht, dann können solche Diffizilitäten nicht recht überzeugen. Erklärbar freilich mögen sie angesichts der Typenvielfalt öffentlicher Einrichtungen und ihrer Träger sein. 2. Einrichtungen mit Anschluß- und Benutzungszwang a) Tatbestand: Für bestimmte öffentliche Einrichtungen kann die Gemeinde die Benutzung zur Pflicht machen (Benutzungszwang) und vorschreiben, daß die Grundstücke ihres Hoheitsgebiets an die entsprechenden Versorgungsanlagen anzuschließen sind (Anschlußzwang). Anschluß- und Benutzungszwang sind durch Satzung anzuordnen. Wegen des Eingriffscharakters solcher Anordnungen — betroffen sind vor allem die Grundrechte aus Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 G G - bedarf die Satzung ihrerseits der Grundlage im parlamentarischen Gesetz. Dem haben alle Gemeindeordnungen Rechnung getragen 357 . Sie legen zum einen den Kreis derjenigen Einrichtungen genauer fest, für den ein solcher Zwang vorgesehen werden kann. Durchgängig geschieht das in der Art, daß einige Einrichtungen (Wasserleitung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Schlachthöfe) ausdrücklich genannt und der nicht erschöpfenden Aufzählung die Klausel „und ähnliche der Volksgesundheit dienende Einrichtungen" angefügt wird. Über den solchermaßen umrissenen Kreis öffentlicher Einrichtungen hinaus, z. B. auf die Stromversorgung, kann der Anschluß- und Benutzungszwang nicht ausgedehnt werden. Von hieraus erschließt sich der Zweck des gesamten Instituts: Die zwangsweise Benutzung der genannten Einrichtungen soll der „Volksgesundheit" dienen. Diese Ausrichtung konkretisiert auch den Begriff des öffentlichen Bedürfnisses, an den die Gemeindeordnungen den Erlaß der Satzung im Einzelfall binden. Nicht jedes öffentliche Interesse, sondern nur Erfordernisse der

357

Vgl. § 11 GO BW; Art. 24 GO Bay; § 19 Abs. 2 GO He; § 8 GO Nds; § 19 GO NRW; § 26 KSVG Sa; § 17 Abs. 2 GO SchlH; daneben finden sich Ermächtigungsgrundlagen auch in einzelnen Spezialgesetzen, z. B. im Abfallbeseitigungsgesetz.

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Volksgesundheit, rechtfertigen also den Anschluß- und Benutzungszwang358. Bei den meisten der genannten Anlagen kann von einer Förderung gerade dieses Belangs typischerweise ausgegangen werden. Die Gemeinde braucht in diesen Fällen nicht zu warten, bis konkrete Gesundheitsgefahren eingetreten sind. Der Anschluß- und Benutzungszwang dient der sog. Gefahrenvorsorge. Als Nebenzweck dürfen z. B. bei der Frage des Gebietszuschnitts auch fiskalische Überlegungen einer Rentabilität der Einrichtung beachtet werden359. Behutsamkeit ist dagegen beim Anschlußzwang an eine Femwärmeversorgung geboten. Die Gemeindeordnungen sehen heute zwar ausdrücklich auch für diese Einrichtung die Möglichkeit eines solchen Zwanges vor, legen aber regelmäßig spezielle Einschränkungen fest. Aus systematischen Gründen zutreffend verlangt die Rechtsprechung auch hier, daß das Bedürfnis ein solches der Volksgesundheit (Immissionsschutz) ist und sich aus der regionalen Raumsituation exakter belegen läßt360. Dagegen können energiepolitische Gründe den Anschlußzwang de lege lata nicht rechtfertigen 361 . Inwieweit der Gesetzgeber die Eingriffsgrundlagen in den Gemeindeordnungen auch auf solche Erwägungen ausdehnen und damit die „klassische" Basis des gesamten Instituts verlassen kann, ist zweifelhaft 362 . Vage Aussichten einer besseren (?) Energieverwendung belegen weder die Geeignetheit noch die Erforderlichkeit, an denen sich jede gesetzliche Eingriffsermächtigung ihrerseits messen lassen muß. b) Grundrechtsfragen: Die Einführung des Anschluß- und Benutzungszwangs kann in mehrfacher Hinsicht Grundrechtspositionen Dritter berühren363. aa) Anschlußpflichtige: Sie werden vor allem in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beschränkt, weil ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihren Bedarf anderweitig zu decken. Gründe der Volksgesundheit sind jedoch Gesichtspunkte, die regelmäßig eine dem Übermaßverbot entsprechende Einschränkung rechtfertigen 364 . Außerdem können vorhandene eigene Versorgungsanlagen wertlos werden. Das ruft Art. 14 GG auf den Plan. Die Rechtsprechung sieht jedoch in solchen Folgen — jedenfalls 358

Zur gerichtlichen Kontrolle des Begriffs Frotscher, HkWP Bd. 3, 153 f. Zutr. Scholler / Broß, Grundzüge des Kommunalrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 54. 360 V G H M ü n c h e n NVwZ 1983, 167ff.; VGH Mannheim ESVGH 23, 21 (25); vgl. aber auch VGH Mannheim, BWVB1. 1982, 234ff.; OVG Koblenz, Städte- und Gemeindebund 1980, 185 ff. 361 Schmidt-Aßmann, DV 1983, 277 (282); Wichardt, DVB1. 1980, 31 ff. 362 Positiv Cronauge, Städte- und Gemeinderat 1982, 296ff.; zurückhaltend SchmidtAßmann, DV 1983, 277 (290ff.); ders., in: Fs. f. v. Unruh, S. 607 (621). 363 Dazu Knemeyer, Die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinden, 1973, S. 38ff.; Wolff/ Bachof, VwR II, § 99 III c 2; Frotscher, HkWP Bd. 3, 154f. m. w. N. 364 BayVerfGH n. F. 20, 183 (187); weitergehend BVerfGE 50, 256ff. („Friedhofszwang").

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regelmäßig — keinen enteignenden Eingriff, sondern die Konkretisierung einer dem Eigentum anhaftenden Pflichtigkeit 365 . Etwas anderes soll nur gelten, wenn die Aufwendungen von behördlicher Seite veranlaßt wurden. Zu überzeugen vermag das jedoch nur, wenn es sich um Anlagen geringeren Wertes handelt 366 . Der Wertverlust einer gefahrenrechtlich einwandfreien aufwendigen Eigenanlage kann dagegen schwerlich als immanente Pflichtigkeit abgetan werden. Das gilt etwa für Heizanlagen. Zutreffend sind deshalb, um Eigentumskonflikte zu vermeiden, nach § 19 Abs. 2 nordrh.-westf. GO Altbaugebiete vom Anschlußzwang an die Fernwärme ausgenommen. bb) Anbieter gleichartiger Leistungen: Ihnen wird für die Zukunft die Möglichkeit genommen, sich weiterhin im Anschlußgebiet zu betätigen (Art. 12 GG); der Kundenstamm geht ihnen verloren und die gewerblichen Anlagen, sofern nicht andere Absatzgebiete erschlossen werden, werden wertlos (Art. 14 GG) 367 . Auch hier ist die Rechtsprechung jedoch wenig rücksichtsvoll: Jedenfalls eine Materie wie die Müllabfuhr sei mit der Pflichtigkeit belastet, nur solange unbeschränkt privatwirtschaftlich betrieben werden zu können, bis die Gemeinde dieses Gebiet zur öffentlichen Aufgabe mache. So lautet das Dogma der herrschenden Ansicht 368 . Unserer Auffassung nach läßt sich dieser Satz jedoch nicht ohne Rücksicht auf den Umfang der aufgeopferten Position aufrechterhalten und auch nicht unbesehen auf andere Sachgebiete übertragen. Soweit der Anschluß- und Benutzungszwang wirklich einmal enteignend wirken würde, hat er zu unterbleiben oder er muß durch eine Befreiung abgefangen werden. Andernfalls ist die Satzung (teil-)nichtig, da zu einer entschädigungsrechtlichen Lösung durchgängig die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen fehlen. Die Satzung selbst kann sie nicht bieten, denn sie ist kein Gesetz i.S. des Art. 14 Abs. 3 GG 369 . Nur für ganz seltene atypische Situationen kann an den aufopferungsrechtlichen Anspruch aus „enteignendem Eingriff' gedacht werden 370 .

365 366

367 368 369 370

BGHZ 40, 355 (361); 54, 293ff. Kritisch auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1983, S. 127f.; OVG Münster OVGE 18, 71 ff. („Schlachthof); vgl. auch VGH München NVwZ 1983, 423f. („Müllnormeimer"). Zum Eingriff in ein Lieferrecht vorsichtiger BGH DÖV 1980, 879 ff. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1983, S.129. Vgl. BGHZ 40, 355 (365); BVerwG DÖV 1981, 917 (918) mit zahlreichen Nachweisen; a. A.: OVG Lüneburg DÖV 1978, 44f. m. krit. Anm. Scholler / Broß. Papier, in: Maunz/Därig, GG, Rdnr. 471 zu Art. 14 GG. VGH München NVwZ 1983, 423 (424); Papier, in: Maunz/Därig, GG, Rdnr. 635 zu Art. 14 GG.

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VII. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde 1. Begriffe und Abgrenzungen Als wirtschaftliche Betätigungen lassen sich nach einer Faustregel alle diejenigen Tätigkeiten einer Gemeinde kennzeichnen, die auch von einem Privatunternehmer mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden könnten 371 . Ob eine solche Konkurrenz im Einzelfalle tatsächlich besteht, ist nicht entscheidend. Der Vergleich mit der Privatwirtschaft soll eher auf den Tätigkeitsstil abheben (Rationalprinzip und kaufmännischer Geschäftsbetrieb)372. Die Entgeltlichkeit der Leistung und die Gewinnerzielung sind häufige, aber nicht ausschlaggebende Merkmale der kommunalen Wirtschaftstätigkeit373. Zwischen Leistungsverwaltung und wirtschaftlicher Betätigung bestehen Überschneidungen 374 . Oft wird Daseinsvorsorge mit Hilfe wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinden wahrgenommen. Eine exakte Grenzziehung ist nicht möglich; denn das, was „auch von einem Privatunternehmer betrieben werden könnte", wechselt mit der Zeit. Man denke nur an den Nahverkehr und die Energieversorgung, die den Gemeinden in der Vergangenheit als Leistungsaufgaben zugewachsen sind. Manches hängt auch von den sozialen Anschauungen ab. Eine Privatisierungsdiskussion 375 kann Tätigkeiten der Gemeinden, die nahezu schon als „klassische" Verwaltungsaufgaben anzusehen waren (z. B. Straßenreinigung) in den Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit überwechseln lassen. Ebensowenig schließen sich die Begriffe des kommunalen Wirtschaftsunternehmens und der öffentlichen Einrichtung (s. oben VI 1) aus. Oft sind Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden (z. B. Stadtwerke) zugleich Träger öffentlicher Einrichtungen. Andere Unternehmen erfüllen zwar wichtige öffentliche Aufgaben, wie z. B. kommunale Wohnungsbaugesellschaften, sind aber einer für öffentliche Einrichtungen charakteristischen öffentlichen Nutzung nicht zugänglich. Bei wieder anderen gemeindlichen Unternehmen überwiegt schließlich der erwerbswirtschaftliche Zweck. Gemeindliches Leistungsrecht (vgl. oben zu VI) und gemeindliches Wirtschaftsrecht betrachten die kommunalen Aktivitäten aus unterschiedlichen Richtun371 372 373 374 375

BVerwGE 39, 329 (333f.); allgemein zur Tätigkeit öffentlicher Unternehmen Bekker, DÖV 1984, 313 ff. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 665. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 665. Badura, ZHR 1983, 448 (449); ferner Engel, Grenzen und Formen mittelbarer Kommunalverwaltung, 1981. Vgl. dazu: Wais, DÖV 1982, 181 ff.; Krieger, Schranken der Zulässigkeit der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge mit Anschluß- und Benutzungszwang, 1981, S. 1 ff.

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gen: Dem ersten geht es um die Sicherung der öffentlichen Nutzung, dem anderen um Rahmenvorgaben gegenüber ungehindertem Wirtschaften. 2. Kommunalrechtliche Schranken gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit a) Ausgrenzungen: Die Rahmenvorgaben des Gemeindewirtschaftsrechts brauchen sich allerdings nicht auf die kommunale Wirtschaftstätigkeit in ganzer Breite zu beziehen. Daher nehmen die meisten Gemeindeordnungen einige Gruppen von Unternehmen aus ihrem Regelungsbereich aus 376 . Nicht den besonderen Schranken der wirtschaftlichen Betätigung unterliegen danach: — Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist. Hierher zählen z. B. Abfallbeseitigungsanlagen. — Einrichtungen des Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitswesens, der Kunstpflege und Einrichtungen ähnlicher Art. — Hilfsbetriebe, die ausschließlich der Deckung des gemeindeeigenen Bedarfs dienen, z. B. Stadtgärtnerei, Schlosserei für städtischen Busbestand. Auch diese Unternehmen sind nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen und es stehen für sie Organisationsformen des Gemeindewirtschaftsrechts (vgl. unter 4) zur Verfügung. Auch sie dürfen, sofern für sie kein Wettbewerb gleichartiger Privatunternehmen besteht, niemandem Leistungen in Koppelungsgeschäften aufdrängen 377 . Der Umstand jedoch, daß sie typischerweise auf eine Rentabilität verzichten und damit stärker der verwaltenden als der wirtschaftenden Tätigkeit zuzurechnen sind, ermöglicht es, sie von den besonderen Schranken kommunaler Wirtschaftstätigkeit auszunehmen. Dagegen sind den Gemeinden Bankunternehmen generell untersagt. Das öffentliche Sparkassenwesen richtet sich nach besonderen Vorschriften 378 . b) Kommunalrechtliche Schrankentrias: Für die normalen Wirtschaftsunternehmen der Gemeinden sehen die Gemeindeordnungen eine Schrankentrias vor, die bei Abweichungen in Einzelpunkten einen auf § 67 der Deutschen Gemeindeordnung zurückgehenden gemeinsamen Standard erkennen läßt 379 . — Öffentlicher Zweck: Errichtung, Übernahme und wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen sind nur zulässig, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt 380 . Die begrenzende Wirkung dieser 376 377 378 379

380

Vgl. § 102 Abs. 3 GO BW; § 121 Abs. 2 GO He; § 108 Abs. 3 GO Nds; § 88 Abs. 2 GO NRW; § 85 Abs. 2 GO RhPf; § 106 Abs. 2 KSVG Sa; § 101 Abs. 2 GO SchlH. Ausdrücklich § 102 Abs. 5 GO BW. Dazu Weides, DÖV 1984, 41 ff. m. w. N. Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 148; zur neuen Entwicklung Scholz, DÖV 1976, 441 (442ff.); Hidien, DÖV 1983, 1002 (1004); ders., Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und „öffentlicher Zweck" kommunaler Wirtschaftsunteraehmen, 1981; sowie Burmeister, in: Fs. f. v. Unruh, S. 623ff. Vgl. dazu den Überblick bei Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, S. 231.

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Klausel darf allerdings nicht überschätzt werden. Sicherlich gibt die reine Gewinnerzielung keinen öffentlichen Zweck ab 381 , selbst wenn ein Ertrag für den Gemeindehaushalt an anderer Stelle als durchaus anzustrebende (Neben-)Folge genannt wird. In Zeiten weitgespannter staatlicher Strukturpolitiken dürfte es jedoch den Gemeinden nicht schwer fallen, den Zweckbegriff über die traditionellen Bereiche der Daseinsvorsorge hinaus u.a. auf wirtschaftsfördernde, arbeitsplatzsichernde Aktivitäten auszudehnen. Erleichtert wird das durch die Rechtsprechung, die den Gemeinden bei der Zweckbestimmung eine Einschätzungsprärogative zuerkennt, die richterlicher Überprüfung weitgehend entzogen ist382. — Leistungsfähigkeitsbezug: Gemeindliche Wirtschaftsunternehmen müssen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen. Diese Schranke dient dem Schutz der Gemeinde vor eigener Überaktivität. — sog. Subsidiarität: Die meisten Gemeindeordnungen lassen Wirtschaftstätigkeiten der Gemeinden schließlich nur dann zu, wenn der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt werden kann 383 . Schutzrichtung und Schutzintensität dieser Schranke sind streitig. Sicherlich sollen die Gemeinden nicht in eine ungehinderte Konkurrenz zur Privatwirtschaft treten. Auf der anderen Seite folgt jedoch hieraus kein Konkurrenzschutz des einzelnen Privatunternehmens 384 . c) Rechtsschutz: Demgemäß eingeschränkt ist der Rechtsschutz privater Unternehmen gegen gemeindliche Konkurrenz. Mangels eines subjektivrechtlichen Gehalts der genannten kommunalrechtlichen Schranken bleiben Unterlassungsklagen privater Unternehmer selbst dann erfolglos, wenn eine Überschreitung der ohnehin unscharfen Grenzen nachgewiesen werden könnte. Deshalb wird in den Prozessen häufig versucht, Abwehrrechte direkt aus den Grundrechten abzuleiten. Auch das führt jedoch nur in Ausnahmefällen zum Ziel; denn grundsätzlich schützen Art. 12 und 14 G G nicht vor Konkurrenz — auch nicht vor einer Konkurrenz der öffentlichen Hand 385 . Etwas anderes kann nur gelten, wenn es zu einem unerträglichen Verdrän-

381

Hidien, Gemeindliche Betätigung rein erwerbswirtschaftlicher Art, 1981, S. 74 ff.; jüngst Dickersbach, WiV 1983, 187 (210f.). 382 BVerwGE 39, 329 (334); Scholz. DÖV 1976, 441 (442); Hidien, DÖV 1983, 1002 (1003). 383 Ob der Grundsatz auch in Baden-Württemberg und Hessen, wo er nicht ausdrücklich genannt ist, gilt, ist str.; vgl. dazu Kunze / Bronner / Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Anm. I 3 zu § 102 GO m. w. N.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 686 mit Fn. 42; jüngst VGH Mannheim NJW 1984, 251 ff. 384 BVerwGE 39, 329 (336); VGH Mannheim NJW 1984, 251 ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 692 mit Nachweisen für die Gegenmeinung in Fn. 49. 385 BVerwGE 39, 329 (336f.); BVerwG NJW 1978, 1539f.; VGH Mannheim NJW 1984, 251 ff.

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gungswettbewerb oder zur Ausbildung eines gesetzlich nicht abgesicherten Monopols käme 386 . 3. Allgemeine wirtschaftsrechtliche Schranken Die insgesamt geringe Schutzintensität der kommunalwirtschaftlichen Sonderregeln haben die Auseinandersetzungen zwischen Kommunalwirtschaft und Privatwirtschaft aus dem Gemeindewirtschaftsrecht hinaus in das allgemeine Wirtschaftsrecht verlagert. Einschlägig sind hier vor allem das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Kartellgesetz (GWB) 387 . Die Streitfälle betreffen meistens nicht die Neuaufnahme, sondern Modalitäten gemeindlichen Wirtschaftens: Der Mißbrauch amtlicher Autorität, die Ausnutzung amtlicher Kenntnisse, der zweckwidrige Einsatz öffentlicher Ressourcen — sie sind es, denen mit der Generalklausel des § 1 UWG begegnet werden kann 388 . Für solche Wettbewerbsstreitigkeiten sind die Zivilgerichte selbst dann zuständig, wenn sich der Klagantrag gegen (schlicht-)hoheitliche Maßnahmen der öffentlichen Hand richtet389. 4. Rechtsformen wirtschaftlicher Unternehmen a) Formenvielfalt: Den Gemeinden stehen, um ihren wirtschaftlichen Unternehmen eine rechtliche Form zu geben, zahlreiche Formtypen des öffentlichen und des privaten Rechts zur Verfügung 390 . In beiden Gruppen wiederum gibt es Formen, die ein unterschiedliches Maß an rechtlicher Verselbständigung des Unternehmens auszudrücken vermögen. aa) Unter den öffentlich-rechtlichen Formen ist der Regiebetrieb derjenige Typus, der sich am engsten an die Gemeindeadministration anlehnt und organisatorisch nur eine Abteilung derselben bildet 391 . Wirtschaftlich paßt das nur noch für kleine Betriebseinheiten. Die Standardform dagegen soll der Eigenbetrieb sein, dessen besondere Position im Schnittpunkt wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit und kommunal-organisatorischer Anbindung durch das Eigenbetriebsrecht bestimmt wird (vgl. b). Eigene Rechtsfähigkeit besitzen die kommunalen Sparkassen. Sie sind Anstalten öffentlichen Rechts nach

386 Yg| ßadura, in diesem Lehrbuch, 4. Abschnitt, III 2 d; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Rdnr. 401 ff. zu Art. 12 GG m. w. N.; Dickersbach, WiV 1983,187 (195ff.). 387 Dazu ausführlich Ulmer, ZHR 1982, 466 (474ff.); Riechmann, AfK 1983, 226ff. 388 Ulmer, ZHR 1982, 480; BGH NJW 1982, 2117ff. 389 BGHZ 66, 229ff.; 67, 81 ff.; a. M.: Bettermann, DVB1. 1977, 180ff. 390 Überblick bei Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 156ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 695ff.; Häuselmann, BWVB1. 1983, 230ff. Zu Fragen der Mitbestimmung in Betrieben der Gemeinde vgl. Badura, in diesem Lehrbuch, 4. Abschnitt III 2 d bei Fn. 294; Püttner, DVB1. 1984, 165ff. 391 Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 160f.

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Maßgabe der Sparkassengesetze392. Daneben finden sich als Körperschaften öffentlichen Rechts zuweilen Zweckverbände, für die die Anwendung des Eigenbetriebsrechts satzungsmäßig vorgesehen werden kann. bb) Von den privatrechtlichen Formenm sind vor allem die Aktiengesellschaft und die GmbH im kommunalen Alltag häufig anzutreffen. Verschlossen ist den Gemeinden demgegenüber die Form der OHG, weil das Kommunalrecht eine gemeindliche Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmen nur dann zuläßt, wenn die Haftung begrenzt ist. Vielfach betreiben Gemeinden Kapitalgesellschaften nicht allein (Eigengesellschaften), sondern als Beteiligungsgesellschaften entweder mit anderen Verwaltungsträgern (gemischt-öffentlich) oder mit Privatpersonen (gemischt-wirtschaftlich) zusammen. Das Gemeinderecht macht es den Gemeinden zur Pflicht, sich einen entsprechenden Einfluß auf die Willensbildung solcher Gesellschaften zu sichern394. Das hat in den üblichen Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftsrechts zu geschehen, das durch das Kommunalrecht der Länder nicht abgeändert werden kann395. b) Eigenbetriebe: Mit ihnen stellt das Kommunalrecht die öffentlich-rechtliche Sonderform eines nicht-rechtsfähigen Unternehmenstyps zur Verfügung396. Rechtlich bleibt die Gemeinde Träger von Rechten und Verbindlichkeiten, die aus den Geschäften des Eigenbetriebs folgen. Organisatorisch und finanzwirtschaftlich ist der Eigenbetrieb jedoch deutlich von der Gemeindeverwaltung abgesetzt. Die interne Organisationsstruktur ist im Rahmen des Eigenbetriebsrechts durch eine Betriebssatzung zu regeln. Geführt wird der Eigenbetrieb durch die Werksleitung. Der Werksausschuß, der ein Ausschuß des Gemeinderats ist, stellt die Verbindung zwischen politischer Führung und ökonomischer Betriebstätigkeit her. Er beschließt über die wichtigeren Angelegenheiten des Betriebs, sofern nicht eine Vorbehaltsaufgabe des Rates vorliegt. VIII. Das Recht der Landkreise (Kreise) Alle Flächenländer kennen oberhalb der Gemeindeebene einen weiteren kommunalen Verwaltungsträger, den Kreis (Landkreis). Ursprünglich eine 392

393 394

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Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 171 ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 703 ff. mit Nachweisen der landesgesetzlichen Regelungen. Zu den Sparkassen allgemein vgl. Fischer, in: Fs. f. v. Unruh, S. 835ff. Dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 179 ff. Ausführlich Nesselmüller, Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden auf ihre Eigengesellschaften, 1977, insbes. S. 61 ff. Str.; vgl. dazu Nesselmüller, a. a. O., S. 67ff., zum Streitstand insbes. S. 91 ff. m. w. N.; Barbey, WiV 1978, 77 (94). Vgl. § 103 GO BW; Art. 95 GO Bay; § 127 GO He; § 113 GO Nds; § 93 GO NRW; § 92 GO Rh Pf; § 112 KSVG; § 106 GO SchlH; dazu auch Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 2, 161 ff.

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Organisationsform des ländlichen Raumes 397 , haben sich die Kreise mittlerweile weit in die Randzonen der Verdichtungsgebiete vorgeschoben. Kreisangehörig sind heute nicht nur kleine Landgemeinden, sondern auch Städte, die die Schwelle von 100000 Einwohnern längst überschritten haben (s. unten III vor 1). Etwa zwei Drittel der Einwohner und ca. 95% der Fläche der Bundesrepublik entfallen auf den kreisangehörigen Lebensraum 398 . Die Kreise sind rechtsfähige kommunale Verwaltungseinheiten mit dem Status der Gebietskörperschaft. Sie sind Gemeindeverbände, deren Mitglieder jedoch nicht die kreisangehörigen Gemeinden, sondern die Kreiseinwohner sind. Rechtsstellung, Aufgabenerfüllung, Organisation und Handlungsformen ähneln daher denjenigen der Gemeinden und brauchen im Rahmen eines Grundrisses nur kurz erläutert zu werden (vgl. 1 — 3). Außerdem ist das Gebiet des Kreises zugleich das Gebiet der unteren (allgemeinen) Verwaltungsbehörde (s. unter 4). Die meisten Kreisordnungen stellen diese Doppelung kreiskommunaler und staatlicher Aufgabenwahrnehmung regelmäßig schon in den Einleitungsbestimmungen deutlich heraus und folgen dann einer Gliederung, die sich ausführlicher zunächst mit dem Kreis als Kommunalkörperschaft und in einem späteren Teil mit Organisationsfragen der staatlichen Verwaltung im Kreis(gebiet) beschäftigt. 1. Grundgesetzliche Rechtsstellung Nach Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG haben auch die Gemeindeverbände im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Aus dieser Vorschrift folgt eine Garantie auch der kreiskommunalen Selbstverwaltung, die der gemeindlichen Garantie zwar nicht an Schutzintensität, wohl aber im Aufbau vergleichbar ist (vgl. oben I l) 399 . a) Rechtssubjektsgarantie: Die erste Garantieebene ist auch hier eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie. Die Elemente der eigenen Rechtsfähigkeit und der körperschaftlichen Organisation folgen schon aus dem Begriff des Gemeindeverbandes. Vom Wortlaut her nicht eindeutig ist dagegen, ob der garantierte Gemeindeverband die typusbestimmenden Merkmale gerade des Kreises aufweisen muß oder aber auch ein ganz anderes Gepräge tragen könnte 400 . — Als Gemeindeverbände ließen sich in einem sehr weiten Sinne alle kommunalen Organisationseinheiten oberhalb der Gemeindeebene verstehen. Bei 397 398 399 400

Dazu die Aufsatzsammlung: Der Kreis im Wandel der Zeiten, Kommunalwissenschaftliche Schriften des Deutschen Landkreistages, 1976. Seele, HkWP Bd. 2, 343. Vgl. Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 161 ff. Dazu Wolff/Bachof, VerwR II, § 85 II b 2; ausführlich Wiese, Garantie der Gemeindeverbandsebene, 1972, S. 17 ff.

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einem so weiten Sprachgebrauch fielen sogar die Zweckverbände401, zu denen sich Gemeinden und andere Verwaltungsträger zur Erfüllung einzelner Aufgaben (Schul-, Planungs-, Abwasserzweckverbände) zusammenfinden können (freiwillige Verbände) oder staatlicherseits zusammengeschlossen werden (Pflichtverbände), in den Garantiebereich. Eine solche Ausdehnung der Gewährleistung ist jedoch nach ganz herrschender Ansicht nicht gewollt 402 . — In einem schon engeren Sinne sind Gemeindeverbände alle jene kommunalverbandlichen Körperschaften, die nicht nur Einzelaufgaben („Zwecksetzungen ad hoc") erfüllen, sondern einen breiter angelegten, dauerhaften Wirkungskreis haben. Hierher zählen neben den Kreisen einerseits die Ämter*03, Samtgemeinden*0* und Verbandsgemeinden*05, die in einigen Ländern unmittelbar oberhalb der lokalen Ebene noch zwischen Gemeinde und Kreis angesiedelt sind, und andererseits die sogenannten höheren Kommunalverbände 406 (z. B. Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen). Ihnen allen wird, sofern sie existieren, in Art. 28 Abs. 2 S. 2 G G die Selbstverwaltung garantiert. Doch hindert diese Vorschrift den Gesetzgeber nicht, einzelne Verbandstypen ganz abzuschaffen, solange nur eine kommunalverbandliche Ebene oberhalb der Gemeinden verbleibt. — Daß dieses gerade die Kreisebene sein müßte, ist damit noch nicht gesagt. Die Antwort ergibt sich jedoch, nimmt man Art. 28 Abs. 1 S. 2 G G hinzu. Wenn dort die unmittelbare Volkswahl außer für die Länder und die Gemeinden nur noch für die Kreise zur Pflicht gemacht wird, so zeigt das, daß die Verfassung gerade auf diesen Typus eines Gemeindeverbandes gesteigertes Gewicht legt. Wenn also in Art. 28 Abs. 2 S. 2 G G wenigstens eine Gemeindeverbandsebene institutionell garantiert wird, so kann das nur ein am Typus des Kreises ausgerichteter Verband sein407. Das hat Bedeutung für den Gebietszuschnitt dieser Körperschaft, der so bemessen sein muß, daß auch oberhalb der ortskommunalen Ebene noch ein Gefühl der Verbundenheit unter den Einwohnern („Kreisgefühl") möglich bleibt.

401 402

403 404 405 406 407

Dazu Rengeling, HkWP Bd. 2, 406 ff. Vgl. Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 59f. zu Art. 28 GG; Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, S. 163 m. w. N. Zu Verfassungsfragen der gemeindlichen Zweckverbandsbildung Oebbecke, Zweckverbandsbildung und Selbstverwaltungsgarantie, 1982, S. 7 ff. In Schleswig-Holstein. Vgl. dazu Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 375 mit Fn. 28. In Niedersachsen: §§ 71 ff. GO. Vgl. dazu Pagenkopf, Kommunalrecht Bd. 1, 274f. In Rheinland-Pfalz: § 64ff. GO. Vgl. dazu Dreibus, HkWP Bd. 2, 254f. Dazu ausführlich: Wolff/Bachof, VwR II, §90; Witti, HkWP Bd. 2, 432fff.; Meyer-Schwickerath, HkWP Bd. 2, 452ff. So z. B. auch Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 59 zu Art. 28 GG m. w. N. Aber auch soweit nicht auf den Kreis der bisherigen Formentypik abgehoben wird, verlangt man einen Verband der „der herkömmlichen Kreisorganisation sehr nahe kommt"; so Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 170.

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b) Rechtsinstitutionsgarantie: Die Frage nach dem notwendigen Aufgabenbestand und der Art der Aufgabenerfüllung ist Gegenstand der Institutionsgarantie des Selbstverwaltungsrechts. Die Verfassung sagt, es sei auch den Gemeindeverbänden, allerdings nur „im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenkreises" gewährleistet. Sicherlich muß dieser Aufgabenkreis so bemessen sein, daß eine Selbstverwaltung mit eigener, unmittelbar gewählter politischer Legitimationsbasis lohnt. Im übrigen aber ist der Garantiegehalt hier deutlich geringer als im Falle des gemeindlichen Aufgabenkreises, dem „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" von Verfassungs wegen zugeschrieben sind. Aus dieser Abweichung des Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG gegenüber S. 1 wurde nach überkommener Auffassung 408 speziell für die Aufgabenabgrenzung zwischen Kreis und Gemeinde ein verfassungsunmittelbarer Vorrang gemeindlicher Kompetenz abgeleitet, der als Subsidiaritätsprinzip bezeichnet wird. Dem ist das Bundesverwaltungsgericht jüngst in der Rastede-Entscheidung vom 4. 8. 1983 entgegengetreten 409 . Das Gericht anerkennt, daß Art. 28 Abs. 2 G G in der Frage der Aufgabenzuweisung ein Regel-Ausnahmemechanismus zugrundeliege. Darin soll jedoch keine unterschiedliche Wertigkeit von Gemeinden und Kreis ausgedrückt werden, die den Gesetzgeber bei Verteilungsentscheidungen zusätzlich binden könne. „Da Gemeinden wie Kreise ihre Aufgabenträgerschaft aus dem ihnen jeweils garantierten Selbstverwaltungsrecht herleiten, sind sie im Verhältnis zueinander gegen einen gesetzlichen Aufgabenentzug außerhalb des ihnen beiden gewährten Kernbereichs nur nach Maßgabe eines Verhältnismäßigkeitsprinzips geschützt, das auf den Sinn und Zweck der doppelten Garantie abhebt, die Aufgabe jeweils auf der Ebene anzusiedeln, die hierfür die geeignetere ist"410. Hinter diesen Sätzen steht eine jüngere Lehre, die eher auf die Idee eines Leistungs- und Verwaltungsverbundes im Kreisraum abhebt 411 . Richtig daran ist, daß Gemeinden und Kreise nicht zu „feindlichen Brüdern" hochstilisiert werden dürfen, wie das zuweilen geschehen ist. Beide haben Angelegenheiten der engeren räumlichen Gemeinschaft mit den Mitteln der Selbstverwaltung zu erfüllen. Auf der anderen Seite ist auch hier ohne Abgrenzungen nicht auszukommen, weil sich in einem großen Durcheinander der Sog des stärkeren Aufgabenträgers 408

409

410 411

Pagenkopf, Bd. 1, 166, 289; Blümel, WdStRL 36 (1977), 171 (236 mit Fn. 325); OVG Lüneburg, DÖV 1980, 417 (418f.); VerfGH NRW DÖV 1980, 691 (692) mit Anm. Blümel, DÖV 1980, 693ff.; VerfGH NRW NVwZ 1983, 468 (469); Knemeyer, DVB1. 1984, 23ff.; Blümel, VerwArch 1984, 197ff. DVBi. 1983, 1152 ff. ¡ablehnend gegenüber der Subsidiarität bisher schon v. Unruh, DVB1. 1980, 903 (904f.); Schmidt-Jortzig /Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, 1982, S. 20ff., insbes. S. 24, 49ff., insbes. S. 77; Weides, NVwZ 1984, 155ff.; Papier, DVBI. 1984, 453ff.; gegen „Kommunalegoismus" allgemein BVerfG NVwZ 1982, 95 f. BVerwG DVBI. 1983, 1152 (1153 f.). Vgl. Pappermann, DÖV 1975, 181ff.; Roters, in: v. Münch, GG, Rdnr. 62 zu Art. 28 GG; dazu auch schon BVerfGE 23, 353 (368).

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einseitig durchsetzen würde. Für diese Grenzziehung müssen auch dem Gesetzgeber verfassungsrechtliche Maßstäbe an die Hand gegeben werden. Als solche Maßstäbe reichen jedoch, wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend sagt, die allgemeinen Regeln (Kernbereich, Verhältnismäßigkeitsprinzip) aus, ohne daß zusätzlich ein Subsidiaritätsprinzip bemüht werden muß. Der Gesetzgeber erhält so einen Spielraum, um seine Zuweisungen mit den im Organisations- und Zuständigkeitsrecht notwendigen Typisierungen zu treffen. Von diesen Besonderheiten der kreislichen Aufgabengarantie abgesehen, gilt für die eigenverantwortliche Wahrnehmung der gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und für die gesetzliche Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit dasselbe, was für die gemeindliche Garantie beachtlich ist (s. oben I 1 b). Das trifft auch für die Rechtsetzungs-, Personal-, Organisations- und Finanzhoheit zu, ohne die eine kreisliche Selbstverwaltung nicht möglich ist412. Zu einer integralen Raumplanungshoheit dagegen haben es die Kreise bisher nicht gebracht 413 . Im verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Schutz ihrer Rechte stehen die Kreise den Gemeinden nicht nach 414 . 2. Aufgaben der Kreise Bei der Sichtung der Kreisaufgaben stellen sich zwei Probleme. Zum einen geht es um die Typisierung des staatlichen Einflusses (a). Zum anderen bereitet die Verteilung der Aufgaben zwischen dem Kreis und seinen Gemeinden Schwierigkeiten, wenn eine gesetzliche Zuweisung nicht getroffen ist (b). a) Kreisaufgaben und staatliche Steuerung: Hier greifen die Länder in ihren Kreisordnungen auf die aus dem Gemeinderecht bekannten Gliederungsmodelle zurück 415 : Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und das Saarland folgen einem Dualismus von Selbstverwaltungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten. Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein halten es dagegen mit dem Monismus der freien und Pflichtigen Selbstverwaltungs- sowie der Weisungsaufgaben. Die dogmatischen Konsequenzen für die staatliche Aufsicht und den Rechtsschutz der Kreise sind dieselben wie bei den Gemeinden (s. oben II 2 — 4). Daneben spielen für die Verwaltung im Kreis staatliche Sonderbehörden und die Tätigkeit der Kreisverwaltung als untere staatliche Verwaltungsbehörde eine wichtige Rolle (vgl. unten 4). 412 413 414

415

Stern, in: Der Kreis, Bd. 1, 173f.; vgl. auch VerfGH NRW, NVwZ 1983, 468f. zur Finanzhoheit. Eine Ausnahme gilt für Niedersachsen. Hier sind die Kreise für ihr Gebiet Regionalplanungsträger; vgl. § 7 NROG. Zu den Kreisgarantien der Landesverfassungen Stem, in: Der Kreis, Bd. 1, 184f.; zum Begriff des Gemeindeverbands in Art. 2 Abs. 2 Landessatzung SH auch BVerfGE 52,95 (llOff.). Vgl. die Darstellung bei Seele, HkWP Bd. 2, 343 ff.

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b) Aufgabenverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden: Sie ist zunächst ein Problem gesetzlicher Zuweisung und hat sich dabei an den aufgezeigten Verfassungsmaßstäben zu orientieren (vgl. oben 1). Wo eine spezielle gesetzliche Zuweisung jedoch nicht vorliegt, wie das für die freien Selbstverwaltungsaufgaben gilt, ist eine Verteilungsregel in den aufgabenrechtlichen Generalklauseln zu suchen, wie sie sich in allen Kreisordnungen findet416. Dabei entstehen schwierige Abgrenzungsfragen 417 . So unbestreitbar es ist, daß die Kreise ihre sog. Existenzaufgaben (eigenes Organisations-, Personal- und Finanzwesen) müssen wahrnehmen können, so deutlich wird, daß bei den eigentlichen Sachaufgaben, um die Kreise und Gemeinden konkurrieren, mit den Grundsätzen der Priorität oder mit einer spezifischen Gebietsbezogenheit (Regionalprinzip) nicht weiterzukommen ist418. Zur Systematisierung hat sich im Schrifttum eine Dreiteilung der Aufgaben eingebürgert, die auch die oft wenig übersichtlichen Generalklauseln erhellen kann 419 : aa) Übergemeindlich sind Aufgaben, die sich kraft Natur der Sache einer einzelgemeindlichen Wahrnehmung entziehen. Als Beispiele genannt werden die Überwachung der Luftverschmutzung, Bau und Unterhaltung von Kreisstraßen, großmaßstabliche Versorgungs- und Verkehrsbetriebe420. Freilich beginnen hier alsbald wieder Abgrenzungsstreitigkeiten; denn technisch ist heute nahezu jede Materie auch von einer einzelnen Gemeinde zu erfüllen, mag auch der dann notwendige Koordinationsaufwand unvertretbar in die Höhe schnellen. Die Einstufung einer Aufgabe als übergemeindlich ist folglich nicht ohne Werturteil über die Zweckhaftigkeit einer gemeindlichen oder kreislichen Trägerschaft zu treffen. bb) Ergänzende Aufgaben sind demgegenüber solche, die jedenfalls manche kreisangehörigen Gemeinden wegen geringer Leistungsfähigkeit nicht wahrnehmen können. Ihr Bestand schwankt folglich von Kreis zu Kreis und oft auch innerhalb des Kreises. Was eine große kreisangehörige Stadt gut allein erfüllen kann, geht über die Kraft kleinerer Gemeinden des gleichen Kreises hinaus. Deshalb begründet der Ergänzungsfall oft keine das gesamte Kreisgebiet umfassende Kompetenz des Kreises. Zuweilen wird hier auch ein Vor416

417

418 419

420

Vgl. § 2 Abs. 1 KrO BW; Art. 4 Abs. 1 LKrO Bay; § 2 Abs. 1 KrO He; § 2 Abs. 1 KrO Nds; § 2 Abs. 1 KrO NRW; § 2 Abs. 1 S. 1 LKO RhPf; § 139 Abs. 1 KSVG Sa; § 2 Abs. 1 KrO SchlH. Vgl. zum folgenden Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 573ff.; Schnapp, Zuständigkeitsverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden, 1973, S. 6ff.; Laux, in: Der Kreis, Bd. 1, 93 (101 ff.). Schnapp, Zuständigkeitsverteilung zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden, 1973, S. 12 f. Vgl. Wagener, Die Städte im Landkreis, 1955, S. 232ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 589ff.; Schink, in: Schmidt-Jortzig/Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, 1982, S. 35ff.; teilweise abweichend Wolff/Bachof, VwR II, § 85 II b. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 589.

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rang zweckverbandlicher Erledigung421 oder eine andere Ausprägung einer einfachgesetzlichen Subsidiarität von den Kreisordnungen ins Spiel gebracht 422 . cc) Ausgleichende Aufgaben sind Kreisaufgaben, die sich in der Unterstützung einzelgemeindlicher Aufgabenerfüllung erschöpfen. So einfach die Ausgleichsfunktion aus dem Solidargedanken zu begründen sein mag, so streitig ist ihr Umfang. Sicher gehören technische Verwaltungshilfen in ihren Rahmen. Ob der Kreis aber zum Ausgleich unterschiedlicher Verwaltungskraft einzelner Gemeinden außerdem Finanzhilfen gewähren darf, ist streitig423 — streitig deshalb, weil ein solcher Ausgleich Geld kostet, das zu erheblichen Teilen über die Kreisumlage von anderen Gemeinden aufgebracht werden muß. Die Kommunalgesetze ermächtigen die Kreise zwar zur Erhebung einer Kreisumlage und geben dazu gewisse Bemessungsgrundlagen vor; doch darf das Institut nicht zu einer nachhaltigen Verkürzung der gemeindeeigenen Finanzbasis führen 424 . dd) Kompetenz-Kompetenz: Trotz der genannten Systematisierungen sind Kreis- und Gemeindeaufgaben nach materiellem Recht oft nicht exakt zu trennen. Die meisten Kreisordnungen 425 sehen daher zusätzlich einen Verfahrensmechanismus vor, die Kompetenz-Kompetenz. In mehr oder weniger ausgeprägtem Umfange wird den Kreisen damit das Recht eingeräumt, gewisse Gemeindeangelegenheiten — vor allem solche im Grenzbereich der Ergänzungsaufgaben — durch Kreistagsbeschluß verbindlich zur Kreisangelegenheit zu erklären. Zum Schutz der Gemeinden sind besondere Kautelen, z. B. qualifizierte Mehrheiten bei der Beschlußfassung, vorgesehen. Insgesamt wird dieses dezisionistische Lösungsmittel wegen seiner Konfliktanfälligkeit in der kommunalen Praxis wenig verwandt. 3. Die Organe des Kreises Der interne Kreisaufbau ergibt sich aus der gebietskörperschaftlichen Natur der Kreise. Die Mitglieder des Kreises sind seine Einwohner, nicht die kreisangehörigen Gemeinden, deren Gebiet das Kreisgebiet ausmacht. Folglich ist der Kreis unitarisch organisiert. Die Gemeinden sind an der Verwal421 422

423 424

425

Vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 KrO NRW. Beispiele bei Schink, in: Schmidt-Jortzig/Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, 1982, S. l l l f f . , der daraus aber keinen allgemeinbeachtlichen Grundsatz machen will. Vgl. dazu Friauf/ Wendt, Rechtsfragen der Kreisumlage, 1980, S. 34 ff. m. w. N.; VerfGH NW DÖV 1983, 726f. Dazu Friauf/ Wendt, Rechtsfragen der Kreisumlage, 1980, S. 40f.; Schmidt-Jortzig, Zur Verfassungsmäßigkeit von Kreisumlagesätzen, 1977, S. 14, 39ff., 58f.; Thieme, DVB1. 1983, 965ff.; Wagener(Hrsg.), Kreisfinanzen, 1982, S. 1, 53ff.; allgemein Hacker, in: Der Kreis, Bd. 2, 357ff. Nicht in Bayern und Nordrhein-Westfalen.

Kommunalrecht

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tung des Kreises nicht beteiligt 426 . Das zentrale Entscheidungsgremium ist der aus direkten Wahlen (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) hervorgegangene Kreistag. Ihm stellen alle Kreisordnungen ein monokratisches Konkretionsorgan gegenüber, den Landrat/Oberkreisdirektor. Außerdem sehen alle Länder bis auf Baden-Württemberg einen Kreisausschuß vor. Im Zusammenspiel dieser Organe weisen die Kreisordnungen einen erheblichen Variantenreichtum auf. Auch hier lassen sich daher bestimmte Strukturtypen ausmachen 427 . Ihre Ordnungsfunktion ist allerdings weniger eingespielt als die der Gemeindeverfassungstypen (s. oben III 1); so daß es für die Zwecke eines Grundrisses bei einer Darstellung der wichtigsten Gemeinsamkeiten und Abweichungen bewenden kann 428 . a) Kreistag: Er besteht aus den gewählten Repräsentanten der Kreiseinwohner (Kreisverordnete, Kreistagsabgeordnete), die ehrenamtliche Mandatsträger sind. Den Vorsitz führt teils mit (Bayern, Rheinl.-Pf.), teils ohne Stimmrecht (Bad.-Württ., Saarl.) der Hauptverwaltungsbeamte oder ein aus der Mitte des Kreistages gewählter Vorsitzender, der in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen die sonst für den Hauptverwaltungsbeamten übliche Bezeichnung Landrat führt. Das Verfahren der Entscheidungsfindung läuft nach den aus dem Gemeinderecht vertrauten Regeln kollegialer Willensbildungsorgane ab. Stärker noch als der Gemeinderat ist der Kreistag auf die Entscheidung nur der bedeutsamen Angelegenheiten festgelegt. Innerhalb dieses Rahmens nehmen die nicht delegierbaren Vorbehaltsaufgaben einen besonderen Rang ein. Zu ihnen zählen u.a. der Erlaß von Kreisrecht, wichtige Organ- auch Personalentscheidungen, der Erlaß der Haushaltssatzung und die Festsetzung der Kreisumlage. Jenseits dieses Kerns sind Entscheidungsaufgaben auf die anderen Kreisorgane allgemein oder für den Einzelfall delegierbar. Teilweise haben die Kreisordnungen daraus auch eigene Kompetenzbereiche der anderen Organe gebildet. b) Landrat: Er ist der Hauptverwaltungsbeamte des Kreises; in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen heißt er Oberkreisdirektor. Direkt vom Volk wird er nur in Bayern, in den meisten Ländern dagegen wird er vom Kreistag gewählt; in beiden Fällen ist er Kreisbeamter auf Zeit. Davon abweichend ist der Landrat in Rheinland-Pfalz und im Saarland ein von der Regierung bestellter Staatsbeamter, für dessen Ernennung der Kreistag nur ein Zustimmungsrecht besitzt. Die wichtigsten originär-eigenen Kompetenzen des Landrats sind die Außenvertretung des Kreises, die Wahrnehmung der Geschäfte der laufenden Verwaltung und seine Aufgaben als Chef der Kreisverwaltung.

426 427 428

Vgl. Püttner, in: Der Kreis, Bd. 1, 137 (147ff.). S. dazu die Darstellung bei Seele, HkWP Bd. 2, 345ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rdnr. 295 ff. Ausführlich Seele, HkWP Bd. 2, 354ff.

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c) Kreisausschuß: Mit Ausnahme Baden-Württembergs sehen alle Kreisordnungen einen Kreisausschuß vor. Mit ihm soll eine gewisse Schwerfälligkeit, wie sie der Meinungsbildung des Kreistags schon wegen seiner Größe anhaften mag, ausgeglichen werden. So kann man ihn außer in Hessen, als einen „verkleinerten" Kreistag ansehen. Seine Organstellung ist unterschiedlich weit ausgebildet. In manchen Ländern (Nieders., Nordrh.-Westf., Saarl.) ist er neben dem Kreistag und dem Hauptverwaltungsbeamten ein gleichberechtigtes drittes Kreisorgan, das über alle Angelegenheiten beschließt, die nicht in den Vorbehaltsbereich eines der beiden anderen Organe fallen. Bayern und Rheinland-Pfalz dagegen reihen ihn unter die Ausschüsse des Kreistages ein und weisen ihm vor allem die Vorbereitung der Kreistagsbeschlüsse zu. In Hessen ist der Kreisausschuß, dem Magistrat in den Gemeinden vergleichbar, kollegiales Verwaltungsorgan. 4. Staatliche Verwaltung im Kreis Das Kreisgebiet ist zugleich der Bezirk der (allgemeinen) unteren staatlichen Verwaltungsbehörde429. Die Kreisverwaltung (Landratsamt) und vor allem der Landrat/Oberkreisdirektor werden auf unterschiedliche Weise in den staatlichen Aufgabenvollzug eingegliedert. In Rheinland-Pfalz und im Saarland ist der Landrat selbst Staatsbeamter; in seiner Behörde gibt es eine Abteilung für die staatlichen, eine andere für die kreislich-selbstverwalteten Sachgebiete430. In den meisten Ländern wird der Landrat im Wege der Organleihe als untere staatliche Verwaltungsbehörde tätig und unterliegt dann insoweit der Fach- und Dienstaufsicht der übergeordneten Staatsbehörden431. Für Amtspflichtverletzungen haftet nicht der Kreis, sondern das Land. Allein Niedersachsen betraut mit den staatlichen Aufgaben nicht ein einzelnes Kreisorgan, sondern im übertragenen Wirkungskreis den Kreis selbst (§ 4 Abs. 2 S. 2 KrO). Die wichtigsten Aufgaben der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde im Kreis sind Polizeiangelegenheiten und die Kommunalaufsicht über kreisangehörige Gemeinden. Dazu treten zahlreiche Kompetenzen, die die Landesorganisationsgesetze oder das jeweilige Fachgesetz den unteren Verwaltungsbehörden zuweisen432.

429 430 431 432

Dazu W. Weber, in: Der Kreis, Bd. 1, S. 75ff.; Wolff /Bachof, VwR II, § 89 IX. §§ 1 Abs. 2, 48 f. KrO RhPf; §§ 136 Abs. 1 S. 2, 174 KSVG Sa. Zu einem Haftungsfall bei bauaufsichtlicher Tätigkeit des Kreises BGH DÖV 1981, 383 f. Vgl. §§ 52ff. KrO BW; Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO Bay; §§ 55ff. KrO He; §§ 47ff. KrO NRW; §§ 48f. LKO RhPf. Vgl. dazu auch Wahl, BWVB1. 1984, 123 ff.

DRITTER ABSCHNITT Karl Heinrich Friauf

Polizei- und Ordnungsrecht Literatur K. Bengl / G. Bemer / E. Emmerig, Bayerisches Landesstraf- und Verordnungsgesetz, 4. Aufl. (Loseblattslg.). P. C. Bemet/R. Gross, Polizeirechtin Hessen, 1965ff. (Loseblattslg.). H. de Clerck / H. W. Schmidt, Polizeiverwaltungsgesetz von Rheinland-Pfalz, 1979 (Loseblattslg.). A. Dietel/K. Gintzel, Allgemeines Verwaltungs- und Polizeirecht für Nordrhein-Westfalen, 10. Aufl., 1982. B. Drews / G. Wacke / K. Vogel /W. Martens, Gefahrenabwehr, Allgemeines Polizeirecht (Ordnungsrecht) des Bundes und der Länder, 8. Aufl. Bd. I, 1975; Bd. II, 1977. W. Gobrecht, Polizeirecht des Landes Berlin, Kommentar, 6. Aufl. 1974. V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl., 1982. K. v. d. Groeben / J. Knack, Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land SchleswigHolstein, 1968ff. (Loseblattslg.). G. Heise / D. Böckenförde / B. Strehlau, Handbuch des Ordnungs- und Polizeirechts Nordrhein-Westfalen, 7. Aufl., 1981. F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 1984. G. Küchenhoff, Polizei- und Ordnungsrecht, Teil 1: Allgemeine Lehren, 3. Aufl., 1973. V. Lohse/ P. Krause, Polizeirecht im Saarland, 1973. K. Müller-Heidelberg / H. W. Clauss, Das niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2. Aufl. 1956. E. Rasch, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 3. Aufl., 1979. (Loseblattslg.). H. Reiff/ G. Wöhrle, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 3. Aufl., 1984. E. Retzlaff / M. Pausch / W. Meitz, Polizeihandbuch (Bundesausgabe und 11 Landesausgaben), 8. Aufl., 1955 ff. (Loseblattslg.). R. Samper, Polizeiaufgabengesetz, 12. Aufl., 1982. R. Samper, Polizeiorganisationsgesetz, 3. Aufl., 1982. H. Scholler/S. Broß, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl., 1982. H. U. Scupin, Das Polizeirecht in der Bundesrepublik Deutschland, in: KommHdb. Bd. 2, 1957, S. 606ff. W. Steinberg, Gefahrenabwehr, öffentliche Sicherheit und Ordnung in Niedersachsen, 6. Aufl., 1978.

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C. H. Ule / E. Rasch, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., 1982. H. J. Wolff/ O. Bachof, Verwaltungsrecht III, 4. Aufl., 1978, S. 1-100.

Gesetze Bund: Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 17. Juli 1928 i. d. F. vom 1. Januar 1975 (BGBl. 1974 I, S. 469), §§ 74-78, betr. Bahnpolizei. Luftverkehrsgesetz vom 14. Januar 1981 (BGBl. I, S. 61). G über das Luftfahrt-Bundesamt vom 30. November 1954 (BGBl. I, S. 354) i. d. F. vom 16. Mai 1968 (BGBl. I, S. 397). Bundespolizeibeamtengesetz vom 3. Juni 1976 (BGBl. I, S. 1557) i. d. F. vom 24. August 1976 (BGBl. I, S. 2485). G über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. März 1961 (BGBl. I, S. 165) i. d. F. vom 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469). Länder: Baden- Württemberg: PolizeiG vom 16. Januar 1968 (GBl. S. 61) i. d. F. vom 11. Dezember 1979 (GBl. S. 545). Bayern: G über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei — Polizeiaufgabengesetz - vom 24. August 1978 (GVB1. S. 561), geänd. durch G vom 21. Juli 1983 (GVB1. S. 507). G über die Organisation der Bayerischen Staatlichen Polizei — Polizeiorganisationsgesetz - vom 10. August 1976 (GVB1. S. 303). G über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung — Landesstraf- und VerordnungsG vom 17. November 1956 (Bay. BS I S. 327) i. d. F. vom 13. Dezember 1982 (GVB1. S. 1098). Berlin: Allgemeines G zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin — ASOG Bln. - vom 11. Februar 1975 (GVB1. S. 688), geänd. durch G vom 27. März 1981 (GVB1. S. 515). Bremen: Bremisches Polizeigesetz vom 21. März 1983 (GBl. 1983, S. 141). Hamburg: G zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 14. März 1966 (GVB1. S. 77) i. d. F. vom 1. Januar 1975 (GVB1. 1974 I S. 382). Hessen: Hessisches G über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 26. Januar 1972 (GVB1.1, S. 24) i. d. F. vom 20. Dezember 1979 (GVB1. 1980 I, S. 12). Verordnung über die Organisation und Zuständigkeit der hessischen Vollzugspolizei (PolOrg.VO) vom 31. Januar 1974 (GVB1. I S. 87), geänd. durch VO vom 4. Dezember 1980 (GVB1.1, S. 430). Niedersachsen : G über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 17. November 1981 (GVB1. S. 347), geänd. durch G vom 2. Juni 1982 (GVB1. S. 139).

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Verordnung über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr — Zust.VO SOG - vom 23. Juni 1982 (GVB1. S. 203), geänd. durch VO vom 29. November 1983 (GVB1. S. 273). Nordrhein- Westfalen : Polizeigesetz vom 25. März 1980 (GVB1. S. 234). Gesetz über die Organisation und die Zuständigkeit der Polizei - Polizeiorganisationsgesetz - vom 13. Juli 1982 (GVB1. S. 339). G über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden — OrdnungsbehördenG — vom 13. Mai 1980 (GVB1. S. 528). Rheinland-Ifalz: PolizeiverwaltungsG von Rheinland-Pfalz vom 1. August 1981 (GVB1. S. 179), geänd. durch G vom 3. Dezember 1982 (GVB1. S. 436). Saarland: Preußisches PolizeiverwaltungsG vom 1. Juni 1931 (GS S. 77; saarl. G vom 22. April 1949 (ABl. S. 377) i. d. F. vom 13. November 1974 (ABl. S. 1011). §§ 32 — 37 des G über die allgemeine Landesverwaltung vom 13. Juli 1950 (ABl. S. 796). G Nr. 899 über die Organisation vom 17. Dezember 1969 (ABl. 1970, S. 33) i. d. F. vom 4. Dezember 1974 (ABl. S. 1060). Schleswig-Holstein : Allgemeines VerwaltungsG für das Land Schleswig-Holstein vom 18. April 1967 (GVOB1. S. 131) i. d. F. vom 19. März 1979 (GVOB1. S. 181), §§ 163 ff. G über die Organisation der Polizei in Schleswig-Holstein — Polizeiorganisationsgesetz - vom 9. Dezember 1968 (GVOB1. S. 327) i. d. F. vom 9. Dezember 1974. Landes VO über die Errichtung von Polizeibehörden vom 25. April 1969 (GVOB1. S. 78) i. d. F. vom 3. Mai 1979 (GVOB1. S. 338).

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Gliederung I. Grundlagen des Polizei-und Ordnungsrechts 1. Allgemeine polizeiliche Funktion 2. Geschichte des Polizeibegriffs 3. Materieller und formeller Polizeibegriff a) Materieller Polizeibegriff b) Formeller Polizeibegriff c) Verhältnis von formellem und materiellem Polizeibegriff 4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat a) Grundsätzliche Zuständigkeit der Länder b) Einzelkompetenzen des Bundes c) Sonderpolizeibehörden des Bundes 5. Zweigliederung in Polizei- und Ordnungsverwaltung

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II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Die Generalklausel a) Generalklausel und Spezialermächtigungen b) Subsidiarität der Generalklausel c) Schutzgüter der Generalklausel d) Polizeiliche Gefahr e) Anwendung der Generalklausel f) Pflicht der Polizei zum Einschreiten und Rechtsanspruch des Bürgers auf Einschreiten 2. Polizeipflichtige Personen a) Verhaltenshaftung b) Zustandshaftung c) Kumulative Verantwortlichkeit mehrerer Störer d) Polizeipflicht von Hoheitsträgern 3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand a) Erhöhte Gefahr b) Unmöglichkeit anderweitiger Abwehr c) Subsidiarität der Notstandseingriffe d) Grenze der Leistungsfähigkeit e) Folgenbeseitigung und Entschädigung 4. Besondere Eingriffe in die persönliche Freiheit und in die Sachherrschaft einzelner Bürger a) Feststellung von Personalien (sog. Sistierung) b) Vorladung, Vorführung und Vernehmung c) Verwahrung von Personen d) Durchsuchung von Personen e) Durchsuchung von Wohnungen f) Polizeilicher Schußwaffengebrauch 5. Sondergesetzliche Ermächtigungen

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III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Organisation und Zuständigkeitsordnung a) Kompetenzabgrenzung zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden

234 234 234

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Polizei- und Ordnungsrecht b) Organisation der Polizei c) Organisation der Ordnungsbehörden d) Aufsicht über Polizei- und Ordnungsbehörden e) Zuständigkeitsordnung 2. Rechtsformen des polizeilichen und ordnungsbehördlichen Handelns a) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verfügungen b) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Erlaubnisse c) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verordnungen 3. Polizeiliche und ordnungsbehördliche Zwangsmittel IV. Entschädigungs- und Ersatzansprüche im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts 1. Entschädigungsansprüche eines Bürgers gegen die Verwaltung a) Anspruch des im polizeilichen Notstand in Anspruch genommenen Nichtstörers b) Anspruch bei Rücknahme von polizeilichen Erlaubnissen c) Ansprüche bei Schädigung durch rechtswidrige Maßnahmen d) Ansprüche eines Störers 2. Ersatzansprüche der Verwaltung gegen den Störer a) Erstattungsanspruch bei Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang . . . b) Erstattungsanspruch bei sonstigen polizeilichen Maßnahmen c) Erstattungsansprüche bei Heranziehung eines Nichtstörers

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I. Grundlagen des Polizei- und Ordnungsrechts 1. Allgemeine polizeiliche Funktion Unter Polizei im allgemeinsten Sinne des Wortes verstehen wir heute diejenige staatliche Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen, Gefahren von ihr abzuwenden und bereits eingetretene Störungen zu beseitigen. Polizei ist ihrem Wesen nach Gefahrenabwehr. Die Polizei erfüllt damit eine der entscheidenden Aufgaben des Staates. Man hat die polizeiliche Gefahrenabwehr als essentielle Grundfunktion jeder Staatlichkeit bezeichnet1 und angenommen, die Polizeigewalt sei dem Wesen der Staatlichkeit bereits kraft Natur der Sache verbunden 2 . Diese Charakterisierungen treffen zu. Der Schutz des einzelnen und der Allgemeinheit vor Gefahren bildet eine ratio essendi des Staates als eines Ordnungs- und Friedensverbandes. Hiermit ist allerdings zunächst nur eine recht formale Feststellung getroffen. Die Schutzgüter, deren Beeinträchtigung als polizeilich abzuwehrende Gefahr qualifiziert werden muß, liegen nicht abstrakt und a priori fest. Sie sind vielmehr vom jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Entwicklung und insbesondere vom geltenden Verfassungsrecht 3 abhängig 4 . Mit dem Wandel des Verfassungsrechts verändert sich auch der Inhalt der Polizeifunktion. Überdies besitzt die Gefahrenabwehr keinen vorgegebenen absoluten Stellenwert im Verhältnis zu den übrigen Staatsaufgaben. Auch hier entscheidet die jeweilige verfassungsrechtliche Situation. Nach der im 19. Jahrhundert vorherrschenden liberalen Staatsauffassung war der Staat im wesentlichen darauf beschränkt, Sicherheit vor inneren und äußeren Feinden zu gewährleisten5. Dagegen verwehrte man ihm Eingriffe in den Bestand und die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Unter diesen Umständen mußte die polizeiliche Gefahrenabwehr geradezu als die Staatsfunktion par excellence erscheinen. Der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes begnügt sich demgegenüber nicht mit der bloßen Abwehr von Gefahren. Er steht vielmehr unter der sozialstaatlichen Verpflichtung, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung aktiv gestaltend voranzutreiben. In der ungeheuer komplexen Wirtschafts- und Sozialordnung, wie sie unsere Epoche kennzeichnet, müßte sich zudem jedes — wie auch immer ausgestaltete — Instrumentarium der Gefah1 3 4 5

H. J. Wolff, W D S t R L 9 (1952), S. 134 ff. (156); W. Jellinek, VwR, S. 427; Dürig, 2 AöR 79 (1954), S. 57. W. Thieme, DÖV 1956, 521 ff. (526). Vgl. Denninger, Polizei in der freiheitlichen Demokratie, 1968, S. 7 ff. Zur inhaltlichen Variabilität des Schutzguts der „öffentlichen Ordnung" s. unten Abschnitt II. 1 c, bb. Klassisch: Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen (1793, Neuausgabe 1962).

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renabwehr als unzulänglich erweisen, wenn es darum geht, mit fundamentalen Krisen fertigzuwerden. Die katastrophalen Folgen einer großen Wirtschaftskrise lassen sich nicht mit Hilfe der Polizei beherrschen. Der Staat muß deshalb eine vorrangige Aufgabe darin sehen, bereits der Entstehung von Krisen langfristig vorzubeugen. Es erwächst ihm damit die Pflicht zur Gefahren Vorsorgei6. Die Gefahrenabwehr hat dadurch ihre einstmals beherrschende Stellung im Rahmen der Staatsfunktionen verloren. Dennoch ist sie keineswegs überflüssig oder gar obsolet geworden. Die Gefahrenvorsorge kann nur im Makrobereich wirksam werden. Selbst wenn sie dort zu optimalen Ergebnissen führt, läßt sich praktisch nicht vermeiden, daß im Mikrobereich, in der konkreten Situation des Einzelfalls, immer wieder Gefahren erwachsen und eine Gefahrenabwehr erforderlich machen. Gerade die Erscheinungsformen der modernen Technik und Zivilisation haben unzählige neuartige Gefahrenquellen mit sich gebracht. Die Abwehr von Gefahren, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohen, gehört zu den legitimen Aufgaben auch des unter dem GG konstituierten Gemeinwesens. Es ist zwar offensichtlich, daß Eingriffe zur Gefahrenabwehr oftmals in ein Spannungsverhältnis zu den verfassungsmäßig verbürgten Grundrechten des einzelnen geraten müssen7. Andererseits aber hat der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch eine essentielle grundrechtssichernde und -schützende Funktion 78 . Denn erst in einem Zustand der Sicherheit und Ordnung kann der Bürger von seiner Freiheit wirklich Gebrauch machen und kann die „Segnungen" des Sozialstaats genießen. Der soziale Rechtsstaat muß die polizeiliche Gefahrenabwehr und ihre Eingriffsmöglichkeiten seiner Verfassungsordnung organisch anpassen. Aber er kann nicht auf sie verzichten, wenn er der verfassungsrechtlichen Verpflichtung, die Sicherheit seiner Bürger zu schützen8, nachkommen will. 2. Geschichte des Polizeibegriffs Dem Begriff der Polizei9 liegt eine jahrhundertealte Tradition zugrunde. Entsprechend den sich wandelnden Staatsauffassungen veränderte sich auch der Inhalt des Polizeibegriffs. Im 15. bis 17. Jahrhundert charakterisierte er einen Zustand guter Ordnung des Gemeinwesens 10 . 6 7 8 9

10

S. etwa Roth, Die Gefahrenvorsorge im sozialen Rechtsstaat, 1968; Steiger, ZRP 1971, 133 ff. (insbes. 134 - 135); von Unruh, DVB1. 1972, 469 ff. 7a S. unten Abschnitt II. 1 c, bb. Vgl. auch Ossenbühl, DÖV 1981, 1 ff. (4 - 5). Vgl. BVerfG NJW 1977, 2355f. (2356). Zur Entwicklung des Polizeibegriffs s. eingehend H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., 1980, S. 92ff.; s. a. Lüdtke, Staat 20 (1981), S. 201 ff. Dazu die Untersuchung von Knemeyer, AöR 92 (1967), S. 153 ff.

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Kennzeichnend für den absolutistischen Staat des 18. Jahrhunderts war ein rechtlich unbeschränkter Wirkungsbereich der Polizei. Der Landesherr nahm als Ausfluß seiner Souveränität das „jus politiae" in Anspruch, d. h. die unbeschränkte Befugnis, nach seinem Gutdünken zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrtspflege tätig zu werden und dabei auch beliebig in Rechte der Untertanen einzugreifen. Die Forderung der Aufklärung 11 , das freie staatliche Eingriffsrecht auf das Gebiet der Gefahrenabwehr zu beschränken, fand zunächst Eingang in das preußische Allgemeine Landrecht von 1794. Es unterschied ausdrücklich die Wohlfahrtspflege von der Gefahrenabwehr und bestimmte in dem berühmten §10 II 17 ALR 12 : „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey". Die Beschränkung der Polizei auf die Gefahrenabwehr wurde schon nach wenigen Jahren vom Gesetzgeber wieder durchlöchert und schließlich ganz beseitigt. Den Wendepunkt bildete in Preußen das sog. Kreuzberg-Erkenntnis des OVG vom 14. Juni 1882n. Das Gericht erklärte mit einer juristisch freilich zumindest recht zweifelhaften Begründung, § 10 II 17 ALR sei trotz der späteren gesetzgeberischen Akte nach wie vor geltendes Recht. Er beschränke die Polizei auf die Gefahrenabwehr; zur Wohlfahrtspflege 14 sei sie dagegen nicht befugt. In den folgenden Jahrzehnten erarbeitete das preuß. OVG in einer umfangreichen Rechtsprechung auf der Grundlage des § 10 II 17 ALR ein ausgefeiltes System des Polizeirechts. Die Ergebnisse der polizeirechtlichen Judikatur wurden schließlich in gesetzgeberische Kodifikationen übernommen. Den Schlußstein bildete das preußische PolizeiverwaltungsG vom 1. Juni 193115 — wohl das letzte bedeutende Gesetzgebungswerk, das die Weimarer Epoche hervorgebracht hat. § 14 Abs. 1 PVG ermächtigte die Polizeibehörden, „im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird".

11 12 13 14 15

S. dazu den bedeutenden Staatsrechtslehrer J. St. Pütter in seinen 1770 erschienenen „Institutiones iuris publici Germanici", § 331. § 10 Teil II Titel 17. PrOVG 9, 353 ff. Zu dieser epochemachenden Entscheidung s. näher Schrödter, DVB1. 1975, 846 ff. (848 - 849). Im konkreten Fall ging es um die Förderung ästhetischer Belange im Bereich des Bauwesens. Preuß. GS 1931, S. 77.

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3. Materieller und formeller Polizeibegriff Als Ergebnis der kurz dargestellten Entwicklung hat sich in ganz Deutschland ein einheitlicher Begriff der Polizei herausgebildet. Es besteht heute in der Bundesrepublik Deutschland der Sache nach im wesentlichen eine einheitliche Rechtslage, auch wenn sie, wie noch zu erörtern sein wird, in den einzelnen Bundesländern auf unterschiedlichen Rechtsquellen beruht. Die Entwicklung des sachlichen Aufgabenbereichs der Polizei, nämlich der Gefahrenabwehr, und des dieser Aufgabe gewidmeten organisatorischen Apparats, der Polizeibehörden, ist nun allerdings nicht übereinstimmend verlaufen. Die Gefahrenabwehr wurde nicht nur Polizeibehörden, sondern in unterschiedlichem Maße auch anderen Stellen übertragen. Andererseits betraute man die Polizeibehörden zugleich mit Funktionen außerhalb der Gefahrenabwehr. Wir haben infolgedessen zwei Begriffe der Polizei zu unterscheiden, einen materiellen und einen formellen. a) Materieller Polizeibegriff: Der materielle Polizeibegriff ist von der Aufgabe her bestimmt. Nach ihm handelt es sich bei der Polizei um die Staatstätigkeit, die dazu dient, von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Soweit zur Erfüllung dieser Aufgabe Eingriffe in den Rechtsbereich des Staatsbürgers erforderlich sind, bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung. Sie kann entweder in einer Generalklausel oder aber in Spezialgesetzen enthalten sein. Dabei hat man sich heute in allen Bundesländern für eine Generalklausel entschieden 16 , die lediglich durch Spezialermächtigungen für einzelne Gebiete ergänzt wird17. Für den materiellen Polizeibegriff ist es demnach unerheblich, welche Behörde die jeweiligen Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrzunehmen hat. b) Formeller Polizeibegriff: Demgegenüber wird der formelle Polizeibegriff von der Behördenorganisation her bestimmt. Zur Polizei im formellen Sinne zählen sämtliche staatlichen Funktionen, für deren Wahrnehmung die Zuständigkeit der Polizeibehörden begründet ist. Auf die sachliche Qualität der einzelnen Aufgabe kommt es dabei nicht an. Formell-polizeiliche Aufgaben können der Gefahrenabwehr dienen, brauchen das aber nicht zu tun. Zu den nicht gefahrenabwehrenden Aufgaben der Polizei gehört insbesondere ihre Mitwirkung bei der Strafverfolgung 18 . c) Verhältnis von formellem und materiellem Polizeibegriff: Aus dem Vorstehenden ergibt sich bereits, daß formeller und materieller Polizeibegriff sich nicht vollständig decken. Beide stehen vielmehr im Verhältnis von zwei Kreisen, die einander teilweise überschneiden: Ein Teil der materiell-polizeirechtlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr wird von den Behörden und Beamten der Polizei im formellen Sinne wahrgenommen; insoweit fallen formeller 16 17

Unten Abschnitt II. 1. Unten Abschnitt II. 5.

18

Vgl. z. B. § 10 S. 2 nordrh.-westf. POG.

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und materieller Polizeibegriff zusammen. Daneben aber werden Funktionen der Gefahrenabwehr auch von nicht zur Polizei zählenden Behörden erfüllt (nur materiell-polizeiliche Tätigkeiten), während umgekehrt den Polizeibehörden vielfältige Aufgaben außerhalb der Gefahrenabwehr übertragen worden sind (nur formell-polizeiliche Tätigkeiten). Im einzelnen hängt die Abgrenzung von der unterschiedlichen Ausgestaltung der Kompetenzzuweisungen in den verschiedenen Bundesländern ab. Nach dem zweiten Weltkrieg hat man weite Sachgebiete, die bis dahin im Zuständigkeitsbereich der Polizei standen, „entpolizeilicht", d. h. man hat die Aufgaben der Gefahrenabwehr insoweit anderen Behörden — z. T. den sog. Ordnungsbehörden — übertragen. Diese Entwicklung verlief in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Auch innerhalb ein und desselben Landes wurde nicht immer eine einheitliche, klare Konzeption durchgehalten. Infolgedessen erweist sich die Rechtslage heute als ausgesprochen komplex und vielfach unübersichtlich. Das wird in den Grundzügen noch darzulegen sein19. 4. Polizei- und Ordnungsrecht im Bundesstaat a) Grundsätzliche Zuständigkeit der Länder: Das GG hat für den Sachbereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet. Infolgedessen fallt dieser Bereich nach Art. 30, 70 I GG in die Zuständigkeit der Länder. Allein die Länder können neue Gesetze über die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassen. Die vor 1949 erlassenen Gesetze sind, soweit sie mit dem GG vereinbar waren (Art. 123 I GG), Landesrecht geworden. Zur Vereinheitlichung der Polizeigesetze hat die Innenministerkonferenz 1975 einen „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes"beschlossen, der von Bund und Ländern übernommen werden soll20. Es kann sich dabei allerdings nur um eine inhaltliche Vereinheitlichung handeln. An der Aufspaltung der Gesetzgebungszuständigkeit wird sich nichts ändern. Da die Ausßihrung der Landesgesetze ausschließlich den Ländern obliegt21, ist auch die Polizei- und Ordnungsverwaltung Landesangelegen19 20

21

Näheres unten Abschnitt I. 5 und III. 1. Seine endgültige Fassung erhielt der ME durch Beschluß vom 25. 11. 1977. Textausgabe hrsg. von G. Heise / R. Riegel, 2. Aufl., 1978. Zu dem Entwurf vgl. Knemeyer, DÖV 1975, 34ff.; Riegel, BayVBl. 1977, 682ff.; Schulz, ZRP 1976, 251 ff. Nachdem Berlin schon am 11.2. 1975 aufgrund der Fassung des ME nach dem Stande vom 20.4. 1974 das ASOG verabschiedet hatte, wurde der ME (mit gewissen Modifikationen) übernommen von Bayern durch das PAG vom 24. 8. 1978, von Nordrhein-Westfalen durch das PolG vom 25. 3. 1980, von Rheinland-Pfalz durch das PVG vom 1.8. 1981 und von Niedersachsen durch das SOG vom 17. 11. 1981. Als bisher letztes Land erließ Bremen am 21. 3. 1983 ein neues Polizeigesetz. Baden-Württemberg hat durch mehrfache Änderungen seines PG einzelne Bestimmungen dem ME angepaßt. In einigen der übrigen Länder sind Anpassungsgesetze in Vorbereitung. BVerfGE 12, 205 (221, 229); 21, 312 (325).

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heit. Es bleibt den einzelnen Ländern überlassen, ob und inwieweit sie die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften (Kreise, Ämter, Gemeinden) in den Vollzug einschalten wollen. b) Einzelkompetenzen des Bundes: Auf verschiedenen Sachgebieten, deren Regelung nach Art. 73 und 74 GG zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehört, können sich Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergeben 22 . Hier ist der Bund befugt, zusammen mit der Regelung der eigentlichen Sachfragen der betreffenden Gebiete auch Vorschriften über die Gefahrenabwehr in dem jeweiligen Bereich zu erlassen (sog. Annexkompetenz23). Den Ländern verbleibt aber in jedem Fall das Polizeirecht im eigentlichen Sinne, also die Regelungen, bei denen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der alleinige und unmittelbare Gesetzeszweck ist24. c) Sonderpolizeibehörden des Bundes25. Das GG gestattet dem Bund in Art. 87 I S. 2, durch Gesetz eine Reihe von Sonderpolizeibehörden einzurichten, namentlich Bundesgrenzschutzbehörden, ein Bundeskriminalamt und ein Bundesamt für Verfassungsschutz, wobei die beiden letztgenannten Behörden lediglich Zentralstellen zur Sammlung von Informationen usw. ohne eigene unmittelbare Exekutivbefugnisse darstellen. Art. 73 Nr. 10 GG ergänzt die organisationsrechtliche Kompetenz des Art. 87 I S. 2 durch eine materielle Gesetzgebungskompetenz für die betreffenden Gebiete. Von dieser Gesetzgebungszuständigkeit hat der Bund frühzeitig Gebrauch gemacht 26 . Eine besondere Polizeibehörde des Bundes ist der Präsident des Deutschen Bundestages. Er übt nach Art. 40 II S. 1 GG im Gebäude des Bundestages nicht nur das Hausrecht 27 , sondern auch die ausschließliche Polizeigewalt aus28. Soweit die ihm zur Verfügung stehenden Ordnungskräfte nicht ausreichen, kann er die örtliche Polizei um Amtshilfe ersuchen29.

22 23 24 25

26

27 28 29

Z. B. im Wirtschaftsrecht (Art. 74 Nr. 11 GG), im Gesundheitsrecht (Art. 74 Nr. 19 GG) oder im Verkehrsrecht (Art. 74 Nr. 22 GG). BVerfGE 3, 407 (433); 8, 143 (150); BVerwGE 28, 310 (311 - 312). BVerfGE 8, 143 (150). Eingehend dazu Drews / Wacke / Vogel/ Martens, Bd. 1, S. 25ff.; umfassender Überblick bei Becker, DVB1. 1977, 945fT. (945 - 948); vgl. auch Riegel, ZRP 1978, 257ff. (258-59). G über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. 9. 1950 (BGBl. I, S. 682); G über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes vom 29. Juni 1973 (BGBl. I, S. 704); G über den Bundesgrenzschutz vom 18. 8. 1972 (BGBl. I, S. 1834). Zum Verhältnis von öffentlich-rechtlichem Hausrecht und Ordnungsgewalt s. Knemeyer, DÖV 1970, 596 ff. S. Maunz, in: Maunz/Dürig /Herzog /Scholz, GG Rdnr. 2 6 - 2 8 zu Art. 40; Drews / Wacke / Vogel/ Martens, Bd. I, S. 34ff. Über die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Bundestagspräsidenten und der Landespolizei s. Weingärtner, Kriminalistik 1969, 271 ff.

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5. Zweigliederung in Polizei- und Ordnungsverwaltung Das preuß. PVG hatte die materiellpolizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr insgesamt den Polizeibehörden übertragen, soweit nicht besondere Gesetze für einzelne Spezialgebiete Ausnahmen vorsahen. Formeller und materieller Polizeibegriff 30 fielen somit weitgehend zusammen. Demgegenüber war man nach dem zweiten Weltkrieg in den Ländern der ehemaligen britischen und amerikanischen Besatzungszone bestrebt, den Wirkungskreis der Polizei zurückzudrängen. Bei diesen Bestrebungen standen Pate einerseits gewisse Institutionen des angloamerikanischen Rechtskreises, zum anderen aber auch die psychologische Vorbelastung des Polizeibegriffs durch den Mißbrauch der Polizeigewalt in der vorausgegangenen Epoche. Die Bestrebungen führten dazu, daß der bisherige Zuständigkeitsbereich der Polizeibehörden aufgespalten wurde. Der Polizei blieb nur ein beschränkter, enumerativ bestimmter Kreis von Aufgaben vorbehalten, insbesondere die Verfolgung von Straftaten, die Verkehrsüberwachung und die Bekämpfung akuter („unmittelbar bevorstehender") Gefahren, ferner die Vollzugshilfe für andere Behörden 31 . Die genaue Abgrenzung variiert dabei von Land zu Land 32 . Alle übrigen Aufgaben der Gefahrenabwehr wurden der Form nach „entpolizeilicht", d. h. anderen Behörden übertragen. Die Bezeichnung der anderen Behörden, die nunmehr zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden, ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich 33 . In der vorliegenden Darstellung werden sie der Einheitlichkeit halber als Ordnungsbehörden bezeichnet. Auch die Ordnungsbehörden nehmen materielle Polizeifunktionen wahr. Sie werden tätig, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Die Aufgabe der Ordnungsbehörden ist also der Sache nach identisch mit derjenigen der Polizeibehörden; lediglich die Lebensgebiete, auf denen sie wahrgenommen wird, sind bei beiden Verwaltungszweigen nach Maßgabe der landesgesetzlichen Kompetenzabgrenzung verschieden. Die Identität der Funktion zeigt sich rein äußerlich darin, daß die Ermächtigungsgrundlage für das ordnungsbehördliche Eingreifen vielfach in derselben Generalklausel zu finden ist wie diejenige für die polizeiliche Tätigkeit 34 . 30 31 32

33 34

Oben Abschnitt I. 3. Zur Vollzugs- und Amtshilfe durch die Polizei vgl. E. Denninger, JA 1980, 280ff. So überläßt Nordrhein-Westfalen der Polizei auch das Versammlungs-, Sprengstoff-, Waffen- und Munitionswesen (§11 S. 1 nordrh.-westf. POG); Hessen überträgt ihr dagegen u. a. das Paß- und Ausländerwesen sowie die Lärmbekämpfung (§ 62 I S. 1 hess. SOG in Verbindung mit der VO v. 18. Juli 1972, GVB1. I S. 255), die in Nordrhein-Westfalen bei den Ordnungsbehörden liegen. Vgl. § § 1 - 2 berl. ASOG; § 1 nordrh.-westf. OBG; § 164 I schlesw.-holst. LVG; hess. SOG: Überschrift des 2. Abschnitts von Teil II (vor § 55); § 1 I nieders. SOG. S. § 14 I berl. ASOG, § 3 I hamb. SOG, § 1 I hess. SOG, § 11 nieders. SOG.

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Als einziges Land hat Nordrhein-Westfalen eine besondere gesetzliche Ermächtigung für die Ordnungsbehörden geschaffen 35 . Auch diese stimmt jedoch sachlich mit der polizeirechtlichen Generalklausel überein, so daß lediglich von einer formellen, nicht aber von einer materiellen Selbständigkeit des Ordnungsbehördenrechts gesprochen werden kann. Gegenwärtig folgen dem Trennungssystem die Länder Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Hier sind Polizei- und Ordnungsbehörden nebeneinander zur Gefahrenabwehr tätig. Dagegen haben Baden-Württemberg, Bremen, RheinlandPfalz und das Saarland die einheitliche Polizeiverwaltung von vornherein beibehalten oder sie später wieder eingeführt. Da die sachliche Funktion von Polizei- und Ordnungsbehörden übereinstimmt, wird im folgenden das materielle Polizei- und Ordnungsrecht einheitlich dargestellt.

II. Materielles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Die Generalklausel a) Generalklausel und Spezialermächtigungen: Die Polizei- und Ordnungsverwaltung gehört zum Bereich der Eingriffsverwaltung. Ihre Maßnahmen greifen befehlend und belastend in die Rechtssphäre der jeweils betroffenen Bürger ein. Infolgedessen bedarf jede einzelne Maßnahme einer gesetzlichen Grundlage — und zwar unabhängig davon, ob man den Vorbehalt des Gesetzes entsprechend der traditionellen Anschauung auf belastende Verwaltungsakte beschränkt oder ob man ihn mit der im Vordringen begriffenen Auffassung über den Eingriffsbereich hinaus ausdehnt 36 . Die notwendige gesetzliche Grundlage kann rechtstechnisch ausgestaltet sein entweder als Spezialermächtigung für bestimmte Fallgruppen oder aber als weitgefaßte Generalklausel. Im Polizeirecht der deutschen Länder werden seit jeher Generalklausel und Spezialermächtigungen nebeneinander verwandt. Die Generalklausel steht im Vordergrund. Sie wird deshalb im folgenden schwerpunktmäßig behandelt. Ergänzt wird sie aber durch eine Vielzahl von Einzelermächtigungen an die Polizei, die teilweise Sondergebiete der Gefahrenabwehr, teilweise aber auch nicht materiell-polizeiliche Angelegenheiten betreffen 37 . Als Prototyp der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel kann heute der an die Tradition des § 14 I des preuß. PVG von 1931 anschließende § 8 ME PolG gelten: „Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, 35 36

37

§§ 1 I, 14 I nordrh.-westf. OBG. Zum älteren Streitstand s. die Nachweise bei Friauf, DVB1. 1966, 729 (734f.); aus jüngster Zeit insbes. BVerfGE 40, 237 (248 - 250); st. Rspr.; Ossenbühl, DÖV 1977, 801 ff. (802 - 805); Schenke, GewA 1977, 313 ff. Überblick bei Drews / Wacke / Vogel/ Martens, Bd. II, S. 43-76.

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um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und O r d n u n g . . . abzuwehren,..." Die Generalklauseln, die in den geltenden Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Länder enthalten sind38, stimmen teilweise wörtlich, zumindest aber sinngemäß mit § 8 ME PolG überein. Deshalb kann sich die folgende Darstellung durchgehend an dieser Vorschrift orientieren. b) Subsidiarität der Generalklausel: Angesichts der unübersehbaren Vielfalt der Situationen, aus denen sich Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergeben können, erweist sich das System der Generalklausel als notwendig, wenn die Polizei ihre Ordnungsfunktion wirksam erfüllen soll. Ein noch so ausgeklügeltes System von Einzelermächtigungen könnte niemals sämtlichen zukünftigen Gefahren Rechnung tragen 39 . Gleichwohl bleibt es ein rechtsstaatliches Desiderat, daß der Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit die Generalklausel insoweit durch konkrete Einzelregelungen für bestimmte Sachgebiete ersetzt, wie das nach der Eigenart des jeweiligen Gebietes möglich erscheint. Derartige Einzelregelungen bestehen tatsächlich in erheblicher Zahl 40 . Im Rahmen ihres jeweiligen Anwendungsbereichs gehen sie nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen stets der Generalklausel vor. M. a. W.: die Generalklausel tritt hinter eine Spezialregelung zurück, sie ist subsidiär41. Im Geltungsbereich einer solchen Regelung darf die Generalklausel ausnahmsweise nur dann ergänzend angewandt werden, wenn die betreffende Vorschrift das (ausdrücklich oder sinngemäß) besonders zuläßt 42 oder wenn sie den betreffenden Einzelfall nicht erschöpfend erfaßt 43 . Für die Bearbeitung eines Falles ergibt sich daraus, daß stets vorrangig geprüft werden muß, ob für das in Betracht kommende Sachgebiet eine Sonderregelung besteht. Auf die Generalklausel darf erst dann zurückgegriffen wer38

39

§§ 1, 3 bad.-württ. PG; Art. 11 I bayer. PAG; § 14 I berl. ASOG; § 10 I brem. PolG; § 3 I hamb. SOG; § 1 I hess. SOG; § 11 nieders. SOG; § 8 I nordrh.-westf. PolG; §§1, 14 I nordrh.-westf. OBG; §9 rheinl.-pfälz. PVG; § 14 I saarl. PVG; § 171 schlesw.-holst. LVwG. Zur Notwendigkeit und Legitimation der polizeilichen Generalklausel gerade angesichts des in ständigem Wechsel befindlichen Spektrums aktueller Umweltgefah-

ren vgl. treffend Diirig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz,

40 41 42

43

GG, Rdnr. 328

(Fn. l)zu Art. 3 Abs. 1. Beispiele s. unten Abschnitt II. 5; vgl. auch W. Martens, DÖV 1982, 89 ff. (92 ff.). Vgl. auch AG Heidelberg NJW 1978, 1638ff. (1639). Neben den verkehrsrechtlichen Vorschriften kann die Generalklausel dann herangezogen werden, wenn eine Anordnung aus anderen als verkehrspolizeilichen Gründen getroffen werden muß (OVG Lüneburg E l l , 408, 410); so z. B. bei Maßnahmen zur Reinhaltung der Straßen (OLG Hamm JMB1NW 1956, 128). - Auch neben der Berliner Bauordnung soll § 14 PVG (bzw. heute § 14 I berl. ASOG) anwendbar bleiben (BVerwG DVB1. 1961, 125 f.). Vgl. OVG Münster DVB1. 1973, 922ff. (924), hinsichtl. der StVO; OVG Münster DB 1980, 2080, hinsichtl. § 3 II AbfG.

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den, wenn zuvor festgestellt worden ist, daß ihre Anwendbarkeit nicht durch Spezialnormen ausgeschlossen wird. Sonderregelungen können enthalten sein entweder in allgemeinen, d. h. nicht polizei- oder ordnungsrechtlichen Gesetzen oder aber in Vorschriften aus dem Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts selbst. aa) Subsidiarität gegenüber polizei- und ordnungsrechtlichen Regelungen: Sämtliche Polizei- und Ordnungsbehördengesetze sehen nach dem Vorbild des § 14 II PVG ausdrücklich vor, daß den Polizei- und Ordnungsbehörden neben der Gefahrenabwehr nach Maßgabe der Generalklausel weitere Funktionen übertragen werden können. Dabei wird der subsidiäre Charakter der Generalklausel teils ausdrücklich hervorgehoben, so in § 1 II nordrh.-westf. OBG: „Die Ordnungsbehörden führen (die Aufgaben der Gefahrenabwehr) nach den hierfür erlassenen besonderen Gesetzen und Verordnungen durch. Soweit gesetzliche Vorschriften fehlen oder eine abschließende Regelung nicht enthalten, treffen die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen nach diesem Gesetz", teils wird er stillschweigend unterstellt. Die hier angesprochenen „besonderen Gesetze" bilden einen Teil des Polizei- und Ordnungsrechts. Man kann insoweit von einer innerpolizeilichen Subsidiarität sprechen. Beispiele: Zuständigkeiten der Polizei- oder Ordnungsbehörden nach dem VersammlungsG 44 , dem BundesseuchenG, dem TierseuchenG, der Straßenverkehrsordnung 45 . Gewisse Fälle einer innerpolizeilichen Subsidiarität finden sich auch in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen selbst. So gibt es dort Regelungen über die polizeiliche Verwahrung von Personen, über das Eindringen in Wohnungen und über die Zurücknahme von Erlaubnissen 46 . Derartige Maßnahmen dürfen jeweils nur unter den Voraussetzungen der Sonderregelung vorgenommen werden. Fehlen diese Voraussetzungen, dann müssen sie unterbleiben, auch wenn eine noch so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne der Generalklausel bestehen mag. bb) Subsidiarität gegenüber nicht polizeilichen Regelungen: Seit jeher hat der Gesetzgeber die Gefahrenabwehr in gewissen Sachbereichen durch Regelungen außerhalb des Polizei- und Ordnungsrechts normiert und hat die betreffenden Verwaltungsaufgaben anderen Behörden zugewiesen. Er hat diese Bereiche dadurch entpolizeilicht47. Da die Polizei sich auf die Generalklausel 44

45 46

47

Zur Subsidiarität der Generalklausel im Verhältnis zum VersammlungsG s. OVG Münster DÖV 1970, 344 ff. (345); vgl. auch OVG Münster DVB1. 1982, 653 ff. (654): Spezialität nur für versammlungsspezifische Gefahren. Dazu OVG Münster DVB1. 1973, 922 ff. (924), mit Nachw. §§ 9ff. ME PolG; §§22, 25 bad.-württ. PG; §§ 15, 21 brem. PolG; §49 II brem. VwVfG; §49 II hamb. VwVfG; §§46, 52, 9 hess. SOG; § 16, 22 nieders. SOG; § § 9 - 2 4 nordrh.-westf. PolG; §§14, 20 rheinl.-pfälz. PVG; §§ 180, 182, 117 schlesw.-holst. LVwG. Es handelt sich hier um eine materielle Entpolizeilichung im Gegensatz zu der bloß formellen, wie sie bei der Übertragung gefahrenabwehrender Aufgaben von den Polizei- auf die Ordnungsbehörden (oben Abschnitt I. 5) erfolgt ist.

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„nur im Rahmen der geltenden Gesetze" stützen kann, sind ihr die in Betracht kommenden Materien damit grundsätzlich verschlossen. Zu den entpolizeilichten Gebieten gehört z. B. der größte Teil der staatlichen Überwachung und Lenkung im Bereich der Wirtschaft, obwohl es dort weithin darum geht, vom einzelnen Bürger und von der Allgemeinheit Gefahren abzuwehren, ferner das bundesrechtlich geregelte Immissionsschutzrecht (Bundesimmissionsschutzgesetz vom 15. März 1974, BGBl. I S. 721)48. Entpolizeilicht ist auch die Abwehr von Gefahren, die sich aus der materiellen Hilfsbedürftigkeit einzelner und aus der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen ergeben (Sozialhilfe, Jugendschutz49). Ausnahmsweise dürfen Polizei- und Ordnungsbehörden auf entpolizeilichten Gebieten dann tätig werden, wenn die an sich zuständige Behörde nicht rechtzeitig eingreifen kann und sofortige Maßnahmen notwendig sind, um unmittelbar bevorstehende Gefahren abzuwenden50. Die Polizei, die in zahlreichen Fällen eher zur Stelle ist als eine reine Schreibtisch-Behörde, soll nicht gezwungen sein, der Entstehung eines Schadens tatenlos zuzusehen. Diese Notzuständigkeit ist in den meisten neueren Landesgesetzen ausdrücklich niedergelegt51. Die Maßnahmen im Rahmen der Notzuständigkeit sind stets auf das unbedingt Erforderliche und Unaufschiebbare zu beschränken. Die an sich zuständige Behörde muß sofort unterrichtet werden. Auf ihr Verlangen hat die Polizei die getroffenen Maßnahmen zu beseitigen, und zwar auch dann, wenn sie nach wie vor von ihrer Notwendigkeit überzeugt sein sollte. Die Polizei ist also niemals befugt, der für das Sachgebiet kompetenten Stelle ihre eigene Auffassung aufzuzwingen. c) Schutzgüter der Generalklausel: Die Polizei darf im Rahmen der Generalklausel nicht beliebige Gefahren bekämpfen, sondern nur solche, durch die die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bedroht wird. Ist keines dieser beiden Schutzobjekte berührt, dann kann sie nicht tätig werden, mögen auch noch so schwerwiegende anderweitige Gefahren gegeben sein. Bei beiden Begriffen, dem der öffentlichen Sicherheit und dem der öffentlichen Ordnung, handelt es sich um sog. unbestimmte Rechtsbegriffe i. S. der verwaltungsrechtlichen Terminologie52. Die Behörde besitzt bei ihrer Anwendung weder einen Beurteilungsspielraum noch gar eine Ermessensfreiheit. Das Verwaltungsgericht kann stets in vollem Umfange nachprüfen, ob tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegeben war53. 48 49 50 51 52

Vgl. den Grenzfall VGH Mannheim DÖV 1975, 608 ff. mit Anm. Engelhardt. Vgl. G zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1058); Bundessozialhilfegesetz vom 13. Februar 1976 (BGBl. I, S. 289). Zu den Not- und Hilfszuständigkeiten s. im übrigen unten Abschnitt III. 1 a, bb, cc. § 2 I bad.-württ. PG; § 4 I berl. ASOG; § 1 II S. 1 hess. SOG; § 1 II nieders. SOG; § 1 I S. 2 nordrh.-westf. PolG; § 168 I Nr. 2 schlesw.-holst. LVwG. Vgl. die Nachweise bei Ule / Rasch, a. a. O., § 1 ME Rdnr. 49; insbes. PrOVG 106, 61 (63f.); BGH DVB1. 1954, 813f. = VerwRspr. 7, 689f. 53 BGH, a. a. O.

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Für den Außenstehenden mögen die beiden Begriffe auf den ersten Blick recht weit und vage erscheinen. Sie haben aber in einer ausgedehnten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sehr scharfe Konturen gewonnen, so daß sie den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsermächtigungen voll gerecht werden 54 . aa) Die öffentliche Sicherheit: Unter „öffentlicher Sicherheit" versteht man traditionell die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger einerseits sowie Bestand und Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen andererseits55. Wir haben hier also zwei Schutzrichtungen, eine individual- und eine gemeinschaftsbezogene. Letztere umfaßt, neben Bestand und Einrichtungen des Staates im engeren Sinne, auch die „kollektiven Rechtsgüter", deren Schutz mit Rücksicht auf die Allgemeinheit, vornehmlich auf das Leben in der staatlich organisierten Gemeinschaft, geboten ist56. Daß auch die Unversehrtheit der Individualgüter einen Teil der „öffentlichen" Sicherheit bildet, zeigt sich schon darin, daß die Polizei nach dem Wortlaut der Generalklausel Gefahren nicht nur von der Allgemeinheit, sondern auch vom einzelnen abzuwehren hat57. Innerhalb der zu schützenden Individualgüter lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: die materiellen und die immateriellen Güter. Das Schwergewicht des polizeilichen Schutzes verlagert sich dabei immer stärker auf die zweite Gruppe, zumal es ohnehin primär Aufgabe der Gerichte ist, Rechtsschutz gegenüber Eingriffen in die Vermögenssphäre zu gewähren (notfalls durch einstweilige Verfügung). Zunehmende Bedeutung besitzt in unserer Zeit der Schutz der menschlichen Gesundheit 57 a vor den zahlreichen Gefährdungen, die die moderne Lebensweise mit sich bringt (Lärm, Immissionen usw.). Der Schutz von Individualgütern durch die Polizei erfolgt freilich nicht (zumindest nicht primär) im privaten Interesse der Betroffenen 58 . Die öffentliche Sicherheit ist vielmehr nur dann berührt, wenn die konkrete Gefahrenlage Ausstrahlungswirkungen in die Öffentlichkeit erzeugt und damit ein öf-

54

Dazu BVerwG DVB1. 1970 504 ff. (506); F. Werner, BayVBl. 1970, 41 ff. (42 - 43); Düng, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 81 zu Art. 2 I. 55 Bayer. VerfGH VGH n. F. 4 II 194 ff. (205); Peters, VerwR, S. 377; Drews / Wakke/ Vogel/Martens, Bd. II, S. 117ff.; diese klassische Definition geht zurück auf die amtl. Begründung zum preuß. PVG von 1931, von der insoweit auch die heute geltenden Landesgesetze ausgehen; vgl. H. H. Klein, DVB1. 1971, 233ff. (236). 56 BVerwG DVB1. 1974, 297 ff. (299 - 300): öffentliche Wasserversorgung als Schutzgut der Generalklausel. 57 Dazu insbes. W. Martens, DÖV 1976, 457 ff. 57a Zur Gesundheit als Schutzgut s. OLG Karlsruhe NJW 1984, 502ff. (503). 58 Deshalb kann der einzelne einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung grundsätzlich nicht unter Berufung auf Notwehr oder Nothilfe entgegentreten, es sei denn, daß der Störer zugleich in rechtlich geschützte Individualinteressen eingreifen würde; vgl. BGH DVB1. 1975, 579ff. (580).

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fentliches Interesse an ihrer Abwehr besteht59. Die bloße Selbstgefährdung eines Bürgers, die weder Dritte noch die Allgemeinheit mitgefahrdet, rechtfertigt kein polizeiliches Einschreiten 60 . Die öffentliche Sicherheit erfordert, daß die verfassungs- und gesetzmäßig bestehenden Einrichtungen des Staates in ihrer rechtmäßigen Funktion nicht behindert werden. Einrichtungen in diesem Sinne sind die Volksvertretungen und Regierungen, die staatlichen Behörden (einschließlich der Polizei- und Ordnungsbehörden selbst!61), aber auch Selbstverwaltungskörperschaften (Gemeinden, Universitäten) und öffentliche Anstalten. Die Polizei kann im Rahmen der Generalklausel derartige Behinderungen unterbinden, auch wenn sie im Einzelfall keinen Straftatbestand erfüllen. Der öffentlichen Sicherheit dient insbesondere die Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Zu ihr ist die Polizei deshalb stets auf Grund der Generalklausel berechtigt62. Anders ist die Rechtslage dagegen bei der Strafverfolgung. Hier würde in den meisten Fällen die Anwendbarkeit der Generalklausel schon daran scheitern, daß der Schaden für das geschützte Rechtsgut bereits endgültig eingetreten ist (das Opfer ist getötet, die Sache ist zerstört), so daß eine Gefahr nicht mehr abgewehrt werden kann. Abgesehen davon gehen die Bestimmungen der StPO (insb. §§ 158, 163 ff.) über die polizeilichen Aufgaben im Rahmen der Strafverfolgung vor. Die nur subsidiär geltende Generalklausel ist damit ausgeschaltet. Nach herrschender Meinung stört jeder Verstoß gegen eine geltende Norm des öffentlichen Rechts die öffentliche Sicherheit63. Infolgedessen kann die Generalklausel als Sanktionsnorm bei Verletzung von Verbotsvorschriften 64 dienen, die selbst keine besondere Eingriffsermächtigung vorsehen. So kann, bei Fehlen entsprechender baurechtlicher Ermächtigungen, die Einstellung ungenehmigter Bauarbeiten auf Grund der Generalklausel angeordnet werden 65 . Diese Befugnis steht allerdings grundsätzlich nur der Ordnungsbehör-

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60 61 62 63 64 65

So ausdrücklich z. B. § 1 I bad.-württ. PG: „ . . . soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist"; vgl. auch W. Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 171; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 577 — 78 sowie S. 266 Fn. 82 (Rechtsprechungsnachweise); H. H. Klein, DVB1. 1971, 233ff. (236). Beispiele bei Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. II, S. 113 ff. - Zur Frage des Einschreitens bei Selbstmordversuchen vgl. Schnupp, Polizei 1980, 341 ff. Vgl. BVerwG DÖV 1976, 569; Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch häufiges unmotiviertes Anrufen der Polizei. Vgl. z. B. OVG Münster, VRspr. 7, 558ff. (560) = NJW 1954, 1664. OVG Münster DVB1. 1975, 588f. (589), und DÖV 1984, 80; Drews / Wacke/ Vogel/Martens, Bd. II, S. 121 f.; vgl. aber auch H. H. Klein, DVB1. 1971, 233ff. (238). Auch von solchen des Bundesrechts; vgl. BVerwG NJW 1981, 242f. OVG Münster, BRS 20, 287ff. (289); vgl. auch VG Sigmaringen DÖV 1976, 570ff. (571): Verbot des ungenehmigten Vertriebs von sog. Minispionen wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung; ferner OVG Münster NJW 1979, 1058f. (1059): betr. Verstoß gegen wohnungsrechtliches Zweckentfremdungsverbot.

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de zu, nicht dagegen der Behörde, die für die Erteilung der fehlenden Erlaubnis zuständig wäre 66 . Auch in diesem Zusammenhang ist selbstverständlich die Subsidiarität der Generalklausel zu beachten. Die Rechtsschutzfunktion der Gerichte und sonstiger Stellen geht, soweit ihr Wirkungskreis reicht, stets vor. bb) Die öffentliche Ordnung1: Der Begriff der öffentlichen Ordnung bereitet vielfach größere Schwierigkeiten. Wie schon nach § 14 I PVG versteht man auch heute unter ihm die Gesamtheit der (zumeist ungeschriebenen) Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaft angesehen wird 68 . Die Regeln der öffentlichen Ordnung sind nicht als Rechtsvorschriften zu qualifizieren 69 . Wären sie das, so würde ein Verstoß bereits die Rechtsordnung (und damit die öffentliche Sicherheit) verletzen. Es handelt sich vielmehr um Wertvorstellungen, die erst dadurch rechtlich relevant werden, daß ihre Verletzung unter der Sanktion des polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Einschreitens steht. Bereits aus dem Fehlen des Normcharakters ergibt sich, daß die Regeln der öffentlichen Ordnung die Bürger nicht in ihrem Verhältnis untereinander berechtigen und verpflichten können. Niemand hat auf Grund der Polizeigesetze einen Anspruch darauf, daß andere die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung beachten. Der einzelne kann deshalb auch keine Notwehr gegen den Störer der öffentlichen Ordnung üben 70 . Es bleibt vielmehr stets der zuständigen Polizei- bzw. Ordnungsbehörde vorbehalten, bei einer Verletzung einzuschreiten 71 . Die sozialen und ethischen Wertvorstellungen, die in ihrer Gesamtheit die öffentliche Ordnung bilden, sind nicht statisch. Sie variieren im Laufe der Zeit und können auch von Ort zu Ort verschieden sein 72 . Die Entwicklung 66 67

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Vgl. BVerwG DÖV 1975, 208, betr. Einschreiten bei fehlender Sondernutzungserlaubnis nach § 8 I, II BFStrG. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität des Schutzes der öffentlichen Ordnung im hier verstandenen Sinne auch unter den Anforderungen des demokratischen Rechtsstaats s. H. H. Klein, DVB1. 1971, 233ff. (238-240); Erbel, DVB1. 1972, 475ff.; Peine, DV 12 (1979), S. 25ff.; anderer Ansicht namentlich Denninger, a. a. O., S. 31-38; Götz a. a. O., S. 46ff.; Achterberg, in: Fs. f. Scupin, S. 9ff; vgl. auch W. Martens, DÖV 1982, 89 ff. (91 f.). PrOVG 91, 139 (140); OVG Münster OVGE 12, 112ff. (115); OVG Koblenz BRS 28, 107ff. (109); BVerwG NJW 1980, 1640ff. (1641); VGH München NVwZ 1984, 254; VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (508 f.). - Zum heutigen Verständnis im Schrifttum vgl. Thieme, ZRP 1979, 7ff.; Peine, DV 12 (1979), S. 25ff. Dazu VG Freiburg, Bad.-württ. VB1. 1964, 187. BGH DVB1. 1975, 579ff. (580). Zu der Frage, inwieweit der einzelne verlangen kann, daß die Behörde zu seinem Schutz tätig wird, s. unten Abschn. II 1 f. Vgl. etwa BVerwG NJW 1980, 1640 ff. (1641): Die öffentliche Ordnung wird durch Lärm gestört, der zwar noch keine Gesundheitsgefahr bildet (und deshalb nicht die .öffentliche Sicherheit beeinträchtigt), gleichwohl aber das nach allgemeiner An-

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der maßgeblichen Wertvorstellungen erfolgt allerdings nicht völlig autonom. Sie ist vielmehr in die geltende Rechtsordnung eingebettet72". Da die öffentliche Ordnung vom Recht anerkannt und geschützt wird, kann eine Wertung, die der Verfassung oder einem Gesetz widerstreitet, niemals Bestandteil eben dieser öffentlichen Ordnung sein. Aus diesem Grund werden die Beurteilungsmaßstäbe heute entscheidend vom Grundgesetz geprägt. Frühere Anschauungen über die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung müssen daraufhin überprüft werden, ob sie sich im Einklang mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des GG befinden 73 . Politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen fallen so lange nicht in den Anwendungsbereich der Generalklausel, wie sie sich im Rahmen des Grundgesetzes halten. Übt jemand ein ihm zustehendes Grundrecht aus, so kann er damit nicht die öffentliche Ordnung verletzen. Deshalb darf die Polizei z. B. die Aufführung eines Films, die durch das Grundrecht der Kunstfreiheit in Art. 5 III GG gedeckt ist, nicht untersagen 74 . Eine Versammlung, die friedlich und ohne Waffen durchgeführt wird, ist nach Art. 8 I GG ohne Erlaubnis gestattet; sie verstößt nicht gegen die öffentliche Ordnung 75 . Zu prüfen bleibt freilich stets, wieweit sich der Wirkungsbereich des jeweils in Anspruch genommenen Grundrechts erstreckt. Es kann nämlich sein, daß dieser Bereich seinerseits unmittelbar oder mittelbar durch die Schutzobjekte der polizeilichen Generalklausel beschränkt wird. Die Rechtslage ist insoweit bei den einzelnen Grundrechten sehr verschieden. Sie hängt davon ab, inwieweit das GG eine Einschränkung des betreffenden Grundrechts zuläßt 76 . In jedem Fall gilt, daß die Polizei die für die öffentliche Ordnung maßgeblichen Wertvorstellungen nicht selbst bilden, also nicht eigene Maßstäbe entwickeln darf, sondern sie rein kognitiv festzustellen hat. Sie muß empirisch erforschen, welches die in der Gemeinschaft herrschenden Vorstellungen sind. Eine völlige Einhelligkeit wird sich dabei regelmäßig nicht ergeben. Es genügt deshalb, wenn die betreffenden Anschauungen von der überwiegenden Mehrheit getragen werden. Ist dagegen eine bestimmte Frage so umstritten, daß sich nicht einmal eine deutlich überwiegende Mehrheit für eine Auffassung ermitteln läßt, dann muß es bei dem non liquet bleiben. Eine von der Polizei durchzusetzende Anforderung der öffentlichen Ordnung besteht dann insoweit nicht.

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schauung zumutbare Maß überschreitet; hierzu auch OVG Münster NVwZ 1983, 102; ferner OVG Lüneburg NJW 1974, 820f.: Bordellbetrieb verstößt gegen die öffentliche Ordnung; s. a. BVerwG NJW 1982, 664f.: Sittenwidrigkeit von Peep72a Shows. Vgl. VGH Kassel NJW 1984, 1368ff. Insoweit zutreffend Denninger, a. a. O., S. 7 ff. BVerwGE 1, 303 („Sünderin"-Fall). Zum Verhältnis von Versammlungsfreiheit und Polizei s. überzeugend H. H. Klein, DVB1. 1971, 233 ff. (240 - 242) mit Nachweisen zum Streitstand. Zur Grenzziehung zwischen Grundrechtsschutz und Anforderungen der öffentlichen Ordnung s. näher die 5. Aufl. dieses Beitrags, S. 185 ff.

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d) Polizeiliche Gefahr: Jedes Einschreiten auf Grund der Generalklausel setzt voraus, daß der Allgemeinheit oder dem einzelnen eine Gefahr droht. Damit wird der Begriff der Gefahr zu einem der Zentralbegriffe des Polizeiund Ordnungsrechts. aa) Gefahrenbegriff1: Die klassische Formulierung des preuß. OVG, die noch heute als maßgeblich gilt, definiert die Gefahr als eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf erkennbar zu einem Schaden, d. h. zur Minderung eines tatsächlich vorhandenen normalen Bestandes an Lebensgütern durch von außen kommende Einflüsse führen würde78. Die Feststellung einer Gefahr erfordert damit stets die Prognose eines zukünftigen (hypothetischen) Geschehensablaufs. Diese Prognose muß sich eines objektiven Maßstabs bedienen 79 . Subjektive Befürchtungen besonders ängstlicher Betrachter rechtfertigen kein polizeiliches Einschreiten. Von einem Schaden kann erst gesprochen werden, wenn die zu erwartende Beeinträchtigung einen bestimmten Intensitätsgrad erreicht. Bloße Belästigungen, die hinter diesem Intensitätsgrad zurückbleiben, müssen hingenommen werden80. Auch sie können aber, je nach Lage des Falles, als Schaden gewertet werden, wenn sie gehäuft auftreten 81 . Unter den heutigen Gegebenheiten des Zusammenlebens zahlloser Menschen auf engem Raum lassen sich vielfach Beeinträchtigungen nicht oder nur schwer vermeiden. Würde man die maßgebliche Intensitätsschwelle zu niedrig ansetzen, dann müßten Betätigungsweisen als Gefahren qualifiziert werden, auf die die moderne Gesellschaft nicht verzichten kann (Straßenverkehr, industrielle Produktionen). Würde man sie umgekehrt zu sehr nach oben verschieben, dann könnte das Gemeinschaftsleben zur technisch perfektionierten Hölle werden. Die Abgrenzung zwischen dem Bereich des von der Polizei zu verhütenden Schadens und der polizeilich irrelevanten bloßen Belästigung erfordert damit stets ein Werturteil, bei dem die konkurrierenden Lebensgüter und Interessen gegeneinander abgewogen werden müssen. Abstrakte Formeln, wie man sie vielfach findet, können dabei nur wenig helfen. Das Ergebnis der Abwägung kann nach Zeit und Ort verschieden sein. Ein bestimmter Lärmpegel, der tagsüber als bloße Belästigung geduldet werden muß, kann während der Zeit der Nachtruhe zu einer Gesundheitsgefahr füh77

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Zum Begriff der polizeilichen „Gefahr" s. VG Münster NVwZ 1983, 238f.; VGH Kassel NJW 1984, 1368ff.; O.Schneider, DVB1. 1980, 406ff.; Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (213-14). PrOVG 77, 333 (338); OVG Lüneburg, OVGE 10, 341 (342); OVG Münster, OVGE 14, 69ff. (73); BVerwG NJW 1970, 1890ff. (1892); ähnlich BVerwGE 45, 51 (57); OLG Karlsruhe DVB1. 1977, 968; vgl. auch VGH Mannheim NJW 1984, 507ff. (509). Vgl. BVerwGE 45, 51 (57): „bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens". PrOVG 95, 141 (LS, 143); OLG Karlsruhe NJW 1978, 1637f.; VGH Kassel NJW 1984, 1368 f. (1369). Vgl. OLG Karlsruhe NJW 1978, 1637f. (betr. wildes Plakatieren).

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ren. Gerüche, die in ländlichen Verhältnissen normal sind, erweisen sich in der Stadt möglicherweise als Gefahrenquellen 82 . Die definitorische Einschränkung, daß die Beeinträchtigung einem tatsächlich vorhandenen Bestand an Lebensgütern drohen muß, ergibt sich aus dem Verbot der sog. Wohlfahrtspflege. Die Polizei ist dazu berufen, das Vorhandene zu sichern, nicht aber den bestehenden Zustand in Richtung auf eine Verbesserung der Verhältnisse zu ändern. Polizeilich geschützt ist nur der normale Bestand an Lebensgütern. Deshalb bedeutet eine Beeinträchtigung dann keine Gefahr, wenn sie lediglich infolge einer außergewöhnlichen Disposition (etwa einer besonderen Empfindlichkeit) der Betroffenen zu einem Schaden führen kann. Hundegebell, das in einer Wohngegend von normal Empfindlichen allenfalls als Belästigung empfunden wird, kann nicht deshalb untersagt werden, weil es einen einzelnen Schwerkranken ernstlich in seiner Gesundheit gefährdet; anders wäre u. U. bei Hundegebell in einem Klinikviertel zu entscheiden. Da es sich um die Abwehr drohender, d. h. noch bevorstehender Gefahren handelt, wird vielfach keine über jeden Zweifel erhabene Aussage über den Schadenseintritt möglich sein. Ob eine Hausruine Lebensgefahren herbeiführt, läßt sich mit völliger Gewißheit erst feststellen, wenn sie bereits eingestürzt ist und einen Passanten erschlagen hat. Daher genügt es für die Annahme einer bevorstehenden Gefahr, daß nach der Lebenserfahrung die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, der Schaden werde ohne Eingreifen der Polizei eintreten83. Eine absolute Gewißheit ist nicht erforderlich. Der Grad an Wahrscheinlichkeit, der im Einzelfall gefordert werden muß, um ein Einschreiten zu rechtfertigen, hängt von der Bedeutung des jeweiligen Schutzgutes und vom Umfang des befürchteten Schadens ab84. Die Feststellung der im Einzelfall für das Einschreiten „hinreichenden" Wahrscheinlichkeit ist insofern kein reiner Erkenntnisakt. Sie schließt vielmehr eine wertende Abwägung auf der Grundlage des rechtsstaatlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit ein. Ist das Schutzgut besonders bedeutsam oder der möglicherweise eintretende Schaden sehr groß, dann können an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nur entsprechend geringere Anforderungen gestellt werden 85 . In den Fällen, in denen das Gesetz für bestimmte Eingriffe (Maßnahmen gegen Nichtstörer im polizeilichen Notstand, polizeilicher Gewahrsam u. a.) eine „gegenwärtige" oder eine „unmittelbar bevorste82

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Vgl. den sog. Schweinemäster-Fall: OVG Münster, OVGE 11, 250ff. = DÖV 1957, 870f. = DVB1. 1957, 867. - Zur Belästigung durch Dünste oder Rauch s. PrOVG 18, 303; VGH Kassel DÖV 1950, 376; BVerwG DVB1. 1969, 586; zum nächtlichen Hundegebell s. PrOVG 88, 209 (212). PrOVG 87, 301 (310); BGH DVB1. 1954, 813; OVG Saarlouis DÖV 1973, 863ff. (864); VGH München NJW 1979, 2631; OVG Münster NJW 1980, 956. OVG Lüneburg DVB1. 1977, 347ff. (351); vgl. auch VG Berlin NJW 1983, 1014f. (1015); VGH Mannheim NJW 1984, 507ff. (509) m. weit. Nachw. BVerwG NJW 1970, 1890ff. (1892); BVerwGE 47, 31 (40); BVerwG NJW 1981, 1915.

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hende" Gefahr voraussetzt, sind dagegen regelmäßig strengere Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad zu stellen, zumal die geforderte zeitliche Nähe der Gefahr normalerweise auch die Sicherheit der Prognose erhöhen wird 86 . Für die Ermittlung der Gefahr kommt es auf die Beurteilung ex ante, also im Zeitpunkt des polizeilichen Handelns, an87. War damals der Schaden wahrscheinlich, dann ist die Bejahung der Gefahr rechtmäßig, auch wenn der weitere Verlauf die Prognose als unrichtig erweisen sollte88. Die so charakterisierte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muß objektiv vorliegen. Die Rechtfertigung zum Eingreifen ergibt sich also nicht aus der subjektiven Überzeugung des handelnden Beamten, sondern aus der objektiv gegebenen Lage. — In der Praxis begegnen allerdings oftmals Situationen, in denen tatsächliche Umstände auf das Vorliegen einer Gefahr hindeuten, ohne daß aber sofort eindeutig Klarheit geschaffen werden kann (Anscheinsgefahr, Putativgefahr). Hier wird der objektiv verifizierbare Anschein der Gefahr als selbständige Störung i. S. des Polizeirechts angesehen89. Es handelt sich um eine Hilfskonstruktion, die verhindern soll, daß die Polizei den Ereignissen so lange tatenlos zusehen muß, bis es für die Abwendung des Schadens zu spät ist. Die Polizei darf demnach einen dem objektiven Anschein nach gefahrbringenden Kausalverlauf so lange unterbrechen, bis sie in der Lage ist, sich Klarheit über das tatsächliche Vorhandensein einer Gefahr zu verschaffen 90 . Ein Einschreiten wäre dagegen rechtswidrig, wenn der handelnde Beamte sich den Anschein der Gefahr lediglich subjektiv eingebildet hätte, ohne daß entsprechende objektive Verdachtsmomente gegeben gewesen wären91. bb) Latente Gefahr92: Gefahren sind stets situationsbedingt. Sie realisieren sich vielfach erst dann, wenn mehrere Handlungen oder mehrere Zustände 86

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BVerwGE 45, 51 (58); OVG Saarlouis DÖV 1973, 863ff. (864). - S. a. OVG Münster DVB1. 1982, 653 f. (654): Der Verdacht einer Gefahr rechtfertigt die Sicherstellung von Sachen; krit. hierzu: Schwabe, DVB1. 1982, 655ff.; Riegel, DVB1. 1982, 1066 ff. BVerwG DVB1. 1975, 888 ff. (889): „nach den Verhältnissen und dem Erkenntnisstand zur Zeit ihres Erlasses". OVG Münster NJW 1980, 956; s. a. BGH DVB1. 1954, 813. BVerwGE 45, 51 (58); BVerwG DVB1. 1975, 888ff. (889); näher dazu HoffmannRiem, in: Fs. f. Wacke, S. 327ff.; vgl auch VG Würzburg NJW 1980, 2541 ff. (2542); OVG Münster DVB1. 1982, 653 f. (654); OVG Lüneburg NJW 1984, 192 ff. (193). PrOVG 77, 333 (339); VGH Baden-Württ. DVB1. 1970, 511 ff. (514); vgl. auch BGHZ 5, 144 (LS 1, 149); teilweise abweichend Ule /Rasch, a. a. O., § 1 ME Rdnr. 28, 29. - Nach OVG Münster NJW 1980, 138, kann eine Anscheinsgefahr auch die polizeiliche Ingewahrsamnahme rechtfertigen. Zumindest in der Formulierung zu weit OVG Berlin DÖV 1974, 27 ff. (28): „die Polizei konnte davon ausgehen, d a ß . . . " ; vgl. auch Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (213-14). Zum folgenden Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (716-719); Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, S. 252ff.; Schenke,

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von Sachen zusammentreffen. Eine bestimmte, zunächst völlig ungefährliche Situation kann später beim Hinzutreten weiterer Umstände plötzlich zu einer Gefahr werden. Vor allem können Veränderungen in der Umwelt bewirken, daß eine bisher ungefährliche Sache — die ihrerseits unverändert bleibt — sich nunmehr als Gefahrenherd erweist: Ein bebautes oder bepflanztes Grundstück wird durch die Verstärkung des Verkehrs auf der benachbarten Straße zu einem Verkehrshindernis 93 . Eine Schweinemästerei, die ursprünglich im freien Gelände lag, beeinträchtigt die Bewohner der nachträglich bebauten Nachbargrundstücke 94 . Man spricht hier von einer „latenten Gefahr", die sich erst später aktualisiere. Problematisch ist dabei stets, ob der Eigentümer der ursprünglich ungefährlichen Sache wegen der später aktuell gewordenen Gefahr polizeirechtlich in Anspruch genommen werden kann. Die Rechtsprechung hat das im ersten Beispielsfall verneint; sie hat dagegen die Verantwortlichkeit des Inhabers der Schweinemästerei bejaht 95 . Die einschlägigen Entscheidungen können vielfach zumindest in der Begründung nicht überzeugen. Sie versuchen, der Problematik mit rein begrifflichen Argumenten oder mit Erwägungen über die Verursachung der Gefahr gerecht zu werden. Diese Betrachtungsweise führt jedoch nicht zu sachgerechten Ergebnissen96. In sämtlichen in Betracht kommenden Fällen besteht eine objektive Unverträglichkeit zwischen mehreren benachbarten Sachen und ihrer Nutzung. Keine von ihnen würde, isoliert gedacht, als gefährlich angesehen werden können. Die Gefahr resultiert erst aus ihrem Nebeneinander. Jede von ihnen würde, dächte man sie hinweg, die Gefahr verschwinden lassen. Man kann unter diesen Umständen nicht behaupten, nur eine einzelne der beteiligten Sachen „verwirkliche" die Gefahr und sei deshalb polizeiwidrig97. Es kommt vielmehr jeweils darauf an, welche rechtlichen Grenzen der Nutzung den beteiligten Sachen im Verhältnis zu den Nachbarn gezogen sind. Dabei kann sich im Einzelfall ergeben, daß der Zustand derjenigen Sache als polizeiwidrig zu bewerten ist, von der aktive Einwirkungen (Gerüche, Geräusche, Funkenflug) auf ihre Umwelt ausgehen (Grundsatz der Störungsneutrali-

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JuS 1977, 789ff.; Sendler, WiVerw 1977, 94ff; Fröhler / Kormann, GewArch. 1978, 245ff.; Lutz, Eigentumsschutz bei „störender" Nutzung gewerblicher Anlagen, 1983; Pietzcker, DVB1. 1984, 457ff. (463-64). OVG Lüneburg OVGE 14, 396 (401 ff.); 17, 447 (451 f.); s. dazu K. Vogel, JuS 1961, 91 ff. OVG Münster OVGE 11, 250ff.; dazu Menger, VerwA 50 (1959), S. 77ff. (85 - 86); Quaritsch, DVB1. 1959, 455ff.; Schnur, DVB1. 1962, 1 ff. (5 - 7). Wie OVG Münster jetzt auch VGH Kassel, BRS 20, 284ff. (285 - 286). Krit. z. B. Ule/Rasch, a. a. O., § 5 ME Rdnr. 17. S. näher Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (716-17). So aber das OVG Münster im Schweinemästerfall, OVGE 11, 250.

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tät)98 oder die zuletzt verändert worden ist und damit das bisherige Umweltgleichgewicht verschoben hat (Grundsatz der Prioritätf9. Es sind aber, je nach der konkreten Wertungslage, auch umgekehrte Entscheidungen möglich100. Der Sache nach handelt es sich meist um die Korrektur von Planungsfehlern, für die das Polizeirecht nur bedingt tauglich ist. Eine befriedigende Lösung kann nur vorbeugend durch entsprechende Planungsmaßnahmen erfolgen, die bereits die Entstehung der Störungslage verhindern 101 . e) Anwendung der Generalklausel: Um die Generalklausel auf einen bestimmten Fall anwenden zu können, müssen wir uns Klarheit über ihre rechtliche Konstruktion und das Zusammenspiel ihrer einzelnen Elemente verschaffen. Das wird durch eine sprachliche Umformulierung erleichtert: „ Wenn der Allgemeinheit oder einem einzelnen Gefahren drohen und dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird, dann haben die Polizeibehörden im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen." Bei dieser Formulierung heben sich die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen deutlich von der Rechtsfolgebestimmung ab. aa) Der Tatbestand erfordert, daß die Allgemeinheit oder ein einzelner einer Gefahr (oben I. 1 d) ausgesetzt ist und daß dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (oben I. 1 c) bedroht wird. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Einzelfall vom Verwaltungsgericht voll nachzuprüfen 102 . Ein Beurteilungsspielraum steht der Polizei insoweit nicht zu. bb) Die Rechtsfolge wird dagegen vom Gesetz in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt: Sie hat „nach pflichtgemäßem Ermessen" vorzugehen. Es gilt hier also das Opportunitätsprinzip103, nicht das Legalitätsprinzip. Die Grenzen des polizeilichen Ermessens104 bestimmen sich nach den Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Dazu gehört insbesondere die Regel, daß von jeglicher Ermessensermächtigung nur entsprechend ihrem Zweck Gebrauch gemacht werden darf. Die Polizei darf ihr Ermessen deshalb nur aus polizeilichen Gründen, also unter dem Blickwinkel der Erfor98

Vgl. z. B. BVerwG DVB1. 1971, 751 ff. (Fall der Fischgroßhandlung im Wohngebiet); OVG Münster OVGE 11, 250 (Schweinemäster-Fall); hinsichtlich privatrechtlicher Abwehransprüche in dieser Situation s. BGHZ 67, 252. 99 OVG Lüneburg OVGE 14, 396 (Tankstellenfall) und OVGE 17, 447 (Heckenfall). 100 S. etwa PrOVG 65, 369 (Eisenbahnfall): polizeiwidrig ist nicht der Betrieb der funkensprühenden Eisenbahn, sondern der Zustand des durch Funkenflug gefährdeten, schon vor Errichtung der Eisenbahnanlage vorhandenen Hauses. Vgl. ferner den Friedhofsfall: OVG Münster, Urt. v. 30. 5. 1952 (wiedergegeben bei Wacke, DÖV i960, 93ff., 95). 101 Zum vorbeugenden Rechtsschutz des „latenten Störers" s. näher Fröhler, WiVerw 1977, 114ff. Krit. Lutz, a. a. O., S. 19ff. 102 Ygj ,jj e Nachweise oben Anm. 67. 103 Dazu Ossenbühl, DÖV 1976, 463 ff. 104 Schmatz, Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht, 1966; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Bd. I, S. 135 - 72.

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dernisse der Gefahrenabwehr, ausüben 105 . Es gilt das Gebot der Verfolgung „polizeilicher Motive". Das Ermessen erstreckt sich zunächst auf die Frage, ob im Einzelfall überhaupt eingeschritten werden soll oder nicht. Unter Umständen kann ein Einschreiten unterbleiben, um die Entstehung anderweitiger schwerer wiegender Polizeigefahren oder Mißstände zu verhindern 106 . Die polizeiliche Aufgabe würde jedoch verfehlt und der Ermessensrahmen eindeutig überschritten, wenn man dazu überginge, aus Gründen politischer Opportunität erhebliche Rechtsbrüche systematisch zu tolerieren. Hat die Polizei sich im Rahmen ihres Ermessens einmal zum Eingreifen entschlossen, dann taucht die weitere Frage auf, wie sie vorgehen soll. Dabei ist sie nicht in gleicher Weise frei wie bei der Entscheidung über das „Ob". Die Generalklausel gestattet ihr nämlich nur die Anwendung „notwendiger Maßnahmen". Die Notwendigkeit muß jeweils nach den Umständen des konkreten Falles ermittelt werden 107 . Notwendig ist eine Maßnahme insbesondere dann nicht, wenn sie objektiv untauglich ist, um den erstrebten Erfolg herbeizuführen 108 , ferner wenn sie etwas tatsächlich oder rechtlich Unmögliches verlangt 109 . In unmittelbarem Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Maßnahme stehen zwei rechtsstaatliche Anforderungen, die in den neueren Polizeigesetzen noch einmal ausdrücklich bekräftigt worden sind: die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des geringstmöglichen Eingriffs. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf eine Maßnahme nicht zu einem Schaden führen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht110. Bei der hier gebotenen Abwägung sind u. a. die Bedeutung des jeweils bedrohten Schutzguts, die Schwere des drohenden Schadens und der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu berücksichtigen 111 . Unter Umständen kann hier auch der Grad des Verschuldens eine Rolle spielen, das 105

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VGH Stuttgart VerwRspr. 9, 749 (LS 4, 753); etwas weitgehend OVG Münster, VerwRspr. 20, 170 (LS 2, 173). Zum Ermessen beim Einschreiten gegen rechtswidrige Demonstrationen s. LG Hannover DVB1. 1970, 520ff.; OLG Celle DÖV 1972, 243 ff. (244). Vgl. OVG Lüneburg NJW 1974, 820f.; OVG Münster, OVGE 8, 320; OVG Münster GewArch. 1971, 92; zur Ausübung des polizeilichen Ermessens bei der Entscheidung über die Räumung eines widerrechtlich besetzten Hauses s. VG Berlin NJW 1981, 1748f; vgl. hierzu auch Schlink, NVwZ 1982, 529ff. (532f.). Es handelt sich hier um eine Rechts-, nicht eine bloße Ermessensfrage; s. dazu BVerwGE 30, 313; VGH Mannheim DVB1. 1970, 511 ff. (513). OVG Lüneburg DVB1. 1957, 275 (276) = OVGE 11, 360 (363). Vgl. PrOVG 24, 384 (385); VGH Kassel BRS 17, 262; OVG Bremen BRS 18, 239f. (240). Z. B. § 5 II bad.-württ. PG; § 8 II berl. ASOG; § 15 II nordrh.-westf. OBG; § 5 S. 2 hess. SOG; § 2 II rheinl.-pfälz. PVG. Dazu BVerwGE 39, 190 (195); OVG Münster NJW 1980, 2210f.; eingehend Riegel, BayVBl. 1980, 581 ff. BVerwG DVB1. 1974, 297ff. (300); OVG Münster NJW 1980, 2210f. (2211).

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den Polizeipflichtigen an der Entstehung der Gefahr trifft 112 , obwohl die Störerhaftung als solche nicht vom Verschulden abhängt. Das Erfordernis des geringstmöglichen Eingriffs verlangt, daß unter verschiedenen an sich tauglichen Maßnahmen nur diejenigen angewandt werden dürfen, die den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen 113 . Beide Grundsätze stehen nicht alternativ, sondern kumulativ nebeneinander. Sie sind also gleichzeitig zu beachten. Wenn im Einzelfall eine Maßnahme, die den geringstmöglichen Eingriff zur Beseitigung der Gefahr darstellt, immer noch zu einem unverhältnismäßigen Schaden führen, also gegen das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, dann muß die Polizei in diesem Fall überhaupt untätig bleiben. Bleiben nach Beachtung der Erfordernisse von Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und geringstmöglichem Eingriff mehrere rechtlich zulässige Maßnahmen übrig, dann kann die Polizei unter diesen nach pflichtgemäßem Ermessen wählen" 4 . Sie hat jedoch dem Betroffenen auf Antrag zu gestatten, ein von ihm angebotenes anderes Mittel anzuwenden, durch das die Gefahr ebenso wirksam abgewehrt werden kann 115 . cc) Die Fallprüfung vollzieht sich also folgendermaßen 116 : 1. Vorliegen einer Gefahr und Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (gerichtlich nachprüfbare Rechtsanwendung), 2. Entscheidung, ob eingeschritten werden soll oder nicht (Ermessensfrage), 3. Bestimmung der notwendigen Mittel (Rechtsanwendung), 4. Auswahl unter mehreren in Betracht kommenden notwendigen Mitteln (Ermessensfrage), 5. Prüfung, ob ein vom Betroffenen angebotenes anderweitiges Mittel ebenso geeignet ist (Rechtsanwendung). f ) Pflicht der Polizei zum Einschreiten und Rechtsanspruch des Bürgers auf Einschreiten: Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen kann sich der Ermessensspielraum einer Behörde im Einzelfall soweit verengen, daß nur eine einzige Entscheidung den Erfordernissen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung genügt (sog. Ermessensreduzierung auf Null). In diesem Falle ist die Behörde positiv verpflichtet, in dem bestimmten Sinne vorzugehen. Jedes andere Verhalten wäre rechtswidrig. Derartige Situationen kommen im Polizeirecht nicht selten vor. Wenn Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum eines Bürgers oder wenn das Funktionieren öffentlicher Einrichtungen unmittelbar durch schwere Gefahren bedroht sind und wenn die Polizei in der Lage ist, diesen Gefahren ohne Vernachlässigung anderer gleichgewichtiger Schutzgüter zu begegnen, dann wird 112 113 114 115

Vgl. OVG Münster DVB1. 1975, 588 f. (589). Z. B. § 3 II ME PolG; § 5 I bad.-württ. PG; § 8 I berl. ASOG; § 2 I nordrh.-westf. PolG; § 15 I nordrh.-westf. OBG; § 5 S. 1 hess. SOG; § 4 I nieders. SOG. OVG Münster NJW 1980, 2210f. (2211). § 9 II 2 berl. ASOG; § 3 II nordrh.-westf. PolG; § 21 nordrh.-westf. OBG; § 8 S. 2 hess. SOG; § 3 II rhein.-pfälz. PVG; eingehend dazu Grupp, VerwA 69 (1978), S. 125 ff. 116 Dazu s. auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 137.

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regelmäßig nur der Entschluß zum Einschreiten als pflichtmäßige Betätigung des Ermessens angesehen werden. Andernfalls würde die Polizei die auch vom BVerfG anerkannte „Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen"117, grob vernachlässigen. Die Polizei ist deshalb rechtlich verpflichtet, die Gefahr abzuwenden 118 . Das muß insbesondere dann gelten, wenn die Bürger, die durch die polizeiwidrigen Vorgänge bzw. Zustände in ihren Rechtsgütern bedroht sind, aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht über die Möglichkeit einer Selbsthilfe verfügen. Die Feststellung einer polizeilichen Pflicht zum Einschreiten bedeutet nun allerdings nicht ohne weiteres, daß die betroffenen Bürger zugleich ein subjektiv-öffentliches Recht und damit einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen die Polizei auf Tätigwerden zu ihrem Schutz besitzen; denn nicht jeder öffentlich-rechtlichen Pflicht einer Behörde korrespondiert ein Anspruch desjenigen, der von ihrer Erfüllung Vorteile hat. Ein Anspruch ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die pflichtbegründende Rechtsnorm nicht lediglich öffentlichen Interessen, sondern (zumindest gleichzeitig auch) den persönlichen Interessen der Betroffenen zu dienen bestimmt ist119. Insoweit mußten im Polizeirecht zunächst gewichtige Zweifel überwunden werden: Nach dem traditionellen Wortlaut der Generalklausel hat die Polizei (nur) die Gefahren abzuwehren, durch die die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung" bedroht wird. Einzelne Landesgesetze sagen überdies ausdrücklich, die Polizei habe einzuschreiten, „soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist"120. Das scheint die Folgerung nahezulegen, daß nach der Konzeption des Gesetzes die Rechtspflichten der Polizei nicht den persönlichen Interessen einzelner Bürger dienen sollen und daß demnach kein Rechtsanspruch auf ihre Erfüllung gegeben ist. Gleichwohl erkannten die Zivilgerichte schon seit längerer Zeit Amtshaftungsansprüche zu, wenn jemand infolge pflichtwidriger Untätigkeit der Polizei geschädigt worden war121. Sie unterstellten dabei ohne weiteres, daß den betreffenden Beamten gegenüber den Geschädigten eine Amtspflicht zum Tätigwerden obliege. Das BVerwG hat erstmals in einem Urteil aus dem Jahre i960122 — mehr beiläufig und ohne auf die Tragweite dieser Feststellung hinzuweisen — den Standpunkt vertreten, der Bürger könne im Einzelfall einen strikten Rechtsanspruch auf polizeiliches Einschreiten besitzen123. Inzwischen hat sich die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und 117 118

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BVerfGE 46, 214 (223) S. z. B. BVerwGE 11, 95 (97); BGH VerwRspr. 5, 319ff. (320); BGH DVB1. 1953, 676; BGH VRS 7, S. 87ff.; OVG Münster BRS 18, 254f.; R. Krüger, Privatrechtsschutz als Polizeiaufgabe, 1976. Vgl. OVG Münster NVwZ 1983, 101, hinsichtl. der Grenzen der Polizeipflicht zum Einschreiten bei Verkehrslärmbelästigung. S. § 1 I 1 bad.-württ. PG. 121 S. die BGH-Entscheidungen in Fn. 133. BVerwGE 11,95; bestätigt durch BVerwGE 37, 112 (113). Dazu die Urteils-Anm. von Bachof, DVB1. 1961, 128 ff.

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Schrifttum dieser Ansicht angeschlossen124. Sie findet eine gewisse Bestätigung darin, daß einige neuere Polizeigesetze in Übereinstimmung mit dem Musterentwurf den Schutz privater Rechte insoweit zum Aufgabenbereich der Polizei zählen, als gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde125. Heute gilt als gesicherte Rechtsauffassung, daß ein Anspruch auf polizeiliches Einschreiten bestehen kann, sofern die Gefahrenabwehr im konkreten Fall zugleich die Individualbelange eines einzelnen Bürgers schützt. Der Anspruch setzt im Einzelfall voraus, daß das Ermessen der zuständigen Behörde unter den gegebenen Umständen „auf Null reduziert" ist126. Ein solcher Anspruch kann allerdings stets nur dem Gestörten, nicht dem Störer selbst zustehen. Die Fürsorge für den Störer überschreitet - mag sie auch im Einzelfall sozialstaatlich motiviert sein - den Funktionsbereich der Polizei127. Aus einer isolierten Betrachtung der Generalklausel läßt sich dieser Anspruch allerdings schwerlich herleiten. Man muß zu seiner Begründung vielmehr auf das vom GG geprägte Verhältnis zwischen Staat und Bürger zurückgreifen. Der Bürger ist danach kein bloßes Objekt staatlicher Fürsorge, sondern zumindest insoweit, wie seine vitalen Belange in Frage stehen, Träger subjektiver Rechte gegen den Staat128. Insoweit hat er auch einen Anspruch darauf, daß die Polizei zum Schutz seiner Lebensgüter eingreift129. Dabei ist aber das polizeirechtliche Subsidiaritätsprinzip besonders ernst zu nehmen. Solange der Bürger sich auf andere Weise, insbesondere durch Anrufung der Gerichte, selbst helfen kann, braucht die Polizei ihn nicht zu schützen130. Es ist nicht ihre Aufgabe, ihm das Risiko eines Rechtsstreits gegen den Beeinträchtiger abzunehmen. 124

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OVG Münster DVB1. 1967, 546ff.; OVG Lüneburg DVB1. 1976, 719f.; OVG Berlin NJW 1980, 2484f.; VG Bremen DVB1. 1976, 720f.; Henke, DVB1. 1964, 649ff.; König, BayVBl. 1969, 45ff.; Erichsen, W D S t R L 35 (1977), S. 171 ff. (210 - 15); Wilke, in: Fs. f. H. U. Scupin, 1983, 831 ff.; W. Martens, DÖV 1982, 89ff. (97f.); u. a. Aus der ablehnenden älteren Rspr. s. z. B. OVG Münster OVGE 6, 43 (51). § 1 II ME PolG; § 2 II bad.-württ. PG; § 1 II brem. PolG; § 4 II berl. ASOG; § 3 hess. SOG; § 1 III nieders. SOG; § 1 II nordrh.-westf. PolG; § 1 II rheinl.-pfälz. PVG. Andernfalls fehlt es schon an der objektiven Rechtspflicht der Polizei zum Einschreiten, so daß die Frage eines Anspruchs von vornherein nicht auftreten kann; vgl. etwa VG Berlin DVB1. 1981, 785 f.; vgl. auch Götz, NVwZ 1984, 211ff. (216). Eingehend zu den Rechtsproblemen des polizeilichen Vorgehens bei Hausbesetzungen, Schlink, NVwZ 1982, 529ff.; Degenhart, JuS 1982, 330ff. Zum Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Bauordnungsbehörde vgl. OVG Münster NJW 1984, 883 ff. Abzulehnen deshalb OVG Berlin NJW 1980, 2484f. Dazu Bachof, VerfassungsR, VerwaltungsR, VerfahrensR, I, S. 283 f. Abweichender Begründungsansatz bei Erichsen, W D S t R L 35 (1977), S. 171 ff. (214-215). OVG Münster DVB1. 1967, 546ff. (547f.); vgl. auch VG Freiburg NJW 1979, 2060f.

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2. Polizeipflichtige Personen In zahlreichen Fällen kann die Polizei Gefahren nur dadurch abwenden bzw. bereits eingetretene Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nur dadurch beseitigen, daß sie bestimmten Personen Handlungs- oder Duldungspflichten auferlegt (z. B. dem Eigentümer einer Sache, die entweder den Gefahrenherd darstellt oder deren Inanspruchnahme zur Beseitigung der Gefahr unentbehrlich ist). In anderen Fällen wäre die Polizei zwar in der Lage, mit eigenen Mitteln oder durch Beauftragung von Hilfspersonen der Gefahr zu begegnen (z. B. ein den Verkehr auf öffentlicher Straße gefährdendes Hindernis beiseite zu räumen). Sie möchte aber die Aufwendung von Steuergeldern vermeiden und statt dessen einen Privaten zur Gefahrenabwehr heranziehen. Bei der zweiten Fallgruppe geht es also nur um die Frage der Lastenverteilung zwischen einem einzelnen und der Allgemeinheit der Steuerzahler, bei der ersten dagegen zugleich auch (oder möglicherweise ausschließlich) darum, der Polizei überhaupt erst eine Eingriffsmöglichkeit gegenüber demjenigen zu verschaffen, der die Gefahrensituation beherrscht. Der Gesetzgeber hat die Polizei- und Ordnungsbehörden ermächtigt, zur Erfüllung ihrer gefahrenabwehrenden Aufgaben in die Rechtssphäre von bestimmten Einzelpersonen einzugreifen. Dabei unterscheidet er den Eingriff gegen diejenigen, die aus besonderen Gründen für eine konkrete Gefahr verantwortlich 131 sind (polizeipflichtige Personen oder Störer), als Regelfall von dem nur ausnahmsweise, im sog. polizeilichen Notstand, zulässigen Eingriff gegen außenstehende Dritte. Der Störer hat den polizeilichen Eingriff zu dulden und die finanziellen Lasten der Gefahrenbeseitigung zu tragen. Ein Entschädigungsanspruch für die ihm zugemuteten Vermögenseinbußen steht ihm grundsätzlich nicht zu132. Polizeiliche Maßnahmen gegen ihn wirken nicht als Enteignung, sondern weisen ihn nach der h. M. lediglich in die Schranken seines Eigentums (Sozialbindung) zurück133. Demzufolge lösen sie — vorbehaltlich abweichender Regelungen in Sondergesetzen134 — keine Entschädigungspflicht aus135. Dagegen wird der im polizeilichen Notstand in Anspruch genommene Nichtstörer für sein Opfer entschädigt. 131

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Zur polizeilichen Verantwortlichkeit s. Vieth, Rechtsgrundlagen der Polizei- und Ordnungspflicht, 1974, S. 24 ff. BVerwG DVB1. 1965, 766ff. (767) u. DVB1. 1971, 751 (754); BGHZ 40, 355 (361); 45, 23 (25) mit weit. Nachw.; BGHZ 60, 126 = NJW 1973, 623 ff. (627). BGHZ 45, 23 (25); st. Rspr.; Quaritsch, DVB1. 1959, 455ff.; näher zur eigentumsrechtlichen Konzeption dieser Lehre Lutz, Eigentumsschutz bei „störender" Nutzung gewerblicher Anlagen, 1983, S. lOOff., 109ff. Vgl. etwa §49 Bundesseuchengesetz vom 18. Juli 1961, BGBl. I, S. 1012 u. 1300 i. d. F. vom 18. 12. 1979, BGBl. I, S. 2262; §§ 66ff. Tierseuchengesetz i. d. F. vom 28. 3. 1980, BGBl. I, S. 386; § 6 Reblausgesetz vom 6. Juli 1904, RGBl. S. 261. Dieser Grundsatz wird sich allerdings nur insoweit durchhalten lassen, als die Störerhaftung an Gefahren anknüpft, die in die Verantwortungssphäre des Eigentümers fallen (dazu unten II 2b). In dem Maße, in dem das Polizeirecht in Anspruch genommen wird, um Planungsfehler zu korrigieren oder um Gefahren aus

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Die polizeiliche Verantwortlichkeit (Polizeipflicht) des Störers136 kann entweder auf dem Verhalten von Personen oder auf dem Zustand von Sachen beruhen. Demgemäß unterscheiden wir die Verhaltenshaftung (Handlungshaftung) und die Zustandshaftung. a) Verhaltenshaftung: Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch das Verhalten von (natürlichen oder juristischen) Personen gestört oder gefährdet, so sind die zur Abwehr erforderlichen Maßnahmen gegen diejenigen Personen zu richten, die die Störung oder Gefahr verursacht haben 137 . Die Haftung der Betroffenen ergibt sich als Folge ihres eigenen Verhaltens. Dabei ist der Begriff des Verhaltens weit zu fassen. Er schließt nicht nur das positive Tun, sondern auch das Unterlassen ein, soweit dieses eine öffentlich-rechtliche Pflicht zu sicherheits- oder ordnungswahrendem Tun verletzt (sog. passiver Störer)138. Besteht eine solche Rechtspflicht dagegen nicht, dann ist die bloße Untätigkeit polizeirechtlich irrelevant. Es wird also niemand bereits dadurch zum Störer, daß er angesichts einer polizeilichen Gefahr nichts zur Abwehr unternimmt. aa) Die Verursachung: Die polizeiliche Verantwortlichkeit des Störers setzt weder einen Verstoß gegen außerpolizeiliche Rechtsnormen noch Schuldfähigkeit138a oder konkretes Verschulden voraus. Anknüpfungspunkt ist vielmehr allein die Verursachung der Gefahr bzw. der Störung. Die Störerhaftung bedeutet bloße Kausalhaftung139. Damit ergibt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Kausalität eines Verhaltens für einen Erfolg bestimmt werden soll. Diese Kriterien lassen sich nicht abstrakt-logisch, insbesondere nicht nach naturwissenschaftlichen Regeln, ermitteln. Da die Kausalität im Polizei- und Ordnungsrecht eine spezifidem Verantwortungsbereich der Allgemeinheit abzuwehren, läßt sich die generelle Entschädigungslosigkeit nicht mehr mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums begründen. Zur Kritik an der h. M. siehe bereits Schack, DVB1. 1956, 669 ff. (670 Fn. 9, S. 673 Fn. 48); Menger, VerwA 50 (1959), S. 83ff. (86); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, 1965, S. 230 —231. Eingehend zur Problematik Reiland, VerwA 66 (1975), S. 255ff. (insb. S. 267 - 277) und namentlich Lutz, a. a. O., insbes. S. 140ff., 195ff., 212ff. Auch das BVerwG räumt nunmehr die Möglichkeit ein, daß die Inanspruchnahme des Störers ausnahmsweise als Enteignung zu qualifizieren sein könne, DVB1. 1971, 751 ff. (753, unter 4b); vgl. auch BGH DVB1. 1974, 232 ff. (233 unter 3). 136 Vgl. die Problemübersicht bei von Mutius, Jura 1983, 298 ff. 137 § 4 ME PolG; § 6 I bad.-württ. PG; Art. 7 I bay. PAG; § 10 berl. ASOG; § 5 I brem. PolG; § 12 hess. SOG; § 6 I nieders. SOG; § 17 I nordrh.-westf. OBG; § 4 nordrh.westf. PolG; § 4 I rhein.-pfälz. PVG; § 19 I saarl. PVG; § 185 I schlesw.-holst. LVwG. 138 OVG Münster NJW 1979, 2266; vgl. auch PrOVG 55, 267 (270); OVG Münster DVB1. 1971, 828 ff. (829). 138aYgi. VGH München DÖV 1984, 433ff. (434). 139 OVG Münster DVB1. 1975, 588f. (589); Drews / Wacke / Vogel/ Martens, Bd. II, S. 186 ff.

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sehe Funktion, nämlich die Verknüpfung von Verhalten und Verantwortlichkeit des Störers zu erfüllen hat, sind ihre Maßstäbe entsprechend dieser polizeirechtlichen Funktion zu bestimmen 140 — ohne Rücksicht auf die Kausalitätslehren, die in anderen Rechtsgebieten angewandt werden141. Die im Zivilrecht herrschende Theorie der adäquaten Verursachung (Adäquanztheorie) wird auch für das Polizeirecht gelegentlich vertreten. Sie erkennt nur diejenigen Bedingungen eines Erfolges als im Rechtssinne kausal an, die nach der Lebenserfahrung vorhersehbarerweise generell geeignet sind, ihn herbeizuführen. Ganz außergewöhnliche Entwicklungen gelten dagegen als nicht kausal. Diese Theorie erfüllt die ihr gestellte Aufgabe, die zivilrechtliche Haftung in angemessener Weise zu begrenzen. Sie wird aber den Bedürfnissen des Polizeirechts nicht gerecht; denn hier müssen nicht selten gerade Ausnahmesituationen gemeistert und atypische, in ihrem Kausalverlauf nicht vorhersehbare Gefahren abgewehrt werden. Andererseits läßt sich aber auch die im Strafrecht angewandte reine Bedingungslehre (Äquivalenztheorie) nicht uneingeschränkt übernehmen. Nach ihr gelten sämtliche - selbst die entferntesten — Bedingungen als kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg entfiele. Da im Polizeirecht der haftungsbegrenzende Filter des Verschuldens fehlt, müßte sie zu unerträglichen Konsequenzen führen. Um einerseits auch den atypischen (nicht adäquat verursachten) Ausnahmelagen Rechnung zu tragen, andererseits aber die Haftung nicht ins Unendliche auszudehnen, wendet die h. L. für das Polizei- und Ordnungsrecht die Äquivalenztheorie zwar grundsätzlich an, versieht sie aber mit einem einschränkenden Kriterium: Eine Bedingung des Erfolgs (und zwar auch eine atypische, nicht adäquate) wird nur dann als Ursache im Sinne des Polizeirechts angesehen, wenn sie die Gefahr bzw. die Störung unmittelbar herbeigeführt hat (Theorie der unmittelbaren Verursachung)H1. Dabei ergibt sich die Unmittelbarkeit einer Bedingung nicht aus einer ontologischen Erkenntnis, sondern allein aus einer wertenden Beurteilung des betreffenden Vorgangs143. Das die Bedingung der Gefahr setzende Verhalten wird dann als unmittelbar kausal angesehen, wenn es seinerseits nicht polizeirechtlich neutral ist, sondern bereits für sich eine Polizeiwidrigkeit dar-

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Darstellung der verschiedenen Verursachungslehren des Polizeirechts bei Vieth, Rechtsgrundlagen der Polizei- und Ordnungspflicht, 1974, S. 33 ff. Vgl. zum Problem: Watermann, Die Ordnungsfunktion von Kausalität und Finalität im Recht, 1968; Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968; Lange, JZ 1976, 198ff.; zur Normorientierung der Kausalitätstheorien allgemein BVerwG NVwZ 1984, 41. OVG Münster VerwRspr. 5, 446; OVG Lüneburg VerwRspr. 9, 484 (487); VGH Mannheim VerwRspr. 20, 426; VGH Kassel BRS 22, 285 ff. ( 2 8 6 - 2 8 7 ) ; VGH München BayVBl. 1978, 340. Dazu eingehend Vollmuth, VerwA 68 (1977), S. 45 ff.

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stellt144 und deshalb die Gefahrengrenze überschreitet145. Die Bestimmung und Offenlegung der hier im einzelnen maßgeblichen Rechtswidrigkeits- und Risikokriterien gehört zu den schwierigsten, bisher nur äußerst unvollständig gelösten Aufgaben des heutigen Polizeirechts, dessen traditionelle - teilweise eher intuitiv gefundene - Kriterien der differenzierten Problemlage in einer hochtechnisierten Umwelt nicht immer mehr gerecht werden 146 . Im folgenden können nur einige Beispiele für eine wesentlich komplexere Problemlage angeführt werden: Eine Kurkapelle, die eine neutrale Melodie spielt, verhält sich ordnungsgemäß. Sie wird nicht dadurch zum Störer, daß Dritte zu dieser Melodie einen die öffentliche Ordnung störenden (rassenhetzerischen) Text singen, obwohl es ohne das Spielen der Melodie nicht zu dem Gesang gekommen wäre147. Kommt es aus Anlaß der Veranstaltung eines an sich polizeilich nicht zu beanstandenden Damenringkampfs zu Ausschreitungen der Zuschauer, dann können nur die Zuschauer, nicht dagegen die Veranstalter als Störer herangezogen werden, obwohl die Veranstalter zweifellos eine Ursache für die Ausschreitungen gesetzt haben 148 . Der Wohnungseigentümer, der seinem Mieter gekündigt hat, hat damit zwar eine notwendige Bedingung für dessen Obdachlosigkeit geschaffen. Er kann aber nicht als Störer angesehen werden, weil die Kündigung als solche nicht ordnungswidrig ist149. Allgemein gilt: Wer sich rechtmäßig verhält, wer lediglich die ihm von der Rechtsordnung zuerkannten Befugnisse ausübt, etwa sein Eigentum legal nutzt, kann nicht Störer sein. Störer ist deshalb z. B. nicht derjenige, der durch den — zulässigen — Abbruch seiner Giebelwand bewirkt, daß das Nachbarhaus baufällig wird150, oder der auf seinem Grundstück eine sichtbehindernde Hecke wachsen läßt151. Eine nur scheinbare Ausnahme vom Erfordernis der unmittelbaren Verursachung bilden die Fälle der sog. Zweckveranlassung: Jemand nimmt eine für sich betrachtet neutrale Handlung vor, um andere gezielt zu einem Verhalten zu veranlassen, durch das die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestört wird. Dann wird ihm das Verhalten dieser Dritten zugerechnet: Ein Ladeninhaber veranstaltet z. B. in seinem Schaufenster eine attraktive Modenschau; 144 145

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S. Ule/ Rasch, a. a. O., § 4 ME Rdnr. 15. Drews / Wacke / Vogel/ Martens, Bd. II, S. 192ff. S. auch die im Ergebnis weitgehend übereinstimmenden, in der Begründung allerdings z. T. abweichenden Auffassungen von Hurst, AöR 83 (1958), S. 43 ff. und Schnur, DVB1. 1962, 1 ff. Zur Störerbestimmung nach Pflichtwidrigkeit und Risikosphäre s. Pietzcker, DVB1. 1984, 457 ff. (insbes. 458, 460-462). PrOVG 80, 176(189). - Fall des Borkum-Liedes. VGH Karlsruhe NJW 1949, 919f.; Parallelfall aus dem Bereich des Versammlungsrechts: OVG Bremen DÖV 1972, 101 ff. (102). Vgl. aber auch Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (214-15). OVG Münster OVGE 14, 265 (267fT.). 150 Vgl. VGH Kassel MDR 1970, 791. OVG Lüneburg OVGE 17, 447.

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kommt es vor dem Fenster zu Verkehrsbehinderungen, dann ist er Störer, weil er mit den Vorführungen die Passanten gezielt zum Stehenbleiben veranlaßt hat152. Ebenso wäre im Fall des Borkum-Liedes die Musikkapelle als Störer anzusehen, wenn festgestellt würde, daß sie mit dem Spielen der Melodie bewußt den rassenhetzerischen Gesang provoziert hat. bb) Verantwortlichkeit für das Verhalten Dritter: Für das Verhalten von strafunmündigen (d. h. noch nicht 14 Jahre alten) Kindern sowie von wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigten oder unter vorläufige Vormundschaft gestellten Personen haften auch die Sorgepflichtigen (Eltern, Vormünder, Pfleger)153. Weiter haftet ein Geschäftsherr dafür, daß seine Verrichtungsgehilfen sich bei der Ausführung ihrer Verrichtung ordnungsgemäß verhalten 154 . Im Gegensatz zu § 831 BGB kann er sich nicht durch den Nachweis entlasten, daß er bei der Anstellung und Überwachung der Gehilfen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe. Diese Abweichung ist deshalb sachgerecht, weil es im Polizeirecht — anders als bei der Deliktshaftung nach §§ 823 ff. BGB — allgemein nicht auf Verschulden ankommt. Die Haftung des Geschäftsherrn tritt auch dann ein, wenn das konkrete Verhalten des Gehilfen seinem Willen und seinen richtig verstandenen Interessen widerspricht, solange es nur im generellen Rahmen des erteilten Auftrags — der ihm übertragenen Verrichtung — bleibt. Der Geschäftsherr kann sein Risiko deshalb nur dadurch begrenzen, daß er durch spezifische Einzelweisungen den Inhalt des Auftrags begrenzt155. Die Haftung des Sorgepflichtigen und des Geschäftsherrn tritt nicht an die Stelle der Haftung des Verursachers selbst, sondern kumulativ neben sie. Denn auch das unmündige Kind und der Geisteskranke sind polizeipflichtig1552. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen der Polizei zu entscheiden, an welche der nebeneinander haftenden Personen sie sich im Einzelfall halten will. b) Zustandshaftung: Die Zustandshaftung 156 tritt ein, wenn eine Gefahr oder eine Störung nicht vom Verhalten einer Person, sondern vom Zustand 152

Vgl. PrOVG 40, 216 (217); 87, 301 (308f.). § 4 II ME PolG; § 6 II bad.-württ. PG; (Grenze von 16 Jahren); Art. 7 II bay. PAG; § 10 II berl. ASOG; § 5 II brem. PolG; § 8 II hamb. SOG; § 13 I hess. SOG; § 6 II nieders. SOG; § 17 II nordrh.-westf. OBG; § 4 II rheinl.-pfälz. PVG; § 19 II saarl. PVG; § 185 II schlesw.-holst. LVwG. 154 § 4 III ME PolG; § 6 III bad.-württ. PG; Art.7 III bay. PAG; § 10 III berl. ASOG; § 5 III brem. PolG; § 8 III hamb. SOG; § 13 II hess. SOG; § 6 III nieders. SOG; § 17 III nordrh.-westf. OBG; § 4 III rheinl.-pfälz. PVG; § 19 III saarl. PVG; § 185 III schlesw.-holst. LVwG. - Vgl. OVG Münster NJW 1979, 2366. 155 Näher dazu OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (927-928). 155a Zum polizeilichen Einschreiten gegen einen Geisteskranken s. VGH München DÖV 1984, 433 ff. (434). 156 § 5 ME PolG; § 7 bad.-württ. PG; Art. 8 bay. PAG; § 11 berl. ASOG; § 6 brem. PolG; § 9 hamb. SOG; § 14 hess. SOG; § 7 nieders. SOG; § 18 nordrh.-westf. OBG; 153

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einer Sache (Grundstücke, bewegliche Sachen einschließlich Tiere) ausgeht. Als Zustand einer Sache gilt auch ihre „Lage im Raum" 157 . Die Zustandshaftung knüpft nicht an eine Verursachung der Gefahr an. Der polizeiwidrige Zustand der betreffenden Sache (etwa der ölverseuchte Zustand des einem Wasserwerk benachbarten Grundstücks) verursacht nicht die Gefahr, sondern er selbst bildet sie158. Kausalitätserwägungen haben in diesem Zusammenhang keinen Platz159. Die Verantwortlichkeit für den Zustand einer Sache trifft den Eigentümer60 und neben ihm den Inhaber der tatsächlichen Gewalt (z. B. den Pächter des Grundstücks) 161 . Entsprechend den schon früher in Bayern (Art. 10 PAG a. F.) und für den Bundesgrenzschutz (§ 14 BGSG) geltenden Regelungen stellen nunmehr der Musterentwurf und die ihm folgenden Landesgesetze die Verantwortlichkeit des Inhabers der tatsächlichen Gewalt in den Vordergrund und lassen die Haftung des Eigentümers erst in zweiter Linie eintreten162. Das hat für die Polizei den Vorteil, daß sie in Zweifelsfällen nicht gezwungen ist, langwierige Ermittlungen über die Eigentumsverhältnisse anzustellen, sondern ohne weiteres denjenigen in Anspruch nehmen kann, den sie im Besitz der Sache antrifft 163 . — Ausnahmsweise haftet der Gewalthaber allein anstelle des Eigentümers, wenn er die Gewalt gegen dessen Willen ausübt (Dieb, Zwangsmieter, Sequester usw.) oder wenn er auf besonderen Antrag von der zuständigen Behörde als allein verantwortlich anerkannt worden ist (ein Fall, der z. B. bei der Verpachtung eines Landguts oder eines gewerblichen Unternehmens vorkommt). aa) Anknüpfungspunkt für die Zustandshaftung des Eigentümers ist nicht das Eigentum als solches, sondern die regelmäßig mit ihm verbundene Verfü-

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§ 5 nordrh.-westf. PolG; § 5 rheinl.-pfälz. PVG; § 20 saarl. PVG; § 186 schlesw.holst. LVwG. Etwa bei verkehrsbehindernd abgestellten Kraftfahrzeugen; s. VGH München NJW 1979, 2631; zur Zulässigkeit von polizeilichen Abschleppmaßnahmen s. Knöll, DVB1. 1980, 1027ff.; Kottmann, DÖV 1983, 493ff. S. a. VGH Bad.-Württ. DVB1. 1983, 41 ff. (42): Der Eigentümer ist nicht Zustandshaftender, wenn sein Eigentum ohne sein Zutun als Mittel zur Gefährdung verwendet wird, aber nicht per se eine Quelle von Gefahren bildet. S. näher Friauf, DVB1. 1971, 713 ff. (716-717); vgl. auch OVG Münster NJW 1980,956. Die Überbürdung der Zustandshaftung auf den Eigentümer bildet eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums i. S. von Art. 1412 GG; vgl. BVerwG DVB1. 1972, 219ff. (220); Friauf, in: Fs. f. Wacke, S. 293ff. (297 - 300). Zum Begriff der tatsächlichen Gewalt s. namentlich OVG Münster DVB1. 1977, 257 = DÖV 1977, 532 und OVG Münster OVGE 32, 44. - Vgl. a. VGH Mannheim NVwZ 1983, 294f. zur Frage der polizeirechtlichen Verantwortlichkeit des Grundeigentümers für ölverschmutztes Grund- und Quellwasser, das auf seinem Grundstück zutage tritt. § 5 I ME PolG; § 6 I brem. PolG; § 7 I nieders. SOG; § 5 I nordrh.-westf. PolG; § 5 I rheinl.-pfälz. PVG. Vgl. auch die Begründung zu § 5 ME PolG, abgedruckt bei Heise / Riegel, a. a. O.

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gungsmacht, d. h. die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, auf die gefahrbringende Sache einzuwirken164. Das wird besonders an den Bestimmungen deutlich, die den Eigentümer bei einer Gewaltausübung gegen seinen Willen — Diebstahl, gerichtliche oder behördliche Beschlagnahme — von der Haftung freistellen. Die Polizeipflicht erstreckt sich deshalb nur soweit, wie die Verfügungsmacht reicht. Von einem einzelnen Miteigentümer oder Miterben allein kann keine Einwirkung auf die störende Sache (z. B. Ausbesserung eines einsturzgefährdeten Gebäudes) verlangt werden 165 , sofern nicht der Sonderfall der §§ 744 II, 2038 I S. 2 BGB vorliegt oder die übrigen Miteigentümer von sich aus der Maßnahme zustimmen. Der Widerstand der Miteigentümer usw. kann gegebenenfalls durch eine besondere polizeiliche Anordnung, die sog. Duldungsverfiigung, ausgeräumt werden166. Läßt sich die Störung dagegen durch Maßnahmen beheben, die das Miteigentum der anderen nicht beeinträchtigen, dann kann auch ein einzelner herangezogen werden 167 . Mit der Beendigung des Eigentums, insbesondere durch Veräußerung der Sache, endet die Zustandshaftung des bisherigen Eigentümers automatisch. Der Rechtsnachfolger ist, sofern die Gefahr im Augenblick des Eigentumsübergangs noch besteht, als neuer Eigentümer originär polizeipflichtig. Eine bereits gegen den Rechtsvorgänger ergangene Polizeiverfügung wirkt gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger (Erben), nicht aber gegenüber dem Einzelrechtsnachfolger 168 . Die Zustandshaftung erlischt nach der h. L. auch bei der Aufgabe des Eigentums im Wege der Dereliktion (§§ 928, 959 BGB). In zahlreichen Fällen wird das dem bisherigen Eigentümer allerdings deshalb nichts nützen, weil neben der Zustandshaftung zugleich eine Handlungshaftung besteht, die durch die Dereliktion nicht berührt wird: A hat seinen PKW zu Schrott gefahren. Er gibt das Eigentum an dem Wrack auf, um die Kosten des Wegräu164 165 166

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OVG Münster DVB1. 1970, 392f. (393); NJW 1980, 956; Götz, NVwZ 1984, 211 ff. (215). VGH München BayVBl. 1968, 252; PrOVG 58, 408 (412); 69, 401 (402). Eingehend OVG Saarlouis BRS 22, 297 ff. (298 - 301). - Allgemein zur Duldungsverfügung, die auch gegen Mieter, Pächter, Nießbraucher usw. in Betracht kommt, s. OVG Hamburg DVB1. 1957, 867ff. (870); OVG Bremen BRS 18, 239f. (240) mit weit. Nachw. Die Duldungsverfügung stützt sich auf die eigene Polizeipflicht des Betroffenen als Inhaber der tatsächlichen Gewalt. S. PrOVG 103, 189. Der Fragenkreis ist im einzelnen lebhaft umstritten. Vgl. eingehend Schenke, GewA 1976, lff.; Ossenbühl, NJW 1968, 1992ff.; Oldiges, JA 1978, 616ff.; Peine, DVB1. 1980, 941. Aus der Rechtsprechung BVerwG NJW 1971, 1624f.; OVG Münster DVB1. 1973, 226f. (227); VGH München BayVBl. 1970, 328f. (329) = DVB1. 1970, 983 Nr. 356 (zu dieser Entscheidung kritisch von Mutius, VerwA 62 [1971], S. 83ff.); VGH Kassel NJW 1976, 1910; VGH Mannheim NJW 1977, 861 (dazu H. Weber, JuS 1977, 479f.); OVG Koblenz DÖV 1980, 654f.; OVG Münster NJW 1980, 415 (dazu Schulze-Osterloh, JuS 1981, 66).

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mens von der Straße zu sparen. Die Behörde kann ihn nach wie vor als Verursacher der Störung heranziehen. Fehlt dagegen eine Handlungshaftung, dann soll der frühere Eigentümer nach der bisher herrschenden Meinung durch die Dereliktion von der bereits eingetretenen Verantwortlichkeit für eine von der Sache ausgehende Gefahr frei werden. Diese Ansicht erscheint zwar zunächst konsequent. Sie wird aber der ratio der Zustandshaftung, die eine angemessene Risikoverteilung zwischen Eigentümer und Allgemeinheit herbeiführen soll (dazu unten bb), nicht gerecht. Dem gesetzgeberischen Zweck der Zustandshaftung entspricht es vielmehr, dem Eigentümer — der bisher aus der Sache Nutzen gezogen hat — nicht zu gestatten, durch Dereliktion der inzwischen für ihn wertlos gewordenen Sache die entstandenen Nachteile (Kosten der Gefahrenbeseitigung) auf die Allgemeinheit abzuwälzen169. bb) Der Umfang der Zustandshaftung ist nach ganz überwiegender Auffassung unbeschränkt. Der Eigentümer hat für die von der Sache ausgehenden Gefahren ohne Rücksicht auf deren Ursache — eigenes Verhalten, Verhalten Dritter, Naturereignisse, sonstige Fälle höherer Gewalt, gewöhnlicher Zufall — stets voll einzustehen170. So soll der Eigentümer eines im Bombenkrieg zerstörten Hauses für die von der Ruine ausgehenden Gefahren haften 171 . Der Eigentümer soll nach Freigabe seines Grundstücks für Zustände einstehen, die Angehörige der Besatzungsmacht während der Beschlagnahme verursacht haben 172 . Ist ein Tanklastwagen auf der Autobahn umgestürzt, dann soll der Eigentümer eines benachbarten Grundstücks, auf dem das ausgelaufene Öl versickert ist, wegen der Gefährdung des Grundwassers polizeipflichtig sein173. Die offenbare Unbilligkeit derartiger Ergebnisse zwingt dazu, die Grundlagen der Zustandshaftung neu zu überdenken 174 : Sie knüpft daran an, daß der Eigentümer die Vorteile seiner Sache genießt, und mutet ihm zu, die mit der 169

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Diesem Gesichtspunkt tragen nunmehr § 5 III ME PolG, Art. 8 III bay. PAG, § 6 III brem. PolG, § 7 III nieders. SOG, § 5 III nordrh.-westf. PolG, § 5 III rheinl.pfälz. PVG ausdrücklich Rechnung. — Vgl. auch Schmidt-Jortzig, in: Fs. f. H. U. Scupin, 1983, 819ff. OVG Münster OVGE 5, 185 (188ff.); Drews/ Wacke/ Vogel/Martens, Bd. II, S. 198ff. mit zahlreichen Nachw.; zur Reichweite sicherheitsrechtlicher Störerhaftung vgl. auch Konrad, BayVBl. 1980, 581 ff. - Nach VGH München NJW 1984, 1196 f. soll jedoch keine Zustandshaftung gegeben sein, wenn nicht die Sache als solche, sondern eine Person mit ihrer Hilfe oder durch ihre Benützung als Werkzeug die Gefahr verursacht hat (a.A. noch VGH München BayVBl. 1979, 307). OVG Münster OVGE 5, 185 (188ff.); OVG Berlin DÖV 1954, 214ff.; OVG Koblenz DÖV 1954, 216. - A. A.: VGH Freiburg NJW 1952, 1311 f. VGH Stuttgart ESVGH 7, 34 (35). VGH Münster OVGE 19, 101 (102ff.); dazu kritisch Baur, JZ 1964, 354ff. (356); Czychowski, DVB1. 1970, 379ff. (384). Zur Haftung für Ölschäden auch Schwerdtner.JuS 1978, 118ff. Dazu näher Friauf, in: Fs. f. Wacke, S. 293ff.; A. Erler, Maßnahmen der Gefahrenabwehr und verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie, 1977.

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Nutzung verbundenen Nachteile selbst zu tragen und sie nicht der Allgemeinheit aufzubürden (Art. 14 II GG: Sozialpflichtigkeit des Eigentums). Deshalb hat der Eigentümer für die aus dem Grundstück hervorgegangenen Gefahren (Unwetterfolgen, Überschwemmungen, Felssturz usw.) auch dann einzustehen, wenn sie einen außergewöhnlichen Umfang annehmen. Dem Vorteil der Sachherrschaft korrespondiert also ihr Risiko. Von hier aus muß es aber ungerechtfertigt erscheinen, dem Eigentümer auch die Risiken aufzubürden, die sich aus einer nicht ihn (in seiner Eigenschaft als Herrn der Sache), sondern die Allgemeinheit treffenden Gefahrenlage (Krieg, moderner Massenverkehr usw.) ergeben. Diesen besonderen Gefahren steht kein spezifischer Sachnutzen des Eigentümers gegenüber. Deshalb scheidet die Zustandshaftung zwar nicht schon stets dann aus, wenn der polizeiwidrige Zustand durch ein „ganz außergewöhnliches Ereignis" verursacht worden ist175, wohl aber dann, wenn er in die Risikosphäre der Allgemeinheit fällt176. Der Eigentümer hat in solchen Fällen zwar die Beseitigung des störenden Zustands nach den Regeln des polizeilichen Notstandes (unten Abschnitt II. 3) zu dulden. Er braucht aber die finanziellen Nachteile nicht zu tragen. c) Kumulative Verantwortlichkeit mehrerer Störer: Nicht selten sind mehrere Personen für dieselbe Gefahr polizeilich verantwortlich. Dann steht es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, gegen den einen oder den anderen von ihnen vorzugehen 177 ; u. U. kann sie auch mehrere Störer gleichzeitig in Anspruch nehmen 178 . Die neuere Rechtsprechung neigt dazu, dieses Ermessen teilweise einzuschränken. So soll die Polizei verpflichtet sein, von mehreren Handlungsstörern denjenigen vorrangig heranzuziehen, der die zeitlich letzte179 oder die wertungsmäßig am stärksten ins Gewicht fallende 180 Ursache gesetzt hat. Beim Zusammentreffen von Handlungs- und Zustandshaftung soll primär gegen den Handlungsstörer vorgegangen werden181. Wer gleichzeitig aus 175

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So aber Ule / Rasch, a. a. O., § 5 ME Rdnr. 12, die im übrigen mit der hier vertretenen Auffassung weitgehend übereinstimmen. Vgl. auch VG München NJW 1984, 1196 ff. Friauf, in: Fs. f. Wacke, S. 293ff. (300 - 304); ders., W D S t R L 35 (1977), S. 350 351; ähnlich Pietzcker, DVB1. 1984, 457ff. (462-463). a. A.: Drews/ Wacke / Vogel /Martens, Bd. II, S. 199 - 200. OVG Münster DVB1. 1971, 828ff. (829); OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (928); VGH München BayVBl. 1978, 340f.; OVG Saarlouis, DÖV 1984, 471 ff (472). Zur Frage einer Ausgleichspflicht zwischen den beteiligten Störern s. (verneinend) BGH NJW 1981, 2457f. (2458); VGH Kassel NJW 1984, 1197ff. (1199). Vgl. PrOVG 90, 326 (334). 179 VGH Stuttgart DVB1. 1950, 475 ff. (477). Vgl. die eingehenden Erwägungen bei OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (928). OVG Hamburg DVB1. 1953, 542f.; OVG Koblenz VerwRspr. 19, 849; OVG Münster JZ 1964, 367ff. (368); VGH München NJW 1984, 1196f.; vgl. auch BGHZ 54, 21 (24ff.); VGH München BayVBl. 1974, 342.

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mehreren Gründen haftet (aus Verursachung und als Eigentümer: sog. Doppelstörer), soll vor demjenigen in Anspruch genommen werden, bei dem nur ein Haftungsgrund vorliegt182. Es handelt sich aber hier nicht um starr anzuwendende Regeln. Die Entscheidung des Einzelfalls wird sich stets an den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit und des mildesten Mittels zu orientieren haben 183 . Dabei sind durchaus auch abweichende Ergebnisse möglich184. d) Polizeipflicht von Hoheitsträgem: Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne des Polizeirechts können nicht nur von dem Verhalten einzelner Bürger bzw. von dem Zustand im Privateigentum stehender Sachen ausgehen. Sie werden bisweilen auch durch die Tätigkeit einer Behörde oder sonstigen staatlichen Stelle oder durch den Zustand eines öffentlichen Zwecken dienenden Grundstücks verursacht. Beispiele: Von einem militärischen Schießplatz irren häufiger Kugeln ab und gefährden Passanten. Der allnächtliche Lärm der Verladearbeiten in einem Paketpostamt schädigt die Gesundheit der in der Nachbarschaft Wohnenden. Ständige Tiefflüge von Düsenflugzeugen über einem Klinikviertel schädigen die Patienten. Nach überlieferter Rechtsprechung 185 und noch heute weithin h. L.186 kann die Polizei derartigen Gefahren nicht begegnen, weil sie nicht befugt ist, in die öffentlich-rechtliche Tätigkeit anderer Behörden einzugreifen. Lediglich bei rein fiskalischem Handeln der betreffenden Stelle (z. B. Verwaltung einer Staatsdomäne) soll ein Recht zu polizeilichem Einschreiten bestehen. Die Polizei wird damit auf den „bürgerlichen Verkehr", also die privatrechtlichen Tätigkeiten des einzelnen oder des Staates, beschränkt 187 . Diese Auffassung läßt sich jedoch nicht in vollem Umfange aufrechterhalten188. Die traditionelle Lehre vermengt zwei Fragen: einmal, die Sachfrage, ob der Staat und die anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts bei Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Funktionen materiellrechtlich polizei182

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Drews/Wacke/ Vogel/ Martens, Bd. II, S. 184; VGH München BayVBl. 1978, 340 f. (341). — Zur Polizeipflicht für Kraftfahrzeuge (Eigentümer, Halter, Fahrer, Dieb usw.) s. Knütel, DÖV 1970, 375ff. VGH München NJW 1984, 1196f. (betr. Auswahlermessen - auch - hinsichtl. der Kosten); VGH Kassel NJW 1984, 1197ff. (betr. Haftung für Abschleppkosten bei mehreren verkehrsgefährdend abgestellten Fahrzeugen). Eingehend dazu H. Fleischer, Die Auswahl unter mehreren Polizeipflichtigen als Rechtsfrage, 1980; vgl. a. Krampol, in: Fs. f. R. Samper, 1982, S. 153ff. Zur Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Pflichtigen s. OVG Münster DVB1. 1973, 924ff. (928). Grundlegend PrOVG 2, 399 (Schießplatz). - Aus neuerer Zeit OVG Lüneburg OVGE 12, 340 (Paketdienst der Bundespost). Drews/Wacke/ Vogel/Martens, Bd. II, S. 125ff.; Ule/Rasch, a. a. O., § 8 ME Rdnr. 10ff.; Weimar, DÖV 1960, 114ff.; Folz, JuS 1965, 41 ff. So PrOVG 2, 399 (409), vgl. allerdings auch a. a. O., S. 410f. S. jetzt auch W. Wagner, Die Polizeipflicht von Hoheitsträgern, 1971; D. Blumenwitz, AöR 96 (1971), 161 ff.; Karpen, WissR 5 (1972), S. 195ff. (206ff.).

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pflichtig sind, d. h. die gesetzlich statuierten Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beachten haben; zum anderen die Kompetenzfrage, ob die Polizei- bzw. Ordnungsbehörden gegen eine Verletzung des materiellen Polizeirechts durch Hoheitsträger vorgehen können 189 . Die erste Frage muß grundsätzlich bejaht werden. Die Träger öffentlicher Funktionen sind auch bei hoheitlicher Tätigkeit an die allgemeinen Gesetze einschließlich des Polizei- und Ordnungsrechts gebunden, soweit nicht für bestimmte Fälle Sondervorschriften 190 gelten. Sie dürfen ebensowenig wie ein Privatmann Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung herbeiführen191. Das gilt auch für Bundesorgane 192 . Sie haben die landesrechtlichen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts jedenfalls insoweit einzuhalten, wie das mit der Wahrnehmung ihrer auf Bundesgesetz beruhenden Aufgaben vereinbar ist193. Bei der Kompetenzfrage ist dagegen zu differenzieren. Grundsätzlich kann eine Polizei- oder Ordnungsbehörde Verwaltungsakte auch gegenüber einem Hoheitsträger erlassen. Sie darf aber nicht in der Weise in seine Tätigkeit eingreifen, daß die Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben beeinträchtigt würde194. Maßnahmen zur Gefahrenabwehr können also grundsätzlich erfolgen, sie sind jedoch nur insoweit zulässig, wie dadurch die rechtmäßige Ausübung der dem Hoheitsträger übertragenen Funktionen nicht gehindert wird195. Die Abgrenzung bleibt dabei eine Frage des Einzelfalls. Hat die Polizei eine von einem Hoheitsträger verursachte Störung zunächst mit eigenen Mitteln beseitigt, dann kann sie die entstandenen Kosten gegen den Hoheitsträger in gleicher Weise wie gegen einen privaten Störer (s. unten Abschnitt IV. 2) geltend machen 196 . Soweit der Polizei demnach eine Eingriffsbefugnis fehlt, ist allein die Fachbehörde für die Beachtung der nach materiellem Recht bestehenden Polizeipflichtigkeit verantwortlich. Kommt sie ihren Verpflichtungen nicht nach, 189 190 191 192

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Zutreffend dagegen W. Weber, Arch. f. d. Post- und Fernmeldew. 10 (1958), S. 65ff.; Rudolf, Polizei gegen Hoheitsträger, 1965, S. 15ff. Vgl. z. B. § 35 StVO über die Sonderrechte von Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr u. a. bei Teilnahme am Straßenverkehr. W. Weber, a.a.O., S. 65ff.; Rudolf, a.a.O., S. 17; Scholz, DVB1. 1968, 732ff. (737f.); ebenso BVerwGE 29, 52 (56 - 59); BGH DVB1. 1970, 499 (499 - 500). Vgl. BVerwG DÖV 1976, 749 ff. (750): Der Bund unterliegt auch im Rahmen seiner Hoheitstätigkeit der Bindung an das jeweils einschlägige Landesrecht; s. a. VGH Kassel NJW 1980, 305; BVerwG NJW 1984, 817ff. (818); BVerwG NVwZ 1983, 474ff. (475-476). S. allgemein Brohm, Landeshoheit und Bundesverwaltung, 1968; Reigl, DÖV 1967, 397ff.; BVerwG NJW 1962, 552ff. (554). So im Ergebnis auch BVerwGE 29, 52 (59-60), allerdings mit sehr zurückhaltender grundsätzlicher Stellungnahme. Im wesentlichen übereinstimmend Wolff / Bachof VwR III, § 127 1 d 5. Rudolf, a. a. O., S. 26ff.; Scholz, DVB1. 1968, 732ff. (738ff.). Dazu BGHZ 54, 21 (24ff.).

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dann kann die Polizei lediglich versuchen, durch Anrufung der vorgesetzten Behörde Abhilfe zu schaffen 197 . 3. Polizeilicher und ordnungsbehördlicher Notstand Wenn sich die Polizei- oder Ordnungsbehörde einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegenübersieht, so kann sie ihr grundsätzlich nur auf zwei Wegen begegnen, nämlich entweder durch Einsatz eigener Mittel 198 oder aber durch Inanspruchnahme eines Störers (oben Abschnitt II. 2 a - c). In manchen Fällen erweist sich jedoch keiner der beiden Wege als gangbar: Weder die Heranziehung eines Störers noch der Einsatz eigener Mittel sind geeignet, der Situation Herr zu werden. Man spricht in derartigen Fällen von einem polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Notstand. Nicht selten verfügt aber ein außenstehender Dritter über die Möglichkeit, die Störung zu beseitigen oder die Gefahr abzuwehren. Beispiele: Eine Familie ist obdachlos und nicht in der Lage, sich eine neue Wohnung zu verschaffen. Öffentliche Obdachlosenunterkünfte sind nicht vorhanden. Dagegen stehen in einem Privathaus Räume leer. - Ein schwerverletztes Unfallopfer ist eingeklemmt und kann nur mit Hilfe eines Schneidbrenners befreit werden. Die Polizei ist nicht in der Lage, ein solches Gerät schnell genug herbeizuschaffen. Ein in der Nähe tätiger Schlosser weigert sich, seinen Schneidbrenner herzugeben, da er einen eiligen Auftrag zu erledigen habe. — Randalierer bewerfen vom Dach eines Hauses aus Passanten und Polizeibeamte mit Steinen usw. Der Verfügungsberechtigte gestattet der Polizei aber nicht, das Haus zu betreten, um gegen die Störer vorzugehen 199 . Der Gesetzgeber hatte für derartige Fälle einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen herbeizuführen. Auf der einen Seite konnte er aus naheliegenden Gründen die Polizei nicht verpflichten, schweren Störungen tatenlos zuzuschauen, obwohl bei Inanspruchnahme dritter Personen eine wirksame Abwehr möglich wäre. Auf der anderen Seite aber mußte er einen Eingriff in die Freiheit und in die Rechtssphäre unbeteiligter Dritter auf das unbedingt notwendige Maß beschränken. Diese Interessenabwägung hat dazu geführt, daß das Gesetz die Inanspruchnahme von Personen, die nicht Störer sind, zwar grundsätzlich für zulässig erklärt, sie aber von erheblich strengeren Voraussetzungen abhängig macht als das polizeiliche Einschreiten gegen einen Störer.

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Zum Eingreifen der Polizei im räumlichen Herrschaftsbereich anderer Verwaltungsträger s. Knoke, AöR 94 (1969), 388ff. ( 4 1 1 - 4 1 8 ) ; Sonderkötter, WissR 2 (1969), S. 22ff.; Karpen, WissR 5 (1972), S. 195ff.; Bethge, DV 11 (1977), S. 313ff. Um einen Einsatz eigener Mittel handelt es sich auch, wenn sie einen Unternehmer durch Dienst- oder Werkvertrag verpflichtet, auf ihre Kosten tätig zu werden. Fall des Urteils OVG Berlin DÖV 1974, 27 ff. = BVerwGE 47, 31.

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Bei der Anwendung der Vorschriften über den polizeilichen Notstand ist stets zu beachten, daß es sich um Ausnahmeregelungen handelt. Sie dürfen in keinem Fall extensiv interpretiert und angewandt werden. Im einzelnen setzt der Eingriff gegen den unbeteiligten Dritten (den sog. Nichtstörer) voraus 200 : a) Erhöhte Gefahr: Gefordert wird zunächst ein spezifischer Gefahrenzustand: Die Störung muß entweder bereits eingetreten sein (das Kind liegt bereits im Brunnen und droht zu ertrinken) oder die Gefahr muß „gegenwärtig" sein bzw. „unmittelbar bevorstehen" (das Kind balanciert auf dem Brunnenrand). Wesentlichstes Merkmal der gegenwärtigen Gefahr ist ihre zeitliche Aktualität. Es muß ein sofortiger Schadenseintritt zu erwarten sein, so daß die Gefahr schon unmittelbar greifbar ist201. Eine zwar absehbare, aber nicht unmittelbar akute Gefahr — bei der ein Eingreifen gegen den Störer bereits zulässig wäre — reicht nicht aus202. Daneben ist ein gesteigertes Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu fordern 203 . Beide Komponenten sind selbständig zu prüfen. Sie werden allerdings in der Praxis vielfach zusammenfallen, weil bei größerer zeitlicher Nähe der Grad der Wahrscheinlichkeit sicherer erkennbar zu sein pflegt. In einigen Ländern wird dem Wortlaut des Gesetzes nach zudem eine besondere Schwere der Gefahr vorausgesetzt204. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist anzunehmen, daß dem Nichtstörer keine Opfer zugemutet werden dürfen, die größer sind als die der Allgemeinheit aus der Gefahrenabwehr erwachsenden Vorteile. Die Grenzen des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips, das auch gegenüber dem Störer beachtet werden muß (oben Abschnitt II. 1 e, bb), sind für die Inanspruchnahme des Nichtstörers zu weit205. b) Unmöglichkeit anderweitiger Abwehr: Weiter muß die Polizei objektiv außerstande sein, der Gefahr durch Heranziehung eines Störers oder Einsatz eigener Mittel (einschließlich der Beauftragung dazu bereiter Hilfspersonen auf ihre Kosten) zu begegnen. Die Heranziehung ist unmöglich, wenn ein Störer überhaupt nicht vorhanden ist, wenn er nicht ermittelt werden kann, wenn seine Inanspruchnahme 200

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§ 6 ME PolG; § 9 bad.-württ. PG; Art. 10 bay. PAG; § 13 berl. ASOG; § 7 brem. PolG; § 10 hamb. SOG; § 15 hess. SOG; § 8 nieders. SOG; § 19 nordrh.-westf. OBG; §6 nordrh.-westf. PolG; §7 rheinl.-pfälz. PVG; §21 saarl. PVG; §187 schlesw.-holst. LVwG. S. OVG Münster DVB1. 1973, 922ff. (924) zum analogen Begriff der gegenwärtigen Gefahr in § 32 nordrh.-westf. PolG. a. F. ( = § 21 PolG n. F.). OVG Münster OVGE 8, 239 (240 f.). BVerwGE 45, 51 (58); OVG Saarlouis DÖV 1973, 863ff. (864). Vgl. § 10 I Nr. 1 bay. PAG, § 13 I Nr. 1 berl. ASOG, § 7 I Nr. 1 brem. PolG, § 8 I Nr. 1 nieders. SOG, § 6 I Nr. 1 nordrh.-westf. PolG, § 19 I Nr. 1 nordrh.-westf. OBG und § 7 I Nr. 1 rheinl.-pfälz. PVG, die eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr" voraussetzen. Zu den Grenzen vgl. PrOVG 12, 397 (403); OVG Münster OVGE 8, 213.

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nur unter Betreten des im Eigentum oder Besitz eines Nichtstörers befindlichen Grundstücks möglich ist206 oder wenn sie an sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Hindernissen scheitert (z. B. wenn der Störer trotz Anspannung aller Kräfte nicht in der Lage ist, der Gefahr zu begegnen). Dem steht der Fall gleich, in dem eine Inanspruchnahme des Störers zwar an sich möglich wäre, aber ihrerseits zu unverhältnismäßig großen Schäden bzw. zu unverhältnismäßig großen anderweitigen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führen würde207. So kann in extremen Fällen eine rechtmäßige Versammlung beschränkt werden, um die unabsehbaren Konsequenzen großer Straßenschlachten zu vermeiden, die sich vorhersehbarerweise aus einem — an sich zulässigen und gebotenen — Vorgehen gegen eine rechtswidrige Gegendemonstration ergeben würden. Diese Möglichkeit kommt indessen nur in äußersten Notsituationen in Betracht, namentlich wenn das gebotene Einschreiten gegen die Störer schwere Gefahren für Leib und Leben unbeteiligter Dritter mit sich brächte 208 . Grundsätzlich hat die Polizei die rechtmäßige Versammlung zu schützen. Auf die Frage, ob die Motive der diese Versammlung rechtswidrig störenden Gegendemonstranten politisch achtenswert sind oder nicht, kommt es dabei nicht an. Es wäre im Rechtsstaat unerträglich, wenn rechtswidrige Aktionen Dritter die Polizei legitimieren könnten, rechtmäßige Verhaltensweisen zu unterdrücken 209 . Die Polizei muß, bevor sie den Nichtstörer in Anspruch nimmt, ihre eigenen personellen und sachlichen Möglichkeiten voll ausgeschöpft haben 210 . Sie darf ihn grundsätzlich nicht nur deshalb heranziehen, weil sie dabei Kosten spart211. Denn im Gegensatz zur Inanspruchnahme des Störers dient die Heranziehung des Nichtstörers nicht der finanziellen Entlastung der Steuerzahler (oben Abschnitt II. 2). Für die Beurteilung der Unmöglichkeit einer anderweitigen Gefahrenabwehr kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem der Nichtstörer herangezogen wird. Ob die Behörde sich durch rechtzeitige Vorsorge vor Eintritt der Gefahr bzw. Störung die notwendigen Mittel hätte verschaffen können, bleibt unerheblich. Der Eigentümer der zur Unterbringung von Obdachlosen beschlagnahmten Räume kann sich deshalb nicht darauf berufen, die Behörde sei in der Lage gewesen, rechtzeitig Notunterkünfte zu errichten. Entscheidend ist vielmehr, daß im Augenblick keine Unterkünfte zur Verfügung stehen. Selbstverständlich bedeutet das aber keinen Freibrief für die Polizei, angesichts einer sich abzeichnenden Gefahrenentwicklung zunächst untätig zu 206

Vgl. OVG Berlin DÖV 1974, 27 ff. (28). 207 p r 0 v G 78, 279 (282); VGH Stuttgart DÖV 1954, 221 f. 208 Zu weitgehend OVG Saarlouis JZ 1970, 283 ff., mit krit. Anm. Pappermann ;s. dagegen VG Köln NJW 1971, 210ff. (212); VG Gelsenkirchen NJW 1971, 213, sowie jetzt auch OVG Saarlouis DÖV 1973, 863 ff. 209 Treffend VGH Mannheim DÖV 1968, 179ff. (181). 210 S. BGH DVB1. 1957, 864. 211 Dazu OVG Münster OVGE 14, 265 (270, 272f.).

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bleiben und sich darauf zu verlassen, daß ihr gegebenenfalls die Eingriffsmöglichkeiten gegen Nichtstörer zur Verfügung stehen werden. c) Subsidiarität der Notstandseingriffe: Die Maßnahmen im polizeilichen Notstand dürfen nur getroffen und aufrecht erhalten werden, soweit und solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist212. Sie sind auf das sachlich und zeitlich unbedingt erforderliche Mindestmaß zu beschränken. In sachlicher Hinsicht darf nicht mehr verlangt werden, als zur Abwendung der Gefahr unbedingt notwendig ist (Unterbringung eines Obdachlosen nur in notdürftig ausreichenden Räumen; die Beschlagnahme einer „angemessenen" Wohnung wäre unzulässig)213. Eingriffe, die sich nicht ohnehin in einem einmaligen Akt erschöpfen, dürfen nur bis zu dem Augenblick ausgedehnt werden, in dem die Polizei in der Lage ist, der Gefahr durch Einsatz eigener Mittel (z. B. Errichtung von Notunterkünften) oder durch nachträgliche Heranziehung eines Störers zu begegnen. In diesem Sinne darf es sich also stets nur um vorläufige Maßnahmen handeln 214 . Die überwiegende Rechtsprechung verlangt zudem, daß sie von vornherein zeitlich befristet werden müssen. An die Bemessung der Frist sind strenge Anforderungen zu stellen215. Ist die Frist verstrichen, innerhalb deren die Polizei bei Einsatz ihrer Kräfte anderweitige ausreichende Maßnahmen hätte treffen können, dann muß sie die Inanspruchnahme des Nichtstörers aufheben — selbst dann, wenn sie das Erforderliche tatsächlich noch nicht veranlaßt hat. Ihre Untätigkeit darf sich nicht zu Lasten des Nichtstörers auswirken. d) Grenze der Leistungsfähigkeit: Der Nichtstörer kann stets nur im Rahmen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Eine Inanspruchnahme ist unzulässig, wenn sie sein Leben oder seine Gesundheit gefährden oder ihn an der Erfüllung überwiegender anderweitiger Verpflichtungen hindern würde 216 : Ein Herzkranker darf nicht zu schweren körperlichen Arbeiten verpflichtet werden; ein Arzt darf nicht durch Beschlagnahme seines Wagens von einem dringenden Krankenbesuch abgehalten werden. e) Folgenbeseitigung und Entschädigung: Da der Nichtstörer für die jeweils abzuwehrende Gefahr nicht verantwortlich ist, braucht er die Last der Gefahrenabwehr nicht auf die Dauer zu tragen. Er kann deshalb verlangen, daß die 212

213 214 215 216

Art. 10 II bay. PAG; § 9 I bad.-württ. PG; § 7 II brem. PolG; § 13 II berl. ASOG; § 15 II hess. SOG; § 8 II nieders. SOG; § 6 II nordrh.-westf. PolG; § 19 II nordrh.westf. OBG; § 7 II rheinl.-pfälz. PVG; § 187 I Nr. 1 und 2 schlesw.-holst. LVwG. Vgl. hierzu VGH München BayVBl. 1979, 244. PrOVG 106, 37 (42). S. auch Pappermann, JZ 1970, 286f. (287) mit weit. Nachw. BGH NJW 1959, 768f.; BGHZ 35, 27 (31f.); OVG Lüneburg NJW 1953, 599; OVG Münster OVGE 35, 303. § 13 I Nr. 4 berl. ASOG; Art. 10 I Nr. 4 bay. PAG; § 6 I Nr. 4 nordrh.-westf. PolG; § 19 I Nr. 4 nordrh.-westf. OBG; § 7 I Nr. 4 brem. PolG; § 15 I Nr. 3 hess. SOG; § 7 I Nr. 4 rheinl.-pfälz. PVG; § 187 I Nr. 3 schlesw.-holst. LVwG; § 8 I Nr. 4 nieders. SOG.

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Behörde, die ihn in Anspruch genommen hat, die ihm erwachsenen Nachteile ausgleicht. Sein Anspruch richtet sich entweder auf Folgenbeseitigung oder auf Entschädigung, u. U. auch auf beides nebeneinander. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist im Gesetz nicht geregelt. Er gehört zu den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen 217 und richtet sich im Regelfall auf die „Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands mit hoheitlichen Mitteln" 218 . Der Anspruch greift dann ein, wenn trotz rechtlicher Beendigung der Inanspruchnahme ihre tatsächlichen Wirkungen fortbestehen. Häufigster Fall: Die Einweisung eines Obdachlosen in einen Wohnraum hat sich durch Ablauf der bestimmten Frist erledigt oder ist — durch die Behörde selbst oder durch verwaltungsgerichtliches Urteil — aufgehoben worden. Der Eingewiesene bleibt dennoch in dem Raum. Hier hat der Hauseigentümer an sich die Möglichkeit, Räumungsklage (§ 985 BGB) zu erheben, da der Betreffende nicht mehr zum Besitz berechtigt ist. Er kann aber statt dessen auch von der Behörde verlangen, den Eingewiesenen zwangsweise zu entfernen und dadurch die Folgen der Einweisung zu beseitigen 219 . Für die nicht mehr rückgängig zu machenden Nachteile (Nutzungsausfall während der Zeit der Beschlagnahme; Zerstörung oder Beschädigung einer Sache usw.) kann der Nichtstörer Entschädigung in Geld beanspruchen (s. unten Abschnitt IV. 1 a). 4. Besondere Eingriffe in die persönliche Freiheit und in die Sachherrschaft einzelner Bürger Polizei- und Ordnungsbehörden müssen zur Erfüllung ihrer Aufgaben der allgemeinen Gefahrenabwehr in vielfältiger Weise in Freiheit und Eigentum der Bürger eingreifen. Verschiedene besonders schwerwiegende Eingriffe waren bereits im preuß. PVG (§§ 15 - 17) in ihren Einzelheiten näher durchnormiert. Die nach dem zweiten Weltkrieg ergangenen Landesgesetze haben diese Regelungen übernommen und sie z. T. noch erweitert. Dabei mußten sie den Anforderungen des G G (insb. Art. 2, 13 und 104) Rechnung tragen 220 . Die formellen Rechtsgrundlagen für die in Betracht kommenden Eingriffe (sog. Standardmaßnahmen) sind in den einzelnen Bundesländern nicht einheitlich. Fragen, die in manchen Ländern positiv-gesetzlich geregelt sind, mußten in anderen durch die auf die Generalklausel gestützte Rechtsprechung geklärt werden. In der Sache bestehen aber keine grundlegenden Unterschiede. 217

218 219

Grundlegend dazu Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951 (2. Aufl. 1968); Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 153ff.; s. a. Spanner, DVB1. 1968, 618ff.; Heidenhain, JZ 1968, 487ff.; Schleeh, AöR 92 (1967), S. 58ff. mit Rechtsprechungsnachweisen. BVerwG DVB1. 1963, 677 (LS 3, 678); s. ferner BVerwGE 28, 155 (163 - 164); 35, 268 (272 - 273); BVerwG DÖV 1971, 857 mit Anm. Bachof. OVG Lüneburg OVGE 4, 235 (239); OVG Münster OVGE 8, 212 (216); 14, 265 (273). 220 Vgl. auch Lisken, ZRP 1980, 145 ff.

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Überall gilt, daß Maßnahmen, die der Gesetzgeber besonders normiert hat, ausschließlich nach den Sondervorschriften zu beurteilen sind. Eine Ausweitung der dort geregelten Eingriffsbefugnisse unter Rückgriff auf die Generalklausel wäre unzulässig. Auch die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe (insbes. § 34 StGB) bilden keine zusätzliche Ermächtigungsgrundlage für hoheitliche Eingriffe 221 ; sie schließen allerdings die Verantwortlichkeit des einzelnen Beamten aus. Die nachfolgend dargestellten Standardmaßnahmen beziehen sich allein auf die Gefahrenabwehr. Daneben gibt es teilweise gleichartige oder ähnliche Eingriffsbefugnisse der Polizei im Rahmen der Strafverfolgung. Die Eingriffe zur Gefahrenabwehr stützen sich auf die Polizeigesetze, die Maßnahmen zur Strafverfolgung dagegen auf die StPO. So muß die Durchsuchung einer Wohnung, wenn sie der Gefahrenabwehr dient, nach § 19 ME PolG und den ihm entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, als Maßnahme der Strafverfolgung dagegen nach §§ 102 ff. StPO beurteilt werden222. Es ist stets sorgfältig zu prüfen, in welchem Bereich die Polizei jeweils tätig wird223. a) Feststellung von Personalien (sog. Sistierung): In zahlreichen Fällen hat die Polizei, um ihre Aufgaben im Rahmen der Gefahrenabwehr erfüllen zu können, Namen und Personalien von Personen — Störern oder sonstigen, z. B. Zeugen — festzustellen. Dazu müssen die Betreffenden angehalten und befragt werden. Ist eine sichere Feststellung der Personalien an Ort und Stelle nicht möglich, so kann es erforderlich werden, die Personen zur Wache mitzunehmen und notfalls erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen sie anzuordnen224. § 9 I Nr. 4 ME PolG will eine Identitätsfeststellung auch an sog. Kontrollstellen zulassen, die zur Verhinderung von Straftaten i. S. von § 100 a StPO und § 27 VersG eingerichtet werden. In dieser Form ist der Entwurf von Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen übernommen worden 225 . Nordrhein-Westfalen und Bremen haben demgegenüber die Einrichtung von Kontrollstellen auf die Verhinderung eines wesentlich engeren Kreises von Straftaten 226 beschränkt 227 . 221

222 223

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Zu dieser sehr streitigen Frage s. Amelung, NJW 1977, 833ff. und NJW 1978, 623f.; De Lazzer/Rohlf, JZ 1977, 207ff.; Kirchhof, NJW 1978, 969ff.; Lange, NJW 1978, 784ff.; Schwabe, NJW 1977, 1902ff.; ders., NJW 1980, 2369ff.; M. Ruppelt, Maßnahmen ohne Rechtsgrundlage, 1983. S. dazu näher Thomas, BayVBl. 1969, 50 ff. Zum Rechtsschutz gegen (eigenverantwortliche) Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei s. BVerwGE 47, 255; Markworth, DVB1. 1975, 575ff.; Schenke, NJW 1976, 1816ff. Eingehend dazu: W. Hoffmann, DVB1. 1967, 751 ff.; Steinke, Polizei 1977, 227ff.; Thomas, BayVBl. 1969, 50 ff. Art. 12 I Nr. 4 bay. PAG; § 10 I Nr. 4 rheinl.-pfälz. PVG; § 12 I Nr. 4 nieders. SOG. § 9 I Nr. 4 nordrh.-westf. PolG; § 11 I Nr. 3 brem. PolG. Kontrollstellen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung sind nach § 111 StPO unter engen Voraussetzungen zulässig. Zur Problematik dieser Vorschrift vgl. Steinke, NJW 1978, 1962f. (sie verlagere reines Polizeirecht in die StPO); Kurth, NJW 1979, 1377ff.

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Als Freiheitsbeschränkungen bedürfen diese Maßnahmen nach Art. 104 I S. 1 G G einer Rechtsgrundlage in Gestalt eines förmlichen Gesetzes. Die meisten Bundesländer haben in ihren Polizeigesetzen die Sistierung ausdrücklich geregelt228. Im übrigen leitet man das Recht der Polizei zur Sistierung unmittelbar aus der Generalklausel her 229 . Die Frage, ob die Generalklausel als Grundlage für eine Mitnahme zur Wache ausreiche, ist umstritten. Sie muß bejaht werden, da die Generalklausel in förmlichen Gesetzen niedergelegt ist und angesichts der langjährigen Judikatur hinreichende Bestimmtheit als Eingriffsermächtigung besitzt230. Da die Mitnahme zur Wache nicht eine bloße Freiheitsbeschränkung, sondern eine (wenn auch vorübergehende) Freiheitsentziehung darstellt, gilt für sie Art. 104 II S. 2 und 3 GG. Bei der Sistierung von Nichtstörern sind die einschränkenden Voraussetzungen des polizeilichen Notstands (oben Abschnitt II. 3) zu beachten, und zwar auch dann, wenn sie nicht auf Grund der Generalklausel, sondern auf Grund einer Sondervorschrift erfolgt 231 . Besondere Probleme ergeben sich insoweit bei der sog. Razzia, von der — sofern sie im Einzelfall zulässig ist — zwangsläufig auch Nichtstörer betroffen werden 232 . Bei der ausdrücklichen Zulassung von Razzien an bestimmten „verdächtigen Orten" in § 9 I Nr. 2 ME PolG 233 wird auf die Differenzierung zwischen Störern und Nichtstörern keine Rücksicht genommen 233 ". Das erscheint aus Gründen der Praktikabilität verständlich, gleichwohl aber nicht unproblematisch 233b . Jedenfalls müßte eine Razzia „ins Blaue hinein", von der auch Unbeteiligte betroffen werden, in jedem Fall als unzulässig angesehen werden 2330 . Ist eine Personenfeststellung auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich, so kann die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen i. S. des § 81 b StPO (Fingerabdrücke, Lichtbilder usw.) vorneh-

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§ 9 ME PolG; § 20 bad.-württ. PG; Art. 12 bay. PAG; § 15 berl. ASOG; § 11 brem. PolG; § 12 hamb. SOG; § 16 hess. SOG; § 12 nieders. SOG; §9 nordrh.-westf. PolG; § 10 rheinl.-pfälz. PVG; § 176 schlesw.-holst. LVwG. 229 So schon PrOVG 87, 289 (292); vgl. auch OLG Bremen, NJW 1957, 158. 230 Ebenso Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. II, S. 81; W. Hoff mann, DVB1. 1967, 751 ff. (757); a. A. Götz, a. a. O., S. 153. 231 W. Hoffmann, DVB1. 1967, 751 ff. (756). 232 Vgl. dazu KG NJW 1975, 887 ff. (888); die Entscheidung ist in der Argumentation teilweise nicht ganz unbedenklich. Zur Zulässigkeit der Razzia VG Berlin, DÖV 1972, 103 ff. 233 Ihm folgend: Art. 12 I Nr. 2 bay. PAG, § 11 I Nr. 2 brem. PolG, § 12 I Nr. 2 nieders. SOG, § 9 I Nr. 2 nordrh.-westf. PolG und § 10 I Nr. 2 rheinl.-pfälz. PVG. 233a Riegel, DVB1. 1979, 709 ff. (711). 233b Kritisch Lisken, ZRP 1980, 145 ff. (149); Thiele, DVB1. 1979, 705 ff. (708). 2330 Vgl. Schwan, AöR 102 (1977), S. 243ff. (259 mit Fn. 49); Thiele, DVB1. 1979, 705ff. (708).

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men234. Das gleiche gilt unter bestimmten Voraussetzungen zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Personalien dürfen auch zur Sicherung privater Rechtsansprüche festgestellt werden, sofern die Ansprüche glaubhaft behauptet werden und ohne die Feststellung die Gefahr bestünde, daß ihre Durchsetzung vereitelt oder wesentlich erschwert würde: Ein Passant, der durch Unachtsamkeit eine Schaufensterscheibe zerschlagen hat, will sich ohne Namensnennung entfernen. Der Geschädigte bittet einen hinzukommenden Polizeibeamten, die Personalien des Schädigers festzustellen, damit er ihn auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. Die Befugnis, zum Schutz privater Rechte einzugreifen, ist in einigen Ländern besonders normiert 235 . In den übrigen ergibt sie sich aus der Generalklausel 236 . Denn die öffentliche Ordnung wäre gestört, wenn Anspruchsgegner die Rechtsverfolgung durch „Flucht" vereiteln könnten, obwohl die Polizei ohne weiteres in der Lage ist, ihre Personalien zu ermitteln. b) Vorladung, Vorfiihrung und Vernehmung: Kann die Polizei die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen, dann wird sie Auskünfte einholen. Soweit die Beschaffung der Auskünfte im Einzelfall eine notwendige Maßnahme der Gefahrenabwehr darstellt, kann der Störer auf Grund der Generalklausel verpflichtet (und notfalls mit den polizeilichen Zwangsmitteln — unten Abschnitt III. 3 — angehalten) werden, sie zu erteilen237. Im Rahmen der Gefahrenabwehr besteht also, anders als im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, eine Aussagepflicht vor der Polizei. Von einem Nichtstörer kann die Aussage nur im Notstandsfall verlangt werden 238 . Wenn schriftliche oder an Ort und Stelle erteilte mündliche Auskünfte nicht ausreichen, kommt eine Vorladung in Betracht. Leistet der Vorgeladene ihr nicht Folge, dann wird die Polizei prüfen, ob sie ihn zwangsweise vorführen darf. Die Voraussetzungen der Vorladung sind in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Z. T. wird die Polizei generell ermächtigt, jemanden vorzuladen, „wenn es zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist" 239 ; z. T. sind die Voraussetzungen aber auch enger gefaßt 240 . 234

§ 10 ME PolG; §30 bad.-württ. PG; Art. 13 bay. PAG; § 16 berl. ASOG; § 11 II Nr. 8 brem. PolG; § 45 a hess. SOG; § 13 nieders. SOG; § 10 nordrh.-westf. PolG; § 11 rheinl.-pfälz. PVG. 235 §§ 3, 16 II hess. SOG; s. auch Art. 12 I Nr. 6 bay. PAG (dazu von Hellingrath, JZ 1962, 244f.). 236 Vgl. z. B. OVG Münster DVB1. 1968, 759; ferner PrOVG 87, 289 (292); Baur, JZ 1962, 73 ff. 237 p ^ v G 37, 427 (428, 430); st. Rspr.; Ule/Rasch, a.a.O., §11 ME Rdnr. 5; Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. II, S. 8 4 - 8 6 ; H. W. Schmidt, NJW 1962, 2190 ff. 238 „Aufklärungsnotstand"; s. Ule / Rasch, a. a. O., § 11 ME Rdnr. 6. 239 § 11 I hamb. SOG; § 17 S. 1 hess. SOG; Art. 14 bay. PAG; § 177 11 schlesw.-holst. LVwG.

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Ähnliche Unterschiede bestehen bei der Vorführung, d. h. der zwangsweisen Durchsetzung einer Vorladung durch unmittelbare Verbringung des Pflichtigen zur Dienststelle. In Bremen ist sie zulässig, wenn jemand zum Zwecke der Identitätsfeststellung zur Dienststelle gebracht werden darf, sowie zur Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen 241 , in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zur Einholung von Angaben, die zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich sind, sowie zur Durchführung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen 242 , im Saarland hingegen allein zur Aufklärung eines Verbrechens oder Vergehens243. Einige Länder sehen sie überhaupt nicht vor244. Dort ist sie unzulässig. Angesichts der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen kann man dem Recht zur Vorladung als solchem keine Befugnis zur Vorführung entnehmen 245 . Als Freiheitsentziehung unterliegt die Vorführung dem Art. 104 II GG 246 . Soweit den Umständen nach möglich, ist die richterliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit im voraus einzuholen. Bei polizeilichen Vernehmungen darf kein Zwang angewandt werden, um eine Aussage herbeizuführen 247 . c) Verwahrung von Personen:Eine Person kann polizeilich verwahrt werden entweder auf ihren eigenen Wunsch248 (etwa zum vorübergehenden Schutz gegen verbrecherische Nachstellungen) oder aber zwangsweise, sei es ohne oder sei es gegen ihren Willen249. Die landesrechtlichen Regelungen über die zwangsweise Verwahrung 250 240

241 242 243 244 245 246

247 248 249 250

§ 21 I bad.-württ. PG; § 17 I Nr. 1 berl. ASOG; § 12 I brem. PolG; § 14 I nieders. SOG; § 11 I nordrh.-westf. PolG; §24 nordrh.-westf. OBG; § 12 I rheinl.-pfälz. PVG. § 12 III brem. PolG. § 11 III nordrh.-westf. PolG; Art. 14 III bay. PAG; § 17 III berl. ASOG; § 12 III rheinl.-pfälz. PVG; § 14 III nieders. SOG. § 17 saarl. PVG. Vgl. § 17 hess. SOG; § 21 bad.-württ. PG. - In § 177 II schlesw.-holst. LVwG wird die Vorführung ausdrücklich untersagt. Vgl. Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. II, S. 83 - 84 (a. A. noch Drews / Wakke, 7. Aufl., S. 186). In diesem Sinne: § 17 nieders. SOG; § 11 III nordrh.-westf. PolG; § 17 rheinl.pfälz. PVG; s.a. OVG Münster DVB1. 1982, 658f. - Vgl. aber auch BGH NJW 1982, 753ff.; BVerwG NJW 1982, 537; BayObLG DVB1. 1983, 1069f. (lediglich Freiheitsbeschränkung). § 13 brem. PolG und § 29 I bad.-württ. PG geben einen allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz wieder. Vgl. auch Art. 104 I S. 2 GG. S. § 22 I Nr. 2a bad.-württ. PG; § 180 I Nr. 2a schlesw.-holst. LVwG. S. auch J. Koschwitz, Die kurzfristige polizeiliche Freiheitsentziehung, 1969; R. Hoffmann, Polizeiliche „Schutzhaft" und Grundrechte, DVB1. 1970, 473 ff. Außer den in Fußnote 248 genannten Gesetzesstellen vgl. Art. 16 bay. PAG; § 18 berl. ASOG; § 15 brem. PolG; § 13 hamb. SOG; §46 hess. SOG; § 16 nieders. SOG; § 13 nordrh.-westf. PolG; § 14 rheinl.-pfälz. PVG; § 15 I saarl. PVG.

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weichen teilweise voneinander ab. Sie normieren aber zumeist zwei Gruppen von Verwahrungsgründen: 1. Schutz einer Person, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet, vor Gefahren für Leib oder Leben (in manchen Ländern auch bei Selbstmordgefahr 251 ), 2. Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung und Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr, wenn andere Mittel nicht zur Verfügung stehen (ultima ratio) 252 . Die Verwahrung ist — von dem Fall abgesehen, daß sich jemand freiwillig in Gewahrsam begibt — stets Freiheitsentziehung i. S. von Art. 104 Abs. 2 GG. Über ihre Zulässigkeit und Fortdauer ist daher in jedem Fall unverzüglich 253 eine richterliche Entscheidung herbeizuführen 254 . Über das Ende des auf ihren Beginn folgenden Tages hinaus darf sie nur auf Grund richterlicher Anordnung, in Hessen 255 sogar überhaupt nicht, aufrechterhalten werden. Das gilt selbst dann, wenn der Verwahrungsgrund weiterhin andauern sollte 256 . Die Verwahrung von geisteskranken, geistesschwachen und suchtkranken Personen in Heil- und Pflegeanstalten ist durch besondere Landesgesetze geregelt 257 . 251 252 253 254

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Dazu Polder, BayVBl. 1977, 392ff. Enger z. B. § 13 I Nr. 2, 3 nordrh.-westf. PolG: nur zur unerläßlichen Verhütung von Straftaten und zur Durchsetzung einer Platzverweisung. Näher dazu BVerwGE 45, 51 (63 - 64). Art. 104 II S. 2 GG; die Einzelheiten des Verfahrens sind landesrechtlich geregelt, § 22 III - IV bad.-württ. PG; § 19 berl. ASOG; § 16 brem. PolG; § 47 hess. SOG; Art. 20 bay. PAG; § 17 nieders. SOG; § 14 nordrh.-westf. PolG; § 15 rheinl.-pfälz. PVG. — Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit, als nach der Mehrzahl dieser Vorschriften eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams nicht herbeigeführt zu werden braucht, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahmen ergehen würde. Dem liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, daß Art. 104 II S. 2 GG für den Bereich der Polizei durch S. 3 eingeschränkt werde. Nach richtiger Ansicht (KG DVB1. 1968, 470ff., L.S. 2; OVG Berlin NJW 1973, 2172ff. (2174); Kunig, in: von Münch, GGK, Bd. 3, 2. Aufl., 1983, Rdnr. 24 zu Art. 104; zum Stand der Meinungen vgl. Koschwitz, a. a. O., S. 95 — 100) ist den Anforderungen von Art. 104 II S. 2 und 3 GG dagegen nebeneinander Rechnung zu tragen. Eine richterliche Entscheidung muß deshalb auch dann herbeigeführt werden, wenn abzusehen ist, daß der Verwahrungsgrund vor Ablauf des auf den Verwahrungsbeginn folgenden Tages wieder wegfallen wird. Dabei ist vorausgesetzt, daß während der Verwahrungszeit überhaupt die tatsächliche Möglichkeit besteht, einen zuständigen Richter zu erreichen; BVerwGE 45, 51 (63 — 64). Vgl. auch Lisken, ZRP 1980, 145 ff. (146 - 147). § 48 I hess. SOG; dazu s. BVerwGE 45, 51 (63 - 64). Zum Rechtsweg gegen polizeiliche Freiheitsentziehung s. Olschewski, JR 1970, 89ff. Näher Kunig, a. a. O., Rdnr. 20 zu Art. 104; s. ferner das BundesG über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. 6. 1956 (BGBl. I S. 599).

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d) Durchsuchung von Personen: Die Durchsuchung von Personen 258 erweist sich als Freiheitsbeschränkung. Sie bedarf nach Art. 104 I G G einer Grundlage im förmlichen Gesetz. Die neueren Polizeigesetze haben diese Grundlage für bestimmte Fälle geschaffen 259 . Dabei handelt es sich um präventive Maßnahmen 260 — im Gegensatz zu der Durchsuchung nach § 102 StPO, die der Strafverfolgung dient. e) Durchsuchung von Wohnungen: Die Polizei darf Wohnungen nur betreten und durchsuchen, wenn das zur Abwehr einer „gemeinen Gefahr", einer Lebensgefahr oder einer dringenden Gefahr („Gefahr im Verzug") für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unbedingt geboten ist261. Die landesrechtlichen Bestimmungen 262 weichen teilweise voneinander ab. Mehrfach wird zwischen dem bloßen Betreten und der Durchsuchung unterschieden und für letztere ein strengerer Maßstab aufgestellt. Die Durchsuchung dient als Mittel zum Auffinden und Ergreifen einer Person, zum Auffinden, Sicherstellen oder zur Beschlagnahme einer Sache oder zur Verfolgung von Spuren. Ihr Begriffsmerkmal ist die Suche nach Personen, Sachen oder Spuren, ein spezifisches Eindringen in die private Geheimsphäre. Fehlen diese Merkmale, dann handelt es sich um ein bloßes Betreten 263 . Einige Gesetze sehen vor, daß Wohnungen zur Nachtzeit nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr betreten werden dürfen 264 . Nach Art. 13 II GG dürfen Durchsuchungen grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden. Lediglich bei Gefahr im Verzug steht das Anordnungsrecht auch anderen, gesetzlich besonders ermächtigten Organen zu. Diese Vorschrift gilt, entgegen der früher herrschenden Meinung, nicht nur für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, sondern auch für die präventive polizeiliche Durchsuchung 265 . Praktisch wird allerdings in den meisten Fäl-

258 259

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263 264 265

Dazu eingehend W. Hoffmann, Polizei 1969, 11 ff. und 42 ff. § 23 I bad.-württ. PG; Art. 20 bay. PAG; § 19 brem. PolG; § 22 berl. ASOG; § 15 hamb. SOG; §50 hess. SOG; §20 nieders. SOG; § 17 nordrh.-westf. PolG; § 18 rheinl.-pfälz. PVG; § 179 I schlesw.-holst. LVwG. Charakteristisch: § 50 in Verb, mit § 18 I hess. SOG; § 17 I Nr. 1 in Verb, mit § 21 nordrh.-westf. PolG. Zu Art. 13 GG und gefahrenabwehrenden Eingriffen in die Wohnungsfreiheit, vgl. Schwan, DÖV 1975, 661 ff. § 19 ME PolG; § 16 hamb. SOG; § 25 bad.-württ. PG; § 24 berl. ASOG; § 21 brem. PolG; § 52 hess. SOG; § 22 nieders. SOG; § 19 nordrh.-westf. PolG; § 20 rheinl.pfälz. PVG; § 16 saarl. PVG; § 182 schlesw.-holst. LVwG; Art. 22 bay. PAG. BVerwGE 47, 31 (36 - 37). Z. B. §25 I bad.-württ. PG; § 19 II nordrh.-westf. PolG; § 182 III schlesw.-holst. LVwG. BVerwGE 28, 285 (287-292); BVerfGE 51, 97 (106); BayObLG BayVBl. 1984, 27 f.; Ule/Rasch, a.a.O., § 19 ME Rdnr. 4. So jetzt ausdrücklich § 25 V bad.württ. PG; Art. 23 I bay. PAG; § 24 II berl. ASOG; § 22 I brem. PolG; § 23 I nieders. SOG; § 20 I nordrh.-westf. PolG; § 21 I rheinl.-pfälz. PVG.

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len, in denen die Polizei überhaupt eine Wohnung durchsuchen darf, Gefahr im Verzug vorliegen, so daß die in Art. 13 II G G zugelassene Ausnahme eingreift. f ) Polizeilicher Schußwaffengebrauch: Erhebliche Unsicherheit besteht in der Frage des Schußwaffengebrauchs durch die Polizei. Im Grundsatz ist er nach Maßgabe der landesgesetzlichen Regelungen 266 als Mittel des unmittelbaren Zwangs zulässig; dabei bildet er freilich das letzte Mittel, von dem nur mit äußerster Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden darf 2 6 7 . Namentlich das Problem des sog. gezielten Todesschusses — richtiger sollte man von einem „Rettungsschuß" in äußersten Notlagen (z. B. Befreiung von Geiseln) sprechen — ist lebhaft umstritten 268 . Bayern, Niedersachsen und RheinlandPfalz haben sich bei der Neufassung ihrer Gesetze auch in diesem Punkt dem Musterentwurf angeschlossen; dagegen haben Nordrhein-Westfalen und Bremen die Frage ausgeklammert 269 . 5. Sondergesetzliche Ermächtigungen Sondergesetzliche Ermächtigungen zur Gefahrenabwehr können entweder in Ergänzung einer Generalklausel oder aber an ihrer Stelle eingeführt werden. Ein System von sondergesetzlichen Bestimmungen anstelle einer Generalklausel kannte traditionell lediglich Bayern 270 . Heute bestimmen in allen Bundesländern Generalklauseln nicht nur den Aufgabenbereich der Polizei- und Ordnungsbehörden, sondern fungieren zugleich als Eingriffsermächtigungen. Daneben haben sondergesetzliche Ermächtigungen lediglich eine ergänzende Aufgabe. Im Rahmen ihres jeweiligen Anwendungsbereichs gehen sie allerdings der Generalklausel vor, weil diese grundsätzlich nur subsidiär gilt (oben Abschnitt II. 1 b). Vielfach ist die Regelung eines Sondergesetzes enger als die Generalklausel. Sie sieht Eingriffe nicht vor, die an sich von der Generalklausel gedeckt 266

267 268

269

270

§39 bad.-württ. PG; Art. 45 bay. PAG; §9 berl. UZwG; §46 brem. PolG; §24 hamb. SOG; §6 hess. UZwG; § 54 nieders. SOG; §41 nordrh.-westf. PolG; §63 rheinl.-pfälz. PVG. Vgl. im einzelnen Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 328 ff.; R.Krüger, Polizeilicher Schußwaffengebrauch, 3. Aufl. 1977. Dazu s. Berndt, Polizei 1975, 197ff.; Funk-Werkentin, KJ 1976, 121 ff.; Gintzel, Polizei 1978, 33ff.; Hummel-Liljegren, Polizei 1977, 373ff.; R. Lange, JZ 1976, 546ff.; W. Lange, MDR 1977, 10ff.; Lerche, in: Fs. f. v. d. Heydte, 1977, 1033ff.; Rupprecht, in: Fs. f. W. Geiger, 1974, 771 ff.; Riegel. ZRP 1978, 73ff. Art. 45 II 2 bay. PAG; § 54 II nieders. SOG; § 63 II rheinl.-pfälz. PVG; § 41 II nordrh.-westf. PolG; §46 II brem. PolG; vgl. dazu Lohse, JuS 1979, 73; Riegel, NJW 1980, 1435. Zur bayerischen Sonderstellung s. Franz Mayer, Die Eigenständigkeit des bayerischen Verwaltungsrechts, dargestellt an Bayerns Polizeirecht, 1958; Emmerig, DÖV 1955, lOOff.; S. Schulze, Die polizeiliche Generalermächtigung. Ein Vergleich mit dem System der Spezialdelegation, Diss. Erlangen, 1975.

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wären. In derartigen Fällen muß durch Auslegung des jeweiligen Gesetzes ermittelt werden, ob es das betreffende Sachgebiet abschließend geregelt hat oder ob für die von ihm nicht behandelten Situationen ergänzend auf die Generalermächtigung zurückgegriffen werden kann. Abschließende Bedeutung besitzen z. B. die gesetzlichen Bestimmungen über das Versammlungswesen 271 . Gehen von einer Versammlung Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, dann kann die Polizei (unter Beachtung des Grundrechts aus Art. 8 GG) ausschließlich nach §§ 5, 13, 15 VersammlungsG einschreiten 272,273 . Dagegen lassen die Regelungen der Gewerbeüberwachung 274 oftmals Raum für Eingriffe auf Grund der Generalklausel 275 . Im Bereich des Verkehrswesens sind die Bestimmungen der StVO nur insoweit abschließend, wie verkehrstypische Gefahren in Frage stehen. Andere Einwirkungen können mit Hilfe der Generalklausel bekämpft werden 276 . Bisweilen übertragen Sondergesetze den Polizei- und Ordnungsbehörden Aufgaben, die über den Bereich der Gefahrenabwehr hinausgehen, z. B. im Paß- und Meldewesen 277 . Diese Aufgaben gehören nicht mehr zur polizeilichen Funktion im materiellen Sinne. Man spricht hier von bloß formell-polizeilichen Tätigkeiten 278 . Die in Betracht kommenden Funktionen werden in erster Linie nach Maßgabe der einzelnen Sondergesetze erfüllt. Daneben gelten für die Art und Weise der Durchführung ergänzend die Vorschriften der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze, und zwar teilweise auf Grund einer generellen Verweisung in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen selbst 279 , teilweise aber nur dann, wenn das jeweilige Spezialgesetz besonders auf sie verweist280.

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277 278 279

G über Versammlungen und Aufzüge vom 24. Juli 1953 (BGBl. I S. 684). OVG Münster DÖV 1970, 344ff. (345). Anders sieht es im Vorfeld einer Versammlung aus, vgl. OVG Münster DVB1. 1982, 653 f. (654). Dazu eingehend in diesem Band Badura, WirtschaftsverwaltungsR, Abschn. IV. Im einzelnen ist die Abgrenzung oft problematisch; s. näher Drews / Wacke/ Vogel/Martens, Bd. II, S. 66 ff. Insb. BVerwGE 28, 310 = DVB1. 1968, 509ff., mit Anm. A. Schmidt-Tophoff, S. 512ff., betr. die Anwendbarkeit der Generalklausel bei in den Straßenraum ragenden Werbeanlagen, die von den Vorschriften der StVO nicht erfaßt werden; ferner Knütel, DÖV 1970, 375 ff. Z. B. § 1 nordrh.-westf. MeldeG vom 13. 7. 1982 (GVB1. S. 474). S. Henke, DÖV 1960, 890 ff. (vgl. auch oben I. 3 b). § 10 II brem. PolG; § 1 II 2 hess. SOG; §9 II rheinl.-pfälz. PVG; § 164 II 2 schlesw.-holst. LVwG. 280 § 1 III nordrh.-westf. OBG.

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III. Formelles Polizei- und Ordnungsrecht 1. Organisation und Zuständigkeitsordnung Im Gegensatz zum materiellen Polizei- und Ordnungsrecht, bei dem die Rechtslage in sämtlichen Bundesländern weitgehend übereinstimmt, ergeben sich im organisationsrechtlichen Bereich tiefgreifende und vielfältig abgestufte Verschiedenheiten. Es besteht hier nicht nur der grundlegende Unterschied zwischen dem Einheits- und dem Trennungssystem (oben Abschnitt I. 5). Auch innerhalb beider Systeme variieren die Regelungen von Land zu Land. Im Rahmen der vorliegenden Darstellung können nur Grundlinien aufgezeigt werden. Ergänzend wird auf die einschlägigen Gesetze der einzelnen Bundesländer verwiesen 281 . a) Kompetenzabgrenzung zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden: In den Ländern, die die Aufgaben der Gefahrenabwehr auf zwei Behördenzweige verteilen, muß jede Behandlung eines konkreten Falles von der Frage ausgehen, ob für das betreffende Sachgebiet die Polizei oder die Ordnungsbehörde zuständig ist. Die landesrechtlichen Regelungen dazu sind unterschiedlich. Überall aber kennt man eine normale Zuständigkeitsverteilung und neben ihr eine Reihe von Not- und Hilfszuständigkeiten, die der Polizei zustehen. aa) Normale Zuständigkeitsverteilung: Für die Aufgaben der Polizeibehörden ist das Enumerationsprinzip durchgeführt. Sie sind nur für die Angelegenheiten zuständig, die die Gesetze ihnen ausdrücklich zuweisen 282 . Fehlt es an einer Zuweisung an die Polizei, dann ist die Ordnungsbehörde zuständig 283 . Es spricht also die Vermutung fiir die Kompetenz der Ordnungsbehörde. bb) Notzuständigkeiten der Polizei: In sämtlichen Ländern des Trennungssystems hat man nicht umhin gekonnt, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß allein die Polizei über einen stets unmittelbar einsatzfähigen Exekutivapparat verfügt. Auch den Ordnungsbehörden sind zwar teilweise sog. Vollzugsbeamte 284 zugeteilt; sie reichen aber nach ihrer Zahl und dem Umfang ihrer Tätigkeit nicht aus, um eine allgemeine präventive Überwachung durchzuführen. Die Ordnungsbehörden bilden im wesentlichen eine Schreibtischverwaltung, die die tatsächlichen Vorgänge nur aus einer gewissen Distanz heraus verfolgen kann. Zum sofortigen Eingreifen in dringenden Fällen ist praktisch nur die Polizei imstande. 281 282

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284

Überblick über den Aufbau der Ordnungsverwaltung bei Rasch, DVB1. 1977, 144ff. S. z. B. die Zuständigkeitskataloge in § 46 II bad.-württ. PG (sog. Polizeivollzugsdienst); § 4 berl. ASOG; § 62 I 1 hess. SOG; §§ 11, 12 nordrh.-westf. POG; § § 4 - 7 schlesw.-holst. POG. So ausdrücklich z. B. § 46 I bad.-württ. PG; § 1 III 1 hess. SOG; § 166 I schlesw.holst. LVwG. Z. B. §28 nieders. SOG; in Nordrhein-Westfalen heißen sie „Dienstkräfte", § 13 nordrh.-westf. OBG.

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Deshalb hat man überall der Polizei die Befugnis eingeräumt, auch im Tätigkeitsbereich der Ordnungsbehörden die notwendigen „unaufschiebbaren Maßnahmen" bei akuter Gefahr zu treffen (sog. Recht des ersten Zugriffs)™. Dabei handelt es sich, wie die Gesetze vielfach ausdrücklich betonen, um eine eigene Zuständigkeit der Polizei286. Das Recht des ersten Zugriffs gehört also zum Bereich des formellen Polizeibegriffs. Die Notzuständigkeit wirkt so lange, bis die Ordnungsbehörde, die sofort zu unterrichten ist, selbst eingreifen kann. ccj Hilfszuständigkeiten der Polizei: Die Polizei ist allgemeines Überwachungsorgan. Sie hat die Ordnungsbehörden von allen Vorgängen und Zuständen zu unterrichten, die deren Eingreifen erforderlich erscheinen lassen287. Außerdem fungiert sie als Vollzugsorgan288. In dieser Eigenschaft leistet sie den Ordnungsbehörden Hilfe beim Vollzug der von ihnen erlassenen Verfügungen. Die sachliche Verantwortung für den Inhalt der betreffenden Maßnahmen liegt bei den Ordnungsbehörden. Gegen sie richten sich die Rechtsmittel. Die Polizei ist nur für die Art und Weise des Vollzugs verantwortlich. b) Organisation der Polizei: Der organisatorische Aufbau der Polizei bietet in den verschiedenen Bundesländern ein sehr buntes Bild. Es ergeben sich aber immerhin eine Reihe von Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten. aa) Arten der Polizeibehörden: In den meisten Ländern unterscheidet man die Vollzugspolizei von den eigentlichen Polizeibehörden289. Die Vollzugspolizei besteht aus den uniformierten Beamten, die für den laufenden Einsatz durch Einzelakte zur Verfügung stehen. Das organisatorische Verhältnis der Vollzugspolizei zu den Polizeibehörden wechselt. Teilweise bildet die Vollzugspolizei eine selbständige Behörde neben den Polizeibehörden 290 , teilweise ist sie diesen als unselbständige Untergliederung integriert291. Die Zuständigkeitsverteilung im Verhältnis zwischen Polizeibehörden und Vollzugspolizei ist in formaler Hinsicht ähnlich ausgestaltet wie zwischen den

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§ 2 I bad.-württ. PG; § 4 I 1 berl. ASOG; §§ 1 II 1, 62 I 2 hess. SOG; § 80 II nieders. SOG; § 1 I 2 nordrh.-westf. PolG; § 14 I nordrh.-westf. POG; § 168 12 schlesw.holst. LVwG. Z. B. § 1 II nieders. SOG, § 1 I 2 nordrh.-westf. PolG. §53 III bad.-württ. PG; §4 12 berl. ASOG; § 2 S. 2 hess. SOG; § 1 II nieders. SOG; § 1 I 3 nordrh.-westf. PolG; § 166 III 2 schlesw.-holst. LVwG. § 76 I bad.-württ. PG; § 1 IV nieders. SOG; § 2 nordrh.-westf. OBG, in Verb, mit §§ 25ff. nordrh.-westf. PolG; § 168 14, III schlesw.-holst. LVwG; einschränkend dagegen § 44 III 2 hess. SOG. § 45 bad.-württ. PG; §§ 65, 70 brem. PolG; §§ 57, 64 hess. SOG; §§ 77, 85 rheinl.pfälz. PVG; dagegen sind gem. § 165 II schlesw.-holst. LVwG „Polizei i. S. dieses Gesetzes (nur) die Polizeivollzugskräfte"; anders wiederum § 1 IV berl. ASOG: „Polizei i. S. dieses Gesetzes ist der Polizeipräsident in Berlin." So § 56 bad.-württ. PG. 291 So §§ 65, 66 I hess. SOG; §§ 65, 69 nieders. SOG.

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Ordnungsbehörden und der Polizei als Gesamtheit 292 . Die Vollzugspolizei hat enumerierte Einzelzuständigkeiten, daneben das Recht des ersten Zugriffs, die Überwachungstätigkeit und die Pflicht zur Vollzugshilfe. Die übrigen polizeilichen Aufgaben liegen bei den Polizeibehörden. Es spricht also - sofern im Einzelfall überhaupt eine polizeiliche, nicht ordnungsbehördliche Aufgabe gegeben ist — eine Vermutung für die Zuständigkeit der Polizeibehörden. 1. Gliederung der Vollzugspolizei: Die Vollzugspolizei ist nach fachlichen Gesichtspunkten in mehrere Zweige untergliedert, insbesondere in Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Wasserschutzpolizei und Bereitschaftspolizei 293 . Bei der Bereitschaftspolizei handelt es sich um eine kasernierte Polizeitruppe 294 . 2. Gliederung der Polizeibehörden: Sie sind eingeteilt in die allgemeinen (ordentlichen) Polizeibehörden 295 und die Sonderpolizeibehörden 296 . Die Sonderpolizeibehörden sind jeweils für ein bestimmtes Fachgebiet zuständig. Ihre Organisation und ihre Aufgaben beruhen auf dem einschlägigen Spezialgesetz. Die allgemeinen Polizeibehörden können im Zuständigkeitsbereich der Sonderpolizeibehörden grundsätzlich nicht tätig werden. Die Zuständigkeit der Sonderpolizeibehörden geht also vor 297 . Als Sonderpolizeibehörden kommen z. B. in Betracht die Bergämter, die Gesundheitsämter, die Forstämter und die Gewerbeaufsichtsämter. Sie bilden allerdings in den Ländern, die die Polizei- von den Ordnungsbehörden trennen, zumeist nicht Sonderpolizei-, sondern Sonderordnungsbehörden. bb) Staatliche Polizei: Die Polizei gehört seit jeher materiell zum Kompetenzbereich des Staates. Verschiedene Gesetze erklären sie ausdrücklich und uneingeschränkt zur „Angelegenheit des Landes" 298 . Sie ist heute, nachdem die Übertragung von Polizeiaufgaben auf die Gemeinden zur Wahrnehmung im Auftrag des Landes, wie sie verschiedene Bundesländer früher kannten 299 , bis Mitte der siebziger Jahre allmählich abgebaut worden ist, auch in organisatorischer Hinsicht ganz zur unmittelbaren Landesverwaltung geworden. Die Organisation der Polizei folgt in den Ländern keinem einheitlichen Schema. Meistens ergibt sich ein dreistufiger Aufbau in Landes- (Bezirks-), 292 293 294 295 296 297 298 299

Vgl. § 46 II bad.-württ. PG; §§ 1 II, 44 I und III, 62 hess. SOG; anders dagegen in Schlesw.-Holst. (Anm. 289). Z. B. § 56 bad.-württ. PG; § 70 brem. PolG; § 64 hess. SOG; § 85 I rheinl.-pfälz. PVG; §§ 3, 7 schlesw.-holst. POG. Vgl. Ule / Rasch, a. a. O., § 56 bad.-württ. PG Rdnr. 4; eingehend dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 32 - 34. § 47 I bad.-württ. PG; § 65 I brem. PolG; § 57 hess. SOG; § 2 nordrh.-westf. POG; § 73 I rheinl.-pfälz. PVG; § 165 I Nr. 1 - 3 schlesw.-holst. LVwG. §47 II bad.-württ. PG; §66 I brem. PolG; §63 hess. SOG; § 12 nordrh.-westf. OBG; § 165 I Nr. 4 schlesw.-holst. LVwG. Dazu Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S.68ff., 86 ff. Vgl. auch Mößle, GewArch. 1984, 8 ff. (9). S. § 65 I nieders. SOG; § 1 nordrh.-westf. POG; § 1 schlesw.-holst. POG. Überblick über die Entwicklung der kommunalen Polizei bei Götz, a. a. O., S. 127— 128.

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Kreis- und örtliche Polizeibehörden 300 . An der Spitze steht der Innenminister als oberste Instanz. Einige Länder verzichten auf die örtlichen Polizeibehörden, so daß die Behörden auf der Ebene des Stadt- bzw. Landkreises die unterste polizeiliche Instanz bilden301. Man will damit im Interesse der Schlagkraft eine zu weitgehende organisatorische Zersplitterung vermeiden. Landes- bzw. Bezirkspolizeibehörden sind im allgemeinen die Regierungspräsidenten (Bezirksregierungen)302. Nur einige Länder qualifizieren auch die Ministerialinstanz als Polizeibehörde303. In den übrigen nimmt sie lediglich Aufsichtsfunktionen wahr. Sie kann also nicht unmittelbar Exekutivmaßnahmen treffen. Soweit auf der Kreisebene die Landräte (Oberkreisdirektoren) als Kreispolizeibehörden fungieren 304 , werden sie nicht als Selbstverwaltungsorgane, sondern in ihrer Zweitfunktion als untere staatliche Verwaltungsbehörde 305 tätig. — In den größeren Städten bestehen vielfach Polizeipräsidien, Polizeidirektionen oder Polizeiämter als besondere staatliche Behörden 306 . Örtliche Polizeibehörden sind, sofern keine besonderen staatlichen Polizeibehörden auf Ortsebene bestehen, die Bürgermeister (Oberbürgermeister) bzw. die Gemeindedirektoren, gegebenenfalls auch die Amtsvorsteher307. Sie werden insoweit kraft gesetzlicher Organleihe unmittelbar für den Staat tätig. Neben den Landes-, Kreis- und Ortspolizeibehörden stehen selbständig eine Reihe zentraler Institutionen der Polizeiverwaltung, insbesondere die Landeskriminalämter 308 . c) Organisation der Ordnungsbehörden: Die Ordnungsbehörden und die allgemeinen Verwaltungsbehörden, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrzunehmen haben, bilden einen integrierenden Bestandteil der „normalen" Verwaltungsorganisation. Es war ja gerade der Zweck der „Entpolizeilichung" der betreffenden Sachgebiete, die Sonderstellung der Polizeibehörden zu beseitigen (s. oben Abschnitt I. 5). Infolgedessen gelten hier die gewöhnlichen Grundsätze der Verwaltungsorganisation. Untere (örtliche) Ordnungsbehörden sind regelmäßig die Gemeinden als Selbstverwaltungskörperschaften 309 . Die Kompetenzen werden von ihren 300

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305 306 307 308 309

S. § 47 I bad.-württ. PG; § 57 I hess. SOG; § 2 nordrh.-westf. POG; § 77 I rheinl.pfalz. PVG; § 5 saarl. VO über die Verstaatlichung der kommunalen Vollzugspolizei v. 15. 11. 1946 (ABl. S. 240); §§ 163, 165 schlesw.-holst. LVwG. So § 2 nordrh.-westf. POG, § 65 II nieders. SOG. § 48 II bad.-württ. PG; § 57 I Nr. 2 hess. SOG; § 67 nieders. SOG. § 48 I bad.-württ. PG; § 57 I Nr. 1 hess. SOG. § 48 III bad.-württ. PG i. Verb, mit § 14 I bad.-württ. LVG; § 57 I Nr. 3 hess. SOG; § 3 I Nr. 2 nordrh.-westf. POG; § 78 II rheinl.-pfälz. PVG; § 165 I Nr. 2 schlesw.holst. LVwG. Dazu s. in diesem Lehrbuch Schmidt-Aßmann, GemeindeR, Abschn. II. Z. B. § 68 nieders. SOG; § 3 II 1 nordrh.-westf. POG. § 48 IV bad.-württ. PG; § 57 I Nr. 4 hess. SOG; § 34 II, III saarl. LVG. Z. B. §§ 2, 13 nordrh.-westf. POG; § 70 hess. SOG; § 56 Nr. 1 bad.-württ. PG. §§ 1 III 2, 55 I hess. SOG; § 74 nieders. SOG; § 3 I nordrh.-westf. OBG.

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nach Gemeindeverfassungsrecht zuständigen Organen 310 als Pflichtaufgaben nach Weisung311 wahrgenommen. Über den örtlichen Ordnungsbehörden stehen die Kreisordnungsbehörden (Landkreise) und die Landesordnungsbehörden (Regierungspräsidenten) 312 . Die Aufgaben der Gefahrenabwehr sind grundsätzlich von den örtlichen Ordnungsbehörden zu erfüllen 313 . Jedoch wird dieser Grundsatz für zahlreiche Fälle durch Sonderregelungen durchbrochen 314 . Auch im Bereich der Ordnungsverwaltung gibt es neben den allgemeinen Ordnungsbehörden verschiedene Sonderordnungsbehördenil5, die jeweils für einzelne Sachgebiete ausschließlich zuständig sind. Soweit die Ordnungsaufgaben auf kommunaler Ebene wahrzunehmen sind, ergeben sich vielfach Verschränkungen zwischen Kommunalverfassungsrecht und Ordnungsrecht. Einzelheiten dazu können hier nicht dargestellt werden316. d) Aufsicht über Polizei- und Ordnungsbehörden: Der Vielfalt der differenzierten Organisationsregelungen sowohl im Bereich der Polizei als auch in dem der Ordnungsbehörden entspricht eine ebenso aufgefächerte Ausgestaltung der Aufsichtsbefugnisse in den einzelnen Bundesländern 317 . Das Aufsichtsrecht liegt regelmäßig bei den höheren Polizei- und Ordnungsbehörden bis hin zu den Ministerien als letzter Instanz. Die Ministerien sind auch dort Aufsichtsorgane, wo sie nicht selbst die Stellung einer Polizeibzw. Ordnungsbehörde haben 318 . Die Aufsicht gliedert sich in die allgemeine Dienstaufsicht und die auf den konkreten Tätigkeitsbereich bezogene Fachaufsicht. Die Dienstaufsicht ressortiert zum Innenminister, die Fachaufsicht zum jeweils zuständigen Fachminister319.

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Zur Maßgeblichkeit des Kommunalverfassungsrechts für die innerkörperschaftliche Organzuständigkeit der Ordnungsbehörden s. OVG Münster DVB1. 1970, 550ff.

S. Schmidt-Aßmann, a. a. O., Abschn. II. §§ 1 III, 55 hess. SOG; § 74 I nieders. SOG; § 3 I u. II nordrh.-westf. OBG. S. insb. § 5 I nordrh.-westf. OBG; § 78 I nieders. SOG; dagegen stellt § 1 III 2 hess. SOG Gemeinden und Kreise als Ordnungsbehörden 1. Instanz nebeneinander. Dazu § 78 II nieders. SOG; § 5 II nordrh.-westf. OBG. Z. B. § 12 nordrh.-westf. OBG; vgl. im übrigen die Nachweise in Anm. 296. S. als Beispiele § 74 II nieders. SOG; § 11 nordrh.-westf. OBG. S. §§ 4 9 - 5 0 bad.-württ. PG; § 6 berl. ASOG; §68 brem. PolG; § § 5 8 - 5 9 hess. SOG; §§ 72, 76 nieders. SOG; §§ 5, 6 nordrh.-westf. POG und § 7 nordrh.-westf. OBG; § 83 rheinl.-pfälz. PVG; § § 1 4 - 1 8 schlesw.-holst. LVwG. Wie in Nordrhein-Westfalen: s. §§ 2, 5, 6 nordrh.-westf. POG; §§ 3, 7 III nordrh.westf. OBG. Z. B. §§ 49, 50 bad.-württ. PG; § 6 I berl. ASOG; § 59 I, II hess. SOG; § 76 nieders. SOG; §§ 5, 6 nordrh.-westf. POG.

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Die Aufsichtsbehörden besitzen ein umfassendes Informationsrecht320. Sie können Weisungen erteilen, denen die untergeordneten Behörden Folge zu leisten haben 321 . Die Weisungen können entweder als allgemeine Weisungen oder als besondere Weisungen für den Einzelfall ergehen. Sie können sich auf die Rechtmäßigkeit wie auf die bloße Zweckmäßigkeit (Ermessensausübung!) einer Maßnahme beziehen. In einigen Fällen, in denen Aufgaben der Gefahrenabwehr kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften obliegen, sind die Weisungsbefugnisse allerdings eingeschränkt. So kann nach § 9 II nordrh.-westf. OBG die Aufsichtsinstanz durch Einzelweisung nur dann in das Ermessen der örtlichen Ordnungsbehörde eingreifen, wenn deren Verhalten zur Gefahrenabwehr nicht geeignet erscheint oder wenn es überörtliche Interessen verletzt. Als äußerstes Mittel steht der Aufsichtsbehörde vielfach das Recht zum Selbsteintritt, also zur eigenen Durchführung der notwendigen Maßnahme anstelle der an sich zuständigen Behörde und auf deren Kosten, zu322. e) Zuständigkeitsordnung: Bei den Polizei- wie bei den Ordnungsbehörden besteht in den einzelnen Ländern jeweils eine Zuständigkeitsordnung, die den Tätigkeitsbereich der Behörden sowohl in räumlicher Hinsicht als auch instanziell im Verhältnis zwischen Behörden verschiedener Stufen abgrenzt. Grundsätzlich ist diese Zuständigkeitsordnung starr. Jede Behörde ist auf den ihr zugewiesenen Bereich beschränkt. Der Gesetzgeber hat jedoch die Regelzuständigkeiten im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr durch ein System von außerordentlichen Zuständigkeiten ergänzt. Dadurch soll gewährleistet werden, daß eine an sich mögliche Gefahrenabwehr im Einzelfall nicht an Zuständigkeitsgrenzen zu scheitern braucht. aa) Örtliche Zuständigkeit: Die örtliche Zuständigkeit entscheidet darüber, welche von mehreren gleichartigen und gleichrangigen Behörden mit unterschiedlichem räumlichen Bezirk in einem konkreten Fall einzugreifen hat. 1. Regelzuständigkeit: Die örtliche Zuständigkeit der Polizei- und Ordnungsbehörden beschränkt sich fast stets auf ein bestimmtes Gebiet, den sog. Polizeibezirk. Zuständig ist die Behörde, in deren Bezirk die in Betracht kommende Aufgabe wahrzunehmen ist323, wo also die abzuwehrende Gefahr oder die zu beseitigende Störung auftritt („wo die polizeilich zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden"). Unerheblich sind demgegenüber der 320 321 322

323

§ 51 III bad.-württ. PG; § 7 II Nr. 1 berl. ASOG; § 68 I brem. PolG; § 60 II hess. SOG; § 8 nordrh.-westf. OBG. §51 I bad.-württ. PG; §7 II Nr. 2 berl. ASOG; §69 I brem. PolG; §60 I hess. SOG; § 9 nordrh.-westf. OBG. § 51 II bad.-württ. PG; § 7 II Nr. 3 berl. ASOG; § 69 II brem. PolG; § 61 I hess. SOG; § 10 nordrh.-westf. OBG. — Ohne besondere gesetzliche Zulassung ist der Selbsteintritt nicht zulässig; vgl. OVG Berlin NJW 1977, 1166f. (1167). § 54 I bad.-württ. PG; § 78 I brem. PolG; §§ 75 - 76 hess. SOG; § 7 I nordrh.-westf. POG; §4 I nordrh.-westf. OBG; § 81 I rheinl.-pfälz. PVG; § 167 I schlesw.-holst. LVwG.

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Wohnsitz oder Aufenthalt des Störers sowie der Ort, an dem Ursachen für die Störung gesetzt worden sind. Gehen von einem Grundstück Gefahren aus, dann kann nur die Polizei einschreiten, in deren Bezirk das Grundstück belegen ist. Auf den Wohnsitz des Eigentümers (als Zustandsstörer) kommt es nicht an. Einige Länder haben den Beamten der staatlichen Vollzugspolizei eine umfassende örtliche Zuständigkeit für das gesamte Landesgebiet verliehen 324 . 2. Außerordentliche Zuständigkeiten: Außerordentliche Zuständigkeiten können entweder genereller Natur sein oder nur im konkreten Einzelfall eingreifen. Eine generelle Regelung ist in Fällen zulässig, in denen eine bestimmte polizeiliche Aufgabe, die in mehreren Dienstbezirken auftritt, zweckmäßig nur einheitlich wahrgenommen werden kann (Überwachung eines gefährlichen Unternehmens, dessen Betriebsgelände die Bezirksgrenzen überschreitet). Hier kann die übergeordnete Instanz eine der beteiligten Polizei- bzw. Ordnungsbehörden für allein zuständig erklären 325 . Der Zuständigkeitsbereich dieser Behörde wird damit, abweichend von der gesetzlichen Regelung, ausgedehnt; derjenige der anderen wird beschränkt. Außerordentliche Zuständigkeiten im Einzelfall kommen in Betracht bei der polizeilichen Nachbarhilfe und bei der Nacheile. Es geht hier darum, die zwangsläufige Einbuße an polizeilicher Effektivität, die sich aus den örtlichen Zuständigkeitsgrenzen ergibt, nach Möglichkeit auszugleichen 326 . Nachbarhilfe bedeutet Tätigkeit einer Polizeibehörde oder eines Vollzugsbeamten in einem benachbarten Bezirk bei Gefahr im Verzug. Sie setzt stets voraus, daß die an sich örtlich zuständige Behörde nicht rechtzeitig eingreifen kann. Zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf frischer Tat, zur unmittelbaren Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie zur Verfolgung und Wiederergreifung Entwichener dürfen alle Vollzugsbeamten im Wege der Nacheile auch außerhalb des Bezirks ihrer Behörde Amtshandlungen vornehmen 327 . Diese Befugnis erstreckt sich auf das gesamte Gebiet des jeweiligen Landes, nicht nur auf die benachbarten Polizeibezirke. Nachbarhilfe und Nacheile können oftmals auch über Landesgrenzen hinweg geboten erscheinen. Da das Polizeirecht der Landeskompetenz untersteht, kann das einzelne Land seine Vollzugsbeamten nicht ermächtigen, im Gebiet eines fremden Landes tätig zu werden. Wohl aber finden sich eine 324 325

326 327

Z. B. § 63 I bad.-württ. PG. § 55 bad.-württ. PG; § 78 III brem. PolG; § 75 II hess. SOG; § 78 III nieders. SOG; § 7 III nordrh.-westf. POG; § 81 III rheinl.-pfälz. PVG; § 167 II schlesw.-holst. LVwG. Dazu Schreiber, Polizei 1971, 200 f. §78 IV brem. PolG; §76 II Nr. 3 - 4 hess. SOG; §78 IV nieders. SOG; § 7 II Ziff. 1 nordrh.-westf. POG.

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Reihe von landesgesetzlichen Vorschriften, die den Beamten anderer Länder gestatten, unter den Voraussetzungen der Nachbarhilfe oder Nacheile Amtshandlungen auf dem eigenen Gebiet vorzunehmen. Diese Handlungen werden materiell-rechtlich so qualifiziert, als seien sie von Beamten des ermächtigenden Landes vorgenommen worden 328 . bb) Instanzielle Zuständigkeit: Im Regelfall sind die Aufgaben der Gefahrenabwehr von der untersten Instanz (örtliche bzw. bei deren Fehlen Kreisbehörde) wahrzunehmen. Dieser Grundsatz ist in einigen Gesetzen besonders ausgesprochen 329 . Er gilt aber auch sonst. Eine unmittelbare Zuständigkeit höherer Instanzen kommt nur dort in Betracht, wo sie gesetzlich besonders angeordnet ist330. Bei Gefahr im Verzug können die instanziellen Zuständigkeitsgrenzen weitgehend beiseite geschoben werden. Die übergeordneten Behörden werden für diesen Fall in den meisten Gesetzen ermächtigt, selbst die Befugnisse der untergeordneten Stellen auszuüben und umgekehrt (!)331. Es kann also im Extremfall eine örtliche Polizeibehörde in die Lage kommen, eine Aufgabe der Ministerialinstanz wahrzunehmen. Die Zuständigkeitsverschiebung erfaßt allerdings in der Regel nur den Erlaß von Verfügungen im Einzelfall, nicht dagegen von Polizeiverordnungen. 2. Rechtsformen des polizeilichen und ordnungsbehördlichen Handelns Das Polizeirecht ist aus rechtsstaatlichen Gründen bereits seit langem durch eine weitgehende Formenstrenge gekennzeichnet. Die einzelnen Tätigkeitsformen sind im Gesetz näher geregelt. Drei Hauptformen sind zu unterscheiden, die im folgenden behandelt werden. a) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verfügungen: Bei den Verfügungen des Polizei- und Ordnungsrechts handelt es sich um hoheitliche Maßnahmen, die zur Regelung eines Einzelfalls erlassen werden, also um Verwaltungsakte im Rechtssinne. Die heute geltenden Gesetze definieren sie im Anschluß an § 40 I preuß. PVG als „Anordnungen der Polizei-(bzw. Ordnungs-)behörden, die an bestimmte Personen oder an einen bestimmten Personenkreis ergehen und ein Gebot oder Verbot oder die Versagung, Einschränkung oder Zurücknahme einer rechtlich vorgesehenen polizeilichen Erlaubnis oder Bescheinigung enthalten" 332 . Keine Verfügung ist nach dieser gesetzlichen Definition die Erteilung einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Erlaubnis.

328 329 330 331 332

§ 9 nordrh.-westf. POG; §§ 65, 66 bad.-württ. PG; § 81 II brem. PolG. § 5 I nordrh.-westf. OBG; § 52 II bad.-württ. PG; § 62 II 2 hess. SOG. Z. B. § 12 nordrh.-westf. POG für die Regierungspräsidenten. § 53 bad.-württ. PG; § 80 I brem. PolG; § 61 I hess. SOG; § 80 I, II nieders. SOG; § 14 I nordrh.-westf. POG; § 6 I nordrh.-westf. OBG. § 6 I hess. SOG; § 20 I nordrh.-westf. OBG; § 45 I rheinl.-pfälz. PVG; § 40 I saarl. PVG; § 173 I schlesw.-holst. LVwG; § 10 I bad.-württ. PG.

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Seitdem jeder Verwaltungsakt anfechtbar ist (Art. 19 IV GG, §§ 40, 42 VwGO), hat der Begriff der Verfügung seine frühere zentrale Stellung verloren. Der Begriff besitzt heute im wesentlichen nur noch systematische Bedeutung und wird allein dadurch noch unmittelbar praktisch relevant, daß die Gesetze für Polizei- und Ordnungsverfügungen gewisse Formerfordernisse aufstellen, die für andere Verwaltungsakte der Polizei- und Ordnungsbehörden nicht gelten333. Die Verfügung regelt stets einen konkreten Einzelfall, also eine bestimmte Gefahrensituation. Dadurch unterscheidet sie sich von den polizei- und ordnungsbehördlichen Verordnungen, die generelle Anordnungen für eine unbestimmte Vielzahl von abstrakt im voraus bedachten Fällen treffen (unten Abschnitt III. 2 c). Auf die Zahl der Adressaten kommt es nicht an. Sind zahlreiche Personen an einer einzelnen Gefahrensituation beteiligt, so können sie — sofern ihr Kreis nur objektiv bestimmbar ist — durch eine einheitliche Polizeiverfügung herangezogen werden. Eine an alle Groß- und Einzelhändler eines Bezirks gerichtete, durch den Rundfunk verbreitete Anordnung, wegen Seuchengefahr bis auf weiteres nicht mehr mit Endiviensalat zu handeln, ist als Polizeiverfügung, nicht als Verordnung zu qualifizieren 334 . aa) Selbständige und unselbständige Verfügungen: Je nach der gesetzlichen Grundlage, auf die eine polizeiliche oder ordnungsbehördliche Verfügung sich stützt, müssen wir zwei Gruppen unterscheiden: die selbständigen und die unselbständigen Verfügungen. 1. Selbständige Verfugungen haben ihre Rechtsgrundlage in der Generalklausel (oben Abschnitt II. 1). Sie sind nur dann zulässig und rechtmäßig, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um eine tatsächlich vorhandene konkrete Gefahr abzuwehren bzw. eine konkrete Störung zu beseitigen335. Es müssen also konkrete Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, daß gerade in diesem Einzelfall der Eintritt der Gefahr zu gewärtigen ist336. Dagegen wäre es unzulässig, eine selbständige Verfügung lediglich auf die abstrakte Annahme zu stützen, daß gewisse Vorgänge und Zustände typischerweise Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung mit sich bringen. 2. Unselbständige Verfugungen ergehen dagegen nicht auf der Grundlage der Generalklausel, sondern auf Grund einer besonderen Rechtsvorschrift, sei es eines förmlichen Gesetzes oder sei es einer Rechtsverordnung (insbesondere einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Verordnung, unten Abschnitt III. 2 c). Sie sind rechtmäßig, wenn die zugrundeliegende Rechts333

334 335 336

Zur heutigen Bedeutung des Instituts der polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfügung s. OVG Münster DVB1. 1959, 478 ff. (481); eingehend Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 106ff. BVerwGE 12, 87 (89); weiterer charakteristischer Fall: OVG Lüneburg OVGE 6, 265 (267 - 268). § 173 I schlesw.-holst. LVwG. OVG Lüneburg OVGE 10, 341 (343); zur Abgrenzung von abstrakter und konkreter Gefahr s. BVerwG NJW 1970, 1890 ff. (1892).

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Vorschrift ihrerseits gültig ist (vor allem nicht der Verfassung zuwiderläuft und — bei Verordnungen — im Einklang mit dem ermächtigenden Gesetz steht) und wenn ihr Tatbestand im Einzelfall erfüllt ist. Die Gesetze und Verordnungen, die die Polizei zum Einschreiten in bestimmten Fällen ermächtigen, bewerten ihrerseits die jeweils geregelten Situationen als abstrakt gefährlich. Dabei müssen sie notwendig generalisieren. Es kann deshalb vorkommen, daß in einem einzelnen Anwendungsfall in Wahrheit gar keine Gefahr vorliegt. Das Fehlen einer konkreten Gefahr ändert aber nichts an der Rechtmäßigkeit der unselbständigen Verfügung. Der Polizeipflichtige kann die Verfügung nicht mit dem Nachweis zu Fall bringen, daß bei ihm keine Gefahr gegeben sei337. Neuerdings hat man gelegentlich behauptet, die Zulässigkeit unselbständiger Verfügungen trotz Fehlens einer konkreten Gefahr verletze das Rechtsstaatsprinzip 338 . Dabei wird aber das Wesen jeglicher Gesetzesanwendung verkannt. Wenn der Tatbestand des Gesetzes gegeben ist, kann es angewandt werden, ohne daß die gesetzgeberische Motivation noch einmal auf den Einzelfall projiziert zu werden braucht. — Den rechtsstaatlichen Bedenken muß vielmehr bereits beim Erlaß der betreffenden Gesetze oder Verordnungen Rechnung getragen werden. Sie dürfen die Handlungsfreiheit der Bürger nicht stärker beschränken, als das durch legitime öffentliche Interessen geboten ist339, und müssen gegebenenfalls für besondere Fallgestaltungen Ausnahmeregelungen vorsehen (Prinzip der Verhältnismäßigkeit). Soweit die Gesetze und Verordnungen aber den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen und gültig sind, ist ihre Anwendung im Einzelfall zulässig. bb) Form der Verfugungen: Die meisten Polizei- und Ordnungsbehördengesetze sehen vor, daß Verfügungen mündlich, schriftlich oder durch Zeichen erlassen werden können 340 . Es besteht also weitgehende Formfreiheit341. Auf jeden Fall aber muß die Verfügung dem Adressaten zur Kenntnis gelangen. Solange sie ihm nicht zugegangen ist (er z. B. das Zeichen nicht gesehen hat), erlangt sie keine rechtliche Wirksamkeit. Der Begriff der Zeichen ist weit zu fassen. Er umfaßt sowohl die typisierten Zeichen eines Verkehrspolizisten wie auch sonstige konkludente Handlungen 337

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PrOVG 99, 217; OVG Münster OVGE 13, 280 (282); OVG Berlin DVB1. 1966, 907; Schröter, DVB1. 1957, 415ff.; Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 180ff.; vgl. a. OLG Karlsruhe NJW 1984, 502 ff. (503). v. Köhler, DÖV 1956, 744ff. ( 7 4 7 - 7 4 8 ) ; ders., DVB1. 1957, 73ff.; Därig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Rdnr. 81 d, cc zu Art. 2 I GG (Fn. 3). S. BVerfGE 20, 150 (155). § 6 S. 1 hamb. SOG; § 7 S. 2 hess. SOG; § 49 I rheinl.-pfälz. PVG; § 44 I 1 saarl. PVG; § 108 II 1 schlesw.-holst. LVwG. — Bei Fehlen von polizeigesetzlichen Sonderregelungen ist auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des jeweiligen Landes zurückzugreifen (vgl. § 37 II VwVfG). Vgl. auch OVG Lüneburg DVB1. 1977, 832ff. (833): Bekanntgabe einer Polizeiverfügung über Lautsprecher.

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jeder Art. Schriftliche Verfügungen sind bei ihrem Erlaß schriftlich zu begründen 342 . In einigen Gesetzen ist der schriftliche Erlaß als regelmäßige Form vorgeschrieben. So dürfen in Nordrh.-Westf. Ordnungsverfügungen außer bei Gefahr im Verzug nur schriftlich erlassen werden 343 . Auch wo derartige Vorschriften nicht bestehen, wird man aus rechtsstaatlichen Gründen verlangen müssen, daß im Regelfall die Schriftform gewählt wird. Nur sie gewährleistet die notwendige Rechtsklarheit und gibt eine sichere Grundlage für ein etwaiges Rechtsmittelverfahren ab. Lediglich bei Gefahr im Verzug sowie in Fällen, in denen es sich um vorübergehende, wenig einschneidende Maßnahmen handelt (Verkehrsregelung), genügt die formlose Bekanntgabe der Verfügung. Teilweise ist vorgeschrieben, daß schriftlichen Verfügungen eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt werden muß 344 . Ein Verstoß hiergegen hat aber nur die Rechtsfolge des § 58 VwGO; er macht die Verfügung nicht rechtswidrig. cc) Unmittelbare Ausführung: § 44 S. 2 preuß. PVG stellt die „unmittelbare Ausführung einer polizeilichen Maßnahme" dem Erlaß einer Verfügung rechtlich gleich - mit der Folge, daß gegen sie die Rechtsmittel eingelegt werden können, die gegen eine entsprechende Verfügung gegeben wären, und daß ihre Rechtmäßigkeit sich nach den Maßstäben für die Rechtmäßigkeit der Verfügung bestimmt. Bei der unmittelbaren Ausführung wird der Erlaß der Verfügung fingiert. Verfügung, Androhung des Zwangsmittels und Ausführung des Zwangs fallen in einem Akt zusammen 345 . Soweit heute ausdrückliche Regelungen in den Polizeigesetzen fehlen, kommen als Grundlage des Vollzugs ohne vorausgegangenen Verwaltungsakt die einschlägigen Bestimmungen der Verwaltungsvollstreckungsgesetze in Betracht 346 . Eine der Gefahrenabwehr dienende Realhandlung der Polizeibehörde läßt sich allerdings nur dann als Verwaltungsakt i. S. einer unmittelbaren Ausführung ansehen, wenn sie erkennbar auf einen bestimmten Adressaten bezogen ist. Ist sie dagegen adressatneutral, dann kommt erst die nachfolgende Inanspruch-

342 343 345 346

§ 7 hess. SOG; § 49 II rheinl.-pfälz. PVG; § 44 II saarl. PVG; § 109 I schlesw.-holst. LVwG; § 39 I bad.-württ. VwVfG; § 39 I 1 brem. VwVfG. § 20 I nordrh.-westf. OBG. 344 Z. B. § 20 II nordrh.-westf. OBG. PrOVG 95, 111 (118); OVG Münster OVGE 11, 68 (72); OVG Hamburg DVB1. 1957, 867ff. (868); OVG Lüneburg DVB1. 1977, 832ff. (834). Z. B. § 55 II nordrh.-westf. VwVG; dazu OVG Münster DVB1. 1975, 588f.; OVG Münster NJW 1981, 478 f. (Abschleppen eines störenden PKW im Wege der unmittelbaren Ausführung); vgl. a. BVerwG DVB1. 1983, 1066f. (zur Verhältnismäßigkeit des Abschleppens). Zu dem Problem, ob es beim Abschleppen um den Vollzug der polizeilichen Generalklausel geht, oder ob es sich um einen Fall der Sicherstellung handelt, vgl. Kottmann, DÖV 1983, 493ff.; Samper, BayVBl. 1983, 333ff.; Schwabe, NJW 1983, 369ff.; — Das OVG Münster hat in neueren Entscheidungen bzgl. des Abschleppens von Falschparkern auf die Sicherstellungsnorm zurückgegriffen; vgl. OVG Münster NJW 1982, 2277ff.; OVG Münster DVB1. 1983, 1074f.

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nähme eines konkreten Störers wegen der entstandenen Kosten als Polizeiverfügung in Betracht347. Die genannte Vorschrift regelt lediglich die Rechtswirkungen der unmittelbaren Ausführung. Sie bestimmt dagegen nicht, unter welchen Voraussetzungen sie zunächst überhaupt einmal zulässig ist. Diese Lücke wird durch einige der neueren Polizei- und Ordnungsbehördengesetze ausgefüllt. Danach kann die Ausführung ohne vorausgegangenen Verwaltungsakt erfolgen, wenn ein Polizeipflichtiger348 nicht vorhanden ist bzw. wenn er nicht oder nicht rechtzeitig ermittelt werden kann oder wenn die Gefahr bzw. die Störung aus anderen Gründen ohne die unmittelbare Ausführung nicht oder nicht rechtzeitig beseitigt werden könnte 349 . Es muß sich also (abgesehen vom Sonderfall des Fehlens eines Störers) um unmittelbare, akute Gefahren handeln, bei denen der Polizei kein anderer Weg bleibt. Läßt sich der Gefahr auch mit einer Verfügung gegen den Störer begegnen, dann ist die unmittelbare Ausführung unzulässig. Sie bildet (insoweit vergleichbar mit der Heranziehung von Nichtstörern, oben Abschnitt II. 3 a) die ultima ratio. Diese einschränkenden Voraussetzungen gelten auch dort, wo sie nicht ausdrücklich normiert sind350. Mittel der unmittelbaren Ausführung sind die Ersatzvornahme und der unmittelbare Zwang351. dd) Erfordernisse der Rechtmäßigkeit der Verfugungen: Die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Verfügung setzt im Regelfall voraus 352 : 1. Zuständigkeit der erlassenden Behörde (oben Abschnitt III. 1); 2. Beachtung der jeweils vorgeschriebenen Form- und Verfahrensvorschriften (s. oben unter III. 2 a, bb u. cc); 3. Einhaltung der Grenzen des ermächtigenden Gesetzes: entweder einer Spezialvorschrift oder der Generalklausel (zur Anwendung der letzteren s. oben Abschnitt II. le, cc). — Dazu gehört die ordnungsmäßige Ausübung des Ermessens. Polizei- und Ordnungsverfügungen dürfen nur zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlassen werden. Sie dürfen auch nicht lediglich dazu dienen, der Polizei die Aufsicht zu erleichtern353. Eine außerpolizeiliche Motivation (eine formell berechtigte Polizeiverfügung gegen einen Grundstücks347 348 349 350 351 352 353

Dazu überzeugend OVG Münster DVB1. 1973, 924 ff. (925). Oben Abschnitt II. 2. S. § 174 I schlesw.-holst. LVwG; § 8 I 1 bad.-württ. PG; § 55 II nordrh.-westf. VwVG; § 12 I berl. ASOG. OVG Münster OVGE 7, 27 (LS 1, 32f.); VGH Kassel VerwRspr. 5, 447 (453f.); OVG Hamburg DVB1. 1957, 867ff. (868f.). OVG Münster OVGE 7, 27 (LS 2, 29ff.); § 174 I schlesw.-holst. LVwG. Vgl. auch Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 7. Aufl., 1983, S. 45 ff. §39 I hess. SOG ausdrücklich nur für PolVO'en; § 20 II 2 nordrh.-westf. OBG; §§ 46 I i. Verb, mit 9 rheinl.-pfälz. PVG; §§ 173 II i. Verb. m. 58 IV schlesw.-holst. LVwG.

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eigentümer ergeht lediglich, um ihn zur Veräußerung seines Grundstücks zu veranlassen) macht die Verfügung rechtswidrig; 4. Inanspruchnahme des Störers (oben Abschnitt II. 2) oder Vorliegen eines polizeilichen Notstandes (oben Abschnitt II. 3); 5. Anordnung einer Maßnahme, die zur Beseitigung der Gefahr erforderlich ist, die dem in Anspruch genommenen Bürger nichts rechtlich Verbotenes oder tatsächlich Unmögliches zumutet und die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (s. oben Abschnitt II. 1 e, bb); 6. Bestimmtheit der Anordnung 354 . Der Betroffene muß eindeutig erkennen können, was von ihm verlangt wird. Die Bestimmtheit ist auch deshalb notwendig, weil andernfalls die Verfügung nicht ordnungsgemäß im Zwangswege vollzogen werden könnte. b) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Erlaubnisse: Für zahlreiche Verhaltensweisen bedarf der Bürger einer Erlaubnis der Polizei- oder Ordnungsbehörde. Der Erlaubniszwang kann nur generell durch ein Gesetz im materiellen Sinne (einschließlich einer Polizeiverordnung 355 , unten Abschnitt III. 2 c), nicht dagegen im Einzelfall durch eine Polizei- oder Ordnungsverfügung eingeführt werden. Insofern sprach § 40 I preuß. PVG zutreffend von einer „rechtlich vorgesehenen" Erlaubnis. Die wichtigsten Anwendungsfalle des Instituts der polizeilichen und ordnungsbehördlichen Erlaubnis finden sich im Tätigkeitsbereich der Sonderpolizei- und Sonderordnungsbehörden, z. B. im Bau- und Gewerberecht. aa) Arten der Erlaubnis356: 1. Freie und gebundene Erlaubnis: Eine freie Erlaubnis liegt vor, wenn die Erteilung vom Gesetzgeber in das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde gestellt worden ist357. Sie darf versagt werden, sofern das durch legitime öffentliche Interessen, insbesondere durch Belange der Gefahrenabwehr, gerechtfertigt wird. Die gebundene Erlaubnis muß dem Antragsteller dagegen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen stets erteilt werden358. Er besitzt darauf einen Rechtsanspruch. 2. Erlaubnis, Ausnahmebewilligung, Befreiung: Eine Erlaubnispflicht wird zumeist nicht eingeführt, weil die betreffende Verhaltensweise im Regelfall unterdrückt werden soll. Vielmehr will der Gesetzgeber lediglich der Polizeioder Ordnungsbehörde die Möglichkeit verschaffen, in einem Erlaubnisverfahren zu prüfen, ob sich in concreto Gefahren ergeben können. Das zunächst ausgesprochene Verbot hat lediglich vorbeugenden (präventiven) Charakter. Die Erlaubnismöglichkeit ist ihm von vornherein zugeordnet. Man spricht deshalb von einem „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt". Ergibt die 354 355

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§ 7 S. 1 hess. SOG; § 45 I rheinl.-pfälz. PVG; § 108 I schlesw.-holst. LVwG. Zum Problem der Einführung einer Erlaubnispflicht durch Polizeiverordnung s. Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 233 - 234. Zum folgenden: H. Krüger, DÖV 1958, 673ff.; Friauf, JuS 1962, 422ff.; Mussgnug, Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964; Wolff /Bachof, VwR I, § 48 II. S. z. B. § 23 I 2 nordrh.-westf. OBG. 358 S. z. B. § 23 I 1 nordrh.-westf. OBG.

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Prüfung im Einzelfall, daß das beabsichtigte Vorhaben ungefährlich ist, dann erteilt die Behörde die Erlaubnis und stellt damit die ursprüngliche Freiheit des Bürgers wieder her. Typisch für eine derartige Polizeierlaubnis ist die in den landesrechtlichen Bauordnungen vorgesehene Bauerlaubnis359: Es besteht im Rahmen des materiellen Baurechts Baufreiheit. Für jedes Bauvorhaben ist aber eine Erlaubnis einzuholen, damit das Bauamt (eine Sonderordnungsbehörde) vor Beginn der Ausführung prüfen kann, ob das Vorhaben den Bestimmungen des materiellen Baurechts entspricht. Ist das der Fall, dann muß die Bauerlaubnis erteilt werden (gebundene Erlaubnis)360. Anders gestaltet sich die Situation dagegen bei der Ausnahmebewilligung und der Befreiung. Hier liegen echte (repressive) Verbote vor, mit denen die in Betracht kommende Verhaltensweise als rechtswidrig qualifiziert und grundsätzlich unterdrückt wird. Die Mannigfaltigkeit der Lebensverhältnisse führt aber bisweilen dazu, daß die unbedingte Durchsetzung eines Verbots dem öffentlichen Interesse im Einzelfall mehr schaden als nützen würde. Um solchen atypischen Situationen Rechnung zu tragen, ermächtigt der Gesetzgeber die Exekutive, Ausnahmen von dem gesetzlichen Verbot zu bewilligen und Befreiungen zu erteilen. Ausnahmebewilligungen sind in den in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften im einzelnen tatbestandsmäßig vorgesehen. Sie können erteilt werden, wenn der jeweilige Ausnahmetatbestand erfüllt ist. Auch hier bietet das Baurecht die bedeutsamsten Anwendungsfälle 361 . Die Befreiung schließlich beruht auf einer Generalermächtigung in dem jeweiligen Gesetz. Sie ist regelmäßig an stark erschwerte Voraussetzungen geknüpft. So darf eine baurechtliche Befreiung (sog. Dispens) nur erteilt werden, wenn Gründe des allgemeinen Wohls sie erfordern oder wenn die strikte Durchführung der betreffenden Vorschrift im Einzelfall zu einer vom Gesetz „offenbar nicht beabsichtigten Härte" führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist362. Zusätzlich erschwert wird sie durch Mitwirkungsrechte möglicherweise betroffener Dritter, durch Zustimmungsvorbehalte zugunsten übergeordneter Behörden u. a. bb) Nebenbestimmungen zu Erlaubnissen: Nebenbestimmungen — Auflagen, Bedingungen, Befristungen — dürfen einer Erlaubnis stets dann beigefügt werden, wenn die zugrundeliegende Rechtsnorm sie besonders zuläßt. 359

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§ 87 bad.-württ. BauO; Art. 82 bay. BauO; § 79 I berl. BauO; § 87 I hess. BauO; § 68 nieders. BauO; § 80 I nordrh.-westf. BauO; § 91 I rheinl-pfälz. BauO; § 84 I schlesw.-holst. BauO. Dazu s. in diesem Band: Friauf, Baurecht, Abschn. III. 3 b. § 95 I 1 bad.-württ. BauO; Art. 91 I bay. BauO; § 88 I 1 berl. BauO; § 96 I 1 hess. BauO; §75 nieders. BauO; § 88 I 1 nordrh.-westf. BauO; § 99 11 rheinl.-pfälz. BauO; § 92 I 1 schlesw.-holst. BauO. § 31 I BBauG; § 94 I bad.-württ. BauO; Art. 88 I bay. BauO; § 86 I berl. BauO; § 94 I hess. BauO; § 85 nieders. BauO; § 86 I nordrh.-westf. BauO; § 98 I rheinl.-pfälz. BauO; § 90 I schlesw.-holst. BauO. § 31 II BBauG; § 86 nieders. BauO; § 86 II nordrh.-westf. BauO.

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Im übrigen muß unterschieden werden: Hat der Antragsteller einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung (gebundene Erlaubnis), dann sind sie nur insoweit ausnahmsweise zulässig, als sie lediglich dazu dienen, die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Erlaubnis sicherzustellen (Ausräumung von Versagungsgründen)363. Im übrigen würde ihre Beifügung den Anspruch auf uneingeschränkte Erteilung beeinträchtigen. — Steht die Erteilung der Erlaubnis dagegen im Ermessen der Behörde, so kann sie Nebenbestimmungen insoweit beifügen, als das im Rahmen pflichtmäßiger Ermessensausübung möglich ist. Die Auflagen usw. müssen in jedem Fall Belangen dienen, zu deren Wahrung die zuständige Behörde befugt ist (polizeiliche Motivation)364. cc) Rücknahme und nachträgliche Einschränkung: Mit der Erteilung einer polizeilichen Erlaubnis erlangt der Begünstigte zwar kein subjektiv-öffentliches Recht, aber doch eine relativ geschützte Rechtsposition. Rücknahme und nachträgliche Einschränkung sind deshalb nur ausnahmsweise möglich. Die entsprechenden Voraussetzungen waren früher im Polizeirecht selbst geregelt365. Heute gelten statt dessen in den meisten Ländern die allgemeinen Rücknahmevorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts 366 . Ist einer dieser Tatbestände erfüllt, dann steht die Rücknahme im Ermessen der zuständigen Behörde. Sie kann nur innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem die Behörde Kenntnis von dem Rücknahmegrund erlangt hat367. c) Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verordnungen: Bei den polizeilichen und ordnungsbehördlichen Verordnungen handelt es sich um Rechtsnormen, d. h. für eine unbestimmte Zahl von Fällen (abstrakt) an eine unbestimmte Zahl von Personen (generell) gerichtete Gebote oder Verbote, die von einer Polizei- oder Ordnungsbehörde zum Zwecke der Gefahrenabwehr erlassen werden368. Durch die Abstraktheit der Regelung unterscheiden sie sich von den Verfügungen, die stets auf einen konkreten Fall bezogen sind369. Wie jede Rechtsverordnung bedürfen auch die polizeiliche und die ordnungsbehördliche Verordnung einer Rechtsgrundlage in Gestalt eines Gesetzes im formellen Sinn. Das Recht zu ihrem Erlaß kann sich entweder aus einer Spezialermächtigung in einem Sondergesetz oder aber aus der Generalklausel der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze ergeben. Spezialermächtigungen gehen nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Generalklausel (oben Abschnitt II. 1 b) stets vor370. Sie finden sich in zahllo363 364 365 366 368 369 370

Vgl. § 36 I BVwVfG und die entsprechenden Vorschriften der Landes-VwVfGe. Vgl. entsprechend zur Versagung der Erlaubnis § 23 S. 2 nordrh.-westf. OBG. Vgl. noch heute § 10 II, III hess. SOG; § 47 rheinl.-pfälz. PVG. Vgl. §§ 48, 49 BVwVfG. 367 § 48 IV BVwVfG. S. § 10 I bad.-württ. PG; § 33 berl. ASOG; § 48 brem. PolG; § 34 hess. SOG; § 32 nieders. SOG; § 25 nordrh.-westf. OBG; § 26 rheinl.-pfälz. PVG. Oben Abschnitt III. 2 a. Beispiel: AG Heidelberg NJW 1978, 1638f. (1639), betr. Verbot des wilden Plakatierens durch eine PolizeiVO.

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sen bundes- und landesrechtlichen Gesetzen. Die jeweilige Verordnung ist gültig, wenn sie sich im Rahmen des ermächtigenden Gesetzes hält 371 und dieses mit der Verfassung in Einklang steht. Fehlt eine Spezialermächtigung, so können Verordnungen grundsätzlich auf die Generalklausel gestützt werden. Nach zutreffender Auffassung 372 genügt die Generalklausel dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot für Verordnungsermächtigungen, das entsprechend Art. 80 I GG auch für landesrechtliche Ermächtigungen gilt — entweder auf Grund ausdrücklicher Bestimmung in den Landesverfassungen 373 oder als allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsatz vermittels Art. 28 I S. 1 GG 374 . Die in ihr enthaltenen Begriffe haben durch jahrzehntelange Rechtsprechung hinreichend scharfe Konturen erhalten. Polizeiliche und ordnungsbehördliche Verordnungen richten sich gegen abstrakte Gefahren, d. h. sie regeln Situationen, die nach der Lebenserfahrung typischerweise gefahrlich sind, also im Einzelfall regelmäßig zu konkreten Gefahren zu führen pflegen 375 . Da die Generalklausel ausschließlich zur Gefahrenabwehr ermächtigt, sind sie mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage nichtig, wenn die erlassende Stelle den Sachverhalt zu Unrecht als abstrakt gefährlich angesehen hat 376 . Soweit aber eine abstrakte Gefahr mit Recht angenommen worden ist, können sie in jedem von ihnen geregelten Fall angewandt werden, auch wenn feststehen sollte, daß die Gefahr in einer konkreten Einzelsituation einmal nicht realisiert wird 377 - 378 . 3. Polizeiliche und ordnungsbehördliche Zwangsmittel Zwangsmittel 379 dienen dazu, im Einzelfall ergangene Gebote oder Verbote durchzusetzen. Gegenstand des Zwangs sind also Polizeiveifiigungen bzw. ordnungsbehördliche Verfiigungen. Dagegen können Verordnungen nicht unmittelbar im Zwangswege durchgesetzt werden. Ein in der Vergangenheit liegender Verstoß gegen sie wird vielmehr durch Verhängung einer Geldbuße geahndet. Um eine bestimmte Person zu zwingen, die Verordnung in Zukunft zu befolgen, muß zunächst eine unselbständige Polizeiverfügung (s. oben Abschnitt III. 2 a, aa) gegen sie 371

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373 374 375

376 378 379

Vgl. hierzu und zum rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (508). Wacke, DÖV 1955, 456ff. (bes. 457ff.); Drews/ Wacke/ Vogel / Martens, Bd. I, S. 269ff.; OVG Lüneburg OVGE 11, 292 (294); 11, 360 (362); VGH Stuttgart ESVGH 7, 43 (LS 2, 46). Z. B. Art. 70 S. 2 nordrh.-westf. Verf. Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Rdnr. 44 zu Art. 80 GG. Dazu OVG Münster OVGE 13, 280 (282); BVerwG NJW 1970, 1890ff. (1892); OLG Karlsruhe NJW 1978, 1637f.; OLG Karlsruhe NJW 1984, 502ff. (503). S. VGH Mannheim NJW 1984, 507 ff. (509 f.). 377 S. oben Abschnitt III. 2 a, aa (2). Vgl. im übrigen die 6. Aufl. dieses Beitrags, S. 264f. Vgl. die Problemübersicht bei Rasch, DVB1. 1980, 1017 ff.

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ergehen. Erst auf deren Grundlage können dann die gesetzlich vorgesehenen Zwangsmittel angewandt werden. Auch die Zwangsanwendung unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes. Das bloße Vorhandensein einer wirksamen polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Verfügung rechtfertigt für sich noch nicht den Einsatz bestimmter Zwangsmittel. Es muß vielmehr stets eine besondere gesetzliche Grundlage für die Zwangsanwendung gegeben sein, die selbständig neben der gesetzlichen Grundlage für den Erlaß der zu vollziehenden Verfügung steht. Die Polizei- und Ordnungsbehördengesetze verschiedener Bundesländer regeln die Zwangsanwendung nicht eigenständig, sondern verweisen ausdrücklich380 oder konkludent auf die allgemeinen Vorschriften über den Verwaltungszwang, insbesondere auf die dem Landesrecht angehörenden Verwaltungsvollstreckungsgesetze. Demgegenüber enthalten die Polizeigesetze von Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz besondere Vorschriften über die zwangsweise Vollziehung von polizeilichen bzw. ordnungsbehördlichen Verfügungen381. Auch in diesen Ländern bestehen aber keine grundsätzlichen Unterschiede gegenüber dem Vollzug sonstiger Verwaltungsakte. Es kann deshalb hier auf eine Darstellung verzichtet werden382.

IV. Entschädigungs- und Ersatzansprüche im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Vorschriften der Polizei- und Ordnungsbehördengesetze über die polizeiliche Verantwortlichkeit bestimmter Personen nicht lediglich Eingriffsmöglichkeiten schaffen sollen, sondern daß sie zugleich dazu dienen, die finanziellen Lasten der Gefahrenabwehr zwischen dem einzelnen und der Gesamtheit der Steuerzahler zu verteilen. Die ungeschriebene Grundregel lautet dabei, daß der jeweilige Störer diese Lasten selbst zu tragen hat, während sie im Verhältnis zu einem Nichtstörer von der Allgemeinheit übernommen werden müssen383. Zur Verwirklichung dieser Regel dienen eine Reihe von Ansprüchen384. 1. Entschädigungsansprüche eines Bürgers gegen die Verwaltung a) Anspruch des im polizeilichen Notstand in Anspruch genommenen Nichtstörers: Sämtliche Gesetze billigen dem Nichtstörer, der im polizeilichen Notstand rechtmäßig zur Gefahrenabwehr herangezogen worden ist (oben Ab380 381

382 383

S. § 32 I bad.-württ. PG. Art. 32ff. bay. PAG; §§40ff. brem. PolG; §§ 24ff. hess. SOG; §§ 42ff. nieders. SOG; §§ 28ff. nordrh.-westf. PolG; §§ 50ff. rheinl.-pfälz. PVG. Ausführlicher noch die 6. Aufl. dieses Beitrags, S. 266 ff. S. oben Abschnitt II. 2. 3 8 4 Papier, DVB1. 1975, 567ff.

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schnitt II. 3), einen Anspruch auf angemessene Entschädigung zu385. Die Entschädigung ist in Geld zu leisten386. Der Anspruch 387 richtet sich in einigen Ländern gegen den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht, der die Maßnahme getroffen bzw. sie angeordnet oder um ihre Vornahme ersucht hat. In anderen Ländern dagegen richtet er sich gegen den Träger der Polizeikosten. Der Inanspruchnahme als Nichtstörer muß es rechtlich gleichstehen, wenn ein unbeteiligter Dritter bei Vornahme einer rechtmäßigen polizeilichen Maßnahme geschädigt worden ist388. Beispiel: Der von einem Polizeivollzugsbeamten in rechtmäßiger Amtsausübung auf einen flüchtenden Verbrecher abgefeuerte Schuß hat eine Schaufensterscheibe zertrümmert 389 . Der Entschädigungsanspruch des Nichtstörers nach den genannten Vorschriften ist ausgeschlossen390 bei anderweitiger gesetzlicher Regelung, ferner wenn der Betroffene auf sonstige Weise Ersatz zu erlangen vermag und insbesondere, wenn die schädigende Maßnahme dazu gedient hat, seine Person oder sein Vermögen zu schützen391. b) Anspruch bei Rücknahme von polizeilichen Erlaubnissen: Wird eine polizeiliche oder ordnungsbehördliche Erlaubnis zurückgenommen 392 , weil l.im Falle einer Rechtsänderung Tatsachen vorliegen, die nunmehr eine Versagung rechtfertigen würden, und von ihr noch kein Gebrauch gemacht worden ist, oder 2. nachträglich Tatsachen eingetreten oder bekanntgeworden sind, die eine Versagung gerechtfertigt hätten, und die Rücknahme zur Gefahrenabwehr erforderlich ist, dann kann der Betroffene in gleicher Weise wie ein Nichtstörer Entschädigung beanspruchen 393 . c) Ansprüche bei Schädigung durch rechtswidrige Maßnahmen: Einige neuere Gesetze gewähren ausdrücklich einen Entschädigungsanspruch bei rechts385

386 387 388 389 390

391 393

§§41 ff. bad.-württ. PG; §§37ff. berl. ASOG; §§ 56ff. brem. PolG; § 10 III, IV hamb. SOG; §§30ff. hess. SOG; §§58ff. nieders. SOG; §§39ff. nordrh.-westf. OBG; §§ 68ff. rheinl.-pfälz. PVG; §§70ff. saarl. PVG; §§ 188ff. schlesw.-holst. LVwG; dazu s. Papier, DVB1. 1975, 567fF. (569). BGHZ 7, 96 (100 ff.) mit zust. Anm. Forsthoff; s. auch Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. I, S. 469 ff. Zum Umfang des Anspruchs s. BGH DVB1.1976,714. Teilweise ist das ausdrücklich bestimmt; so § 37 I Nr. 2 berl. ASOG. S. Drews/Wacke/ Vogel / Martens, Bd. I, S. 465 f.; Weimar, DÖV 1961, 379 ff. § 41 12, II bad.-württ. PG; § 30 III hess. SOG; § 59 IV, V nieders. SOG; § 39 II nordrh.-westf. OBG; §69 IV, V rheinl.-pfälz. PVG; § 188 II, III schlesw.-holst. LVwG. Eine flexiblere Regelung bringt § 38 V berl. ASOG. Zu letzterem Fall s. Erning, NJW i960, 2076ff. (2077); u. a. § 10 III 2 hamb. SOG; § 30 II hess. SOG. 392 Oben Abschnitt III. 2b, cc. §30 IV hess. SOG; §70 II saarl. PVG; §§ 116 III 1 und 117 III schlesw.-holst. LVwG.

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widriger Inanspruchnahme durch polizeiliche oder ordnungsbehördliche Maßnahmen 394 , und zwar teilweise unter Beschränkung auf schuldlos rechtswidrige Maßnahmen 395 , teilweise aber auch bei schuldhaftem Verhalten 396 . Im letzteren Fall kann der hier eingeräumte Anspruch in Konkurrenz zu Amtshaftungsansprüchen nach § 839 BGB, Art. 34 G G treten 397 . Dagegen geht er als spezialgesetzliche Regelung den allgemeinen Grundsätzen über die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff vor 398 . Wo derartige Vorschriften nicht bestehen, greifen bei rechtswidrig zugefügtem Körperschaden die Grundsätze über die Aufopferung, bei Vermögensschäden diejenigen über den enteignungsgleichen Eingriff ein 399 . d) Ansprüche eines Störers: In einigen Sonderfällen gewährt der Gesetzgeber aus besonderen rechtspolitischen Gründen regelwidrig auch einem Störer einen Ersatzanspruch für Schäden, die er durch seine Inanspruchnahme erlitten hat. Praktisch bedeutsam sind die Ansprüche nach § 51 I GewO (Untersagung einer gewerblichen Anlage wegen überwiegender Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl), §§ 49, 52 des BundesseuchenG (Berufsbeschränkungen aus seuchenpolizeilichen Gründen) und §§ 24, 66 ff. TierseuchenG (Tötung seuchenbefallener Haustiere). 2. Ersatzansprüche der Verwaltung gegen den Störer Hat der Störer die Gefahr auf Grund einer polizeilichen Inanspruchnahme mit eigenen Mitteln beseitigt, dann ist der Verteilungsregel Genüge getan. Ist die Beseitigung dagegen auf Kosten der Verwaltung erfolgt, dann bleibt zu fragen, ob und inwieweit die entstandenen Aufwendungen auf den Störer abgewälzt werden können. a) Erstattungsanspruch bei Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang: Soweit die Behörde die erforderlichen Maßnahmen im Wege der Ersatzvornahme oder des unmittelbaren Zwangs getroffen hat, kann sie von dem Störer Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen 400 . Dieser Anspruch ist in den Polizeigesetzen selbst401 oder in den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der einzelnen Länder geregelt402. Die nach diesen Bestimmungen geschuldeten Be394 395 396 397 398 399

400 401 402

Dazu eingehend Papier, DVB1. 1975, 567 ff. (571 - 574). So § 30 I 2 hess. SOG. So ausdrücklich § 39 I Buchst, b nordrh.-westf. OBG; § 56 I brem. PolG; § 37 II berl. ASOG. Vgl. auch § 37 IV berl. ASOG; § 40 V nordrh.-westf. OBG. Vgl. BGH DVB1. 1979, 114ff. (116). S. dazu Schack, DÖV 1965, 616ff.; H. Wagner, NJW 1966, 569ff.; ders., NJW 1967, 2333ff.; Steffen, DRiZ 1967, 110ff.; Rüfner, BB 1968, 881 ff.; Kreft, Aufopferung und Enteignung, 1968; Kimminich, JuS 1969, 349 ff. Dazu s. eingehend OVG Lüneburg DVB1. 1977, 832ff. (834 - 835). Z. B. § 301 nordrh.-westf. PolG; Art. 34 I bay. PAG. Z. B. §§ 25, 26, 31 bad.-württ. LVwVG i. V. m. §§ 6, 7 bad.-württ. Vollstr. KostenO.

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träge werden durch Verwaltungsakt festgesetzt und im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben403. b) Erstattungsanspruch bei sonstigen polizeilichen Maßnahmen: Insbesondere angesichts der vielfach mit sehr hohen Kosten verbundenen Polizeieinsätze beispielsweise bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen, Pop-Konzerten etc., aber auch bei Demonstrationen und Hausbesetzungen stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer Kostenüberwälzung. Regelungen, die eine Kostentragungspflicht hinsichtlich derartiger polizeilicher Maßnahmen begründen - sei es als Gebühr für das Handeln der Polizei selbst oder sei es als Ersatzforderung für einen besonderen Aufwand —, sind (mit erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern) entweder in den Polizeigesetzen404 selbst oder aber in den Kosten- und Gebührengesetzen und den auf ihnen beruhenden Gebührenordnungen 405 enthalten. Es ergeben sich hierbei verschiedene verfassungsrechtliche Probleme. In kompetenzmäßiger Hinsicht ist zu berücksichtigen, daß die Länder ausschließlich für eine an präventive Amtshandlungen der Polizei anknüpfende Kostenerstattungsregelung zuständig sind, die genannten Polizeieinsätze aber teilweise zugleich auch repressive Zielsetzungen verfolgen. Die Forderung eines Polizeikostenersatzes kann u. U. in Kollision zu Grundrechten treten, insbesondere wenn sie die Ausübung des Versammlungsrechts in unverhältnismäßiger Weise erschwert. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit polizeiliche Tätigkeit als verfassungsrechtlich gebotene (ausschließlich) öffentliche Aufgabe anzusehen und demzufolge über das allgemeine Steueraufkommen zu finanzieren ist406. c) Erstattungsansprüche bei Heranziehung eines Nichtstörers: Hat die Polizei- bzw. Ordnungsbehörde die Gefahr oder Störung durch Heranziehung eines Nichtstörers im polizeilichen Notstand beseitigt, dann kann wegen des Ersatzes, der dem Herangezogenen geleistet werden mußte (oben Abschnitt IV. 1 a), bei dem Störer Regreß genommen werden407. Auf diesen Anspruch sind die Vorschriften des BGB über die Geschäftsführung ohne Auftrag ent403

S. § 30 II nordrh.-westf. PolG. S. z. B. § 81 II bad.-württ. PG (bei privaten Veranstaltungen kann Ersatz von Polizeikosten verlangt werden). 405 Vgl. dazu im einzelnen die landesrechtlichen Bestimmungen. 406 Ygj z u m problemkreis der Kostenerhebung für Polizeieinsätze: VGH Bad.-Württ. DVB1. 1981, 778f.; BayVGH BayVBl. 1982, 469ff.; OVG Bremen DVB1. 1983, 462ff.; OVG Lüneburg DVB1. 1983, 464ff.; OVG Lüneburg DVB1. 1984, 57ff.; VGH Kassel NJW 1984, 73ff.; Kühimg, DVB1. 1981, 315ff.; Albrecht, in: Fs. f. R. Samper, 1982, 165ff.; Majer, VerwArch. 1982, 167ff.; Broß, DVB1. 1983, 377ff.; Schenke, NJW 1983, 1882ff.; Würtenberger, NVwZ 1983, 192ff.; Götz, DVB1. 1984, 14ff.; v. Brünneck, NVwZ 1984, 5ff. 407 § 43 bad.-württ. PG; § 42 berl. ASOG; § 61 brem. PolG; § 10 IV hamb. SOG; § 32 hess. SOG; § 63 nieders. SOG; § 42 II nordrh.-westf. OBG; § 73 rheinl.-pfälz. PVG; § 72 saarl. PVG; § 191 II schlesw.-holst. LVwG. 404

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sprechend anwendbar. Einige Länder haben ihn in den Verwaltungsrechtsweg verwiesen408,409. In den übrigen ist er — ebenso wie der Anspruch des Nichtstörers gegen den Träger der Polizeikosten - vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen410.

408

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S. § 62 brem. PolG; § 43 berl. ASOG; Art. 52 II bay. PAG; § 43 II nordrh.-westf. OBG; §64 nieders. SOG; §74 rheinl.-pfälz. PVG; so wohl auch § 10 III hamb. SOG. In Hamburg (Fn. 407): Erstattung durch Leistungsbescheid. § 44 bad.-württ. PG; § 33 hess. SOG; § 73 saarl. PVG; § 192 schlesw.-holst. LVwG.

VIERTER A B S C H N I T T Peter Badura

Wirtschaftsverwaltungsrecht Literatur E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., 2 Bde., 1953/54. G. Rinck, Wirtschaftsrecht, 5. Aufl., 1977. E. Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1977. A.-J. Merten / Ch. Kirchner / E. Schanze, Wirtschaftsrecht, 1978. F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 1979. H. D. Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980. R. Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., 1980. W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 2 Bde., 1983. R. Weimar / P. Schimikowski, Grundzüge des Wirtschaftsrechts, 1983. U. Scheuner / A . Schüle, Die staatliche Intervention im Bereich der Wirtschaft, VVDStRL 11 (1954), S. 1 ff., 75 ff. K. Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: GRe I I I / l , S. 1 ff. H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965. W. Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967. H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968. W. Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969. P. Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1971. U. Scheuner (Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971. R. Schmidt, Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971. K. Stern / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., 1972. H. F. Zacher, Bericht über das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Wirtschaftsrecht (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Studien), 1973. E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht (1956), in: ders., Bewahrung und Wandlung, 1975, S. 215ff. P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, JuS 1976, S. 205. H.-J. Papier, Fälle zum Wahlfach Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1976; 2. Aufl., 1984. F. Gygi, Die schweizerische Wirtschaftsverfassung, 2. Aufl., 1978. P. J. Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980. K. Korinek/H. P. Rill, Grundfragen des Wirtschaftslenkungsrechts, 1982.

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H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, S. 609. J. A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942, 3. (dt.) Aufl., 1972. E. Heimann, Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, 1963. H. C. Recktenwald (Hrsg.), Geschichte der Politischen Ökonomie, 1971. W. Zorn, Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., 1974. P. Neumark (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl., 4 Bde., 1977-83. H. Recktenwald, Lexikon der Staats- und Geldwirtschaft, 1983. Zeitschriften: Der Betriebsberater (BB); Der Betrieb (DB); Gewerbearchiv (GewArch) mit der Vierteljahresbeilage Wirtschaft und Verwaltung (WiVerw); Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ZHR); Wirtschaft und Wettbewerb (WuW); Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (ZögU).

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Gliederung I. Recht und Ordnung der Wirtschaft 1. Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht 2. Der wirtschaftliche Prozeß und die Wirtschaftspolitik a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik: Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik; Wirtschaftsstatistik . . .

258 258 259 260 262

II. Staat und Wirtschaft 265 1. Geschichte 265 2. Wirtschaftsverfassung 267 a) Die „Wirtschaftsverfassung" des Grundgesetzes 268 b) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" ; Stabilitätsgesetz 270 c) Das europäische Wirtschaftsrecht 271 3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft 272 4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit 274 a) Unternehmensfreiheit; Grundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit 275 b) Berufsfreiheit 277 c) Eigentumsgarantie 280 III. Wirtschaftsverwaltung 1. Organisation a) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern b) Selbstverwaltung der Wirtschaft c) Wirtschaftsverbände; Koalitionsfreiheit 2. Verwaltungszwecke und Rechtsformen a) Wirtschaftslenkung, Wirtschaftsaufsicht b) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte c) Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag d) Verwaltungsprivatrechtliche und fiskalische Verwaltungstätigkeit; Auftragswesen und erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand .

285 285 285 285 289 291 292 299 302

IV. Gewerberecht 1. Gewerbefreiheit 2. Techniken gewerberechtlicher Regelung a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht; Untersagungsermächtigung; Verbot mit Erlaubnisvorbehalt b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde; Zuverlässigkeit 3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse a) Stehendes Gewerbe; Reisegewerbe; Marktverkehr b) Handwerk c) Gaststättengewerbe

314 314 318

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I. Recht und Ordnung der Wirtschaft 1. Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht Die liberale Wirtschaftsidee und die von ihr bestimmte Rechtsordnung hatten die Autonomie der Wirtschaft gegenüber dem politischen Prozeß in besonders weitgehendem Umfang gefordert und verwirklicht. Dem entsprach das die politische Philosophie des Liberalismus beherrschende Theorem der Trennung von (monarchischem) Staat und (bürgerlicher) Gesellschaft, das den Staat und das von ihm geschaffene Recht auf die Funktion beschränkte, die naturrechtlich begründete „vorstaatliche", d. h. gesellschaftlich regulierte Freiheit des einzelnen zu achten und zu sichern. Dennoch ordnete der liberale Staat die Wirtschaft durch sein Recht, nicht anders wie der moderne Wohlfahrtsstaat, wenn auch nach anderen Grundsätzen. Er besaß in diesem auf das geregelte Sachgebiet abhebenden Sinn ein Sonderrecht der Wirtschaft. Da sich indessen das liberale Recht der Wirtschaft, der liberalen Wirtschaftsidee entsprechend, im wesentlichen in den Zusammenhängen des Privatrechts und des Polizeirechts entwickelte, kam es nicht zur Ausbildung eines besonderen als „ Wirtschaftsrecht"1 bezeichneten rechtswissenschaftlichen Arbeits- und Lehrgebietes. Immerhin brachte der durchgreifende industrielle Aufschwung seit der Reichsgründung 2 eine derart auffällige und alle Rechtsgebiete erfassende Fülle von spezifischen Rechtssätzen und rechtlichen Problemen hervor, daß die rechtliche Ordnung der Bedürfnisse des kapitalistischen Unternehmens, seiner Beziehungen zu den Abnehmern, des Wettbewerbs, der Assoziation der Unternehmer und der Arbeiter, des Arbeitsverhältnisses und des Arbeitsschutzes als Gegenstand eines besonderen Rechtsgebietes, des „Industrierechts", betrachtet wurde 3 . Das besondere Arbeits- und Lehrgebiet „ Wirtschaftsrecht", das sich nach dem 1. Weltkrieg ebenso wie das Arbeitsrecht verselbständigte 4 , verdankt seine Entstehung weniger dem theoretischen Interesse an klassifizierender Systematik als der kurz vor der Jahrhundertwende einsetzenden und durch die Bedürfnisse des Krieges beschleunigten Umorientierung der Staatszwecke. Der Abschnitt „Das Wirtschaftsleben" (Art. 151-165) der Weimarer Reichsverfassung zeigt den Übergang von der liberalen Wirtschaftsidee zu einer 1 2 3 4

Piepenbrock, Der Gedanke eines Wirtschaftsrechts in der neuzeitlichen Literatur bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1964. E. R. Huber, Dt. Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV, 1969, S. 971 ff.; Badura, Das Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates, 1967, S. 16 ff. H. Lehmann, Grundlinien des deutschen Industrierechts, in: Fs. f. E. Zitelmann, 1913. A. Nussbaum, Das neue dt. Wirtschaftsrecht, 1920, 2. Aufl., 1922; H. Goldschmidt, Reichs-Wirtschaftsrecht, 1923; Hedemann, Reichsgericht und Wirtschaftsrecht, 1929.

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neuen Staatsvorstellung, in der das Prinzip der privatautonomen Wirtschaftsfreiheit verbunden ist mit der Verantwortung des Staates f ü r die soziale Gerechtigkeit. Die Verselbständigung des Rechtsgebiets „Wirtschaftsrecht" ist eine Wirkung dieser Umwälzung der Verfassungs- u n d Wirtschaftsidee u n d es wurde u n d wird dementsprechend definiert als das Insgesamt der Rechtssätze, durch die der Staat Organisation u n d Funktionsweise der Wirtschaft ordnet, gestaltet u n d lenkt 5 . Das Wirtschaftsrecht entfaltete sich zunächst als Annex des Privatrechts, was insofern folgerichtig war u n d ist, als die wirtschaftsrechtlichen Regelungen als Beschränkungen der im Privatrechtsverkehr wirksamen Privatautonomie aufgefaßt werden können. Die dem Wirtschaftsrecht eigentümliche „Sozialisierung des Rechtsstoffes" ( N u ß b a u m ) , in der sich die zunehmende staatliche Ingerenz in das Wirtschaftsgeschehen äußert, u n d der damit notwendig einhergehende A u f b a u einer staatlichen Wirtschaftsverwaltung zum Vollzug der wirtschaftsrechtlichen Ermächtigungen bedingten ein außerordentliches Vordringen des öffentlichen Rechts, das seinen bisherigen polizeirechtlichen Charakter weit hinter sich ließ. Das Gewerberecht ging in dem neuen „Wirtschaftsverwaltungsrecht"6 auf. In diesem Rechtsgebiet tritt der Anspruch des Staates zutage, die entwickelte Industriegesellschaft nach den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen u n d zu gestalten. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht u m f a ß t die Rechtssätze, durch die der Staat mit den Zielen der Gefahrenabwehr, der Lenkung u n d der Förderung auf den wirtschaftlichen Prozeß ordnend, gestaltend u n d leistend einwirkt, indem er Aufgaben u n d Befugnisse der Verwaltung u n d öffentlich-rechtliche Rechte u n d Pflichten der am wirtschaftlichen Prozeß Beteiligten begründet. 2. Der wirtschaftliche Prozeß und die Wirtschaftspolitik Die Versorgung der Gesellschaft mit Gütern u n d Dienstleistungen ist eine Funktion der Entwicklung der Produktivkräfte (Ausbildungsstand der arbeitenden Bevölkerung, technologischer Fortschritt, Arbeitsteilung) u n d der Gestaltung der Produktionsverhältnisse (gesellschaftliche u n d rechtliche Organisation des wirtschaftlichen Prozesses). D a die Erhaltung u n d Vermehrung der Produktivität von der Rate des akkumulierten u n d f ü r Investitionen verfügbaren Kapitals abhängen, sind die Arbeitsweise des Kreditapparats u n d die Verfügung über die Investitionsentscheidungen Schlüsselpunkte des wirtschaftlichen Systems. Die wirtschaftlichen G r ö ß e n Versorgung u n d Produktivität sind allerdings f ü r den Staat u n d seine Wirtschaftspolitik in die umfas5

6

Hedemann, in: Fs. f. A. Hueck, 1959, S. 377; Rittner, Wirtschaftsrecht, StaatsL 8 (1963), S. 817; G. Rinck, Begriff und Prinzipien des Wirtschaftsrechts, 1971; N. Reich, Markt und Recht, 1977. E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1932, 2. Aufl., Bd. I, II, 1953/54; Scheuner, Das öffentliche Wirtschaftsrecht, in: Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht, Heft 28 (1934), S. 3.

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senderen Ziele und Zusammenhänge der allgemeinen Politik, der Gesellschaftspolitik und der Sozialpolitik eingeordnet. Auch die Wirtschaftsordnung selbst weist mit dem „Produktionsfaktor" Arbeit über sich hinaus; denn die Arbeit ist nicht nur Beitragen zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts, sondern auch unentrinnbarer Schauplatz menschlicher Selbstverwirklichung. a) Marktwirtschaft und Planwirtschaft, Funktion des Wettbewerbs, Sozialisierung: Nach dem Maß der Selbständigkeit, das der wirtschaftliche Prozeß gegenüber dem politischen Prozeß besitzt, oder anders gesagt nach der Funktion des Staates im Wirtschaftsprozeß, lassen sich die realen Wirtschaftsordnungen an zwei typisierend vereinfachten Wirtschaftsformen messen7. In der Wirtschaftsform der Verkehrs- oder Marktwirtschaft, deren institutionelle Voraussetzungen die Privatautonomie, das Privateigentum, die Berufs- und Gewerbefreiheit und die Vertragsfreiheit bilden, sind die wirtschaftlich relevanten Entscheidungen über Produktion, Investition, Distribution und Konsum dezentralisiert und den einzelnen Wirtschaftssubjekten überlassen. Bei dieser verkehrswirtschaftlichen Bedarfsdeckung gibt das individuelle Interesse den Ausschlag und werden die allein vorhandenen Einzelpläne der Unternehmer und Verbraucher nur durch den Tausch vergesellschaftet und den von Angebot und Nachfrage abhängigen Marktpreis koordiniert. In der Wirtschaftsform der Plan- oder Zentralverwaltungswirtschaft sind die wirtschaftlich wesentlichen Entscheidungen mit Ausnahme der Konsumtionssphäre in der Hand des Staates, der alleiniger Eigentümer der Produktionsmittel ist, zentralisiert. Bei dieser planwirtschaftlichen Bedarfsdeckung werden die individuellen Wirtschaftspläne durch den von einer Zentralstelle für einen bestimmten Zeitabschnitt in Gesetzesform aufgestellten Gesamtplan ersetzt oder zumindest gebunden. Der staatliche Wirtschaftsplan legt auf der Grundlage von politischen Entscheidungen die Erzeugung und Verteilung nach den angenommenen Bedürfnissen des Gemeinwesens fest, so daß an die Stelle des für die Marktwirtschaft charakteristischen Tausches die Zuteilung tritt8. Die Marktwirtschaft ist die von der liberalen Wirtschaftsidee ideolo7

8

Max Weber, Grundriß der Sozialökonomik, 2. Aufl., 1925, I I I / l , 59; Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., 1975; E. Heimann, Wirtschaftssysteme und Gesellschaftssysteme, 1954; ders.. Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme 1963; Dahrendorf, Markt und Plan, zwei Typen der Rationalität, 1966; Krüsselberg, Marktwirtschaft und ökonomische Theorie, 1969; Heinze, Autonome und heteronome Verteilung. Rechtsordnung staatlicher Lenkung von Produktion und Verteilung, 1970; K. P. Hensel, Grundformen der Wirtschaftsordnung, 2. Aufl., 1974; Hedtkamp, Wirtschaftssysteme, 1974; Ch. E. Lindblom, Jenseits von Markt und Staat, 1980. K. P. Hensel, Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, 2. Aufl., 1959; Salin, Politische Ökonomie, 5. Aufl., 1967, S. 94ff.; Altvater, Gesellschaft. Produktion und Ökonom. Rationalität, 1969; Höhmann / Käser / Thalheim (Hrsg.), Die Wirtschaftsordnungen Osteuropas im Wandel, 2 Bde., 1972; H. Burgu. a., Einführung in die politische Ökonomie des Kapitalismus, 1975; W. W. Engelhardt u.a., Zur marxistischen und neuen Politischen Ökonomie, SchrVfS N F Bd. 112, 1981; Fincke (Hrsg.), Handbuch der Sowjetverfassung, Bd. I, 1983.

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gisch gerechtfertigte Wirtschaftsform der kapitalistischen Wirtschaftsgesellschaften, in denen sie allerdings nur durch mehr oder weniger intensive Einrichtungen staatlicher Wirtschaftslenkung modifiziert verwirklicht ist. Die Planwirtschaft ist die von der marxistischen politischen Ökonomie ideologisch gerechtfertigte Wirtschaftsform der sozialistischen Staaten, in denen sie abgeschwächt durch die Beibehaltung der Geldwirtschaft, die mehr oder weniger weitgehende Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungen im Rahmen des Volkswirtschaftsplanes und die Zulassung marktwirtschaftlicher Enklaven verwirklicht ist. Die Verfassung der DDR vom 8. April 1968, jetzt in der Fassung vom 7. Oktober 1974, hat die Grundlinien der Wirtschaftsordnung entsprechend den Grundsätzen der sozialistischen Politischen Ökonomie verfassungsrechtlich festgelegt9. Die Volkswirtschaft der DDR beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln; der „Leitung und Planung der Volkswirtschaft" dienen die sozialistische Planwirtschaft und das sozialistische Wirtschaftsrecht (Art. 9, 12 VerfDDR). Das Kernstück der Volkswirtschaft ist als „Volkseigentum" organisiert, dem Regelfall des produktiven Eigentums außerhalb des landwirtschaftlichen und des handwerklichen Sektors. Unter der Direktion der staatlichen Organe der Wirtschaftsführung, an der Spitze der von der Staatlichen Plankommission unterstützte Ministerrat, erfolgt die Nutzung und Bewirtschaftung des Volkseigentums durch die nach der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeitenden Einheiten, die Volkseigenen Betriebe, die Vereinigungen von Betrieben und Kombinaten und die Kombinate. Da die institutionellen Grundlagen der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen fast durchweg im Rahmen des politischen Systems verfassungsrechtlich gewährleistet sind, kann der Übergang von der verkehrswirtschaftlichen zur planwirtschaftlichen Wirtschaftsform nur durch eine Sozialrevolutionäre Umwälzung erfolgen. Unter Sozialisierung (Vergesellschaftung) versteht man die in der Regel zur Verwirklichung der sozialistischen Wirtschaftsidee erfolgende Umgestaltung der Eigentumsordnung durch Aufhebung des privaten Sondereigentums an bestimmten oder allen Produktionsmitteln und deren Überführung in staatliches Eigentum (Verstaatlichung) oder in das Eigentum unter staatlicher Aufsicht stehender halbautonomer („gemeinwirtschaftlicher") Wirtschaftssubjekte mit genossenschaftlicher Beteiligung der 9

U. J. Heuer u. a., Sozialistisches Wirtschaftsrecht - Instrument der Wirtschaftsführung, 1971; Kap. III: Wirtschaftsrecht, in: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation, 1972, BTag Drucks. VI/3080, S. 105; G. Lauterbach, Zur Theorie der sozialistischen Wirtschaftsführung in der DDR, 1973; W. Obst, DDR-Wirtschaft, 1973; DDR-Wirtschaft, hrsg. vom Dt. Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, 3. Aufl., 1974; G. Rinck, Wirtschaftsrecht, S. 166ff.; Staatsrecht der DDR, 1978, S. 126ff., 207ff., G. Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Aufl., 1979, bes. S. 97ff.; K. Oettle, Volkseigene Betriebe, HdWW, 17./18. Lief., 1979, S. 351; S. Mampel, Die Sozialist. Verfassung der Dt. Dem. Republik, 2. Aufl., 1982; R. Rühmland, DVB1. 1983, 261.

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produzierenden Arbeiter 10 . Werden lediglich einzelne Unternehmen oder Produktionsmittel vergesellschaftet, beschränkt sich die Wirkung dieser Teilsozialisierung auf eine Änderung der Eigentumsverteilung im Rahmen der beibehaltenen Eigentumsordnung. b) Ziele und Formen der Wirtschaftspolitik: Wettbewerbs-, Konjunktur-, Wachstums-, Struktur- und Gesellschaftspolitik; Wirtschaftsstatistik: Die Wirtschaftspolitik besteht aus den sich in staatsleitenden und gesetzgeberischen Akten niederschlagenden politischen Entscheidungen des Parlaments und der Regierung über die Ordnung, die Entwicklung und den Ablauf der Wirtschaft 11 . Die Wirtschaftspolitik des aus der liberalen Abstinenz herausgetretenen Wohlfahrtsstaates zielt auf eine Gestaltung des wirtschaftlichen Prozesses durch Wettbewerbs-, konjunktur-, Wachstums-, struktur- und gesellschaftspolitische Beeinflussung, Förderung und Lenkung. Sachgerechtigkeit und Erfolg der Wirtschaftspolitik im allgemeinen und der zugrunde liegenden wachstumspolitischen Beurteilungen und Projektionen im besonderen sind durch eine umfassende Informiertheit des Parlaments und der Regierung über die für den wirtschaftlichen Prozeß erheblichen Daten bedingt, die durch statistische Erhebungen vermittelt wird 12 . Die Wettbewerbspolitik ist bestrebt, auf den dafür geeigneten Märkten den Zustand wirksamen Wettbewerbs herzustellen und zu erhalten, um die marktwirtschaftliche Steuerungsfunktion des Preises zu sichern. Sie wendet sich mit Hilfe Wettbewerbs- und kartellrechtlicher Regelungen gegen Verfälschungen und Beschränkungen des Wettbewerbs durch „unlauteres" Verhalten, durch die Bildung oder Ausnutzung monopolistischer oder oligopolistischer Marktmacht und durch Kartellabsprachen. Wesentlicher Ausdruck der marktwirtschaftlich orientierten Wettbewerbspolitik ist das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juni 1957, jetzt i. d. Fass. d. Bek. vom 24. Sept. 1980 (BGBl. I S. 1761). Der „Ordo-Liberalismus", der vor allem durch die Arbeiten von Walter Eucken bestimmten neoliberalen Freiburger Schule 13 erwartet durchweg die optimale Produktivität und Versorgung von den Mechanismen des Wettbewerbs. Die Wettbewerbspolitik bedarf angesichts der wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Probleme der wirtschaftlichen Konzentration, gegen die sich die kartellrechtliche Fusionskontrolle richtet, der Einfügung in eine umfassende Ordnungspolitik. Die wohlfahrtsstaatliche Verantwortung für die volkswirtschaftliche Prosperität und die gerechte Wirtschaftsordnung hebt das Gegenüber staatlicher Wirtschaftspolitik und unternehmerischer Tätigkeit nicht auf. Sie führt aber über die Bereitstellung und Sicherung der Rahmenbedingungen privatwirt10 11 12

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G. Burdeau, Die französischen Verstaatlichungen, 1984 (Beiheft 56 der ZHR). H.H. von Arnim, Volkswirtschaftspolitik, 4. Aufl., 1983. Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke (Bundesstatistikgesetz) vom 14. 3. 1980 (BGBl. I S. 289), sowie zahlreiche bereichsspezifische Gesetze über Statistiken. — BVerfGE 27, I; 65, 1. W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 5. Aufl., 1975.

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schaftlichen und marktwirtschaftlichen Handelns hinaus und äußert sich in den gestaltenden Maßnahmen der Konjunktur-, Wachstums- und Strukturpolitik. Die Wachstumspolitik strebt eine Steigerung der Produktivität, des Sozialprodukts und des Lebensstandards an; ihr Ziel ist eine angemessene Entwicklung der Wirtschaft, insbesondere durch die Förderung der technologischen Innovation. Die Komplexität der Wachstums- und konjunkturpolitischen Zielsetzung der Wirtschaftspolitik zeigt sich in dem Richtlinienbündel des § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 196714: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen." Die Konjunkturpolitik zielt darauf ab, die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage, die sich in den Ausgaben des Staates, der Unternehmen (Investitionen) und der Haushalte (Verbrauch) ausdrückt, möglichst gleichmäßig und frei von den Schwankungen der Übernachfrage und des Überangebots zu halten. Den konjunkturpolitischen Zielen dienen hauptsächlich global ansetzende und insofern mittelbar lenkende Steuerungsmaßnahmen der Wirtschaftspolitik. Maßnahmen der Finanzpolitik der öffentlichen Haushalte, der Währungspolitik, der Kreditpolitik und der Außenwirtschaftspolitik stehen im Vordergrund 15 . Die Kreditpolitik ist hauptsächlich Sache der unabhängigen Zentralbank des Bundes16. Die Kreditpolitik beeinflußt über den Zinssatz und die Liquidität der Geschäftsbanken die Kreditaufnahme auf dem Kapitalmarkt und damit die Investitionen. Die konjunkturpolitisch orientierte Finanzpolitik manipuliert einerseits durch Art und Maß der Besteuerung die für Investitionen und Konsum verfügbare Geldmenge und setzt andererseits als antizyklische oder kompensatorische „fiscal policy" die haushaltswirtschaftlichen Ausgaben der öffentlichen Hand zur Dämpfung oder Ankurbelung der Konjunktur ein. Insofern als die Wachstumspolitik darauf gerichtet ist, zurückgebliebene oder dem marktwirtschaftlichen Prozeß nicht gewachsene Gebiete oder Wirtschaftszweige zu unterstützen oder zu entwickeln, ist sie regionale oder sektorale Strukturpolitik. Strukturpolitische Maßnahmen bestehen hauptsächlich 14

15

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K. Stern / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., 1972, S. 35ff.; P. von der Lippe, Stabilität und Wachstum, 1975. Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; H. Koller, Der öffentliche Haushalt als Instrument der Staats- und Wirtschaftslenkung, 1983. Art. 88 GG; Gesetz über die Deutsche Bundesbank vom 26. 7. 1957. - BVerwGE 41, 334; v. Spindler / Becker / Starke, Die Deutsche Bundesbank, 4. Aufl., 1973; K. Stern, Staatsrecht, II, 1980, S. 463 ff.

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darin, daß mit den Zielen der Verbesserung der sozialen und technischen Infrastruktur, der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Begünstigung von Innovationen mit einer besonderen volkswirtschaftlichen Bedeutung und der Umstrukturierung ländlicher Gebiete eine eigene Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand entfaltet wird und Investitionen Privater durch Subventionen und steuerliche Vorteile angeregt und gefördert werden. Die Strukturpolitik steht in einem engen Zusammenhang mit der Raumordnungspolitik, nimmt aber ebenso Zielsetzungen der Arbeits- und Sozialpolitik, der Verkehrspolitik, der Energiepolitik und des Umweltschutzes in sich auf. Die regionale Strukturpolitik ist eine Schwerpunktförderung mit regionalen Aktionsprogrammen in abgegrenzten Fördergebieten. Die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ist eine Gemeinschaftsaufgabe gem. Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 GG 17 . Hauptfelder der sektoralen Strukturpolitik, die in breiten Bereichen von der regionalen Strukturpolitik nicht trennbar ist, sind die Landwirtschaft und der Kohlebergbau; die Verbesserung der Agrarstruktur ist ebenfalls eine Gemeinschaftsaufgabe 18 . Die Steuer- und haushaltswirtschaftliche Umverteilung (Redistribution) nicht weniger wie die sozialgestaltende Weiterentwicklung der Wirtschaftsordnung durch Wachstums- und Strukturpolitik weisen über die durch das privatrechtliche Eigentum vermittelte Güterzuteilung hinaus. Die auf das nicht sozialpolitisch verengte Staatsziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtete Gesellschaftspolitik stellt der Wirtschaftspolitik insgesamt die Aufgabe, die gegebenen gesellschaftlichen Grundlagen des wirtschaftlichen Prozesses nicht als gerechtfertigt zugrunde zu legen und die Ungleichheiten der Einkommens- und Vermögensverhältnisse durch Einzelmaßnahmen, vor allem aber auch durch an langfristigen Perspektiven ausgerichtete planmäßige Veränderung der Gesellschaft insoweit zu revidieren, als die sozialen Ungleichheiten die demokratische Emanzipation hindern. Zu diesen Vorhaben zählen die Vermögensbildung und die wirtschaftliche oder unternehmerische Mitbestimmung. Die bis zur Parität getriebene Mitbestimmung und die umverteilende Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, vor allem bei Einrichtung überbetrieblicher Fonds, würden eine wirtschaftsverfassungsrechtliche Qualität besitzen. Die durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) vom 4. Mai 1976 17

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Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vom 6. Okt. 1969 (BGBl. I S. 1861); Dreizehnter Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" BTag Drucks. 10/1279. - Das Gesetz gibt dem Rahmenplan eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Außen Wirkung (BVerwG NJW 1980, 1862). Art. 91 Abs. 1 Nr. 3 GG; Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" vom 3. 9. 1969 (BGBl. I S. 1573); Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1982 bis 1985, BTag Drucks. 9/1608; Agrarbericht 1984, BTag Drucks. 10/980.

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(BGBl. I S. 1153) erweiterte unternehmerische Mitbestimmung läßt ein leichtes Übergewicht der Anteilseignerseite bestehen19. II. Staat und Wirtschaft 1. Geschichte In der Geschichte der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung lassen sich bei typisierender Vereinfachung drei aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen unterscheiden: der Merkantilismus des absolutistischen Staates, der Liberalismus des bürgerlichen Verfassungsstaates und der Wohlfahrtsstaat der parlamentarischen Demokratie20. In diesen Wirtschaftsformen äußern sich der Aufstieg, die Blüte und die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Der Übergang von der auf dem Vorherrschen der agrarischen Produktion beruhenden Naturalwirtschaft des Mittelalters zur neuzeitlichen Verkehrswirtschaft auf der Grundlage von Handel und Gewerbe (Handwerk und Manufaktur) brachte die großräumigen Nationalwirtschaften mit der neuen Herrschaftsform des modernen Staates hervor. Die geldwirtschaftliche Staatsfinanzierung ermöglichte Bürokratie und stehendes Heer, die charakteristischen Voraussetzungen staatlicher Herrschaftsgewalt. Die Einsicht, daß die Blüte der nationalen Wirtschaft, vornehmlich von Handel und Gewerbe, die Grundlage territorialstaatlicher Macht sei, bildete die Richtlinie der merkantilistischen

Wirtschaftspolitik. Deren Grundsätze waren außenwirtschaft-

lich die protektionistische Beschränkung der Einfuhr und das Streben nach einer aktiven Handelsbilanz mit dem Ziel der Autarkie, der Unterstützung der einheimischen Wirtschaft und der Ansammlung eines Edelmetallvorrats. Der Staat suchte Gewerbe und Handel durch vielfältige und sehr ins einzelne 19 20

BVerfGE 50, 290; K. Fitting / O. Wlotzke / H. Wißmann, Mitbestimmungsgesetz, 2. Aufl., 1978; P. Hanau /P. Ulmer, Mitbestimmungsgesetz, 1981. F. Lütge, Dt. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl., 1966 (Nachdruck 1975); Stolper, Dt. Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl., 1966; H. Hausherr, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl. 1981; Beutin / Kellenbenz, Wirtschaftsgeschichte, 1973; Treue, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, 2 Bde., 1973; W. Zorn, Einführung in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrh., 1976; R. Engelsing, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, 2. Aufl., 1976; K. Hardach, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20. Jahrh., 1976; Wehler, Bibliographie zur modernen dt. Wirtschaftsgeschichte, 1976; K. Borchardt, Grundriß der dt. Wirtschaftsgeschichte, 1978. - Sombart, Der moderne Kapitalismus, 2. Aufl., 1916-27; Heckscher, Der Merkantilismus, 2 Bde., 1932; Gerloff, Staatstheorie und Staatspraxis des kameralistischen Verwaltungsstaates, 1937; Dobb, Studies in the Development of Capitalism, 1946 (dt.: Entwicklung des Kapitalismus, 1970); Tautscher, Staatswissenschaftslehre des Kameralismus, 1947; Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeitnehmer unter dem Kapitalismus, 40 Bde., 1948ff.; K. Borchardt, Die industrielle Revolution in Deutschland, 1972; F. Blaich, Die Epoche des Merkantilismus, 1973.

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gehende Reglementierung, durch Vergabe von Monopolprivilegien für neue Industrien und durch Gründung oder Übernahme zahlreicher Unternehmen anzuregen, zu fördern und zu beeinflussen. Für die kapitalistische Wirtschaftsweise der unter staatlichem Schutz im 17. und 18. Jahrhundert entstandenen und erstarkten Nationalwirtschaften erwies sich die merkantilistische Bevormundung und Reglementierung bald als lähmend. Ebenso wie die politische Theorie der Aufklärung die Staatsidee des Absolutismus in Frage stellte und endlich zerstörte, führte die Wirtschaftstheorie der Aufklärung zur Auflösung der absolutistischen Wirtschaftsform des Merkantilsystems. Die liberale Wirtschaftsidee forderte Freiheit der Wirtschaft vom Staat: Freihandel und Gewerbefreiheit. Gewerbefreiheit bedeutete die Beseitigung aller durch den Staat geschaffenen öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen Beschränkungen des Gewerbes und des Handels, soweit nicht polizeiliche Rücksichten eine bestimmte Einschränkung rechtfertigten. Dieses Prinzip richtete sich besonders gegen die aus der merkantilistischen Epoche hervorgegangenen monopolistischen Erscheinungen wie die Beherrschung einzelner Wirtschaftszweige durch staatliche Unternehmungen und durch von Monopolprivilegien geschützte Privatunternehmer, gegen ausschließliche Gewerbeberechtigungen und Zwangs- und Bannrechte 21 und gegen die Zwangskorporationen der Handwerker (Zünfte) und Kaufleute (Gilden). Der individualistische und rationalistische Grundsatz des Laissez-faire, der im Mittelpunkt der „klassischen" Nationalökonomie des Liberalismus steht, leitet sich aus dem Axiom einer „natürlichen" Ordnung der Wirtschaft ab, die der Staat durch sein Eingreifen nur verwirre. Die Triebfeder des nach den eingestifteten Gesetzen einer Wirtschaftsmechanik, nämlich den Marktgesetzen, funktionierenden wirtschaftlichen Prozesses sei der erwerbsorientierte und rationale Egoismus des homo oeconomicus, der mit seinem individuellen Wirtschaftserfolg zugleich die Prosperität der Nationalwirtschaft und die Befriedigung der sozialen Bedürfnisse bewirke. „Das natürliche Bestreben jedes Menschen, seine Lage zu verbessern, ist, wenn es sich mit Freiheit und Sicherheit geltend machen darf, ein so mächtiges Prinzip, daß es nicht nur allein und ohne alle Hilfe die Gesellschaft zu Reichtum und Wohlstand führt, sondern auch hundert arge Hindernisse überwindet, mit denen die Torheit menschlicher Gesetze es allzuoft zu hemmen suchte" (Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776). Die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen erfolgte im Rahmen der Stein-Hardenbergschen Reformen 22 . Aufnahme und Fortsetzung eines Gewerbes waren nunmehr grundsätzlich nur noch von der mit der Entrichtung der Gewerbesteuer gekoppelten Lösung eines Gewerbescheins abhängig ge21 22

Vgl. §§ 7ff. GewO. - BVerwGE 38, 244 (§ 39 a S. 1 GewO). E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, 2. Aufl., 1967, S. 200ff.; Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, 1967; W. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, 1968, S. 15 ff.

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macht 23 . Die Verwirklichung der Gewerbefreiheit und die damit korrespondierende Entwicklung eines Gewerbepolizeirechts kamen in Preußen mit der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 (GS S. 41) zum Abschluß, dem unmittelbaren Vorbild der mit zahlreichen Änderungen heute noch geltenden Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869. Das Allgemeine BergG für die Preußischen Staaten vom 24. Juni 1865 (GS S. 705) löste die Regalität des Bergbaus 24 durch das Prinzip der Bergbaufreiheit ab. 2. Wirtschaftsverfassung Im Zeichen der „Wirtschaftsverfassung" finden die Auseinandersetzungen über die grundlegenden Rechtsfragen der gegebenen Wirtschaftsordnung statt 25 . Seitdem die Weimarer Reichsverfassung in dem besonderen Abschnitt „Das Wirtschaftsleben" (Art. 151 ff.) die überkommenen Institutionen und Freiheiten des liberalen Wirtschaftsrechts durch verschiedenartige sozialistische und sozialreformerische Grundsätze, Einrichtungen und Programme (siehe bes. Art. 151, 156, 165) überformt hatte, stellte sich die Frage nach der verfassungsgestalteten Grundordnung der Wirtschaft und dem Zusammenhang zwischen der „Wirtschaftsverfassung" und der „politischen" Verfassung 26 . Der Ausdruck „Wirtschaftsverfassung" wird in einem engeren und in einem weiteren Sinn gebraucht, je nachdem ob damit die verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Ordnung des Wirtschaftslebens oder das Insgesamt der Rechtssätze, die Organisation und Ablauf des wirtschaftlichen Prozesses grundlegend und dauernd bestimmen, ohne Rücksicht auf ihren Rang als Verfassungs- oder Gesetzesrecht, gemeint sind. Der weitere Begriff der Wirtschaftsverfassung ist unter dem Blickwinkel des betroffenen Gegenstandes, der Wirtschaft, gebildet und orientiert sich demnach 23

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§ 50 (Allgem. Grundsätze über Gewerbepolizei) der Geschäfts-Instruktion für die Regierungen in sämtlichen Provinzen vom 26. 12. 1808 (GS 1806-1810, S. 481); Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-Steuer vom 28. 10. 1810 (GS 1810/11, S. 79); G über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 7. 9. 1811 (GS 1810/11, S. 263). W. Ebel, ZfB 109 (1968), S. 146. E. R. Huber, DÖV 1956, 97, 135, 172, 200, jetzt in: ders., Bewahrung und Wandlung, 1975, S. 215; Ballerstedt, GRe I I I / l , S. 1; ders., Art. Wirtschaftsverfassung, EvStL, 2. Aufl., 1975, Sp. 2962; Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965; Zacher, in: Fs. f. F. Böhm, 1965, S. 63; Badura, JuS 1976, 205; P. Saladin / H.-J. Papier, WDStRL 35 (1977), S. 7ff.; K. Stern, ORDO 30 (1979), S. 257; R. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981, S. 83ff. E. R. Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, 1931; L. Raiser, in: Fs. f. Julius von Gierke, 1950, S. 181; C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 489; E.-J. Mestmäcker, in: SchrVS NF 74/1, 1973, S. 183, und ZHR 137 (1973), S. 97; H. H. Rupp, Grundgesetz und „Wirtschaftsverfassung", 1974 (Rez. ZHR 139 [1975]), S. 281).

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daran, welche Rechtssätze und Rechtsinstitute für die reale Ordnung des Wirtschaftens prinzipiell bedeutsam und kennzeichnend sind. In diesem von einer metarechtlichen Fragestellung bestimmten Sinne umfaßt das Wirtschaftsverfassungsrecht unter anderem das AktienG vom 6. September 1965 (BGBl. I, S. 1089), das G gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. Juli 1957, jetzt i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. September 1980 (BGBl. I, S. 1761) und das G zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabilitätsG) vom 8. Juni 1967 (BGBl. I, S. 582). a) Die „ Wirtschaftsverfassung" des Grundgesetzes: Der engere Begriff der Wirtschaftsverfassung wirft die Frage auf, welche Regelungen das GG, das im Unterschied zur WRV und zu einigen älteren Landesverfassungen (insbesondere Bayern, Hessen) ausdrücklicher und zu einer äußeren Einheit zusammengefaßter Bestimmungen über das Wirtschaftsleben entbehrt, über die Aufgaben und Befugnisse des Staates zur Ordnung und Beeinflussung des wirtschaftlichen Prozesses trifft, und ob die getroffenen Regelungen sich zu einer besonderen „Wirtschaftsverfassung" des GG zusammenfügen. Die Kernfrage der Auseinandersetzungen über die „Wirtschaftsverfassung" des GG ist, welche Grenzen die Verfassung der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung setzt. Weder die These Nipperdeys von der verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der „sozialen Marktwirtschaft", die in erster Linie auf der sehr angreifbaren Annahme einer Gewährleistung der Institutionen des Wettbewerbs und der Gewerbefreiheit durch die Freiheitsrechte der Art. 2 I und 12 I GG beruht, noch die polemisch gegen eine Absicherung der ordoliberalen Wirtschaftspolitik durch einseitige Verfassungsauslegung gerichtete These Herbert Krügers, daß der Staat zwar nach Maßgabe der Verfassung okkasionell und pragmatisch in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, sich dabei aber nicht auf ein bestimmtes Wirtschaftssystem festlegen dürfe, weil dem die relativistische Grundlinie der Demokratie entgegenstehe, haben sich durchzusetzen vermocht. Die These Ernst Rudolf Hubers von der „gemischten Wirtschaftsverfassung" sieht im GG ein spannungsvolles Gleichgewicht und einen durchdachten Ausgleich von grundrechtlichen Wirtschaftsfreiheiten und unterschiedlichen Sozialbindungen, die der Gesetzgeber unter Ausnutzung der Gesetzesvorbehalte durch seine gesamtwirtschaftliche Gestaltungsmacht verwirklichen dürfe, garantiert. Die durch die im GG rezipierte Verfassungsidee des sozialen Rechtsstaates verfassungsrechtlich verankerte Verantwortung des Staates für die Herstellung und Wahrung der sozialen Gerechtigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft 27 und die zur fortdauernden Verwirklichung dieses Staatsziels und sei27

E. Forsthoff/ O. Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 8 ff., 37 ff.; E. R. Huber, Nationalstaat und Verfassungsstaat, 1965, S. 249; W. Weber, Staat 4 (1965), S. 409; Badura, DÖV 1968, 446; ders., SGb 1980, 1; E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Fs. f. A. Arndt, 1969, S. 53; Barion, DÖV 70, 15; K.

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ner Verheißungen durch evolutionäre Sozialgestaltung unabdingbare Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers finden in der die Praxis des BVerfG seit dem Urteil zum InvestitionshilfeG beherrschenden These von der „wirtschaftspolitischen Neutralität" des GG ihre sachgerechte Berücksichtigung28. Das GG ist danach in dem Sinn neutral, daß der Gesetzgeber jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen darf, sofern er dabei die bundesstaatliche Kompetenzverteilung, den sozialstaatlichen Auftrag, die rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätze und die grundrechtlichen Gewährleistungen beachtet. Dem Gesetzgeber und, nach Maßgabe der gesetzlichen Ermächtigung, der normativ handelnden Exekutive kommen im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung Gestaltungsfreiheit zu. Das Grundgesetz läßt in der Bestimmung wirtschaftspolitischer Ziele und der zu ihrer Verfolgung geeigneten Maßnahmen einen Beurteilungs- und Handlungsspielraum, innerhalb dessen das freie Spiel der Kräfte auch durch wirtschaftspolitische Lenkungsmaßnahmen korrigiert werden darf 29 . Die etwas mißverständliche Formel von der wirtschaftspolitischen „Neutralität" des Grundgesetzes betont die Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers, darf aber angesichts der verfassungsrechtlichen Bindungen nicht als wirtschaftsverfassungsrechtliche Inhalts- oder Entscheidungslosigkeit des Grundgesetzes verstanden werden. Das Grundgesetz enthält Festlegungen, Garantien, Rechte und Freiheiten mit wirtschaftsverfassungsrechtlicher Tragweite, so in der Berufsfreiheit, in der Eigentumsgarantie und in der Koalitionsfreiheit, es zeigt aber eine deutliche Zurückhaltung in Fragen der Wirtschaftsordnung und -gestaltung. Der Sozialstaatssatz hebt die Verantwortung des Staates für die soziale Gerechtigkeit als eine vordringliche Staatsaufgabe hervor und gibt damit der Gesetzgebung, mit der dieser Aufgabe durch Schutz, Leistungen und Sozialgestaltung nachgekommen wird, eine ausdrückliche verfassungsrechtliche „Legitimation". Vorsorge und Fürsorge, Schutz und Ausgleich zugunsten derjenigen, die durch Benachteiligung, Abhängigkeit oder sonstige Behinderung die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein nicht selbst zu sichern vermögen oder sonst eines besonderen Schutzes für ihre persönliche und soziale Entfaltung bedürfen, sind danach staatliche Verpflichtung 30 . Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat die Reichweite des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 I GG) mit Hilfe des Sozialstaatssatzes verstärkt31 und ebenso kraft dieses Verfassungssatzes eine teilhabe-

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Stern, Staatsrecht, 1977,1, § 21; H. F. Zacher, in: Fs. f. H. P. Ipsen, 1977, S. 207; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 737; J. Isensee, in: Fs. f. Johannes Broermann, 1982, S. 365. BVerfGE 4, 7/17f.; 7, 377/400; 12, 341/347; 14, 19/23; 14, 263/275; 22, 180/204; 26, 16/37; 27, 253/283; 32, 273; 50, 290/336ff. - Badura, AöR 92 (1967), S. 382; W. Schreiber, Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes in der Praxis der Rechtsprechung, 1972. BVerfGE 53, 135/145. BVerfGE 35, 202/236; 35, 348/355; 40, 121/133; 44, 353/375. BVerfGE 42, 176 u. ö.

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rechtliche Ergänzung grundrechtlicher Garantien zur Sicherung der Bedingungen von Freiheitsrechten angedeutet 32 . Der Sozialstaatssatz betrifft jedoch nicht nur den Ausgleich von Schutz- und Hilfsbedürftigkeit und die Sicherung sozialer Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch die gesellschaftspolitische Gesetzgebung im Bereich der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung. So ist es „für das ganze Volk von entscheidender Bedeutung" und gehört es „zu der dem Staat obliegenden, ihm durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit vom Grundgesetz auch besonders aufgegebenen Daseinsvorsorge", daß „die Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und der Mangel an Arbeitskräften auf der anderen Seite gemindert und behoben werden" 33 . In der Verfolgung der sozialstaatlichen Ziele bleibt allerdings die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit und ebenso die Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze, Rechte und Freiheiten der Verfassung bestehen. Die Verfassung birgt nicht eine bestimmte, durch Gesetz nur zu konkretisierende „Wirtschaftsverfassung". b) Die staatliche Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht"; Stabilitätsgesetz: Da das Grundgesetz den Gesetzgeber auf das sozialstaatliche Verfassungsprogramm verpflichtet hat und so Ziel und Richtung der Wirtschaftspolitik der gesetzgeberischen Disposition entzieht, kann sich der Grundsatz der „wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes nur auf die Art und Weise der Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit, auf die Mittel der Wirtschaftspolitik beziehen34. Hinsichtlich dieser Mittel hat die Neufassung des Art. 109 GG durch das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 581) insofern eine Verdeutlichung des Wirtschaftsverfassungsrechts bewirkt, als mit der Festlegung der staatlichen Verantwortung für das „gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" das an sich bereits vom Sozialstaatssatz umfaßte Mandat zur Konjunktur- und Wachstumspolitik ausdrücklich bekräftigt wird. Die Bedeutung des Art. 109 GG erschöpft sich nicht in der konjunkturpolitischen Einbindung der Haushaltsund Finanzpolitik, in der sozialstaatlich bedingten Fortentwicklung der bundesstaatlichen Struktur und in der Ausrichtung der kommunalen Finanzhoheit an den konjunkturpolitischen Erfordernissen. Folgerichtig greift das aufgrund Art. 109 GG erlassene Stabilitätsgesetz35 über den haushalts- und finanzwirtschaftlichen Finanzauftrag hinaus. Es bindet Bund und Länder nicht nur bei ihren finanziellen, sondern auch bei ihren wirtschaftspolitischen Maßnahmen an die in Art. 109 GG nur in einer Generalklausel ausgedrück32 33 34 35

BVerfGE 33, 303/331. - P. Badura, Staat 14 (1975), S. 17, 32ff. BVerfGE 21,245/251. BVerfGE 22, 180. Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; K. Stern / P. Münch / K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl., 1973; R. Schmidt, Wirtschaftspolitik und Verfassung, 1971; U. Scheuner, in: Fs. f. Hans Schäfer, 1975, S. 109; P. Badura, in: Fs. f. H. P. Ipsen, 1977, S. 367.

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ten, in § 1 StabG genauer angegebenen Grundsätze der Konjunktur- und Wachstumspolitik. Diese Grundsätze, wie auch die zugrunde liegende Generalklausel des Verfassungsrechts, bilden eine Direktive für Parlament und Regierung, sind aber nicht eine Grundlage für individuelle Ansprüche. Das Stabilitätsgesetz trifft vor allem eine Anzahl von Vorkehrungen zur Vorbereitung und Unterstützung konjunkturpolitischer Maßnahmen. Es verpflichtet die Bundesregierung zur Vorlage eines Jahreswirtschaftsberichtes (§ 2)36 und zur Aufstellung von Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten („konzertierte Aktion") der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände zur Wahrung der Ziele des § 1 (§ 3) und zur Vorlage zweijähriger Subventionsberichte (§ 12 Abs. 2)37. Bund und Länder werden zu einer fünfjährigen Finanzplanung verpflichtet (§§ 9, 10, 14 StabG; §§ 50ff. HGrG) 38 . Zu den im Stabilitätsgesetz vorgesehenen Maßnahmen einer antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik gehören die Manipulierung der haushaltswirtschaftlichen Ausgaben mit Hilfe von Konjunkturausgleichsrücklagen und Kreditaufnahmen (§§ 5 - 8 , 13, 14, 15), Kreditlimitierungen zu Lasten der öffentlichen Haushalte (§§ 19ff.) und Veränderungen des Steuersatzes der Einkommen- und der Körperschaftsteuer im Wege der Rechtsverordnung (§§ 26 Nr. 3, 27). c) Das europäische Wirtschaftsrecht: Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung werden in zunehmendem Maße auch durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften und die politischen und administrativen Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane bestimmt39. Der europäische Gemeinsame Markt beruht nicht nur auf einer Zollunion, in der die Beschränkungen des Handelsverkehrs durch Zölle und Kontigente zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Freiheit des Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs hergestellt werden und eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittstaaten stattfindet. Er beruht darüber hinaus auf einer Wirtschaftsunion, in der selbständige Gemeinschaftsorgane mit eigenen wirtschaftspolitischen und wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Aufgaben und Befugnissen bestehen, in der die nicht den Gemeinschaftsorganen zugewiesenen Funktionen der nationalen Wirtschaftspolitiken koordiniert werden, in der 36

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Jahreswirtschaftsbericht 1984 der BReg, BTag Drucks. 10/952. - Dazu: Jahresgutachten 1983/84 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BTag Drucks. 10/669. Bericht der BReg über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1981 bis 1984 (Neunter Subventionsbericht), BTag Drucks. 10/352. Zuerst: Beschluß der BReg vom 6. 7. 1968 über die Finanzplanung des Bundes bis 1971 (Bulletin 1968, Nr. 73); zuletzt: Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987, BTag Drucks. 10/281. - W. Graf Vitzthum, Parlament und Planung, 1978, S. 164ff. Über Recht und Praxis der Europ. Gemeinschaften unterrichten die halbjährigen Berichte der BReg über die Integration in den Europ. Gemeinschaften, zuletzt für April 1983 bis Sept. 1983, BTag Drucks. 10/614; Groeben / Boeckh / Thiesing/Ehlermanrt, Kommentar zum EWG-Vertrag, 3. Aufl. 1983.

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die Gemeinschaftsorgane supranationale Befugnisse der Rechtsetzung und der Rechtsverwirklichung besitzen und in der eine Vereinheitlichung des für den wirtschaftlichen Prozeß wesentlichen nationalen Rechts, insbes. des Wirtschafts- und Steuerrechts, angestrebt wird. Die Rechtsfragen und Materien des europäischen Wirtschaftsrechts haben sich seit längerem zu einem eigenen Rechtsgebiet entwickelt, dessen Darstellung hier unterbleiben muß. 3. Gesetzgebung und Regierung auf dem Gebiet der Ordnung und Beeinflussung der Wirtschaft Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sichert die Entscheidungsvollmacht des parlamentarischen Gesetzgebers für alle die Regelungen und Maßnahmen auf dem Gebiete der Wirtschaftsverwaltung, durch die individuelle Rechte oder Pflichten begründet oder sonst gestaltet werden. In dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt liegt zugleich die Garantie der gesetzmäßigen Freiheit des einzelnen 40 . Der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelte Grundsatz, daß alle für die Ausübung der grundrechtlichen Freiheiten des einzelnen „wesentlichen" Regelungen durch Gesetz zu treffen sind 41 , bestärkt - von anderen Folgerungen abgesehen - die rechtsstaatliche Anforderung, daß ein Gesetz, das zu Eingriffen der Verwaltung in Freiheit und Eigentum ermächtigt oder sonst grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen oder Wirkungen zur Folge haben kann, den Handlungsbereich der Exekutive hinreichend bestimmt abgrenzen muß. Der Vorrang des Gesetzes bedeutet für die Wirtschaftspolitik und auch sonst nicht, daß die Funktion der Regierung praktisch oder dem Prinzip nach schlechthin in Abhängigkeit von der parlamentarischen Entscheidung und der Gesetzgebung zu sehen wäre. Die im Rahmen des parlamentarischen Regierungssystems bestehende selbständige Initiative und Entscheidungsaufgabe der Regierung, d. h. insbes. der Regierungschefs und der zuständigen Ressortminister in Bund und Ländern, hat in der Wirtschaftspolitik ein besonderes Gewicht. Auf die verfassungsrechtliche Grundbeziehung zwischen Parlament und Regierung kommt es nicht zuletzt für die in die politische Planung (Aufgabenplanung) eingebettete Wirtschaftsplanung an 42 . Wirtschaftsplanung 40

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D. Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961; H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965; K. Vogel / R. Herzog, W D S t R L 24, 1966, S. 125, 183; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968; Chr. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970; U. Scheuner, DÖV 1969, 565; ders. in: Gedächtnisschrift für René Marcie, 1974, S. 889; H.-J. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip, 1973. BVerfGE 33, 125; 34, 304; 40, 237/248ff.; 41, 251/259f.; 45, 400/417f.; 47, 46/78f.; 49, 89/124ff. J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung I-VII, 1965 ff.; U. Scheuner, in: Fs. f. Werner Weber, 1974, S. 369; W. Graf Vitzthum, Parlament und Planung, 1978; E.-H. Ritter, Staat 19(1980), S. 413.

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bedeutet planmäßige Wirtschaftslenkung durch verbindliche oder mittelbar wirksame Planungsakte staatlicher Organe. Die Wirtschaftsplanung schlägt in Planwirtschaft um, wenn der Staat selbst wirtschaftet oder den gesamten Wirtschaftsprozeß durch mittelbar wirkende oder verbindlich ordnende Planungsakte steuert, ein privat- und marktwirtschaftliches Gegenüber des Staatshandelns also nicht mehr vorhanden ist. Der für die wohlfahrtsstaatliche Sozialgestaltung charakteristische instrumentale Charakter des Gesetzes tritt im Bereich der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung besonders deutlich zutage. Das „Maßnahme-Gesetz"43 stellt nicht, wie das verwaltungsrechtliche Gesetz des liberalen Staates, in auf dauerhafte Geltung angelegter Abstraktheit der Exekutive Ermächtigungen zum „Vollzug" im Einzelfall zur Verfügung, sondern greift als situationsbezogene normative Aktion selbst intervenierend und gestaltend in einen Sozialbereich ein, um in ihm einen gewünschten Zustand herzustellen oder zu erhalten 44 . Das „Plan-Gesetz" legt für eine bestimmte Sachaufgabe und für einen bestimmten Zeitraum das Ziel und die Mittel der Aufgabenerfüllung fest45. Das „Richtlinien-Gesetz" normiert ein bestimmtes politisches Programm durch Abwägungsgrundsätze, die für das einschlägige Handeln der Exekutive, aber auch der künftigen Gesetzgebung verbindlich sein sollen46. Das in der gesamten Gesetzgebung zu beobachtende Bedürfnis, technische, untergeordnete und situationsbezogene Regelungen durch eine Delegation der Verordnungsgewalt der Exekutive zu überlassen, macht sich im Bereich der Wirtschaftspolitik in Gestalt des „ Ermächtigungs- Gesetzes" geltend, dessen weitgespannte und generalklauselartige Ermächtigungen ein rasches und flexibles Reagieren von Regierung und Verwaltung ermöglichen sollen. Derartige Ermächtigungen sind mit dem Erfordernis hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG) dann vereinbar, wenn die Eigenart des geregelten Gegenstandes eine genauere Substantiierung im Gesetz selbst ausschließt und die mit Hilfe von Zweck und Regelungszusammenhang des Gesetzes auszulegende Ermächtigungs-Generalklausel Programm, Tendenz und Reichweite der durch sie zugelassenen exekutivischen Rechtsetzung erkennen läßt47. Die verwaltungsinterne Regelungsvollmacht der Exekutive in Gestalt von Richtlinien und ähnlichen Verwaltungsvorschriften spielt im gesamten Bereich der zu Ermessensentscheidungen ermächtigten oder mit politischer Gestaltungsfreiheit ausgestatteten Wirtschaftsverwaltung eine bedeu43

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Beispiel: Investitionshilfegesetz vom 7. 1. 1952 (BGBl. I S. 7). - BVerfGE 4, 7; H. P. Ipsen, AöR 78 (1953), S. 284. K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz, 1963; E. R. Huber in: ders., Bewahrung und Wandlung, 1975, S. 215, 265ff.; BVerfGE 25, 371. P. Badura, in: Fs. f. Hans Huber, 1981, S. 15. Beispiel: Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform vom 24. 6. 1948 (WiGBl. S. 17); § 1 StabG. BVerfGE 8, 274/311; 20, 257; 28, 66; 33, 358; 34, 52; Hasskarl, AöR 94 (1969) S. 85; D. Wilke, AöR 98 (1973), S. 196; F. Ossenbühl, in: Fs. f. Hans Huber, 1981, S. 283.

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tende Rolle, besonders in dem Bereich der Verwaltung durch Subventionen, soweit diese als reine Leistungsverwaltung neben dem Haushaltsgesetz einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung nicht bedarf. Die Zuständigkeiten zur wirtschaftspolitischen Gesetzgebung liegen umfassend in der Hand des Bundes, entsprechend der Notwendigkeit, die Wirtschaftseinheit innerhalb der Bundesrepublik zu wahren (vgl. Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG). Die z. T. sehr ausführlichen Bestimmungen einiger Landesverfassungen über das Wirtschaftsleben (insbes. Art. 151 ff. BayVerf; Art. 27 ff. HessVerf) sind dadurch weitgehend bedeutungslos 48 . Der Bund besitzt für einzelne Bereiche teils ausschließliche (Art. 73 Nr. 4, 5, 6, 9 GG), teils konkurrierende (Art. 74 Nr. 1, I I a , 15, 16, 17, 18, 20 GG) Zuständigkeiten sowie allgemein für das „Recht der Wirtschaft" (Art. 74 Nr. 11 GG) die konkurrierende Kompetenz zur Gesetzgebung. Zur Materie „Recht der Wirtschaft", die im weiten Sinn zu verstehen ist und durch die in dem Klammerzusatz angegebenen Gegenstände nur beispielhaft erläutert wird, gehören Gesetze, die ordnend und lenkend in das Wirtschaftsleben eingreifen, alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnde Normen, die sich in irgendeiner Weise auf die berufliche Tätigkeit oder die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen 49 . Zu dieser Materie zählen auch wirtschaftslenkende Ausgleichsabgaben, z. B. im Rahmen einer Marktordnung, sowie sonstige wirtschaftslenkende Sonderabgaben 50 . 4. Grundrechtsschutz wirtschaftlicher Tätigkeit Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung und die Tätigkeit der zur Wirtschaftsverwaltung zuständigen Behörden im Einzelfall finden in den Grundrechten direktive Gebundenheit und normative Begrenzung. Der Grundrechtsschutz der selbständigen Unternehmertätigkeit ist auf eine Anzahl von Grundrechtsverbürgungen mit unterschiedlichen Inhalten und Gesetzesvorbehalten verstreut. Neben den Basisfreiheiten des Berufs (Art. 12 Abs. 1 GG), des Eigentums (Art. 14 GG) und der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) einschließlich der Vertragsfreiheit 51 gehören hierzu auch die wirtschaftliche Assoziationsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG), die für das Gesellschaftsrecht und das Recht der Wirt48 49 50 51

Böckenförde / Grawert, DÖV 1971, 119; H.-J. Papier, in: Chr. Starck / K. Stern (Hrsg.), Landesverfassungsgerichtsbarkeit, 1983, Bd. III, S. 319. BVerfGE 4, 7/13; 5, 25/28f.; 8, 143/148f.; 26, 246; 28, 119; 41, 344. - H.-W. Rengeling, Bonn Komm. Art. 74 Nr. 11, Zweitbearb. 1983. BVerfGE 4, 7/13ff.; 18, 315/328; 37, l/16f.; 55, 274 mit Anm. R. Stettner, DVB1. 1981, 375 und L. Osterloh, JuS 1982, 421; 57, 139. BVerfGE 8, 274/328f.; L. Raiser, JZ 1958, 1; ders., in: Hundert Jahre Dt. Rechtsleben, 1960, Bd. I, S. 101; H. Huber, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966; Roscher, Vertragsfreiheit als Verfassungsproblem, 1974.

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schaftsverbände maßgebend ist, und die wirtschaftliche Freizügigkeit (Art. 11 GG). a) Unternehmensfreiheit; Grundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit: Aus Art. 2 I GG ist als besondere Konkretisierung der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit neben der Vertragsfreiheit die Freiheit selbstverantwortlicher unternehmerischer Disposition entwickelt worden, durch die die unternehmerischen Entscheidungen über die Art und Weise, in der auf den Unternehmenserfolg hingearbeitet werden soll, über den Einsatz der Betriebs- und Investitionsmittel und das Verhalten des Unternehmens im marktwirtschaftlichen Wettbewerb („Wettbewerbsfreiheit") einen eigengearteten grundrechtlichen Schutz gegenüber wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Geboten, Verboten und Verpflichtungen erfahren 52 . Der Schutz dieser durch das schwächere Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit umschlossenen Unternehmensfreiheit kommt nur zum Zuge, soweit nicht die spezielleren Gewährleistungen der Berufsfreiheit oder der Eigentumsgarantie einschlägig sind. Die hier in Betracht kommenden Abgrenzungen sind noch nicht hinreichend geklärt. Sie können nicht nur von einem sozusagen vorweg definierten Schutzbereich der einzelnen Grundrechtsbestimmungen aus vorgenommen werden, sondern müssen sich auch an Ziel und Wirkung der zu beurteilenden gesetzlichen Regelung orientieren. So ist im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung das Verhalten der Unternehmer im Wettbewerb Bestandteil ihrer Berufsausübung und demnach von Art. 12 I GG erfaßt, soweit es berufsspezifisch geregelt wird53. Die unternehmerische Nutzung von Eigentum hingegen genießt den Schutz des Art. 14 GG, soweit der zu betrachtende Eingriff eine Schmälerung oder Beeinträchtigung gerade der bestehenden Vermögenswerten Rechte bewirkt54. Jedes Gesetz, das Inhalt und Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit oder irgend eines anderen Grundrechts bestimmt, muß mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) und mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. Diese beiden Verfassungsgrundsätze sind gerade für die sozialgestaltenden Rechtssätze des ordnenden und lenkenden Wirtschaftsgesetzgebers die ausschlaggebenden Maßstäbe. Eine gesetzliche Regelung verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn sie eine willkürliche Differenzierung oder Nichtdifferenzierung bewirkt, d. h. wenn sie ohne vernünftige, sich aus der Natur der Sache ergebende oder sonst 52

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BVerfGE 4, 7/15f.; 12, 341/347f.; 29, 260/266f.; BVerwGE 30, 191; Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl., 1965, S. 29ff.; H.-P. Ipsen, in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung II, 1966, S. 63, 93ff.; H„ P. Ipsen, AöR 90 (1965), S. 393,. 430ff.; R. Scholz, Entflechtung und Verfassung, 1981; H.-J. Papier, in: Maunz / Dürig / Herzog /Scholz, Grundgesetz, Art. 14, RdnNrn. 214ff. BVerfGE 32, 311/317; 50, 290/361 ff.; BVerfG NJW 1978, 313. Auf dieser Linie sieht Scheuner, in: ders. (Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 50f., die „unternehmerische Direktions- und Leitungsbefugnis" in Art. 14 GG garantiert.

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sachlich einleuchtende Gründe gleiche Tatbestände ungleich oder ungleiche Tatbestände gleich behandelt und die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung evident ist55. Eine gesetzliche Regelung ist dann nicht willkürlich, wenn sie durch einen sachlichen Grund des öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist, wobei es primär dem Gesetzgeber zufällt, das öffentliche Interesse für den betroffenen Sachbereich zu definieren. Dieses Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als Willkürverbot (Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit) gibt dem wirtschaftslenkenden Gesetzgeber, dessen Intention gerade die aus wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Gründen gebotene Gestaltung, d. h. differenzierende Veränderung der Wirtschaftsstruktur oder der Wettbewerbsverhältnisse ist, erheblichen Spielraum56. Einen gewissen Ausgleich zwischen schwächeren und leistungsfähigeren Mitgliedern einer Gruppe zu Lasten der letztgenannten herbeizuführen, ist ein legitimes Mittel staatlicher Wirtschaftspolitik 57 . Empirisch erhebbare Sachgegebenheiten sind Voraussetzung und Grundlage der wertenden Entscheidung des Gesetzgebers, ergeben aber nicht notwendig in Verbindung mit den durch die Verfassung normierten Bindungen der Gesetzgebung eine strikte Festlegung der Legisla-. tive für eine bestimmte gesetzliche Regelung, die aus der Verfassung mit juristischen Mitteln allein deduzierbar wäre. Für die gesetzesfrei durch und auf Grund von Verwaltungsvorschriften tätige Wirtschaftsverwaltung führt der allgemeine Gleichheitssatz wenigstens zu einer gewissen normativen Bindung durch das Gebot der Gleichbehandlung und die Begründung subjektiv öffentlicher Rechte der Verwaltungsunterworfenen 58 . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist ein verfassungsrechtliches Kriterium für Art und Ausmaß zulässiger Beschränkungen des Grundrechtsbereichs. Das verfolgte wirtschaftspolitische Ziel muß ein hinreichendes Gewicht haben, und die erfolgte Freiheitsbeeinträchtigung muß geeignet und erforderlich sein, um das wirtschaftspolitische Ziel zu verwirklichen 59 . Der einzelne muß vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt bewahrt bleiben. Es verstößt beispielsweise gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 55

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BVerfGE 1, 14/52; 326/333; 19, 101/115; 19, 354/367f.; 26, 172/185; 28, 227; 30, 59; 38, 187; 38, 213; 39, 316. - Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot oder als Gebot der Chancengleichheit, 1969; Podlech, Gehalt und Funktionen des allgem. verfassungsrechtl. Gleichheitssatzes, 1971; H.-H. Rupp, in: Fs. für das BVerfG 1976, II, S. 364. BVerfGE 4, 7/18f., 24; 12,354/367; 17, 210/216f.; 18, 315/331 f., 340; 19, 101; 21, 160; 25, 1/12, 17; 30, 250 (Kloepfer, NJW 1971, 1585); 30, 292/317, 319; 33, 171/189f.; 36, 321; 40, 109 (kein Schachtelprivileg für Personengesellschaften). BVerfGE 19, 101/114; 21, 292/299; 23, 50/59f.; 37, 1; Zacher, AöR 93 (1968), S. 341. F. Ossenbühl, in: Erichsen / Martens, Allgem. VwR, 6. Aufl., 1983, S. 88ff. BVerfGE 5, 79/81; 8, 4/10; 15, 196/202f.; 19, 48/55; 27, 275/281; 34, 278; 35, 159. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; Zippelius, DVB1. 1956, 533; Grabitz, AöR 98 (1972), S. 568. - BVerfGE 21, 150; 27, 344/352f.; 30, 292/315f.; 33, 171/186ff.; 37, 1; 40, 198/222ff.

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wenn für eine Erlaubnis Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt werden, die in keinem Bezug zu der geplanten Tätigkeit stehen. Ist ein gesetzlicher Eingriff unerläßlich, so müssen die Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein und dürfen den einzelnen nicht übermäßig belasten60. Soweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein hinreichendes Gewicht für das mit einer gesetzlichen Regelung verfolgte Ziel fordert, ist er mit dem Maßstab der willkürfreien Sachgerechtigkeit verknüpft. Auch soweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage erfahrbarer tatsächlicher Gegebenheiten eine vernünftige Relation zwischen Ziel und Mittel sicherstellen will — auf diese Anforderung der Proportionalität wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, seiner verwaltungsrechtlichen Herkunft entsprechend, oft beschränkt - , stellt er als Maßstab der Gesetzgebung weniger einen subsumtionsfähigen Rechtssatz dar, aus dem allein mit juristischen Mitteln eine bestimmte Rechtsfolge abgeleitet werden könnte, als eine Richtlinie für die der politischen Entscheidung zugrundezulegende Abwägung. Nichts anderes gilt für die „Geeignetheit" oder „Zwecktauglichkeit" einer wirtschaftspolitischen Maßnahme. Dem Gesetzgeber steht für die Beurteilung der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes ein weiter Spielraum zu; nur ein Gesetz, das zur Erreichung seines Zweckes „schlechthin untauglich" ist, verletzt rechtsstaatliche Grundsätze. Eine gesetzliche Maßnahme ist nicht allein deswegen verfassungswidrig, weil sich nachträglich herausstellt, daß sie auf einer Fehlprognose beruht. Es kommt darauf an, ob die Prognose sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung orientiert hatte. Bei „komplexen Sachverhalten" ist dem Gesetzgeber eine angemessene Zeit zum Sammeln von Erfahrungen zu konzedieren. Außerhalb verfassungsrechtlicher Maßstäbe liegt es, ob auch andere Maßnahmen zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zieles möglich und besser geeignet gewesen wären61. b) Berufsfreiheit: Art. 12 I GG schützt das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit, das Recht, eine frei gewählte und frei ausgeübte Tätigkeit zur Grundlage der Lebensführung und Daseinsgestaltung zu machen. Das Grundrecht wendet sich gegen unverhältnismäßige und nicht in der Sache begründete Einschränkungen der beruflichen Betätigung durch die öffentliche Gewalt. Es garantiert „die Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, das heißt zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen und damit seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung selbst zu bestimmen", es sichert „die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit"62. Zu dem Gewährleistungsinhalt des Grundrechts gehört auch eine auf die Privatrechtsbeziehungen des Wirt60 61

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BVerfG JZ 1981, 92 (Falkner-Jagdschein). BVerfGE 29, 402; 30, 250; 33, 171/181 f.; 36, 66; 40, 198/222f.; 50, 290/331 ff.; Ossenbüh!, in: Fs. BVerfG, 1976,1, S. 458; P. Badura, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 321. BVerfGE 30, 292/334, 335. - R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983; P. J. Tettinger, AöR 108 (1983), S. 92.

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schafts- und Arbeitslebens gerichtete Schutzpflicht des Staates, die sich allerdings grundsätzlich nur an den Gesetzgeber wendet. Der „personale Grundzug" der Berufsfreiheit schließt das unternehmerische Handeln und die Wirtschaftstätigkeit juristischer Personen zur Verfolgung des Unternehmenszwecks nicht von der Gewährleistung aus; als „Unternehmensfreiheit" ist die freie Gründung und Führung von Unternehmen geschützt. Der Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers wird allerdings davon beeinflußt, ob personal bestimmte Erscheinungsformen der Berufstätigkeit oder Unternehmenstätigkeiten mit mehr oder minder großem sozialem Bezug betroffen sind63. Art. 12 I gewährleistet neben der Berufsfreiheit die konnexen Rechte der freien Wahl des Arbeitsplatzes64 und der Ausbildungsstätte 65 . Die selbständige Nennung von Wahl und Ausübung des Berufes betrifft lediglich die unterschiedliche Reichweite der zulässigen gesetzlichen Regelung beruflicher Tätigkeit. Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 12 GG erstreckt sich daher nicht nur auf die Ausübung, sondern auch auf die Wahl eines Berufes, kann in bezug auf diese aber nur unter erschwerten Voraussetzungen durch Gesetz ausgenutzt werden. Die denkbaren „Stufen", auf denen der Gesetzgeber die Berufsfreiheit regeln kann, unterscheiden sich nach dem Maß der durch sie bewirkten Freiheitsbeeinträchtigung und sind nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszuwählen; verhältnismäßig ist nur der geringste zur Erreichung des wirtschaftspolitischen Ziels ausreichende Eingriff. Die Regelungsstufen reichen von der bloßen Ordnung der Berufsausübung bis zur Beschränkung der Berufswahl durch subjektive oder gar objektive Zulassungsvoraussetzungen66. Diese „Stufen" sind Anhaltspunkte der Interpretation und dürfen nicht mit mechanischem Konstruktivismus verwandt werden. Es gibt Regelungen der Berufsausübung, die eine derart einschneidende Wirkung haben, daß sie einer Beschränkung der Berufswahl nahekommen 67 . Ebenso können subjektive Zulassungsvoraussetzungen ihrer Wirkung nach objektiven Zulassungsvoraussetzungen gleichkommen 68 . Eine Regelung der Berufsausübung kommt nur dann in ihrer wirtschaftlichen Wirkung einer Zulassungsbeschränkung nahe — und beeinträchtigt damit die Freiheit der Berufswahl —, wenn die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sind, den gewählten Beruf ganz oder teilweise zur Grundlage ihrer Lebensführung oder — bei juristischen Personen — zur Grundlage ihrer unternehmerischen Erwerbstätigkeit zu machen 69 . 63 64 65 66 67 68 69

BVerfGE 50, 290/362 ff. BAG NJW 1962, 1981; BAG NJW 1964, 568; BVerwGE 30, 65; 42, 296. BVerfGE 33, 303; 37, 104. BVerfGE 7, 377 („Apotheken-Urteil"). - H. H. Rupp, AöR 92 (1967); S. 212; J. Schwabe, DÖV 1969, 734; H. A. Hesse, AöR 95 (1970), S. 449. BVerfGE 11, 30 (Kassenarztrecht); 32, 1 (Apothekerassistenten). BVerwGE 40, 17 („männliche Hebamme"). BVerfGE 13, 181/187; 16, 147/165; 30, 292/314. - Zur generalisierenden Betrachtung bei Berufsausübungsregelungen allgemein: BVerfGE 37, 1.

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Der sachliche Schutzbereich der Berufsfreiheit wird durch den Begriff des Berufes bestimmt. Beruf ist jede erlaubte 70 , für eine bestimmte Dauer und nicht nur vorübergehend ausgeübte Betätigung, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient, sei es als selbständiger Unternehmer oder sonst Berufstätiger („freier B e r u f ) , sei es in abhängiger Arbeit. Da das Grundrecht die freie Disposition darüber gewährleistet, durch welche berufliche Betätigung die materielle Daseinssicherung angestrebt wird, ist „ B e r u f nicht nur die einem soziale geprägten oder überkommenen „Berufsbild" entsprechende Erwerbstätigkeit 71 . Andererseits darf der Gesetzgeber unter Wahrung der freiheitsrechtlichen Anforderungen des Grundrechts in ausgestaltender und auch beschränkender Regelung typisierend Berufsbilder festlegen. Durch das Grundrecht geschützte Berufe sind auch die nur im Staatsdienst möglichen Beschäftigungen und die dem Staat oder einem sonstigen Verwaltungsträger vorbehaltenen Wirtschafts- oder Berufstätigkeiten, wie z. B. die gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung. Deshalb unterliegt sowohl die Monopolisierung einer Tätigkeit zugunsten des Staates, d. h. die Errichtung oder Beibehaltung eines Verwaltungsmonopols, als auch die Ausgestaltung der monopolisierten Tätigkeiten durch das Gesetz den Grundsätzen des Art. 12 I GG, wenngleich nach dem Grundgedanken des Art. 33 IV G G die Eigenart der in Anspruch genommenen öffentlichen Aufgaben als besonderer Maßstab der Grundrechtseinschränkung zu berücksichtigen ist72. Die Freiheit der Berufswahl darf nur eingeschränkt werden, wenn und soweit der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter es zwingend gebietet. Besteht die Beschränkung der Berufswahl in der Aufstellung bestimmter Voraussetzungen für die Aufnahme des Berufs, ist der tiefere Eingriff in Gestalt objektiver Zulassungsbedingungen, die an außerhalb der Person des Berufsbewerbers liegende Umstände anknüpfen 73 , nur zulässig, wenn subjektive Bedingungen 74 ungenügend wären. Die Berufsausübung kann gesetzlich geregelt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen; der grundrechtliche Schutz erschöpft sich in der Abwehr unverhältnismäßiger und willkürlicher Beschränkungen 75 . Regelungen der Berufsausübung müssen auch die Ungleichheiten berücksichtigen, die typischerweise innerhalb des Berufes bestehen, dessen Ausübung geregelt wird. 70 71

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BVerwGE 22, 286. L. Fröhler/G. Mörtel, GewArch 1979, 105, 145; P. Badura, in: Fs. f. Wilhelm Herschel, 1982, S. 21. - Zum „Berufsbild": R. Scholz, DB 1980, Beilage 5. BVerfGE 16, 6; 17, 371; 21, 245; 21, 261; BVerwG DÖV 1966, 195; BVerwG DÖV 1972, 647 (Fährregal); Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, Tz 83; ders., Jb des Postwesens 1977, 1978, S. 76; H. Hoffmann, DVB1. 1964, 457; Leisner, AöR 93 (1968), S. 161; Obermayer, NJW 1969, 1457; P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, 1977, S. 401 ff. BVerfGE 9, 39; 14, 19; 21, 173; 21, 245; 21, 161; 25, 1; 40, 196; BVerwGE 18, 113. BVerfGE 9, 338; 13, 97; 19, 330; 25, 236; 34, 71; BVerfG JZ 1981, 20. BVerfGE 9, 73; 21, 72; 22, 380; 23, 50; 30, 292; 33, 125; 33, 171; 34, 293; 37, 1; 41, 360; 53, 135; BVerfG NJW 1978, 313.

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Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte, Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, dann kann Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 verletzt sein76. Auch Steuervorschriften mit wirtschaftslenkender Nebenwirkung sind, sofern sie nicht prohibitiv die Aufnahme eines Berufs beeinflussen und dadurch die freie Berufswahl beeinträchtigen, als Regelungen der Berufsausübung zu beurteilen 77 ; denn eine an Art. 12 I GG zu messende Regelung der Berufsausübung liegt bei allen gesetzlichen oder administrativen Maßnahmen vor, die bestimmt oder geeignet sind, in die eigenverantwortliche Gestaltung der Berufstätigkeit einzugreifen. Art. 12 I GG ist Prüfungsmaßstab auch für Vorschriften, die nur infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen 78 . Mangels einer gewerbepolizeilichen Spezialermächtigung kommt auch die polizeiliche Generalklausel als Rechtsgrundlage für eine Regelung der Berufsausübung durch Verordnung oder Verfügung in Frage, sofern damit nur eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch bestimmte Formen der Berufsausübung verhindert oder unterbunden werden soll und der wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Entscheidung des Gesetzgebers über neue Formen der Berufsausübung nicht vorgegriffen wird79. Einschränkungen der freien Wahl oder Ausübung eines Berufes bedürfen in jedem Fall der Grundlage in einem hinreichend bestimmten Gesetz80. c) Eigentumsgarantie: Ihrem Wortlaut nach stellt die grundrechtliche Garantie des Eigentums81 den „Inhalt" des Eigentums seinen „Schranken" gegenüber (Art. 14 GG) und legt damit die Vorstellung nahe, das Eigentum sei entsprechend der liberalen Formel des „staatsfreien Raumes" von „Freiheit und Eigentum" eine vorstaatliche Größe, die der staatlichen Ordnung, Begrenzung und Gestaltung gewissermaßen vorgegeben sei. Doch ist es das Ge76 77

78 79 80 81

BVerfGE 30, 292/327, 330 ff. (strukturbedingte Sonderbelastung der unabhängigen Importeure durch die Erdöl-Bevorratungspflicht); 33, 171/88. BVerfGE 13, 181; 16, 147; 38, 61; 47, 1/21, 37ff. - Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung und Sozialgestaltung durch Steuergesetze, 1966; Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 244ff. BVerfGE 46, 120/137 (§ 3 IV DirRufV). BVerwGE 10, 164 (Ermacora, JuS 1961, 217); BVerwG DVB1. 1970, 504 = JuS 1970, 538; VGH Mannheim DVB1. 72, 503. BVerfGE 54, 224 und 237 mit Anm. H.-J. Papier, JZ 1980, 608. W. Weber, GRe II, S. 331; R. Reinhardt / U. Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, 1954; Scheuner, in: ders. / Küng, Der Schutz des Eigentums, 1966, S. 5; ders., Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 43ff.; Sendler, DÖV 1971, 16 und 1974, 73; H.-J. Papier, W D S t R L 35 (1977), S. 55, 81 ff.; H. Chr. Binswanger, Eigentum und Eigentumspolitik, 1978, bes. S. 115ff.; G. Müller, Schweizer. Juristenverein 115/1, 1981; P. Badura, Eigentum, in: HbVerfR, S. 653; U. Battis / J. Felkl-Brentano, JA 1983, 494.

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setz, das den Inhalt nicht weniger als die Schranken des Eigentums bestimmt und dabei dessen Sozialgebundenheit zur Geltung zu bringen hat (Art. 14 II GG). Durch die Garantie wird der Gesetzgeber bei der Regelung der Güterverteilung und bei der Bereitstellung der rechtlichen Ordnung für die Vermögenswerten Rechte, ihre Ausgestaltung, ihre Nutzung und die Verfügung über sie, verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen, die sich hauptsächlich in den Grundsätzen der Lastengleichheit der einzelnen und der Privatnützigkeit des Eigentums und seiner Verwendung zusammenfassen lassen. Ihrer verfassungspolitischen Funktion nach reichen das Eigentum und seine Garantie weit über die Zuerkennung eines individualistischen Reservats hinaus. Art und Maß des Schutzes des Eigentums und der privatautonomen und privatwirtschaftlichen Verwendung des Eigentums bilden ein wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundkriterium für die Unterscheidung der Wirtschaftsordnungen. Wenn die Verfassung, wie im Falle des Grundgesetzes, das Eigentum — und nicht nur das „persönliche Eigentum" — schützt, geschieht das nicht nur aus Rücksicht für die Eigentümer, sondern weil darin auch ein dem Prinzip nach nützliches Element der Gesellschaftsordnung gesehen wird. Dementsprechend kann und muß der Gesetzgeber die Unterschiedenheit der Eigentumsarten — Unternehmenseigentum, Grundeigentum, Verbrauchseigentum etc. — je nach ihrer sozialen und politischen Bedeutung berücksichtigen. Die Auseinandersetzung um die Eigentumsverfassung82 ist in den Hauptpunkten zugleich eine Auseinandersetzung um die Wirtschaftsordnung und die Gestalt politischer Herrschaft. Das Eigentum wird einerseits geschützt, weil es die rechtliche Zuteilung der gegenständlichen Grundlagen individueller Daseinsbehauptung und -gestaltung bewirkt. Auf der anderen Seite hat das Eigentum im Rahmen einer Wirtschaftsordnung mit prinzipiell marktwirtschaftlicher Produktion und Verteilung die Aufgabe, die privatautonome Entscheidung über den Gebrauch und den Verkehr der Güter (Produktionsmittel, Waren) zu ermöglichen, auf der die Dezentralisation des wirtschaftlichen Prozesses und die mit der gesellschaftlich erwünschten privaten Initiative verbundene individuelle Verteilung von Erfolg und Risiko beruhen 83 . Kraft des wohlfahrtsstaatlichen Sozialgestaltungsauftrages, der in Art. 14 II GG individualistisch gewendet als Pflichtigkeit des Eigentümers erscheint, ist es dem Staat aufgegeben, den privatautonomen Gebrauch des Eigentums, vornehmlich des produktiven Kapitals, unter Aufrechterhaltung seiner Funktion für den marktwirtschaftlichen Prozeß in dem Maße durch rechtliche Ordnung und Gestaltung zu vergesellschaften, in dem es zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit erforderlich ist und in dem das Eigentum sozialschädliche Macht- und Ausbeutungschancen vermittelt. 82 83

Zu Mitbestimmung siehe oben Abschn. I 2 b. Scheuner, in: ders. / Küng, 1966, S. 43; Bericht „Mitbestimmung im Unternehmen", BTag Drucks. VI/334, S. 78; F. Rittner, in: Marburger Gespräch über Eigentum - Gesellschaftsrecht - Mitbestimmung, 1967, S. 50.

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Die Gewährleistung des Eigentums hat eine individuelle, die konkreten Rechte einzelner betreffende, und eine institutionelle, das Rechtsinstitut des „Privateigentums" betreffende Schutzwirkung84. „Eigentum" im Sinne des Grundrechts ist jedes erworbene und bestehende Vermögenswerte Recht, also nicht nur das Sacheigentum des BGB, sondern auch schuldrechtliche, sachenrechtliche und gesellschaftsrechtliche Berechtigungen, auch erworbene öffentlich-rechtliche Ansprüche, sowie alle sonstigen konkretisierten Rechtspositionen, auf denen Lebensführung und wirtschaftliche Betätigung beruhen können 85 . Kein Eigentum sind bloße Erwerbsaussichten oder Chancen, die zwar nach den gegebenen rechtlichen oder faktischen Verhältnissen, z. B. der Marktlage, bestehen, auf deren Fortbestehen aber nicht vertraut werden kann. Als grundrechtliche Gewährleistung individueller Rechte schützt die Eigentumsgarantie vor beliebiger Beeinträchtigung oder Entziehung vermögenswerter Rechte (Art. 14 III GG). Als Einrichtungsgarantie gewährleistet das Grundrecht die Existenz privatrechtlicher Rechtssätze, die Innehaben, Erwerb, Nutzung und verkehrswirtschaftliche Verwendung individueller Vermögensrechte als Grundlage privater Daseinsgestaltung und privatautonomer Wirtschaftsführung ermöglichen und ordnen. Die wirtschaftsverwaltungsrechtlich im Vordergrund stehende Konkretisierung der Eigentumsgarantie ist die Sicherung des als vermögenswertes Recht anerkannten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs im Hinblick auf den sozialgestaltenden und wirtschaftslenkenden Gesetzgeber86. Der geschützte Gewerbebetrieb 87 umfaßt den sachlichen Bestand des Betriebs und alle seine einzelnen Erscheinungsformen („Ausstrahlungen"), die außerdem den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebs ausmachen, wie Geschäftsbeziehungen, good will und die besondere Lage an der Straße („Kontakt nach außen"), nicht aber bloße Erwerbsmöglichkeiten, Gewinnaussichten, Hoffnungen oder Chancen. Gewährleistet wird die „Sach- und Rechtsgesamtheit" des Betriebs in ihrer „Substanz", d. h. das ungestörte Funktionieren des Betriebsorganismus, dessen Beeinträchtigung den Verfügungsberechtigten daran hindert, von der in dem Gewerbebetrieb verkörperten Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemä84 85 86

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BVerfGE 14, 263; 24, 367; 50, 290/339. - M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Fs. f. Wilhelm Kahl, 1923. K. Hesse, VerfR, 14. Aufl., 1984, S. 170f.; U. Scheuner (Anm. 83), S. 41. Fröhler, Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, 1972; Badura, in: Fs. f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, S. 1. - In BVerfGE 51, 193/221 f. werden Zweifel daran angedeutet, ob ein selbständiger Schutz des „Gewerbebetriebs" als Eigentum i. S. des Art. 14 GG in Betracht komme. BGHZ 23, 157; 45, 150; 48, 58; 48, 65; BGH NJW 1967, 1867; BGHZ 55, 261; BGH NJW 72, 1574; BGH NJW 75, 1966; BGH DVB1. 1977, 857 (FluglotsenStreik); BVerwGE 36, 248. - W. Weber, AöR 91 (1966), S. 382, 400f.; Buchner, Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktischen Unternehmensschutz, 1971; Zuck, Gewerbebetrieb und Enteignungsentschädigung, 1971; M. Löwisch / W. Meier-Rudolph, JuS 1982, 237.

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ßen Gebrauch zu machen. Zur eigentumsrechtlich geschützten Gewerbeausübung wird auch die Wirtschaftswerbung gerechnet 88 . Der geschützte Umfang des Betriebs wird durch die jeweilige ökonomische und örtliche „Situation" bestimmt, in der das Gewerbe betrieben wird, so daß vorteilhafte Umstände nur garantiert sind, wenn und soweit der Betriebsinhaber sich darauf verlassen darf, daß sie auf Dauer erhalten bleiben. Wirtschaftslenkende Maßnahmen, die — wie die Veränderung des Diskontsatzes, die Herabsetzung eines Schutzzolls oder die Umgestaltung einer Marktordnung — lediglich die erkennbar situationsbedingten Erwerbschancen eines Gewerbebetriebs beeinflussen, stellen daher keinen entschädigungspflichtigen Eingriff in das Unternehmereigentum dar, sofern nicht ein besonderer Vertrauenstatbestand gegeben ist oder auf andere Weise ein Sonderopfer abverlangt wird 89 . Über diese Grundsätze der Eigentumsgarantie hinaus hat ein aus dem allgemeinen Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand staatlicher Wirtschaftsplanung abgeleiteter „Plangewährleistungsanspruch" noch keine Anerkennung gefunden 90 . Sofern eine wirtschaftslenkende Maßnahme oder Regelung den grundrechtlich gesicherten Bereich des Gewerbebetriebs oder sonst eines Vermögenswerten Rechtes berührt, kommt es für die Frage, ob darin eine entschädigungslos zu duldende Bestimmung von Inhalt oder Schranken des Eigentums oder aber ein enteignender Eingriff zu sehen ist, darauf an, ob die Maßnahme — ihre Geeignetheit vorausgesetzt — im rechten Verhältnis zu der Schwere der den Eigentümer treffenden Einschränkung seiner Dispositionsfreiheit steht, mit anderen Worten, ob die Regelung notwendig (nicht durch eine andere Maßnahme ersetzbar) und für den Eigentümer zumutbar ist91. Als Kriterium für die Schwere und Zumutbarkeit des Eingriffs ist von der in der Eigentumsgarantie vorausgesetzten Zweckbestimmung des Privateigentums, seiner „Privatnützigkeit", auszugehen, nämlich seiner Funktion, im marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprozeß Basis der privaten Initiative und des privaten Interesses zu sein. Ausschlaggebend ist demnach, ob eine wirtschaftslenkende Maßnahme die Privatnützigkeit des Eigentums respektiert oder 88

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P. Lerche, Werbung und Verfassung, 1967, S. 73ff.; P. Selmer, in: Fs. f. H. P. Ipsen, 1977, S. 515. BGHZ 45, 83; BGH VerwRspr. 16, 902; BGH JZ 1968, 130; BGH BB 1968, 1179; BVerwG DVB1. 1966, 751. Ipsen, W D S t R L 11 (1954), S. 129; ders., in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung I, 1965, S. 35, 60ff.; ders. in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung II, 1966, S. 63, 106ff.; ders., in: Fs. f. E. R. Huber, 1973, S. 219; Oldiges, Grundlagen eines Plangewährleistungsrechts, 1970; J. Egerer, Der Plangewährleistungsanspruch, 1971; Ossenbühl, DÖV 1972, 25; Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 348ff.; G. Korbmacher, WiVerw. 1979, S. 37; W. Thiele, DÖV 1980, 109; P. Badura, in: HbVerfR, S. 681 f. BVerfGE 21, 74; 21, 150; 24, 367; 25, 112; 26, 215; 31, 229 und 275; 37, 132, 52, 1; 56, 249; 58, 300. - BGHZ 6, 270; 32, 208; 48, 193; 60, 126; BGH DVB1. 1974, 625 und 627. - BVerwGE 15, 1; 24, 60.

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aber wesentlich beeinträchtigt oder gar beseitigt, etwa durch Zerstörung der Rentabilität 92 . Diese Grundsätze müssen auch für den Fall gelten, daß die Wirtschaftslenkung sich des Mediums der Besteuerung bedient; denn der Steueranspruch verkörpert hier nicht nur eine Geldleistungspflicht, sondern auch eine wirtschaftsverwaltungsrechtliche Beeinträchtigung des Unternehmereigentums. Mit dieser Auffassung stimmt die Rechtsprechung des BVerfG möglicherweise im praktischen Ergebnis überein, weil danach die Eigentumsgarantie zwar gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten nicht schützt, aber andererseits dennoch verletzt sein könnte, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen 93 . Noch größer als gegenüber der Steuergewalt ist die Schwäche des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gegenüber der Geldentwertung 94 . Ungerechte Auswirkungen der Geldentwertung können einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz zur Folge haben. Die verfassungsrechtliche Regelung der Sozialisierung in Art. 15 GG 95 hat bisher mangels Vollzugs96 noch keine praktische Bedeutung erlangt, ist aber nichtsdestoweniger jedenfalls deshalb wirtschaftsverfassungsrechtlich bedeutsam, weil sie in besonders eindeutiger Weise zeigt, daß das GG nicht eine Festlegung der liberalen Wirtschaftsidee darstellt oder verlangt. Die Sozialisierung ist durch ihre auf sozialentwährende Umschaffung der Eigentumsordnung gerichtete Zwecksetzung von der Enteignung geschieden. Da Art. 15 GG den Gesetzgeber nicht zur Sozialisierung verpflichtet und deshalb seine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gestaltungsfreiheit nicht berührt 97 , besteht die rechtliche Wirkung dieser Vorschrift lediglich darin, daß sie einen etwaigen Sozialisierungswillen auf die aufgeführten Objekte der 92 93

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Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl., 1973, S. 344; Reinhardt, in: ders. / Scheuner{Anm. 81), S. 10ff.; BGH NJW 1968, 294. BVerfGE 4, 7/16; 19, 119/128f.; 30, 250; BVerfG NJW 76, 101 (substanzverzehrende Vermögenssteuer). - P. Kirchhof / H. H. von Arnim, W D S t R L 39 (1981), S. 213, 286. BVerfG HFR 1969, 347; BVerfGE 50, 57; BFHE 89, 422; 90, 396; 102, 383; BFH BStBl. II 1974, 572 und 582; BFH JuS 1976, 545. - H. H. von Arnim, Die Besteuerung von Zinsen bei Geldentwertung, 1978; K. Schmidt, in: Fs. f. d. Berliner Jur. Gesellschaft, 1984, S. 665. - „Aufwertung" zivilrechtl. Ansprüche (Ruhegeldzusagen, Zugewinnausgleich): BAG DB 1973, 773; BGH DB 1973, 1497; BGH NJW 1974, 137 und 1186; BGH DB 1975, 2220 (keine „Aufwertung" von Mietzinsansprüchen). Die Anpassung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung an die Geldentwertung bestimmt sich seit dem 1.1. 1975 nach der wenig klaren Vorschrift des § 16 G. zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung; vgl. u. a. BAG NJW 1980, 1181; G. Schaub, NJW 1982, 362/365f. Ipsen / Ridder, W D S t R L 10 (1952), S. 74ff., 124ff.; H. Krüger, GRe I I / l , S. 267; J. Jsensee, DÖV 1978, 233; P. Badura, in: HbVerfR, S. 694ff. Zu der auf Grund Art. 41 HessVerf erfolgten Sozialisierung und deren Schicksal: H. Krüger, AöR 77 (1951/52), S. 46; Ipsen, DÖV 1952, 225; ders., in: Fs. f. Jahrreiß, 1964, S. 115. Zur Privatisierung: BVerfGE 12, 354 (VW-Werk).

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Produktionssphäre beschränkt, deren Sozialisierungsfahigkeit allerdings zugleich abstrakt feststellt, und daß sie durch die Verweisung auf die Regelung der Enteignungsentschädigung eine entschädigungslose Sozialisierung ausschließt. III. Wirtschaftsverwaltung 1. Organisation a) Staatliche Wirtschaftsverwaltung in Bund und Ländern: Während die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts zur ausschließlichen oder konkurrierenden Kompetenz des Bundes gehört, ist die Ausübung öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft ganz überwiegend eine Angelegenheit der Länder (Art. 30, 83, 84 GG). Die Formulierung der Wirtschaftspolitik hingegen liegt im wesentlichen in der Hand der BReg und des Bundeswirtschaftsministers, ebenso wie die abgeleitete Rechtsetzung durch Rechtsverordnungen; für diese ist meistens die Zustimmung des Bundesrates erforderlich (Art. 80 II, 109 IV 3 GG). Durch Beiräte der BReg wird die Wirtschaftspolitik vorbereitet und beeinflußt98. Aufgaben und Befugnisse der Währungs- und Kreditpolitik werden durch die unabhängige (ministerialfreie) Bundesbank wahrgenommen". Eine Ausübung von Wirtschaftsverwaltung durch den Bund erfolgt mit Hilfe von Bundesoberbehörden, wie z. B. dem Bundeskartellamt100 und dem Bundesamt für Gewerbliche Wirtschaft101, und von bundesunmittelbaren Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, wie z. B. der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr 102 und der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (Art. 87 III 1 GG)103. b) Selbstverwaltung der Wirtschaft: Neben den staatlichen Behörden der Wirtschaftsverwaltung bestehen im Bereich der Industrie und des Handels, des Handwerks und der Landwirtschaft Einrichtungen einer „Selbstverwaltung der Wirtschaft" in Gestalt von Körperschaften des öffentlichen 98

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G über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14. 8. 1963 (BGBl. I, S. 685), § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StabG. - Jahresgutachten 1983/84, BT-Drucks. 10/669. - Heinze, Staat 6, 1969, S. 433; Brohm, in: Fs. f. E. Forsthoff, 1972, S. 37; R. Molitor (Hrsg.), Zehn Jahre Sachverständigenrat, 1973, R. Scholz, DÖV 1973, 843. Art. 88 GG, G über die Deutsche Bundesbank vom 26. 7. 1957 (BGBl. I, S. 745, mehrf. geänd.). - Siehe oben Anm. 16. §§ 48 ff. GWB. Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1981/82 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (§ 50 GWB), BT-Drucks. 10/243. - Günther, ZHR 125 (1963), S. 38; 10 Jahre Bundeskartellamt, 1968; Zuck, NJW 1971, 1633. G vom 9. 10. 1954 (BGBl. I, 281). §§ 53 ff. GüKG. G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981.

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Rechts104. Die ebenso wie die Kammern der gewerblichen Wirtschaft und der Landwirtschaft auf dem Prinzip der körperschaftlichen Selbstverwaltung beruhenden Kammern der freien Berufe, z. B. der Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, die wegen der von ihnen angebotenen gehobenen Dienstleistungen und Geschäftsbesorgungen außerhalb des Gewerberechts stehen, werden als ein besonderer Bereich der berufsständischen Selbstverwaltung angesehen105. Bei den Kammern der Selbstverwaltung der Wirtschaft handelt es sich organisationsrechtlich und äußerlich um Verwaltungsträger der mittelbaren Staatsverwaltung mit einem bestimmten Bezirk, die für die Vertretung der Interessen ihrer körperschaftlich zusammengeschlossenen Mitglieder das Recht der Selbstverwaltung besitzen und unter Staatsaufsicht stehen. Die Bildung dieser Verwaltungseinheiten entspringt allerdings nicht dem Organisationsprinzip der Dezentralisation, d. h. dem Gedanken, eine Verwaltungsaufgabe durch Ausgliederung aus der unmittelbaren Staatsverwaltung besser erledigen zu können, sondern der Absicht, die kollektive Interessenwahrung in einzelnen Wirtschaftszweigen durch die öffentlich-rechtliche Organisation der Interessenten zu begünstigen und bis zu einem gewissen Grade zu disziplinieren; neben den eigenen Angelegenheiten der Mitglieder spielen bei den Trägern der wirtschaftlichen Selbstverwaltung übertragene Angelegenheiten nur eine geringe Rolle. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der hier meist bestehenden Zwangsmitgliedschaft und damit der „Verkammerung" der Wirtschaft überhaupt beurteilt sich nicht nach Art. 9 I GG, dessen Schutzbereich nur die privatautonome Assoziation erfaßt und deshalb die „negative" Vereinigungsfreiheit nur bei privatrechtlichen Organisationsformen schützt106. Die Praxis zieht die allgemeine Handlungsfreiheit heran; danach hindert es Art. 2 I GG nicht, daß der Staat sich bei der „legitimen Aufgabe der Förderung der Wirtschaft" der Hilfe von Einrichtungen bedient, die er auf gesetzlicher Grundlage aus der Wirtschaft heraus sich selbst bilden läßt und die durch ihre Sachkunde 104

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E. R. Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958; W. Reuss, GRe I I I / l , S. 91; Horak, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958; Bremer, Das Kammerrecht der Wirtschaft, 1960; Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentl. Rechts und Interessenvertretung, 1974; P. Oberndorfer WiVerw 1979, 129; W. Brohm, in: Fg. f. G. Chr. von Unruh, 1983, S. 777; P. J. Tettinger, ebd., S. 809. - Selbstverwaltung der Wirtschaft findet auch durch nicht rechtsfähige, bestimmten Behörden zugeordnete Gremien statt, wie z. B. die Frachtenausschüsse der Binnenschiffahrt gem. §§ 22 ff. BSchG (BVerwGE 31, 359). Brandstetter, Der Erlaß von Berufsordnungen durch die Kammern der freien Berufe, 1971; D. Hahn, Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung der verkammerten freien Berufe, 1974; B. Badura, Dt. Architektenbl. 1979, BY 67. - Zu den Grenzen der Satzungsgewalt der Kammern: BVerfGE 33, 125 (Facharzt-Urteil); BVerwG DÖV 1973, 311; zu den Grenzen der Aufgaben einer Ärztekammer: BVerwG NJW 1982, 1300 m. Anm. K. Redeker, NJW 1982, 1266. Abw. Hesse, VerfR, Rdnr. 413.

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die Grundlage dafür schaffen helfen, daß staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen 107 . Die Industrie- und Handelskammern108 haben die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken. Die Kammern wirken an der Berufsausbildung mit. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen gehört nicht zu ihren Aufgaben. Kammerzugehörige, die durch Beiträge die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Kammern aufzubringen haben, sind natürliche Personen, Handelsgesellschaften, andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Kammerbezirk entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten und mit dieser gewerbesteuerpflichtig sind 109 ; von der Pflichtmitgliedschaft ausgenommen sind die nicht in das Handelsregister eingetragenen freiberuflich tätigen Personen und Inhaber land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe sowie die Inhaber von Handwerksbetrieben und von handwerksähnlichen Betrieben (§ 2 IHKG, Art. 23 SteueränderungsG 1961, §§ 18 ff., 90 II HandwO). Der Inhaber eines Handwerksbetriebs, der außerdem eine nicht-handwerkliche Gewerbetätigkeit ausübt, ist insoweit Pflichtmitglied der Industrie- und Handelskammer 110 . Die Handwerkskammern haben die Aufgabe, die Interessen des Handwerks zu wahren und zu fördern und an der Berufsausbildung mitzuwirken (§§ 90 ff. HandwO) 111 . Ihre Mitglieder sind die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe im Kammerbezirk sowie die Gesellen 107 108

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BVerfGE 15, 235; 32, 54; OVG Münster NJW 1960, 214. G zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. 12. 1956 (BGBl. 1956 I, S. 920). - G. Frentzel / E. Jäckel / W. Junge, Industrieund Handelskammergesetz, 4. Aufl., 1982; W. Fischer, Unternehmerschaft, Selbstverwaltung und Staat, 1964; Leibholz, Die Stellung der Industrie- und Handelskammern in Gesellschaft und Staat, 1966; Wülker, Der Wandel der Aufgaben der Industrie- und Handelskammern in der Bundesrepublik, 1972. BVerwGE 16, 295; 22, 58; BVerwG NJW 1978,904. BVerwG NJW 1978, 389. L. Fröhler, Die Staatsaufsicht über die Handwerkskammern, 1957; ders., Das Organisationsrecht der Handwerksordnung, 1973; V. Chesi, Struktur und Funktionen der Handwerksorganisation in Deutschland seit 1933, 1966; Kolbenschlag / Patzig, Die dt. Handwerksorganisation, 1968; W. Hoffmann-Riem, Interessenzuordnung im Handwerk, 1980. - Eine wirtschaftliche Betätigung steht mit den gesetzlich zugewiesenen Kammeraufgaben nicht im Einklang (OVG Koblenz GewArch 1980, 339).

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und Lehrlinge dieser Gewerbetreibenden. Die selbständigen Handwerker und die Inhaber handwerksähnlicher Betriebe tragen durch Beiträge zur Dekkung der Kosten bei, die durch die Errichtung und Tätigkeit der Handwerkskammer entstehen (§ 113 HandwO) 112 . Die Handwerksinnungen stellen einen freiwilligen Zusammenschluß der selbständigen Handwerker desselben Handwerks oder verwandter Handwerke auf der Kreisebene dar und sollen die gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder fördern (§§ 52 ff. HandwO). Sie werden von der zuständigen Handwerkskammer beaufsichtigt (§ 75 HandwO) und sind fachlich zu Landesinnungsverbänden (§ 79 HandwO) und örtlich zu Kreishandwerkerschaften (§ 86 HandwO) zusammengeschlossen. Die Landesinnungsverbände und die Kreishandwerkerschaften sind in Rechtsformen des Privatrechts organisiert. Die Tariffähigkeit der Innungen und Innungsverbände (§§ 54 III Nr. 1, 82 S. 2 Nr. 3 HandwO) verletzt Art. 9 III GG nicht113. Für das Recht der Landwirtschaftskammern besteht eine bundesrechtliche Regelung, die gemäß Art. 74 Nr. 17 GG möglich wäre, noch nicht. In einer Anzahl von Bundesländern sind jedoch Landwirtschaftskammern auf landesrechtlicher Grundlage errichtet worden 114 . In Anlehnung an die in Art. 165 WeimRVerf vorgesehenen Wirtschaftsräte, in denen Vertreter der Unternehmer und der Arbeitnehmer zusammenwirken sollten, haben Bremen115 und Rheinland-Pfalz 116 Wirtschaftskammern errichtet. Das Grundgesetz hat lediglich in Übereinstimmung mit Art. 156 WeimRVerf eine gemeinwirtschaftliche Selbstverwaltung für sozialisierte Produktionsmittel in Betracht gezogen (Art. 15). Bis in die jüngste Zeit ist nach dem Vorbild des Reichswirtschaftsrates der Weimarer Republik 117 und der Wirtschaftsräte in einigen westeuropäischen Verfassungen von verschiedenen Seiten eine quasiparlamentarische Repräsentation der organisierten Interessen der Wirtschaft in einem „Bundeswirtschaftsrat"oder „Wirtschaftsund Sozialrat" gefordert worden 118 . Ein derartiges Verfassungsorgan, das be-

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BVerwG NJW 1977, 1893. BVerfGE 20, 312. Vgl. z.B. das niedersächs. G über Landwirtschaftskammern i. d. Fass. vom 1.6. 1967 (GVB1. S. 223). Der Bayer. Bauernverband ist eine Körperschaft des öffentl. Rechts mit freiwilliger Mitgliedschaft; VO Nr. 106 vom 29. 10. 1946 (BayBS IV, S. 318), Bek. vom 17. 2. 1960 (StAnz Nr. 9). - E. Sauer, Landwirtschaftliche Selbstverwaltung, 1957. Art. 46 BremVerf, G vom 23. 6. 1950 (GVB1. S. 71). Art. 71 ff. VerfRhPfalz, G vom 21.4. 1949 (GVB1.1, S. 141). Art. 165 WRV; VO über den vorläufigen Reichswirtschaftsrat vom 4.5.1920 (RGBl. S. 858). Entwurf eines G über die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates: BTag Drucks. VI/2514. - G. Bernhardt, Wirtschaftsparlamente, 1923; Glum, Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, 1929; Seidenfus, Gedanken zur Errichtung eines Bundeswirtschaftsrates, 1962; Napp / Zinn, Wirtschaftsräte und

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ratend oder beschließend (sei es auch nur im Rahmen eines Rechts zur Gesetzesinitiative) an der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung oder an der gesamten Gesetzgebungstätigkeit einschließlich des Haushaltsgesetzes beteiligt wäre, würde zu den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie in einen gewissen Widerspruch treten; es könnte jedenfalls nicht ohne eine Verfassungsänderung errichtet werden. Während ein Wirtschafts- und Sozialrat als Werkzeug überbetrieblicher Mitbestimmung oder als korporativ-professionelle Ergänzung des Parlamentarismus verstanden wird, stehen die auf anderen Vorstellungen beruhenden Arbeitskammern ihrem Prinzip nach in einer Spannungslage zu den Koalitionen und der Koalitionsfreiheit 119 . Die Europäischen Gemeinschaften haben den Einfluß der organisierten Interessen in Organen mit beratender Funktion institutionalisiert, nämlich in dem Wirtschafts- und Sozialausschuß von EWG und EAG und in dem Beratenden Ausschuß der EGKS 120 . c) Wirtschaftsverbände, Koalitionsfreiheit: Als privatrechtlich organisierte Vereinigungen des Wirtschaftslebens bestehen die Koalitionen (Art. 9 III GG) und die Wirtschafts- oder Unternehmensverbände (Art. 9 I GG). Koalitionen sind freiwillige und überbetriebliche Vereinigungen entweder von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern („Gegnerfreiheit") mit dem Ziel der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, aber nicht notwendig mit Tarifwilligkeit und Streikbereitschaft121. Wirtschaftsverbände sind Vereinigungen von fachlich gleichartigen Unternehmen zur Wahrung und Förderung der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Interessen und deren Zusammenschlüsse in regionalen Spitzenverbänden, wie z. B. der Bun-

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überbetriebliche Mitbestimmung in Deutschland, SchrVS N F 24/11, 1964, S. 61; H. Stephan, JöR 18 (1969), S.95; W. Thiele, DVB1. 1970, 529; B.-O. Bryde, Zentrale wirtschaftspolitische Beratungsgremien in der Parlamentär. Verfassungsordnung, 1972; Steinberg, DÖV 1972, 837; H. H. Rupp, Die „öffentlichen" Funktionen der Verbände und die demokratisch-repräsentative Verfassungsordnung, SchrVS 74/11, 1973, S. 1251; H. Donner, DVB1. 1974, 183; E.-W. Böckenförde, Staat 15 (1976), S. 457; K. Stern, JöR 25 (1976), S. 103; A. Saipa, AöR 102 (1977), S. 497; H.-J. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater?, 1980. BVerfGE 38, 281. - Zacher, Arbeitskammern im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, 1971; Gass, DÖV 1960, 778; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973. Art. 193 ff. EWGV, Art. 165 ff. EAGV, Art. 5 des Abkommens über gemeinsame Organe für die europ. Gemeinschaften vom 25. 3. 1957; Art. 18, 19, 48 EGKSV. - Zellentin, Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG und Euratom, 1962; H.-G. Brüske, Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europ. Gemeinschaften, 1979. BVerfGE 18, 18; Ramm, JuS 1966, 223; BAGE 21, 98; 23, 320; BAG JZ 1977, 470. - P. Badura, ArbRGgwart 15 (1978), S. 17.

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desverband der Deutschen Industrie 122 . Die Wirtschaftsverbände können für ihren Bereich Wettbewerbsregeln 123 aufstellen und bei der Kartellbehörde deren Eintragung in das Register für Wettbewerbsregeln beantragen (§§28 ff. GWB). Ein von ihnen ausgeübter diskriminierender Organisationszwang ist kartellrechtlich verboten (§§ 27, 35 I 2 GWB). Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind präsumtive Partner einer „konzertierten Aktion" (§ 3 StabG). Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) ist, über ihre individualrechtliche Wirkung hinaus, ein tragender Grundsatz der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung 124 . Sie gewährleistet jedermann das Recht, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihnen beizutreten oder fernzubleiben, sich in ihnen zu betätigen und aus ihnen auszutreten. Das Grundrecht ist auch ein Bestands- und Betätigungsrecht der Koalitionen selbst. Zu dem geschützten Tätigkeitsbereich der Koalitionen gehören alle Vorkehrungen und Verhaltensweisen, die der Erhaltung und Organisation der Koalition und der Verfolgung ihrer koalitionsmäßigen Ziele dienen, so beispielsweise die Tätigkeit im Rahmen der Betriebsverfassung, die Werbung neuer Mitglieder, der Abschluß von Tarifverträgen (Tarifautonomie) 125 und der Arbeitskampf (Streik, Aussperrung) 126 . Die Koalitionsfreiheit 122

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O. Stammer, Verbände und Gesetzgebung, 1965; G. Briefs (Hrsg.), Laissez-fairePluralismus, 1966; E. Buchholz, Die Wirtschaftsverbände in der Wirtschaftsgesellschaft, 1969; Erdmann, Die verfassungspolitische Funktion der Wirtschaftsverbände in Deutschland 1815-1871, 1968; K. von Beyme, Interessenverbände in der Demokratie, 4. Aufl., 1974; Kaelble, Industrielle Interessenpolitik in der Wilhelminischen Gesellschaft, 1969; Nicklisch, Die Koppelung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitgeberverbänden, 1972; Völpel, Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972; Steinberg, ZRP 1972, 207; ders., PVS 14 (1973), S. 27 ; H. Leßmann, Die öffentlichen Aufgaben und Funktionen privatrechtlicher Wirtschaftsverbände, 1976; H. H. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977; W. Berg, Verwaltung 11 (1978), S. 71 ; H. P. Ipsen, ZGR 1980, S. 548. BGHZ 46, 168; H. Oehler, Wettbewerbsregeln als Instrument der Wettbewerbspolitik, 1968 (Rez. A. Schäller, Ordo XXI [1970], S. 407). Dietz, GRe I I I / l , S. 417; W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, 1955; R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971; ders., Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit, 1972; Zöllner, AöR 98 (1973); S. 71 ; Badura, RdA 1974, 129; ders., RdA 1976, 275; Säcker, ArbRGgwart 12 (1975), S. 17; A. Söllner, ArbRGgwart 16, 1979, S. 19; R. Scholz, ZFA 1980, 357.; G. Schwerdtfeger, in: Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers (Beitr. z. ausl. öff. Recht u. Völkerrecht, Bd. 75/1), 1980, S. 149; A. Fuchs, in: HbVerfR, S. 733; H. Seiter, AöR 109 (1984), S. 88. - BVerfGE 4, 96; 17, 319; 18, 18; 19, 303; 20, 312; 28, 295; 34, 307; 38, 281; 38, 386; 42, 133; 44, 322; 50, 290/366ff.; 51, 77/87f.; 55, 7; 57, 220/244ff.; 58, 233; 60, 162/169f. Tarifvertragsgesetz i. d. Fass. v. 25. 8. 1969 (BGBl. I, S. 1323). Materialien zur Entstehung des TVG vom 9.4. 1949, ZfA 4 (1973), S. 129; Berschel, ebd. S. 183. BVerfGE 4, 96; 34, 307; 44, 322; 50, 290/369; 55, 7/20ff.; 58, 233/246ff. - H. Wiedemann / H. Stumpf, TVG, 5. Aufl., 1977; W. Zöllner, Arbeitsrecht, 3. Aufl., 1983, S. 296 ff.

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der Koalitionen und die Koalitionsfreiheit der einzelnen können in Konflikt geraten, entweder im Hinblick auf die Organisation und Willensbildung der Koalitionen 127 — „innerverbandliche Demokratie", Organisationszwang — oder im Verhältnis der Koalitionen zu den Nichtorganisierten und deren „negativer" Koalitionsfreiheit 128 — bes. Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit in tariflichen Regelungen. Die Koalitionsfreiheit ist drittens die Gewährleistung des Tarifvertragssystems im Sinne des kollektiven Arbeitsrechts mit frei gebildeten Koalitionen als Tarifparteien (Institutsgarantie)129. Das Grundrecht statuiert im Bereich der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen den grundsätzlichen Vorrang der Tarifautonomie vor einer zwingenden gesetzlichen Regelung und garantiert so einen „Kernbereich" verbandsmäßiger Aushandlung und Entscheidung. 2. Verwaltungszwecke und Rechtsformen Die Aufgaben des Staates für die Wirtschaftspolitik von Parlament und Regierung sind von der Verfassungsidee des sozialen Rechtsstaates bestimmt. Sie erscheinen auf der Ebene des Vollzugs durch die Exekutive als Verwaltungszwecke der Wirtschaftsverwaltung. Die Eigenart dieser Verwaltungszwecke und das Bedürfnis nach einem dieser Eigenart möglichst angepaßten rechtlichen Instrumentarium des Verwaltungshandelns haben eine schwer zu übersehende Vielfalt von Rechtsformen hervorgebracht, für die eine konsolidierte Theorie und Systematik noch ausstehen130. Überkommen ist die Unterscheidung und Gegenüberstellung von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung. Dem liegt der im konstitutionellen Staatsrecht entwickelte Gesetzesvorbehalt („Eingriffs"vorbehält) und die daraus folgerichtig abgeleitete 126

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BAG JuS 1970, 202; BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (dazu Richardi, RdA 1971, 334 und Scheuner ebd. S. 327); BAG NJW 1980, 1642 und 1653. - Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, 1968; H. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975; ders., JZ 1978,413; ders., SAE 1980, 154; ders., NJW 1980, 905; R. Scholz / H. Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980; H. Brox / B. Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982. Richardi, AöR 93 (1968), S. 243; BGH NJW 1978,990. BVerfGE 50, 290/367; BVerfG JZ 1981, 23; BAG JZ 1969, 105. - Biedenkopf, JZ 1961, 346; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966; Leventis, Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz, 1974; H. Seiter, JZ 1979, 657; ders., JZ 1980, 749; P. Hanau/J. Kroll, JZ 1980, 181. BVerfGE 4, 96. E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. I, 1953, S. 47ff.; P. Lerche, DÖV 1961, 486; P. Badura, DÖV 1966, 624; W. Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967; K. Stem, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, 1969; Bachof/Brohm, W D S t R L 30 (1972), S. 193, 245; Hans J. Wolff/ O. Bachof, VwR I, 9. Aufl., 1974, § 3.

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Orientierung an den Rechtsformen des Verwaltungshandelns zugrunde. Die planende, gestaltende und lenkende Verwaltung kann allein mit diesem Begriffsapparat nicht hinreichend erfaßt werden. Im Rahmen der Leistungsverwaltung müssen zwei durchaus verschiedenartige Bereiche unterschieden werden, nämlich die Verwaltungstätigkeit in Erfüllung von „Daseinsvorsorge" (Forsthoff), bei der die Hingabe der Leistungen oder Vorteile allein zum Zwecke der Befriedigung eines durch die Hilfsquellen des Begünstigten oder die Arbeitsweise des Marktes nicht gedeckten Bedürfnisses erfolgt, wie bei der Sozialversicherung oder bei den kommunalen Versorgungsbetrieben, und andererseits die Leistungsgewährung, bei der außerdem oder primär ein Gestaltungs- oder Lenkungszweck verfolgt wird, wie bei der Vergabe von Subventionen. Bei dem zweiten Zweig der Leistungsverwaltung kann zufolge des gestaltenden oder lenkenden Verwaltungszwecks der Leistung zu Lasten Dritter eine als „Eingriff zu beurteilende Wirkung eintreten. Unter dem Blickwinkel der die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisse bestimmenden Verwaltungszwecke sind die eingesetzten Rechtsformen des Verwaltungshandelns nicht selten austauschbar. Ausschlaggebend ist die Unterscheidung des in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Rechtsform wahrgenommen Verwaltungshandelns von der privatautonomen und privatwirtschaftlichen Tätigkeit der Unternehmen und der privaten Haushalte. a) Wirtschaftslenkung, Wirtschaftsaufsicht: Unter Wirtschaftslenkung versteht man alle staatlichen Maßnahmen, durch die auf den wirtschaftlichen Prozeß eingewirkt werden soll, um einen wirtschafts-, sozial- oder gesellschaftspolitisch erwünschten Zustand oder Ablauf des Wirtschaftslebens herzustellen oder zu erhalten, ohne Rücksicht auf die Rechtsform der Maßnahmen als verwaltungsrechtliches oder zivilrechtliches Gesetz, als Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder privatrechtliches Rechtsgeschäft. Wirtschaftslenkung entspringt dem Sozialgestaltungsauftrag des Staates und unterscheidet sich einerseits von der rechtlichen Ordnung des Privatrechtsverkehrs nach dem Maßstab der Privatautonomie und andererseits von der Begründung von Aufgaben und Befugnissen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Ein Beispiel für die wirtschaftslenkende Regulierung des Absatzes einzelner Produkte sind die für die Ernährungswirtschaft charakteristischen Marktordnungenm. Bei einer Marktordnung werden der Wettbewerb und die durch ihn ausgeübten Wirkungen auf den Preis, den Inhalt der Austauschbeziehungen, die Art und Weise des Warenverkehrs und die Produktionsstruktur ganz oder teilweise durch öffentlich-rechtliche Regelungen ersetzt. Der Grund dafür ist, daß wegen struktureller Gegebenheiten in dem betroffenen Bereich unter den Bedingungen marktwirtschaftlicher Konkurrenz wirtschaftspoli131

K. P. Hemel, Marktordnung, HDSW 7 (1961), S. 161; V. Götz, Marktordnungsrecht, in: Hdwb des Agrarrechts II, 1982, Sp. 448.

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tisch unerwünschte Nachteile für die Produzenten oder die Konsumenten eintreten würden. Durch die Marktordnung wird mit Hilfe eines vielgestaltigen Bündels gesetzlicher und administrativer Maßnahmen ein Ausgleich der bis zu einem gewissen Grade widerstreitenden Ziele der befriedigenden Versorgung der Verbraucher und der angemessenen Entlohnung der Produzenten über den (gelenkten) Preis angestrebt, wie etwa durch die Festsetzung von Höchst-, Mindest-, Rieht- und Interventionspreisen, z. B. bei der Getreidemarktordnung 132 . Ein Instrument der Wirtschaftslenkung sind die Subventionen, staatliche Finanzhilfen, deren Vergabe im Regelfall strukturpolitische Ziele verfolgt133. Durch eine Wirtschaftsförderung, wie sie bei der Steuerung der landwirtschaftlichen Produktion und Vermarktung, bei der energie- und sozialpolitischen Förderung des Kohlenbergbaus und bei den regionalen Strukturmaßnahmen zu beobachten ist, werden allerdings wesentliche Wirtschaftszweige oder einzelne Wirtschaftsregionen in Produktions- und Wettbewerbsbedingungen, in Struktur und Wachstum öffentlich-rechtlich gelenkt und von politischen Entscheidungen abhängig. Die subventionsweise zugewandte Begünstigung knüpft an das konkrete privatwirtschaftlich bestimmte Unternehmensziel an, führt dem Unternehmen aber Mittel zu, die es marktwirtschaftlich nicht erworben hat. Regelmäßig wird der Grund der Subventionierung eine strukturpolitische Eigenschaft sein, durch die das geförderte Unternehmen sich als Angehöriger einer im öffentlichen Interesse förderungswürdigen Gruppe von Wirtschaftssubjekten erweist. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, daß die Existenz oder die Entwicklung eines einzelnen Unternehmens für ein bestimmtes Gebiet oder für einen bestimmten Wirtschaftszweig von so herausragender Bedeutung sind, daß die Förderung dieses Unternehmens für sich allein durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt erscheint. Die Wirtschaftsförderung ist hauptsächlich eine Sache des Staates, doch ist sie auch

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GetreideG i. d. Fass. v. 24. 11. 1951 (BGBl. I, S. 901); VO Nr. 2727/75 des Rates vom 29. 10. 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (ABl. Nr. L 281/1); G zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) vom 31. 8. 1972 (BGBl. I S. 1617). - Ein Verzeichnis der Grundverordnungen für die gemeinsamen landwirtschaftl. Marktorganisationen findet sich in Sartorius. Bd. II, Nr. 177. BVerwGE 24, 154; 25, 72; 30, 191; BVerwG JZ 1969, 69 (Renck, JuS 1971, 77); BVerwG NJW 1977, 1838 (Menger, VerwArch 69 [1978], S. 93); BGH NJW 1972, 210; BayVGHE 23, 136. - A. Köttgen, DVB1. 1953, 485; H. P. Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, 1956; V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966; Ipsen/Zacher, Verwaltung durch Subventionen, W D S t R L 25 (1967), S. 257ff., 308ff.; P. Kirchhof (Anm. 72), S. 371ff.; K. Lange, DVB1. 1977, 873; K. Vogel, in: Fs. f. Hans Peter Ipsen, 1977, S. 539; P. Badura, WiVerw 1978, 137; A. Bleckmann, Subventionsrecht, 1978; P. J. Tettinger, GewArch 1981, 105; D. Ehlers, VerwArch. 74(1983), S. 112.

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den Gemeinden aufgrund und in den Grenzen ihrer Selbstverwaltungsaufgabe erlaubt134. Der reißend angeschwollene Umfang der Wirtschaftsförderung durch staatliche Finanzhilfen, die nur zu einem Teil auf einem besonderen Gesetz beruhen und häufig nur aufgrund eines Ansatzes im Haushaltsgesetz nach Maßgabe von Richtlinien der Exekutive ausgeschüttet werden, korrespondiert mit einem hier besonders auffalligen Einfluß der organisierten Interessen. Politisch gesprochen hat die vereinfachende Paradoxie eine gewisse Berechtigung, mit Subventionen interveniere „weniger der Staat in die Wirtschaft als die Wirtschaft in den Staat" (Volkmar Götz). Die Verpflichtung der Subventionspolitik auf die sehr allgemeinen Richtlinien des § 1 StabG ( § 1 2 1 StabG) verspricht kaum eine Bändigung des Subventionismus, doch bringt der von der Bundesregierung alle zwei Jahre vorzulegende Subventionsbericht (§ 12 II-IV StabG)135 wenigstens eine größere Durchsichtigkeit und so vielleicht den Anstoß zu einer stärkeren Planmäßigkeit der Wirtschaftsförderung. Die ordnungs- und wettbewerbspolitischen Risiken des Subventionswesens lassen sich nur durch strenge und unbestechliche Festlegung und Überwachung des öffentlichen Interesses bei der Einführung, Abwicklung und Beibehaltung der einzelnen Förderungsmaßnahmen in Grenzen halten136. Dem finanzpolitischen Ziel, durch Rückführung von Ausgaben den Handlungsspielraum des Bundes zu sichern, dient das Subventionsabbaugesetz vom 26. Juni 1981 (BGBl. I, S. 537)137. Die Abgrenzung des Kreises der durch eine bestimmte Subventionierungsmaßnahme zu begünstigenden Wirtschaftssubjekte ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung, die vor allem dem Gebot willkürfreier Sachgerechtigkeit (Art. 3 I GG) unterliegt138. Die durch die Subventionierung bewirkte Veränderung der Chancengleichheit im Wettbewerb bedarf der sachlichen Rechtfertigung durch ein hinreichend gewichtiges öffentliches Interesse, d. h. ein definiertes strukturpolitisches Ziel. Der Nutzen und der Erfolg einer Subventionierungsmaßnahme und die Frage der finanz-

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A. Köttgen, Der heutige Spielraum kommunaler Wirtschaftsförderung, 1963; F.-L. Knemeyer, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 493; ders. /B. Rost-Haigis, DVB1. 1981, 241; R. Altenmüller, DVB1. 1981, 619; K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981; H.-P. Steinmetz, BayVBl. 1983,97. Bericht der BReg über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1981 bis 1984 (Neunter Subventionsbericht), BT-Drucks. 10/352. Antwort der BReg auf eine Große Anfrage: Subventionspolitik der BReg, BTDrucks. 8/3429. RegEntw, BT-Drucks. 9/92; Finanzplan des Bundes 1980 bis 1984, BT-Drucks. 9/51; Stellungnahme des BRates und Gegenäußerung der BReg, BT-Drucks. 9/217. / . von Münch, AöR 85 (1960), S. 270; Götz, Wirtschaftssubventionen (Anm. 133), S. 267ff.; Kreussler, Der allgemeine Gleichheitssatz als Schranke für den Subventionsgesetzgeber, 1973. - BVerwGDÖV 1973,317.

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politischen „Beherrschbarkeit" von Subventionen sind Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Beurteilung139. Wirtschaftsverwaltungsrechtlich gesehen sind Subventionen Geldleistungen, die in Verfolgung eines bestimmten wirtschaftsgestaltenden Zweckes an einen privaten Unternehmer als Angehörigen eines zu fördernden Wirtschaftszweiges140 oder wegen des Standortes seines Betriebes141 durch einen Verwaltungsträger im Rahmen eines besonderen Rechtsverhältnisses in Gestalt von Zuschüssen, Krediten 142 , Zinserleichterungen, Prämien oder Bürgschaften vergeben werden. Subvention im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften über den Subventionsbetrug (§ 264 StGB, Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen vom 29. 7. 1976, BGBl. I, S. 2034, 2037) ist eine Leistung aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an (private oder öffentliche) Betriebe oder Unternehmen, die wenigstens zum Teil ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt wird und der Förderung der Wirtschaft dienen soll (§ 264 VI StGB)143. Steuervergünstigungen sind mangels eines besonderen Subventionsverhältnisses nur im wirtschaftlichen, nicht aber im wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Sinn als Subventionen anzusehen („verdeckte" Subventionen). Erfolgt die Vergabe einer Subvention nicht aufgrund eines besonderen Gesetzes, dient als direktiver Maßstab für den Inhalt der Verwaltungsvorschriften (Richtlinien), die als normative Grundlage für die Entscheidung über Subventionierungsanträge durch das zuständige Ministerium erlassen werden, der Zweck der Subvention, wie er durch den Haushaltsansatz der zu vergebenden Mittel festgelegt ist144. Das Haushaltsgesetz kann für sich allein individuelle Ansprüche Begünstigter nicht begründen (§ 3 HGrG) und kommt deshalb als eine dem Gesetzesvorbehalt entsprechende gesetzliche Grundlage für Subventionsgewährungen nicht in Betracht145. Verfassungsrechtlich ist zwischen der dem parlamentarischen Budgetrecht unterliegenden haushaltswirtschaftlichen Bereitstellung der zu vergebenden Mittel und der normati139

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K.-H. Hansmeyer, Subventionen in der Bundesrep. Deutschland, 1963; ders., FinArch 30 (1971/72), S. 103; Andel, Subventionen als Instrument des finanzwirtschaftlichen Interventionismus, 1970; Schetting, Rechtspraxis der Subventionierung, 1973. Sektorale Wirtschaftsförderung, z. B. der Landwirtschaft nach dem „Grünen Plan" (§ 6 LandwirtschaftsG vom 5. 9. 1955, BGBl. I, S. 565), durch Anpassungsbeihilfen (G zur Förderung der Eingliederung der dt. Landwirtschaft in den Gemeinsamen Markt vom 9. 9. 1965 (BGBl. I, S. 1201), u. a. - Siehe oben Anm. 18. Regionale Wirtschaftsförderung; siehe oben Anm. 17. Hier ergeben sich besondere Rechtsgestaltungen, wenn sich die Verwaltung zur Kreditvergabe einer Bank bedient: BVerwGE 30, 211; BGH NJW 1964, 2060; BayVerfGH NJW 1961, 163; BayVGH DVB1. 1967, 383. L. Findeisen, JZ 1980, 710. BayVGH BayVBl. 1970, 408; OVG Lüneburg GewArch 1970, 283. BVerfGE 38, 121.

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ven Grundlage des Subventionsverhältnisses der öffentlichen Hand zu dem Subventionsempfänger (Subventionsstatut) zu unterscheiden. Eine besondere gesetzliche Grundlage ist jedenfalls dann erforderlich, wenn die Förderung des Begünstigten in einem notwendigen Zusammenhang mit der Belastung eines Dritten steht, wie z. B. bei Ausgleichsabgaben und -leistungen 146 , oder wenn der Gewährleistungsbereich eines Grundrechts spezifisch betroffen wird, wie z. B. bei Pressesubventionen147. Die Vergabe von Subventionen erfolgt im Einzelfall durch Bewilligungsbescheid und regelmäßig aufgrund einer Ermessensentscheidung. Ein Anspruch des Bewerbers auf Gewährung oder Weitergewährung einer Subvention kann sich durch normative Rechtsbegründung und sonst nur kraft Gleichheitssatzes oder kraft eines besonderen Vertrauenstatbestandes, z. B. einer Zusage, ergeben148. Unter engen Voraussetzungen kann nach Grundsätzen der willkürfreien Folgerichtigkeit oder „System"gebundenheit ein Anspruch unmittelbar auf Zahlung eines bestimmten Subventionsbetrages gegeben sein149. Eine fehlerhaft geleistete und eine zweckwidrig verwendete Subventionszahlung kann die Verwaltung durch Verwaltungsakt zurückfordern; bei fehlerhafter Vergabe entsteht dieser Erstattungsanspruch jedoch nur, wenn der Bewilligungsbescheid zurückgenommen werden darf und zurückgenommen worden ist150. Neuerdings sind ausdrückliche Vorschriften über den Widerruf von Zuwendungsbescheiden, insbes. wegen zweckwidriger Verwendung, und über die Erstattung der Zuwendung in das Haushaltsrecht aufgenommen worden (§ 44 a BHO und die Landeshaushaltsordnungen) 151 . Subventionen stellen durchweg zumindest in ihren Wirkungen eine Beeinflussung der Wettbewerbsverhältnisse dar; die Strukturpolitik, von der sich typischerweise der jeweilige Subventionszweck ableitet, zielt gerade auf die Beeinflussung der Bedingungen ab, unter denen die begünstigte Wirtschaftsleistung den Markt erreicht. Es können sich deshalb über das Subventionsverhältnis zwischen der Verwaltung und dem Begünstigten hinaus rechtlich faßbare Beziehungen auch zu beeinträchtigten Konkurrenten des Begünstigten ergeben. Die Beeinträchtigung des Konkurrenten kann in seinem willkürlichen Ausschluß aus dem Kreis der Subventionsempfänger 152 oder in einer willkürlichen Verminderung seiner Wettbewerbsfähigkeit bestehen. Insoweit als eine Subventionsvergabe die Chancengleichheit im Wettbewerb (Art. 3 I 146

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BVerwGE 6, 282; 18, 352; BVerwG DVB1. 1959, 573; BVerwG NJW 1977, 1838; BayVGH BayVBl. 1962, 247 und VerwRspr. 19, 347; HessVGH DÖV 1963, 880. VG Berlin DÖV 1975, 134 mit Anm. R. Scholz; OVG Berlin DVB1. 1975, 905. W.-R. Schenke, GewArch 1977, 313. BGH JZ 1975, 485; OVG Hamburg GewArch 1975, 20; OVG Münster DVB1. 1980, 648. BVerwGE 55, 349 mit Anm. H.-U. Erichsen, VerwArch 1980, 289. BVerwG NJW 1977, 1838; BVerwG GewArch 1977, 264; BVerwG DVB1. 1983, 810. H.A. Dommach, DÖV 1981, 122. BVerwGE 30, 191. - siehe Anm. 177.

Wirtschaftsverwaltungsrecht

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GG) oder die Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 I GG) eines Konkurrenten des Begünstigten und damit die rechtlich geschützten Interessen eines Drittbetroffenen berührt, ist sie ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Da Subventionen eine Begünstigung nationaler Wirtschaftszweige und damit eine Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt der Europäischen Gemeinschaften zur Folge haben können, ist die Subventionspolitik der Mitgliedstaaten europarechtlich beschränkt (Art. 4 lit. c EGKSV; Art. 9 2 - 9 4 EWGV)153. Die Wirtschaftsaufsicht ist ein Bereich der Wirtschaftsverwaltung, der durch ein in verschiedenen Gesetzen für bestimmte Zweige wirtschaftlicher Betätigung geregeltes Instrumentarium von Kontrollaufgaben und -befugnissen gekennzeichnet ist154. Genehmigungspflichten lassen sich als eine Technik präventiver Wirtschaftsaufsicht begreifen. Sache der Aufsichtsbehörde ist es, die jeweils gesetzlich festgelegten Aufsichtsmaßstäbe — gesetzlich bestimmte oder in einem Verwaltungsakt, z.B. einer Genehmigung, festgelegte Anforderungen an ein wirtschaftliches Verhalten — mit Hilfe der ihr zugewiesenen Eingriffsbefugnisse gegenüber der beaufsichtigten Wirtschaftstätigkeit durchzusetzen. Da die Aufsichtsmaßstäbe sowohl gewerbepolizeilicher wie auch wirtschaftslenkender Art sein können, schließen sich Wirtschaftsaufsicht und Wirtschaftslenkung nicht gegenseitig aus155. Wichtige Zweige der Wirtschaftsaufsicht sind die Gewerbeaufsicht über die Prüfung der überwachungsbedürftigen Anlagen (§ 24 d GewO) und über die Einhaltung der gewerberechtlichen Arbeitsschutzbestimmungen (§ 139b GewO), die Atomaufsicht (§ 19 AtG), die Aufsicht über Verkehrsunternehmen (§ 54 PersBefG, § 77 GüKG), die Versicherungsaufsicht über Versicherungsunternehmen und private Bausparkassen 156 , die Bankenaufsicht über die Kreditinstitute und

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B. Börner / M. Bullinger (Hrsg.), Subventionen im Gemeinsamen Markt, Kölner Schriften zum Europarecht, Bd. 29, 1978. Bullinger, W D S t R L 22 (1965), S. 264; E. Stein, Die Wirtschaftsaufsicht, 1967; R. Scholz, Wirtschaftsaufsicht und subjektiver Konkurrentenschutz, 1971; Steindorff, Wirtschaftsrecht, S. lOOff.; H. Schäffer, ÖZW 1978, 33, 65 und 1979, 1; R. Schmidt, HdWW, 23. Lief, 1980, S. 34; K. Wenger, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 373. Abw. Auff. Bullinger, a. a. O., S. 286f. Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen vom 13. 10. 1983 (BGBl. I S. 1261); Gesetz über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen vom 31.7. 1951 (BGBl. I S. 480), zuletzt geändert durch G vom 29. 3. 1983 (BGBl. I S. 377); Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen vom 22. 12. 1954 (BGBl. I S. 501). - E. Prölss / R. Schmidt/P. Frey, Versicherungsaufsichtsgesetz, 9. Aufl., 1983; W. Weber, ZVersWiss 50, 1961, S. 333; ders., in: Braess (Hrsg.), 25 Jahre Institut für Versicherungswissenschaft an der Universität zu Köln, 1966, S. 51; ders., ZVersWiss 57, 1968, S. 227; A. Goldberg, Versicherungsaufsichtsgesetz, 1980; R. Scholz, ZVersWiss 73, 1984, S. 1.

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Hypothekenbanken 157 , die Aufsicht über die Energieversorgungsunternehmen 158 und die kartellrechtliche Aufsicht. Die Wirtschaftsaufsicht nach dem Kartellgesetz 159 dient der Sicherung der Wettbewerbsordnung und des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs; die Aufsichtsziele sind durch das Zweite Änderungsgesetz vom 3. August 1973 (BGBl. I S. 917) durch die Einführung einer präventiven und repressiven Konzentrationskontrolle erweitert worden 160 . Während die Wirtschaftsaufsicht das wirtschaftliche Verhalten Privater daraufhin überwacht, ob es mit den maßgeblichen Normen des Wirtschaftsverwaltungsrechts übereinstimmt, und diese Übereinstimmung notfalls erzwingt, wird bei der Indienstnahme Privater fiir die Erfüllung von Verwaltungszwecken die privatwirtschaftliche Tätigkeit insgesamt oder in einzelnen

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§§ 6, 52 Ges. üb. das Kreditwesen in d. Fass. d. Bek. v. 3. 5. 1976 (BGBl. I S. 1121), zuletzt geändert durch G vom 29. 3. 1983 (BGBl. I S. 377); Gesetzentwurf der BReg für ein Drittes Gesetz zur Änderung des KWG, BTag Drucks. 10/1441; § 3 HypothekenbankG i. d. Fass. vom 5. 2. 1963 (BGBl. I S. 81), zuletzt geändert durch G vom 22. 5. 1980 (BGBl. I S. 584). - BVerfGE 14, 197; F. Reischauer / J. Kleinhans, KWG, 2. Aufl., 1968ff.; H. Beck, KWG, 1973ff.; L. Bähre / M. Schneider, KWG, 2. Aufl., 1976; Szagunn / Neumann, KWG, 3. Aufl., 1976; R. Fleischmann / D. Bellinger/ V. Kerl, Hypothekenbankgesetz, 3. Aufl., 1979; W. A. Müller, Bankenaufsicht und.Gläubigerschutz, 1981. - Amtshaftung bei ermessensfehlerhafter Handhabung der Bankenaufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen: BGH JZ 1979, 679 u. 683, Anm. E. Schwark. JZ 1979, 670; BGH NJW 1983, 563. Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft vom 13. 12. 1935 (RGBl. I S. 1451), zuletzt geändert durch G vom 19. 12. 1977 (BGBl. I S. 2750). - E. Eiser / J. Riederer / W. Obernolte / W. Danner, Energiewirtschaftsrecht, 4. Aufl., 1976ff.; W. Tegethoff / U. Büdenbender / H. Klinger, Das Recht der öffentlichen Energieversorgung, 1982ff.; U. Büdenbender, Energierecht, 1982; H.-U. Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl., 1983; H.-J. Papier, in: Fs. f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, S. 529. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957, jetzt i. d. Fass. d. Bek. v. 24. 9. 1980 (BGBl. I S. 1761), zuletzt geändert durch G vom 29. 3. 1983 (BGBTM S. 377). - Frankfurter Kommentar, 1958ff.; Gemeinschaftskommentar, hrsg. von H. Müller-Henneberg und G. Schwartz, 3. Aufl., 1972ff.; E. Langen / E. Niederleithinger / U.Schmidt, Kommentar zum Kartellgesetz, 5. Aufl., 1977; O. Frhr. v. Gamm, Kartellrecht, 1979; F. Rittner, Einführung in das Wettbewerbs- und Kartellrecht, 1981; V. Emmerich, Kartellrecht, 4. Aufl., 1982; W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983. R. Scholz, Konzentrationskontrolle und Grundgesetz, 1971; ders., Entflechtung und Verfassung, 1981; W. Kleinmann / R. Bechtold, Kommentar zur Fusionskontrolle, 1977; Chr. Windbichler, Unternehmensverträge und Zusammenschlußkontrolle, 1977; P. Selmer, Unternehmensentflechtung und Verfassung, 1981; C. Canenbley / K. Moosecker, Fusionskontrolle, 1982. - Viertes Hauptgutachten der Monopolkommission 1980/1981 (BTag Drucks. 9/1982); Stellungnahme der BReg, BTag Drucks. 10/409 (26. 9. 1983).

Wirtschaftsverwaltungsrecht

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Hinsichten im öffentlichen Interesse in Anspruch genommen 161 . Das kann in der Weise geschehen, daß Private zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe dadurch herangezogen werden, daß ihnen einzelne öffentlichrechtliche Verpflichtungen auferlegt werden, wie z. B. bei der Durchführung der Währungsumstellung durch die Banken, beim Abzug und der Abführung der Lohnsteuer durch die Arbeitgeber oder bei der Begründung der Pflicht, einen Mindestvorrat an Erdölerzeugnissen zu halten. Darüber hinaus wird im Fall des „beliehenen Unternehmers" einer natürlichen Person oder einer juristischen Person des Privatrechts die Befugnis übertragen, gegenüber Dritten öffentlich-rechtlich zu handeln, wie z. B. bei den Technischen Überwachungsvereinen (§ 24c GewO, § 29 StVZO)162. Die Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf eine juristische Person des Privatrechts darf nur durch oder auf Grund Gesetzes erfolgen163. b) Wirtschaftsverwaltungsrechtliche Verwaltungsakte: Die wirtschaftslenkenden Gesetze und die zu ihrem Vollzug ergehenden Rechtsverordnungen und Verwaltungsakte der Exekutive greifen mit sehr vielgestaltigen Rechtswirkungen in die unternehmerischen Entscheidungen und den Privatrechtsverkehr ein. Ein Hauptansatzpunkt dieser Rechtssätze und Maßnahmen ist die Vertragsfreiheit, die etwa durch preisrechtliche Regelungen, öffentlich-rechtliche Genehmigungspflichten oder dadurch beschränkt sein kann, daß ein Kontrahierungszwang die freie Wahl des Vertragspartners ausschließt. Durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes kann ein bestimmtes Verhalten geboten165 oder verboten 166 sein oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zugunsten der Be-

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Wolff / Bachof, VerwR II, § 104; Ipsen, in: Fg. f. E. Kaufmann, 1950, S. 141; ders., AöR 90 (1965), S. 393; K. Vogel, Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959; H. H. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen? 1963; Ossenbühl/ Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, W D S t R L 29 (1971), S. 137ff., 211 ff.; BVerfGE 22, 380; 30, 292; BGH JZ 1964, 379. BVerwGE 29, 166; BGH NJW 1957, 1597; BGHZ 25, 266; BGH DÖV 1968, 135; Steiner, JuS 1969, 69; ders., Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975; P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, 1977. OVG Münster JZ 1980, 93. ÜbergangsG über Preisbildung und Preisüberwachung (PreisG) vom 10. 4. 1948, WiGBl. 1948, S. 27; fortgeltend gemäß G vom 29. 3. 1951, BGBl. 1951 I, S. 223. BVerfGE 8, 274; 53, 1 mit Anm. W. Meng, DVB1. 1980, 613; Probleme des § 12a BTO Elt (VEnergR 51), 1983. Z. B. ein Beimischungszwang zur Sicherung der Verwertung von Rohstoffen inländischer Erzeugung (u. a. G über die Unterbringung von Rüböl aus inländischem Raps und Rübsen vom 12. 8. 1966, BGBl. 1966 I, S. 497). - BayVGH DVB1. 1970, 977; BVerwG NJW 1974, 2247 und 2250. Z. B. das Verbot des Vertriebs und des Ankaufs bestimmter Waren im Reisegewerbe (§ 56 GewO) oder die Untersagung eines Energieversorgungsunternehmens (§ 8 EnergiewirtschaftsG).

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hörden der Wirtschaftsverwaltung 167 begründet werden. Genehmigungspflichten für die Aufnahme wirtschaftlicher Berufe, für bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten oder für bestimmte Verträge ermöglichen eine vorbeugende Überwachung im Interesse der Gefahrenabwehr oder der Wirtschaftslenkung (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) 168 . Diesen Verwaltungszwecken dienen auch belastende Nebenbestimmungen, vor allem Auflagen, die Erlaubnissen169 oder Bewilligungen, insbesondere von Subventionen 170 , beigefügt werden171. Wirtschaftslenkende Verwaltungsakte unterscheiden sich von Polizeiverfügungen, obwohl sie ebenso wie diese individuelle Adressaten haben, dadurch, daß sie zwischen einer Gruppe von Verwaltungsunterworfenen, die durch dieselbe wirtschaftliche Situation verbunden sind, eine bestimmte Ordnung herstellen und in diesem Sinne nicht nur individuelle Verhaltensweisen, sondern kollektive Wirkungen erreichen wollen. Diese Verwaltungsakte sind nicht allein von dem zweiseitigen Verhältnis zwischen der Verwaltung und dem Adressaten rechtlich zu erfassen. Sie haben eine „Dritt-" oder „Doppelwirkung"m, so bei der Veränderung der Wettbewerbslage durch die Subventionierung eines Konkurrenten oder bei der Genehmigung eines Linienverkehrs neben einem Altunternehmen (vgl. § 13 II Nr. 2 PBefG). Die hier wesentliche Frage, unter welchen Voraussetzungen eine begünstigende Erlaubnis oder Bewilligung nicht nur die Erwerbschancen, sondern auch die Rechtsstellung eines Konkurrenten des Begünstigten berührt, ist bisher vornehmlich unter dem prozeßrechtlichen Blickwinkel des Rechtsschutzbedürfnisses bei der Verfassungsbeschwerde173 und der Klagebefugnis bei der Verwaltungsklage (§ 42 II VwGO; „Konkurrentenklage") behandelt worden. Der Dritte („Konkurrent") ist in einer ihn zur Verwaltungsklage berechtigenden Weise beschwert, wenn zwischen ihm und dem Adressaten des Verwaltungsaktes ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht und wenn er sich kraft der einschlägigen Rechtsvorschriften oder kraft des grundrechtlich geschützten Rechts auf gleiche Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 I, 3 I GG) auf eine durch die Verwaltungsmaßnahme betroffene Rechtsposition berufen kann, die durch 167

168 169 170 171 172

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Z. B. die allgemeine Auskunftspflicht nach der VO über Auskunftspflicht vom 13. 7. 1923 (RGBl. 1923 I, S. 723) oder die zahlreichen Auskunftspflichten im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht (u. a. §§ 14, 16, 24 KreditwesenG; § 3 EnergiewirtschaftsG; § 9, 16 IV, 23 GWB). Die Genehmigungspflicht für ausländische juristische Personen (§ 12 GewO) ist ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB (BGH DVB1. 1973, 852). Beispielsw. § 5 Abs. 1 GaststG; § 16 PersBefG. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 45ff.; BGH NJW 1972, 210. BVerwGE 6, 282, 291; 24, 129; 29, 261. - ff. Krüger, DVB1. 1955, 380, 450, 518; G. Huber, in: Fs. f. E. R. Huber, 1973, S. 203; K. Lange, AöR 102 (1977), S. 337. Fromme, VerwArch 56 (1965), S. 26; Haueisen, NJW 1964, 2037; ders., NJW 1966, 2340; Laubinger, Der Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, 1967; Schenke, DÖV 1969, 332; Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 1971, S. 120ff.; Erichsen /Martens, Allg. VwR, S. 198ff. BVerfG DÖV 1963, 582; BVerfGE 18, 1; 21, 132; 24, 289.

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eine Rechtsverletzung verkürzt worden sei174. Das wirtschaftliche Interesse eines Gewerbetreibenden, daß die Zahl seiner Konkurrenten nicht durch Neuzulassung vermehrt oder durch Ausschluß vermindert werde, genießt keinen rechtlichen Schutz, es sei denn das Gesetz hat aus besonderen Gründen eine derartige Rechtsstellung geschaffen. Auf dieser Grundlage ist eine Klagebefugnis des vorhandenen Taxiunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Kraftdroschkenverkehrs (§ 13 III PBefG) verneint 175 , die Klagebefugnis des Altunternehmers gegen die Genehmigung eines neuen Linienverkehrs (§ 13 II PBefG) dagegen bejaht worden 176 . Gegen die Subventionierung eines Konkurrenten ist dem Dritten eine Anfechtungsmöglichkeit zugesprochen worden, wenn er geltend macht, daß seine schutzwürdigen Interessen willkürlich, nämlich in Form der Verzerrung der Wettbewerbslage durch Verletzung der Chancengleichheit, vernachlässigt worden seien 177 . Für den interventionistischen Charakter des Wirtschaftsverwaltungsrechts kennzeichnend ist die Rechtsfigur des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktsm. Rechtsfolge dieses Verwaltungsaktes ist die Begründung, Veränderung oder Aufhebung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse oder Rechte. Besonders häufig ist der Fall, daß das Wirksamwerden eines privatrechtlichen Rechtsgeschäfts von einer Genehmigung abhängig ist, so z. B. beim Grundstücksverkehr und im Mietpreisrecht 179 . Wenn die Wirkung des Verwaltungsaktes auf das private Rechtsgeschäft eingetreten ist, ist ein Widerruf ex tunc grundsätzlich ausgeschlossen 180 . Ein rechtsbegründender privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt war die Verleihung des Bergwerkseigentums nach dem alten Recht vor dem Inkrafttreten des Bundesberggesetzes vom 13. August 1980 (BGBl. I, S. 1310), eines Inbegriffs einzelner zivilrechtlicher Berechtigungen mit dem Aneignungsrecht für die verliehenen Bodenschätze als seinem Kern. Das neue BBergG ist im Berechtsamswesen zu einem öffentlichrechtlichen Konzessionssystem übergegangen, in dessen Rahmen die Bezeichnung „Bergwerkseigentum" für eine bestimmte, insbes. beleihbare, Bergbauberechtigung hinsichtlich bergfreier Bodenschätze fortbesteht 181 . 174

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BVerwG NJW 1980, 2764 (Festsetzung von Pflegesätzen für Krankenhäuser); BVerwG DVB1. 1982, 692 (Ausnahmegenehmigung nach §23 I LadSchlG); BVerwG DVB1. 1984, 91 (Genehmigung nach dem GüKG). BVerwGE 16,187; OVG Münster NJW 1980, 2323. BVerwGE 9, 340; BVerwG VerwRspr. 20, 487. BVerwGE 30, 191 (Anm. R. Scholz, NJW 1969, 1044; Mössner, JuS 1971, 131). R. Scholz, WiR 1, 1972, S. 35; Zuleeg, Subventionskontrolle durch Konkurrentenklage, 1974; P. Badura, in: Fs. f. d. Berliner Jurist. Gesellschaft, 1984, S. 1. E.R. Huber, WirtschaftsverwaltungsR, I, S. 72ff.; Wertenbruch, in: Gedächtnisschrift f. Rudolf Schmidt, 1966, S. 89. BVerwG DÖV 1968, 54; OVG Münster JuS 1968, 340; BGH NJW 1965, 41; Kiekkebusch, VerwArch 57 (1966), S. 17, 162. BVerwGE 29, 314; differenzierend BVerwG JZ 1977, 794. §§ 6ff. BBergG. RegEntw: BT-Drucks. 8/1315; Ausschußempfehlung und -bericht: BT-Drucks. 8/3965. — H. Westermann, Freiheit des Unternehmers und des Grund-

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c) Unternehmergenehmigungen mit planungsrechtlichem Einschlag: Eine Gruppe wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Genehmigungspflichten hat in verschiedenartiger und komplexer Ausgestaltung raumbezogene und raumbeeinflussende Vorhaben zum Gegenstand, die der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit durch den Unternehmer des Vorhabens dienen. Exemplarisch dafür sind die Genehmigungspflichten für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen und von Flugplätzen. Unternehmer ist hier regelmäßig eine Kapitalgesellschaft mit alleiniger oder wesentlicher Beteiligung der öffentlichen Hand, die durch das Vorhaben öffentliche Aufgaben der Energie- oder Verkehrswirtschaft erfüllt. Die Unternehmergenehmigung besteht rechtstechnisch aus einer Genehmigung, mehreren Genehmigungen oder einer Planfeststellung, auch aus einer Kombination dieser Gestattungsakte, sowie aus vorbereitenden landesplanerischen oder fachplanerischen Entscheidungen. Je nach der rechtlichen Ausgestaltung wird das durch den Antrag des Unternehmers bestimmte Vorhaben in einer Entscheidung oder in mehreren aufeinander aufbauenden Entscheidungen einer Überprüfung anhand der gesetzlichen Anforderungen unterworfen. Die Eigenart dieser Genehmigungen besteht darin, daß sie zugleich eine dem Unternehmer auf seinen Antrag hin erteilte Erlaubnis und eine Planungsentscheidung im Hinblick auf das zuzulassende Vorhaben sind. Im Falle der Zulassung des Vorhabens kommen die öffentlich-rechtlichen Anforderungen und die staatliche Schutzpflicht zugunsten der betroffenen privaten Belange in den Nebenbestimmungen der Gestattung zur Geltung. Da regelmäßig eine oft sehr große Zahl von Dritten in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen sind, handelt es sich bei den die Errichtung oder den Betrieb des Vorhabens verbindlich zulassenden und regelnden Gestattungsentscheidungen um Verwaltungsakte mit Drittwirkung. Die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens beruht auf einer durch die gesetzlichen Anforderungen und Richtlinien geleiteten Abwägung und Ausgleichung des Anspruchs des Unternehmers, der berührten öffentlichen Interessen und der rechtlich geschützten Interessen der durch das Vorhaben und seine voraussichtlichen Auswirkungen betroffenen Dritten. Sie begründet eine öffentlich-rechtliche Rechtsstellung des Unternehmers. Entsprechend den gesetzlichen Entscheidungsprämissen übt die Behörde bei der Zulassung des Vorhabens planerische Gestaltungsfreiheit aus, z. B. bei der Billigung des Standortes182. Dieses „Planungsermessen" hat auf der Grundlage der gesetzlichen Planungsaufgabe und der gesetzlichen Anforderungen die

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eigentümers und ihre Pflichtbindungen im öffentl. Interesse nach dem Referentenentwurf eines Bundesberggesetzes, 1973; Weitnauer, JZ 1973, 75; R. Willecke, Die dt. Berggesetzgebung, 1977; B. Börner, Abwägungsdefizit beim Gesetzgebungsverfahren (RegEntw. BBergG), 1978; U. Karpen, AöR 106 (1981), S. 15; R. Piens/ H.-W. Schulte/S. Vitzthum, BBergG, 1983. Die Behörde hat sich in dem projektbezogenen Fachplanungsverfahren auf die rechtliche Prüfung des von dem Unternehmer gewählten Standortes zu beschränken, sofern sich nicht eine andere Standortwahl anbietet oder „aufdrängt" (BVerwG DÖV 1974, 418; BVerwG NJW 1980, 953). - Zur Standortvorsorgepla-

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Grundsätze der gebotenen Planrechtfertigung gegenüber den betroffenen privaten Rechten, der umfassenden „Bewältigung" der durch das Vorhaben aufgeworfenen „Probleme" und des rechtsstaatlichen Abwägungsgebots zu beachten 183 . Die Unternehmergenehmigung ist eine fachplanerische Entscheidung, die sich in die Gesamtplanungen der Bodenbeanspruchung einzufügen hat. Die Abstimmungspflicht des § 4 V BROG führt zu einer Beteiligung der Landesplanungsbehörden, die eine einfache landesplanerische Beurteilung abgeben oder ein Raumordnungsverfahren durchführen. Etwa bestehende Ziele der Raumordnung und Landesplanung lösen die Anpassungspflicht nach § 5 IV BROG aus, die sonstigen Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung werden, ggf. aufgrund spezieller Raumordnungsklauseln, wie z. B. in § 6 II 1 LuftVG, im Wege der landesplanerischen Beurteilung ermittelt und vorgegeben184. Die örtliche Bauleitplanung hingegen muß grundsätzlich hinter der fachplanerischen Entscheidung zurücktreten (vgl. §§ 7, 38 BBauG). Im Komplex der Unternehmergenehmigung geht der wesentlichen Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens ein förmliches Verwaltungsverfahren voraus185. Eine Eigentümlichkeit ist die im Regelfall anzutreffende Stufung des Verfahrens 186 . Im Luftrecht folgt auf die Genehmigung des Flughafens die Planfeststellung der Anlage (§§ 6, 8 ff. LuftVG), im Atomrecht ist die Anlagengenehmigung in der Regel projektbegleitend in mehrere aufeinander folgende Teilgenehmigungen, ggf. je mit akzessorischen Freigabebescheiden, aufgespalten, und außerdem ein Vorbescheid zulässig, insbes. zur Wahl des Standortes (§§ 7 ff. AtG). Durch die Förmlichkeiten des Verfahrens sollen hauptsächlich die Beteiligung und das rechtliche Gehör der Betroffenen gesichert werden. Den Gemeinden, deren Gebiet durch das Vorhaben oder seine Auswirkungen berührt wird, kommt planungsrechtlich eine besondere Stellung zu; denn die kommunale Planungshoheit schließt, unabhängig von einer ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung (wie Z: B. in § 10 II 2 LuftVG), ein „Recht der Gemeinden auf Mitwirkung an überörtlichen, aber

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nung: Blümel, DVB1. 1977, 301; H. Brocke, Rechtsfragen der landesplanerischen Standortvorsorge für umweltbelastende Großanlagen, 1979; R. Wahl, DÖV 1981, 597. BVerwGE 34, 301; 45, 309 (M. Schröder, DÖV 1975, 308; Papier, DÖV 1975, 461); 47, 144; 48, 56; 52, 237; 55, 220; 56, 110; 57, 297; 59, 87; 59, 253; 61, 295; 61, 307; 67, 74. - Badura, in: Fs. zum 25jähr. Bestehen des BayVerfGH, 1972, S. 157; ders., BayVBl. 1976, 515; Hoppe, DVB1. 1974, 641; ders., DVB1. 1977, 136; Blümel, DVB1. 1975, 695; F. Weyreuther, DÖV 1977, 419; G. Korbmacher, DÖV 1978, 589; ders., DÖV 1982, 517. Forsthoff / Blümel, Raumordnungsrecht und Fachplanungsrecht, 1970; Dölker, BayVBl. 1975, 377; H. Schiarmann, DVB1. 1980, 275. W. Hoppe / H. Schiarmann, Rechtsschutz bei der Planung von Straßen und anderen Verkehrsanlagen, 2. Aufl., 1981; P. Badura, in: Erichsen/Martens, Allg. VwR, S. 330f., 384ff.; R. Wahl, DVB1. 1982, 51. R. Wahl, DÖV 1975, 373; E. Schmidt-Aßmann, in: Fg. für das BVerwG, 1978, S. 569; P. Badura, in: Erichsen/Martens, Allg. VwR, S. 367f.

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ortsrelevanten Planungen" ein187. Nach der Erfahrung der neueren Zeit werden gegen größere Vorhaben zahlreiche, vielfach formularmäßige Einwendungen erhoben, so daß es zu einem „Massenverfahren"kommt188. Das Verfahrensrecht trägt der Eigenart des Massenverfahrens z. B. dadurch Rechnung, daß die individuelle Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses durch dessen öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden darf, wenn außer an den Träger des Vorhabens mehr als 300 individuelle Zustellungen vorzunehmen wären (§ 74 V VwVfG)189. Gemeinden und private Drittbetroffene können die verbindlichen Entscheidungen über die Zulassung des Vorhabens mit der Anfechtungsklage angreifen und Planergänzungsansprüche auf Beifügung von Nebenbestimmungen mit der Verpflichtungsklage verfolgen. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) resultiert jedoch nicht schon aus dem erfolglosen Erheben von Einwendungen im Verwaltungsverfahren, sondern setzt stets voraus, daß der Kläger selbst in einem rechtlich geschützten Interesse betroffen ist. Überdies können im Anfechtungsprozeß nur solche Rechtsmängel gerügt werden, für die eine individuelle rechtliche Betroffenheit bestehen kann (§113 I I VwGO). Der subjektiv-rechtliche Charakter des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bleibt in „Großverfahren" unberührt 190 . Auch das Klagerecht der Gemeinden kann nur auf solche Rechtsverletzungen gestützt werden, durch die eine geschützte Rechtsstellung der Gemeinde, nämlich ihre Planungshoheit, ihre sonstigen Selbstverwaltungsbefugnisse oder ihr Grundeigentum, beeinträchtigt werden können 191 . Die Verbandsklage ist unzulässig192. Die häufig lange Dauer der Hauptsacheverfahren bei technischen Großvorhaben hat es hier zu einem Charakteristikum der verwaltungsgerichtlichen Praxis werden lassen, daß dem vorläufigen Rechtsschutz ein ungewöhnliches Gewicht zugefallen ist193. 187 188

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BVerwGE 31, 263/266; BVerfGE 56, 298 m. Anm. R. Steinberg, JuS 1982, 578. W. Blümel, in: Fs. f. Werner Weber, 1974, S. 539; F. O. Kopp, DVB1. 1980, 320; V. Henle, BayVBl. 1981, 1; P. Badura, JA 1981, 33/34f. - Die Auswahl von Musterverfahren bei einer Vielzahl von verwaltungsgerichtlichen Klagen gegen einen Planfeststellungsbeschluß ist verfassungsrechtlich zulässig (BVerfGE 54, 39). BVerwG DVB1. 1983,901. BVerwG DÖV 1982, 323. BVerfG DVB1. 1981, 536; BVerfGE 56, 298 (W. Blümel, VerwArch 73, 1982, S. 329; R. Steinberg, JuS 1982, 578); BVerwGE 31, 263; BVerwG DVB1. 1969, 362; BVerwG DÖV 1970, 387; BVerwG DVB1. 1971, 186; BVerwG DÖV 1973, 342; BVerwG DVB1. 1974, 562; BayVGHE 27, 115; BayVGH DVB1. 1979, 673. - W. Blümel, abl. Anm. zu OVG Lüneburg, DVB1. 1972, 795; H. Jarass, DVB1. 1976, 732; P. Lerche, in: Fs. f. d. BayVGH, 1979, S. 223. Ein verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz kommt der Gemeinde nicht zu (BVerfGE 61, 82 m. Anm. P. Badura, JZ 1984, 14). BVerwG DÖV 1981, 268. BVerfGE 35, 263; 53, 30; BVerwG DVB1. 1974, 566; BVerwG DÖV 1982, 323; VGH Bad-Württ. DÖV 1979, 521; BayVGHE 27, 115; BayVGH NVwZ 1982, 130; OVG Lüneburg, DVB1. 1978, 67 und DÖV 1979, 797 und ET 1984, 65; OVG Mün-

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Der Schutz, den ein privater Drittbetroffener mit der Verwaltungsklage gegen das Vorhaben oder seine Auswirkungen sucht, beruht materiellrechtlich auf dem durch Gesetz und Verfassung begründeten Störungsabwehranspruch gegen rechtswidrige Beeinträchtigung von Leben, Gesundheit oder Eigentum. Soweit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Vorhabens schutzwürdigen Interessen eines nachteilig betroffenen Dritten eine subjektivrechtliche Ausgestaltung geben, kann ein Dritter die Zulassung des Vorhabens im ganzen oder in einzelnen Punkten angreifen, die Ergänzung der Planungs- oder Genehmigungsentscheidung durch Schutzbestimmungen verlangen oder äußerstenfalls Entschädigung für unvermeidbare Rechtsbeeinträchtigungen fordern. Auf allgemeine Belange, z. B. des Naturschutzes, kann sich der Dritte dabei nicht berufen. Nur wenn die Zulassung des Vorhabens einen Dritten mit enteignender Wirkung beeinträchtigt - sei es, daß sein Grundstück für die Ausführung des Vorhabens benötigt werden wird, sei es, daß er durch die Auswirkungen des Vorhabens schwer und unerträglich betroffen werden wird - , kann er gegen die Entscheidung die Verletzung öffentlicher Belange geltend machen ; denn kraft der Eigentumsgarantie muß eine enteignende Rechtsverkürzung in jeder Hinsicht gesetzmäßig sein194. Rechte einzelner können sich weiter unmittelbar und allein aus der Verfassung ergeben, soweit wegen der mangelnden oder mangelhaften Regelung der nuklearen Gefahren, des Fluglärms oder der Luftverschmutzung oder durch einen rechtswidrigen Vollzug der materiell- oder verfahrensrechtlichen Vorschriften in diesem Bereich ein Rechtsnachteil durch die Verletzung der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 II oder 14 GG entsteht195. Die Genehmigungspflicht für Atomanlagen gehört zu den Überwachungsvorschriften des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 23. Dezember 1959 (BGBl. I S. 814, jetzt i. d. Fass. d. Bek. vom 31. Oktober 1976 (BGBl. I S. 3053), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. August 1980 (BGBl. I S. 1556)196. Der Genehmigung bedarf, wer eine ortsfeste Anlage zur Erzeu-

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ster, NJW 1974, 287. - H.-J. Papier, in: Rechtsfragen der Genehmigung von Kraftwerken, VEnergR 41/42, 1978, S. 86: W. Martens, Suspensiveffekt, Sofortvollzug und vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz bei atomrechtlichen Genehmigungen, 1983. BVerwGE 67, 74. BVerfGE 53, 30; 56, 54; BVerfG NJW 1983, 2931. - F. Ossenbühl, DÖV 1981, 1; ders., DVB1. 1981, 65; P. Badura, in: Fs. f. Kurt Eichenberger, 1982, S. 481. K.-P. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978; Rechtsfragen des Genehmigungsverfahrens von Kraftwerken, VEnergR 41/42, 1978; U. Büdenbender, Energierecht, 1982, Tz. 1146ff.; Chr. Degenhart, Kernenergierecht, 2. Aufl., 1982; H. Fischerhof, Atomrecht, 9. Aufl., 1982; D. Kröncke, Die Genehmigung von Kernkraftwerken, RTW Bd. 27, 1982; H.-U. Evers, Das Recht der Energieversorgung, 2. Aufl., 1983, S. 275ff.; M. Ronellenfltsch, Das atomrechtl. Genehmigungsverfahren, 1983; R. Breuer, Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; P. Marburger, ET 1984, 209; H.-W. Rengeling, Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984.

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gung und zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe errichtet, betreibt oder sonst innehat oder die Anlage oder ihren Betrieb wesentlich verändert (§7 1 AtG). Der Genehmigung bedürfen auch die Stillegung einer Anlage sowie der sichere Einschluß der endgültig stillgelegten Anlage oder der Abbau der Anlage oder von Anlageteilen (§ 7 III AtG). Die Entscheidung über die Genehmigung hat die Einhaltung der in § 7 II AtG festgelegten nuklearspezifischen und nicht-nuklearspezifischen (§ 7 II Nr. 6 AtG) Anforderungen sicherzustellen, die sich aus der in § 1 AtG ausgesprochenen Zielsetzung des Gesetzes ableiten; der Schutzzweck hat dabei den Vorrang vor dem Förderungszweck 197 . Die Genehmigung darf insbes. nur erteilt werden, wenn die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist (§ 7 II Nr. 3 AtG; StrahlenschutzVO vom 13. 10. 1976, BGBl. I S. 2905, ber. BGBl. 1977 I S. 184, 269). Ungewißheiten jenseits einer „Schwelle praktischer Vernunft", die durch die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens bedingt ist („Restrisiko"), dürfen außer Betracht gelassen werden 198 . Aus dem gesetzlichen Vorsorge- und Schutzprinzip ergeben sich Rechte Dritter, soweit es den einzelnen - so durch die Dosisgrenzwerte des § 45 StrSchV - vor den Gefahren und Risiken der Kernenergie bewahren will, nicht jedoch soweit es nur Belange der Allgemeinheit („Bevölkerungsrisiko") betrifft, wie in Gestalt des Strahlenminimierungsgebots nach §§ 28 I Nr. 2, 46 I Nr. 2 StrSchV199. Die in §§ 9äff. AtG ausgestaltete „Entsorgungspflicht" insbes. des Betreibers einer Atomanlage besteht im Interesse der Allgemeinheit, kann also Rechte Dritter auf Erfüllung dieser Verpflichtung, vor allem auf entsprechenden Nachweis im Anlagegenehmigungsverfahren nach § 7 AtG, nicht begründen200. Soweit es sich um den Schutz vor den Gefahren der Kernenergie oder der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen handelt, wird das Immissionsschutzrecht durch die atomrechtlichen Vorschriften verdrängt (§8 1 AtG, § 2 II BImSchG), hinsichtlich der sonstigen schädlichen Umwelteinwirkungen schließt die atomrechtliche Genehmigung die Genehmigung nach §§ 4ff. BImSchG ein (§ 8 II AtG). Bei der Entscheidung über die Genehmigung besitzt die Behörde - was bei präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt die Ausnahme ist - einen Spielraum pflichtgemäßen Ermessens, um auch 197 198

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BVerwG DVB1. 1972, 678. Zwischenbericht und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" über die Inbetriebnahme der Schnellbrüter-Prototypanlage SNR 300 in Kalkar, BTag Drucks. 9/2001. BVerfGE 49, 89/140ff.; BVerwG DVB1. 1981, 405 in Abw. von OVG Lüneburg DÖV 1978, 289 und DVB1. 1979, 686; BVerwGE 61, 256; BVerwG DÖV 1982, 820; BayVGH DVB1. 1979, 673. - B. Bender, NJW 1979, 1425; R. Breuer, DVB1. 1981, 300; Chr. Degenhart, ET 1981, 203. U. Büdenbender, Energierecht, 1982, S. 517ff.; R. Stober, ET 1983, 585; H. Wagner, DVB1. 1983, 574. - Bericht der BReg zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Einrichtungen, BTag Drucks. 10/327.

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bisher nicht vorhersehbaren Umständen Rechnung tragen zu können 201 . Daß trotz der Risiken eine Verwendung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken überhaupt erfolgen darf, hat der Gesetzgeber im Atomgesetz und mit verfassungsrechtlicher Billigung (Art. 74 Nr. 11 a, 87 c GG) bestimmt202. Über die Genehmigung entscheidet die zuständige oberste Landesbehörde, die dabei das Atomgesetz im Auftrag des Bundes ausführt (Art. 87 c GG, § 24 II AtG). Das Genehmigungsverfahren ist in einigen Hinsichten durch das Atomgesetz selbst, im übrigen durch die Atomrechtliche Verfahrensverordnung (AtVfV) i. d. F. d. Bek. vom 31. März 1982 (BGBl. I S. 412) geregelt203. Die Prüfung durch die Genehmigungsbehörde erstreckt sich außer auf die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 II AtG auch auf die Beachtung der übrigen das Vorhaben betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 14 AtVfV), eine Ersetzung anderer Genehmigungsverfahren tritt dadurch jedoch nicht ein204. In Genehmigungsverfahren kann jedermann Einwendungen erheben. Einwendungen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, werden durch Fristablauf präkludiert ( § 7 1 2 AtVfV). Diese - materielle - Präklusion erstreckt sich auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren, erfaßt aber nicht das Geltendmachen von Nichtigkeitsgründen 205 . Auf Antrag können das Verfahren und die Genehmigungsentscheidungen in einen Vorbescheid und in Teilgenehmigungen für einzelne Abschnitte der Errichtung und für den Betrieb der Anlage aufgeteilt werden (§ 7a AtG; §§ 18, 19 AtVfV)206. Für den Entscheidungsgegenstand von Vorbescheid und Teilgenehmigung treten Bindungswirkung und materielle Präklusion von Einwen201 202 203

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Regierungsentwurf des Atomgesetzes, BT 3. WP Drucks. 759, S. 50, 59. - F. Ossenbühl, ET 1983, 665. BVerfGE 49, 89 (R. Breuer, ZfE 1979, 268; W. Fiedler, JZ 1979, 184); 53, 30 (A. Weber, JZ 1980, 314). - F. Ossenbühl, DÖV 1981, 1. Vorher galt die Atomanlagen-VO vom 20. 5. 1960 (BGBl. I S. 310), dann in d. Fass. vom 29. 10. 1970 (BGBl. I S. 1518). Die AtVfV galt zunächst in d. Fass. vom 18. 2. 1977 (BGBl. I S. 280). - Luhes / Vollmer / Mahlmann, Grundprobleme zum atomrechtlichen Verwaltungsverfahren, 1974; Drittes Dt. Atomrechts-Symposium, 1975; F. Ossenbühl, NJW 1981, 375; D. Mumm/H. Schattke, DVB1. 1982, 629. K.-P. Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978, S.37f.; P. Henseler, DVB1. 1982, 390. - Bedarf es für eine Anlage neben der atomrechtlichen Genehmigung auch einer wasserrechtlichen Gestattung und ist die atomrechtliche Genehmigung erteilt, ist diese Entscheidung über die atomrechtlichen Anforderungen für das wasserrechtliche Verfahren bindend (BVerwG DÖV 1980, 168). BVerfGE 61, 82; BVerwG DVB1. 1980, 1001 (Wyhl) und 1009 (Mülheim-Kärlich); BVerwGE 60, 297; BVerwG ET 1982, 431 (Wyhl); BayVGH DVB1. 1979, 673; OVG Koblenz DÖV 1979, 525. - R. Breuer, in: R. Luhes (Hrsg.), Sechstes Dt. Atomrechts-Symposium, 1980, S. 243; J. Ipsen, DVB1. 1980, 146; R. Stober, AöR 106 (1981), S. 41; M. Ronellenfitsch, VerwArch. 74, 1983, S. 369. So schon beim Kernkraftwerk Würgassen: BVerwG DVB1. 1972, 678 m. Anm. Schwarze, DÖV 1973, 700; BVerwG ET 1973, 319; OVG Münster ET 1975, 220. BVerwG DVB1. 1981, 405; BVerwGE 61, 256; BVerwG DÖV 1982, 820 (Standortvorbescheid für das KKW Krümmel); VGH Bad-Württ DÖV 1979, 521 und ET 1982, 849; OVG Lüneburg DVB1. 1980, 1010; E. Schmidt-Aßmann, in: Fg. f. d.

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düngen (§ 7 b AtG) ein. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorliegen und ihre Erfüllung nicht durch Nebenbestimmungen sichergestellt werden kann (§15 II 1 AtVfV). Zur Erreichung der in § 1 AtG bezeichneten Zwecke kann die Genehmigung inhaltlich beschränkt und mit Auflagen, nicht jedoch mit Bedingungen, verbunden werden (§ 17 II 2 AtG)207. Nachträgliche Auflagen sind, u. U. nur gegen Entschädigung, zulässig, soweit es zur Sicherung der in § 1 Nr. 2 und 3 AtG genannten Zwecke erforderlich ist (§§ 17 13, 18 III AtG). Die luftrechtliche Zulassung von Flugplätzen ist unterschiedlich geregelt für Flughäfen, für Landeplätze mit oder ohne beschränkten Bauschutzbereich und für Segelfluggelände208. Flughäfen sind Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorhergesehenen Flugbetriebs einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen; sie sind Flughäfen des allgemeinen Verkehrs (Verkehrsflughäfen) oder solche für besondere Zwecke (§ 38 LuftVZO). Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes über den Luftverkehr (Art. 73 Nr. 6 GG) erstreckt sich auch auf Regelungen, die die Zulassung von Flughäfen sowie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Flughafenunternehmer und den vom Luftverkehr beeinträchtigten Grundstücken betreffen 209 . Flughäfen dürfen nur mit Genehmigung (§ 6 LuftVG) und nach vorheriger Planfeststellung (§§ 8 ff. LuftVG) 210 angelegt und betrieben werden. Die Genehmigung ist eine Entscheidung über den Antrag des Unternehmers, dem sie eine Anlage- und Betriebserlaubnis gibt, und zugleich eine überschlägige und vorläufige Planungsentscheidung, durch die ohne abschließende rechtliche Verbindlichkeit die rechtliche Grundlage für das Planfeststellungsverfahren und den Planfeststellungsbeschluß geschaffen wird211. Mit der Genehmi-

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BVerwG, 1978, S. 569; P. Selmer, Vorbescheid und Teilgenehmigung im Immissionsschutzrecht, 1979; ders. / L. Schulze-Osterloh, JuS 1981, 393; F. Ossenbühl, NJW 1980, 1353 und ET 1983, 665; A. Weber, DÖV 1980, 397; H.-W. Rengeling, NVwZ 1982, 217; A. v. Mutis /F. K. Schoch, DVB1. 1983, 149. OVG Lüneburg ET 1984, 65; Mutschier, Nebenbestimmungen zur Atomanlagengenehmigung und die Zulässigkeit ihrer Verwendung zur Ausräumung von Versagungsgründen, 1974. §§ 6ff. Luftverkehrsgesetz i. d. Fass. d. Bek. vom 14. 1. 1981 (BGBl. I S. 61); §§ 38ff. Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) in d. Fass. vom 28. 11. 1968 (BGBl. I S. 1263). - M. Hofmann, Luftverkehrsgesetz, Luftverkehrs-Verordnungen, 2 Bde., 1971; W. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 1981; P. Badura, in: Fs. f. d. Bitburger Gespräche, 1984. HessStGH DÖV 1982, 320 (BVerfGE 60, 175); dazu R. Steinberg, ZRP 1982, 113. Die zu der Genehmigung hinzutretende Planfeststellung ist durch die Novelle vom 5. 12. 1958 (BGBl. I, S. 899) eingefühlt worden. - Beine, ZLR 7, 1958, S. 363; ders., ZLW 10, 1961, S. 3. BVerwG DÖV 1969, 283; BVerwG DVB1. 1969, 362; BVerwG DVB1. 1971, 415; BVerwG DÖV 1974, 418 mit Anm. Wahl, DÖV 1975, 373; BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1980, 135; OVG Lüneburg DVB1. 1972, 795 mit abl. Anm. Blümel; P. Badura, BayVBl. 1976, 515.

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gung ist die Festlegung des Ausbauplanes verbunden, der den Bauschutzbereich umschreibt (§ 12 LuftVG)212. Über die Genehmigung befindet die nach Landesrecht zuständige Behörde im Auftrag des Bundes, mit Ausnahme der dem Bundesminister für Verkehr vorbehaltenen Prüfung und Entscheidung, inwieweit durch die Anlegung und den Betrieb eines Verkehrsflughafens die öffentlichen Interessen des Bundes berührt werden (Art. 87d GG, § 31 II Nr. 4 und Abs. 3 LuftVG); die dem Bund vorbehaltene Entscheidung hat einen nur verwaltungsinternen Charakter. Die Entscheidung über die Genehmigung ergeht in Ausübung von Planungsermessen nach den materiellen Richtlinien des § 6 LuftVG. Dem Unternehmer können Regelungen des Flugbetriebs auferlegt werden, soweit nicht die Festlegung der An- und Abflugverfahren der Bundesanstalt für Flugsicherung vorbehalten ist213. Da erst das nachfolgende Planfeststellungsverfahren die parzellenscharfe und verbindliche Regelung der Rechtsbeziehungen zu den Drittbetroffenen, insbes. den Flughafennachbarn, zur Folge hat (§§ 9, 11 LuftVG), können Drittbetroffene die Genehmigung mangels Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) nicht angreifen 214 . Das gilt auch für die in ihrer Planungshoheit betroffenen Gemeinden. Diese sind jedoch an dem Genehmigungsverfahren - und ggf. an einem vorgängigen Raumordnungsverfahren - zu beteiligen, haben hier ein Recht auf Information und Anhörung und können eine Verletzung dieses „formellen" Beteiligungsrechts im Wege der Anfechtungsklage geltend machen 215 . Planfeststellungsbehörde ist die von der Landesregierung bestimmte Behörde, die in Bundesauftragsverwaltung handelt (Art. 87 d GG, § 10 LuftVG)216. Bei der Entscheidung über die Planfeststellung, die in Ausübung planerischer Gestaltungsfreiheit zu treffen ist, sind die entsprechend geltenden Anforderungen nach § 6 II und III LuftVG maßgebend. Die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens auf die rechtlich geschützten Interessen Dritter müssen, sofern sie nicht der Planfeststellung überhaupt entgegenstehen, aufgrund der gebotenen planerischen Abwägung durch Auflagen (§ 9 II 212

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Das im Bauschutzbereich eintretende Erfordernis der Zustimmung der Luftfahrtbehörde zu Baugenehmigungen hat für sich allein grds. keine enteignende Wirkung (BGH ZLW 21, 1972, 179; BGH DVB1. 1974, 430), kann aber im Fall der Verweigerung der Zustimmung, die eine nur verwaltungsinterne und nicht selbständig anfechtbare Verwaltungshandlung ist, zu einer entschädigungspflichtigen Enteignung führen (§ 19 LuftVG). Gesetz über die Bundesanstalt für Flugsicherung vom 23. 3. 1953 (BGBl. I, S. 70), geändert durch Gesetz vom 23. 6. 1970 (BGBl. I, S. 805); § 31 I 2 LuftVG. - BGHZ 69, 128. BVerwG DÖV 1969, 283. - Vgl. auch BVerfG DVB1. 1981, 374 (1.8. 1980) mit Anm. E. Schmidt-Aßmann, DVB1. 1981, 334. BVerwGE 56, 110; BVerwG DÖV 1979, 517; BVerwG DÖV 1980, 135; Grabherr, ZLW 1977, 247. - Vgl. auch BVerfG DVB1. 1981, 374(12. 5. 1980). Das Gesetz schreibt den Landesregierungen nicht vor, für die Anhörung der Beteiligten und für die Planfeststellung verschiedene Behörden zu bestimmen (BVerwG NJW 1980, 1706).

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LuftVG) oder Entschädigung ausgeglichen werden217. Von besonderem Gewicht ist der Schutz gegen Fluglärm218. In § 29b LuftVG ist hierfür eine beim Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden zu beachtende allgemeine Grundpflicht aufgestellt. Die normativen Vorkehrungen zur Bekämpfung des Fluglärms und ihr Vollzug im Einzelfall müssen der in Art. 2 II GG begründeten Schutzpflicht des Staates genügen. Ihre Erfüllung kann nicht ausschließlich davon abhängen, welche Maßnahmen nach dem „Stand der Technik" möglich sind; maßgebliches Kriterium ist letztlich, was dem Menschen unter Abwägung widerstreitender Interessen an Schädigungen und Gefährdungen zugemutet werden darf 219 . Gemeinden und private Betroffene können die Planfeststellung angreifen, soweit sie in ihren Rechten berührt sind und die Verletzung von Vorschriften rügen können, die ihren Schutz bezwecken. Entsprechend dem Sach- und Regelungsgehalt der Entscheidung müssen die Verwaltungsgerichte jedenfalls „die umfassende Nachprüfung der luftverkehrsrechtlichen Gesichtspunkte innerhalb der Planung" - ohne Beschränkung durch die materiell nicht angreifbaren Vorentscheidungen durch die Genehmigung - im Rahmen des Verfahrens gegen den Planfeststellungsbeschluß vornehmen 220 . d) Verwaltungsprivatrechtliche und fiskalische Verwaltungstätigkeit; Auftragswesen und erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand: Bei der Vergabe von Subventionen als Darlehen oder Bürgschaften, aber auch in anderen Bereichen übt die Exekutive öffentliche Verwaltung in privatrechtlicher Rechtsform aus. Die für diese Fälle entwickelte Lehre vom „Verwaltungsprivatrecht" (Hans Julius Wolff) besagt, daß die sich so des Privatrechts zur Erfüllung von Verwaltungszwecken bedienende Verwaltung nicht auf dem Boden der Privatautonomie und wie ein Privater („fiskalisch") handelt, sondern trotz der privatrechtlichen Einkleidung ihrer Tätigkeit als vollziehende Gewalt, und deshalb an die Grundrechte, insbesondere an den Gleichheitssatz, und die verwaltungsrechtlichen Grundsätze des Verwaltungshandelns gebunden bleibt221. 217 218

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BVerwGE 56,110, dazu H.-J. Keller, NJW 1979, 1490. Dazu auch das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30.3. 1971 (BGBl. I, S. 282), das u. a. die Festsetzung von Lärmschutzbereichen und die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen vorsieht. Der in § 3 des Gesetzes und in der Anlage als Maßstab vorgesehene äquivalente Dauerschallpegel wird auch im Rahmen der Planfeststellung zur Ermittlung der Lärmbelastung herangezogen. — Bericht der BReg über die Erfahrungen bei der Durchführung des Fluglärmgesetzes, BT-Drucks. 8/2254. BVerfGE 56, 54. BVerfG DVB1. 1981, 374 (1. 8. 1980). BGHZ 29, 76 (Anm. Mertens, JuS 1963, 391); BGH JZ 1965, 281; BGHZ 52, 325 (Emmerich, JuS 1970, 332); BGH BB 1969, 1790; BGH VerwRspr. 20, 902; Wolff/ Bachof, VwR I, §23IIb; Siebert, in: Fs. f. Niedermeyer, 1953, S. 215; W. Mallmann/K. Zeidler, VVDStRL 19 (1961), S. 165, 208; Badura, JuS 1966, 17; Ossenbühl, DÖV 1971, 513; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984.

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Als fiskalische, nicht verwaltungsprivatrechtlich gebundene Tätigkeit betrachtet die Praxis die Beteiligung der Exekutive am Privatrechtsverkehr im Rahmen des Auftragwesens der öffentlichen Hand („fiskalische Hilfsgeschäfte") und der „erwerbswirtschaftlichen" Betätigung öffentlicher Unternehmen, weil hier nicht unmittelbar öffentliche Verwaltung ausgeübt werde; in der Literatur wird dieser Standpunkt zunehmend, allerdings mit sehr variierenden Erwägungen und Ergebnissen kritisiert. Beim Auftragswesen222 steht nicht, wie früher, die Beschaffung von Büromaterial o. ä. im Vordergrund, sondern die sehr ausgedehnte Investitionstätigkeit, vor allem zugunsten der Bauwirtschaft, mit der die öffentliche Hand einen so bedeutsamen Teil der Gesamtnachfrage einnimmt, daß sie als Medium antizyklischer Konjunkturpolitik geeignet ist (§§ 6 I, 10, 11 StabG). Die Vergabe von Aufträgen erfolgt ohne verwaltungsprivatrechtliche Grundrechtsbindung 223 nach Maßgabe des jeweils einschlägigen Haushaltsplans, des Haushaltsrechts und besonderer Verwaltungsvorschriften, insbesondere der Verdingungsordnungen 224 . Neben einzelnen Bestimmungen mit wirtschaftspolitischen Richtlinien für das Beschaffungswesen, wie z. B. § 31 PostVerwG, § 50 BBahnG, finden sich Regelungen, die aus sozialpolitischen Gründen die Bevorzugung bestimmter Personengruppen bei der Auftragsvergabe vorschreiben, z. B. § 74 BundesvertriebenenG. Auch in diesen Fällen bleibt das Rechtsverhältnis privatrechtlich, sofern nicht eine verselbständigte Entscheidung über die Verpflichtung der Verwaltung zur Bevorzugung einer Person vorgesehen ist oder stattfindet; jedoch ist stets eine Feststellungklage auf Bestehen einer Verpflichtung zur bevorzugten Berücksichtigung im Verwaltungsrechtsweg zulässig, weil der begünstigende Rechtssatz insoweit eine öffentlich-rechtliche Beziehung begründet 225 . Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist in ihren Gegenständen und Rechtsformen sehr vielfältig und reicht von der gemeinwohlorientierten Leistungsverwaltung in oft gleitenden Übergängen bis zu unternehmerischem („erwerbswirtschaflichem") Handeln im Marktverkehr, bes. im Falle 222

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E. Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, 1963; J. Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978; ders., AöR 107 (1982), S. 61; ders., NVwZ 1983, 121. BGHZ 36, 91 = JZ 1962, 176 m. Anm. Stern = DVB1. 1962, 298 m. Anm. Zeidler; BVerwG GewArch 1970, 285. — Zur Frage des Schadensersatzes, auch nach Kartellrecht (§§ 26 II, 35 GWB), bei willkürlicher „Auftragssperre": OLG Stuttgart JuS 1974, 456; OLG Düsseldorf DÖV 1981, 537 mit Anm. J. Pietzcker. H. Ingenstau / H. Korbion, Kommentar zur VOB A.B./DIN 1960/61, 9. Aufl., 1980; H. Korbion, DB 1974, 77; H. Ebisch/J. Gottschalk, Preise und Preisprüfungen bei öffentl. Aufträgen, 3. Aufl., 1973. — Die in Teil A der VOB aufgestellten Richtlinien und Regeln für die Vergabe von Bauleistungen sind keine Schutzgesetze i. S. d. § 823 II BGB (BGH VersR 65, 764). BVerwGE 7, 89; 14,65; BVerwG BB 1969, 1084; BVerwG DVB1. 1970, 866 ( H o f f mann-Becking, VerwArch, 62 [1971], S. 191); BVerwG DÖV 1971, 705; Bettermann, DVB1. 1971, 112.

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der Industriebeteiligungen 226 . Die öffentliche Wirtschaftstätigkeit kann zwar durch wirtschafts- oder sozialpolitisch orientierte Modifikation der Preise oder Konditionen bis zu einem gewissen Grade wirtschaftslenkend eingesetzt werden, ist aber nicht planmäßig zu einem „gemeinwirtschaftlichen" Sektor der Gesamtwirtschaft ausgestaltet. Von der den Verwaltungszweck der Daseinsvorsorge verwirklichenden Leistungsverwaltung, z. B. durch die großen Verkehrsanstalten des Bundes (Bahn, Post) oder die kommunalen Verkehrsund Versorgungsbetriebe, unterscheidet sich die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand durch das Fehlen eines besonderen öffentlichen Interesses, dem die Einheiten der Leistungsverwaltung gewidmet sind. Die öffentliche Hand wird unternehmerisch tätig, wenn sie Waren oder Dienstleistungen im Wirtschaftsverkehr anbietet, ohne Rücksicht darauf, ob diese Tätigkeit in privatrechtlichen oder in öffentlich-rechtlichen Organisations- oder Handlungsformen ausgeübt wird und ob sich die öffentliche Hand dabei eines rechtlich verselbständigten Wirtschaftssubjekts bedient. Die unternehmerische Tätigkeit der öffentlichen Hand kann im öffentlichen Interesse Zweckbindungen unterliegen oder dienstbar gemacht werden, wie z. B. bei den öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsunternehmen der Kredit- und der Versicherungswirtschaft, hat jedoch anders als die Einrichtungen der Leistungsverwaltung nicht eine spezifisch öffentliche Aufgabe als Anstalts- oder Unternehmenszweck zu verfolgen. Das Aktienrecht, das die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstandes auf das Unternehmensinteresse verpflichtet, setzt der beliebigen Durchsetzung öffentlicher Interessen in der Aktiengesellschaft Grenzen 227 . Die kommunale Wirtschaftstätigkeit228, für deren Zulässigkeit und Handhabung nach dem Vorbild der §§ 67 ff. DGO in den Gemeindeordnungen be226

227 228

H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968; V. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1969; K. Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969; U. Scheuner, in: ders. (Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 82ff.; R. Scholz, AöR 97 (1972), S. 301 ; ders., in D. Duwendag (Hrsg.), Der Staatssektor in der sozialen Marktwirtschaft, 1976, S. 113; K. Grupp, ZHR 140 (1976), S. 367; P. Eichhorn (Hrsg.), Auftrag und Führung öffentlicher Unternehmen, 1977; P. Kirchhof, Verwalten durch „mittelbares" Einwirken, 1977, S. 356ff.; G. Ress, in: Fs. f. Bernhard C. B. Aubin, 1979, S. 129; B. Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europ. Gemeinschaft, 1980; P. Badura, in: Fs. f. Hans-Jürgen Schlochauer, 1981, S. 3; ders., ZHR 146 (1982), S. 448; A. Dickersbach, WiVerw. 1983, 187. - Der Bundesminister der Finanzen ist Herausgeber des jährlich erscheinenden Berichts: Beteiligungen des Bundes. W. Leisner, WiVerw. 1983, 212. Siehe die Kommentierungen zu den Gemeindeordnungen sowie: Surén, Gemeindewirtschaftsrecht, 1960; A. Röttgen, in: Hundert Jahre Dt. Rechtsleben, 1960, II, S. 577 ; Depenbrock, Die Stellung der Kommunen in der Versorgungswirtschaft, 1961 ; Siedentopf, Grenzen und Bindungen der Kommunalwirtschaft, 1963; Stern / Püttner, Die Gemeindewirtschaft, 1965; P. Lerche, JurA 1970, 821 ; R. Scholz, DÖV 1976, 441; W. Graf Vitzthum, AöR 104 (1979), S. 580; H. H. von Arnim, in: Fg. f.

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sondere Vorschriften bestehen, ist zum größten Teil nicht erwerbswirtschaftliche, sondern leistungsverwaltungsrechtliche Wirtschaftsbetätigung 229 . Denn das Gemeinderecht erlaubt die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung wirtschaftlicher Unternehmen und ebenso Beteiligungen an Kapitalgesellschaften u. a. nur, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt. Die öffentlichen Sparkassen der kommunalen Gebietskörperschaften unterliegen landesrechtlicher Regelung (siehe auch Art. 99 EGBGB) 230 . Gesetzliche Bestimmungen über die Unternehmenstätigkeit der öffentlichen Hand finden sich nur im Haushaltsrecht 231 ; individuelle Abwehransprüche lassen sich daraus nicht ableiten. Versuche, Beschränkungen aus dem Verfassungsrecht zu gewinnen, nämlich aus einem vorgeblich geltenden Grundsatz der „Subsidiarität" der Staatstätigkeit 232 oder aus einem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz privater Wettbewerbsfreiheit (Art. 2 I GG) 233 , haben keine allgemeine Anerkennung gefunden. Ein grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Anspruch auf Unterlassung „unverhältnismäßiger" Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand wird durch Art. 2 1, 12 1 G G nicht begründet 234 . Ein grundrechtlich erheblicher „Eingriff durch Konkurrenz"235 kommt nur in Betracht, wenn das Gesetz der öffentlichen Hand VorHermann Weitnauer, 1982, S. 163; R. Scholz / R. Pitschas, Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, 1982; J. Burmeister, in: Fg. f. G. Chr. von Unruh, 1983, S. 623. - BVerfGE 61, 82/106ff.; BVerwGE 39, 329; BVerwG NJW 1978, 1539. 229 Dies ist der wesentliche Grund, der die Gemeinden daran hindert, mit Hilfe ihrer gesellschaftsrechtlichen Befugnisse neuartige Mitbestimmungsformen einzuführen, sofern sie sich dadurch ihres letztentscheidenden Einflusses begeben; OLG Bremen NJW 1977, 1153 unter Aufhebung von LG Bremen DVB1. 1977, 50 mit Anm. E. Röper. - W. Leisner, Mitbestimmung im öffentl. Dienst, 1970; Biedenkopf/Säcker, ZFA 1971, 211; K. Duden, ZRP 1972, 29; F. Ossenbühl, Erweiterte Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, 1972; H.-P. Schneider, DÖV 1972, 598; G. Püttner, DVB1. 1984, 165; VG Düsseldorf DVB1. 1971, 225. 230 H. Schliersbach, Das Sparkassenrecht in der BRep. Dtl. und Berlin-West, 1981; Stem / Burmeister, Die kommunalen Sparkassen, 1972; P. Weides, DÖV 1984, 41. - BVerwG DÖV 1972, 350; BayVGHE 26, 177. 231 § 65 BHO (§ 60 Wirtschaftsbestimmungen für die Reichsbehörden vom 11. 12. 1929) sowie die entspr. Vorschriften der Landeshaushaltsordnungen. 232 Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 54, und Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 52; Herzog, Staat 2, 1963, S. 399; ders., Art. Subsidiaritätsprinzip, EvStL, 2. Aufl., 1975, Sp. 2591; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Grundgesetz, 1968. 233 J. Isensee (in: Fs. f. Hans Peter Ipsen, 1977, S. 409/431, und DB 1979, 145) bindet Beginn und Ausführung erwerbswirtschaftl. Staatstätigkeit an die Grundrechte zugunsten privatwirtschaftl. Handelns. Siehe auch H. P. Ipsen, NJW 1963, 2101. 234 BVerwGE 17, 306; F. Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Dt. Bundespost, 1980, S. 113 ff. 235 R. Scholz, AöR 97 (1972), S. 301/305f.; ders., in: Fs. f. Karl Sieg, 1976, S. 507/518 f.

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rechte einräumt, z. B. ein Verwaltungsmonopol, oder wo die öffentliche Wirtschaftstätigkeit oder ein öffentliches Unternehmen nach Zielsetzung oder Wirkung zu Lasten privatwirtschaftlicher Konkurrenten wirtschaftslenkend eingesetzt werden, so daß die Regulative des Privatrechts nicht ausreichen. In diesen Fällen einer interventionistischen Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand, die nur durch oder aufgrund Gesetzes zugelassen sein dürfte, gelten die an den jeweiligen Schutzinhalten der beeinträchtigten Grundrechte auszurichtenden Anforderungen des Grundsatzes der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie das Willkürverbot des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die öffentliche Hand unterliegt als Aktionär den Vorschriften des Aktienrechts, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (vgl. § 394 AktG). Auch der Staat oder eine Gebietskörperschaft kann deshalb herrschendes Unternehmen in einer Unternehmensverbindung (§ 17 AktG) sein236. Die öffentliche Hand ist nicht nur mit ihrer Unternehmenstätigkeit, sondern mit jeder wirtschaftlichen Betätigung, selbst wenn sie in öffentlich-rechtlichen Rechtsformen stattfindet, dem Wettbewerbsrecht (UWG, GWB; § 98 Abs. 1 GWB) unterworfen, vorausgesetzt, daß sie zu einem Dritten in ein Wettbewerbsverhältnis tritt und in ihrem Angebotsverhalten nicht normativ gebunden ist237. Die europarechtlichen Pflichten der Mitgliedstaaten in bezug auf ihre öffentlichen Unternehmen und die Wettbewerbsbestimmungen des Gemeinschaftsrechts für öffentliche Unternehmen 238 sind durch die besondere Vorschrift des Art. 90 Abs. 2 EWGV eingeschränkt, wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, die Vorschriften des EWGV, insbes. die Wettbewerbsregeln, nur gelten, soweit ihre Anwendung nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert 239 . IV. Gewerberecht 1. Gewerbefreiheit Die Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 sollte eine gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht spezialgesetzliche bundes236

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BGHZ 69, 334 zu § 320 V 3 AktG. - W. Zöllner, ZGR 1976, S. 1; F. Rittner, in: Fs. f. Werner Flume, 1978, S. 241; H. P. Ipsen, in: Fs. f. d. Berliner Jur. Gesellschaft, 1984, S. 265. BGHZ 66, 229; 67, 81; BGH GRUR 1982, 425. - E.-J. Mestmäcker, NJW 1969, 1; R. Scholz, ZHR 132, 1969, S. 97; ders., NJW 1978, 16; H. Müller-Henneberg, NJW 1971, 113; V. Emmerich, AG 1976, 225; P. Badura, Postarch. 1981, 262ff.; P. Ulmer, ZHR 146, 1982, S. 466. Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen vom 25. 6. 1980 (ABl. Nr. L 195/35). EuGH XVII, 1971, S. 2 2 3 . - G. Nicolaysen, in: J. H. Kaiser (Hrsg.), Planung III, 1968, S. 311; E.-J. Mestmäcker, Europ. Wettbewerbsrecht, 1974; G. Püttner, ZögU 3 (1980) S. 27.

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rechtliche Gesamtregelung des Gewerbewesens nach dem Grundsatz der Gewerbefreiheit sein, der Beschränkungen der gewerblichen Tätigkeit nur zuläßt, wenn und soweit die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung es erfordert. Dieses Gesetz, sehr häufig geändert, galt bis vor kurzem i. d. F. vom 26. Juli 1900. Nunmehr gilt die Gewerbeordnung in der Fassung vom 1. Januar 1978 (BGBl. I. S. 97), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. März 1983 (BGBl. I S. 377)240. Der Grundsatz der Gewerbefreiheit (§ 1 I GewO) besagt, daß jedermann jede gewerbliche Tätigkeit ausüben darf, ohne bei Beginn und Fortsetzung des Gewerbebetriebs anderen administrativen Beschränkungen — durch Erlaubnispflichten, die die Aufnahme des Gewerbes von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, oder durch Untersagungsmöglichkeiten — unterworfen zu sein, als sie durch Bundesgesetz festgelegt sind. Vorschriften, die die Ausübung eines Gewerbes regeln oder zu derartigen Regelungen ermächtigen, werden durch die Gewerbefreiheit nicht berührt. Die Gewerbefreiheit war das tragende Prinzip der liberalen Wirtschaftsverfassung. Anders als noch die Weimarer Reichsverfassung (siehe dort Art. 151 III) kennt das G G ein selbständiges Grundrecht der Gewerbefreiheit nicht; die Gewerbefreiheit ist in dem umfassenderen Grundrecht der Berufsfreiheit aufgegangen. Die GewO sieht, entsprechend ihrem Regelungsprogramm, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gewerbefreiheit und der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit (§§41, 105 GewO). Sie enthält deshalb bis heute in ihrem Titel VII wesentliche Bestimmungen über die Arbeitsverhältnisse der gewerblichen Arbeitnehmer. Das außenwirtschaftliche Pendant der Gewerbefreiheit ist die Freiheit des Außenhandels — „Freihandel" - ( § 1 1 Außen wirtschaftsG) 241 . Der sachliche Anwendungsbereich der Gewerbefreiheit und damit des Gewerbe(polizei)rechts wird durch den von der GewO nicht genau abgegrenzten 242 , sondern vorausgesetzten Begriff der gewerbsmäßigen Ausübung eines Gewerbes bestimmt. Die zugrundeliegende Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 11 G G knüpft an den überkommenen Begriff und Regelungsbereich des Gewerberechts an 243 . Gewerbe sind die industrielle und handwerkliche Produktion und Verarbeitung, der Groß-, Einzel- und Kleinhandel und die wirt240

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Landmann / Rohmer, GewO, 13. Aufl., 1976ff.; E. Fuhr / E. Stahlhacke, GewO, 2. Aufl., 1960ff.; L. Fröhler / J. Kormann, GewO, 1978; Sieg / Leifermann, GewO, 4. Aufl., 1978; R. Stober, NJW 1980, 2335; ders., NJW 1982, 804; S. Robinski, Gewerberecht, 1983. - Die BReg hat im März 1984 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Titels III der Gewerbeordnung und anderer gewerberechtl. Vorschriften eingebracht (BTag Drucks. 10/1125). R. Schmidt, VVDStRL 36 (1978), S.65; K. Strauch / H.J. Strauch, Außenwirtschaftsrecht, einschl. Interzonenhandelsrecht, Stand 1983; J. Wapenhensch, Das neue Außenwirtschaftsrecht, 3. Ausg., Stand 1983; H. Bopp, Wirtschaftsverkehr mit der DDR, 1983. - BVerfGE 12, 281; 30, 250. Die Aufzählung in § 6 GewO ist nicht erschöpfend. BVerfGE 41, 344.

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schaftlichen Dienstleistungen (z. B. Verkehrs- und Vermittlungsgewerbe, Vermietungen 244 und Verpachtungen, Touristikgewerbe, Fotografen). Keine Gewerbe sind die Urproduktion, die persönlichen Dienstleistungen höherer Art (Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten, freie Unterrichtstätigkeit, u. a.), die wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten und die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (z. B. Notare). Urproduktion ist die auf die Gewinnung roher Naturerzeugnisse gerichtete Wirtschaftstätigkeit, so Land- und Forstwirtschaft 245 , Wein- und Gartenbau 246 , Jagd und Fischerei, Bergbau. Dieser Begriff des Gewerbes ist nicht systematisch gebildet, sondern erklärt sich aus der der Gewerbefreiheit historisch zugrundeliegenden wirtschaftspolitischen Zielsetzung. Das weitere Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit" bedeutet, daß das Gewerbe selbständig247, auf Erwerb gerichtet248 und nachhaltig (auf eine gewisse Dauer berechnet) ausgeübt werden muß. Die Erwerbsabsicht fehlt bei Tätigkeiten, die einen „idealen" (gemeinnützigen) Zweck verfolgen, und bei öffentlichen Unternehmen der Leistungsverwaltung (Post, Bahn, Versorgungsbetriebe). Durch die Novelle vom 13. 6. 1974 ist ein Gewerbezentralregister eingerichtet worden (§§ 149 ff. GewO). Die Bedeutung des Grundsatzes der Gewerbefreiheit besteht darin, daß er landesrechtlichen Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs entgegensteht (Art. 125 Nr. 1, 74 Nr. 11; 72 I GG), soweit nicht ausdrücklich ein Vorbehalt landesrechtlicher Regelung eröffnet ist (wie z. B. in §§ 33b, 71 a GewO), und daß er auf die polizeiliche Generalklausel gestützte Beschränkungen von Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs ausschließt, soweit nicht ausdrücklich eine Regelung auf Grund des allgemeinen Polizeirechts zugelassen ist249. Der Grundsatz der Gewerbefreiheit besagt also einerseits, daß das Gewerberecht abschließend durch Bundesrecht geregelt ist, und andererseits, daß die gewerberechtlichen Vorschriften über Beginn und Fortsetzung eines Gewerbebetriebs abschließendes Spezialgesetz gegenüber der polizeilichen Generalklausel sind. Ein polizeiliches Einschreiten gegenüber einer von der Gewerbefreiheit geschützten Tätigkeit kommt deshalb nur hinsichtlich der Art und Weise der Gewerbeausübung in Frage, um diese 244 245 246

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BVerwG DVB1. 1973, 857. Der Verkauf selbstgebackenen Brotes durch einen Landwirt kann gewerbsmäßiger Einzelhandel sein (BayObLG BayVBl. 1970, 324). Ein mit einer Gärtnerei verbundenes Ladengeschäft ist insoweit Gewerbebetrieb (Einzelhandel), als in ihm nicht selbst erzeugte, zugekaufte Waren feilgeboten werden (OVG Lüneburg BB 1966, 678). BVerwG DÖV 1977, 401. - Das Merkmal der Selbständigkeit, d. h. des auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübten Gewerbes, gilt für das Reisegewerbe nicht ( E. Mußmann, GewArch 1979, S. 166 gegen OLG Düsseldorf GewArch 1979, S. 125). Der Betrieb eines Dauercampingplatzes mit 1200 Standplätzen ist Ausübung eines stehenden Gewerbes, nicht nur eine außerhalb des Gewerberechts liegende bloße Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (BVerwG DÖV 1977, 403). BVerwG DVB1. 1963, 149; BVerwGE 38, 209.

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mit den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Einklang zu halten. Ein Verbot des Gewerbebetriebs ist auf Grund des allgemeinen Polizeirechts nicht zulässig, jedoch bleibt eine polizeiliche Anordnung hinsichtlich der Gewerbeausübung auch dann rechtmäßig, wenn sie praktisch bewirkt, daß die weitere Ausübung des Gewerbebetriebs unmöglich wird 250 . Der § 1 I GewO ist ein Satz des einfachen Bundesrechts, der für bestimmte Berufe — die Gewerbe — landesrechtliche und polizeiliche Regelungen der Zulassung zum Beruf ausschließt, für den Bundesgesetzgeber aber keine Schranke darstellt, während die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) als Grundrecht alle Berufe gegen bestimmte Beschränkungen durch Bundes- wie durch Landesgesetz schützt. Das Grundrecht der Berufsfreiheit umfaßt auch die Gewerbefreiheit, ist jedoch im Unterschied zu dem überkommenen und durch § 1 I GewO fortbestehenden Inhalt der Gewerbefreiheit „personal" geprägt 251 . Die durch die Gewerbefreiheit nicht geschützten (nichtgewerblichen) Wirtschaftstätigkeiten sind nach Maßgabe der Art. 74 Nr. 11, 72 I G G landesgesetzlicher Regelung zugänglich; der wichtigste der Landeskompetenz verbliebene Bereich des Rechts der Wirtschaft war bis vor kurzem das Bergrecht 252 . Im übrigen hat der Bund „Ausnahmen und Beschränkungen" im Sinne des § 1 I GewO außerhalb des kodifikatorischen Zusammenhangs der GewO durch eine große Anzahl von Nebengesetzen (also nicht nur „durch dieses Gesetz") festgelegt. Die wichtigsten dieser Nebengesetze sind: das G zur Ordnung des Handwerks (HandwO) i. d. F. vom 28. Dezember 1965, das Gaststättengesetz (GaststG) vom 5. Mai 1970, das Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel (EHG) vom 5. August 1957253, das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) vom 21. 3. 1961254 und das Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) i. d. F. der Bek. vom 10. März 1983255. Unter dem rechtlich nicht fest umrissenen Sammelnamen der „freien Berufe" 256 werden verschiedenartige selbständige Berufstätigkeiten zusammengefaßt, die Dienstleistungen höherer Art erbringen und deshalb nicht dem Gewerberecht unterliegen. Die wichtigsten von ihnen sind Gegenstand besonderer Gesetze, in denen eine typisierende Ausformung von „Berufsbildern" erfolgt ist. Charakteristisch für diese gesetzlichen Regelungen sind eine Reglementierung der Berufsausbildung, qualifizierte Sachkundenachweise als Be250 p r 0 V G E 92, 99/106f.; 100, 127; RG RVerwBl. 1937, 143; BVerwG DVB1. 1965, 768; BVerwGE 38, 209. - E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 696; D. Lorenz, BB Beilage Nr. 19/73. 251 BVerfGE 50, 290/362. 252 Siehe oben Anm. 181. 253 BVerfGE 19, 330; 34, 71. - Folz, JuS 1966, 477. 254 BVerfGE 11, 168; BVerwGE 23, 314; 30, 242; 31, 184. - Bidinger, Personenbeförderungsrecht, 2. Aufl., Stand 1982; Fromm, DVB1. 1967, 181; ders., BB 1969, 741. 255 BVerfGE 40, 196; BVerwGE 18, 113. - Balfanz / Tegelen, GüKG, Loseblattslg. 256 Bericht der BReg über die Lage der freien Berufe in der Bundesrep. Deutschland (1979), BT-Drucks. 8/3139. - H. D. Jarass, NJW 1982, 1833.

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dingung der Berufszulassung und die Bindung der Berufsausübung durch öffentlich-rechtliche Pflichten. Unter den nichtgewerblichen Heilberufen sind die Ärzte 257 , die Zahnärzte 258 , die Tierärzte 259 und die Heilpraktiker 260 hervorzuheben. Die Apotheker werden ungeachtet ihrer Erwähnung in § 6 GewO zum Gewerbe gerechnet 261 , was heute wenig einleuchtet, verfügen aber über ein eigenes Berufsrecht 262 . Zu den rechtsberatenden Berufen zählen die Rechtsanwälte 263 , Patentanwälte 264 und Rechtsbeistände 265 . Die Besonderheiten des Notarwesens weisen die Notare den freien, jedoch „staatlich gebundenen" Berufen zu266. Freie Berufe sind weiter die Wirtschaftsprüfer 267 und die Steuerberater 268 . Die Berufe der freien Architekten und Ingenieure fallen in die Kompetenz des Landesgesetzgebers 269 . 2. Techniken gewerberechtlicher Regelung

Die gewerberechtliche Kontrolle der Gewerbebetriebe erfolgt mit Hilfe eines abgestuften rechtstechnischen Instrumentariums und ist an einigen 257 258

259 260 261 262

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Bundesärzteordnung in der Fass. vom 14. 10. 1977 (BGBl. I, S. 1885). - BVerfGE 11, 30; 33, 125. Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. 3. 1952 (BGBl. I, S. 221). BVerfGE 12, 144; 25, 236; BGH GewArch 1972, 303; F. Koch, Das Berufsrecht der Zahnärzte, 1955. Bundestierärzteordnung in der Fass. vom 22. 8. 1977 (BGBl. I, S. 1601), zuletzt geändert durch G vom 27. 2. 1980 (BGBl. I, S. 257). - BVerfGE 38, 312. Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 17. 2. 1939 (RGBl. I, S.251). BVerfGE 5, 25. Gesetz über das Apothekenwesen in der Fass. d. Bek. vom 15. 10. 1980 (BGBl. I, S. 1993); Bundes-Apothekerordnung vom 5. 6. 1968 (BGBl. I, S. 601). - BVerfGE 7, 377; 17, 232; 38, 373. Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. 8. 1959 (BGBl. I, S. 565). - BVerfGE 22, 114; 28, 21; 34, 293; 39, 238; 52, 256. Patentanwaltsordnung vom 7. 9. 1966 (BGBl. I, S. 557). Rechtsberatungsgesetz vom 13. 12. 1935 (RGBl. I, S. 1478). - BVerfGE 10, 185; 41, 378; BVerwGE 2, 85; 7, 349; 59, 138. Bundesnotarordnung vom 24. 2. 1961 (BGBl. I, S. 98). - BVerfGE 16, 6; 17, 371; 47, 285; 54, 237. Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer in der Fass. der Bek. vom 5. 11. 1975 (BGBl. I, S. 2803). - P. Badura, Berufsrechtl. Fragen der Abschlußprüfung nach dem Entwurf eines Bilanzrichtlinie-Gesetzes, 1983. - BVerfGE 54, 237/239 f. Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten in der Fass. vom 4. 11. 1975 (BGBl. I, S. 2735). - BVerfGE 21, 227; 34, 252; 54, 301; 55, 185; 59, 302; 60, 215. Z. B. Bayer. Architektengesetz in der Fass. der Bek. vom 26. 2. 1982 (GVB1. S. 188); Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung Ingenieur vom 27. 7. 1970 (GVB1. S. 325). - BVerfGE 26, 246.

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durch die Eigenart der betroffenen Gewerbe bestimmten materiellen Maßstäben orientiert. a) Formales Instrumentarium: Anzeigepflicht; Untersagungsermächtigung; Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Die wesentlichen formalen Techniken gewerberechtlicher Regelung sind die Anzeigepflicht, die Untersagungsermächtigung und das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Durch eine Anzeigepflicht soll die Verwaltung einen Überblick darüber gewinnen, wie viele und welche Gewerbebetriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich vorhanden sind. Neben der für alle stehenden Gewerbebetriebe geltenden und außer für die gewerberechtliche Überwachung auch für die Gewerbestatistik notwendigen allgemeinen Anzeigepflicht (§§ 14, 15 I, 146 II Nr. 1 GewO) hat das Gewerberecht 270 vielfältige besondere Anzeigepflichten begründet, z. B. für Handwerker (§ 16 HandwO), für Gastwirte (§ 4 II GaststG) und für überwachungsbedürftige Anlagen (§ 24 I Nr. 1 GewO)271. Eine Untersagungsermächtigung gibt der zuständigen Behörde die Befugnis, die Fortsetzung eines erlaubten oder erlaubnisfreien Gewerbebetriebs aus bestimmten Gründen des öffentlichen Wohls ganz oder zum Teil zu verbieten. Ein allgemeiner Untersagungsvorbehalt besteht nur bei Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (§ 35 GewO)272. Daneben gibt es besondere Untersagungsermächtigungen mit anderen Anknüpfungspunkten, z. B. § 59 GewO; § 16 III HandwO. Wenn das Gesetz die Ausübung eines Gewerbes oder den Betrieb einer Anlage von einer Erlaubnis (Genehmigung, Konzession) abhängig macht und so eine Erlaubnispflicht begründet, ist die Ausübung des Gewerbes und der Betrieb der Anlage so lange verboten, bis die Erlaubnis erteilt ist. Dieses Verbot mit Erlaubnisvorbehalt hat im Gegensatz zu einem repressiven Verbot mit Dispensierungsvorbehalt, mit dem eine an sich unerwünschte Tätigkeit für den Regelfall unterbunden und nur aus besonderen Gründen zugelassen werden soll273, nur eine verwaltungstechnische, formelle Bedeutung; es dient dazu, die Ausübung des betreffenden Gewerbes einer vorbeugenden (präventiven) Kontrolle im Einzelfall zu unterwerfen 274 . Wo das Gesetz eine derartige präventive Kontrolle für unverhältnismäßig hält, begnügt es sich mit einer besonderen Anzeigepflicht, z. B. bei bestimmten Arten des Reisegewerbes (§ 55 c GewO) und bei den handwerksähnlichen Gewerben (§ 18 HandwO). Aus dem Grundsatz der Gewerbefreiheit ergibt sich, daß die gewerberechtlichen Erlaubnisse „gebundene" Erlaubnisse sind, d. h. daß die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen, die vom Gesetz für die Erteilung der Erlaub270 271 272 273

274

Steuerrechtl. Anzeigepflicht für gewerbliche Betriebe: §§ 138, 139 AbgO. BVerwG DVB1. 1973, 857 (Aufzug). Siehe unter b) am Ende. Beispiele: Zulassung von Spielbanken (§ 33h Nr. 1 GewO; Spielbankengesetz vom 14. 7. 1933, RGBl. I, S. 480); BVerfGE 28, 119; OVG Münster GewArch 1968, 89. Vorschriften über die allgem. Sperrzeit und deren Verkürzung für einzelne Betriebe (§ 18 I GaststG); BVerwG DÖV 1977, 405. E. R. Huber, WirtschaftsverwaltungsR I, S. 696ff.

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nis aufgestellt sind, verpflichtet ist, die Erlaubnis zu erteilen. Wer ein erlaubnispflichtiges Gewerbe beginnen will, die Erlaubnis ordnungsmäßig beantragt hat und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, hat einen öffentlichrechtlichen Anspruch, ein subjektiv öffentliches Recht auf Erteilung der Erlaubnis. Je nachdem, ob sich eine Erlaubnis nur auf den Gewerbetreibenden und seine gewerberechtlich relevanten Eigenschaften oder ob sie sich nur auf eine bestimmte Anlage bezieht, unterscheidet man persönliche und dingliche Erlaubnisse (Personal- und Sachkonzessionen). Der Regelfall ist die raumoder sachgebundene Personalerlaubnis, bei der die Erlaubnis einem bestimmten Gewerbetreibenden für bestimmte Räume, Anlagen oder Gerätschaften erteilt wird, so daß sowohl ein Wechsel in der Person des Gewerbetreibenden 275 als auch ein Wechsel oder eine wesentliche Änderung der Betriebsräume oder -einrichtungen eine erneute Erlaubnispflicht auslöst276. Die reine Personalerlaubnis, z. B. die Zulassung zum selbständigen Betrieb eines Handwerks, ist grundsätzlich277 an die Person des Erlaubnisempfängers gebunden. Die Erlaubnis wird im Regelfall in Form eines schriftlichen Bescheids erteilt, der neben dem Ausspruch der Gewerbeerlaubnis die für erforderlich gehaltenen Auflagen enthält; in einigen Fällen ist eine besondere urkundliche Form vorgeschrieben, z. B. die Reisegewerbekarte (§§ 55, 60 GewO), die (konstitutive) Genehmigungsurkunde gem. § 15 GüKG. Eine besondere Gestalt der Erlaubnis ist die Eintragung in ein Register, z. B. die Eintragung in die Handwerksrolle (§§1, 10, 17 HandwO). Soweit die Voraussetzungen für die Aufhebung einer erteilten Erlaubnis spezialgesetzlich geregelt sind, wie z. B. in §§ 53, 58, 33 d IV, V GewO, § 15 GaststG, sind die Vorschriften der Landes-Verwaltungsverfahrensgesetze über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten nicht anwendbar. Wird ein erlaubnispflichtiges Gewerbe ohne Erlaubnis ausgeübt, d. h. ohne Erlaubnis begonnen oder trotz Aufhebung der Erlaubnis fortgesetzt, kann die Fortsetzung des Betriebes durch die zuständige Behörde verhindert werden (§ 15 II GewO)278. Da diese Vorschrift einen allgemeinen gewerberechtlichen Grundsatz ausspricht, gilt sie nicht nur - wie der Regelungszusammenhang nahelegt - für stehende Gewerbebetriebe nach der GewO, sondern für alle erlaubnispflichtigen Gewerbe, bei denen eine entsprechende Vorschrift 279 fehlt, z. B. für die Personenbeförderung. Die Stillegung und Beseitigung über275

276

277 278 279

Sonderregelungen bestehen für den Betrieb durch Stellvertreter (z. B. §§ 45, 47 GewO; § 9 GaststG) und in Gestalt des „Witwenprivilegs" (z. B. § 46 GewO; § 10 GaststG). Z. B. die Konzession einer Privatkrankenanstalt (§30 12 Nrn. 1, 2 GewO); die gaststättenrechtl. Erlaubnis (§§ 3 I, 4 I Nr. 2 GaststG); der Betrieb von Spielgeräten (§ 33 c in Verb, mit § 33 e GewO). Vgl. § 4 HandwO; 6 EHG. Wird das Gewerbe nach einer Untersagung gem. § 35 GewO fortgesetzt, ist gemäß § 35 V GewO zu verfahren. § 16 III, IV HandwO i. d. F. der Novelle vom 9.9. 1965. - BVerwGE 59, 5; BVerwG GewArch 1979, 96.

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wachungsbedürftiger Anlagen beurteilt sich nach § 25 GewO. Die „Verhinderung" der Fortsetzung des Betriebes (früher: „polizeiliche" Verhinderung) bedeutet die Anwendung von Verwaltungszwang entsprechend den dafür geltenden landesrechtlichen Vorschriften und durch die nach Landesrecht zuständige Behörde (§ 155 II GewO). Das Einschreiten nach § 15 II GewO steht im Ermessen der Behörde. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, daß vor dem Einschreiten gegen einen ohne Erlaubnis ausgeübten Gewerbebetrieb geprüft wird, ob nicht nach den einschlägigen Vorschriften eine nachträgliche Erteilung der Erlaubnis in Betracht kommt, vorausgesetzt, daß der Gewerbetreibende einen Erlaubnisantrag stellt. b) Materielle Maßstäbe: Sachkunde, Zuverlässigkeit: Die materiellen Maßstäbe, in denen sich die vom Gewerberecht hinsichtlich der einzelnen Gewerbe verfolgten Ziele ausdrücken und die als Anknüpfungspunkte für die Erteilung und den Widerruf einer vorgesehenen Erlaubnis und für die etwa vorgesehene Untersagung eines Gewerbebetriebs dienen, beziehen sich einerseits (und vornehmlich) auf die Person des Gewerbetreibenden, andererseits auf das sachliche Substrat des Gewerbebetriebs. Als objektive Bedingungen für die Ausübung eines Gewerbes fordert das Gesetz etwa die Eignung der Betriebsräume 280 oder der Betriebseinrichtung281 für den beabsichtigten Gewerbebetrieb oder den Nachweis eines bestimmten Betriebskapitals, wenn das fragliche Gewerbe den Kunden in besonderer Weise von der Solvenz des Gewerbetreibenden abhängig macht282. Die wichtigsten subjektiven Anknüpfungspunkte sind Zuverlässigkeit und Sachkunde; für einzelne Gewerbe ist eine bestimmte gesundheitliche Eignung erforderlich 283 . Unter dem grundrechtlichen Blickwinkel der freien Berufswahl (Art. 121 I GG) ist das Erfordernis der Sachkunde284 eine intensivere Beschränkung als das Erfordernis der Zuverlässigkeit und muß daher durch besondere aus der Eigenart des jeweiligen Gewerbes hervorgehende Gründe gerechtfertigt sein, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Der lange umstrittene 285 große Befähigungsnachweis als Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks (§7 1 HandwO) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen 286 , weil Existenz und Leistungsfähigkeit des Handwerks als eines gemeinschaftsnotwendigen Berufsstandes von diesem besonderen Sachkundenachweis abhängen, während im Fall des Einzelhandels die allgemein aufgestellte Voraussetzung einer besonderen Sachkunde (§ 3 II Nr. 1 a. F. EHG) eine unverhältnismäßige Einschränkung der freien Berufswahl war287. 280 281 282 283 284 285 286

Z. B. §§ 30 I 2 lit. Nrn. 2 - 4, 33a II Nr. 2 GewO; § 4 I Nr. 2, 3 GaststG; §§ 2 I Nr. 6, 21 ApothekenG. Z. B. §§ 33 c III in Verb, mit § 33e GewO; § 13 I Nr. 1 PBefG; §§ 10 I Nr. 3, 17 GÜK.G. Z. B. §§ 341 2 Nr. 2, 34a I 3 Nr. 2, 34b IV Nr. 2 GewO; § 33 I Nr. 1, 10 KWG. Z. B. § 57a I Nr. 1, 2 GewO; § 2 I Nr. 7 ApothekenG. Z. B. § 34b IV 2 GewO; § 33 I Nr. 3 KWG; § 10 I Nr. 2 GüKG. Vgl. OVG Lüneburg GewArch 1955/56, 15. BVerfGE 13, 97. 287 BVerfGE 19, 330; 34, 71.

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Die geläufigste Anforderung, die das Gewerberecht für die Person des Gewerbetreibenden aufstellt, ist die „Zuverlässigkeit". Mit diesem gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff wird nicht ein moralischer, sondern ein gewerbepolizeilicher Tatbestand bezeichnet. Die Zuverlässigkeit fehlt, wenn der Gewerbetreibende nicht die Gewähr für eine ordnungsmäßige Ausübung seines Gewerbes bietet. Dieses Merkmal ist zwar jeweils auf ein bestimmtes Gewerbe bezogen, so daß die dadurch ausgedrückten Anforderungen nicht für alle Gewerbe gleich, sondern je nach der Art des Gewerbes verschieden sind, beschränkt aber seine Anforderungen nicht auf die eigentliche gewerbliche Tätigkeit. Das Erfordernis der Zuverlässigkeit bezieht sich auf das gesamte Verhalten im gewerblichen Verkehr, so daß beispielsweise ein Bauunternehmer nicht nur bei einem Versagen auf bautechnischem Gebiet unzuverlässig ist, sondern auch dann, wenn seine Betriebsführung einen „Mangel an wirtschaftlichem und sozialem Verantwortungsbewußtsein" offenbart 288 . Das ist in erster Linie dann der Fall, wenn der Gewerbetreibende hartnäckig und in erheblicher Weise die für seine Betriebsführung einschlägigen gesetzlichen Verpflichtungen verletzt oder der allgemeinen Strafrechtsordnung zuwiderhandelt 289 ; typische Sachverhalte sind, daß der Gewerbetreibende nachhaltig seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachkommt und daß er fortlaufend die Sozialversicherungsbeiträge der bei ihm Beschäftigten nicht abführt 290 . Unzuverlässig ist ein Gastwirt, der in seinen Räumen die Begehung strafbarer Handlungen duldet291. Der Begriff der Zuverlässigkeit ist auf den beabsichtigten oder ausgeübten Gewerbebetrieb und auf dessen Betriebsart ausgerichtet, so daß die Unzuverlässigkeit nicht unbedingt einen charakterlichen Mangel des Gewerbetreibenden voraussetzt292. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit kommt es nicht auf ein moralisches oder strafrechtliches Verschulden, sondern auf eine (gewerbe)polizeiliche Zurechnung an, d. h. darauf, ob nach dem bisherigen Verhalten des Gewerbetreibenden damit zu rechnen ist, daß er im Zusammenhang mit seiner gewerblichen Tätigkeit die öffentliche Sicherheit und Ordnung verletzen und dadurch eine Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit oder einzelner herbeiführen wird293. Die Unzuverlässigkeit kann daher auch aus weit zu288

289

290 291 292 293

BVerwG DÖV 1958, 548. - Hat ein Güternahverkehrsunternehmer ausschließlich in seiner Freizeit bei der Führung seines Privatwagens Verkehrsdelikte begangen, seinen Betrieb aber ordnungsmäßig geführt, so ist er nicht unzuverlässig für die Ausübung seines Gewerbes (BVerwGE 36, 288). Ist eine Bestrafung erfolgt, darf sich die Behörde nicht mit dem Strafregisterauszug oder dem Strafausspruch als solchem begnügen, sondern muß den dem Strafurteil zugrundeliegenden Sachverhalt selbst gewerberechtlich würdigen (BVerwG VerwRspr. 16, 983; BVerwG DVB1. 1966, 443). BVerwGE 23, 280; 28, 202. BVerwG JZ 1978, 642. BVerwGE 39, 247; BVerwG DÖV 1973, 822. BVerwGE 36, 288; OVG Lüneburg GewArch 1962, 269.

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rückliegenden Straftaten 294 und selbst aus Tatsachen gefolgert werden, die vor Beginn der Gewerbeausübung liegen295, sofern sie für die Einschätzung des künftigen Verhaltens eine Bedeutung haben können. Weiterhin ergibt sich daraus, daß auch die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei bestimmten Gewerben Unzuverlässigkeit begründen kann 296 . Schließlich erklärt sich aus diesem Gesichtspunkt, daß seit jeher auch der Umstand die Unzuverlässigkeit anzeigen kann, daß der Gewerbetreibende einem Dritten (insbesondere dem Ehegatten), der die für das Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, Einfluß auf den Gewerbebetrieb einräumt oder nicht willens oder nicht in der Lage ist, einen solchen Einfluß hintanzuhalten 297 . Die Zuverlässigkeit ist eine häufige Erlaubnisvoraussetzung 298 und die Unzuverlässigkeit ein häufiger Widerrufstatbestand für die erteilte Erlaubnis 299 . Soweit nicht für ein Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften oder Vorschriften über die Rücknahme oder den Widerruf der Erlaubnis bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, wie z. B. §§ 15 II, 16 Nr. 1 in Verb, mit § 4 I Nr. 1 GaststG, gilt die allgemeine Ermächtigung für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach § 35 GewO300. Die Gewerbeuntersagung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; denn sie verbietet dem Betroffenen für die Dauer ihrer Wirksamkeit, das Gewerbe auszuüben. Dennoch sind im Falle der Anfechtungsklage wegen des seit der Novelle vom 13. Februar 1974 (BGBl. I S. 161) neu gefaßten Antragserfordernisses in § 35 VI GewO Änderungen der Sach- oder Rechtslage nach dem Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht zu berücksichtigen301. Maßnahmen nach § 35 V GewO sind selbständig anfechtbare, der Vollstreckung fähige und bedürftige Verwaltungsakte, nicht ohne weiteres schon Vollstreckungshandlungen 302 . 3. Einzelne gewerberechtliche Erlaubnisse a) Stehendes Gewerbe; Reisegewerbe; Marktverkehr: Die GewO unterscheidet nach der Art der Gewerbeausübung stehendes Gewerbe (Titel II), Reisegewerbe (Titel III) und Marktverkehr (Titel IV). Die Grundform ist der ste294 295 296 297 298

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300 301 302

OVG Münster OVGE 1, 45. BVerwGE 24, 38. Zu dem durch § 1 II GewO eintretenden Schute bei Rechtsänderungen: BVerwGE 24, 34. BVerwGE 22, 16; BadWürttVGH GewArch 69, 33; BayVGH GewArch 1979, 37. BVerwGE 9, 222; BayVGH BayVBl. 1964, 375; BayVGH GewArch 1980, 334. Z. B. §§ 30 I 2 Nr. 1, 33 d III, 34a I 3 Nr. 1, 34b IV Nr. 1 GewO; § 4 I Nr. 1 GaststG; § 3 II Nr. 2 EHG; § 2 I Nr. 4 ApothekenG; § 13 I Nr. 2 PBefG, § 10 I Nr. 1 GüKG. Z. B. § 88 I Nr. 5 GüKG. - Widerruf einer Gaststättenerlaubnis: BVerwG DÖV 1977, 406 und JZ 1978, 642 (§ 15 II in Verb, mit § 4 I Nr. 1 GaststG).

S. Robinski, Gewerberecht, 1983, S. 48 ff.

BVerwG DVB1. 1982, 694 (unter Abänderung der bisherigen Rspr.); OVG Lüneburg JuS 1983, 970. OVG Münster DÖV 1982, 412.

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hende Gewerbebetrieb; alle Gewerbeausübung, die nicht Reisegewerbe oder Marktverkehr ist, fällt darunter. Die GewO nimmt die Abgrenzung nicht derart vor, daß jede Gewerbeausübung auf Grund einer gewerblichen Niederlassung (§ 42 II GewO) stehender Gewerbebetrieb und jede Gewerbeausübung ohne eine solche Reisegewerbe wäre, vielmehr orientiert sich die Abgrenzung an dem besonderen Zweck, der mit der Sonderregelung für das als besonders kontrollbedürftig angesehene Reisegewerbe 303 verfolgt wird. Die sich in einer intensiven Gewerbeüberwachung (§§ 56, 57, 57 a, 60 c GewO) äußernde besondere Kontrollbedürftigkeit wird für das Merkmal angenommen, daß eine Gewerbeausübung außerhalb einer oder ohne eine gewerbliche Niederlassung „ohne vorhergehende Bestellung" erfolgt (§§ 42 I, 55 I GewO), und das ist zugleich das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium. Während der stehende Gewerbebetrieb grundsätzlich bloß anzeigepflichtig (§ 14 GewO) 304 und nur nach besonderer Bestimmung (§§ 30ff. GewO - „Gewerbetreibende, die einer besonderen Genehmigung bedürfen" - sowie die Nebengesetze) erlaubnispflichtig ist, ist das Reisegewerbe grundsätzlich erlaubnispflichtig (§ 55 I GewO: „Reisegewerbekarte") und nur ausnahmsweise erlaubnisfrei (§§ 55 a, 55 b, 55 c GewO). Der Marktverkehr305 ist durch den Grundsatz der Marktfreiheit privilegiert (§ 70 I GewO). Marktfreiheit bedeutet, daß der Besuch sowie der Kauf und Verkauf der zum Marktverkehr zugelassenen Waren 306 auf den festgesetzten Messen, Ausstellungen und Märkten (§ 69 GewO) von administrativer Beschränkung grundsätzlich frei sind, d. h. den Erlaubnis- und Anzeigepflichten des Gewerberechts, inbes. der Titel II und III der GewO und des EHG, nicht unterliegen, so daß im Marktverkehr u. a. die Anzeigepflicht des § 14 GewO und das Erfordernis der Reisegewerbekarte entfallen. Die ursprünglich und ohne Rücksicht auf die gewerbliche Nutzung im Gewerberecht geregelten lästigen Anlagen (§§ 16 ff. GewO) sind jetzt sachlich zutreffend der Genehmigungspflicht gemäß §§ 4 ff. Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 721) unterworfen 307 . 303 304

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BayObLG GewArch 1979, 167. - Der in Anm. 240 genannte Entwurf einer Novelle zur GewO sieht erhebliche Änderungen vor. Die gesetzl. Statuierung der Anzeigepflicht schließt die Ermächtigung für die Behörde ein, die Anzeige nach Vordruck zu verlangen (BVerwG NJW 1977, 772). Auf die Erteilung der Anmeldebestätigung gem. § 15 I GewO kann der Anzeigepflichtige verzichten (BVerwGE 38, 160). Das Recht des Marktverkehrs ist durch das Gesetz zur Änderung des Titels IV und anderer Vorschriften der GewO vom 5. 6. 1976 (BGBl. I, S. 1773) durchgreifend umgestaltet worden. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 7/3859; Ausschußbericht, BT-Drucks. 7/4846. Die Darbietung von Lustbarkeiten und von gewerblichen Leistungen (z. B. Fotografieren) sind nicht Kauf und Verkauf von Waren und genießen daher die Marktfreiheit nicht (§ 55 II GewO). Für das Recht der lästigen Anlagen sei auf die S. 298 ff. der 3. Auflage dieses Lehrbuches und nunmehr auf den Abschn. Umweltschutzrecht, bearb. von R. Breuer, verwiesen.

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b) Handwerk: Das Handwerk nahm seit jeher in mehr oder weniger ausgeprägter Weise eine Sonderstellung im Rahmen des Gewerberechts ein. Die Entwicklung zu einem besonderen Handwerksrecht erfolgte zunächst durch verschiedene Novellen zur GewO, hauptsächlich durch die Handwerkernovelle vom 26. Juli 1897, auf welche die früher in Titel VI behandelten Handwerkskammern zurückgehen, und durch die Handwerksnovelle vom 11.2. 1929, die die Handwerksrolle einrichtete (vormals Titel Via). Mit dem mehrfach geändert bis heute fortgeltenden - Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17. September 1953 kam es auch gesetzestechnisch zu einer Verselbständigung des Handwerksrechts. Dieses Gesetz gilt heute in der Fassung vom 28. Dezember 1965 (BGBl. 1966 I, S. 1) und ist seither insbes. durch das BerufsbildungsG vom 14. 8. 1969 (BGBl. I, S. 1112) novelliert worden 308 . Voraussetzung für den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe ist die Eintragung in die Handwerksrolle, die von der Handwerkskammer als ein Verzeichnis der selbständigen Handwerker ihres Bezirks geführt wird (§§ 1 I, 6 I HandwO). Die Eintragung in die Handwerksrolle entspricht der Erteilung einer gewerblichen Erlaubnis. Die Entscheidung über die Eintragung ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt (§ 12 HandwO), ebenso die Mitteilung, daß die Eintragung beabsichtigt sei (§ 11 HandwO) 309 . Voraussetzung für die Eintragung in die Handwerksrolle - und damit für die Zulassung zum Beruf des selbständigen Handwerkers - ist grundsätzlich der Befähigungsnachweis in Form der Meisterprüfung in dem zu betreibenden oder einem diesem verwandten Handwerk (§7 1 HandwO) 310 . In besonderen Fällen kann die Eintragung auch ohne Meisterprüfung mit Hilfe einer Ausnahmebewilligung erreicht werden (§§ 7 III, 8, 9 HandwO), eine Regelung, die nicht die Bedingung des Befähigungsnachweises, sondern nur den Grundsatz durchbricht, daß dieser Nachweis gerade durch die Meisterprüfung zu erbringen ist311. Der selbständige Betrieb eines handwerksähnlichen Gewerbes unterliegt nicht der Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle, sondern nur einer besonderen Anzeigepflicht (§ 18 HandwO; Anlage B zur HandwO). Ein Gewerbebetrieb ist ein Handwerksbetrieb, wenn er eines der in der Positivliste (Anlage A zur HandwO) aufgeführten Gewerbe (Handwerk) zum Gegenstand hat und wenn er handwerksmäßig ausgeübt wird (§1 II HandwO). Die Beurteilung, ob eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit ein 308

309 310 311

Eyermann /Fröhler /Honig, Handwerksordnung, 3. Aufl., 1973; Kolbenschlag/ Lessmann /Stücklen, Die Dt. Handwerksordnung, 1967ff.; Siegert /Musielak, Das Recht des Handwerks, 1966 ff. BVerwG DÖV 1961, 511. Dieser handwerksrechtliche Sachkundenachweis ist keine Verletzung der Berufsfreiheit (BVerfGE 13, 97). BVerwGE 8, 287; 13, 317 (Honig, JuS 1964, 437). Diese Rspr. zu § 8 a. F. ist in der Neufassung dieser Vorschrift berücksichtigt worden. — Ritgen, BB Beilage 8/66; J. Stolz, GewArch 1979, 8.

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Handwerk zum Gegenstand hat, bringt in der Regel keine Schwierigkeiten mit sich312. Da die Qualifizierung eines Gewerbebetriebes als Handwerksbetrieb die besonderen Zulassungsvoraussetzungen und Pflichten des Handwerksrechts zur Folge hat, insbesondere die Notwendigkeit, in die Handwerksrolle eingetragen zu sein, und die Zwangsmitgliedschaft in der Handwerkskammer, wird die Frage, ob ein Handwerk handwerksmäßig betrieben wird, dann praktisch bedeutsam, wenn ein Gewerbetreibender sich weigert, die Eintragung in die Handwerksrolle zu beantragen, oder wenn er die Löschung in der Handwerksrolle begehrt. Es handelt sich dabei um die Abgrenzung handwerklicher und industrieller Betriebsweise. Ausschlaggebend bei dieser Abgrenzung ist die Rolle, die der Gebrauch von Maschinen in dem Betrieb spielt 313 . Die kennzeichnende Eigenart der industriellen Betriebsweise besteht darin, daß die erbrachte Arbeitsleistung einem von maschinellen Fertigungs- und Behandlungsvorgängen bestimmten technischen Prozeß ihre Prägung verdankt, so daß die Kenntnisse und Fertigkeiten des Betriebspersonals sich nicht unmittelbar auf den Arbeitsgegenstand, sondern auf die technische Wirkungsweise der maschinellen Hilfsmittel beziehen. Für die Annahme industrieller Betriebsweise spricht es, wenn die Verwendung von Maschinen keinen Raum läßt für die Entfaltung von Handfertigkeit und es im wesentlichen auf die Bedienung der Maschinen ankommt. Für die Annahme handwerklicher Betriebsweise spricht es, wenn man sich der Maschinen nur zur Erleichterung der Arbeit und zur Unterstützung der Handfertigkeit bedient, eine einwandfreie und fachgerechte Arbeitsleistung ohne qualifizierte Handarbeit also nicht erreicht werden kann. Es kommt nicht auf das Ausmaß der Verwendung von technischen Hilfsmitteln überhaupt und auf die Betriebsgröße als solche an, sondern auf die Funktion der Maschinen für die Arbeitsweise des Betriebs und den Zusammenhang der Betriebsgröße und Betriebsorganisation mit der Wirkungsweise der maschinellen Arbeitsprozesse. Die Abgrenzung kann letztlich nur nach den Umständen des Einzelfalles und dem Gesamtcharakter des Betriebes erfolgen, wobei auch die Arbeitstei312

313

Montage von Ölfeuerungen als Bestandteil des Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerks, Nr. 33 der Positivliste (BVerwG VerwRspr 20, 623); Fassadenverkleidung als Bestandteil des Dachdeckerhandwerks, Nr. 6 der Positivliste (GewArch 1979, 377). Das praxiseigene Labor des Zahnarztes ist grds. nicht Ausübung des Zahntechniker-Handwerks (BVerwG GewArch 1979, 305; Badura, Zahnärztl. Mitteilungen 1978, S. 597). BVerwGE 17, 230 und 25, 66 (industrielle „Expreß-Schuhbar"); BVerwG GewArch 64, 108 (industrielle Schnellreinigung; vgl. Nr. 34 Anlage B zur HandwO); BVerwG GewArch 64, 248 und 249 (grafisches Gewerbe); BVerwGE 20, 263 (industrielles Baugewerbe), dazu Honig, JuS 1966, 436; BVerwG GewArch 1979, 262 (handwerkl. Herstellung von Backwaren); BVerwG GewArch 1979, 377 (handwerkl. Dachdeckerei); OVG Koblenz GewArch 1972, 15 (Kfz-Gewerbe); Fröhler / Dannbeck, Zur Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1965; Söllner, Abgrenzung von Handwerk und Industrie, 1973. - Kriterium der handwerkl. Arbeit für die Auslegung eines Tarifvertrages: BAG GewArch. 1982, 335.

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lung zwischen unternehmerischer Leitung und technischer Tätigkeit und das Ausmaß des Kapitaleinsatzes ins Gewicht fallen. c) Gaststättengewerbe: Das Gaststättengesetz vom 5. Mai 1970 (BGBl. I S. 465, ber. S. 1298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Juli 1976 (BGBl. I S. 1773)314, begründet eine Erlaubnispflicht für den Betrieb einer Schankwirtschaft, einer Speisewirtschaft und eines Beherbergungsbetriebs im stehenden Gewerbe sowie für den Tatbestand, daß jemand als selbständiger Gewerbetreibender im Reisegewerbe 315 von einer für die Dauer der Veranstaltung ortsfesten Betriebsstätte aus Getränke oder zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht ( § § 1 , 2 GaststG). Ein Gaststättengewerbe liegt sowohl vor, wenn der Betrieb jedermann, als auch wenn er nur bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Verschiedene Formen der Ausübung des Gaststättengewerbes sind von der Erlaubnispflicht ausgenommen, z. B. die Verabreichung unentgeltlicher Kostproben und von alkoholfreien Getränken aus Automaten (§2 11 — IV); in diesen Regelungen hat auch die gerichtliche Praxis zum sachlichen Anwendungsbereich des alten GaststättenG einen Niederschlag gefunden 316 . Der Verkauf von Getränken, zubereiteten Speisen, Tabak- und Süßwaren von einer Schank- oder Speisewirtschaft aus „über die Straße" zum alsbaldigen Verzehr oder Verbrauch ist in Fortführung der bisherigen Rechtslage 317 als „Gassenschank" Bestandteil des Gaststättengewerbes und nicht zusätzlich Ausübung von Einzelhandel (§ 7 II GaststG). Die Erlaubnis ist für eine bestimmte Betriebsart und für bestimmte Räume zu erteilen; sie ist eine raumgebundene Personalerlaubnis (§3 1 GaststG). Die gesetzlichen Voraussetzungen der Erlaubniserteilung erstrecken sich auf die Zuverlässigkeit des Antragstellers, die ordnungsgemäße Beschaffenheit der für die Gewerbeausübung vorgesehenen Räume, die im Hinblick auf die örtliche Lage des Betriebs oder auf die Verwendung der Räume sonst berührten öffentlichen ( = polizeilichen; z. B. straßenverkehrsrechtlichen 318 ) Interessen und den Nachweis lebensmittelrechtlicher Kenntnisse ( § 4 1 GaststG). Das Erfordernis, daß der Antragsteller durch eine Bescheinigung der für den Ort seiner gewerblichen Niederlassung zuständigen Industrie- und Handelskammer nachweisen muß, daß er oder sein Stellvertreter über die Grundzüge der für den in Aussicht genommenen Betrieb notwendigen lebensmittelrechtlichen Kenntnisse unterrichtet worden ist und mit ihnen als vertraut gelten 314

315 316 317 318

Rohmer / Eyermann / Mörtel, GaststG, 3. Aufl., 1973; E. Hoffmann / O. Seitter, GaststG, 2. Aufl., 1979; E. Michel / W. Kienzle, GaststO, 8. Aufl., 1982; R. Stober, JuS 1983, 843. Das Gaststättenrecht ist für diese Art des Reisegewerbes eine Sonderregelung gegenüber dem Titel III der GewO (§ 13 GaststG). BVerwGE 20, 325; 20, 330; BadWürttVGH GewArch 1969, 20. BayOblG DÖV 1955, 567; OLG Celle GewArch 1962, 155; OVG Münster GewArch 1964, 46. BVerwGE 10, 91; BVerwG NJW 1957, 1043; BadWürttVGH GewArch 1964, 39; OVG Koblenz GewArch 1964, 174.

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kann (§4 1 Nr. 4 GaststG), ist die sachlich bedeutsamste Änderung gegenüber dem früheren Recht; die Erwägungen über Art und Umfang dieses „Unterrichtungsnachweises" haben in den Ausschußberatungen des Bundestages eine beherrschende Rolle gespielt. Ein allgemeiner Sachkundenachweis, wie er von der Interessenvertretung des Gaststättengewerbes gefordert worden war und wie ihn der Rechtsausschuß bei Speisewirtschaften für notwendig gehalten hatte, wurde vom Wirtschaftsausschuß aus rechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen abgelehnt, ist in die als Gesetz beschlossene Fassung nicht eingegangen und hätte auch angesichts der durch Art. 12 I GG festgelegten Kriterien für die Verhältnismäßigkeit einer subjektiven Zulassungsbeschränkung für einen Beruf, die das BVerfG im Hinblick auf den Sachkundenachweis im Einzelhandel verdeutlicht hatte319, kaum gerechtfertigt werden können. Der schließlich in § 2 I Nr. 4 GaststG gefundene Weg eines qualifizierten Unterrichtungsnachweises dürfte schwerlich auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Die nach altem Recht ursprünglich erforderliche Bedürfnisprüfung (§§ 1 II, 8 I 2 GaststG 1930) war mit Inkrafttreten des GG als unverhältnismäßige objektive Zulassungsvoraussetzung entfallen320. Zum Schutze der Allgemeinheit, der Gäste, des Personals und der Bewohner des Betriebsgrundstückes und der der Nachbargrundstücke können der Erlaubnis, auch nachträglich, Auflagen beigefügt werden (§5 I GaststG) 321 .

319 320

321

BVerfGE 19, 330. BVerwGE 1, 48; 20, 321. - F. R. Schmidt, Die Bedürfnisprüfung als Instrument der Wirtschaftslenkung und Gesellschaftsgestaltung, 1968. OLG Hamm DVB1. 1975, 584 m. Anm. Götz; HessVGH GewArch 1979, 24.

FÜNFTER ABSCHNITT Franz Ruland

Sozialrecht Literatur* H. Achinger, Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 3. Aufl., 1979. G. Albrecht, Die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, 5. Aufl., 1977. H. Bachmann, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 11. Aufl., 1982. H. Barta, Kausalität im Sozialrecht, 1983. W. Baumer / H. Fischer / J. Salzmann, Die gesetzliche Unfallversicherung, 1978 ff. V. Bethusy-Huc, Gräfin v., Das Sozialleistungssystem der BRD, 2. Aufl. 1976. R. Binter, Bundesversorgungsgesetz, 1977. H. Bley, Sozialrecht, 4. Aufl., 1982. Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, Hrsg. von W. Wertenbruch, 1979. E. Boettcher (Hrsg.), Sozialpolitik und Sozialreform, 1957. H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973. W. Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, 1957. K. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., 1949 ff. W. Brandenburg / G. Hahn, Grundzüge des Sozialrechts, 1978. E. Bulla, Der Dienst- und Arbeitsunfall als Institut des allgemeinen Verwaltungsrechts, 1970. W. Burdenski / B. v. Maydell / W. Schellhom, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch (GK-SGB I), 2. Aufl., 1981. A. Burghardt, Kompendium der Sozialpolitik, 1979. K. C. Casselmann / H. Friedrichs / O. K. Hartmann / H. Kaltenbach / H. Koch / K. Maier, Angestelltenversicherungsgesetz, 2.-3. Aufl., 1953ff. H. Dembowski / W. Doetsch(u. a.), Das neue Sozialgesetzbuch, 1972. D. Döring, Das System der gesetzlichen Rentenversicherung, 1980. W. Doetsch, Handbuch zum Sozialrecht, 1975 ff. H. Donnerhack / K. Metzler / K. H. Romann / G. Schroeder-Printzen / W.,K. Schneider / B. Gabbe, Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum, 1959 ff. * Literaturauswahl. Die in diese Auswahl aufgenommenen Titel werden nur mit dem Namen des Verfassers zitiert. Gibt es von ihm mehrere Titel, sind sie, wie durch die Klammern gekennzeichnet, gekürzt worden.

330

Franz Ruland

H. Ehrenberg / A. Fuchs, Sozialstaat und Freiheit, 1980. H. Eicher / W. Haase / F. Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 7. Aufl., 1984. M. Faude, Selbstverantwortung und Solidarverantwortung im Sozialrecht, 1983. C. v. Ferber / F. X. Kaufmann, Soziologie und Sozialpolitik, Sonderheft 19 / 1977 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1977. G. Figge, Sozialversicherungshandbuch für die betriebliche Praxis, 1982. F. Flamm, Sozialwesen und soziale Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., 1980. H. Freudenthal, Sozialhilferecht, 3. Aufl., 1979. A. Gagel, Arbeitsförderungsgesetz, 1982 ff. A. Gebhardt, Arbeitsförderungsgesetz, 1976. Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, bearbeitet von K. Eckert / H. Hess(u. a.), 1976 ff. Gesamtkommentar — Sozialgesetzbuch, Sozialversicherung, bearbeitet von H. Bley / W. Gitter (u. a.), 1975 ff. D. Giese, Sozialgesetzbuch — Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1976ff. W. Gitter, Sozialrecht, 1981. W. Gitter, (Schadensausgleich) im Arbeitsunfallrecht, 1969. H. Gottschick / D. Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 7. Aufl., 1981. K. Groß, Fälle zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2. Aufl., 1982. H. Hauck / H. Haines, Sozialgesetzbuch-Kommentar, SGB I: 1976ff., SGB IV / I: 1977ff., S G B X / I , II: 1981 ff. W. Hennig / H. Kühl/E. Heuer, Arbeitsförderungsgesetz, 1969ff. V. Hentschel, Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1880-1980, 1983. W. Hilfer, Das System sozialer Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, 1982. E. v. Hippel, Grundfragen der sozialen Sicherheit, 1979. H. G. Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, 1980. R. Hoernigk/ E. Jorks, Der Rentenberater, 6. Aufl., 1978. J. Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973. H. Jäger, Sozialversicherungsrecht und sonstige Bereiche des Sozialgesetzbuches, 9. Aufl., 1981. K. Jahn, Allgemeine (Sozialversicherungslehre), 2. Aufl., 1980. K. Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, Kommentar, 1976ff. G. Jaron / F. Hennecke (Hrsg.), Die gesamte Ausbildungsförderung der Bundesrepublik Deutschland, 1971 ff. K. Jung / H. H. Cramer, Schwerbehindertengesetz, 2. Aufl., 1980. F.-X. Kaufmann, Bürgernahe Sozialpolitik, 1979. R. Knopp / O. Fichtner, Das Bundessozialhilfegesetz, 5. Aufl., 1983. O. E. Krasney / K. Noell / D. Zöllner, Das landwirtschaftliche Sozialrecht und Möglichkeiten seiner Fortentwicklung, 1982. P. Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, 1982. P. Krause / B. v. Maydell / D. Merten / J. Meydam, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch (GK-SGB IV), 1978. D. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Kommentar, 2. Aufl., 1976 ff. H. Krebs, Arbeitsförderungsgesetz, 1969 ff. H. Kugler, Rehabilitation in der Rentenversicherung, 1979. E. Kunz, Opferentschädigungsgesetz, 1981.

Sozialrecht

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332

Franz Ruland

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Sozialrecht

333

Gliederung I. Das Sozialrecht 1. Umschreibung des Sozialrechts 2. Die Kodifikation des Sozialrechts im SGB

336 336 339

II.

System und Entwicklung des Sozialrechts 1. Fürsorge — Versicherung — Versorgung a) Wesen und Entwicklung der Fürsorge b) Wesen und Entwicklung der Sozialversicherung c) Wesen und Entwicklung der Versorgung 2. Mindestsicherung und gehobene soziale Sicherung a) Die Mindestsicherung b) Die gehobene soziale Sicherung 3. Vorsorge — Entschädigung — staatliche Hilfe a) Vorsorge und Vorsorgesysteme b) Entschädigung und Entschädigungssysteme c) Staatliche Hilfe und Hilfssysteme 4. Die Bedeutung der sozialen Sicherung a) Daten b) Die Bedeutung für den einzelnen c) Die Bedeutung für die Familie d) Die Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft 5. Aufklärung — Beratung — Auskunft

340 340 340 342 344 345 345 345 347 347 348 350 351 351 353 354 355 356

III.

Die Sozialhilfe 1. Die Grundprinzipien 2. Die Hilfe zum Lebensunterhalt a) Der notwendige Lebensunterhalt b) Die Anspruchsberechtigung 3. Die Hilfen in besonderen Lebenslagen 4. Kostenersatz und Überleitung von Ansprüchen 5. Träger und Finanzierung der Sozialhilfe 6. Das Sozialhilferecht in der Diskussion

357 357 360 360 362 364 365 366 367

IV. Sonstige staatliche Hilfen 1. Das Kindergeld 2. Das Wohngeld 3. Der Unterhaltsvorschuß 4. Die Ausbildungsförderung V. Das Arbeitsförderungsrecht 1. Beschäftigung und Arbeitsmarkt 2. Arbeitslosengeld — Arbeitslosenhilfe 3. Konkursausfallgeld 4. Finanzierung VI. Die Sozialversicherung 1. Allgemeines Sozialversicherungsrecht a) Durch Beitrag finanzierte Vorsorgesysteme b) Der Versichertengrundbestand

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Franz Ruland aa) Gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Arbeiter und Angestellte bb) Die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten cc) Behinderte dd) Landwirte ee) Sonstige Selbständige c) Der Geltungsbereich des deutschen Sozialversicherungsrechts 2. Das Krankenversicherungsrecht a) Die Versicherungspflicht der Arbeiter und Angestellten b) Die Mitgliedschaft c) Die durch die Krankenversicherung gesicherten Risiken d) Die Leistungen der Krankenversicherung aa) Die Krankenpflege bb) Das Krankengeld cc) Sonstige Leistungen dd) Die Familienhilfe ee) Leistungen an Ausländer und Versicherte im Ausland e) Das Kassenarztrecht und die Beziehungen der Krankenkassen zu Krankenhäusern und Apotheken aa) Das Kassenarztrecht bb) Die Beziehungen zu den Krankenhäusern und Apotheken f) Die Finanzierung der Krankenversicherung g) Sonderregelungen für einzelne Gruppen aa) Die Krankenversicherung der Rentner bb) Die studentische Krankenversicherung cc) Die Krankenversicherung der Arbeitslosen dd) Sonstige Versicherte h) Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung 3. Das Rentenversicherungsrecht a) Die Versicherungspflicht der abhängig Beschäftigten b) Die durch die Rentenversicherung gesicherten Risiken aa) Berufs- und Erwerbsunfähigkeit bb) Das Alter cc) Der Tod c) Die Leistungen der Rentenversicherung aa) Rehabilitationsmaßnahmen bb) Die Renten cc) Die Renten an Hinterbliebene dd) Leistungen in das Ausland d) Die Finanzierung der Rentenversicherung aa) Beiträge und Bundeszuschuß bb) Umlageverfahren und Anteilsgerechtigkeit cc) Der Finanzausgleich innerhalb der Rentenversicherung e) Die übrigen Versicherungspflichtigen und die zur Versicherung Berechtigten f) Die Organisation der Rentenversicherung 4. Das Unfallversicherungsrecht a) Die Versicherten b) Die durch die Unfallversicherung gesicherten Risiken aa) Der Arbeitsunfall bb) Die Berufskrankheiten

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Sozialrecht c) Die Leistungen der Unfallversicherung aa) Heilbehandlung und Verletztengeld — Rehabilitation und Übergangsgeld bb) Die Verletztenrente cc) Die Leistungen an Hinterbliebene d) Die Unfallversicherung als Vorsorgesystem e) Besonderheiten der „unechten" Unfallversicherung

335 416 416 416 416 418 418

VII. Soziales Entschädigungsrecht 1. Die Entschädigungstatbestände 2. Die Entschädigungsleistungen 3. Verwaltungs- und Kostenträger

419 420 421 422

VIII. Die Sozialleistungen und ihr Ersatz durch Dritte 1. Die Sozialleistungen 2. Ersatzansprüche gegen Dritte a) Die Fälle b) Speziell: der Übergang von Schadensersatzansprüchen

423 423 425 425 426

IX. Besonderheiten des Sozialverfahrensrechts — Der Schutz der Sozialdaten . . 1. Die Besonderheiten des Sozialverfahrensrechts a) Mitwirkung des Berechtigten und Dritter b) Widerruf, Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten aa) Der Widerruf von Verwaltungsakten bb) Die Rücknahme von Verwaltungsakten cc) Die Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung dd) Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren 2. Der Schutz der Sozialdaten X. Die Sozialleistungsträger und ihre Beziehungen zueinander 1. Die Sozialleistungsträger 2. Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit 3. Die Beziehungen der Sozialleistungsträger untereinander

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Franz Ruland

I. Das Sozialrecht 1. Umschreibung des Sozialrechts Das „Sozialrecht" entzieht sich einer eindeutigen und einheitlichen Definition 1 . Gemeint war mit ihm zunächst die an die bürgerlich-liberale Rechtsordnung gestellte Forderung, das Recht dürfe nicht auf das vereinzelt gedachte, aus seiner gesellschaftlichen Situation herausgelöste Individuum zugeschnitten sein, sondern habe auf den „konkreten und vergesellschafteten Menschen" abzustellen und größere distributive Gerechtigkeit anzustreben 2 . Sie zu verwirklichen, ist Aufgabe der Sozialpolitik. So lebt dieser ursprüngliche Ansatz in der heutigen weiten materiellen Definition zum Teil fort, die ausgehend davon, daß Sozialrecht „zur Norm verfestigte" staatliche Sozialpolitik ist3, mit ihm all die Rechtsgebiete meint, „die sich durch eine gesteigerte Intensität ihres sozialpolitischen Gehalts auszeichnen" 4 . Dieses Sozialrecht im weiteren Sinne beschreibt aber keine eigene Rechtsdisziplin. Es ist in allen Teilbereichen sozialstaatlichen Rechts anzutreffen, erwähnt seien nur Mieterschutz, Pfändungsfreigrenzen, Unterhaltsrecht und Prozeßkostenhilfe 5 . Kernbereiche sozialpolitischer Gestaltung sind das Arbeitsrecht und das Sozialrecht im engeren Sinne, für das nahezu gleichbedeutend die Ausdrücke: Recht der sozialen Sicherung, Sozialleistungsrecht oder Sozialverwaltungsrecht gebraucht werden. Dieses Sozialrecht im engeren Sinne hat sich zu einer eigenständigen Rechtsdisziplin entwickelt und ist Gegenstand dieses Abschnitts. Eine mit § 40 VwGO vergleichbare rechtliche Notwendigkeit, diese Rechtsdisziplin exakt gegenüber anderen abzugrenzen, besteht nicht. Die Zuweisung zu den Sozialgerichten ist enumerativ erfolgt (§ 51 SGG). Gleichwohl ist die Abgrenzung nicht beliebig, da es darum geht, ein durch gemeinsame Grundsätze geprägtes Rechtsgebiet herauszuarbeiten. Über die wichtigsten, dem Sozialrecht (im engeren Sinne) zuzurechnenden Einzelsysteme herrscht Einigkeit, die durch deren Einbeziehung in das SGB vom Gesetzgeber bestätigt wurde 6 : die Ausbildungsförderung (BAföG [SGB II]), die Arbeitsförderung (AFG [SGB III]), die Sozialversicherung (RVO, AVG, RKG, KVLG, GAL, KSVG [SGB IV]), die soziale Entschädigung (BVG, OEG [SGB V]), das Kin1

2

3 4 5

6

Zu ihr umfassend: F. Schmid, Sozialrecht und Recht der sozialen Sicherheit, 1981; Zacher, in: Fs. f. Schieckel, 1978, S. 373. Vgl. Radbruch, Der Mensch im Recht, 3. Aufl., 1957, S. 35, 37; dazu Eichenhofer, VSSR 1983, 19 ff.; ders., ZSR 1983, 393 ff. Bley, S. 38. Schmid(Fn. 1), S. 157; Zacheren. 1), S. 373; ders., VSSR 1976, 1 (7). Zur Prozeßkostenhilfe als Sozialhilfe in besonderer Lebenslage: Kohlhosser, ZRP 1979, 279ff.; Scherl, SF 1977, 258ff.; s. auch LAG Frankfurt, AuR 1984, 55. Vgl. Art. II § 1 SGB I.

Sozialrecht

337

dergeld- (BKGG [SGB VI]) und Wohngeldrecht (WoGG [SGB VII]) und die Sozialhilfe (BSHG [SGB IX]). Die Jugendhilfe, die derzeit noch als besonderer Teil des SGB gilt (SGB VIII), soll aus ihm wieder herausgenommen werden 7 , dafür soll ein besonderes Buch über das Recht der Behinderten eingefügt werden 8 . In all diesen Systemen geht es um staatliche Sozialleistungen, auf die der engere Sozialrechtsbegriff auch begrenzt ist. Das wollte die Bezeichnung „Sozialverwaltungsrecht" deutlich machen 9 . Sie konnte sich aber nicht durchsetzen. Das Sozialrecht in seiner engeren Deutung ist öffentliches Recht10. Es umfaßt nicht die privatrechtlichen Systeme sozialer Sicherung wie den familiären Unterhalt, die betriebliche Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung der Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst oder die Privatversicherung. Diese sind aber wichtige Teilbereiche im Gesamtsystem sozialer Sicherung; stehen daher zu den staatlichen Sicherungssystemen in einer ambivalenten Beziehung gegenseitiger Ergänzung und Verdrängung 11 . Das Sozialrecht ist der wichtigste Bereich des öffentlichen Leistungsrechts. Doch ist es nicht nur Leistungsrecht. Die Sozialversicherung, überwiegend mit Beiträgen finanziert, ist abgabenrechtlich nicht minder von Interesse12. Von den übrigen Bereichen des öffentlichen Leistungsrechts heben sich die Sozialleistungen durch ihre spezifische, d. h. intensive sozialpolitische Zwecksetzung ab. Sie sollen dazu beitragen ( § 1 1 2 SGB I), ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen, zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zur Selbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen. Eine deutliche Abgrenzung zu anderen staatlichen Leistungen gibt es aber dennoch nicht. Sozialleistungen werden wegen eines tatsächlichen oder typisierten Bedarfs gewährt, den sie bei dem Begünstigten unmittelbar abdecken. Das unterscheidet sie z. B. von vielen Subventionen, die häufig zwar auch, aber nur mittelbar, sozialpolitische Zielsetzungen verfolgen, z. B. Leistungen an den 7 8 9 10 11

12

Vgl. Schellhorn, in: GK-SGB I, § 8 Rdnrn. 1 ff. Vgl. BT-Dr 9 / 1753, S. 4; BT-Sten. Ber. 9 / 6675 A. So Wertenbruch, in der Vorauflage. Vgl. Henke, W d S t R L 28 (1970), S. 149ff.; Zacher, in: Fs. f. Jantz, 1968, S. 29. Zur Beziehung zum familiären Unterhalt: v. Hippel, S. 48ff.; Ruland, Unterhalt; Schmitz / Elsen, in: Soziale Arbeit - Soziale Sicherheit, 1981, S. 105ff.; zur betrieblichen Altersversorgung: Ruland, DB 1978, 1833ff.; zur Privatversicherung: Bäumer, Vers Wirt 1978, 1422 (1430 f.); H. Bogs, S. 297 ff.; Frey, Vers Wirt 1977 11 ff.; Greb, Das Verhältnis von gesetzlicher Rentenversicherung zu privater Lebensversicherung seit 1957, 1968; v. Heinz, S. 45ff.; Heubeck, ZVersWiss 1970, 317ff.; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, 1974; Schwebler, Sicherheit zwischen Individual- und Sozialversicherung, 1977. Dazu Bley, VSSR 1976, 289ff.; Isensee, a. a. O.; Krause, SGb 1983, 1 ff.; umfassend Zacher (Hrsg.), Beitrag, a. a. O.

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Arbeitgeber zur Erhaltung von Arbeitsplätzen 13 . Wenn Subventionen der Zielgruppe aber unmittelbar gewährt werden, hilft mitunter auch ihre Funktion, Entgelt für Planbefolgung zu sein14, zur Unterscheidung nicht weiter15. So ist z. B. die soziale Sicherung der Landwirte eine Mischung zwischen einer agrarpolitisch motivierten Subvention und einer teilweise beitragsfinanzierten Sozialleistung16. Amtshaftungs- und Aufopferungsansprüche fallen trotz ihrer Nähe zur sozialen Entschädigung in den Bereich der staatlichen Ersatzleistungen, die dem Sozialrecht nicht zugerechnet werden17. Sie sind eindeutiger als die soziale Entschädigung (Versorgung der Kriegs- oder Verbrechensopfer) Kompensation staatlichen Unrechts. Doch sind auch hier die Grenzen fließend, wie die dem Sozialrecht zugerechnete Versorgung der NS-Verfolgten (BEG) zeigt. Die Beamtenversorgung ist zwar auch ein Teilsystem sozialer Sicherung, gehört aber traditionell und insoweit durch Art. 33 V GG geschützt zum Beamtenrecht, somit nicht zum Sozialrecht im engeren Sinne18. Sozialleistungen können auch Verschonungen sein. So stellt z. B. die (z. Zt. nur eingeschränkt) unentgeltliche Beförderung von Schwerbeschädigten eine in das SGB übernommene Sozialleistung dar (Art. II § 1 Nr. 18 SGB I). Die meisten sozialpolitisch motivierten Verschonungen finden sich jedoch im Steuerrecht — z. B. das Ehegattensplitting (§ 32 a V EStG), der Versorgungsfreibetrag (§ 19 II EStG) oder die Steuerfreistellung von Sozialleistungen (§ 3 EStG) —, aus dessen systematischen Kontext sie auch nicht zugunsten einer Einbeziehung in das Sozialrecht herausgelöst werden können 19 . Die derzeit h. M. reduziert positivistisch das Sozialrecht im engeren Sinne auf die in das SGB eingegliederten Bereiche20. Das sind zwar die schon aufgezählten wichtigsten Systeme sozialer Sicherung, auf die sich die nachfolgende Darstellung im wesentlichen auch beschränken wird. Doch darf nicht vergessen werden, daß es daneben auch auslaufende Materien gibt, wie z. B. die Verfolgtenversorgung, oder landesrechtlich geregelte Bereiche, wie z. B. die

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16 17 18 19 20

Sie werden nicht selten auch von Sozialleistungsträgern erbracht, vgl. §§ 54ff., 91 ff. AFG;§ 1237a I Nr. 1 RVO. So Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, 1977, S. 374. Zu ihr: Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 100f.; Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 11 ff.; Zacher, VVdStRL 25 (1967), S. 308 (321). Vgl. Hagedorn, VSSR 1977, 203 ff.; Krasney / Noell / Zöllner, S. 22f.; Winterstein, S. 61. Vgl. Schulin, Entschädigung, S. 106ff.; s. auch Zacher, DÖV 1972, 461 (467). Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 42ff. m. w. Nachw. Dem Sozialbudget werden sie aber zugerechnet, vgl. BT-Dr 8 / 4327, S. 128ff.; s. auch Berie, Das Sozialbudget, 1970, S. 57 f. Statt aller Müller-Volbehr, JZ 1978, 249; Rüfner, S. 5; Wannagat, RdA 1973, 209 (210).

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berufsständische Versorgung der Ärzte, Architekten oder Anwälte 21 , die ebenfalls Sozialrecht im engeren Sinne darstellen 22 . 2. Die Kodifikation des Sozialrechts im SGB Einer seit langem erhobenen Forderung entsprechend hat sich der Bundesgesetzgeber 1969 entschlossen, das unsystematisch gewachsene, in viele Einzelgesetze zersplitterte und daher unübersichtlich gewordene Sozialrecht in einem SGB zusammenzufassen 23 . Daran wird noch gearbeitet. Bisher sind verabschiedet: — der Allgemeine Teil (SGB I), der die einführenden, Verfahrens- und materiell-rechtlichen Bestimmungen umfaßt, die, soweit keine Sonderregelungen bestehen (§ 37 SGB I), grundsätzlich für alle Sozialleistungsbereiche einheitlich gelten; — das Erste Kapitel des Vierten, die Sozialversicherung betreffenden Buches (SGB IV); in ihm sind die Bestimmungen „vor die Klammer gezogen" worden, die das Allgemeine des Sozialversicherungsrechts darstellen sollen, und — das Zehnte Buch (SGB X), das das Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger, den Schutz der Sozialdaten und die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten regelt. Die Regelungsbereiche, die noch in das SGB eingegliedert werden sollen, gelten einstweilen als dessen besondere Teile (Art. II § 1 SGB I). Mit einem zügigen Voranschreiten der Kodifikation kann gerechnet werden, da wichtige Vorarbeiten insbesondere der dafür eingesetzten Sachverständigenkommission abgeschlossen sind. Das Sozialrecht befindet sich daher in einer Umbruchsphase. Seine Kodifikation ist aber nur mit einer „begrenzten Sachreform" verbunden 24 . Zusammen mit größeren Sachreformen wäre sie schon wegen des parlamentarischen Diskontinuitätsgrundsatzes nicht zu verwirklichen. Die Notwendigkeit zahlreicher Reformen bleibt.

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Dazu Guderjahn, Die Frage des sozialen Versicherungsschutzes für selbständig Erwerbstätige vom Entstehen der deutschen Sozialversicherung bis zur Gegenwart, 1971; Hahn, Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung der verkammerten freien Berufe, 1974; Ruland, NJW 1982, 1847 ff. Genannt seien z. B. auch die LandesblindengeldG, z. B. in Niedersachsen für Zivilblinde (GVBI. 1975, 115); zum hessischen (Landes-)Sozialrecht: Stolleis, in: Meyer /Stolleis, Hess. Staats- und Verwaltungsrecht, 1983, S. 306ff. Dazu Zacher, Das Vorhaben des Sozialgesetzbuchs, 1973; Dembowski / Doetsch (u. a.), Das neue Sozialgesetzbuch, a. a. O. Zacher, a. a. O., S. 24; s. auch Ruland, SGb 1982, 505 ff. zur Einbeziehung der Rentenversicherung.

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II. System und Entwicklung des Sozialrechts Das SGB wird daher auch nur wenig zur Systematisierung des Sozialrechts 25 leisten. Traditionell ist die Einteilung in: Fürsorge — Sozialversicherung — Versorgung 26 . Sie geht von den historisch gewachsenen Sozialleistungsbereichen aus. Nach dem Leistungsziel fragt die Unterscheidung zwischen Mindestsicherung und gehobener sozialer Sicherung 27 . Demgegenüber stellt die Einteilung in Vorsorge-, Entschädigungs- und Hilfssysteme 28 auf den Grund der Leistung ab. 1. Fürsorge — Versicherung — Versorgung Die traditionelle Einteilung ist rechtlich von großer Bedeutung, weil sich an ihr die wichtigsten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf dem Gebiete des Sozialrechts orientieren. Er ist konkurrierend zuständig für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Nr. 7 GG), für die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Art. 74 Nr. 12 GG) und für die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen (Art. 74 Nr. 10 GG). Hinzugekommen ist seine Kompetenz zur Regelung der Ausbildungsbeihilfen (Art. 74 Nr. 13 GG) 29 . a) Wesen und Entwicklung der Fürsorge: Die meisten Prinzipien der heutigen Sozialhilfe haben lange Tradition30. Vom Anbeginn öffentlicher (staatlicher oder kommunaler) Fürsorge an (Beginn des 16. Jahrhunderts) setzt öffentliche Unterstützung eine individuelle, durch eigene Mittel oder Arbeitsleistung nicht behebbare Notsituation voraus. Die Subsidiarität wird zum tragenden Prinzip der Fürsorge. Aus ihr ergibt si h die Arbeitspflicht, die beginnend und besonders hart zur Zeit des Merkantilismus in Zucht- und Arbeitshäusern durchgesetzt wird. Die Subsidiarität begrenzt auch die Leistungen. 25

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Zu ihr Bley, S. 27ff.; ders., ZSR 1978, 1 ff.; Zacher, D Ö V 1970, 1 ff.; ders., Sozialrecht, S. 16 ff. Statt aller W. Bogs, in: Sozialenquete, Rdnr. 131 ff.; Rüfner, S. 9; Wannagat, S. 31 ff. Vgl. etwa Krause, ZSR 1972, 385 (389 ff.). Vgl. Meinhold, in: Sozialenquete, Rdnr. 306; Zacher, Sozialrecht, S. 16ff.; ders., Einführung, S. 20ff., ders., SGb 1982, 329ff. (zur „Anatomie" des Sozialrechts). In der kompetenzrechtlichen Bindung moderner Sozialpolitik an traditionelle Formen sozialer Sicherung hat die Unsystematik des Sozialrechts einen ihrer vielen Gründe. Sie zwingt z. B. zahlreiche Versorgungstatbestände in das Gewand „unechter" Unfallversicherung (S.418), s. Rüfner, Vhdlgen d. 49. DJT, 1972, S. E 10; Schulin, Entschädigung, S. 94f. Zur ihr vor allem Sachße / Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, 1980, S. 23ff.; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 34ff.; Stolleis, S. 15ff.; Tennstedt, S. 16ff.; Wolff/ Bachof, VwR, Bd. 3, S. 266ff.

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Sie müssen hinter unteren Erwerbseinkommen zurückbleiben, damit die Fürsorge keine lohnende Alternative zur Arbeit wird. Die Leistungen waren daher — bestenfalls - auf das Allernotwendigste beschränkt. Öffentliche Fürsorge entstand in den Städten, als diese das Betteln verboten und statt oder zu der bis dahin üblichen kirchlichen Fürsorge kommunale Unterstützungen für ihre „eigenen" Armen einführten (zuerst Nürnberg 1522). An dieser kommunalen Zuständigkeit haben seit den Reichspolizeiverordnungen von 1530 und 1548 alle staatlichen Regelungen der Fürsorge festgehalten. Auch heute noch ist die Sozialhilfe grundsätzlich eine Angelegenheit kommunaler Selbstverwaltung. Allerdings mußte das Heimatprinzip, demzufolge die Gemeinden nur für ihre Bürger und die im Ort gebürtigen Armen verantwortlich waren, wegen der Bevölkerungsbewegungen insbesondere im Zusammenhang mit der beginnenden Industrialisierung zugunsten der Maßgeblichkeit des Unterstützungswohnsitzes aufgegeben werden (z. B. Preußen 1842). Entscheidend wurde, wo der Hilfsbedürftige seit einer relativ kurzen Aufenthaltszeit lebt. Als Aufgabe des Staates wurde die Fürsorge erstmals im Preußischen Allgemeinen Landrecht (2. Teil, 19. Titel, §6) anerkannt. Der Staat mußte als überörtlicher Träger die „Landarmen" unterstützen; für die kein Ortsarmenverband zuständig war. Fürsorge war, wie heute noch die Obdachlosenfürsorge 31 , eine polizeiliche Aufgabe. Die Hilfe wurde aus Gründen der öffentlichen Ordnung gewährt, dem Empfänger kein Rechtsanspruch zugestanden. Er war auch sonst — Verweigerung des Wahlrechts — ein Bürger „2. Klasse". All die genannten Prinzipien (nicht: Ausschluß vom Wahlrecht) haben in der Reichsfürsorgepflicht-Verordnungvom 13. 2. 1924 (RGBl. I, 100) und den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. 12. 1924 (RGBl I, 765) bis nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zunächst fortgegolten. Allerdings entschied das BVerwG schon 195432, daß das Grundgesetz es ausschließt, den Bürger zum Gegenstand staatlichen Handelns zu machen. Daher bestehe ein Rechtsanspruch auf Fürsorge. Damit war ein Grundprinzip des 1961 eingeführten BSHG vorweggenommen. Das BSHG verlagerte zwar den Schwerpunkt der Hilfe von der Existenzsicherung weg zu den „Hilfen in besonderen Lebenslagen" hin und definierte die Hilfsbedürftigkeit neu. Die traditionellen Grundprinzipien wie: Subsidiarität, Hilfe nach den Besonderheiten des Einzelfalles (Individualisierungsprinzip) und unabhängig vom Grund der Bedürftigkeit (Finalität) blieben aber prägend 33 . Verfassungsrechtlich ist die Kompetenz „öffentliche Fürsorge" nicht durch deren klassische Ausgestaltung beschränkt. So hat das BVerfG z. B. auch die staatlichen Hilfen für Schwerbehinderte — einschließlich der zu ihren Gunsten erhobenen Ausgleichsabgabe — auf diese Kompetenz zurückgeführt 34 ; 31 32 33 34

Dazu neuestens Greifeid, JuS 1982, 819ff. BVerwGE 1, 159ff.; zuvor schon BayVerfGH, VerwRspr 1, 351. Statt aller von Maydell, NDV 1978, 341 (342). BVerfGE 42, 263 (283); 57, 139 (159, 166).

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die Literatur stützt auf sie z. B. auch das Kindergeld 35 , das Wohngeld 36 ; früher (heute: Art. 74 Nr. 13 GG) sind auch Ausbildungsbeihilfen der Fürsorge zugerechnet worden 37 . b) Wesen und Entwicklung der Sozialversicherung: Versicherung ist die gemeinsame Deckung eines im Einzelfall ungewissen, in der Gesamtheit aber schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit gleichartiger Risiken38. Dies gilt auch für die Sozialversicherung. Ihre Vorläufer39 waren zum einen die „Kranken-, Sterbe- und Hülfskassen" der Zünfte 40 , zum anderen die ebenfalls auf genossenschaftlicher Grundlage beruhenden „Büchsen-" oder „Knappschaftskassen" der Bergleute, an denen schon damals die Unternehmen finanziell beteiligt waren. Das Ungenügen der kommunalen Fürsorge gegenüber der durch Bevölkerungswachstum und industrielle Revolution immer drückender gewordenen Not führte zu Versuchen, das Hilfskassenwesen gesetzlich, z. B. durch Beitrittszwang, zu verfestigen (etwa PrAllgGewO von 1845; Hülfskassengesetz von 1876). Die regional und berufsständisch begrenzten Solidargemeinschaften waren jedoch zu schwach, um wirksam zur Lösung der sozialen Probleme beitragen zu können. Erfolgreicher war die Entwicklung im Bergbau41. Die 1854 gesetzlich vorgeschriebenen „Knappschaftsvereine" wurden 1864 zu einem Vorläufer der heutigen Sozialversicherung umgestaltet. Sie kannten sowohl lohnbezogene Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge (mindestens 50%), als auch Einzug und Abführung des Beitrages durch den Arbeitgeber. Die Sozialgesetzgebung des Reichs (Bismarcks) beginnt mit der Kaiserlichen Botschaft vom 17. 11. 1881, in der eine gesetzliche Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Alterssicherung angekündigt wurde. Diese Gesetzgebung war nicht nur sozial motiviert. Sie sollte 35 36 37 38 39

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Vgl. Maschler, S. 54; Rüfner, S. 59 Anm. 2. Vgl. Hering, DVB1. 1975, 14; v. Münch, in: GG-Kommentar, 2. Aufl. 1983, Art. 74 Rdnr. 24. BVerwGE 27, 58 (59). BVerfGE 11, 105 (112); BSGE 6, 213 (218); Manes, Versicherungswesen, 4. Aufl., 1920, S. 3; Hoffmann, Privatversicherungsrecht, 1978, S. 4; Winterstein, S. 10 ff. Zu ihrer Geschichte: Alber, Modernisierung und Entwicklung der Sozialversicherung in Westeuropa, 1979; Hentschel, S. 9ff.; Hockerts, S. 21 ff., ders., HZ 237 (1983), 361 ff.; Köhler / Zacher (Hrsg.), Ein Jahrhundert Sozialversicherung, 1981; Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 3. Aufl., 1978; Ritter, Sozialversicherung in Deutschland und England, 1983; Stolleis, S. 29ff.; ders., in: Zacher (Hrsg.), Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung von Sozialversicherung, 1979, S. 387ff. (RV); ders., ZSR 1983, 612ff. (KV); Stolleis /Saul/Koch /Zöllner, ZVersWiss 1980, 155ff.; Töns, 100 Jahre gesetzliche Krankenversicherung, 1983; (vor allem) Tennstedt, in: Blohmke, Hdb. d. Sozialmedizin, Bd. 3, 1976, S. 385ff.; ders., ZSR 1975, 225ff., 358ff., 422ff. (Quellen); ders., ZSR 1981, 663ff.; Vogel, Bismarcks Arbeiterversicherung, 1951. Zu ihnen Fröhlich, Die Soziale Sicherung bei Zünften und Gesellenverbänden, 1976, S. 38 ff. Zu ihr: Dapprich, in: 10 Jahre Bundesknappschaft, 1979, S. 21 ff.; ders., SGb 1982, 514ff.; Thielmann, Die Geschichte der Knappschaftsversicherung, 1960.

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— als Kontrast und Ergänzung zur Sozialistengesetzgebung — die Arbeiterschaft der Sozialdemokratie entfremden, sie mit dem Staat versöhnen, um so das neu gegründete Reich innerlich zu verfestigen42. 1883 wurde die gesetzliche Krankenversicherung, 1884 die Unfall- und 1889 die Invaliditäts- und Alterssicherung für Arbeiter eingeführt. 1911 wurden die drei Gesetze in der RVO zusammengefaßt und inhaltlich z. B. durch Einführung einer Hinterbliebenensicherung 43 verbessert. Das gleiche Jahr brachte die Angestelltenversicherung (AVG). Die hohe Arbeitslosigkeit während und nach dem 1. Weltkrieg ließ staatliche Eingriffe auf den Arbeitsmarkt (Arbeitsnachweise und -Vermittlung) und die Einführung einer Arbeitslosenversicherung (AVAVG) unausweichlich werden (1927)44. Inhaltliche Strukturreformen brachten die Rentenreform 1957 mit dem Übergang zur dynamischen Rente 45 und der Wechsel vom AVAVG zum AFG (1969), das den Versicherungsgedanken zugunsten einer umfassenden Präventivkonzeption zurückdrängte 46 . Gesichert waren zunächst grundsätzlich nur die abhängig Beschäftigten. Diese Konzeption wurde 1938 erstmals durch die Einbeziehung der Handwerker in die Rentenversicherung durchbrochen (HwVG), 1957 folgten die Landwirte (GAL). Die Entwicklung ist trotz der Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige (1972), wie die Einführung der Sozialversicherungspflicht für Künstler (KSVG) zeigt, noch nicht abgeschlossen47. Von einem „ Wesen" der Sozialversicherung zu sprechen 48 , ist fast unmöglich. Dafür weisen ihre Zweige zu viel Eigencharakteristik auf, das Arbeitsförderungsrecht so viel, daß es im SGB als eigenes Buch geregelt wird (§ 1 II SGB IV). Gemeinsam ist nur, daß gesetzlich zu Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 29 I SGB IV) zusammengefaßte Solidargemeinschaften eine von konkreter Bedürftigkeit unabhängige, mit Beiträgen erkaufte Sicherung gegen bestimmte typische Risiken bieten. Die Besonderheiten der Unfallversicherung und der sozialen Sicherung der Landwirte schließen weitere Gemeinsamkeiten aus, zeigen aber auch, welch weite Gestaltungsmöglichkeiten die Kompetenz „Sozialversicherung" dem Gesetzgeber eröffnet. Sie begründet zwar keine sozialpolitische Allzuständigkeit49, beschränkt ihn aber nicht 42 43 44 45

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Dazu etwa Galt, Bismarck, 1980, S. 642ff.; Saul, ZVersWiss. 1980, 182; Schäfer, ZfS 1983, 179ff.; Stolleis, ZVersWiss. 1980, 155 (157f.). Zu ihrer Geschichte: Dreher, Die Entstehung der Arbeiterwitwenversicherung in Deutschland, 1978. Zu ihrer Einführung: W. Bogs, Die Sozialversicherung in der Weimarer Demokratie, 1981, S. 95 ff. Dazu von Bethusy-Huc, S. 196ff.; (vor allem) Hockerts, S. 320ff.; Jantz / Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1957; s. auch Hentschel, S. 160 ff. Dazu BVerfGE 53, 313 (324f.); Hoppe, ZSR 1977, 381 ff. Vgl. Ruland, SGb 1981, 391 (394); s. auch von Maydell, SGb 1981, 412 (414). Zu ihm: Achinger, S. 87ff.; W. Bogs, S. 24ff.; Jahn, Sozialversicherungslehre, S. 5 ff. BVerfGE 11, 105(111).

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auf die klassischen Versicherungszweige und bindet ihn nicht an deren überkommene Ausgestaltung. So hat das BVerfG selbst das ursprünglich durch Familienausgleichskassen finanzierte Kindergeldsystem als „Sozialversicherung" angesehen 50 , eine Entscheidung allerdings, die nach der Konzeptänderung für das heutige Kindergeldrecht nicht mehr zutrifft. Offen geblieben ist, ob berufsständische Sicherungssysteme z. B. der Ärzte und Anwälte „Sozialversicherung" darstellen 51 , was zu bejahen ist52. Jedoch liegt, weil eine bundesrechtliche Regelung fehlt, die Kompetenz bei den Ländern. c) Wesen und Entwicklung der Versorgung: Versorgungsleistungen entschädigen aus Steuermitteln für Opfer, die dem Staat erbracht wurden oder für die er in besonderer Weise die — zumindest politische — Verantwortung trägt oder übernommen hat. Historisch hat die Versorgung zwei Entwicklungsstränge53: die Entschädigung für die Personen, die sich im Dienste des Staates aufgeopfert haben und sich infolgedessen keine Alters- und Invaliditätssicherung aufbauen konnten (Beamtenversorgung) 54 , und die Versorgung der kriegsbeschädigten Militärpersonen. Inzwischen ist aber der von der „Versorgung" erfaßte Personenkreis nahezu vollständig ausgewechselt worden. Die Versorgung der Beamten und Berufssoldaten ist nach heutigem Verständnis Teil des öffentlichen Dienstrechts und Entgelt für geleistete Dienste, nicht aber Entschädigung für eine Aufopferung 55 . Nachdem Kriege zunehmend mehr ihre Opfer in der Zivilbevölkerung suchen, ist deren Entschädigung hinzugekommen (1920), heute im BVG geregelt. Das Unrechtssystem des „3. Reichs" hat die Verfolgtenversorgung (vor allem durch das BEG, 1953) notwendig werden lassen. Mit der Entschädigung von Verbrechensopfern (OEG, 1976) übernahm der Staat die Verantwortung dafür, daß seine Bemühungen, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, im Einzelfall erfolglos blieben. Weitere Ursachen staatlicher Entschädigung sind Impfschäden (§ 51 BSeuchG); gelegentlich gestaltet der Staat den Ausgleich katastrophenartiger Schäden, deren Regelung das zivile Schadensersatzrecht überfordert, unter Einsatz auch eigener Mittel öffentlich-rechtlich, so bei den Contergan-Fällen (StHbKG, 1972)56. Zum Sozialrecht gehört die Versorgung nur insoweit, als sie Gesundheitsschäden ausgleicht (§ 5 SGB I). Systeme, die, wie z. B. der Lastenausgleich, Vermögensverluste entschädigen sollen, rechnen nicht dazu. 50 51 52

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A. a. O.; dazu Zacher, Sozialpolitik, S. 56; s. jetzt oben Fn. 35. BVerfGE 12, 319(323). Vgl. W. Bogs, in: Fs. f. Krohn, 1954, S. 35ff.; Schneider, Die öffentlich-rechtliche Alterssicherung freier Berufe und das Grundgesetz, 1959, S. 49ff.; Zacher, Sozialpolitik, S. 58; nunmehr zur Schornsteinfegerversorgung: BVerfGE 63,1 (36); a. A.: BVerwGE 17, 74ff.; Bley, S. 130. Schulin, Entschädigung, S. 61 ff.; Stolleis, S. 47ff. Zu dieser historischen Deutung: Gönner, Der Staatsdienst aus dem Gesichtspunkt des Rechts und der Sozialökonomie betrachtet, 1801, S. 101; w. Nachw. bei Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 316. Dazu Ruland, a. a. O. Rdnr. 317ff.; Summer/ Rometsch, ZBR 1981, 1 (8). Dazu BVerfGE 42, 263ff.; Schulin, Entschädigung, S. 27ff.

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2. Mindestsicherung und gehobene soziale Sicherung a) Die Mindestsicherung: Die Mindestsicherung wird durch die Sozialhilfe gewährleistet57. Ihr Ziel ist es, jedem Hilfeempfänger, wenn er sonst nicht dazu in der Lage ist, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 9 SGB I, § 1 II 1 BSHG). Als Hilfe zum Lebensunterhalt sichert sie den notwendigen Lebensunterhalt(§ 12 BSHG), wozu auch — in vertretbarem Umfang — ein Mindestmaß an sozio-kulturellem Bedarf (z. B. das Radio, die Kinokarte) gehört. Eine Abstufung nach unten ist das zum Lebensunterhalt Unerläßliche. Auf es sind Personen, die ihre Hilfsbedürftigkeit absichtlich herbeigeführt haben (§ 25 II BSHG)58, und Asylsuchende (§ 120 II BSHG) 59 verwiesen. Mit Hilfen in besonderen Lebenslagen will die Sozialhilfe besondere, eventuell zusätzliche Bedarfssituationen auffangen, wie z. B. Krankheit, Alter (§ 27 BSHG). Als Abwehr gegen Not kommt der Sozialhilfe eine Auffang- und Ergänzungsfunktion zu60. Sie muß in typischen Bedarfssituationen (Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit) den Personen helfen, die von den personell begrenzten Versicherungs- oder Versorgungssystemen keine oder keine ausreichenden Leistungen beziehen. Sie hat außerdem für atypische Bedarfssituationen aufzukommen, die von den auf typische Risiken begrenzten Versicherungssystemen (noch) nicht erfaßt werden (z. B. Hilfe zur Pflege, Hilfe für Nicht-Seßhafte). Die Sozialhilfe setzt Bedürftigkeit voraus, deren Ursache für sie als zwangsläufig finales Mindestsicherungssystem unerheblich ist. b) Die gehobene soziale Sicherung: Während die Mindestsicherung eine tatsächliche Bedürftigkeit des Hilfeempfängers beheben will, ist Ansatzpunkt der gehobenen sozialen Sicherung — von Sachleistungen abgesehen — ein typisierter Bedarf Er bemißt sich zumeist an dem durch das jeweilige Risiko weggefallenen Einkommen, das ganz oder teilweise ersetzt werden soll. Dabei kommt es — was den Unterschied zwischen Bedarf und Bedürftigkeit ausmacht — nicht darauf an, inwieweit der Empfänger tatsächlich auf den Einkommensersatz angewiesen ist61. Die Sozialversicherung stellt innerhalb der gehobenen sozialen Sicherung die Regelsicherung dar. Sondersysteme sind z. B. die Beamtenversorgung 62 und berufsständische Versorgungswerke. Die betriebliche Altersversorgung und z. T. auch die Privatversicherung sollen die Regelsicherung ergänzen63. Vom Sicherungsziel her lassen sich Vollsicherungen von Grundsicherungen unterscheiden. Ziel der Vollsicherung ist es, das um beruflich bedingte Ausga57 58 59 60 61 62 63

Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 32; Zacher, Sozialpolitik, S. 766 ff. Zur Problematik: Rode, ZfS 1980,323. Dazu Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 371. Dazu auch Reidegeld, Soz. Sich. 1970, 321 ff. Vgl. Bley, S. 23. Ungenau: Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 1, S. 25. „Drei-Säulen-Theorie", zu ihr etwa Blum, ZSR 1977, 152 (154); von Maydell, in: Über- und Unterversorgung bei Altersversorgung, 1979, S. 33.

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ben verminderte Nettoeinkommen durch eine entsprechend hohe (Netto-) Leistung zu ersetzen. Es wird nach allgemeiner Auffassung 64 bei einem Nettoleistungsniveau von 80 bis 85% erreicht. Eine Vollsicherung ist z. B. die Beamtenversorgung 65 . Wird der Satz von 80-85% überschritten, wie z. B. bei der sich aus Rente und Zusatzversorgung zusammensetzenden Sicherung der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes 66 , handelt es sich, sofern nicht sonstige Risiken (Pflege) hinzutreten, um eine Überversorgung, die denen, die sie finanzieren müssen, nicht (länger) zumutbar ist. Dagegen stellen Leistungen der Rentenversicherung gegenwärtig mit einem Netto-Niveau von 65%67 selbst bei durchschnittlicher Versicherungsdauer nur eine (qualifizierte) Grundsicherung dar 68 , die zur vollen Aufrechterhaltung des Lebensstandards einer Ergänzung etwa durch Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bedarf. Geringer ist noch das Leistungsniveau von Arbeitslosengeld (63%) und -hilfe (56% des typisierten Nettoeinkommens, §§111 I, 136 I AFG) 69 . Diese Zahlen zeigen, wie unterschiedlich das Sicherungsniveau im Bereich der gehobenen sozialen Sicherung ist. Zusätzlich ist zu beachten, daß die jeweiligen Netto-Relationen für einen Systemvergleich nur bedingt tauglich sind, weil die Bruttoeinkommen mit Steuern und Sozialabgaben unterschiedlich belastet sind. Andererseits ist, bei einem Vergleich der Systeme zu beachten, daß es bifunktionale Sicherungssysteme gibt, die in sich Grundsicherung und betriebliche Altersversorgung kombinieren. Beispiele sind die Beamtenversorgung 70 und die knappschaftliche Rentenversicherung 71 .

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Vgl. Bode / Grabner, DB 1977, 1555; Heubeck, DB 1975, 1121; Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 53; weiter gezogen: Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 1, S. 141; s. auch Schmähl, Zeitschrift für Gerontologie 1980, 222 (238). Ihr Nettoniveau liegt durchschnittlich bei 81-85%, BT-Dr 7 / 5569, S. 89ff.; Schmähl, Altersvorsorge und Alterssicherung im Vergleich, 1981, S. 33. BT-Dr 7 / 5569, S. 89f., 154 (Zahlen für 1975); Dornbusch, DAngVers 1980, 227 (232); Lorz, RV 1983, 1 (3); s. auch von Hippel, S. 62ff. Vgl. VDR, Rentenversicherung in Zahlen 1983, S. 36; s. auch Steeger, DRV 1982, 433 ff.; zum Rentenniveau allgemein Schmähl, Das Rentenniveau in der Bundesrepublik, 1975. Ähnlich BVerfGE 29, 221 (237); Jantz, ZVersWiss. 1973, 213 (218); Zacher, VSSR 1973, 97 (120); gemeint ist nicht eine lediglich existenzsichernde Grundversorgung, dagegen zu Recht: Hauck, DAngVers 1984, 267. Dazu, daß dieses Niveau vielfach ergänzend Sozialhilfe notwendig werden läßt: Transfer-Enquete-Kommission, Rdnrn. 263 ff. Dazu Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 56; ders., SGb 1981, 391 (395); Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 1, S. 27, 142, 149; Transfer-Enquete-Kommission, Rdnr. 298; jetzt auch Krause, Verantwortung und Leistung, Heft 10/1984, S. 10; v. Maydell, Harmonisierung der Alterssicherung?, 1984, S. 14; a. A.: Fürst, ZBR 1983, 319 (328). Ruland, SGb 1982, 505 (515); Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, a. a. O. S. 156; Schewe, SF 1979, 25 (27).

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3. Vorsorge — Entschädigung — staatliche Hilfe a) Vorsorge und Vorsorgesysteme: Rechtsgrund der gehobenen sozialen Sicherung ist vor allem die Vorsorge des Gesicherten. Sie erfolgt entweder durch Zahlung von Beiträgen (z. B. Kranken- oder Rentenversicherung) oder durch Arbeits- oder Dienstleistung, die Sozialleistung ist dann nachträglich zufließendes Arbeitsentgelt (z. B. Beamtenversorgung, betriebliche Altersversorgung). Vorsorge sichert gegen zukünftige Risiken, die, handelt es sich, wie z. B. bei der Kranken- oder Rentenversicherung, um Systeme mit Versicherungspflicht, schon aus Gleichheitsgründen für den erfaßten Personenkreis typisch sein müssen72. Es sind dies: Krankheit, Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, Invalidität (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit), Alter und Tod unter Zurücklassung von Hinterbliebenen. Der Zugang zu Vorsorgesystemen setzt Vorsorgefähigkeit voraus. Diese ist dann gegeben, wenn entweder Einkommen erzielt wird, das die Zahlung von Beiträgen ermöglicht, oder wenn eine Beschäftigung ausgeübt wird, mit der — wie bei Beamten — eine gehobene soziale Sicherung durch den Dienstherrn (Arbeitgeber) verbunden ist. Personen ohne eigenes Einkommen — z. B. Hausfrauen, Kinder — sind nur über einen „Verdiener" abgeleitet sicherbar. Ihre Anbindung an das Vorsorgesystem erfolgt zumeist über den familiären Unterhaltsanspruch 73 . In diesen auf Leistung und Gegenleistung beruhenden Systemen ist das Ausmaß der Sicherung Äquivalent der Vorleistung. Dafür sind die Dauer der Zugehörigkeit zu dem System, die Höhe des Einkommens und davon abhängig die Höhe eventuell gezahlter Beiträge wichtige Faktoren. Die Verpflichtung zur Vorsorge ist Ausfluß der Selbstverantwortlichkeit. Wer vom Einkommen oder der Beschäftigung her in der Lage ist, für typische, weil voraussehbare Bedarfssituationen Vorsorge zu treffen, kann, damit er dann nicht Hilfe von anderen benötigt, zur Vorsorge verpflichtet werden. Einer Pflichtmitgliedschaft in sozialen Vorsorgesystemen steht grundsätzlich weder Art. 2 I GG 74 noch, auch wenn sich daraus Beitragspflichten ergeben, Art. 14 GG 75 entgegen. Vorsorgepflichten sind ein Mittel, die Fürsorge (Sozialhilfe) zu entlasten. Darum ging es bei der Einführung der Sozialversicherung 76 . Aus dem gleichen Grunde wird gegenwärtig auch die Einführung einer Pflegeversicherung diskutiert77, mit der die Sozialhilfe von den stark ansteigenden Kosten der Hilfe zur Pflege entlastet werden soll. Pflegebedürftigkeit ist typisch, ist sozialversicherbar geworden. 72 73 74

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Dazu schon Achinger, S. 90. Dazu ausführlich Ruland, Unterhalt S. 119 ff. BVerfGE 10, 354 (361); 12, 319 (323); s. auch Benda in: Die verfassungsrechtliche Relevanz des Sozialrechts, 1975, S. 46f. Vgl. BVerfGE 4, 7 (17); 10,89(116); 11, 105 (126); st. Rspr. 53, 313 (331). Dazu Sachße / Trennstedt (N 30), S. 16. Vgl. Transfer-Enquéte-Kommission, Rdnrn. 264ff.; s. auch z.B. Dahlem, NDV 1977, 325ff.; Krasney, Verh. d. 52. DJT, 1978, Bd. 2, S.43f., 48ff., 56ff.; und die Vorschläge in NDV 1983, 70ff.; 1984, 277ff.

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b) Entschädigung und Entschädigungssysteme: Gehobene soziale Sicherung bieten auch die Leistungen der sozialen Entschädigung, die die Folgen von bereits eingetretenen Gesundheitsschäden ausgleichen sollen, für die den Staat aus dem Gesichtspunkt der Aufopferung heraus oder — wie es in § 5 SGB I als Eingeständnis mangelnder Fähigkeit zur Systematisierung78 heißt — „aus sonstigen Gründen" eine gesteigerte Verantwortung trifft. Die Gründe dafür sind unterschiedlichster Art. Sie reichen, wie die nachfolgende Übersicht zeigt, von der rechtsstaatlich geforderten Einstandspflicht für Verschulden (BEG) bis hin zur aus sozialstaatlichen Gründen übernommenen Verantwortung für die Gefährdung der Bürger, die der Staat nicht lückenlos vor Verbrechen schützen kann (OEG)79. Dieser Vielfalt der Gründe wegen konkurriert das soziale Entschädigungsrecht mit anderen staatlichen Entschädigungssystemen, wie z. B. Amts-(Staats-)haftung, beamtenrechtlicher Dienstunfallfürsorge oder mit der Unfallversicherung 80 . Die Systemlosigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, hat viele Gründe. Die Sonderregelung für NS-Verfolgte schafft zum einen klare Anspruchsgrundlagen, dient zum anderen aber auch als Teil der Liquidation politischer Katastrophen der Haftungsbegrenzung. Wenig überzeugend ist, daß Wehrdienstleistende keinen spezifischen Unfallschutz genießen wie alle anderen Dienstnehmer auch 81 . Sie sind schlechter gestellt selbst als Nothelfer. Die Absicht, innerhalb der Opfer der Weltkriege nicht zwischen Soldaten und Zivilisten zu unterscheiden, vermag dem gegenüber nicht zu überzeugen. Daß daraus zu Lasten der Bundeswehr ein Dauerrecht wurde, bedarf schon aus Gleichheitsgründen dringend der Korrektur. Die oben besprochenen kompetenzrechtlichen Gründe hat es, daß viele Tatbestände sozialer Entschädigung (z. B. Nothelfer, Schüler etc). als (unechte) Unfallversicherung abgewickelt werden82.

78 79

80 81 82

Kritisch auch Schulin, Entschädigung, S. 118 ff. Vgl. Schnapp, in: Dembowski / Doetsch, S. 155f.; Stolleis, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 583ff.; a. A.: Kunz, § 1 Anm. 1. Dazu Zacher, DÖV 1972,461 (463 ff.). Ebenso Schulin, Entschädigung, S. 76. Zu ihr o. Fn. 29 und ausführlich u. S. 418 ff.

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Überblick Uber soziale Entschädigungssysteme Haftung für Verschulden Zurechnung rechtswidrigen, nicht schuldhaften Handelns

Verantwortung aus der Inanspruchnahme von Diensten

allgemein: Amtshaftung NS-Verfolgte: BEG - allgemein: Aufopferung (Staatshaftung) Beamte - Dienstunfallfürsorge (BeamtVG) Arbeitnehmer - Unfallversicherung Wehrdienstleistende - BVG oder SVG ( - BVG) Ehrenamtliche Tätige - Unfallversicherung Gefangene - Unfallversicherung . Auferlegung o. Übernahme riskanter Pflichten

Einzelgefährdung durch -

Eingliedung j in staatliche > Einrichtungen]

I Nothelfer-Unfallversicherung I Impfung-BSeuchenG (->BVG) I Schulzwang(Unfallversicherung Studenten, KindergartenKinder Rehabilitanden etc. Unfallversicherung allgemein: evtl. Aufopferung

Verantwortung für Gefährdung

technische Risiken - ungeregelt Krieg und Kriegsfolgen für die Zivilbevölkerung

- BVG - HHG ( - BVG)

Kollektivgefährdung d u r c h : nicht ausreichender Schutz - O E G ( - BVG) der Rechtsordnung - TumultschädenG

Entschädigungssysteme gestalten aber auch zivilrechtliche Haftungsbeziehungen um83. Wichtigstes Beispiel hierfür ist die gesetzliche Unfallversicherung. Sie entschädigt die Versicherten (vor allem: Arbeitnehmer) bei Arbeitsunfällen und stellt dadurch die Unternehmer — inzwischen aber auch die Arbeitskollegen — grundsätzlich von der Haftung frei (§§ 636 f. RVO). Für die Unternehmer ist die Unfallversicherung, die sie wegen der Haftungsfreistellung allein zu finanzieren haben, ein Vorsorgesystem, eine Art Haftpflichtversicherung, aus der sie sich historisch auch entwickelt hat84. In öffentlich-rechtliche Entschädigungssysteme können zivilrechtliche Schadensersatzansprü83

84

D a z u ausführlich H. Bogs, S . 4 4 9 f f . ; v. Heinz, S. 54; v. Maydell, S G b 1981, 4 1 2 (416); Schulin, E n t s c h ä d i g u n g , S. 17 ff., 87 ff. A u ß e r den eben g e n a n n t e n : B V e r f G E 34, 118 (132); Daisbach / Jung, in: Fs. f. Grüner, 1982, S. 1 1 4 f f . ; Gitter, S. 180; ders., S c h a d e n s a u s g l e i c h , S. 3 8 f f . ; Lauterbach, B G 1953, 1 2 5 f f . ; Schulin, Sozialversicherungsrecht, S. 6 7 ; Wannagat, NJW 1960, 1597 ff.

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che aber auch dann umgewandelt werden, wenn ansonsten die Regulierung von Massenschäden nicht möglich wäre (Bsp.: StHbKG zur Abwicklung der Contergan-Katastrophe). Entschädigungssysteme sind zwangsläufig kausale Sicherungssysteme 85 . Sie sind auf bestimmte, die Entschädigung begründende Schadens Ursachen (z. B. Arbeitsunfall, §548 RVO; militärischer Dienst, Kriegseinwirkung, § 1 BVG) begrenzt und erfassen die Gesundheitsschäden nur dann, wenn sie sich auf diese Ursachen zurückführen lassen. Der Verlust eines Beines z. B. kann in der Rentenversicherung, einem finalen Vorsorgesystem, gleich aus welchen Gründen er eingetreten ist, Invaliditätsrenten auslösen, wenn er zur Berufsoder Erwerbsunfähigkeit führt; zu Leistungen etwa der Kriegsopferversorgung führt er nur dann, wenn er Folge entweder des militärischen Dienstes oder einer Kriegseinwirkung war; zu Leistungen der Unfallversicherung führt er nur dann, wenn ursächlich für ihn ein Arbeitsunfall war. Als Entschädigungsleistungen werden Heilungskosten und Einkommensersatz gewährt, der an den tatsächlichen oder typisierten Einkommensfolgen der Gesundheitsschädigung orientiert ist. Immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) werden grundsätzlich ebensowenig ersetzt wie Sachschäden (Ausnahme: § 765 a RVO). Folgeschäden werden — wenn überhaupt — nur über qualifizierte Hilfssysteme (Kriegsopferfürsorge) übernommen. c) Staatliche Hilfe und Hilfssysteme: Staatliche Hilfe ist unterschiedlich motiviert. Die Sozialhilfe als Mindestsicherung konkretisiert die Verpflichtung des Sozialstaates, aus Achtung vor der Würde des Menschen die für seine körperliche und geistige Existenz notwendigen Mittel jedenfalls dann bereitzustellen, wenn der einzelne selbst dazu nicht in der Lage ist (Art. 1 I, 2 II, 20 GG) 86 . Die Ausgestaltung der Mindestsicherung als — insoweit dann zwangsläufig: subsidiäre — staatliche Hilfe und nicht wie in anderen Ländern (Holland, Schweden) als Staatsbürgerversorgung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben 87 . Das Maß der Hilfe ist an der zu behebenden Bedürftigkeit ausgerichtet, die jedoch aus Gleichheitsgründen typisiert werden muß. Neben der Mindestsicherung gibt es qualifizierte Hilfssysteme. Die Ausbildungsförderung soll für die Berufswahl Chancengleichheit eröffnen. Sie ist die teilhaberechtliche Komponente zu Art. 12 GG 88 . Die qualifizierten Hilfen für Kriegsopfer (Kriegsopferfiirsorge), aber auch für Arbeitslose (Arbeitslosenhilfe) weisen entschädigungsrechtliche Momente auf (Ausgleich für eine im

85

86

87 88

Dazu Rüfner, Vhdlgen d. 49. DJT, 1972, S. E 20f.; Watermann, Die Ordnungsfunktion von Kausalität und Finalität im Recht, 1968, S. 50 ff. BVerwGE 1, 159 (169); 23, 149 (153); 35, 178 (180); 360 (363); BVerfGE 1, 97 (104); Gottschick / Giese, § 1 Rdnrn. 3.1 ff.; v. Maydeli, in: Fs. f. BVerwG, 1978, S. 405 (409); Trenck-Hinterberger, ZfSH 1980, 46 ff. Vgl. v. Maydeli, N D V 1978, 341 (342). Dazu Blanke, FamRZ 1981, 226ff.; Bley, S. 354; Denninger, Staatsrecht, Bd. 1, 1973, S. 160f.; Rüfner, ZRP 1980, 114ff.; BT-Dr 10/1716, S. 51.

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Einzelfall fehlgeschlagene Arbeitsmarktpolitik) 89 . Mit der Wohnhilfe (Wohngeld) soll auch der Wohnungsmarkt gefördert werden 90 . Das Kindergeld ist als familienpolitische Maßnahme unverzichtbare Ergänzung des der Alterssicherung zugrunde liegenden „Generationenvertrags" 91 . Es nimmt innerhalb der übrigen Hilfssysteme eine Sonderstellung ein, weil es unabhängig selbst von typisierter Bedürftigkeit gewährt wird. 4. Die Bedeutung der sozialen Sicherung a) Daten: Mit einigen Zahlen 92 soll die Bedeutung der einzelnen Systeme sozialer Sicherung verdeutlicht werden. 1983 wurden ausgegeben für Leistungen (jeweils Mrd. DM): der der der der der

Rentenversicherung Krankenversicherung Arbeitsförderung Sozialhilfe Sozialen Entschädigung

162,3 100,5 42,0 19,9 14,2

nach dem BKGG der Unfallversicherung nach dem BaföG nach dem GAL nach dem WoGG

Versichert waren in der Krankenversicherung in der Unfallversicherung in der Schülerunfallversicherung in der Rentenversicherung in der Arbeitslosenversicherung

1982: 1981: 1981: 1982: 1983:

35,8 Mio. 28.2 Mio. 14,1 Mio. 30.3 Mio. 20,3 Mio.

15,6 11,1

2,4 3,1 2,8

Personen Personen Personen Personen Personen

In der Krankenversicherung gab es 1981 15,08 Mio. Leistungsfälle, pro Mitglied 17 Arbeitsunfähigkeitstage. Von 100,5 Mrd. D M Ausgaben (1983) entfielen 30,6 Mrd. D M auf die (zahn)ärztliche Behandlung 93 und Zahnersatz 94 , 19,7 Mrd. DM auf Arzneien, Heilmittel etc., 30,9 Mrd D M auf Krankenhauspflege, 5,5 Mrd. D M auf Krankengeld, 4,7 Mrd. DM auf Verwaltungskosten. 1970 betrugen die Gesamtausgaben 23,9 Mrd. DM. In der Unfallversicherung gab es 1982 2,48 Mio. Arbeitsunfälle, 279000 Wegeunfälle und 37000 Berufskrankheiten; zu Leistungen führten 57000 Unfälle, zumeist wegen teilweiser Erwerbsunfähigkeit, 3850 mit Todesfolge. In der 89 90 91

92

93

94

Vgl. Ruland, Arbeitslosigkeit, S. 72 ff., 78. BT-Dr 7 / 868, S. 39f.; Rüfner, S. 57. Dazu Borchert, Die Berücksichtigung familiärer Kindererziehung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, 1981, S. 39; Bünger, Familienpolitik in Deutschland, 1970, S. 35ff., 80ff.; Rollinger, AuS 1978, 212; Ruland, Unterhalt, S. 235ff., 339ff.; ders., in: Fs. f. BSG, 1979, S. 437 (449); Vogel, DStR 1977, 31 (33). Sie sind vor allem dem Sozialbericht 1983, Stat. Jahrbuch 1983 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 37ff., 391 ff., entnommen; außerdem: VDR, Rentenversicherung in Zahlen 1983; Statistisches Taschenbuch 1983 - Arbeits- und Sozialstatistik. Während sich das durchschnittliche Arzteinkommen 1970 noch zu dem der Arbeitnehmer wie 5:1 verhielt, war es 1976 schon auf das Verhältnis 7:1 gestiegen, vgl. m. w. Nachw. Krauskopf, § 368 g Anm. 2.3. 1980 entfielen allein auf Zahnersatz 8,1 Mrd. DM.

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Schülerunfallversicherung (einschließlich hier jeweils der Unfallversicherung der Studenten und der Kindergartenkinder) mußten (1981) 4000 Fälle, davon 179 mit Todesfolge entschädigt werden. Im Bestand sind einschließlich der Schülerunfallversicherung knapp mehr als 1 Mio Rentner. 1970 betrugen die Gesamtausgaben 5 Mrd. DM. In der Rentenversicherung gab es 1983 einen Bestand von knapp 13,5 Mio. laufenden Renten. Auf 100 Versicherte entfielen in der Arbeiterrentenversicherung 67,5, in der Angestelltenversicherung 40,0 Rentner. Gezahlt wurden 6,5 Mio Altersruhegelder, 0,2 Mio Berufs- und 2,14 Mio Erwerbsunfähigkeitsrenten, 4,1 Mio Witwen- und Witwerrenten und 0,52 Mio Waisenrenten. Das Rentenzugangsalter lag 1982 bei Männern bei 57,8 (ArV) und 60,1 Jahren (AnV), bei Frauen bei 59,7 (ArV) und 59,2 Jahren (AnV). Im Rentenzugang 1982 betrug die durchschnittliche Versicherungsdauer bei Männern 36 (ArV) bzw. 38 (AnV), bei Frauen 22,5 (ArV) bzw. 27,7 (AnV) Versicherungsjahre. Das ergab im Durchschnitt eine Erwerbsunfähigkeitsrente von bei Männern 1150 DM (ArV) bzw. 1440 DM (AnV), bei Frauen 370 DM (ArV) bzw. 510 DM (AnV). Für die Rentenversicherung wurden 1970 54,5 Mrd DM ausgegeben95. Arbeitslos waren im Juni 1984 2112596 Personen (Arbeitslosenquote 8,5%), darunter 263000 Ausländer, 137000 Jugendliche unter 20 Jahren und 136000 Schwerbehinderte. Arbeitslosengeld erhielten Ende 1983 1014000 Personen, Arbeitslosenhilfe 485000. Die zeitliche Begrenzung des Arbeitslosengeldes spiegelt sich auch in der Statistik wider: Die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld geht prozentual zurück, während die der Empfänger von Arbeitslosenhilfe zunimmt. Von den 19,9 Mrd. DM Ausgaben für die Sozialhilfe entfielen 6,2 Mrd. DM auf die Hilfe zum Lebensunterhalt, 11,7 Mrd. DM auf die Hilfen in besonderen Lebenslagen. Mehr als die Hälfte davon (6,5 Mrd. DM) mußte für die Hilfe zur Pflege aufgewendet werden, 3,7 Mrd. DM waren für die Eingliederungshilfe für Behinderte notwendig. An Personen in Einrichtungen wurden (1982) 9,3 Mrd. DM, an solche außerhalb 5,5 Mrd. DM gezahlt. Die Zahl der Hilfeempfänger betrug 2,08 Mio. Personen (in Einrichtungen: 532000), davon erhielten Hilfe zum Lebensunterhalt 1,3 Mio. Personen (in Einrichtungen: 69000), Hilfe in besonderen Lebenslagen 1080000 (in Einrichtungen: 470000). 1970 betrugen die Aufwendungen für Sozialhilfe 3,4 Mrd. DM 96 . Je länger der Zeitabstand zum 2. Weltkrieg wird, desto mehr nimmt von der Zahl der Versorgungsberechtigten her die soziale Entschädigung an Bedeutung ab. Sie hat sich von 2,5 Mio. (1970) auf 1,85 Mio. Personen (1982) verringert. Dennoch haben sich die Aufwendungen im genannten Zeitraum fast verdoppelt. 95 96

Zur Rentenentwicklung 1962-1982, SozVers. 1983, 178 ff. Zur Entwicklung der Sozialhilfekosten: Streppel, NDV 1981, 186ff.

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Kindergeld wurde 1982 an 6,7 Mio. Berechtigte (darunter 0,8 Mio. Ausländer) für 11,6 Mio. Kinder (darunter 1,7 Mio. Ausländerkinder) gezahlt. Wohngeld erhielten 1980 rund 1,3 Mio. Personen, die ganz überwiegend alleinstehend und Rentner waren. Nach dem BAföG wurden 1981, 1,2 Mio. Personen gefördert, davon rund 250000 an Gymnasien, 350000 an Berufsfachschulen, 135000 an Fachhochschulen und 330000 an Universitäten. Die Förderung betrug durchschnittlich 300 DM. Nach der Berufstätigkeit des Vaters (15% ohne Beruf) waren es Kinder zu 38% von Arbeitern, 23,5% von Angestellten, 11% von Beamten und zu 16% von Selbständigen. b) Die Bedeutung fiir den einzelnen: In der heutigen stark arbeitsteiligen Gesellschaft ist der einzelne zumeist auf die Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen und dadurch zahlreichen Risiken ausgesetzt, die seine Erwerbsfähigkeit und mit ihr seine Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen, bedrohen. Soziale Sicherung ist zur wirtschaftlichen Voraussetzung einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung geworden97. Sie garantiert dem von einem Risiko Betroffenen die finanziellen Mittel, die nicht nur seine physische Existenz sichern, sondern darüber hinausgehend Voraussetzung fast jedweder Freiheitsausübung sind. Als Abwehr gegen Not garantiert soziale Sicherung auch Freiheit. Da vor allem Geldleistungen Freiheitsspielräume eröffnen, darf das Gesetz Sach- und (persönliche) Betreuungsleistungen, mit denen immer ein starkes Element der Fremdbestimmung verbunden ist, nur in begründeten Ausnahmefällen (z. B. Sachleistungen in der Krankenversicherung) vorsehen". Soziale Sicherung ist aber auch mit Versicherungspflicht und Beitragszwang verbunden. Diesen Freiheitsbegrenzungen kommt aber um so weniger Gewicht zu, je größer die typische Schutzbedürftigkeit des einzelnen ist. Die Freiheit, die zur Bedürftigkeit führt, verliert sich selbst. Die Rechtsprechung sieht daher in der zwangsweisen Einbeziehung in soziale Sicherungssysteme, auch wenn mit ihr eine Beitragspflicht einhergeht, grundsätzlich keinen Verstoß gegen Art. 2 I oder 14 GG, dies selbst dann nicht, wenn es innerhalb des Sicherungssystems zu einem sozialen Ausgleich zugunsten der sozial Schwächeren kommt, der einer vollen Äquivalenz von (Beitrags-)Leistung und Gegenleistung entgegensteht100. Die Problematik hat sich inzwischen auch umgekehrt, denn diskriminiert sind nun die, die keinen Zugang zur solidarisch getragenen sozialen Sicherung haben 101 . Die — eventuell auch freiwillige — 97 98

99

100 101

BVerfGE 40, 65 (84); 53, 257 (290). Vgl. Achinger, S. 74f.; Badura, SGb 1980, 1 (3); v. Bethusy-Huc, VSSR 1980, 1 (8); W. Bogs, in: Fs. f. Achinger, 1969, S.45ff.; Ehrenberg / Fuchs, S. 26f.; Häberle, VVdStRL 30 (1972), S. 44 (80ff.); Henke, VVdStRL 28 (1970), S. 181; Strasser, S. 172; Zacher, VSSR 1983, 119 (126 f.). Es darf sie andererseits aber auch nicht vernachlässigen, weil Geldleistungen leichter zu erbringen sind. Vgl. die Nachw. o. in Anm. 74 f. Dazu Achinger, S. 72; Ruland, N J W 1982, 1847.

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Teilhabe an ihr muß grundsätzlich all denen eröffnet werden, die typischerweise auf sie angewiesen und finanziell zur Vorsorge in der Lage sind102. c) Die Bedeutung für die Familie: Die Familie nimmt im System sozialer Sicherung eine Zwitterstellung ein103. Sie ist durch die staatliche soziale Sicherung von vielen Sicherungsfunktionen entlastet worden, denen sie nach Auflösung der Großfamilie auch nicht mehr gerecht werden konnte. So ist vor allem die Sicherung der Invaliden und Alten durch Vorsorge- und Entschädigungssysteme „vergesellschaftet" und faktisch jedenfalls aus dem familiären Unterhaltsverband herausgelöst worden 104 . Die staatliche soziale Sicherung ist daher sowohl Folge als auch Voraussetzung des Trends zur aus Eltern und Kindern bestehenden Kernfamilie. Diese ist die Gemeinschaft, innerhalb der, wie vom Sozialrecht vorausgesetzt, Erwerbseinkommen umverteilt wird105. Sozialleistungen, die das Einkommen ersetzen, belassen dem Unterhaltsverband seine Sicherungsfunktion, kommen daher vermittelt über den Unterhalt auch z. B. dem nicht-erwerbstätigen Ehegatten und den Kindern zugute. Soziale Vorsorge wird in der Kernfamilie als Unterhalt geschuldet106. Dem Leerlaufen von Unterhaltspflichten in der Großfamilie steht ihre Intensivierung in der Kernfamilie gegenüber. Der Unterhaltsverband hat seine Sicherungsfunktionen nicht verloren, sie haben sich entsprechend seiner neuen Struktur nur verlagert107. Die Familie ist aber nicht nur Träger und Vermittler sozialer Sicherung. Sie ist in immer stärkerem Maße auch ihr Objekt geworden. Sozialleistungen erleichtern Unterhaltsleistungen (z. B. Kindergeld, Familienhilfe — § 205 RVO) oder ersetzen den durch den Tod des Verdieners weggefallenen Unterhalt (Hinterbliebenensicherung). Sie realisieren so das aus Art. 6 I GG abgeleitete Gebot, Ehe und Familie zu fördern, das allerdings dem Gesetzgeber in der Wahl und dem Einsatz seiner Mittel einen großen Gestaltungsspielraum läßt108. Aus ihm folgt kein Zwang, nicht-eheliche Gemeinschaften zu benachteiligen109, doch bleiben sie sozialrechtlich unberücksichtigt 110 , wenn man 102

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Dazu BVerfGE 18, 257 (267); 366 (373); Benda, (Fn. 74), S. 32 (38); Rüfner, VSSR 1974, 68 (80); Ruland, Arbeitslosigkeit, S. 68ff.; Scholz / Pitschas, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 627 (640); s. auch Badura, Der Staat 14 (1975), S. 41. Vgl. Ruland, FamRZ 1972, 537 ff. Dazu Blume, Möglichkeiten und Grenzen der Altenhilfe, 1968, S. 52ff.; v. Friedeburg / Weltz, Altersbild und Altersvorsorge der Arbeiter und Angestellten, 1958, S. 35. Dazu Ruland, Unterhalt, S. 238ff.; Zacher, DÖV 1970, 1 (12). BGH, FamRZ 1978, 236; LM § 844 II BGB Nrn. 2, 11; NJW 1960, 1200; s. auch BGHZ 74, 38ff.; H. Bogs, FamRZ 1978, 81. Ähnlich Gitter / Hahn-Kemmler, SGb 1979, 195 (200). BVerfGE 11, 105 (126); 22, 100 (103); s. auch 28, 258 (264); st. Rspr.: BVerfGE 43, 108(121). BVerfGE 9, 20 (34); BVerwGE 15, 306 (316). Zum Problem Behn, VSSR 1981, 328ff.; Rüfner, in: Landwehr (Hrsg.), Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, 1978, S. 84 ff.

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von der Möglichkeit absieht, ihretwegen subsidiäre Sozialleistungen zu versagen (§ 122 BSHG). d) Die Bedeutungßir Wirtschaft und Gesellschaft: Aufgabe des Sozialstaates ist es, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Zu ihr gehört auch ein leistungsfähiges System sozialer Sicherung. Es ist dies nicht nur ein Postulat im Interesse der auf diese Sicherung angewiesenen Bürger. Auch der Staat selbst ist auf sie als Faktor innenpolitischer Stabilität angewiesen 1 ". Mit der Not werden auch die sich aus ihr ergebenden sozialen Folgewirkungen (Kriminalität112, Unruhen) verhindert. Soziale Sicherung dient damit auch der Systemerhaltung113, ein Gesichtspunkt, dem sie mit ihre Entstehung verdankt, erinnert sei an die Fürsorge als Aufgabe der „Armenpolizei" und an die Komplementärfunktion der Sozialgesetzgebung Bismarcks zur Sozialistengesetzgebung. Soziale Sicherung ist aber mehr. Als Mittel sozialer Umverteilung zielt sie unter Änderung des überkommenen status-quo auf eine gerechtere Sozialordnung, insbesondere auf mehr Chancengleichheit (z. B. Ausbildungsförderung). Sie ist als „Sekundärverteilung" soziale Korrektur und Ergänzung der marktwirtschaftlich, vor allem nach Leistung vorgenommenen primären Einkommensverteilung 114 . Volkswirtschaftlich gilt der „einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer nur aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß". Dieser „Grundtatsache" gegenüber „werden alle juristischen und historischen Unterschiede hinfällig, also die Unterscheidung von Sozialversicherung, Sozialversorgung und Sozialfürsorge, es ist alles Sozialaufwand"115. Daher gibt es volkswirtschaftlich auch keine Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von Einkommensteilen von Periode zu Periode, auch kein „Sparen" im privatwirtschaftlichen Sinne, der gesamte Sozialaufwand muß aus dem laufenden Bruttosozialprodukt erwirtschaftet werden. Daher ist das Maß sozialer Sicherung stark konjunkturanfällig"6. Die seit Jahren zu beobachtenden „Konsolidierungen" machen dies allzu deutlich. In diesem Umstand liegt eine der Hauptschwierigkeiten, Anrechte auf Sozialleistungen, die erst noch finanziert werden müssen, dem Eigentumsschutz des Art. 14 111 112 113 114

115 116

Dazu Narr / Offe, Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, 1975, (vor allem) S. 23; Strasser, S. 64; Zacher, in: Fs. f. Ipsen, 1977, S. 207 (245). Dazu Stolleis, ZSR 1979, 261 (263). Brück, Allgemeine Sozialpolitik, 1976, S. 25ff.; Heimann, Soziale Theorie des Kapitalismus, 1929, S. 135; Standfest, Sozialpolitik als Reformpolitik, 1979, S. 52ff. V. Arnim, Volkswirtschaftspolitik, 3. Aufl., 1980, S.231; Bley, S.44f.; LiefmannKeil, Ökonomische Theorie der Sozialpolitik, 1961, S. 45ff.; Schmähl, Alterssicherung und Einkommensverteilung, 1977; Seidl, in: Ruppe (Hrsg.), Sozialpolitik und Umverteilung, (Wien) 1982, S. 20ff.; Transfer-Enquete-Kommission, S. 13ff.; Zacher, VSSR 1973, 97 ff. Mackenroth, in: Boettcher (Hrsg.), S. 45ff.; Rürup, DRV 1979, 349 (354). Vgl. Liefmann-Keil(Fn. 114), S. 79ff., 202ff., 335ff., 362ff„ 405ff.; Preller, Sozialpolitik, 1962, S. 78 ff.

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GG zu unterstellen 117 . Von der mehr als 30% des Bruttosozialprodukts erfassenden Umverteilung gehen aber auch konjunkturelle Wirkungen aus 118 . Sie sichern Konsum. Steigende Sozialabgaben dämpfen überdies eine Hochkonjunktur; steigende Sozialleistungen wirken in Zeiten einer Rezession konjunkturfördernd. Doch hat sich noch kein brauchbares Instrumentarium herausgebildet, diese konjunkturellen Auswirkungen von Sozialleistungen volkswirtschaftlich sinnvoll einzusetzen. In der Rentenformel waren zwar mit der zeitverzögerten Anpassung Ansätze enthalten gewesen, die aber aufgegeben werden mußten, weil in einer Rezession überdurchschnittlich ansteigende Renten nicht zu finanzieren sind. 5. Aufklärung — Beratung — Auskunft Damit man sich in dem unübersichtlichen System sozialer Sicherung zurechtfinden kann, bietet das Recht zahlreiche Hilfen. In den „Einweisungsvorschriften" v/erden dem Benutzer des SGB die einzelnen Sozialleistungen und die für sie zuständigen Leistungsträger „vorgestellt" (§§ 18 ff. SGB I). Er weiß dann immerhin, wo er nachschlagen oder hingehen muß. Für die vielen, die diese Bestimmungen nicht finden, sind die Informationsmöglichkeiten wichtiger119. Alle Leistungsträger und ihre Verbände haben die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären (§ 13 SGB I). Dies erfolgt generell, losgelöst vom Einzelfall. Bei einer konkreten Entscheidung hilft die Beratung (§ 14 SGB I) durch den Leistungsträger, um dessen Leistung oder Anspruch es geht. Diese Beratung nach Aufforderung wird ergänzt durch (unselbständige) Beratungs- und Betreuungspflichten im Zusammenhang mit der Bearbeitung z. B. von unzweckmäßig gestellten Anträgen 120 . Die Folgen einer fehlerhaften Beratung sind in beiden Fällen ähnlich: Je nach Fallsituation verliert der Leistungsträger die Einrede der Verjährung oder er 117

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119

120

Dazu BVerfGE 53, 164 (175); 257ff.; 55, 114 (131); 58, 81 (109); 60, 360 (371); 64, 87 (97); aus der Literatur zuletzt: Degenhart, BayVBl. 1984, 65ff.; Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, 1982, S. 21 ff.; Papier, VSSR 1973, 55ff.; Ruland, Beamtenversorgung, Rdnrn. 484ff.; H. Schneider, Der verfassungsrechtliche Schutz von Renten der Sozialversicherung, 1981; Stober / Stolleis / Rüfner / Papier / Grimm, in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, 1982. Zu ihnen: Jantz, in: Fs. f. Schreiber, 1969, S. 253ff.; Jecht und Molitor, in: Boettcher (Hrsg.), S. 274ff., 301 ff.; Külp und Kloten, in: Auswirkungen von Inflation, Konjunktur und Unterbeschäftigung auf das System der sozialen Sicherheit, 1978; Külp, VSSR 1979, 165 ff.; Pf äff / Schneider, in: Zacher, Beitrag, S. 397 ff.; Schlesinger, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 172ff.; Schmähl, VSSR 1974, 346ff. Krejci, VSSR 1975, 226ff.; Kunze, Aufklärung, Beratung, Auskunft im Sozialrecht, Diss. jur. Berlin 1977; Merten, VSSR 1974, 324 (333). Zum Ganzen ausführlich Jakumeit / Wilde, SGb 1971, 375ff.; Krejci, VSSR 1975, 212ff.; Schnapp, VSSR 1978, 449ff.; Terwey, Die rechtliche Betreuung des Bürgers nach dem SGB, 1980.

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muß wegen des von dem BSG entwickelten Herstellungsanspruchs121 den Geschädigten so stellen, wie er ohne den Fehler, d. h. bei richtiger Beratung, gestanden hätte. Im Bereich der Rentenversicherung erfolgt sie nicht nur durch Auskunfts- und Beratungsstellen, sondern auch durch die Versichertenältesten (§39 SGB IV). Eine „Wegweiserfunktion" kommt der Auskunft (§ 15 SGB I) zu, zu der die Krankenkassen, die Versicherungsämter (§ 93 I SGB IV) und nach Landesrecht bestimmte Stellen (Niedersachsen z. B. die Landkreise und kreisfreien Städte) verpflichtet sind. Sie soll helfen, den im Einzelfall zuständigen Leistungsträger zu ermitteln. III. Die Sozialhilfe 1. D i e Grundprinzipien 122

Die Sozialhilfe ist als subsidiäre Mindestsicherung Auffangnetz im System sozialer Sicherung. Dem, der sich nicht helfen kann oder der die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 I)123, hat sie die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 1 II 1). Aus ihrer Subsidiarität folgt, daß sie versuchen muß, sich selbst entbehrlich zu machen, indem sie den Hilfeempfänger so weit wie möglich befähigt, unabhängig von der Hilfe zu leben (§ 1 II 2). Sozialhilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe. Sie kann daher ausnahmsweise auch vorbeugend gewährt werden, wenn dadurch eine Hilfsbedürftigkeit ganz oder teilweise abgewendet werden kann (§§ 6 I, 36 I)124. Als Hilfe zur Selbsthilfe ist sie auf die Mitwirkung des Hilfeempfängers angewiesen (§ 1 II 2, 2. HS)125. Er kann verpflichtet werden, sich um Arbeit zu bemühen (§§ 19 f., 25) oder Ansprüche auf Unterhalt oder Sozialleistungen geltend zu machen. Am deutlichsten findet diese Zielrichtung ihren Ausdruck in der Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (§ 30). Konsequenz ihrer Subsidiarität ist auch, daß Hilfe nicht für die Vergangenheit beansprucht werden kann126. Die Sozialhilfe hat daher nicht für Schul-

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126

Zu ihm ausführlich: Funk, DAngVers 1981, 26ff.; Maier, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 313ff.; ders., SGb 1982, 133ff.; Terwey, a. a. O. S. 126ff. Zu ihr vor allem an Lehrbüchern und Überblicken: Freudenthal, Schulte / TrenkHinterberger, Tiesler;an Kommentaren: Gottschick / Giese, Knopp / Fichtner, Mergler / Zink, Oestreicher, Schellhorn / Jirasek / Seipp, jew. a. a. O. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des BS HG. Zu den Voraussetzungen: Schellhorn / Jirasek /Seipp, § 6 Rdnrn. 6ff. Zu den Grenzen: § 65 SGB I; dazu u. S. 430; s. auch Meier, Die Mitwirkungspflichten des Sozialhilfeempfängers, Diss. jur. Bochum 1976; Mergler / Zink, § 1 Anm. 26. BVerwGE 21, 258; 45, 238; 58, 150 in st. Rspr.

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den des Hilfeempfängers aufzukommen 127 . Leistungen auch für die Vergangenheit sind aber dann zu erbringen, wenn zu Unrecht eine geltend gemachte Hilfe verweigert wurde128, längstens jedoch bis zum Tode des Hilfeempfängers; die §§ 58, 59 SGB I gelten nicht129. Am Gegenwartsbezug der Hilfe scheitert grundsätzlich auch eine Hilfe für die Zukunft. Jedoch können Beiträge zur Krankenversicherung oder zur Alterssicherung (§§ 13, 14) übernommen werden; sie entlasten als Hilfe zur Selbsthilfe später auch den Sozialhilfeträger. Hilfe nach Beseitigung einer Notlage wird auch dann gewährt, wenn mit ihr die Wirksamkeit bereits gewährter Hilfen gesichert werden muß (§ 6 II). Die Sozialhilfe kann als Hilfe in der Not nicht nach deren Ursache fragen130. Sie ist zwangsläufig final Auch selbstverschuldete Not löst Hilfe aus, wenn der Bedürftige sie durch Arbeit oder Geltendmachung von Ansprüchen nicht selbst beseitigen kann 131 . Sozialhilfe ist von Amts wegen zu gewähren (§ 5). „Anträge" lassen dem Hilfeträger eine Notsituation bekannt werden. Er hat dann von sich aus den Fall zu überprüfen und gegebenenfalls weitere als die „beantragte" Leistung zu gewähren 132 . Gerade diese Konsequenz des Amtsprinzips zeigt, daß es — obwohl aus der „Armenpolizei" übernommen — wegen der Unbeholfenheit vieler Hilfeempfänger selbst dann unverzichtbar ist, wenn die Sozialhilfeträger nicht von sich aus die Armen aufspüren, sondern zumeist abwarten, bis sie angegangen werden133. Sozialhilfe darf aber nicht aufgezwungen werden. Die Not wird durch das individuelle Schicksal geformt. Daher haben sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe grundsätzlich nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu richten (§ 3 I). Der individuell ermittelte Bedarf soll durch individuell gestaltete Leistungen gedeckt werden. Kriterien der Individualisierung der Sozialhilfe sind die Person des Hilfeempfängers, ihr Alter, Gesundheitszustand, ihre Ausbildung etc., die Art des Bedarfs (Geld-, Sachmittel, persönliche Betreuung) und die örtlichen Verhältnisse. Dem Grundsatz entspricht, daß Wünschen des Hilfeempfängers, soweit möglich und vertretbar, entsprochen werden soll (§ 3 II)134. Doch setzt der Gleichheitssatz der Individualisierung von Bedarf und Hilfe vor allem bei der Hilfe zum Lebensunterhalt enge Grenzen135. Da Vorleistungen, die Differenzierungen rechtfertigen 127

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130 131 132 133 134 135

BVerwGE 20, 115; 192; 21, 209; 48, 185; dazu auch Giese, ZfF 1976, 2ff.; Schulte/ Trenk-Hinterberger, S. 114ff.; s. auch §§ 15a, 121! BVerwGE 21, 281; 40, 346. BVerwGE 58, 68fT. = JuS 1980, 386; Ihmels, DVB1. 1979, 579ff.; Schellhorn / Jirasek/Seipp, § 4 Rdnr. 26; a. A.: Wolff /Bachof, Bd. 3, S. 278. BVerwGE 29, 102; 32, 274; 35, 362. Vgl. §§25, 29a. Zu diesem „Gesamtfallgrundsatz": BVerwGE 22, 320; 39, 263. Zum Einsetzen der Sozialhilfe: Fichtner, BldW 1969, 130ff. Giese, ZfSH 1976, 1 ff.; Hannesen, BldW 1984, 34ff.; Igl/ Giese, ZfSH 1982, 65ff. Dazu Krüger, BldW 1968, 209; ders., ZfF 1969, 279; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 103 ff.

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würden, fehlen, müssen Bedarf und Hilfe standardisiert werden. Der Regelbedarf wird in Regelsätzen ausgedrückt (§ 22), die durch typisierte Mehrbedarfszuschläge (§ 23) aufgestockt werden können. Im Einzelfall sind Abweichungen möglich (§ 22 I 2). Stärker individuell geprägt sind die Hilfen in besonderen Lebenslagen, hier vor allem die persönlichen Hilfen. Das, was die Hilfe an Individualität verliert, gewinnt sie jedenfalls an Rechtssicherheit zurück. Ihr Ausmaß wird verläßlicher136. Individualisiert ist auch der Anspruch auf Hilfe. So hat in einer Familie jedes Mitglied seinen eigenen Anspruch auf Hilfe137, was nicht ausschließt, daß Eltern wegen ihres Sorgerechts den der minderjährigen Kinder geltend machen können (§ 1626 BGB)138. Erst bei der Bedarfsermittlung und der Festsetzung der Leistung wird die Familie als Bedarfsgemeinschaft (§11 12) berücksichtigt. Die Hilfe hat familiengerecht zu sein, sie darf insbesondere nicht den Zusammenhalt der Familie gefährden (§ 7), etwa durch zu rigorose Geltendmachung übergeleiteter Unterhaltsansprüche139. Auf Sozialhilfe besteht ein Rechtsanspruch, soweit das Gesetz nicht einzelne Hilfsarten in das Ermessen der Sozialhilfeträger stellt (§ 4 I). Das „Ob" der Leistung ist aber nur in wenigen Fällen in das Ermessen gestellt, z. B. bei der Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlagen (§ 30). Zumeist handelt es sich, soweit es keine Pflichtleistung ist, um eine „Soll"-Leistung (z. B. § 36 I 1), die nur in Ausnahmefällen verweigert werden darf. Über Art und Höhe der Leistungen ist, von gesetzlich angeordneten Ausnahmen (z. B. §§ 67 II, 69 III) abgesehen, als Konsequenz des Individualisierungsgrundsatzes nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 4 II). Aber in dem Maße, in dem Bedarf und Hilfe standardisiert worden sind, reduziert sich das Ermessen. Formen der Sozialhilfe sind persönliche Hilfe, Geld- oder Sachleistung (§ 8 I). Die Geldleistung überwiegt. Sie ist am einfachsten zu erbringen. Sie beläßt, wenn auch in bescheidenem Rahmen, die Freiheit der Verwendung. Auch wenn Sozialhilfe langfristig erbracht wird, wird sie keine rentenähnliche Dauerleistung140. Sie kann wegen ihrer Subsidiarität immer nur für bestimmte Zeiträume (zumeist: monatlich) bewilligt werden141. Geschieht es für länger, ist dies nur die Ankündigung jeweils erneuter (stillschweigender) Weiterbewilligung, sofern sich die Umstände nicht ändern 142 . Wird wegen einer Änderung die Hilfe eingestellt, ist Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) zu erheben 143 , 136 137 138 139 140 141 142 143

Schäfer, Fürsorge, S. 161 ff.; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 104; s. auch Zacher, SGb 1982, 329 (335). BVerwGE 25, 307; 55, 148. S. aber auch § 36 SGB I. Dazu Schubart, FamRZ 1966, 267 (268). BVerwGE 28, 216; BVerwG, ZfSH 1979, 372; NDV 1967, 281. Dazu Schellhorn / Jirasek / Seipp, § 4 Rdnr. 31. BVerwGE 28, 216. Gottschick / Giese, § 4 Rdnr. 8.3.

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ggf. eine einstweilige Anordnung (§ 123 VwGO) zu beantragen 144 . Ist die Bedürftigkeit nur vorübergehend, kann die Hilfe als Darlehen gewährt werden (§§ 15 a f., 27 II, 30 III, 56 II Nr. 1, 89), eine Ausnahme zum Grundsatz, daß die Hilfe nicht zurückzuzahlen ist (§ 92 I). Sachleistungen werden entweder in Natur (z. B. der Rollstuhl aus dem Bestand oder die Einweisung in ein Heim des Trägers) oder als Sachgutscheine (Kleidergutscheine, Fahr- oder Kinokarte) oder dadurch erbracht, daß der Hilfeträger die Kosten übernimmt (ärztliche Versorgung, Versicherungsbeiträge, § 14; Bestattungskosten, § 15). Wertvolle Sachen verbleiben zumeist im Eigentum des Sozialhilfeträgers. — Da die gehobene soziale Sicherung einkommensorientiert ist, hat die Sozialhilfe mehr als andere Sicherungsformen den (zumeist auch: atypischen) Bedarf an persönlichen Hilfen (Beratung145 und Betreuung) abzudecken (§ 9 II). Teils „kauft" sie sie „ein" (ärztliche Betreuung — §§ 37, 37b, 38, 49 II), teils erbringt sie sie selbst. Es kann sich dabei um ganz allgemeine Lebensberatung handeln (z. B. bei einer Umschuldung), meistens aber um spezifische Hilfen in besonderen Lebenslagen (z. B. Eingliederung Behinderter, § 40; Altenhilfe, § 45; Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten, § 72). Mit diesen persönlichen Hilfen muß staatliches Handeln tief in den Kernbereich der durch Not offengelegten Privatsphäre des einzelnen eindringen 146 . An der Qualität dieser Hilfen entscheidet sich die der Sozialhilfe überhaupt 147 . Die Arten der Sozialhilfe unterscheiden sich grundlegend in folgendem: Die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff.) deckt den notwendigen Lebensunterhalt (§ 12) ab. Sie ist innerhalb der Sozialhilfe die Mindestsicherung. Daher muß der Hilfesuchende grundsätzlich sein gesamtes Einkommen und Vermögen zur Selbsthilfe einsetzen (§§ 76, 88). Demgegenüber gehen die Hilfen in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff.) davon aus, daß der notwendige Lebensunterhalt des Hilfeempfängers gesichert ist, er aber nicht den durch die besondere Lebenslage hervorgerufenen Mehrbedarf aufbringen kann. Die Verschonungen bei der Anrechnung des Einkommens (§§ 79 ff.) belassen dementsprechend dem Hilfeempfänger die Mittel für seinen Lebensunterhalt. 2. Die Hilfe zum Lebensunterhalt a) Der notwendige Lebensunterhalt: Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt definiert die Höhe der Leistung den zum Lebensunterhalt notwendigen Bedarf. 144 145 146 147

Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 316f., 372; Thierfelder, ZfF 1971, 82f.; neuestens: Rotter, NVwZ 1983, 727. Dazu Seibert, Soziale Arbeit als Beratung, 1978. Zum Problem: Roscher, VSSR 1980, 199ff.; Krause, in: Vhdlgen d. 52. DJT, 1978, S. E57ff. Zur Bedeutung der Sozialarbeit vor allem die Referate der Fachtagung: „Persönliche Hilfe, ein Kernbereich sozialer Arbeit", NDV 1976, 129ff.; Merten, in: Sozialpolitik durch soziale Dienste, 1981, S. 17ff.; Thiersch / Rauschenbach, in: Handbuch Sozialarbeit-Sozialpädagogik, 1984, S. 984 ff.

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Wer in seiner Höhe eigene Mittel hat, ist nicht bedürftig und nicht anspruchsberechtigt. Das Gesetz bestimmt aber weder die Höhe der Leistung noch den mit ihr abzudeckenden Bedarf 148 . Als notwendigen Lebensunterhalt zählt es in § 12 lediglich nicht abschließend einige Bedarfsgruppen (z. B. Ernährung, Unterkunft, Kleidung) auf. Es schweigt sich aber darüber aus, in welchem Maße diese einzelnen Bedarfe zu befriedigen und damit als notwendig anzuerkennen sind. Bestimmt ist lediglich, daß die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt außerhalb von Heimen nach Regelsätzen gewährt werden (§ 22 I), die von den zuständigen Landesbehörden unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten festzusetzen sind. Sie sollen zusammen mit den Kosten der Unterkunft das Netto-Arbeitsentgelt unterer Lohngruppen zuzüglich Kindergeld und Wohngeld nicht überschreiten (§ 22 III 1, 2)149. Aber auch die dazu ergangene Regelsatz-VO 150 enthält nur Bestimmungen über Inhalt und Aufbau der Regelsätze und darüber, welche laufenden Bedarfe mit ihnen abgedeckt sind (z. B. Ernährung, Körperpflege, Kochfeuerung, Beleuchtung, Wäsche und Hausrat von geringem Anschaffungswert und deren Instandhaltung, Reinigung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, § 1 Regelsatz-VO). Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden, soweit angemessen, zusätzlich voll übernommen (§ 3 a. a. O.). Den von den Landesbehörden als Regelsätzen festgelegten DM-Beträgen liegt ein von dem Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge 151 erarbeiteter Warenkorb52 zugrunde, der den Bedarf quantifiziert und damit die in unserem Recht entscheidende Definition der Armutsgrenze darstellt. So stehen einem Erwachsenen im Monat z. B. 2385 g Roggenbrot, 40 g geschälte Erdnüsse, 690 g reife Bananen, 70 g Schinken, 100 g Fettseife, 5 Blatt Briefpapier, eine 30-km-DB-Rückfahrkarte, xh Kinokarte und ein Taschenbuch zu. Die Regelsätze waren der Betrag, mit dem man diesen detaillierten Warenkorb kaufen konnte 153 . Da ihre derzeit in der Höhe begrenzte Anpassung (§ 22) mit dem Preisanstieg nicht Schritt hielt, trifft das heute nicht mehr zu. Der „normale" Regelsatz ist der für den Haushaltsvorstand 154 . Bei ihm werden auch Bedarfe mit berücksichtigt, die zur allgemeinen Haushaltsführung rechnen (§ 2 II Regelsatz-VO), wie z. B. Kochfeuerung und Beleuchtung. Die Regelsätze für die übrigen Familienangehörigen sind niedriger und

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Zur Problematik vor allem Stolleis, N D V 1981, 99 ff. Dazu Deininger, N D V 1981, 104ff.; Gerster, TuP 1981, 417ff. V. 20. 7. 1962 (BGBl. I, 515); Sartorius 1,411. Zu ihm Tennstedt, ZSR 1981, 72 ff. Vgl. vor allem Petersen, Die Regelsätze nach dem BSHG, 1973, S. 19ff., 54, 68ff.; s. auch Galperin, NDV 1981, llOff.; Hoffmann / Leibfried, Neue Praxis 1980, 253ff. Krit.: Leibfried, N D V 1981, 263ff.; Strahlmann, Der Strafcharakter der Sozialhilferegelsätze, 1980; Werkentin, KJ 1974, 296ff.; s. auch Fichtner, TuP 1981, 411 ff.; s. auch Giese, ZfSH 1981, 321 (325 ff.). Zu ihm BVerwGE 15, 306.

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nach dem altersbedingten Bedarf unterschiedlich hoch festgesetzt (§ 2 III a.a. O.)155. Sie betragen ab 1. 7. 1984156: Haushaltsvorstand/Alleinstehender Haushaltsangehörige - bis 7 Jahre - zwischen 8 und 11 Jahren - zwischen 12 und 15 Jahren - zwischen 16 und 21 Jahren - älter als 22 Jahre

100% 45% 65% 75% 90% 80%

356 DM im Monat 160 231 267 320 285

DM DM DM DM DM

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Monat Monat Monat Monat Monat.

Diese Regelsätze erhöhen sich um den Mehrbedarfszuschlag (§ 23) von 30% bei alten (65 Jahre) oder erwerbsunfähigen Personen, bei werdenden Müttern oder bei Personen, die allein für zwei oder drei Kinder unter 16 Jahren sorgen. Sind es mehr Kinder, erhöht sich der Mehrbedarf auf 50%. Mit der Anerkennung eines „angemessenen" Mehrbedarfs für Erwerbstätige (§ 23 III) soll die Arbeitsbereitschaft gefördert werden. Er beträgt maximal 50% des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes. Die Zuschläge kumulieren. Die laufenden Leistungen für eine Familie mit 4 Kindern (3, 6, 8 und 15 Jahre), in der noch ein Großelternteil lebt, betragen (356 + 285 + 285 x 1,3 + 2 x 160 + 231 + 267 = ) 1817,80 DM zuzüglich der laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung (z. B. 720 DM). Bezieht der Haushaltsvorstand Einkommen, erhöht sich sein Regelsatz um 50%, d. h. um 178 DM. Der Gesamtbedarf beläuft sich dann auf 2715,80 DM. Zu diesen laufenden können einmalige Leistungen hinzutreten (§ 21 I). Mit ihnen wird einmaliger, wenn auch u. U. häufiger auftretender Bedarf (Anschaffung von Bekleidung oder von größerem Hausrat) abgedeckt157. Wegen der Kostensteigerungen, die die Erhöhungen der Regelsätze nur z. T. aufgefangen haben, werden zunehmend mehr einmalige Leistungen notwendig, um den laufenden Lebensunterhalt zu sichern158. Bei Heiminsassen werden die laufenden Unterbringungskosten übernommen und das Einkommen (z. B. die Rente), abzüglich eines Taschengeldes (etwa 90 DM), in Anspruch genommen (§ 21 III). b) Anspruchsberechtigung: Anspruch auf Sozialhilfe hat nur, wer den so ermittelten Bedarf nicht mit eigenem Einkommen oder Vermögen abdecken kann. Einkommen sind grundsätzlich alle Nettoeinkünfte (§ 76 II) in Geld (Renten, Kindergeld159, Arbeitslosengeld oder -hilfe, Zinsen etc.) oder Geldeswert (z. B. freies Wohnen), nicht jedoch Schmerzensgeld und die Grund155 156

157 158 159

Dazu Petersen (Fn. 152), S. 47 ff. Angaben für Niedersachsen, vgl. Runderlaß des nds. Sozialministers vom 30. 5. 1984, NdsMBl 1984, 597; zu den übrigen Bundesländern: Schulte / TrenkHinterberger, S. 147; NDV 1984, 290. Z. B. auch Teilnahme an einer Demonstration, Hess VGH, JuS 1984, 232f. Vgl. Mergler /Zink, § 21 Rdnr. 12a. Zu seinen sozialhilferechtlichen Auswirkungen: Mergler / Zink, § 72 Rdnr. 27 m. w. Nachw.; Schulte / Trenk-Hinterberger.S. 192 f.

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rente nach dem BVG (§§ 76 I, 77 II) und zweckbestimmte Leistungen (z. B. Pflege-, Bestattungsgeld), es sei denn, die Hilfe dient demselben Zweck (§ 77 I)160. Der Bezug von Ausbildungsförderung schließt eine Hilfe zum Lebensunterhalt aus (§ 26)161. Forderungen müssen geltend gemacht werden, soweit sie, weil in angemessener Zeit zu realisieren, „bereite Mittel" darstellen. Dazu rechnen auch Unterhaltsansprüche 162 . Vielfach wird Hilfe jedoch unabhängig davon gewährt und der Anspruch gem. § 90 übergeleitet. Vermögen ist, vom Schonvermögen (z. B. selbstbewohntes, kleines Einfamilienhaus 163 , Hausrat, Erbstücke) abgesehen, voll einzusetzen (§ 88)164. Da Familien aus „einem T o p f wirtschaften 165 , werden nicht getrenntlebende Ehegatten und — geht es um deren Bedürftigkeit — die im Haushalt lebenden minderjährigen unverheirateten Kinder zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefaßt (§ 11 I). Ihr Einkommen und Vermögen wird unabhängig von dem Ausmaß der (gesteigerten) Unterhaltspflichten 166 zusammengerechnet. Erst wenn es für alle in die Bedarfsgemeinschaft einbezogenen Personen nicht ausreicht, sind diese anteilig bedürftig und jeder für sich sozialhilfeberechtigt167. Über die Kernfamilie hinaus reicht die Haushaltsgemeinschaft (§ 16)168. Soweit Hilfesuchende in Wohnund Wirtschaftsgemeinschaften auf familiärer Grundlage mit Verwandten und Verschwägerten zusammenleben, wird widerlegbar vermutet, daß sie von ihnen unterhalten werden169. Auch die allein durch Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichnete eheähnliche Gemeinschaft170 stellt — schon um die Ehe nicht zu benachteiligen — eine Bedarfsgemeinschaft dar (§ 122). Der Hilfeempfänger muß bereit sein, zu arbeiten (§ 18). Diese Arbeitspflicht entspricht nicht nur der Subsidiarität der Hilfe171, sie ist auch ein Mittel, sozial Gefährdete zu „stabilisieren"172. Zumutbar ist grundsätzlich jede erlaubte 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169

170 171 172

Vgl. VO zur Durchführung des § 76 BSHG, v. 21. 1. 1962 (BGBl. I, 692), Sartorius, Nr. 414. Kritisch Krahmer, NDV 1981, 212ff. Zur Pflicht der Mutter eines nichtehelichen Kindes, Unterhaltsansprüche gegen dessen Vater geltend zu machen, BVerwG NJW 1983, 2954 = JuS 1984, 310. Dazu BVerwGE 47, 103ff.; BVerwG, NDV 1980, 321 ff. Vgl. die vom Deutschen Verein veröffentlichten „Empfehlungen für den Einsatz des Vermögens in der Sozialhilfe und der öffentlichen Jugendhilfe", 1971. BVerfGE 9, 20 (30); BVerwGE 15, 306 (312); s. auch BVerfGE 12, 180 (190). Vgl. Keese, NDV 1962, 295ff.; Ruland, Unterhalt, S. 85f. S. o. Anm. 137. Zu ihr von Maydell, ZfS 1963, 430 ff. Die Beweislast trifft den Hilfesuchenden: BVerwGE 21, 208 (213); 23, 255 (258); die Anforderungen dürfen jedoch nicht zu hoch sein: Fichtner, ZfF 1964, 3 (4); s. auch BVerwG, FEVS 25, 274. Zu ihr Grave, ZfF 1978, 152ff.; Jehle, ZfSH 1964, 137ff.; Perl, ZfF 1971, 37; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 172 ff. Generell: Zacher, SGb 1982, 329. Dazu BVerwGE 29, 99 (102).

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Tätigkeit173. Jedenfalls bei längerfristig Hilfsbedürftigen kann es schon aus Gleichheitsgründen keinen Berufsschutz geben (§ 18 III) 174 . Aus familiären Gründen (Kindererziehung) kann eine Erwerbstätigkeit unzumutbar werden175. Wer der Arbeitspflicht nicht nachkommt, verliert den Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt 176 . Als Ermessensleistung kann sie bis auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche beschränkt werden. Diese Sanktionen dürfen nicht zu Lasten der Familienangehörigen gehen (§ 25)177. Der Hilfeträger hat geeignete Tätigkeiten anzubieten, um die Arbeitsbereitschaft zu testen oder um den Hilfesuchenden wieder an Arbeit zu gewöhnen (§ 20 I). Er hat sich zusammen mit dem Arbeitsamt um einen Arbeitsplatz zu bemühen (§ 18 II) oder selbst Arbeitsgelegenheiten z. B. in städtischen Lagern oder Heimen zu schaffen (§ 19 I)178. Im zuletzt genannten Fall wird kein Arbeitsverhältnis begründet, der Betreffende bleibt Hilfeempfänger (§ 19 II, III). Anspruchsberechtigt sind dem Territorialitätsprinzip (§ 30 SGB I) entsprechend grundsätzlich auch Ausländer (§ 120 I), wenn sie nicht nur der Sozialhilfe wegen in das Bundesgebiet gekommen sind. Der Anspruch von Asylsuchenden kann auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche beschränkt werden (§ 120 II 3)179. Sofern nicht zwischenstaatliche Abkommen entgegenstehen, können Ausländer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, ausgewiesen werden (§ 10 I Nr. 10 AuslG)180. Deutschen im Ausland wird in Ausnahmefällen Sozialhilfe gewährt (§ 119)181. 3. Die Hilfen in besonderen Lebenslagen Nach der Streichung der Ausbildungshilfe gibt es noch 12 Arten der Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 27 I), von denen die Hilfe zur Pflege (§§ 68 ff.), die Eingliederungshilfe für Behinderte (§ 39 ff.)182 und die Krankenhilfe (§ 37) mit 96% des Gesamtaufwandes für diese Hilfen zahlenmäßig und wirtschaftlich am stärksten ins Gewicht fallen. Die Subsidiarität all dieser Hilfen ist eingeschränkt. Die allgemeine Einkommensgrenze (§ 79 I) soll dem Hilfeempfan173 174 175 176 177 178 179 180 181 182

Aber nur zu tariflichen Bedingungen, nicht als Streikbrecher, vgl. Schellhorn / Jirasek / Seipp, § 18 Rdnr. 14. So auch Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 179; s. auch BVerwGE 32, 362 (zum alten Rechtszustand!). Vgl. Knopp / Fichtner, § 18 Rdnr. 11; Mergler / Zink, § 18 Rdnr. 34. Dazu BVerwGE 12, 129ff. (verfassungsmäßig); Rode, ZfS 1980, 323ff.; s. auch Busch, ZfF 1977, 74ff. Vgl. BVerwG, NDV 1968, 139. Dazu Klein, NDV 1983, 333ff.; Krahmer, ZfSH 1981, 39ff.; zu besonderen Problemen bei Asylbewerbern: Binkert, ZfS 1982, 226ff. Dazu Rehnelt, ZfSH 1978, 104ff. Dazu BVerwG, NJW 1982, 2742 = JuS 1983, 230f. Zum Gesamtkomplex: Bender, DuR 1974, 36ff.; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 367 ff. Zu den beiden Hilfen Mrozynski, S. 155ff, 162ff.

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ger die zu seinem Lebensunterhalt notwendigen Mittel belassen. Sie errechnet sich für den Haushaltsvorstand aus dem Grundbetrag in Höhe des Doppelten seines Regelsatzes, den Kosten für Unterkunft (Miete, Nebenkosten, nicht: Heizung) und pro Familienmitglied einem Zuschlag in Höhe von 80% seines Regelsatzes. Erhöhte Einkommensgrenzen (§81) gelten für besonders kostenintensive Hilfen. Bei Schwerbehinderten ist der Freibetrag auf das 6fache des Regelsatzes erhöht (§ 81 III). Einkommen oberhalb dieser Grenzen, von denen beim Zusammentreffen mehrerer Hilfen die günstigste gilt (§ 83), ist in angemessenem Umfang einzusetzen (§ 84), soweit es im Bedarfszeitraum zufließt (Ausnahme: § 84 II, III). Nach dem Abzug „besonderer Belastungen" (z. B. Ausbildungskosten, Abzahlungspflichten; pauschal: 20%)183 wird zumeist ein Einsatz von 50-70% der Restmittel verlangt 184 . Einkommen unterhalb der Freigrenzen muß nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, vor allem dann, wenn eine Heimunterbringung zu häuslichen Einsparungen führt (§ 85). Deckt das einzusetzende Einkommen nur einen Teil der Aufwendungen ab, kann der Hilfeträger die Hilfe insgesamt erbringen und ihren Empfänger durch Bescheid zum Ersatz heranziehen (§ 29). Vermögen ist wie bei der Hilfe zum Lebensunterhalt grundsätzlich — vom Schonvermögen abgesehen — voll einzusetzen. Allerdings verfährt die Praxis bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen zu Recht großzügiger (s. § 88 III 2)185. Bei den meisten dieser Hilfen kommt ein Einsatz der Arbeitskraft nicht in Betracht (s. § 67 IV). 4. Kostenersatz und Überleitung von Ansprüchen Von dem Hilfeempfänger kann Kostenersatz nur innerhalb von 3 Jahren und nur dann verlangt werden, wenn er seine oder seiner Angehörigen Hilfsbedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat (§ 92 a)186. Diese Verpflichtung geht auf die Erben über, die — auf den Nachlaß begrenzt — grundsätzlich auch die Leistungen erstatten müssen, die dem Hilfeempfänger und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten in den letzten fünf Jahren vor dem Erbfall gewährt wurden (§ 92 c). Der Kostenersatz hat nur geringe wirtschaftliche Bedeutung. (Vermeintliche) 187 Ansprüche des Hilfeempfängers z. B. auf Unterhalt oder Sozialleistungen kann der Hilfeträger dadurch, daß er dem Schuldner die Hilfegewährung schriftlich anzeigt, insoweit auf sich überleiten, als ihre rechtzeitige Erfüllung die zu Recht gewährte Hilfe 188 erübrigt hätte (§ 90). Zugun183 184

185 187

188

Gottschick / Giese, § 84 Rdnr. 4.7. Vgl. im einzelnen die von dem Deutschen Verein veröffentlichten „Empfehlungen für die Anwendung der §§ 84ff. BSHG", 1975; die Grenze nach oben ergibt sich dann aus dem Unterhaltsanspruch! Vgl. BVerwGE 32, 89ff. 186 Dazu BVerwGE 51, 61. Das Bestehen des Anspruchs ist keine Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Überleitung, vgl. BVerwGE 34, 220; st. Rspr. 58. 214. BVerwGE 55, 26; krit.: Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 325; andernfalls ist sie zu erstatten, vgl. BVerwG, NJW 1983, 2954 = JuS 1984, 310.

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sten der Unterhaltsschuldner gelten die Einkommens- und Vermögensverschonungen für die Hilfen in besonderen Lebenslagen (§91 I)189. Die Überleitungsanzeige bewirkt, daß mit befreiender Wirkung nur noch an den Hilfeträger geleistet werden kann 190 . Sie ist ein Verwaltungsakt, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage 191 keine aufschiebende Wirkung haben (§ 90 III). Der übergeleitete Anspruch behält seine Rechtsnatur 192 . Ist er bestritten, muß er, handelt es sich z. B. um einen Unterhaltsanspruch, vor den Zivilgerichten eingeklagt werden193. Schadensersatzansprüche gehen kraft Gesetzes im Zeitpunkt der Schädigung auf den Sozialhilfeträger über, wenn durch sie die Hilfsbedürftigkeit ausgelöst wurde (§116 SGB X)194. 5. Träger und Finanzierung der Sozialhilfe Staatliche und private, insbesondere kirchliche Fürsorge standen seit jeher in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung und Verdrängung 195 . Das BSHG hat der freien Wohlfahrt96 ihren Tätigkeitsbereich vor allem durch eine Verpflichtung der staatlichen Stellen zur Zusammenarbeit (§§ 17 III, 28 II SGB I) und — im Bereich der persönlichen Hilfen — durch eine institutionelle Subsidiarität staatlicher Fürsorge garantiert (§ 10)197. So sollen insbesondere staatliche Einrichtungen (Heime etc.) nicht neu geschaffen werden, wenn die freie Wohlfahrt sie anbieten kann (§ 93 I). Zwischen mehreren Einrichtungen hat der Hilfeempfänger ein Wahlrecht (§ 3 II, III). Für die Kosten muß, soweit angemessen, der (staatliche) Träger aufkommen. Ihre Höhe wird zumeist durch Vereinbarung festgelegt (§ 93 II). Wegen der hohen Kosten will man die Heimunterbringung zurückdrängen (§ 3 a). Es gibt örtliche und überörtliche Sozialhilfeträger. Örtliche Träger sind die kreisfreien Städte und die Landkreise (§ 96 I), die einzelne Verwaltungsfunktionen auf die Gemeinden übertragen können 198 . Die Sozialhilfe gehört tradi189

190 191 192 193 194 195

196

197 198

Vgl. dazu die durch den Deutschen Verein veröffentlichten „Empfehlungen für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger", 2. Aufl., 1978; zu den unterhaltsrechtlichen Auswirkungen der Verschonungen: Giese / Brühl, FamRZ 1982, 11 ff.; 13ff.; Kunz, FamRZ 1977, 291 ff.; Ruland, Unterhalt, S. 98ff.; LG Offenburg, NJW 1984, 1189. BVerwGE 41, 115. Auch des Unterhaltsschuldners: BVerwGE 29, 229. BVerwGE 34, 219; BSG, Breithaupt 1972, 179; BSGE 41, 237. Auch das Pfändungsvorrecht nach § 850d ZPO bleibt erhalten, vgl. BAGE 23, 226. S. aber Küppersbusch, VersR 1983, 195f.; Ruland, JuS 1984, 71. Dazu v. Campenhausen, Kirche-Staat-Diakonie, 1982, S. 10ff.; Scheuner, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8, 1974, S. 43ff.; Stolleis, ZevKR 1973, 376ff.; Wegener, Staat und Verbände im Sachbereich Wohlfahrtspflege, 1978; Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, 1964. Zu ihr: Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, dargestellt am Rechtsstatus der Wohlfahrtsverbände, 1971. Dazu vor allem BVerfGE 22, 180 ff. Vgl. § 4 Nds AGBSHG; zur Kommune als Träger der Sozialarbeit ausführlich: Mötsch, in: Möglichkeiten und Grenzen der Sozialarbeit im sozialen Rechtsstaat, 1980, S. 55ff.; Wagener, Organisation kommunaler Sozialarbeit, 1981.

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tionell zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten199. Überörtliche Träger (§ 96 II) sind teils die Länder selbst (Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein), teils die Bezirke (Bayern), die Landeswohlfahrtsverbände (Baden-Württemberg, Hessen) oder die Landschaftsverbände (Nordrhein-Westfalen) 200 . Ihre sachliche Zuständigkeit ist gesetzlich enumerativ bestimmt (§§ 99 ff.). Im übrigen sind die örtlichen Träger zuständig. Für die örtliche Zuständigkeit ist grundsätzlich der Aufenthaltsort des Hilfesuchenden maßgeblich. Er bleibt es auch, wenn anderswo eine Heimunterbringung oder Strafhaft erfolgt (§§97 f.). Erstattungsansprüche zwischen den Hilfeträgern (§§ 103 ff.) sichern trotz Vorleistung die örtliche und sachliche Zuständigkeit. Für Streitigkeiten besteht eine Schiedsvereinbarung 201 . Die Länder führen das BSHG als eigene Angelegenheit aus. Sie haben die Ausgaben mit Ausnahme der Tbc-Hilfe (§ 66) zu tragen. Soweit die Kommunen zuständig sind, haben sie auch für die Kosten aufzukommen, die sie direkt oder indirekt (Kreisumlage) aus dem gemeindlichen Steueraufkommen (80%) und den staatlichen Finanzzuweisungen (20%) finanzieren. 6. Das Sozialhilferecht in der Diskussion Aktuell ist die Sozialhilfe in die Diskussion geraten, weil der Gesetzgeber mit den Kürzungen in ihr die Ärmsten der Armen getroffen hat202. Zwei wichtige Einwände treffen das System. Der Gesetzgeber hat die Definition der Armutsgrenze dem Deutschen Verein überlassen, der den Inhalt des Warenkorbes bestimmt hat. Ihre Umsetzung in Regelsätze erfolgt in vielen Ländern zudem noch durch Erlaß. All das entspricht nicht der Notwendigkeit, daß der Gesetzgeber die „wesentlichen" Entscheidungen selbst treffen muß203. Bedenklich stimmt auch, daß die Sozialhilfe nur einen Teil der Armen erfaßt. Die Dunkelziffer der latent Hilfeberechtigten ist hoch, bei der Hilfe zum Lebensunterhalt vermutlich 100% der tatsächlichen Hilfeempfänger 204 . Das hat zur Kritik an der „Filterung des Armutspotentials'aos geführt, die durch gesellschaftliche Wertungen („Angewiesensein auf Hilfe als Folge eigenen Versagens"), durch das System (Verzicht auf Hilfe, damit keine Angehörigen in Anspruch genommen werden) oder durch die Verwaltung („bürokratische 199 200 201 202

203 204

205

Dazu BVerfGE 22, 180 (199ff.), Rüfner, S. 46. Einzelheiten bei Wolff / Bachof, Bd. 3, S. 286 ff. Abgedruckt: N D V 1965, 326ff.; vgl. Schellhom / Jirasek/Seipp, § 103 Rdnr. 4. Krit. Niedrig / Hoppensack, TuP 1977, 363ff.; s. auch Fichtner, NDV 1981, 257ff.; s. auch Deutscher Verein, NDV 1983, 1 ff. Dazu Stolleis, N D V 1981, 99 ff. Vgl. Hartmann, Sozialhilfebedürftigkeit und „Dunkelziffer der Armut", 1981; ders., TuP 1981, 431 ff.; ders., N D V 1982, 215; s. auch Albrecht / Reidegeld, Soz. Sich. 1977, 138; Bujard / Lange, Armut im Alter, 1978, S. 138ff.; Galperin, N D V 1982, 222 ff. Leibfried, KJ 1976, 376ff.; Schulte / Trenk-Hinterberger, S. 383.

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Schwelle") erfolgt. Vielfach fehlt es auch an ausreichenden Informationen. Derzeit werden die Schwellen aber eher erhöht (Ausweitung der Subsidiarität gegenüber familiärem Unterhalt) als abgebaut. Solange die Sozialhilfeträger mit an sich versicherbaren Hilfsfällen überlastet sind (Pflegefälle)206, kann sich in ihrem Bereich kaum etwas zum Besseren hin bewegen207. IV. Sonstige staatliche Hilfen 1. Das Kindergeld Der Familienlastenausgleich vollzieht sich neben steuerrechtlichen Vergünstigungen (z. B. Ehegattensplitting) vor allem durch das Kindergeld208. Es ist, nachdem die Altenversorgung durch Vorsorge- und Entschädigungssysteme „vergesellschaftet" wurde, eine notwendige Ergänzung des ihr zugrundeliegenden Generationenvertrages109. Das Kindergeld beträgt 1984 monatlich für das erste Kind 50 DM, das zweite 100 DM, das dritte 220 DM und für das vierte und jedes weitere Kind 240 DM, wenn das typisierte Netto-Jahreseinkommen (§ II) 210 des Berechtigten 25920DM (Ledige: 18120DM) nicht übersteigt, andernfalls wird es für das zweite bis auf 70 DM und für jedes weitere Kind bis auf 140 DM gekürzt (§ 10). Der Berechtigte und das Kind müssen ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Inland haben (§§ 1, 2 V)211. Die Altersgrenze liegt nunmehr schon bei 16 Jahren. Bis zum 27. Lebensjahr werden Kinder nur berücksichtigt, solange besondere Gründe (z. B. Schul- oder Berufsausbildung ohne eigenes Einkommen über 750 DM/Monat) vorliegen. Verzögert der Wehrdienst den Abschluß der Ausbildung, verlängert sich die Anspruchsdauer über das 27. Lebensjahr hinaus. Für Schulabgänger ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz liegt die Altersgrenze bei 18 Jahren (§ 2 II-V). Kindergeld wird für ein Kind nur einmal gewährt (§ 3 I). Es wird durch sonstige Kinderzulagen oder -Zuschüsse verdrängt (§ 8)212. Die Rangfolge zwischen mehreren Berechtigten (§ 3) weist das Kindergeld dem zu, der das Kind tatsächlich unterhält. Die Aufwendungen trägt der Bund 206 207

208

209 210 211

212

Zur Notwendigkeit einer Pflegeversicherung schon o. Anm. 77. Vorschläge zur Weiterentwicklung des Sozialhilferechts bei Frank, VSSR 1981, 221 ff.; s. auch Deutscher Verein, Vorschläge zur Weiterentwicklung der Sozialhilfe, 1976. Zu ihm Maschler, a. a. O.,; Ruland, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 437ff.; Wickenhagen / Krebs, a. a. O.

S.o. Fn. 91.

Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des BKGG. Vorbehaltlich zwischenstaatlicher Abkommen. Zum Schulbesuch des Gastarbeiterkindes im Heimatland: BSG, SozR 5870 §2 BKGG Nr. 25; Asylbewerber haben nach st. Rspr. noch keinen ständigen Aufenthalt: BSG, SozR 5870 § 1 BKGG Nrn. 6, 10. Dazu BVerfGE 22, 163 (168); 30, 355 (364).

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(§ 16), ausgezahlt wird das Kindergeld in dessen Auftrag von der Bundesanstalt für Arbeit als „Kindergeldkasse" (§ 15). Beamte erhalten es von ihrem Dienstherrn (§ 45 I lit. a). 2. Das Wohngeld Wer für eine angemessene Wohnung unzumutbar viel ausgeben muß 213 , erhält Wohngeld 214 (§ 7 SGB I, § l)215. Es wird für Mieter als Mietzuschuß, für Eigentümer eines Eigenheims oder einer Eigentumswohnung als Lastenzuschuß gewährt (§§ 2, 3). Seine in Tabellen festgelegte Höhe ist abhängig zum einen von dem Wohnraumbedarf, der mit der Zahl der zusammenwohnenden Familienmitglieder (§ 4) steigt, zum anderen von der Höhe der Aufwendungen, die aber nur bis zu gesetzlich festgelegten, von der Einwohnerzahl der Gemeinde, dem Alter und der Ausstattung der Wohnung abhängigen Beträgen berücksichtigt werden (§§ 7, 8), z. B. 5-Personen-Haushalt, Gemeinde über 500000 Einwohner, Neubau: 770 DM. Die Zumutbarkeit der Aufwendungen hängt von der Höhe des überaus kompliziert zu ermittelnden (§§ 11 ff.) Familieneinkommens (§§ 9 f.) ab. Das Wohngeld beträgt in dem eben genannten Beispiel bei einem Familieneinkommen von 1800 DM und der Miete von 770 DM: 270 DM. Es ist gegenüber vergleichbaren Leistungen (z. B. § 12 BSHG i. V. m. § 3 Regelsatz-VO; § 27 c BVG) aber auch gegenüber der Ausbildungsförderung (§ 41 III) subsidiär, so daß z. B. alleinstehende Studenten, denen BAföG zusteht, für ihre Unterkunft am Studienort grundsätzlich kein Wohngeld erhalten216. Es wird auf 1 Jahr bewilligt und ist dann neu zu beantragen (§§ 23, 27). Das WoGG wird von den Ländern im Auftrag des Bundes durchgeführt, der 50% der Aufwendungen trägt (§ 34). 3. Der Unterhaltsvorschuß Eine weithin unbekannte Hilfe ist der Unterhaltsvorschuß bzw. die Unterhaltsausfalleistung217. Der Vorschuß wird für längstens 3 Jahre an Kinder unter 6 Jahren gezahlt, die bei einem alleinstehenden Elternteil leben und von dem anderen keinen (regelmäßigen) Unterhalt erhalten, obwohl sie sich, soweit möglich und aussichtsvoll, durch Klage darum bemüht haben. Gleichgestellt sind Kinder, bei denen es zum Unterhaltsausfall kommt, weil der andere Elternteil verstorben, im Ausland oder unbekannten Aufenthalts oder — bei nichtehelichen Kindern — nicht bekannt ist (§ 1 UnterhVG). Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Elternteils, bei dem das Kind lebt, und auf son213 214 215 216 217

Auch Sozialhilfeempfänger, vgl. BVerfGE 27, 220. Zu ihm: Schwerz, Das neue Wohngeldrecht, 1979 ff.; Stadtler / Gutekunst, 2. Wohngeldgesetz, 1971 ff. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des WoGG. Dazu BVerwGE 44, 271; nicht bei Darlehen: BVerwGE 54, 358. Dazu Köhler, NJW 1979, 1812; Scholz, Unterhaltsvorschußgesetz, 1980; s. auch Rehnelt, NDV 1983, 295 ff.

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stige Unterhaltsansprüche, z. B. gegen Großeltern, kommt es nicht an. Angerechnet werden aber Kindergeld (zur Hälfte) und Waisenrente (§ 2 III a. a. O.). Die Höhe der Leistung bestimmt sich nach dem Regelbedarf für nichteheliche Kinder. Der Unterhaltsschuldner wird nicht frei. Der Anspruch geht über (§ 7 a. a. O.). Das Gesetz wird von den Ländern durch die Jugendämter im Auftrag des Bundes (Kostenanteil: 50%) durchgeführt (§ 8 a. a. O.). 4. Die Ausbildungsförderung Die Ausbildungsförderung 218 ist als Entfaltungshilfe eine Sonderform staatlicher Hilfe. Gleichheit setzt Chancengleichheit voraus. Sie in dem für die weitere Lebensgestaltung so wichtigen Bereich der Ausbildung zu eröffnen, ist Aufgabe dieser Hilfe 219 . Sie ergänzt das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 I GG) auf einfachgesetzlicher Ebene i. S. eines Teilhaberechts ( § 2 1 SGB, § l) 220 . Der Gesetzgeber hat — von steuerrechtlichen Verschonungen abgesehen (§ 33 a II EStG) - die Ausbildungsförderung weitgehend auf die Leistungen nach dem BAföG beschränkt. Die Ausbildungshilfe (§ 41 BSHG a. F.) ist gestrichen worden. Das AFG fördert keine Hochschulausbildung als berufliche Bildung mehr (§ 34 IV AFG). Im BAföG selbst ist die Förderungsart ausgetauscht worden: War früher der Zuschuß die Regel, ist es heute das Darlehen (§ 17). Wichtigste Ausnahme ist das eingeschränkte (§ 12 II 2) Schüler-BAföG, das (noch) als Zuschuß gewährt wird. Die Förderung ist subsidiär. Einkommen und Vermögen des Auszubildenden, seines Ehegatten und zumeist auch seiner Eltern dürfen gesetzlich festgelegte Grenzen nicht überschreiten (§ 11 II). Förderungsfähig ist der Besuch von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen (normalerweise ab der 10. Klasse, § 10 I, II) von Abend- 221 , Berufsfach-, höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen, aber auch die Teilnahme an entsprechenden Fernunterrichtslehrgängen (§§ 2, 3). Vorausgesetzt wird grundsätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 8). Das Höchstalter bei Beginn der Ausbildung ist inzwischen auf 30 Jahre gesenkt worden, Ausnahmen betreffen vor allem die Absolventen des 2. Bildungswegs (§ 10 III). Geeignet ist man schon dann, wenn zu erwarten ist, daß das angestrebte Ausbildungsziel erreicht wird (§ 9 I, II). Das wird, solange die Ausbildungsstätte besucht wird, unterstellt. Lediglich Studenten müssen mit Prüfungsbescheinigungen einen Zwischennachweis führen (§§ 9 II, 48). Gefördert wird grundsätzlich nur die Erstausbildung im Rahmen der durch Verordnung festgesetzten Förderungshöchstdauer (§ 15 III i. V. m. § § 1 - 1 0 218

219 220 221

Zu ihr vor allem Bachmann, Jaron / Knudsen, Rothe / Blanke, jew. a. a. O.; s. auch Majerski, FamRZ 1978, 161 ff.; Menke, Die Rechtsansprüche auf Bildungsförderung nach dem BAföG und dem AFG, 1975; Riedmaier, D ö D 1977, 163ff. S. o. Fn. 88. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des BAföG. Neben der Ausbildung darf aber keine Berufstätigkeit ausgeübt oder gefordert werden (§ 2 V), dazu BVerwG, FamRZ 1976, 242.

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Förderungshöchstdauer-VO) 222 , die nur wegen schwerwiegender Gründe (z. B. lang andauernde Erkrankung 223 , nicht aber: zusätzliche Belastung aus Doppelstudium 224 oder Pflege erkrankter Angehöriger225), einer Ausbildung im Ausland, der Mitwirkung in Hochschulgremien oder wegen des erstmaligen Nichtbestehens der Abschlußprüfung verlängert werden kann (§ 15). Zweitausbildungen werden, sofern die Erstausbildung nicht an einer Berufsschule erfolgte, nur unter erschwerten Voraussetzungen gefördert, z. B. dann, wenn sie die Erstausbildung in derselben Richtung fachlich weiterführen und auf längstens 2 Jahre angelegt sind (nicht z. B. Jurastudium nach Rechtspflegerausbildung) 226 oder sie für den angestrebten Beruf erforderlich sind (z. B. Zusatzausbildung nach der ersten Lehrerprüfung für das Lehramt an Sonderschulen). Fachhochschulabsolventen können an wissenschaftlichen Hochschulen weiterführend studieren; Absolventen des 2. Bildungswegs können noch ein Studium gefördert bekommen (§ 7 II). Wird die 1. Ausbildung aus wichtigem Grund (z. B. gesundheitliche Gründe, Neigungswechsel227, u. U. auch Parkstudium22*, nicht: endgültiges Scheitern in der ersten Ausbildung)229 abgebrochen, kann eine 2. Ausbildung gefördert werden (§ 7 III). Die Höhe der Förderung hängt vom Bedarf ab230. Er beträgt z. B. bei Schülern 510 DM, bei auswärts Studierenden (einschließlich Unterkunft) 690 D M / Monat, zuzüglich des Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag von 38 DM (§§ 12 ff.). Kann dieser Bedarf durch anzurechnendes Einkommen oder Vermögen des Auszubildenden, seines Ehegatten oder seiner Eltern gedeckt werden, entfallt die Förderung. Einkommen ist die Summe der positiven Einkünfte i. S. des § 2 I, II EStG des vorletzten Jahres vor der Förderung. Verluste aus anderen Einkunftsarten oder des zusammenveranlagten Ehegatten können grundsätzlich nicht mehr verrechnet werden (§§21 ff.). Steuerliche Subventionen sollen nicht auch noch zur Ausbildungsförderung berechtigen231. Freibeträge zugunsten des Ehegatten (1030, ab 1.6. 1985 1050 DM) und der Eltern (1510, ab 1.6. 1985 1540 DM) zuzüglich eventueller Kinderzuschläge und des anrechnungsfreien Differenzbetrages (25% -I- 10% pro Kind) sollen — trotz Anpassungspflicht (§ 35) unzureichend — den Eigenbedarf dieser Personen sichern (§ 25). Einkommen der Eltern bleibt außer Betracht 232 , wenn der Auszubildende ein Abendgymnasium besucht, bei Beginn 222 223 224 225 226 227 228

229 230 231 232

BGBl. 1981 I, 577; zuletzt geändert BGBl. 1983 I, 220. BVerwG, FamRZ 1982, 544. OVG Hamburg, FamRZ 1982, 207. BVerwG, FamRZ 1982, 204 m. zu Recht krit. Anm. v. Bosch. OVG Münster, FamRZ 1982, 851. Dazu BVerwGE 50, 161 (164). Vgl. neuestens: BVerwG, ZfSH / SGB 1984, 43 und 45ff.; a. A.: VGH Baden-Württemberg, FamRZ 1982, 209. OVG Münster, FamRZ 1982, 646. Nur des Auszubildenden! Familienzuschläge gibt es nicht, vgl. Bley, S. 358. Dazu Pohle, FamRZ 1981, 937. Auf unterhaltsunabhängige Förderung besteht mithin kein Anspruch, BVerwGE 49, 331.

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der Ausbildung 30 Jahre alt oder zuvor schon 5 Jahre erwerbstätig war oder wenn sie ihm gegenüber durch Gewährung einer Ausbildung ihrer Unterhaltspflicht nachgekommen sind (§ 11 III) 233 . Kommen Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nach, wird Ausbildungsförderung voraus geleistet. In Höhe der Leistungen geht kraft Gesetzes der Unterhaltsanspruch über (§§ 36 f.). Die als Förderung geleisteten Darlehen werden vom Verzug bei der Rückzahlung abgesehen nicht verzinst (§ 18 I). Sie sind nach Ablauf von 5 Jahren innerhalb von 20 Jahren zurückzuzahlen (a. a. O. Abs. 2). Die Rückzahlungspflicht wird ausgesetzt, wenn der Verpflichtete nur geringes Einkommen (990 DM + Familienzuschläge) erzielt (§ 18 a). Ein gutes Examen bewirkt einen Teilerlaß des Darlehens (§ 18 b). Zuständig sind die Ämter und Landesämter für Ausbildung (§§ 40ff.). Weil der Bund zu 65% die Ausgaben trägt (§ 56), wird das Gesetz in seinem Auftrag von den Ländern vollzogen (§ 39 I). Die Darlehensverwaltung obliegt dem Bundesverwaltungsamt (a. a. O. Abs. 2). Über die auf Antrag zu gewährende Förderung wird in der Regel für ein Jahr entschieden (§§ 46, 50). Sie wird aber nur für die Dauer der Ausbildung gewährt. Unterbrechungen ohne wichtigen Grund führen zum Verlust der Förderung. Das gilt auch für einen Vorlesungsboykott234.

V. Das Arbeitsförderungsrecht Die teilhaberechtliche Komponente des Art. 12 GG verpflichtet den Staat im Rahmen des „magischen Vierecks" zur Vollbeschäftigungspolitik (§ 1 StabG)235. Ihr dient vor allem das Arbeitsförderungsrecht 236 (§ l) 237 , das mehr noch als das frühere AVAVG Arbeitslosigkeit verhindern und bekämpfen will238. Die wirtschaftliche Sicherung Arbeitsloser ist nur ultima ratio, auch wenn sie derzeit im Vordergrund steht. Arbeitsförderung bedeutet aber auch Versorgung von Wirtschaft und Verwaltung mit qualifizierten Arbeitskräften 233

234 235

236

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Zu den Grenzen der unterhaltsrechtlichen Verpflichtung, eine Zweitausbildung zu finanzieren, BGH, FamRZ 1977, 629; 1980, 1115; 1981, 344; 346; 437; s. auch Brohl, FamRZ 1983, 1195 ff. BVerwGE 47, 99; 55, 288; OVG Münster, FamRZ 1982, 327. Vgl. Badura, Der Staat 14 (1975), S. 17 (20f.); ders., in: Fs. f. Berber, 1973, S. 11 (21); Gagel, § 1 Rdnr. 57a; Ruland, Arbeitslosigkeit, S. 75; Schäfer, VSSR 1982, 297 (306ff); Schmidt, Der Staat 1981, Beiheft 5, S. 10 (24); krit. Tomandl, Der Einbau sozialer Grundrechte in das positive Recht, 1967, S. 33f.; Zacher, Sozialpolitik, S. 798. Zu ihm vor allem Gagel, Gemeinschaftskommentar zum AFG, Hennig / Kühl / Heuer, Siegers, Krebs, Schönefelder / Kranz / Wanka, Bemdt / Traeger, jew. a. a. O. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des AFG. Vgl. BVerfGE 53, 313 (324); Hoppe, ZSR 1977, 381 ff.; s. auch BA, Überlegungen zu einer vorausschauenden Arbeitsmarktpolitik, 1979.

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(§§ 2 Nr. 1, 14). Zuständig ist die Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Hauptstelle in Nürnberg (§§ 3, 189 I 2, II), eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 189 I l) 239 . Untergliederungen sind die Landesarbeitsämterund die Arbeitsämter. 1. Beschäftigung und Arbeitsmarkt Die BA hat, um die ihr gesetzten Ziele — hoher Beschäftigungsstand und Verbesserung der Beschäftigungsstruktur (§ 1) — erreichen zu können, ein differenziertes Instrumentarium 240 . Sie kann die Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes beeinflussen durch Kontrolle und z. Zt. Beschränkung des Zugangs von Ausländem (Arbeitserlaubnis, § 19)241, durch Berufsauflclärung (Berufswahlunterricht, Informationszentren etc., § 31), durch Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (§§ 3 II 2, 6) und durch Bekämpfung illegaler Beschäftigung (§ 2 Nr. 8). Mit Zuschüssen zu Vorruhestandsleistungen sollen durch Herausnahme älterer Arbeitnehmer Arbeitsplätze für jüngere freigemacht werden (§§ lff. VRG) 2 4 U . Klassische Aufgabe der Arbeitsämter sind die Berufsberatung (§ 15) und die Arbeitsvermittlung (§§ 13ff.). Für beides steht der BA ein Monopol (§ 4) zu 242 . Zur Förderung der Arbeitsaufnahme können Zuschüsse zu den Kosten der Bewerbung, des Umzugs oder der Familienheimfahrten gewährt werden (§ 53). Von größerer Bedeutung sind aber strukturelle Subventionen. So kann die BA die Schaffung neuer Arbeitsplätze (§§ 54, 91 II, 94, 97, s. a. § 49) und Investitionen zugunsten einer ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (§§ 74 ff.) fördern 243 . Das Kurzarbeitergeld244 (§§ 63 ff.) soll bei vorübergehendem, nicht branchenüblichem Arbeitsausfall aus wirtschaftlichen Gründen Arbeitsplätze erhalten. Es bemißt sich nach dem Arbeitsentgelt, das ohne die Kurzarbeit erzielt worden wäre (§ 68 I). Mit ähnlicher Funktion soll das Schlechtwettergeld für Arbeitnehmer im Baugewerbe einen witterungsbedingten Einkommensverlust ausgleichen (§§ 83 ff.) 245 . Mit der Qualifikation der Arbeitnehmer, insbesondere der Arbeitslosen, soll die Beschäftigungsstruktur 246 verbessert werden. Dem dienen individuelle Ausbildungs-, Fortbil239

Zu ihrem Selbstverwaltungsrecht u. S. 436. S. auch den Überblick bei Winterstein, S. 93 ff. 241 Zu diesem „Puffer" für die Arbeitslosenversicherung: Kühl, ABA 1974, 82; s. auch Höfler, SGb 1982, 59ff.; Reuter, JuS 1976, 608; Rittstieg, NJW 1978, 1078. 241a BGBl. 1984 I, 601; dazu Albrecht, DRV 1984, 296ff.; Seidel / Stephan, DAngVers 1984, 27lff. 242 Verfassungsmäßig: BVerfGE 22, 271 ff. 243 Zu ihm: Kranz, Winterbau-Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft, 1973. 244 Zu ihm Jülicher, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 201 f. 245 Dazu Kranz, Schlechtwettergeld und Förderung der Bautätigkeit im Winter, 3. Aufl., 1972. 246 Dazu ausführlich Gagel, § 1 Rdnrn. 7 ff. 240

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dungs- und Umschulungsmaßnahmen (§§ 33 ff.)247. Institutionell wird der Aufbau, die Errichtung und die bessere Ausstattung von Bildungseinrichtungen gefördert (§§ 50ff.). Die gegenüber sonstigen staatlichen Förderungen subsidiäre (§ 37) individuelle Förderung ist als Sparmaßnahme enger an ihre arbeitsmarktpolitische Zweckmäßigkeit (§ 36 Nr. 3)248 geknüpft worden 249 . Bei all diesen Maßnahmen werden die Kosten übernommen (§§ 45, 47). Außerdem wird Berufsausbildungshilfe (§§ 40 ff.) oder Unterhaltsgeld gezahlt, letzteres in Höhe zumeist des Arbeitslosengeldes (§§ 44, 47). Es setzt eine vorangegangene 2jährige beitragspflichtige Beschäftigung oder die mit einer Rückzahlungspflicht sanktionierte Verpflichtung voraus, anschließend 3 Jahre lang eine beitragspflichtige Beschäftigung auszuüben (§ 46). Gruppenspezifisch soll die Beschäftigungsstruktur durch gezielte Maßnahmen etwa zugunsten älterer Arbeitnehmer (§§ 97 ff.) verbessert werden. Behinderten hat die BA berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation zu gewähren (§§ 56 ff.)250. 2. Arbeitslosengeld — Arbeitslosenhilfe Bei Arbeitslosigkeit sieht das AFG 2 Leistungsarten vor: Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe251. Sie setzen zunächst voraus (§§ 100, 134 I Nr. 1), daß der Arbeitnehmer (§§ 168 I 1, 101 II) arbeitslos ist und sich als solcher gemeldet und die Leistung beantragt hat (§ 105). Arbeitslos ist er, wenn er vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung — weniger als 20 Stunden wöchentlich (§ 102 I) — ausübt (§ 101 I 1). Das „vorübergehend" darf nicht zu eng verstanden werden. Es kann Jahre dauern und erfaßt selbst den Fall, daß z. B. wegen des Alters eine Rückkehr ins Erwerbsleben nicht mehr möglich oder gewollt ist252. Eine mehr als kurzzeitige Tätigkeit als Selbständiger oder als mithelfender Familienangehöriger schließt Arbeitslosigkeit aus. Gleiches gilt für mehrere kurzzeitige Beschäftigungen von zusammen mehr als 20 Stunden. Der Arbeitslose muß der Arbeitsvermittlung zur Verfugung stehen (§ 103). Objektiv setzt dies, abgesehen davon, daß er für das Arbeitsamt erreichbar sein muß (§ 103 I 1 Nr. 3), voraus, daß er vor allem aus gesundheitlichen Gründen zu den üblichen Bedingungen beschäftigt werden kann. Allerdings steht im Interesse der Nahtlosigkeit von Arbeitsförderungs- und Rentenversicherungsrecht 253 eine längere 247

248 249 250 251

252 253

Barnofski, BAB1. 1974, 684; Hoppe, SozArb 1974, 151; ders., SozVers. 1974, 144ff.; Hoppe / Berlinger, Förderung der beruflichen Bildung, 1978; Siegers, BIStSozArbR 1977, 217; Thieme, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 365ff. Dazu Hoppe, SF 1973, 39; ders., SF 1976, 217; Schneider, Soz. Sich. 1975, 170. Zur generellen Problematik: Rüfner, ZRP 1980, 114 (118) m. w. Nachw. Dazu ausführlich Mrozynski, S. 127 f. Vgl. Heuer / Lomb, Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe, 1972; Thieme, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 378ff. Schönefelder / Kranz / Wanka, § 101 Rdnr. 12. Zu ihr die Schrift: „Empfiehlt es sich, die Voraussetzungen für Sozialleistungen an leistungsgeminderte Personen zur Herstellung der Nahtlosigkeit neu zu regeln?", 1979.

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Minderung der Leistungsfähigkeit Arbeitslosigkeit nur dann entgegen, wenn Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vom Rentenversicherungsträger festgestellt wurde (§§ 105 a, 134 VI 2). Trotz einer Erkrankung während des Leistungsbezugs wird für 6 Wochen die Leistung weiter gewährt (§§ 105 b, 134 VI 1), erst danach zahlt in ihrer Höhe die Krankenkasse Krankengeld (§ 158 I i. V. m. § 183 VI RVO). Wer über 65 Jahre alt ist, erhält keine Leistungen mehr (§ 100 II)254. Auch sonstige Gründe können ausschließen, daß man der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht: z. B. Beschäftigungsverbote255, Strafhaft, Ausbildung (§ 118a)256, häusliche Bindungen — nicht aber wegen Kindererziehung und Betreuung Pflegebedürftiger (§ 103 I 3 Nr. 1), Trunksucht (a. a. O. Nr. 2). Subjektiv muß Arbeitsbereitschaft bestehen. Sie muß alle Beschäftigungen umfassen, die der Arbeitslose seinen Fähigkeiten nach ausüben kann und die ihm unter Abwägung seiner Interessen und der der Gesamtheit der Beitragszahler zumutbar sind (§ 103 I 1 Nr. 2, II). Präzisiert wird dies in der Zumutbarkeits-Anordnung (ZA)257 des Verwaltungsrates der BA vom 16. 3. 1982. Geringfügige Verschlechterungen im Berufsniveau sind immer zumutbar (§ 2 ZA). Im übrigen nimmt der Berufsschutz mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit ab. In den ersten 4 - 6 Monaten ist der Arbeitslose nur auf Beschäftigungen verweisbar, die seiner Qualifikation entsprechen und mindestens /s des früheren Einkommens erreichen (§§ 8 - 1 0 ZA). Danach durchläuft er in entsprechenden zeitlichen Abständen die niedrigeren Qualifikationsstufen, bis er uneingeschränkt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist. Die Qualifikationsstufen sind: 1. Hochschul- oder Fachhochschulausbildung, 2. Fachschulausbildung, 3. Ausbildungs-, 4. Anlernberufe, 5. alle übrigen Beschäftigungen (§ 12 ZA). Für den Arbeitsweg sind insgesamt 2'/2 Stunden zumutbar (§ 3 ZA), Pendeln wird nur in Ausnahmefällen angesonnen (§ 5 ZA). Das Einkommen aus der Verweisungstätigkeit darf weder hinter dem Leistungsanspruch des Arbeitslosen noch hinter den einschlägigen Tarifbestimmungen zurückbleiben. Eine Beschränkung auf Teilzeitbeschäftigung (§ 11 ZA) oder Heimarbeit (§ 103 III) wird nur anerkannt, wenn sie auch bei der anspruchsbegründenden Beschäftigung bestand. Zwar ist bei der Zumutbarkeit immer auf den Einzelfall abzustellen (§ 1 ZA), doch werden sonstige Gründe eher ausnahmsweise anerkannt: So sind z. B. Wehrdienstverweigerer auf Beschäftigungen in Rüstungsbetrieben verweisbar258. Die Verweigerung zumutbarer Arbeit führt, wie die selbstverschuldete Aufgabe des Arbeitsplatzes, das 1. Mal zu einer Sperrzeit von 8 Wochen, während derer 254 255 256 257

258

Dazu BVerfGE 30, 185 (191). Nicht aber das Fehlen der Arbeitserlaubnis: BSGE 43, 153 (160); 49, 187 (288). Dazu Brocke, SGb 1983, 417. ANBA 1982, 523ff.; zu ihr: Albrecht / Reidegeld, Soz. Sich. 1978, 360; Bender, Soz. Sich. 1979, 73ff.; Bley, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 19 (30ff.); Gagel, BIStSozArbR 1980, 115; Hoppe, SF 1979, 1 ff.; Klees, BIStSozArbR 1978, 369ff„ 1979, 1 ff.; s. auch § 103 VI. Vgl. BSG, NJW 1983, 701 = JuS 1983, 628; v. Mutius, ZSR 1983, 663ff.; Pitschas, SGb 1984, 34 ff.

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weder Leistungen der BA (§119) noch Krankengeld (§ 183 VI RVO) gezahlt werden, beim 2. Mal zum Verlust der Ansprüche (§ 119 III). Der Anspruch auf Arbeitslosengeld hängt weiter von der Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 104) ab. In den letzten 3 Jahren vor Beginn der Arbeitslosigkeit muß eine Beitragspflicht von mindestens 360 Kalendertagen oder eine Ersatzzeit (§ 107) bestanden haben. Der Anspruch ist befristet (§ 106). Die maximale Bezugsdauer von 1 Jahr ( = 3 1 2 Werktage, § 114) setzt in den letzten 4 Jahren eine Beitragspflicht von 1080 Kalendertagen voraus. War sie kürzer, verringert sich die Anspruchsdauer in Stufen auf wenigstens 104 Tage. Das Arbeitslosengeld beträgt für Empfänger mit 1 Kind 68%, sonst 63% des um die typischen Abzüge (Steuern, Sozialabgaben) geminderten regelmäßigen Arbeitsentgelts ohne Mehrarbeitszuschläge (§111 f.)259. Es wird wie die gesetzlichen Renten angepaßt (§ 112a). Die Arbeitslosenhilfe beträgt für Berechtigte mit 1 Kind nur 58%, sonst 56% des typisierten Nettoarbeitsentgelts (§135 I). Anschluß-Arbeitslosenhilfe gibt es, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft ist (§ 134 Nr. 4a). Originäre Arbeitslosenhilfe steht jetzt nur noch denen zu, die zwar die Anwartschaftszeit nicht erfüllen, aber im Jahr vor der Arbeitslosmeldung mindestens 150 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt waren. Gleichgestellt sind Zeiten einer Ersatzzeit, eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses oder des Wehrdienstes, aber auch Zeiten des Bezugs einer Einkommensersatzleistung wegen Erwerbsminderung (§ 134 I Nr. 4b, II, III). Die Arbeitslosenhilfe setzt Bedürftigkeit voraus (§ 134 I Nr. 3). Der Arbeitslose muß auf sie angewiesen sein, um seinen und seiner Familie (Ehegatte, Kinder) Unterhalt zu sichern (§ 137). Die Subsidiarität wird durch Anrechnung des Einkommens des Ehegatten und bei Minderjährigen auch der Eltern (§ 138) und durch Überleitung insbesondere der Unterhaltsansprüche (§ 140) realisiert. Die Arbeitslosenhilfe ist, solange Arbeitslosigkeit besteht, unbefristet (§ 139 a). Die Leistungen werden nachträglich jeweils für 14 Tage ausgezahlt (§§ 122, 134 IV 1). Die Ansprüche ruhen, solange noch Arbeitsentgelt260, Urlaubsabgeltung, eingeschränkt eine Abfindung 261 , oder solange sonstige Einkommensersatzleistungen (z. B. Erwerbsunfähigkeitsrente, Altersruhegeld) beansprucht werden können (§§ 117 f.). Um der Schwarzarbeit von Leistungsempfängern entgegenwirken zu können, sind der BA besondere Kontrollrechte eingeräumt worden (§§ 132 f.). Die BA ist bei Arbeitskämpfen zur Neutralität verpflichtet (§116 I)262. Daher ruhen die Ansprüche der Arbeitnehmer, die wegen ihrer Beteiligung an 259 260 261 262

Die Nichtberücksichtigung der Mehrarbeitszuschläge ist verfassungsgemäß: BVerfGE 51, 115(124). Z. B. Arbeitslose, denen fristgemäß gekündigt, aber gleich Hausverbot erteilt wurde, vgl. Heuer / Lomb, (Fn. 251), S. 101. Dazu BVerfGE 42, 176 ff. Dazu BSGE 40, 190; H. Bogs, SGb 1979, 349ff.; ders., VSSR 1973, 526ff.; Jülicher, in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 1982, S. 503ff.; ders., DB 1973, 720ff.,

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dem Arbeitskampf arbeitslos geworden sind (§116 II) 263 . Das gilt — um nicht Schwerpunktstreiks zu fördern — auch für mittelbar betroffene Arbeitnehmer des gleichen Betriebes und des räumlich und/oder fachlich gleichen Tarifbereichs, für die die umkämpften Arbeitsbedingungen rechtlich oder faktisch gelten würden (§§ 116 III, 70 i. V. m. §§2ff. der Neutralitätsanordnung) 264 . An sonstige mittelbar betroffene Arbeitnehmer — z. B. im Zuliefererbetrieb — sind die Leistungen zu erbringen, da die BA mit ihrer Verweigerung das Streikrisiko auch nicht zu Lasten der Arbeitnehmer verschieben darf. 3. Konkursausfallgeld Das Konkursausfallgeld (§§ 141 äff.) ersetzt das (Netto-)Arbeitsentgelt für längstens 3 Monate, das der Arbeitnehmer infolge des Konkurses seines Arbeitgebers nicht mehr ausgezahlt bekam. Die anfallenden Sozialabgaben entrichtet das Arbeitsamt (§141 n). 4. Finanzierung Die Leistungen der BA werden durch Beiträge, Umlagen und Mittel des Bundes finanziert. Die Ausgaben für die Winterbauförderung werden auf die Arbeitgeber des Baugewerbes umgelegt (§ 186 a), die sich insoweit als Gruppe selbst subventionieren. Auch die Kosten des Konkursausfallgeldes tragen die Arbeitgeber, vermittelt durch Umlagen ihrer Berufsgenossenschaften (§ 186 b). Die Mittel für die Arbeitslosenhilfe zahlt der Bund (§ 188), in dessen Auftrag (keine Selbstverwaltungsangelegenheit!) die BA insoweit tätig wird (§ 3 IV). Im übrigen sind die Ausgaben aus den Beiträgen zu bestreiten. Da sie wegen der derzeitig hohen Arbeitslosenzahl trotz einer Erhöhung des Beitragssatzes auf zusammen 4,6% (§ 174 I) nicht ausreichen, muß der Bund erheblich (bis Ende 1983: über 30 Mrd. DM) zuschießen (§ 187). Beitragspflichtig sind alle gegen Entgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigten Arbeitnehmer unter 63 Jahren, soweit sie nicht nur kurzzeitig beschäftigt sind (§§ 168 f.). Die Beitragspflicht erfaßt die Einkommen bis zu der für die Rentenversicherung maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 175 I Nr. 1; 1984: 62400 DM). Die Beitragsfreiheit folgt weitgehend der Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung, allerdings gibt es für Angestellte keine Versicherungspflichtgrenze (§ 169 Nr. 1). Beitragspflichtig sind auch wehrpflichtige Soldaten und Gefangene (§ 168 I I - I I I a), für sie zahlt der Bund bzw. das für die Vollzugsanstalt zuständige Land die Beiträge (§ 171 II, III).

263

264

770ff.; Krause, DB 1974, Beilage 14, S. 5ff.; 9ff.; Kreuzer, Die Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit, 1975; Schwerdtfeger, Arbeitslosenversicherung und Arbeitskampf, 1974; Thieme, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 388ff. Streik und Aussperrung suspendieren auch das Beschäftigungsverhältnis, BSGE 37, 10; s. auch Maier, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 285. Vom 22. 3. 1973 (ANBA S. 365) mit Ergänzung vom 14. 7. 1982 (ANBA S. 1459).

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Im übrigen tragen Arbeitgeber und -nehmer sie grundsätzlich zu gleichen Teilen (2,3%, §§ 167 S. 2, 171 I, 174 I). Die Beiträge werden als Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags von den Krankenkassen eingezogen (§§ 176, 181 ff.), die auch über die mit der Beitragspflicht zusammenhängenden Fragen zu entscheiden haben (§ 182). Da mit Beiträgen auch Leistungen finanziert werden, die allen, nicht nur den Beitragspflichtigen erbracht werden (Berufsberatung, Vermittlung, berufliche Ausbildung), wird gefordert, eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige einzuführen 265 . Sie stößt bei Beamten auf Lebenszeit auf Gleichheitsbedenken 266 , weil diese als Gruppe typischerweise nicht von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Daher wäre ein Beitrag jedenfalls in voller Höhe unzulässig. Selbständigen könnte er nur dann auferlegt werden, wenn sie auch entsprechend leistungsberechtigt würden. Andererseits ist die Belastung der Arbeitnehmer mit Leistungen, die der Gesamtgesellschaft zugute kommen, zumindest sozialpolitisch nicht länger tolerierbar 267 , denn rechtlich — so hat das BVerfG entschieden — braucht im Arbeitsförderungsrecht keine Beitragsäquivalenz268 zu bestehen. Besser wäre es, die Beitragsfinanzierung auf das Arbeitslosengeld zu beschränken und alles übrige aus Steuern zu bestreiten.

VI. Die Sozialversicherung Die Sozialversicherung269 ist als Regelsicherungssystem das wichtigste Instrument sozialer Sicherung, obwohl sie personell und von den durch sie gesicherten Risiken (Krankheit, Schwangerschaft, Erwerbsminderung, Alter, Tod) her begrenzt ist. Sie weist als Summe verschiedener Einzelsysteme nur wenig Einheitliches auf. Daher liegt das Gewicht in der folgenden Darstellung bei den Einzelsystemen. 1. Allgemeines Sozialversicherungsrecht a) Durch Beitrag finanzierte Vorsorgesysteme: Trotz aller Unterschiede ist ihren 3 Zweigen — Kranken-, Unfall-, Rentenversicherung einschließlich der Altershilfe für Landwirte — gemeinsam, daß sie ausschließlich oder jeden265 266

267 268 269

Vgl. statt aller Ehrenberg / Fuchs, S. 168, 299. Vgl. BT-Dr 7 / 403, S. 52ff.; Berg / Tettmann, ZBR 1983, 217ff.; Friauf, JA 1981, 261 ff.; Klein, DStR 1981, 275ff.; Naujoks, ZBR 1976, 65ff.; Ruland, Arbeitslosigkeit, S. 86; Schnupp, RiA 1981, 201 ff. Weitergehend: Isensee, in: Zacher, Beitrag, S. 485. BVerfGE 51, 114(125). Zu ihr umfassend Brackmann, Figge (auf Fragen der Versicherungspflicht begrenzt), Gesamtkommentar, Schulin, Wannagat,, s. auch H. Bogs, Jahn, jew. a. a. O.; s. schon oben S. 342 ff.

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falls vor allem durch Beiträge der Gesicherten finanzierte Vorsorgesysteme sind. Die Unfallversicherung ist zugunsten ihrer Versicherten (der Arbeitnehmer) ein Entschädigungssystem, zugunsten ihrer Mitglieder — der Unternehmer (§ 658 RVO) — eine Art Haftpflichtversicherung gegen die aus Arbeitsunfällen herrührenden Ersatzansprüche der Versicherten (S. 349). Mittel der Vorsorge ist der Beitrag27°. Die Sozialversicherung kann auf ihn, da Arbeitgeber und Sozialleistungsträger nicht identisch sind, nicht, wie etwa die Beamtenversorgung, verzichten und nur an die Dienst- bzw. Arbeitsleistung anknüpfen 271 . Es liegt im Wesen der Versicherung, daß der Beitrag der Preis ist für die Möglichkeit, Sozialleistungen zu erhalten272. Auch der, den das versicherte Risiko nicht traf, hat wegen des genossenen Versicherungsschutzes den Beitrag nicht umsonst gezahlt. Der Beitrag bringt aber auch Leistung und Gegenleistung in Abhängigkeit zueinander 273 . Wegen seiner unterschiedlichen Höhe rechtfertigt er entsprechend unterschiedlich hohe (Einkommensersatz-)Leistungen. Für die einheitliche Staatsbürgerversorgung ist die Finanzierung aus Steuermitteln typisch274. Eine Sicherung durch einkommensabhängige Leistungen läßt sich abgabenrechtlich allein durch Beiträge finanzieren. Jede Annäherung an eine Finanzierung durch Steuern bringt rechtlich notwendig Nivellierungstendenzen mit sich und gefährdet damit das Wesen der Versicherung und den Bestandsschutz der Anrechte. Außerdem wären die für die Sozialversicherung bestimmten Mittel der Begehrlichkeit anderer Ressorts ausgesetzt275. Beiträge i. S. des Sozialversicherungsrechts sind grundsätzlich alle Geldleistungen, die von Versicherten, ihren Arbeitgebern oder Dritten (§ 20 SGB IV) auf Grund gesetzlicher Vorschriften zur Deckung des Finanzbedarfs der Versicherungsträger aufgebracht werden276. Die Kompetenz des Bundes, solche Leistungspflichten aufzuerlegen, ergibt sich aus der, das Recht der Sozialversicherung zu regeln (Art. 74 Nr. 12 GG). Nach der Rechtsprechung des BVerfG, das damit die Einheitlichkeit des Beitragsbegriffs aufgegeben hat, soll für den sozialversicherungsrechtlichen Beitrag die Möglichkeit der Gegenleistung nicht konstitutiv sein277. Daher greift es — anders als die Lehre278 270 271

272

273

274 275 276 277

278

Zum Beitragsrecht: Bley, VSSR 1976, 289ff.; Rüfner, in: Zacher, Beitrag, S. 177ff. Zum Unterschied zwischen „internalisierenden" und „externalisierenden" Systemen: Zacher, SGb 1982, 329 (330). BVerfGE 51,1 (29); daher ist z. B. die Hinterbliebenensicherung kein sozialer Ausgleich im Verhältnis zu den Ledigen, denn sie können noch heiraten, vgl. Krause, VSSR 1980, 158; Ruland, ZRP 1978, 113; a. A.: Gitter, S. 52. Isensee, in: Zacher, Beitrag, S. 483; ders., DRV 1980, 147 (148); ders., S. 31 ff.; Jahn, Sozialversicherungslehre, S. 64 ff. Vgl. Winterstein, S. 14. Isensee, DRV 1980, 147 (154); Zacher, DRV 1977, 197 (216). BVerfGE 14,312(317). BVerfGE 11, 105(117); 14, 312 (318); 51, 115 (124); 53, 313 (328); anders zur AO: BVerfGE 7, 244 (254); 14, 312 (317). Vor allem: Badura, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 687; Isensee, in: Zacher, Beitrag, S. 487; ders., DRV 1980, 145 (149); Jahn, (N 273) S. 70; Schreiber, Soz. Sich. 1962, 353.

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— zur Rechtfertigung des Arbeitgeberbeitrags nicht auf dessen Fürsorgeoder Entgeltcharakter zurück279. Auch brauche zwischen Beitrag und Leistung grundsätzlich keine Äquivalenz zu bestehen280. Diese Rechtsprechung bedarf der Korrektur, für die sie selbst bereits dadurch Ansätze bietet, daß sie Rentenanrechte dem Eigentumsschutz unterstellt hat281. Trotz des in den einzelnen Zweigen unterschiedlich ausgestalteten sozialen Ausgleichs282 ist auch für die Sozialversicherung das Synallagma zwischen Beitrag und Versicherungsschutz schon aus Gleichheitsgründen vorgegeben. Es ist aber je Versicherungszweig spezifisch ausgeprägt. Seinetwegen stoßen Pläne, den Arbeitgeberbeitrag in der Rentenversicherung vom individuellen Einkommen des Versicherten loszukoppeln und an die betriebliche Wertschöpfung anzubinden („Maschinenbeitrag"j283, auf verfassungsrechtliche Bedenken 284 . Für die Sozialversicherung sind Staatszuschüsse (Art. 120 I 4 GG; § 20 SGB IV) nicht charakteristisch. Es gibt sie nur in einzelnen Versicherungszweigen (z. B. Rentenversicherung, GAL). Im übrigen beschränkt sich die staatliche Fürsorge auf die Organisation der Versicherung und auf die Garantie ihrer Leistungsfähigkeit285. b) Der Versichertengrundbestand: Allen Versicherungszweigen ist ein Grundbestand an Pflichtversicherten (§ 2 II SGB IV) gemeinsam286. Für die personelle Begrenzung in den Versicherungszweigen sind allein deren Regelungen maßgeblich. § 2 II SGB IV hat nur deklaratorische Bedeutung 287 . aa) Gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Arbeiter und Angestellte: Versichert sind zunächst Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 2 II Nr. 1 SGB IV). Das Gesetz definiert Beschäftigung als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§7 1 SGB IV). Die Versicherungspfiicht knüpft mithin nicht an das Arbeits-, sondern an das Beschäftigungsverhältnis288 an. Nicht jedes Beschäftigungsverhältnis ist ein Arbeitsverhältnis und umgekehrt. Aber sie sind weitgehend identisch. Für das Beschäftigungsverhältnis ist kennzeichnend die in persönlicher Abhängigkeit von einem 279 280 281 282 283 284 285 286 287 288

BVerfGE 14, 312(318). BVerfGE 51,115 (124); 53, 313 (328); s. auch BVerfGE 60, 68 (77). BVerfGE 53, 257ff.; s. auch BVerfGE 54, 11 (30). Er wird gemeinhin als Wesenselement der Sozialversicherung angesehen, vgl. statt aller W. Bogs, S. 25; Gitter, S. 45; Isensee, in: Zacher, Beitrag, S. 485; Rüfner, S. 9. Bischoff, SF 1980, 97ff.; Ehrenberg / Fuchs, S. 384ff; s. auch lgl, DRV 1979, 373ff.; Köhrer, BB 1979, 333ff. Isensee, DRV 1980, 145ff.; Kolb, DRV 1980, 9ff.; Ruland, SGb 1981, 391 (397). Dazu BSGE 47, 148 = JuS 1979, 601. Zu den damit zusammenhängenden Fragen umfassend: Albrecht und Figge, jew. a. a. O. Statt aller: Merten, in: GK-SGB IV, § 2 Rdnm. 114ff. Zu ihm: Bley, SGb 1977, 86ff.; Gitter, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 141 ff.; Heußner, AuR 1975, 307ff.; Merten, in: GK-SGB IV, §7 Rdnrn. 8ff.; Riecheis, ZSR 1962, 1 ff., (und besonders) 346ff., 409ff.; Seiter, VSSR 1976, 179ff.

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Dritten, regelmäßig dem Arbeitgeber, geleistete Arbeit. Kriterien der Abhängigkeit sind die sachliche Weisungsgebundenheit und / oder die Eingliederung in den Betrieb. Der sachlichen Weisungsgebundenheit entspricht das Direktionsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Arbeitszeit, -ort, -dauer, -inhalt und -ausführung. Die Eingliederung in den Betrieb ergibt sich aus der Bindung an Arbeitszeiten, aus der Ortsgebundenheit der Tätigkeit, daraus ob der Arbeitgeber das Arbeitsmaterial stellt und das Risiko trägt, ob ein Urlaubsanspruch besteht und Nebentätigkeiten unzulässig oder begrenzt sind. Indizien sind auch eine feste Vergütung und die Lohnsteuerpflicht. (Zumindest) in den Betrieb eingegliedert sind — um einige Problemfälle anzusprechen — z. B. Chefärzte 289 , freie Mitarbeiter z. B. der Rundfunkanstalten 290 und Filial- oder Bezirksstellenleiter291, nicht jedoch Arztvertreter292, Reiseleiter293 oder Kantinenwirte294. Gesellschafter-Geschäftsführer leisten fremd bestimmte Arbeit, wenn ihr Gesellschaftsanteil weniger als 50% beträgt295, nicht aber Vorstandsmitglieder einer AG (§ 3 I a AVG) oder Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitgeberseite296. Familiäre Beziehungen schließen ein Beschäftigungsverhältnis nicht aus, sofern es sich nicht nur um eine rein familiäre Mitarbeit gegen Kost, Logis und Taschengeld handelt 297 . Nur die freiwillig geleistete Arbeit begründet ein Beschäftigungsverhältnis298. Daran fehlt es z. B. bei Strafgefangenen2", deren bereits beschlossene Einbeziehung in die Sozialversicherung (§§ 165 c, 1227 III RVO), von der Unfallversicherung abgesehen (§ 540 RVO), noch in Kraft gesetzt werden muß (§ 198 III StrafVollzugG). Sonderregelungen finden sich in § 19 III BSHG und in § 10 ArbSiStG. Für das Bestehen des Beschäftigungsverhältnisses kommt es, von erkennbar strafbaren oder sittenwidrigen Beschäftigungen abgesehen 300 , auf die Gültigkeit des Arbeitsvertrages nicht an301. Insoweit hat das Arbeitsrecht mit seiner Lehre vom faktischen Arbeitsverhältnis gleichgezogen302. Abweichungen ergeben sich in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis ohne Entgeltzahlung fortbesteht (unbezahlter Urlaub, Streik, Bummelei). Die Krankenversicherung, deren Leistungspflicht nur das Beschäftigungsverhältnis voraus289 290 291 292 293 294 295

296 297 298 299 300

301 302

BSGE 32, 38. BSGE 36, 262; s. auch JuS 1974, 599. BSGE 11, 257; 35, 20; s. auch 45, 199; dazu Heinze, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 350ff. BSGE 10, 41; Merten, in: GK-SGB IV, § 7 Rdnr. 12. BSGE 36, 7. Bley, S. 146. BSGE 13, 96; 23, 83; Einzelheiten bei Eicher / Haase / Rauschenbach, § 1227 Anm. 8c; Heinze(N 23), S. 347ff.; s. auch BSG, JuS 1974, 124. Bley, S. 147 m. w. Nachw. BSGE 3, 30 (35); 17, 1 (6). BSGE 18, 246 (251); 27, 197 (198); 38, 245 (246). Anders: Freigänger, Neumann-Duesberg, DOK 1977, 10 (13). Vgl. BSGE 15, 89 (91); Merten, in: GK-SGB IV, § 7 Rdnr. 26f.; Seiter, VSSR 1976, 179(188); Wannagat, S. 311. BSGE 1, 115 (117); 11, 86 (89); 15, 89 (91). Seiter, VSSR 1974, 179 (187).

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setzt (§§ 306, 206 RVO), kann in diesen Fällen wegen der ausbleibenden Beiträge nur zeitlich begrenzt (3 Wochen, §311 S. 1 Nr. 1 RVO) die Mitgliedschaft aufrechterhalten. Versicherungsgesichtspunkte liegen auch der Abweichung zugrunde, zu der die krankenversicherungsrechtliche Lehre vom mißglückten Arbeitsversuch führt. Das Arbeitsverhältnis begründet kein Beschäftigungsverhältnis, damit keine Mitgliedschaft und infolgedessen auch keine Leistungspflicht der Krankenkasse, das wegen einer von Anfang an bestehenden Erkrankung des Arbeitnehmers beendet werden mußte, bevor es zu einer Arbeitsleistung von wirtschaftlichem Wert gekommen ist. Das hat das BSG selbst noch bei einer dreiwöchigen Arbeitsleistung angenommen 303 . Sachlich zu Recht, aber ohne gesetzliche Grundlage, werden so allzu schlechte Risiken von der Krankenversicherung ferngehalten. Vom Arbeitsverhältnis weicht das Beschäftigungsverhältnis vor allem dadurch ab, daß es auch öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse erfaßt, z. B. das Beamtenverhältnis304. Das ergibt sich zum einen aus den Bestimmungen über die Versicherungsfreiheit der Beamten (z. B. §§ 169, 172 I Nr. 1, 1229 I Nr. 2 ff. RVO), die ansonsten überflüssig wären, zum anderen aus der Nachversicherung ausgeschiedener Beamter in der Rentenversicherung (§ 1232 RVO). Diese Abweichungen rechtfertigen, daß das Sozialversicherungsrecht an seiner Lehre vom Beschäftigungsverhältnis festhält305. Es ist aber nur eine öffentlich-rechtliche Wertung privater Arbeits- oder öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse. Es kommt zu keinen zusätzlichen öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und -nehmer 306 Abhängig beschäftigt sind vor allem Arbeiter und Angestellte. Sachliche Bedeutung kommt der Unterscheidung nur noch im Krankenversicherungsrecht zu. Überschreitet das Einkommen die Versicherungspflichtgrenze des § 165 I Nr. 2 RVO (1984: 46800 DM) sind nur Angestellte versicherungsfrei — eine gleichheitswidrige Differenzierung 307 . Wegen des Finanzverbundes stellen die Arbeiterrenten- und die Angestelltenversicherung eine einheitliche Solidargemeinschaft dar (§ 1383a II RVO; § 110a II AVG), in der es für Arbeiter (LVA) und Angestellte (BfA) nur noch unterschiedlich zuständige Versicherungsträger gibt. Auch wird die durch traditionelle Wertungen mitbestimmte Unterscheidung — Arbeiter: überwiegend körperlich, Angestellte: überwiegend geistig beschäftigt — zunehmend fragwürdig08. Ihre Ergebnisse sind mitunter komisch: Mannequins mit Musikbegleitung sind Angestellte, die 303

304 305

306 307 308

BSG, SozR 2200 § 165 Nr. 2; allgemein: BSGE 15, 89 (91); 26, 124 (125f.); krit.: Bley, S. 174f.; Girardi, ZfS 1975, 4ff. BSGE 20, 123ff.; 36, 258 (261); Ruland, Beamtenversorgung, Rdnr. 66. Krit. Gitter, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 142ff.; Krejci, VSSR 1977, 301 (306); Seiter, VSSR 1976, 179 ff. Merten, in: Fs. f. Sieg, 1976, S. 386. Die historische Ableitung, zu ihr: Peters, SGb 1981, 378 (379), ändert daran nichts. Krit. zur Differenzierung überhaupt: Dieterich, VSSR 1976, 61 ff.; Kraushaar, AuR 1981, 65 ff. ; Peters, ZSR 1974, 524; Tons, ZSR 1971, 205 f.

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ohne sind Arbeiterinnen 309 . Das Sozialrecht muß sich auf einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff einstellen3,10. Voraussetzung der Versicherungspflicht ist das entgeltliche Beschäftigungsverhältnis. Das Entgelt begründet Vorsorgebedarf und schafft Vorsorgemöglichkeiten 3 ". Arbeitsentgelt sind grundsätzlich alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht (z. B. auch Trinkgelder), unter welcher Bezeichnung (z. B. Unterhaltszuschuß, Taschengeld) oder in welcher Form (Geld- oder Sachleistung) sie geleistet und ob sie unmittelbar oder nur im Zusammenhang mit der Beschäftigung erzielt werden (§ 14 SGB IV). Was im einzelnen Entgelt ist, richtet sich nach der Arbeitsentgelt-VO312 (§ 17 SGB IV). Es besteht, schon um den Lohnabzug der Steuern und Sozialabgaben zu vereinfachen, eine weitgehende Übereinstimmung mit dem Steuerrecht. bb) Die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten: Zum Versichertengrundbestand gehören des weiteren die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten (§ 2 II Nr. 1 SGB IV). Dabei „gilt die Berufsausbildung als Beschäftigung" (§ 7 II SGB IV). Auf ein Entgelt kommt es nicht an. Gemeint sind all die Personen, die in Betrieben der Wirtschaft oder des öffentlichen Dienstes eine berufliche Aus-, Fortbildung oder Umschulung erfahren. Der Besuch berufsbildender Schulen allein reicht nicht aus. cc) Behinderte: Den Behinderten ( = Personen mit erheblichen körperlichen, geistigen oder seelischen Regelwidrigkeiten)313, die in geschützten Einrichtungen (§ 55 SchwbG; § 5 I BliWaG) beschäftigt werden, hat das SVBG unter Zuhilfenahme zahlreicher Fiktionen (z. B. Einkommenshöhe, §§ 4, 8 SVBG) den Zugang zur Sozialversicherung eröffnet (§ 2 II Nr. 2 SGB IV)314. Die Kosten ihrer Versicherung werden von Bund und Ländern mitgetragen (§ 10 SVBG). dd) Landwirte: Auch für die (selbständigen) Landwirte (§ 2 I Nr. 3 SGB IV) gilt Sonderrecht (KVLG; GAL). Ihre berufsständisch organisierten Sicherungssysteme decken zwar die gleichen Risiken ab wie sonst die Sozialversicherung. Insbesondere in der Altershilfe, die nur das „Altenteil" ergänzen soll, sind aber Leistungen und Beiträge ganz anders ausgestaltet. Der hohe Bundeszuschuß und die besonders mit der Altershilfe verfolgte agrarpolitische Zielsetzung lassen die landwirtschaftliche Sozialversicherung zu einer

309 310 311 312 313 314

Zweng / Scheerer, § 1227, S. 23 ff. Dieterich, VSSR 1976, 61 (70); Ruland, SGb 1981, 391 (402f.). Vgl. Zacher, Vhdlgen d. 47. DJT, 1968, S. O 8. BGBl. 1977 I, 1208; Aichberger, Nr. 135. Vgl. §§ 1 - 3 Eingliederungs-VO, BGBl. 1975 I, 434. Dazu ausführlich Schulin, Soziale Sicherung der Behinderten, 1980, S. 58ff., 79ff.; s. auch Compter, DRV 1975, 216ff.

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Mischung aus Subvention und Sozialleistung werden. Wegen der Einzelheiten muß auf das Spezialschrifttum verwiesen werden315. ee) (Sonstige) Selbständige: In allen Zweigen sind auch (sonstige) Selbständige versichert, deren wirtschaftliche Situation mit der von Arbeitnehmern vergleichbar ist, und die daher wie diese sozial schutzbedürftig sind. Zu ihnen rechnen die Hausgewerbetreibenden (§§ 2 II Nr. 4, 12 I SGB IV), die im Pflegebereich selbständig Tätigen, soweit sie keine Angestellten beschäftigen, die Hebammen und Artisten (§ 2 II Nrn. 5 - 7 SGB IV). Selbständige erzielen kein Arbeitsentgelt, sondern das steuerrechtlich ermittelte Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV). c) Der Geltungsbereich des deutschen Sozialversicherungsrechts: Auch für das Sozialversicherungsrecht gilt das Territorialitätsprinzip (§ 30 SGB I)316, das auf den inländischen Wohnsitz oder Aufenthalt abstellt. Abweichend davon kommt es, soweit Versicherungspflicht und -berechtigung eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit voraussetzen, darauf an, daß sie im Inland ausgeübt wird. Ob der Arbeitnehmer im Ausland wohnt (Grenzgänger), ist nicht entscheidend (§ 3 SGB IV). Daraus folgt auch, daß im Inland beschäftigte Ausländer grundsätzlich versicherungspflichtig sind; im Ausland beschäftigte Deutsche dagegen nicht, es sei denn, sie sind vorübergehend ins Ausland entsandt. Dann bleiben sie versicherungspflichtig (Ausstrahlung, § 4 SGB IV). Umgekehrt werden Ausländer vom deutschen Recht nicht erfaßt, wenn ihre Beschäftigung im Inland nur vorübergehend ist (Einstrahlung, § 5 SGB IV). Für das „vorübergehend" lassen sich keine genauen Fristen angeben. Diese innerstaatlichen Kollisionsregelungen werden vielfach durch zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommer?xl und überstaatliches Recht (z. B. die EWG-VO Nr. 1408 / 71)318 modifiziert (§ 6 SGB IV). So sind nach EWG-Recht (Art. 14 I lit. ai VO Nr. 1408 / 71) Ein- und Ausstrahlung auf 12 Monate begrenzt. Vertraglich überwiegt die Frist von 24 Monaten 319 . Bei den Leistungen in das Ausland verfährt jeder Versicherungszweig unterschiedlich320. 315

316

317

318 319 320

Vgl. etwa Kolb, in: Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 2, S. 283ff.; Krasney / Noell / Zöllner, a. a. O.; Noell, Die Altershilfe für Landwirte, 1978. Zu ihm: v. Maydell, in: GK-SGB I, § 30 Rdnrn. 27ff.; Rohwer-Kahlmann / Frentzel, in: Dembowski / Doetsch, S. 84ff.; Steinmeyer, Die Einstrahlung im internationalen Sozialversicherungsrecht, 1981, S. 24 ff. Sie werden von Plöger / Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, gesammelt; s. auch Gobbers, Gestaltungsgrundsätze des zwischenstaatlichen und überstaatlichen Sozialversicherungsrechts, 1980; Wickenhagen, Internationales Sozialversicherungsrecht, 2. Aufl., 1982. Dazu Zacher, Internationales und Europäisches Sozialrecht, 1976; s. auch Gobbers, a. a. O. Vgl. Steinmeyer (Fn. 316), S. 100. Dazu jew. nachfolgend im Text; allgemein zur Stellung des Ausländers: Hennig, in: Die sozialrechtliche Stellung des Ausländers in der BRD, 1983, S. 25 ff.

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2. Das Krankenversicherungsrecht Bei der Darstellung des Krankenversicherungsrechts 321 stehen die Bestimmungen im Vordergrund, die für die größte Versichertengruppe gelten: die Arbeiter und Angestellten. Sonderregelungen für sonstige Versicherte werden am Ende nachgetragen. a) Die Versicherungspflicht der Arbeiter und Angestellten: Arbeiter (§ 165 a)322 sind alle versicherungspflichtig (§165 I Nr. 1). Ihr Einkommen wird für die Berechnung der Beiträge und Leistungen aber nur bis zur Bemessungsgrenze von (1984) 46800 DM berücksichtigt (§§ 180 i. V. m. 165 I Nr. 2, 1385 II). Für Angestellte (§ 165b) ist dieser Betrag die Versicherungspflichtgrenze (S. 382). Sie sind — Seeleute ausgenommen (§ 165 III) — versicherungsfrei, wenn ihr Einkommen einschließlich einmaliger Zuwendungen (z. B. Weihnachtsgeld) diese Grenze übersteigt (§165 I Nr. 2). Sie können dann aber sich weiter versichern (§313) oder der Versicherung freiwillig beitreten (§ 176 I Nr. 1). Von der Voraussetzung der Entgeltlichkeit der Beschäftigung sind nur Lehrlinge befreit (§ 165 II). Versicherungsfrei sind geringfügig Beschäftigte (§ 8 SGB IV)323 mit Ausnahme vor allem der Lehrlinge und Behinderten (§ 168) und Beamte, soweit sie keine mehr als nur geringfügigen Nebenbeschäftigungen 324 ausüben (§§ 169 ff.). b) Die Mitgliedschaft: Das Leistungsrecht stellt auf die Mitgliedschaft ab. Mit ihrem Beginn entsteht der Anspruch auf die Leistungen (§ 206). Das ist um 0.00 Uhr des Tages, an dem der Arbeitnehmer die versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat (§ 306 I). Ausreichend ist, daß er sich auf den Weg zur Arbeit gemacht hat 325 . Es darf sich allerdings nicht um einen „mißglückten" Arbeitsversuch (dazu S. 382) gehandelt haben. Wartezeiten sind für die Versicherungspflichtigen unzulässig (§ 207). Die Mitgliedschaft ist von einer Beitragszahlung unabhängig, solange ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis besteht. Es kommt nicht darauf an, ob Beiträge vom Lohn einbehalten wurden. Besteht das Arbeitsverhältnis ohne Entgeltzahlung fort (unbezahlter Urlaub, Streik)326, bleibt die Mitgliedschaft für längstens 3 Wochen erhalten (§311 Nr. 1). Sie ist bei Versicherungsberechtigten von der Beitragszahlung abhängig (§ 314). Sie entsteht auch bei 321 322 323 324 325 326

Literatur vor allem: Krauskopf, Peters, Tons, jew. a. a. O. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche der R VO. Zu ihr ausführlich: Baier, in: Krauskopf, §8 SGB IV, Anm. 1 ff.; Meydam, SGb 1983, 228ff.; s. auch Isensee, ZRP 1983, 137ff. Andernfalls sind sie versicherungspflichtig, vgl. BSGE 31, 66 (67); st. Rspr. 46, 241 (243). BSGE 26, 124; 29, 30. Zur Auswirkung des Streiks auf das Beschäftigungsverhältnis: BSGE 33, 254; 37, 10; W. Bogs, in: Fs. f. Möller, 1972, S. 81 ff.; Demuth, Die Einwirkung von Arbeitskämpfen auf das Versicherungsverhältnis der Sozialversicherung, Diss. jur. Göttingen 1969; Jülicher, in: Brox / Rüthers, Arbeitskampfrecht, 1982, S. 470ff.; Krause, DB 1974, Beilage 14; Maier, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 285.

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irrtümlicher Beitragsannahme (§§213, 215). Sie endet mit dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung, wenn nicht aus sonstigen Gründen, z. B. Bezug von Rente327 oder Arbeitslosengeld328, die Versicherungspflicht andauert. Ausnahmen gelten für Schwangere und für Zeiten der Urlaubsabgeltung (§311 S. 2). Der Bezug von Kranken-, Mutterschafts- und bei medizinischer Rehabilitation auch von Versorgungskrankengeld erhält die Mitgliedschaft (§311 S. 1 Nrn. 2, 3). Tritt innerhalb von 4 Wochen nach ihrem Ende ein Versicherungsfall ein, stehen den Personen, die zuvor länger versichert waren, noch die Regelleistungen zu (§ 2 1 4)329. c) Die durch die Krankenversicherung gesicherten Risiken: Die Krankenversicherung sichert ihre Mitglieder gegen 3 Risiken: Krankheit, Schwangerschaft / Mutterschaft und — begrenzt auf die Bestattungskosten — Tod. Da sie ein finales Sicherungssystem ist, kommt es auf deren Ursache nicht an. Doch kann die Satzung bei vorsätzlicher Selbstschädigung das Krankengeld (nicht die Krankenpflege!) versagen (§ 192)330. Versichert sind grundsätzlich (Ausnahmen: §§ 310 II, 313 II) auch die Risiken, die vor der Mitgliedschaft eingetreten sind. Krankheit331 ist ein regelwidriger Körper- und / oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und / oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat332. Der Körper- oder Geisteszustand ist regelwidrig, wenn er von der Norm abweicht, die durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägt ist. Er ist es nicht, wenn er das Ergebnis eines natürlichen, möglicherweise nur vorgezogenen körperlichen Entwicklungsprozesses ist. Daher löst die Pflegebedürftigkeit allein wegen Altersschwäche keine Leistungspflicht der Krankenversicherung aus333. Trunksucht 334 , Kieferanomalien 335 , Zahnlosigkeit 336 oder Zeugungsunfähigkeit 337 sind jedoch Krankheiten, ebenso wie ein ernsthafter, wenn auch nicht bestätigter Verdacht338. Die Krankheit ist nur dann ein Versicherungsfall, wenn sie behandlungsbedürftig ist oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Behandlungsbedürftig ist sie dann, wenn sie ohne ärztliche Hilfe 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338

§ 165 I Nr. 3; dazu u. S. 396ff. §§ 155ff. AFG (auch Arbeitslosenhilfe!); dazu u. S. 397. Die Fristen des § 311 und des § 214 können kumulieren, vgl. Schröder-Printzen, in: Krauskopf, § 214 Anm. 2.3 m. w. Nachw. Gegen eine völlige Versagung bestehen aber Bedenken, vgl. LSG Niedersachsen, Breithaupt 1965, 889; zum Problem allgemein: Faude, S. 149ff., 175ff. Zum Krankheitsbegriff ausführlich: Faude, SGb 1978, 374ff.; ders., S. 144ff.; Krasney, ZSR 1976, 411 ff. BSGE 35,10 (12); statt aller Rüfner, S. 96. Dazu ausführlich: Naendrup, ZSR 1982, 322ff.; Roishoven, Pflegebedürftigkeit und Krankheit im Recht, 1978, S. 222 ff. BSGE 28, 114; BSG, SozVers. 1978, 161. BSG, Breithaupt 1973, 603; BSGE 35, 10. BSGE 35, 105. BSGE 39, 167 = JuS 1976, 61. Dazu Töns, DOK 1971, 424 (425f.); Baltzer, JuS 1982, 568.

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nicht behoben oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann. Ihre Heilbarkeit ist nicht erforderlich 339 . Ausreichend ist, daß Schmerzen oder sonstige Beschwerden gelindert werden340. Schönheitsfehler reichen nicht, es sei denn, sie lassen psychische Schäden befürchten. Arbeitsunfähig ist der Versicherte, der infolge der Krankheit nicht oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung seiner bisherigen Beschäftigung nachgehen kann 341 . Da die Krankenversicherung kurzfristige Einkommensausfälle ersetzen soll, stellt sie bei der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nur auf die zuletzt ausgeübte Beschäftigung ab. Bei langfristig Erkrankten ist aus dem Gesichtspunkt der Schadensminderung heraus eine Verweisung auf ähnliche Berufe möglich, die um so weiter greift, je weniger qualifiziert die zuletzt ausgeübte Tätigkeit war342. Schwangerschaft und Mutterschaft sind keine regelwidrigen Körperzustände, somit keine Krankheiten (anders z. B.: Fehlgeburt). Daher ist ihretwegen ein eigener Versicherungsfall (§ 195) notwendig. Der Tod ist Versicherungsfall für das Sterbegeld (§ 201), mit dem die Beerdigungskosten abgedeckt werden sollen. d) Die Leistungen der Krankenversicherung: Eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit hat für den Betroffenen 3 Konsequenzen: den Aufwand für ärztliche Behandlung und Arznei, den Einkommensverlust, gegebenenfalls erst nach Wegfall der Lohnfortzahlung, und die mit dem Einkommen verlorene Möglichkeit der Vorsorge. Gegen alle 3 Konsequenzen schützt die Krankenversicherung. Die Kranken- (§ 182 I) oder Mutterschaftshilfe (§ 195) umfaßt die Kranken- (§182 I Nr. 1) und Krankenhauspflege (§ 184), d.h. (zahn-)ärztliche Behandlung, Arznei, Heilmittel, Körperersatzstücke etc., und das Kranken- oder Mutterschaftsgeld (§§ 182 I Nr. 2, 200 ff.). Es soll das weggefallene Einkommen ersetzen. Von der Versicherung und dem Versicherten gemeinsam getragene Beiträge zu anderen Versicherungszweigen sorgen (unzulänglich) gegen andere Risiken vor (§ 1385b, dazu S. 410). Die meisten Leistungen sind Regelleistungen, durch Gesetz den Krankenversicherungsträgern vorgeschrieben. Diese können in ihren Satzungen im gesetzlichen Rahmen weitere Leistungen vorsehen (§ 179 II, III), wie z. B. Zuschüsse zu Kuren (§ 194), erhöhtes Sterbegeld (§204) etc. (vgl. §§ 185 I 2, 187, 205 III). Ohne daß ein Versicherungsfall eingetreten ist, werden die Vorsorgeuntersuchungen (§§181 ff.), die ärztliche Beratung über Fragen der Empfängnisregelung (§ 200 e) und Leistungen bei rechtmäßiger Sterilisation und rechtmäßigem Schwangerschaftsabbruch (§ 2000 erbracht 343 (s. a. § 187 Nr. 2).

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Schröder-Printzen, WzS 1979, 129 (131). 3 4 0 Dazu BSGE 26, 288 (289). BSGE 19, 179; ausführlich: Heinze, DAngVers 1981, 385ff. Zur Problematik: BSGE 26, 288; 32, 18 (20f.); 41, 201; 47, 47; BSG, BKK 1971, 206; s. auch Heinze, a. a. O. Zu ihnen W. Bogs, ZSR 1973, 511; Faude, S. 146ff.; Tons, DOK 1974, 163ff.; zur aktuellen Diskussion: SG Dortmund, FamRZ 1982, 1011; Wendt, KJ 1983, 202ff.; s. nunmehr BVerfG, NJW 1984, 1805.

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aa) Die Krankenpflege: Die Krankenpflege wird vom Beginn der Krankheit an gewährt. Sie hat ausreichend und zweckmäßig zu sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 182 II)344. Inhaltlich ausgefüllt werden diese unbestimmten Rechtsbegriffe durch Richtlinien für die kassenärztliche Versorgung, die von den paritätisch (Kassen, Ärzte) zusammengesetzten Bundesausschüssen beschlossen werden (§368p). Bislang sind 14 Richtlinien verabschiedet, die z. B. die Voraussetzungen der Verordnung von Arzneimitteln345 regeln, die die einzelnen Untersuchungen im Rahmen der Früherkennungsmaßnahmen bei Kindern 346 oder der Krebsvorsorge 347 festlegen, die bestimmen, unter welchen Voraussetzungen psychotherapeutische Behandlungen vorgenommen und Psychotherapeuten hinzugezogen werden dürfen (§ 122)348. Die Leistungen sind grundsätzlich als Sachleistungen zu erbringen 349 . Die Krankenkasse „kauft" sie bei Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern ein und verschafft dem Versicherten so entsprechende Behandlungs- und Leistungsansprüche. Dieser braucht nicht vorzuleisten und ist nicht auf die Erstattung seiner Auslagen angewiesen. Er muß andererseits aber auch, vom Notfall abgesehen, die Leistung als Sachleistung entgegennehmen. Er kann nicht als „Privatpatient" auftreten und sich den Kassenanteil erstatten lassen350. Eine Selbstbeteiligung der Versicherten351 gibt es als Verordnungsblattgebühr (§§ 182 a, 205 a I 3) und als Zuschuß zu einer kieferorthopädischen Behandlung (§ 182e). Neuerdings müssen sie bei Kuraufenthalten 10 DM und bei Krankenhausaufenthalten auf 14 Tage begrenzt 5 DM pro Tag zuzahlen (§§ 184 III, 184a II). Die Krankenkassen erbringen ihre Sachleistungen nur in Ausnahmefällen selbst. Eigeneinrichtungen sind durch Gesetz beschränkt (§ 368 d I 4)352. Nicht einmal Brillen dürfen sie selbst abgeben 353 . Die 344 345 346 347 348 349

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Über Einzelheiten bietet Schroeder-Printzen, in: Krauskopf, § 182 Anm. 3, einen guten Überblick; s. auch Tons, BKK 1980, 231 f. Arzneimittelrichtlinien (Aichberger Nr. 243). Kinderrichtlinien (a. a. O. Nr. 244). Krebsfrüherkennungsrichtlinien (a. a. O. Nr. 245). Psychotherapie-Richtlinien (a.a.O. Nr. 247); zur nur mittelbaren Beteiligung der Psychotherapeuten: BSGE 48, 47ff. Zum Sachleistungsprinzip: v. Maydell, Zur Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1982, S. 24ff.; Meydam, SGb 1977, 92ff.; Unger, SGb 1983, 340ff.; Zacher/Friedrich-Marczyk, ZfS 1980, 97ff. Das soll nicht für freiwillig Versicherte gelten, BSG, BKK 1981, 423; dazu Fischwasser, BKK 1982, 74; v. Maydell, a. a. O. S. 26ff.; zur Praxis der Ersatzkassen: Peters, SGb 1981,378 (382). Zu ihr Gerlach, KrV 1983, 277ff.; Heitzer, SozSich 1984, 120f.; Münnich, Steuerungsmöglichkeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1983; Ruf, Zur Selbstbeteiligung der Versicherten, 1982, S. 38ff.; v. d. Schulenburg, Kostenexplosion im Gesundheitswesen, 1981. Dazu Krauskopf, DOK 1982, 569 ff. Zu dieser durch den BGH (BGHZ 82, 375) entschiedenen Streitfrage einerseits v. Maydell / Scholz, Grenzen der Eigenwirtschaft gesetzlicher Krankenversicherungs-

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Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen, (Zahn-)Ärzten und Versicherten richten sich nach dem Kassenarztrecht (§§ 368 ff.). Aber auch die Beziehungen zu Krankenhäusern (§ 371 ff.) und Apotheken (§§ 375 f.) unterliegen Sonderrecht (S. 395). Die Krankenpflege wird bei fortdauernder Mitgliedschaft zeitlich unbegrenzt geleistet. Eine Aussteuerung gibt es nicht. Über das Ende der Mitgliedschaft hinaus wird die Krankenpflege jedoch für längstens 26 Wochen gewährt (§ 183 I)354. bb) Das Krankengeld: Das Krankengeld hat Einkommensersatzfunktion. Bezog der Versicherte kein Einkommen — z. B. Auszubildende — steht ihm kein Krankengeld zu (§ 494). Diese Konsequenz ist von der Rechtsprechung auch auf den Fall des unbezahlten Urlaubs übertragen worden 355 . Wird der Lohn fortgezahlt oder werden sonstige Einkommensersatzleistungen bezogen, ruht der Anspruch auf Krankengeld (§§ 189, 183 V, VI). Er endet mit der Bewilligung des Altersruhegeldes oder der Erwerbsunfähigkeitsrente (§ 183 III). Die Krankenkasse kann verlangen, daß der Versicherte entsprechende Anträge stellt (§§ 183 VII, VIII, 1241 d IV). Das Krankengeld beträgt brutto maximal 80% des der Beitragspflicht unterworfenen Arbeitsentgelts (Regellohn), darf aber das entgangene Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§§ 182 IV-VI, IX)356. Netto haben die an das Krankengeld geknüpften Beitragspflichten zu einer Senkung des Leistungsniveaus um etwa 6,5% geführt (§ 1385b I 3). Das Krankengeld wird, kommt es zu einer längerfristigen Zahlung, wie die gesetzlichen Renten dynamisiert (§ 182 VIII). Der nach Kalendertagen berechnete Anspruch auf Krankengeld beginnt — außer es lag ein Arbeitsunfall vor (§§ 565, 560 I 2) - mit dem auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgenden Tag (§ 183 III). Er ruht, solange sie nicht gemeldet ist (§ 216 III). Er ist an sich unbefristet, doch wird wegen derselben Krankheit Krankengeld nur für höchstens 78 Wochen innerhalb einer Blockfrist von 3 Zeitjahren gezahlt. Ist diese 78 Wochenfrist, die unter Einschluß des Ruhens (z. B. wegen Lohnfortzahlung) berechnet wird357, erschöpft, fällt der Anspruch weg und lebt mit Beginn der neuen Blockfrist von

354 355 356 357

träger, 1980; Zacher, Krankenkassen oder nationaler Gesundheitsdienst, 1980; Zacher / Friedrich-Marczyk, SGb 1980, 505ff.; andererseits: Rohwer-Kahlmann, SGb 1982, 373ff.; ders., ZSR 1981, 197ff.; Schimmelpfeng-Schütte, SGb 1980, 379f.; Unger, SGb 1983, 340. Entscheidend ist, ob noch während der Mitgliedschaft die Krankheit behandlungsbedürftig war, auf den Bezug der Leistung kommt es nicht an: BSGE 28, 249 (252). BSGE 43, 86ff.; dazu Kunze, DOK 1979, 665; Schulin, SGb 1977, 476. Einzelheiten bei Picard, DOK 1974, 846; Schroeder-Printzen, in Krauskopf, § 182 Anm. 4.3. BSGE 19, 179 (180); 27, 66 (68); zum (unzulässigen) Verzicht auf Lohnfortzahlung: BSGE 51, 82; Schmalz, BKK 1981, 173.

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3 Jahren für maximal 78 Wochen wieder auf usw.358 — soziale Sicherung mit Unterbrechungen, eine wenig sinnvolle Regelung. Erlischt nach dem Eintritt der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit die Mitgliedschaft, kann, obwohl die Krankenpflege dann auf 26 Wochen begrenzt ist, für die gesamte Dauer von 78 Wochen Krankengeld bezogen werden 359 . Auch ist sein Wiederaufleben mit Beginn der neuen Blockfrist von dem Bestand der Mitgliedschaft unabhängig 360 . Allerdings ist nach der Rechtsprechung des BSG der Krankengeldbezug in der neuen Blockfrist, wenn es an der Mitgliedschaft fehlt, auf 26 Wochen begrenzt361. Das Krankengeld verbunden mit einer Krankenhauspflege (§§ 184 I, 186) soll dagegen schon in der ersten Blockfrist nach 26 Wochen erlöschen362. All diese Ergebnisse sind wenig einleuchtend, zumal sie im Normalfall dazu führen, daß §311 S. 1 Nr. 2 die zeitliche Begrenzung der Krankenpflege in § 183 1 2 ins Leere laufen läßt. Gesetzliche Änderungen sind dringend notwendig. cc) Sonstige Leistungen: Das Mutterschaftsgeld, das während der Schutzfristen vor und nach der Geburt und während des Mutterschaftsurlaubs (§ 8 a MuSchG) gezahlt wird, orientiert sich am weggefallenen Nettoeinkommen; es beträgt mindestens 3,50 DM, höchstens 25 DM pro Kalendertag (§§ 200 ff.). Das Sterbegeld, das an den gezahlt wird, der die Bestattung besorgt hat (§ 203), beträgt, wenn die Satzung keine höheren Beträge festgelegt hat (§ 204), das 20fache des für den Kalendertag ermittelten Grundlohnes, mindestens 100 DM (§ 201). Die Palette der sonstigen Leistungen ist umfangreich. Wenn ein Versicherter, der kleine Kinder hat, z. B. wegen eines Krankenhausaufenthalts den Haushalt nicht weiterführen kann, kann als Haushaltshilfe eine Ersatzkraft gestellt werden (§ 185 b). Es können Zuschüsse für Kuren im Inland (§ 187) und für Zahnersatz (§ 182 c) geleistet werden. Außerdem sind Reisekosten zu übernehmen (§ 194). dd) Die Familienhilfe: Die Familienhilfe (§ 205)363 ist eine Leistung an den Versicherten. Sie entlastet ihn von dem Unterhaltsmehraufwand in Folge einer Erkrankung seiner mitgesicherten Angehörigen. Er und nicht z. B. der erkrankte Ehegatte ist Anspruchsinhaber. Das ist systematisch zwar korrekt, sachlich aber fragwürdig 364 . Familienhilfe wird gewährt für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Kinder unter 18 oder — bei Ausbildung — 25 Jahren. Bei schwerbehinderten Kindern gibt es keine Altersgrenze (§ 205 III 358 359 360

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BSGE31, 125. BSG, ZfSH / SGB 1984, 39; früher BSGE 26, 57 (58); 28, 249 (252). „Einheit des Versicherungsfalles": BSGE 26, 243; BSG, Breithaupt 1970, 997; zweifelnd: Picard, DOK 1984, 375; a. A.: Peters, SGb 1984, 242. Umstritten: vgl. BSGE 45, 11; offen gelassen in: BSG, ZfSH / SGB 1984, 39 (40); a. A.: Schroeder-Printzen, in: Krauskopf, § 183 Anm. 3.2. BSG, ZfSH / SGB 1984, 39 (40). Zu ihr: Meydam, BlStSozArbR 1979, 248ff.; Peters, ZSR 1973, 557ff. Langkeit, Vhdlgen d. 47. DJT, 1968, S. F 48ff.; Ruland, Unterhalt, S. 325ff.; s. auch Meydam, a. a. O., S. 250.

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4). Voraussetzung ist aber, daß sich die Angehörigen im Inland aufhalten, jeweils kein Einkommen von mehr als 455 DM (1984) und — von der studentischen Krankenversicherung abgesehen (§ 175 a Nr. 3) — keinen anderen Anspruch auf Krankenpflege haben. Für Kinder gibt es auch dann keine Leistungen, wenn nur ein Elternteil versichert ist und das Einkommen des anderen höher ist und die monatliche Versicherungspflichtgrenze (§165 I Nr. 2) übersteigt (§ 205 I 2). Sind beide Elternteile versichert, ist die Krankenkasse zuständig, der zuvor der höhere Beitrag entrichtet wurde (§ 205 IV). Vom Leistungsumfang her entspricht die Familienhilfe weitestgehend der Krankenpflege, auch werden Früherkennungsmaßnahmen und sonstige Hilfen (§§ 200 e ff.) gewährt. Krankengeld wird nicht gezahlt. Das Mutterschaftsgeld ist als einmalige Leistung auf höchstens 150 DM begrenzt (§§ 205 I 1, 205 a II). Das Sterbegeld ist um die Hälfte gekürzt (§ 205 b). Macht die Erkrankung ein Fernbleiben des (der) Versicherten von der Arbeit notwendig, besteht subsidiär gegenüber arbeitsrechtlichen Ansprüchen auf Lohnfortzahlung für fünf Tage im Jahr Anspruch auf Krankengeld (§ 185 c). ee) Leistungen an Ausländer und Versicherte im Ausland: Aus dem Territorialitätsprinzip (§ 30 SGB I) folgt, daß Leistungen im Inland zu erbringen sind. Auf Grund zahlreicher Sozialversicherungsabkommen können nach deutschem Recht Anspruchsberechtigte Leistungen auch in den Vertragsstaaten erhalten. Bei Sachleistungen sind sie Versicherten des aushelfenden Versicherungsträgers gleichgestellt. Geldleistungen erhalten sie nach deutschem Recht365. Bestehen solche Abkommen nicht, gibt es Sonderregelungen z. B. für im Ausland Tätige (§ 221; s. a. §§ 214 III, 216 I Nr. 2, 217, 315 IV). Für die Kosten eines Rücktransports kommt die Krankenkasse nicht auf 366 . Für Ausländer im Inland gelten keine Besonderheiten. e) Das Kassenarztrecht und die Beziehungen der Krankenkassen zu Krankenhäusern und Apotheken: aa) Das Kassenarztrecht: Ärztliche Leistungen werden als „Sachleistungen" nach den Regeln des Kassenarztrechts (§§ 368 ff.)367 gewährt. Sie gelten eingeschränkt auch für die Ersatzkassen (§ 525 c). Ihrem leichteren Verständnis dient folgender Überblick (S. 392): Das Gesetz gibt nur einen Rahmen vor, der durch Verträge (Bundesmantelverträge, Gesamtverträge) zwischen den Verbänden der Krankenkassen und den kassen(zahn)ärztlichen (Bundes-)Vereinigungen ausgefüllt wird368. 365 366 367

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Vgl. Krauskopf, § 179 Vorbem. 2; Schuler, SGb 1983, 469ff. BSGE47, 79; Wortmann, DOK 1975, 364. Zu ihm vor allem Heinemann / Liebold, Kassenarztrecht, 5. Aufl., 1980; Krauskopf/Siewert, Kassenarztrecht, 3. Aufl. 1980; Schneider, Kassenarztrecht, 1983; s. auch zur Reform: Löchelt, Kodifikation des Kassenarztrechts im SGB, Diss. jur. Hamburg 1981; zum Knappschaftsarztsystem: Emmerlich, in: Fs. f. Grüner, 1972, S. 125 ff. Vgl. z. B. die Sammlung von Lippe, Vertrags- und Gebührenrecht der Krankenkassen in Niedersachsen, 1983.

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Die größere Bedeutung kommt den Bundesmantelverträgen zu369. In ihnen ist bundesweit der allgemeine Inhalt der Gesamtverträge vereinbart (§ 368 g III). Die Bundesmantelverträge präzisieren zunächst die Pflichten der Kassenärzte. Stichwortartig seien genannt: persönliche Behandlung (§ 4 I, III), Aufzeichnungen (§ 5), Abhalten von Sprechstunden (§ 6), Hausbesuche (§ 7 jew. BMV-Ä). Auch darf eine Vergütung von Kassenpatienten grundsätzlich nicht gefordert werden (§ 4 V a. a. O.)- Geregelt sind auch die Pflichten der Versicherten. Sie müssen den Krankenschein (§ 188) vorweisen (§§8 ff. BMV-Ä) und sollen den Arzt ohne triftigen Grund im Quartal nicht wechseln (§ 368 d III; § 8 II lit. b BMV-Ä). Festgelegt sind des weiteren die Voraussetzungen einer Überweisung (§20), Krankschreibung (§21), von Auskunftspflichten (§ 30) und die Verantwortlichkeiten bei der Überprüfung der Kassenärzte (§§ 33 f. jew. a. a. O.). Recht problematisch ist die Bindung der Ärzte an die Richtlinien (§ 28 a. a. O.), die sie dem Gesetz nach nur beachten sollen (§ 368 p III). Bestandteil der Bundesmantelverträge sind die Bewertungsmaßstäbe (§368g IV)370, mit denen die einzelnen ärztlichen Leistungen nach einem Punktesystem bewertet werden. Mit ihrer Bewertung, die sich auf die Vergütung auswirkt, kann je nach Einstufung z. B. technischer Leistungen Art und Weise der Behandlung beeinflußt werden371. Die Gesamtverträge (§ 386 g II)372 regeln vor allem Art und Umfang der Vergütung (§ 368 f I) der Kassenärzte aber auch der Zahntechniker (§ 368 g Va), die Rechnungslegung und den Arzneimittelhöchstbetrag (§ 368 f VI). Sie werden von den Landesverbänden der Kassen und den kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen geschlossen. An sie sind Krankenkassen (§ 368 g II) und Kassenärzte (§368a IV) gebunden. Daher kommt den Bundesmantel- und den Gesamtverträgen Normqualität zu373. Kommt es zu keiner Vereinbarung dieser Verträge, kann ihr Inhalt durch Schiedsämter (§ 368 i) festgesetzt werden (§ 368 h)374. Ihr Spruch ist für die betroffenen Vertragspartner ein Verwaltungsakt375, gegen den ohne Vorverfahren (§ 368 i V) Anfechtungsklage möglich ist (§§ 54, 70 Nr. 4 SGG). Aufschiebende Wirkung kommt nur der Nichtigkeitsklage zu (§§ 55 I Nr. 4, 97 I Nr. 3 SGG). Geleistet wird die kassenärztliche Versorgung von den Kassen(zahn)ärzten376. Nichtärzte, wie z. B. Psychotherapeuten, haben zu ihr keinen unmittel369 370 371 372 373

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Vgl. z. B. Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), Aichberger, Nr. 242. BSGE 42, 268. Schirmer, BKK 1977, 218 (226). Zu ihnen: Lüke, SGb 1983, 8ff. Wie hier: BSGE 20, 73 (81); 28, 73 (75); 29, 254 (256); Küchenhoff, in: Fs. f. Molitor, 1962, S. 253ff.; Schneider (Fn. 367), S.223; a. A.: Sieg, SGb 1965, 289; nach unzutreffender Ansicht soll der Bewertungsmaßstab Verwaltungsakt sein, vgl. Martens, DOK 1979, 321; Peters, § 368e Anm. 14. Nicht schiedsfähig sind Verträge mit den Ersatzkassen, vgl. § 525c II. BSGE 20, 73 (75); Kuchenhoff (Fn. 373), S. 278. Dazu Meier-Greve, Öffentlich-rechtliche Bindungen und freiberufliche Stellung des Kassenarztes, Diss. jur. Göttingen 1968.

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baren Zugang (§ 122)377. Dagegen sind eine Reihe von Verfassungsbeschwerden anhängig. Auf die Zulassung zum Kassenarzt besteht nunmehr 378 ein Anspruch, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 368 c; Zulassungsordnung) erfüllt sind. Er kann zur Verhinderung einer Unterversorgung regional beschränkt werden (§368r III). Krankenhausärzte können bei Bedarf an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt (§368a VIII) und z.B. ausländische Ärzte in Grenzgebieten zur Versorgung der Kassenpatienten ermächtigt werden (§ 368 c II Nr. 12, § 31 ZulO-Ä, §§ 14 ff. BMV-Ä). Mit der Zulassung und der Beteiligung, die ebenso wie ihr Entzug durch paritätisch zusammengesetzte Zulassungsausschüsse erfolgen, wird man kraft Gesetzes (§368a IV) Mitglied der kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung (§§ 368kff.). Sie hat in ihrem Gebiet die kassenärztliche Versorgung sicherzustellen, wofür sie den Krankenkassen, die ihren Versicherten gegenüber entsprechend verpflichtet sind (§368e), haftet (§368n I). Die Versicherten haben freie (Kassen-)Arztwahl (§ 368d I). Zwischen ihnen und dem Arzt kommt kein Vertrag zustande 379 ; der Arzt haftet gleichwohl nach bürgerlichem Vertragsrecht (§ 368 d IV)380. Die Vergütung der Kassenärzte381 erfolgt ganz überwiegend nach dem Einzelleistungssystem (§ 368 f II). Die Ärzte rechnen die Krankenscheine anhand der Bewertungsmaßstäbe mit ihrer kassenärztlichen Vereinigung ab, die darüber einen Honorarbescheid erläßt und auf der Basis der von ihr erteilten Honorarbescheide von den Krankenkassen die Gesamtvergütung einfordert (§ 368 f I 1). Deren Höhe hängt von der Zahl der abgerechneten Punkte und ihrem im Gesamtvertrag vereinbarten DM-Wert ab. Die Gesamtvergütung wird dann nach dem Verteilungsmaßstab (§ 368 f 13) auf die Kassenärzte verteilt. Veränderungen der Gesamtvergütung 382 sollen Empfehlungen der Bundesverbände bzw. der „konzertierten Aktion" (§ 405 a)383 angemessen berücksichtigen (§ 368 f IV), was notfalls durch Schiedssprüche geschieht384. 377

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S. o. Fn. 348; Bieback, SGb 1982, 12ff.; 52ff.; zu Heilpraktikern: BSG, D O K 1969, 462 (auch bei Überweisung keine zu gewährende ärztliche Behandlung); s. auch Schneider, SGb 1983, 181 ff. Vgl. BVerfGE 11, 30ff.; 12, 144ff.; s. auch BVerfGE 16, 286; dazu H. Bogs, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 51 ff. Wie hier: BSGE 33, 158 (160f.); Eberhardt, AcP 1971, 289 (296); Haueisen, NJW 1956, 1745 (1746); Krauskopf, § 368 d. Anm. 3.5; Tiemann / Tiemann, Kassenarztrecht im Wandel, 1983, S.288; a. A.: BGH, NJW 1980, 1452 (1453); Laufs, Arztrecht, 2. Aufl., 1978, S. 12f.; zur Sondersituation bei der zahnprothetischen Versorgung: Krauskopf, § 368 g Anm. 3.5. Dazu Krause, SGb 1982, 425 (429)ff.; Stern, SozVers. 1976, 206; s. nun auch BSG, NJW 1984, 1422; dazu Plagemann, N J W 1984, 1377. Vgl. Luke, Beiträge zum neuen Kassenarztrecht, 1980, S. 6ff.; Schneider (Fn. 367), S. 238 ff. Zu den Kriterien: Lüke, a. a. O. S. 131 ff. Zu ihr: H. Bogs und Herder-Dorneich, in: Gesundheitspolitik zwischen Staat und Selbstverwaltung, 1982, S. 386ff.; 418ff.; Bogs, SGb 1982, 1 ff.; Fischwasser, BAB1. 1977,310. Vgl. Krauskopf § 405 Anm. 2.2.1.; Lüke(Fri. 381), S. 136ff.

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Kontrolliert werden Kassenärzte zunächst durch ihre Vereinigung, die die Honorarforderungen rechnerisch überprüft. Paritätisch zusammengesetzte Prüfungsausschüsse (§ 368 n V) überwachen die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Maßnahmen. Der den Landesversicherungsanstalten zugeordnete Vertrauensärztliche Dienst385 (§§ 223, 369 b) kann auch auf Antrag des Arbeitgebers hin z. B. Krankschreibungen überprüfen. Seine Entscheidung ist insoweit maßgeblich (§ 21 VIII BMV-Ä). Kaum kontrollierbar ist, was die Ärzte an Leistungen abrechnen 386 . Zu begrüßen ist daher, daß einzelne Krankenkassen ihren Versicherten mitteilen, was ihretwegen in Rechnung gestellt wurde (§ 223). bb) Die Beziehungen zu den Krankenhäusern und Apotheken: Auch mit den an der Versorgung der Versicherten beteiligten Krankenhäusern (§371 I), zwischen denen der Versicherte wählen kann (§ 184 II), werden nunmehr öffentlich-rechtliche387 Verträge geschlossen, denen auf Bundesebene erarbeitete Rahmenempfehlungen zugrunde liegen (§ 372). Diese der Zwangsschlichtung unterworfenen (§ 374) Verträge regeln zwar die allgemeinen Bedingungen der Krankenhauspflege, doch muß die Höhe der Pflegesätze gesondert vereinbart werden, wenn sie nicht staatlich festgesetzt werden soll388. Die Versicherten können eine höhere als die allgemeine Pflegeklasse wählen, wenn sie die Kostendifferenz zuzahlen (§ 372 II Nr. 1 a). Zu den Apothekern bestehen nach wie vor privatrechtliche Beziehungen, die vor allem durch den Apothekenrabatt von 5% (§ 376)389 gesetzlich beeinflußt werden390. f ) Die Finanzierung der Krankenversicherung: Die Krankenversicherung finanziert sich nahezu ausschließlich mit Beiträgen, die Arbeitgeber und -nehmer grundsätzlich je zur Hälfte tragen (§381 11). Beitragsschuldner ist der Arbeitgeber (§ 393 I), der den Arbeitnehmeranteil im Lohnabzugsverfahren einbehält (§ 394). Er hat bei Arbeitnehmern mit geringfügigem Einkommen die Beiträge allein zu tragen (§ 381 12). Angestellte, deren Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt, die sich aber freiwillig weiterversichert haben, zahlen zwar den gesamten Beitrag selbst (§ 381 III). Ihr Arbeitgeber muß intern aber als versicherungsrechtliche Pflicht391 die Hälfte übernehmen (§ 405). Ähnlich ist es bei den Ersatzkassen (§ 520), soweit nicht einzelne Firmen den Beitragseinzug übernommen haben (Firmenlistenverfahren)392. 385 386 387 388 389 390 391 392

Zu ihm Rohwer-Kahlmann, in: Fs. f. Peters, 1975, S. 127ff. Die Anforderung von Gebühren für nicht erbrachte Leistungen rechtfertigt den Entzug der Zulassung, vgl. BSGE 33, 161. Zutreffend: Bley, S. 252ff.; a. A.: Krauskopf, § 371 Anm. 1. Vgl. §§ 18, 17VKHG. Verfassungsmäßig: BVerfG, DOK 1971, 371. Zur Arzneimittelversorgung: Zacher, in: Fs. f. Liefmann-Keil, 1973, S. 201 ff. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BSGE 37, 292 (296) = JuS 1975, 260. Dazu BSGE 31, 59.

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Den auf den Grundlohn (§ 180) der Versicherten bezogenen prozentualen Beitragssatz legt die Kasse durch Satzung fest. Er ist so zu bemessen, daß die Beiträge zusammen mit den anderen Einnahmen (z. B. aus Vermögen), die voraussichtlichen Ausgaben decken und die notwendigen Rücklagen sicherstellen (§ 21 SGB IV; § 385 12). Die Beitragssätze schwanken derzeit zwischen 10 und über 15%393. Innerhalb der einzelnen Kassen sind sie grundsätzlich einheitlich (Ausnahme: § 384). Erhöhte Beiträge treffen jedoch Versicherte ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung (§ 385 14). Kann Krankengeld nicht beansprucht werden, ermäßigt sich der Beitrag (§§420 - Landwirtschaft; 494 - Lehrlinge). Differenzierungen nach dem Familienstand sind unzulässig394. Die Familienhilfe wird ohne zusätzliche Beiträge erbracht 395 . Der Bund trägt nur die Kosten für das Mutterschaftsgeld (§ 200d). Sonstige Zuschüsse gewährt er nicht (mehr). Er ist aber Garant für die finanzielle Leistungsfähigkeit des Systems396. g) Sonderregelungen für einzelne Gruppen: aa) Die Krankenversicherung der Rentner: Die zweitgrößte Gruppe der Pflichtversicherten stellen die Rentner (§ 165 I Nr. 3) dar, zu denen die Bezieher sowohl von Versicherten- als auch von Hinterbliebenenrenten rechnen. Ihre wegen der hohen Kosten immer wieder „reformierte" Sicherung397 hängt derzeit von der „Halbdeckung" ab. Der Rentner oder derjenige, von dem sich die Hinterbliebenenrente ableitet, muß mindestens die Hälfte seines Erwerbslebens Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein. Für die Vorversicherung zählt auch die Zeit, in der er als Ehegatte von der Familienhilfe erfaßt war. Die Versicherung als Rentner ist gegenüber allen anderen Versicherungspflichten subsidiär (§ 165 VI). Mitglieder einer privaten Krankenversicherung können befreit werden (§ 173 a). Die Versicherung beginnt, wenn der Rentenantrag gestellt wird. Wird er abgelehnt, kommt es zur Formalversicherung (§ 315 a). Die Mitgliedschaft erlischt mit dem Tode des Versicherten oder dem Wegfall der Rente (§ 312). Dem Rentner steht die gesamte Palette der Leistungen zu, zu393

394 395

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Zu den Ursachen und den sich daraus ergebenden Problemen: Soell / Jaeger / Geißler, Verfassungsrechtliche Aspekte der Beitragssatzunterschiede in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1980; s. auch Henke / Adam, Wirtschaftsdienst 1982, 549ff.; Oldiges, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 319ff. BSG, DOK 1979, 614 m. Anm. Töns\ BB 1979, 1146 m. Anm. Schroeter = JuS 1979, 828f.; Löffler, SF 1979, 125. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob sie ein so wesentliches Element des sozialen Ausgleichs sind, wie es Meydam, BIStSozArbR 1979, 248 (250); Peters, SGb 1981, 378 (381), annehmen, vgl. Rohwer-Kahlmann, Fs. f. W. Bogs, 1967, S. 119ff.; Ruland, Unterhalt, S. 55; s. auch RVA, AN 1940, 179 (180); BSGE 17, 186 (188); 20, 252 (254). Vgl. BSGE 34, 177; 47, 148 = JuS 1979, 601. Dazu Bartsch / Maaz, DAngVers 1979, 115; Hungenberg / Steffens, Krankenversicherung der Rentner, 3. Aufl., 1983, Kolb, in: Fs. f. Peters, 1975, S. 109ff.; Laufer/ Eibs, Krankenversicherung der Rentner, 1978; Solcher, DRV 1977, 165ff.; Tons, DOK 1980, 536ff.; ders., DOK 1982, 429ff.

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meist aber kein Krankengeld (Konsequenz aus § 182 IV l)398. Die Rentner müssen nunmehr Beiträge zahlen (§ 381 II 1). Beitragspflichtig sind nicht nur Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§180 I 1; Beitragssatz: 11,8%, § 385 II), sondern auch sonstige Versorgungsbezüge (§ 180 V Nr. 2, VI Nr. 2, VIII 2 RVO) mit aber nur halbem Beitragssatz (Arbeitnehmeranteil, § 385 IIa, IIb) 399 . Die Beiträge werden von den Rentenversicherungs- und den übrigen Versorgungsträgern einbehalten und an die Krankenkassen abgeführt (§ 393 a). Die Rentenversicherungsträger zahlen an ihre krankenversicherungspflichtigen Rentner einen Zuschuß, der derzeit 8,8% der Rente beträgt, aber am 1.7.1985 nochmals, dann auf 6,8%, gesenkt werden soll (§ 1304e II). Das Defizit aus der Krankenversicherung der Rentner tragen die Krankenkassen gemeinsam (§ 393 b). bb) Die studentische Krankenversicherung: Versichert sind auch Studenten und Praktikanten, soweit sie nicht sonst pflichtversichert sind (s. a. § 172 I Nr. 5) oder für sie und ihre Angehörigen Anspruch auf Familienhilfe besteht (§§ 165 I Nrn. 5, 6, VI 2, VIII, 174 Nr. 3). Ihre Mitgliedschaft beginnt mit der Einschreibung oder Rückmeldung (§ 306 I Nr. 5) und endet 7 Monate nach Beginn des letzten versicherten Semesters (§312 III). Studienplatzbewerber, Teilnehmer an Studien vorbereitenden Kursen, Studenten im Ausland (§ 176 I Nrn. 6 - 8 ) und im Examen (§ 176b I Nr. 3) können sich freiwillig versichern. Studenten und Praktikanten haben keinen Anspruch auf Krankengeld (§ 182 I Nr. 2 S. 2) und zahlen demgemäß einen einheitlichen, aber verringerten Beitrag (§ 381a), zu dem es für BAföG-Empfänger einen Zuschuß von 38 DM gibt (§ 13 IIa BAföG). cc) Die Krankenversicherung der Arbeitslosen: Arbeitslose, die Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit beziehen, werden auf deren Kosten gegen Krankheit versichert (§§ 155, 157 I AFG)400. Krankengeld erhalten sie in Höhe der von der Bundesanstalt gezahlten Leistung (§ 158 I AFG). Während einer Kurzarbeit bleibt die Mitgliedschaft erhalten, der Arbeitgeberbeitrag wird bezuschußt (§§ 162, 163 AFG). dd) Sonstige Versicherte: Versicherungspflichtig sind außerdem noch Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe, für Behinderte oder in Berufsförderungswerken für eine Erwerbstätigkeit befähigt oder rehabilitiert werden (§§ 165 I Nr. 2a, 4, 306 III, 380, 381 I 2). Die Versicherungspflicht der Künstler folgt aus dem KSVG und den ergänzenden Regelungen der RVO (§§ 306 VI, 312 IV a, 381 b, 393), die der Landwirte aus dem KVLG401. Die zum Versichertengrundbestand (§ 2 II SGB IV) zählenden Selbständigen sind, soweit 398 399

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Vgl. Tons, DOK 1982, 429 (441). Zur verfassungsrechtlichen Problematik dieser Beiträge von Beamtenpensionären zur gesetzlichen Krankenversicherung: Leisner, Sozialversicherungspflicht für Ruhestandsbeamte, in: Verantwortung und Leistung, Heft 5, 1981. Zu zahlreichen Problemen: Ruland, ZSR 1980, 463ff. Zu ihr Müller, in: Fs. f. Brackmann, 1977, S. 243ff.

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nicht vom KSVG erfaßt, nur dann versicherungspflichtig, wenn ihr Einkommen die Versicherungspflichtgrenze nicht übersteigt (§ 166 I). Für sie gelten zahlreiche Sonderregelungen (§§ 466 ff.). Der Beitritt Versicherungsberechtigter (§§ 176 ff.) kann von ärztlichen Untersuchungen (§310), von bestimmten Altersgrenzen (§176 III), der Leistungsanspruch von Wartezeiten (§ 207) abhängig gemacht werden. Sie haben für ihre Beiträge selbst aufzukommen (§§ 381 III 1, 180 IV). Zahlen sie nicht, erlischt die Mitgliedschaft (§ 314). h) Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung: Die Mitgliedschaft besteht grundsätzlich bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen, die von den Gemeindeverbänden errichtet worden sind (§§226, 231). Ausnahmen gelten zugungsten der Betriebs- (§§ 245 ff.) oder Innungskrankenkassen (§§ 250 ff.). Seeleute sind bei der See-Krankenkasse (§ 476 I), Beschäftigte im Bergbau bei der Bundesknappschaft (§§ 6, 15 ff. RKG), Landwirte bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen (§§ 44 f. KVLG) versichert. Die Ersatzkassen (§§ 504ff.; 12. VO zum Aufbau der Sozialversicherung; VO über den Mitgliederkreis der Ersatzkassen) 402 haben keine gesetzlichen Mitglieder 403 . Sie müssen ihre Versicherten den anderen Krankenkassen abwerben (§ 517), was zu einem starken Wettbewerb führt 404 . All diese Krankenkassen und ihre Verbände (§§ 406, 414ff.) sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 29 SGB IV; s. S. 435ff.). 3. Das Rentenversicherungsrecht Die Rentenversicherung 405 gliedert sich in drei Zweige: Arbeiterrenten- (4. Buch RVO), Angestelltenversicherung (AVG) und knappschaftliche Rentenversicherung (RKG). Die Arbeiterrenten- und die Angestelltenversicherung sind rechtlich weitgehend identisch, Voraussetzung dafür, daß sie über den Finanzausgleich zu einem einheitlichen Solidarverband zusammengefaßt wurden. In der knappschaftlichen Rentenversicherung — einer Kombination aus Regelsicherung plus betriebliche Altersversorgung — werden mehr und

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RGBl. 1935 I, 1537; 1938 I, 1519; Aichberger Nrn. 295f.; zu ihrer Fortgeltung: BSGE 16, 165 (168). Zu ihnen: Hillert, Die Ersatzkassen in der gesetzlichen Krankenversicherung, Diss. jur. Göttingen 1973; Stolt / Vesper, Die Ersatzkassen der Krankenversicherung: Geschichte, Gestalt, Recht, 7. Aufl., 1973. Dazu § 516 II; BSGE 36, 238 (239); Brackmann, NJW 1982, 84ff.; Peters, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 329; Rohwer-Kahlmann, SGb 1980, 89; s. auch die Wettbewerbsgrundsätze des BVA, WzS 1983, 275. Zu ihr vor allem Eicher / Haase / Rauschenbach, Casselmann / Friedrichs (u. a.), Verbandskommentar, Zweng / Scheerer, s. auch Döring, Das System der gesetzlichen Rentenversicherung, 1980; Hoernigk / Jorks, Der Rentenberater, 6. Aufl., 1978; Kolb, in: Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Bd. 2, S. 19ff.; Ruland, SGb 1981, 391 ff.

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höhere Leistungen durch höhere Beiträge erkauft 406 . Die Altershilfe für Landwirte (GAL), vom Gesetz ebenfalls der Rentenversicherung zugeordnet (§ 1 I SGB IV), ist aus bereits genannten Gründen ganz anders ausgestaltet (S. 383 f.)407. a) Die Versicherungspflicht der abhängig Beschäftigten: Alle Arbeiter (§ 1227 I Nrn. 1, 2) und Angestellten (§§ 2 I Nrn. 1, 2; 3 AVG) sind unabhängig von der Höhe ihres Einkommens rentenversicherungspflichtig. Allerdings erfaßt die Versicherung Einkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 II, 1984: 62400 DM). Versicherungsfrei sind Personen, die nur geringfügig (§ 8 SGB IV) oder gegen freien Unterhalt (§ 1228 I Nr. 2, 4) beschäftigt sind, Werkstudenten (Nr. 3 a. a. O.), Altersrentner und Beamte (§ 1229)408. Mitglieder von berufsständischen Versorgungswerken können sich befreien lassen (§ 7 II AVG)409. Ähnliche Befreiungsmöglichkeiten bestehen zugunsten der beamtenähnlichen Versorgungen der Kommunen, der Sozialversicherungsträger 410 oder nicht öffentlicher Schulen (§§ 1230 f.). Personen, die wegen einer Anwartschaft auf eine lebenslängliche Versorgung von der Versicherungspflicht befreit sind oder wurden, müssen für die Zeit, in der sie sonst versicherungspflichtig gewesen wären, nachversichert werden, wenn diese Anwartschaft weggefallen ist (§§ 1232, 1402f.)4U. b) Die durch die Rentenversicherung gesicherten Risiken: Die Rentenversicherung schützt bei: Invalidität, Alter und Tod. Auch bei ihr ist es, von der absichtlichen Herbeiführung abgesehen (§ 1277), unerheblich, aus welchem Grunde der Versicherungsfall eingetreten ist. aa) Berufs- und Erwerbsunfähigkeit: Eine körperliche oder geistig bedingte Leistungsminderung kann dazu führen, daß der Betroffene nicht mehr (a) seinen bisherigen Hauptberuf, (b) eine ihm seinem sozialen Status nach zumutbare Verweisungstätigkeit oder (c) irgendeine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben kann. Die Rentenversicherung reagiert mit Berufs(§ 1246) und Erwerbsunfähigkeit (§ 1247) abgestuft412. Die beiden Versicherungsfälle unterscheiden sich in folgendem: 406 407

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Zu den Abweichungen: Nickels, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 360ff. Zu ihr außer den in Anm. 315 Genannten noch Baun, in: Fs. f. Brackmann, 1977, S. 273 ff. Zu den Ordensangehörigen (§ 1227 I Nr. 5): Schulin, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 521 ff. Zu Abgrenzungsproblemen anschaulich: BVerwG, JuS 1984, 152. Zu den „Dienstordnungsangestellten": §§ 351 ff.; hier insbesondere §§ 353 I Nr. 3, 690ff.; Bulla, in: Fs. f. Lauterbach II, 1981, S. 352ff.; Siebeck, Dienstordnungsrecht bei Trägern der Krankenversicherung; Stößner, Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, 1978, S. 129 ff. Dazu ausführlich: Brackmann, S. 626b Uff. Eine zusammenfassende Darstellung des geltenden Rechts findet sich im Sonderheft 7 DRV 1980; zur historischen Entwicklung: Tennstedt, Berufsunfähigkeit im

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- Der Erwerbsunfähige ist auf absehbare Zeit außerstande, irgendeine Erwerbstätigkeit entweder mit gewisser Regelmäßigkeit oder von mehr als nur geringfügigem Ertrag auszuüben (§ 1247 II). Berufsunfähig ist dagegen schon der, der in seinem bisherigen Hauptberuf oder in einem zumutbaren Verweisungsberuf nicht mehr die Hälfte des Einkommens eines gesunden vergleichbaren Versicherten erzielen kann (§ 1246 II 1). Ob und was er in anderen Berufen noch leisten kann, ist unerheblich. — Da der Erwerbsunfähige kein verwertbares Restleistungsvermögen mehr hat, braucht und bekommt er einen vollen, mit dem Steigerungssatz von 1,5% pro Jahr (§ 1253 II) berechneten Lohnersatz. Die Berufsunfähigkeitsrente ist um Vi geringer (§ 1253 I); ein voller Lohnersatz ist dem System nach nicht erforderlich, das davon ausgeht, daß das Restleistungsvermögen es dem Versicherten noch erlaubt, Einkommen zu erzielen. Der Umfang des noch vorhandenen Restleistungsvermögens entscheidet über Berufs- oder Erwerbsfähigkeit. Kriterien dafür sind aber nicht nur Ausbildung, Fähigkeiten und körperliche bzw. geistige Konstitution des Versicherten, sondern nach der vom Großen Senat des BSG413 vorgeschriebenen „konkreten Betrachtungsweise" auch die Arbeitsmarktsituation4U. Der Versicherte darf auf ihm ansonsten zumutbare Berufe nur dann verwiesen werden, wenn dafür Arbeitsplätze offen stehen. Kann er noch und sei es mit Einschränkungen 415 vollschichtig tätig sein, wird das unterstellt. Das Arbeitsplatzrisiko trägt dann der Versicherte bzw. die Bundesanstalt für Arbeit. Der nicht mehr vollschichtig einsatzfähige Versicherte kann aber nur auf einen konkret nachweisbaren Arbeitsplatz verwiesen werden. Gibt es ihn innerhalb der maximal einjährigen Frist für Vermittlungsversuche nicht, ist der Versicherte gleich — häufig aber nur auf Zeit (§ 1276) — erwerbsunfähig. Das Risiko der mangelnden Verwertbarkeit seines Restleistungsvermögens tragen somit weder der Versicherte noch die dafür an sich zuständige Bundesanstalt für Arbeit, sondern der Rentenversicherungsträger. Da es Teilzeitarbeitsplätze nur wenige, für Behinderte fast gar nicht gibt416, wird der größte Teil der Behindertenarbeitslosigkeit von der Rentenversicherung sozial aufgefangen.

413 414

415 416

Sozialrecht, 1972; DAngVers 1976, Sonderheft; zur Kritik und Reform: Bergner, DRV 1976, 141 ff.; ders., SGb 1977, 179; ders., ZSR 1981, 321ff.; Kaltenbach, DAngVers 1981, 381 ff.; Leingärtner, in: Fs. f. Brackmann, 1977, S. 153; Rische, DRV 1979, 298ff.; Ruland, RV 1981, 209 ff.; Ruland / Rische, DRV 1980, 12ff.; Schäfer, Einkommenssicherung bei Invalidität, 1979; Scheerer, DRV 1976, 9ff.; ders., SGb 1979, 45 ff. BSGE 30, 167ff.; 192ff.; 43, 75ff.; dazu Maier, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 286ff. Anders bei Renten für Ausländer im Ausland, vgl. § 1321. Ist die Arbeitsmarktsituation für die Rentengewährung mitentscheidend, ist Rente nur auf Zeit zu gewähren (§ 1276 I 2). Zu ihnen krit.: Wolff, DRV 1980, 228; dagegen Kolb, DRV 1980, 246; s. auch Kunze, SozVers. 1979, 35; Bender, BIStSozArbR 1981, 72. Vgl. Wohlleben, in: Die soziale Sicherung der Behinderten, 1981, S. 50ff.

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Die Differenzierung zwischen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit ist daher praktisch bedeutsam nur noch für vollschichtig einsatzfähige oder für solche Versicherte, die es zwar nicht mehr sind, aber einen Arbeitsplatz innehaben. Bei ihnen kommt es darauf an, ob der Verweisungsberuf sozial zumutbar ist (keine Rente) oder nicht (dann Berufsunfähigkeitsrente). Das BSG konkretisiert die Zumutbarkeit durch ein Schema abgestufter Arbeiterberufe4I7. Es soll nach einer neueren Entscheidung auch für Angestellte gelten418. Unterschieden wird zwischen: (1) Vorarbeitern mit Vorgesetztenfunktion, (2) Facharbeitern, (3) Angelernten und herausgehobenen ungelernten Tätigkeiten, (4) ungelernten Tätigkeiten. Der mit seinem zuletzt ausgeübten (Haupt-)Beruf 419 in dieses Schema eingestufte Versicherte kann auf alle Berufe der eigenen oder jeweils nächst unteren Gruppe verwiesen werden, soweit sie ihn weder seinen Fähigkeiten noch seinem gesundheitlichen Zustand nach überfordern. So kann z. B. ein Vorarbeiter nur auf andere Vorarbeiter- oder auf Facharbeiterberufe zumutbar verwiesen werden. Da somit alle Versicherten in Anlernberufen und in ungelernten Tätigkeiten auf (nahezu) den gesamten Arbeitsmarkt verweisbar sind420, ist für sie, solange sie vollschichtig einsatzfähig sind, ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente praktisch ausgeschlossen421. Sie bleibt Facharbeitern mit und ohne Vorgesetztenfunktion vorbehalten. Daher ist sie zahlenmäßig kaum noch von Bedeutung (S. 352). In diesen Fällen kann sie aber auch nicht den sozialen Status des Versicherten schützen. Er ist finanziell wegen ihres niedrigen Betrages doch genötigt, eine „unzumutbare" Beschäftigung anzunehmen 422 . Mit dem Einkommen aus ihr führt die Rente dann zumeist aber zu einer Übersicherung. Sie hat daher vielfach nur noch „ Prestigeersatzfunktion "423. bb) Das Alter: Für das Altersruhegeld gibt es 3 Altersgrenzen: Die „normale" v/ird mit Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht (§ 1248 V). Die an längere Wartezeiten geknüpfte „flexible" Altersgrenze ermöglicht es dem Versicherten, schon mit Vollendung des 63., bei Schwerbehinderung mit Vollendung des 60. Lebensjahres „in Rente zu gehen" (§ 1248 I). Das „vorgezogene" Altersruhegeld bei Vollendung des 60. Lebensjahres steht weiblichen Versicherten zu, die in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversiche417

418 419 420 421

422 423

Vgl. BSG, SozR § 1246 RVO Nrn. 32, 35, 103, 104, 107; s. auch BSGE 43, 169; 49, 54 (56); SozR 2200 § 1246 Nrn. 27, 86, 90; des weiteren den Rechtsprechungsüberblick bei Bley, S. 203ff.; Kolb, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 230f. BSGE 55, 45ff.; s. auch BSGE 49, 54 (56). Zu den zahlreichen damit zusammenhängenden Fragen: DRV 1980, Sonderheft, S. 17 ff. Vgl. BSGE 43, 243 (247); BSG, SozR 2200 § 1246 Nr. 75. Dagegen sollen verfassungsrechtlich keine Einwände bestehen: BVerfGE 59, 36ff. = JuS 1982, 949; a. A.: LSG Stuttgart, JuS 1980, 155; s. auch Ruland, RV 1981, 209 (210). So auch Bieback, DuR 1977, 5 (17f.). So Scheerer, DRV 1974, 197ff.; ders., DRV 1976, 9ff.; a.A.: Hesse, DRV 1981, 304 f.

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rungspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben (§ 1248 III). Über die Verfassungsmäßigkeit dieses Ausgleichs der Doppelbelastung von Haushalt und Beruf hat derzeit das BVerfG zu entscheiden. Vorgezogenes Altersruhegeld können auch arbeitslose Versicherte beanspruchen, die in den letzten 1 Vi Jahren 1 Jahr arbeitslos und in den letzten 10 mindestens 8 Jahre versicherungspflichtig beschäftigt oder arbeitslos waren (§ 1248 II). Nebenverdienst ist neben flexiblem und vorgezogenem Altersruhegeld nur begrenzt zulässig (§ 1248 IV). cc) Der Tod: Für alle Leistungen an die abgeleitet gesicherten Hinterbliebenen sind Tod (§ 1263) oder Verschollenheit (§ 1271) des Versicherten der Versicherungsfall. Auf die Ursache kommt es nicht an. Auch der Selbstmord kann Hinterbliebenenrente auslösen (§ 1277). c) Die Leistungen der Rentenversicherung: aa) Rehabilitationsmaßnahmen: Das Prinzip „Rehabilitation vor Rente" (§ 7 RehaAnglG) 424 gilt auch für die Rentenversicherung. Mit Rehabilitationsmaßnahmen 425 soll die aus gesundheitlichen Gründen geminderte oder gefährdete Erwerbsfähigkeit erhalten, wesentlich gebessert oder wieder hergestellt werden (§ 1236 I 1). Im Ermessen steht nur die Art der Maßnahme 426 . Auf die vor allem in Kur- und Spezialeinrichtungen zu erbringenden medizinischen Leistungen zur Rehabilitation (ärztliche Behandlung, Arznei etc., § 1237), für die die Rentenversicherungsträger vor den Krankenkassen zuständig sind (§ 184 a I l)427, haben Versicherte schon dann Anspruch, wenn sie in den letzten 2 Jahren vor der Antragstellung 6 Monate lang versicherungspflichtig waren (§ 1236 Ia). Die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation (Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, Förderung der Arbeitsaufnahme, Eingliederungshilfen an Arbeitgeber etc., § 1237 a) sind hingegen von einer Versicherungszeit von 180 Monaten abhängig (§ 1236 Ia). Diese 1978 eingeführte Verschärfung der Anspruchsvoraussetzung verlagerte die Kompetenz auf die Bundesanstalt für Arbeit und gab in weitem Umfang die einheitliche Trägerschaft für medizinische und berufliche Rehabilitation auf*28. Während der Maßnahme steht dem Betreuten Übergangsgeld als ergänzende Leistung zu (§ 1237 b), wenn er arbeitsunfähig ist bzw. sich noch schonen muß oder wegen der Maßnahme nicht arbeiten kann (§ 1240). Es wird wie das Krankengeld berechnet, ist aber vielfach höher, da das Einkommen des Versicherten bis zur für die Rentenversicherung maßgebenden (höheren) Beitragsbemes424 425 426 427 428

Zu ihm statt aller Köbl, VSSR 1979, 1 ff. Zu ihnen: Kugler, Rehabilitation in der Rentenversicherung, 1979; Mrozynski, S. 83 ff. Vgl. BSGE 45, 183 (185); 48, 74 (75); 50, 33 (34); Eicher / Haase / Rauschenbach, § 1236 Anm. 6; Zweng/Scheerer, § 1236 Anm. III; s. auch § 7 RehaAnglG. Dazu Köbl, in: Zacher, Sozialrecht, S. 211 f. Krit. daher Mrozynski, S. 93; Schulin, Behinderte, S. 59; zur Zusammenarbeit zwischen Rentenversicherung und Bundesanstalt für Arbeit: Tiedt, DRV 1978, 229.

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sungsgrenze berücksichtigt wird (§ 1241 I). Die Durchführung der Maßnahmen kann anderen Stellen übertragen werden (§§ 1238f.). bb) Die Renten: Den Renten kommt Einkommensersatzfunktion zu. Jedoch ist ein tatsächlicher Einkommensverlust allenfalls Voraussetzung der Erwerbsunfähigkeitsrente. Doch haben auch Nebenverdienstgrenzen („flexibles" und vorgezogenes Altersruhegeld) eine ähnliche „Siebfunktion". Neben dem normalen Altersruhegeld und der Berufsunfähigkeitsrente kann aber uneingeschränkt hinzuverdient werden. Der Anspruch der Hinterbliebenen (Witwen, Witwer und Waisen) beruht auf abgeleitetem Recht. Ihren Renten kommt Unterhaltsersatzfunktion zu. Sie sollen den durch den Tod des Versicherten weggefallenen Unterhalt ersetzen429. Renten sind nur mit dem Ertragsanteil zu versteuern (§ 22 EStG). Die insoweit vom BVerfG wegen der Schlechterstellung der Beamtenversorgung für notwendig erachteten Änderungen sind weitgehend schon durch die Belastungen der Rentner mit Beiträgen für ihre Krankenversicherung (S. 397) erfolgt 4293 . Da der Zugang zur Rentenversicherung von dem individuellen Gesundheitsrisiko des Versicherten unabhängig ist, schützt sie sich durch Wartezeiten vor allzu schlechten Risiken430. Sie betragen nunmehr für alle Renten 60 Monate (§§ 1246 III, 1247 III, 1248 VII 3) mit Ausnahme des vorgezogenen und des flexiblen Altersruhegeldes (180 Monate, § 1248 VII 2). Letzteres kann zudem nur beanspruchen, wer mindestens 35 anrechnungsfähige Versicherungsjahre zurückgelegt hat, in denen mindestens eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten enthalten ist (§ 1248 VII 1). Auf die Wartezeit werden nicht nur Beitrags-, sondern auch Ersatzzeiten angerechnet. Beitragszeiten (§ 1250 I lit. a) sind Zeiten, in denen Beiträge entrichtet wurden oder als entrichtet gelten (z. B. § 1397 VI; § 119 S. 2 SGB X). Während der Ersatzzeiten (§ 1251) unterblieb eine Versicherung aus politischen Gründen (z. B. Zeiten des militärischen Dienstes vor 1945, Gefangenschaft, Vertreibung, Flucht etc.). Sie werden, wenn keine Vorversicherung bestand, nur angerechnet, wenn innerhalb von 3 Jahren nach ihrem Ende eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wurde oder die „Halbbelegung" erfüllt ist (§ 1251 II). Dies setzt voraus, daß die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Versicherungsfall mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter 60 Monaten, mit /y7('c/i(beitragen belegt ist (s. noch S. 404). Unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere dann, wenn ein Arbeitsunfall früher eingetreten ist, wird, ist zumindest ein Beitrag entrichtet, die Erfüllung der Wartezeit fingiert (§ 1252). 429

Vgl. statt aller BVerfGE 17, 1 (10); 48, 346 (459); BSGE 9, 36 (38); Ruland, Unterhalt, S. 138. 429a Vgl. BVerfGE 54, 11 ff. = JuS 1981, 69 ff. m. w. Nachw.; Heine / Rische, DRV 1984, 101 ff. 430 Für ihre Abschaffung: Transfer-Enquête-Kommission, Rdnr. 242; dagegen: Ruland, SGb 1982, 505 (512); s. auch Rüfner, S. 145f.

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Die Höhe der Rentem ist abhängig von der Zahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre (Vj), dem für den Versicherten maßgeblichen Vomhundertsatz (pV), der auf die allgemeine Bemessungsgrundlage (aB) für das Jahr des Versicherungsfalles bezogen ist, und dem maßgeblichen Steigerungssatz (St). Die Formel432 für die Monatsrente lautet: Vj x pV x aB x St : 12. Zu den Versicherungsjahren (§ 1258) zählen nicht nur die Versicherungszeiten ( = Beitrags- und Ersatzzeiten), sondern auch Ausfallzeiten und die Zurechnungszeit. Auch die Anrechnung der Ausfallzeiten (z. B. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Ausbildung, § 1259) setzt die Halbbelegung (S. 403) voraus (Abs. 3). Ihr „Alles-oder-Nichts-Prinzip" führt bei Personen, die nicht ständig />/7ic7i/versichert waren, zu nicht länger vertretbaren Zufallsergebnissen je nachdem, ob sie bei Eintritt des Versicherungsfalles gerade noch erfüllt war oder nicht433. Änderungsvorschläge wollen die Dauer der anrechnungsfähigen Ausfallzeiten von der der Versicherungszeiten abhängig machen. Die Zurechnungszeit (§ 1260) schreibt bei frühem Tod oder Frühinvalidität die Versicherungsjahre bis zum 55. Lebensjahr fort. Diese Mindestsicherung — der nach einem Unfall erwerbsunfähige Lehrling von 16 Jahren bringt es auf 39 Versicherungsjahre (s.a. §§ 1252, 1258 V) — setzt entweder die Halbbelegung, ohne die 60monatige Mindestfrist, voraus oder, daß in den letzten 5 Jahren 3 Jahre eine versicherungspflichtige Beschäftigung bestand. Der persönliche Vomhundertsatz entspricht dem durchschnittlichen Verhältnis, in dem während der zurückgelegten Beitragszeiten Jahr für Jahr das Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten zu dem für das jeweilige Jahr bestimmten durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten gestanden hat (§ 1255 I). Für 1981 bekommt ein Versicherter bei einem Einkommen von z. B. 40000 DM und dem durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelt von 30900 DM einen persönlichen Vomhundertsatz von (40000 x 100 : 30900 = ) 129,45% ( = 129,45 Werteinheiten). Aus den einzelnen Jahreswerten wird ein Durchschnittswert ermittelt. Er ist der Faktor pV. Er beträgt maximal 200% (§ 1255 I), ein Satz, der wegen der Beitragsbemessungsgrenze aber nicht mehr erreicht wird434. Die beitragslosen Zeiten (Ausfall- und Ersatzzeiten) werden zumeist mit dem Durchschnittswert bewertet, der am Jahresende vor ihrem Beginn erzielt wurde (§ 1255 a). Ausbildungs-Ausfallzeiten werden nach

431

432

433 434

Zu ihrer Berechnung: Rauschenbach, Die neue Berechnung der Rente, 24. Aufl., 1984; s. auch Kolb, in: Sachverständigenkommission - Alterssicherungssysteme, Bd. 2, S. 41 ff.; s. auch das ausführliche Beispiel bei Ruland / Tiemann, Rdnrn. 243ff.; s. Kurzbeispiel auf S. 406. Zur Reformdiskussion: Grohmann, in: Fs. f. Meinhold, 1980 S. 413ff.; ders., DRV 1981, 274ff.; Schmähl, DRV 1981, 384ff.; Transfer-Enquete-Kommission, S. 268; s. auch Lampert, Nettolohnorientierung der Altersrenten, 1982. Vgl. Maier, SGb 1976, 429; Ruland, SGb 1982, 505 (512). Vgl. Kolb (Fn. 431), S. 52.

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mehrmaliger „Abschmelzung" 435 nur noch mit dem monatlichen Wert von 7,5% ( = 90% im Jahr) bewertet (§ 1255 a III 3). Für die Zurechnungszeit ist der Durchschnittswert aus den Pflichtbeiträgen maßgeblich (§ 1255 a IV). Dadurch, daß der persönliche Vomhundertsatz auf die allgemeine Bemessungsgrundlage bezogen ist, werden die in der Vergangenheit erzielten Einkommen an das derzeitige Durchschnittsentgelt aller Versicherten (allerdings zeitverzögert) angepaßt. Die allgemeine Bemessungsgrundlage ist als „Dynamisierungsfaktor" der Zugangsrenten der „Generalschlüssel", mit dem an den Rentenausgaben „gedreht" werden kann. Ihre Definition wurde daher häufig geändert 436 . Derzeit erhöht sich ihr gesetzlich festgelegter Betrag, 1983: 25445 DM, jährlich um den Prozentsatz, um den das durchschnittliche Bruttojahresarbeitsentgelt des Vorjahres (z. B. 1983: 33196 DM) das des Jahres zuvor (z. B. 1982: 32198 DM) übersteigt (aB von 1984 = 26234 DM, § 1255 II)437. Die Bestandsrenten werden zum 1.7. jeden Jahres (zumeist) entsprechend durch Gesetz angepaßt (§ 1272 I)438. Der Steigerungssatz, um den sich die Rente pro Versicherungsjahr erhöht, beträgt bei der Berufsunfähigkeitsrente 1%, bei der Erwerbsunfähigkeitsrente und dem Altersruhegeld 1,5% (§§ 1253, 1254 I)439. Ein vereinfachtes Beispiel findet sich auf S. 406. cc) Die Renten an Hinterbliebene: Das noch geltende Hinterbliebenenrentenrecht ist an der überkommenen Rollenverteilung zwischen Mann ( = Verdiener) und Frau ( = Hausfrau) ausgerichtet. Die Witwe erhält, von der 60monatigen Wartezeit (§ 1263 II) abgesehen, ohne weitere Voraussetzungen Rente (§ 1264), während die Witwenrente (§ 1266) davon abhängt, daß die verstorbene Frau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Dies verstößt — so das BVerfG 1975 — wegen verstärkter Erwerbstätigkeit der Frauen ab Ende 1984 gegen Art. 3 II GG 440 . Ansätze zu einer größeren Re-

435

436 437 438 439 440

Dazu BVerfGE 58, 81 ff.; 64, 192ff.; auch BSG, DB 1982, 500; zum Problem: Philipp, BB 1977, 661; Plagemann, NJW 1982, 558 ff.; Ruland, NJW 1982, 1847 (1851); Ruppert, SF 1978, 121. Vgl. Gitter, S. 140. In der knappschaftlichen Rentenversicherung: 26513 DM. Zur Anpassung: Döring, S. 82ff.; Meinhold, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 289ff. In der knappschaftlichen Rentenversicherung: 1,2 und 2% (§ 53 II, III RKG). BVerfGE 39, 169ff.; anders noch: BVerfGE 17, 1 ff.; zur Reformdiskussion allgemein: Bokeloh, Die soziale Sicherung der Frau im Rentenrecht, 1982; Fuchs, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 486ff.; v. Harbou, Die Stellung der Frau in der Sozialversicherung, Diss. jur. Würzburg 1972; Kaltenbach, DAngVers 1980, 263ff.; ders., DAngVers 1978, Beilage zu Heft 12; Kollenberg, Partnerschaft im Rentenrecht, 1977; Krupp (u. a.), Alternativen der Rentenreform '84, 1981; v. Maydell, Neuordnung der sozialen Alterssicherung der Frau, 1982; Ruland, ZRP 1978, 107ff.; ders., Kompaß 1983, 206ff.; Zacher, DRV 1977, 197ff.; zur Neuregelung: Hauch, DAngVers 1984, 270; Kaltenbach, DAngVers 1982, 433ff.; dazu Clausing / Page, DAngVers 1983, 133ff.

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Kurzbeispiel einer Rentenberechnung Zeitraum

Einkommen

dB 2 ) aller Versicherten

Werteinheiten

1976 1977 1978 1979 1980 Jan.-Juni Juli - Dez. 1981 1982 30. 9. 1983

20600 24300 25700 27685

23335 24945 26242 27685

88,28 97,41 97,93 100,—

7,99

Krank/AZ') 17530 35960 40200 30100

29485 30900 30900 30900

47,94 59,45 116,38 130,10 97,41

8,98

zusammen

834,90

93 M o n a t e pV Vj aB St

= = = =

(6 x 7,99 = )

Durchschnitt pro Monat

834,90:93 = 8,98 pro M o n a t ; im J a h r 107,76% 7,75 Jahre (Die Ausfallzeiten sind anrechenbar.) 25445 D M (1983) 1,5%

Rentenformel: Monatsrente:

Vj x pV x aB x St: 12 = Monatsrente 7,75 x 107,76% x 25445 x 1,5%: 12 = 265,63 D M abgerundet gem. § 1297 = 265,70 D M Anpassung der Rente zum 1.7. 1984 um 3,4% (§ 2 R A G 1984). Hinweis:

Die Rente könnte sich j e nach Alter des Versicherten um die Zurechnungszeit erhöhen.

2')

Ausfallzeit ) Durchschnittlicher Bruttojahresarbeitsentgelt

form („Teilhaberente") 441 werden zugunsten einer „Minilösung" aufgegeben, der zufolge Witwe und Witwer zwar eine unbedingte Hinterbliebenenrente erhalten, auf die aber eigene Renten und eigenes Arbeitseinkommen angerechnet werden sollen 442 . Die Witwenrente beträgt 60% der Versichertenrente (§ 1248 I)443. Ist die Witwe noch keine 45 Jahre alt, weder berufs- noch erwerbsunfähig und hat sie auch keine Kinder zu erziehen, bekommt sie nur die „kleine" Witwenrente, die sich aus der Berufsunfähigkeitsrente des Versicherten ohne Zurechnungszeit errechnet, ansonsten die „große", die sich aus dessen Erwerbsunfähigkeitsrente ergibt (§ 1268 II). Halbwaisen steht '/io, 441

442 443

Z u ihr: „ V o r s c h l ä g e zur s o z i a l e n S i c h e r u n g der F r a u u n d d e r H i n t e r b l i e b e n e n " , G u t a c h t e n d e r S a c h v e r s t ä n d i g e n - K o m m i s s i o n , 1979, S. 3 7 f f . ; d a z u Bley, DRV 1980, 1 8 5 f f . ; Kaltenbach, D A n g V e r s 1980, 2 6 3 f f . ; Maier, S G b 1 9 8 0 , 2 6 5 f f . ; Ruland, D R V 1981, 7 7 ff. E r s t m a l s : Kaltenbach, D A n g V e r s 1982, 4 3 3 f f . ; Hauck, D A n g V e r s 1 9 8 4 , 2 7 0 . D a s ist v e r f a s s u n g s m ä ß i g : B V e r f G E 4 8 , 3 4 6 ( 3 5 6 ) ; a. A . z. B. Ruths / Arndt, S G b 1975, 159 f f .

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Vollwaisen 'A der Erwerbsunfähigkeitsrente zu (§§ 1267, 1269). Zusammen dürfen die Hinterbliebenenrenten nicht höher als die Versichertenrente sein (§ 1270). Für vor dem 1. 7. 1977 Geschiedene gibt es eine vom Unterhalt abhängige Geschiedenen-Hinterbliebenenrente (§ 1265). Nunmehr partizipieren Geschiedene über den Versorgungsausgleich (§§ 1587ff. BGB; §§ 1304ff.) an den Rentenanrechten des früheren Ehegatten444. Soweit sie Kinder zu erziehen haben, können sie nach seinem Tod gemäß § 1265 a Erziehungsrente aus der eigenen Versicherung beanspruchen. dd) Leistungen in das Ausland: Die gesetzlichen Bestimmungen445 über das Auslandsrentenrecht (§§ 1315 ff.) gelten nur insoweit, als nicht über- oder zwischenstaatliches Recht vorgeht. So werden zumeist Angehörige der Vertragsstaaten den Inländern und der Aufenthalt im Vertragsstaat dem im Inland gleichgestellt. Fehlen solche Sonderregelungen, ist die Zahlung von Renten in das Ausland begrenzt, es sei denn, der Auslandsaufenthalt ist nur vorübergehend (§ 1315). Wenn nicht, werden Leistungen nur insoweit erbracht, als sie auf Beitragszeiten im Bundesgebiet beruhen; außerdem erfolgt ein Abschlag von 30% (§§ 1318, 1323). Bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten trägt der Versicherte das Risiko der Verwertbarkeit des Restleistungsvermögens voll (§ 1321, s. S. 400). Da das Fremdrentenrecht446 (u. a.)Versicherungszeiten in der DDR den Bundesgebietszeiten gleichstellt (§§ 15, 17 FRG), dies aber nur für Personen gelten soll, die ins Bundesgebiet gekommen sind, mußte § 1317 die Zahlung von Renten in die DDR ausschließen. Bei Renten an Deutsche im Ausland werden anteilig auch beitragslose Zeiten berücksichtigt (§§ 1319, 1320). d) Die Finanzierung der Rentenversicherung: aa) Beiträge und Bundeszuschuß: Die Rentenversicherung wird im wesentlichen durch Beiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeber, außerdem durch einen Zuschuß des Bundes finanziert (§ 1382). Die Höhe der Beiträge hängt zum einen von dem Beitragssatz (z. Zt. 18,5%, § 1385 I)447, zum anderen von der Höhe des Bruttoarbeitsentgelts ab, das aber nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 62400 DM (1984, § 1385 II) versichert ist. Die Beiträge werden von den Krankenkassen eingezogen (§§ 1399 ff., 1433 ff.) und vom Versicherten und seinem Arbeitgeber je zur Hälfte getragen (§ 1385 IV lit. a), wobei die Arbeitnehmeranteile vom Lohn einbehalten werden (§ 1397). Wird die Versicherung endgültig abgebrochen (z. B. Rückkehr von Ausländern in ihr Heimatland) oder führt sie, weil die Wartezeit nicht erfüllt ist, zu keinen Leistungen, werden die Beiträge 444 445 446

447

Dazu Borth, Versorgungsausgleich, 1983; Ruland / Tiemann, a. a. O. Zu ihnen: Haase, BAB1. 1981, Heft 11, S. 53ff.; Frank / Säuberlich, DAngVers 1982, 119ff., 185ff.; krit.: Fichte, SGb 1983, 57ff.; s. auch BVerfGE 51, 1 ff. Zu ihm: Merkle / Michel, Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz, 3. Aufl., 1973; Jantz / Zweng / Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl., 1960. In der knappschaftlichen Rentenversicherung: 23,5% (§ 130 RKG).

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(nur: Arbeitnehmeranteil) erstattet (§ 1303). Der Bundeszuschuß (Art. 120 I 4 GG; § 1389)448 - 1984: 24,2 Mrd. DM - wird zu Recht überwiegend als Ausgleich versicherungsfremder Leistungen angesehen449. Für den Notfall ist eine Bundesgarantie (§ 1384) vorgesehen450. bb) Umlageverfahren und Anteilsgerechtigkeit: In der Rentenversicherung wird — von einer „Schwankungsreserve"(§§ 1383af.) abgesehen — kein Dekkungskapital angesammelt. Sie wird voll im Umlageverfahren finanziert451. Die Beiträge werden sofort zur Finanzierung der Renten verwendet. Die Sicherheit des Beitragszahlers, später einmal Rente zu bekommen, beruht auf der durch den Versicherungszwang gewährleisteten Kontinuität der Versicherung452, auf dem durch den Eigentumsschutz der Renten abgesicherten „ Generationenvertragr"453. In der im Umlageverfahren finanzierten Rentenversicherung kann es keine Beitragsäquivalenz wie in der Privatversicherung 454 , sondern nur eine „Anteilsgerechtigkeit"geben455. Der Anteil an der Umverteilung entspricht dem, was im Lebensdurchschnitt zu ihr beigetragen wurde 456 . Im einzelnen: Jeder Versicherte ist bei gleicher Leistungsfähigkeit an der Umverteilung zugunsten der Rentner mit gleich hohen Beiträgen zu belasten. Den zur gleichen Zeit entrichteten Beiträgen müssen in ihrer Höhe entsprechende Anrechte auf Leistungen („Werteinheiten") gegenüberstehen. Gleichwertige Anrechte auf Leistungen berechtigen unabhängig von der Zeit, der sie entstammen, zu gleichen Leistungen. Der Durchschnittsbeitrag des Jahres 1962 ist unabhängig vom nominellen DM-Betrag genausoviel wert wie der 448 449

450 451

452 453 454

455

456

Zu ihm: Hoffmann, DAngVers 1982, 401 ff.; Rürup, Wirtschaftsdienst 1981, 276ff. Höcker, BB 1959, 1076; Hoffmann, DAngVers 1982, 401 (403); Jantz, in: Fs. f. Schieckel, 1978, S. 169; Krause, VSSR 1980, 115ff.; Mörschel, DRV 1978, 345ff.; Orsingen DAngVers 1967, 41 ff.; Ruland, SGb 1981, 391 (398); Schewe, Soz. Sich. 1966, Beil. zu Heft 5, S. 9ff. Zu ihr: Schenke, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 338ff. Zu ihm grundlegend: Schreiber, Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft, 1955, S. 28ff.; W. Bogs, S. 130ff.; Ruland, Unterhalt, S. 58ff.; Schewe, in: Fs. f. Bogs, 1967, S. 147 (149ff.). Dazu Ruland, SGb 1981, 391 (393 f.). Im Sinne Schreibers, (Fn. 451); zuletzt etwa v. Nell-Breuning, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 369ff.; s. auch BVerfGE 54, 11 (28). Zur Diskussion um die Äquivalenz der Rentenversicherung: Butz, Zum Äquivalenzproblem in der Rentenversicherung, 1980; Denneberg, DRV 1978, 133ff.; Isensee, Umverteilung, S. 13ff.; Jantz, in: 60 Jahre Angestelltenversicherung — 20 Jahre BfA, 1973, S. 121 ff.; Kressmann, Das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Altersversicherung der BRD, 1978; Schmähl, Wirtschaftsdienst 1981, 345ff.; Thullen, DRV 1982, 124ff. Zum folgenden bereits: Ruland, in: „Lexikon des Rechts", Stichwort: Rentenversicherung, 1981, S. 11 / 370, 28; ders., Beamtenversorgung, Rdnr. 91; ähnlich Krause, Eigentum an subjektiv öffentlichen Rechten, 1982, S. 112 ff.; Rische / Terwey, DRV 1983, 273 (292); in Nuancen anders jedoch Heine / Rische, DRV 1984, 113. Das BVerfG (E 54, 11, 28) spricht von der „Rangstelle" des Versicherten innerhalb der Solidargemeinschaft; s. auch Clausing-Reimann, DAngVers 1984, 205ff.

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des Jahres 1984, der nominell viel höher ist457. Die Leistung spiegelt die auf das Versicherungsleben bezogene Relation wider, in der der individuelle Anteil des Versicherten an der Umverteilung zum durchschnittlichen Anteil aller Versicherten stand. Die Leistungen sind im Grundsatz, nicht in festgelegter Höhe, an die allgemeine Einkommensentwicklung gekoppelt 458 . Davon abgesehen kann die „Anteilsgerechtigkeit" Gleichheit immer nur in der Gruppe der jetzigen Beitragszahler und der jetzigen Rentner herstellen. Ihre Gleichbehandlung in der fortdauernden zeitlichen Dimension kann wegen der immer wieder auftretenden Veränderungen im Bereich der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Determinanten 459 , die Änderungen des Beitragssatzes460 und / oder des Leistungsniveaus notwendig machen, nicht gewährleistet werden. Beispiele für den sozialen Ausgleich in der Rentenversicherung sind die „Rente nach Mindesteinkommen" (Art. 2 § 55 a ArVNG) und — mit Vorbehalt - die Ausfallzeiten461. Im übrigen ist sein Umfang im Streit462. Er ist aber jedenfalls nicht so erheblich, daß er das Wesen der Rentenversicherung entscheidend prägen könnte 463 . cc) Der Finanzausgleich innerhalb der Rentenversicherung: Der Finanzausgleich464 innerhalb der Rentenversicherung ist abgestuft. In der Arbeiterrentenversicherung gibt es das Gemeinlastverfahren (§ 1390 I): Die Leistungen werden von ihren Trägern im Verhältnis ihrer Beitragseinnahmen gemeinsam getragen. Es wird ergänzt durch einen Liquiditätsausgleich zunächst innerhalb der Arbeiterrentenversicherung (§ 1390 II), dann zwischen der Arbeiterrenten- und der Angestelltenversicherung (§ 1383 a II). Er verläuft z. Zt. ausschließlich zugunsten der Arbeiterrentenversicherung, weil sie wegen struktureller Verschiebungen — mehr Angestellte, weniger Arbeiter — eine größere Altlast zu tragen hat. e) Die übrigen Versicherungspflichtigen und die zur Versicherung Berechtigten. Die Rentenversicherung bietet auch Selbständigen Schutz. Versicherungspflichtig kraft Gesetzes sind außer den zum Versichertengrundbestand zählenden Selbständigen (§ 1227 I Nr. 3; § 2 I Nrn. 3 - 6 AVG) auch Seelotsen (§ 2 I 457 458 459

460 461 462 463 464

Dazu BVerfG, a. a. O. Dazu BVerfGE 64, 87ff. = JuS 1983, 972f.; s. auch Jantz, ZSR 1973, 539ff. Zu den Auswirkungen der generativen Entwicklung auf die Rentenversicherung: Grohmann, Rentenversicherung und Bevölkerungsprognosen, 1980; ders., DRV 1981, 269ff.; Lübeck / Steeger, DRV 1981, 295ff.; weitere Angaben bei Ruland, SGb 1981,391 (393, Anm. 39). Darauf hat schon Rüfner, VVdStRL 28 (1970), 187 (196), hingewiesen. Ebenso Krause, VSSR 1980, 115 (156); Schewe (Fn. 451), S. 155; s. auch Poser / Rürup, DRV 1983, 451 ff. Vgl. Krause, VSSR 1980, 115ff.; Mörschel, DRV 1978, 345ff.; Ruland, NJW 1982, 1847 (1853 ff.). In der Wertung ähnlich: Jahn, S. 66 ff.; Krause, a. a. O. S. 115. Dazu Schwennicke, in: Fs. f. Meinhold, 1980, S. 348ff.

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Nr. 6a AVG), Küstenschiffer und -fischer (§ 1227 I Nr. 4). Handwerker sind nur für 216 Monate versicherungspflichtig (§ 1 I HwVG). Für sie gelten weitere im HwVG enthaltene Sonderregelungen. Die für Künstler finden sich im KSVG. Alle übrigen Selbständigen können innerhalb von 2 Jahren nach Aufnahme ihrer selbständigen Tätigkeit die Versicherungspflicht beantragen (§ 1227 I Nr. 9). Sie entsteht mit dem Zugang des Antrags und begründet grundsätzlich die gleichen (Leistungs-)Rechte und (Beitrags-)Pflichten wie eine antragsunabhängige Pflichtversicherung. Ihretwegen können z. B. auch Ausfallzeiten anrechenbar werden (§ 1259 III 1). Selbständige (Ausnahme: Hausgewerbetreibende) haben aber ihre vollen Beiträge selbst zu entrichten (§§ 1385 IV lit. b, 1405a). Wehrpflichtige sind versicherungspflichtig (§ 1227 I Nr. 6, 7). Für sie zahlt der Bund Beiträge auf der Basis eines persönlichen Vomhundertsatzes von 70% (§ 1385 III, IV jew. lit. d, V). Arbeitslose sind nicht mehr versicherungspflichtig, obwohl die Bundesanstalt für Arbeit pauschaliert Beiträge an die Rentenversicherung zahlt (§ 1385a). Arbeitslosigkeit ist wiederum nur Ausfallzeit (§ 1259 I Nr. 3 a). Entsprechendes gilt für die Bezieher von Krankengeld, obwohl sie den für sie zu zahlenden Beitrag (§ 1385b) zu 50% selbst tragen müssen. Diese Systemwidrigkeit4643 hält gegenüber dem Gleichheitssatz nicht stand. Soweit keine Versicherungspflicht besteht, kann jeder (z. B. Hausfrauen) vom 16. Lebensjahr an freiwillig Beiträge entrichten (§ 1233). Einschränkungen gelten für Beamte und Rentner (Abs. 1 a, 2 a a. a. O.). Die freiwillige Versicherung begründet nur eine Beitragslast (§ 1407). Der Versicherte kann Beiträge zahlen, muß aber nicht. Zahlt er aber im Dreijahreszeitraum nicht regelmäßig wenigstens den Mindestbeitrag, ist seine Leistung nicht dynamisch (§ 1255b). Nachteile gibt es auch bei der Anrechnung beitragsloser Zeiten. Die Halbbelegung kann nur mit Pflichtbeiträgen erreicht werden (z. B. § 1259 III 1)! Neuerdings ist auch der Zugang zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten drastisch erschwert worden (§§ 1246 IIa, 1247 IIa) 465 . Eine Sonderform der freiwilligen Versicherung ist die für Jüngere unrentable Höherversicherung (§ 1234), die eine Grundsicherung voraussetzt und nur zu statischen Leistungen führt (§ 1261). f ) Die Organisation der Rentenversicherung: Träger der Arbeiterrentenversicherung sind die Landesversicherungsanstalten (§§ 1326 ff.), bei denen auch die Handwerker versichert sind (§ 1 I HwVG), und als Sonderanstalten (§ 1360) die Bundesbahn-Versicherungsanstalt und die Seekasse. Träger der Angestelltenversicherung ist die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Sitz in Berlin (BfA-ErrichtungsG) 466 . In ihrem Auftrag führt die Seekasse auch die Angestelltenversicherung im Bereich der Schiffahrt durch. Die Bundesknappschaft mit Sitz in Bochum ist für Bergbaubetriebe zuständig (§ 7 4643 465 466

Krit. auch Albrecht, D R V 1984, 54; Krause, D R V 1984, Heft 9. Krit. dazu Maier, SGb 1983, 333 ff. V. 7. 8. 1953 (BGBl. I, 857).

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RKG). Träger der Altershilfe für Landwirte sind die landwirtschaftlichen Alterskassen (§ 16 GAL). 4. Das Unfallversicherungsrecht Wegen ihres Doppelcharakters — (Haftpflicht-) Versicherung zugunsten der Unternehmer, Entschädigungssystem zugunsten der von Arbeitsunfall oder Berufskrankheit Betroffenen 467 — weist die Unfallversicherung 468 Gemeinsamkeiten sowohl mit den übrigen Sozialversicherungs- als auch mit den sonstigen Entschädigungssystemen auf. Entschädigt werden aber auch zahlreiche Tatbestände, für die den Unternehmer keine Verantwortlichkeit trifft 469 . Die Abgrenzung zwischen der Risikosphäre der Unternehmer und dem allgemeinen, durch die Unfallversicherung nicht geschützten Lebensrisiko verschwimmt in den Zufälligkeiten einer nuancenreichen, manchmal kaum noch nachvollziehbaren Kasuistik. Je weiter dadurch die Unfallversicherung über die eigentliche Risikosphäre der Unternehmer hinausgreift, um so unklarer wird der Rechtsgrund für die durch sie zusätzlich vermittelte gehobene soziale Sicherung470. Die Frage, warum in diesen Fällen nicht die Leistungen der Kranken- und Rentenversicherung ausreichen, wird um so drängender, je mehr die Finanznot zwingt, die vorhandenen knappen Mittel gerechter aufzuteilen. Mehr als allen anderen Systemen ist der Unfallversicherung Prävention, Unfallverhütung, zur Aufgabe gemacht (§§ 708 ff.). Dem dienen vor allem die Unfallverhütungsvorschriften (§ 708) und ihre Überwachung (§ 712)471. a) Die Versicherten: Es entspricht unternehmerischem Interesse, von Ersatzansprüchen aus Unfällen im Betrieb möglichst freigestellt zu werden. Daher ist der Kreis der Versicherten („Entschädigungsberechtigten") weiter als sonst in der Sozialversicherung. Versichert sind vor allem Arbeitnehmer (§ 539 I Nr. 1), Hausgewerbetreibende (Nr. 2), aber auch, wenn es die Satzung vorsieht, Betriebsfremde, die sich im Betrieb aus privaten (Besucher) oder beruf467 468

469

470

471

Dazu schon o. S. 349. Z. B. Wegeunfälle, vom Arbeitnehmer selbst verschuldete Unfälle etc., vgl. Jantz, in: Fs. f. Lauterbach, 1961, S. 18; Schäfer, Soziale Schäden, soziale Kosten, soziale Sicherung, 1972, S. 58ff. Zum Unfallversicherungsrecht vor allem Baumer, Miesbach / Baumer, Lauterbach / Watermann, Plagemann / Plagemann, jew. a. a. O. Zu diesem Grundproblem der Unfallversicherung: Albers, Möglichkeiten einer stärker final orientierten Sozialpolitik, 1976; v. Hippel, S. 65ff.; ders., ZRP 1976, 252ff.; Faude, S. 239ff.; Molitor, in: Boettcher, S. 245ff.; Schäfer (Fn. 468), S. 160ff.; Strasser, S. 143ff.; s. auch Gitter, ZAS 1983, 43 (44); Henke, W d S t R L 28 (1970), S. 176 f. Dazu Büß, BG 1978, 93; v. Chossy und Asanger, in: Fs. f. Lauterbach, 1961, S. 253ff.; 279ff.; Volkmann, in: Fs. f. Hofmann, 1964, S. 37ff.; Wolber, Soz. Vers. 1977, 74 ff.

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liehen (z. B. Steuerberater) Gründen aufhalten (§ 544 Nr. I)472. Versichert sind aber auch arbeitnehmerähnliche Tätigkeiten (§ 539 II)473. Dieser weitgefaßte Tatbestand erfaßt all die auch kurzfristigen Betätigungen, die, ohne daß ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt (wie z. B. bei Schwarzarbeitern!) 474 , fremden Interessen dienen und über bloße Gefälligkeiten hinausgehen (z. B. Pannenhilfe*1*, Ausführen von Hunden 476 ). Mitgesichert ist auch der durch einen Arbeitsunfall der Mutter geschädigte nasciturus (§ 555 a)477. Unternehmer und deren im Betrieb mitarbeitende Ehegatten sind z. T. kraft Gesetzes versicherungspflichtig (Landwirte, Küstenfischer, § 539 I Nr. 5, 6). Die Satzung kann sie generell erfassen (§ 543) und ihre Sicherung besonders ausgestalten (§§ 632 ff.)478. Von der „unechten" Unfallversicherung (Versorgungstatbestände) werden erfaßt: Nothelfer (§ 539 I Nr. 9)479, soweit es Inländer sind, auch im Ausland (§ 539 III 2); Blutspender (§ 539 I Nr. 10)480; Luftschutzhelfer (Nr. 12); Zeugen und ehrenamtlich Tätige (Nr. 13); Kindergartenkinder, Schüler, Studenten (Nr. 14)481; Eigenheimbauer (Nr. 15)482; Entwicklungshelfer (Nr. 16); Arbeitslose, soweit sie ihren Verpflichtungen dem Arbeitsamt gegenüber nachkommen (Nr. 4; § 165 AFG); Personen, die aufgrund von Arbeitsschutzoder Unfallverhütungsvorschriften ärztlich untersucht oder behandelt werden (Nr. 11), oder die von einem Sozialversicherungsträger stationäre Behandlung oder Rehabilitationsmaßnahmen erhalten (Nr. 17)483, und schließlich Gefangene, soweit sie arbeitnehmerähnlich eingesetzt werden (§ 540)484. b) Die durch die Unfallversicherung gesicherten Risiken: Das Risiko der Unfallversicherung ist der Arbeitsunfall485 (§ 547). Ihm stehen gleich der Unfall 472 473 474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485

Plagemann / Plagemann, Rdnr. 70. Dazu a. a. O. Rdnr. 14; Gitter, S. 87f. Zu ihrer unfallversicherungsrechtl. Situation: Plagemann / Plagemann, Rdnr. 57; Lauterbach / Watermann, § 728 Anm. 7, § 548 Anm. 68. BSGE 35, 140. LSG Baden-Württemberg, VersR 1966, 1135. Das geht auf BVerfGE 45, 376 zurück. Siehe auch Behn, ZfS 1982, 317ff.; Benda, NJW 1979, 1001; Gitter, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 252f. Zu ihr: Benz, Unternehmerversicherung, 1978. Schon das Ausweichen, um einen Autounfall zu vermeiden, ist Nothilfe: BSG, NJW 1984, 325 = JuS 1984, 402; dazu Denck, SGb 1983, 397 ff. Dazu Vollmar, BG 1969, 267 ff. Dazu Vollmar, Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten, 2. Aufl., 1975. Vgl. BSGE 28, 122; krit. Faude, S. 251. Zur Problematik einer Ablösung der Ärztehaftpflicht durch Leistungen der Unfallversicherung: Ahrens / Udsching, NJW 1978, 1666ff.; Gitter, SGb 1982, 221 ff. Vgl. BGH NJW 1983, 574 = JuS 1983, 565. Zu ihm ausführlich Bulla, a. a. O.; Jegust / Hemsen, Der Arbeitsunfall, 5. Aufl. 1982; Schönberger / Mehrtens / Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 2. Aufl., 1980; Wolber, a. a. O.

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mit dem Arbeitsgerät (§ 549), der Wegeunfall (§ 550), aber auch die Berufskrankheit (§ 551). Absichtlich herbeigeführte Unfälle, genauer: Unfall/o/genm, und Unfälle bei schweren Straftaten lösen keine Ansprüche aus (§§ 553 f.), anders, wenn es sich nur um verbotswidriges Verhalten handelt (§ 548 III). aa) Der Arbeitsunfall: Als kausales Entschädigungssystem kommt die Unfallversicherung nur für Unfälle „bei" einer versicherten Tätigkeit auf (§ 548 I 1). Diese muß für den Unfall („haftungsbegründende Kausalität") und der Unfall muß für den auszugleichenden körperlichen Schaden („haftungsausfüllende Kausalität") die rechtlich wesentliche Bedingung gewesen sein. Der in der Mitte der „dreigliedrigen Kausalkette" 487 stehende Unfall wird als ein „von außen auf den Menschen einwirkendes, ihn körperlich schädigendes, plötzliches Ereignis" definiert 488 . Der Herzinfarkt am Arbeitsplatz als Folge einer Erkrankung hat z. B. eine innere Ursache4*9, stellt mithin keinen Unfall dar. Wesentliche Bedingung des Unfalls muß die versicherte Tätigkeit gewesen sein. Obwohl weit gefaßt, werden über ihre Abgrenzung einige Kausalitätsprobleme gelöst. Zu ihr rechnen neben der eigentlichen beruflichen Tätigkeit all die Verrichtungen, mit denen der Versicherte den Interessen des Betriebes dienen wollte490. Zur beruflichen Tätigkeit gehören auch Fortbildungsveranstaltungen 491 , Geschäftsreisen492, Tätigkeiten als Betriebsrat*93, medizinische Selbstversuche494, Besuch beim Werksarzt495, Abholen des Lohnes oder sein erstmaliges Abheben vom Konto (§ 548 I 2), Betreuung von Arbeitsgerät (§ 549), Betriebsausflüge, eingeschränkt auch Betriebssport496. Der Weg von und zur Arbeit ist der versicherten Tätigkeit gleichgestellt (§ 550 I). Er führt von der Außentür des Hauses497, in dem sich die Familienwohnung (§ 550 III) befindet, unmittelbar zur Arbeitsstätte. Nicht versichert sind eigenwirt486

487 488 489

490

491 492 493

494 495 496

497

Dazu BGH, NJW 1980, 996 m. Anm. Bodenberg = JuS 1980, 615; zum Selbstmord: BSG, NJW 1984, 687; grundsätzlich: Faude, S. 247ff. So Bley, S. 222 ff. BSGE 23,149 (141); BSG, SozR 2200 § 550 Nr. 35. Vgl. Wolber, S. 39f.; zur inneren Ursache: Plagemann / Plagemann, Rdnr. 116; s. auch Barta, S. 552 ff. Seine Absicht ist entscheidend: BSGE 30, 282 (283); BSG, SozR 2200 § 539 Nr. 21, a. a. O. § 548 Nrn. 21,35. BSG, SGb 1973, 110; Bley, SGb 1973, 390. BSGE 15, 193; BSG, Breithaupt 1971, 996ff. BSGE 17, 11; 42, 36; BSG, Breithaupt 1971, 550ff.; s. auch Wallerath, SGb 1977, 60 f. Plagemann / Plagemann, Rdnr. 103. BSG, SozR 2200 § 548 Nr. 31. Einzelheiten bei Gitter, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 258f.; Plagemann / Plagemann, Rdnr. 99 ff; Wolber, S. 29 f., 33 ff. BSGE, 42, 293 (294); s. auch BSGE 2, 239; 11, 156 (157); 37, 56; BSG, Breithaupt 1974, 210f.

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schaftliche Tätigkeiten, auch wenn sie in zeitlicher und räumlicher Nähe zum Betrieb erfolgen, wie Nahrungsaufnahme498, Erledigung von Arbeiten und Behördenbesuche 499 im privaten Interesse oder Einkäufe im Geschäft des Arbeitgebers500. Die Grenze zur versicherten Tätigkeit ist mitunter unscharf. So sind der Gang zur Toilette501 und das Sich-Reinigen nach der Arbeit versichert502, das Umkleiden aber nicht503. Geringfügige Unterbrechungen der versicherten Tätigkeit (Gang zum Zigarettenautomaten) schaden jedoch nicht504. Eine Lösung vom Betrieb505 darf aber nicht eintreten. Sie setzt innerhalb des Betriebes gravierende Umstände voraus: z. B. Volltrunkenheit 506 , Auslösen — nicht: Abwehr — einer Schlägerei507. Unterbrechungen des Weges von und zur Arbeit sind so lange geringfügig und versichert, wie sich der Versicherte im öffentlichen Straßenraum befindet 508 . Verläßt er ihn, weil er z. B. ein Geschäft betritt, gehört der Aufenthalt dort zum nicht versicherten privaten Bereich509. Wird innerhalb von 2 Stunden der Weg wieder aufgenommen, war der Versicherungsschutz nur unterbrochen, für den Rest des Weges lebt er wieder auf 510 . Dauert die private Verrichtung länger, tritt eine endgültige Lösung vom Betrieb ein511. Wird der unmittelbare Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verlassen, ist der Abweg nur versichert, wenn er betriebs- oder verkehrsbedingt ist oder irrtümlich erfolgt512. Versichert sind auch Abwege, um Kinder in den wegen der Berufstätigkeit der Eltern notwendigen Kindergarten zu bringen oder um Kollegen einer Fahrgemeinschaft abzuholen (§ 550 II). Soweit eine versicherte Tätigkeit bejaht werden kann, muß sie rechtlich wesentliche Ursache13 des Unfalles sein. Sie braucht ihn nicht allein verursacht zu haben, es genügt die wesentliche Mitwirkung51*. Mit- oder Alleinverschulden 498

499 500 501 502 503 504 505 506 507 508

509 510 511 512 513

514

BSGE 11, 267 (269); 12, 247; 254; s. auch BSG, Breithaupt 1969, 755; 1971, 549; Wolber, S. 44ff. BSGE 11, 154; 17, 11 (13); 36, 222. BSGE 20, 219; s. auch BSG, SozR 2200 § 550 Nr. 28; BSG, SGb 1977, 302f. BSGE 16, 73 (76); BSG, Breithaupt 1967, 744. BSGE 16,236(239). Plagemann / Plagemann, Rdnr. 96 m. w. Nachw. Bley, S. 218. BSGE 48, 224 (226). BSG, a. a. O.; Plagemann /Plagemann, Rdnr. 104f.; Wolber, S. 27f. BSG, SGb 1969, 335 (337). BSGE 20, 219 (221); BSG, SozR 2200 § 550 Nrn. 20, 41; krit.: Benz, BB 1979, 943 ff. BSG, SozR 2200 § 550 Nr. 20. BSG, SozR 2200 § 550 Nrn. 12, 41,42. BSG, SozR 2200 § 550 Nr. 6. Plagemann / Plagemann, Rdnrn. 135f.; s. auch BSG, Breithaupt 1977, 883. Dazu Barta, S. 674ff.; Battenstein, SGb 1983, 135ff.; Bley, S. 222ff.; Bulla, S. 199ff.; Gitter, Schadensausgleich, S. 99ff.; 125ff.; v. Heinz, S. 196. Bley, S. 222.

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Dritter (z. B. Überfall auf Kassierer)515, selbst des Arbeitgebers oder der Kollegen (arg. §§ 636, 637), steht wegen des sozialen Schutzzwecks der Einstandspflicht der Unfallversicherung nicht entgegen. Ersatzansprüche gehen auf sie über (§116 SGB X) oder werden von ihr als Regreß geltend gemacht (§ 640). Auf ein Mitverschulden des Verletzten kommt es grundsätzlich nicht an516. Es schließt Leistungen der Unfallversicherung nur dann aus, wenn der Versicherte in so hohem Maße vernunftwidrig gehandelt hat, daß er mit dem dann eingetretenen Unfall mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen mußte („selbstgeschaffene Gefahr")sxl. Die Rechtsprechung bejaht das nur selten. Bei Trunkenheit im Straßenverkehr ist sie jedoch strenger, was aber zur sonstigen Vernachlässigung des Mitverschuldens nicht paßt. Typisch durch Alkohol verursacht, ist es kein Wegeunfall518. Dafür trägt bei unter l,3%o die Berufsgenossenschaft die Beweislast519. Bei über l,3%o besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn betriebsbezogene Umstände (z. B. Eilbedürftigkeit, Noteinsatz, Glatteis) mitursächlich waren. Die Beweislast dafür liegt bei dem Anspruchssteller520. Die haftungsausfullende Kausalität wird schon bei überwiegender Wahrscheinlichkeit bejaht 521 . Sie ist zu verneinen, wenn der Körperschaden auch ohne den Unfall aus innerer Ursache eingetreten wäre, z. B. das Leiden, das gelegentlich des Unfalls ausbricht, ohne ihn aber auch gekommen wäre522. Seine Verschlimmerung durch den Unfall ist zu entschädigen 523 . Kommt der todkranke Versicherte bei einem Arbeitsunfall ums Leben, ist für den Anspruch der Hinterbliebenen (Ausnahmen: §§ 592 I, 593, 596 I) die restliche Lebenserwartung unerheblich. Hat der Unfall das zum Tode führende Leiden verschlimmert, ist die Kausalität zu bejahen, wenn der Tod dadurch ein Jahr früher eingetreten ist524. bb) Die Berufskrankheiten: Dem Arbeitsunfall gleichgestellt sind Berufskrankheiten (§ 551). Sie sind in der Berufskrankheiten-VO aufgezählt525. Andere Krankheiten können, soweit neue Erkenntnisse über ihre berufliche Verursachung vorliegen, einer Berufskrankheit gleichgestellt werden (§ 551 II)526. 515 516 517

518 519 520

521 522 523 524

525 526

BSGE 26, 45 (47). Schulin, Sozialversicherungsrecht, S. 84f. Zahlreiche Bsp. bei Plagemann / Plagemann, Rdnr. 91; zum Ganzen: Faude, S. 249 ff. BSG, SGb 1979, 323. BSGE 43, 110 (112); 48, 228 (229); krit.: Benz, BG 1979, 575 (580f.). BSGE 43, 110 (112); BSG, SGb 1979, 217; zum ganzen auch Behn, SGb 1979, 445; Gitter, S. 100 f. Bley, S. 225 f. Dazu Plagemann / Plagemann, Rdnr. 116. A. a. O. Rdnr. 117; Wolber, S. 59 f. je m. w. Nachw. Dazu BSGE 12, 247; 40, 273 (275f.); Bley, S. 225; Plagemann / Plagemann, Rdnr. 119. V. 20. 6. 1968 (BGBl. I, 721); dazu Pittroff, BG 1979, 37ff. Dazu BVerfGE 58, 369; Faude, SGb 1982, 401 ff.

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c) Die Leistungen der Unfallversicherung: Der Arbeitsunfall kann folgende Leistungen auslösen: Heilbehandlung, Rehabilitation, Einkommensersatz, solange Arbeitsunfähigkeit besteht, Ausgleich der Minderung der Erwerbsfähigkeit und Renten an Hinterbliebene. Soweit über- oder zwischenstaatliches Recht dem nicht entgegensteht, ruhen Ansprüche von Ausländern, die sich im Ausland aufhalten (§ 625)527. aa) Heilbehandlung und Verletztengeld — Rehabilitation und Übergangsgeld: Die Heilbehandlung (§ 557 ff.) entspricht im Umfang der Krankenpflege des Krankenversicherungsrechts. Das Verletztengeld (§ 560) kommt in Funktion und Berechnung (§561) dem Krankengeld gleich528. Es kann aber wegen der anderen Bemessungsgrundlage (Jahresarbeitsverdienst statt Regellohn) höher sein und wird grundsätzlich bis zum Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit gezahlt (§ 580 II). Es gibt also keine „78-Wochen-Grenze". Auch das Verletztengeld ist Einkommen (Lohnfortzahlung!) und Einkommensersatzleistungen (z. B. Arbeitslosengeld) gegenüber subsidiär (§§ 560 1 2, 561 V). Ansprüche auf Heilbehandlung und Verletztengeld werden auch durch entsprechende Ansprüche gegen die Krankenversicherung verdrängt (§ 565 I). Leistungspflichtig ist somit in aller Regel die zuständige Krankenkasse. Sie bekommt nach Maßgabe des § 1504 ihre Aufwendungen von dem Unfallversicherungsträger erstattet. Er hat, ist das Verletztengeld höher als das Krankengeld, den Differenzbetrag zu zahlen. Er kann die Heilbehandlung aber auch selbst übernehmen, ist also insoweit „Herr des Verfahrens" (§ 565 II). Als Rehabilitationsmaßnahmen werden vor allem (§§ 569af.) berufsfördernde Leistungen (Berufshilfe, § 567) und Übergangsgeld (§ 568) gewährt. Für sie ist der Unfallversicherungsträger primär zuständig (§ 1236 III). bb) Die Verletztenrente: Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wird, wenn sie über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall andauert, und Heilbehandlung und Berufshilfe abgeschlossen sind (§ 580 I, II), durch die Verletztenrente entschädigt. Ihr Ausmaß wird abstrakt ermittelt529. Nicht der konkrete Einkommensverlust ist maßgeblich 530 , sondern die Differenz zwischen der vor und nach dem Unfall bestehenden Erwerbsfähigkeit des Verletzten. Sie ist vor dem Unfall selbst bei einem Vorschaden mit 100% anzusetzen, wenn nicht der Versicherte schon damals dauernd gänzlich erwerbsunfähig war531. Der Grad der Resterwerbsfähigkeit ergibt sich aus dem Vergleich zur 527 528 529

530

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Bedenken bei Plagemann / Plagemann, Rdnr. 286. Einzelheiten a. a. O. Rdnr. 215 ff. Dazu BSGE 31, 185 (187); Brackmann, S. 566 y Ilff.; Dassbach / Jung, in: Fs. f. Grüner, 1982, S. 116; Gitter, Schadensausgleich, S. 159ff.; ders., in Fs. f. Brackmann, 1977, S. 103ff.; Krasney, in: Fs. f. Lauterbach II, 1981, S. 273f. Der Geschädigte kann sogar ein höheres Einkommen erzielen, BSGE 30, 64 (68); krit.: Gitter, VersR 1976, 505; ders., SGb 1981, 204; Watermann, SGb 1981, 392ff.; zur Reform: Gitter, ZAS 1983, 43 (45f.). Plagemann / Plagemann, Rdnr. 230 m. w. Nachw.

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Fähigkeit eines gesunden Versicherten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Einkommen zu erzielen. Daher ist bei gleicher Schadensfolge (z. B. Verlust der rechten H a n d ) bei allen Versicherten der MdE-Satz gleich hoch (60%), soweit nicht die Härteklausel des § 581 II eingreift 532 . Ihretwegen ist auch zu berücksichtigen, daß der Verletzte besondere berufliche Kenntnisse wegen der Unfallfolgen nicht mehr (voll) nutzen kann. Auch ein Vorschaden k a n n die M d E verschärfen (unfallbedingter Verlust des letzten Auges) 533 . Kumulieren mehrere unfallbedingte Behinderungen, ist eine „ Gesamt-MdE" zu bilden 5 3 4 . Nicht unfallbedingte Nachschäden bleiben unberücksichtigt 5 3 5 . Die M d E wird nach in Tabellen festgelegten Erfahrungssätzen bestimmt 5 3 6 . Sie muß, u m zu einer Rente zu führen, mindestens 20% betragen (§581 I Nr. 2). Hat der Verletzte seine Erwerbsfähigkeit völlig verloren ( M d E = 100%), bekommt er die Vollrente in Höhe von 2A des Jahresarbeitsverdienstes. Ist sie nur eingeschränkt, bekommt er als Teilrente den Teil der Vollrente, der dem G r a d seiner M d E entspricht (§ 581 I). Jahresarbeitsverdienst sind alle Einkünfte des Verletzten im Jahr vor dem Arbeitsunfall (§ 571 I). Er beträgt mindestens 40 (Minderjährige) bzw. 60% der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV. Die im Gesetz vorgesehene Höchstgrenze von 36000 D M ist je nach Satzung (§ 575) auf 4 8 0 0 0 - 8 4 0 0 0 D M heraufgesetzt worden 5 3 7 . In den beiden ersten Jahren nach dem Unfall kann wegen der Ungewißheit des Heilungserfolges der MdE-Satz vorläufig, danach m u ß er endgültig festgesetzt werden (§§ 1585, 622). Die Verletztenrente k a n n sich durch Schwerverletzten- u n d u m Kinderzulagen von je 10% auf höchstens 85% des Jahresarbeitsverdienstes erhöhen (§§ 582ff.). Die Vollrente ist auch zu zahlen, wenn der Verletzte infolge der durch den Arbeitsunfall erlittenen Behinderungen arbeitslos ist (§ 587). Die Kumulation mit Renten aus der Rentenversicherung ist begrenzt (80% des Jahresarbeitsverdienstes, § 1278). Die Renten werden zeitverzögert der Entwicklung der Durchschnittsbruttolöhne angepaßt (§ 579). cc) Die Leistungen an Hinterbliebene: Hinterbliebene erhalten neben dem Sterbegeld (§ 589 I 1) Rente, wenn der Arbeitsunfall den Tod des Versicherten wesentlich verursacht hat. Ansonsten ist an die Witwe oder die Waisen eine einmalige, in Härtefällen eine laufende Beihilfe zu zahlen (§§ 600 ff.). Wie in der Rentenversicherung wird die Witwenrente (§ 590) unbedingt, die Witwerrente (§ 593) dagegen nur d a n n gewährt, wenn die Verstorbene ihre Familie überwiegend unterhalten hat 538 . Sie wird, das ist anders, n u r so lange 532 533 534 535 536 537 538

Beispiele: a.a.O. Rdnr. 239, z.B. Vertragsfußballspieler, BSGE 38, 118 (125); s. auch Gitter, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 268. BSG, Breithaupt 1962, 917; s. auch BSGE 21, 63 (65). BSG, SGb 1979, 522 (523) m. Anm. Henke. BSGE 27, 142 (145); 41, 70 (72); krit.: Wallerath, VSSR 1974, 233 (246ff.). Vgl. Bereiter-Hahn / Schiecke, Unfallversicherung, Stand 1983, Anhang 12. Dazu Lauterbach / Watermann, § 575 Anm. 7. Zur Verfassungsmäßigkeit: BSG, SozR 2200 § 593 Nr. 1; Watermann, BG 1980, 47 (49).

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gezahlt, wie die Verstorbene voraussichtlich mehr als ihr Mann verdient haben würde. Nach dem Unfall geschlossene Versorgungsehen (§ 594) lösen keine Ansprüche aus. Rentenberechtigt ist auch der geschiedene Ehegatte (§ 592). Die „kleine" Witwenrente beträgt 3Äo, die „große" (S. 406) 2/s, Vollwaisen bekommen 3/io, Halbwaisen !/s jeweils des Jahresarbeitsverdienstes (§ 595). Für Entschädigungssysteme typisch ist die Elternrente (§ 596)539, die für die Dauer der ohne den Unfall voraussichtlichen Unterhaltsgewährung gezahlt wird. d) Die Unfallversicherung als Vorsorgesystem:Träger der „echten", betrieblichen Unfallversicherung sind die nach Gewerbezweigen und z. T. regional gegliederten Berufsgenossenschaften (§§ 646, 790, 850 I). Ihre Mitglieder sind - entsprechend der Haftpflichtfunktion der Unfallversicherung - die Unternehmer (§ 658), die auch allein die Beiträge zu zahlen haben (§ 723 I). Deren Höhe ist von der des Entgelts der Versicherten und der Unfallgefahr im Betrieb (§§ 725 ff.) abhängig. Mit den Beiträgen wird die Beschränkung der Schadensersatzpflicht des Unternehmers (§ 636) erkauft, die auch auf Arbeitskollegen erstreckt wurde (§ 637)540. Sie haften dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen nur dann, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt haben oder wenn er bei der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr eingetreten ist (§§ 636 f.). Gemeint sind damit die Fälle, daß Arbeitskollegen bei der Heimfahrt zusammenstoßen 541 , nicht dagegen Unfälle der Arbeitnehmer, die beruflich am Straßenverkehr teilnehmen (z. B. Busfahrer)542. Ansonsten bestehen Ansprüche nur gegen die Unfallversicherung, selbst wenn sie im Einzelfall keine Leistungen gewähren muß (z. B. Schmerzensgeld543, MdE unter 20%, Sachschäden, s. a. § 765 a). Eine Vorsatzhaftung des Unternehmers oder der Arbeitskollegen ist auf den durch Sozialleistungen nicht abgedeckten Schaden begrenzt (§ 636 I 2). Sie können jedoch schon dann, wenn sie den Unfall grob fahrlässig verursacht haben, innerhalb eines Jahres (§ 642) von der Berufsgenossenschaft in Regreß genommen werden (§ 640). Hat der Arbeitnehmer den versicherten Arbeitgeber geschädigt, kommt ihm die Haftungsfreistellung nicht zugute — eine problematische Entscheidung des BGH544. e) Besonderheiten der „unechten" Unfallversicherung: Besonderheiten weist die eher als Versorgung einzustufende „unechte" Unfallversicherung 545 vor 539 540 541 542 543 544 545

Vgl. Geiger-Nietsch, SGb 1978, 369 ff. Zu zahlreichen Einzelfragen: Gamillscheg / Hanau, Haftung des Arbeitnehmers, 2. Aufl., 1974; Plagemann / Plagemann, Rdnrn. 425 ff. Plagemann / Plagemann, Rdnr. 419. BGH, VersR 1979, 32; NJW 1976, 673 (674). BVerfGE 34, 118ff. BGH, NJW 1981, 53; dazu krit.: Gitter, in: Fs. f. Grüner, 1982, S. 169; Plagemann, VersR 1981,632. Zu ihr: Lauterbach / Watermann, in: Fs. f. Brackmann, 1977, S. 119ff.; Rüfner, Vhdlgen d. 49. DJT, 1972, S. E 10ff.; Schulin, Entschädigung, S. 87ff., 91 ff.

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allem im organisatorischen Bereich auf. Ihre Träger sind der Bund (§ 653), die Länder (§ 655) und die zumeist zu Gemeindeunfallversicherungsverbänden zusammengeschlossenen Gemeinden (§§ 656 f.). Für die Arbeitslosen ist die Bundesanstalt für Arbeit zuständig (§ 654). Die Leistungen werden jeweils direkt oder indirekt aus den Steuer- oder Beitragseinnahmen finanziert. Materiell rechtlich ergeben sich wenig Abweichungen. Die „versicherte Tätigkeit" bei Schulkindern z. B. ist der Schulbesuch einschließlich schultypischer Verhaltungsweisen (z. B. Raufereien während der Pause)546, gesichert ist auch der Schulweg, ja selbst die Anschaffung der Schulbücher (§ 549)547. Ersatzansprüche gegen Mitschüler, Lehrer oder sonstiges Personal sind, von bewußten Schädigungen abgesehen, ausgeschlossen (§ 637 IV)548. Auch die Berechnung der Leistungen richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen (Jahresarbeitsverdienst bei Schülern: § 575 I Nr. 2).

VII. Soziales Entschädigungsrecht Gegenstände des sozialen Entschädigungsrechts i. S. des § 5 SGBI (S. 348)549 sind die Verfolgtenversorgung (BEG)550, die Versorgung von Wehrpflichtigen in Bundeswehr (§§ 80ff. SVG)551, Bundesgrenzschutz (§ 59 I BGSG) oder Zivildienst (§47 ZDG), der Impfgeschädigten (§51 BSeuchenG) 552 , der Kriegs- (BVG, HHG) 553 und Verbrechensopfer (OEG)554. Weil auslaufend, ist die Verfolgtenversorgung nicht in das SGB aufgenommen worden (Art. II § 1 Nr. 11 SGB I). Aus dem gleichen Grund ist auf ihre Darstellung hier verzichtet worden. Grundmuster der sozialen Entschädigung sind die Leistungsvorschriften des BVG555. Die anderen Entschädigungsnormen statuieren nur neue Entschädigungsgründe. Die Folgen bestimmen sich einheitlich nach dem BVG. Das ist nicht sachgerecht. Das Ausmaß der Entschä546 547 548 549 550 551 552 553 554

555

BGHZ 67, 279; dazu Gitter, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 260. BSG, SozR 2200 § 549 RVO Nr. 2, 6. Zum Ersatzanspruch des Nothelfers: BGHZ 38, 270 (280); LG Arnsberg, VersR 1961,209. Zu ihm vor allem Schulin, Entschädigungsrecht, a. a. O. Blessin / Ehrig / Wilden, Bundesentschädigungsgesetz, 3. Aufl., 1960; Blessin / Giessler, Bundesentschädigungsschlußgesetz, 1967. Vgl. Wilke / Wunderlich, S. 609 ff. A. a. O. S. 671 ff.; Küper, NJW 1961, 2045ff.; Küper / Walter, NJW 1963, 2352ff. Wilke / Wunderlich, S. 11 ff. Dazu Kunz, Schoreit / Düsseldorf, jew. a. a. O.; s. auch Schoreit, Entschädigung der Verbrechensopfer als öffentliche Aufgabe, 1973; Schulz-Lüke / Wolf, Gewalttaten und Opferentschädigung, 1977; Stolleis, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 579ff.; Weintraud, Staatliche Entschädigung für Opfer von Gewalttaten, 1980. Das BVG werten als „Grundgesetz der sozialen Entschädigung" Leisner, KOV 1972, 49 (51 ff.); Rohwer-Kahlmann, VdK-Mitteilungen 1971, 200ff.; Tichy, Das Soziale Entschädigungsrecht, 1975, S. 7ff.; Wulfliorst, DRiZ 1972, 267.

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digung muß dem Maß der Verantwortlichkeit des Staates für den Schaden entsprechen 556 . Die staatliche Verantwortung für Soldaten z. B. ist eine andere als für Verbrechensopfer (S. 348). 1. Die Entschädigungstatbestände Bei den Entschädigungstatbeständen im Zusammenhang mit Dienstleistungen gibt es - wie in der Unfallversicherung (S. 413) — eine dreigliedrige Kausalkette: Der Dienst muß ursächlich gewesen sein (haftungsbegründende Kausalität) für ein Ereignis (Unfall), das den Tod oder einen Gesundheitsschaden verursacht hat (haftungsausfüllende Kausalität). Entschädigungsrechtlich abgesichert sind der militärische Dienst in der deutschen Wehrmacht oder unter ihrem Oberbefehl (z. B. Waffen-SS 557 , Volkssturm, §§ 1, 2)558 der militärähnliche Dienst (z. B. Wehrmacht-, Luftschutzhelfer, Reichsarbeitsdienst, §§ 1, 3) vor und während der 2 Weltkriege, die Gefangenschaft, der Wehrdienst in der Bundeswehr als Wehrpflichtiger oder aufgrund freiwilliger Verpflichtung (§ 80 SVG), der Dienst bei dem Bundesgrenzschutz (§ 59 I BGSG) und der Zivildienst (§ 47 ZDG). Mitgesichert ist jeweils auch der Weg von und zum Dienst (§ 4; § 81 IV SVG). Die Abgrenzung zum nicht geschützten allgemeinen Lebensrisiko erfolgt weitgehend wie in der Unfallversicherung 559 . Dem militärischen Dienst während der 2 Weltkriege werden auch Straf- und Zwangsmaßnahmen deutscher Stellen zugerechnet, soweit sie offensichtliches Unrecht waren (§ 1 II lit. d)560. Die haftungsbegründende Kausalität ist gegeben, wenn für das schädigende Ereignis der Dienst oder die ihm eigentümlichen Verhältnisse wesentlich mitwirkende Bedingung waren 561 . Dafür genügt z. B. schon die Zugehörigkeit zur Bundeswehr, wenn ihretwegen Soldaten angegriffen werden (§81 II Nr. 1 SVG). Bei einer absichtlich herbeigeführten Schädigung ist die Kausalität zu vereinen (§ 1 IV; § 81 VI SVG), wenn nicht besondere, dem Dienst zuzurechnende Umstände für sie mit ursächlich waren (z. B. Furcht vor Gefangenschaft) 562 . Im übrigen bleibt auch hier ein Mitverschulden des Geschädigten, von der Trunkenheit im Straßenverkehr abgesehen 563 , weitgehend unberücksichtigt. Für die haftungsausfüllende Kausalität genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§1 III; § 81 V SVG); es muß aber mehr für als gegen ihn spre556 557 558 559 560 561 562 563

Krit.: Gitter / Schnapp, JZ 1972, 474 (477); Ruland, AöR 99 (1974), S. 505 (510); Schulin, Entschädigung, S. 280ff.; Zacher, DÖV 1972, 461 (468). Dazu BSG, JuS 1979, 301 ff.; Wilke/ Wunderlich, S. 65f. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des BVG. Wilke / Wunderlich, S. 86 ff. Vgl. z. B. LSG Baden-Württemberg, SGb 1965, 216; LSG München, Breithaupt 1959, 830; SG Düsseldorf, Breithaupt 1956, 1147. Zu ihr: Wallerath, VSSR 1974, 233ff.; Weishäupl, Die Kausalität in der Kriegsopferversorgung, 1958. BSGE 1, 150. BSGE 19, 139; Kurz, KOV 1972, 81 ff.

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chen. Leistungen werden auch durch die Verschlimmerung eines bereits vorhandenen Leidens, aber auch durch mittelbare Folgen ausgelöst. Bei der Entschädigung wegen zugemuteten Risikos tritt in der dreigliedrigen Kausalkette an die Stelle der Dienstleistung der Risikotatbestand: die erzwungene oder empfohlene Impfung ( § 5 1 1 BSeuchenG), die unmittelbare Kriegseinwirkung infolge von Kampfhandlungen, Flucht, Verschleppung, Besetzung oder Vertreibung oder von nachträglichen Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, z. B. Kinder spielen mit Bombe (§§ 1 II lit.a, 5), und der vorsätzliche rechtswidrige, nicht selbst provozierte 564 (§ 2 OEG) Angriff gegen die eigene oder eine andere Person oder dessen Abwehr (§ 1 I—III OEG). Hinsichtlich der übrigen Glieder der Kausalkette bestehen keine Besonderheiten. 2. Die Entschädigungsleistungen Entschädigt werden die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung (§ 1 I; § 80 SVG; § 1 I OEG). Die Heilbehandlung(§§ 10, 11) entspricht im wesentlichen der der Krankenkassen. Sie wird weitgehend auch von ihnen als Sachleistung erbracht (§ 18c II), gegen Ersatz ihrer Aufwendungen (§ 19). Bei Schwerbeschädigten (MdE mindestens 50%, § 31 III 1) ist als Ausgleich ihrer beeinträchtigten Vorsorgefähigkeit der Anspruch auf Heilbehandlung nicht nur auf anerkannte Schäden beschränkt, auch die Angehörigen sind mitgesichert (§ 10 IV). Der beruflichen Rehabilitation (§ 26) liegt der übliche Leistungskatalog zugrunde, sie kann auch einen beruflichen Aufstieg anstreben. Während Heilbehandlung und Rehabilitation wird der vorübergehende Einkommensverlust durch Übergangsgeld ausgeglichen, das wie das Krankengeld berechnet wird (§§ 16 f.). Bei Dauerschäden kommen mehrere Renten in Betracht. Der Grundrente (§ 31), deren einheitliche Höhe von dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abhängt (1984 maximal: 817 DM), kommt, weil vom tatsächlichen Einkommensverlust unabhängig, nur bedingt Einkommensersatzfunktion zu. Sie gleicht die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität und schädigungsbedingte Mehraufwendungen aus, ist also Ersatz für materielle wie für immaterielle Schäden 565 . Schwerstbeschädigte erhalten einen Zuschlag von maximal 581 DM. Die Ausgleichsrente (§ 32) steht Schwerbeschädigten zu, die infolge ihres Gesundheitszustandes oder Alters (60 Jahre) keine zumutbare Erwerbstätigkeit mehr ausüben können. Dabei werden abweichend vom kausalen Prinzip nicht nur anerkannte Schäden, sondern es wird der Gesamtleidenszustand berücksichtigt. Auch die Höhe der Ausgleichsrente wird nach dem Grad der MdE gesetzlich bestimmt. 1984 beträgt sie bei Erwerbsunfähigkeit ebenfalls maximal 817 DM, zuzüglich eventueller Ehegatten- oder Kinderzuschläge (§§33af.). Einkommen wird oberhalb von Freibeträgen angerechnet. Der Berufsschadensausgleich (§ 30 III) ist am konkreten Einkommensverlust orientiert, aber 564 565

Dazu Baumann, SGb 1980, 221 ff.; Stolleis, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 591 ff. BSGE 40, 225 (227).

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begrenzt auf 40% des Unterschiedes zwischen dem Einkommen nach der Schädigung einschließlich der Ausgleichsrente und dem durch Verordnung 566 bestimmten Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Geschädigte ohne die Schädigung angehören würde. Einkommensverlust einer Hausfrau sind die Mehraufwendungen bei der Haushaltsführung, bei Erwerbsunfähigkeit 1984 z. B. 817 DM (§ 30 IV, VIII). Für die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist — wie in der Unfallversicherung — das Maß der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben entscheidend. Hinterbliebene erhalten neben dem als Aufwendungsersatz gedachten Bestattungsgeld (§ 36), dem Sterbegeld ( = Umstellungshilfe, § 37) auch Renten, wenn der Geschädigte an den Folgen seiner Schädigung verstorben ist (§§ 1 V, 36), ansonsten gibt es Beihilfen (§ 48). Auch bei den Renten an den hinterbliebenen — auch geschiedenen (§ 42) — Ehegatten wird zwischen der Grund- (§ 40), der Ausgleichsrente (§41) und dem Schadensausgleich (§ 40 a) unterschieden. Während der Betrag für die Grund- und die Ausgleichsrente gesetzlich festgelegt ist (jew. 489 DM), beträgt der Schadensausgleich 40% des Unterschiedes zwischen dem Einkommen der Witwe und der Hälfte des Einkommens, das der Verstorbene ohne die Schädigung erzielt hätte. Die Witwerrente (§ 43) ist vom überwiegenden Unterhalt durch die Verstorbene abhängig — verfassungsrechtlich wie in der Rentenversicherung nicht länger zu halten. Zu den leistungsberechtigten Hinterbliebenen zählen auch Waisen (§§45-47) und Eltern (§§49 f.), sogar Bräute können als Härteausgleich (§ 89) versorgt werden 567 . Die Leistungen werden wie gesetzliche Renten angepaßt (§ 56). Die subsidiäre Kriegsopferfürsorge (§§ 25 ff.) ergänzt die am typischen Schaden ausgerichteten Regelleistungen des BVG und trägt so dem Gebot einer mehr individualisierenden Entschädigung Rechnung. Es werden Wohnungs-, Erholungs- und Erziehungsbeihilfen (§§ 27, 27bf.) gewährt, im übrigen unter erleichterten Voraussetzungen alle Hilfen in besonderen Lebenslagen nach dem BSHG (§ 27 d). 3. Verwaltungs- und Kostenträger Grundsätzlich (s. aber § 88 I 1 SVG) wird die Versorgung von den Versorgungs- und Landesversorgungsämtern durchgeführt (§§ 2 ff. KOV VwVfG), soweit nicht bei der Heilbehandlung die Krankenkassen eingeschaltet sind (§ 18c II). Historisch bedingt liegt die Zuständigkeit für die Kriegsopferfursorge bei den Hauptfursorgestellen und den Sozialhilfeträgern (§ 1 Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung; § 24 II SGB I; s. a. § 51 II 2 SGG). Obwohl der Bund Kostenträger (Art. 120 I 1 G G ; §§ 1 I, 8 des 1. ÜberlG) ist, vollziehen die Länder das BVG abweichend zu

566 567

Vom 18. 1. 1977 (BGBl. I, 162). Vgl. Wilke / Wunderlich, S. 438 ff.

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Art. 104a III GG als eigene Angelegenheit568. Die Versorgung beschädigter Bundeswehrsoldaten erfolgt im Auftrag des Bundes (§ 88 I 2 SVG). Die Lasten des OEG tragen der Bund zu 40%, die Länder zu 60%, die es mithin (Art. 104a III GG) als eigene Angelegenheit vollziehen. Gleiches gilt für die Versorgung der Impfgeschädigten, für deren Kosten die Länder allein aufzukommen haben (§ 59 II BSeuchenG). VIII. Die Sozialleistungen und ihr Ersatz durch Dritte 1. Die Sozialleistungen Die für alle Sozialleistungen gemeinsamen Vorschriften finden sich im SGB I. Sie stehen aber unter dem Vorbehalt abweichender Regelungen in den besonderen Teilen (§ 37)569. Für ihre Unanwendbarkeit genügt bereits, daß sie nicht in das System des jeweiligen Leistungsbereichs hineinpassen570. Aus diesem Grunde finden z. B. die Vorschriften über die Sonderrechtsnachfolge und Vererbung (§§ 56 f.) keine Anwendung auf Leistungen der Sozialhilfe571. Sozialleistungen unterliegen einem Gesetzesvorbehalt (§ 31J, Verträge dürfen über sie nur dann geschlossen werden, wenn sie im Ermessen des Trägers stehen (§ 53 II SGB X). Auf sie besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch (§ 38). Ermessensleistungen sind die Ausnahme. Bei ihnen beschränkt sich der Anspruch auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39). Es betrifft zumeist nur das „Wie", nicht das „Ob" der Leistung (z.B. § 4 II BSHG; § 1236 I RVO; s. S. 402). Der Rechtsanspruch — bei wiederkehrenden Leistungen: das Stammrecht — entsteht und wird fällig (Ausnahmen: § 210 RVO — Barleistungen der Krankenversicherung; § 619 I 2 RVO — Verletztengeld; § 122 I AFG — Arbeitslosengeld und -hilfe), sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen (§§ 40 I, 41). Zu ihnen zählt vielfach (nicht: § 5 BSHG) auch der Antrag des Berechtigten, dem dann insoweit materiell-rechtliche Bedeutung zukommt (z. B. § 1290 I 2, II-IV RVO; § 1 BVG). Bei Ermessensleistungen ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung maßgeblich (§ 40 II; § 37 SGB X), sofern diese nicht einen anderen Termin bestimmt. Dabei ist zu beachten, daß sich die Verfahrensdauer nicht immer und nicht voll zu Lasten des Antragstellers auswirken darf572. Lassen sich dem Grunde nach unstreitige Ansprüche der Höhe nach noch nicht festsetzen, können — auf Antrag: müssen — Vorschüsse gezahlt werden 568 569 570 571 572

Vgl. BSGE 39, 20 (2); König, BayVBl. 1972, 85 (89); Sturm, BAnz., Beilage 2 / 70, S. 13. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des SGB I. Vgl. Bley, in: Gesamt-Kommentar, § 37 Anm. 4b; Schellhorn, in: GK-SGB I, § 37 Rdnr. 18. Vgl. BVerwGE 58, 68ff.; = JuS 1980, 386; s. auch Petersen, NDV 1976, 66 (72); Schellhorn, ebd. S. 162 (163). Vgl. BVerfGE 60, 16 ff.

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(§ 42)573. Vorläufige Leistungen (§ 43) verhindern, daß ein Kompetenzstreit auf dem Rücken des Berechtigten ausgetragen wird. Für die Bearbeitung des Antrags hat der Leistungsträger 6 Monate, für die Auszahlung nach der Entscheidung 1 Monat Zeit574. Danach tritt die Zinspflicht (4%) ein (§ 44). Die Verjährungsfrist beträgt 4 Jahre (§ 45). Auf Leistungen kann schriftlich verzichtet werden, soweit dadurch nicht Dritte (z. B. Sozialhilfeträger, Unterhaltspflichtige) belastet werden (§ 46). Bei wiederkehrenden Leistungen bleibt das Stammrecht575 unberührt, da der Verzicht für die Zukunft jederzeit widerrufen werden kann. Die Leistungen werden kostenfrei überwiesen (§ 47). Kommt der Berechtigte seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten und seinen Kindern nicht nach, kann diesen innerhalb der Pfändungsgrenzen ein angemessener Teilbetrag der Leistung ausgezahlt werden (§ 48)576. Der Unterhaltspflichtige wird insoweit frei (§ 362 BGB). Er muß an sie ausgezahlt werden, wenn der Berechtigte sich aufgrund richterlicher Anordnung länger als 1 Monat in einer Anstalt oder Einrichtung (Strafanstalt, Trinkerheilstätte etc.) befindet (§ 49). Ihr Träger kann den Restbetrag durch schriftliche Anzeige an den Sozialleistungsträger auf sich überleiten (§ 50). Da Sozialleistungen inzwischen recht hoch sein können, hielt das SGB an ihrer Unpfändbarkeit577 nicht länger fest578. Sie gilt nur noch für Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen, die auch weder übertragen noch verpfändet werden dürfen (§§ 53 I, 54 I). Geldleistungen unterliegen dieser Einschränkung jedoch nicht mit Ausnahme der Ansprüche nach dem BSHG ( § 4 1 2 BSHG i. V. m. § 37). Sozialhilfeleistungen können, wenn überhaupt, nur auf dem Konto gepfändet werden. Im übrigen ist zwischen einmaligen (z. B. Sterbegeld), laufenden (z. B. Grundrente nach BVG) und laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt (z. B. Krankengeld, Rente) zu unterscheiden. Letztere können, soweit sie die Pfändungsgrenzen übersteigen, übertragen und verpfändet werden (§ 53 III), alle Geldleistungen ohne Rücksicht auf die Pfändbarkeit dann, wenn es der Absicherung von Vorleistungen Dritter (z. B. Darlehen) dient oder im Interesse des Berechtigten liegt (z. B. Kauf einer Eigentumswohnung, die die Mietkosten senkt). Die Entscheidung liegt bei dem Sozialleistungsträger (§ 53 II). Gepfändet werden können einmalige Leistungen, wenn es der Billigkeit entspricht, was weitgehend von der Zweckbestimmung der Leistung abhängt (§ 54 II)579. Laufende Geldleistungen können wie Arbeitseinkommen wegen Unterhaltsansprüchen, wegen sonstiger Ansprüche nur dann gepfändet wer573 574 575 576 577 578 579

Zu ihnen: Gleitze, DOK 1976, 25 (30). Zu dieser Deutung des § 44: Gitter, in: Bochumer Kommentar, § 44 Rdnr. 44f. Zur Differenzierung: BSGE 34, 1; s. auch Weber, Stammrecht und Einzelansprüche bei wiederkehrenden Geldleistungen des Sozialrechts, Diss. jur. Freiburg 1978. Dazu Bracht, NJW 1976, 1252ff.; Maier, SGb 1976, 305. Zu ihr BVerfGE 11, 283 (288); 33, 199 (205); 46, 55 (61). Zur Neuregelung: Hannemann, DAngVers 1976, 120ff., 149ff.; Maier, DAngVers 1979, 111 ff.; Schreiber, NJW 1977, 279ff.; Trolldenier, SozVers 1980, 34ff. Vgl. Maier, SGb 1979, 457f.; v. Maydell, in: GK-SGB I, § 53 Rdnr. 14.

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den, wenn es der Billigkeit entspricht und keine Hilfsbedürftigkeit eintritt (§ 54 III) 580 . Die Pfändungsfreigrenzen stellen das nicht immer sicher 581 . Da Sozialleistungen heute bargeldlos erbracht werden (§ 47 I), muß ihr Pfändungsschutz auch die Kontogutschrift erfassen 582 . Sie ist in den ersten 7 Tagen unpfändbar. Von einer sonstigen Kontenpfändung wird sie nicht erfaßt (§ 55 I). Selbst die Bank darf die Gutschrift nicht mit einem Schuld-Saldo verrechnen 583 . Nach Ablauf der 7 Tage bleiben laufende Geldleistungen auch auf dem Konto unpfändbar. Doch nimmt ihr Schutz zeitanteilig ab (§ 55 IV): Ist z. B. zur Monatsmitte noch mehr als die Hälfte des Betrages der Sozialleistung auf dem Konto, kann (nur) dieses „Mehr" ohne sozialrechtliche Besonderheiten gepfändet werden. Gleiches gilt für Bargeld Soweit Sozialleistungen pfändbar sind, kann der Sozialleistungsträger mit eigenen Ansprüchen aufrechnen oder mit denen eines anderen Sozialleistungsträgers verrechnen (§§51 f.). Mit dem Tode des Berechtigten erlöschen Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen. Waren, als er starb, fällige Ansprüche auf Geldleistungen festgestellt oder Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens 584 , stehen sie in der Reihenfolge dem Ehegatten, den Kindern, den Eltern und dem Haushaltsführer 585 (§ 56) zu. Erst nach dieser Sonderrechtsnachfolge586 gilt Erbrecht (§ 58). Da mit ihr eine Haftung verbunden ist, kann auf sie verzichtet werden (§ 57). Zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen sind zu erstatten, Sach- und Dienstleistungen in Geld (§ 50 I SGB X). Voraussetzung ist, daß der der Leistung zugrundeliegende Verwaltungsakt aufgehoben wurde oder, gab es keinen Verwaltungsakt, er, seinen Erlaß unterstellt, hätte aufgehoben werden können. (Nur) bei dieser Prüfung (S. 431) wird der Vertrauensschutz berücksichtigt. Der Anspruch verjährt in 4 Jahren (§ 50 I I - I V SGB X). 2. Ersatzansprüche gegen Dritte a) Die Fälle: Für die Pflicht Dritter (nicht: andere Sozialleistungsträger, s. S. 438) Sozialleistungen zu ersetzen, gibt es 4 Fallgruppen:(1) Sozialleistungen wurden notwendig, weil der Dritte seiner vorrangigen Leistungspflicht nicht nachgekommen ist. Der Anspruchsübergang stellt die gesetzliche Rangfolge wieder her. Vorrangige Leistungspflichten sind vor allem: Unterhaltspflichten (z. B. §§ 90f. BSHG; § 7 UnterhVG; § 140 AFG; § 37 BAföG) und 580 581 582 583 584 585 586

Zur Kritik an dieser Vorschrift vor allem: Heinze, in: Bochumer Kommentar, § 54, Rdnr. 3 ff. Dazu Sonnenberg, NDV 1983, 291 ff. Vgl. Terpitz, DK 1976, 1564ff. Vgl. Heinze, in: Bochumer Kommentar, § 55 Rdnr. 12. Bei der zweiten Alternative: keine Ermessensleistungen, vgl. §§ 41, 40 II. Zu ihm § 56 IV und BSGE 14, 203; 20, 148; 29, 225. Vgl. v. Maydell, BIStSozArbR 1975, 371 ff; Schmeling, MDR 1976, 807ff; Tegtmeyer, Erbfolge und Sonderrechtsnachfolge im sozialen Versicherungsrecht, Diss. jur. Göttingen 1974.

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Lohnfortzahlungspflichten (§ 1 15)587. — (2) Es werden Sozialleistungen aufgrund einer Schädigung erbracht, für die der Dritte verantwortlich ist. Der Anspruchsübergang auf den Sozialleistungsträger (§ 116 I) stellt sicher, daß es weder zu einer Doppelleistung an den Geschädigten (Sozialleistung + Schadensersatz), noch zu einer Entlastung des Schädigers kommt. In beiden Fällen geht der Anspruch in Höhe der (zu Recht) erbrachten Sozialleistung über. Das kann kraft Gesetzes (z. B. §§ 115f.; §37 BAföG; §7 UnterhVG) oder durch schriftliche Anzeige der Leistung an den Verpflichteten erfolgen (z. B. § 90 BSHG; § 140 AFG). Der übergeleitete Anspruch behält seine Rechtsnatur und ist ihr entsprechend gegebenenfalls einzuklagen und zu vollstrecken (S. 366). — (3) Auch in der 3. Fallgruppe werden Sozialleistungen aufgrund einer Schädigung erbracht, für die ein Dritter verantwortlich ist. Für diesen Schaden kommt aber eine Solidargemeinschaft auf, der der Dritte angehört. Hat er ihn unter Verletzung ihr gegenüber bestehender Verhaltenspflichten verursacht, muß er für ihre Leistungen ( = ihren Schaden) aufkommen. Gemeint ist der Regreß der Unfallversicherungsträger gegen Unternehmer und Arbeitskollegen, die einen Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben (§ 640 RVO). Zu ersetzen ist nicht der Schaden des Verletzten, sondern der des Unfallversicherungsträgers. Auf den Regreß kann nach billigem Ermessen verzichtet werden. — (4) Dritte haben schließlich auch dann die Sozialleistung zu ersetzen, wenn sie durch falsche Angaben etc. ihre Gewährung verursacht haben (z. B. § 47a BAföG; § 145 AFG). b) Speziell: Der Übergang von Schadenersatzansprüchen: Die in der Praxis wichtigsten Überleitungsnormen sind der im Zusammenhang des Sozialhilferechts schon dargestellte § 90 BSHG (S. 365 f.) und § 116, mit dem der Übergang von Schadensersatzansprüchen auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden ist. Für Schadensfälle vor dem 1. 7.1983 bleibt es bei der früheren Rechtslage (§ 1542 RVO; Art. 2 § 22), auf deren Darstellung aber verzichtet werden soll. Wichtig ist, daß die Neuregelung 588 den Sozialleistungsträgern ihr umstrittenes Quotenvorrecht589 genommen hat, ohne aber die Regelungen zu übernehmen, die im Beamten- (§ 52 BRRG; § 87 a BBG) oder im Privatversicherungsrecht (§ 67 VVG) gelten. Bei einem Sonderrecht der Sozialleistungsträger ist es geblieben590. § 116 führt zu einer cessio legis. Im Moment ihrer Entstehung, d.h. im Augenblick des Schadensereignisses, gehen Schadensersatzansprüche auf den Versicherungs- oder Sozialhilfeträger über, soweit er wegen des Schadens587 588

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Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des SGB X. Siehe: Behrends, DOK. 1983,409ff.; Küppersbusch, VersR 1983, 193ff.; Marschall v. Bieberstein, ZVersWiss 1983, 99ff.; v. Maydell, NJW 1984, 23ff.; Ruland, JuS 1984, 71 ff. Vgl. die Nachweise in BGH, JuS 1969, 188; LG Frankfurt, JuS 1976, 682ff.; s. noch Neumann-Duesberg, BKK 1979, 201 (209); Ritze, Soz. Vers. 1978, 285. Krit. daher Marschall v. Bieberstein, ZVersWiss 1983, 111 ff.; Sieg, SGb 1983, 179ff.

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ereignisses Leistungen zu erbringen hat, die mit dem Ersatzanspruch sachlich und zeitlich kongruent sind591. Der Anspruch geht dem Grunde nach über. Dies begründet ein Verfügungsverbot (§ 135 BGB). Ausgenommen sind Ansprüche gegen Familienangehörige, es sei denn, sie beruhen auf vorsätzlicher Schädigung (§116 VI)592. Dem Familienetat soll nicht das, was ihm als Sozialleistung zufließt, wieder durch den Ersatzanspruch genommen werden. Davon profitieren auch Haftpflichtversicherungen 593 . Die Subsidiarität der Amtshaftung (§ 839 I 2 BGB) führt dazu, daß ein (übergangsfähiger) Anspruch gar nicht erst entsteht. Bei Unfällen im Straßenverkehr ist sie aber, wurden keine Sonderrechte in Anspruch genommen 594 , zugunsten der haftungsrechtlichen Gleichstellung im Verkehr von der Rechtsprechung aufgegeben worden595. Nicht übergangsfähig sind auch Ansprüche auf Schmerzensgeld596, insoweit fehlt es an der sachlichen Kongruenz. Sozialleistungen gleichen keine immateriellen Schäden aus597. Gleiches gilt grundsätzlich auch für Ansprüche auf Ersatz der Sachschäden. Diese werden durch Sozialleistungen nur in Ausnahmefällen (§ 765 a RVO; §21 II BSHG) ersetzt. Bei den übrigen Schadensgruppen (Heilungskosten, vermehrte Bedürfnisse, Erwerbs- und Unterhaltsschaden) kommt je nach Sozialleistung Kongruenz in Betracht598. Hinterbliebenenrenten sind mit dem Unterhaltsschaden selbst dann kongruent, wenn sie hinter der Leistung zurückbleiben, die an den verunglückten Rentner erbracht wurde599. Zwischen den auf den Sozialleistungsträger übergegangenen und den bei dem Geschädigten verbliebenen Ansprüchen gibt es Konkurrenzprobleme, wenn (1) die Haftung des Schädigers aus Rechtsgründen wegen eines Mitverschuldens des Geschädigten (§ 254 BGB) oder wegen einer gesetzlichen Höchstgrenze (z. B. § 12 StVG) beschränkt ist oder (2) der unbegrenzt haftende Schädiger tatsächlich, d. h. wirtschaftlich, nicht für den vollen Schaden aufkommen kann. Im zuletzt genannten Fall hat der Geschädigte ein Befriedigungsvorrecht (§ 116 IV)600. Er kann vor dem Sozialleistungsträger vollstrekken und wird daher durch den Anspruchsübergang nicht benachteiligt. Ist 591

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Voraussetzung ist aber, daß schon zu diesem Zeitpunkt die Versicherung bestand: BGH, VersR 1982, 546; zur Kongruenz: v. Maydetl, in: GK-SGB X 3, § 116 Rdnr. 92 ff. Ausführlich: Künnel, VersR 1983, 223. BGH, VersR 1979, 256 (257); 1980, 648; krit. Ritze, Soz. Vers. 1981, 252f. Wenn ja, bleibt es bei der Subsidiarität: BGH, NJW 1983, 1667. BGHZ 70, 7; 79, 26 = JuS 1981, 533; anders bei der „unechten" Unfallversicherung: BGH, NJW 1982, 37 (38); ausführlich: v. Maydell (a. a. O., Anm. 591), Rdnr. 160 ff. BGH, VersR 1970, 1053. Vgl. BVerfGE 34, 118ff.; BGHZ 12, 278 (281). Einzelheiten bei Ruland, JuS 1984, 71 (72). BGHZ 9, 179; 70, 67ff.; BGH, VersR 1961, 437. BGH, VersR 1968, 271; NJW 1975, 1277; JuS 1979, 377.

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der Ersatzanspruch aus rechtlichen Gründen begrenzt, wird nun unterschieden: Ist seine Höhe gesetzlich begrenzt, werden zunächst die dem Geschädigten verbliebenen Ansprüche berücksichtigt. Nur der Rest geht über (Quotenvorrecht des Geschädigten, § 116 II). Beim Mitverschulden wird der Ersatzanspruch im Verhältnis der übergangsfähigen Sozialleistungen zum Restschaden zwischen dem Sozialleistungsträger und dem Geschädigten aufgeteilt (relative Theorie, § 116 III l)601. Soweit dieser dadurch sozialhilfebedürftig würde, verbleibt ihm der Ersatzanspruch (S. 3) — eine gut gemeinte, aber das Verfahren ungeheuer komplizierende Regelung602. Eine weitere Ausnahme gilt dann, wenn der Sozialleistungsträger infolge der den Anspruchsübergang auslösenden Schädigung keine höheren Aufwendungen als zuvor hatte (§116 V). Gemeint ist die gegenüber der Rente des bei dem Unfall getöteten Versicherten niedrigere Witwenrente an dessen Frau. Ist der Ersatzanspruch sowohl durch eine gesetzliche Haftungshöchstsumme als auch durch ein Mitverschulden des Geschädigten begrenzt, werden zunächst die der Haftungsquote entsprechenden Teilforderungen des Sozialleistungsträgers und des Geschädigten ermittelt und dann im Verhältnis der Haftungshöchstsumme zum ursprünglichen Gesamtbetrag der Ersatzansprüche gekürzt (§116 III 2)603. Mehrere Sozialleistungsträger sind nach außen Gesamtgläubiger, untereinander im Verhältnis der von ihnen erbrachten Leistungen berechtigt (§ 117). Soweit der Geschädigte auch den Ersatz von Beiträgen zur Sozialversicherung verlangen kann, geht der Anspruch auf den Sozialversicherungsträger über, der ihn auch geltend machen muß 604 . Beiträge zur Rentenversicherung gelten insoweit als Pflichtbeiträge (§ 119). Soweit der Schädiger nicht leistungsfähig ist, kann der Ersatzanspruch gem. § 76 I Nr. 3 SGB IV erlassen werden 605 . Die Teilungsabkommen (§116 IX)606, mit denen Schäden zwischen den Haftpflicht- und den Sozialversicherungen bis zu bestimmten Beträgen ohne Rücksicht auf die Rechtslage nach Quoten abgerechnet wurden, sind, weil man die Auswirkungen des neuen Rechts abwarten will, nahezu alle gekündigt worden. Inzwischen sind aber auf der Basis des neuen Rechts neue Abkommen geschlossen worden, die sich von den früheren nur unwesentlich unterscheiden.

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Rechenbeispiele bei Ruland, JuS 1984, 71 (72f.). Vgl. Küppersbusch, VersR 1983, 198 ff. Beispiel: Ruland, JuS 1984,71 (73). Dazu Ritze, VersR 1983, 214; Schmitt, SGb 1983, 465ff. So nun auch BGH, VersR 1983, 1132. Zu ihnen: Kaiser, Risikozuweisung durch Teilungsabkommen, 1981.

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IX. Besonderheiten des Sozialverfahrensrechts — Der Schutz der Sozialdaten 1. Die Besonderheiten des Sozialverfahrensrechts Auf die Sozialleistungsträger findet das VwVfG keine Anwendung (§ 2 II Nr. 4 VwVfG). Ihr Verfahrensrecht ist im SGB X geregelt607. Doch gibt es Ausnahmen: Spezialregelungen finden sich im SGB I (z. B. § 36). Im übrigen gehen verfahrensrechtliche Bestimmungen der Besonderen Teile vor (§ 37 SGB I), das betrifft vor allem das KOV-VwVfG, aber auch zahlreiche Details in den Leistungsgesetzen, die deshalb, was den Kodifikationseffekt zunichte macht, immer erst auf Sonderregelungen hin überprüft werden müssen. Vorrangig ist auch das OWiG. Die Behörden (§ 1 II)608 sind durch diese Regelungen nur insoweit gebunden, als sie nach außen durch Erlaß von Verwaltungsakten und Abschluß von öffentlich-rechtlichen Verträgen tätig werden (§ 8). Das schlichte Verwaltungshandeln ist nicht geregelt. Für es sind die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts maßgeblich. Das Verfahrensrecht des SGB X weicht in nur wenigen Punkten von dem VwVfG ab. Der Gesetzgeber hat nicht nur die Abweichungen geregelt, weil er — wie bei der AO - „das Blättern in zwei Gesetzen" vermeiden wollte609. Zu Recht wird aber kritisiert, daß er bei dem „Abschreiben" des VwVfG zu wenig die Besonderheiten des Sozialrechts bedacht hat610. So sind z. B. sozialrechtlich übliche Handlungsformen, wie die unmittelbare Erbringung von Sach- und Dienstleistungen611, nur unzulänglich geregelt worden (§ 50 II). Wegen der weitgehenden Übereinstimmung mit dem VwVfG beschränkt sich die folgende Darstellung auf hervorhebenswerte Besonderheiten: Die Handlungsfähigkeit ist auch hier grundsätzlich an die Geschäftsfähigkeit (§ 2 BGB: 18 Jahre) geknüpft (§111 Nr. 1). Sozialleistungen beantragen und entgegennehmen können aber auch schon 15jährige, wenn dies nicht von dem gesetzlichen Vertreter eingeschränkt wird (§ 36 SGB I). Ausnahmen vom Prinzip der deutschen Amtssprache erleichtern Ausländern den Zugang zu den Sozialleistungen (§ 19 II)612. Die Folgen einer unterbliebenen notwendigen (§ 24) Anhörung613 sind strenger als im VwVfG geregelt. Ist dies nicht bis zur Erhe607

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Zu ihm: Maier / Clausing / Herrmann, SGb 1978, 325ff.; Maurer, JuS 1979, 302ff.; Krause, NJW 1981, 81 ff.; ders., in: SGB X, S. 57ff.; Pitschas, JuS 1983 , 434 ff.; Schroeder-Printzen / Engelmann (u. a.), a. a. O. Paragraphen ohne Angabe des Gesetzes sind solche des SGB X. BT-Dr 8 / 2034, S. 45; Krause, NJW 1981, 81. Maier / Clausing / Herrmann, SGb 1978,325(336); Krause, a. a. O. S. 82. Zu ihnen: Igl, VSSR 1978, 201 ff.; Krause, Vhdlgen d. 52. DJT, 1978, S. E 69ff.; ders., in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 239ff.; Rüfner, W d S t R L 28 (1970), 214f. S. auch Frank, DAngVers 1980, 168 ff. Zu ihr Schnapp, in: SGB X, S. lOOff.

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bung der vielfach ohne Widerspruchsverfahren zulässigen (§ 78 SGG) Klage geheilt, kann schon allein deswegen die Aufhebung des Verwaltungsaktes verlangt werden (§ 42 S. 2). Das Verfahren ist kostenfrei (§ 64). a) Mitwirkung des Berechtigten und Dritter: Sozialleistungen müssen grundsätzlich beim zuständigen Leistungsträger (§ 16 SGB I) beantragt werden (§ 1545 I Nr. 2 RVO; § 100 I AFG; § 17 BKGG; § 1 WoGG; § 46 I BAföG; § 1 I BVG; § 1 I OEG) 614 . Das gilt nicht für Leistungen der Sozialhilfe (§ 5 BSHG) und der Unfallversicherung (§ 1545 I Nr. 1 RVO). Sie sind von Amts wegen, ggf. auf Anmeldung (§ 1546 RVO) hin, zu gewähren bzw. festzustellen. Außerdem trifft bei Arbeitsunfällen den Arbeitgeber eine Anzeigepflicht (§ 1552 RVO). Soweit Anträge notwendig sind, werden sie auch von allen anderen Leistungsträgern fristwahrend entgegengenommen (§ 16 SGB I). Bei der Sachverhaltsermittlung treffen den Antragsteller zahlreiche „Mitwirkungspflichten"615. Es sind aber nur Obliegenheiten, deren Nichterfüllung zur Versagung oder zum Entzug der Leistung führen kann, wenn zuvor auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden war (§ 66 SGB I)616. Zur Mitwirkung gehört die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln, das Vorlegen von Urkunden etc. (§ 60 I Nr. 1, 3 SGB I), auf Verlangen das persönliche Erscheinen (§ 61 SGB I). Der Antragsteller muß sich aber auch ärztlichen Untersuchungen und Heilbehandlungen und, soweit es um Leistungen wegen Invalidität geht, auch berufsfördernden Maßnahmen unterziehen (§§ 62 ff. SGB I). Die „Mitwirkungspflichten" sind aber begrenzt (§ 65 SGB I). Sie bestehen insbesondere dann nicht, wenn ihre Erfüllung aus wichtigem Grunde unzumutbar wäre. Solche Gründe können in der Person des Verpflichteten liegen (z. B. Gesundheitszustand, Alter, Behinderung), familiär (z. B. Betreuung von Kindern) oder beruflich (Unabkömmlichkeit) bedingt sein617. Gefährliche, besonders schmerzhafte oder besonders folgenreiche Behandlungen und Untersuchungen können abgelehnt werden618. Als Mitwirkung darf auch keine „Selbstanzeige" gefordert werden. Mitwirkungspflichtig sind auch Dritte. Auskünfte haben der Arbeitgeber (§ 98), Angehörige, insbesondere Unterhaltspflichtige (§ 99; § 116 BSHG), soweit gesetzlich zugelassen619 auch Ärzte (§ 100) zu erteilen. Im Ausbildungsförderungsrecht haben die Ausbildungsstätten mitzuwirken (Auskünfte, Bescheinigungen etc., §§ 47, 48 BAföG). Bei Arbeitsunfällen insbesondere mit tödlichem Ausgang werden die Ortspolizeibehörden und ggf. das Versicherungsamt zur Untersuchung herangezogen (§§ 1559ff. RVO). Auch nach Abschluß des Verfahrens bleiben Mitwirkungs-

614 615 616 617 618 519

Zu den Formularen: § 17 I Nr. 3 SGB I. Zu ihnen insbesondere Henke. VSSR 1976, 41 ff.; Rüfner, VSSR 1977, 347ff. Vgl. Benz, BG 1978, 342; Brackmann, DOK 1976, 794; Wulßiorst, VSSR 1982, 1 (8). Baier, in: Krauskopf, § 65 SGB I, Anm. 2.2. Vgl. zur „Operationsduldungspflicht": von Maydell, in: Fs. f. Wannagat, 1981, S. 277 ff.; ausführlich auch Plagemann / Plagemann, Rdnrn. 191 ff. Vgl. z. B. § 1543 d RVO.

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pflichten bestehen. Sozialleistungsempfänger müssen Änderungen in den für die Leistung erheblichen Verhältnissen unverzüglich mitteilen (§ 60 I Nr. 2 SGB I). b) Widerruf, Rücknahme und Außiebung von Verwaltungsakten: Besonderheiten weisen auch die Bestimmungen über die Rücknahme, Aufhebung und den Widerruf von Verwaltungsakten auf 620 , die ab dem 1. 1. 1981 auch für zuvor erlassene, noch überprüfbare Verwaltungsakte gelten (Art. II § 40), sofern nicht Sonderregelungen vorrangig sind (z.B. §20 BAföG; §§ 151 ff. AFG; §20 IV, V BKGG; §30 IV WoGG). Dabei sind 4 Fälle zu unterscheiden: (1) Widerruf des rechtmäßigen (a) begünstigenden oder (b) belastenden Verwaltungsakts ohne Änderung der Verhältnisse; (2) Rücknahme des (a) rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungakts mit und ohne Dauerwirkung oder (b) des rechtswidrig belastenden Verwaltungsakts; (3) Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse und (4) Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten im Rechtsbehelfsverfahren Verwaltungsakten kommt Dauerwirkung zu621, wenn sie sich nicht in einem einmaligen Geben oder Nehmen erschöpfen, sondern längerfristige Rechtsverhältnisse begründen oder verändern (nicht: aufheben) 622 sollen (z. B. Feststellung der Versicherungspflicht; Gewährung von Rente, nicht: von Sozialhilfe623). aa) Der Widerruf von Verwaltungsakten: Rechtmäßig begünstigende Verwaltungsakte dürfen ohne Änderung der Verhältnisse nur für die Zukunft und nur dann widerrufen werden, wenn ein Gesetz dies zuläßt (z. B. §§ 1268 IV 2, 1585 RVO), es bei Ermessensleistungen (§ 32 II Nr. 3) vorbehalten war oder eine Auflage nicht befolgt wurde (§ 47). Rechtmäßig belastende Verwaltungsakte können auch ohne Änderung der Verhältnisse für die Zukunft widerrufen werden, es sei denn, sie müßten erneut erlassen werden oder es wäre aus sonstigen Gründen (auch z. B. entgegenstehende Verwaltungsanordnung) unzulässig (§ 46). Es liegt im Ermessen der Behörde, ob sie erneut entscheiden will624. bb) Die Rücknahme von Verwaltungsakten: Rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte ohne Dauerwirkung können für die Zukunft zurückgenommen werden, wenn es dem Vertrauensschutz der Betroffenen nicht widerspricht (§ 45 II). Er wirkt aber mehr in die durch die strengeren Voraussetzungen des § 45 IV ohnehin geschützte Vergangenheit als in die Zukunft. So ist z. B. das Vertrauen auf den Fortbestand einer zu Unrecht festgestellten Be620

621 622 623 624

Dazu Bamewitz, VSSR 1981, 33 ff.; Krasney, Soz. Vers. 1979, 73ff.; Krause, NJW 1979, 1014; Pappai, in: SGB X, S. 114ff.; Thieme, in: Fs. f. Peters, 1975, S. 157ff. Bamewitz, a. a. O. S. 49f.; Wiesner, in: Schroeder-Printzen, § 48 Anm. 2. Bamewitz, SGb 1979, 52; Wiesner, a. a. O.; a. A.: Sieg, SGb 1980, 150. So schon BT-Dr 8 / 2034, S. 34; s. auch S. 359 f. Zutreffend: Krause, in: SGB X, S. 72; ders., NJW 1981, 81 (87).

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freiung von der Versicherungspflicht selbst dann nicht schutzwürdig, wenn sich der Betroffene darauf eingerichtet hatte625, dies auch dann, wenn der Fehler allein bei der Behörde lag. Der Betroffene genießt Vertrauensschutz nur dann, wenn er Vermögensdispositionen (z. B. Abschluß eines Versicherungsvertrages) getroffen hat, die sich ohne Schaden nicht rückgängig machen lassen. Beruht der Verwaltungsakt auf Täuschung, Drohung, Bestechung oder auf vorsätzlich oder grob fahrlässig falschen Angaben, kommt ein Vertrauensschutz nicht in Betracht. Gleiches gilt, wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit kannte oder nur grob fahrlässig nicht kannte (§ 45 II). Kommt dem Verwaltungsakt Dauerwirkung zu, genießt er höheren Bestandsschutz (§ 45 III). Seine Rücknahme ist nur in bestimmten Fristen möglich. Im übrigen bleibt die Abwägung gleich. Unbefristet kann aber auch er zurückgenommen werden, wenn Wiederaufnahmegründe (§ 580 ZPO) vorliegen oder — wie sich eindeutig nur aus den Materialien ergibt626 — wenn Täuschung, Drohung oder Bestechung mit im Spiel waren. 10 Jahre beträgt die Rücknahmefrist, wenn der Betroffene vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben gemacht hat oder die Rechtswidrigkeit kannte oder nur wegen grober Fahrlässigkeit nicht kannte 627 oder wenn der Widerruf vorbehalten war. Im übrigen, d. h. normalerweise, können rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nur innerhalb von 2 Jahren nach ihrer Bekanntgabe zurückgenommen werden (§ 45 III 1), wenn der Vertrauensschutz dem nicht ausnahmsweise entgegensteht. Der Höhe nach können die durch sie gewährten Leistungen allerdings „eingefroren" werden, d. h. ihre Anpassung wird so lange ausgesetzt, bis die Leistung ihre gesetzmäßige Höhe erlangt hat (§ 48 III). Für die Vergangenheit können rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit und ohne Dauerwirkung nur zurückgenommen werden, wenn sie auf Täuschung, Drohung, Bestechung oder auf vorsätzlich und grob fahrlässig falschen Angaben beruhen oder wenn die Rechtswidrigkeit bekannt war oder hätte sein müssen. Gleiches gilt, wenn Wiederaufnahmegründe vorliegen (§ 45 IV 1). Für die rückwirkende Rücknahme besteht eine Frist von 1 Jahr (S. 2 a. a. O.). Konsequenzen der Rücknahme für die Zukunft sind, daß Leistungen nicht mehr gewährt oder zukünftig Beiträge gezahlt werden müssen. Bereits erbrachte Leistungen sind nicht zu erstatten. Beiträge brauchen nicht nachentrichtet zu werden. Ist der Verwaltungsakt auch für die Vergangenheit zurückgenommen worden, sind die Leistungen zu erstatten (§ 50). Der Behörde steht insoweit kein Ermessen mehr zu. Eine Stundung oder ein Erlaß kommt nur gemäß § 76 II SGB IV (oder z. B. § 152 II AFG) in Betracht. Auf den Wegfall der Bereicherung kann sich der Betroffene nicht berufen. Der Anspruch ist nicht zu verzinsen. Er verjährt in 4 Jahren nach seiner Geltendmachung (§ 50 625 626 627

Vgl. Dörr, DAngVers 1980, 84(86). BT-Dr 8 / 4022, S. 83; Wiesner(Fn. 621), § 45 Anm. 5.1. Krit. Krause, NJW 1981, 81 (87).

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IV). Beiträge sind in den Grenzen der § 25 SGB IV, § 1418 RVO nachzuentrichten. Rechtswidrige belastende Verwaltungsakte müssen auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn ihretwegen zu Unrecht Leistungen nicht erbracht oder Beiträge erhoben wurden (§ 44 I). Dies gilt allerdings nur, wenn die Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit erkannt hat, besagt aber nicht, daß sie immer wieder die Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide von Amts wegen oder auf Antrag überprüfen müßte. Das steht, da eine Wiederaufnahmeregelung fehlt, im Ermessen der Behörde628. Es reduziert sich in dem Maße, in dem die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts deutlich wird. Wird er ex tunc zurückgenommen, sind die Leistungen rückwirkend für 4 Jahre zu erbringen (§ 44 IV), Beiträge für den gleichen Zeitraum zu erstatten (§§ 26, 27 SGB IV). All das gilt nicht, wenn vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen ursächlich waren. Betrafen die Verwaltungsakte weder Leistungen noch Beiträge, sind sie für die Zukunft zurückzunehmen, ob auch für die Vergangenheit steht im Ermessen der Behörde, die dann auch die Folgen beseitigen muß (§ 44 II). cc) Die Aufliebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung: Verwaltungsakte mit Dauerwirkung sind für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten ist (§ 48 I 1). Dies gilt sowohl für rechtmäßige als auch für rechtswidrige Verwaltungsakte, die nicht mehr zurückgenommen werden können. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt dann vor, wenn sich Umstände ändern, die für den Anspruch maßgeblich sind (z. B. Kindergeld: Zahl der Kinder; Erwerbsunfähigkeitsrente: Aufnahme einer Erwerbstätigkeit; Unfallrente: Änderung der MdE um 5%)629. Eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse tritt nicht nur durch neue Gesetze ein, sondern auch dann, wenn sich die Rechtsprechung des zuständigen Bundesgerichts zugunsten des Berechtigten ändert (§ 48 II)630. Entscheidet es eine Streitfrage erstmals und zwar zuungunsten der Verwaltung, ist der Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig und auch für die Vergangenheit aufzuheben (§ 44 I). Bei einer Änderung der Verhältnisse werden Verwaltungsakte grundsätzlich für die Zukunft aufgehoben, ab Änderung der Verhältnisse nur dann, wenn es sich zugunsten des Betroffenen auswirkt, oder er, weil er z. B. Mitteilungspflichten (§ 60 I Nr. 2 SGB I) verletzt hat, keinen Vertrauensschutz genießt (§ 48 I 1, 2). dd) Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren: Im Rechtsbehelfsverfahren entfällt der für begünstigende Verwaltungsakte geltende Bestandsschutz (§ 49). Das betrifft aber nur die im Sozialrecht seltenen Verwaltungsakte mit Drittwirkung (z. B. § 1268 IV 2 RVO).

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Krause, in: SGB X, S. 72; a. A. wohl Wiesner(Fn. 621), § 44 Anm. 5. Zu Einzelheiten: Wiesner, a. a. O. § 48 Anm. 3. So schon BSGE 28, 122ff.; 35, 234ff.

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2. Der Schutz der Sozialdaten Die Aufgabenstellung der Sozialleistungsträger bringt es mit sich, daß sie eine Vielzahl personenbezogener Daten ( = Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse, § 35 I 1 SGB I) der Gesicherten, aber auch ihrer Arbeitgeber erheben und verarbeiten müssen. Die Geheimhaltung dieser Daten 631 ist zum einen strafrechtlich gesichert (§ 203 II StGB). Sie wird zum anderen durch das SGB gewährleistet, das die Leistungsträger verpflichtet, die geschützten Daten zu wahren, sie insbesondere nicht unzulässig zu offenbaren (§ 35 I SGB I). Die Tatbestände einer zulässigen Offenbarung sind in §§ 68 ff. abschließend aufgezählt. Nur soweit sie gegeben sind, besteht auch eine Verpflichtung zur Vorlage von Akten oder zu Zeugenaussagen durch Bedienstete der Sozialleistungsträger (§ 35 III SGB I). Die Offenbarung ist zunächst dann zulässig, wenn der Betroffene im Einzelfall — grundsätzlich schriftlich — eingewilligt hat. Sonst dürfen Daten nur dann geoffenbart werden, wenn es erforderlich ist für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Sozialleistungsträger oder anderer Leistungsträger, z. B. der Beamtenversorgung oder der Zusatzversorgung (§ 69), für die Durchführung des Arbeitsschutzes (§ 70), im Interesse des Schutzes der inneren und äußeren Sicherheit (§ 72, eingeschränkt), zur Durchführung eines Strafverfahrens (§ 73, bei Vergehen eingeschränkt), oder zivilgerichtlicher Verfahren in Unterhalts- oder Versorgungsausgleichssachen (§ 74) und — eng begrenzt und unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt — im Interesse der Planung und wissenschaftlichen Forschung im Sozialleistungsbereich (§ 75)632. Weniger „sensible" Daten, wie Name, Geburtsdatum, Adresse, Arbeitgeber, dürfen auch auf Amtshilfeersuchen hin mitgeteilt werden (§ 68). Verstärkten Schutz genießen die besonders „sensiblen" Daten 633 , die den Sozialleistungsträgern z. B. von Ärzten, Anwälten oder Sozialarbeitern zugänglich gemacht wurden. Die Geheimhaltungspflicht dieser Personen gilt auch für die Sozialleistungsträger (§ 76). Eine 3. Ebene des Schutzes wird dadurch erreicht, daß die Sozialleistungsträger, soweit sie personenbezogene Daten, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse in Karteien verarbeiten, einheitlich, d. h. auch dann, wenn es sich um landesunmittelbare Hoheitsträger handelt, dem BDSG unterliegen (§ 79), das in einigen Punkten (Datenverarbeitung im Auftrag, Einschaltung von Vermittlungsstellen) für sie modifiziert wurde (§§ 80ff.). Hervorzuheben ist die Pflicht, verarbeitete Daten, deren Kenntnis nicht mehr gebraucht wird, zu löschen (§ 84). Die Nichteinhaltung all dieser Regelungen stellt, sofern nicht 631

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Zum Sozialdatenschutz: Heußner, in: Fs. f. Brackmann, 1977, S. 333ff.; Lange, Probleme des Persönlichkeitsrechts und Datenschutzes im Sozialrecht, 1982; Meydam, BKK 1978, 49; ders., DVR 1980, 111 ff.; ders., in: SGB X, S. 136ff.; Mörsberger (Hrsg.), Datenschutz im sozialen Bereich, 1981; Kolb, in: Fs. f. Grüner, 1982, S. 281 ff.; Rische, DRV 1980, 379ff.; Sokoll, BG 1979, 732ff. Allgemein dazu: Kilian, Rechtsfragen der medizinischen Forschung mit Patientendaten, 1983. Vgl. Maier, SGb 1983, 89 ff.

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§ 203 StGB eingreift, eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu 50000 DM geahndet werden kann (§ 85). X. Die Sozialleistungsträger und ihre Beziehungen zueinander 1. Die Sozialleistungsträger Sozialleistungsträger (§ 12 SGB I) sind Behörden (§ 1 II SGB X) des Bundes (Ausführungsbehörden für die Eigenunfallversicherung [§ 653 RVO], § 22 II SGB I), der Länder (Ausführungsbehörden für die Eigenunfallversicherung [§ 655 RVO], § 22 II SGB I; Versorgungsverwaltung, § 24 II SGB I; Ämter und Landesämter für Ausbildungsförderung, §18 II SGB I i. V. m. §§ 39 ff. BAföG; z. T. überörtliche Träger der Sozialhilfe) und der Gemeinden und Gemeindeverbände (z. B. Sozialhilfeträger, § 28 II SGB I; Ausführungsbehörden für die Eigenunfallversicherung [§ 656 RVO], § 22 II Nr. 1 SGB I; Gesundheitsämter, §28 II SGBI; Wohngeldstellen, §26 II S G B I ; Mitwirkung bei der Versorgungsverwaltung, § 24 II SGB I). Daneben gibt es Körperschaften: die (1981) 272 Orts-634, 855 Betriebs-635, 156 Innungskrankenkassen, die Seekrankenkasse und 19 landwirtschaftliche Krankenkassen, die 15 Ersatzkassen636 und die Bundesknappschaft, die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind (§21 II SGB I)637; die 34 gewerblichen Berufsgenossenschaften (§ 646 RVO) und die Gemeindeunfallversicherungsverbände (§ 22 II Nr. 1 SGB I), zu denen mehrere Gemeinden zusammengeschlossen sind (§ 656 RVO); die 18 Landesversicherungsanstalten, die Seekasse, die Bundesbahn-Versicherungsanstalt, die für die Arbeiterrentenversicherung zuständig sind, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die Bundesknappschaft und die landwirtschaftlichen Alterskassen (§ 23 II SGB I); die Bundesanstalt für Arbeit, die nicht nur das AFG zu vollziehen, sondern auch das Kindergeld auszuzahlen und Schwerbehinderte zu rehabilitieren hat (§§ 19 II, 20 II, 25 II SGB I). Sie ist außerdem Eigenunfallversicherungsträger (§ 654 RVO). Diese Körperschaften sind bundesunmittelbar, soweit sich ihr Zuständigkeitsbereich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (Art. 87 II GG) 638 , das trifft neben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Bundesanstalt für Arbeit, der Bundesknappschaft und der Bundesbahn-Versicherungsanstalt zu für fast alle Berufsgenossenschaften und Ersatzkassen, für Betriebskrankenkassen größerer Firmen, für die Seekasse und z. B. für die LVA Oldenburg634 635 636 637 638

Zu ihnen Tons, 100 Jahre gesetzliche Krankenversicherung, 1983, S. 142ff.; s. auch Tennstedt. ZSR 1983, 297 ff. Zu ihnen Friede, in: Fs. f. Peters, 1975, S. 47ff. S. o. Fn. 403. Zu ihnen auch Peters, SGb 1981, 378 (385 f.). Dazu Lemme, Der Status der Landesversicherungsanstalten als landes- und bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts, Diss. jur. Göttingen 1972.

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Bremen. Anstalten sind z. B. die Künstlersozialkasse (§ 37 KSVG) und die orthopädischen Versorgungsstellen (§ 24 II SGB I). Beispiele für Stiftungen finden sich in § 1 StHbKG („Hilfwerk für behinderte Kinder") und in § 15 H H G („Stiftung für ehemalige politische Häftlinge"). Neu ist die Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" 638 ". 2. Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit Den genannten Körperschaften (Sozialversicherungsträger, § 29 I SGB IV, und Bundesanstalt für Arbeit, § 189 I AFG) kommt das Recht auf Selbstverwaltung zu639. Ihre Bedeutung wird allerdings durch den Gesetzgeber, der zunehmend mehr alles selbst regelt und ihrem Entfaltungsspielraum zudem enge finanzielle Grenzen setzt (z.B. §§ 187a, 1307 RVO), immer mehr zurückgedrängt 640 . Im Bereich der Sozialversicherung, in der sich grundsätzlich Arbeitnehmer und -geber paritätisch in die Selbstverwaltung teilen (§29 II SGB IV), ist sie ein „Schutzschild" für ihre nach h. M. nicht grundrechtsfähigen641 Solidargemeinschaften, die im Vorfeld der Gesetzgebung dem Gesetzgeber den politisch mächtigen gemeinsamen Willen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden entgegenhalten können 642 . Das Selbstverwaltungsrecht genießt — anders als bei den Gemeinden — keine verfassungsrechtliche GarantieM3. Es erfaßt nur Aufgaben des eigenen Wirkungskreises (§ 30 SGB IV), nicht aber Auftragsangelegenheiten (z. B. § 3 IV AFG). Organe der Sozialversicherungsträger sind die Vertreterversammlung (§§ 31 I, 33 SGB IV), ihr „Parlament", das vor allem die Satzung (§ 34 SGB I) und sonstiges autonomes Recht (z. B. Dienstordnungen, §§351, 690 RVO; Gefahrtarife, §730 RVO; Unfallverhütungsvorschriften, §708 RVO) 644 beschließt, und der Vorstand (§§ 31 I, 35 SGB IV), der den Versicherungsträger 638a 639

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BGBl. 1984 I, 880. Zu ihm: Becher, Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger, 1976ff.; H. Bogs, S. 8 ff.; Bogs / v. Ferber / infas. Soziale Selbstverwaltung, 1980; Köhler / Zacher, Versicherungsrundschau (Wien) 1981, 65ff.; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialverwaltung, 3. Aufl., 1980; Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung in der Krankenversicherung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung der BRD, 1977; s. auch BT-Dr 7 / 4244 (Selbstverwaltungsbericht); zu einem instruktiven Einzelproblem: Winterstein, in: ders. (Hrsg.), Selbstverwaltung als ordnungspolitisches Problem des Sozialstaates I, 1983, S. 9 ff. Vgl. Muhr, in: Fs. f. Brackmann, 1977, S. 45; Standfest, Sozialpolitik und Selbstverwaltung, 1978, S. 6ff.; Wertenbruch, in: Fs. f. Peters, 1975, S. 203ff. Vgl. BVerfGE 21, 362 (372); 39, 302 (312); vielleicht bahnt sich eine Änderung an, vgl. Katzenstein, DRV 1983, 337 (347); s. auch Hannemann, DAngVers 1984, 17 ff. So schon Ruland, SGb 1981, 391 (403). Vgl. BVerfGE 39, 302 (314); s. auch früher schon 11, 310 (320ff.); ausführlich: Leopold (Fn. 639), S. 67ff.; Ruland, in: Wannagat, SGB IV, §44 Rdnrn. 11 ff. m. w. Nachw. Dazu F. Kirchhof, VSSR 1983, 175ff.

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verwaltet und ihn nach außen gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Die laufenden Verwaltungsgeschäfte obliegen der Geschäftsföhrung (§ 36 I SGB IV). Vertreterversammlung und Vorstand setzen sich paritätisch*5 aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammen (§ 44 I Nr. 1 SGB I), Ausnahmen sind vor allem die Ersatzkassen (nur Versicherte, a. a. O. Nr. 4) und die Bundesknappschaft (Versicherte 2 /i, Arbeitgeber x /i, a . a . O . Nr. 3)646. Die Vertreterversammlung geht aus den Sozialwahlen (§§ 45 ff. SGB IV) hervor, die alle 6 Jahre stattfinden (§ 58 II SGB IV). Wenn sich die Vorschlagsberechtigten (§§ 74 f. SGB IV) über die Zusammensetzung einigen, gelten die Vorgeschlagenen als gewählt (§ 46 III SGB IV). Diese „Friedenswahlen" sinA — von den großen Versicherungsträgern (BfA, Ersatzkassen) abgesehen — die Regel647. Auf Arbeitgeberseite ist bislang bei nur 1 Versicherungsträger einmal „echt" gewählt worden. Dieses Verfahren ist praktisch und kostensparend, aber kaum noch demokratisch. Die Vertreterversammlung wählt den Vorstand (§ 52 SGB IV). - Die Organe der Bundesanstalt für Arbeit sind drittelparitätisch (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Vertreter der öffentlichen Körperschaften) zusammengesetzt (§ 192 I AFG). Die Mitglieder von Verwaltungsrat und Vorstand werden nicht gewählt, sondern auf Vorschlag z. B. der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände berufen (§§ 195 ff. AFG). Auch das zeigt, wie die Bundesanstalt für Arbeit von der körperschaftlichen Struktur weg zur Anstalt hin tendiert 648 . Ihr autonomes Recht, die „Anordnungen", werden vom Verwaltungsrat erlassen (§191 III AFG). Für die Versicherungsträger und die Bundesanstalt für Arbeit gibt es ein eigenes Haushaltsrecht (§§ 67ff. SGB IV; §§ 215ff. AFG). Ihre Vermögensverwaltung ist gesetzlich reglementiert (§§ 80 ff. SGB IV; § 220 AFG). Sie unterliegen der (Rechts-)Aufsicht (§ 87 SGB IV)649, die für bundesunmittelbare Versicherungsträger ganz überwiegend von dem Bundesversicherungsamt (§ 94 SGB IV) ausgeübt wird (§ 90 I SGB IV). Die Bundesanstalt für Arbeit untersteht der Aufsicht des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (§ 224 AFG). Für landesunmittelbare Sozialversicherungsträger sind zumeist die jeweiligen Arbeitsministerien zuständig (§ 90 II SGB IV).

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Zu ihr: H. Bogs, S. 159; Krause, BKK 1979, 10; Preller, Bd. 2, S. 335f.; s. auch Mayer-Maly, in: Gedächtnisschrift für Peters, 1967, S. 938ff.; weitergefaßt: Kaiser, Die Parität der Sozialpartner, 1973. Verfassungsrechtlich bei der Bundesknappschaft nicht länger zu halten, vgl. Ruland, SGb 1982, 505 (510 f.). Zu ihnen ausführlich: Ruland, in: Wannagat, SGB IV § 46 Rdnrn. 19ff. So schon Henke, W d S t R L 28 (1970), S. 168; Wolff/ Bachof, VwR, Bd. 2, S. 402f. Dazu Bull, VSSR 1977, 113 ff.; Christmann, BAB1. 1984, 9ff.; Krause, in: Fs. f. BSG, 1979, S. 185ff.; Leopolden. 639), S. 155ff.; Stößner, Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, 1978.

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3. Die Beziehungen der Sozialleistungsträger untereinander Damit die starke Gliederung des Systems sozialer Sicherung nicht zu Lasten seiner Effektivität geht, sind Kooperation und Koordination zwischen den Leistungsträgern notwendig. Generell gilt ihre Verpflichtung zu enger Zusammenarbeit nicht nur untereinander (§ 86 SGB X), sondern auch mit Einrichtungen z. B. der Freien Wohlfahrt (§ 17 III SGB I). Ein Koordinationsbedarf besteht bei Planung und Forschung (§ 95 SGB X) 650 , vor allem aber im Bereich der Rehabilitation, deren Leistungen vereinheitlicht wurden 651 . Die Koordination erfolgt hier allgemein durch Arbeitsgemeinschaften (§ 94 SGB X) 652 , im Einzelfall durch gemeinsame Planung der Leistungen (z. B. Rehabilitations-Gesamtplan, § 5 RehaAnglG 653 ). Die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung (etwa im Bereich der Versicherungspflicht) wird durch gemeinsame Beratungen und Rundschreiben der Spitzenverbände sichergestellt. Vielfach werden Sozialleistungsträger für andere tätig. Beispiele dafür sind die Amtshilfe (§§ 3 f. SGB X), der datenschutzrechtliche Grenzen gesetzt sind (§ 68 SGB X), Verrechnungen (§ 87 SGB X), aber auch zahlreiche Auftragsverhältnisse65* teils auf gesetzlicher Grundlage (z. B. Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags durch die Krankenkassen, §§ 1433 RVO; §§ 176, 181 AFG; s. aber auch § 393a RVO), teils aufgrund spezieller (z. B. §§ 1238, 1510 RVO; § 62 BSHG; §§ 18c II, 20 BVG) oder - nunmehr auch - allgemeiner Ermächtigung (§§ 88 ff. SGB X). Erstattungsansprüche ergeben sich dann, wenn ein Leistungsträger für einen anderen Leistungen erbracht hat (§§ 102 ff. SGB X)655. Das hat er dann, wenn er für die von ihm erbrachte Sozialleistung nur vorläufig (§ 102 SGB X, z. B. § 43 SGB I; § 1735 RVO), vorübergehend (§ 103 SGB X; z. B. § 183 III, IV RVO) oder subsidiär (§ 104 SGB X; z. B. BSHG, BAföG, Arbeitslosenhilfe) verpflichtet oder gar unzuständig (§ 105 SGB X) war. Die Rangfolge der Erstattungsansprüche ist in § 106 SGB X geregelt. Sie sind, um den Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten, zu pauschalieren (§110 SGB X). Sie verjähren nach 4 Jahren (§113 SGB X).

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Dazu Pitschas, VSSR 1977, 141 (149). Durch das RehaAnglG (zu ihm Kugler, Das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation, 1974) ist insoweit die Differenzierung zwischen kausalen und Analen Sicherungssystemen überspielt worden. Zur Planung: Wertenbruch, in: Dembowski / Doetsch, S. 131 ff., 138ff. Zu ihnen Heine, DRV 1983, 531 ff. S. aber auch § 96, dazu Plagemann / Plagemann, in: Fs. f. Grüner, 1982, S. 421 ff. Zu ihnen Pickel, SGb 1984, 1 ff.; Terwey, DRV 1983, 519. Zu ihnen grundlegend Rische, Ausgleichsansprüche zwischen Sozialleistungsträgern, Diss. jur. Freiburg 1978; s. auch Dederer, DRV 1983, 566.

SECHSTER A B S C H N I T T Karl Heinrich Friauf

Baurecht Literatur K. Balz / F. W. Fischer, Preußisches Baupolizeirecht, 6. Aufl. Neudruck 1954. U. Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 1981. B. Bender / R. Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, 1972. W. Bielenberg, Städtebauförderungsgesetz. Kommentar (Losebl.), Stand: 1983 R. Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zw. Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976. H. Brügelmann, Kommentar zum Bundesbaugesetz. Dargestellt von Brügelmann, Förster, Grauvogel u. a. (Losebl.), Stand: 1983. W. Ernst / W. Zinkahn / W. Bielenberg, Bundesbaugesetz. Kommentar (Losebl.), Stand: 1983. W. Ernst / W. Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht, 2. Aufl. 1981. H. C. Fiebert / H. Fieseier, Baunutzungsverordnung, 4. Aufl. 1979. K. Finkelnburg / K. M. Ortloff, Öffentliches Baurecht, 1981. K. Geizer, Bauplanungsrecht. Bundesbaugesetz — Baunutzungsverordnung — Städtebauförderungsgesetz, 4. Aufl. 1984. W. Scheerbarth, Das allgemeine Bauordnungsrecht (unter besonderer Berücksichtigung der Musterbauordnung), 2. Aufl. 1966. O. Schlichter / R. Stich / H. J. Tittel, Bundesbaugesetz. Kommentar, 3. Aufl. 1979. E. Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, 1972. H. Schrödter, Bundesbaugesetz. Kommentar, 4. Aufl. 1980. A. Simon (bisher Mang / Simon), Bayerische Bauordnung. Kommentar (Losebl.), 8. Aufl., Stand: 1983. F. Thiel / H.-G. Rössler / W. Schumacher, Baurecht in NRW. Kommentar (Losebl.), Stand: 1983. F. Weyreuther, Bauen im Außenbereich, 1979. H. J. Wolff/ O. Bachof, Verwaltungsrecht III, 4. Aufl. 1978, § 136. Zeitschriften: Bauamt und Gemeindebau; Bau und Bauindustrie; Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht; Bundesbaublatt; Die Bau Verwaltung; Baurechtssammlung; Baurecht; Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht.

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Gesetze Bund: BundesbauG vom 23. Juni 1960 (BGBl. I S. 341) i. d. F. der Bekanntmachung vom 18. Aug. 1976 (BGBl. I, S. 2257), zuletzt geändert durch G vom 6. Juli 1979 (BGBl. I, S. 949). VO über die bauliche Nutzung der Grundstücke (BaunutzungsVO) vom 26. Juni 1962 (BGBl. I, S. 429) i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. Sept. 1977 (BGBl. I, S. 1763). G über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden (StädtebauförderungsG) vom 27. Juli 1971 (BGBl. I, S. 1125) i. d. F. der Bekanntmachung vom 18. Aug. 1976 (BGBl. I, S. 2318), zuletzt geändert durch G vom 17. Dez. 1982 (BGBl. I, S. 1777). VO über Grundsätze für die Ermittlung des Verkehrswertes von Grundstücken (WertermittlungsVO) i. d. F. vom 15. Aug. 1972 (BGBl. I, S. 1416). Länder: Baden- Württemberg: LandesbauO für Baden-Württemberg vom 4. Juli 1983 (GBl. S. 246), i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. Nov. 1983 (GBl. S. 770). G über das Nachbarrecht vom 14. Dez. 1959 (GBl. S. 171). Bayern: Bayerische BauO vom 1. August 1962 (GVB1. 9), zuletzt. F. der Bekanntmachung vom 2. Juli 1982 (GVB1. S. 419). Berlin: BauO vom 29. Juli 1966 (GVB1. S. 1175) i. d. F. vom 1. Juli 1979 (GVB1. S. 899), zuletzt geändert durch G vom 10. Dez. 1982 (GVB1. S. 2066). Bremen: Bremische LandesbauO i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. März 1983 (GBl. S. 89). Hamburg: Hamburgische Bauordnung vom 10. Dez. 1969 (GVB1. S. 249), zuletzt geändert durch G vom 13. März 1978 (GVB1. S. 81). Hessen: Hessische BauO i. d. F. der Bekanntmachung vom 16. Dez. 1977 (GVB1. 1978, S. 1). Niedersachsen: Niedersächsische BauO vom 23. Juli 1973 (GVB1. S. 259), zuletzt geändert durch G vom 16. Febr. 1983 (GVB1. S. 63). Niedersächsisches NachbarrechtsG vom 31. März 1967 (GVB1. S. 91). Nordrhein- Westfalen: BauO für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 1962 (GVB1. S. 373) i. d. F. der Bekanntmachung vom 27. Jan. 1970 (GVB1. S. 96), zuletzt geändert durch G vom 18. Mai 1982 (GVB1. S. 248). Rheinland-Pfalz: LandesbauO für Rheinland-Pfalz vom 15. Nov. 1961 (GVB1. S. 229) i. d. F. vom 27. Febr. 1974 (GVB1. S. 53), zuletzt geändert durch G vom 20. Juli 1982 (GVB1. S. 264). Saarland: LandesbauO vom ,12. Mai 1965 (ABl. S. 529) i. d. F. vom 27. Dez. 1974 (ABl. 1975 S. 85). Schleswig-Holstein : LandesbauO für das Land Schleswig-Holstein vom 24. Febr. 1983 (GVB1. S. 86).

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Gliederung I.Allgemeines 1. Begriff, Bedeutung und Aufgabe des Baurechts 2. Grundzüge der Entwicklung des Baurechts a) Ursprünge b) Bauplanung c) Bauordnung 3. Gegenstände des geltenden Baurechts a) Bauleitplanung b) Bodenordnung c) Bauordnung d) Das Zusammenwirken von Bauleitplanung und Bauordnung 4. Das Baurecht in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung II. Bauleitplanung und Bodenrecht 1. Planungshoheit der Gemeinden 2. Planungsrecht und Planungspflicht der Gemeinden a) Zulässigkeit und Grenzen der Planung b) Die Grundsätze der Bauleitplanung c) Planerisches Ermessen und Abwägungsgebot d) Rechtsansprüche auf Durchführung von Planungen? 3. Die Bauleitpläne im einzelnen a) Allgemeines b) Der Flächennutzungsplan aa) Inhalt bb) Aufstellung cc) Rechtliche Bedeutung dd) Tatsächliche Wirkungen gegenüber dem Bürger ee) Rechtsbehelfe c) Der Bebauungsplan aa) Inhalt bb) Aufstellung cc) Form- und Verfahrensfehler dd) Außerkrafttreten ee) Rechtliche Wirkung ff) Rechtsbehelfe gegen den Bebauungsplan d) Die förmlichen Festlegungen nach dem StädtebauförderungsG 4. Die bauplanerische Zulässigkeit von Bauvorhaben a) Materiellrechtliche Zulässigkeit aa) Im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans bb) In nichtbeplanten, im Zusammenhang bebauten Ortsteilen cc) Im Außenbereich dd) Zulässigkeit aufgrund Bestandsschutzes ee) Zulässigkeit aufgrund einer „eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition" b) Bauleitplanung und Baugenehmigungsverfahren aa) Allgemeines

444 444 444 445 446 447 448 449 450 450 450 450 451 451 455 455 456 457 460 461 461 462 462 462 462 464 464 464 464 466 467 468 469 472 473 474 475 475 476 478 480 481 482 482

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Karl Heinrich Friauf bb) Rechtsanspruch auf Genehmigung cc) Ausnahmen und Befreiungen 5. Die Sicherung der Bauleitplanung a) Die Rechtslage nach dem BundesbauG aa) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen bb) Genehmigungspflicht für den Bodenverkehr cc) Gemeindliches Vorkaufsrecht b) Die Rechtslage nach dem StädtebauförderungsG 6. Bauleitplanung und privates Grundstückseigentum a) Enteignungsrecht aa) Enteignungstatbestände bb) Enteignungsverfahren cc) Entschädigung dd) Gerichtliches Verfahren b) Entschädigung für Beschränkungen der Eigentümerrechte aa) Grundsätzliche Entschädigungslosigkeit bb) Entschädigungspflicht für Planungsschäden 7. Bodenordnung, Erschließung

III. Bauordnungsrecht 1. Funktionen des Bauordnungsrechts a) Gefahrenabwehr b) Verhütung von Verunstaltungen c) Wohlfahrts-und sozialpflegerische Aufgaben d) Vollzug der Bauleitplanung e) Schutz außer-baurechtlicher Belange 2. Die am Bau Beteiligten 3. Baugenehmigung (Bauerlaubnis) a) Materielle Baufreiheit b) Genehmigungspflicht c) Genehmigungspflichtige, anzeigepflichtige sowie genehmigungs- und anzeigefreie Vorhaben d) Rechtsfolgen des ungenehmigten Bauens aa)Bei nur formeller Baurechtswidrigkeit bb)Bei materieller Baurechtswidrigkeit e) Baugenehmigung und private Rechtsverhältnisse 0 Die zeitliche Begrenzung der Baugenehmigung 4. Ausnahmen und Befreiungen (Dispense) a) Allgemeines b) Ausnahmen c) Befreiungen (Dispense) 5. Bauverfahren und Bauüberwachung a) Bauerlaubnis-Verfahren aa)Bauantrag bb)Voranfrage und Vorbescheid cc) Erteilung des Bauscheins dd)Teilbaugenehmigung ee)Typengenehmigung und Ausführungsgenehmigung ff) Zustimmungsverfahren bei öffentlichen Bauten b) Bauüberwachung

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Baurecht aa)Laufende Überwachung bb)Bauabnahme 6. Bauordnungsbehörden 7. Baurechtliche Verträge 8. Schutz des Nachbarn a) Materiellrechtliche Grundlagen aa)Nachbarschützende Bestimmungen des Bauplanungs- und des Bauordnungsrechts bb)Grundrechte b) Verfahrensrechtliche Fragen

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I. Allgemeines 1. Begriff, Bedeutung und Aufgabe des Baurechts Unter dem Begriff des Baurechts im weiteren Sinne faßt man die Gesamtheit der rechtlichen Regelungen zusammen, die sich auf die Zulässigkeit und die Grenzen, die Ordnung und die Förderung der Errichtung von baulichen Anlagen sowie auf die bestimmungsgemäße Nutzung dieser Anlagen beziehen. In einem engeren Sinne wird der Begriff vielfach auch gleichbedeutend mit dem Bauordnungsrecht (unten Abschn. III) verwendet. Schon an dieser Begriffsbestimmung läßt sich die eminente Bedeutung ablesen, die das Baurecht für die Allgemeinheit wie für den einzelnen Bürger besitzt. Baurechtliche Regelungen bestimmen, wo und in welcher Weise Wohngebäude errichtet werden dürfen; sie beeinflussen damit maßgeblich die Lebensverhältnisse jedes einzelnen. Sie regeln im Zusammenwirken mit weiteren Vorschriften (Gewerberecht 1 , Immissionsschutzrecht 2 usw.) Ort, Art und Umfang der gewerblichen Ansiedlung; damit setzen sie wesentliche Daten für die wirtschaftliche Entwicklung. Sie nehmen Einfluß auf die gesamte Infrastruktur und gestalten den äußeren Rahmen für das Zusammenleben einer wachsenden Bevölkerungszahl auf einem in seinem Umfang nicht vermehrbaren Raum. Die unserem Gemeinwesen durch das Sozialstaatsprinzip auferlegte Verpflichtung, angemessene Lebensverhältnisse und Entwicklungsmöglichkeiten der Gesamtheit und des einzelnen zu gewährleisten, umfaßt als elementare Notwendigkeit den Auftrag, das Bauwesen in einer Weise zu regeln, die den Erfordernissen eines gedeihlichen Zusammenlebens entspricht. Der Staat ist deshalb unmittelbar kraft Verfassungsrechts verpflichtet, Bauordnungen zu schaffen, in denen die Anforderungen an die Sicherheit und menschenwürdige Bewohnbarkeit von Gebäuden normiert sind. Er muß weiterhin dafür Sorge tragen, daß Pläne aufgestellt und eingehalten werden, die die Bebauung der Grundstücke unter den vielfältigen Gesichtspunkten eines geordneten und reibungslosen Zusammenlebens regeln. Und er muß schließlich im Wege der örtlichen und überörtlichen Planung Räume bereitstellen, die zur Befriedigung der neben dem Wohnbedarf bestehenden sozialen Bedürfnisse wie Ausbildung, Land- und Forstwirtschaft, Handel und Gewerbe, Industrie, Erholung, Kultur und Verkehr dienen. Gesichtspunkte des Umweltschutzes erlangen dabei eine stetig wachsende Bedeutung. 2. Grundzüge der Entwicklung des Baurechts Die weitgehende Einflußnahme des Staates auf das private Bauen, wie sie uns heute als mehr oder minder selbstverständlich erscheint, ist historisch 1 2

S. dazu in diesem Band Badura, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Abschn. IV. S. dazu in diesem Band Breuer, Umweltschutzrecht, Abschn. V.

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noch recht jung. Ihre Ursprünge reichen zumeist nicht weiter als bis in das 19. Jahrhundert zurück. a) Ursprünge: Allerdings entstanden bereits im Mittelalter und während der folgenden Jahrhunderte nicht wenige Städte aufgrund von Plänen, die der Landesherr beschlossen hatte. Vor allem im Zeitalter des Absolutismus ordnete der Souverän in verschiedenen Fällen an, wo und wie seine Untertanen zu bauen hatten. Die ebenmäßigen Grundrisse einiger ehemaliger Residenzstädte lassen die ordnende Hand der Fürsten noch heute deutlich erkennen. Ein allgemeines und detailliertes Baurecht im heutigen Sinne gab es indes noch nicht 3 . Während der liberalen Epoche wurde der bis dahin schon recht geringe staatliche Einfluß auf das Bauwesen noch weiter zurückgedrängt. Freiheit und Eigentum, die beiden Säulen des politischen Liberalismus, fanden sich zusammen im Grundsatz der Baufreiheit, wie er in klassischer Form im Preuß. Allgemeinen Landrecht von 1794 niedergelegt worden ist: „In der Regel ist jeder Eigenthümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen, oder seine Gebäude zu verändern wohl befugt" (§ 65 I 8 ALR). Das ALR hielt diesen Grundsatz zwar nicht ohne Einschränkung durch. Es begründete eine Anzeigepflicht für Bauvorhaben (§ 67 I 8 ALR) und ermächtigte die zuständigen Behörden, eine Bebauung zu untersagen, wenn sie die Allgemeinheit schädigen oder gefährden oder wenn sie die Straßen und Plätze grob verunstalten würde (§§ 66, 71 1 8 ALR). Doch wurden diese Einschränkungen der Baufreiheit von der Rechtsprechung sehr eng und im wesentlichen nur im Sinne eines Rechts zur polizeilichen Gefahrenabwehr (§ 10 II 17 ALR) ausgelegt 4 . Charakteristisch dafür erscheint das berühmte „Kreuzberg-Erkenntnis" des preußischen OVG vom 14. Juni 18825. Die Notwendigkeit, das private Bauen in stärkerem Maße staatlich zu reglementieren, ergab sich erst als Folge der wirtschaftlichen Expansion, der Bevölkerungsvermehrung und der raschen Ausdehnung der Großstädte, die in Deutschland nach 1871 einsetzten. Es kam damals zu einem ausgesprochenen Bauboom („Gründerjahre"), der ohne ein Minimum an vom Staate garantierter Ordnung zu chaotischen Verhältnissen hätte führen müssen. Die auf die Gefahrenabwehr beschränkte polizeiliche Generalklausel reichte nicht aus, um die Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken. Unter diesen Umständen war der Gesetzgeber zum Eingreifen gezwungen 6 . 3 4

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Dazu s. im einzelnen Bonczek / Halstenberg, Bau-Boden, 1963, S. 101 ff. Sorge für Leben und Gesundheit der Bewohner sowie Schutz gegen Feuersgefahr. Vgl. Lassar, in: von Brauchitsch, Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. I I / l , 1932, S. 44, Nr. 24 a. PrOVG 9, 353. — Zur grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung s. in diesem Band: Friauf, Polizei- und Ordnungsrecht, Abschnitt I; eingehend dazu auch Weyreuther, Eigentum, öffentliche Ordnung und Baupolizei. Gedanken zum Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, 1972. Vgl. die Darstellungen von Ernst, BBauBl. 1953, 206ff.; Schlez, VerwArch. 65 (1974), S. 360ff.; Groschupf, DVB1. 1975, 873ff.

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b) Bauplanung: In Preußen und in verschiedenen anderen deutschen Staaten wurden nach 1871 Gesetze über die Festsetzung von Fluchtlinien 7 erlassen8. Ihnen folgten gesetzliche Regelungen gegen Verunstaltungen und über Grundstücksumlegungen 9 . Es blieb aber zunächst meist bei punktuellen Maßnahmen. Erst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts erkannte man in vollem Umfang, daß es nicht genügte, die Bebauung einzelner Grundstücke unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr zu regeln, sondern daß die öffentliche Hand darüber hinaus die Verantwortung für eine zweckmäßige und den menschlichen Bedürfnissen angepaßte Erschließung und Nutzung des Baulandes zu übernehmen hätte. Städtebau und Städteplanung wurden zu dringenden Problemen. Überall in Deutschland schufen Gesetzgeber und Verwaltung erste Ansätze für ein umfassendes Städtebaurecht 10 . Bald nach Beendigung des 2. Weltkrieges ergingen in den meisten Ländern sog. Aufbaugesetz^1. Sie waren angesichts der Notlage der Nachkriegszeit vielfach von stark dirigistischen Tendenzen geprägt. Ihr Hauptanliegen bestand darin, die rechtlichen Grundlagen für einen möglichst schnellen Wiederaufbau der zerstörten Städte zu schaffen. Ihre Regelungen erstreckten sich aber meistens darüber hinaus auf das gesamte Bauwesen. Die Aufbaugesetze wurden aufgehoben und abgelöst durch das Bundesbaugesetz vom 23. Juni i960 12 . Es brachte endlich die Rechtseinheit auf den Gebieten des Bauleitplanungsrechts und des Bodenordnungsrechts. Das Bundesbaugesetz wurde ergänzt durch das Städtebauförderungsgesetz vom 27. Juli 197113, das rechtliche Grundlagen (einschließlich Finanzierungsregelungen) für die Sanierung und Entwicklung von innerstädtischen Problemgebieten geschaffen hat. Eine weittragende Novellierung des Bundesbaugeset7 8 9 10

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Z. B. preuß. G betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. 7. 1875 (GS S. 561). Zum folgenden eingehend Schrödter, DVB1. 1975, 846ff. (849 - 857). Z. B. preuß. G gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. 7. 1907 (GS S. 260). Z. B. G über Enteignungsrecht von Gemeinden bei Aufhebung oder Ermäßigung von Rayonbeschränkungen vom 27. 4. 1920 (RGBl. I S. 697); G über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten vom 22. 9. 1933 (RGBl. I S. 659); G über einstweilige Maßnahmen zur Ordnung des deutschen Siedlungswesens vom 3. 7. 1934 (RGBl. I S. 568); BauregelungsVO vom 15. Febr. 1936 (RGBl. I S. 104); G über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4. 10. 1937 (RGBl. I S. 1054); Art. IV § 1 des preuß. WohnungsG vom 29. März 1918 (GS S. 23). Z. B. württ.-bad. G Nr. 329 (AufbauG) vom 18. 8. 1948 (RegBl. S. 127); hamb. G über den Aufbau der Hansestadt Hamburg vom 11. 4. 1949 (GVB1. S. 45); hess. G über den Aufbau der Städte und Dörfer des Landes Hessen vom 25. 10. 1948 (GVB1. S. 139); nordrh.-westf. G über Maßnahmen zum Aufbau in den Gemeinden vom 29.4. 1952 (GS. NW. S. 454); rheinl.-pfälz. G über den Aufbau in den Gemeinden vom 1. 8. 1949 (GVB1. S. 317). BGBl. I S. 341. 13 BGBl. I S. 1125.

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zes, die zum 1. Januar 1977 in Kraft getreten ist14, hat auch für die vom Städtebauförderungsgesetz nicht erfaßten Baugebiete verstärkte Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet 15 . Die Novelle fügt sich ein in die moderne Tendenz, die klassische bloße Auffangplanung allmählich durch eine (aktiv gestaltende) Stadtentwicklungsplanung zu überlagern 16 . c) Bauordnung: Die ursprüngliche alleinige Aufgabe des Bauordnungsrechts, die von der Errichtung und Benutzung der Bauwerke ausgehenden Gefahren abzuwehren 17 , bildete einen Teil der allgemeinen polizeilichen Funktion. Deshalb konnten die notwendigen materiellen Regelungen, die sog. Bauordnungenl8, als Polizeiverordnungen auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel (in Preußen: § 10 II 17 ALR, später § 14 PVG) ergehen19. Soweit das Baurecht jedoch später in den Dienst von Zwecken gestellt werden sollte, die über die bloße Gefahrenabwehr hinausgingen, waren besondere gesetzliche Ermächtigungen erforderlich. Sie wurden, da es kein einheitliches Baugesetz gab, erst spät und vereinzelt geschaffen 20 . Während in den süddeutschen Ländern landeseinheitliche Bauordnungen galten 21 , waren in Preußen und einigen anderen Ländern die Regierungspräsidenten, z. T. sogar größere Städte, für den Erlaß der einschlägigen Vorschriften zuständig. Infolgedessen bestand hier eine weitgehende Rechtszersplitterung22. Zwei sog. Einheitsbauordnungen (von 1919 und 1931)23 besaßen keine normative Kraft, sondern dienten lediglich als unverbindliche Muster für den Erlaß der lokalen Bauordnungen. Da das Sachgebiet der Bauordnung nach dem GG in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt24, drohte auch in der Bundesrepublik eine be14 15 16 18

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BBauG i. d. F. der Bekanntmachung vom 18. Aug. 1976 (BGBl. I S. 2257). Überblick bei Battis / Schrödter, DVB1. 1977, 160ff.; Bielenberg, B1GBW 1977, 1 ff.; Schmidt-Aßmann, NJW 1976, 1913ff.; Seewald, JZ 1977, 6ff. Dazu Brohm, Verwaltung 9 (1976), S.409ff.; Schmidt-Aßmann, BauR 1978, 99ff. (99 - 100). 17 S. oben bei Fußnote 2. Die Bauordnungen regelten die Errichtung von Bauwerken. Daneben gab es sog. Wohnungsordnungen über die Benutzung bereits vorhandener Bauwerke; dazu Hatschek / Kurtzig, Lb. des dt. u. preuß. Verwaltungsrechts, 7. Auflage, 1931, S. 271. Z. B. Berliner BauO vom 1. Juli 1853 und Breslauer BauO vom 1. Juli 1857; vgl. im einzelnen Jäschke, Die Preußischen Bau-Polizei-Gesetze und Verordnungen, 3. Aufl. 1864. Ferner BaupolizeiVO für den Stadtkreis Berlin vom 15. Januar 1887. Vgl. etwa in Preußen: Art. IV §§ 1 - 4 WohnG vom 28. 3. 1918 (GS S. 23) und § 1 des G vom 15. 7. 1907 (GS S. 260). Z. B. bayer. BauO von 1901; sächsisches Allgemeines BauG von 1900; dazu Groschupf, DVB1. 1975, 873 ff. So galten z. B. in den ehemals preußischen Gebieten des Landes Nordrh.-Westf. bis zum Inkrafttreten der nordrh.-westf. BauO vom 25. 6. 1962 (GV. NW. S. 373) etwa zwanzig verschiedene lokale Bauordnungen. Abgedruckt und kommentiert bei Baltz / Fischer, a.a.O., S. 273 ff. S. das Gutachten des BVerfG über die Zuständigkeit des Bundes zum Erlaß eines Baugesetzes, BVerfGE 3, 407 (430ff., insb. 433f.). Dazu unten Abschnitt I. 4.

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denkliche Aufsplitterung und eine unterschiedliche Entwicklung in diesem für einen modernen Staat so wichtigen Bereich. Um dieser Gefahr zu begegnen, wurde 1955 eine gemeinschaftliche Baurechtskommission aus Vertretern des Bundes und der Länder eingesetzt, die eine sog. Musterbauordnung (MBauO) erarbeitete25. Die seitdem erlassenen Landesbauordnungen26 — die im Gegensatz zu den früheren Bauordnungen nicht als Polizeiverordnungen, sondern als förmliche Gesetze ergangen sind — haben sich in ihren Regelungen weitgehend, zum großen Teil sogar fast wörtlich an die MBauO gehalten. Die MBauO hat zwar selbst keine Gesetzeskraft. Sie gibt aber weithin den Rechtszustand wieder, der in den meisten27 Bundesländern übereinstimmend gilt, und läßt sich insofern als Ausdruck eines gemeinen deutschen Bauordnungsrechts bezeichnen. Bei der Darstellung des geltenden Bauordnungsrechts kann deshalb grundsätzlich von ihr ausgegangen werden 28 . Der Erlaß der Landesbauordnungen verfolgte neben der Vereinheitlichung des Baurechts eine Reihe weiterer Ziele. Insbesondere ging es darum, der vom GG vorgesehenen Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern Rechnung zu tragen, die quer durch den Bereich des Baurechts verläuft und einzelne Teile den Ländern (Bauordnung), andere dem Bund zuweist. Die älteren Regelungen stimmten naturgemäß mit dieser Abgrenzung nicht immer überein. Weiter war es notwendig geworden, die Entwicklung von neuen Bautechniken, Bauarten und Baustoffen und die dadurch aufgeworfenen Probleme der Bausicherheit und der Bauüberwachung in den Griff zu bekommen. Schließlich mußte man im Hinblick auf Art. 14 GG die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die jede baurechtliche Regelung zwangsläufig enthält, in verfassungskonformer Weise vornehmen. 3. Gegenstände des geltenden Baurechts Das Gesamtgebiet des Baurechts umfaßt eine erhebliche Zahl von Regelungskomplexen. Man faßt sie herkömmlicherweise in drei Gruppen zusam25 26

27 28

MBauO vom 30. 10. 1959, Bd. 16 der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Wohnungsbau, 1960. Bad.-Württ. BauO vom 6. 4. 1964 (GBl. S. 151); bayer. BauO vom 1. 8. 1962 (GVB1. S. 179); berl. BauO vom 29. 7. 1966 (GVB1. S. 1175); hamb. BauO vom 10. 12. 1969 (GVB1. S. 249); hess. BauO vom 31. 8. 1976 (GVB1. I S. 339); nieders. BauO vom 23. 8. 1973 (GVB1. S. 259); nordrh.-westf. BauO vom 25. 6. 1962 (GV. NW. S. 373); rheinl.-pfälz. LBauO vom 15. 11. 1961 (GVB1. S. 229); saarl. LBauO vom 12. 5. 1965 (ABl. S. 529); schlesw.-holst. LBauO vom 9. 2. 1967 (GVB1. S. 51). - Zu den gegenwärtig geltenden Fassungen vgl. das vorangestellte Gesetzesregister. S. nachfolgende Anm. Zwar haben die zuständigen Landesminister am 11. Dez. 1981 eine neue, durch Zusammenfassung gleichartiger Vorschriften wesentlich gestraffte und inhaltlich teilweise modifizierte MBauO beschlossen (s. Ley, NVwZ 1983, 599ff.). Bislang ist diese aber erst in vier Ländern in die Landesbauordnungen umgesetzt worden, so daß hier vorerst noch nach der früheren MBauO zitiert wird.

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men, nämlich die örtliche Planung (Bauleitplanung oder städtebauliche Planung), die Bodenordnung und die Bauordnung 29 . Diese Gruppen bezeichnen die drei Hauptthemen des Baurechts. Sie stehen allerdings nicht völlig isoliert nebeneinander. In manchen Fällen finden sich fließende Übergänge zwischen ihnen. Namentlich gibt es eine Reihe von, keineswegs konfliktfreien, Überschneidungen zwischen den bauplanungsrechtlichen Regelungen über die (offene oder geschlossene) Bauweise und über die überbaubaren Grundstücksflächen einerseits und den bauordnungsrechtlichen Bestimmungen über den einzuhaltenden Grenzabstand (Bauwich) andererseits 30 . Obgleich eine selbständige Rechtsmaterie bildend, ließe sich zum Baurecht (i. w. S.) auch noch die überörtliche Planung, d. h. die Raumordnung und Landesplanung, zählen. Sie soll hier aber nicht im einzelnen behandelt werden31. a) Bauleitplanung: Zum Recht der Bauleitplanung gehören die Vorschriften, die bestimmte Planungsträger zur Aufstellung von Bauleitplänen ermächtigen, ihren Inhalt und die bei ihrer Aufstellung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte bestimmen und das zu beachtende Verfahren regeln. Weiterhin umfaßt es Bestimmungen über die Ermöglichung und Sicherung konkreter Planungsmaßnahmen, insbesondere durch die Verhängung von Veränderungssperren. Schließlich regelt es die rechtlichen Wirkungen der aufgestellten Pläne gegenüber dem Bürger, vor allem ihre Verbindlichkeit für einzelne Bauvorhaben, und im Zusammenhang damit generell die Art und das Ausmaß der baulichen Nutzung von Grundstücken. Das Recht der Bauleitplanung bildet auf diese Weise das Bindeglied zwischen dem Rechtsgebiet der überörtlichen Raumordnung und Landesplanung — an deren Zielen es sich nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 1 IV BBauG zu orientieren hat - auf der einen und dem Bauordnungsrecht auf der anderen Seite. Die auf seiner Grundlage erstellten einzelnen Bauleitpläne bestimmen nach örtlichen und überörtlichen Gesichtspunkten die städtebaulichen Planungsziele und prägen sie zu rechtsverbindlichen Anordnungen für das private Bauen und für sonstige Grundstücksnutzungen aus. Eine eigentümliche Zwitterstellung nimmt insoweit das Städtebauförderungsgesetz ein, das hinsichtlich der städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen zum Bauplanungsrecht zu zählen ist, hinsichtlich der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen dagegen einen starken Bezug zum Raumordnungs- und Landesplanungsrecht aufweist 32 . Auch hier wird in § 1 III StBFG für die Entwicklungsmaßnahmen ausdrücklich das Gebot der Anpassung an die Ziele der Raumordnung und Landesplanung statuiert; für die Sanierungsmaßnahmen ergibt sich das gleiche aufgrund der subsidiären Geltung von § 1 IV BBauG gemäß § 86 I StBFG. 29 30 31 32

S. Wolff/Bachof, VwR III, § 136 Rdnr. 3ff. Vgl. dazu z. B. BVerwG DVB1. 1970, 830; Weyreuther, BauR 1972, 1 ff. Es sei deshalb auf Erbguth, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 1983, und Battis, Öff. Baurecht, a.a.O., S. 613 — 631, verwiesen. Vgl. dazu Bielenberg, StBFG, § 1 Rdnr. 7 9 - 8 1 .

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b) Bodenordnung: Dem Recht der Bodenordnung kommt im Rahmen des gesamten Baurechts in erster Linie eine Hilfsfunktion zu. Es zielt darauf ab, die tatsächliche Verwirklichung der in den Bauleitplänen normativ aufgestellten städtebaulichen Ziele zu ermöglichen. Zu diesem Zweck regelt es Genehmigungspflichten für den Bodenverkehr, Umlegungs- und Grenzregelungsverfahren, die Enteignung und die Erschließung von Grundstücken sowie die Ermittlung von Grundstückswerten. Wegen seiner bloßen Hilfsfunktion wird es in der vorliegenden Darstellung nicht selbständig, sondern im Zusammenhang mit der Bauleitplanung behandelt (unten Abschn. II). c) Bauordnung: Das Recht der Bauordnung geht auf das alte Baupolizeirecht zurück, dessen Aufgabe darin bestand, für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf dem Gebiet des Bauwesens zu sorgen33. Heute erschöpft es sich jedoch nicht mehr in dieser polizeirechtlichen Funktion. Das moderne Bauordnungsrecht dient zwar nach wie vor der Gefahrenabwehr. Es ist aber zugleich auch bestimmt durch Grundsätze der Ästhetik und durch sozialstaatliche Erfordernisse eines gesunden und menschenwürdigen Wohnens 34 . d) Das Zusammenwirken von Bauleitplanung und Bauordnung: Bauliche Maßnahmen sind grundsätzlich sowohl den Anforderungen des Bauplanungsrechts wie denen des Bauordnungsrechts unterworfen. Ein konkretes Bauvorhaben muß deshalb in aller Regel35 gleichzeitig den Vorschriften beider Rechtskreise genügen. Um die Zulässigkeit des Vorhabens zu bestimmen, ist demnach stets eine doppelte Prüfung erforderlich. Zunächst ist festzustellen, ob es in Einklang mit den Anforderungen der Bauleitplanung steht, ob also das in Aussicht genommene Grundstück überhaupt bebaubar ist und ob sich gegebenenfalls das Vorhaben im Rahmen der planerischen Ausweisungen hält. Erst danach 36 kann geprüft werden, ob es auch den Anforderungen des Bauordnungsrechts entspricht. Bei der ersten Prüfung wird das Vorhaben im Zusammenhang mit seiner räumlichen Umgebung betrachtet, bei der zweiten dagegen kommt es im wesentlichen auf seine individuelle Gestaltung an. 4. Das Baurecht in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung Das GG hat die Gesetzgebungskompetenzen für das Gesamtgebiet des Baurechts nicht in einer Hand vereinigt, sondern hat sie auf Bund und Länder verteilt. 33 35

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S. dazu oben Abschnitt I. 2a und c. 34 Vgl. BVerfGE 3, 407ff. (432). Gewisse Abweichungen, die praktisch nur selten relevant werden, ergeben sich daraus, daß der bundesrechtliche Begriff der „baulichen Anlage" i. S. des § 29 BBauG nicht vollständig mit dem entsprechenden Begriff in den Landesbauordnungen übereinstimmt. Vgl. BVerwGE 39, 154; BVerwG BRS 27, 201 u. DVB1. 1975, 497f. Zur Priorität der bauplanungsrechtlichen vor der bauordnungsrechtlichen Beurteilung eines Vorhabens vgl. etwa OVG Hamburg BRS 27, 189ff. (190).

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Die genaue Grenzziehung war ursprünglich zweifelhaft. Da die bestehenden Zweifel eine sachgerechte Regelung behinderten, ersuchten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gemeinschaftlich das BVerfG um Erstattung eines Rechtsgutachtens. Das Gutachten des BVerfG vom 16. Juni 195437 stellte zunächst fest, daß sich aus den Einzelkompetenzen, die das GG dem Bund im Bereich des Bauwesens zugewiesen hat — insb. in Art. 74 Nr. 18 und Art. 75 Nr. 4 — keine umfassende Bundeszuständigkeit für das gesamte Baurecht entnehmen lasse. Im Anschluß daran lotete es den Umfang des "Bodenrechts" und des „Siedlungswesens" aus, für die der Bund nach Art. 74 Nr. 18 GG die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit besitzt. Zum Bodenrecht gehören nach Auffassung des BVerfG insbesondere die Bereiche der Bauleitplanung, der Baulandumlegung, der Zusammenlegung von Grundstücken, des Erschließungsrechts und der Bodenbewertung. Das Recht des Bodenverkehrs unter Einschluß der Enteignung wird von dem Begriff des Grundstücksverkehrs in Art. 74 Nr. 18 GG erfaßt und gehört damit ebenfalls zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Dagegen besitzt der Bund keine Zuständigkeit für das Bauordnungsrecht. Dieses fallt nach Art. 30, 70 GG in die alleinige Gesetzgebungskompetenz der Länder. Von den oben dargestellten drei Komplexen, in die das Baurecht zerfällt: Bauleitplanung, Bodenordnung und Bauordnung, unterstehen demnach die beiden ersten im wesentlichen der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes, der letztere dagegen der Gesetzgebung der einzelnen Länder. Der Bund hat sein Gesetzgebungsrecht durch den Erlaß des Bundesbaugesetzes (BBauG) vom 23. Juni i96038, des Städtebauförderungsgesetzes (StBFG) vom 27. Juni 197139 und einiger Nebengesetze weitgehend ausgeschöpft. Die Länder haben die alten baupolizeilichen Bestimmungen durch die bereits erwähnten Landesbauordnungen ersetzt. Die Verwaltungskompetenzen auf dem Gebiet des Bauwesens liegen — von einigen hier nicht interessierenden Sonderfällen abgesehen — bei den Ländern. Die bundesrechtlichen Bestimmungen über Bauleitplanung und Bodenordnung werden von Landesbehörden als eigene Angelegenheit ausgeführt 40 . II. Bauleitplanung und Bodenrecht 1. Planungshoheit der Gemeinden Die im 19. Jahrhundert erlassenen Fluchtlinienpläne, die Vorläufer der modernen Bauleitplanung, wurden auf die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr zurückgeführt. Sie trugen dementsprechend den Charakter von Polizeiverordnungen 41 . Für ihren Erlaß waren regelmäßig nicht die Gemein37 38 41

BVerfGE 3, 407 ff. BGBl. I, S. 341. 39 BGBl. I, S. 1125. 4 0 Art. 83 GG. Näheres in der Begründung der Regierungsvorlage zum BBauG, BT-Drucks. III/ 336, S. 58 ff.

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den, sondern staatliche Behörden zuständig. Eine gewisse Wandlung brachte hier erst das preußische FluchtlinienG von 187542, das erstmalig einige städtebauliche Teilmaterien — darunter vor allem das Fluchtlinienrecht — in die gemeindliche Zuständigkeit überführte. Das BBauG und später das StBFG haben an diese Entwicklung angeknüpft. Sie sehen grundsätzlich die Gemeinden als Träger der Planungshoheit an 43 . Gegenstand der Planungshoheit sind die Fragen der städtebaulichen Planung, nicht aber die Einzelheiten der Baugestaltung nach Maßgabe des Bauordnungsrechts 44 . Die Gemeinden können deshalb Maßnahmen der Bauaufsichtsbehörden, namentlich erteilte Baugenehmigungen, zwar wegen Beeinträchtigung ihres Planungsrechts anfechten 45 , grundsätzlich aber nicht wegen Verstoßes gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften 46 . Ein Klagerecht steht den Gemeinden im übrigen auch insoweit zu, als ihre Planungshoheit durch grenznahe Planungsmaßnahmen der Nachbargemeinden 47 und durch Planfeststellungen oder sonstige raumrelevante Maßnahmen der zuständigen Fachbehörden, die das Gemeindegebiet berühren 48 , beeinträchtigt wird. Die Aufstellung der Bauleitpläne nach dem BBauG und die förmliche Festlegung der Sanierungsgebiete nach dem StBFG obliegt den Gemeinden in eigener Verantwortung ( § 2 1 BBauG, §§ 3 I, 5 I StBFG). Eine abweichende Regelung besteht dagegen für die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs nach §§ 53 ff. StBFG. Sie wird wegen ihres übergreifenden Charakters von der Landesregierung durch Rechtsverordnung vorgenommen (§ 53 I StBFG). Den Gemeinden obliegt lediglich die Vorbereitung und die Durchführung (§ 54 I StBFG). Da die Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden vielfach nicht ausreichen wird, um die Planungsaufgaben sachgemäß zu erfüllen, läßt das Gesetz verschiedene Ausnahmen von diesem Grundsatz zu. Nach § 147 I BBauG 49 kann die Oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde die Planungszuständigkeit auf eine andere Gebietskörperschaft (z. B. den Landkreis) oder auf einen Verband übertragen. § 4 I BBauG gestattet den Gemeinden, 42 41 44 45 46 47

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GS S. 561. Dazu Stich, B1GBW 1966, 121 ff.; Schrödter, DVB1. 1973, 763ff. Vgl. OVG Lüneburg BRS 28, 233ff. (235) und BRS 27, 279ff. (281). Vgl. BVerwGE 22, 342 = DVB1. 1966, 181 mit Anm. Schrödter; BVerwG NVwZ 1982, 310f. (311); OVG Koblenz AS 9, 289 und AS 10, 136. S. aber auch OVG Koblenz BRS 28, 201 ff. (202), wo ausnahmsweise einer Bestimmung des Bauordnungsrechts „gemeindeschützender" Charakter zuerkannt wird. Grundlegend BVerwGE 40, 323; vgl. Hoppe, in: Fs. f. H. J. Wolff, 1973, S. 307ff.; Pappermann, JuS 1973, 689ff.; Fingerhut, Die planungsrechtliche Gemeindenachbarklage, 1976; Kriener, BayVBl. 1984, 97 ff. Vgl. BVerwGE 31, 263 (266), betr. Planfeststellung nach dem BBahnG; BVerwG DÖV 1970, 387f., betr. Planfeststellung nach dem BFernStrG; BVerwG DVB1. 1969, 362f., betr. Genehmigung eines Flugplatzes; OVG Lüneburg BRS 27, 310ff., betr. Planfeststellung nach dem Abfallbeseitigungsgesetz u. a. Beachte in diesem Zusammenhang Blümel, DVB1. 1975, 695 ff. (707 - 709) mit Nachweisen. Für Maßnahmen nach dem StBFG entspr. anwendbar gem. § 86 I 2 StBFG.

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sich zur Erfüllung ihrer Planungsaufgaben untereinander und mit anderen Planungsträgern zu Planungsverbänden zusammenzuschließen. Diese können nach § 7 StBFG auch mit der Festlegung der Sanierungsgebiete betraut werden. Die Zusammenschlüsse beruhen auf freiwilliger Grundlage. Die Landesregierungen werden aber zugleich ermächtigt, einen zwangsweisen Zusammenschluß zu einem Planungsverband anzuordnen, „wenn dies zum Wohle der Allgemeinheit, insbesondere aus Gründen der Raumordnung, dringend geboten ist" (§ 4 II BBauG; §§ 7 II, 54 IV StBFG)50. Die alleinige Planungszuständigkeit der Gemeinde kann in diesem Fall also auch gegen ihren Willen ausgeschaltet werden. Damit wird die grundsätzlich bedeutsame Frage berührt, inwieweit die gemeindliche Planungshoheit unter dem Schutz der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG steht51. Es wird heute nicht bezweifelt, daß die städtebauliche Planung zu den ureigensten Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört und kraft Verfassungsrechts eine Selbstverwaltungsaufgabe bildet. Deshalb wäre eine Regelung, die den Gemeinden im Bereich der Bauleitplanung jeden Einfluß vorenthalten oder ihre Planung in vollem Umfang den Planungen anderer Planungsträger unterordnen würde, verfassungsrechtlich nicht zulässig. Andererseits beeinträchtigt aber nicht schon jede staatliche Einwirkung auf den Prozeß der Planung die Selbstverwaltungsgarantie. So begegnet es keinen Bedenken, wenn sich der Staat im Rahmen seiner Rechtsaufsicht die Genehmigung der örtlichen Bauleitpläne 52 und der Festlegung des Sanierungsgebiets53 vorbehält. Besondere Probleme wirft jedoch das Verhältnis der gemeindlichen Planungshoheit zu der überörtlichen Raumordnung und Landesplanung auf. § 1 IV BBauG und § 1 III 1 StBFG schreiben vor, daß die Bauleitpläne und die Maßnahmen nach dem StBFG den Zielen der Raumordnung und Landesplanung 54 anzupassen sind55. Um die Erfüllung dieser Anpassungspflicht 56 ver50

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Beispiel für eine Zwangsverbandsbildung nach § 4 BBauG: OVG Lüneburg BRS 28, 74f. (betr. die Gemeinden der Insel Sylt). Dazu s. BVerfGE 56, 298 (312ff., 319ff.); hierzu Blümel, VerwArch. 73 (1982), 329ff. (337ff.); BVerwGE 31, 263 (264ff.); Badura, in: Fs. f. W. Weber, 1974, S. 911 ff.; Reissig, Gemeindliche Bauleitplanung. Möglichkeiten und Beschränkungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, 1976, S. 27ff., 87ff; Hoppe, in: Fg. f. v. Unruh, 1983, S. 555 ff. §§6, 11 BBauG. Nach § 6 II darf die Genehmigung nur wegen rechtlicher Verstöße, nicht aber aus Zweckmäßigkeitsgründen versagt werden. Es handelt sich also um eine bloße Rechtsaufsicht. — Erteilung und Versagung der Genehmigung sind Verwaltungsakte; BVerwGE 34, 301. § 5 II StBFG, der auf § 6 II — IV BBauG verweist. Zu den Versagungsgründen vgl. Müller, WiR 1974, 449ff. (457 - 458). S. dazu §§ 2, 5 II RaumordnungsG. Dazu Bielenberg, DÖV 1969, 376ff.; Brosche, DVB1. 1980, 213ff.; Brohm, DVB1. 1980, 653ff.; Schmidt-Aßmann, VerwArch. 71 (1980), 117ff. (insb. 131 ff.). Zur Permanenz der Anpassungspflicht s. OVG Lüneburg DVB1. 1977, 212ff.

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fahrensmäßig zu sichern, wird in § 2 V BBauG und in § 4 IV StBFG Behörden und Stellen, die „Träger öffentlicher Belange" sind, ein Beteiligungsrecht eingeräumt 57 . Darüber hinaus hat Nordrhein-Westfalen ein positives Planungsgebot an die Gemeinden zur Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung eingeführt 58 . Das BVerwG hält diese Beschränkung der Planungshoheit zugunsten überörtlicher Belange für zulässig 59 , und zwar mit der Erwägung, daß nach Art. 28 II GG die Selbstverwaltung durch Gesetz eingeschränkt werden könne, soweit ihr Wesensgehalt dadurch nicht ausgehöhlt werde 60 . Diese äußerste Grenze sei im BBauG nicht überschritten. Der Ansicht des BVerwG ist im Ergebnis zuzustimmen. Der tragende Grund für die Zulässigkeit der fraglichen Vorschriften des BBauG liegt allerdings nicht in dem formalen Hinweis auf die gesetzliche Beschränkbarkeit der Selbstverwaltung. Er ergibt sich vielmehr aus dem generellen Verhältnis der örtlichen Planung zur Raumordnung: Das BVerfG charakterisiert in seiner grundlegenden Definition 61 die Raumordnung als „zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes. Sie ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und weil sie vielfältige Fachplanungen zusammenfaßt und aufeinander abstimmt". Die städtebauliche Planung beschränkt sich demgegenüber auf den örtlichen Bereich. Hier tritt sie in Konkurrenz zu den überörtlichen Planungen, die naturgemäß nur dadurch realisierbar sind, daß man sie in den einzelnen zum Planungsgebiet gehörenden Gemeinden befolgt. Wegen dieser zwangsläufigen Auswirkung auf die einzelnen Gemeindegebiete wird die Raumordnung aber noch nicht zu einer „Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft" im Sinne der Selbstverwaltungsgarantie. Denn diese umfaßt nur die Gegenstände, die ausschließlich die jeweilige örtliche Gemeinschaft betreffen. Das aber ist bei den Maßnahmen der Raumordnung und der Landesplanung gerade nicht der Fall. Die Vorschriften des BBauG über die Verbindlichkeit von Zielen der Raumordnung und Landesplanung greifen demnach nicht in das Selbstverwaltungsrecht ein. Sie zeigen vielmehr nur seinen Umfang auf, indem sie für diejenigen Bereiche der städtebaulichen Planung, die nicht ausschließlich zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu rechnen sind 62 , den Anteil der staatlichen Einflußnahme festlegen 63 . Als Ergebnis ist festzuhalten, daß zwar Regelungen, die staatlichen Behörden einen Einfluß auf Einzelheiten der gemeindlichen Planung in Angelegen57 58

59 60 62 63

Vgl. auch §§ 5 V, 9 VI sowie 37 und 38 BBauG. § 19 II nordrh.-westf. LP1G. Dazu Stern / Burmeister, Die Verfassungsmäßigkeit eines landesrechtlichen Planungsgebots für Gemeinden, 1975; ferner Blümel, W D S t R L 36 (1978), S. 171 ff. (259 - 260, Fn. 452, 453), mit Nachweisen. BVerwGE 6, 342 (344 - 345); BVerwG DÖV 1969, 428ff. (428 - 429). Vgl. dazu BVerfGE 1, 167 (175); BVerwGE 6, 19. 61 BVerfGE 3, 407 (425). Vgl. die Amtl. Begründung zum BBauG, BT-Drucks. III/336, S. 61. Dazu s. eingehender Nouvortne, in: Verfassungs- und Verwaltungsprobleme der Raumordnung und Landesplanung, S. 39 ff., insbes. S. 42 und 47 f.

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heiten von rein örtlicher Bedeutung einräumen würden, mit der verfassungsmäßigen Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht vereinbar wären 64 . Dagegen unterliegt die Bindung der Bauleitplanung an die Ziele der Raumordnung und Landesplanung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Voraussetzung ist allerdings, daß diese Ziele jeweils im Einzelfall in einem förmlichen Planungsverfahren aufgestellt und hinreichend konkretisiert worden sind 65 . Da der Bereich der Raumordnung und Landesplanung jedoch von vornherein nicht zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gehört, sondern lediglich gewisse Daten setzt, die der Ausübung der gemeindlichen Planungshoheit vorgegeben sind, hängt die Verbindlichkeit der Ziele für die Bauleitplanung — entgegen einer im Schrifttum weit verbreiteten Ansicht 66 — nicht davon ab, daß sie in der in Art. 28 II G G vorgesehenen Gesetzesform beschlossen worden sind 67 . Allerdings verpflichtet die institutionelle Garantie der Selbstverwaltung die staatlichen Planungsinstanzen, bei der Ausgestaltung der Ziele im einzelnen hinreichend Rücksicht auf die gemeindlichen Belange zu nehmen 68 . 2. Planungsrecht und Planungspflicht der Gemeinden Nach § 1 III BBauG sind die Bauleitpläne von den Gemeinden in eigener Verantwortung aufzustellen, „sobald und soweit es erforderlich ist". Das Gesetz bestätigt hier nicht nur deklaratorisch die Planungshoheit der Gemeinden 69 , sondern es erlegt ihnen zugleich konstitutiv eine Planungspflicht auf 70 . Keine Pflicht besteht dagegen zur Einleitung von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen nach dem StBFG. Diese Maßnahmen liegen vielmehr, wie die Kann-Formulierung in § 3 I 1 StBFG zeigt, im Ermessen der Gemeinden 71 . Insoweit aktualisiert sich die allgemeine gemeindliche Bauplanungspflicht erst mit der förmlichen Festlegung eines Sanierungsgebiets, so daß § 10 I StBFG folgerichtig die Pflicht der Gemeinde zur Aufstellung von Bebauungsplänen nach Festlegung des Sanierungsgebiets noch einmal wiederholt. a) Zulässigkeit und Grenzen der Planung: § 1 III BBauG regelt das „Ob" und das „Wann" der Bauleitplanung. Er wird ergänzt durch eine Reihe von 64 65 66 67 68

69 70

71

S. BVerwGE 6, 342 (347). Vgl. Ernst / Zinkahn / Bielenberg, BBauG, § 1 Rdnr. 21 f. Brügelmann / Grauvogel, a. a. O., § 1 Anm. IV 3 b mit weit. Nachw. Wie hier Ernst / Zinkahn / Bielenberg, a. a. O., § 1 Rdnr. 21 f., m. w. N. Näher dazu Siedentopf, Gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie im Verhältnis Raumordnung und Landesplanung, 1977; zum Rechtsschutz der Gemeinden genüber höherstufigen Planungsentscheidungen s. Steinberg, DVB1. 1982, 13 ff. So Emst / Zinkahn / Bielenberg, a. a. O., § 1 Rdnr. 20. Das Kriterium der „Erforderlichkeit" der Planaufstellung ist allerdings nach Rechtsprechung nur beschränkt justiziabel; vgl. BVerwGE 34, 301. Ebenso Bielenberg, StBFG, § 3 Rdnr. 7 - 8 ; Gaentzsch, StBFG, § 3 Anm. 1 a. abweichend Gehrmann, StBFG, § 3 Anm. zu Abs. 1.

zur geder E.;

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Bestimmungen über Zweck, Umfang und Inhalt (insb. § 1 I, IV — VII, §§ 5, 8, 9 BBauG), also das „Wie" der Planung 72 . Dabei geht das Gesetz davon aus, daß nur eine positive Planung in Betracht kommt. Die bewußte Herbeiführung eines planungslosen Zustandes — um die Entwicklung des betroffenen Gebiets „sich selbst" zu überlassen — ist dagegen unzulässig73. Die Frage der Zulässigkeit („Ob" und „Wann") einer bestimmten Planung läßt sich allerdings nicht stets völlig von derjenigen nach ihren inhaltlichen Grenzen („Wie") trennen. Insbesondere betrifft der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in seiner spezifischen planungsrechtlichen Ausprägung eine „gerechte" Abwägung zwischen „öffentlichen und privaten Belangen" fordert 74 , nicht nur den Inhalt, sondern bereits die Zulässigkeit einer bestimmten Planung. Es muß deshalb schon vor Einleitung eines Planungsverfahrens geprüft werden, ob die öffentlichen Interessen in einem angemessenen Verhältnis zu dem beabsichtigten planerischen Eingriff in private Rechte stehen75. Das Entsprechende gilt bei einer späteren Planänderung. Nicht nur ihr Inhalt, sondern ihre Zulässigkeit selbst hängt von einer gerechten Interessenabwägung ab. Dabei müssen zugunsten der betroffenen Grundstückseigentümer insbesondere die Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit berücksichtigt werden76. b) Die Grundsätze der Bauleitplanung77: Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke vorzubereiten und zu leiten. Die Bauleitpläne sollen eine geordnete städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten und dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern (§ 1 I, VI 1 BBauG). Die Regelung verbindet das traditionelle planungsrechtliche Ordnungsprinzip mit dem immer stärker vorrückenden Entwicklungsprinzip. Der Planung kommt danach eine Leitfunktion im Sinne von Zielbestimmung, Anregung und Steuerung zu78. Angesichts der Kritik, die die unsystematische Anhäufung von Planungsleitsätzen in § 1 BBauG a. F. gefunden hatte79, hat der Gesetzgeber in § 1 VI BBauG n. F. eine Neuregelung getroffen, die erheblich präziser erscheint, ohne freilich alle Zweifel auszuräumen. Die beiden programmatischen Hauptleitsätze des § 1 VI 1 BBauG: „sozialgerechte Bodenordnung" und „menschenwürdige Umwelt" werden durch § 1 VI 2 BBauG in einen — nicht ' 2 Quellenmaterial zum folgenden bei Hoppe, Die kommunale Bauleitplanung, 1973. VGH Mannheim BRS 28, 1 ff. (2). 74 § 1 VII BBauG; § 1 VII StBFG. 75 VGH Stuttgart DÖV 1953, 641. 76 VGH Mannheim ESVGH 17, 97; vgl. auch BaWüVBl. 1969, 166 f. - Entschädigungsregelung für Planänderungen in § 44 BBauG. 77 Dazu s. namentlich Schmidt-Aßmann, BauR 1978, 99ff. und Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 23 - 34. 78 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, NJW 1976, 1913. 79 S. insbes. BVerwGE 34, 301 ( 3 0 6 - 3 0 8 ) , mit Nachw.; Hoppe, BauR 1970, 15ff.; vgl. auch die 4. Aufl. dieser Darstellung, S. 451 — 452. 73

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abschließend gemeinten — Katalog von zu berücksichtigenden Leitsätzen aufgefächert 80 : u. a. Wohnbedürfnisse, gesunde und sichere Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Belange der Wirtschaft, der Energieversorgung und des Verkehrs, Belange des Bildungswesens, Naturschutz und Landschaftspflege, Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese Kriterien haben den Planungsprozeß zu leiten (administrative Funktion); sie sind zugleich Maßstab der justitiellen Plankontrolle (Kontrollfunktion). Die Rechtsprechung behandelt die Leitsätze der Planung als sog. unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung der uneingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliege81. Man wird jedoch, ganz unabhängig von der grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Rechtsfigur der unbestimmten Rechtsbegriffe, einräumen müssen, daß die Justiziabilität der Leitsätze an der großen Spannweite der in § 1 BBauG verwendeten Begriffe ihre zwangsläufigen Grenzen findet, wenn nicht die Verwaltungsgerichte über die ihnen obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus die originären Entscheidungen der Planungsinstanzen ersetzen sollen. c) Planerisches Ermessen und Abwägungsgebot: Die Planungshoheit ist in eine Gemengelage aus gestalterischer Freiheit und rechtlicher Bindung eingebettet. Ältere Auffassungen des Schrifttums hatten angenommen, bei der Aufstellung eines Bebauungsplans handle es sich nicht um Rechtsanwendung, sondern um eine Angelegenheit der Gemeindepolitik. Die Entscheidung liege deshalb im „planerischen Ermessen" der Gemeinde 82 . Demgegenüber nahm der VGH Mannheim aus verfassungsrechtlichen Gründen eine strikte Rechtsbindung der Gemeinden an83. Inzwischen hat sich auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung 84 eine differenziertere Betrachtungsweise durchgesetzt85. Danach steht den Gemeinden als Ausfluß der in § 1 III BBauG anerkannten Planungshoheit ein Spielraum planerischer Gestaltungsfreiheit zu, der Elemente des Erkennens 86 , Wertens und Wollens umfaßt. Die Bauleitplanung ist also nicht 80 81 82 83 84

85

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Systematischer Überblick bei Schmidt-Aßmann, BauR 1978, 99 ff. (104). Grundlegend BVerwGE 34, 301 (308); ferner BVerwGE 45, 309 (323); BGHZ 66, 322; 67, 320; 68, 100; sowie noch Hoppe, in: Fs. f. Scupin, 1973, S. 121 ff. Brügelmann / Grauvogel, a. a. O., § 2 Anm. II 3 a und § 6 Anm. I 2c m. w. N. ESVGH 14, 197 (199-200); ferner ESVGH 17, 101 (104). Dazu s. die 1. und 2. Aufl. dieses Beitrages (zu Fn. 47 — 48). Insbes. Grundsatzurteile BVerwGE 34, 301 (304-310) und BVerwGE 45, 309 (314ff.); s. ferner BVerwGE 38, 152 (157); 47, 144 (146 - 148); 48, 56 (58ff.); OVG Münster BRS 25, 21 ff. (23 - 30); OVG Koblenz BRS 27, 308ff. (309 - 310) u. a. Aus dem (z. T. sehr kritischen) Schrifttum s. statt vieler Badura, in: Fs. zum 25jähr. Bestehen des Bayer. VerfGH, 1972, S. 157ff.; Blümel, DVB1. 1975, 695ff.; Hoppe, in: Fs. f. Scupin, 1973, S. 121 ff.; ders., DVB1. 1974, 641 ff.; Papier, DVB1. 1975, 461 ff.; ders., NJW 1977, 1714ff.; Weyreuther, BauR 1977, 293ff.; Gassner, DVB1. 1981, 4ff.; Koch, DVB1. 1983, 1125ff. Zum Prognoseproblem bei der Bauleitplanung vgl. VGH Mannheim NJW 1977, 1465.

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bloßer Rechtsvollzug; sie reicht vielmehr in den Bereich autonomer, gestaltender Entscheidungen hinein. Insofern ist sie der Ermessensbetätigung in gewisser Weise vergleichbar, darf mit ihr allerdings nicht auf dieselbe Stufe gestellt werden 87 . Die Verwaltungsgerichte können in diesem Rahmen, ähnlich wie bei der Ermessenskontrolle (vgl. § 114 VwGO), nur prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit im Einzelfall überschritten worden sind. Diese Grenzen ergeben sich insbesondere aus den in § 1 VI BBauG normierten Leitsätzen der Bauplanung (s. oben unter b), die von der Rechtsprechung als voll justiziable unbestimmte Rechtsbegriffe angesehen werden 88 . Ihre Konkretisierung hängt von der jeweils vorgegebenen Gebietsstruktur ab. Bei der Neubeplanung eines bisher nicht bebauten Gebiets werden andere Kriterien abwägungserheblich als in dem (meist problematischeren) Fall, in dem eine bereits gewachsene Struktur überplant, insbesondere eine unzuträgliche Nutzungsgemengelage entflochten werden soll89. Zentrale Bedeutung kommt darüber hinaus dem in § 1 VII BBauG niedergelegten Abwägungsgebot90, einem fundamentalen Prinzip jeglicher Planung im Rechtsstaat, zu: Bei Aufstellung der Bauleitpläne sind „die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen". Das Abwägungsgebot bezieht sich gleichermaßen auf den Planungsvorgang (das Planungsverfahren) wie auf das Planungsergebnis 91 . Ihm ist deshalb nur dann genügt, wenn die gerechte Abwägung sich tatsächlich im endgültigen Plan niederschlägt. Das Gebot ist verletzt 92 , wenn (a) eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn (b) sie nicht alle Belange berücksichtigt, die nach Lage des Falles in Betracht kommen 93 , wenn (c) die Bedeu87 88 89 90

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Dazu Badura, a. a. O., S. 157 ff. (164, 174, 178). Zur Kritik an dieser Qualifizierung s. Hoppe, DVB1. 1974, 641 ff.; Ossenbühl, Gutachten in: Verh. des 50. Deutschen Juristentages, Bd. I, Teil B, S. 1 ff. (183 - 191). Hierzu insbes. Hoppe, in: Fs. f. Ernst, 1980, S. 215ff. (zur Modifizierung der Planungsgrundsätze in Verflechtungsbereichen insb. S. 222 ff.). Dazu grundlegend BVerwGE 45, 309 („Gelsenkirchener Floatglas-(DELOG-)Fall"); BVerwGE 52, 237 (244 — 246), betr. das Abwägungsgebot bei der straßenrechtlichen Planfeststellung; ferner BVerwGE 64, 270 (272f.); u.a.; näher Hoppe, DVB1. 1977, 136ff.; Weyreuther, DÖV 1977, 419ff. (420f.); Hoppe, DVB1. 1983, 1077 ff.; Koch, DVB1. 1983, 1125ff.; eingehende Nachweise bei Ronellenfitsch, DVB1. 1984, 501 ff. (503, Fn. 16). BVerwGE 45, 309 (312 - 315); 47, 144 (146 - 147); 56, 283 (287). Zu den zeitlichen Bezugspunkten für die rechtliche Würdigung der Beachtung des Abwägungsgebots s. BVerwGE 56, 283 (288-289); s. auch den umstr. § 155b II S. 1 BBauG und hierzu OVG Lüneburg DÖV 1980, 525f. und ZfBR 1981, 294f.; Battis, DÖV 1981, 433 ff. (436). Eingehend zu den abwägungserheblichen Belangen (Abwägungsmaterial) BVerwGE 59, 87 (100 ff.), dort (103 f.) auch der bemerkenswerte Gedanke, daß die Betroffenheit eines Bürgers für den Fall eines „Sich-Verschweigens" nur dann abwägungsbeachtlich ist, wenn die Betroffenheit sich der planenden Stelle aufdrängen mußte; s. hierzu Becker, NJW 1980, 1036f. Zur Zulässigkeit der Berücksichtigung von Belangen im Wege der Wahrunterstellung BVerwG DVB1. 1980, 999 ff.

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tung der betroffenen privaten Belange94 verkannt oder wenn (d) der Ausgleich der von der Planung berührten öffentlichen Belange untereinander und gegenüber den privaten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen Belange außer Verhältnis steht95. Die Rechtskontrolle hat dabei nicht zu fragen, ob das Abwägungsergebnis als solches Beifall verdient oder ob es gar optimal ist, sondern allein, ob die objektive Gewichtigkeit eines der betroffenen Belange „völlig verfehlt" wird96. Zunehmende Bedeutung als Abwägungskriterium kommt dem Gebot (vgl. § 50 BImSchG) zu, schädliche Umwelteinwirkungen - namentlich auf Wohngebiete und sonstige schutzbedürftige Gebiete — zu minimieren 97 . In der Mehrzahl der Fälle wird der planenden Gemeinde innerhalb des durch die Abwägungskriterien gezogenen Rahmens ein erhebliches Maß an Gestaltungsfreiheit verbleiben. Das Abwägungsgebot ist nicht verletzt, wenn sie sich in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen aus sachgerechten, mit den Wertungen des § 1 VI BBauG zu vereinbarenden Gründen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet98. Die Gemeinde kann autonom planerische Prioritäten setzen und damit die Entwicklung ihres Gebiets selbst gestalten. Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot führt zur Nichtigkeit des betroffenen Bauleitplans 99 , soweit es sich nicht um unerhebliche Mängel des Abwägungs Vorgangs i. S. des seit 1979 geltenden § 155 b II 2 BBauG handelt. Nach dieser Vorschrift sind Fehler im Abwägungsvorgang 100 nur erheblich, begründen also nur dann die Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans, wenn sie offensichtlich sind101 und das Abwägungsergebnis beeinflußt 102 haben 103 . 94

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Zur Bedeutung des Privateigentums als Abwägungskriterium s. BVerwGE 47, 144 (154ff.); 61, 295 (301 ff.); Weyreuther, DÖV 1977, 419ff.; auch die Belange der Einwohner von Nachbargemeinden sind zu berücksichtigen, OVG Münster DVB1. 1981, 409 ff. (410). BVerwGE 34, 301 (309); 45, 309 (314 - 315); 47, 144 (146); OVG Koblenz-BRS 27, 308 ff. (309 - 310); u. a. 9 6 So BVerwGE 56, 283 (289 - 290). S. BVerwGE 45, 309 (327ff.); Sendler, WiR 1972, 453ff.; Dolde, DVB1. 1983, 732ff.; Hoppe, in: Fs. f. Ernst, S. 215ff. (218ff.) - dort auch zu weiteren Kdnfliktvermeidungsgeboten. Speziell zu den Abwägungsmaßstäben beim Konflikt zwischen Wohnnutzung und Verkehrslärm s. insbes. BVerwGE 59, 253 (260 ff.). Zum „Grundsatz der Problembewältigung", der eine einheitliche, alle Konflikte lösende Planungsentscheidung erforderlich macht, s. BVerwGE 57, 297 (300ff.); 61, 307 BVerwGE 34, 301 (309); 45, 309 (315); 47, 144 (146). BVerwGE 45, 309 (314). Nach BVerwGE 54, 211 (217f.) gibt es jedoch kein sub.-öff. Recht auf Abwägung; damit scheidet ein vorbeugender Rechtsschutz aus. Rechtsmängel im Abwägungsergebnis haben weiterhin einschränkungslos Nichtigkeit bzw. Teilnichtigkeit des Plans zur Folge. Hierzu BVerwGE 64, 33 (36ff.); OVG Lüneburg BauR 1980, 442ff. (443). Es genügt die konkrete Möglichkeit, daß ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre, s. BVerwG a.a.O., (38ff.); OVG Lüneburg a.a.O., (444); OVG Münster BauR 1980, 531 f. (532); OVG Hamburg DÖV 1984, 261; a. A. Geher, Bauplanungsrecht, Rdnr. 448 u: Kausalitätsnachweis; u. a.

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d) Rechtsansprüche

auf Durchfiihrung

von Planungen?In

zahlreichen Fällen

werden Grundstückseigentümer ein starkes Interesse daran haben, daß die Gemeinden ihre Planungspflicht erfüllen. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn die Zulässigkeit eines Bauvorhabens vom Bestehen einer Planung abhängt 104 . Diesem Interesse wäre dann genügt, wenn ihnen ein entsprechender Rechtsanspruch gegen die Gemeinde zustünde. Der objektiv-rechtlichen Planungspflicht der Gemeinde steht jedoch grundsätzlich kein subjektiv-öffentliches

Recht eines Bürgers auf E r l a ß oder

Änderung eines Bauleitplans oder auf eine sonstige Planungsmaßnahme der Gemeinde gegenüber105. § 2 VII BBauG stellt ausdrücklich fest, daß auf Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen kein Anspruch besteht106. Aber auch wenn diese Bestimmung nicht vorhanden wäre, könnte nichts anderes gelten. Denn die Planungspflicht der Gemeinde besteht ausschließlich im Interesse einer gesunden städtebaulichen Entwicklung, nicht aber im Interesse einzelner107. Damit sind subjektiv-öffentliche Rechte Privater ausgeschlossen. Sie können nach h. M. auch nicht im Einzelfall durch Zusagen, Folgekostenverträge o. dgl. begründet werden 108 . Ein Bürger kann den Erlaß eines Bebauungsplanes, der sein Grundstück als Bauland ausweisen und es dadurch im Wert erhöhen soll, schließlich auch nicht mit der Begründung verlangen, die Unterlassung einer solchen Bauleitplanung verletze ihn in seinem grundrechtlich geschützten Eigentum 109 . Eine Klage auf Aufstellung eines Bebauungsplans wäre unzulässig110. Die ordnungsgemäße Erfüllung der gemeindlichen Planungspflicht kann allein im Wege der Kommunalaufsicht durch die zuständige Aufsichtsbehörde erzwungen werden. Da das BBauG insoweit keine eigenen Regeln enthält, 103

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Die Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung der gerichtlichen Nachprüfung von Abwägungsfehlern wird im Schrifttum vielfach bezweifelt, vgl. statt vieler Emst / Hoppe, Bau- und Bodenrecht, Rdnr. 331 g; Kirchhof, NJW 1981, 2382ff. Nach BVerwG a. a. O., (34 - 41) lassen sich die mit Blick auf Art. 14, 19 IV u. 20 III GG möglichen Zweifel durch eine restriktive verfassungskonforme Auslegung ausräumen; krit. hierzu Breuer, NVwZ 1982, 273 ff. (278 f.). S. §§ 30 ff. BBauG. VGH Kassel BRS 25, 43; Emst / Zinkahn / Bielenberg, a. a. O., § 1 Rdnr. 42, § 31 Rdnr. 126; eingehend zum Problem Westbomke, Der Anspruch auf Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976, S. 91 — 125, der aus grundrechtlichen Erwägungen für gewisse Fälle einen Anspruch auf Erlaß eines Bebauungsplanes bejaht; ähnlich auch Battis, DÖV 1978, 113ff. (116ff.). Dazu BVerwG DVB1. 1977, 529ff. (529f.); BVerwG NVwZ 1983, 92f. (92). Brügelmann / Grauvogel, a. a. O., § 2 Anm. II 2 a. Vgl. BVerwGE 42, 331 (338); BVerwG DVB1. 1980, 686ff. (688); BVerwG DÖV 1981, 878f.; BGHZ 76, 16 (22); vgl. auch BGHZ 71, 386 (389ff.). Aus dem teilweise kontroversen Schrifttum s. Krebs, VerwArch. 72 (1981), 49 ff., m. w. N. Bay. VerfGH DVB1. 1966, 798 f. Deshalb kann das Unterlassen einer Bauleitplanung keine Ansprüche auf Enteignungsentschädigung auslösen; BGH DVB1. 1969, 209f. 110 VGH Kassel BRS 25, 4ff.

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gelten die allgemeinen Vorschriften des jeweiligen (Landes-)Kommunalrechts 1 ". Soweit eine Gemeinde durch das Unterlassen von bestimmten Planungsmaßnahmen gegen ihre Rechtspflichten nach dem BBauG verstößt, kann sie durch eine Anordnung der Aufsichtsbehörde zum Tätigwerden angehalten werden. Kommt die Gemeinde der Anordnung nicht nach, so hat die Aufsichtsbehörde das Recht der Ersatzvornahmen2. Die Maßnahmen der Kommunalaufsicht sind auf Klage der betroffenen Gemeinde hin gerichtlich nachprüfbar. Private haben jedoch grundsätzlich keinen Anspruch gegen die Aufsichtsbehörde auf Erlaß einer Aufsichtsmaßnahme 113 . 3. Die Bauleitpläne im einzelnen a) Allgemeines: Der Bauleitplanung ist vom Gesetzgeber die Aufgabe gestellt, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vorzubereiten und zu leiten (§ 1 I, 111 BBauG). Um diese Aufgabe zu erfüllen, müssen für die im jeweiligen Planungsgebiet belegenen Grundstücke spezifizierte und eindeutige Festsetzungen über Art und Ausmaß der zugelassenen baulichen Nutzung getroffen werden. Als Mittel der Planung erweist sich der Rechtssatz in seiner herkömmlichen Form, die eine Rechtsfolge verbal an einen abstrakt umschriebenen Tatbestand knüpft, als nicht geeignet. Eine rein verbale Feststellung sämtlicher Planeinzelheiten wäre angesichts der Komplexität der Verhältnisse und der Vielzahl der individuell betroffenen Grundstücke entweder ganz unmöglich oder aber zumindest äußerst kompliziert und verwirrend. Deshalb stellt das Gesetz ein flexibles Instrumentarium zur Verfügung: Die Festsetzungen können unter Verwendung von „Zeichnung, Farbe, Schrift oder Text" getroffen werden114. Diese Medien lassen sich im Einzelfall beliebig kombinieren. In der Praxis werden meist kartographische Darstellungen verwendet. Dabei trägt man in die Karte des derzeit vorhandenen Zustandes Linien und Farben ein, die den angestrebten Ordnungszustand kennzeichnen sollen. Der Text dient meist nur dazu, die Karten oder Zeichnungen zu erläutern" 5 . Das BBauG hat das Verfahren der Bauleitplanung zweistufig ausgestaltet. Im Regelfall ist zunächst der sog. Flächennutzungsplan als „vorbereitender Bauleitplan" (§ 1 II BBauG) aufzustellen. Erst auf seiner Grundlage ergeht der verbindliche Bauleitplan, den das Gesetz als Bebauungsplan bezeichnet. Beide Plantypen erfüllen unterschiedliche Funktionen. Auf einer zweistufigen Planung beruhen auch die Maßnahmen nach dem StBFG. Zur Behebung städtebaulicher Mißstände (§ 1 II StBFG) kann ein 11

' Dazu s. in diesem Band den Beitrag von Schmidt-Aßmann, Abschnitt II. 2. Ernst / Zinkahn / Bielenberg, a. a. O., § 1 Rdnr. 40. 113 BVerwG DÖV 1972, 723 (Nr. 282); VGH Mannheim DVB1. 1975, 552ff. (553). 114 S. insb. § 9 1 1 BBauG. 115 Vgl. auch § 5 VII BBauG: „Erläuterungsbericht" zum Flächennutzungsplan. 112

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Gebiet durch Beschluß der Gemeinde förmlich als Sanierungsgebiet festgelegt werden (§3 1 StBFG). Mit dieser Festlegung gilt der Flächennutzungsplan insoweit als ergänzt (§ 6 VIII StBFG) bzw., sofern er im Einzelfall noch fehlen sollte, als aufgestellt. Danach sind auf der Grundlage des Feststellungsbeschlusses für das förmlich festgelegte Sanierungsgebiet die erforderlichen Bebauungspläne aufzustellen (§101 StBFG). Entsprechend verläuft das Verfahren bei der Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs durch Rechtsverordnung der Landesregierung (§§ 53 I, 54 I 2 StBFG)116. b) Flächennutzungsplan: aa) Inhalt: Der Flächennutzungsplan stellt für das gesamte Gebiet117 der planenden Gemeinde 118 die sich aus der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebende Art der Bodennutzung in den Grundzügen dar (§5 1 BBauG). Insoweit ähnelt er inhaltlich den überörtlichen Plänen, die im Rahmen der Landesplanung und Raumordnung aufgestellt werden. Er unterscheidet sich aber dadurch von ihnen, daß er sich auf das jeweilige Gemeindegebiet beschränkt und in erster Linie ein Instrument der Gemeinde bildet119, ihr eigenes Gebiet zu gestalten, insbesondere ihre Bebauungspläne vorzubereiten120. Der Flächennutzungsplan soll für die weitere Entwicklung der Gemeinde richtungweisend sein. Er muß deshalb sämtliche voraussehbaren Bedürfnisse der nächsten fünf bis zehn Jahre und, soweit sie schon konkret erkennbar sind, auch der weiteren Zukunft berücksichtigen. In dem Flächennutzungsplan sind die Nutzungsarten für die einzelnen Teile des Gemeindegebiets darzustellen: Baugebiete, Gemeinbedarfsflächen, Verkehrsflächen, Grünflächen, land- und forstwirtschaftliche Flächen usw. (§ 5 II BBauG). Die für die Bebauung vorgesehenen Flächen sind darüber hinaus nach der allgemeinen Art ihrer baulichen Nutzung (Wohnbauflächen, gemischte Bauflächen, gewerbliche Bauflächen, Sonderbauflächen) sowie nach der besonderen Art (reine Wohngebiete, Kleinsiedlungsgebiete, Gewerbegebiete usw.) und nach dem allgemeinen Maß (Geschoßflächenzahl) der Nutzung auszuweisen121. Der Plan beschränkt sich aber in jedem Fall auf die Angaben, die auf die Bodennutzung als solche bezogen sind. Er gibt keine Auskunft über die äußere Gestaltung der baulichen Anlagen122. bb) Aufstellung: Der Flächennutzungsplan wird von der Gemeindevertretung festgestellt, und zwar nicht als Satzung, sondern durch einfachen Beschluß nach Maßgabe des jeweiligen Kommunalrechts. Er unterliegt der Ge116 117 118 119 121 122

Vgl. dazu, insbes. auch zur Rolle der Flächennutzungspläne bei Entwicklungsmaßnahmen, Bielenberg, StBFG, § 54 Rdnr. 6. Zur Unzulässigkeit eines räumlichen Teilplans s. VGH Kassel NJW 1978, 557. Zum Fortgelten der Flächennutzungspläne bei kommunalen Gebietsänderungen s. BVerwGE 45, 25 (28 - 38), mit Anm. Jakob, NJW 1974, 1578. Zu den Funktionen des Flächennutzungsplans s. eingehend Schimanke, DVB1. 1980, 616ff. 120 BVerfGE 3, 407ff. (424 - 425). Vgl. im einzelnen § 1 I - II, § 16 I und § 17 der BauNVO, die insoweit auf Grund der Ermächtigung in § 2 VIII Nr. 1 BBauG erlassen worden ist. Anders u. U. beim Bebauungsplan; s. § 9 IV BBauG.

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nehmigungn} der höheren Verwaltungsbehörde (§6 1 BBauG), d. i. im Regelfall die staatliche Mittelbehörde (Regierungspräsident, Bezirksregierung)124. Die höhere Verwaltungsbehörde übt insoweit eine bloße Rechtsaufsicht aus125. Die Genehmigung darf deshalb nur aus bestimmten, in § 6 II BBauG aufgezählten Rechtsgründen versagt werden; sie gilt nach § 6 IV 4 BBauG als erteilt, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten abgelehnt worden ist. Auflagen können ihr beigefügt werden, wenn sich damit ein andernfalls bestehender Versagungsgrund ausräumen läßt (§ 6 III 1 BBauG)126. cc) Rechtliche Bedeutung: Der Flächennutzungsplan ist, anders als der Bebauungsplan 127 , keine Rechtsnorm 128 . Er ist aber auch kein Verwaltungsakt129. Seine wesentlichen Rechtswirkungen beschränken sich auf den verwaltungsinternen Bereich: Sämtliche öffentlich-rechtlichen Planungsträger, die bei seiner Aufstellung beteiligt waren und den Festsetzungen nicht widersprochen haben, unterliegen einer Anpassungspflicht. Sie müssen den Plan, sofern er rechtswirksam zustande gekommen ist, bei ihren eigenen raumwirksamen Maßnahmen beachten (§ 7 BBauG). Die planende Gemeinde selbst hat ihn ihren Bebauungsplänen zugrunde zu legen (§ 8 II, III BBauG). Dagegen werden die Grundstückseigentümer als solche von dem Flächennutzungsplan nicht unmittelbar rechtlich betroffen129'1. Insbesondere richtet sich die Zulässigkeit eines Bauvorhabens und damit der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht nach dem Flächennutzungsplan, sondern allein nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes (§ 30 BBauG). Auch die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung (§§ 14, 19, 24, 25 BBauG) und das Enteignungsrecht (§ 85 I Nr. 1 BBauG) werden nur durch den Bebauungsplan, nicht schon durch den Flächennutzungsplan, ausgelöst. Immerhin kann der Flächennutzungsplan in gewissen Fällen eine mittelbare rechtliche Relevanz für den einzelnen Bürger erlangen. So sind seine Festsetzungen heranzuziehen, wenn beurteilt werden muß, ob eine Teilungsgenehmigung wegen Unvereinbarkeit mit einer „geordneten städtebaulichen Entwicklung" zu versagen ist (§ 20 I Nr. 3 BBauG)130 oder ob ein Bauvorhaben im Außenbereich öffentliche Belange beeinträchtigen würde' 31 . Dabei 123

Das Genehmigungserfordernis entfällt in den Stadtstaaten, vgl. § 188 I BBauG. Dazu s. im einzelnen Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 336. 125 Schrödter, a.a.O., § 6 Rdnr. 4; Stich, B1GBW 1966, 121 ff. (125); Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 335; a. A.: Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 164 - 165. 126 Dazu s. Rosenbach, DÖV 1977, 426ff. 127 Zur unterschiedlichen Regelungsdichte beider Planarten BVerwGE 48, 70 (73 f.). 128 OVG Lüneburg DVB1. 1971, 322ff. (323); VGH München BRS 22, 147ff. (149); VGH Mannheim BRS 27, 30ff. (32). 129 VGH Mannheim a. a. O. 129a Dazu BVerwG NVwZ 1984, 367 ff. (367). 130 Schrödter, a. a. O., § 5 Rdnr. 15, mit Nachweisen. 131 So jetzt ausdrücklich § 35 III BBauG. Das gilt (abweichend von der älteren Rspr.) auch für privilegierte Vorhaben; s. BVerwG NVwZ 1984, 367. — Dagegen bleibt der Flächennutzungsplan nach der Rechtsprechung außer Betracht bei der Beurtei124

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bildet der Flächennutzungsplan allerdings nur ein Beurteilungskriterium unter anderen. Er darf nicht schematisch wie eine Rechtsnorm „angewandt" werden132. dd) Tatsächliche Wirkungen gegenüber dem Bürger: Obwohl der Flächennutzungsplan die Eigentümer der im Planungsgebiet belegenen Grundstücke nicht unmittelbar anspricht, kann er für sie erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangen. Die Ausweisung einer Fläche als Baugebiet kann zu Wertsteigerungen führen (sog. Bauerwartungsland). Umgekehrt können sich Wertminderungen ergeben, etwa wenn der Flächennutzungsplan in der Nähe eines reinen Wohngebietes Nutzungsarten vorsieht, von denen nachteilige Auswirkungen auf die Wohnruhe usw. zu erwarten sind. Der Gesetzgeber hat für derartige wertmindernde Konsequenzen des Flächennutzungsplans eine Entschädigung nicht vorgesehen. Die Rechtsprechung133 gewährt den betroffenen Grundstückseigentümern auch keine Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff. Es handelt sich bei den eintretenden wirtschaftlichen Nachteilen nach Auffassung des BGH im Rechtssinne lediglich um bloß mittelbare Folgen der Planung, wie sie auch außerhalb des Planungsgebietes auftreten können. Werden die Festsetzungen des Flächennutzungsplans allerdings später in einen rechtsverbindlichen Bebauungsplan übernommen, dann greifen die Entschädigungstatbestände nach §§ 39 j ff. BBauG ein. Bei der Bemessung der Entschädigungshöhe ist von dem ursprünglichen Wert des Grundstücks vor der Aufstellung des Flächennutzungsplanes auszugehen134. Es wird dann also auch die Wertminderung ersetzt, die bereits durch den Flächennutzungsplan eingetreten und somit bei Erlaß des Bebauungsplans schon vorhanden war. ee) Rechtsbehelfe: Da der Flächennutzungsplan keine den Bürger treffenden rechtlichen Regelungen enthält, und zwar weder als Rechtsnorm noch als Verwaltungsakt, kommen Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe gegen ihn nicht in Betracht135. Davon unberührt bleibt jedoch die Möglichkeit, rechtliche Mängel des Flächennutzungsplans insofern mittelbar geltend zu machen, als sie zu einer Fehlerhaftigkeit der auf ihm aufbauenden weiteren Planungen geführt haben 136 . c) Bebauungsplan: aa) Inhalt: Der Bebauungsplan enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung (§8 1 BBauG). Er

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lung der Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BBauG), BVerwGE 35, 256 (257 - 258). BVerwG BauR 1975, 404ff. (406 - 407) - insoweit in BVerwGE 48, 81 (87) nicht abgedruckt; BVerwG NVwZ 1984, 367ff. (367-368); vgl. auch VGH Kassel BRS 24, 51 ff. (53). BGHZ 17, 96 (102); BGH DVB1. 1978, 378f. (379). BGH DVB1. 1963, 625ff. (627); vgl. auch BGH DVB1. 1978, 378f. (379). S. dazu auch Brohm, Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, S. 22. Demgegenüber will Schenke, DÖV 1979, 622 ff. (632) den Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsschutz durch die allgemeine Leistungsklage gewähren. Vgl. VGH Mannheim BRS 27, 30ff. (32).

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umfaßt entweder das ganze Gemeindegebiet oder — im Regelfall — einzelne, oftmals recht kleine Gemeindeteile. Die Abgrenzung des jeweiligen Plangebiets liegt, innerhalb der durch die Planungsgrundsätze des § 1 BBauG gezogenen Schranken, im planerischen Ermessen der Gemeinde. Dabei kann aus sachgerechten Gründen in Sonderfällen sogar die selbständige Beplanung eines einzigen Grundstücks zulässig sein137. Der Bebauungsplan ist regelmäßig aus dem zuvor aufgestellten Flächennutzungsplan zu entwickeln (§ 8 II 1 BBauG)138. Ausnahmsweise kann auf den Flächennutzungsplan verzichtet werden, wenn der Bebauungsplan ausreicht, um die städtebauliche Entwicklung zu ordnen (§ 2 II BBauG). Außerdem kann aus dringenden Gründen im Einzelfall ein Bebauungsplan aufgestellt werden, bevor der Flächennutzungsplan in Kraft ist (§ 8 IV BBauG). Liegt ein derartiger Ausnahmefall 139 nicht vor, dann kann ein gültiger Bebauungsplan i. d. R. nur Zustandekommen, wenn gleichzeitig der Flächennutzungsplan aufgestellt (sog. Parallelverfahren, § 8 III 1 BBauG) und die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigungszeitfolge (§ 8 III 2 BBauG) eingehalten wird140. Die Verletzung des Gebots der Entwicklung aus dem Flächennutzungsplan — sei es, daß ein Flächennutzungsplan überhaupt fehlt bzw. daß er ungültig ist, oder sei es, daß die sachlichen Grenzen des „Entwickeins" nicht eingehalten werden — hat die Nichtigkeit des Bebauungsplans zur Folge141, soweit nicht einer der Unbeachtlichkeits- bzw. Heilungstatbestände des § 155 b I Nr. 5 bis 8 BBauG eingreift142. Dabei bindet die Pflicht zur Entwicklung die Gemeinde an die Grundkonzeption des Flächennutzungsplans, beläßt ihr aber die Freiheit zur schöpferischen Ausgestaltung und Fortentwicklung im Detail143.

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BVerwG NJW 1969, 1076; BVerwG BRS 27, 15; OVG Berlin Städtetag 1977, 565. Dazu s. näher BVerwGE 48, 70 ( 7 3 - 7 5 ) ; 56, 283 (285f.); BVerwG BauR 1979, 206 ff., hierzu Bespr. von Menger, VerwArch. 71 (1980), S. 87 ff. Beispiele dafür: BVerwG DVB1. 1969, 276; OVG Münster BRS 25, 14ff. (15); VGH Mannheim BRS 25, 17ff. (17 - 18) und 53ff. (55 - 56), sämtlich zur früheren Fassung des § 8 BBauG, nach der die vorzeitige Aufstellung des Bebauungsplans nur bei „zwingenden" Gründen zulässig war. Auch wenn die jetzige Formulierung „dringende Gründe" etwas geringere Anforderungen stellt — vgl. OVG Saarlouis BauR 1980, 441 f. (442) —, kommt der Änderung sachlich kein allzu großes Gewicht zu - BVerwG DVB1. 1982, 1099 f. (1100) - , so daß die ältere Rspr. weitgehend übernommen werden kann, s. Bröll, BayVBl. 1979, 550 ff. (551). Für Berlin gilt die Sonderregelung in § 188 II a BBauG. BVerwGE 48, 70 ( 7 2 - 7 3 ) ; BVerwG DVB1. 1977, 194ff. (196); VGH Mannheim BRS 27, 1 f. (1); nunmehr st. Rspr. Hierzu näher Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 448eff.; Geirrter, BauR 1980, 208ff.; im übrigen OVG Lüneburg BauR 1980, 439ff. (440 - 441), betr. § 155 b I Nr. 5, 6, 8 BBauG; BVerwG DVB1. 1982, 999f. sowie OVG Saarlouis BauR 1980, 44ff. (45) u. BauR 1980, 441 f. (442), betr. § 155 b I Nr. 5 BBauG. S. dazu BVerwGE 48, 70 (74); vgl. auch VGH Mannheim BRS 27, 1 f. (1) u. 3f. (3).

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Der Bebauungsplan 144 unterliegt dem Gebot konkret individueller planerischer Festsetzungen145. Er setzt in hinreichend bestimmter Weise146 das Bauland nebst Art und Maß der baulichen Nutzung mit einer Reihe von Einzelgesichtpunkten (§9 1 Nr. 1 — 9 BBauG) fest, ferner die von Bebauung freizuhaltenden Grundstücke, die Versorgungs- und Verkehrsflächen 147 , die Grünflächen, die Flächen für Land- und Forstwirtschaft, die Flächen für Gemeinschaftsanlagen usw. (§9 1 Nr. 10 — 26 BBauG). Die Art der baulichen Nutzung ist nach den in § 1 II BaunutzVO vorgesehenen Baugebieten (z. B. Kleinsiedlungsgebiete, reine Wohngebiete, Mischgebiete, Gewerbegebiete, Industriegebiete) zu klassifizieren, wobei sich die in den verschiedenen Baugebieten zulässigen Nutzungsformen im einzelnen aus §§ 2 — 15 BaunutzVO ergeben148. Das Maß der Nutzung wird nach Zahl der Vollgeschosse, Grundflächenzahl, Geschoßflächenzahl sowie (in Industriegebieten) Baumassenzahl bestimmt, wobei die in § 17 I BaunutzVO geregelten Obergrenzen einzuhalten sind149. Unzulässig sind rein negative Planungen, die nicht selbst gestalten, sondern lediglich die Entwicklung freigeben 150 , sowie Festsetzungen (etwa für Land- und Forstwirtschaft), mit denen in Wahrheit eine Bausperre bezweckt wird151. bb) Aufstellung .Der Bebauungsplan wird von der Gemeinde in der Rechtsform einer Satzung beschlossen152. Zuständigkeit und Verfahren richten sich im einzelnen nach dem jeweiligen Landesrecht153. Grundsätzlich ist eine Bürgerbeteiligung (Anhörungsverfahren) 154 erforderlich (§ 2 a BBauG). Nach vorgängiger Bekanntmachung 155 der Auslegung ist der Planentwurf während der

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Jeweils nur ein einziger Plan für das betroffene Gebiet, der eine rechtliche Einheit bildet, allerdings auch in mehreren Planungsschritten zustande kommen kann; BVerwGE 50, 114 (117 - 119); VGH Kassel BRS 28, 4ff. (5 - 8). BVerwGE 50, 114 (119 - 121); BVerwG DVB1. 1977, 194ff. (196). - Zur Erforderlichkeit von immissionsschutzrechtlichen Festsetzungen s. BVerwG BayVBl. 1984, 341 ff. Zum Bestimmtheitsgebot s. BVerwGE 42, 5 (6 - 8); VGH Mannheim BRS 25, lOff. (11 - 12) und NJW 1978, 2166f.; BayVGH BayVBl. 1984, 339f. Zur Zulässigkeit einer isolierten Planung von Verkehrsflächen (Fernstraßen) durch Bebauungsplan anstelle einer straßenrechtlichen Planfeststellung s. BVerwGE 38, 152 (155 - 158), mit krit. Anm. von Blümel, DVB1. 1972, 122 ff. Zur Novellierung der BaunutzVO s. Neuhausen, NJW 1978, 191 ff. - Zur Ausweisung von sog. Sondergebieten (§ 11 BaunutzVO) s. BVerwGE 56, 283 (286 - 287). Im einzelnen s. dazu Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 514 — 760 und die Kommentare zur BaunutzVO. VGH Mannheim BauR 1975, 42ff. (42 - 43). BVerwGE 40, 258 (262 - 263); vgl. auch BVerwG BauR 1975, 253ff. (255). § 10 BBauG. 153 BVerwG DVB1. 1971, 757. Zur Problematik der Bürgerbeteiligung vgl. etwa Blümel, in: Fs. f. W. Weber, 1974, S. 539ff.; ders., in: Fs. f. E. Forsthoff, 1972, S. 9ff. Zu den Anforderungen an die Bekanntmachung, bei deren Verletzung Nichtigkeit des Plans eintritt, s. BVerwGE 55, 369 (373 ff.).

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Dienststunden 156 öffentlich auszulegen (§ 2a VI BBauG), um den Betroffenen rechtzeitig die Möglichkeit zu Einwendungen zu eröffnen. Dem vom Gemeinderat beschlossenen Plan muß eine Begründung beigefügt werden (§ 9 VIII BBauG) 157 , die ihn nach seinem konkreten Inhalt zu rechtfertigen hat. Entgegen der bisherigen Rechtslage 158 führt eine Unvollständigkeit der Begründung nach § 155 b I Nr. 3 BBauG jedoch nicht mehr zur Nichtigkeit des Plans 159 . Der Bebauungsplan bedarf, ebenso wie der Flächennutzungsplan (s. oben unter 3 b, bb), der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§ 11 BBauG). Die zuständige Behörde übt dabei lediglich eine Rechtskontrolle aus. Sie kann die Genehmigung nur aus Rechtsgründen versagen (mit Verpflichtungsklage verfolgbarer Rechtsanspruch der Gemeinde auf ihre Erteilung 160 ) oder sie mit der Auflage verbinden, daß der Plan durch Festsetzungen zur Sicherung der Infrastruktur nach § 9a BBauG ergänzt wird 161 . Sie kann den Plan aber nicht inhaltlich abändern; dazu bedarf es vielmehr eines erneuten Beschlusses der Gemeinde 162 . Die Gemeinde hat den genehmigten Bebauungsplan zusammen mit der Genehmigungsverfügung 163 öffentlich auszulegen und die Genehmigung sowie Ort und Zeit der Auslegung in der ortsüblichen Weise bekanntzumachen 164 . Die Auslegung wirkt — wenn sie den Bürgern ordnungsgemäß bekanntgemacht worden ist165 — als Ersatzverkündung166. cc) Form- und Verfahrensfehler: Die Rechtsfolgen von Form- und Verfahrensfehlern bei der Aufstellung eines Bebauungsplans 167 werden in §§ 155 a 155 c BBauG 168 geregelt, die den eigentlichen Kernpunkt der sog. Beschleunigungsnovelle zum BBauG von 1979169 bilden. Die Vorschriften zielen darauf 156

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Hierzu BVerwG BauR 1980, 437ff. (438 - 439); OVG Münster BauR 1978, 285f. (286). Zum notwendigen Inhalt s. BVerwG DVB1. 1971, 759ff. (762); BVerwG DÖV 1974, 200; VGH München BRS 28, 57ff. (58f.); OVG Berlin NJW 1980, 1121 ff. (1122). Dazu BVerwGE 45, 309 (330 - 31) sowie bereits BVerwG BRS 24, 24ff. (31). Vgl. OVG Lüneburg DVB1. 1981, 411 f.; eingehend Lemmel, DVB1. 1981, 318ff. Vgl. z. B. BVerwG DVB1. 1977, 531. Zu Genehmigungsauflagen s. Rosenbach, DÖV 1977, 426 ff. VGH Kassel BRS 25, 64 ff. (65) mit Nachweisen. Vgl. VGH München BRS 25, 67 ff. (68) mit Nachweisen. Dazu näher BVerwGE 44, 244 (248ff.); 55, 369 (373); beachte den Vorlagebeschluß des VGH Kassel DVB1. 1982, 363 ff., betr. § 12 BBauG. Vgl. dazu BVerwGE 17, 192 (197 - 198); 55, 369 (373ff.). BVerwG NJW 1957, 1083 ff. (1083 - 1084). Zu den möglichen Fehlerquellen s. Schäfer, NJW 1978, 1292ff.; Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 437 ff. Die Vorschriften gelten außer für Bebauungspläne auch für Flächennutzungspläne und für die aufgrund des Städtebauförderungsgesetzes erlassenen Satzungen (vgl. § 86 StBFG). Vom 6. Juli 1979, BGBl. I, S. 949; s. Überblick von Bröll, BayVBl. 1979, 550ff.; Gubelt, NJW 1979, 2071 ff.; Söfker, ZRP 1979, 92ff.; vgl. auch Gerschlauer, DÖV 1984, 493 ff.

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ab, die Rechtsbeständigkeit eines Bebauungsplans trotz erfolgter Normverstöße durch Heilungsmöglichkeiten (vgl. § 155 a BBauG 170 mit den beiden Heilungstatbeständen: Ablauf der Rügefrist171 und rückwirkende Fehlerkorrektur durch die Gemeinde 172 ) und durch Einschränkung des gerichtlichen Kontrollbereichs im Wege einer normativen Unbedenklichkeitserklärung für enumerativ aufgeführte Rechtsmängel (vgl. § 155 b BBauG 173 ) zu sichern174. Die bisherige Rspr. kann und muß ggf. zwecks verfassungskonformer Auslegung der kontrollhindernden Vorschriften herangezogen werden. So wird man die gesetzliche Anordnung der Unbeachtlichkeit einer unvollständigen Planbegründung (§ 155 b I Nr. 3 BBauG) unter Zugrundelegung der zum alten Recht ergangenen Rspr.175 dahingehend verfassungskonform interpretieren müssen, daß jedenfalls eine in Kernpunkten unzureichende Begründung176 wie eine gänzlich fehlende Begründung 177 betrachtet wird und zur Nichtigkeit des Plans führt178. dd) Außerkrafttreten: Die Geltung des Bebauungsplans ist zeitlich nicht befristet. Er tritt außer Kraft durch förmliche Aufhebung, die im gleichen Verfahren wie die Planaufstellung erfolgt (§ 2 VI BBauG)179. Kommunale Gebietsänderungen berühren seinen Bestand nur unter bestimmten Voraussetzungen180. In Ausnahmefällen kann die Geltung des Bebauungsplans enden durch Bildung von entgegenstehendem Gewohnheitsrecht 181 und durch 170 171 172

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Vgl. dazu Boecker, BauR 1979, 361 ff.; Pagenkopf, BauR 1979, 1 ff. (5ff.). Zur „Geltendmachung" der Rüge s. BVerwG DVB1. 1982, 1095f. Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen einer rückwirkenden Inkraftsetzung nach § 155 a V BBauG s. OVG Lüneburg DVB1. 1980, 241 ff. (242). Vgl. Überblick bei Boecker, BauR 1979, 361 ff. (367ff.); Söflcer, ZfBR 1979, 191 ff.; s. bereits oben Anm. 103 und Anm. 142. Anders als nach § 155 a können nach § 155 b BBauG auch materiellrechtlich bedeutsame Normverstöße geheilt werden. Die Einschränkung der Gerichtskontrolle durch die §§ 155 a — 155 c BBauG ist auf erhebliche verfassungsrechtliche Kritik gestoßen, vgl. statt anderer Grave, BauR 1981, 199ff. (205ff.); Wolfrum. DÖV 1981, 606ff. (610ff.); Battis, DÖV 1981, 433ff.; speziell zu § 155 b II BBauG s. ferner die Nachw. oben Anm. 103. S. BVerwGE 45, 309 ( 3 3 0 - 3 3 1 ) ; BVerwG BRS 24, 24ff. (31); VGH München BayVBl. 1971, 230; OVG Berlin N J W 1980, 1121 ff. (1122). Enger BGH DVB1. 1982, 352; OVG Lüneburg DVB1. 1981, 411 ff.: leerformelhafte Begründung; Bay VGH BayVBl. 1984, 82 f. Hierzu etwa OLG Düsseldorf BauR 1980, 143 ff. (145). In diesem Sinne auch Gubelt, NJW 1979, 2071 ff. (2075); Grave, BauR 1980, 199ff. (203 - 2 0 4 ) ; Schlichter / Stich / Tittel, a . a . O . , § 155 b u. c Rdnr. 7; wohl auch OLG Düsseldorf BauR 1980, 143 (145 unter 0 ; eingehend zur Unbeachtlichkeit von Begründungsmängeln Lemmel, DVB1. 1981, 318 ff. Auch die Beseitigung eines geltungsungewissen Bebauungsplans ist nur durch förmliche Aufhebung möglich, s. OVG Münster NVwZ 1982, 636f.; zur Problematik eingehend Klapdor, BauR 1982, 409ff.; Lenz, BauR 1982, 546ff. Näher dazu BVerwG DVB1. 1977, 41 ff. (42 - 43). BVerwGE 26, 282 (284 - 285). - Die Entstehung eines Bebauungsplans durch Gewohnheitsrecht ist demgegenüber ausgeschlossen; s. BVerwGE 55, 369 (377 — 378), BVerwG DVB1. 1980, 230 ff. (232).

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Funktionsverlust infolge einer grundlegenden und dauerhaften Änderung der tatsächlichen Verhältnisse182. ee) Rechtliche Wirkung: Der Bebauungsplan begründet eine rechtliche Ordnung des Raums im Hinblick auf einen vorgestellten städtebaulichen Zustand. Seine Festsetzungen geben der städtebaulichen Ordnung in der Gemeinde einen rechtlichen Rahmen und setzen ihr rechtliche Grenzen. Sie bilden außerdem die Grundlage für weitere, zum Vollzug des BBauG noch erforderliche Maßnahmen der Gemeinde ( § 8 1 2 BBauG)183. Dabei wirken sie nicht nur in positiver Richtung, indem sie bestimmte Nutzungsformen zulassen, sondern in gewissem Umfang auch in negativer Richtung, indem sie Nutzungsformen ausschließen, die entweder die Verwirklichung des Plans verhindern bzw. wesentlich erschweren würden oder in schwerwiegendem Widerspruch zu dem ausgewiesenen Gebietscharakter stehen184. Nach ihrer traditionellen Konzeption sind die Bebauungspläne „weniger auf Durchführung ihrer Festsetzungen als auf den Ausschluß planwidriger Nutzungen angelegt"185. Sie begründen keine Pflicht der Grundstückseigentümer zur Verwirklichung der festgesetzten Nutzung 186 (etwa zur Bebauung eines als Bauland ausgewiesenen Grundstücks) und gewähren erst recht interessierten Dritten keinen Planvollzugsanspruch 187 . Die Verwirklichung des planerisch festgesetzten Zustands hängt vielmehr davon ab, ob und inwieweit sich die Eigentümer freiwillig zu einer baulichen Nutzung ihrer Grundstücke entschließen oder die zuständige Behörde gewisse aufgrund des Bebauungsplans zulässige Maßnahmen (z. B. Enteignungen) trifft 188 . Der Bebauungsplan nach dem BBauG erweist sich damit im Ausgangspunkt als (bloße) sog. Auffangplanung. Bei der Ausschlußwirkung gegenüber nicht plankonformen Nutzungsarten189 ist eine differenzierende Betrachtung geboten. Grundsätzlich kann die bisherige Nutzung trotz Inkrafttretens des Plans fortgesetzt werden (Ein vorhandenes Gebäude darf weiterhin bewohnt werden, auch wenn das betreffende Grundstück als öffentliche Grünfläche oder als Verkehrsfläche ausgewiesen ist). Auch Nutzungsänderungen bleiben an sich möglich, soweit sie keiner bauaufsichtlichen Genehmigung oder Zustimmung i. S. von § 29 BBauG bedürfen. Jedoch muß dabei eine Störungsgrenze beachtet werden, die sich nach dem Gebietscharakter des jeweiligen Plangebiets bestimmt190. Die zum 1. Januar 1977 in Kraft getretene Novellierung des BBauG hat diese traditionellen Rechtswirkungen des Bebauungsplans bestehen gelassen; 182

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BVerwGE 54, 5 (8ff.); dazu Gronemeyer, DVB1. 1977, 756ff.; vgl. auch OVG Münster BRS 29, 41 f.; OVG Berlin BauR 1980, 239f. Vgl. VGH Mannheim BRS 25, 1 ff. (1 - 2). Dazu s. insbes. BVerwGE 42, 30 (33, 35 - 39); BVerwG DVB1. 1979, 149ff. (150). BVerwG DVB1. 1972, 119ff. (122) - insoweit in BVerwGE 38, 152 nicht abgedruckt. 186 BVerwGE 42, 30 (34). VGH Mannheim BRS 25, 1 ff. (1). 188 Vgl. BVerwG DVB1. 1972, 119ff. (122). Grundlegend dazu BVerwGE 25, 243. 190 Näher BVerwGE 42, 30 (35 - 39).

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sie hat aber darüber hinaus den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, unter bestimmten Voraussetzungen (§ 39 a BBauG) eine Reihe von Planverwirklichungsgeboten™1 auszusprechen, mit deren Hilfe Grundstückseigentümer positiv zur Verwirklichung der im Plan festgesetzten Nutzungsformen angehalten werden können 192 . Die Regelung knüpft an §§ 19 — 21 StBFG an und entwickelt die dort für Sanierungsgebiete eingeführten Gebotsmöglichkeiten zu einem allgemein geltenden Institut weiter. Im einzelnen sind vorgesehen ein Bebauungsgebot (§ 39b I BBauG)193, ein Nutzungsgebot (§ 39c BBauG), ein Pflanzgebot (§ 39b VIII BBauG), ein Abbruchgebot (§39d BBauG), ein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot (§39e BBauG) sowie die Begründung einer Pflicht zur Erhaltung von baulichen Anlagen (§ 39 h BBauG)194. Die Anordnung von Geboten nach § 39 b bis § 39 e BBauG setzt jeweils voraus, daß die alsbaldige Durchführung der Maßnahme aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist (§ 39 a II BBauG). Eine Reihe von Regelungen sollen, namentlich aus Gründen der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie, Vorsorge dafür treffen, daß dem Eigentümer aus der Durchführung der Gebote keine unzumutbaren Belastungen erwachsen (Anspruch auf Übernahme des Grundstücks durch die Gemeinde: §§ 39b II, 39c III BBauG; Anspruch auf Entschädigung: § 39d III 1 BBauG; Anspruch auf Erstattung von anderweit nicht gedeckten Aufwendungen: § 39e IV BBauG i. V. m. § 43 1 - 1 1 1 StBFG). Der eigentümliche Regelungsgehalt des Bebauungsplans bereitet bei der Bestimmung seiner Rechtsnatur, d. h. bei seiner Einordnung in das System der verwaltungsrechtlichen Rechtsformen, erhebliche Schwierigkeiten195. Es wurden hier ursprünglich mehrere Auffassungen vertreten. Teilweise hat man ihn als Verwaltungsakt196, teilweise als Rechtsnorm197 qualifiziert; andere haben ihn schlicht als ein unter keine dieser beiden Kategorien fallendes aliudm bezeichnet. Die heute nahezu einhellige Meinung geht von einem Rechtsnormcharakter des Bebauungsplans aus199. Dem entspricht die in § 10 BBauG angeordne-

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Dazu Neuhausen, NJW 1977, 784ff.; Schmidt-Aßmann, Stadtbauwelt 1974, 13ff. Zu den Grenzen derartiger Gebotsnormen vgl. Friauf, DWW 1976, 144 ff. Näher dazu Lücke, Das Baugebot — ein wirksames Instrument des Bodenrechts?, 1980; Weyreuther, BauR 1974, 7 ff. Hierzu LG München NVwZ 1982, 59f.; OVG Lüneburg NVwZ 1983, 557ff. (558f.); Battis / Krieger, DVB1. 1981, 479ff. Vgl. dazu näher die Referate von Itnboden und Obermayer. Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, W D S t R L 18 (1960), S. 113 ff. Z. B. VGH Stuttgart DÖV 1954, 663 ff. (664) = ESVGH 4, 64 (65 - 66). So schon das preuß. OVG; z. B. OVG 25, 387ff. (390). Forsthoff, DVB1. 1957, 113 ff. (115). BVerwGE 26, 282 (283); Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, 1968, S. 65; Brohm, Rechtsschutz im Bauplanungsrecht, 1960, S. 43ff.; weitere Nachw. bei Schmidt-Aßmann, Grundfragen, a. a. O., S. 63 — 64 (Fn. 2, 3).

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te Verabschiedung des Bebauungsplans als Satzung im formellen Sinn (die freilich die Frage der materiellen Qualifizierung nicht abschließend entscheiden kann) und die seit 1977 bundesrechtlich eingeführte verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gegenüber Bebauungsplänen 200 . Mit der obligatorischen Einführung der Normenkontrolle hat das Qualifizierungsproblem weitgehend201 an praktischer Bedeutung verloren, so daß es hier nicht weiter vertieft zu werden braucht 202 . Auch wenn der h. M. vom Normcharakter des Bebauungsplans gefolgt werden soll, so bleibt doch festzuhalten, daß er sich als ausgesprochen untypische Rechtsnorm erweist. Anders als die typische Norm trifft er seine Regelung nicht abstrakt-generell, sondern „konkret-individuell und damit sozusagen im Angesicht der konkreten Sachlage"203. Er bündelt allenfalls Einzelentscheidungen, die sich jeweils konkret auf einzelne Grundstücke beziehen204. Damit steht er sachlich einem Verwaltungsakt i. S. von § 35 VwVfG recht nahe. Der Bebauungsplan enthält, im Gegensatz zum Flächennutzungsplan, nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers „rechtsverbindliche Festsetzungen"205. Seine Verbindlichkeit wirkt sowohl innerhalb der Behördenhierarchie als auch unmittelbar gegenüber dem einzelnen Bürger. Dabei handelt es sich, entsprechend dem ihm vom BBauG beigelegten „Charakter als allgemeinverbindlicher Rechtssatz", um eine rechtssatzmäßige Bindung206. Der Plan ist damit normativer Maßstab für die Rechtmäßigkeit aller hoheitlichen Maßnahmen, die zwar nicht in Anwendung unmittelbar baurechtlicher Vorschriften ergehen, aber auf die durch ihn rechtsverbindlich festgesetzte städtebauliche Ordnung Einfluß nehmen oder auf ihr beruhen 207 . Der Bebauungsplan ist von allen Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu beachten. Erteilt die Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung, bei der die planerischen Festsetzungen nicht beachtet sind, oder holt sie das gesetzlich vorgesehene Einvernehmen der Gemeinde (vgl. §§ 31 I, II 1, 36 I 1 BBauG) nicht ein, dann steht der Gemeinde ein Anfechtungsrecht zu208. Für den einzelnen Bürger wirkt sich der Bebauungsplan vor allem dadurch aus, daß ein Bauvorhaben in seinem Geltungsbereich (nur) zulässig ist, wenn es seinen Festsetzungen nicht widerspricht und wenn die Erschließung des Baugrundstücks gesichert ist. Diese Vorschrift beinhaltet nicht nur eine ver200 201 202 203 205 206 207 208

§ 47 I Nr. 1 VwGO n. F. (dazu unten Abschnitt ff). Beachte aber Niehues, DVB1. 1982, 318ff. (321 ff.). Näher dazu die 4. Aufl. dieses Beitrags, S. 462 - 463. BVerwGE 50, 114 (119); 40, 268 (272); vgl. auch Korbmacher, DÖV 1978, 589ff. (591). 204 Stelkens/Pagenkopf, DVB1. 1977, 668ff. (669). § 8 1 1 BBauG. Näher Götz, Bauleitplanung u. Eigentum, 1969, S. 21 - 38. BVerwG DVBI. 1975, 492ff. (493) - insoweit in BVerwGE 47, 144 nicht abgedruckt; vgl. auch BVerwGE 25, 243 (250). BVerwG DVBI. 1975, 492ff. (493); vgl. auch OVG Münster BRS 28, 215ff. (218); OVG Saarlouis DÖV 1977, 336 Nr. 46 = BRS 30 Nr. 14. BVerwGE 22, 342 (347); BVerwG DVBI. 1966, 181 f.; OVG Lüneburg DVBI. 1966, 185 f.

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fahrensmäßige Bindung der Behörden, die über die Erteilung der Bauerlaubnis zu entscheiden haben. Sie regelt vielmehr zugleich die materiell-rechtliche Stellung des einzelnen Baulustigen. Der Bebauungsplan wirkt vermittels § 30 BBauG unmittelbar gestaltend auf die rechtliche Bebaubarkeit der betroffenen Grundstücke ein209. Deshalb wäre die Errichtung eines von ihm abweichenden Bauwerks materiell baurechtswidrig. § 30 BBauG betrifft allerdings nur die sog. qualifizierten Bebauungspläne, die ein Mindestmaß an bestimmten Festsetzungen enthalten. Daneben ist aber auch der nichtqualifizierte Bebauungsplan, der nicht den Mindestinhalt des § 30 BBauG aufweist, rechtsverbindlich gemäß § 8 I BBauG. Er ist ebenfalls im Baugenehmigungsverfahren zu beachten 210 . Bedeutung erlangt er u. a. bei der Frage, ob ein Bauvorhaben im nicht qualifiziert beplanten Innenbereich unbedenklich ist (§34 BBauG)211 oder ob einem Vorhaben im Außenbereich öffentliche Belange i. S. von § 35 BBauG entgegenstehen212. f f ) Rechtsbehelfe gegen den Bebauungsplan: In den Ländern, die die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO nicht eingeführt hatten, bereitete die Frage eines Rechtsschutzes gegen Ausweisungen des Bebauungsplans früher erhebliche Probleme. Nach h. M. waren die betroffenen Eigentümer auf eine Inzidentkontrolle im Rahmen eines konkreten Verfahrens auf Erteilung einer Bauerlaubnis oder eines Vorbescheids beschränkt 213 . Seit dem 1. Januar 1977 unterliegen dagegen nach §47 I Nr. 1 VwGO214 bundeseinheitlich die auf der Grundlage des BBauG und des StBFG erlassenen Satzungen, somit auch die Bebauungspläne, der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle 215 . Zuständig für das Verfahren ist das OVG, das in bestimmten Fällen dem BVerwG vorlegen216 kann (§ 47 I, V VwGO). Im Normenkontrollverfahren kann die Vereinbarkeit des Bebauungsplans sowohl mit Landesrecht als auch mit Bundesrecht geprüft werden217. Als bundesrechtliche Prüfungsmaßstäbe kommen in erster Linie die Vorschriften des BBauG218, daneben aber auch alle anderen bundesrechtlichen Rechtsnormen

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VGH Stuttgart ESVGH 6, 200ff. (206). 2 1 0 BVerwGE 25, 243 (250 - 251). BVerwGE 19, 164 (166 - 167). - Seit der Novelle von 1976 kommt dies unmittelbar im Wortlaut des § 34 I BBauG zum Ausdruck. OVG Münster BauR 1970, 223 f. Zum damaligen Streitstand s. die 4. Aufl. dieses Beitrags, S. 464 — 466; ferner Oldiges, WiR 1974, 277 ff., mit eingehenden Nachweisen. i. d. F. des G vom 24. 8. 1976, BGBl. I S. 2437. Näher dazu Rasch, BauR 1977, 148ff.; Birk, BayVBl. 1976, 744ff.; Stich, DVB1. 1982, 173 ff. — Zu den Konsequenzen der Regelung für den Nachbarschutz s. Groth, DVB1. 1979, 179ff. Näher Zuck, DVB1. 1978, 166 ff. Ganz überwiegende Meinung in Rspr. und Schrifttum. Vgl. Ute, VerwaltungsprozeßR, 8. Aufl. 1983, S. 156 mit weit. Nachw. So auch VGH München BayVBl. 1971, l l l f . ; OVG Lüneburg NJW 1969, 2219f. (2220); a. A.: OVG Bremen NJW 1970, 877.

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einschließlich der Grundrechte 219 und sonstiger Verfassungsbestimmungen in Betracht. Antragsberechtigt 220 ist jede natürliche oder juristische Person, die durch den Bebauungsplan bzw. seine Anwendung einen Nachteil erlitten oder zu erwarten hat, die also negativ in einem Interesse betroffen wird bzw. werden kann, das bei der Planaufstellung als abwägungserheblich berücksichtigt werden mußte221. Antragsberechtigt ist außerdem jede Behörde (§ 47 II 1 VwGO), namentlich auch die Baugenehmigungsbehörde 222 . In diesem Rahmen kann auch eine Gemeinde den von einer Nachbargemeinde beschlossenen Bebauungsplan angreifen 223 . Bis zur Entscheidung des OVG kann die Durchführung des Bebauungsplans durch eine einstweilige Anordnung gemäß § 47 VII VwGO blockiert werden224. Ein vorbeugender Rechtsschutz durch Unterlassungsklage gegen den Erlaß eines erst beabsichtigten Bebauungsplans ist an sich prozessual zulässig. Im Regelfall wird es allerdings an einem entsprechenden materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch fehlen225. d) Die förmlichen Festlegungen nach dem Städtebauförderungsgesetz: Die im StBFG vorgesehenen Pläne legen jeweils ein Gebiet fest, in dem besondere städtebauliche Gründe den Einsatz der besonderen Maßnahmen nach dem StBFG erfordern. Das Gesetz unterscheidet zwischen Sanierungs- (§ 1 II StBFG) und Entwicklungsmaßnahmen (§ 1 III StBFG) sowie dementsprechend zwischen Sanierungsgebieten (§§ 3 ff. StBFG) und Entwicklungsbereichen (§§ 53 ff. StBFG). Sanierungsmaßnahmen dienen zur Behebung von städtebaulichen Mißständen, namentlich durch Beseitigung von baulichen Anlagen und Neubebauung oder durch Modernisierung des vorhandenen Baubestandes. Durch Entwicklungsmaßnahmen sollen neue Orte bzw. Ortsteile geschaffen oder vorhandene Orte zu neuen Siedlungseinheiten entwickelt werden. Im Zusammenhang mit Sanierungsgebieten können, soweit das zur Durchführung der 219

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§ 471 VwGO n. F. hat den in § 47 S. 1 VwGO a. F. enthaltenen Vorbehalt zugunsten der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht übernommen; Rasch, BauR 1977, 148ff. (150). Damit sind die hieran anknüpfenden Rechtsfragen, namentlich der Streit zwischen der sog. konkreten und der sog. abstrakten Betrachtungsweise (vgl. dazu Bachof, NJW 1968, 1065 ff.) obsolet geworden. Zu den Voraussetzungen der Antragsberechtigung grundlegend BVerwGE 59, 87 (94ff.); s. ferner OVG Koblenz BauR 1980, 444ff. (445); OVG Münster NJW 1982, 1171. Zu dem weiterhin erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis s. OVG Berlin BauR 1980, 536 ff. (537 ff.). Zur Normenkontrolle gegen verwirklichte Bebauungspläne s. OVG Koblenz NJW 1982, 1170 f. BVerwGE 59, 87 (94); hierzu aus dem teils sehr krit. Schrifttum Skouris, DVBI. 1980, 315 ff.; Brohm, NJW 1981, 1689 ff. OVG Münster DVBI. 1979, 193f.; s. auch OVG Bremen DVBI. 1980, 369. VGH Mannheim NJW 1977, 1465 = BRS 30 Nr. 24. Vgl. VGH Mannheim NJW 1977, 1212f; Schenke, DVBI. 1979, 169ff. Dazu BVerwGE 54, 211 (214ff., 217 - 218); vgl. auch BVerwGE 40, 323 (325ff.).

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Maßnahmen erforderlich ist, Ersatz- und Ergänzungsgebiete festgelegt werden (§ 11 StBFG). Soweit ein städtebaulicher Entwicklungsbereich Gebiete einschließt, die bereits im Zusammenhang bebaut sind, können diese als sog. Anpassungsgeb'iete festgelegt werden (§ 62 StBFG). Die Zuständigkeit für die förmliche Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs liegt, da hier überörtliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen und vielfach mehrere Gemeinden beteiligt sein werden, bei der Landesregierung (§ 53 I StBFG). Sanierungsgebiete, Ersatz- und Ergänzungsgebiete sowie Anpassungsgebiete sind dagegen von den Gemeinden festzulegen (§§ 3 I, 11 I, 62 StBFG) 226 . Sämtliche Gebietsfestlegungen nach dem StBFG ergehen im Verfahren der Normsetzung, bei den in die gemeindliche Zuständigkeit fallenden Maßnahmen durch Satzung (§§ 5 I, 11 I 2, 62 S. 3 StBFG), bei der Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs durch Rechtsverordnung (§ 53 I StBFG) 227 . Die Festlegungen sind auch inhaltlich als Rechtsnormen zu qualifizieren228. Sie überführen die betroffenen Flächen aus dem Regime der (allgemeinen) Regelungen des BBauG in die (besondere) Rechtslage, die das StBFG für die einzelnen Gebietsarten anordnet 229 . An die förmliche Festlegung knüpft sich eine Reihe von unmittelbaren Rechtswirkungen. Insbesondere schafft sie die Grundlage für die Anwendung der §§ 17 ff. StBFG (Vorkaufs- und Grunderwerbsrecht der Gemeinden, besondere Enteignungs- und Entschädigungsregeln). Ferner tritt die Pflicht der Gemeinden zum Erlaß von qualifizierten Bebauungsplänen nach §§ 10 I, 54 I 2 StBFG ein. Für den Rechtsschutz gegenüber Gebiets- und Bereichsfestlegung gelten die Ausführungen zum Rechtsschutz gegenüber Bebauungsplänen 230 entsprechend. 4. Die bauplanerische Zulässigkeit von Bauvorhaben Der zentrale Zweck des gesamten Bauplanungsrechts, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke auf der Grundlage von bestimmten Ordnungsprinzipien zu lenken, wird bei der Zulassung der einzelnen Bauvorhaben aktualisiert. Dabei greifen materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Regelungen ineinander, um die plankonforme Durchführung der Baumaßnahmen sicherzustellen. Die ZulässigkeitsVorschriften des Bauplanungsrechts 231 gelten nach § 29 BBauG für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsände226 227 228 229 231

Zu den materiellen Voraussetzungen der Maßnahme s. BGHZ 77, 338 (342 f.). Vgl. dazu OVG Lüneburg NJW 1976, 2281 ff. Dazu s. im einzelnen die Untersuchung von Oldiges, WiR 1974, 277 ff. (281 - 285). Näher dazu Bielenberg, StBFG, Einl. B, Rdnr. 76ff; zur Sanierungssatzung BVerwG DVB1. 1979, 153 ff. (154 - 155). 230 Oben unter II 3 c, ff. Neben ihnen sind im Einzelfall stets die Regeln über die bauordnungsrechtliche Zalässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Vgl. oben Abschn. I 3 d und unten Abschn. III.

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baulichen Anlagen232 zum Inhalt haben und die einer bauaufsichtlichen Genehmigung oder Zustimmung bedürfen oder der Bauaufsichtsbehörde angezeigt werden müssen, ferner im wesentlichen auch für Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs 232 " sowie für Ausschachtungen. Der demnach maßgebliche Begriff der baulichen Anlage ist als bundesrechtlich geprägter Begriff eigenständig gegenüber dem entsprechenden bauordnungsrechtlichen Begriff des Landesrechts; er stimmt mit ihm inhaltlich allerdings weitgehend, wenn auch nicht vollständig, überein 233 . Nach der Rechtsprechung wird er bestimmt durch das empirische Merkmal des Bauens (Schaffen von Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden sind) und das wertende Merkmal der planungsrechtlichen Relevanz im Hinblick auf die in § 1 VI BBauG genannten Belange234. Entsprechend seiner Zwecksetzung wird der Begriff recht weit gefaßt 235 . run g23ia v o n

a) Materiellrechtliche Zulässigkeit: Die materiellrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens beurteilt sich nach §§ 30 — 35 BBauG. Dabei werden drei Fallgruppen unterschieden: Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 BBauG), Vorhaben innerhalb eines nicht beplanten, aber im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BBauG) und Vorhaben im Außenbereich (§ 35 BBauG). Daneben erkennt die Rechtsprechung aus verfassungsrechtlichen Gründen noch zwei ungeschriebene Zulassungstatbestände an236. aa) Im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans: Vorhaben im Bereich eines sog. qualifizierten Bebauungsplans, der mindestens die in § 30 BBauG genannten Festsetzungen enthält, sind zulässig, wenn sie den Festsetzungen nicht widersprechen und die Erschließung237 gesichert ist238. Hat die Gemeinde beschlossen, für ein bestimmtes Gebiet einen qualifizierten Bebauungsplan aufzustellen (erstmals oder in Abänderung eines älte231 a

Zur Nutzungsänderung vgl. z. B. BVerwG BauR 1983, 443. Hins. Abbruch s. OVG Münster NJW 1983, 2598 f. 232a Dazu BVerwG NVwZ 1984, 303 ff. 233 BVerwGE 39, 154 (156 - 158); Ortloff, NVwZ 1984, 279 ff. (280). 234 Grundlegend BVerwGE 44, 59 (61 - 64); BVerwG DVB1. 1975, 497 f. (498). 235 Vgl. die Beispiele BVerwGE 44, 59: dauerhaft verankertes Hausboot; BVerwG DVB1. 1975, 497f.: hölzerne Podestplatten für Zelte; BVerwG DÖV 1977, 326f.: Tragluftschwimmhalle; BVerwGE 55, 118 (126): lose geschichtete Roste für Kabelabbrennungen; OVG Münster BRS 25, 256f.: befestigter Kfz-Abstellplatz; OVG Koblenz BRS 25, 257ff.: Lagerplatz für Autowracks; OVG Münster BRS 28, 110ff.: periodisch aufgestellter Bienenwagen; OVG Münster BauR 1975, 113f.: Freischwimmbecken. 236 Dazu unter dd), ee). 237 Dazu Creutz, BauR 1977, 237 ff. - Zur Bedeutung der (vollen) Erschließung für die Bebaubarkeit vgl. BVerwG BauR 1975, 253ff. ( 2 5 5 - 2 5 6 ) ; zur Frage der gemeindlichen Erschließungspflicht und eines Erschließungsanspruchs des Baulustigen BVerwG DVB1. 1982, 540 ff. 238 Die Zulässigkeit von Vorhaben im Bereich eines nicht qualifizierten Bebauungsplans bestimmt sich dagegen nach § 34 bzw. § 35 BBauG; vgl. BVerwG DVB1. 1977, 194 ff. (196). 232

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ren Bebauungsplans), dann sind Vorhaben nach der „Vorgriffsregelung" des § 33 BBauG 239 zulässig, soweit nach dem Stand der Planungsarbeiten anzunehmen ist, daß sie den künftigen planerischen Festsetzungen nicht zuwiderlaufen 240 . Voraussetzung dafür ist, daß die endgültige Planung sich bereits mit hinreichender Sicherheit abzeichnet („Planreife"). Da das Planaufstellungsverfahren als solches keine Bausperre bewirkt, kann daneben — je nach Sachlage — auch aufgrund von § 30, § 34 oder § 35 BBauG gebaut werden. Stellt sich aufgrund einer (Nachbar-)Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung heraus, daß der zugrunde liegende Bebauungsplan nichtig ist, dann muß die Rechtmäßigkeit des Vorhabens ebenfalls — je nach Sachlage — anhand von § 34 oder § 35 BBauG beurteilt werden 241 . bb) In nicht beplanten, im Zusammenhang bebauten Ortsteilen. ln Gebieten, für die die Gemeinde noch nicht beschlossen hat, einen qualifizierten Bebauungsplan aufzustellen, oder für die die Aufstellung eines solchen Plans nicht erforderlich erscheint, ist nach § 34 I BBauG innerhalb der im Zusammenhang bebauten 242 Ortsteile 243 ein Vorhaben zulässig, wenn es den Festsetzungen eines etwa vorhandenen nicht qualifizierten Bebauungsplans nicht widerspricht, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, nach Bauweise und zu überbauender Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung unter Berücksichtigung der für die Landschaft charakteristischen Siedlungsstruktur einfügt, wenn ferner die Erschließung gesichert ist und sonstige öffentliche Belange 244 nicht entgegenstehen 245 . Nach § 34 III BBauG müssen außerdem die Baugebietskriterien der BaunutzVO, die jeweils auf die nähere Umgebung zutreffen, beachtet werden 246 . Das Fehlen eines die Bebauung lenkenden Plans i. S. § 30 BBauG wird hier vom Gesetzgeber für unschädlich gehalten, weil insoweit die bereits vorhandene Bebauung Richtung und Grenzen des Zulässigen aufzeigt 247 . Sie wirkt 239 240 241 242

243 244 245 246

247

Dazu Grundsatzentscheidungen BVerwGE 20, 127 und BVerwG BRS 22, 75 ff. Vgl. auch Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 902 ff. Näher zu dieser Voraussetzung VGH Mannheim BRS 27, 68 ff. ( 6 9 - 7 0 ) ; VGH Kassel BRS 28, 90 f. BVerwG DVB1. 1971, 746ff. (747-748); BVerwGE 45, 309 (329); VGH Kassel BRS 25, 64ff. (65). Zur Bestimmung des maßgeblichen Bebauungszusammenhangs s. BVerwGE 31, 20 (21 - 22); 35, 256 (257); BVerwG BRS 25, 95 ff. (97 - 99); BVerwG BRS 27, 128 ff. (132 - 133); BVerwG DVB1. 1975, 509ff. (510); BVerwG NJW 1976, 1855f. Zum Vorliegen eines Ortsteils i. S. von § 34 BBauG s. BVerwG BauR 1973, 294f.; BVerwG BRS 25, 1 lOff. (112). S. hierzu BVerwGE 55, 272 (276ff.); 62, 151 (152f.); BGH DÖV 1984, 213f.; eingehend Weyreuther, BauR 1981, lff.; Seewald, NJW 1978, 345ff. Dazu Dohle, NJW 1977, 1372ff., Schmidt-Eichstaedt, JZ 1978, 12ff. So die h. M. vom Ergänzungsverhältnis der Abs. I und III des § 34 BBauG. Vgl. BVerwG NJW 1980, 605f. (605); BVerwG NVwZ 1982, 312f.; a. A. Geizer, in: Fs. f. Ernst, 1980, S. 149 ff. Vgl. insbes. BVerwGE 41, 227 (235); BVerwG BRS 27, 128ff. (133 - 134).

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als „Planersatz" 248 . Daraus folgt zwangsläufig, daß eine Zulässigkeit nach § 34 BBauG nur dort in Betracht kommen kann, wo das Baugrundstück durch seine Umgebung tatsächlich in bestimmter Weise geprägt ist249. Im Vergleich zu der früheren Fassung des § 34 BBauG. die eine bloße „Unbedenklichkeit" des Vorhabens nach der vorhandenen Bebauung verlangte und die zudem von der Rechtsprechung recht großzügig ausgelegt wurde 250 , hat die Neufassung die Anforderungen deutlich verschärft 251 . Während es früher genügte, daß das neue Vorhaben die vorhandene Situation nicht oder nur geringfügig verschlechterte und demnach keinen „bodenrechtlich relevanten Widerspruch" hervorrief — so daß der Gebietscharakter schrittweise verändert werden konnte 252 —, wird nunmehr eine stärker positive Entsprechung 253 , eine bejahende Rücksichtnahme auf die Eigenart der näheren Umgebung 254 , gefordert. Entspricht die nähere Umgebung einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete und wäre das Vorhaben nach ihr nicht zulässig, so ist es nicht genehmigungsfähig 2543 . Das BVerwG hat in seiner grundlegenden Entscheidung zu § 34 BBauG n. F.255 einen hochdifferenzierten Kriterienkatalog entwickelt, anhand dessen das Vorliegen des Merkmals der Einfügung beurteilt werden soll. Er läßt sich auf folgende vereinfachende Formeln bringen 256 : Ein Vorhaben fügt sich ein, wenn es sich innerhalb des sich aus der jeweils beachtlichen Umgebung ableitbaren Rahmens der vorhandenen Bebauung 257 hält; dabei zielt das Erfordernis des Einfügens weniger auf „Einheitlichkeit" als auf „Harmonie". Trotz Beachtung des maßgebenden Rahmens fügt ein Vorhaben sich allerdings dann nicht ein, wenn es die gebotene Rücksichtnahme 258 , insbesondere auf 248

BVerwGE 32, 173 (176). 2 4 9 Dazu BVerwG BRS 25,95 ff. (99 - 100). Grundlegend BVerwGE 32, 31 (32 - 33); s. ferner BVerwGE 32, 173 (176 - 177); 35, 256 (259 - 260); 44, 302 (304 - 306); BVerwG DVB1. 1975, 509ff. (510). 251 BVerwGE 55, 369 (381); Battis / Schrödter, DVB1. 1977, 160ff. (167f.), dort auch zur Frage der Vereinbarkeit der Neuregelung mit Art. 14 GG; dazu auch BVerwG NJW 1981, 776. 252 Vgl. Sendler, BauR 1970, 74 ff. (77). - Im Extremfall konnten die zuerst vorhandenen Bauwerke am Ende zu Fremdkörpern im eigenen Gebiet werden, so daß ihre bauliche Änderung oder Erweiterung an § 34 BBauG scheiterte, vgl. VGH Mannheim BRS 27, 79 ff. 253 Dohle, NJW 1977, 1372ff. (1373); Vogel, BauR 1977, 6ff. (6). 254 OVG Saarlouis DÖV 1977, 833 ff. (834). 254a BVerwG DVB1. 1984, 340ff. (341). 255 BVerwGE 55, 369 (insbes. 378ff., 381 ff.); fortgeführt in BVerwG BauR 1980, 446ff. (447) u. BauR 1981, 170ff. (171 f.); BVerwG NJW 1983, 2713ff. (2715): u. a.; beach256 te ferner BVerwGE 62, 250 (251 f.). BVerwGE 55, 369 (384 - 387). 257 Zur Ermittlung des relevanten Rahmens im Einzelfall s. BVerwGE 55, 369 (384 — 385); eingehend Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 1026, 1032 ff. 258 Vgl. z. B. OVG Münster BRS 32, 273 ff. Das Gebot der Rücksichtnahme zählt also — anders als im Rahmen des § 35 BBauG — nicht zu den öffentlichen Belangen, sondern ist Kriterium für das „Einfügen"; s. (klarstellend) BVerwG DVB1. 1981, 928ff. (929); BVerwG NJW 1983, 2460f., dort auch zu einer bedeutsamen Ausnahme. 250

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die in seiner unmittelbaren Nachbarschaft vorhandene Bebauung, vermissen läßt. Andererseits kann sich ein Vorhaben trotz Überschreitung des vorgegebenen Rahmens im Einzelfall gleichwohl noch in seine Umgebung einfügen, sofern es keine planungsrechtlich bedeutsamen Spannungen schafft bzw. bereits vorhandene Spannungen erhöht. cc) Im Außenbereich: Das BBauG geht davon aus, daß der Außenbereich 259 im Regelfall von Bebauung freizuhalten ist 260 und nur für bestimmte Nutzungsarten zur Verfügung steht 261 . § 35 BBauG unterscheidet zwei Gruppen: die sog. privilegierten Vorhaben, die unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetzes im Außenbereich zulässig sind (Abs. I Nr. 1 — 5) und die sonstigen Vorhaben, die im Einzelfall zugelassen werden können (Abs. II) 262 . Privilegiert sind Vorhaben, die einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienen 263 und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnehmen (§ 35 I Nr. 1 BBauG), die einem ehemaligen Landwirt nach Hofübergabe zu Wohnzwecken dienen (Nr. 2), die einer Landarbeiterstelle dienen (Nr. 3), die dem Fernmeldewesen, der öffentlichen Energie- und Wasserversorgung 264 der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb 265 dienen (Nr. 4) 266 oder die aus bestimmten Gründen nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen (Nr. 5)267. Sie sind planungsrechtlich in den Außenbereich verwiesen, so daß letztlich der Außenbereichscharakter eine

259

260 261 262 263

264 265 266 267

Zum Außenbereich i. S. von § 35 BBauG gehören alle Flächen, die weder von § 30 noch von § 34 BBauG erfaßt werden; BVerwG BRS 25, 95ff. (97). Zur Abgrenzung von Innen- und Außenbereich s. BVerwG BRS 20, 66 f. (67); BVerwG DVB1. 1972, 684f. (684). § 34 II BBauG läßt für Grenz- und Zweifelsfälle die satzungsmäßige Qualifizierung eines Gebiets als Innenbereich zu ; s. dazu VGH München Bay VB1. 1981, 340; OVG Saarlouis NVwZ 1982, 125 f. (126). Vgl. BVerwGE 27, 137 (139); BVerwG DÖV 1974, 566f. (567). Zusammenfassend s. Stich, in: Stadtplanung, Erschließung, Wohnungsbau, 1974, S. 97ff.; Schlez, JZ 1974, 699ff.; Simon, BayVBl. 1974, 601 ff. Eingehender Überblick bei Weyreuther, Bauen im Außenbereich, 1979. Vgl. zur Abgrenzung etwa BVerwG BRS 24, 87f.; BVerwG BRS 25, 137ff.; BVerwG BauR 1975, 104ff.; VGH Mannheim BRS 25, 144f.; VGH München BRS 27, 94f.; Überblick bei Franke, AgrarR 1983, 321 ff. (324ff.). Dazu BVerwG DÖV 1977, 328 ff. (330 - 331). Dazu grundsätzlich BVerwGE 50, 346 (349 - 352). Zum Merkmal des „Dienens" s. BVerwG NVwZ 1984, 303 ff. (304). Dazu grundlegend BVerwGE 34, 1 (2 - 4); BVerwGE 48, 109 (110 - 116); BVerwG DVB1. 1977, 198ff. (199f.); BVerwG NJW 1983, 2716ff. (2716); BVerwG DÖV 1984, 294f. (295). Hier ist ein strenger Maßstab erforderlich. Zur umstr. Frage einer Privilegierung von Großvorhaben, namentlich (Kern-)Kraftwerken, nach § 35 I Nr. 4, 5 BBauG s. Hoppe, NJW 1978, 1229ff.; Dolde, NJW 1983, 792ff.; OVG Lüneburg DVB1. 1978, 67 ff. (71), betr. KKW, und NVwZ 1982, 256 ff. (259 f.), betr. „Zwischenlager Gorleben". Vorhaben, von denen das Unvermeidbare überschreitende nachteilige Umweltein Wirkungen ausgehen, sind nicht privilegiert; BVerwGE 55, 118 (127).

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„planähnliche Funktion" erfüllt268. Dabei muß die Eigenart des jeweils betroffenen Gebiets berücksichtigt werden; auch privilegierte Vorhaben sind nicht unbedingt an jeder beliebigen Stelle zulässig269. Essentiale der Privilegierung ist jeweils eine bestimmte Nutzungsart, also die bauliche Anlage gerade in ihrer privilegierten Funktion 270 . Daraus ergeben sich erhebliche Probleme in den Fällen eines durch die wirtschaftliche Entwicklung erzwungenen Strukturwandels, vor allem im Agrarbereich271. Ihnen trägt der durch die Novelle 1976 eingeführte § 35 IV BBauG in begrenztem Rahmen Rechnung, indem er Nutzungsänderungen, die nicht mit einer wesentlichen Änderung 272 der bisher privilegierten baulichen Anlage verbunden sind, von verschiedenen rechtlichen Beschränkungen freistellt273. Durch die Novelle 1976 sind außerdem, noch über den bereits zuvor von der Rspr. entwickelten Bestandsschutz274 hinaus, Ersatzbauten im Außenbereich zugelassen, und zwar einmal für ehemals privilegierte Gebäude, die nicht mehr sanierungsfähig sind (§ 35 V 1 Nr. 1 BBauG), und zum anderen für nicht privilegierte, aber ehedem zulässigerweise275 errichtete Gebäude, die durch höhere Gewalt bzw. durch außergewöhnliche Ereignisse276 zerstört worden sind (§ 35 V 1 Nr. 2 BBauG). Dabei wird allerdings eine hinreichende Vergleichbarkeit des Ersatzbaus mit dem alten Gebäude 277 vorausgesetzt278. Die Novelle 1979 hat § 35 BBauG nochmals um einige Zulassungstatbestände erweitert. Hervorzuheben ist namentlich die Erleichterung für bauliche Erweiterungen eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung notwendig ist, um die Fortführung des Betriebs zu sichern (§ 35 V 1 Nr. 5 BBauG)279. Bei den privilegierten Vorhaben besteht ein Genehmigungsanspruch, wenn

268 269

271 272 273 274 275

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Vgl. BVerwGE 28, 148 (150 - 152); BVerwG DÖV 1974, 566 f. (567). Zur Maßgeblichkeit von Standortaussagen in Raumordnungsprogrammen und Flächennutzungsplänen s. BVerwG NVwZ 1984, 367 ff. (368); vgl. auch OVG Lüneburg BRS 24, 114 ff. (115). 270 BVerwGE 47, 185 (188). Vgl. OVG Münster BRS 27, 92ff. und BRS 28, 122ff.; enger BVerwGE 47, 185; s. eingehend Geizer, BauR 1970, 207ff. sowie Schmaltz, AgrarR 1975, 29ff. Zum Begriff der „wesentlichen" Änderung s. BVerwGE 61, 112 (114ff.); OVG Münster BauR 1979, 307f. und 309f.; Grave, BauR 1979, 286ff. Zu Einzelheiten s. BVerwGE 61, 112 (114-123); BVerwG NJW 1983, 949f.; BVerwG DÖV 1984, 293f.; Lau / Oebbecke, BauR 1977, 384ff. Dazu unter dd). Hierzu BVerwGE 58, 124 (126f.): Formelle Legalität reicht aus; bei Fehlen einer Baugenehmigung hängt die Anwendbarkeit der Vorschrift davon ab, ob das zerstörte Gebäude wegen materieller Legalität Bestandsschutz genoß. Vgl. dazu BVerwGE 62, 32 (35f.); BVerwG NVwZ 1982, 374f.; OVG Münster NJW 1978, 236f. (236); OVG Lüneburg BauR 1980, 154f. Hierzu BVerwGE 58, 124 (129ff.); 61, 290 (293f.). Eingehend zu den Tatbeständen Weyreuther, a. a. O., S. 194 - 210, 216 - 224; Bleicher, DVB1. 1980, 667ff.; Dyong, NVwZ 1982, 354ff. Hierzu BVerwG Buchholz 406.11 § 35 Nr. 165; Lau, BauR 1981, 420ff.

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ihnen im Einzelfall keine öffentlichen Belange 280 entgegenstehen 281 und die ausreichende Erschließung gesichert ist. Dagegen können die nichtprivilegierten, „sonstigen" Vorhaben nach § 35 II BBauG lediglich durch eine Ermessensentscheidung im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. In beiden Fällen ist eine Abwägung zwischen dem Vorhaben und den von ihm etwa berührten öffentlichen Belangen notwendig 282 . Dabei fällt im Rahmen des § 35 I BBauG die gesetzliche Privilegierung des Vorhabens mit ins Gewicht, während in den unter § 35 II BBauG einzuordnenden Sachverhalten die öffentlichen Belange entsprechend stärker durchschlagen können 283 . dd) Zulässigkeit aufgrund Bestandsschutzes: Die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens, das durch die §§ 30 bis 35 BBauG nicht gedeckt ist, kann sich im Einzelfall unter strengen Voraussetzungen aus dem Gesichtspunkt des Bestandsschutzes ergeben, den das BVerwG in einer umfangreichen Rechtsprechung herausgearbeitet und präzisiert hat 284 . Der Bestandsschutz, der auf Art. 14 I GG beruht, kommt einer vorhandenen baulichen An280 § 35 i n BBauG enthält einen, allerdings nicht abschließenden Katalog der in Betracht kommenden öffentlichen Belange. Zum Gebot der Rücksichtnahme als öff. Belang s. BVerwGE 28, 268 (274); grundlegend fortentwickelt durch BVerwGE 52, 122 (125ff.); aus dem zahlreichen (teils sehr krit.) Schrifttum s. Weyreuther, BauR 1975, lff. und statt anderer Breuer, DVB1. 1982, 1065ff. Zum Erfordernis einer Bauleitplanung bei Großvorhaben als öff. Belang s. BVerwG NJW 1977, 1978 f. (1979); BVerwGE 61, 128 (133); BVerwG NVwZ 1984, 169f. (170); OVG Lüneburg NVwZ 1982, 256ff. (259f.); zur Problematik näher Schmidt-Aßmann, Das bebauungsrechtliche Planungserfordernis bei §§ 34, 35 BBauG, 1982; Hoppe, DVB1. 1982, 913ff.; Dolde, NVwZ 1984, 158ff. Vgl. im übrigen statt anderer Bsp. noch BVerwG DVB1. 1974, 78lff., betr. in Aufstellung befindlicher Bebauungsplan als öff. Belang; BVerwG NJW 1984, 1367f., betr. Ziele der Raumordnung und Landesplanung als öffentlicher Belang. 281 Ein Vorhaben, das bestimmten öffentlichen Belangen zuwiderläuft, kann auch nicht im Wege einer „Kompensation" mit anderen öffentlichen Belangen, die für es sprechen mögen, genehmigt werden; BVerwGE 42, 8 (14 — 16). Derartige Abwägungen können sachgerecht nur im Rahmen einer gemeindlichen Bauleitplanung vorgenommen werden; s. BVerwGE 55, 369 (383 — 384) zu der insoweit gleichgelagerten Problematik bei § 34 BBauG. Zur Frage, inwieweit die Zustimmung des Nachbarn einen an sich entgegenstehenden öffentlichen Belang ausräumen kann, s. BVerwG DVB1. 1979, 622. 282 Zu unterscheiden vom Kompensationsverbot; vgl. Anm. zuvor; näher hierzu Weyreuther, Außenbereich, S. 18 f. 283 Dazu s. näher BVerwGE 28, 148 (151 - 152). 284 S. insbes. BVerwGE 25, 161 (162 - 163); 27, 341 (343 - 344); 36, 296 (300 - 301); BVerwG BauR 1972, 152ff. ( 1 5 2 - 153); BVerwG BRS 28, 126ff. (129); BVerwGE 47, 126 ( 1 2 8 - 129); 47, 185 ( 1 8 8 - 189); BVerwG BauR 1975, 413f. (414); BVerwGE 49, 365 (368 - 370); 50, 49 (55 - 60); BVerwG NJW 1981, 1224f.; u. a. — Zur Beweislast für die Voraussetzungen eines Bestandsschutzes s. BVerwG NJW 1980, 252.

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läge — u. U. auch einer ursprünglich legalen Grundstücksnutzung ohne bauliche Verfestigung285 — zu. Er sichert sie zunächst, grundsätzlich beschränkt auf ihre jeweilige Funktion, in ihrem Bestand gegenüber Änderungen des materiellen Baurechts („passiver Bestandsschutz"). Darüber hinaus erkennt die Rechtsprechung einen „aktiven Bestandsschutz" an. Er begründet einen Anspruch auf Genehmigung von Folgeinvestitionen, namentlich von Reparaturmaßnahmen und Wiederherstellungsarbeiten, soweit die Identität des wiederhergestellten mit dem ursprünglichen Bauwerk gewahrt bleibt286. Dagegen wird ein Ersatzbau anstelle eines völlig oder doch in seinen tragenden Teilen zerstörten Gebäudes 287 oder ein Erweiterungsbau1^ grundsätzlich nicht gedeckt; immerhin können untergeordnete bauliche Erweiterungen insoweit zulässig sein, als ohne sie die sinngerechte Nutzung des vorhandenen Bestandes in Frage gestellt wäre289. Für besonders gelagerte Fälle hat die neuere Rechtsprechung die Möglichkeit eines „überwirkenden Bestandsschutzes" anerkannt, der zur Zulässigkeit von Änderungs- und Erweiterungsmaßnahmen sowie von gewissen Nutzungsänderungen bei einem gewerblichen Betrieb führt, die notwendig sind, um die Funktionsfähigkeit der vorhandenen Anlagen zu gewährleisten290. Die Tendenz dieser Entscheidungen verdient Beifall291. Der verfassungsrechtlich gebotene Bestandsschutz kann bei Anlagen, deren Nutzung dem technischen Wandel unterliegt, überhaupt nur dann effektiv werden, wenn man ihm das Recht des Inhabers zur Durchführung notwendiger Anpassungsmaßnahmen an diesen Wandel entnimmt. ee) Zulässigkeit aufgrund einer „eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition": Neben dem Bestandsschutz kann nach Auffassung des BVerwG auch der Gesichtspunkt einer aus Art. 14 I GG hergeleiteten „eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition" zur Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens führen, das an sich den planungsrechtlichen Vorschriften und Ausweisungen nicht entspricht292. Diese Anspruchsposition setzt voraus, daß das betreffende Grundstück einmal legal Baulandqualität erlangt hat und daß der damit gegebene Bebauungsanspruch in der konkreten Situation des Grundstücks eigentumskräf285 286 287 288 289 290

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Z. B. Stellplatz; s. BVerwG NJW 1980, 252. Dazu näher BVerwGE 47, 126 (128 - 129); vgl. auch VGH Kassel DÖV 1984, 308f. BVerwGE 36, 296 (301); 42, 8(13). Insbes. BVerwG BauR 1975, 413f. (414). Vgl. BVerwGE 25, 161 (162-163); 36, 296 (301); BVerwG BauR 1975, 413f. (414). BVerwGE 49, 365 ( 3 6 8 - 3 7 0 ) ; 50, 49 ( 5 5 - 6 0 ) ; BVerwG NJW 1977, 1932f.; BVerwG GewArch. 1977, 168 ff. (170, 171). Vgl. näher Friauf, in: Festgabe 25 Jahre BVerwG, 1978; S. 217ff.; ferner Sendler, WiVerw. 1976, 2ff. (13 - 15); ders., WiVerw. 1977, 94ff. ( 1 1 2 - 1 1 3 ) ; Wey reuther, a. a. O., S. 105ff.; krit. Erichsen, DVB1. 1978, 569ff. (575). Grundlegend BVerwGE 26, 111 (116 - 120); s. ferner BVerwGE 27, 341 (342); 47, 126 (130ff.); 49, 365 (371 f.); 55, 272 (274); BGHZ 77, 351 (354).

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tig verfestigt worden ist293. Im allgemeinen bezieht sie sich auf unbebaute Grundstücke; sie ist damit alternativ zum Bestandsschutz bei bebauten Grundstücken 295 . Ausnahmsweise, etwa bei Zerstörung eines Bauwerks durch Naturereignisse, kann sie aber auch ergänzend zu dem (insoweit nicht ausreichenden) Bestandsschutz hinzutreten 296 . b) Bauleitplanung und Baugenehmigungsverfahren: aa) Allgemeines: Die Sorge dafür, daß die Anforderungen des Bebauungsplans im Einzelfall beachtet werden, obliegt den Behörden der Bauaufsicht. Sie haben im Verfahren zur Erteilung der Baugenehmigung297 nicht nur zu prüfen, ob das jeweilige Vorhaben sachlich mit dem Bauordnungsrecht, sondern auch ob es mit dem Bauplanungsrecht vereinbar ist. Auf diese Weise wird ein einheitlicher Vollzug des gesamten Baurechts erreicht. Gesetzestechnisch wird die Verbindung zwischen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht dadurch hergestellt, daß § 29 BBauG die Regelung der §§ 30 — 37 BBauG für alle Vorhaben verbindlich erklärt, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung 298 einer baulichen Anlage zum Inhalt haben und einer Genehmigung oder Zustimmung nach dem Bauordnungsrecht bedürfen bzw. einer Anzeigepflicht gegenüber der Bauaufsicht unterliegen. Wann immer die Bauordnungsbehörde mit einem Bauvorhaben befaßt wird, muß sie zugleich die Belange der Bauplanung wahren. Organisatorische Probleme ergeben sich daraus, daß die Aufgaben der Bauaufsicht — im Gegensatz zur Bauleitplanung — nicht zum Bereich der gemeindlichen Selbstverwaltung gehören. Baugenehmigungsbehörden (untere Bauaufsichtsbehörden) sind regelmäßig die Landkreise bzw. die kreisfreien Städte in ihrer Eigenschaft als Ordnungsbehörden 299 . Ihnen sind staatliche Behörden mit Weisungsbefugnis übergeordnet 300 . Bei den kreisangehörigen Gemeinden ist die Zuständigkeit zur Erteilung der Baugenehmigung (Landkreis) im Regelfall also völlig von der zur Bauleitplanung (Gemeinde) getrennt. Bei den kreisfreien Städten liegen beide zwar formal in einer Hand. Die Stadt untersteht aber in ihrer Eigenschaft als Bauaufsichtsbehörde dem staatlichen Weisungsrecht.

293 295

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Vgl. näher BVerwGE 47, 126 (131); 49, 365 (372). Zu den jeweils spezifischen Anwendungsbereichen beider Rechtsinstitute s. Weyreuther, a. a. O., S. 143 - 144, 147. BVerwGE 42, 8 (13 - 14); 47, 126 (131); VGH Mannheim BauR 1980, 555ff. (556). S. unten Abschnitt III. 3. Zur Abgrenzung der genehmigungspflichtigen Nutzungsänderung s. BVerwG Buchholz 406. 11 § 29 Nr. 21; Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 456 f. § 77 I Nr. 3 nordrh.-westf. BauO; § 48 II bad.-württ. BauO; Art. 62 I bayer. BauO; § 86 II rheinl.-pfälz. BauO; §§ 81 ff. hess. BauO; §§ 63ff. nieders. BauO. Ausdrücklich geregelt in § 81 II hess. BauO; § 86 IV, V rheinl.-pfälz. BauO in Verb, mit § 94 rheinl.-pfälz. PVG; § 77 I Nr. 1 - 2 nordrh.-westf. BauO und § 9 nordrh.westf. OBG; § 65 IV, V nieders. BauO.

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Unter diesen Umständen muß der Gesetzgeber Sorge dafür tragen, daß die gemeindliche Planungshoheit in der Praxis nicht durch den staatlichen Einfluß auf das Baugenehmigungsverfahren beliebig ausgehöhlt werden kann. Er tut das in der Weise, daß er in allen Fällen, in denen die Baugenehmigungsbehörde nicht lediglich die normativen Festsetzungen des Bebauungsplans zu vollziehen, sondern eine eigenständige Entscheidung über planerische Belange zu treffen hat, das Einvernehmen der Gemeinde mit der Entscheidung fordert 301 . Die Baugenehmigungsbehörde kann über die Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der nicht beplanten, aber im Zusammenhang bebauten Ortsteile 302 und im Außenbereich 303 sowie über Bauanträge während einer laufenden Planaufstellung 304 nur im Einvernehmen mit der Gemeinde entscheiden 305 . Das Einvernehmen ist ferner erforderlich, wenn von den Festsetzungen des Bebauungsplans Ausnahmen gestattet oder Befreiungen bewilligt werden sollen (§31 I, II BBauG) 306 . Es kann allerdings nach der Novelle 1979 nur innerhalb einer Zweimonatsfrist verweigert werden; nach Fristablauf gilt es kraft Gesetzes als erteilt (§ 36 II 1, § 31 III BBauG). Wird das Einvernehmen verweigert, dann darf die Baugenehmigungsbehörde das Vorhaben nicht genehmigen bzw. die beantragte Ausnahme oder Befreiung nicht bewilligen 307 . Andererseits kann die Genehmigung trotz erteilten Einvernehmens aus Rechtsgründen noch versagt werden 308 . Nach heute gefestigter Rechtsprechung 309 hat die Erteilung des Einvernehmens in prozessualer Hinsicht nur verwaltungsinterne Bedeutung 310 . Der Betroffene kann deshalb eine Verpflichtungsklage nicht gegen die Gemeinde richten, sondern kann nur gegen die Genehmigungsbehörde auf Erteilung der Bauerlaubnis klagen. In diesem Verfahren, in dem die Gemeinde beizuladen ist311, wird inzident über ihre Pflicht zur Erteilung des Einvernehmens entschieden. bb) Rechtsanspruch auf Genehmigung: Ist ein bestimmtes Vorhaben nach Maßgabe des Rechts der Bauleitplanung zulässig, weil es unter eine der drei im Gesetz normierten Gruppen 312 fällt, dann steht dem Baulustigen (sofern 301 302 305 306

307 308 310 311 312

Zum Zusammenhang zwischen Planungshoheit und Erteilung des Einvernehmens vgl. BVerwGE 28, 145 (147); BGH DÖV 1976,133 f. (134). § 34 BBauG. 303 § 35 BBauG. 304 § 33 BBauG. So § 36 I 1 BBauG. Zur Frage der Entscheidungsfreiheit der Gemeinde im Rahmen des § 36 BBauG s. BVerwG DÖV 1970, 349f. Zum Anfechtungsrecht der Gemeinde bei zu Unrecht nicht eingeholtem Einvernehmen s. BVerwGE 22, 342; OVG Lüneburg OVGE 22, 325 (326); OVG Koblenz AS 9, 289; zur Amtshaftung bei rechtswidrig versagtem Einvernehmen BGH DÖV 1976, 133f; BGH NJW 1980, 387ff. (388 - 389). BVerwGE 22, 342 (345). - Ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen kann durch die Aufsichtsbehörde ersetzt werden; vgl. VGH München NVwZ 1984, 51. Vgl. BVerwG DÖV 1970, 349f. (350). 309 Seit BVerwGE 28, 145 (146 - 148). Zu den Bedenken gegen diese Auffassung s. Friauf, DÖV 1961, 666 ff. BVerwG DVB1. 1966, 792: notwendige Beiladung. S. oben Abschnitt II 4a, aa — cc.

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auch die materiellen Voraussetzungen des Bauordnungsrechts erfüllt sind) ein subjektiv-öffentliches Recht auf Erteilung der Baugenehmigung zu. Problematisch erscheint hier allein der in § 35 II BBauG geregelte Fall der „sonstigen Vorhaben" im Außenbereich. Sie „könnenim Einzelfall zugelassen werden", wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. Dem bloßen Wortlaut der Bestimmung nach müßte an sich angenommen werden, daß bei derartigen Vorhaben 313 ein Rechtsanspruch auf Baugenehmigung nicht besteht, der Grundsatz der Baufreiheit also ausgeschlossen sein soll. Die Auslegung des § 35 II BBauG muß aber, wie auch das BVerwG mit eingehender Begründung dargetan hat314, die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums in Rechnung stellen. Dieser Gewährleistung würde es widersprechen, wenn die Exekutive ein Bauvorhaben im Außenbereich nach ihrem Ermessen unterbinden könnte, obwohl ihm keine öffentlichen Belange i. S. des § 35 II BBauG entgegenstehen315. Die §§ 29 ff. BBauG haben zwar gemäß Art. 14 I S. 2 GG die bauliche Nutzung grundsätzlich auf die Teile des Gemeindegebiets beschränkt, die rechtlich (§§ 30, 33 BBauG) oder tatsächlich (§ 34 BBauG) als Bauland qualifiziert sind316. Damit soll der willkürlichen Zersiedelung des offenen Raums vorgebeugt werden. Bei der Ermittlung der öffentlichen Belange ist dieser Regelungstendenz des Gesetzes mit Rechnung zu tragen. Ergibt sich im Einzelfall aber, daß selbst bei gebührender Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes öffentliche Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen, dann hat der Baulustige einen Anspruch auf Genehmigung seines Vorhabens auch im Außenbereich. Stehen andererseits im Einzelfall öffentliche Belange entgegen, dann muß die Genehmigung zwingend versagt werden; für eine Ermessensentscheidung zugunsten des Baulustigen ist kein Raum 317 . cc) Ausnahmen und Befreiungen: Die wesensmäßige Abstraktion und Starrheit, die den Bebauungsplan kennzeichnen, können dazu führen, daß seine Anwendung in einzelnen Fällen einen Baulustigen unnötig belastet, unter Umständen sogar den städtebaulichen Interessen der planenden Gemeinde selbst zuwiderläuft. Deshalb ermächtigt das Gesetz die Baugenehmigungsbehörde, Ausnahmen und Befreiungen zu bewilligen318. Die Ausnahmeist eine Abweichung vom Plan, deren Möglichkeit nach Art und Umfang bereits abstrakt im Plan selbst vorgesehen ist. Die Befreiung (§31 II BBauG) geht dagegen über den Plan hinaus und eröffnet dem Baulustigen die Möglichkeit, sein Vorhaben entgegen den Festsetzungen des Plans 313 314 315 316 317 318

Anders als bei den Fallgruppen des § 35 I BBauG. BVerwGE 18, 247 (249 - 251). BVerwGE 19, 82 (85); jetzt auch BGH NJW 1981, 982. BVerwG DVB1. 1964, 184ff.(185). Vgl. Schrödter, Bundesbaugesetz, § 35 Rdnr. 7. Zu Begriff und ratio der Befreiung im Gegensatz zur Ausnahme s. BVerwG DÖV 1976, 669 ff. (670).

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durchzuführen. Sie ist in drei Fällen zulässig: (1) wenn sie durch Gründe des Wohls der Allgemeinheit positiv gefordert wird 319 , (2) wenn städtebauliche Gründe die Abweichung rechtfertigen 320 und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden 321 sowie (3) wenn die ausnahmslose Durchführung des Bebauungsplans zu einer „offenbar nicht beabsichtigten Härte" führen würde 322 . In allen drei Fällen muß die Abweichung vom Bebauungsplan auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen 323 mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein324. Wegen ihrer besonderen Bedeutung setzt die Befreiung außer dem Einvernehmen der Gemeinde auch die Zustimmung 325 der höheren Verwaltungsbehörde voraus. Nach dem Wortlaut des § 31 BBauG steht die Bewilligung von Ausnahme und Befreiung im Ermessen der Behörde („Kann"-Vorschrift). Umstritten ist die Frage, ob und inwieweit dem Baulustigen bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen aus rechtsstaatlichen Gründen ein Rechtsanspruch auf ihre Bewilligung zugebilligt werden muß 326 . Mit der Erteilung der Befreiung ist das Vorhaben legalisiert. Auf der Grundlage der Befreiung besteht alsdann der Rechtsanspruch auf Erteilung der Bauerlaubnis, wobei allerdings in der Praxis die Bauerlaubnis dem Antragsteller regelmäßig gleichzeitig mit der Befreiung erteilt wird. 5. Die Sicherung der Bauleitplanung a) Die Rechtslage nach dem BBauG: Die verschiedenen Rechtswirkungen der Bauleitplanung — Regelung der Zulässigkeit von Bauvorhaben sowie Bedingung für weitere städtebauliche Maßnahmen, wie das Umlegungsverfahren (§§ 45 - 79 BBauG), die Grenzregelung (§§ 80 bis 84 BBauG), das Enteignungsverfahren (§§ 85 — 122 BBauG) und die Erschließung von Grundstükken (§§ 123 — 135 BBauG) — hängen sämtlich davon ab, daß ein Bebauungsplan im Einzelfall tatsächlich aufgestellt worden und rechtlich in Kraft getreten ist. Der bloße planerische Wille einer Gemeinde bleibt zunächst rechtlich irrelevant, solange er sich nicht in den gesetzlich vorgesehenen Formen kon319 320 321 322

323 324 325 326

Grundlegend dazu BVerwGE 56, 71 (73 ff.). Zu diesem Kriterium s. OVG Lüneburg NJW 1980, 1408 f. (1409). Eingehend zur Befreiung aus städtebaulichen Gründen Schmaltz, BauR 1980, 1 ff. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn es sich um Sonderfälle handelt, auf die der generelle Regelungszweck der planungsrechtlichen Norm nicht zutrifft. Andernfalls kommt auch bei vorliegender Härte eine Befreiung nicht in Betracht. Dazu BVerwGE 40, 268 (271 - 2 7 3 ) ; BVerwG DVB1. 1975, 895 ff. (897); BVerwG DÖV 1976, 669 f. (670). Zu dem gflls. resultierenden Nachbarschutz s. unten Abschn. III. 8. Hierzu BVerwGE 56, 71 (77 ff.). Nach h. M. ist die Zustimmung ebenso wie das Einvernehmen der Gemeinde bloßes Verwaltungsinternum; vgl. BVerwGE 16, 116 (118 - 122). Dazu sehr ausführlich VG Münster DVB1. 1967, 298 ff. mit Anm. von Hoppe und Scheerbarth; vgl. weiterhin BGH UPR 1983, 195 f. mit Nachw. zum Streitstand. Allgemein zu dieser Problematik s. Friauf, JuS 1962, 422 ff.

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kretisiert hat. Da zwischen dem Augenblick, in dem sich die Aufstellung eines Bebauungsplans als erforderlich erweist (§ 1 III BBauG), und seinem Inkrafttreten (§ 12 BBauG) notwendig ein längerer Zeitraum (teilweise mehrere Jahre) verstreicht, besteht oftmals die Gefahr, daß während dieser Zeit das Planungsziel durch Schaffung von vollendeten Tatsachen erschwert oder vereitelt werden könnte. Aber auch noch nach dem Inkrafttreten des Plans kann seine Verwirklichung durch andere Maßnahmen als durch die (erlaubnispflichtige) Errichtung von baulichen Anlagen erschwert werden. Um diesen Gefahren zu begegnen, stellt das Gesetz den Gemeinden eine Reihe von rechtlichen Sicherungsmöglichkeiten zur Verfügung. aa) Veränderungssperre und Zurückstellung von Baugesuchen: Die Gemeinde kann der Gefahr, daß ihre Planungsabsichten durch zwischenzeitliche Veränderungen an den betroffenen Grundstücken durchkreuzt oder erschwert werden, auf zwei Wegen entgegentreten: durch Erlaß einer Veränderungssperre (§ 14 I BBauG)327 und durch einen Antrag an die Baugenehmigungsbehörde, die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben (regelmäßig: die Erteilung von Baugenehmigungen 328 ) für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten auszusetzen (§ 15 BBauG). Voraussetzung ist in beiden Fällen, daß die Gemeinde bereits förmlich beschlossen hat, für das betreffende Gebiet einen Bebauungsplan aufzustellen bzw. einen bereits bestehenden Bebauungsplan zu ändern, zu ergänzen oder aufzuheben. Insoweit müssen sich die planerischen Absichten also schon konkretisiert haben 329 . Der Inhalt der Veränderungssperre besteht in einem generellen Verbot, genehmigungsbedürftige bauliche Anlagen zu errichten, zu ändern oder zu beseitigen und andere wertsteigernde Veränderungen der Grundstücke vorzunehmen. Entsprechende Bau- und Teilungsgenehmigungen 330 können während ihrer Geltungsdauer nicht erteilt werden. Dagegen bleiben Unterhaltungsmaßnahmen zulässig331. Das Verbot ist gemäß § 17 BBauG auf zwei Jahre befristet; es kann aber zweimal um jeweils ein Jahr verlängert (§ 17 I 3, II BBauG)332 und danach erneut beschlossen werden (§ 17 III BBauG)333, 327 328 3 9

330 331 332 333

Dazu Clasen, Die Veränderungssperre und die Verfügungs- und Veränderungssperre (Umlegungssperre) nach dem BBauG sowie ihre Entschädigung, 1969. Anwendbarkeit auch auf nur anzeigebedürftige Vorhaben: BVerwGE 39, 154 (155 f.). Zu den Voraussetzungen im einzelnen s. insbes. BVerwGE 51, 121 (126ff.); BGH NJW 1982, 1281 ff. (1282); aber auch VGH München BRS 22, 147f.; OVG Münster BRS 24, 117f. (117): Der Inhalt der Planung brauche noch nicht näher festzustehen. Zur Teilungsgenehmigung s. § 19 I Nr. 4 in Verb, mit § 20 I Nr. 4 BBauG n. F. Zur Abgrenzung vgl. OVG Koblenz BRS 25, 172f. Zu den strengen Anforderungen an die zweite Verlängerung s. OVG Münster BRS 28, 151 ff. Allerdings nur bei konkretem Vorliegen von entsprechend gewichtigen „besonderen Umständen" (dazu BVerwGE 51, 121, 133 — 139) und gegen Entschädigung (§1811 BBauG).

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wenn seine Voraussetzungen fortbestehen. Auf diese Fristen ist der Zeitraum, währenddessen ein Baugesuch nach § 15 BBauG zurückgestellt war, anzurechnen (§ 17 I 2 BBauG)334. Der Beschluß über die Veränderungssperre ergeht in der Form einer Satzung. Er bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde (§161, II BBauG). Die Zurückstellung von Baugesuchen335 ist nach § 15 I BBauG zulässig, wenn eine Veränderungssperre nicht beschlossen worden ist, obwohl ihre Voraussetzungen gegeben sind oder wenn eine bereits beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten ist. Sie hemmt lediglich das Baugenehmigungsverfahren, beeinflußt aber nicht die materielle Legalität des Vorhabens. Ihre Wirkung entfallt mit Fristablauf automatisch 336 . Die Zurückstellung kann naturgemäß nur der Stelle obliegen, die über das Baugesuch sachlich zu entscheiden hat, also der Baugenehmigungsbehörde. Da die Maßnahme aber ausschließlich dazu dient, die planerischen Belange der Gemeinde zu sichern, besitzt die Genehmigungsbehörde kein eigenes Entscheidungsrecht. Sofern die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, muß sie dem Antrag der Gemeinde auf Zurückstellung in jedem Fall stattgeben337. Sowohl die Veränderungssperre wie auch die Zurückstellung der Entscheidung über ein Baugesuch können den betroffenen Grundstückseigentümern erhebliche Vermögensnachteile zufügen, vor allem durch Ausfall von Nutzungen und durch eine zwischenzeitliche Erhöhung der Kosten des in Aussicht genommenen Bauvorhabens. Nach § 18 I BBauG sind diese Nachteile insoweit zu entschädigen, als die Veränderungssperre länger als vier Jahre (gerechnet von ihrem Beginn oder von der ersten Zurückstellung eines Baugesuchs nach § 15 I BBauG) andauert 338 . Die 4-Jahres-Frist orientiert sich an der Rechtsprechung, die zu den nach früherem Recht zulässigen Bausperren ergangen war339. Bei der Entschädigungsleistung handelt es sich um eine Enteignungsentschädigung nach Art. 14 III GG. Spätestens mit Ablauf des vierten Jahres schlägt nämlich die Veränderungssperre gegenüber einem Grundstück von der Eigentumsbindung in eine Enteignung um340. bb) Genehmigungspflicht fiir den BodenverkehiJ41. Die städtebauliche Planung kann auch dadurch beeinträchtigt werden, daß über Grundstücke in 334 335 336 337 338 339 340

341

Entsprechende Anwendung bei rechtswidriger Verzögerung des Baugesuchs ohne förmliche Zurückstellung; s. BVerwG NJW 1971, 445f.; BGHZ 78, 152 (158f.). Näher Hill, BauR 1981, 523 ff. Dazu BVerwG DVB1. 1972, 224 ff. (225 - 226). Dazu Ernst / Zinkahn / Bielenberg, a. a. O., § 15, Rdnr. 8. Dazu Clasen, a. a. O.; Trauten /Krier, DVB1. 1971, 302ff. BGHZ 30, 330 (348 - 349); BVerwGE 4, 120 (122). Vgl. BVerwGE 51, 121 (138); BGHZ 73, 161 (174). Es handelt sich um eine äußerste Frist. Eine Sperre kann (z. B. wegen sachwidriger Verzögerung der Planung) im Einzelfall auch schon vorher rechtswidrig werden und deshalb Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff auslösen; BGH a - a. O., (173, 181 f.). Eingehend Ziegler / Zinkahn, Das Bodenverkehrsrecht nach dem BBauG, 1979.

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einer Weise verfügt wird, die entweder die plangemäße Bebauung erschwert bzw. vereitelt oder auf eine planwidrige Bebauung hin abzielt. Um das zu vermeiden, unterwirft das Gesetz bestimmte Rechtshandlungen einer Genehmigungspflicht. Im räumlichen Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30 BBauG), innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BBauG) sowie innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs einer Veränderungssperre (§ 14 BBauG) bedarf die Teilung eines Grundstücks stets der Genehmigung (§ 19 I Nr. 1, 2 u. 4 BBauG). Im Außenbereich ist die Grundstücksteilung 342 in einer Reihe von enumerativ aufgezählten Fällen ebenfalls genehmigungspflichtig, z. B. wenn sie zum Zwecke der Bebauung vorgenommen wird (§ 19 I Nr. 3 BBauG). Es handelt sich bei der Teilungsgenehmigung um eine gebundene, kein Ermessen einschließende Erlaubnis 343 . Sie muß grundsätzlich erteilt werden, wenn keiner der in § 20 I BBauG statuierten Versagungsgründe vorliegt. Gerechtfertigt ist die Ablehnung z. B. bei einem Grundstück im Außenbereich, wenn die Teilung oder die mit ihr bezweckte Nutzung mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (Maßstab ist insbesondere § 35 BBauG) 344 nicht vereinbar wäre (§ 20 I Nr. 3 BBauG). Die Teilungsgenehmigung ist ein antragsbedürftiger begünstigender Verwaltungsakt 345 . Sie bedarf aus Gründen der Rechtsklarheit der Schriftform 346 . Nach § 19 III 6 BBauG gilt die Genehmigung als erteilt, wenn sie nicht binnen drei Monaten (bei rechtzeitiger Fristverlängerung nach § 19 III 4, 5 BBauG höchstens sechs Monaten) nach Eingang des Antrags 347 versagt wird. Diese sog. fingierte Genehmigung äußert die gleichen Wirkungen wie eine tatsächlich erteilte Genehmigung 348 . — Bei nicht genehmigungsbedürftigen Vorgängen wird auf Antrag nach § 23 II BBauG eine Bescheinigung über die Genehmigungsfreiheit (sog. Negativattest349) erteilt. Die einmal erteilte Teilungsgenehmigung äußert eine Bindungswirkung ( § 2 1 1 BBauG) dahin, daß ein innerhalb von drei Jahren gestelltes Baugesuch grundsätzlich (Ausnahmen: §21 II BBauG) nicht aus Gründen abgelehnt 342 343 344 345

346 347 348 349

Zu den Voraussetzungen der Genehmigungsbedürftigkeit s. BVerwGE 50,311 (316 — 318). Vgl. BVerwGE 48, 81 (83 - 84). Das gilt auch nach der Neufassung des § 20 BBauG durch die Novelle 1979; vgl. Schrödter, Bundesbaugesetz, § 20 Rdnr. 2, 10 b. Die Frage der Erschließung des Grundstücks ist in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen; BVerwG DVB1. 1982, 357f. BVerwG DÖV 1974, 201 f. (202). Zur Antragsbefugnis s. BVerwGE 50, 311 (314 — 316); zur Bestimmtheit eines Teilungsantrags s. BVerwG DVB1. 1977, 529ff. (530 531). BVerwG DVB1. 1971, 756 f. (756). Zum Fristablaufs. BVerwG NJW 1980, 1120f. Grundlegend dazu BVerwGE 31, 274 (275 - 278); a. A. OVG Münster NJW 1968, 170 ff. Dazuinsbes. Weyreuther, NJW 1973, 345 ff.

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werden darf, die zur Versagung der Genehmigung berechtigt hätten 350 . Das gilt in gleicher Weise auch für die nur fingierte Genehmigung 351 , nicht aber für ein Negativattest 352 . Wird bei einem an sich genehmigungsbedürftigen Vorgang zu Unrecht ein Negativattest ausgestellt, so können Genehmigungsfiktion und Bindungswirkung nicht eintreten 353 . Zu Unrecht erteilte Teilungsgenehmigungen können nach § 48 VwVfG zurückgenommen werden, wobei die Beteiligten einen (allerdings nicht unbegrenzten) Vertrauensschutz 354 genießen. Das gilt in gleicher Weise auch für die lediglich wegen Fristablaufs fingierten Genehmigungen, sofern der Inhalt der Genehmigungsfiktion mit dem materiellen Recht in Widerspruch steht355. — Die Bindungswirkung der erteilten und der fingierten Genehmigung greift auch gegenüber den von dem Vorhaben betroffenen Nachbarn durch. Deshalb können diese bei Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften 356 die Genehmigung anfechten 357 . cc) Gemeindliches Vorkaufsrecht: Die §§ 24 — 28 a BBauG räumen den Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht ein, um ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, auch ohne das äußerste Mittel der Enteignung Grundstücke für die Durchführung der Bauleitplanung zu erwerben und zugleich den Aufkauf durch spekulierende, aber nicht bauwillige Käufer zu steuern. Das Vorkaufsrecht 358 beruht auf öffentlichem Recht; es ist durch Verwaltungsakt auszuüben 359 . Jedoch sind die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen im wesentlichen anwendbar (§ 24 IV BBauG). Der Umfang des Vorkaufsrechts ist durch die seit 1. Januar 1977 geltende Novelle erheblich ausgedehnt worden. Das Gesetz unterscheidet zwei Arten: Ein allgemeines Vorkaufsrecht besteht nach § 24 I BBauG an allen (bebauten und unbebauten) Grundstücken, die entweder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder in Gebieten liegen, für die die Aufstellung eines Bebauungsplans beschlossen worden ist oder die in ein Verfahren zur Boden350

351 352 353 354 355

358 359

Zum Umfang der Bindungswirkung vgl. BVerwGE 30, 203 (204-207); BVerwG DVB1. 1971, 756f. (756); BGH DVB1. 1982, 349ff.; BGH NVwZ 1984, 332f.; zum zeitlichen Aspekt der Bindung BVerwG DVB1. 1973, 38 ff. (39); zum Einfluß einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage s. Franßen, BauR 1976, 305 ff. BVerwGE 31, 274 (276-278). BVerwGE 31, 22 (24) = DVB1. 1970, 72 f. mit Anm. Steiner. Vgl. BVerwG DÖV 1974, 201 f. Dazu BVerwGE 54, 257 (261 ff.); vgl. auch Ziegler, DÖV 1977, 274ff. Dazu (und zum Ausmaß des ggf. eingreifenden Vertrauensschutzes der Beteiligten) BVerwGE 48, 87 (90 - 94); von Mutius, VerwArch 67 (1976), S. 317ff. Eine verspätete Versagung kann aber nicht in eine Rücknahme der infolgedessen eingetretenen fingierten Genehmigung umgedeutet werden, BVerwG DVB1. 1975, 516ff. (517 — 518). 356 S. unten Abschnitt III. 8 a. 357 BVerwG DVB1. 1970, 65 f. Zu den Entstehungsvoraussetzungen s. BGH DVB1. 1971, 317f; BayVGH BauR 1980, 249 f. (250). Zum Rechtsschutz s. Martens/Horn, DVB1. 1979, 146ff.; OVG Münster NJW 1981, 1467 ff.

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Ordnung einbezogen worden sind. Besondere Vorkaufsrechte dienen zur Wahrung von städtebaulichen Erhaltungszielen (§ 24 a i. V. m. § 39 h BBauG), zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (§ 25 BBauG) und zur Beschaffung von Austausch- oder Ersatzland (§ 25 a BBauG). Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts erwirbt die Gemeinde das Grundstück zum Verkehrswert, nicht zu dem ggf. höheren vereinbarten Kaufpreis (sog. preislimitiertes Vorkaufsrecht, §28a II BBauG)360. Die Gemeinde hat das durch Vorkauf erworbene Grundstück (soweit es nicht für öffentliche Zwecke benötigt wird) wieder zu veräußern, sobald der mit dem Erwerb verfolgte Zweck verwirklicht werden kann (§26 I — III BBauG). Das gleiche gilt, wenn der ursprüngliche Erwerbszweck nachträglich entfallen ist (§ 26 IV BBauG). b) Die Rechtslage nach dem StBFG: Zur verfahrensmäßigen Sicherung der Sanierungsmaßnahmen sieht § 15 StBFG ein Bündel von Genehmigungsvorbehalten 361 vor362. Sie werden mit der förmlichen Festlegung eines Sanierungsgebiets bzw. eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs (vgl. § 57 I Nr. 3 StBFG) wirksam. Die von der Gemeinde zu erteilende sog. Sanierungsgenehmigung tritt neben die gegebenenfalls erforderliche Baugenehmigung für ein Vorhaben und bedingt diese363. Der Genehmigungsvorbehalt umfaßt insbesondere auch die Wirkungen einer Veränderungssperre (§§ 14ff. BBauG) sowie die Genehmigungstatbestände des Bodenverkehrsrechts (§§ 19ff. BBauG)364. Wegen dieser Sonderregelung werden die §§ 14 — 22, 51 BBauG mit der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets bzw. Entwicklungsbereichs unanwendbar (§§ 6 II, 57 I Nr. 2 StBFG). Mit der Festlegung tritt eine bestehende Veränderungssperre außer Kraft, ein Bescheid über die Zurückstellung eines Baugesuchs (§ 15 BBauG) wird unwirksam (§ 6 IV StBFG). Eine Bodenverkehrsgenehmigung nach § 19 BBauG verliert ihre Bindungswirkung (§ 6 III 1 StBFG i. V. m. § 21 III BBauG), wobei sich allerdings ein Entschädigungsanspruch für den Betroffenen ergibt (§ 6 III 2 StBFG). Mit der förmlichen Festlegung entsteht ein allgemeines Vorkaufsrecht der Gemeinde an allen Grundstücken des Sanierungsgebiets bzw. des Entwicklungsbereichs (§§ 17, 57 I Nr. 4 StBFG)365. Es ersetzt die Vorkaufsrechte nach §§ 24 ff. BBauG366. Dabei ist vorausgesetzt, daß im Einzelfall zuvor eine Sanierungsgenehmigung nach § 15 I Nr. 1 StBFG erteilt wurde, weil andernfalls das Vorkaufsrecht mangels wirksamen Veräußerungsgeschäfts nicht ausgeübt werden könnte. Wird die Sanierungsgenehmigung versagt, so kann die Ge360 361

362 363 364 365

Dazu eingehend Schmidt-Eichstaedt, DÖV 1978, 130ff.; Amann, DVB1. 1979, 807ff. Katalog in § 15 I Nr. 1 - 5, II Nr. 1 - 4 StBFG.; zu bedeutsamen Einzelfragen s. BVerwG NJW 1982, 2787 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Fragen s. Bielenberg, StBFG, § 15 Rdnr. 87 ff. Vgl. Bielenberg, StBFG, § 15 Rdnr. 27. Eingehend dazu Dittus, WiR 1974, 425 ff. Vgl. Dittus, a. a. O. 3 6 6 Bielenberg, StBFG, § 17 Rdnr. 3, 4.

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meinde das in § 18 StBFG vorgesehene besondere Grunderwerbsrecht367 ausüben. Es handelt sich dabei der Sache nach um eine vorgezogene, verfahrensmäßig vereinfachte Enteignung. Anknüpfungspunkt ist die Tatsache, daß der Eigentümer durch den Antrag auf Erteilung einer Sanierungsgenehmigung zum Zwecke der Veräußerung bekundet hat, daß er selbst an der beschlossenen Sanierung nicht mitwirken will368. 6. Bauleitplanung und privates Grundstückseigentum Die städtebauliche Ordnung, wie sie durch die Bauleitplanung hergestellt werden soll, bezieht sich auf Grundflächen, die im Augenblick der planerischen Entscheidung regelmäßig ganz überwiegend in privatem Eigentum stehen. Sie läßt sich nur dadurch verwirklichen, daß auf dieses Eigentum eingewirkt wird 369 . In einer Reihe von Fällen ist es notwendig, Grundstücke im Wege der „klassischen" Enteignung auf die Gemeinde oder einen Dritten zu übertragen, um den angestrebten Ordnungszustand herbeizuführen. In der Regel bleiben die Grundstücke dagegen zwar in der Hand der bisherigen Eigentümer; ihre Nutzung wird aber beschränkt oder in bestimmter Weise gelenkt. Bei beiden Fallgestaltungen ergibt sich die Frage, welche Entschädigungsansprüche den betroffenen Grundeigentümern zustehen. a) Enteignungsrecht: Das BundesbauG regelt in seinem 5. Teil370 die Enteignung von Grundeigentum, soweit diese notwendig ist, um die Zwecke der Bauleitplanung zu erreichen. Es lehnt sich dabei eng an die traditionellen, rechtsstaatlich geprägten Grundsätze des Enteignungsrechts an. aa) Enteignungstatbestände: Gegenstand der Enteignung (§ 86 BBauG) sind das Eigentum und sonstige dingliche Rechte an Grundstücken, ferner obligatorische Rechte zum Erwerb, zum Besitz oder zur Nutzung von Grundstükken (z. B. aus Kauf-, Miet- oder Pachtverträgen). Im Wege der Enteignung können außerdem Nutzungsverhältnisse an Grundstücken begründet werden. Die Enteignung darf nur zu einem von fünf im Gesetz abschließend normierten Zwecken erfolgen (§ 85 BBauG). Praktisch am bedeutsamsten ist dabei der Zweck, das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten (§ 85 I Nr. 1 BBauG, z. B. Enteignung von Grundstücken, die für Verkehrszwecke oder zur Errichtung von öffentlichen Gebäuden, für Parkanlagen usw. ausgewiesen sind). Die Zulässigkeit jeder Enteignungsmaßnahme im einzelnen Fall setzt voraus, daß sie durch das Wohl der Allgemeinheit gefordert wird und der Ent367 368 369 370

Dazu Clasen, NJW 1973, 1905 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Problemen der Regelung s. Forsthoff, DWW 1971, 76ff.; Meyer, AöR 97 (1972), S. 12ff. (20 - 21); Bielenberg, StBFG, § 18 Rdnr. 5ff. Zum folgenden s. Götz, Bauleitplanung und Eigentum, 1969, insb. S. 39ff.; Kimminich, BK, Rdnr. 139ff. zu Art. 14 GG; Hoppe, DVB1. 1964. 165ff. §§ 85 - 122 BBauG.

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eignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann (§ 87 I BBauG, Prinzip der Verhältnismäßigkeit)371. Sie ist nach Art und Umfang auf das Maß zu beschränken, das zur Verwirklichung des Enteignungszwecks unbedingt erforderlich ist (§ 92 I BBauG, Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs). Allerdings müssen die Festsetzungen eines rechtswirksamen Bebauungsplans im Enteignungsverfahren grundsätzlich hingenommen werden. Die Erforderlichkeit einer Enteignungsmaßnahme läßt sich insoweit nicht mit der Begründung anzweifeln, die im Plan vorgesehene Bodennutzung entspreche nicht dem öffentlichen Interesse372. Wohl aber muß im Einzelfall geprüft werden, ob das öffentliche Wohl zur Durchführung des Plans gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt die Enteignung des konkret betroffenen Grundstücks fordert 373 . bb) Enteignungsverfahren: Die Zuständigkeit für die Durchführung der Enteignung liegt bei der vom Landesrecht bestimmten höheren Verwaltungsbehörde (§ 104 I BBauG). Sie entscheidet in einem eingehend geregelten förmlichen Verfahren 374 . Die Enteignungsbehörde hat zunächst auf eine Einigung (§110 BBauG) zwischen den Beteiligten hinzuwirken. Kommt sie zustande, so wird sie förmlich protokolliert. Sie wirkt rechtlich wie ein nicht mehr anfechtbarer Enteignungsbeschluß. Scheitert die Einigung, dann wird aufgrund obligatorischer mündlicher Verhandlung durch Beschluß entschieden (§§112, 113 BBauG). Der Enteignungsbeschluß setzt zugleich Art und Höhe der Entschädigung fest. Sobald er unanfechtbar geworden und die Geldentschädigung gezahlt oder zulässigerweise hinterlegt worden ist, ordnet die Enteignungsbehörde die Ausführung des Beschlusses an (§ 117 BBauG). Die Ausßihrungsanordnung erzeugt dingliche Wirkung. Mit dem von ihr festgesetzten Tag geht das Eigentum oder das sonstige Recht kraft Gesetzes auf den von der Enteignung Begünstigten über (§ 117 V 1 BBauG). Ist die sofortige Ausführung der beabsichtigten Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten, so kann die Enteignungsbehörde den Begünstigten bereits vor rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens durch eine vorzeitige Besitzeinweisung ermächtigen, den Enteignungszweck zu verwirklichen (§116 BBauG). cc) Entschädigung: Die Entschädigung wird nach dem Verkehrswert des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstandes der Enteignung bemessen (§ 95 I BBauG). Maßgebender Zeitpunkt für die Wertberechnung ist der Tag, an dem die Enteignungsbehörde über den Enteignungsantrag entscheidet. § 95 II BBauG unterwirft diesen Grundsatz aber einigen Einschränkungen. Insbesondere bleiben Wertsteigerungen, die in der Aussicht auf eine erst

371 372 373 374

Näher dazu BGH NJW 1977, 955ff. (955 - 956). Dazu BGH NJW 1967, 103ff. (104 - 105) u. 1967, 2305f. (2306). BGH NJW 1976, 1266f.; BGH NJW 1977, 955ff. (956). Im einzelnen s. §§ 105 - 122 BBauG.

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langfristig zu erwartende Änderung der baulichen Nutzung („Heraufzonung" des Grundstücks) eingetreten sind, und Wertänderungen infolge der bevorstehenden Enteignung unberücksichtigt (§ 95 II Nr. 1, 2 BBauG)375. Die Entschädigung wird in Geld, durch Beschaffung von Ersatzland oder durch Gewährung von anderen Rechten geleistet (§§99—101 BBauG)376. Ergibt sich nachträglich, daß die enteigneten Grundstücke nicht zu dem Enteignungszweck verwendet werden, so kann der frühere Eigentümer unter gewissen Voraussetzungen verlangen, daß sie im Wege der sog. Rückenteignung wieder auf ihn übertragen werden (§ 102 BBauG)377. dd) Gerichtliches Verfahren: Nach den allgemeinen Regeln wären für Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung die ordentlichen Gerichte378, für die Anfechtung aller anderen im Enteignungsverfahren ergehenden Maßnahmen dagegen die Verwaltungsgerichte379 zuständig. Diese Zweigleisigkeit müßte aber zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen, vor allem, wenn im Einzelfall die Festsetzung der Entschädigung und andere Teile eines Enteignungsbeschlusses gleichzeitig angegriffen werden. Der sachlich am angemessensten erscheinende Weg, eine einheitliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu begründen, war dem Gesetzgeber verwehrt, weil die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Entschädigungsfragen auf Verfassungsrecht beruht. Das BBauG hat deshalb die Entscheidung in Enteignungssachen insgesamt den ordentlichen Gerichten zugewiesen, bei denen für diese Aufgabe besondere Kammern (LG) und Senate (OLG) für Baulandsachen3i0e\nz\inchten sind381. In diesem Bereich entscheiden die ordentlichen Gerichte also über die Anfechtung von Verwaltungsakten. b) Entschädigung für Beschränkungen der Eigentümerrechte: Während die Rechtslage bei den Entscheidungen, die im Rahmen eines förmlichen Enteignungsverfahrens getroffen werden, eindeutig ist, kann durchaus zweifelhaft erscheinen, inwieweit bereits bloße Planungsmaßnahmen enteignenden Charakter besitzen. Soweit das der Fall sein sollte, wäre der Gesetzgeber an Art. 14 III GG gebunden. Er hätte vor allem in dem ermächtigenden Gesetz selbst Art und Ausmaß der Entschädigung zu regeln. aa) Grundsätzliche Entschädigungslosigkeit: Das Eigentum an Grund und Boden unterliegt angesichts seiner besonderen Bedeutung für die Allgemeinheit, seiner konkret-situationsbezogenen Unveränderlichkeit und seiner Unvermehrbarkeit einer verstärkten Sozialpflichtigkeit im Sinne des Art. 14 II 375 376 377 378 379 380 381

Zur Abgrenzung vgl. z. B. BGHZ 77, 338 (348 ff.). Vgl. auch die Sonderregelungen in § 22 III StBFG. Wegen der dabei auftretenden Entschädigungsfragen s. BGHZ 76, 365 (368 ff.). Art. 14 III 4 GG. §§ 40, 42 I VwGO. Zu deren Stellung s. BGHZ 40, 148 (152ff.); BGH NJW 1976, 1264ff. (1265). Zur Zuständigkeit im einzelnen s. §§ 157 I, 169 BBauG, § 86 II StBFG.

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GG 382 . Zu den ihm auferlegten immanenten Beschränkungen gehört auch der Grundsatz, daß es nur im Rahmen einer sinnvoll geordneten städtebaulichen Entwicklung genutzt werden darf. Infolgedessen wirkt die Bauleitplanung, die diese Entwicklung lenkt, regelmäßig nicht als Enteignung 383 . Sie dient vielmehr gerade umgekehrt dazu, eine optimale Verwirklichung der Eigentumsrechte aller Beteiligten zu gewährleisten und bewirkt insoweit eine Verstärkung der Eigentumsgarantie 384 . Soweit der Gesetzgeber die Exekutive zu Maßnahmen der Bauleitplanung ermächtigt, bewegt er sich demnach grundsätzlich im Bereich der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die keine Entschädigungspflicht auslöst. Das gilt ganz allgemein von den Regelungen über den Flächennutzungsplan; seine wertmindernden Auswirkungen müssen entschädigungslos hingenommen werden385. Es gilt im Regelfall aber auch für den Bebauungsplan. Der Schutzgehalt der Eigentumsgarantie ist in die planerische Abwägung gemäß § 1 VI BBauG einzustellen386. Er beeinflußt damit seinerseits das Planungsergebnis. Dieses Ergebnis muß dann aber, wenn bei seinem Zustandekommen die Anforderungen des Art. 14 I GG beachtet worden sind, als Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums entschädigungslos hingenommen werden387. Besondere Bedeutung erlangt diese Frage, wenn eine Umzonung von Gebieten sich auf benachbarte, nicht von der Planänderung erfaßte Flächen schädigend auswirkt388. bb) Entschädigungspflicht für Planungsschäden: In einer Reihe von Fallgruppen greifen die Wirkungen der Bebauungspläne, der vorbereitenden Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung sowie der Pläne nach dem StBFG aber so tief in die Belange der betroffenen Grundstückseigentümer ein, daß der Gesetzgeber sich zu einer Entschädigungsregelung veranlaßt gesehen hat. Dabei wird er im allgemeinen davon ausgegangen sein, daß es sich hier nach Art und Intensität der betreffenden Maßnahmen um enteignende Eingriffe handle. Ob diese Annahme vollständig zutrifft, kann dahingestellt bleiben, weil das Gesetz nicht gehindert ist, auch über den Bereich der Enteignung hinaus Entschädigungsansprüche zu gewähren 389 . Auf die Qualifizierung einer bestimmten Maßnahme als Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne käme es nur dann an, wenn geltend gemacht würde, sie sei zu Unrecht 382 383 384 385 387 388

389

S. zu den gesetzlichen Beschränkungen des Bodenverkehrs BVerfGE 21, 73 (83 — 84); 21, 99 (101); 21, 306 (310 - 311). Vgl. zum rheinl.-pfälz. Aufbaugesetz vom 1. 8. 1949: BVerfGE 11, 294 (297 - 298); allgemein dazu H. Westermann, in: Fs. f. H. C. Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 765ff. Vgl. Schaumann, JZ 1970, 48ff. (52); Götz, a. a. O., S. 41, 51. Oben Abschnitt II, 3b, dd. 386 Vgl. dazu Weyreuther, DÖV 1977, 419ff. Dazu eingehend BVerwGE 47, 144 (153 - 155). Vgl. BVerwGE 47, 144 ( 1 5 5 - 156), aber auch das problematische „Wannsee-Urteil" BGHZ 48, 46 = JZ 1968, 225 ff. mit krit. Anm. Peter. Eingehend zu dieser Problematik Breuer, Die Bodennutzung, a. a. O., S. 252 — 303; Lutz, Eigentumsschutz bei „störender" Nutzung gewerblicher Anlagen, 1983, S. 36 - 73, 81 ff. Vgl. allerdings Bielenberg, DVB1. 1974, 113 ff.

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nicht in die Entschädigungsregelung einbezogen worden bzw. die vom Gesetzgeber zugebilligte Entschädigung bleibe hinter dem verfassungsrechtlich gebotenen Maß zurück. Im Mittelpunkt des Planungsschadensrechts 390 steht die (gegenüber den übrigen Tatbeständen allerdings subsidiäre, vgl. § 44b III 1 BBauG) Regelung des im Gesetzgebungsverfahren heftig umstrittenen § 44 I BBauG n. F. Danach kann der Eigentümer eine angemessene Entschädigung verlangen, wenn die bisher planerisch zulässige Nutzung seines Grundstücks durch einen Bebauungsplan 391 aufgehoben oder geändert wird (sog. Herabzonung). Im Gegensatz zum früheren Recht wird der durch die bisherige höhere Nutzungsmöglichkeit bedingte Wert aber nicht mehr zeitlich unbegrenzt, sondern nur noch innerhalb einer Siebenjahresfrist ab Beginn ihrer Zulässigkeit geschützt392 (§ 44 II BBauG). Hat der Eigentümer innerhalb dieser Frist von der Nutzungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht, so wird er bei späterer Herabzonung nach § 44 III BBauG nur noch für Eingriffe in die tatsächlich ausgeübte Nutzung entschädigt. Die Regelung setzt den Eigentümer einerseits unter einen mittelbaren Druck zur plankonformen Nutzung und wirkt damit der Bodenhortung entgegen. Andererseits erweitert sie faktisch die Möglichkeit der Gemeinden zu späteren Umplanungen, indem sie die Entschädigungslasten in Grenzen hält. Ohne zeitliche Begrenzung wird bei Planänderungen der Vertrauensschaden entschädigt, den Eigentümer oder sonstige Nutzungsberechtigte dadurch erleiden, daß sie im Vertrauen auf den Bestand eines rechtsverbindlichen 393 Bebauungsplans Vorbereitungen für die Verwirklichung der in ihm zugelassenen Nutzung getroffen haben, (§ 39 j BBauG, z. B. Architektenhonorare). Entschädigungsleistungen sind ferner vorgesehen bei bestimmten Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung (§§ 18 I 1, 21 II 2, 28 BBauG), sodann bei der Festsetzung von Nutzungszwecken, die vom Eigentümer nicht selbst realisiert werden können (§40 I Nr. 1—3, 5—11, 13 BBauG), beim Ausschluß einzelner im Plangebiet gelegener Flächen von der Bebaubarkeit (§ 40 I Nr. 4, 12 BBauG), bei der Begründung von Geh-, Fahr- und Leitungsrechten (§ 42 BBauG) sowie bei der planerischen Festlegung einer bestimmten Bepflanzungsart (§ 43 I BBauG). Eine Entschädigung ist ausgeschlossen, soweit die betroffenen Bodenwerte darauf beruhen, daß die bisher zulässige Nutzung den allgemeinen Anforde390 391

392

393

Dazu jüngst Birk, NVwZ 1984, lff. Nach BGHZ 64, 366 (370ff.), BGH NJW 1982, 1394ff. (1395 mit Nachw. zum Streitstand) gilt § 44 I BBauG entspr. für Nutzungsänderungen, die — im Verlaufe der Zeit — aufgrund der Anwendung des § 34 BBauG eingetreten sind (Problematik der sog. faktischen Umstrukturierung). Zur Problematik dieser Regelung s. Breuer, DÖV 1978, 189 ff. ( 1 9 4 - 196); Papier, BauR 1976, 297ff.; Wendt, DVB1. 1978, 356ff. (358 - 360). Zur Frage eines Entschädigungsanspruchs bei Nichtigkeit des Bebauungsplans bedeutsam BGHZ 84, 292 (295 ff.).

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rungen an gesunde und sichere Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht entspricht 394 oder daß die Nutzung des Grundstücks wesentlich zu städtebaulichen Mißständen in dem betroffenen Gebiet beiträgt. Die Entschädigung für Maßnahmen nach dem StBFG richtet sich im Grundsatz nach den Vorschriften des BBauG (vgl. §§ 23 I, 86 I StBFG), sie weist aber eine Reihe von Besonderheiten auf. Modifikationen ergeben sich namentlich aus § 22 StBFG 395 . Darüber hinaus enthält das Gesetz eine Reihe von spezifischen Entschädigungstatbeständen, so für die Ausübung des gemeindlichen Grunderwerbsrechts (§18 IV StBFG) und für den Eingriff in Miet- und Pachtverhältnisse (§ 30 I StBFG). § 85 StBFG sieht einen Ausgleich für schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile vor, die durch Maßnahmen in einem Sanierungsgebiet oder einem städtebaulichen Entwicklungsbereich eintreten und für den Betroffenen in seinen persönlichen Lebensumständen, im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich eine besondere Härte bedeuten. Dieser allgemeine Härteausgleich 396 ist gegenüber den einzelnen Entschädigungstatbeständen subsidiär. Beide Gesetze geben dem Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, die Übernahme seines Grundstücks durch die öffentliche Hand zu verlangen, wenn es ihm infolge von Planfestsetzungen oder sonstigen Eingriffen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, das Grundstück weiterhin zu nutzen bzw. den gesetzlichen Anforderungen nachzukommen (§ 40 II BBauG: bei Umzonung, § 15 VII StBFG: bei Versagung der Sanierungsgenehmigung). In diesen Fällen ist eine Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen zu leisten (§ 44b I i. V. m. §§ 93ff. BBauG; § 15 VII 3 - 4 StBFG i. V. m. §§ 93 ff. BBauG). Der Eigentümer kann damit praktisch eine Enteignung erzwingen, die die Gemeinde von sich aus zunächst — etwa um die Entschädigungspflicht hinauszuschieben — nicht vornehmen möchte. 7. Bodenordnung, Erschließung Die Regelung über die Erschließung von Grundstücken (§§ 123 — 126 BBauG) 397 geht davon aus, daß die bauliche Nutzung unter heutigen Gegebenheiten nicht ohne den Anschluß an das gemeindliche Verkehrs- und Versorgungsnetz möglich ist. Das Gesetz bürdet die Erschließungslast, d. h. die Pflicht zur Herstellung der erforderlichen Anlagen, den Gemeinden auf (§ 123 I BBauG), räumt den interessierten Baulustigen aber keinen Rechtsanspruch auf Erschließung ein (§ 123 IV BBauG) 398 . Die Erschließung erfolgt aufgrund der Festsetzungen eines Bebauungsplans (§ 125 I BBauG). Die Ge394

396 397 398

Vgl. dazu BGHZ 48, 193 („Kölner Hinterhaus-Fall"); BGHZ 64, 366 (375 - 381); BGH NJW 1982, 1394ff. (1396f.); s. auch den Überblick bei Hußla, in: Fs. f. Riese, 1964, S. 329ff. 395 Näher dazu Dittus, WiR 1974, 425ff. (440 - 443). Vgl. Bielenberg, StBFG, § 85 Rdnr. lff. Dazu Weyreuther, DVB1. 1970, 3 ff. Zum ausnahmsweise gegebenen Erschließungsanspruch s. BVerwG DVB1. 1982, 540 ff.

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meinden können ihre Aufwendungen durch Erhebung von Erschließungsbeiträgen (§§ 1 2 7 - 135 BBauG) bis zu 90 v. H. (§ 129 I 3 BBauG) auf die Eigentümer der erschlossenen Grundstücke abwälzen. Ähnlich wie die Erschließungsmaßnahmen dienen auch die (sonstigen) bodenordnenden Maßnahmen der Umlegung (§§ 45 — 79 BBauG) und Grenzregelung (§§ 80-84 BBauG) der Planverwirklichung398®, namentlich der Herbeiführung der sog. Baureife399.

III. Das Bauordnungsrecht Das Bauordnungsrecht regelt die Errichtung, Änderung, Nutzung und den Abbruch von baulichen Anlagen 400 , insbesondere von Gebäuden. Von der Bauleitplanung unterscheidet es sich durch seine Blickrichtung: Bei der Planung steht die räumliche Entwicklung des beplanten, als Einheit gesehenen Gebiets im Vordergrund; das jeweilige konkrete Bauvorhaben wird nur insoweit von der rechtlichen Regelung erfaßt, wie es sich um seine Einfügung in den jeweils festgelegten Gebietscharakter handelt. Das Bauordnungsrecht beschäftigt sich dagegen in erster Linie mit dem einzelnen Bauwerk als solchem, mit seinen Eigenschaften, seiner Benutzbarkeit usw.; es regelt daneben lediglich die Beziehung des Bauwerks zu seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Dabei kann es Anforderungen stellen, die über diejenigen des Bauplanungsrechts hinausgehen. So kann bauordnungsrechtlich die Einhaltung von Grenzabständen verlangt werden, auch wenn bauplanungsrechtlich eine Grenzbebauung zulässig sein sollte401. Die Betrachtungsweise der Bauleitplanung ist global, die der Bauordnung dagegen vornehmlich individuell. 1. Funktionen des Bauordnungsrechts Die Funktionen des Bauordnungsrechts lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen: Gefahrenabwehr, Verhütung von Verunstaltungen und Ver398a 399 400

401

Die Wirksamkeit des Bebauungsplans ist infolgedessen Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Umlegung; s. BGHZ 66, 322 (331); BGH DVB1. 1984, 337. Hierzu näher Battis, Öff. Baurecht, a. a. O., S. 16, 85 ff. „Bauliche Anlagen" („Bauwerke") sind nach der Legaldefinition des § 2 II S. 1 MBauO mit dem Erdboden verbundene, aus Baustoffen und Bauteilen hergestellte Anlagen. — Zur Selbständigkeit des bauordnungs-(landes-)rechtlichen Begriffs der baulichen Anlage gegenüber dem bauplanungs-(bundes-)rechtlichen Begriff und zu den (verhältnismäßig geringfügigen) Abweichungen beider Begriffe s. BVerwGE 39, 154 (156- 158); 44, 59 (60-61). Im Zweifelsfall muß, da Bauordnungs- und Bauplanungsrecht nebeneinander anzuwenden sind, unter beide Anlagenbegriffe subsumiert werden; charakteristisch etwa OVG Münster BRS 28, 1 lOff. (111). BVerwG DVB1. 1970, 830f. (831).

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hütung von Mißständen bei der Benutzung der Bauwerke402. Außerdem werden von den Behörden der Bauüberwachung die Belange der Bauleitplanung im konkreten Fall wahrgenommen und eine Reihe außerbaurechtlicher Interessen4028 geschützt. a) Gefahrenabwehr: Das Bauordnungsrecht regelt in erster Linie, wie bauliche Anlagen beschaffen sein müssen, damit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere für Leben und Gesundheit, vermieden werden. Unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr werden sehr detaillierte Regelungen über die Beschaffenheit des Baugrundstücks, die Notwendigkeit einer befahrbaren Angrenzung an eine öffentliche Verkehrsfläche, die Baustoffe und die Bauausfiihrung aufgestellt, z. B. über die Fundamente eines Bauwerks, Art und Beschaffenheit der Wände, Decken, Dächer, Treppen, Aufzüge und Rettungswege, der Fenster und Türen, der Anlagen für die Belichtung und Lüftung, der Installationsschächte, Schornsteine, Beleuchtungsanlagen, Anlagen zur Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung, sowie über die Anlage von Garagen und Stellplätzen für Kraftfahrzeuge 403 und ähnliche Fragen404. Es geht dabei im wesentlichen um die Gewährleistung der Standsicherheit, um den Schutz vor Feuersgefahr, Lärm und Witterungseinflüssen, insgesamt um die Abwehr von Schäden, die sich aus dem Zustand und der bestimmungsgemäßen Nutzung der Bauwerke für Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum der Bewohner und Benutzer sowie der Nachbarn und Passanten und für die öffentliche Ordnung 405 ergeben könnten. Dabei ist besonders bemerkenswert, daß der Gesetzgeber aus dem Entstehen städtischer Ballungszentren und den modernen technischen und soziologischen Gegebenheiten die Konsequenzen gezogen hat, indem er den Bereich der als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu bewertenden unzumutbaren Belästigungen gegenüber früher erheblich erweitert hat (Lärmschutz). Die den Bauüberwachungsbehörden obliegenden Aufgaben der Gefahrenabwehr würden ihre materielle Rechtfertigung an sich bereits in der allgemeinen polizeilichen Generalklausel (vgl. § 14 preuß. PVG) finden. Die Mehrzahl der Landesbauordnungen hat diese Aufgabenstellung jedoch noch ein-

402 40:a 403 404

405

Charakteristisch: § 3 1 MBauO. Zur Wahrnehmung von Belangen des Denkmalsschutzes im Baurecht s. Moench, NVwZ 1984, 146 ff. (153-155). Zum bauordnungsrechtlichen Charakter der Stellplatzvorschriften und ihrem Verhältnis zum Bauplanungsrecht s. VGH Mannheim BRS 25, 56 ff. (60). Wegen der Einzelheiten s. §§ 4 - 7 2 MBauO; § § 4 - 4 2 bad.-württ. BauO; Art. 4 - 5 7 bayer. BauO; § § 4 - 7 2 berl. BauO; § § 4 - 7 4 hamb. BauO; § § 4 - 5 8 hess. BauO; § § 4 - 5 2 nieders. BauO; § § 4 - 7 0 nordrh.-westf. BauO; § § 3 - 7 9 rheinl.pfälz. BauO; § § 4 - 7 3 saarl. BauO; § § 4 - 5 7 schlesw.-holst. BauO. Zur Unzulässigkeit eines Vorhabens, dessen bestimmungsgemäße Nutzung die öffentliche Ordnung stören würde, s. OVG Koblenz BRS 28,107 ff. (108 - 109).

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mal ausdrücklich hervorgehoben 406 . Sie hat damit eine spezifisch baurechtliche Generalklausel eingeführt. Die Baufreiheit des Eigentümers wird im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingeschränkt. Diese Einschränkung hat keinen enteignenden Charakter; sie zieht vielmehr lediglich die Konsequenzen aus der Sozialbindung des Eigentums. Soweit von der Errichtung oder der Benutzung baulicher Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Gefahren, erhebliche Benachteiligungen oder Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft ausgehen können, werden die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Gefahrenabwehr ergänzt und teilweise überlagert durch die Regelungen des Im-, missionsschutzrechts, die im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) 407 , den Landes-Immissionsschutzgesetzen und zahlreichen Ergänzungsvorschriften enthalten sind. Die sog. genehmigungsbedürftigen Anlagen (§ 4 BImSchG), im wesentlichen besonders emissionsträchtige gewerbliche Anlagen, unterliegen einem besonderen Genehmigungsverfahren, das das bauaufsichtliche Verfahren ersetzt (vgl. § 13 BImSchG). Alle übrigen baulichen Anlagen sind so zu errichten und zu benutzen, daß die nach dem Stand der Technik vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen — namentlich durch Luftverunreinigungen und Geräusche — verhindert und die unvermeidbaren auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 I BImSchG)408. b) Verhütung von Verunstaltungen: Da die Anlage und Gestaltung der Bauwerke unter den Bedingungen der modernen Zivilisation die Umwelt und den Lebenskreis des Menschen entscheidend prägt, kann es nicht genügen, im Bauwesen lediglich Gefahren für Leib, Leben und Eigentum abzuwehren. Das öffentliche Interesse an einer gesunden Entwicklung unserer Umwelt gebietet vielmehr, daß bei der Errichtung von baulichen Anlagen auch ästhetische Belange berücksichtigt werden. Dabei ist freilich Vorsicht und Zurückhaltung geboten. Der Staat besitzt keine Legitimation, bestimmte ästhetische oder gar künstlerische Maßstäbe zu entwickeln oder als Schiedsrichter zwischen konkurrierenden Anschauungen aufzutreten. Deshalb darf das Baurecht ästhetische Anforderungen nur insoweit stellen, als sie von einer weitgehenden communis opinio getragen werden. Die Regeln des Bauordnungsrechts, die sich mit der ästhetischen Ausgestaltung baulicher Anlagen befassen, werden unter dem Begriff des Baugestaltungsrechts zusammengefaßt 409 . Sie verlangen im wesentlichen, daß die 406

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§ 3 I S. 1 MBauO; § 3 I S. 1 bad.-württ. BauO; Art. 3 I S. 1 bayer. BauO; § 3 I S. 1 berl. BauO; § 3 I S. 1 hamb. BauO; § 59 II hess. BauO; § 3 I S. 1 nordrh.-westf. BauO; § 69 II rheinl.-pfälz. BauO; § 3 I S. 1 saarl. BauO; § 3 I S. 1 schlesw.-holst. BauO. 407 Vom 15. März 1974 (BGBl. I, S. 721). Dazu s. in diesem Band Breuer, Umweltschutzrecht, Abschn. V. 2. und V. 3. S. insb. § 14 MBauO; §§ 3 I S. 2, 13 bad.-württ. BauO; Art. 3 I S. 2, 11 bayer. BauO; §§ 3 I S. 2, 14 berl. BauO; § 72 hamb. BauO; §§ 1 III, 53 nieders. BauO; §§ 3 I S. 3, 14 nordrh.-westf. BauO; § 5 rheinl.-pfälz. BauO; § 14 saarl. BauO; §§ 3 I S. 4, 12 schlesw.-holst. BauO. — Zum Baugestaltungsrecht näher Friauf / Wendt, Zur Zu-

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Bauwerke „werkgerecht durchgebildet" 410 , „einwandfrei gestaltet" und „mit ihrer Umgebung in Einklang gebracht" werden. Sie dürfen nicht verunstaltet wirken 411 . Bau- und Naturdenkmäler sowie „andere erhaltenswerte Eigenarten der Umgebung" dürfen nicht beeinträchtigt werden. Dabei begnügt sich das Bauordnungsrecht im wesentlichen mit der Abwehr von negativen Auswirkungen. Es zielt nicht auf positive ästhetische Gestaltung ab 412 . Diese Maßstäbe erscheinen auf den ersten Blick recht weit. Sie sind aber soweit konkretisierbar, daß sie mit den rechtsstaatlichen Anforderungen an die normative Bestimmbarkeit im Einklang stehen 413 . Es handelt sich um unbestimmte Gesetzesbegriffe, die der richterlichen Nachprüfung unterliegen 414 . Maßgebend für die Beurteilung ist das Empfinden des sog. gebildeten Durchschnittsmenschen*15. Auch bei den ästhetischen Anforderungen an die Baugestaltung handelt es sich um eine legitime Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die mit Art. 14 GG vereinbar ist416. Besondere praktische Bedeutung besitzen die Vorschriften über die Baugestaltung für Werbeanlagen. Diese unterliegen den baurechtlichen Verunstaltungsverboten auch insoweit, wie sie selbst gar keine baulichen Anlagen im Rechtssinne sind 417 . Bereits das preuß. ALR kannte Regeln über Verunstaltungen ( § 7 1 1 8). Da die liberale Staatsauffassung jedoch die Wahrnehmung bloß ästhetischer Belange nicht als Angelegenheit der Polizei ansah und sie deshalb auch aus dem Zuständigkeitsbereich der Baupolizei ausklammerte 418 , wurden besondere ge-

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lässigkeit eines baurechtlichen „Denkmalschutzes" für Arbeiterwohnsiedlungen, 1980, S. 23ff. 410 Dazu eingehend OVG Berlin BRS 24, 170ff. (171 - 172). Zum baurechtlichen Verunstaltungsbegriffs. VGH München BayVBl. 1970, 259; VGH Mannheim BRS 22, 192ff. ( 1 9 3 - 195); 27, 180ff. (181-182); 27, 182ff. (183); 28, 199ff. (199 - 200); ferner Michel, Die Rechtsproblematik der Verunstaltungsbegriffe im Baurecht, 1967. Vgl. OVG Berlin BRS 24, 170ff. (174). - Allerdings ermöglichen die einschlägigen Spezialermächtigungen (vgl. z. B. § 103 I Nr. 1 nordrh.-westf. BauO, § 82 I Nr. 1 schlesw.-holst. BauO) es den Gemeinden, durch sog. Gestaltungssatzungen über die reine Verunstaltungsabwehr hinaus auch „positive Baupflege" zu betreiben; s. etwa OVG Münster NJW 1982, 845; OVG Lüneburg NJW 1982, 2012; s. auch BVerwG NJW 1980, 2091 f. (2092), wonach derartiges Ortsrecht im Grundsatz mit Art. 14 GG vereinbar sein soll. S. BVerwGE 2, 172 (175 - 177). 414 BVerwG, a. a. O. BVerwGE 2, 172 (177); BVerwG DVB1. 1968, 507ff. (508); OVG Münster BRS 24, 176f.; dazu Schweiger, DVB1. 1968, 481 ff.; Kretschmer, DVB1. 1970, 55ff. - Strenger ist §14 III MBauO, wonach „das Empfinden des sachkundigen und erfahrenen Betrachters" entscheidet. Die Landesbauordnungen haben diese Musterregelung mit Ausnahme von Hamburg (§ 72 IV hamb. BauO) nicht übernommen. BVerwG DVB1. 1962, 178; s. ferner BVerwG NJW 1980, 2091 f.; OVG Münster NJW 1982, 845. S. z. B. § 15 II MBauO; § 15 II nordrh.-westf. BauO. Schlüssel-Entscheidung: PrOVG 9, 353 (Kreuzberg-Denkmal-Fall).

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setzliche, formell-polizeiliche Aufgabenzuweisungen notwendig. Bedeutsam war hier zunächst § 1 des preuß. Gesetzes gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden 419 . Den Abschluß der Entwicklung bildete die reichsrechtliche VO über die Baugestaltung420, deren Regelungen von der MBauO und den Landesbauordnungen im wesentlichen übernommen worden sind. c) Wohlfahrts- und sozialpflegerische Aufgaben: Über die bloße Gefahrenabwehr hinaus schützt das Bauordnungsrecht verschiedene Interessen, die zum Bereich der Wohlfahrtspflege oder der Sozialpolitik im weiteren Sinne gerechnet werden müssen. Hierher zählen z. B. Vorschriften über die Schaffung von Grünanlagen und Kinderspielplätzen 421 sowie von Gemeinschaftsanlagen 422 . Bestimmungen über Mindestanforderungen an Wohnungen und Arbeitsstätten 423 sollen gewährleisten, daß sie für ihre Benutzer nicht nur ungefährlich, sondern zugleich auch menschenwürdig sind. Da die sozial- und wohlfahrtspflegerischen Aufgaben ebenso wie die Verhütung von Verunstaltungen nicht mehr zum Bereich der Gefahrenabwehr im materiellen Sinne zählen, werden sie von der baurechtlichen Generalklausel424 nicht umfaßt 425 . Es bedurfte deshalb spezifizierter Einzelregelungen. — Die Landesbauordnungen bestimmen z. T., daß die den Bauaufsichtsbehörden nach der Bauordnung obliegenden Aufgaben „als solche der Gefahrenabwehr gelten"426. Diese Bestimmung hat formelle und organisatorische Bedeutung; sie ändert aber nichts an der sachlichen Natur der betreffenden Aufgaben. d) Vollzug der Bauleitplanung: Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens427 haben die Bauaufsichtsbehörden die Entscheidungen zu verwirklichen, die im Wege der Bauleitplanung 428 getroffen worden sind. Eine Baugenehmigung darf im konkreten Fall grundsätzlich nur erteilt werden, wenn das Vorhaben mit den auf es anwendbaren Bestimmungen und Festsetzungen des Planungsrechts vereinbar ist429. Diese Regelung bildet das entscheidende Bindeglied zwischen den beiden Hauptgebieten des Baurechts: dem Recht der Bauordnung und dem der Bauleitplanung. 419 420 421

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Vom 15. Juli 1907 (GS S. 260). BaugestaltungsVO vom 10. Nov. 1936 (RGBl. I, S. 938). S. § 10 MBauO; § 10 bad.-württ. BauO; Art. 8 bayer. BauO; § 10 berl. BauO; § 63 hamb. BauO; § 10 hess. BauO; § 14 nieders. BauO; § 10 nordrh.-westf. BauO; §§22, 23 rheinl.-pfälz. BauO; §9 schlesw.-holst. BauO. - Beispiel: OVG Berlin BauR 1976, 420 ff. §§73, 74 MBauO; § 12 bad.-württ. BauO; Art. 53 - 5 4 bayer. BauO; §73 berl. BauO; §§ 7 5 - 7 7 hamb. BauO; §52 nieders. BauO; §70 nordrh.-westf. BauO; §§ 74, 75 saarl. BauO; § 11 schlesw.-holst. BauO. Vgl. z. B. §§ 40 X, 55 - 57, 60 IV, 62 - 66 MBauO. 424 § 3 I 1 MBauO. Wie hier Wolff / Bachof, VwR III, § 136 Rdnr. 25. Z. B. § 77 II nordrh.-westf. BauO. 427 S. unten Abschn. III. 3. Oben Abschn. II. 3 . 429 S. dazu im einzelnen oben Abschn. II. 4a.

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e) Schutz außer-baurechtlicher Belange: Schließlich haben die Bauaufsichtsbehörden dafür Sorge zu tragen, daß eine Vielzahl von außer-baurechtlichen Vorschriften beachtet werden, soweit der Regelungsgehalt dieser Bestimmungen durch die Errichtung, Änderung, Nutzung oder den Abbruch von einzelnen baulichen Anlagen berührt wird. Es kann sich dabei z. B. um Vorschriften aus dem Bereich des Wege-430, Verkehrs-, Wasser-, Gewerbe- oder Naturschutzrechts handeln. Zur Sicherstellung der betreffenden Belange ist in verschiedenen Bestimmungen vorgesehen, daß die Bauerlaubnis nur mit Zustimmung der jeweils zuständigen Fachbehörde erteilt werden darf 431 . 2. Die am Bau Beteiligten Bei der Errichtung, Änderung oder dem Abbruch einer baulichen Anlage sind gemäß § 75 MBauO 432 der Bauheri433 und im Rahmen ihres jeweiligen Wirkungskreises die „anderen am Bau Beteiligten" (§§ 76 ff. MBauO) 434 dafür verantwortlich, daß die baulichen Vorschriften eingehalten werden. „Am Bau beteiligt" sind außer dem Bauherrn der Entwurfsverfasser 435 , der verantwortliche Bauleiter436 und ein oder mehrere Unternehmer. Das Gesetz verlangt von diesen Personen, daß sie über die erforderliche Sachkunde und Erfahrung verfügen 437 . Es legt ihnen im Interesse der Bausicherheit eine Reihe von Pflichten auf. 3. Baugenehmigung (Bauerlaubnis) a) Die materielle Baufreiheit: Das Baurecht steht seit Erlaß des § 65 I 8 preuß. ALR438 unter dem Prinzip der materiellen Baufreiheit. Die ursprüngliche frühliberale Konzeption der Baufreiheit hat allerdings ihre Grundlage 430 431 432

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Zur Bedeutung des straßenrechtlichen Anbauverbots und zu den Voraussetzungen einer Befreiung s. BVerwG NJW 1977, 120 f. Z. B. § 9 II BFStrG. = § 43 bad.-württ. BauO; Art. 58 bayer. BauO; § 75 berl. BauO; § 81 hamb. BauO; § 76 hess. BauO; § 71 nordrh.-westf. BauO; § 76 saarl. BauO; § 53 schlesw.-holst. BauO. Bauherr ist derjenige, der auf eigene Verantwortung eine bauliche Anlage vorbereitet und ausführt oder durch einen Dritten vorbereiten und ausführen läßt, dessen Wille also rechtlich die Verwirklichung des Vorhabens beherrscht; OVG Saarlouis BRS 28, 317 ff. (317). Auf das Eigentum am Baugrundstück kommt es dabei nicht an: OVG Koblenz BRS 17, 252ff. (253); VGH München BRS 16, 146f. (147). = §§ 44ff. bad.-württ. BauO; Art. 59ff. bayer. BauO; §§ 77ff. berl. BauO; §§ 82ff. hamb. BauO; §§78ff. hess. BauO; §§ 58ff. nieders. BauO; §§73ff. nordrh.-westf. BauO; §§83ff. rheinl.-pfälz. BauO; §§78 saarl. BauO; §§ 54ff. schlesw.-holst. BauO. Zum landesgesetzl. „Planvorlagenmonopol" f. Architekten s. BVerfGE 28, 364. Zur Haftung des Bauleiters s. Schmalzl, NJW 1970, 2265 ff. Vgl. näher OVG Lüneburg BauR 1975, 202f. S. bereits oben Abschn. I 2 c.

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weithin verloren 439 . Es kann sich heute nicht mehr darum handeln, eine „natürliche" (vorstaatliche) Baufreiheit zu behaupten. Die Baufreiheit ist in die Rechtsordnung eingebunden, sie ist rechtlich geordnete Freiheit 440 . Damit hat sie indessen ihre Bedeutung nicht gänzlich eingebüßt 441 . Die Eigentumsgarantie (Art. 14 I GG) umfaßt das Recht des Eigentümers, sein Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen 442 . Das Recht zu bauen ist damit Ausfluß des Eigentums am Grundstück 443 . Es wird nicht lediglich als widerrufliche Befugnis vom Staat bzw. von der Gemeinde im Wege von planerischen Ausweisungen verliehen. An dieser Auffassung ist auch gegenüber neueren Stellungnahmen 444 festzuhalten, die die Baubefugnis vollständig vom Eigentum lösen und sie als verliehenes subjektiv-öffentliches Recht lediglich einem weitgehend reduzierten verfassungsrechtlichen Schutz unterstellen wollen 445 . Der Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung findet infolgedessen seine Grundlage unmittelbar in der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie und ist insofern „grundrechtlich fundiert" 446 . Der Gesetzgeber gestaltet (namentlich im Bauplanungsrecht) diesen Anspruch im Rahmen seiner Kompetenz zur Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 I 2 GG) aus. Dabei unterliegt er aber seinerseits den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grenzen, die seiner Regelungsbefugnis gezogen sind. b) Genehmigungspflicht: Obwohl der Gesetzgeber das Prinzip der Baufreiheit anerkennt, hat er die meisten baulichen Maßnahmen einer Genehmigungspflicht unterworfen 447 . Wegen der besonderen Bedeutung des Bauens, 439

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Insoweit zutreffend Schmidt-Aßmann, Grundfragen des Städtebaurechts, S. 89 — 94; zur Wandlung vgl. auch Badura, Eigentum im Verfassungsrecht der Gegenwart, Verh. des 49. DJT, 1972, Bd. II, 2 7 - 2 8 ; Sendler, Gedanken zu einer Neukonzeption der Eigentumsverfassung, 1972, S. 1 9 - 2 0 ; Schrödter, DVB1. 1973, 763ff. (772 - 773); Breuer, DÖV 1978, 189ff. (190 - 192), mit weiteren Nachw. Dazu Götz, Bauleitplanung und Eigentum, 1969, S. 39 ff. Vgl. auch Hoppe, DVB1. 1964, 165ff. (166 - 168); Broy-Bülow, Baufreiheit und baurechtlicher Bestandsschutz, 1982; Papier, Eigentumsgarantie des Grundgesetzes im Wandel, 1984, S.21ff. BVerfGE 35, 263 (276). BGHZ 60, 112 (115); Papier, BauR 1976, 297ff. (300-302); Wendt, DVB1. 1978, 356ff. (358 - 360); Ernst /Hoppe, Bau- und Bodenrecht, a. a. O., Rdnr. 160f. Namentlich Breuer, Die Bodennutzung, a. a. O., S. 162ff.; Schulte, DVB1. 1979, 133ff. (insb. S. 138ff., 141); Schrödter, Bundesbaugesetz, § 44 Rdnr. 8, m. w. N. Zum Streitstand s. Battis, DÖV 1978, 113ff. (118 - 121); Breuer, DÖV 1978, 189ff. (190ff.); s. ferner Papier, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 14 Rn. 59 - 67. BVerwGE 42, 115 (116); 48, 271 (273); BVerwG DVB1. 1979, 67ff. (69); vgl. auch bereits BVerwGE 2, 172 (174). §§ 86ff. MBauO; §§ 51 ff. bad.-württ. BauO; Art. 65ff. bayer. BauO; §§ 80ff. berl. BauO; §§ 91 ff. hamb. BauO; §§ 87ff. hess. BauO; §§ 68ff. nieders. BauO; §§ 80ff. nordrh.-westf. BauO; §§91 ff. rheinl.-pfälz. BauO; §§87ff. saarl. BauO; §§61 ff. schlesw.-holst. BauO.

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wegen der von der Errichtung von Bauwerken potentiell ausgehenden erheblichen Gefahren 448 und in Anbetracht der vielfach schwierigen Beurteilung der konkret eingreifenden baurechtlichen Anforderungen will er damit der Bauaufsichtsbehörde die Möglichkeit geben, in jedem Einzelfall vor Beginn der Bauausführung zu prüfen, ob das betreffende Vorhaben den materiellen Anforderungen des geltenden Baurechts entspricht. Die Einführung der Genehmigungspflicht soll das Bauen nicht als „an sich" verbotene Tätigkeit qualifizieren und damit die Baufreiheit beseitigen. Sie hat vielmehr lediglich präventiven Charakter 449 . Die Baugenehmigung verleiht dem Bauherrn nicht erst das Recht zu bauen, sondern setzt es gerade voraus450. Rechtstechnisch handelt es sich um die Figur des sog. Verbots mit Erlaubnisvorbehalt451. Wer ohne die erforderliche Baugenehmigung (auch als „bauaufsichtliche Genehmigung", „Bauerlaubnis" und „Baukonsens" bezeichnet) ein Bauwerk errichtet, handelt formell baurechtswidrig452, und zwar auch dann, wenn sein Vorhaben den Anforderungen des materiellen Baurechts vollständig entspricht. Verstößt er zugleich gegen materielle Anforderungen, dann treffen formelle und materielle Baurechtswidrigkeit zusammen 453 . Die Baugenehmigung bildet nach überlieferter Auffassung lediglich einen feststellenden oder beurkundenden Verwaltungsakt. Nach der auf das preußische OVG454 zurückgehenden Definition beinhaltet sie die Feststellung (Erklärung) der zuständigen Behörde, daß dem Bauvorhaben Hindernisse aus dem zur Zeit ihrer Erteilung geltenden Recht nicht entgegenstehen455. Diese Qualifizierung läßt sich jedoch nicht aufrechterhalten 456 . Sie verwechselt nämlich die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung mit ihrem Regelungsgehalt. Nach richtiger Auffassung hat die Baugenehmigung konstitutiven Charakter. Sie „gibt den Bau frei" 457 , verleiht also dem Baulustigen die ohne sie nicht existente Befugnis, mit der Verwirklichung seines Vorhabens zu beginnen 458 . Außerdem erzeugt sie eine materielle Schutzfunktion (sog. Feststellungswirkung). Sie sichert den Bestand des auf ihrer Grundlage errichteten Bauwerks vor einem Rückgriff auf das materielle 448 449 450 451 453 454 455 456 457 458

Aus diesem Grunde ist dieses Verfahren unbedenklich. Vgl. Drews / Wacke / Vogel, Gefahrenabwehr, Bd. I, 8. Aufl. 1975, S. 214ff. BVerwGE 16, 116 (120); BGHZ 26, 10 (11); 60, 112 (115f.). BGHZ 65, 182(186). Hierzu näher oben Friauf, Polizei- und Ordnungsrecht, Abschn. III. 2b, aa (2). 452 S. § 93 VII MBauO. Wegen der eintretenden Rechtsfolgen, s. unter d. Bereits PrOVG 5, 376 (379); s. ferner PrOVG 98, 220 (221). BVerwGE 16, 116 (120); 22, 129 (133); BVerwG BRS 16, 211; BRS 18, 84; BRS 18, 185; BRS 18, 186; BGH NJW 1982, 1394 ff. (1395). Zum folgenden Friauf DVB1. 1971, 713ff. (719ff.); Martens, JuS 1975, 69ff. S. § 93 VII MBauO; § 59 VI bad.-württ. BauO; Art. 74 VIII bayer. BauO; § 78 nieders. BauO; § 88 VIII nordrh.-westf. BauO. Zustimmend BGH DVB1. 1973, 918ff. (919); vgl. auch Scheerbarth, a. a. O., § 138.

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Baurecht. Solange sie rechtlichen Bestand hat, d. h. nicht in zulässiger Weise zurückgenommen worden ist, kann die Frage der materiellen Legalität nicht aufgeworfen werden 459 . Deshalb ist eine Abbruchverfügung unzulässig, selbst wenn die materielle Unvereinbarkeit des Bauwerks mit dem geltenden Recht inzwischen feststehen sollte 460 . „An der Genehmigung vorbei" dürfen allerdings nachträgliche Anforderungen aufgrund der polizeilichen Generalklausel oder aufgrund sondergesetzlicher Eingriffsermächtigungen 461 ergehen, um Gefahren abzuwenden, die bei der Genehmigungserteilung nicht vorhersehbar waren 462 . — Die Bauerlaubnis hat dinglichen Charakter. Sie wirkt auch zugunsten des Rechtsnachfolgers des ursprünglichen Bauherrn463. Entspricht ein Vorhaben in allen Punkten den materiellen Bestimmungen des Baurechts 464 , dann muß die Baugenehmigung erteilt werden. Der Bürger hat dann zugleich einen Rechtsanspruch au/ihre Erteilung*65. Das ergab sich seit jeher aus dem bloß vorbeugenden Charakter der Genehmigungspflicht und wird heute in den Bauordnungen ausdrücklich ausgesprochen 466 . Bei der Baugenehmigung handelt es sich daher um eine gebundene Erlaubnis*67. c) Genehmigungspflichtige, anzeigepflichtige sowie genehmigungs- und anzeigefreie Vorhaben: Die Bauordnungen haben die Genehmigungspflicht für bauliche Maßnahmen nicht ausnahmslos durchgeführt. Bei bestimmten Bauvorhaben von geringerer Bedeutung verlangen sie lediglich eine Bauanzei459 460

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So jetzt auch BVerwGE 58, 124 (127). Dazu VGH Kassel BRS 16, 205f. (206); BRS 18, 244ff. (245); BRS 18, 250ff. (251); OVG Lüneburg BRS 16, 199f. (200); OVG Berlin BRS 20, 291 ff. (292); VGH Mannheim BRS 20, 219ff. (222); vgl. auch BVerwG DVB1. 1972, 224ff. (224 - 225) sowie BVerwG DÖV 1958, 80. Näher dazu Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (722). Art. 63 V bayer. BauO; §90 IV nieders. BauO; §97 VI saarl. BauO; §88 IV nordrh.-westf. BauO, hierzu OVG Münster NJW 1980, 854 f. Wie hier OVG Münster NJW 1980, 854f.; Scheerbarth, a.a.O., S.359f.; a.A.: Drews / Wacke / Vogel, a. a. O., S. 251, wonach derartige Anordnungen als (entschädigungspflichtige) Einschränkung der Genehmigung zu beurteilen seien; zur Problematik s. Brodersen, JuS 1980, 686 ff. BVerwG NJW 1971, 1624ff. (1624 - 1625); OVG Saarlouis BRS 28, 260ff. (261). Nötigenfalls ist das Vorhaben durch entsprechende Auflagen mit dem Baurecht in Einklang zu bringen, soweit dadurch dem Anliegen des Baulustigen substantiell Rechnung getragen werden kann; vgl. z. B. VGH München BauR 1978, 46ff. (48). BVerwGE 16, 116 (120); 28, 145 ( 1 4 7 - 148); BGH DÖV 1976, 133f. (134); zum Rechtsanspruch auf Erteilung einer Abbruchgenehmigung s. OVG Hamburg DÖV 1977, 257 Nr. 38. Eine rechtswidrige Versagung der Genehmigung kann Entschädigungsansprüche auslösen; hierzu BGH NJW 1980, 387ff. § 93 I S. 1 MBauO; § 59 I S. 1 bad.-württ. BauO; Art. 74 I bayer. BauO; § 88 I S. 1 berl. BauO; § 99 I S. 1 hamb. BauO; § 96 I S. 1 hess. BauO; § 75 I nieders. BauO; § 88 I S. 1 nordrh.-westf. BauO; § 99 I S. 1 rheinl.-pfälz. BauO; § 96 I S. 1 saarl. BauO; § 69 I S. 1 schlesw.-holst. BauO. Dazu oben Friauf, Polizei- und Ordnungsrecht, Abschn. III. 2b, aa (1).

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ge468: Der Bauherr wird verpflichtet, sein Vorhaben der Bauaufsichtsbehörde binnen einer bestimmten Frist vor Beginn der Ausführung anzuzeigen. Die Behörde hat die Maßnahme zu untersagen, wenn ihr öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen469. Ergeht innerhalb der Frist470 kein Verbot, dann darf mit der Ausführung begonnen werden. Der Bauherr erlangt mit Fristablauf die gleiche Position, die der Inhaber einer Baugenehmigung bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben innehat471. Eine Reihe besonders geringfügiger Baumaßnahmen ist weder genehmigungs- noch anzeigepflichtigm. Hier verzichtet der Gesetzgeber auf jede präventive Kontrolle. Die Bauaufsichtsbehörde kann aber einschreiten, wenn sie auf irgendeine Weise feststellt, daß bei der Durchführung der Maßnahme gegen das materielle Baurecht verstoßen worden ist473. Gesetzestechnisch bildet die Genehmigungspflicht die Regel474. Für die bloß anzeigepflichtigen und die weder genehmigungs- noch anzeigepflichtigen Vorhaben gilt das Enumerationsprinzip. Erscheint eine bestimmte Maßnahme nicht im Katalog einer dieser beiden Gruppen, dann ist sie in jedem Fall genehmigungspflichtig. d) Rechtsfolgen des ungenehmigten Bauens475: Gegen die Errichtung genehmigungspflichtiger, aber nicht genehmigter Bauwerke kann die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens stets einschreiten. Art und Umfang der Maßnahmen, die sie treffen kann, hängen davon ab, ob das betreffende Bauvorhaben lediglich wegen der fehlenden Genehmigung for468

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§ 86 MBauO; § 80 berl. BauO; § 92 Nr. 2 hamb. BauO; § 88 hess. BauO; § 80 II nordrh.-westf. BauO; §92 rheinl.-pfälz. BauO; § 88 saarl. BauO. Die rechtliche Funktion der Bauanzeige entspricht derjenigen eines Bauantrags; so BVerwGE 20, 12(13-16). § 94 S. 1 MBauO; § 97 III hess. BauO („kann"); § 89 II S. 1 nordrh.-westf. BauO; § 101 II rheinl.-pfälz. BauO; §97 II S. 1 saarl. BauO. Zur rechtlichen Bedeutung der Untersagungsverfügung s. OVG Münster BRS 20, 287 ff. (288). Zu den Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Fristverlängerung s. OVG Münster BRS 27, 209 ff. BVerwGE 55, 118 (125): „genehmigungsartige Legalisierungswirkung" der entgegengenommenen Bauanzeige; s. ferner OVG Münster BRS 20, 236ff. (237 - 238); BVerwG DVB1. 1972, 224ff. (225 - 226); vgl. auch BVerwGE 20, 12 (15). § 86 MBauO; § 52 bad.-württ. BauO; Art. 66f. bayer. BauO; § 81 berl. BauO; § 92 Nr. 1 hamb. BauO; § 89 hess. BauO; § 69 nieders. BauO; § 81 nordrh.-westf. BauO; § 93 rheinl.-pfälz. BauO; § 89 saarl. BauO; § 62 schlesw.-holst. BauO. OVG Münster OVGE 23, 166 und BRS 25, 226ff. (227): Auch genehmigungs- und anzeigefreie Vorhaben unterliegen, soweit es sich um bauliche Anlagen handelt, den Vorschriften der BauO; bei Verstoß kann Abbruchverfügung ergehen. § 86 I S. 1 MBauO; § 51 I bad.-württ. BauO; Art. 65 I S. 1 bayer. BauO; § 80 I berl. BauO; § 91 I hamb. BauO; § 87 hess. BauO; § 68 nieders. BauO; § 80 I S. 1 nordrh.westf. BauO; § 91 rheinl.-pfälz. BauO; § 87 I S. 1 saarl. BauO; § 61 I schlesw.-holst. BauO. Zum folgenden s. auch Därr, DÖV 1976, 111 ff.; Rabe, BauR 1978, 165ff.

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mell baurechtswidrig ist oder ob es zugleich gegen das materielle Baurecht verstößt 476 . aa) Bei nur formeller Baurechtswidrigkeit: In der Praxis kommt es immer wieder vor, daß eine bauliche Maßnahme zwar ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt wird, aber sachlich in vollem Einklang mit allen materiell-rechtlichen Anforderungen steht. Die Errichtung eines solchen „Schwarzbaus" ist formell illegal. Dennoch kann eine sofortige Beseitigung (Abbruch) des Bauwerks bzw. seiner bereits errichteten Teile nicht verlangt werden, weil dem Betroffenen bei Übereinstimmung der Maßnahme mit dem materiellen Baurecht ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung — und damit auf Beseitigung der formell-rechtlichen Schranke — zusteht 477 . Eine Abbruchsverfügung wäre regelmäßig 478 so lange unzulässig, bis über die Erteilung oder Versagung der Bauerlaubnis endgültig Klarheit geschaffen worden ist479. Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ist dabei von Amts wegen zu prüfen 480 . U m die Übereinstimmung mit dem materiellen Baurecht beurteilen zu können, sind die Baubehörden befugt, vom Bauherrn die nachträgliche Einreichung der Bauunterlagen zu verlangen und sie nötigenfalls im Weg des Verwaltungszwangs durchzusetzen 481 . Bis zum Abschluß der Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens kann die Einstellung der Bauarbeiten angeordnet werden 482 , wofür die Feststellung al-

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S. oben Abschnitt III 3 b. — Zu den verfassungsrechtlichen Bezügen dieser Unterscheidung s. BVerwG DVB1. 1979, 67ff. (68 - 69) und eingehend Sendler, in: Fs. f. Ernst, 1980, S. 403 ff.; Sendler, a.a.O., S. 414ff. auch zu Rechtsgebieten (z.B. WHG, s. BVerwG a. a. O.), in denen die formelle Illegalität eines Projekts schlechthin seine materielle Illegalität zur Folge hat. So schon das PrOVG, z. B. in OVG 30, 281 (286); seither st. Rspr. - Hierfür war ohne Zweifel auch von Bedeutung, daß regelmäßig volkswirtschaftlich bedeutsame erhebliche Sachwerte auf dem Spiel stehen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). S. auch BVerwGE 3, 351; BVerwG DÖV 1958, 80f.; Meyer, MDR 1971, 978ff. Anders u. U. bei Werbeanlagen, Automaten u. dgl., die durch eine (evtl. vorübergehende) Entfernung nicht zerstört werden; vgl. VGH Mannheim BRS 28, 348f. mit Nachweisen sowie Meyer, MDR 1971, 978 ff. (980). BGHZ 8, 97 (104, 106); arg. § 101 MBauO. Vgl. OVG Berlin BRS 24, 198ff. (199). OVG Berlin BRS 24,198 ff. (199). St. Rspr.: PrOVG 48, 360; 60, 393 (394, 398); 85, 431; OVG Münster DÖV 1971, 645 (LS); VGH Kassel BauR 1983, 241. - Nach Art. 82 S. 4 bayer. BauO und § 104 I S. 3 saarl. BauO kann überdies die Stellung eines förmlichen Bauantrags verlangt werden; anders dagegen OVG Berlin BRS 24,198ff. (199); vgl. auch BVerwG DÖV 1972, 425 f. (426). — Zum schutzwürdigen Interesse des Bauherrn an einer nachträglichen Erlangung der Bauerlaubnis s. BVerwG NJW 1977, 120 f. (121). Vgl. § 100 I Nr. 1 - 3 MBauO; dazu im einzelnen Scheerbarth, a. a. O., § 156. Ermächtigungsgrundlage ist, falls Sondervorschriften in der jeweiligen BauO fehlen, die ordnungsbehördliche Generalklausel. Dazu VGH Kassel BRS 25, 342 f. (342); OVG Münster BRS 20, 289ff.; BRS 22, 290ff. (291).

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lein der formellen Illegalität (Fehlen der Bauerlaubnis) genügt483. Werden sie gleichwohl fortgesetzt, so kann die Baustelle versiegelt werden 484 ; sämtliche dort vorhandenen Baustoffe, -teile, -maschinen und -hilfsmittel können in amtlichen Gewahrsam genommen werden485. Die Anordnung (sog. Stillegungsveifögung) steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Baubehörde 486 . Im Extremfall kann allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null und (bei Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften) ein entsprechender Anspruch des Nachbarn in Betracht kommen 487 . Bei bereits fertiggestellten Anlagen rechtfertigt das Fehlen der Bauerlaubnis ohne Rücksicht auf die Frage der etwaigen materiellen Legalität ein Nutzungsverbot488. Die Rechtsprechung ist hier allerdings nicht ganz geradlinig. So wird ein Räumungsgebot für ein nicht genehmigtes Haus, das ohne Rohbau- und Gebrauchsabnahme 489 als Wohnung benutzt wird, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr als zulässig angesehen. Nur wenn der ständige Aufenthalt in einem solchen Haus als gesundheitsgefährlich erscheint, kann es wegen materiellen Verstoßes gegen die baurechtliche Generalklausel zur Gefahrenabwehr im Einzelfall gerechtfertigt sein490. bb) Bei materieller Baurechtswidrigkeit: Ein inhaltlicher Widerspruch der errichteten Anlage zu den Anforderungen des geltenden Baurechts — sog. materielle Illegalität — bleibt so lange folgenlos, wie das Vorhaben durch eine wirksam (wenn auch unter Gesetzesverstoß) erteilte Baugenehmigung gedeckt ist. Die Baugenehmigung schirmt die Anlage gegen den Rekurs auf das materielle Baurecht ab491. Erst wenn sie im Einzelfall wegen ihrer Rechtswidrigkeit wirksam zurückgenommen worden sein sollte — was nach Herstellung des genehmigten Werks je nach landesrechtlicher Gesetzeslage gegebenenfalls nur unter wesentlich erschwerten Voraussetzungen zulässig ist492 —, kann der materielle Baurechtsverstoß geltend gemacht werden. Ist das materiell illegale Bauwerk nicht oder (wegen erfolgter Rücknahme der Baugenehmigung) nicht mehr durch eine formelle Legalität abgesichert, dann kann seine Beseitigung verlangt werden („Abbruchverfiigung")*93. Die 483 485 486 487 488 490 491 492 493

OVG Lüneburg BRS 16, 214f.; OVG Münster BRS 20, 287ff. (288-289); VGH Kassel BRS 25, 342f. (342). 484 Dazu OVG Münster BRS 16, 215f. u. 216ff. S. § 100 II MBauO. Zu den Ermessensschranken in einem derartigen Fall vgl. OVG Münster DÖV 1975, 284f. (285). VGH Kassel DÖV 1975, 757 (Nr. 194); vgl. auch OVG Saarlouis, NJW 1976, 908 (kein Anspruch des Nachbarn bei nur formeller Illegalität). OVG Münster BRS 28, 346f. (347); VGH Kassel BRS 25, 342f.; VGH München BayVBl. 1982, 51 f. 489 Vgl. § 104 MBauO. PrOVG 51, 391 (393ff.); OVG Koblenz BRS 18, 234ff. (236 - 238). Dazu eingehend Friauf, DVB1. 1971, 713 ff. (722); s. auch Bartlsperger, DVB1. 1971, 723 ff. (728). Dazu Battis, Öff. Baurecht, a. a. O., S. 159; s. auch unten Anm. 525. Zusammenfassend s. Rasch, BauR 1975, 94ff. und Därr, DÖV 1976, l l l f f . - Zur Tragweite der Abbruchverfügung s. OVG Saarlouis DÖV 1978, 144.

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meisten Bauordnungen haben dafür in Anlehnung an § 101 MBauO eine besondere Ermächtigung vorgesehen 494 . In den übrigen Ländern wird sie auf die ordnungsbehördliche Generalklausel gestützt495. Die Abbruchverfügung ist allerdings aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Eigentumsschutzes trotz Verstoßes gegen das derzeit geltende Baurecht unzulässig, wenn die Anlage früher einmal (im Zeitpunkt der Errichtung oder während eines Zwischenzeitraums) materiell legal gewesen ist496. Sie wird nachträglich (selbst nach Eintritt ihrer Bestandskraft) rechtswidrig, wenn die bau- oder bodenrechtliche Lage sich noch vor tatsächlicher Durchführung des Abbruchs zugunsten des Schwarzbauers ändert 497 . Im Regelfall muß die Frage der Legalität des Vorhabens im Abbruchverfahren selbständig geprüft werden. Ist allerdings zuvor ein Bauantrag bestandskräftig abgelehnt worden (und liegt kein Fall vor, in dem diese Ablehnung nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen durch Erlaß eines sog. Zweitbescheids wieder aufgehoben werden muß), dann kommt schon um der Ordnungsfunktion des baurechtlichen Verfahrens willen eine nochmalige Prüfung normalerweise nicht in Betracht 498 . Der Erlaß der Abbruchverfügung steht grundsätzlich im Ermessen499 der Behörde. Dieses Ermessen kann aber im Einzelfall zu einer positiven Einschreitenspflicht reduziert sein, so daß dann (bei Verstoß gegen nachbarschützende Baurechtsnormen) auch ein Anspruch des Nachbarn auf Erlaß einer Abbruchverfügung in Betracht kommt 500 . Das wird vielfach — allerdings nicht stets — der Fall sein, wenn während Anhängigkeit einer Nachbarklage gegen die Baugenehmigung weiter gebaut worden ist und die Klage 494

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§ 64 bad.-württ. BauO; Art. 82 bayer. BauO; § 97 berl. BauO; § 106 I hamb. BauO; § 89 I Nr. 2 nieders. BauO; § 103 rheinl.-pfälz. BauO; § 104 saarl. BauO; §76 schlesw.-holst. BauO. So z. B. OVG Münster BRS 27, 326ff. (326): wegen Störung der öffentlichen Sicherheit, ebenso VGH Kassel BRS 22, 285ff. (LS. 1) und BRS 25, 342f. (342), der sich allerdings (problematisch) auf eine Störung der öffentlichen Ordnung beruft. BVerwGE 3, 351 (353 - 3 5 5 ) ; BVerwG NJW 1971, 1624ff. (1625); BVerwG DVB1. 1979, 67ff. (69). Grundsätzlich dazu Sendler, in: Fs. f. Ernst, 1980, S. 403ff. - Zur Frage der Mindestdauer des „Legalitätszeitraums" vgl. Därr, DÖV 1976, 111 ff. (115f.). Vgl. BVerwG NJW 1977, 1893. Streitig. Wie hier BVerwG DÖV 1958, 8; BVerwGE 19, 162 (163) sowie insbes. OVG Münster BRS 27, 326ff. (327-329); Weyreuther, DVB1. 1965, 281 ff. (282, 283); a. A. OVG Hamburg, DÖV 1960, 429ff.; VGH Kassel BRS 24, 309ff. (310); Därr, DÖV 1976, 111 ff. (113 - 115). Nach BVerwGE 48, 271 (274-278) soll das allerdings nur gelten, wenn die Rechtmäßigkeit des die Baugenehmigung versagenden Bescheids durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil bestätigt worden ist; dazu s. Krebs, VerwArch. 67 (1976), S. 411 ff.; Weiß, DÖV 1976, 60ff. Dazu Schuegraf, BayVBl. 1967, 296 ff. Z. B. OVG Münster BRS 25, 322 ff. (324-325); VGH München BRS 28, 331 ff. (332); OVG Münster NJW 1984, 883f.; s. a. OVG Saarlouis NJW 1976, 908; Steinberg, NJW 1984, 457 ff. (462-464).

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schließlich Erfolg hat501. Eine wesentliche Ermessensgrenze ergibt sich aus dem Gleichheitssatz, namentlich in den praktisch wichtigen Fällen, in denen sich baurechtswidrige Zustände in einem Gebiet häufen, so daß eine systematische Sanierung erforderlich wird502. Im übrigen hat die Abbruchverfügung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sind z. B. nur einzelne Teile des ungenehmigten Bauwerks materiell-baurechtlich illegal, dann kann grundsätzlich nur die Beseitigung bzw. die baurechtskonforme Abänderung dieser Teile verlangt werden 503 — es sei denn, daß sie für den Bestand des ganzen Bauwerks notwendig sind (z. B. Fundamente). Nur im letztgenannten Fall kann die Behörde die Beseitigung des ganzen Bauwerks anordnen 504 . Im Anschluß an eine seit Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung 505 machen die Landesbauordnungen die Zulässigkeit der Beseitigungsanordnung bei materieller Baurechtswidrigkeit davon abhängig, daß „nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können". Es muß deshalb im Einzelfall zunächst geprüft werden, ob nicht durch Aufgeben einer Abänderung, durch Bedingungen oder Auflagen oder durch nachträgliche Erteilung eines Baudispenses506 die Rechtswidrigkeit des Zustandes beseitigt werden kann 507 . Schließlich darf die Abbruchverfügung nur dann ergehen, wenn ein öffentliches Interesse am Abbruch besteht508. Sind diese Voraussetzungen aber gegeben, dann kann die Beseitigung des Bauwerks selbst dann verlangt werden, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich ist509. Eine gegenüber dem Rechtsvorgänger ergangene Abbruchverfügung wirkt auch gegen den Erben, nicht aber gegen den Einzelrechtsnachfolger 510 . e) Baugenehmigung und private Rechtsverhältnisse: Die Baugenehmigung wird erteilt, wenn das konkrete Vorhaben mit den von der Baubehörde zu wahrenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Alle sonstigen Rechtsverhältnisse, insbesondere die Rechte Drittel, bleiben unberührt512. 501 502 503 504 505 506 507 508 509 510

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Vgl. auch Rasch, BauR 1975, 94ff. (94 - 95). Dazu s. etwa OVG Münster BRS 28, 339f. (339) und BRS 28, 340ff. (340 - 341); OVG Lüneburg OVGE 20, 411; VGH Kassel NJW 1984, 318f. Sog. Verkleinerungsverfügung, s. VGH Mannheim BRS 27, 338 ff. (339) und BRS 24, 89ff. (102); beachte aber auch BVerwG DVB1. 1973, 933 (Nr. 312, LS 2). Vgl. bereits PrOVG 104, 223. Z. B. PrOVG 53, 404 (407); 95, 219 (221). Dazu unten Abschnitt III 4. Näher dazu Scheerbarth, a. a. O., § 157 (2). Vgl. etwa VGH Mannheim BRS 28, 333f.; BRS 28, 337ff. (338); Wolff/Bachof, VwR III, § 136 Rdnr. 59. Vgl. BGH NJW 1970, 1180 f. Streitig; wie hier VGH Kassel NJW 1976, 1910f.; a. A. VGH Mannheim NJW 1977, 861 f. und NJW 1979, 1565f.; vgl. dazu die krit. Urteilsbespr. von v. Mutius, VerwArch. 71 (1980), S. 93ff.; s. ferner Ortloff, JuS 1981, 574ff. Z.B. Rechte aus einer Grunddienstbarkeit. Vgl. BVerwGE 50, 282 (285).

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Demgemäß besagen die Bauordnungen ausdrücklich, daß die Genehmigung „unbeschadet privater Rechte Dritter" erteilt werde513. Sie äußert gegen Außenstehende regelmäßig keine Rechtswirkungen 514 , legt ihnen insbesondere keine Duldungspflichten (z. B. Notweg) auf 515 . Aus diesem Grund darf die Bescheidung des Antrags auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller privatrechtlich zur Bebauung des vorgesehenen Grundstücks befugt ist516. Nicht allein Eigentümer, Pächter, Mieter oder Nießbraucher eines Grundstücks können daher eine Baugenehmigung erwirken, sondern auch der bloß tatsächliche Besitzer. Unter diesen Umständen erscheint es problematisch, wenn die neuere Rechtsprechung es teilweise zuläßt, einen Baugenehmigungsantrag wegen der eindeutig (etwa aufgrund eines rechtskräftigen Urteils) feststehenden zivilrechtlichen Unzulässigkeit der Baumaßnahme zurückzuweisen517. Hier wird auf dem Weg über eine Verneinung des Rechtsschutz-(Sachbescheidungs-)interesses die zivilrechtliche Lage in bedenklicher Weise in das Baugenehmigungsverfahren eingeführt 518 . f ) Die zeitliche Begrenzung der Baugenehmigung: Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen wird die Baugenehmigung mit ihrer Bekanntgabe an den Bauherrn wirksam519. Alsdann darf auch mit der Bauausführung begonnen werden. Die Baugenehmigung wird nicht ausdrücklich befristet. Dennoch muß ihre Geltungsdauer beschränkt sein. Denn sie beruht lediglich darauf, daß das Vorhaben im Zeitpunkt der Genehmigung dem geltenden Baurecht entsprach. Würde die einmal erteilte Genehmigung unbeschränkt fortgelten, dann bestünde die Gefahr, daß noch nach Jahr und Tag von ihr Gebrauch gemacht werden könnte, obwohl sich das Baurecht inzwischen möglicherweise geändert hat. Außerdem wäre die Versuchung gegeben, Genehmigungen „auf Vorrat" zu erwirken, um befürchtete Rechtsänderungen zu unterlaufen. 513

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So § 93 V MBauO; § 59 III bad.-württ. BauO; Art. 74 VI bayer. BauO; § 89 VI berl. BauO; § 99 III S. 1 hamb. BauO; § 96 IV S. 1 hess. BauO; § 75 VII 1 nieders. BauO; § 88 VI nordrh.-westf. BauO; § 99 I S. 2 rheinl.-pfälz. BauO; §96 VI S. 1 saarl. BauO; § 69 IV schlesw.-holst. BauO. Wegen der öffentlich-rechtlichen Beziehungen des Nachbarn des Bauherrn zu den Baubehörden s. unten Abschnitt III. 8. S. etwa OVG Saarlouis BRS 24, I42ff. (143). Dazu BVerwGE 50, 282 (285-286); vgl. auch die interessante Entscheidung des OVG Saarlouis BRS 27, 217f. Namentlich BVerwGE 20, 124 (125 - 127); 42, 115 (117), mit weit. Nachw.; VGH Mannheim BRS 22, 213ff. (213 - 214). Zur Kritik s. Menger/Erichsen, VerwArch. 56 (1965), 374ff. (386 - 388); Bartlsperger, DVB1. 1969, 265ff. (266 - 267); Wolff VwR III, 3. Aufl., § 136 V b 4; anders jetzt aber Wolff/Bachof, VwR III, 4. Aufl., § 136 Rdnr. 34. Auf die Bekanntgabe an sonstige Betroffene (Nachbarn etc.) kommt es insoweit nicht an; s. BVerwG DVB1. 1970, 62ff. (64).

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Die Bauordnungen 520 haben deshalb in verfassungskonformer Weise521 den Inhaber einer Bauerlaubnis unter Zeitdruck gestellt. Sie ordnen das Erlöschen der Erlaubnis für den Fall an, daß innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach ihrer Erteilung (meist ein, z. T. auch zwei oder drei Jahre) mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht ernsthaft begonnen oder daß die Bauausführung für die gleiche Zeit unterbrochen worden ist. Die Frist kann jedoch, auch mehrmals, um denselben Zeitraum verlängert werden. Die Verlängerung steht rechtlich einer Neuerteilung gleich. Sie setzt deshalb voraus, daß das ursprünglich genehmigte Vorhaben auch im Zeitpunkt der Verlängerung (noch) materiell baurechtmäßig ist522. Ist bei einem nur teilweise ausgeführten Vorhaben die Genehmigung durch Unterbrechung der Bauausführung erloschen, so bedarf der Bauherr für die Fertigstellung einer neuen Genehmigung. Deren Erteilung hängt von dem nunmehr geltenden Baurecht ab523. Soweit nicht die Landesbauordnungen Spezialvorschriften enthalten 524 , bestimmen sich Zulässigkeit und Rechtsfolge einer Aufhebung (Rücknahme, Widerruf) oder nachträglichen Einschränkung der Bauerlaubnis nach den mit den §§ 48, 49 BVwVfG übereinstimmenden Landesverwaltungsverfahrensgesetzen525. Mit der Vollendung des Bauwerks ist die Bauerlaubnis verbraucht. Sie behält allerdings insofern eine fortdauernde Bedeutung, als sie während der Dauer ihres Bestandes eine Abbruchverfügung wegen materieller Illegalität der baulichen Anlage verhindert (s. oben III 3 d, bb). Nachträgliche Änderungen des materiellen Baurechts berühren die Rechtmäßigkeit des einmal errichteten Gebäudes nicht526. Das Bauwerk genießt Bestandsschutz in dem Sinne, daß es so, wie es ausgeführt ist, genutzt werden kann, auch wenn ihm die neuen Vorschriften entgegenstehen sollten527. Der Bestandsschutz gewährt das Recht zur Vornahme gewisser untergeordneter baulicher Veränderungen, insbesondere zwecks Anpassung an geänderte Lebensverhältnisse528. 520

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527 528

§ 96 MBauO; § 62 bad.-württ. BauO; Art. 78 bayer. BauO; § 91 berl. BauO; § 101 hamb. BauO; § 99 hess. BauO; § 77 nieders. BauO; § 91 nordrh.-westf. BauO; § 104 rheinl.-pfälz. BauO; § 99 saarl. BauO; § 71 schlesw.-holst. BauO. BVerwG NJW 1965, 1195 f. VGH München BRS 29, 239f. (240). OVG Berlin BRS 22, 210f.; vgl. auch BVerwG BauR 1970, 97ff. § 105 hamb. BauO; § 101 hess. BauO; §90 nieders. BauO; §88 I rheinl.-pfälz. BauO. Zur unterschiedlichen Schutzintensität der baurechtlichen Spezialvorschriften einerseits und der VwVfGe andererseits s. Stelkens, BauR 1980, 7 ff. Es kann allerdings eine Anpassung bestehender baulicher Anlagen verlangt werden, „wenn dies wegen der Sicherheit oder Gesundheit erforderlich ist"; § 113 I MBauO; § 75 I bad.-württ. BauO; Art. 63 IV bayer. BauO; § 110 II berl. BauO; § 79 I hamb. BauO; § 99 II i. V. m. § 1 I nieders. BauO; § 104 I nordrh.-westf. BauO; § 118 II rheinl.-pfälz. BauO; § 114 I saarl. BauO; § 83 I schlesw.-holst. BauO. BVerwGE 25, 161 (162); 27, 341 (343). BVerwGE 25, 161 (163); BVerwG BRS 22, 216.

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Er deckt aber keine grundlegende Umgestaltung, die mit dem nunmehr geltenden Recht nicht übereinstimmt 529 . Mit der Erlaubnis verbundene Ausnahmen, Dispense 530 und Nebenbestimmungen (z. B. Auflagen)531 können auch nach Fertigstellung des Bauwerks ihre Bedeutung behalten. So kann — was praktisch besonders bedeutsam ist — die Erfüllung einer Auflage auch noch nachträglich erzwungen werden. Im Falle einer Rechtsnachfolge — z. B. Erbfall, aber auch Verkauf des Baugrundstücks — wirkt die Bauerlaubnis für und gegen den Rechtsnachfolger des Bauherrn532. Sie bezieht sich auf das Vorhaben, nicht auf die Person des Bauherrn als solchen533. 4. Ausnahmen und Befreiungen (Dispense) a) Allgemeines: Ist ein Bauvorhaben in einzelnen Aspekten mit Bestimmungen des materiellen Baurechts nicht vereinbar, so darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden. Möglicherweise kann dieses rechtliche Hindernis aber dadurch ausgeräumt werden, daß die zuständige Behörde dem Baulustigen eine Ausnahme von den betreffenden Bestimmungen bewilligt oder ihm Befreiung gewährt. Ausnahmen und Befreiungen bilden rechtlich selbständige Verwaltungsakte, auch wenn sie im Einzelfall (was nur bei der Ausnahme möglich ist) mit der Baugenehmigung in einer Urkunde verbunden und ihr u. U. sogar lediglich stillschweigend beigefügt sein sollten534. Logisch gehen sie stets ihrer Erteilung voraus, weil sie erst die Voraussetzungen schaffen, die es ermöglichen, das Vorhaben zu genehmigen. Ausnahme und Befreiung besitzen konstitutive Bedeutung534a. Beide heben ein materiell-rechtliches repressives Verbot für den Einzelfall auf und ermöglichen dem Begünstigten damit eine Bauweise, die ihm aufgrund der allgemeinen Baufreiheit nicht offenstünde 535 . Regelmäßig ebnet ihre Erteilung den Weg zu der für das Vorhaben notwendigen Bauerlaubnis. Sie kommen aber auch bei nur anzeigepflichtigen sowie bei genehmigungs- und anzeigefreien Vorhaben in Betracht536. Die begriffliche Unterscheidung von Ausnahmen und Befreiungen 537 ist heu529

Zum Bestandschutz s. im übrigen oben Abschnitt II. 4a, dd. Zu beiden s. unten Abschn. III. 4. Dazu s. unten Abschn. III. 5 a, cc. 532 §93 II MBauO; § 59 II bad.-württ. BauO; Art. 74 III bayer. BauO; § 89 IV berl. BauO; § 99 IV hamb. BauO; § 96 III hess. BauO; § 75 VII 2 nieders. BauO; § 88 II nordrh.-westf. BauO; § 99 V rheinl.-pfälz. BauO; § 96 II saarl. BauO; § 69 schlesw.holst. BauO. 533 BVerwG BRS 24, 303 ff. (304), mit Nachweisen. 534 Vgl. Scheerbarth, a. a. O., § 132 (für die Ausnahme). 534a v g l V G H K a s s e l D ö v 1 9 8 4 j 3 0 8 f 535 S. oben Friauf, Polizei- und Ordnungsrecht, Abschn. III. 2b, aa (2); ferner Drews / Wacke / Vogel, Gefahrenabwehr, Bd. I, S. 218,228. 536 Vgl. OVG Berlin BRS 24, 250 ff. (252 - 253). 537 Dazu s. BVerwGE 48, 123 (127). 530

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te in den Landesbauordnungen fixiert538. Deren Terminologie wird hier im Interesse der Klarheit zugrunde gelegt, auch wenn sie dogmatisch keineswegs voll überzeugen kann. b) Ausnahmen: Ausnahmen in der Terminologie der Bauordnungen stellen den Baulustigen von „nicht zwingenden Vorschriften"frei. Als nicht zwingend in diesem Sinne gelten nach der Legaldefinition 539 alle diejenigen Vorschriften, die entweder als Sollbestimmungen aufgestellt sind oder aber die Zulässigkeit von Ausnahmen ausdrücklich vorsehen540. Liegen die in der jeweiligen Baurechtsnorm aufgestellten Ausnahmevoraussetzungen vor und stehen öffentliche Belange nicht entgegen, so kann die Baubehörde aufgrund einer Ermessensentscheidung541 die Abweichung von der betreffenden Regelvorschrift erlauben. Erst die tatsächlich erteilte Ausnahmebewilligung gibt im Einzelfall den Weg für die Abweichung von der betreffenden Vorschrift frei. Wird sie nicht erteilt, dann muß die Vorschrift strikt beachtet werden, nicht anders, als wenn sie gar nicht unter Ausnahmevorbehalt stünde. Insofern ist es zumindest mißverständlich, wenn die Bauordnungen die ausnahmefähigen Vorschriften als „nicht zwingend" bezeichnen. Soweit die Bauordnungen echte „Soll"-Vorschriften enthalten, kann von ihnen in atypischen Fällen abgewichen werden, ohne daß es dazu einer Ausnahmebewilligung bedürfte 542 . Da die Ausnahmebewilligung auf einer Ermessensentscheidung beruht, kann sie mit Auflagen, Bedingungen und Widerrufsvorbehalten verbunden und auch befristet erteilt werden543. c) Befreiungen (Dispense): Im Gegensatz zur Ausnahmebewilligung wird der Dispens nicht im Zusammenhang mit einzelnen materiellen Bestimmungen tatbestandsmäßig normiert. Er stützt sich vielmehr auf eine generalklauselartige Ermächtigung544. Von den zwingenden Vorschriften des Bauordnungsrechts — und zwar grundsätzlich von allen — kann Befreiung erteilt werden, wenn entweder Gründe des allgemeinen Wohls die Abweichung fordern oder die Durchführung der betreffenden Vorschrift im Einzelfall zu einer „offenbar nicht beab538

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§ 91 MBauO; § 57 bad.-württ. BauO; Art. 72 bayer. BauO; § 87 berl. BauO; § 96 hamb. BauO; § 94 hess. BauO; §§ 85, 86 nieders. BauO; § 86 nordrh.-westf. BauO; § 86 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 94, 95 saarl. BauO; § 67 schlesw.-holst. BauO. § 91 I 2 MBauO; im übrigen vgl. die Gesetzesnachweise in der vorhergehenden Anmerkung. Beispiele in §§ 5, 7, 15, 40,41, 46, 52, 63 MBauO. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Ausnahmebewilligung besteht regelmäßig nicht. Der Bauherr hat jedoch das Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung. S. dazu eingehend Hoppe, DVB1. 1969, 340ff. Zur mangelhaften gesetzl. Begriffsbildung s. auch Scheerbarth, a. a. O., § 131 a (2). So ausdrücklich § 91 V MBauO und die entsprechenden Vorschriften der Landesbauordnungen. § 91 II MBauO und die entsprechenden Vorschriften der Landesbauordnungen.

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sichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist". Die Zulassung von Dispensen trägt der Erfahrungstatsache Rechnung, daß die unüberschaubare Vielfalt der auf die Bautätigkeit einwirkenden Verhältnisse immer wieder ganz besonders gelagerte bauliche Vorhaben hervorbringen oder sogar erzwingen wird, auf die die in den Bauordnungen bereitgestellten generellen normativen Regelungen nicht passen545. Außerdem eignet sich der Baudispens nicht selten dazu, um materiell baurechtswidrige Zustände, deren Beseitigung nicht vertretbar erscheint, nachträglich zu legalisieren. Die Befreiung stellt den Bauherrn in privilegierender Weise von einer an sich zwingenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung 546 frei. Damit bewirkt sie für das betreffende Vorhaben de facto eine Änderung des materiellen Bauordnungsrechts durch die zuständige Behörde547. Der erste der beiden Befreiungstatbestände kommt praktisch nur verhältnismäßig selten vor. Er setzt voraus, daß ein gesteigertes objektives öffentliches Interesse die Durchführung der baulichen Maßnahme in einer bestimmten Art und Weise gebietet548 und daß es erkennbar höher ist als das Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn an der Einhaltung der betreffenden Baurechtsnorm 549 . Das ist nur ganz ausnahmsweise der Fall. Dagegen besitzt der zweite Tatbestand größere Bedeutung für die Baupraxis. Bei ihm kommt es entscheidend darauf an, ob die aus der durchgängigen Anwendung des Gesetzes für den Betroffenen im konkreten Fall entstehende Härte „offenbar nicht beabsichtigt" ist. Diese Frage kann nur im Hinblick auf das hinter der gesetzlichen Regelung stehende Schutzgut beantwortet werden550. Die Härte ist vom Gesetz nicht beabsichtigt, wenn die Durchsetzung des Verbots im Einzelfall aus besonderen Gründen 551 zur Wahrung des Schutzgutes nicht erforderlich erscheint. In einer bloßen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Ausnutzung des Baugrundstücks durch den Eigentümer oder sonstiger wirtschaftlicher Interessen kann dagegen die erforderliche „Härte" nicht gefunden werden552. Auch wenn die offenbar nicht beabsichtigte Härte im konkreten Fall zu bejahen ist, darf die Befreiung nur dann gewährt werden, wenn ihr keine öffentlichen Belange entgegenstehen. Zu diesen öffentlichen Belangen werden alle 545 546 547 548 549 550 551

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Vgl. BVerwGE 48, 123 (127 - 128); OVG Münster OVGE 10, 226 (LS 4, 228 f.). Bad. VGH VerwRspr. 5, S. 86 ff. (91). S. OVG Münster OVGE 14, 60 (65); vgl. auch bereits PrOVG 29, 354 (369). BVerwG DÖV 1957, 185. Wolff/ Bachof, VwR III, § 136 Rdnr. 38. BVerwGE 48, 123 (129); vgl. ferner OVG Münster OVGE 10, 292 (LS 1, 294). BVerwG BauR 1975, 313ff.: Der konkrete Fall muß „Besonderheiten" aufweisen, die ihn im Verhältnis zum Regelungszweck des Gesetzes „als Sonderfall erscheinen lassen". Dazu BVerwG BauR 1976,52f. (53); vgl. auch VGH München BRS 25,286ff. (287 288): Keine „Härte", wenn die Schwierigkeiten auf das Verhalten des Baulustigen selbst zurückzuführen sind.

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Allgemeininteressen gerechnet, die im Hinblick auf das konkrete bauliche Vorhaben relevant sind 553 . Auch insoweit kommt dem Schutzgut der Bestimmung, die gegebenenfalls von der Befreiung betroffen würde, vorrangige Bedeutung zu554. Dagegen dürfen fiskalische Erwägungen in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt werden 555 . Ist keiner der beiden alternativen Befreiungstatbestände gegeben, dann darf die Behörde den Dispens nicht bewilligen 556 , selbst wenn sie das aus sachlichen Gründen für geboten hielte. Ein gesetzloser Dispens würde gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen. Liegt dagegen einer der Tatbestände vor, dann hat die Behörde eine Ermessensentscheidung zu treffen 557 . Abgesehen von dem Sonderfall der „Ermessensreduzierung auf Null" ist sie nicht positiv zur Bewilligung verpflichtet 558 . Die Auffassung des OVG Münster 559 , falls der Dispens durch Gründe des allgemeinen Wohls im Sinne des ersten der beiden Befreiungstatbestände gefordert werde, stehe dem Baulustigen ein Rechtsanspruch auf den Dispens zu, läßt sich nicht halten 560 . Wegen der besonderen Bedeutung des Dispenses als Abweichung von zwingenden gesetzlichen Vorschriften hat man das Befreiungsverfahren stark formalisiert. Die Befreiung darf nur auf schriftlich zu begründenden Antrag erteilt werden. Sie erfordert einen besonderen Bescheid; sie kann also — im Gegensatz zur Ausnahmebewilligung — nicht unmittelbar mit der Bauerlaubnis verbunden werden. Schließlich ist in der Mehrzahl der Fälle die Zustimmung der oberen Bauaufsichtsbehörde erforderlich 561 . 5. Bauverfahren und Bauüberwachung Die Bauordnungen enthalten neben den materiell-rechtlichen Bestimmungen einen umfangreichen Verfahrens- und organisationsrechtlichen Teil562. Er regelt außer Aufbau und Zuständigkeitsverteilung der Baubehörden 563 einge553 554 555 556 557 559 560 561

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Anschauliches Beispiel: BVerwGE 19. 238. S. OVG Lüneburg OVGE 16, 477 (480f.). S. OVG .Münster OVGE 13, 65 (69). OVG Münster OVGE 15, 193 (195 - 196); OVG Saarbrücken DÖV 1960, 434. Dazu s. Hoppe, DVB1. 1969, 340ff. 558 S. BVerwG NJW 1965, 166ff. (168). NJW 1966, 1833f.; BRS 29, 41 f. (42). Wie hier Gierth, NJW 1966, 2424f. Die landesrechtl. Regelungen divergieren hier. Manche verlangen die Zustimmung generell (z. B. § 87 II nordrh.-westf. BauO), andere dagegen nur für bestimmte Fallgruppen (z. B. § 87 III berl. BauO) oder verzichten ganz auf sie (z. B. § 96 II hamb. BauO). § § 8 1 - 1 1 0 MBauO; § § 4 8 - 6 9 bad.-württ. BauO; Art. 6 2 - 8 7 bayer. BauO; §§ 8 0 - 103 berl. BauO; §§ 90 - 113 hamb. BauO; §§ 87 - 110 hess. BauO; §§ 64 - 93 nieders. BauO; §§ 7 6 - 100 nordrh.-westf. BauO; § § 8 6 - 1 2 1 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 82 - 110 saarl. BauO; §§ 58 - 79 schlesw.-holst. BauO. S. unten Abschn. III. 7.

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hend das Bauerlaubnis-Verfahren564 und die Bauüberwachung einschließlich der Bauabnahme565. Ferner behandelt er die Baueinstellung und die Beseitigung von baulichen Anlagen 556 , die Privilegierung baulicher Anlagen des Bundes und der Länder 567 , die Freistellung der von anderen staatlichen Verwaltungen errichteten oder beaufsichtigten Anlagen von dem normalen Bauaufsichtsverfahren 568 , die sog. Baulasten 569 sowie die Vollstreckung von baubehördlichen Verwaltungsakten 570 und die Sanktionen bei Verletzung baurechtlicher Vorschriften 571 . Von diesen Gegenständen können hier im wesentlichen nur die praktisch bedeutsamsten, nämlich das Bauerlaubnisverfahren und die Bauüberwachung, im Überblick dargestellt werden 572 . a) Bauerlaubnis-Verfahren513: aa) Bauantrag: Die Bauerlaubnis wird nur aufgrund eines Bauantrags 574 erteilt575. Damit klare Verhältnisse bestehen, ist 564

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§ § 8 6 - 9 9 MBauO; §§ 5 1 - 6 1 bad.-württ. BauO; Art. 6 9 - 7 8 bayer. BauO; §§ 80 - 93 berl. BauO; §§ 91 - 105 hamb. BauO; §§ 87 - 101, 106 - 108 hess. BauO; §§ 6 8 - 7 8 , 8 3 - 8 4 nieders. BauO; §§ 8 0 - 9 3 nordrh.-westf. BauO; §§ 91 - 108, 111 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 8 7 - 102 saarl. BauO; § § 6 1 - 7 3 schlesw.-holst. BauO. §§ 102 - 104 MBauO; §§ 65 - 66 bad.-württ. BauO; Art. 79 - 80 bayer. BauO; §§ 9 4 - 9 5 berl. BauO; §§ 107, 109 - 110 hamb. BauO; §§ 1 0 4 - 105 hess. BauO; §§ 7 9 - 8 1 , 88 nieders. BauO; § § 9 4 - 9 6 nordrh.-westf. BauO; §§ 109-110, 114 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 105 - 107 saarl. BauO; §§ 77 - 78 schlesw.-holst. BauO. §§ 1 0 0 - 101 MBauO; §§ 6 2 - 6 3 bad.-württ. BauO; Art. 81 - 8 2 bayer. BauO; §§ 9 6 - 9 7 berl. BauO; §§ 106, 108 hamb. BauO; § 102 hess. BauO; §89 nieders. BauO; § 113 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 103 - 104 saarl. BauO; §§ 7 5 - 7 6 schlesw.holst. BauO. — S. hierzu unter materiell-rechtlichen Aspekten bereits oben Abschn. III. 3d. § 105 MBauO; § 69 bad.-württ. BauO; Art. 86 bayer. BauO; § 99 berl. BauO; § 111 hamb. BauO; § 107 hess. BauO; §82 nieders. BauO; §97 nordrh.-westf. BauO; § 115 rheinl.-pfälz. BauO; § 108 saarl. BauO; § 74 schlesw.-holst. BauO. § 106 MBauO; § 51 I Nr. 13ff. bad.-württ. BauO; Art. 87 bayer. BauO; § 100 berl. BauO; §§67, 70 nieders. BauO; §98 nordrh.-westf. BauO; §116 rheinl.-pfälz. BauO; § 109 saarl. BauO. §§ 1 0 7 - 108 MBauO; §§ 7 0 - 7 1 bad.-württ. BauO; §§ 1 0 4 - 105 berl. BauO; §§ 112-113 hamb. BauO; §§ 109-110 hess. BauO; §§ 92, 93 nieders. BauO; §§ 9 9 - 100 nordrh.-westf. BauO; §§ 120-121 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 109a, 109b saarl. BauO; § 79 schlesw.-holst. BauO. 570 § 109 MBauO. § 110 MBauO; § 74 bad.-württ. BauO; Art. 89 bayer. BauO; § 106 berl. BauO; § 115 hamb. BauO; § 113 hess. BauO; §91 nieders. BauO; § 101 nordrh.-westf. BauO; § 125 rheinl.-pfälz. BauO; § 111 saarl. BauO; § 80 schlesw.-holst. BauO. Zur Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes durch die Bauaufsichtsbehörden vgl. Stelkens, BauR 1978, 158 ff. Zum materiellen Recht s. oben Abschn. III. 3. Zu atypischen Fallgestaltungen vgl. Dölker, BayVBl. 1974, 400ff. Nach der Rechtsprechung muß ein wiederholter Bauantrag trotz bestandskräftiger Ablehnung eines früheren, inhaltlich gleichen Antrags erneut sachlich beschieden werden; s. BVerwG DVB1. 1972, 119ff. (119) - insoweit in BVerwGE 38, 152 nicht abgedruckt; BVerwG DÖV 1972, 640f. (641); BVerwG BRS 28, 230f. (231).

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er schriftlich unter Beifügung aller für die Beurteilung des Vorhabens erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen576. Mit dem Bauantrag gelten regelmäßig auch alle nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderlichen Genehmigungen, Bewilligungen oder Erlaubnisse als beantragt577. Diese werden von der Bauaufsichtsbehörde bei den in Frage kommenden Fachbehörden gegebenenfalls von Amts wegen eingeholt578 (Konzentrationsprinzip im Bauerlaubnis-Verfahren). bb) Voranfrage und Vorbescheid: Schon vor Einreichung des Bauantrags kann auf schriftlichen, meist mit nur wenigen Unterlagen versehenen Antrag des Baulustigen (sog. Voranfrage) ein schriftlicher Bescheid zu einzelnen Punkten des Bauvorhabens (sog. Vorbescheid) erteilt werden579. Besonders bedeutsam ist das Institut des Vorbescheids für die frühzeitige Klärung der Frage, ob das in Aussicht genommene Grundstück überhaupt oder in bestimmter Weise bebaut werden darf 580 . Durch die Voranfrage kann der Baulustige die Bebaubarkeit verbindlich 581 klären und über sie gegebenenfalls eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung herbeiführen 582 , ohne die unter Umständen sehr erheblichen Kosten für die Ausarbeitung der für den Bauantrag erforderlichen vollständigen Unterlagen aufwenden zu müssen583. Der Vorbescheid bildet rechtlich einen vorweggenommenen Teil der späteren BauerlaubnisSM. Er ist also keine bloße Zusage auf Erteilung der Bauerlaubnis, sondern bereits ein (gegenständlich begrenzter) Ausschnitt aus dieser Erlaubnis selbst, und erzeugt - mit Ausnahme der eigentlichen Baufreigabe dieselben Rechtswirkungen wie sie585. Allerdings verliert er seine Wirkung, 576 578 579 580

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S. § 88 I S. 1, II S. 1 MBauO. 577 S. § 88 I S. 2 MBauO. S. § 90 II S. 1 MBauO. S. § 89 MBauO. — Zu den dogmatischen Problemen s. näher Selmer, Vorbescheid und Teilgenehmigung im Immissionsschutzrecht, 1979. Der zustimmende Entscheid über eine Bauvoranfrage, die die planungsrechtliche Bebaubarkeit des Grundstücks betrifft (vgl. §§ 3 0 - 3 6 BBauG), wird als „Bebauungsgenehmigung" bezeichnet; grundlegend PrOVG 104, 206 u. 244; s. ferner BVerwGE 18, 247 (247 - 248); 48, 242 (245); BVerwG NJW 1984, 1473f. Zur Bindungswirkung bei nachfolgender Änderung der Sach- oder Rechtslage s. BVerwG NJW 1984, 1473 f. (nachfolgende Veränderungssperre oder Änderung des Bebauungsplans); ferner BVerwG NJW 1984, 1474f.; OVG Lüneburg NVwZ 1982, 1772; Ortloff, NVwZ 1983, 705ff., jew. m. N. zum Streitstand. Zur verfahrensrechtlichen Lage s. Czermak, BayVBl. 1969, 313 f. Bei offensichtlicher bauordnungsrechtlicher Unzulässigkeit des Vorhabens kann ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse für eine Klage auf Erteilung der Bebauungsgenehmigung fehlen; BVerwGE 61, 128 (130f.). BVerwG NJW 1969, 73; BVerwG NJW 1984, 1474f.; OVG Lüneburg NJW 1982, 1772; VGH Kassel BRS 24, 203 ff. (204). Demgegenüber möchte eine Mindermeinung ihn, namentlich im Hinblick auf die Konsequenzen für den Nachbarschutz, lediglich als Zusage auf Erteilung der Bauerlaubnis werten; s. Dürr, NJW 1980, 2295 f. Dazu s. insbes. BVerwGE 48, 242 (245); BVerwG NJW 1984, 1473f.

Baurecht

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wenn nachfolgend die (vollständige) Bauerlaubnis nicht rechtzeitig 586 beantragt wird. Auf Erteilung des Vorbescheids besteht ein Rechtsanspruch 587 , soweit sich aus den eingereichten Unterlagen die baurechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zweifelsfrei entnehmen läßt 588 . Ein durch den Vorbescheid beeinträchtigter Nachbar kann ihn unmittelbar anfechten 589 . Wegen der Bindungswirkung des Vorbescheids für das spätere Bauerlaubnisverfahren würde er anderenfalls mit seinen Einwendungen insoweit präkludiert 590 . cc) Erteilung des Bauscheines: Im Verfahren zur Prüfung der Bauunterlagen hat die Genehmigungsbehörde die Behörden und sonstigen Stellen zu hören, die durch das Vorhaben in ihrem Aufgabenbereich berührt werden 591 . Nach Maßgabe von sondergesetzlichen Bestimmungen ist in verschiedenen Fällen vor Erteilung der Bauerlaubnis das Einvernehmen mit betroffenen Fachbehörden herzustellen oder deren Zustimmung einzuholen. Besondere praktische Bedeutung besitzt insoweit die Zustimmung der obersten Landesstraßenbaubehörde bei Baumaßnahmen längs der Bundesfernstraßen (§ 9 II, III BFStG) 592 . Soweit Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften erforderlich werden, sind auch die Eigentümer der benachbarten Grundstücke zu hören 593 . Das Verfahren findet seinen Abschluß 594 entweder mit der Zurückweisung des Bauantrags oder, wenn alle einschlägigen gesetzlichen Vorschriften erfüllt sind, mit der Erteilung der Bauerlaubnis, auf die der Baulustige in diesem Falle einen Rechtsanspruch hat 595 . Die Bauerlaubnis ist verkörpert im sog. Bauschein596.

586 587 589 590

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Zur zeitlichen Begrenzung der Bindungswirkung s. OVG Lüneburg NJW 1967, 842 f. S. z.B. §84 II i.V. m. § 88 I S. 1 nordrh.-westf. BauO; enger („kann") §89 I MBauO. 588 OVG Münster OVGE 13, 71 ff. VGH München BayVBl. 1977, 177f.; VGH Mannheim VerwRspr. 12, 449 (LS 2); OVG Berlin BRS 16, 116ff. (117). S. auch §§ 89 II, 92 MBauO. Bei noch nicht eingetretener Bestandskraft des Vorbescheids muß sein Inhalt allerdings im Rahmen der Nachbarklage gegen die Baugenehmigung mit geprüft werden; BVerwG NJW 1984, 1474f. §901 MBauO. Dazu BVerwGE 16, 116; 19, 238; OVG Koblenz BRS 25, 334ff.; OVG Münster BRS 28, 313 ff. § 92 MBauO. — Zur Rücknehmbarkeit der Nachbarzustimmung vgl. VGH München BRS 25, 288 ff. (290 - 292). Zur Frage der der Behörde zuzubilligenden Bearbeitungsfrist vgl. BVerwG BauR 1971, 34f. und BRS 25,278f. Vgl. BVerwGE 16, 116 (120). — Eine vorläufige Bauerlaubnis vor endgültiger Prüfung wäre dagegen unzulässig. Sie kann auch nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung erreicht werden; VGH München BayVBl. 1976, 402f. § 93 I 2 MBauO; § 59 I bad.-württ. BauO; Art. 74 III bayer. BauO; § 89 III 1 berl. BauO; § 95 I S. 2 brem. BauO; §§ 99 I, 93 hamb. BauO; § 96 II S. 1 hess. BauO; § 75 IV 1 nieders. BauO; § 88 I S. 2 nordrh.-westf. BauO; §99 II S. 1 rheinl.-pfälz. BauO; § 96 I saarl. BauO; § 69 I schlesw.-holst. BauO.

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Die Bauerlaubnis wird vielfach mit Nebenbestimmungen versehen, die insbesondere dazu dienen, einzelne rechtliche Bedenken auszuräumen, die gegen ein in den Grundzügen genehmigungsfähiges Vorhaben bestehen. Praktisch bedeutsam ist vor allem die Auflage. Sie legt dem Bauherrn im Zusammenhang mit der ihm erteilten Genehmigung zusätzliche, selbständig erzwingbare Verpflichtungen auf. Sie kann als Verwaltungsakt für sich angefochten werden597. Demgegenüber begründet eine sog. modifizierende Auflage598 keine zusätzlichen Pflichten; sie schränkt vielmehr den Inhalt der Erlaubnis ein oder ordnet Abweichungen von der beantragten Bauausführung an (dem Antrag auf Errichtung eines Gebäudes mit Satteldach wird stattgegeben mit der „Auflage", es mit Flachdach zu versehen599). Hier ist eine selbständige Anfechtung ausgeschlossen; es kommt nur die Verpflichtungsklage auf (uneingeschränkte) Erteilung der ursprünglich beantragten Erlaubnis in Betracht600. Echte Bedingungen im Rechtssinne kommen weniger häufig vor. Oftmals erweist sich eine sog. „Baubedingung" sachlich als Auflage601. Mit dem (praktisch selteneren) Widerrufsvorbehalt eröffnet sich die Behörde die Möglichkeit, ein Vorhaben lediglich vorübergehend — als Provisorium — zuzulassen und den Weg für eine spätere Beseitigungsanordnung offenzuhalten602. Nebenbestimmungen sind unzulässig, wenn das beantragte Vorhaben in allen Punkten voll dem geltenden Recht entspricht und der Baulustige deshalb einen uneingeschränkten Genehmigungsanspruch besitzt. dd) Teilbaugenehmigung: Neben der normalen umfassenden Bauerlaubnis kennt das Bauordnungsrecht das wichtige Institut der sog. Teilbaugenehmigung603. Sie kann auf schriftlichen Antrag vor der endgültigen Bauerlaubnis für das Gesamt-Bauvorhaben erteilt werden, wenn der Bauherr ein schutzwürdiges Interesse daran hat, mit den Arbeiten für die Baugrube und für einzelne Bauteile oder Bauabschnitte alsbald beginnen zu können. Durch die Erteilung der Teilbaugenehmigung bindet sich die Baubehörde in der Weise, daß sie die endgültige (Voll-)Bauerlaubnis grundsätzlich 604 597 598 599 600

601 603

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BVerwGE 36, 145 (153 - 154); 41, 178 ( 1 8 0 - 181); BVerwG DÖV 1974, 563f. (564); BVerwG BayVBl. 1984, 372f.; Erichsen, VerwArch 66 (1975), S. 299ff. Grundsätzlich dazu Weyreuther, DVB1. 1969, 295ff.; Ehlers, VerwArch. 67 (1976), S. 369ff.; Lange, AöR 102 (1977), S. 337ff.; Hoffmann, DVB1. 1977, 514ff. Fall des VGH Mannheim BRS 28, 249 ff. BVerwG DÖV 1974, 380f. (381) und DÖV 1974, 563f.; BVerwGE 55, 135 (137); BVerwG NJW 1982, 2269f. (2269); BVerwG NVwZ 1984, 366f.; vertiefend Erichsen, VerwArch. 66 (1975), S. 299ff. Näher dazu Weyreuther, DVB1. 1969, 232ff. 602 S. OVG Saarlouis BRS 28, 260ff. §95 MBauO; §61 bad.-württ. BauO; Art. 76 bayer. BauO; §90 berl. BauO; §98 hamb. BauO; § 98 hess. BauO; § 76 nieders. BauO; § 90 nordrh.-westf. BauO; § 103 rheinl.pfälz. BauO; § 98 saarl. BauO; § 70 schlesw.-holst. BauO. Etwas anderes gilt nur dann, wenn einer der Gründe gegeben ist, die allgemein zur nachträglichen Aufhebung (Zurücknahme, Widerruf) einer Baugenehmigung berechtigen; BGH NVwZ 1983. 500f. (501) m. w. N.

Baurecht

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nicht mehr verweigern darf. Die Teilbaugenehmigung beinhaltet die grundsätzliche Billigung der Gesamtmaßnahme 605 . Ihr eignet Endgültigkeit in gleicher Weise wie der vollen Baugenehmigung606. Die Behörde kann allerdings noch nachträglich für die bereits begonnenen Teile des Bauvorhabens zusätzliche Anforderungen stellen, wenn sich bei der weiteren Prüfung der Bauvorlagen ergibt, daß sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich sind607. ee) Typengenehmigung und Ausführungsgenehmigung: Für bauliche Anlagen, die in derselben Ausführung an mehreren Stellen errichtet werden sollen, kann eine Typengenehmigung erteilt werden608. Sie kommt in der Praxis z. B. bei Fertighäusern vor. Trotz Vorliegens der Typengenehmigung muß für die Aufstellung jedes einzelnen Bauwerks eine besondere Baugenehmigung eingeholt werden. Dabei beschränkt sich aber die Prüfung der Baubehörde im wesentlichen auf die Besonderheiten des Einzelfalls (z. B. die Bebaubarkeit des Grundstücks). Die Bauausführung selbst braucht, soweit sie dem genehmigten Typus entspricht, nicht nochmals geprüft zu werden. Erhebliche praktische Bedeutung besitzt schließlich die sog. Ausführungsgenehmigung für .fliegende Bauten "609. Sie ist erforderlich für bauliche Anlagen, die bestimmt und geeignet sind, wiederholt aufgestellt und zerlegt zu werden 610 . Die Ausführungsgenehmigung muß vorliegen, wenn die Anlage erstmals in Gebrauch genommen wird. Jede erneute Aufstellung ist der Bauaufsichtsbehörde des Aufstellungsortes anzuzeigen und von ihr abzunehmen 611 . f f ) Zustimmungsverfahren bei öffentlichen Bauten: Bauvorhaben des Bundes und der Länder bedürfen keiner Baugenehmigung, Überwachung und Abnahme, wenn der öffentliche Bauherr die Leitung der Entwurfsarbeiten und die Bauüberwachung einem Beamten des höheren bautechnischen Verwaltungsdienstes übertragen hat. Sie unterliegen jedoch der Zustimmung der höheren (Landes-)Baubehörde 612 . Es handelt sich im wesentlichen um eine verfahrensrechtliche Sonderbehandlung. Materiellrechtlich sind die öffentlichen Bauten dagegen den allgemein geltenden Vorschriften des Baurechts unterworfen; auch die Hoheitsbauten des Bundes (einschließlich des Wehrbereichs) unterliegen grundsätzlich dem landesrechtlichen Baurecht613. 605 607 608

609

610 611 612 613

S. VGH Kassel BRS 22, 227. 606 VGH Kassel BRS 27, 239 ff. (240). § 95 III MBauO. - Vgl. auch §§ 99, 113 MBauO. § 97 MBauO; § 67 bad.-württ. BauO; Art. 77 bayer. BauO; § 92 berl. BauO; § 103 hamb. BauO; § 100 hess. BauO; §83 nieders. BauO; §92 nordrh.-westf. BauO; § 105 rheinl.-pfälz. BauO; § 100 saarl. BauO; § 72 schlesw.-holst. BauO. § 98 MBauO; § 68 bad.-württ. BauO; Art. 85 bayer. BauO; § 93 berl. BauO; § 104 hamb. BauO; § 106 hess. BauO; §84 nieders. BauO; §93 nordrh.-westf. BauO; § 106 rheinl.-pfälz. BauO; § 101 saarl. BauO; § 73 schlesw.-holst. BauO. Z. B. Karussells, Schaubuden, Zirkuszelte. Näher dazu Baumgarten, BayBgm. 1976, H. 9, S. 19ff. § 105 MBauO (Ausnahme bei Verteidigungsbauten, § 105 VII MBauO). BVerwG DÖV 1976, 749ff. (750 - 51); zur Geltung von Landesbaurecht für Anlagen der Bundesbahn s. Küchler, DÖV 1977, 187 ff.

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b) Bauüberwachung: aa) Laufende Überwachung: Die Ausführung eines genehmigungspflichtigen Bauwerks unterliegt während ihrer gesamten Dauer der baubehördlichen Überwachung 614 . Die Kontrolle soll gewährleisten, daß die am Bau Beteiligten 613 sich an Inhalt und Grenzen der Bauerlaubnis halten. Sie erstreckt sich vor allem auf die Brauchbarkeit der Baustoffe und Bauteile, die Ordnungsmäßigkeit der Bauausführung und auf die Beachtung der für die Sicherheit von Menschen, namentlich der Bauarbeiter, erlassenen Bestimmungen. bb) Bauabnahme: Neben der laufenden Überwachung, die nach Art und Umfang vom pflichtgemäßen Ermessen der Behörde abhängt, kennt das Baurecht die förmlichen Bauabnahmen 616 . Sie müssen grundsätzlich bei jedem genehmigungspflichtigen Bauvorhaben erfolgen. Die Abnahmen dienen insbesondere der Feststellung, ob der Inhalt der Bauerlaubnis beachtet worden ist und ob die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewahrt sind. Sobald die tragenden Teile des Bauwerks 617 errichtet sind, erfolgt die Rohbauabnahme. Nach Abschluß der Bauarbeiten ist die Schlußabnahme (= Gebrauchsabnahme) durchzuführen. Über sie wird der sog. Schlußabnahmeschein erteilt. Erst wenn er vorliegt, darf das Bauwerk in Betrieb genommen (bezogen) werden 618 . 6. Bauordnungsbehörden Bei den in den Bauordnungen geregelten Aufgaben handelt es sich um staatliche Angelegenheiten619. Sie werden in der unteren Instanz teilweise von kommunalen Stellen als Auftragsangelegenheiten bzw. Pflichtaufgaben nach Weisung 620 , im übrigen unmittelbar von staatlichen Behörden wahrgenommen. Es handelt sich in beiden Fällen um Sonderpolizei- bzw. Sonderordnungsbehörden621. Der Instanzenzug ist regelmäßig dreistufig gegliedert. Dabei obliegen die unmittelbaren Vollzugsaufgaben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der unteren Instanz 622 . 614 615 616 617 618

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S. §§ 1 0 2 - 104MBauC>. S. oben Abschn. III. 2. S. § 104 MBauO; abweichend die Rechtslage in Bayern, s. Art. 97, 98 bayer. BauO. Deren Überprüfung beim fertigen Bauwerk erheblich erschwert, z. T. unmöglich wäre. Ein Verstoß gegen die Vorschrift rechtfertigt allerdings regelmäßig kein Benutzungsverbot. Dagegen kann die Räumung eines nicht abgenommenen Gebäudes angeordnet werden, wenn dessen Standsicherheit berechtigten Zweifeln unterliegt; OVG Münster DÖV 1971, 645 Nr. 247. So § 82 I MBauO. S. in diesem Band: Schmidt/Aßmann, Kommunalrecht, Abschn. II. 1. a. Vgl. etwa OVG Münster BRS 28, 168 ff. (169). VGH Mannheim BRS 28, 325 f. (326): Grundsätzich kein Selbsteintrittsrecht der Aufsichtsbehörde zum Erlaß baurechtlicher Verwaltungsakte.

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Wegen der Einzelheiten wird auf die verschiedenen Landesbauordnungen623 und auf die Darstellung der allgemeinen Organisation der Polizei- und Ordnungsbehörden 624 verwiesen. 7. Baurechtliche Verträge Schon seit Jahrzehnten haben vertragliche Vereinbarungen zwischen einem Baulustigen auf der einen und der Baugenehmigungsbehörde auf der anderen Seite eine wachsende Bedeutung im Bereich des öffentlichen Baurechts erlangt. Sie werden in der Regel geschlossen, um in besonders gelagerten Fällen die Voraussetzungen für den Erlaß eines baurechtlichen Verwaltungsakts — vor allem einer Baugenehmigung oder eines Dispenses — zu schaffen. Der Baulustige übernimmt bestimmte Verpflichtungen, deren Erfüllung die Behörde in die Lage versetzen soll, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen. Nach ihrem Gegenstand und Zweck sind baurechtliche Verträge als öffentlich-rechtliche subordinationsrechtliche Verträge625 i. S. von § 54 BVwVfG zu qualifizieren. Die Frage nach ihrer Zulässigkeit und den rechtlichen Grenzen für ihre inhaltliche Gestaltung ist im Einzelfall — ebenso wie bei anderen öffentlich-rechtlichen Verträgen — anhand der in den Verwaltungsverfahrensgesetzen normierten Kriterien zu beurteilen, sofern nicht Spezialvorschriften vorgehen. In der Verwaltungspraxis kommt der baurechtliche Vertrag vor allem in Gestalt des sog. Garagenersatzvertrages626, des Baudispensvertrages621, des Erschließungsvertrages628 und des Folgekostenvertrages629 vor630. 8. Schutz des Nachbarn Die wachsende Dichte der Besiedlung hat seit Jahren in ständig zunehmendem Maße dazu geführt, daß von der Baubehörde erteilte Bauerlaubnisse oder sonstige begünstigende Verwaltungsakte von Nachbarn des Baulustigen als belastend empfunden werden. Die Betroffenen versuchen, diese Bela623

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S. § § 8 1 - 8 5 MBauO; §§ 4 8 - 5 0 bad.-württ. BauO; Art. 6 2 - 6 4 bayer. BauO; §§ 1 ff. berl. ASOG i. V. m. §§ 2, 8 berl. DVO-PolZustG; § § 8 1 - 8 6 hess. BauO; §§ 6 3 - 6 7 nieders. BauO; §§ 7 6 - 7 9 nordrh.-westf. BauO; §§ 8 6 - 9 0 rheinl.-pfälz. BauO; §§ 83 - 86 saarl. BauO; §§ 58 - 59 schlesw.-holst. BauO. S. in diesem Band: Friauf, Polizei- und Ordnungsrecht, Abschn. III. 1 b — e. Vgl. etwa BVerwGE 22, 138 (140f.); 23, 213 (214); BGHZ 54, 287 (289ff.). S. BVerwGE 23, 213 (217 - 223); BVerwG NJW 1980, 1294ff.; Weyreuther, in: Fs. f. Reimers, 1979, S. 379 ff. ^ Hierzu Schulze, Baudispensverträge, Bedeutung — Rechtlicher Charakter — Zulässigkeit, 1964. S. § 123 III BBauG; BGHZ 54, 287. S. BVerwGE 42, 331 ( 3 3 6 - 3 4 6 ) ; BVerwG NJW 1981, 1747f.; von Mutius, VerwArch. 65 (1974), 201 ff.; M.-T. Gassner, Die Abwälzung kommunaler Folgekosten durch Folgekosten Verträge, 1982. Näher hierzu: Vorauflage, Abschn. III. 7.b; Battis, Öff. Baurecht, a. a. O., S. 104ff., 126 f., 143.

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stung durch Rechtsmittel abzuwehren. In zahllosen Verwaltungsprozessen spielen demzufolge die Rechtsbeziehungen in dem Dreiecksverhältnis Baubehörde — Bauherr — Nachbar eine theoretisch wie praktisch bedeutungsvolle Rolle. Die dabei entstehenden Schwierigkeiten beruhen teilweise darauf, daß die Beziehungen zwischen dem Bauherrn und seinem Nachbarn grundsätzlich privatrechtlicher Natur sind und daher insoweit vom traditionellen zivilrechtlichen Nachbarrecht 631 geregelt werden. Das Baurecht ist isoliert vom Nachbarrecht entwickelt worden und fügt sich mit diesem nicht ohne weiteres zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Vor allem aber entstehen zahlreiche Zweifel deshalb, weil die baurechtlichen Regelungen nur selten etwas darüber besagen, ob, in welchem Maße und mit welchen Rechtsfolgen Dritte am Bauverfahren zu beteiligen oder ihre Interessen zu berücksichtigen sind. Die Frage des baurechtlichen Nachbarschutzes 632 bildet einen der praktisch wichtigsten Teilbereiche aus dem Problemkreis des sog. „Dritten im Verwaltungsrecht" 633 . Im vorliegenden Rahmen können die hier auftauchenden zahlreichen Einzelprobleme lediglich in einem knappen Überblick behandelt werden634. a) Materiell-rechtliche Grundlagen . Der Erfolg eines nachbarlichen Rechtsbehelfs gegen einen baurechtlichen Verwaltungsakt, insbesondere eine Bauerlaubnis, hängt von drei Voraussetzungen ab, die nebeneinander (kumulativ) gegeben sein müssen: (1) der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, (2) einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Nachbarn und (3) der Verletzung des Nachbarn in eigenen Rechten635. Daß der Nachbarschutz stets eine Verletzung des objektiven Rechts zugunsten des Bauherrn voraussetzt636, bedeutet im Grunde eine Selbstverständ631

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Zu dem noch nicht abschließend geklärten Verhältnis von öffentlich-rechtlicher Nachbarklage und privatrechtlichen Abwehransprüchen s. BVerwGE 28, 131 (134ff.) Schopp, Das Verhältnis von privatem und öffentlichem Nachbarrecht, 1978; Bartlsperger, VerwArch. 60 (1969), S. 35ff.; Hoppe, DVB1. 1969, 246ff.; Konrad, BayVBl. 1984, 33 ff. S. dazu allgemein Kubier / Speidel, Handbuch des Baunachbarrechts, 1970; Bender / Dohle, Nachbarschutz in Zivil- und Verwaltungsrecht, 1972. Dazu s. statt vieler Bernhardt, JZ 1963, 302ff.; Schmidt, NJW 1967, 1635ff.; Friauf, DVB1. 1969, S. 368ff.; ders., JurA 1969, 3ff. S. näher Friauf, JurA 1969, 3ff. (insbes. 17ff.); und 1970, 652ff.; ders., DVB1. 1971, 713ff.; im übrigen aus der Vielzahl der Veröffentlichungen etwa: Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, 1969; Sendler, BauR 1970, 4ff. u. 74ff.; Weyreuther, BauR 1975, l f f ; Gassner, DÖV 1981, 615ff.; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5ff.; Schwabe, NVwZ 1983, 523ff.; Schenke, NuR 1983, 81 ff.; Breuer, DVB1. 1983, 43lff.; Schlichter,in: Fs. f. Scupin, 1983, S. 881ff.; ders., NVwZ 1983, 641ff.; Steinberg, NJW 1984, 457ff.; Degenhart, JuS 1984, 187ff. Vgl. zusammenfassend etwa Peters, DÖV 1965, 744ff. (745f.); ferner BGH NJW 1983, 1795 ff. (1796) m. w. N. BVerwG DVB1. 1971, 754ff. (755); DVB1. 1971, 746ff. (748).

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lichkeit. Denn rechtmäßige Verwaltungsakte muß der Nachbar hinnehmen, auch wenn sie ihm nachteilig erscheinen. In solchen Fällen kann allenfalls die Frage auftauchen, ob die Vorschrift, die die Baugenehmigung legalisiert (Gesetz, Bebauungsplan usw.), ihrerseits gültig ist. Die Nichtigkeit der gesetzlichen Grundlage führt zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. — Das Erfordernis der Rechtswidrigkeit ist erfüllt, wenn die angegriffene Bauerlaubnis im Augenblick ihrer Erteilung637 von zwingenden Vorschriften des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts abweicht und nicht durch einen Dispens gedeckt ist638 bzw. wenn ein erteilter Dispens sich seinerseits als rechtswidrig erweist. Sofern die gesetzlichen Dispensvoraussetzungen gegeben sind, kann dem Rechtsbehelf des Nachbarn noch durch nachträgliche Dispenserteilung die Grundlage entzogen werden639. Die Nachbarklage hat nur Erfolg, wenn der Nachbar durch die Errichtung der zu Unrecht genehmigten baulichen Anlage tatsächlich beeinträchtigt würde640, d. h. wenn seine Situation sich gegenüber derjenigen, die bei Beachtung des geltenden Rechts bestünde, spürbar — mit der Folge einer feststellbaren Wertminderung — verschlechterte641. Er hat keinen Anspruch auf Einhaltung der Norm um ihrer selbst willen. Ob eine tatsächliche Beeinträchtigung zu erwarten ist, läßt sich nicht in allen Fällen rein empirisch feststellen, vor allem dann nicht, wenn keine körperlichen Einwirkungen (Immissionen u. dgl.) auf das Grundstück in Betracht kommen, sondern es lediglich um eine allgemeine Verschlechterung der Nachbarschaftssituation geht. In solchen Fällen wird oftmals nicht ohne eine wertende Betrachtung auf dem Hintergrund des als normal und angemessen angenommenen Zustands auszukommen sein. Die Beeinträchtigung des Nachbarn wird sich normalerweise daraus ergeben, daß die beabsichtigte bauliche Nutzung des Nachbargrundstücks sein eigenes Grundstück nachteilig zu beeinflussen droht. Die Nachbarklage, mit der er diese Beeinträchtigung abzuwehren versucht, hat deshalb grundsätzlich defensiven Charakter. Daneben kommt aber für Sonderfalle auch eine „offensive (störungspräventive) Nachbarklage" in Betracht, bei der es dem Nachbarn darum geht, die Bebauung der angrenzenden Grundstücke zu verhindern, um sich selbst die Möglichkeit des Aussendens von Emissionen offenzuhalten und einer künftigen Inanspruchnahme als Störer zuvorzukommen (z. B. ein emissionsträchtiges Industrieunternehmen wendet sich gegen die Errichtung von Wohnhäusern in der Nachbarschaft, um zu verhindern, 637

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Auf nachträgliche Rechtsänderungen zum Nachteil des Baulustigen kann der Nachbar sich nicht berufen; s. BVerwG DVB1. 1978, 614ff. (615); OVG Münster DÖV 1978, 147 f. Zur Ausräumung des Nachbarschutzes durch einen Dispens vgl. BGH NJW 1976, 1888 ff. (1889). Vgl. auch OVG Berlin BRS 20, 253ff. (255); OVG Münster BRS 20, 252f. (253). VGH Mannheim BRS 27, 58ff. (59); VGH Kassel BauR 1971, 109; Jacob, BauR 1984, l f f . OVG Münster BRS 25, 294ff. (297); BRS 27, 243ff. (245); BRS 32, 273ff. (274).

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daß ihm zum Schutz der zukünftigen Bewohner Beschränkungen auferlegt werden können) 642 . Da unser Verwaltungsrechtsschutz nur der Gewährleistung von Individualrechten dient und keine Popularklage kennt, setzt die Nachbarklage schließlich voraus — und zwar sowohl im Hinblick auf die Klagebefugnis, § 42 II VwGO, als auch als Voraussetzung für die Begründetheit, § 113 I I VwGO —, daß der Nachbar in seinen eigenen Rechten betroffen ist. Fehlt es daran, so wird die Klage trotz festgestellter Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und trotz (ggf. erheblicher) tatsächlicher Beeinträchtigung des Nachbarn abgewiesen 643 . Eine Betroffenheit in eigenen Rechten ist gegeben, wenn die Vorschrift, von der die Baugenehmigung zu seinem Nachteil abweicht, nicht lediglich öffentlichen Interessen dient, sondern zugleich dem Nachbarn eine eigene Rechtsposition einräumt und damit „nachbarschützenden Charakter" hat 644 . Nach heute gesicherter Lehre 645 und Rechtsprechung 646 kann der Nachbar 647 , wenn diese drei Voraussetzungen vorliegen, mit der Nachbarklage gegen eine Bauerlaubnis oder einen sonstigen baurechtlichen Verwaltungsakt 642

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BVerwG DVB1. 1971, 746ff. (748ff.); OVG Münster BRS 25, 31 ff. (35); VG Hannover DVB1. 1971, 767ff.; aus der jüngeren Rspr. s. statt vieler BayVGH BauR 1981, 172ff. und NJW 1983, 297ff. (298ff.); eingehend Friauf, DVB1. 1971, 713ff.; Bartlsperger, DVB1. 1971, 723ff.; Fröhler/Kormann, WiVerw 1977, 114ff.; dies., WiVerw. 1978, 245ff.; s. insbes. noch Lutz, Eigentumsschutz (Anm. 388), S. 21 ff., 80f., wo die Problemlösungseignung des Instituts eines „offensiven Nachbarschutzes" krit. beurteilt wird. Typisches Beispiel: OVG Saarlouis BauR 1976, 411 ff. (412); BVerwG DÖV 1984, 173 f. (174); auch Schadensersatzanspr. des „betroffenen" Nachbarn scheiden hier aus, s. BGH NJW 1983, 1795 ff. BVerwGE 27, 297 (307); 52, 122 (128); BVerwG NVwZ 1984, 38. - Ausnahmsweise kann der Nachbar auf Grund einer besonderen, wirksam erteilten Zusage auch einen Anspruch auf Einhaltung des objektiven, nicht nachbarschützenden Baurechts haben; dazu BVerwGE 49, 244 (250-252). Zum Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Bauordnungsbehörde nach § 76 I BauO NW vgl. OVG Münster NJW 1984, 883 ff. Aus der älteren Diskussion vgl. etwa Seilmann, NJW 1964, 1545 ff., m. w. N. Grundlegend BVerwGE 22, 129 (130 - 131). Der maßgebliche Nachbar-Begriff ist nicht einheitlich, sondern hängt von Schutzzweck, -richtung und -umfang der jeweils in Betracht kommenden Baurechtsnorm ab. Dazu s. namentlich BVerwG DVB1. 1974, 358ff. (361); OVG Münster BRS 24, 294 f. Auf unmittelbare Grenznachbarschaft kommt es nicht notwendig an. Zu Abgrenzungsproblemen vgl. etwa OVG Saarlouis BRS 27, 62 ff. (63); VGH München BRS 27, 263 ff. (265 - 266) und BRS 28, 283 ff. (284 - 285). Bei emittierenden Anlagen ergibt sich die Eigenschaft als Nachbar aus dem möglichen Einwirkungsbereich der Anlage; BVerwG NJW 1983, 1507f. (1508). Zur Frage der „NachbarEigenschaft des nur obligatorisch Berechtigten (Mieter, Pächter, Grundstückskäufer) s. BVerwG DVB1. 1983, 344f. u. DVB1. 1983, 898f.; OVG Lüneburg DÖV 1980, 524f.; OVG Hamburg NVwZ 1984, 48ff. - Im einzelnen bestehen viele Unklarheiten, s. Schlichter, NVwZ 1983, 641 ff. (645 ff.).

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durchdringen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle konzentriert sich die Problematik dabei auf die Frage, ob die jeweils verletzten Vorschriften nachbarschützenden Charakter besitzen. aa) Nachbarschützende Bestimmungen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts: Nach fast einhelliger Rechtsprechung und überwiegender Lehre648 ist die Frage, ob eine bestimmte Baurechtsnorm dem betroffenen Nachbarn eigene Rechte gewährt, durch Auslegung mit Hilfe der allgemeinen Interpretationsmittel: Wortlaut, systematischer Zusammenhang und Normzweck zu beantworten 649 . Generell kann eine nachbarschützende Wirkung nur angenommen werden, wenn die in Betracht kommende Vorschrift „einen bestimmten und abgrenzbaren, d. h. individualisierbaren und nicht übermäßig weiten Kreis" von durch sie Berechtigten erkennen läßt650. Diese Frage ist unter Umständen für die einzelnen Tatbestandsmerkmale derselben Bestimmungen unterschiedlich zu beurteilen651. Im Bereich des Bauplanungsrechts652 können die Ausweisungen der Bebauungspläne grundsätzlich nachbarschützenden Charakter haben. Im Einzelfall hängt das, da das Bundesrecht insoweit keine verbindliche Regelung getroffen hat, vom Willen des Ortsgesetzgebers und damit letztlich von der Auslegung des einzelnen Bebauungsplans ab653. Auslegungsfrage ist auch, ob der Nachbarschutz an den Grenzen des jeweiligen Plangebiets endet oder ob er angrenzende Zonen einschließt. Bei der gebotenen Auslegung kommt es nicht nur auf den generellen Charakter der Festsetzungen an, sondern auch auf ihre Funktion im Rahmen des jeweiligen Ortsrechts, in dem sie zur Anwendung gelangen654. Besondere Bedeutung erlangt vielfach der Gesichtspunkt, daß der einzelne Bebauungsplan die Betroffenen zu einer „Schicksalsgemeinschaft" zusammenschließt, die wechselseitig zu Vor- und Nachteilen führt, und daß er damit zwischen ihnen ein „Austauschverhältnis" schafft 655 ; daraus ergeben sich Duldungspflichten, zugleich aber auch Abwehrrechte. 648

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Die Auseinandersetzung mit den abweichenden Auffassungen im Schrifttum kann hier nicht aufgenommen werden. Vgl. dazu Friauf, JurA 1969, 3ff. (10 — 14); ders., DVB1. 1969, 368ff. (370 - 372); ders., DVB1. 1971, 713ff. (714 - 715). Dazu s. statt vieler BVerwGE 27, 29 (31 - 34); 28, 33 (34); BVerwG BRS 20, 241 f. (242); BVerwG DVB1. 1971, 754ff. (755). Gegen die jüngst vom OVG Münster NVwZ 1983, 414ff. (415) aufgestellte These, jede Norm des materiellen Baurechts sei potentiell nachbarschützend, BVerwG DVB1. 1984, 145; vgl. dazu Schröer, DVB1. 1984, 426 f. BVerwGE 52, 122 (129); ferner BVerwGE 27, 29 (33); 32, 173 (175); 41, 58 (63). BVerwGE 52, 122(128). Dazu insbes. Sendler, BauR 1970, 4 ff.; Wey reuther, BauR 1975, 1 ff. BVerwG DVB1. 1974, 358 ff. (361) - insoweit in BVerwGE 44, 244 nicht abgedruckt; BVerwG NJW 1973, 1 7 1 0 ( 1 7 1 1 ) - insoweit in BVerwGE 42, 5 nicht abgedruckt; BVerwG DVB1. 1974, 777 ff. (777). OVG Münster BRS 27, 294 ff. (295) mit Nachweisen. BVerwGE 27, 29 (33); BVerwG DVB1. 1974, 358ff. (361); BVerwG DVB1. 1971, 754ff. (755); OVG Münster BRS 32, 273ff. (279); vgl. Sendler, BauR 1970, 4ff. (6, 13); Weyreuther, BauR 1975, 1 ff. (10 - 11); Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (715).

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§ 34 BBauG, der die Bebaubarkeit im nichtbeplanten Innenbereich regelt, war in seiner früheren Fassung nach der Rechtsprechung 656 nicht nachbarschützend657. Hier kam deshalb lediglich in schwerwiegenden Fällen ein Nachbarschutz aus Art. 14 I GG 658 in Betracht659. Für die wesentlich schärfer gefaßte Regelung in § 34 BBauG n. F. erscheint dagegen eine abweichende Beurteilung angebracht 660 . Den privilegierenden Außenbereichs-Zuweisungen in § 35 I BBauG kommt teilweise nachbarschützender Charakter zu; insoweit kann sich ein privilegiertes Unternehmen gegen Nachbarbebauungen wehren, die seine eigene Privilegierung in Frage zu stellen drohen 661 . Demgegenüber gilt die allgemeine Außenbereichsregelung für nicht privilegierte Vorhaben (§ 35 II BBauG), bei der ein hinreichend abgegrenzter Kreis von Berechtigten im allgemeinen nicht erkennbar ist, als nicht nachbarschützend 662 . Einen grundlegenden Wandel zugunsten einer Ausweitung des Nachbarschutzes leitete die bedeutsame Schweinemaststall-Entscheidung des BVerwG663 aus dem Jahre 1977 ein, in der das Gericht einem nicht Privilegierten unter Rückgriff auf das als öffentlicher Belang i. S. von § 35 II, III BBauG fungierende Gebot der Rücksichtnahme Nachbarschutz zuerkannt hat. Es führt dort aus, daß das Rücksichtnahmegebot zwar im allgemeinen kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht begründe 664 . Jedoch komme ihm ausnahmsweise dann drittschützende Bedeutung zu, wenn nach den Umständen des Falles in qualifizierter und zugleich individualisierender Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rück-

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Insoweit grundlegend BVerwGE 32, 173 (175 - 177); BVerwG DVB1. 1970, 60 ff. und 62ff. (62); zuletzt BVerwG DVB1. 1978, 614ff. (615); dazu Evers, DVB1. 1970, 12ff.; Friauf, JurA 1970, 652ff(658). Vgl. zum Nachbarschutz im § 34 BBauG-Gebiet auch Meyer-Tasch, BayVBl. 1974, 515ff.; Seltner, NJW 1976, 265ff. Dazu s. den folgenden Abschn. Zu der strittigen Frage, ob das Inkrafttreten des BImSchG am 1. April 1974 die maßgebliche Schädlichkeitsgrenze beeinflußt, vgl. Schrödter, DVB1. 1974, 362ff.; Seltner, NJW 1976, 265 ff. Ebenso OVG Saarlouis NJW 1977, 2092ff. (2093); Pagenkopf, BauR 1977, 155ff. (158 - 159); Menger, VerwArch 69 (1978), S. 313ff. (318 - 321); Erbguth, in: Fs. f. Ernst, 1980, S. 89ff. (insbes. 100 - 105); Schenke, NuR 1983, 81 ff. (84 - 86); a. A.: BVerwG NJW 1981, 1973; BVerwG DVB1. 1981, 928ff. (929); VGH Kassel DVB1. 1977, 728ff. (730); OVG Lüneburg NJW 1978, 1822; Schlichter, ZfBR 1978, 12ff. (14); Geizer, a. a. O., Rdnr. 1086. Insbes. BVerwG DVB1. 1969, 263ff. (264) und DVB1. 1971, 746ff. (748); vgl. Friauf, DVB1. 1971, 713ff. (715 ff.); Weyreuther, BauR 1975, lff. (9). BVerwGE 28, 268 (274); BVerwG DVB1. 1972, 684f. (685); st. Rspr.; Schenke, a. a. O., (86). BVerwGE 52, 122 (125 - 131); wegbereitend die Überlegungen von Weyreuther, BauR 1975, lff. Zu den Kriterien der objektiv-rechtlichen Seite dieses Gebots und zu seinen dogmatischen Grundlagen s. Hoppe, Jura 1979, 133ff. (141ff.).

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sieht zu nehmen sei665. Damit hat das BVerwG nicht nur zum ersten Mal anerkannt, daß auch § 35 II BBauG drittschützende Wirkung entfalten kann. Vielmehr hat es sich zugleich die Möglichkeit eröffnet, quasi auf Umwegen — nämlich über das nach seinem Verständnis das gesamte Bauplanungsrecht steuernde Rücksichtnahmegebot 666 — praktisch jeder an sich bloß objektivrechtlichen Baurechtsbestimmung im Einzelfall subjektiv-rechtliche Relevanz abzugewinnen. Demgemäß hat es sich im Anschluß an obige Entscheidung dafür ausgesprochen, daß das im Begriff des Einfügens i. S. von § 34 I BBauG aufgehende Rücksichtnahmegebot 667 dieser nach seiner Auffassung grundsätzlich nicht nachbarschützenden Vorschrift im Einzelfall nachbarschützende Wirkung vermitteln könne 668 . In der Folgezeit hat das Gericht in konsequenter Weiterführung seiner Rechtsprechungslinie den von ihm praktizierten Drittschutzansatz ferner im Rahmen der bislang von ihm als nicht nachbarschützend interpretierten Bestimmungen der §§31 I, II BBauG 669 , 15 BauNVO 670 sowie auch im Problembereich des sog. gebietsüberschreitenden Nachbarschutzes 671 fruchtbar gemacht. Klarzustellen ist, daß der Rechtsanwender mit dieser Nachbarschutz-Konzeption nicht von vornherein der Notwendigkeit enthoben ist, den nachbarschützenden Charakter einer baurechtlichen Vorschrift auch weiterhin anhand der oben angesprochenen Auslegungsregeln feststellen zu müssen. Denn der auf dem Rücksichtnahmegebot aufbauende Nachbarschutz setzt zwar noch vor Erreichen der erforderlichen Unzumutbarkeitsschwelle i. S. des später noch darzustellenden grundrechtsabgeleiteten Nachbarschutzes ein, bleibt aber doch auf seltene, durch Qualifizierung und Individualisierung gekennzeichnete Ausnahmefälle beschränkt?12. Als nachbarschützend wird zunehmend auch die Planungsbedürftigkeit eines (Groß-)Vorhabens angesehen 673 . Danach soll der Nachbar geltend machen können, das Vorhaben habe nicht nach § 35 BBauG, sondern nur auf der Grundlage eines unter Bürgerbeteiligung (§ 2 a BBauG) zustande gekom665

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Diese Rspr. stößt in weiten Teilen der Lit. auf Ablehnung, s. etwa Menger, VerwArch. 69 (1978), 313ff. (316f.); Müller, NJW 1979, 2378ff.; Breuer, DVB1. 1982, 1065ff.; Schenke, a.a.O., (82ff.); zurückhaltend bis ablehnend auch einige Instanzgerichte, z.B. VG Köln NJW 1981, 1463f.; VGH Kassel ESVGH 29, 93 (98 ff.). Vgl. (zusammenfassend) BVerwG NJW 1984, 138ff. (138f.); Weyreuther, a.a.O., (2f.). S. oben Anm. 258. BVerwG NJW 1981, 1973; BVerwG DVB1. 1981, 928ff. (929f.); BVerwG NJW 1984, 138ff. (139); ebenso BGH NJW 1983, 1795ff. (1797); VGH Mannheim NVwZ 1984,44. BVerwG NJW 1983, 1574, allerdings lediglich andeutungsweise. BVerwG NJW 1984, 138ff. (139). 671 BVerwG NJW 1983, 2460f. BVerfG NJW 1983, 2460f. (2460). S. OVG Berlin DVB1. 1977, 901 ff.; OVG Hamburg NJW 1978, 658ff.; VG München BayVBl. 1981, 218ff.; u. a.

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menen Bebauungsplans genehmigt werden dürfen. Diese Auffassung ist deshalb problematisch, weil es ein subjektives Recht des einzelnen auf Durchführung eines Bebauungsplanverfahrens nicht gibt674. Durch das Unterbleiben der Planaufstellung, selbst wenn sie objektiv-rechtlich geboten sein sollte, kann der einzelne demnach schwerlich in subjektiven Rechten verletzt sein675. Im Bauordnungsrecht ist die Lage weithin recht unübersichtlich. Da es sich hier um Landesrecht handelt, kommt die einheitstiftende Funktion des Revisionsgerichts nicht zum Tragen; nicht selten werden inhaltlich übereinstimmende Vorschriften der verschiedenen Landesbauordnungen im Hinblick auf eine nachbarschützende Wirkung von den jeweils zuständigen Oberverwaltungsgerichten unterschiedlich ausgelegt. Generell scheint sich in neuerer Zeit eine stärker nachbarfreundliche Tendenz durchzusetzen. Auf die fast unübersehbare Kasuistik kann hier nicht näher eingegangen werden676. Als nachbarschützend werden im allgemeinen u. a. die Vorschriften über den seitlichen Grenzabstand von Bauwerken (sog. Bauwich) angesehen677 (im Gegensatz zu den Anforderungen an hintere Baulinien678), ferner teilweise Vorschriften feuer- und gesundheitspolizeilichen Inhalts 679 und bauordnungsrechtliche Bestimmungen über die Anordnung von Garagen und Stellplätzen680. bb) Grundrechte: Wenn die im Einzelfall zum Nachteil des Nachbarn verletzten Baurechtsnormen keinen nachbarschützenden Charakter haben, kommt - beschränkt auf Extremfälle und in der Schutzintensität erheblich geringer - ein Nachbarschutz unmittelbar auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie in Betracht681. Da das Grundstückseigentum 674 675

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S. oben Abschn. II.2.d. BVerwG DVB1. 1982, 1096f.; OVG Saarlouis NJW 1982, 2086f.; a. A.: Schenke, a. a. O., (86). Umfangreiche Nachweise vor allem bei Kübler / Speidel, a. a. O.; ferner bei Friauf, JurA 1969, 3ff. (7ff., 1 7 - 2 1 ) und 1970, 652ff. ( 6 5 3 - 6 6 5 ) ; Bender / Dohle, a. a. O., passim; Wolff/Bachof, VwR III, § 136 Rdnr. 49. Dazu BVerwGE 22, 129 (betr. den bundesrechtlich geregelten Garagen-Bauwich); BGH NJW 1976, 1888 ff. (1889), mit vielen Nachw.; ferner OVG Lüneburg OVGE 18, 341 (343 - 346); OVG Münster OVGE 13, 361; 19, 24 (26 - 28); VGH BadenWürttemberg BauR 1984, 52ff. (54); differenzierend VGH Kassel BRS 18, 204ff. (207f.); OVG Berlin OVGE Bln. Bd. 9, 113 (115). OVG Koblenz BRS 20, 249ff. (250); OVG Bremen BRS 20, 294f. (295). OVG Koblenz AS 1, 396 (398); BRS 28, 303 ff. (304); 28, 309; VGH Mannheim BRS 18, 218 u. BRS 27, 303 ff. (304). OVG Lüneburg DVB1. 1975, 915ff. ( 9 1 6 - 9 1 7 ) ; OVG Bremen BRS 20, 169ff. (172); VGH Mannheim BRS 22, 183 ff. (183 - 185). Grundlegend dazu BVerwGE 32, 173 (178 - 179); s. ferner BVerwG DVB1. 1970, 61 f. (61); DVB1. 1970, 62ff. (62); BVerwGE 44, 244 (246 - 248); DVB1. 1974, 767ff. (776); DVB1. 1974, 777ff. ( 7 7 7 - 7 7 8 ) ; DVB1. 1976, 220ff. ( 2 2 0 - 2 2 1 ) - insoweit in BVerwGE 49, 244 (246) nicht abgedruckt; BVerwGE 50, 282 ( 2 8 6 - 2 8 8 ) ; BVerwG DVB1. 1978, 614ff. (616); u. a.; s. ferner BGH NJW 1983, 1795ff. (1797).

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durch die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls (seine jeweilige „Situation") entscheidend geprägt ist - woraus sich gleichermaßen Beschränkungen wie Erweiterungen ergeben - kann eine mit dem anwendbaren Recht unvereinbare Maßnahme den Eigentümer in seinem Grundrecht verletzen und dabei einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch „aus Eigentum" auslösen682. Art. 14 I GG tritt jeweils an die Stelle der nachbarschützenden Funktion, die der verletzten Baurechtsnorm fehlt. Diese Konzeption wurde zunächst für § 34 BBauG entwickelt683. Sie wird aber inzwischen auch im Rahmen von § 35 BBauG684, von nicht nachbarschützenden Bebauungsplänen 685 und von Regeln des Bauordnungsrechts 686 angewandt. Die Voraussetzungen dieses eigentumsrechtlichen Nachbarschutzes werden eng gefaßt. Er greift ein, wenn die Baugenehmigung oder deren Ausnutzung die vorgegebene Grundstäckssituation „nachhaltig verändern" und dadurch den Nachbarn „schwer und unerträglich treffen"**1. Bei der konkreten Anwendung dieser Anforderungen sind Differenzierungen nach Art und Wirkungsweise des Eingriffs in das Eigentum geboten688. In jedem Fall müssen sie kumulativ erfüllt sein; namentlich muß die Unerträglichkeit des Eingriffs gesondert neben seiner Schwere festgestellt werden 689 . Wesentliches Kriterium dafür ist, daß die Grenzen der Sozialbindung des Eigentums überschritten sind. In der bisherigen Rechtsprechung hat eine auf Art. 14 I GG gestützte Nachbarklage denn auch nur selten Erfolg gehabt690. Die Frage, wieweit eine „Nachbar"-Klage auf sonstige Grundrechte gestützt werden kann, ist bisher noch weitgehend ungeklärt. Im Grundsatz muß eine 682

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Die grundrechtsdogmatische Bewältigung eines grundrechtlichen Nachbarschutzes aus Art. 14 GG steht noch aus; vgl. außer BVerwGE 50, 282 (286ff.) z. B. die unterschiedlichen Theorieansätze von Jarass, DVB1. 1976, 732ff. (734f.); Breuer, in: Fg. 25 Jahre BVerwG, 1978, S. 89ff. (108ff.); Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5ff. Aus grundsätzlichen Erwägungen krit. etwa Thiele, DÖV 1979, 236ff.; Lutz, Eigentumsschutz (Anm. 388), S. 43ff., m. w. N.; vgl. bereits Friauf, JurA 1969, 3ff. (9). BVerwGE 32, 173 (178 - 179). BVerwG DÖV 1972, 825 ff. (827); DVB1. 1974, 767 ff. (776). BVerwG DVB1. 1973, 635f. (636). BVerwGE 44, 244 (246). BVerwGE 32, 173 (179); 44, 244 (246); 50, 282 (287f.); st. Rspr. Damit umschreibt das BVerwG ein „Betroffensein von materiell als Enteignung zu wertender Qualität", Weyreuther, DÖV 1977, 419ff. (423); Immissionen, die das nach § 5 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß nicht überschreiten, begründen keinen schweren u. unerträglichen Eingriff, BVerwG NJW 1984, 250. Dazu überzeugend BVerwGE 50, 282 (287f.); s. auch BVerwG DVB1. 1983, 899ff. (900). Vgl. BVerwGE 44, 244 (246 - 248) und insbes. BVerwG DVB1. 1974, 777 ff. (778). Vor allem im Gelsenkirchener Floatglas-(DELOG-)Fall, BVerwG DVB1. 1974, 767ff. (776) - insoweit in BVerwGE 45, 309 (330) nicht abgedruckt; s. ferner OVG Lüneburg NJW 1980, 253 f.

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derartige Möglichkeit anerkannt werden691. Allerdings ergeben sich hier u. a. deshalb erhebliche Probleme, weil der Bezug zwischen der Grundrechtsposition des einzelnen und der jeweils angegriffenen Baugenehmigung bei den sonstigen Grundrechten regelmäßig nicht in dem gleichen Maße konkretisierbar sein wird, wie bei dem durch die räumliche Lage zum Baugrundstück geprägten Eigentum. b) Verfahrensrechtliche Fragen: Die Vorschriften der VwGO sind auf den Rechtsschutz des durch einen Verwaltungsakt betroffenen Nichtadressaten nicht unmittelbar zugeschnitten. Deshalb ergeben sich zahlreiche Probleme, die hier nur in Umrissen behandelt werden können. Klageverfahren: Als Rechtsbehelfe des beeinträchtigten Nachbarn kommen nach heute692 gesicherter Auffassung Widerspruch 693 und Anfechtungsklage694 gegen die bereits erteilte Baugenehmigung in Betracht. Eine Verpflichtungsklage des Nachbarn auf Rücknahme der Baugenehmigung oder auf Beifügung von Auflagen 695 ist nur in einigen Sonderfällen zulässig, in denen mit der Anfechtungsklage kein angemessener Rechtsschutz zu erzielen ist696. Unter strengen Voraussetzungen kann einer noch nicht erteilten Baugenehmigung mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage begegnet werden697. Um dem Nachbarn die Verfolgung seiner Rechte zu ermöglichen, ist ihm die Baugenehmigung bekanntzugeben, sofern er den Umständen nach in einer baurechtlich geschützten Position berührt sein kann 698 . Ist die Bekanntgabe im Einzelfall nicht erfolgt, dann kann der Nachbar auch noch nach Ablauf der in §§ 70 II und 58 II VwGO vorgesehenen Jahresfrist Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung erheben699. Allerdings kann das Anfechtungsrecht verwirkt werden, wenn der Nachbar trotz tatsächlicher Kenntnis von der Baumaßnahme seine Rechte über längere Zeit hinweg nicht wahrnimmt 700 . Bei der Entscheidung über die Nachbarklage sind, abweichend von den für Anfechtungsklagen geltenden Regeln, zwischenzeitige Rechtsänderungen zu691

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So auch zutreffend BVerwGE 54, 211 (221 ff.), im Hinblick auf Art. 2 II GG; ebenso OVG Hamburg NVwZ 1984, 48ff. (50f.); OVG Münster NVwZ 1984, 385f. Vgl. ferner Battis, DVB1. 1978, 577 ff. (582 - 583). Zum früheren Streitstand s. die Nachw. bei Fromm, VerwArch. 56 (1965), 26 ff. Zur Rechtslage bei Verfristung wichtig BVerwG DVB1. 1982, 1096. BVerwGE 22, 129 (131 ff); BVerwG DVB1. 1968, 27ff. (27 - 28); st. Rspr. Vgl. OVG Saarlouis BRS 24, 290 ff. Vgl. BVerwGE 49, 244 (251 - 252): bei Verstoß gegen eine dem Nachbarn gegebene behördliche Zusage auf Einhaltung von nic/i/nachbarschützenden Bestimmungen; OVG Münster BRS 27, 243ff.: bei bloß anzeigepflichtigen Vorhaben. BVerwG DVB1. 1971, 746ff. (747); vgl. auch OVG Berlin DVB1. 1977, 901 ff. Zur Form der Bekanntgabe s. VGH Mannheim BaWüVBl. 1968, 93. BVerwG DVB1. 1969, 268f. und 362ff. (363); DVB1. 1970, 62ff. (64); s. auch Weigert, BayVBl. 1969, 424f. BVerwGE 44, 294 (298 - 301); OVG Münster NJW 1981, 598f.

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gunsten des Bauherrn zu berücksichtigen701. Da der Bauherr in einem solchen Fall nunmehr einen Anspruch auf Erteilung der Bauerlaubnis hat, kann sie allein wegen ihrer ursprünglichen Rechtswidrigkeit nicht aufgehoben werden. Da der Nachbar materiell-rechtlich allein die Verletzung seiner eigenen Rechte geltend machen kann 702 , vermittelt die zwar objektiv rechtswidrige, aber Nachbarrechte nicht verletzende Baugenehmigung dem Bauherrn „eine durch die Nachbarn nicht mit Erfolg angreifbare Rechtsposition" 703 . Daraus ergeben sich zahlreiche prozessuale Situationen, in denen Verwaltungsakte trotz feststehender Rechtswidrigkeit vom Verwaltungsgericht „bestätigt" werden, weil es konkret an einem Anfechtungsrecht des Nachbarn fehlt704. Bei begründeter Nachbarklage wird das Vertrauen des Bauherrn in den Bestand der Genehmigung grundsätzlich nicht geschützt705. Demgegenüber sind bei der ausnahmsweise zulässigen Verpflichtungsklage auf Rücknahme einer Baugenehmigung (s. o.) die einschränkenden Voraussetzungen über die Zulässigkeit der Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten (Vertrauensschutz) zu beachten 706 . Falls das Vorhaben bei Abschluß des Nachbarprozesses bereits ganz oder teilweise ins Werk gesetzt worden ist, kann der mit seiner Klage erfolgreiche Nachbar einen auf Abbruch des Bauwerks gerichteten Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen. Die Baugenehmigungsbehörde ist als Mitverursacher des baurechtswidrigen Zusands grundsätzlich zur Folgenbeseitigung verpflichtet. Allerdings steht ihr insoweit ein Ermessen zur Verfügung, das sie unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten sowie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszuüben hat707. Im Einzelfall kann sich das Entscheidungsermessen der Baugenehmigungsbehörde auf Null reduzieren. Vorläufiger Rechtsschutz: Der vorläufige Rechtsschutz besitzt im Rahmen der Nachbarklage eine gesteigerte Bedeutung, weil oftmals die Gefahr be701 702

703 704 705 706 707

BVerwGE 22, 129 (133); OVG Saarlouis BauR 1976, 411 ff. (412); vgl. Buhren, DVB1. 1976, 68 ff. Diese Rechtslage beeinflußt auch den Prüfungsmaßstab: Im Rahmen der Nachbarklage kann das Vorhaben nicht in jeder Hinsicht, sondern nur insoweit auf seine Rechtmäßigkeit geprüft werden, als es sich um Auswirkungen handelt, die gerade die subjektive Position des Nachbarn berühren; s. BVerwGE 55, 250 (265, 267). BVerwG Buchholz 406. 19 Nachbarschutz Nr. 34; BVerwG NJW 1981, 67. Wegen charakteristischer Konstellationen vgl. BVerwG DVB1. 1970, 65 f. (66); BVerwGE 47,19 (21 - 23); BVerwG NJW 1981, 67. OVG Lüneburg OVGE 20, 439 u. BRS 24, 234f.; vgl. aber auch Peters, DÖV 1965, 744ff. (752 - 753); Bender, NJW 1966, 1989 ff. (1995 - 1996). Vgl. BVerwGE 49, 244 (251); BVerwG NJW 1981, 67. BGH DVB1. 1979, 112ff. (114); Geizer, Bauplanungsrecht, Rdnr. 885 - 886; s. namentlich auch Weyreuther, Gutachten B zum 47. DJT, 1968, S. llOff.; a. A. Schrödter, BBauG, § 31 Rdnr. 17 a; Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rdnr. 221: strikter Folgenbeseitigungsanspruch.

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steht, daß während der Dauer des Verfahrens zur Hauptsache bereits vollendete Tatsachen geschaffen werden. Er wirft allerdings wegen der Inadäquanz der VwGO-Vorschriften für die besondere Situation der nachbarrechtlichen Dreiecks-Beziehung erhebliche Probleme auf 708 , denen hier nicht nachgegangen werden kann. Wegen der Zuordnung des Nachbarschutzes zur Anfechtungsklage geht die mittlerweile ganz herrschende Auffassung 709 dahin, daß vorläufiger Rechtsschutz sowohl für den Nachbarn als auch für den Bauherrn allein nach § 80 VwGO, nicht aber nach § 123 VwGO zu gewähren sei. Rechtsbehelfe der Nachbarn haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung710.

708 709 710

Eingehend dazu Papier, VerwArch. 64 (1973), S. 283ff. u. 399ff.; ders., BauR 1981, 151 ff.; Finkelnburg, DVB1. 1977, 677ff.; Lüke, NJW 1978, 81 ff. S. BVerwG DVB1. 1969, 269ff.; VGH Mannheim BRS 28, 292ff.; Ortloff, NVwZ 1984, 279ff. (283); Kopp, VwGO, 6. Aufl., § 80 Rdnr. 22 m. w. N. Zu den Konsequenzen s. Battis, Öff. Baurecht, a. a. O., S. 208 f.

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Bayerisches ImmissionsschutzG vom 8. Okt. 1974 (GVB1. S. 499), zuletzt geändert durch G vom 30. April 1981 (GVB1. S. 91). G über die geordnete Beseitigung von Abfällen (Bayerisches AbfallG) vom 25. Juni 1973 (GVB1. S. 324), zuletzt geändert durch G vom 20. Juli 1982 (GVB1. S. 471). Berlin: G über Naturschutz und Landschaftspflege von Berlin (Berliner NaturschutzG) vom 30. Jan. 1979 (GVB1. S. 183), geändert durch G vom 3. Okt. 1983 (GVB1. S. 1290). WaldG vom 30. Jan. 1979 (GVB1. S. 177). VO zur Bekämpfung des Lärms (LärmVO) i. d. F. der Bekanntm. vom 4. Mai 1980 (GVB1. S. 976). Bremen: G über Naturschutz und Landschaftspflege (Bremisches NaturschutzG) vom 17. Sept. 1979 (GBl. S. 345). G zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und Erschütterungen (ImmissionsschutzG) vom 30. Juni 1970 (GBl. S. 71), zuletzt geändert durch G vom 18. Dez. 1974 (GBl. S.351). Bremisches AusführungsG zum AbfallbeseitigungsG vom 28. Jan. 1975 (GBl. S. 55). Hamburg: Hamburgisches G über Naturschutz und Landschaftspflege (Hamburgisches NaturschutzG) vom 2. Juli 1981 (GVB1. S. 167). LandeswaldG vom 13. März 1978 (GVB1. S. 74), geändert durch G vom 2. Juli 1981 (GVB1. S. 167). Hamburgisches AusführungsG zum AbfallbeseitigungsG vom 6. Febr. 1974 (GVB1. S. 71, ber. S. 140). Hessen: Hessisches G über Naturschutz und Landschaftspflege (Hessisches NaturschutzG) vom 19. Sept. 1980 (GVB1. S. 309). Hessisches ForstG i. d. F. der Bekanntm. vom 4. Juli 1978 (GVB1.1 S. 423, ber. S. 584). G über die geordnete Beseitigung von Abfällen (Hessisches AbfallG) i. d. F. vom 16. Juni 1978 (GVB1.1 S. 397, ber. S. 500). Niedersachsen: Niedersächsisches NaturschutzG vom 20. März 1981 (GVB1. S. 31). LandeswaldG i. d. F. der Bekanntm. vom 19. Juli 1978 (GVB1. S. 595), zuletzt geändert durch G vom 20. März 1981 (GVB1. S. 31). G zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und Erschütterungen (ImmissionsschutzG) vom 6. Jan. 1966 (GVB1. S. 1), zuletzt geändert durch G vom 2. Dez. 1974 (GVB1. S. 535). Niedersächsisches AusführungsG zum AbfallbeseitigungsG vom 9. April 1973 (GVB1. S. 109). Nordrhein- Westfalen: G zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft (LandschaftsG) i. d. F. der Bekanntm. vom 26. Juni 1980 (GVB1. S. 734), teilweise für nichtig erklärt durch Urteil des BVerfG vom 3. Nov. 1982 (BGBl. I S. 1595). LandesforstG i. d. F. der Bekanntm. vom 24. April 1980 (GVB1. S. 546). G zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (Landes-ImmissionsschutzG) vom 18. März 1975 (GVB1. S. 232), geändert durch G vom 18. Sept. 1979 (GVB1. S. 552).

Umweltschutzrecht

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AbfallG für das Land Nordrhein-Westfalen (LandesabfallG) vom 18. Dez. 1973 (GVB1. S. 562), zuletzt geändert durch G vom 6. März 1979 (GVB1. S. 94). Rheinland-Pfalz: LandesG über Naturschutz und Landschaftspflege (LandespflegeG) i. d. F. der Bekanntm. vom 5. Febr. 1979 (GVB1. S. 36), zuletzt geändert durch G vom 4. März 1983 (GVB1. S. 66). LandesforstG i. d. F. vom 2. Febr. 1977 (GVB1. S. 21), zuletzt geändert durch G vom 7. Febr. 1983 (GVB1. S. 17). LandesG zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und Erschütterungen (ImmissionsschutzG) vom 28. Juli 1966 (GVB1. S. 211), zuletzt geändert durch G vom 5. Nov. 1974 (GVB1. S. 469). LandesG zur Ausführung des AbfallbeseitigungsG (LandesabfallG) vom 30. August 1974 (GVB1. S. 374), zuletzt geändert durch G vom 7. Febr. 1983 (GVB1. S. 17). Saarland: G Nr. 1097 über den Schutz der Natur und die Pflege der Landschaft (Saarländisches NaturschutzG) vom 31. Jan. 1979 (ABl. S. 147). WaldG für das Saarland vom 26. Okt. 1977 (ABl. S. 1009). Saarländisches AusführungsG zum G über die Beseitigung von Abfällen i. d. F. der Bekanntm. vom 28. Jan. 1980 (ABl. S. 262). Schleswig-Holstein : G über Naturschutz und Landschaftspflege (LandschaftspflegeG) i. d. F. der Bekanntm. des G vom 19. Nov. 1982 (GVB1. S. 256, ber. GVB1. 1983 S. 9). LandeswaldG i. d. F. der Bekanntm. vom 10. Jan. 1983 (GVB1. S. 11). AusführungsG zum AbfallbeseitigungsG vom 26. Nov. 1973 (GVB1. S. 407).

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Rüdiger Breuer Gliederung

I. Grundlagen des Umweltschutzrechts 1. Die Aufgabenstellung des staatlichen Umweltschutzes 2. Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes a) Vorsorgeprinzip b) Bestandsschutzprinzip c) Verursacherprinzip d) Gemeinlastprinzip e) Kooperationsprinzip 3. Der Gesetzesvorbehalt und die Bestimmtheit des Gesetzes auf dem Gebiet des Umweltschutzes 4. Positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates 5. Negative grundrechtliche Schranken des Umweltschutzes 6. Gesetzgebungskompetenzen II. Abgrenzung und Einteilung des Umweltschutzrechts 1. Umweltschutzrecht als Rechtsgebiet 2. Der mediale Umweltschutz a) Umweltmedium Boden b) Umweltmedium Wasser c) Umweltmedium Luft 3. Der kausale Umweltschutz a) Atom-und Strahlenschutzrecht b) Chemikaliengesetz c) Lebensmittel-, Futtermittel- und Arzneimittelrecht d) Recht der Abfallbeseitigung 4. Der vitale Umweltschutz 5. Der integrierte Umweltschutz a) Der konkurrierend integrierte Umweltschutz b) Der konvergierend integrierte Umweltschutz 6. Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltschutzgesetzes III. Die Instrumente des staatlichen Umweltschutzes 1. Planungs-und Verteilungsinstrumente a) Modelle einer umfassenden Umweltschutzplanung b) Fachplanungen des Umweltschutzes c) Der Umweltschutz in der raumbezogenen Gesamtplanung d) Der Umweltschutz bei Fachplanungen anderer Verwaltungsbereiche . . 2. Administrative Kontrollinstrumente a) Anmeldepflichten b) Gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt c) Administrative Verbote und andere repressive Verfügungen d) Administrative Überwachung 3. Abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente a) Ausgleichsabgaben bei Eingriffen in Natur und Landschaft b) Abwasserabgaben c) Beiträge zur Altölbeseitigung 4. Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung

542 542 544 544 545 545 547 547 548 549 551 553 554 554 555 555 555 556 556 557 557 558 558 558 559 559 559 560 561 562 562 563 565 566 567 567 568 570 573 573 573 576 576 577

Umweltschutzrecht 5. Kooperationsinstrumente im Verhältnis Staat - Wirtschaft 6. Das Instrumentarium der öffentlichen Eigenregie IV. Das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege 1. Allgemeines 2. Landschaftsplanung 3. Eingriffe in Natur und Landschaft 4. Schutzgebiete 5. Artenschutz V. Immissionsschutzrecht 1. Allgemeines 2. Genehmigungsbedürftige Anlagen a) Kreis der genehmigungsbedürftigen Anlagen b) Betreiberpflichten c) Außer-immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen.... d) Genehmigungsverfahren e) Inhalt und Wirkung der Anlagengenehmigung f) Vorbescheid und Teilgenehmigung g) Nachträgliche Anordnungen h) Untersagung, Stillegung und Beseitigung von Anlagen, Widerruf der Anlagengenehmigung i) Anlagenbezogene Überwachung 3. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen 4. Der produktbezogene Immissionsschutz 5. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz a) Grundlagen des Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen b) Sonderregelung des Fluglärmschutzgesetzes 6. Der allgemeine handlungsbezogene Immissionsschutz 7. Der gebietsbezogene Immissionsschutz

541 580 581 583 583 585 585 586 587 587 587 589 590 590 596 596 597 598 599 599 600 600 602 602 602 603 604 604

VI. Atom- und Strahlenschutzrecht 1. Allgemeines 2. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung a) Rechtsbegriffliche Voraussetzungen b) Versagungsermessen c) Verfahren 3. Rechtsfragen der nuklearen Entsorgung 4. Atomrechtliche Haftung

605 605 606 606 608 608 609 610

VII. Recht der Abfallbeseitigung 1. Allgemeines 2. Abfallbegriff 3. Handlungspflichten der Abfallbeseitigung 4. Abfallbeseitigungspläne 5. Abfallbeseitigungsanlagen

611 611 612 612 613 613

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I. Grundlagen des Umweltschutzrechts 1. Die Aufgabenstellung des staatlichen Umweltschutzes Das Umweltprogramm der Bundesregierung von 19711 beginnt mit der zutreffenden Feststellung, daß der Umweltschutz keine neue Aufgabe ist, die Eingriffe des Menschen in den Naturhaushalt jedoch erst in der hochindustrialisierten Gesellschaft unserer Zeit zu einer ernsten, weltweiten Gefahr geworden sind. Die Ausgangslage des Jahres 1971 spiegelt sich in dem Befund der Bundesregierung wider, daß immer mehr Rohstoffe verbraucht werden, mehr Land überbaut wird und mehr Eingriffe in die Biosphäre notwendig sind. Die Ursachen dieser Umweltkrise sind tiefreichend und komplex. Als auslösende Faktoren haben die modernen Naturwissenschaften, die Technik und die industrielle Produktion gewirkt. Die Abhängigkeit von der Technik und der industriellen Produktion dürfte irreversibel sein2. Erst spät ist erkannt worden, daß das technische, industrielle und ökonomische Wachstum wegen der Knappheit der Umweltressourcen begrenzt ist3. Aufgrund der angedeuteten Fakten ist der Umweltschutz zu einer Schicksalsaufgabe des modernen Staates geworden. Einerseits tritt der „Staat der Industriegesellschaft"4 als planender und gestaltender Promotor des technischen Fortschritts sowie der industriellen und ökonomischen Expansion auf. Damit sichert und erweitert er die volkswirtschaftliche Basis der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge5. Andererseits ist es ein Gebot des Sozialstaatsprinzips, daß der moderne Staat die Aufgabe des Umweltschutzes wahrnimmt 6 . Dies kann nur dadurch geschehen, daß der Staat den Zugriff auf die Umweltressourcen sowie die Zulässigkeit von Umweltrisiken und -belastungen reglementiert, um die ökologische Existenzkrise abzuwenden und ein menschen1 2

3

4 5 6

BT-Drucks. VI/2710, S. 7; fortgeführt im Umweltbericht '76, BT-Drucks. 7/5684. Vgl. zum Begriff und zur Rolle der Technik statt vieler: Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 7ff.; zum historischen Prozeß der Industrialisierung Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 3. Aufl. 1976, S. 577 ff. Bewußtseinsbildend haben vor allem gewirkt: Carson, The silent Spring, 1962; Meadows, Die Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972; vgl. auch Rehbinder, ZRP 1970, 250ff.; Picht, ZRP 1971, 152ff. Hierzu mit Kritik an der „technischen Realisation" Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 30 ff., 42 ff., 75 ff. Vgl. Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 582ff., 796ff.; grundlegend zur Daseinsvorsorge: Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938. Vgl. Bullinger, in: Das Verursacherprinzip und seine Instrumente, 1974, S. 78; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 908f.; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 224ff.; Kölble, DÖV 1977, 3; ferner, allerdings die Effektivität verneinend: Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 70; a. A. Rauschning, W D S t R L 38 (1980), S. 185f.

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würdiges Dasein zu sichern. Hierzu ist eine gesellschaftliche Selbstregulierung nicht imstande. Allerdings ist nicht ohne Grund Kritik an einer „Übernormierung und Überinstrumentierung" im Bereich des Umweltschutzes geübt worden 7 . Gerade durch diese Eigenschaft wird die Effektivität rechtlicher Regelungen eher geschwächt als gestärkt. Dennoch bleibt zu fragen, ob der planende, gestaltende und verteilende Sozialstaat nicht eine überbordende, freiheitsmindernde Ingerenz in gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse reklamiert. So wird ein Machtzuwachs des Staates in neuen Zuständigkeiten und Befugnissen gesehen, die den Umweltschutz verstärken und die technische, industrielle und ökonomische Expansion beschränken oder steuern sollen. Diese Sicht gipfelt in der These: „Die ökologisch bedingte Investitionslenkung ist partiell längst Wirklichkeit"8. Der moderne Staat ist angesichts der Schicksalsaufgabe des Umweltschutzes zu einer schwierigen Gratwanderung gezwungen. Der sozialstaatliche Verfassungsauftrag verträgt weder auf dem Feld der Ökonomie noch auf dem Feld der Ökologie eine Preisgabe der Lebensgrundlagen. Erkennt man die Technik, die Industrialisierung und ein stabiles volkswirtschaftliches Sozialprodukt aufgrund des entstandenen irreversiblen Abhängigkeitsverhältnisses als existentielle Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins, so erweist sich die Vorstellung eines antithetischen Gegensatzes zwischen Ökonomie und Ökologie9 als unhaltbar. Umweltschutz kann nur von einer intakten Volkswirtschaft in hinreichendem Maße finanziert werden. Zudem wirkt der Umweltschutz volkswirtschaftlich nicht nur hemmend, sondern in selektiver Weise auch fördernd auf das Volumen der Investitionen und Arbeitsplätze ein10. Schließlich ist die Erhaltung einer intakten Umwelt existentielle Voraussetzung einer intakten Gesellschaft und Volkswirtschaft". Verfassungsrechtliche Staatsziel- oder Aufgabenbestimmungen über den Umweltschutz wie die neuen Art. 3 Abs. 2, 141 Abs. 1 BayVerf i. d. F. des ÄndG vom 20. 6. 1984 (GVB1. S. 223) lösen diesen Konflikt nicht. Sie vermögen nicht mehr herzugeben als der „relative" sozialstaatliche Wahrnehmungsauftrag zugunsten des Umweltschutzes11 a. Mit der Einsicht in die schicksalhafte Bedeutung des staatlichen Umweltschutzes ist eine Auf gabenerweiterung und Akzentverschiebung verbunden, die 7

So Kloepfer, DVB1. 1979, 644; Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 243f. So Kloepfer, DVB1. 1979, 640. 9 Vgl. statt vieler: Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 363ff. 10 Vgl. hierzu Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S. 38ff., insbes. S. 43ff.; Kunze, Umweltschutz-Investitionen und Wirtschaftswachstum, 1975, S. 16, 20ff.; OECD-Expertenbericht „Wirtschaft und Umwelt Die Verflechtung von Ökonomie und Ökologie", 1983. 11 So Jähr, in: v. Walterskirchen (Hrsg.), Umweltschutz und Wirtschaftswachstum, 1972, S. 72ff.; Kunze, a. a. O., S. 12. " a Vgl. die Vorauf!., S. 663; a. A.: Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rdnr. 130ff. 8

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Eckard Rehbinder 12 treffend gekennzeichnet hat. Den Ausgangspunkt bildet der anthropozentrische Interessenschutz, der in erster Linie dem Leben und der Gesundheit des Menschen sowie daneben dem allgemeinen menschlichen Wohlbefinden und wirtschaftlichen, durch Umweltbelastungen betroffenen Interessen dient. Die modernere Ausprägung des Umweltschutzes präsentiert sich als ressourcenökonomischer und ökologischer Interessenschutz. Er ist auf die Erhaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, auf den Schutz der Biosphäre, der Ökosysteme und der natürlichen Kreisläufe sowie insgesamt auf den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt gerichtet. 2. Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes Dem staatlichen Umweltschutz liegt eine Reihe rechtspolitischer Prinzipien zugrunde, die ihrer Natur nach unbestimmt und mehrdeutig sind13. a) Vorsorgeprinzip: Der Umweltbericht '76 der Bundesregierung 14 umschreibt das Vorsorgeprinzip mit den programmatischen Worten, daß Umweltpolitik sich nicht in der Abwehr drohender Gefahren und der Beseitigung eingetretener Schäden erschöpfe. Vorsorgende Umweltpolitik verlange darüber hinaus, daß die Naturgrundlagen geschützt und schonend in Anspruch genommen würden. Daran knüpft der Bericht die Feststellung, daß mit der Befolgung des Vorsorgeprinzips ständig wachsende Ansprüche an „die administrativ-planerischen Bereiche der Umweltpolitik" gestellt würden. Durch vorausschauende und gestaltende planerische Maßnahmen müsse erreicht werden, daß alle gesellschaftlichen und staatlichen Kräfte sich umweltschonend verhielten und bei ihren Entscheidungen mögliche Umweltauswirkungen berücksichtigten. Dennoch ist das Vorsorgeprinzip noch „inhaltlich und instrumenteil unbestimmt" sowie begrifflich klärungs- und präzisierungsbedürftig 15 . Es umfaßt umfaßt zwei Systemvarianten. Zum einen ist die Umweltplanung eine Ausdrucks- und Handlungsform des Vorsorgeprinzips16. Der Zusammenhang ergibt sich aus der Aufgabenstellung des ressourcenökonomisch und ökologisch orientierten Umweltschutzes, der sachlich auf Bewirtschaftung, Pflege und gezielte Verteilung der knappen Ressourcen und zeitlich auf die Zukunft gerichtet ist. Damit ist er dem Wesen nach Vorsorge und auf die Grundlage der Planung angewiesen. Den allgemeinen Merkmalen der Planung entsprechend, zeichnet sich die planerische Systemvariante des Vorsorgeprinzips dadurch aus, daß sie kein generell-abstraktes Gleichmaß, sondern in „zweckrationaler dezisionistischer Folgerich12 13

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RabelsZ 40 (1976), S. 369 ff. Vgl. die Auflistung des Vorsorgeprinzips, des Verursacherprinzips und des Kooperationsprinzips im Umweltbericht '76 der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/5684, S. 8f.; zur Unbestimmtheit und zu Kollisionslagen solcher Prinzipien etwa Kloepfer, Systematisierung des UmweltR, 1978, S. 103 ff. 14 BT-Drucks. 7/5684, S. 8. So der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, BT-Drucks. 8/1938, Tz. 1936; auch Rehbinder, in: Salzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 87ff. Vgl. Hoppe, VVDStRL 38 (1980), S. 228ff.

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tigkeit"17 eine konkrete Selektion und Differenzierung verwirklicht. Es geht hierbei um eine restriktive, koordinierte und zukunftgerichtete Umweltpolitik nach finalen Maßstäben und Prioritäten. Die Selektion und Differenzierung kann sich insbesondere auf bestimmte Räume, bestimmte Ressourcen, Qualitäten und Belange der Umwelt, bestimmte Anlagen und Stoffe sowie bestimmte Energieträger beziehen. Zum anderen kann das Prinzip der gefahrenunabhängigen Vorsorge auch nach dem generell-abstrakten Gleichmaß des klassischen Gesetzes18 betrieben werden. So kann das Gesetz bestimmen, daß zur Vorsorge gegen bestimmte Umweltbelastungen die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen im Rahmen der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit allgemein, insbesondere in stark wie in schwach belasteten Gebieten gleichmäßig geboten sind. Insoweit kann von der klassisch-gesetzlichen Systemvariante des Vorsorgeprinzips gesprochen werden. Ein derartiges Postulat des gefahrenunabhängigen, gleichmäßigen und generell-abstrakt gebotenen Umweltschutzes kann im Vorsorgegrundsatz des § 5 Nr. 2 BImSchG erblickt werden19. b) Bestandsschutzprinzip: Bisher hat das Bestandsschutzprinzip nicht die gebührende Beachtung gefunden. Es zielt auf den Schutz des vorgefundenen Umweltbestandes. So verstanden, entbehrt es einerseits des zukunftgerichteten, gestalterischen Elements, das dem Vorsorgeprinzip innewohnt. Anders als dieses bietet es auch keine Handhabe zur Verbesserung der vorgefundenen Situation durch verschärfte Restriktionen. Andererseits ist es strikter als das Vorsorgeprinzip, das im Rahmen der pfleglichen Bewirtschaftung und Ressourcenverteilung immerhin das Hinzutreten zusätzlicher Umweltbelastungen zuläßt — ein Phänomen, das sich insbesondere an der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung und dem Vorsorgegrundsatz des § 5 Nr. 2 BImSchG aufzeigen läßt20. Demgegenüber enthält das Bestandsschutzprinzip ein Verschlechterungsverbot21. Einen positiv-rechtlichen Niederschlag hat das Bestandsschutzprinzip in § 8 BNatSchG gefunden. Danach sind vermeidbare „Eingriffe in Natur und Landschaft" zu unterlassen, unvermeidbare Eingriffe auszugleichen und unvermeidbare, nicht im erforderlichen Maße ausgleichbare Eingriffe zu untersagen, wenn „die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft im Range vorgehen" 22 . c) Verursacherprinzip: Das Verursacherprinzip wird weithin als bloßes Kostenzurechnungsprinzip verstanden 23 . Die Kostenbelastung kann jedoch un17 18

21

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So die Charakterisierung des Raumplans bei Imboden, VVDStRL 18 (i960), S. 124. Grundlegend hierzu Forsthoff, Über Maßnahme-Gesetze, in: Gedächtnisschr. für Walter Jellinek, 1955, S. 221 ff.; Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Ge19 setz, 1961. Hierzu unten V 2 b, bb. 2 0 Vgl. unten V 2. Vgl. Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 373f. („Status-quo-Erhaltung"); ders., a. a. O. (Fn. 15), S. 91; Kloepfer, a. a. O. (Fn. 13), S. 106 („Mindest-Status-quo-Erhaltung"). Vgl. unten IV 3. 25 So z. B. Umweltbericht '76, BT-Drucks. 7/5684, S. 8.

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ter rechtlichen und rechtspolitischen Gesichtspunkten nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit der materiellen Verantwortlichkeit für die Vermeidung, Verminderung und Beseitigung von Umweltbelastungen gewürdigt werden. Nach der zutreffenden Erkenntnis von Eckard Rehbinder 24 „handelt es sich bei direkter Verhaltensregulierung oder anreizausübenden Abgaben nur um alternative durch das Verursacherprinzip gedeckte Mittel zur Durchsetzung umweltpolitischer Vermeidungsziele". Durch die verwaltungsrechtliche Regelung der Pflichten zur Vermeidung, Verminderung und Beseitigung von Umweltbelastungen sollte bereits die materielle Verantwortlichkeit an einem richtungweisenden Zurechnungskonzept orientiert werden. Auch hierfür bietet sich das Verursacherprinzip an. Es wird nur dann in umweltpolitisch konsequenter Weise verwirklicht, wenn es sowohl der verwaltungsrechtlichen Regelung der materiellen Verantwortlichkeit als auch der Regelung der Kostenbelastung zugrunde gelegt wird. Damit wird es als übergreifendes Zurechnungsprinzip für die materielle Verantwortlichkeit und die Kostenbelastung begriffen 25 . aa) Die erste Systemvariante des Verursacherprinzips baut auf verwaltungsrechtlichen Regelungen auf, wonach der Verursacher von Umweltbelastungen verpflichtet ist, diese auf ein rechtlich vorgeschriebenes Ausmaß zu begrenzen. Die umweltpolitische Zielsetzung solcher Regelungen besteht typischerweise darin, möglichst Vermeidungspflichten, hilfsweise Verminderungspflichten und erst in letzter Linie Beseitigungspflichten zu begründen. Die Kostenbelastung folgt nach dieser Systemvariante dem Grunde wie dem Umfang nach der materiellen Verantwortlichkeit. Jedenfalls hat der Verursacher die effektiv aufgewendeten Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungskosten (Ist-Kosten) zu tragen. Konsequenterweise sollten ihm darüber hinaus auch die Kosten auferlegt werden, die er zur pflichtgemäßen Vermeidung, Verminderung und Beseitigung der von ihm verursachten Umweltbelastungen hätte aufwenden müssen (Soll-Kosten). bb) Die zweite Systemvariante des Verursacherprinzips umfaßt sämtliche Maximen der erstgenannten Variante, geht jedoch einen wesentlichen Schritt weiter. Unberührt bleibt hiervon allerdings die verwaltungsrechtliche Regelung der Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungspflichten des Verursachers. Die entscheidende Erweiterung liegt im Bereich der Kostenbelastung, die zwar noch dem Grunde nach der materiellen Verantwortlichkeit folgt, dem Umfang nach jedoch darüber hinausgeht. Der Verursacher hat hiernach nicht nur die Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungskosten zu tragen, sondern zusätzlich alle verbleibenden, von der verwaltungs24 25

Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, 1973, S. 36. So auch Rupp, JZ 1971, 401; Salzwedel, Studien zur Erhebung von Abwassergebühren, 1972, S. 52f.; Rehbinder, a. a. O. (Fn. 24), S. 34ff.; Poppe, Verursacherprinzip und Umweltschutz, Diss. Marburg 1975; zur nachfolgenden Systematisierung Bullinger, a. a. O. (Fn. 6), S. 69ff.; zu unterschiedlichen Bedeutungsinhalten des Verursacherprinzips auch: Schottelius,in: Fg. f. Hermann Weitnauer, 1980, S. 397ff.

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rechtlichen Regelung der Verhaltenspflichten akzeptierten Umweltbelastungen finanziell auszugleichen. cc) Die dritte Systemvariante des Verursacherprinzips koppelt die Kostenbelastung letztlich ganz von den Maximen des Aufwands und Ausgleichs ab. Der Verursacher hat hiernach über die Vermeidungs-, Verminderungs- und Beseitigungskosten hinaus für die verbleibenden, von der verwaltungsrechtlichen Regelung der Verhaltenspflichten akzeptierten Umweltbelastungen ein Entgelt zu entrichten. Das Entgelt soll der Knappheit des in Anspruch genommenen Umweltgutes entsprechen und so hoch bemessen sein, daß für die Verursacher ein genügender wirtschaftlicher Anreiz besteht, die Umweltbelastungen auf ein politisch erwünschtes Ausmaß zu beschränken. Die erste Systemvariante des Verursacherprinzips läßt sich grundsätzlich mit traditionellen verwaltungsrechtlichen Pflichten- und Eingriffsregelungen verwirklichen. Die modifizierende Auferlegung der Soll-Kosten kann individuell bei pflichtwidrigem Unterlassen über den klassischen Verwaltungszwang, insbesondere im Rahmen der Ersatzvornahme 26 , erfolgen, aber auch im Wege einer generellen Pflichtenablösung durch öffentliche Abgaben verallgemeinert werden27. Als Weg für die zusätzliche Kostenbelastung entsprechend der zweiten oder dritten Systemvariante des Verursacherprinzips bietet sich ebenfalls die Erhebung öffentlicher Abgaben an, die im Sinne der einen oder der anderen Variante ausgestaltet sein können 28 . d) Gemeinlastprinzip: Soweit das Umweltschutzrecht nicht dem Verursacherprinzip folgt und die Kosten für die Vermeidung, Verminderung und Beseitigung von Umweltbelastungen oder -Schäden der öffentlichen Hand zur Last fallen, wird vom Gemeinlastprinzip gesprochen 29 . Einigkeit besteht darüber, daß dem Verursacherprinzip — in welcher Systemvariante auch immer — der Vorrang vor dem Gemeinlastprinzip gebührt. Ebenso wird jedoch allgemein anerkannt, daß aus faktischer Notwendigkeit oder politischer Opportunität Ausnahmen zugunsten des Gemeinlastprinzips angezeigt sind. Dafür spielen vor allem Feststellungs-, Zurechnungs- und Quantifizierungsprobleme eine Rolle. e) Kooperationsprinzip: Obwohl der Umweltschutz zu einer Schicksalsaufgabe des modernen Staates geworden ist, bildet er keine alleinige Domäne des Staates. Vielmehr bedarf der Umweltschutz in besonderem Maße der Kooperation des Staates mit den gesellschaftlichen Kräften, insbesondere der Wirtschaft. Der erforderliche technische Sachverstand findet sich primär im gesellschaftlich-wirtschaftlichen Bereich. Zudem fehlt dem Rechtsstaat das 26 27 28 29

Allgemein hierzu statt vieler: Erichsen/Martens, in: dies. (Hrsg.), Allg. VerwR, 6. Aufl. 1983, §20 II 1. Vgl. unten III 3 c (Beiträge zur Altölbeseitigung). Vgl. unten III 3 a und b zu Umweltabgaben des geltenden Rechts. Hierzu Kloepfer, a . a . O . (Fn. 13), S. 108; ders., DVB1. 1979, 643; auch Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 382f.; ders., a. a. O. (Fn. 15), S. 95ff.

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Durchsetzungsvermögen für einen umfassenden Oktroi in allen umweltrelevanten Lebensbereichen. Das Kooperationsprinzip dient dem Ziel, aus der Mitwirkung der Betroffenen am umweltpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß „ein ausgewogenes Verhältnis zwischen individuellen Freiheiten und gesellschaftlichen Bedürfnissen" herzustellen, ohne den Grundsatz der staatlichen Verantwortlichkeit in Frage zu stellen30. 3. Der Gesetzesvorbehalt und die Bestimmtheit des Gesetzes auf dem Gebiet des Umweltschutzes Der Umweltschutz stellt wegen seiner Komplexität, seiner schwierigen Grundsatz- und Einzelprobleme sowie seiner Abhängigkeit vom dynamischen Fortschritt der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der technischen und industriellen Entwicklung erhebliche Anforderungen an den Gesetzgeber31. Dennoch muß die gesetzliche Regelung des Umweltschutzes dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen. Nach der „Wesentlichkeitstheorie" ist der Gesetzgeber verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen, der staatlichen Regelung zugänglichen Entscheidungen selbst zu treffen 32 . Auf dieser Grundlage hat das BVerfG33 für den Teilbereich des Atomrechts ausgesprochen, daß die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie unter der Geltung des Grundgesetzes „wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheits- und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen Lebensverhältnisse und wegen der notwendigerweise damit verbundenen Art und Intensität der Regelung eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes" sei. Sie zu treffen sei allein der Gesetzgeber berufen. Zugleich hat das BVerfG in wegweisenden Ausführungen aus dem Gesetzesvorbehalt hergeleitet, daß der Gesetzgeber verpflichtet sein könne „nachzufassen". Habe er nämlich eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht absehbare Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt werde, so könne er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten sei34. In engem Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt steht das verfassungsrechtliche Erfordernis der Bestimmtheit des Gesetzes. Hiermit ist es nach der Auffassung des BVerfG35 vereinbar, wenn der Gesetzgeber die Ertei30 31 32

33 34 35

BT-Drucks. 7/5684, S. 9; zu den Kooperationsinstrumenten unten III 5. Vgl. hierzu Breuer, AöR 101 (1976), S. 49ff. So BVerfGE 33, 1; 33, 125 (159f.); 33, 303 (337, 346); 34, 165 (192); 40, 237 (248f.); 41, 251 (259); ständige Rspr.; vgl. etwa auch Kisker, NJW 1977, 1317ff. BVerfGE 49, 89 (124ff.) (Kalkar); 53, 30 (56) (Mülheim-Kärlich). BVerfGE 49, 130 ff. BVerfGE 49, 133 ff.

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lung der atomrechtlichen Anlagengenehmigung davon abhängig macht, daß „die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist" (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG). Das Gericht hat sich damit zur notwendigen Flexibilität gesetzlicher Normen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der technischen Sicherheit bekannt. Es sieht das hierbei unentrinnbar verbleibende Maß an Unbestimmtheit in der Natur des menschlichen Erfahrungswissens begründet. Diese Grundsätze sind auf breite Zustimmung gestoßen 36 . Sie sind für das gesamte Recht des Umweltschutzes und der Technik gültig. Eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers setzt indesssen einen evidenten Verfassungsverstoß voraus37. 4. Positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates Es ist heute allgemein anerkannt, daß die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern zugleich objektive verfassungsrechtliche Wertentscheidungen enthalten und Schutzpflichten begründen 38 . Auf dem Gebiet des Umweltschutzes können solche Schutzpflichten aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und aus der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), nicht aber aus der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) erwachsen39. a) In materieller Hinsicht geht es darum, inwieweit im Lichte der Grundrechte Umweltgefahren oder -belastungen vom Staat verhindert oder vom Bürger hingenommen werden müssen. Hierzu hat das BVerfG40 entschieden, daß die „in die Zukunft hin offene Fassung" des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG einem dynamischen Grundrechtsschutz diene; sie helfe, den gesetzlichen Schutzzweck jeweils bestmöglich zu verwirklichen. Andererseits folgt das Gericht der Einsicht, daß das Atomgesetz — wie auch das sonstige Recht des Umweltschutzes und der technischen Sicherheit — zwar keinen Schaden, wohl aber ein Restrisiko in Kauf nimmt. Darin erblickt das BVerfG jedoch keine Grundrechtsverletzung: Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließe, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen könnten, „hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staat36 37 38 39 40

Vgl. etwa Fiedler, JZ 1979, 184ff.; Erichsen, VerwArch. 70 (1979), S. 249ff.; Breuer, NJW 1979, 1865f.; Ossenbühl, DÖV 1981, 1 f. BVerfGE 56, 54 (81) (Fluglärm). Vgl. statt vieler: Ossenbühl, NJW 1976, 2100ff. m. w. N.; speziell: Roßnagel, Grundrechte und Kernkraftwerke, 1979. BVerwGE 54, 211 (220 f.). BVerfGE 49, 89 (140ff.) (Kalkar); 53, 30 (57ff.) (Mülheim-Kärlich).

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liehe Zulassung der Nutzung von Technik verbannen" 41 . Für die Gestaltung der Sozialordnung müsse es insoweit bei „Abschätzungen anhand praktischer Vernunft" bewenden. Was die Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern betreffe, so habe der Gesetzgeber durch die atomrechtlichen Grundsätze der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zulasse, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheine, daß solche Schadensereignisse einträten. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft hätten ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens. Sie seien unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen. Diese Grundsätze verdienen Zustimmung. Sie sind auf andere Bereiche des Umweltschutzes übertragbar 42 . Der zugrunde gelegte Standard der praktischen Vernunft bedeutet: Die Schutz- und Vorsorgemaßnahmen müssen zwar um so umfassender, fortschrittlicher und zuverlässiger sein, je größer die drohenden Umweltgefahren oder -belastungen sind. Ein Schadensereignis braucht jedoch nicht mehr in Betracht gezogen zu werden, wenn es aufgrund der Schutz- und Vorsorgemaßnahmen und des Erkenntnisstandes der führenden Naturwissenschaftler und Techniker praktisch nicht vorstellbar ist, daß ein solches Ereignis eintritt 43 . b) In formeller Hinsicht entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit es für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist44. Das BVerfG hat diese Erkenntnis im Mülheim-Kärlich-Beschluß 45 auf die grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie auf die Anwendung der Vorschriften über das behördliche und das gerichtliche Verfahren bei der Anlagengenehmigung ausgedehnt — eine Dimension des Grundrechtsschutzes, die alle Zulassungsverfahren umweltrelevanter Großvorhaben erfaßt. Allerdings stellt nicht jeder formell-rechtliche Fehler in einem derartigen Zulassungsverfahren eine Grundrechtsverletzung dar. Eine formell-rechtlich bedingte Grundrechtsverletzung kommt jedoch in Betracht, wenn die Genehmigungsbehörde oder das Gericht solche Verfahrens Vorschriften außer acht läßt, die der Staat in Erfüllung seiner Pflicht zum Schutz der in Art. 2 Abs. 2 oder 14 Abs. 1 G G genannten Rechtsgüter erlassen hat 46 . 41 42 43 44

45 46

BVerfGE49, 143. Vgl. BVerfGE 56, 54 (73ff.) (Fluglärm); BVerfG NuR 1983, 309 (Waldsterben). Breuer, DVB1. 1978, 836f; vgl. auch unten VI 2a. BVerfGE 37, 132 (141, 148); 39, 276 (294); 44, 105 (119ff.); 45, 422 (430ff.); 46, 325 (334); 49, 220 (225); 51, 324 (346ff.); 52, 214 (219); vgl. im Schrifttum etwa Redeker, in: Fg. aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, 1978, S. 519ff.; ders., NJW 1980, 1593ff.; auch Häberle, W D S t R L 30 (1972), S. 86ff. BVerfGE 53, 30 (65 f.). BVerfGE 53, 65 f.

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c) Insgesamt betrachtet, ziehen die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates auf dem Gebiet des Umweltschutzes nicht auf eine Optimierung, sondern lediglich auf die Wahrung eines unabdingbaren, zur Aufrechterhaltung der individuellen Freiheit erforderlichen Minimalstandards des Umweltschutzes. Ein umfassendes, auf Optimierung gerichtetes „ Umweltgrundrecht" oder „Grundrecht auf Umweltschutz" gibt es bundesverfassungsrechtlich nicht*1. 5. Negative grundrechtliche Schranken des Umweltschutzes a) Grundlage negativer grundrechtlicher Schranken des Umweltschutzes ist bei raumbezogenen Maßnahmen des Umweltschutzes vor allem die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Inwieweit umweltschutzrechtliche Regelungen und Vollzugsakte als entschädigungsfreie Sozialbindung des Eigentums oder als entschädigungspflichtiger Enteignungstatbestand qualifiziert werden müssen, läßt sich vor dem Hintergrund des weiten Enteignungsbegriffs 48 abstrakt schwer beantworten. Die neuere Rechtsprechung operiert — ungeachtet des überlieferten Gegensatzes zwischen Sonderopfer- und Schweretheorie — nahezu einhellig mit der Abgrenzungsformel der „Situationsgebundenheit des Grundeigentums"49. Der BGH hat diese Formel zunächst in dem Sinne gebraucht, daß eine entschädigungsfreie Sozialbindung des Eigentums vorliegt, wenn die bisher zulässige, der faktischen Beschaffenheit und Lage des Grundstücks angemessene Nutzung aufrechterhalten bleibt und lediglich eine anderweitige, auch bisher nicht zulässige, wenn auch bei der faktischen Situation ebenfalls mögliche Nutzung unterbunden wird 50 . Später hat der BGH der Situationsgebundenheit des Grundeigentums die zusätzliche und andersartige Bedeutung unterschoben, daß eine entschädigungsfreie Sozialbindung des Eigentums auch dann vorliegt, wenn eine bisher zulässige Bodennutzung eingeschränkt wird, die nicht mehr den gegenwärtigen Anschauungen und Vorschriften entspricht und deshalb von einem „einsichtigen Eigentümer" nicht fortgeführt oder (wieder) aufgenommen würde 51 . Im gleichen Sinne hat das BVerwG 52 der Festsetzung eines Naturschutzgebietes eine enteignende Wirkung abgespro47

48

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BVerwGE 54, 211 (219); Breuer, in: Fg. aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, 1978, S. 110; Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S. 27ff. Grundlegend: BGHZ 6, 270 (278ff.); vgl. ferner Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, 1976, S. 43ff.; das BVerfG hat den Enteignungsbegriff nicht definiert oder eingeschränkt; zutreffend hierzu Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, 1983, S. 25 ff. Grundlegend: BGHZ 23, 30; 48, 193; BVerwGE 49, 365; vgl. ferner Breuer, a. a. O. (Fn. 48), S. 134ff.; ders., in: Schrödter, BBauG, 4. Aufl. 1980, § 44 Rdnr. 18ff., 36; Weyreuther, Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums, 1983. So etwa BGHZ 23, 30 (Grünflächenfestsetzung). BGHZ 48, 193 (196 f.). BVerwGE 49, 365.

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chen, wenn durch sie die vorbereitete, bisher zulässige Schaumlavaausbeute eines Berges unterbunden wird, mit der der Berechtigte noch nicht begonnen hatte und deren Vornahme „sich nach der gegebenen Situation nicht aufdrängt". Das BVerfG hat im Naßauskiesungsbeschluß 53 die allgemeingültige Erkenntnis bestätigt, daß bei der Sozialbindung des Eigentums das bürgerliche Recht und die öffentlich-rechtlichen Gesetze zusammenwirken. Nach der Erkenntnis des BVerfG — wie auch das BVerwG54 — steht es mit dem Grundgesetz in Einklang, daß das Wasserhaushaltsgesetz das unterirdische Wasser zur Sicherung einer funktionsfähigen Wasserbewirtschaftung - insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung — einer vom Grundstückseigentum getrennten öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung unterstellt hat. Deren Qualifizierung als entschädigungsfreie Sozialbindung erstreckt sich auf das restriktive Bewirtschaftungssystem des Wasserhaushaltsgesetzes55, das behördliche Bewirtschaftungsermessen (§ 6 WHG) und das Verbot des Kiesabbaus, soweit dieser mit einer Grundwasserbenutzung verbunden ist. Ausschlaggebend hierfür ist die besondere Umwelt- und Sozialrelevanz des Grundwassers. Zutreffend hat das BVerfG56 betont, daß das Verbot der Grundwasserbenutzung und des hiervon abhängigen Kiesabbaus mit Rücksicht auf die verbleibenden Nutzungsmöglichkeiten nicht zu einer „Substanzentleerung des Grundeigentums" oder einer „totalen Sozialbindung" führt. Im Anschluß daran hat der BGH 57 seine gegenteilige Rechtsprechung 58 aufgegeben. b) Geringere Beachtung haben bisher die grundrechtlichen Schranken produktbezogener Kontrollen des Umweltschutzes gefunden. Problematisch erscheint insoweit die ungewollte wettbewerbsverzerrende und vermögensschädigende Wirkung behördlicher Zulassungs- oder Anmeldeverfahren, die sich für den ersten Hersteller wesentlich schwieriger, langwieriger und kostspieliger gestalten können als für spätere, die Ergebnisse des früheren Verfahrens vorfindende Hersteller59. Jenseits einer gewissen Opferschwelle verstößt eine derartige Wettbewerbsverzerrung gegen Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 GG. Eine hiermit zusammenhängende Vermögensschädigung kann gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen oder Entschädigungsansprüche nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 3 GG auslösen, sofern die eigentums- oder enteignungs53 54 55 56 57 58

59

BVerfGE 58, 300 (335 f., 338 ff.). BVerwGE 55, 220 (230f.); NJW 1978, 2311 (2312) = DVB1. 1979, 67 (69). Hierzu unten III 2b, cc; auch Salzwedel, unten 9. Abschn., I 2b. BVerfGE 58, 345. BGHZ 84, 223 ; 84, 230; NuR 1982, 277. BGH NJW 1978, 2290 = DVB1. 1979, 58; hierzu Sendler und Breuer, ZfW 1979, 65 ff., 78 ff. Vgl. hierzu Bullinger, NJW 1978, 2121 ff., 2173ff.; Scholz, Konkurrenzprobleme bei behördlichen Produktkontrollen, 1983; Zuleeg/Schefold, Die Zweitanmelderproblematik, bga-Berichte 2/1983.

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rechtliche Opferschwelle überschritten ist. Der Gesetzgeber muß das Zulassungs- oder Anmeldeverfahren so ausgestalten, daß solche Nachteile des ersten Herstellers vermieden werden. Hierfür bietet sich vor allem das Instrument eines Verwertungsverbots zu Lasten späterer Hersteller an 60 . Auf grundrechtliche Schranken stößt der produktbezogene Umweltschutz ferner, wenn der Hersteller den Behörden geheimhaltungsbedürftige Daten geschäftlicher oder betrieblicher Art mitteilen muß. Einigkeit dürfte darüber bestehen, daß der Hersteller einen grundrechtlichen Geheimhaltungsschutz genießt. Inwieweit dieser Schutz aus der Wettbewerbsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, aus der Berufs- und Gewerbefreiheit des Art. 12 Abs. 1 G G oder aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 G G herzuleiten ist und konkrete Gebote oder Verbote beinhaltet, bedarf noch weiterer Klärung 61 . Hierzu gibt vor allem der Vollzug des Chemikaliengesetzes 62 Gelegenheit. 6. Gesetzgebungskompetenzen Der Bund hat keine umfassende Gesetzgebungskompetenz für den Umweltschutz. Er verfügt jedoch über Gesetzgebungskompetenzen auf wichtigen Teilgebieten des Umweltschutzes. Auf dieser Grundlage ist das geltende Umweltschutzrecht heute überwiegend Bundesrecht. Erwähnung verdient in erster Linie die im Jahre 1972 eingefügte 63 konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (Art. 74 Nr. 24 GG). Auf dem Gebiet des Atomrechts hat der Bund seit 195964 eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Nr. 11 a GG). Einschlägig ist auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für „den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genußmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz" (Art. 74 Nr. 20 GG). Demgegenüber steht dem Bund für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie den Wasserhaushalt lediglich eine Rahmengesetzgebungskompetenz zu (Art. 75 Nr. 3 und 4 GG). Schließlich decken einige weitgespannte Bundesgesetzgebungskompetenzen die Mitregelung konkurrierender oder konvergierender Belange des Umweltschutzes. Dies gilt etwa für die Kompetenzen auf den Gebieten des Rechts der Wirtschaft (Art. 74 Nr. 11 GG), der Bauleitplanung (Art. 74 Nr. 18 GG), der Raumordnung (Art. 75 Nr. 4 GG) sowie des Straßen- und Schienenwegebaues (Art. 74 Nr. 22 und 23 GG).

60 61 62 63 64

So Bullinger, NJW 1978, 2124ff., 2173 ff. Vgl. hierzu Schröder, Geheimhaltungsschutz im Recht der Umweltchemikalien, I (1980) und II (1982). Vom 16. 9. 1980 (BGBl. I S. 1718). G vom 12. 4. 1972 (BGBl. I S. 593). G vom 12. 5. 1959 (BGBl. I S. 813).

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II. Abgrenzung und Einteilung des Umweltschutzrechts 1. Umweltschutzrecht als Rechtsgebiet Ob das Umweltschutzrecht ein eigenes, geschlossenes Rechtsgebiet bildet, ist bis in die jüngste Zeit bestritten oder zumindest bezweifelt worden. Otto Kimminich65 meinte noch im Jahre 1973, das Umweltschutzrecht sei kein Rechtsgebiet, weil es keine bestimmte, klar abgrenzbare Fläche von menschlichen Betätigungen erfasse. Diese Einschätzung kann jedenfalls aufgrund der neueren Gesetzgebung nicht aufrechterhalten werden. Zwar ist der Umweltschutz auch aus heutiger Sicht eine problembezogene Querschnittauf gäbe, die nicht auf einen bestimmten Lebensbereich beschränkt ist. Entscheidend ist jedoch, ob die dem Umweltschutz dienenden Gesetze eine solche Regelungsdichte und Geschlossenheit erreichen, daß sie sich zu einem ganzheitlichen, von anderen Gesetzen unterscheidbaren Normenwerk zusammenfügen. Diese Voraussetzung ist heute in der Bundesrepublik Deutschland — ebenso wie in anderen Staaten66 — erfüllt. Das deutsche Umweltschutzrecht ist durch eine Vielzahl sich ergänzender Gesetze verdichtet, systematisiert und ausgeformt worden67. Allerdings bietet es auf den ersten Blick ein verwirrendes Bild. Es setzt sich aus zahlreichen, durchaus verschiedenartigen Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zusammen68. Seine Systematik69 wird jedoch erkennbar, wenn man neben den allgemeinen Regelungen der Organisation70 und der Umweltstatistik71 die besonderen Regelungen des medialen, des kausalen, des vitalen und des integrierten Umweltschutzes unterscheidet. Gegenstand des medialen Umweltschutzes sind die „klassischen" Umweltmedien Boden, Wasser und Luft. Der kausale Umweltschutz setzt demgegenüber bei bestimmten gefährlichen Stoffen an. Der vitale Umweltschutz zeichnet 65 66

67

68 69

70

71

Das Recht des Umweltschutzes, 2. Aufl. 1973, S. 11 ff. Nachw. bei Bothe, Ausländisches UmweltR I (1971), II (1973), III (1974) und IV (1975); Bothe / Gündling, Tendenzen des UmweltR im internat. Vergleich, 1978. Ähnlich Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 365ff.; Steiger, in: Salzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 9ff.; hierzu neigend auch Kloepfer, a. a. O. (Fn. 13), S. 68ff., 90 f. Vgl. die Textsammlung von Kloepfer, Umweltschutz. Ansätze hierzu bei Kloepfer, a. a. O. (Fn. 13), S. 70ff.; im Rahmen von Rechtsvergleichen : Steiger / Kimminich, UmweltschutzR und -Verwaltung in der Bundesrep. Deutschi., 1976; Salzwedel / Preusker, UmweltschutzR und -Verwaltung in der Bundesrep. Deutschi., 1983. So: G über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vom 22.7. 1974 (BGBl. I S. 1505); Erlaß über die Errichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister des Innern vom 28. 12. 1971 (BAnz. 1972 Nr. 8). So: G über Umweltstatistiken i. d. F. der Bekanntm. vom 14.3.1980 (BGBl. I S. 311).

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sich dadurch aus, daß er unmittelbar auf den Schutz von Tieren oder Pflanzen als Elementen der menschlichen Umwelt gerichtet ist. Demgegenüber ist der integrierte Umweltschutz in eine übergreifende Aufgabenstellung eingebunden. In diesem Rahmen kann er mit gegenläufigen Belangen konkurrieren oder mit gleichgerichteten Belangen konvergieren. 2. Der mediale Umweltschutz a) Der spezifische Schutz des Umweltmediums Boden ist im Bundesnaturschutzgesetz 72 als Rahmengesetz und in den Naturschutz- und Landschaftspflegegesetzen der Länder 73 geregelt. Allerdings gehen der Schutzzweck und der Regelungsgehalt dieser Gesetze in zweifacher Hinsicht über den Schutz des Bodens hinaus. Erstens richten sich die Ziele und Grundsätze des modernen Naturschutz- und Landschaftspflegerechts — abweichend vom Reichsnaturschutzgesetz vom 26. 6. 193574 — in umfassender Weise auf die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und die Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie auf die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft 75 . Dazu gehört auch ein medialer Schutz der Gewässer und der Luft durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Der mediale Schutz des Bodens bildet jedoch nach wie vor den Kern dieser Gesetze76. Zweitens umfaßt das Naturschutz- und Landschaftspflegerecht den unmittelbaren Schutz wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere, also einen wichtigen Teilbereich des vitalen Umweltschutzes 77 . b) Der spezifische Schutz des Umweltmediums Wasser unterliegt dem Recht der „Wasserwirtschaft" oder des „Wasserhaushalts". Diese beiden Begriffe sind identisch. Sie umfassen die rechtlichen Regeln „für die haushälterische Bewirtschaftung des in der Natur vorhandenen Wassers nach Menge und Güte" 78 . Die allgemeinen Rechtsgrundlagen für den medialen Schutz der oberirdischen Gewässer, der Küstengewässer und des Grundwassers finden sich im Wasserhaushaltsgesetz 79 als Rahmengesetz des Bundes und in den Landeswassergesetzen 80 . Eine wichtige Ergänzungsfunktion erfüllt das Ab72 73 74 75 76 77 78 79 80

Vom 20. 12. 1976 (BGBl. I S. 3574, ber. BGBl. 1977 I S. 650), geändert durch G vom 1. 6. 1980 (BGBl. I S. 649). Vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen LandesG oben zu Beginn des 7. Abschn. Vom 26. 6. 1935 (RGBl. I S. 821); zur Fortgeltung als Landesrecht BVerfGE 8, 186. Vgl. §§1,2 BNatSchG; hierzu unten IV 1. Vgl. vor allem §§ 8, 12 - 19 BNatSchG; hierzu unten IV 3, 4. Vgl. §§ 20-26 BNatSchG. BVerfGE 15, 1 (15). I. d. F. der Bekanntm. vom 16. 10. 1976 (BGBl. I S. 3017), zuletzt geändert durch G vom 28. 3. 1980 (BGBl. I S. 373). Vgl. die Zusammenstellung der LandeswasserG bei Salzwedel, unten zu Beginn des 9. Abschn.

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wasserabgabengesetz 81 , das ab 1. 1. 1981 das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer mit einer Abgabepflicht belastet. c) Das Umweltmedium Luft wird nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz82 in umfassender Weise gegen schädliche Umwelteinwirkungen geschützt. Immissionen sind nach der Legaldeflnition des § 3 Abs. 2 BImSchG „auf Menschen sowie Tiere, Pflanzen oder andere Sachen einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen". Den Immissionsschutzgesetzen der Länder 83 bleibt nur noch ein enger Spielraum für ergänzende Regelungen. Wichtige Spezialgesetze des Bundes auf dem Sektor des medialen Schutzes der Luft sind das Fluglärmschutzgesetz 84 , das die Festsetzung von Lärmschutzbereichen für bestimmte Verkehrsflughäfen und militärische Flugplätze vorschreibt, und das Benzinbleigesetz 85 , das im Interesse der Luftreinhaltung den Gehalt an Blei und anderen Metallverbindungen in Ottokraftstoffen beschränkt hat. 3. Der kausale Umweltschutz Die Medienunabhängigkeit des kausalen Umweltschutzes ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die gefährlichen Stoffe ihre Wirkungen nicht über eines der zuvor erwähnten Umweltmedien entfalten könnten. Wesentlich ist, daß der kausale Umweltschutz nicht einem medienbezogenen, sondern einem stoffbezogenen Ansatz folgt. Er sucht bestimmte Gefahrenquellen zu erfassen, indem er das Inverkehrbringen bestimmter Stoffe oder den Umgang mit ihnen reglementiert. Die systematische Unterscheidung zwischen medialem und kausalem Umweltschutz darf allerdings nicht im Sinne einer trennscharfen Abgrenzung mißverstanden werden. Es gibt vielmehr zahlreiche Berührungen und Überschneidungen zwischen diesen beiden Arten des Umweltschutzes. So enthalten z. B. die §§ 32 ff. BImSchG im Interesse des medialen Schutzes der Luft stoffbezogene Regelungen über die Beschaffenheit von Anlagen, Stoffen, Erzeugnissen, Brennstoffen und Treibstoffen 86 . Einer eindeutigen Zuordnung entzieht sich z. B. das Waschmittelgesetz 87 , das einerseits dem medialen Schutz der Gewässer dient und andererseits als Regelung des kausalen, stoffbezogenen Umweltschutzes verstanden werden kann. 81 82 83 84 85 86 87

Vom 13. 9. 1976 (BGBl. I S. 2721, ber. S. 3007). Vom 15.3. 1974 (BGBl. I S. 721, ber. S. 1193), zuletzt geändert durch G vom 4.3. 1982 (BGBl. IS. 281). Vgl. hierzu die Zusammenstellung der einschlägigen LandesG oben zu Beginn des 7. Abschn. Vom 30. 3. 1971 (BGBl. I S. 282), zuletzt geändert durch G vom 14. 12. 1976 (BGBl. I S. 3341, ber. BGBl. 1977 I S. 667). Vom 5. 8. 1971 (BGBl. I S. 1234), zuletzt geändert durch G vom 14. 12. 1976 (BGBl. I S. 3341, ber. BGBl. 1977,1 S. 667). Hierzu unten V 4. Vom 20. 8. 1975 (BGBl. I S. 2255).

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a) Das Atom- und Strahlenschutzrecht™ nimmt innerhalb des kausalen Umweltschutzes eine herausragende Sonderstellung ein. Es regelt Tätigkeiten, die sich auf Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe beziehen. Dabei geht der Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG dem Förderungszweck des § 1 Nr. 1 AtomG vor, der auf die Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken gerichtet ist89. Der stoffbezogene Ansatz des Atom- und Strahlenschutzrechts zeigt sich in der Vielzahl der genehmigungspflichtigen Tatbestände. Hierunter fallen die Einfuhr und Ausfuhr, die Beförderung und der nicht-staatliche Besitz von Kernbrennstoffen, die Errichtung, der Betrieb, die sonstige Innehabung und die wesentliche Änderung einer ortsfesten Anlage zur Bearbeitung oder Verarbeitung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Brennelemente sowie die Bearbeitung, Verarbeitung und sonstige Verwendung von Kernbrennstoffen außerhalb genehmigungspflichtiger Anlagen (§§ 3 - 9 AtomG), ferner grundsätzlich auch der Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen, deren Beförderung, Einfuhr und Ausfuhr sowie die Errichtung und der Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen (§§ 3 - 2 0 StrlSchV). Der stoffbezogene Ansatz liegt auch der Regelung über die Verwertung radioaktiver Reststoffe und die Beseitigung radioaktiver Abfälle (§§ 9 a - 9 c AtomG) zugrunde. Die Strahlung, die von den genehmigungspflichtigen Anlagen und Handlungen ausgehen kann, beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Umweltmedium, etwa die Luft. Sie kann vielmehr auf sämtliche Umweltmedien sowie auf die Güter des vitalen Umweltschutzes einwirken. b) Das weiteste Feld des kausalen Umweltschutzes ist neuerdings durch das Chemikaliengesetz90 erschlossen worden. Dieses Gesetz dient dem Zweck, durch Verpflichtung zur Prüfung und Anmeldung von Stoffen und zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen, durch Verbote und Beschränkungen sowie durch besondere giftrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Regelungen den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe zu schützen (§ 1 ChemG). Nach der Legaldefinition ist ein Stoff „ein chemisches Element oder eine chemische Verbindung, nicht weiter be- oder verarbeitet, einschließlich der Verunreinigungen und der für die Vermarktung erforderlichen Hilfsstoffe" (§ 3 Nr. 1 ChemG); die Zubereitung wird definiert als „ein Gemisch, ein Gemenge, eine Lösung von Stoffen, nicht weiter be- oder verarbeitet, einschließlich der Verunreinigungen und der für die Vermarktung erforderlichen Hilfs88

89 90

AtomG i. d. F. der Bekanntm. vom 31. 10. 1976 (BGBl. I S. 3053), zuletzt geändert durch G vom 20. 8. 1980 (BGBl. I S. 1556); vgl. im übrigen die Zusammenstellung der Rechtsnormen bei Kloepfer, Umweltschutz, Nr. 900 ff. Grundlegend: BVerwG DVB1. 1972, 678 (680). Vom 16. 9. 1980 (BGBl. I S. 1718); vgl. zur Problematik dieses G, dessen Bewährung noch aussteht: Rehbinder, Das Recht der Umweltchemikalien, 1978; Schäfer, Recht der umweltgefährlichen Stoffe, 1980; Kloepfer, NJW 1981, 17ff.; ders., ChemikalienG, 1982.

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Stoffe" (§ 3 Nr. 2 ChemG). Eine Reihe von spezialgesetzlich reglementierten Stoffen ist allerdings in mehr oder minder weitreichendem Umfang aus dem Anwendungsbereich des Chemikaliengesetzes ausgeklammert (§ 2 ChemG). Als Spezialgesetze des kausalen Umweltschutzes fungieren auf dem Gebiet des Schutzes vor gefährlichen chemischen Stoffen vor allem das (Verbots-)Gesetz über den Verkehr mit DDT 9 1 , das Düngemittelgesetz 92 und das Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter 93 . c) Zum kausalen Umweltschutz muß ferner das Lebensmittel-, Futtermittelund Arzneimittelrecht94 gerechnet werden. Die Besonderheit dieser Rechtsmaterien besteht darin, daß die erfaßten Stoffe bestimmungsgemäß auf den Körper und die Gesundheit des Menschen einwirken, und zwar Lebens- und Arzneimittel direkt und Futtermittel indirekt über den Belastungspfad tierischer Lebensmittel. Für alle drei Stoffgruppen spielen heute technische, in der Regel chemische Herstellungs- und Bearbeitungsverfahren eine ausschlaggebende Rolle. Daraus erwachsen nicht nur die erstrebten Fortschritte für die physische Versorgung des Menschen, sondern auch spezifische Risiken 95 . Das Lebensmittel-, Futtermittel- und Arzneimittelrecht dient vorwiegend der Kontrolle solcher Umweltrisiken. d) Stoffbezogene Regelungen des kausalen Umweltschutzes enthält schließlich das Recht der Abfallbeseitigung. Es hat seine allgemeine Grundlage im Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes 96 und in den ergänzenden Landesgesetzen 97 gefunden. Da die wirtschaftliche Verwertung von Stoffen deren Beseitigung als Abfall vorgeht, erfüllt das Recht der Abfallbeseitigung im Rahmen des kausalen Umweltschutzes eine subsidiäre Funktion. Als Spezialgesetz der Abfallbeseitigung ist vor allem das Altölgesetz 98 zu nennen. 4. Der vitale Umweltschutz Rechtsgrundlage des vitalen, unmittelbar auf den Schutz von Tieren oder Pflanzen gerichteten Umweltschutzes sind - wie bereits erwähnt 99 - das 91 92 93 94

95 96 97 98

Vom 7. 8. 1972 (BGBl. I S. 1385), geändert durch G vom 2. 3. 1974 (BGBl. I S. 469). Vom 15. 11. 1977 (BGBl. I S. 2134). Vom 6. 8. 1975 (BGBl. I S. 2121), zuletzt geändert durch G vom 18. 9. 1980 (BGBl. I S. 1729). G über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen vom 15. 8. 1974 (BGBl. I S. 1945, ber. BGBl. 1975 I S. 2652), zuletzt geändert durch G vom 24. 8. 1976 (BGBl. I S. 2445); G über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 24.8. 1976 (BGBl. I S. 2445); FuttermittelG vom 2. 7. 1975 (BGBl. I S. 1745). Vgl. etwa den Contergan-Fall (BVerfGE 42, 263). I. d. F. der Bekanntm. vom 5. 1. 1977 (BGBl. I S. 41, ber. S. 288), zuletzt geändert durch G vom 4. 3. 1982 (BGBl. I S. 281). Vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen LandesG oben zu Beginn des 7. Abschn. I. d. F. der Bekanntm. vom 11. 12. 1979 (BGBl. I S. 2113). 99 Oben II 2a.

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Bundesnaturschutzgesetz sowie die Naturschutz- und Landschaftspflegegesetze der Länder für die wildwachsenden Pflanzen und wildlebenden Tiere, ferner das Pflanzenschutzrecht 100 , das Tierschutzgesetz 101 sowie die Jagd- und Fischereigesetze 102 . Der Klarstellung halber ist hinzuzufügen, daß der vitale Umweltschutz nicht den unmittelbaren Schutz der menschlichen Gesundheit umfaßt. Spezifischer Umweltschutz bezieht sich begriffsnotwendig auf die Pflege und Kontrolle der menschlichen Umwelt, nicht unmittelbar auf die Erhaltung und Pflege der menschlichen Physis. 5. Der integrierte Umweltschutz a) Der konkurrierend integrierte Umweltschutz zeichnet sich dadurch aus, daß er in eine übergreifende Aufgabenstellung und einen Zielkonflikt mit gegenläufigen Belangen eingebunden ist. Seine Reichweite muß somit im Wege eines gesetzlich vorgezeichneten Kompromisses ausgelotet werden. Vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Ökonomie und Ökologie gebührt dem konkurrierend integrierten Umweltschutz besondere Aufmerksamkeit. Sein wichtigstes Anwendungsfeld liegt im Recht der Raumplanung. Hierunter fällt sowohl die raumbezogene Gesamtplanung in Gestalt der Bauleitplanung 103 sowie der Raumordnung und Landesplanung 104 als auch die raumbezogene, nicht umweltspezifische Fachplanung, die insbesondere durch Planfeststellungen für bestimmte Großvorhaben wie überörtliche Straßen, Schienenwege oder Flughäfen erfolgt 105 . Der Umweltschutz bildet für die gesamte Raumplanung entweder ein Planungsziel oder einen gewichtigen abwägungserheblichen Belang 106 . b) Der konvergierend integrierte Umweltschutz ist ebenfalls in eine übergreifende Aufgabenstellung eingebunden. Seine Ziele und die Schutzziele der übergreifenden Aufgabenstellung stehen jedoch nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in einem Verhältnis gleichgerichteter Ergänzung. Diese

100

PflanzenschutzG i. d. F. der Bekanntm. vom 2.10.1975 (BGBl. I S. 2591, ber. BGBl. 1976 S. 1059), geändert durch G vom 16. 6. 1978 (BGBl. I S. 749); BundeswaldG vom 2. 5. 1975 (BGBl. I S. 1037). 101 TierschutzG vom 24. 7. 1972 (BGBl. I S. 1277), geändert durch G vom 18. 3. 1975 (BGBl. I S. 705). 102 Vgl. die Zusammenstellung der einschlägigen Bundes- und LandesG bei Burhenne, Umweltrecht - Raum und Natur - , Bd. IV, S. 1700-1885. 103 Vgl. §§ 1 ff. BBauG; hierzu Friauf, oben 6. Abschn., II. 104 RaumordnungsG vom 8. 4. 1965 (BGBl. I S. 306), zuletzt geändert durch G vom 1. 6. 1980 (BGBl. I S. 649); vgl. ferner die Zusammenstellung der LandesplanungsG bei Friauf, 6. Auflage dieses Lehrbuches, zu Beginn des 6. Abschn. 105 § § 1 7 f f pstrG, § 36 BundesbahnG, §§ 28 ff. PBefG, §§ 8 ff. LuftVG. 106 Vgl. zu dieser Unterscheidung BVerwGE 48, 56 (62f.); Hoppe, DVB1. 1977, 137; Breuer, NuR 1980, 93.

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Merkmale erfüllt z. B. das Gesundheitsrechti01, das unmittelbar die Erhaltung und Pflege der menschlichen Physis bezweckt und daher nicht dem vitalen Umweltschutz zugerechnet werden kann. Die staatliche Gesundheitsfürsorge hat es heute weithin mit sog. Zivilisationskrankheiten zu tun, die nachweislich oder vermutlich Folgen des Lebens in der technisierten Umwelt sind108. In einem ähnlichen Verhältnis gleichgerichteter Ergänzung stehen der Schutz des Menschen gegen die Gefahren im Umgang mit technischen Geräten und der Umweltschutz. Demgemäß bildet auch das Recht der technischen Sicherheit und des Arbeitsschutzes ein Anwendungsfeld des konvergierend integrierten Umweltschutzes. Die wichtigste Grundlage dieses Rechtsgebiets ist das Gesetz über technische Arbeitsmittel (Gerätesicherheitsgesetz)109. 6. Das Vorhaben eines allgemeinen Umweltschutzgesetzes Trotz der Regelungsdichte und der systematischen Konsistenz des geltenden deutschen Umweltschutzrechts provoziert die Vielfalt der einschlägigen Rechtsnormen die Frage, ob die Systematik und Übersichtlichkeit dieses Rechtsgebiets — nicht zuletzt im Interesse eines effektiven Vollzuges — durch den Erlaß eines allgemeinen Umweltschutzgesetzes verbessert werden kann. Nach dem Vorschlag von Michael Kloepfer 110 soll eine solche Kodifikation in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil gegliedert werden. Im Allgemeinen Teil sollen hiernach geregelt werden: der Geltungsbereich des Gesetzes, Zielbestimmungen, individuelle Umweltrechte und Umweltpflichten, Begriffsbestimmungen, die Organisation und Zuständigkeit von Umweltschutzbehörden, Ermächtigungen und Verfahrensregelungen für den Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die Beteiligung Privater, Überwachungs- und Prüfungsverfahren, spezifische allgemeine Umweltschutzinstrumente wie die Umwelt- und Standortplanung, die Umweltverträglichkeitsprüfung, Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, Untersagungsermächtigungen und Umweltabgaben, ferner das Umwelthaftungsrecht sowie das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht des Umweltschutzes. Der Besondere Teil soll Abschnitte über Naturschutz und Landschaftspflege, Abfallbeseitigung, Gewässerschutz, Immissionsschutz, Strahlenschutz und die Kontrolle der Umweltchemikalien umfassen. 107

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109

110

Vgl. insbesondere das Bundes-SeuchenG vom 18. 12. 1979 (BGBl. I S. 2262), geändert durch G vom 18. 8. 1980 (BGBl. I S. 1469); FleischbeschauG i. d. F. der Bekanntm. vom 28. 9. 1981 (BGBl. I S. 1045); im übrigen die Zusammenstellung der einschlägigen Rechtsnormen bei Eimer, Deutsches Gesundheitsrecht, Bd. I-IV. Vgl. hierzu Baier, Die Wirklichkeit der Industriegesellschaft als Krankheitsfaktor, in: Der Kranke in der modernen Gesellschaft, Neue wissenschaftliche Bibliothek 22, S. 37 ff. Vom 24.6. 1968 (BGBl. I S.717), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.8. 1980 (BGBl. I S. 1310); weitere Vorschriften des technischen Sicherheitsrechts enthalten z. B. die §§ 24 ff. GewO. A. a. O. (Fn. 13), S. 86ff.; ders., ZfU 1979, 145ff.

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Ein solches Kodifikationskonzept mag auf den ersten Blick bestechend erscheinen. Dieser Eindruck wird — vordergründig gesehen — dadurch verstärkt, daß einige ausländische Staaten sich in jüngerer Zeit Umweltschutzgesetze gegeben haben 111 , die der deutschen Gesetzgebung als Vorbilder empfohlen werden. Bei näherer Betrachtung löst das Vorhaben eines allgemeinen deutschen Umweltschutzgesetzes jedoch eher Skepsis aus. Die inhaltliche Richtung einer tiefgreifenden Harmonisierung und Arrondierung des Umweltschutzrechts ist gegenwärtig nicht hinreichend erkennbar. Überdies würde eine solche Systematisierung des gesamten Umweltschutzrechts in ambivalenter Weise die traditionellen Gebiete und Zusammenhänge der geltenden Rechtsordnung zerreißen" 2 . Jedenfalls würde weder die isolierte Normierung abstrakter Ziel- und Grundsatzbestimmungen noch die formale Verklammerung der geltenden Einzelgesetze des Umweltschutzes einen rechtssystematischen Fortschritt darstellen. Derartige „Reformen" würden an der Oberfläche der rechtlichen Strukturprobleme verharren, die Kontinuität der Rechtsentwicklung eher beeinträchtigen als fördern und aus praktischer Sicht schwerlich imstande sein, das vielbeschworene Vollzugsdefizit des Umweltschutzrechts113 abzubauen. Der internationale Vergleich zeigt, daß die Umweltschutzgesetze anderer Staaten kaum über solche abstrakten und formalen Regelungen hinausgelangt sind und bisweilen nach Inhalt und Bedeutung lediglich die Stelle fehlender Einzelgesetze einnehmen 114 .

III. Die Instrumente des staatlichen Umweltschutzes Der staatliche Umweltschutz verfügt über ein Bündel von Instrumenten unterschiedlicher Provenienz und Wirkungsweise. Die Akzentverschiebung vom anthropozentrischen zum ressourcenökonomisch und ökologisch orientierten Umweltschutz115 hat das rechtliche Instrumentarium nachhaltig beeinflußt. Der anthropozentrische Umweltschutz konnte prinzipiell durch punktuelle und reagierende Eingriffe des Staates auf der Grundlage oder nach dem Muster der polizeirechtlichen Gefahrenabwehr gewährleistet werden 116 . Demgegenüber verlangt der ressourcenökonomisch und ökologisch orientierte Umweltschutz nach einer Gesamtbetrachtung sowie nach aktiver staatlicher Vorsorge, Planung und Verteilung117. Indessen ist der anthropozentri111 112

113

114 115 116

117

Vgl. hierzu die Nachw. in Fn. 66. Im gleichen Sinne Ule, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 370f.; vgl. auch Kloepfer, a. a. O. (Fn. 13), S. 88. Vgl. hierzu statt vieler: Ule/Laubinger, Gutachten B zum 52. DJT, 1978, S. 13ff.; Hoppe. VVDStRL 38 (1980), S. 216ff.; jeweils m. w. N. Vgl. hierzu Bothe / Gündling, a. a. O. (Fn. 66), S. 123 ff. Vgl. Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 369ff.; Kloepfer, a. a. O. (Fn. 13),S.73. Vgl. etwa Mieck, Luftverunreinigung und Immissionsschutz in Preußen bis zur Gewerbeordnung 1869, in: Technikgeschichte Bd. 34 (1967), S. 36ff. Vgl. Hoppe, W D S t R L 38 (1980) S. 228ff.; Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 400ff.

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sehe durch den ressourcenökonomisch und ökologisch orientierten Umweltschutz nicht verdrängt, sondern lediglich überlagert worden. Der Schutz des Menschen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch bestimmte Anlagen, Stoffe und Handlungen bildet nach wie vor ein Kernstück des staatlichen Umweltschutzes 118 . Im übrigen ist dieser auf den Einsatz planvollziehender oder planunabhängiger, auf den Einzelfall zugeschnittener Kontrollinstrumente ebenso angewiesen wie auf die planerische Gesamtsteuerung. Derartige Kontrollinstrumente stehen im klassischen Arsenal der Eingriffsverwaltung bereit. Das Umweltschutzrecht greift hierauf zurück, indem es Anmeldepflichten des Bürgers sowie gesetzliche, präventiv oder repressiv motivierte Verbote mit Erlaubnisvorbehalt, administrative Verbote und andere repressive Verfügungen normiert" 9 . Das öffentlich-rechtliche Kontroll-, Planungs- und Verteilungsinstrumentarium des staatlichen Umweltschutzes ist in einigen Teilbereichen durch abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente ergänzt worden 120 . Daneben fungieren die interprivaten Ansprüche als Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung 121 und die Handhaben des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts als klassische Sanktionsinstrumente 122 . Die notwendige Kooperation im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft vollzieht sich im Wege besonderer Instrumente organisations- und verfahrensrechtlicher Art 123 . Schließlich kann der Staat bestimmte umweltrelevante Aktivitäten in unmittelbare oder mittelbare Eigenregie übernehmen 124 . 1. Planungs- und Verteilungsinstrumente a) Modelle einer umfassenden Umweltschutzplanung: Angesichts der Knappheit der natürlichen Ressourcen, der manifesten ökologischen Existenzkrise und der Notwendigkeit der Umweltschutzplanung mag auf den ersten Blick der Gedanke einer staatlichen Globalsteuerung aller wirtschaftlichen und sozialen, öffentlichen und privaten Aktivitäten durch eine umfassende Umweltschutzplanung125 bestechend erscheinen. Indessen lehren die Erfahrungen mit den Modellen und Versuchen einer integrierten staatlichen Gesamt-, Auf118

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120 121 122

123 124 125

Vgl. Umweltbericht '76 der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/5684, Tz. 11, 13, 21; Umweltgutachten 1978, BT-Drucks. 8/1938, Tz. 17ff.; v. Lersner, Verwaltungsrechtliche Instrumente des Umweltschutzes, 1983, S. 12 ff. Direkte administrative Verhaltenssteuerung; so Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 387 ff. Vgl. unten III 3. Vgl. unten III 4. Zu aktuellen Problemen der §§ 324ff. StGB Möhrenschlager. NuR 1983, 209ff.; vgl. auch die Voraufl., S. 701 ff. Vgl. unten III 5; auch oben I 2e. Vgl. unten III 6. Hierfür Bundesinnenminister Baum, in: Umwelt Nr. 70 v. 29. 6. 1979, S. 1.

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gaben- oder Entwicklungsplanung, daß mit der Globalität die Operationalität und Durchsetzbarkeit der Planung schwindet126. Einer staatlichen Globalsteuerung durch Umweltschutzplanung kann keine günstigere Prognose zugebilligt werden127. Was die rechtliche Realisierbarkeit betrifft, so ist zutreffend darauf hingewiesen worden, daß die staatliche Globalsteuerung aller wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten in ein geschlossenes System der Investitionslenkung hineinführt. Ein derartiges Modell würde nicht nur den politischen, sondern auch den verfassungsrechtlichen Rahmen der marktwirtschaftlichen, auf unternehmerischer Freiheit beruhenden Ordnung sprengen128 — es sei denn, die staatliche Globalsteuerung würde sich auf indikative Daten und persuasive Anregungen beschränken und dadurch an Durchsetzbarkeit noch mehr einbüßen. Als „integrierende Umweltschutzpläne" werden Modelle einer eigenständigen und isolierten Gesamtplanung des Umweltschutzes diskutiert129. Auch die Praktikabilität dieser Modelle begegnet grundsätzlichen Einwänden. So ist auf den hohen, schwer zu befriedigenden Koordinationsbedarf einer solchen Gesamtplanung sowie auf ihren anspruchsvollen, derzeit ebenfalls nicht zu befriedigenden Bedarf an ökologischem Grundwissen verwiesen worden 130 . Darüber hinaus müßte eine hochgezüchtete, aber isolierte Gesamtplanung des Umweltschutzes an Realitätsferne leiden. b) Fachplanungen des Umweltschutzes: Es beruht offenbar auf der Notwendigkeit der Umweltschutzplanung und der mangelnden Praktikabilität einer staatlichen, gesamtplanerisch aufgezogenen Globalsteuerung aller umweltrelevanten Aktivitäten wie auch einer isolierten Gesamtplanung des Umweltschutzes, wenn einschlägige Fachplanungen im jüngeren deutschen Recht eine zunehmende Verbreitung gefunden haben 131 . So wird der mediale Schutz des Bodens durch die moderne Landschaftsplanung (§§5 ff. BNatSchG) sowie die planerische Festsetzung von Naturschutzgebieten, Nationalparken, Landschaftsschutzgebieten und Naturparken (§§ 12 ff. BNatSchG) gelenkt132. Der mediale Schutz des Wassers wird durch verschiedene, sich ergänzende Fachpläne gesteuert. Solche Pläne sind die Planfeststellungen für Gewässerausbauten (§ 31 WHG), die planerische Festsetzung von Wasser- oder Heilquellenschutzgebieten (§ 19 WHG), Rein126 127 128 129

130 131

132

Vgl. etwa Wagener, DÖV 1977, 587 ff., insbes. 589, 591 f. So auch Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 254ff. Vgl. Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 255f. (Fn. 99 m. w. N.). So Boese / Eckstein / Schier, Voraussetzungen und Nutzen integrierender Umweltschutzpläne (maschinenschriftlich), Umweltforschungsplan des Bundesministers des Innern, Querschnittsfragen, FE-Vorhaben 101 01 013, 1972. So Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 259ff. Vgl. Schmidt-Aßmann, DÖV 1979, lff.; Kölble, DÖV 1979, 478ff.; Breuer, RdWWi 20, 8lff.; Schiarmann / Erbguth, Zur Durchsetzung von Umweltbelangen im Bereich der räumlichen Planung, 1982, S. 143 ff. Vgl. unten IV 2 und 4.

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halteordnungen (§ 27 WHG), wasserwirtschaftliche Rahmenpläne (§ 36 WHG), sachlich beschränkte wasserwirtschaftliche Sonderpläne wie z. B. Generalpläne für die Wasserversorgung eines Wirtschaftsraumes oder Wärmelastpläne für bestimmte Flußgebiete und Bewirtschaftungspläne für bestimmte oberirdische Gewässer oder Gewässerteile (§ 36b WHG) sowie Abwasserbeseitigungspläne (§ 18a WHG). Auf dem Sektor des Immissionsschutzes fungieren die Festsetzung von Belastungsgebieten (§ 44 BImSchG) und Luftreinhaltepläne (§ 47 BImSchG) als Akte der Fachplanung 133 . Im Rahmen des kausalen Umweltschutzes wird die Entsorgung durch Abfallbeseitigungspläne (§ 6 AbfG) und Planfeststellungen für Abfallbeseitigungsanlagen (§§ 7 ff., 20 ff. AbfG) gesteuert134. Die Rechtsnatur der genannten Fachpläne differiert in auffälliger Weise. Die wasserwirtschafts- und abfallrechtlichen Planfeststellungen sind — ebenso wie die Planfeststellungen für Vorhaben anderer Sachbereiche — Verwaltungsakte, da sie mit bürgerverbindlicher Außenwirkung einen Einzelfall in Gestalt des konkreten Bauvorhabens regeln135. Als Rechtsnormen sind die Schutzgebietsfestsetzungen auf den Sektoren des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie der Wasserwirtschaft zu qualifizieren 136 . Daran dürfte die Legaldefinition der Allgemeinverfügung in § 35 Satz 2 VwVfG nichts geändert haben. Zum einen bestimmen die einschlägigen Landesgesetze ausdrücklich, daß die genannten Schutzgebiete durch Rechtsverordnung oder Satzung festgesetzt werden137. Diese Spezialvorschriften gehen gegenüber § 35 Satz 2 VwVfG vor. Zum anderen können Schutzgebietsfestsetzungen materiell nicht als sachbezogene oder „dingliche" Verwaltungsakte i. S. des § 35 Satz 2 VwVfG qualifiziert werden, da sie primär eine generell-abstrakte, aus Geboten, Verboten und Duldungspflichten bestehende Handlungsregelung enthalten und der Gebietsbezug dahinter zurücktritt138. 133 134 135

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Vgl. unten V 7. Vgl. unten VII 4 und 5. Vgl. BVerwG DÖV 1974, 568; Wolff /Bachof, VerwR III, 4. Aufl. 1978, §158 Rdnr. 17; Badura, in: Erichsen /Martens (Hrsg.), Allg. VerwR, 6. Aufl. 1983, § 42 III; Breuer, Die hoheitliche raumgestaltende Planung, 1968, S. 61 ff. BVerwGE 18, 1 (3f.); 29, 207; BVerwG NJW 1958, 1600; Salzwedel, oben 9. Abschn., IV 2; Sieder/Zeitler, WHG, Ergänzung zu §19 Rdnr. 59; Breuer, а . a . O . (Fn. 135), S. 54, 56ff„ 159ff.; ders., Öffentl. und priv. WasserR, 1976, Rdnr. 204. §§21, 22 NatSchG B-W; Art. 7 Abs. 3, 10 Abs. 3 BayNatSchG; §§ 19 Abs. 2, 20 Abs. 2 NatSchG Bin; §§ 18, 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 BremNatSchG; §§ 15, 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 HambNatSchG; §§ 12, 13 i. V. m. § 16 Abs. 1 HessNatSchG; §§ 24, 26 NdsNatSchG; § 16 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Nr. 3 LG N-W; §§ 18 Abs. 1,19 Abs. 1 LPflG Rh-Pf; §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 SaarlNatSchG; §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 LPflG S-H. - § 110 WG B-W; Art. 35 BayWG; § 22 WG Bin; § 40 Abs. 1 BremWG; § 105 Abs. 1, 2 HessWG; § 48 Abs. 2 NdsWG; § 14 Abs. 1 Satz 1 WG N-W; § 13 Abs. 1 WG Rh-Pf; § 36 Abs. 1 SaarlWG; § 15 Abs. 1 WG S-H. Breuer, RdWWi 20, 84f.; a. A. Erichsen /Martens, in: dies. (Hrsg.), Allg. VerwR, б. Aufl. 1983, § II II 6 a. E.; Götz, NJW 1976, 1427.

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Vom Inhalt her fällt der hohe Grad an Spezialisierung und Zersplitterung sowie eine teilweise Überlagerung der Umweltfachplanung auf. Darin liegt kein Zeichen der Stärke, sondern eher ein Grund für Reibungsverluste sowie für eine potentielle Schwäche, die sich gegenüber der Fachplanung für umweltbelastende Großvorhaben sowie im Rahmen der raumbezogenen Gesamtplanung auswirken kann 139 . Allerdings nötigt gerade die mangelnde Praktikabilität einer gesamtplanerisch aufgezogenen Globalsteuerung sowie auch einer isolierten Gesamtplanung des Umweltschutzes zu differenzierten Fachplänen. Notwendig bleibt jedoch die Zusammenführung dieser Pläne und anderweitiger Fachplanungen in einer raumbezogenen, dem Interessenausgleich dienenden Gesamtplanung 140 . c) Der Umweltschutz

in der raumbezogenen

Gesamtplanung:

Der Umwelt-

schutz gehört zu den Planungszielen der raumbezogenen Gesamtplanung. Auf der überörtlichen Ebene der Raumordnung und Landesplanung gelten die normativen Grundsätze des § 2 Abs. 1 Nr. 7 BROG: Für den Schutz, die Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft einschließlich des Waldes sowie für die Sicherung und Gestaltung von Erholungsgebieten ist zu sorgen; für die Reinhaltung des Wassers, die Sicherung der Wasserversorgung und für die Reinhaltung der Luft sowie für den Schutz der Allgemeinheit vor Lärmbelästigungen ist ausreichend Sorge zu tragen. Diese Grundsätze sind gemäß § 2 Abs. 3 BROG durch Landesgesetze ergänzt und verfeinert worden. Auf der örtlichen Ebene der Bauleitplanung bildet die Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt eines der allgemeinen Planungsziele (§ 1 Abs. 6 Satz 1 BBauG). Als detailliertere Planungsleitlinien sind u. a. die Belange des Umweltschutzes, die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere des Bodens einschließlich mineralischer Rohstoffvorkommen, des Wassers, des Klimas und der Luft, sowie die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 6 Satz 2 BBauG, 12.-14. Spiegelstrich). Beschränkt auf den Immissionsschutz, jedoch sämtliche Ebenen der Gesamtplanung wie auch alle Fachplanungen übergreifend, stellt § 50 BImSchG ein planungsrechtliches Gebot der Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung auf: Bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen sind die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, daß schädliche Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete wie auch sonstige schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden. Durch diese Anforderungen wirkt der Umweltschutz „konkurrierend integriert"141. Die raumbezogene Gesamtplanung wird dadurch zu einem Instrument des 139 140 141

Vgl. Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 246. So auch Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 289ff. Vgl. oben II 5a; zur Kritik an der Effizienz des Umweltschutzes in der Raumplanung Kühl, Umweltschutz im materiellen RaumordnungsR, 1977, S. 35ff.; Henneke, Raumplanerische Verfahren und Umweltschutz, 1977, S. 238ff.; Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 241 ff.

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Umweltschutzes mit der spezifischen Aufgabe einer übergreifenden Koordination und Konfliktbewältigung. Allerdings gewährt § 50 BImSchG den Planbetroffenen keine subjektiv-rechtlichen Positionen142. Bereits vor dem Inkrafttreten des § 50 BImSchG hat das BVerwG143 aus den allgemeinen Planungszielen, Planungsleitlinien und Abwägungserfordernissen des Bauplanungsrechts den Grundsatz entwickelt, daß Industriegebiete und zum Wohnen bestimmte Gebiete nach Möglichkeit räumlich angemessen voneinander getrennt werden sollen. Ebenso ist z. B. die Ausweisung eines Mischgebietes (§ 6 BauNVO) in unmittelbarer Nachbarschaft eines landwirtschaftlichen, eine Schweinehaltung umfassenden Betriebes ohne Schutzvorkehrungen jedenfalls dann unzulässig, wenn ein Wohngebiet an anderer Stelle des Gemeindegebietes — wenn auch mit höheren Erschließungskosten — ausgewiesen werden könnte 144 . Allerdings ist das grundsätzliche Gebot der Trennung von schutzbedürftigen und umweltbelastenden Nutzungen in zwei Richtungen ausnahmefähig. Zum einen kann die gebotene Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung unter ungünstigen Voraussetzungen, insbesondere bei der „Überplanung gewachsener Strukturen", durch andere planerische Festsetzungen erfolgen, z. B. durch die interne Gliederung oder Einschränkung der zusammentreffenden Nutzungen, stoffbezogene Verwendungsverbote (§ 9 Abs. 1 Nr. 23 BBauG) oder die Festsetzung von Schutzflächen sowie Flächen für besondere Anlagen oder Vorkehrungen zum Immissionsschutz (§ 9 Abs. 1 Nr. 24 BBauG)145. Zum anderen kann der Anforderungshorizont der gebotenen Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung unter besonderen Umständen herabgesetzt sein. Ein solcher Fall kann eintreten, wenn die Bauleitplanung eine die Situation prägende, die Schutzwürdigkeit schonungsbedürftiger Nutzungen vermindernde Vorbelastung antrifft 146 oder wenn eine umweltbelastende Nutzung von besonderer Bedeutung ist und an anderer Stelle oder auf andere Weise nicht festgesetzt werden kann 147 . d) Der Umweltschutz

bei Fachplanungen

anderer

Verwaltungsbereiche:

Als

Schranke fungiert der konkurrierend integrierte Umweltschutz bei Fachplanungen in Verwaltungsbereichen, welche die Zuständigkeit für umweltbelastende Vorhaben umschließen. Solche Vorhaben sind vor allem Gegenstand der Planfeststellungen für Bundesfernstraßen und Landesstraßen, für Schienenwege der Bundesbahn und anderer Eisenbahnen, für Betriebsanlagen der Straßenbahnen einschließlich der U-Bahnen, für Flughäfen und Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich, für Telegrafenlinien der Bundespost, 142 143 144 145 146 147

BVerwG DVB1. 1974, 777 (778f.); VGH Kassel DÖV 1976, 393; Feldhaus, BImSchR, § 50 Anm. II 5 m. w. N.; Mareks, NuR 1984, 44 (48). BVerwGE 45, 309 (327). OVG Koblenz ZfBR 1979, 174. Hierzu v. Holleben. GewArch. 1978, 41 ff.; Söflcer, ZfBR 1979, 10ff.; Hoppe, in: Fs. f. Werner Ernst, 1980, S. 215ff.; Dolde, NJW 1980, 1659; den., DVB1. 1983, 732ff. Vgl. BVerwGE 51,15 (30ff.); 56, 110 (131); OVG Lüneburg GewArch. 1979, 345. BVerwG DÖV 1977, 752 (753); Dolde, NJW 1980, 1659.

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für Abfallbeseitigungsanlagen, für Ausbauten von Gewässern und ihren Ufern zu Zwecken der Wasserwirtschaft oder der Schiffahrt und für öffentliche Wege und Straßen sowie wasserwirtschaftliche, bodenverbessernde und landschaftsgestaltende Anlagen im Rahmen der Flurbereinigung 148 . Positivrechtliche Anforderungen des Umweltschutzes an die Planfeststellungen ergeben sich aus der am Bestandsschutzprinzip ausgerichteten Regelung über Eingriffe in Natur und Landschaft (§ 8 BNatSchG) 149 sowie aus dem Gebot der Rücksichtnahme und Konfliktvermeidung im Hinblick auf die Immissionslage (§ 50 BImSchG). Da ein Verkehrslärmschutzgesetz bisher nicht zustande gekommen ist150, fehlt indessen für den Lärmschutz bei Straßen und Schienenwegen eine positiv-rechtliche Konkretisierung. Daher ist es insoweit bei den lückenhaften Regelungen der Planfeststellungsgesetze über Schutzauflagen und Entschädigungspflichten 151 sowie bei den hierzu von der Rechtsprechung praktizierten Grundsätzen geblieben. Das BVerwG152 unterscheidet zwischen gemeinnützigen Planfeststellungen aus Gründen des Allgemeinwohls und privatnützigen Planfeststellungen für Vorhaben, die allein im privaten Interesse ausgeführt werden sollen. Die rechtlichen Schranken gemeinnütziger Planfeststellungen sind vor allem im Hinblick auf den verkehrsbezogenen Immissionsschutz153 entwickelt worden. Eine privatnützige Planfeststellung, die insbesondere für private Gewässerausbauten erforderlich ist, unterliegt strengeren Anforderungen. Sie vermag Eingriffe in Rechte Dritter nicht zu rechtfertigen und muß außerdem versagt werden, wenn sie unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit führen würde154. 2. Administrative Kontrollinstrumente Trotz der zunehmenden Verbreitung und Bedeutung der Planungs- und Verteilungsinstrumente ist der Umweltschutz gleichermaßen auf administrative Kontrollinstrumente angewiesen, die dem Gesetzes- oder Planvollzug im Einzelfall dienen. Sie entstammen dem klassischen, polizeirechtlich geprägten Arsenal der Eingriffsverwaltung. a) Anmeldepflichten: Anmelde- oder Anzeigepflichten des Bürgers sind in formeller und grundsätzlich auch in materieller Hinsicht das mildeste Instrument zur Kontrolle umweltrelevanter Tätigkeiten. Sie können zwei unter148 149 150 151 152 153 154

Vgl. §§ 17 ff. FStrG; §36 BundesbahnG; §§28 ff. PBefG; §§8 ff. LuftVG; §§7 ff. TelwegG; §§ 7ff., 20ff. AbfG; § 31 WHG; §§ 14ff. WaStrG; § 41 FlurbG. Vgl. unten IV 3, auch oben I 2b. Vgl. unten V 5 a. So § 17 Abs. 4 FStrG; § 29 Abs. 2 PBefG; § 9 Abs. 2 LuftVG; § 8 Abs. 1 AbfG; § 19 Abs. 3 und 5 WaStrG. BVerwGE 55, 220 (226ff.); 56, 110 (118ff.); 59, 253 (257); NuR 1981, 25. Vgl. unten V 5 a. BVerwGE 55, 220 (227, 229).

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schiedliche Funktionen erfüllen. Zum einen kann eine Anmeldepflicht einer einmaligen, der Vornahme einer umweltrelevanten Handlung vorgeschalteten Eröffnungskontrolle dienen. Damit erfüllt sie die gleiche Funktion wie ein präventives gesetzliches Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Erlaubnis oder Genehmigung. Diesen Merkmalen entspricht die Anmeldepflicht nach den §§ 4 ff. ChemG. Der Gesetzgeber hat ihr den Vorzug vor einer Zulassungspflicht in Gestalt eines Genehmigungsvorbehalts gegeben, weil das Anmeldeverfahren einfacher und praktikabler als ein Zulassungsverfahren erschien155 und die grundrechtsrelevanten Wettbewerbsverzerrungen156 dadurch abgeschwächt werden. Zum anderen kann eine Anmeldepflicht einer fortlaufenden, umweltrelevante Tätigkeiten begleitenden Befolgungskontrolle dienen. Diese Funktion erfüllen z. B. die Anzeige- und Nachweispflichten im Rahmen der Überwachung der Abfallbeseitigung (§ 11 AbfG) sowie die Pflicht des Anlagenbetreibers zur Abgabe einer Emissionserklärung (§ 27 BImSchG). b) Gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt: Unter den administrativen Kontrollinstrumenten des Umweltschutzes nehmen gesetzliche Verbote mit Erlaubnis- oder Genehmigungsvorbehalt eine Schlüsselstellung ein. Auch im Umweltschutzrecht muß insoweit unterschieden werden, ob es sich um ein präventives Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Unbedenklichkeitserklärung oder um ein repressives Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Befreiung157 handelt. aa) Ein präventives Verbot der ersteren Art liegt z. B. dem Vorbehalt der rechtlich gebundenen personen- und betriebsbezogenen Einsammlungs- und Beförderungsgenehmigung nach § 12 AbfG zugrunde. Diese Genehmigung ist zu erteilen, wenn gewährleistet ist, daß eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht zu besorgen ist, insbesondere keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers oder der für die Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes verantwortlichen Personen ergeben, und die geordnete Beseitigung im übrigen sichergestellt ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AbfG). Auch die sachbezogene Anlagengenehmigung nach den §§ 4 ff. BImSchG beruht auf einem präventiven Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen, rechtlich vollauf gebundenen Unbedenklichkeitserklärung 158 . bb) Auf der Grenze zwischen einem präventiven und einem repressiven Verbot ist der Vorbehalt der atomrechtlichen Anlagengenehmigung angesiedelt. Einerseits steht der Genehmigungsbehörde ein Versagungsermessen zu, wenn 155

156 157

158

BT-Drucks. 8/3319, S. 17; zur Festlegung auf ein Anmeldeverfahren durch die EGRichtlinie vom 18.9.1979 (79/831/EWG) Rehbinder, in: Dokumentation zur 4. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für UmweltR, 1980, S. 119 f. Vgl. oben I 5 b. Allgemein zu dieser Unterscheidung statt vieler: Wolff / Bachof, VerwR I, 9. Aufl. 1974, § 48 IIc; Maurer, Allg. VerwR, 3. Aufl. 1983, S. 163ff. BVerwGE 55, 250 (253ff.) = DVB1. 1978, 591 mit Anm. von Breuer.

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die rechtsbegrifflichen Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtomG erfüllt sind159. Der Grund für die Einräumung dieses Ermessens besteht darin, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie mit neuartigen, noch nicht vollständig geklärten Risiken verbunden ist160. Andererseits steht der Förderungszweck des § 1 Nr. 1 AtomG der Annahme entgegen, dem Vorbehalt der atomrechtlichen Anlagengenehmigung liege ein repressives Verbot zugrunde. Ein solches Verbot wäre auch mit dem Grundrechtsschutz des Unternehmers aus den Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar 161 . Auf eine knappe Formel gebracht, beruht die Genehmigungspflicht nach § 7 AtomG auf einem präventiven, aber potentiell restriktiven Verbot. cc) Demgegenüber geht die wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung der §§ 1 äff. WHG von einem repressiven Verbot unter dem Vorbehalt einer administrativen Befreiung aus162. Benutzungen der Gewässer sind grundsätzlich nur als öffentlich-rechtliche Sondernutzungen auf der Grundlage einer befugnisverleihenden und widerruflichen Erlaubnis oder einer rechtsverleihenden und unwiderruflichen, aber befristeten Bewilligung zulässig (§ 2 Abs. 1 WHG). Wenn die rechtsbegrifflichen Voraussetzungen der §§6, 7 a Abs. 1 WHG und bei einem Bewilligungsantrag die weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 bis 4 WHG erfüllt sind, steht die Erteilung der Erlaubnis oder Bewilligung im Ermessen der Wasserbehörde. Das Wasserdargebot unterliegt hierdurch einer strengen öffentlichen Bewirtschaftung163. Die Benutzungen der Gewässer sind aus dem Eigentum i. S. des Art. 14 Abs. 1 GG ausgegliedert164. Befugnisse und Rechte zur Gewässerbenutzung ergeben sich nicht aus dem Grundeigentum (§ 1 a Abs. 3 WHG), anderen privaten Rechten oder der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern aus einer öffentlich-rechtlichen Zuteilung. Verglichen mit anderen Sektoren des Umweltschutzes, zeichnet sich die wasserwirtschaftsrechtliche Benutzungsordnung dadurch aus, daß die Zulassungskontrolle durch die Umweltfachplanung dirigiert und an restriktiven Zielen orientiert wird. Die erste Schaltstelle dieses Bewirtschaftungssystems besteht in dem rechtsbegrifflichen Merkmal des Wohls der Allgemeinheit, dessen Beeinträchtigung nach § 6 WHG zur Versagung der beantragten Erlaubnis oder Bewilligung zwingt. Was das Wohl der Allgemeinheit erfordert, kann vielfach nur anhand der einschlägigen, insbesondere der wasserwirtschaftlichen Fachpläne und der hierin vorgezeichneten räumlichen 159 160 161 162

163

164

BVerfGE 49, 89 (144 ff.) m. w. N. BR-Drucks. 244/58, S. 6f.; BT-Drucks. III/759, S. 59; BVerfGE 49, 89 (146). Vgl. BVerfGE 49, 89 (144ff.). Vgl. Gieseke / Wiedemann / Czychowski, WHG, 3. Aufl. 1979, §2 Rdnr. 34; Sieder / Zeitler / Dahme, WHG, §2 Rdnr. 2b; Kimminich, BK, Art. 14 (Drittbearb.) Rdnr. 176. Vgl. Sahwedel, unten 9. Abschn., I 2 b; Sieder/Zeitler/Dahme, WHG, Vorbem. vor § 1 Rdnr. 10; Breuer, Öffentl. und priv. WasserR, 1976, Rdnr. 31; Czychowski, in: Fg. aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, 1978, S. 129 ff. Zur Verfassungsmäßigkeit oben I 5 a.

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und funktionalen Differenzierung beurteilt werden165. Die zweite Schaltstelle des wasserwirtschaftsrechtlichen Bewirtschaftungssystems ist das Versagungsermessen nach § 6 WHG. Wenn die Voraussetzungen einer Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung oder einer anderweitigen Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht dargetan sind, kann die Wasserbehörde hiernach die beantragte Erlaubnis oder Bewilligung mit der Begründung ablehnen, daß die fragliche Benutzung in dem betreffenden Gebiet eine unübersehbare wasserwirtschaftliche Entwicklung auslösen könne166. Die Behörde darf im Rahmen ihres Ermessens angesichts unsicherer Prognosen Vorsicht walten lassen und, über eine Gefahrenabwehr und Risikovorsorge hinausgehend, eine Pflege quantitativer und qualitativer Reserven betreiben 167 . Ein repressives Verbot liegt auch dem Genehmigungsvorbehalt für die Rodung und Umwandlung von Wald in eine andere Nutzungsart nach der Rahmenvorschrift des § 9 BWaldG und den landesgesetzlichen Ausfüllungsvorschriften zugrunde. Eine rechtsbegriffliche Bindung besteht nur in negativer Hinsicht: Die Genehmigung „soll" versagt werden, wenn die Erhaltung des Waldes überwiegend im öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Wald für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die forstwirtschaftliche Erzeugung oder die Erholung der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist (§ 9 Abs. 1 Satz 3 BWaldG). Im übrigen hat die Forstbehörde ein Planungs- und Bewirtschaftungsermessen nach Maßgabe eines umfassenden Abwägungsgebotes (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BWaldG). Dies entspricht der „Sozialfunktion des Waldes"168 sowie dem Charakter der Rodung als „substanzvernichtender Gebrauchs-Nutzung" 169 . c) Administrative Verbote und andere repressive Verfügungen: Das repressive Einschreiten der Verwaltung gegen Schädigungen, Gefährdungen oder Belastungen der Umwelt richtet sich teils nach allgemeinen Regeln, teils nach spezifischen und differenzierten Vorschriften des Umweltschutzrechts. Wesentliche Bedeutung kommt dabei der Unterscheidung zu, ob die Handlung oder Anlage, die Gegenstand der repressiven Verfügung ist, formell legal oder illegal ist. Formelle Legalität liegt — ebenso wie im Baurecht — vor, wenn die fragliche Handlung oder Anlage erlaubt, genehmigt oder durch einen sonstigen Akt zugelassen ist170. 165 166 167 168 169 170

Vgl. Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, 3. Aufl. 1979, §6 Rdnr. 27; Sieder/ Zeitler/Dahme, WHG, § 6 Rdnr. 16. BVerwG ZfW 1965, 98 (106), insoweit in BVerwGE 20, 219 nicht abgedruckt; OVG Münster ZfW 1979, 58. Breuer, a. a. O. (Fn. 163), Rdnr. 89. OVG Münster NuR 1983, 322; Ebersbach, Agrarrecht 1972, 129ff.; Kimminich, BK, Art. 14(Drittbearb.) Rdnr. 169. Breuer, ZfW 1979, 93 f. In diesem Sinne auch Schwabe, NJW 1978, 2313; zum Baurecht Friauf, oben 6. Abschn., III 3 b und d.

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aa) Gegen eine formell legale Handlung oder Anlage kann nur nach den Regeln über die Rücknahme, den Widerruf und die nachträgliche Einschränkung oder Durchbrechung des Zulassungsaktes eingeschritten werden171. Ist der Zulassungsakt von Anfang an rechtswidrig, die formell legale Handlung oder Anlage also materiell illegal, so kann der Zulassungsakt unter den Voraussetzungen des § 48 VwVfG zurückgenommen werden. Abgesehen von § 17 Abs. 2 AtomG, enthält das Umweltschutzrecht keine Spezialregelungen der Rücknahme. Selbst § 17 Abs. 2 AtomG bestimmt lediglich, daß Genehmigungen und allgemeine Zulassungen zurückgenommen werden können, wenn eine ihrer Voraussetzungen bei der Erteilung nicht vorgelegen hat. Ist der Zulassungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, die fragliche Handlung oder Anlage in diesem Zeitpunkt also formell und materiell legal, so greifen weithin umweltschutzrechtliche Spezialregelungen über den Widerruf sowie nachträgliche Einschränkungen und Durchbrechungen des Zulassungsaktes ein. Solche Regelungen finden sich für das Immissionsschutzrecht der genehmigungsbedürftigen Anlagen in den Vorschriften über nachträgliche Anordnungen, Untersagungs-, Stillegungs- und Beseitigungsverfügungen sowie den Widerruf der Anlagengenehmigung (§§ 17, 20, 21 BlmSchG) 172 , für das Atomrecht in den Vorschriften über „nachträgliche Auflagen" und den Widerruf der Anlagengenehmigung sowie sonstiger Genehmigungen und „allgemeiner Zulassungen" (§ 17 AtomG) und für das Wasserwirtschaftsrecht in den Vorschriften über den gesetzlichen Vorbehalt nachträglicher Anordnungen, den generell zulässigen Widerruf der Erlaubnis und die ausnahmsweise zulässige Beschränkung oder „Rücknahme" — richtigerweise: den Widerruf - der Bewilligung (§§ 5, 7, 12 WHG) 173 . bb) Gegen eine formell illegale Handlung oder Anlage kann die zuständige Fachbehörde aufgrund der polizei- oder ordnungsrechtlichen Generalklausel einschreiten. Der Verstoß gegen das Umweltschutzrecht stellt eine Verletzung der „öffentlichen Sicherheit" i. S. des Polizei- und Ordnungsrechts dar 174 . Die Frage, ob neben der zuständigen Fachbehörde auch die allgemeine Polizeioder Ordnungsbehörde für derartige repressive Eingriffe zuständig ist, muß aufgrund des jeweiligen Landesrechts unterschiedlich beantwortet werden175. Anders als im Baurecht, wo eine Beseitigungsverfügung oder ein anderer definitiver Eingriff nicht auf die bloße formelle Illegalität einer baulichen Anlage gestützt werden kann 176 , erwachsen im Umweltschutzrecht aus der formellen und der materiellen Illegalität keine prinzipiell unterschiedlichen Rechtsfolgen. Eine formell illegale, umweltschutzrechtlich gestattungsbedürf171

172 173 174 175 176

Grundlegend für die Baugenehmigung Friauf, DVB1. 1971, 722; ders. auch oben 6. Abschn., III 3 b; jeweils m. w. N. Vgl. unten V 2 g und h. Vgl. Salzwedel, unten 9. Abschn., III 5; Breuer, a. a. 0.(Fn. 163), Rdnr. 126ff. Vgl. Friauf, oben 3. Abschn., II 1 c, aa m. w. N.; ferner Gassner, NuR 1981, 6ff. Vgl. für den Bereich des Wasserrechts Breuer, a. a. O. (Fn. 163), Rdnr. 196 m. w. N. Friauf, oben 6. Abschn., III 3 d, aa mit Nachw. insbes. zur Rspr.

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tige Handlung oder Anlage ist regelmäßig als schlechthin illegal zu behandeln. Eine Berufung auf die materielle Legalität ist ohne formelle Legalität grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere für das Wasserwirtschaftsrecht und illegale Benutzungen oder Ausbauten von Gewässern 177 sowie für das Abfallbeseitigungsrecht und die illegale Abfallbeseitigung 178 . Der Grund für die Abweichung vom Baurecht liegt in der spezifischen Sozialrelevanz des Umweltschutzes sowie der typischen Irreversibilität von Schädigungen und Belastungen der Umwelt. cc) Allerdings erfüllt das rechtsstaatliche Übermaßverbot, das die Postulate der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit umschließt179, auch für das repressive Einschreiten gegen Schädigungen, Gefährdungen und Belastungen der Umwelt eine dirigierende und limitierende Funktion. Dies gilt bei formell legalen wie bei formell illegalen Handlungen und Anlagen. So kann bei formeller Legalität eine Untersagungsverfügung oder der Widerruf einer Genehmigung trotz Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen rechtswidrig sein, wenn der Eingriffszweck auch durch eine nachträgliche Anordnung in Gestalt einer bloßen Genehmigungsbeschränkung oder Nebenbestimmung erreicht werden kann 180 . Ebenso kann das gänzliche Verbot einer formell illegalen Handlung oder Anlage rechtswidrig sein, wenn zur Erreichung des Eingriffszwecks eine bloße Nutzungs- oder Betriebsbeschränkung ausreicht181. Das repressive Einschreiten gegen formell legale Handlungen oder Anlagen begegnet außerdem den verfassungsrechtlichen Schranken der Eigentumsgarantie. Der Widerruf einer Anlagengenehmigung oder deren Einschränkung durch eine ruinös wirkende nachträgliche Anordnung kann den Tatbestand einer entschädigungspflichtigen Enteignung erfüllen, sofern der Widerrufs- oder Anordnungsgrund nicht in der Sphäre des Genehmigungsadressaten liegt182. Der Widerruf kann unter Gesichtspunkten des Investitions- und Vertrauensschutzes selbst dann enteignend wirken, wenn die Genehmigung unter Widerrufsvorbehalt erteilt worden war183. Ob insoweit die öffentlichrechtliche Genehmigungsposition oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Schutzobjekt der Eigentumsgarantie anzusehen 177 178 179

180 181 182 183

BVerwG NJW 1978, 2311; OVG Münster ZfW 1974, 379; OVG Hamburg DVB1. 1979, 235; Breuer, a. a. O. (Fn. 163), Rdnr. 197. VGH Mannheim DÖV 1977, 332. Grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 21; ferner Wendt, AöR 104 (1979), S. 414ff.; zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. Seilner, ImmissionsschutzR und Industrieanlagen, 1978, Rdnr. 477, 518. OVG Münster ZfW 1974, 379; Breuer, a. a. O. (Fußn. 163), Rdnr. 197; auch Seilner, a. a. O. (Fn. 180), Rdnr. 488. Vgl. Johlen, NJW 1976, 2156; Schenke, DVB1. 1976, 741 ff.; Stelkens/Bonk/ Leonhardt, VwVfG, 2. Aufl. 1983, § 49 Rdnr. 21. BGHZ 25, 266 (270); vgl. auch für die kraft Gesetzes widerrufliche wasserrechtliche Erlaubnis OVG Münster ZfW 1968, 195 (200); Salzwedel, RdWWi 19, 46ff„ 56ff.; Breuer, a. a. O. (Fn. 163), Rdnr. 144.

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ist184, mag hier offen bleiben. Jedenfalls sind die umweltschutzrechtlichen Vorschriften über den Widerruf einer Genehmigung oder deren Einschränkung durch nachträgliche Anordnungen mit Entschädigungsregelungen gekoppelt, die den Anforderungen der Junktimklausel (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) genügen. d) Administrative Überwachung: Damit die zuständigen Fachbehörden ihre Zulassungskontrolle sowie Verbote und andere repressive Verfügungen auf eine hinreichend breite und fundierte Informationsbasis stützen können, sehen die Umweltschutzgesetze eine administrative Überwachung vor. Diese zeichnet sich durch Permanenz und einen sektoral umfassenden Ansatz aus. Im Verhältnis zu den punktuell angesetzten Instrumenten der Zulassungskontrolle und des repressiven Einschreitens erfüllt sie eine Vorbereitungsund Hilfsfunktion. Ihre Anwendungsfelder sind vor allem die wasserwirtschaftsrechtliche Überwachung (§ 21 WHG), die anlagenbezogene Ermittlung von Emissionen und Immissionen (§§ 26-31 BImSchG), die gebietsbezogene Überwachung der Luftverunreinigung (§§ 44-47 BImSchG) und die allgemeine Überwachung auf dem Sektor des Immissionsschutzes (§ 52 BImSchG) 185 , die staatliche Aufsicht über die friedliche Nutzung der Kernenergie (§19 AtomG), die chemikalienrechtliche Überwachung (§21 ChemG) sowie die Überwachung auf dem Sektor der Entsorgung (§ 11 AbfG, § 6 AltölG). Als rechtliche Instrumente der Überwachung stehen den zuständigen Fachbehörden Befugnisse zu administrativen Messungen, Untersuchungen und Einsichtnahmen zur Verfügung, ferner korrespondierende Duldungspflichten sowie Meß-, Buchführungs-, Nachweis-, Auskunfts- und Anzeigepflichten auf Seiten der Eigentümer, Besitzer, Anlagenbetreiber und sonstigen Unternehmer. 3. Abgabenrechtliche Steuerungsinstrumente Diskussionen über die Erhebung öffentlicher Abgaben im Interesse des Umweltschutzes pflegen mit einem Bekenntnis zum Verursacherprinzip eingeleitet zu werden 186 . Ebenso wie das Verursacherprinzip unterschiedliche Systemvarianten umschließt 187 , folgen jedoch auch die umweltbezogenen öffentlichen Abgaben des geltenden Rechts unterschiedlichen Zielsetzungen und Systemprinzipien. a) Ausgleichsabgaben bei Eingriffen in Natur und Landschaft: Für den medialen Schutz des Bodens hat die Regelung über Eingriffe in Natur und Landschaft (§ 8 BNatSchG) zentrale Bedeutung. Das Gesetz schreibt in 184 185 186

187

Vgl. hierzu Breuer, a. a. O. (Fn. 48), S. 184 f. Vgl. unten V 2 i. Vgl. statt vieler: Salzwedel, Studien zur Erhebung von Abwassergebühren, 1972, S. 52f.; Kloepfer, DÖV 1975, 593ff.; Dahme, AbwAG, 1976, S. 75; Berendes / Winters, Das neue AbwAG, 1981, S. 4f., 103. Vgl. oben I 2 c.

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mehrfacher Abstufung die Vermeidung solcher Eingriffe, konkret-kompensatorische Maßnahmen zum Ausgleich unvermeidbarer Beeinträchtigungen und eventuell ökologisch-kompensatorische Ersatzmaßnahmen vor188. Schließlich gestattet die bundesrahmengesetzliche Regelung die landesgesetzliche Einführung von Ausgleichsabgaben für unvermeidbare, weder durch Ausgleichs- noch durch Ersatzmaßnahmen kompensierbare Eingriffe 189 . Derartige Ausgleichsabgaben sind in mehreren Bundesländern vorgesehen. aa) Nach § 12 Abs. 2 NdsNatSchG läßt das Land Ersatzmaßnahmen auf Kosten des Verursachers durchführen, wenn dieser nicht selbst für die Ersatzmaßnahmen sorgt. Andere Landesgesetze190 sehen vor, daß die zuständige Behörde den Verursacher verpflichten kann, anstelle von Ersatzmaßnahmen den erforderlichen Geldbetrag einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Durchführung von Ersatzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Hierbei handelt es sich nicht um echte Ausgleichsabgaben, sondern um Kosten der Ersatzvornahme im Hinblick auf die dem Verursacher obliegenden Ersatzmaßnahmen. Diese Kostenpflicht verwirklicht die erste Systemvariante des Verursacherprinzips unter Beschränkung auf die Ist-Kosten191. Nachteilig ist, daß der Verursacher hiernach nicht zur Zahlung verpflichtet werden kann, wenn die Durchführung von Ersatzmaßnahmen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. bb) Soweit Gesetze anderer Länder Ausgleichsabgaben vorsehen, geschieht dies gerade für den Fall, daß unvermeidbare und nicht ausgleichbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft auch durch Ersatzmaßnahmen nicht kompensiert werden können. Damit wird für schwerwiegende Eingriffe, bei denen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ausscheiden, die Verursacherhaftung aufrechterhalten. Derartige Abgabepflichten wahren ebenfalls den Rahmen der ersten Systemvariante des Verursacherprinzips, schließen indessen die Soll-Kosten ein192. So soll nach einigen Landesgesetzen193 eine Ausgleichsabgabe aufgrund einer Rechtsverordnung erhoben werden können, wenn der Verursacher eine Ersatzmaßnahme nicht selbst durchführen kann oder sinnvolle Ersatzmaßnahmen nicht möglich sind. Die Ausgleichsabgabe soll hiernach zweckgebunden sein für die Finanzierung von Maßnahmen, durch die Werte oder Funktionen des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes hergestellt oder in ih188 189 190 191 192 193

Vgl. Breuer, NuR 1980, 93ff. m. w. N.; Gassner, NuR 1984, 81 ff. So Heiderich, NuR 1979, 19ff.; Eckardt, NuR 1979, 133ff.; Breuer, NuR 1980, 96ff.; a. A.: Schroeter, DVB1. 1979, 18f.; Fickert, BayVBl. 1978, 691 f. So § 5 Abs. 3 LPflG Rh-Pf; ähnlich § 5 Abs. 1 Satz 3 und 4 LG N-W. Vgl. oben I 2c, aa; Bullinger, a. a. O. (Fn. 6), S. 70. Vgl. oben I 2c, aa; Bullinger, a. a. O. (Fn. 6), S. 70. So § 11 Abs. 5 Nr. 2 und Abs. 7 BremNatSchG; § 9 Abs. 6 Satz 3 und Abs. 7 Satz 1 HambNatSchG; §8 Abs. 4 Satz 1 LPflG S-H; ferner §6 Abs. 3 Satz 3 HessNatSchG, wo allerdings keine Ersatzmaßnahmen, sondern nur Ausgleichsmaßnahmen vorgeschaltet sind.

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rem Bestand gesichert werden, die dem zerstörten Gut entsprechen. Auch diese Abgabepflicht versagt allerdings, wenn Maßnahmen zur Herstellung eines funktional gleichartigen oder ähnlichen Zustandes zur Kompensierung einer Beeinträchtigung von Natur und Landschaft, z. B. der Vernichtung eines Feucht- oder Ufergebietes, auf dem gesamten Territorium des betreffenden Landes nicht möglich sind. Deshalb ist nach der weitergehenden Vorschrift des § 11 Abs. 4 SaarlNatSchG eine ebenfalls subsidiäre Ausgleichsabgabe zu entrichten, soweit Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht durchführbar sind. Die Abgabe ist in einem allgemeineren Sinne zweckgebunden, nämlich für alle Maßnahmen, die der Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege dienen; Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen haben dabei jedoch Vorrang. Andere Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege dürfen aus dem Abgabenaufkommen nur subsidiär finanziert werden. Damit wird der Kompensationszweck der Ausgleichsabgabe aufgelockert, aber nicht aufgegeben. Noch weiter ist die Zweckbindung der Ausgleichsabgabe in den §§ 11 Abs. 5 Satz 3 und 50 Abs. 4 NatSchG B-W gelockert worden. Hiernach ist die Abgabe an einen Naturschutzfonds zu leisten, der die allgemeine Aufgabe hat, die Bestrebungen für die Erhaltung der natürlichen Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen zu fördern und zur Aufbringung der benötigten Mittel beizutragen. In einem Katalog beispielhaft genannter Einzelaufgaben ist die Förderung von Maßnahmen zum Schutz der Natur und zur Pflege der Landschaft lediglich gleichrangig neben anderen Einzelaufgaben wie der Anregung und Förderung der Forschung und modellhaften Untersuchung auf dem Gebiet der natürlichen Umwelt aufgeführt (§ 50 Abs. 4 NatSchG B-W). Auch nach § 11 Abs. 3 Satz 4 und 5 NatSchG B-W sind Ausgleichsabgaben jedoch nur zu entrichten, soweit ein Eingriff nicht durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen kompensiert werden kann. Das baden-württembergische Recht hält mithin ebenfalls, dem System des § 8 BNatSchG entsprechend, an der Subsidiarität der Ausgleichsabgaben und insoweit am Grundsatz möglichst gleichartiger oder zumindest ähnlicher Kompensation durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen fest194. Ähnlich ist nach § 14 Abs. 6 NatSchG Bin das Aufkommen aus der dort geregelten Ausgleichsabgabe nur in dem allgemeinen Sinne zweckgebunden, daß es für Maßnahmen einzusetzen ist, die dem Naturschutz und der Landschaftspflege dienen. Auch hiernach sind jedoch Ausgleichsabgaben nur zu entrichten, wenn Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht möglich oder untunlich sind. cc) Unter den wiedergegebenen Voraussetzungen sind die landesgesetzlich geregelten Ausgleichsabgaben für Eingriffe in Natur und Landschaft bei öffentlichen ebenso wie bei privaten Vorhaben zu erheben. Dies gilt auch für Vor-

194

VGH Bad-Württ. N u R 1983, 276; VG Karlsruhe NuR 1983, 74; Breuer, N u R 1980, 98.

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haben in der Kompetenz der Bundesverwaltung oder einer Bundesauftragsverwaltung 195 . b) Abwasserabgaben.-Nach dem Abwasserabgabengesetz 196 werden ab 1. 1. 1981 öffentliche Abgaben für das Einleiten von Abwässern in ein Gewässer erhoben. Die Abgabe richtet sich nach der Schädlichkeit des Abwassers und wird auf der Basis des Bescheides, der die Einleitung zuläßt, ermittelt (§§ 3, 4 AbwAG). Der Abgabesatz wird für den sog. Restschmutz halbiert, der nicht vermieden werden kann, obwohl die bewirtschaftungsrechtlichen Mindestanforderungen nach § 7 Abs. 1 Satz 3 W H G erfüllt werden (§ 9 Abs. 5 AbwAG). Das Abgabenaufkommen ist zweckgebunden für Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der Gewässergüte (§ 13 AbwAG). Die Abwasserabgabe ist eine umweltpolitische Lenkungsabgabe und weder als Gebühr oder Beitrag noch als Steuer, sondern als Sonderabgabe zu qualifizieren 197 . Sie soll Anreize setzen, in stärkerem Maße Kläranlagen zu bauen, den Stand der Abwasserreinigungstechnik zu verbessern, abwasserarme oder abwasserlose Produktionsverfahren zu entwickeln und Güter aus abwasserintensiven Produktionen sparsamer zu verwenden. Der Wettbewerbsvorteil des Gewässerverschmutzers soll durch die Internalisierung der verschmutzungsbedingten Kosten abgebaut werden 198 . Hierdurch wird der Zurechnungshorizont der wasserwirtschaftlichen Zulassungskontrolle insofern überschritten, als die Abwasserabgabe gerade die wasserwirtschaftsrechtlich zugelassene Gewässerverschmutzung ausgleichen soll. Sie erweist sich damit als Ausprägung der zweiten der oben 199 beschriebenen System Varianten des Verursacherprinzips. c) Beiträge zur Altölbeseitigung: Die Beiträge, die nach dem Altölgesetz 200 von Unternehmern der mit Schmier- oder Altölen umgehenden Wirtschaft an einen öffentlichen Rückstellungsfonds geleistet werden müssen, sind hingegen ein öffentlich-rechtliches Instrument zur Stützung der privatwirtschaftlichen Altölbeseitigung. Aus dem Beitragsaufkommen wird ein Netz von Betrieben unterstützt, die beitragsbelastete Altöle kostenlos abnehmen müssen 201 . Da die hierfür erhobenen Beiträge zur Altölbeseitigung die Beseitigungspflicht der altölproduzierenden Unternehmer ablösen sollen, verwirkli195

196 197 198

199 200 201

Eckardt, NuR 1979, 136; Breuer, NuR 1980, 98f.; Soell, in: Salzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 532; a.A.: Schroeter, DVB1. 1979, 18f.; Fickert, BayVBl. 1978, 691 f. Vom 13. 9. 1976 (BGBl. I S. 2721, ber. S. 3007). H. M.; HessVGH DVB1. 1983, 949; Schröder, DÖV 1983, 667ff.; Kloepfer, JZ 1983, 742ff.; Hemeler, Das Recht der Abwasserbeseitigung, 1983, S. 169ff. BT-Drucks. 7/2272, S. lf., 21 ff.; 7/5183, S. 1 ff.; Salzwedel, in: ders., Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 625 ff. m. w. N.; Berendes / Winters, Das neue AbwAG, 1981, S. 21. Vgl. oben I 2 c, bb. I. d. F. der Bekanntm. vom 11.12. 1979 (BGBl. I S. 2113). BT-Drucks. V/5075, S. 4.

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chen sie die erste der oben 202 beschriebenen Systemvarianten des Verursacherprinzips. Dabei erfolgt die Auferlegung der Soll-Kosten im Wege einer generellen Ablösung der Beseitigungs- durch die Abgabepflicht. 4. Instrumente der privatrechtlichen Selbstregulierung Umwelteinwirkungen unterliegen nicht nur dem öffentlichen Recht. Inwieweit ein Eigentümer, ein sonstiger Nutzungsberechtigter oder ein Unternehmer im Verhältnis zum Nachbarn oder anderen faktisch Betroffenen zu Umwelteinwirkungen berechtigt und dabei durch Duldungspflichten der Betroffenen gesichert ist oder auf Abwehr-, Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche Betroffener stößt, richtet sich primär nach privatem Recht 203 . Allerdings hat das öffentliche Umweltschutzrecht nicht nur einen Ausgleich zwischen den mit Umwelteinwirkungen verfolgten Interessen und den betroffenen Belangen der Allgemeinheit, sondern auch einen Interessenausgleich zwischen den konkurrierenden Interessen der beteiligten Privaten zu regeln. Hierauf beruht die Wirkungsweise nachbar- und sonstiger drittschützender Rechtsnormen, die auch im öffentlichen Umweltschutzrecht subjektive, im Klagewege durchsetzbare Rechtspositionen begründen. Insoweit gilt für raumgebundene Umweltbeziehungen öffentliches Nachbarrecht 204 . Das Privatrecht, insbesondere das interprivate Nachbar- und Haftungsrecht, wird hierdurch jedoch nicht verdrängt, sondern lediglich ergänzt und überlagert. Da die Geltendmachung privatrechtlicher Abwehr-, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Initiative der Betroffenen überlassen ist, bildet sie das Vehikel einer interprivaten Selbstregulierung der Umweltbeziehungen. Der öffentlich-rechtliche Umweltschutz wird hierdurch unterstützt 205 . Freilich sind einer solchen Selbstregulierung regelmäßig infolge der faktischen Unterlegenheit und der Beweisführungsprobleme der Betroffenen enge Grenzen gesetzt206. 202 203

204 205 206

Vgl. oben I 2 c aa. Vgl. zum WasserR Salzwedel, unten 9. Abschn., I 4.; ders., RdWWi 12, 50ff.; 18, 93 ff.; 21, 65 ff.; Breuer, a.a.O. (Fn. 163), Rdnr. 227 ff.; zum ImmissionsschutzR Igl, Die rechtliche Behandlung der industriellen Luftverunreinigung in Frankreich und der Bundesrep. Deutschi., 1976, S. 148ff.; Stich, in: Salzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 289ff.; allgemein Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und VerwaltungsR, 1972, Rdnr. 314, 332ff., 445; Breuer, a.a.O. (Fn. 48), S. 252ff.; Schopp, Das Verhältnis von priv. und öffentl. NachbarR, 1978; Diederichsen / Scholz, WiVerw. 1984, 23 ff. Vgl. etwa Bender/Dohle, a.a.O., Rdnr. 133ff., 302ff.; Breuer, a.a.O. (Fn. 163), Rdnr. 146; ders., NJW 1978, 1558 f. ¡jeweils m. w. N. In diesem Sinne auch Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 383ff., 394ff.; Kloepfer, a. a. O. (Fn. 13), S. 128ff.; ferner Salzwedel, RdWWi 20, 72ff. Vgl. hierzu Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), S. 394ff.; Igl, a. a. O. (Fn. 203), S. 152ff.; Lummert / Thiem, Rechte des Bürgers zur Verhütung und zum Ersatz von Umweltschäden, 1980; Diederichsen / Scholz, WiVerw. 1984, 23 ff.

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Das private Umweltnachbarrecht hat seine Grundlage vor allem in den §§ 906 ff., 1004 BGB, den Nachbarrechtsgesetzen der Länder und einigen Vorschriften der Landeswassergesetze207. Das private Umwelthaftungsrecht gründet sich auf die Tatbestände des allgemeinen Deliktsrechts (§ 823 ff. BGB) sowie der speziellen Gefährdungshaftung nach § 22 WHG 208 und den §§25 ff. AtomG209. Das Verhältnis zwischen den privatrechtlichen Ansprüchen und den administrativen Kontrollinstrumenten des öffentlichen Umweltschutzrechts, insbesondere den Erlaubnissen, Genehmigungen und ähnlichen Zulassungsakten, ist unterschiedlich ausgestaltet. a) Das erste Modell basiert auf der strikten Trennung zwischen privatrechtlichen Ansprüchen und der öffentlich-rechtlichen Kontrolle. Diesem Modell entspricht die Rechtswirkung der wasserwirtschaftsrechtlichen Erlaubnis nach § 7 WHG. Sie verleiht ausschließlich eine öffentlich-rechtliche Befugnis zur Gewässerbenutzung und läßt die Rechte der Betroffenen unberührt. Diese sind grundsätzlich darauf verwiesen, ihre privatrechtlichen Ansprüche gegen den Erlaubnisinhaber im Zivilrechtsweg geltend zu machen 210 . b) Dem zweiten Modell entspricht die Baugenehmigung in Ansehung umweltschutzrechtlicher Vorschriften, z. B. des § 22 BImSchG. Auch sie wird „unbeschadet privater Rechte Dritter" erteilt211, entbehrt also einer materiellrechtlichen Gestaltungswirkung gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen und erhält insbesondere die Trennung zwischen dem privaten Nachbarrecht und der öffentlich-rechtlichen Kontrolle prinzipiell aufrecht. Jedoch übt die Baugenehmigung eine formell-rechtliche Gestaltungswirkung aus, indem sie — auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit — die genehmigte Anlage gegen privatrechtliche Abwehransprüche absichert212. Die privatrechtlichen Ansprüche können insoweit nur geltend gemacht werden, wenn zuvor die Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde oder das Verwaltungsgericht aufgehoben und damit der baulichen Anlage der formell-rechtliche Schutz der Genehmigung entzogen wird. c) Das dritte Modell wird durch eine materiell-rechtliche, anspruchsändernde Gestaltungswirkung der öffentlich-rechtlichen Genehmigung gegenüber dem Privatrecht gekennzeichnet. Nach diesem Modell sind die immissionsschutzrechtliche und die atomrechtliche Anlagengenehmigung ausgestaltet (§ 14 BImSchG, § 7 Abs. 6 AtomG). Hiernach kann aufgrund privatrechtlicher, nicht auf besonderen Titeln beruhender Ansprüche zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes 207 208 209 210 211 212

Vgl. Breuer, a. a. O. (Fn. 163), Rdnr. 242 f. m. w. N. Hierzu Salzwedel, unten 9. Abschn., I 4b. Hierzu unten VI 4. BGHZ55, 180(186). So z. B. § 88 Abs. 6 Satz 1 BauO N-W; § 99 Abs. 1 Satz 2 BauO Rh-Pf. Friauf, DVB1. 1971, 718; Hans Schrödter, in: Schrödter, BBauG, 4. Aufl. 1980, § 31 Rdnr. 23; Breuer, DVB1. 1983, 438f.; streitig.

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Grundstück nicht die Einstellung des Betriebes einer Anlage verlangt werden, deren Genehmigung unanfechtbar ist. Statt dessen können nur noch Vorkehrungen verlangt werden, die die benachteiligenden Wirkungen ausschließen. Soweit solche Vorkehrungen nach dem Stand der Technik nicht durchführbar oder wirtschaftlich nicht vertretbar sind, kann lediglich Schadensersatz verlangt werden. Ein weitergehendes, auf Verhinderung der Errichtung oder Einstellung des Betriebes einer Anlage gerichtetes Begehren muß der Nachbar im Verwaltungsverfahren und, falls ein Streitfall eintritt, im Verwaltungsrechtsweg erheben. Wenn er dies versäumt oder erfolglos versucht hat, werden seine privatrechtlichen Ansprüche indessen nicht abgeschnitten, sondern lediglich in der beschriebenen Weise beschränkt 213 . Eine derartige Genehmigung, die kraft materiell-rechtlicher Gestaltungswirkung kollidierende privatrechtliche Ansprüche beschränkt, stellt einen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in die Eigentümerrechte der Nachbarn dar. Sie kann somit prinzipiell einen Enteignungstatbestand erfüllen, falls eine gewisse Opferschwelle überschritten ist214. Ungeachtet der Schwere und Tragweite der rechtsgestaltenden Anspruchsbeschränkung liegt jedoch eine entschädigungsfrei zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Nachbareigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vor, wenn das zugrunde liegende Gesetz dem Betroffenen in hinreichendem Maße modifizierte privatrechtliche Schutz- und Ausgleichsansprüche gegen den Genehmigungsbegünstigten einräumt 215 . Eben dies ist bei der immissionsschutzrechtlichen und der atomrechtlichen Anlagengenehmigung durch die Regelung der privatrechtlichen Ansprüche auf Schutzvorkehrungen, hilfsweise auf Schadensersatz (§ 14 BImSchG, § 7 Abs. 6 AtomG) geschehen. dd) Das vierte Modell geht insofern über das dritte hinaus, als die materiell-rechtliche Gestaltungswirkung des öffentlich-rechtlichen Zulassungsaktes nicht nur anspruchsändernder, sondern grundsätzlich anspruchsausschließender Art ist. Diese Wirkung eines „Zerreißwolfs" der privatrechtlichen Ansprüche übt z. B. die wasserwirtschaftsrechtliche Bewilligung aus216. Betroffene sind gehalten, nachteilige Wirkungen der fraglichen Gewässerbenutzung auf ihre Rechte oder ihre rechtlich geschützten Interessen nach Maßgabe des § 8 Abs. 3 und 4 WHG i. V. m. den ergänzenden Vorschriften der Landeswassergesetze im Verwaltungsverfahren und eventuell im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen. Ist die Bewilligung erteilt, kann ein Betroffener gegen den Bewilligungsinhaber keine Ansprüche geltend machen, die auf die Beseitigung einer Störung, auf die Unterlassung der Benutzung, auf die Herstel213 214

215 216

Vgl. zum Ganzen Feldhaus, BImSchR, Bd. 1, § 14 Anm. 9; Ule, BImSchG, § 14 Rdnr. 2ff.; Seltner, ImmissionsschutzR und Industrieanlagen, 1978, Rdnr. 213ff. Vgl. RGZ 7, 265 (267); 31, 285 (287); 50, 225 (228); 59, 70 (74); BVerwGE 28, 131 (134f.); Scheuner, DÖV 1955, 547; Schwabe, DVB1. 1973, 108ff.; Breuer, a . a . O . (Fn. 48), S. 274. Vgl. hierzu Breuer, a. a. O. (Fn. 48), S. 272ff. m. w. N. Vgl. Salzwedel, unten 9. Abschn., III 2 b; Breuer, a. a. O. (Fn. 163), Rdnr. 235.

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lung von Schutzeinrichtungen oder auf Schadensersatz gerichtet sind (§ 11 WHG) — eine Rechtswirkung, die durch einige Landesgesetze 217 auf die wasserwirtschaftsrechtliche Erlaubnis übertragen worden ist. Ausnahmen von der Ausschlußwirkung gelten nur insoweit, als im Bewilligungsbescheid bei unklarer Sachlage nachträgliche Entscheidungen über Auflagen und Entschädigungen vorbehalten sind oder später unvorhersehbare nachteilige Wirkungen eintreten (§ 10 WHG). In ähnlicher Weise üben die Planfeststellungen für umweltrelevante Großvorhaben eine materiell-rechtliche, anspruchsausschließende Gestaltungswirkung aus. Ist der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar geworden, so sind Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens, auf Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung ausgeschlossen. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Planes auf, so kann der Betroffene ausnahmsweise die Festsetzung nachträglicher, auf Schutzvorkehrungen oder -anlagen gerichteter Auflagen und im Falle der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit solcher Maßnahmen Entschädigung verlangen 218 . Zulassungsakte, die so kraft materiell-rechtlicher Gestaltungswirkung kollidierende privatrechtliche Ansprüche ausschließen, erfüllen nicht nur den Tatbestand eines unmittelbaren hoheitlichen Eingriffs in die Eigentümerrechte der Nachbarn, sondern jenseits einer gewissen Opferschwelle auch einen Enteignungstatbestand. Das zugrunde liegende Gesetz überschreitet den Rahmen einer entschädigungsfrei zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums insoweit, als effektive Schutzauflagen nicht möglich, die privatrechtlichen Ansprüche der Nachbarn schlechthin abgeschnitten und modifizierte privatrechtliche Schutz- und Ausgleichsansprüche nicht vorgesehen sind 219 . Soweit dadurch enteignende Wirkungen eintreten, ist nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 G G ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsausgleich geboten. Diesen Erfordernissen genügen die gesetzlichen Vorschriften, die die fraglichen Zulassungsakte hilfsweise an eine Entschädigungspflicht binden, falls das zugelassene Vorhaben nachteilige, nicht abwendbare oder ausgleichbare Wirkungen auf Rechte oder rechtlich geschützte Interessen Betroffener zeitigt220. 5. Kooperationsinstrumente im Verhältnis Staat — Wirtschaft Das Kooperationsprinzip im Verhältnis zwischen dem Staat und der privaten Wirtschaft hat seinen Niederschlag in verschiedenen Institutionen und 217

218 219 220

So §16 Abs. 1 WG Bin; §11 Abs. 1 WG S-H; eingeschränkt: Art. 16 Abs. 3 BayWG; § 17 a Abs. 3 HessWG; § 11 Abs. 2 NdsWG; § 27 Abs. 2 Satz 4 WG Rh-Pf; § 14 Abs. 3 SaarlWG. So § 75 Abs. 2 VwVfG; § 17 Abs. 6 FStrG. Vgl. Breuer, a. a. O. (Fn. 48), S. 278f. m. w. N. So § 8 Abs. 3 Satz 2 WHG; § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG; § 17 Abs. 4 Satz 2 FStrG.

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Instrumenten gefunden 221 . So werden erstens die Technischen Überwachungsvereine in privater Rechtsform von der Wirtschaft getragen. Ihre amtlich anerkannten Sachverständigen handeln bei „freiwirtschaftlichen", z. B. in atom- oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren üblichen Gutachten und Prüfungen — anders als im Kraftfahrwesen (§§ 11, 29 StVZO) und bei der Anlagenüberwachung nach § 24 c GewO — nicht als „Beliehene", sondern privatrechtlich 222 . Zweitens stellen privatrechtlich organisierte Ausschüsse z. B. des DIN (Deutsches Institut für Normung e.V.), des VDI (Verein Deutscher Ingenieure e.V.), des VDE (Verband Deutscher Elektrotechniker e.V.) und des DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V.) technische Regeln auf. Diese sind keine Rechtsnormen, jedoch als antizipierte Sachverständigengutachten auch in gerichtlichen Verfahren verwendbar 223 . Drittens obliegt die Aufstellung technischer Regeln bisweilen öffentlich-rechtlich organisierten Ausschüssen, z. B. den technischen Ausschüssen nach § 24 Abs. 4 GewO sowie dem Kerntechnischen Ausschuß 224 . Viertens gibt es im Bereich des Umweltschutzes sachverständige und unabhängige Beratungsgremien der öffentlichen Verwaltung, z. B. beim Bundesinnenminister die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission 225 . Eine weitgespannte Begutachtungs- und Beratungsaufgabe „zur Erleichterung der Urteilsbildung in der Öffentlichkeit" obliegt dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen 226 . Fünftens ist eine Anhörung „beteiligter Kreise" im Immissionsschutzrecht vor dem Erlaß bestimmter Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften vorgeschrieben (z.B. in den §§7, 48 i. V. m. §51 BImSchG). Sechstens schreiben mehrere Gesetze vor, daß die Unternehmen zur internen Selbstüberwachung Umweltschutzbeauftragte bestellen müssen. Als solche fungieren die Betriebsbeauftragten für Gewässerschutz (§§ 21 äff. WHG), Immissionsschutz (§§ 53ff. BImSchG) und Abfall (§§ l a f f . AbfG) sowie die Strahlenschutzbeauftragten (§§ 29 ff. StrlSchV). 6. Das Instrumentarium der öffentlichen Eigenregie a) Unmittelbare öffentliche Eigenregie: Während das Recht des medialen, kausalen, vitalen und integrierten Umweltschutzes grundsätzlich — ungeachtet aller materiellen und formellen Unterschiede — eine staatliche Kontrolle und Lenkung gegenüber privaten Umwelteinwirkungen regelt, wird innerhalb des kausalen Umweltschutzes auf dem Sektor der Entsorgung das In221 222

223 224

225

226

Hierzu ausführlich und m. w. N. die Voraufl., S. 705 ff. Vgl. Lukes / Bischof / Pelzer, Sachverständigentätigkeit in atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren, 1980, S. 43 ff. Breuer, AöR 101 (1976), S. 79ff. Bekanntm. des BMI i. d. F. vom 27. 9. 1974 (BAnz. Nr. 193); hierzu Vieweg, AtomR und technische Normung, 1982. Bekanntm. des BMI i. d. F. vom 25. 5. 1973 (BAnz. Nr. 118) (RSK) und vom 19. 4. 1974 (BAnz. Nr. 92) (SSK). Erlaß des BMI vom 28. 12. 1971 (BAnz. 1972 Nr. 8).

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strumentarium der staatlichen oder kommunalen Eigenregie und Planwirtschaft eingesetzt. So haben nach § 3 Abs. 2 AbfG grundsätzlich Körperschaften des öffentlichen Rechts die in ihrem Gebiet anfallenden Abfälle zu beseitigen ; landesrechtlich besteht hierfür die Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte227. Auch für die Abwasserbeseitigung geht die bundesrechtliche Regelung des § 18 a Abs. 2 WHG von der grundsätzlichen Zuständigkeit öffentlicher Körperschaften aus; landesrechtlich sind hierfür in der Regel die Gemeinden zuständig228. Die Abfall- und Abwasserbeseitigungspläne fungieren als verwaltungsinterne Planungsinstrumente der öffentlichen Eigenregie229. Schließlich unterliegt auch die nukleare Entsorgung grundsätzlich unmittelbarer staatlicher Eigenregie. Die Länder haben Landessammelstellen für die Zwischenlagerung, der Bund hat Anlagen zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten (§ 9 a Abs. 3 AtomG). In diesem Rahmen bewegen sich das integrierte Entsorgungskonzept der Bundesregierung und der vorerst mitverfolgte „parallele Ansatz" alternativer Entsorgungskonzepte230. Die Hinwendung zur unmittelbaren öffentlichen Eigenregie und Planwirtschaft auf dem Sektor der Entsorgung ist nicht verallgemeinerungsfähig. Sie beruht auf dem spezifischen Gefahrdungspotential, dem die Umwelt durch Reststoffe, Abfälle und Abwässer ausgesetzt ist, und auf der regelmäßigen Unmöglichkeit oder Ungewißheit einer privatnützigen Beseitigungswirtschaft. b) Mittelbare öffentliche Eigenregie: An die Stelle der unmittelbaren staatlichen oder kommunalen Eigenregie kann eine mittelbare öffentliche Eigenregie treten, wenn die zuständige öffentliche Körperschaft sich zur Erfüllung ihrer Aufgabe eines privaten Unternehmens bedient. Dies ist auf dem Sektor der Entsorgung insoweit möglich, als der Staat oder die zuständige kommunale Körperschaft sich nach ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften 231 zur Erfüllung der Beseitigungspflicht eines Dritten bedienen kann. Als „Erfüllungsgehilfe" hat der Dritte — und zwar auch ein privates Unternehmen — eine unselbständige, weisungsgebundene Stellung. Die Zuständigkeit, Verant227

228 229 230

231

So z. B. § 1 Abs. 1 NdsAGAbfG; § 1 Abs. 1 LAbfG N-W; zur Vereinbarkeit mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG BVerwG DVB1. 1983, 1152; Doedens / Kölble / Loschelder / Salzwedel, Die Zuständigkeit der Landkreise für die Abfallbeseitigung, 1982; krit. Knemeyer, DVB1. 1984, 23ff.; zur Frage der Enteignungswirkung gegenüber einem privaten Beseitigungsunternehmen BGHZ 40, 355; BVerwG DÖV 1969, 431; BVerwGE 62, 224; OVG Lüneburg DÖV 1978, 44 mit abl. Anm. von Scholler/ Broß. So z. B. § 53 Abs. 1 WG N-W. Vgl. hierzu unten VII 3. Vgl. hierzu die Äußerungen der BReg. in BT-Drucks. 7/3871, S. 17ff.; 8/1281; Umwelt Nr. 68 vom 24. 4. 1979, S. 25f.; ferner den Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 28. 9. 1979, Umwelt Nr. 73 vom 7. 12. 1979, S. 37f.; Wagner / Ziegler, DVB1. 1980, 140 ff. So § 3 Abs. 2 Satz 2 AbfG; § 9a Abs. 3 Satz 1 AtomG.

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wortlichkeit und Regiebefugnis des Staates oder der kommunalen Körperschaft bleibt bestehen232. c) Ausnahmen von der öffentlichen Eigenregie: Nach § 3 Abs. 3 AbfG können die beseitigungspflichtigen Körperschaften mit Zustimmung der zuständigen Behörde ausnahmsweise Abfälle von der Beseitigung ausschließen, soweit sie diese nach ihrer Art oder Menge nicht mit den in Haushaltungen anfallenden Abfällen beseitigen können233. Alsdann ist der Besitzer zur Beseitigung der Abfälle verpflichtet (§ 3 Abs. 4 AbfG). Aus der Gesetzesfassung ergibt sich, daß ein solcher Ausschluß nur für Gewerbemüll („Sondermüll"), nicht für Hausmüll zulässig ist. Darüber hinaus kann ausnahmsweise auch einem privaten Inhaber einer Abfallbeseitigungsanlage anstelle der grundsätzlich verantwortlichen öffentlichen Körperschaft die Beseitigungspflicht übertragen werden (§ 3 Abs. 6 AbfG). In den Landeswassergesetzen234 sind entsprechende Ausnahmen von der Abwasserbeseitigungspflicht der Gemeinden und anderer öffentlicher Körperschaften vorgesehen. In beiden Fällen handelt es sich um individuelle Ausnahmen von der öffentlichen Eigenregie auf dem Sektor der Entsorgung. Eine generelle Ausnahme von der prinzipiellen öffentlichen Eigenregie dieses Sektors gilt im Teilbereich der Altölbeseitigung. Das Altölgesetz235 geht von der Existenz eines funktionsfähigen Netzes von Betrieben gewerblicher und sonstiger wirtschaftlicher Unternehmen sowie von juristischen Personen des öffentlichen Rechts aus, die Altöle kostenlos abnehmen und beseitigen müssen und laufende Zuschüsse aus dem öffentlichen, im Abgabenwege gebildeten Rückstellungsfonds erhalten236. An die Stelle der öffentlichen Eigenregie tritt hier ein planwirtschaftliches und abgabenrechtliches Lenkungsinstrumentarium eigener Art. IV. Das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege 1. Allgemeines Im Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind Regelungen über den medialen Schutz des Bodens und den vitalen Umweltschutz zusammengefaßt237. Den Kern dieses Rechtsgebiets bilden das rahmenrechtliche Bundesnaturschutzgesetz238 und die Naturschutz- und Landschaftspflegegeset232 233 234 235 236 237 238

Vgl. Hösel / v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Kennz. 1130, § 3 Rdnr. 13. Vgl. hierzu Kloepfer, VerwArch. 70 (1979), S. 195 ff. So z. B. § 53 Abs. 3 - 5 WG N-W. I. d. F. der Bekanntm. vom 11. 12. 1979 (BGBl. I S. 2113). BT-Drucks. V/3075, S. 4; Rehbinder, Das Recht der Umweltchemikalien, 1978, S. 164 ff. Vgl. oben II 2 a und 4. Vom 20. 12. 1976 (BGBl. I S. 3574, ber. BGBl. 1977 I S. 650), geändert durch G vom 1.6. 1980 (BGBl. I S. 649).

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ze der Länder239. Daneben verdient vor allem das Bundeswaldgesetz240 Beachtung. Die umfassende, aktive und gestalterische Aufgabenstellung des modernen Naturschutz- und Landschaftspflegerechts 241 kommt bereits in den Zielen und Grundsätzen der §§ 1, 2 BNatSchG sowie in dem flächendeckenden, nicht auf bestimmte Schutzgebiete beschränkten Geltungsbereich der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zum Ausdruck. Als Basis der administrativen Aktivitäten fungiert die Landschaftsplanung (§§5 ff. BNatSchG). Ebenso wie diese dienen die allgemeinen Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen (§§ 8 ff. BNatSchG) der sachlich und räumlich umfassenden Aufgabenstellung des Naturschutzes und der Landschaftspflege. In den Vorschriften über Schutz, Pflege und Entwicklung bestimmter Teile von Natur und Landschaft (§§ 12 ff. BNatSchG) sind in herkömmlicher, aber modernisierter Weise unterschiedliche Schutzgebietsfestsetzungen sowie die Festsetzung von einzelnen Naturdenkmalen und geschützten Landschaftsbestandteilen vorgesehen. Gegenstand der Vorschriften über Schutz und Pflege wildwachsender Pflanzen und wildlebender Tiere (§§ 20 ff. BNatSchG) ist der Artenschutz. Die Regelungen über die Erholung in Natur und Landschaft (§§ 27 ff. BNatSchG) gestalten die Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums im Hinblick auf das Betreten der Flur und die Bereitstellung von Ufergrundstükken und anderen Grundstücken, die sich nach ihrer Beschaffenheit für die Erholung der Bevölkerung eignen. Eine besondere Rolle spielt auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege die Mitwirkung von Verbänden. In § 29 BNatSchG ist die Verbandsbeteiligung im Verwaltungsverfahren 242 geregelt. Darüber hinaus eröffnen die Naturschutz- und Landschaftspflegegesetze einiger Länder 243 die Verbandsklage. Dieses Experiment muß vor dem Hindergrund der kritischen Grundtendenz gegenüber der Verbandsklage gesehen werden 244 und wirft vielfältige verfassungs- und verwaltungsrechtliche Zweifelsfragen auf 245 . 239 240 241

242 243 244

245

Vgl. die Zusammenstellung der LandesG oben S. 537. Vom 2. 5. 1975 (BGBl. I S. 1037). Vgl. Kolodziejcok / Recken, Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und ForstR, Tz. 1100, Vorbem. Rdnr. 21 f.; Bernatzky / Böhm, BundesnaturschutzR, Einl. Anm. 6, Vorbem. vor § 1; Müller, NJW 1977, 925ff.; Schmidt-Aßmann, NuR 1979, 1 ff.; Soell, in: Salzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 496ff. Allgemein hierzu Bender, DVB1. 1978, 708ff.; kritisch Breuer, NJW 1978, 1563f. So § 44 BremNatSchG; § 41 HambNatSchG; § 36 HessNatSchG. Befürwortend insbes. Rehbinder / Burgbacher / Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, 1972, S. 117f., 133, 151 f.; Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, 1972, S. 10, 47ff., 67ff., 91; ablehnend: Ule/Laubinger, Gutachten B zum 52. DJT, 1978, S. 63f., 99ff.; Breuer, NJW 1978, 1561 ff.; jeweils m. w. N.; zur Unzulässigkeit der Verbandsklage im AtomR: BVerwG DÖV 1981, 268. Vgl. HessVGH NVwZ 1982, 689 = NuR 1983, 22; NuR 1983, 160; VG Frankfurt NuR 1983, 28 und 190; Skouris, NVwZ 1982, 233ff.; Rehbinder, NVwZ 1982, 666ff.; Sening, NuR 1983, 146ff.

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2. Landschaftsplanung Die ressourcenökonomisch und ökologisch orientierte Landschaftsplanung 246 gliedert sich in die überörtliche und die örtliche Ebene. Auf der überörtlichen Ebene sind für den Bereich eines Landes Landschaftsprogramme einschließlich Artenschutzprogrammen oder für Teile des Landes Landschaftsrahmenpläne vorgeschrieben (§ 5 Abs. 1 BNatSchG). Auf der örtlichen Ebene sind Landschaftspläne, bestehend aus Text, Karte und zusätzlicher Begründung, aufzustellen (§ 6 BNatSchG). In den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg ersetzen aufgestellte Landschaftspläne die Landschaftsprogramme und Landschaftsrahmenpläne (§ 5 Abs. 3 BNatSchG). Landesrechtlich ist bestimmt, daß die Landschaftsprogramme und Landschaftsrahmenpläne in die allgemeine Landes- und Regionalplanung aufzunehmen sind 247 . Die Landschaftspläne werden entweder als eigenständige Rechtsverordnung 248 oder Satzung 249 beschlossen oder in die Bauleitplanung übernommen 250 ; im letzteren Fall gewinnen sie mit der Übernahme in einen Bebauungsplan ebenfalls normativen Charakter. 3. Eingriffe in Natur und Landschaft Im Rahmen der Vorschriften über allgemeine Schutz-, Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen hat die am Verursacherprinzip ausgerichtete Regelung über Eingriffe in Natur und Landschaft (§ 8 BNatSchG) zentrale Bedeutung 251 . Derartige, in § 8 Abs. 1 BNatSchG definierte Eingriffe sind typischerweise mit Großvorhaben verbunden, die durch Planfeststellungen 252 oder andere außer-naturschutzrechtliche Genehmigungsakte 253 zugelassen werden. Die naturschutzrechtliche Regelung modifiziert somit das gesamte 246

247

248 249 250

251

252 253

Vgl. hierzu Umweltgutachten 1978, BT-Drucks. 8/1938, Tz. 1202ff„ 1312ff.; Soell, a. a. O. (Fn. 241), S. 510ff.; Hoppe, WDStRL 38 (1980), S. 289ff.; zur Landschaftsplanung in N-W: Hoppe / Schiarmann, NuR 1981, 17ff.; zum Verhältnis zur Bauleitplanung: Gerschlauer, DVB1. 1979, 601 ff.; Stich, UPR 1983, 177ff.; zum Verhältnis zur Landesplanung: Hendler, NuR 1981, 41 ff.; Erbguth, UPR 1983, 137ff. So § 8 NatSchG B-W; Art. 3 Abs. 1 BayNatSchG; § 3 Abs. 1 HessNatSchG; § 15 LG N-W; §§ 15 Abs. 3, § 16 Abs. 2 LPflG Rh-Pf; § 8 Abs. 8 SaarlNatSchG; § 5 Abs. 3 LPflG S-H; abgeschwächt: § 4 Abs. 3 BremNatSchG („zu berücksichtigen"). So § 11 NatSchG Bin; § 7 Abs. 1 HambNatSchG. So § 8 Abs. 3 BremNatSchG; § 16 Abs. 2 Satz 1 LG N-W. So durch „Primärintegration": § 17 Abs. 1, 2 LPflG Rh-Pf; durch „Sekundärintegration": §9 NatSchG B-W; §4 Abs. 2 HessNatSchG; §9 Abs. 7 SaarlNatSchG; § 6 Abs. 4 LPflG S-H; abgeschwächt: Art. 3 Abs. 2 BayNatSchG; § 6 NdsNatSchG. Vgl. Kolodziejcok / Recken, Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und ForstR, Tz. 1125; Breuer, NuR 1980, 89ff.; Soell, a. a. O. (Fn. 241), S. 523 ff.; Gassner, NuR 1984, 81 ff.; ferner z.B. BayVGH NuR 1982, 108. So nach §§ 17ff. FStrG; § 36 BundesbahnG; §§ 28ff. PBefG; §§ 8ff. LuftVG; §§ 7ff. TelwegG; §§ 7ff„ 20ff. AbfG; § 31 WHG; §§ 14ff. WaStrG; § 41 FlurbG. Z. B. nach §§ 4 ff. BImSchG; § 7 AtomG; § 6 LuftVG.

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Fachplanungs-, Bau-, Boden- und Wirtschaftsrecht sowie das sonstige Umweltschutzrecht. Erstens gilt hiernach ein materielles Verbot vermeidbarer Beeinträchtigungen; der Verursacher eines Eingriffs ist durch Verwaltungsakt zu verpflichten, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Zweitens gilt das Gebot von Ausgleichsmaßnahmen; der Verursacher eines Eingriffs ist durch Verwaltungsakt zu verpflichten, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Schutz- oder Pflegemaßnahmen auszugleichen, soweit es zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Ausgleichsmaßnahmen müssen nicht unbedingt am unmittelbaren Ort des Eingriffs erfolgen, jedoch mit diesem im funktionalen Zusammenhang stehen254. Drittens ist ein unvermeidbarer und nicht ausgleichbarer Eingriff zu untersagen, wenn die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der gebotenen Abwägung vorgehen (§ 8 Abs. 3 BNatSchG). Viertens können die Länder Vorschriften über Ersatzmaßnahmen der Verursacher bei nicht ausgleichbaren, aber vorrangigen Eingriffen erlassen (§ 8 Abs. 9 BNatSchG). Dies ist nahezu in allen Ländern geschehen255 geschehen. Ersatzmaßnahmen sind nur als anderweitige, subsidiäre Kompensation der eingriffsbedingten Beeinträchtigungen zulässig256. Über die Zulässigkeit von Eingriffen in Natur und Landschaft wird nicht in einem eigenen naturschutzrechtlichen Verfahren, sondern zugleich mit der in anderen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Bewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Zustimmung, Planfeststellung oder sonstigen Entscheidung oder mit einer repressiven, auf eine vorgeschriebene Anzeige hin erfolgenden Verfügung der jeweils zuständigen Behörde entschieden257. 4. Schutzgebiete Durch normativen Akt in Gestalt einer Rechtsverordnung 258 oder Satzung259 können Naturschutzgebiete, Nationalparke, Landschaftsschutzgebie254 255

256 257 258

259

So Fickert, BayVBl. 1978, 687; Pielow, NuR 1979, 17; Breuer, NuR 1980, 94; a. A.: Schroeter, DVB1. 1979, 17. So § 11 Abs. 4 NatSchG B-W; Art. 6a Abs. 3 BayNatSchG; § 14 Abs. 5 Satz 3, 4 NatSchG Bin; § 11 Abs. 5 Nr. 1 und Abs. 6 BremNatSchG; § 9 Abs. 6 Satz 1, 2 HambNatSchG; § 12 Abs. 1 NdsNatSchG; § 5 Abs. 1 Satz 1 LG N-W; § 5 Abs. 3 LPflG Rh-Pf; § 11 Abs. 3 SaarlNatSchG; § 8 Abs. 3 LPflG S-H; Ausnahme: § 6 HessNatSchG. Vgl. Kolodziejcok/Recken, a.a.O., Tz. 1125, §8 BNatSchG Rdnr.41ff.; Breuer, NuR 1980,95 f. Dies ergibt sich aus § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 BNatSchG; Breuer, NuR 1980, 100. So §§ 21, 22 NatSchG B-W; Art. 7 Abs. 3, 10 Abs. 3 BayNatSchG; §§ 19 Abs. 2, 20 Abs. 2 NatSchG Bin; §§ 18, 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 BremNatSchG; §§ 15, 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 HambNatSchG; §§12, 13 i. V. m. §16 Abs. 1 HessNatSchG; §§24, 26 NdsNatSchG; §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 1, 21 Abs. 1 LPflG Rh-Pf; §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 SaarlNatSchG; §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 LPfl S-H. So § 16 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Nr. 3 LG N-W.

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te und Naturparke festgesetzt werden (§§ 12 ff. BNatSchG). Die Ziele dieser Gebietsfestsetzungen, die schutzfähigen Gebietstypen und die festsetzungsbedingten Rechtswirkungen, insbesondere die in den einzelnen Schutzgebieten geltenden Gebote und Verbote, sind gesetzlich in differenzierter Weise geregelt. Damit wird im Falle von Natur- und Landschaftsschutzgebieten ein gesteigerter Schutz kleinerer Räume und im Falle von National- und Naturparken eine vergleichbarer, allerdings elastischerer Schutz großer Räume erreicht. Die Länder haben auch Vorschriften über die einstweilige Sicherung von Schutzgebieten zu erlassen (§ 12 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG). 5. Artenschutz Im Rahmen des allgemeinen Artenschutzes ist es verboten, ohne vernünftigen Grund wildwachsende Pflanzen zu entnehmen oder zu nutzen oder ihre Bestände niederzuschlagen oder auf sonstige Weise zu verwüsten, wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu fangen, zu verletzen oder zu töten sowie gebietsfremde Tiere auszusetzen oder in der freien Natur anzusiedeln (§ 21 BNatSchG). Ein besonderer Artenschutz ist für wildwachsende Pflanzen und wildlebende Tiere geboten, wenn dies wegen ihrer Seltenheit oder der Bedrohung ihres Bestandes, aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen oder landeskundlichen Gründen, wegen ihres Nutzens oder ihrer Bedeutung für den Naturhaushalt oder zur Erhaltung von Vielfalt, Eigenart oder Schönheit von Natur und Landschaft erforderlich ist (§ 22 Abs. 1 BNatSchG). Die unter besonderen Schutz gestellten Pflanzen- und Tierarten werden durch Rechtsverordnung bestimmt (§ 22 Abs. 4 BNatSchG); dadurch werden die Verbote des § 22 Abs. 2 BNatSchG ausgelöst 260 .

V. Immissionsschutzrecht 1. Allgemeines Unter den Rechtsgrundlagen des Immissionsschutzrechts nimmt das Bundes-Immissionsschutzgesetz261 die zentrale Stelle ein. Es wird durch ergänzende Rechtsverordnungen 262 , durch das Fluglärmschutzgesetz 263 und das Ben260

261

262 263

Vgl. die BundesartenschutzVO vom 25. 8. 1980 (BGBl. I S. 1565); zu den internationalen Übereinkommen des besonderen Artenschutzes Emonds, NuR 1979, 52ff.; 1983, 138ff.; zu strafrechtlichen Folgen G. Schmidt, NuR 1983, 140ff. Vom 15.3.1974 (BGBl. I S.721, ber. S. 1193), zuletzt geändert durch G vom 4. 3. 1982 (BGBl. I S. 281). Zusammengestellt bei Ule, BImSchG, Teil 2; Kloepfer, Umweltschutz, Teil G. Vom 30. 3. 1971 (BGBl. I S. 282), zuletzt geändert durch G vom 14. 12. 1976 (BGBl. I S. 3341, ber. BGBl. 1977 I S. 667).

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zinbleigesetz264 als Spezialgesetze des Bundes und durch die Immissionsschutzgesetze und -Verordnungen der Länder 265 abgerundet. Gemeinsames Ziel dieser Rechtsnormen ist der mediale Schutz der Luft vor Verunreinigungen und Lärm. Wie § 1 BImSchG ausdrücklich bestimmt, ist es der Zweck des Gesetzes, Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und, soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, auch vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden, zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. Damit ist neben der anthropozentrisch und polizeirechtlich orientierten Abwehr von Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen die ressourcenökonomisch und ökologisch orientierte Vorsorge zum Gesetzeszweck erhoben worden 266 . Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BImSchG „Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen". Immissionen werden gesetzlich definiert als „auf Menschen sowie Tiere, Pflanzen oder andere Sachen einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen" (§ 3 Abs. 2 BImSchG). Das Immissionsschutzrecht gilt jedoch nicht für Anlagen, Geräte, Vorrichtungen sowie Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe, die den Vorschriften des Atom- und Strahlenschutzrechts unterliegen (§ 2 Abs. 2 BImSchG). Es ist umstritten, ob als Schutzgüter des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nur das Leben und die Gesundheit des Menschen oder auch Tiere, Pflanzen und andere Sachen anzusehen sind. Die Formulierung des Gesetzeszwecks und der wiedergegebenen Legaldefinitionen spricht eher für die letztere Auffassung. Danach müßte bei der generellen oder konkreten Bestimmung der höchstzulässigen Immissionswerte der Schutz des jeweils empfindlichsten Partners — Mensch, Tier oder Pflanze — den Ausschlag geben267. In der Rechtswissenschaft wird dagegen die Auffassung vertreten, daß Tiere, Pflanzen und andere Sachen nicht selbständige Schutzgüter des Bundes-Immissionsschutzgesetzes seien; vielmehr seien sie nur als Teil der Allgemeinheit und der Nachbarschaft, also mit Rücksicht auf den Menschen und die Le264 265 266

267

Vom 5. 8. 1971 (BGBl. I S. 1234), zuletzt geändert durch G vom 14. 12. 1976 (BGBl. I S. 3341, ber. BGBl. 1977 I S. 667). Vgl. die Zusammenstellung oben zu Beginn des 7. Abschn. Vgl. an dieser Stelle statt vieler nur Kutscheidt, in: Landmann / Rohmer, GewO, Bd. III, § 1 BImSchG Rdnr. 6f.; allgemein zum Vorsorgeprinzip bereits oben I 2a; zum Vorsorgegrundsatz des § 5 Nr. 2 BImSchG unten V 2 b, bb. So die vom Bundesinnenministerium dem OVG Münster im Voerde-Fall gegebene Auskunft, vgl. BVerwGE 55, 250 (259f.); anscheinend auch die amtl. Begründung der BReg. in BT-Drucks. 8/2751, S. 6 (unter A II).

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bensqualität seiner Umgebung, geschützt 268 . Diese These muß vor dem Hintergrund der Erkenntnis gesehen werden, daß bestimmte Tiere und Pflanzen möglicherweise eine besondere Empfindlichkeit aufweisen und vor Schäden nur bewahrt werden können, wenn gewisse Immissionen unter den allgemein zugrunde gelegten Werten liegen, die nach sachkundiger Beurteilung für den Menschen — und zwar auch für Risikogruppen wie Kranke, Schwangere und Kinder — „auf der sicheren Seite " liegen269. Sieht man die Sachgüter nicht als selbständig, sondern nur als mittelbar um des Menschen willen geschützt an, gelangt man jedenfalls tendenziell zu einem verminderten Sachgüterschutz. Daraus erwächst eine besondere Rechtsunsicherheit bei der Bestimmung der höchstzulässigen Immissionswerte. Die TA Luft von 1983270 sucht diesen Gegebenheiten gerecht zu werden, indem sie — mit der Verbindlichkeit einer Verwaltungsvorschrift — unterschiedliche Gesundheits- und Nachteilswerte, einen Vorsorgewert für Schwefeldioxid und Sanierungsklauseln für überlastete Gebiete vorsieht. Ungeachtet der gemeinsamen Zielsetzung umfassen die Gesetze und Verordnungen des Immissionsschutzrechts verschiedene Lebensbereiche und Immissionsquellen. Demgemäß differieren auch die rechtlichen Instrumente der Immissions- und Emissionsverminderung. Bei systematischer Betrachtung sind der anlagenbezogene, der produktbezogene, der verkehrsbezogene, der allgemeine handlungsbezogene und der gebietsbezogene Immissionsschutz zu unterscheiden. 2. Genehmigungsbedürftige Anlagen Die Regelung der §§ 4ff. BImSchG über genehmigungsbedürftige Anlagen hat die früher in den §§ 16 ff. GewO enthaltene Regelung der Anlagengenehmigung abgelöst. Zugleich sind die letztgenannten Vorschriften, abgesehen von der fortgeltenden Regelung der überwachungsbedürftigen Anlagen (§§ 24ff. GewO), aufgehoben worden (§ 68 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG). Grundsätzlich ist in den §§ 4ff. BImSchG das formell- und materiell-rechtliche System der gewerberechtlichen Anlagengenehmigung beibehalten worden. Dennoch stellt die Einbeziehung der Genehmigung besonders umweltbelastender Anlagen in das Immissionsschutzrecht nicht nur eine formale Neuorientierung dar. In sachlicher Hinsicht unterscheidet sich die immissionsschutzrechtliche von der früheren gewerberechtlichen Anlagengenehmigung durch eine Reihe von Verschärfungen211. Deren rechtlicher Hebel liegt in den fortlaufend zu erfüllenden Betreiberpflichten des § 5 BImSchG, dem hiervon umfaßten Gebot der Vorsorge nach Maßgabe des dynamischen, fortschrittli268 269

270 271

So Kutscheidt, a. a. O. (Fn. 266), § 1 BImSchG Rdnr. 4. Vgl. insoweit die vom 20.-24. 2. 1978 durchgeführte Sachverständigenanhörung über die medizinischen, biologischen und ökologischen Grundlagen zur Bestimmung schädlicher Luftverunreinigungen; hierzu BT-Drucks. 8/2751, S. 6, 7. Vom 23. 2. 1983 (GMB1. S. 93); hierzu Feldhaus /Ludwig, DVB1. 1983, 565ff.; Kutscheidt, NVwZ 1983, 581 ff. Vgl. Ule, in: Fs. f. Ludwig Fröhler, 1980, S. 349ff.; Schwerdtfeger, NJW 1974, 778f.

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chen Standes der Technik (§ 3 Abs. 6 BImSchG), der erweiterten Möglichkeit nachträglicher Anordnungen (§ 17 BImSchG) sowie den ebenfalls erweiterten Ermächtigungen zum Erlaß von Untersagungs-, Stillegungs- und Beseitigungsverfügungen (§ 20 BImSchG) und zum Widerruf der Anlagengenehmigung (§ 21 BImSchG). Insgesamt betrachtet, ist die Anlagengenehmigung dadurch, den Erfordernissen des Umweltschutzes und dem Wandel der Technik entsprechend, dynamisiert worden. Zwar enthält sie nach wie vor einen sachbezogenen, hinreichenden Bestands- und Vertrauensschutz gewährleistenden Zulassungsakt. Sie entbehrt jedoch insofern des Charakters der früheren gewerberechtlichen Sachkonzession, als sie nicht mehr wie diese ein subjektiv-öffentliches Recht verleiht, die einmal genehmigte Anlage ungeachtet eines Wandels der tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen weiterzubetreiben272. a) Kreis der genehmigungsbedürften Anlagen: Der Genehmigung bedürfen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen. Der Anlagenbegriff ist in § 3 Abs. 5 BImSchG definiert. Wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 BImSchG ergibt, gilt die Genehmigungspflicht zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie für gewerblir che Anlagen. Welche Anlagenarten hierunter fallen, ist aufgrund der Ermächtigung des § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG in der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) vom 14.2. 1975273 in enumerativer, der Rechtssicherheit dienender Weise geregelt. b) Betreiberpflichten: Die Erteilung der Errichtungs- oder Betriebsgenehmigung setzt nach § 6 Nr. 1 BImSchG voraus, daß die Erfüllung der Betreib e r p f l i c h t e n n a c h § 5 B I m S c h G sichergestellt ist. D i e s e Pflichten sind in d i e

Trias des Schutz-, Vorsorge- und Entsorgungsgrundsatzes gekleidet. Dabei verwendet das Gesetz unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Behörden und Gerichte vor erhebliche Auslegungsschwierigkeiten stellen. Dennoch ist davon auszugehen, daß der Genehmigungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zusteht274. Ob ein Anspruch des Antragstellers auf Genehmigung der Errich272

273

274

Allerdings bestand bereits nach dem durch Gesetz vom 22. 12. 1959 eingefügten § 25 Abs. 3 GewO eine Möglichkeit nachträglicher Anordnungen und im übrigen nach § 51 GewO die Möglichkeit der entschädigungspflichtigen Untersagung der Anlagenbenutzung; vgl. zur früheren Rechtslage Fuhr, GewO, Vorbem. II 1 und III vor § 16. BGBl. I S. 499, ber. S. 727, zuletzt geändert durch VO vom 22.6. 1983 (BGBl. I S. 719). BVerwGE 55, 250 (253f.) = DVB1. 1978, 591 mit Anm. von Breuer; ferner z. B. OVG Hamburg DVB1. 1975, 207; OVG Münster DVB1. 1976, 790 (793f.); Breuer, DVB1. 1978, 32ff. m. w. N.; zum Meinungsstand Martens, DVB1. 1981, 601 ff.; Müller-Glöge, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle administrativer Immissionsprognosen, 1982.

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tung oder des Betriebs einer Anlage nach den §§ 5, 6 Nr. 1 BImSchG besteht, unterliegt mithin uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Überprüfung. Auch die Festsetzung von Nebenbestimmungen zur Genehmigung nach § 12 Abs. 1 BImSchG ist eine rechtlich gebundene Entscheidung; insbesondere steht der Genehmigungsbehörde kein Ermessensspielraum bei der Festsetzung von Auflagen zu, wenn diese erforderlich sind, um die Rechtsgüter der §§ 5, 6 Nr. 1 BImSchG zu schützen 275 . aa) Schutzgrundsatz: Nach § 5 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit nicht hervorgerufen werden können. Insoweit sind die präventivpolizeilichen Genehmigungsvoraussetzungen der füheren §§ 16 ff. GewO einschließlich des Postulats vorbeugenden Immissionsschutzes beibehalten worden 276 . Der Gefahrenbegriff, der sowohl in der Legaldefinition schädlicher Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) als auch bei der Feststellung „sonstiger Gefahren" eine maßgebende Rolle spielt, muß im Anschluß an das Polizeirecht präzisiert werden. Eine Gefahr liegt hiernach vor, wenn ein Schaden für Leib oder Leben eines Menschen oder ein erheblicher Sachschaden nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bevorsteht 277 . Je größer der drohende Schaden ist, desto eher muß eine nur geringe Eintrittswahrscheinlichkeit als gefahrbegründend und eine Vermeidungsmaßnahme als erforderlich angesehen werden 278 . Andererseits geht das Gesetz trotz seiner mißverständlichen Formulierung davon aus, daß es keine perfekte technische Sicherheit geben kann. Vielmehr muß ein „Restrisiko" hingenommen werden, das praktisch unvermeidbar und gesetzlich akzeptiert ist279. Die Störfall-Verordnung 280 hat durch sicherheitstechnische Gebote den Schutzgrundsatz konkretisiert und damit das hinzunehmende Restrisiko eines Störfalls begrenzt. Ein rechtserheblicher Nachteil wird als Vermögensschaden oder Einschränkung des persönlichen Lebensraums aufgrund von physischen Einwirkungen, eine Belästigung wird als Einwirkung auf das physische oder psy275 276 277

278

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VG München GewArch. 1979, 29. Vgl. Kutscheidt, a. a. O. (Fn. 266), § 1 BImSchG Rdnr. 6; Seilner, NJW 1980, 1255f. Friauf, oben 3. Abschn., II 1 d, aa; ferner statt vieler: Drews / Wacke / Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 1, 8. Aufl. 1977, S. 108ff.; Hansen-Dix, Die Gefahr im PolizeiR, im OrdnungsR und im Technischen SicherheitsR, 1982. Vgl. z.B. BVerwG NJW 1970, 1890 (1892); DVB1. 1973, 857 (858f.); 1974, 297 (300); 1974, 842 (845); BVerwGE 47, 31 (40); OVG Saarlouis DÖV 1973, 863 (864); OVG Lüneburg GewArch. 1975, 303 (305). Vgl. Kutscheidt, a. a. O. (Fn. 266), § 3 BImSchG Rdnr. 11; Seltner, ImmissionsschutzR und Industrieanlagen, 1978, Rdnr. 26; Rauschning, W D S t R L 38 (1980), S. 191 ff.; Martens, DVB1. 1981, 599. 1 2. BImSchV vom 27.6. 1980 (BGBl. I S.772); hierzu Feldhaus, Schäfer, Breuer und Marburger, WiVerw. 1981, 191 ff.; Schäfer, UPR 1983, 248ff.

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chische Wohlbefinden des Menschen bis zur Grenze des Gesundheitsschadens definiert 281 . Die Erheblichkeit eines Nachteils oder einer Belästigung kann je nach der „ Vorbelastung" des betreffenden Gebiets differieren 282 . In Bereichen, in denen Baugebiete von unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet; danach muß der Betroffene Nachteile und Belästigungen hinnehmen, die er außerhalb eines derartigen Grenzbereiches nicht hinzunehmen brauchte 283 . Ferner müssen die Allgemeinheit und die Nachbarschaft sich Nachteile und Belästigungen zumuten lassen, soweit der bauliche und der „überwirkende", bauliche Erweiterungen deckende Bestandsschutz einer gewerblichen Anlage gemäß Art. 14 Abs. 1 GG reicht284. Das BVerwG285 hat anerkannt, daß die nach § 48 BImSchG durch die TA Luft von 1974 festgelegten Immissionswerte für die gerichtliche Beurteilung der Frage, ob Immissionen im einzelnen Fall geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 3 Abs. 1 BImSchG hervorzurufen, im allgemeinen als antizipiertes Sachverständigengutachten bedeutsam sind. Es hat darauf abgestellt, daß die Immissionswerte der TA Luft „auf den z e n t r a l . . . ermittelten Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete beruhen". Damit hat das BVerwG gegenläufige Tendenzen korrigiert, welche die TA Luft bei der Rechtsfindung lediglich „heranziehen" und letztlich durch eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung verdrängen wollten286. Die Rechtsprechung des BVerwG wird der fachlichen und prozedualen Qualität der TA Luft wie auch anderer Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG gerecht, erhält die gesetzlich intendierte Konkretisierungsfunktion solcher Verwaltungsvorschriften aufrecht und fördert damit die Rechtssicherheit287. Falls zwei als antizipierte Sachverständigengutachten zu beachtende Verwaltungsvorschriften oder Regelwerke unterschiedliche Immissionswerte festsetzen, ist der rechtlichen Beurteilung in der Regel die neuere Vorschrift zugrunde zu legen288. 281 282 283 284 285 286 287

288

Seilner, a. a. O., Rdnr. 42. Vgl. OVG Münster DVB1. 1976, 790 (796); OVG Lüneburg GewArch. 1979, 345; auch Seltner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 51, 210ff. BVerwGE 50, 49 (54f.). BVerwGE 50, 49 (58 f.). BVerwGE 55, 250 = DVB1. 1978, 591 mit zustimmender Anm. von Breuer. So in der Vorinstanz OVG Münster DVB1. 1976, 790 (794); ferner OVG Hamburg DVB1. 1975, 207; OVG Lüneburg GewArch. 1975, 303; DVB1. 1977, 347. So zuvor bereits Breuer, DVB1. 1978, 34ff.; vgl. auch Niere, DVB1. 1975, 172ff.; Feuchte, Die Verw. 1977, 296; zustimmend Ossenbühl, in: Fg. aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, 1978, S. 447; zu praktischen Konsequenzen Feldhaus, DVB1. 1981, 165ff.; weitergehend Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 417 ff., der insoweit einen administrativen Beurteilungsspielraum annimmt und die Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG als „Beurteilungsrichtlinien" mit „Außenwirkung kraft Selbstbindung" ansieht. So OVG Münster NJW 1979, 772 = DVB1. 1979, 316 für das Verhältnis der VDIRichtlinie 2058 von 1973 zur TA Lärm von 1968.

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Die Beachtung von Verwaltungsvorschriften oder technischen Regelwerken als antizipierten Sachverständigengutachten stößt allerdings auf Grenzen289. Zum einen wird hierdurch dem Gericht die Erhebung eines individuellen Sachverständigenbeweises nach den prozeßrechtlichen Vorschriften nicht abgeschnitten. Zum anderen sind jedenfalls im gerichtlichen Verfahren der Hauptsache zwei Einwände beachtlich: erstens der Einwand, bestimmte Immissionswerte seien nach dem neuesten Stand der naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse unzureichend und überholt, und zweitens der Einwand, es liege ein atypischer, bei der Festsetzung eines bestimmten Immissionswertes nicht berücksichtigter Fall — z. B. ein Zusammentreffen mit anderen Schadstoffen - vor, so daß der festgesetzte Wert nicht oder nur in modifizierter Weise angewendet werden könne. Schließlich bedarf der Klärung, inwieweit den vielfaltig abgestuften Immissionswerten der TA Luft von 1983 die Qualität von antizipierten Sachverständigengutachten zukommt 290 . Der Schutzgrundsatz des § 5 Nr. 1 BImSchG hat unstreitig nachbarschützenden Charakter291. Daher kann ein Nachbar vor allem mit der Anfechtungsklage gegen eine immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung oder mit der auf die Festsetzung einer (nicht-modifizierenden) Schutzauflage gemäß § 12 Abs. 1 BImSchG gerichteten Verpflichtungsklage geltend machen, die erteilte Genehmigung verstoße gegen den Schutzgrundsatz. bb) Vorsorgegrundsatz: § 5 Nr. 2 BImSchG verlangt, daß Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung. Dadurch soll der gebotene Immissionsschutz vorverlagert, nämlich über den traditionellen Schutzgrundsatz hinaus ausgedehnt werden 292 . Der Vorsorgegrundsatz des § 5 Nr. 2 BImSchG muß als Gebot einer gefahrenunabhängigen Risikovorsorge im Sinne eines verschärften sicherheitstechnischen Postulats verstanden werden. Dabei ist ebenso wie im Atomrecht eine Risikovorsorge in zwei Richtungen geboten, nämlich „unterhalb der Schädlichkeitsschwelle" und „unterhalb der Schwelle praktischer Vorstellbarkeit eines theoretisch möglichen Schadenseintritts" 293 . Eine Risikovorsorge der ersteren Art dient primär dem Ziel schonender Ressourcenökonomie. Sie kommt auch in Betracht, wenn eine bestimmte Immission oder Emission 289 290 291

292

293

Vgl. hierzu Breuer, AöR 101 (1976), S. 79ff.; DVB1. 1978, 35f.; DVB1. 1978, 599. Skeptisch Kutscheidt, NVwZ 1983, 583 f. m. w. N. So z. B. VGH Bad.-Württ. DÖV 1974, 706; OVG Hamburg DVB1. 1975, 207; OVG Koblenz GewArch. 1975, 165; OVG Münster DVB1. 1976, 790; Seilner, a. a. O. (Fn. 279), 1978, Rdnr. 58. Vgl. statt vieler: Feldhaus, BImSchR, Bd. 1, § 1 Anm. 4, § 5 Anm. 7; Ule, BImSchG, § 5 Rdnr. 4; Kutscheidt, a. a. O. (Fn. 266), § 1 BImSchG Rdnr. 6f.; Seltner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 59ff.; in der Rspr. OVG Berlin DVB1. 1979, 159 mit abl. Anm. von Papier; VGH Bad.-Württ. GewArch. 1980, 197 (200ff.); OVG Lüneburg GewArch. 1980, 203. Vgl. Breuer, DVB1. 1978, 836f.; hierzu krit., in der Sache aber ähnlich: Damstädt, Gefahrenabwehrund Gefahrenvorsorge, 1983, S. 123 ff.

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nach Auswertung aller naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse als unschädlich angesehen werden muß, jedoch mit Rücksicht auf eine naturwissenschaftlich-technische Mindermeinung mit einer „Restunsicherheit" behaftet bleibt 294 . Eine Risikovorsorge der letzteren Art muß im Hinblick auf Immissionen infolge von Störfällen in Betracht gezogen werden, deren Eintrittswahrscheinlichkeit nach den Anforderungen des Schutzgrundsatzes gemäß § 5 Nr. 1 BImSchG vernachlässigbar gering ist. In jedem Fall stehen die Anforderungen des Vorsorgegrundsatzes unter dem Vorbehalt, daß sie nicht gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen dürfen 295 . Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG sind auch im Vorsorgebereich als antizipierte Sachverständigengutachten heranzuziehen, soweit sie hierfür über den Bereich des Schutzgrundsatzes hinaus Regelungen treffen 296 . Abweichend von dem dargelegten Verständnis, ist die These aufgestellt worden, der Vorsorgegrundsatz erfülle eine Planungs- und Verteilungsfunktion 297 . Sein Sinn und Zweck bestehe darin, „einen Abstand von der Relevanzschwelle durch Vorsorgemaßnahmen, insbesondere der Emissionsbegrenzung, anzuordnen, um im Emissions- und Immissionspotential eines Einwirkungsbereichs Reserven für Neuzuwachs durch sich verdichtende Siedlungsräume, ferner für weitere Industrieanlagen, zu schaffen" 298 . Es gehe dabei um eine „gerechte Verteilung des vorhandenen Potentials an zulässiger Umweltbelastung" 299 . Diese Deutung wird aus den Gesetzesmaterialien abgeleitet. Danach ist die Forderung nach ausreichender Vorsorge „angesichts der zunehmenden Verdichtung unserer Lebensräume unabdingbar" und „ebenso im Interesse der Industrie selbst notwendig, um rechtzeitig zu verhindern, daß später die Errichtung neuer Industrieunternehmen wegen vorhanderer bedenklicher Immissionsbelastung untersagt werden muß" 300 . Diese Äußerungen können jedoch ebenso gut dahin verstanden werden, daß in stark ebenso wie in schwach belasteten Gebieten eine gefahrenunabhängige, generelle und somit gleichmäßige Risikovorsorge mit dem Ziel einer allgemeinen Erhaltung von Reserven und Freiräumen geboten sein soll. Hierdurch wird die klassisch-gesetzliche und nicht etwa die planerische, selektiv und differenzierend wirkende Systemvariante des Vorsorgeprinzips verwirklicht 301 . 294

Zu einem solchen Sachverhalt OVG Lüneburg GewArch. 1980, 203. Insoweit übereinstimmend: einers. Breuer, DVB1. 1978, 837; anderers. Seilner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 63; ders., NJW 1980, 1259f.; Feldhaus, DVB1. 1980, 138. 296 A. A.: VGH Bad.-Württ. GewArch. 1980, 197 (201). 297 So Feldhaus, DVB1. 1980, 133ff.; Seilner, NJW 1980, 1257; Kutscheidt, a. a. O. (Fn. 266), § 1 BImSchG Rdnr. 7; Soell, ZRP 1980, 105; Martens, DVB1. 1981, 602f.; Hansen-Dix, a. a. O. (Fn. 277), S. 212ff.; Salzwedel, in: Dokumentation zur 5. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für UmweltR, 1982, S. 51 ff. 298 So Seltner, NJW 1980, 1257. 299 So Kutscheidt, a. a. O. 300 BT-Drucks. 7/179, S.32; hierzu Feldhaus, DVB1. 1980, 138; Seilner, NJW 1980, 301 1256. Vgl. oben I 2a. 295

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Für dieses Verständnis und gegen die These von der Planungs- und Verteilungsfunktion des immissionsschutzrechtichen Vorsorgegrundsatzes sprechen durchgreifende Gesichtspunkte: Planung und plangemäße Verteilung ohne Ermessens- oder Gestaltungsspielraum wäre ein Widerspruch in sich302. Wer dem Vorsorgegrundsatz eine Planungs- und Verteilungsfunktion zuschreibt, kommt daher nicht umhin, der Genehmigungsbehörde einen derartigen Spielraum zuzuerkennen. Insbesondere können die Planung und die plangemäße Verteilung von Luftressourcen und Belastungsbefugnissen nicht durch das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit in eine strikte Rechtsbindung zurückgeführt werden 303 ; hierdurch werden im Hinblick auf die ZweckMittel-Relation lediglich unangemessene Maßnahmen untersagt, nicht aber im positiven Sinne „angemessene" Maßnahmen geboten 304 . Die Annahme eines planerischen Ermessens- oder Gestaltungsspielraums der Genehmigungsbehörde ist jedoch unvereinbar mit dem Charakter der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung als strikt gebundenen Verwaltungsakts. Außerdem müßte eine inzidente Planung und Verteilung von Luftressourcen und Belastungsbefugnissen im Rahmen der Genehmigungsentscheidungen zu einem kasuistischen, kaum kalkulierbaren und rechtsstaatlich bedenklichen „Planulismus" 305 entarten. Vor allem bilden schließlich die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung einen allgemeinen und gleichmäßigen, nicht etwa einen selektiven und differenzierten Vorsorgestandard 306 . Das BVerwG 306a geht offenbar ebenfalls von dieser Deutung aus. Nach seiner Erkenntnis bezieht sich der Vorsorgegrundsatz des § 5 Nr. 2 BImSchG nicht allein auf den der Immissionsprognose nach § 5 Nr. 1 BImSchG zugrunde liegenden Einwirkungsbereich der Anlage, sondern auch auf die mit dem Ferntransport von Luftschadstoffen verbundenen Immissionen, sofern hinreichende Anhaltspunkte für die Möglichkeit schädlicher Einwirkungen bestehen. Auch auf der Grundlage des hier dargelegten Verständnisses hat der Vorsorgegrundsatz — anders als der Schutzgrundsatz — keinen nachbarschützenden Charakter307. Der Vorsorgegrundsatz des § 5 Nr. 2 BImSchG bildet die Grundlage für Emissionsbegrenzungen mit dem Ziel, dem besorgniserregenden Waldsterben entgegenzuwirken, das seit einigen Jahren in der Bundesrepublik 302

Vgl. BVerwGE 34, 301 (304); ständige Rspr. So aber der Versuch von Feldhaus, DVB1. 1980, 138 und Seltner, NJW 1980, 1259f. 304 Allgemein hierzu Grabitz, AöR 98 (1973), S. 576 ff. m. w. N. 305 Vgl. zu diesem Begriff Ipsen, in: Kaiser, Planung I, 1965, S. 55 und Planung II, 1966, S. 75. 306 Vgl. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 159ff.; Breuer, AöR 101 (1976), S. 56ff.; insoweit übereinstimmend Rengeling, Die immissionsschutzrechtliche Vorsorge, 1982, S. 54, 63, der allerdings § 5 Nr. 2 BImSchG zu Unrecht die verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit abspricht. 30«a NVw z 1984, 371 = DVB1. 1984, 476. 307 BVerwGE 65, 313; Seilner. NJW 1980, 1261; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 204f.; jeweils m. w. N. 303

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Rüdiger Breuer

Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern beobachtet wird. Dieses Phänomen ist nicht mit dem (nachbarschützenden) Schutzgrundsatz des § 5 Nr. 1 BImSchG erfaßbar, weil die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge des Waldsterbens gegenwärtig noch nicht geklärt sind. Deshalb kann insofern gegenwärtig ein Schädlichkeits- oder Gefahrennachweis für bestimmte Emissionen nicht geführt werden308. Die Verordnung über Großfeuerungsanlagen 309 stellt in diesem Zusammenhang eine emissionsbegrenzende Konkretisierung des Vorsorgegrundsatzes dar. cc) Entsorgungsgrundsatz: Nach § 5 Nr. 3 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß die beim Betrieb der Anlagen entstehenden Reststoffe ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder, soweit dies technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, als Abfälle ordnungsgemäß beseitigt werden. Danach ist vorrangig die ordnungsgemäße Verwertung von Reststoffen (recycling) geboten. Was als ordnungsgemäße Abfallbeseitigung anzusehen ist, beurteilt sich nach den Vorschriften des Abfallbeseitigungsrechts. c) Außer-immissionsschutzrechtliche Genehmigungsvoraussetzungen: Die Erteilung der immissionschutzrechtlichen Anlagengenehmigung setzt ferner voraus, daß andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen (§ 6 Nr. 2 BImSchG). Hiernach ist bei der Anlagengenehmigung insbesondere das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht anzuwenden. Dies gilt vor allem für die §§ 29ff. BBauG310. d) Genehmigungsverfahren: Die Rechtsgrundlage des Anlagengenehmigungsverfahrens besteht in § 10 BImSchG und in der 9. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (9. BImSchV) vom 18. 2. 19773". Das Verfahren zeichnet sich durch Förmlichkeit, Publizität und Popularbeteiligung aus. Der Genehmigungsantrag muß schriftlich bei der landesrechtlich bestimmten Genehmigungsbehörde gestellt werden und bestimmte Angaben enthalten. Außerdem sind ihm bestimmte Unterlagen beizufügen. Sind die Unterlagen vollständig, so hat die Genehmigungsbehörde das Vorhaben öffentlich bekanntzumachen. Der Antrag sowie eine Reihe von Unterlagen mit bestimmten Angaben sind zwei Monate zur Einsicht auszulegen. Zur Erhebung von Einwendungen ist jedermann befugt. 308

309 310

311

Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen über Waldschäden und Luftverunreinigungen, BT-Drucks. 10/113; zu den rechtlichen Aspekten v. Usslar, NuR 1983, 289ff.; auf der Grundlage hypothetischer Fakten: Leisner, Waldsterben, 1983. 1 3. BImSchV vom 22. 6. 1983 (BGBl. I S. 719); hierzu Hansmann, UPR 1983, 321 ff. BVerwG NJW 1975, 460; zur Zulässigkeit genehmigungsbedürftiger Anlagen im Außenbereich (§35 BBauG): Dolde, NJW 1983, 792ff.; a. A.: Hoppe, NJW 1978, 1229ff.; DVB1. 1982, 913ff.; Schmidt-Aßmann, Das bebauungsrechtliche Planungserfordernis bei §§ 34, 35 BBauG, 1982. BGBl. I S. 274, geändert durch die 12. BImSchV vom 27. 6. 1980, BGBl. I S. 772.

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Mit Ablauf der zweimonatigen Auslegungs- und Einwendungsfrist werden alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf „besonderen Titeln" beruhen (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG). Hierbei handelt es sich um eine materielle Präklusion, die später auch im Widerspruchs- sowie im Gerichtsverfahren zu beachten ist312. Verfassungsrechtliche Einwände, die der materiellen Präklusion entgegengehalten worden sind313, vermögen nicht zu überzeugen. Der Zwang, Einwendungen innerhalb der Zweimonatsfrist zu erheben, stellt eine zumutbare, insbesondere mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbare Formalisierung des Verfahrens sowie die konsequente und verfassungskonforme Kehrseite der breit angelegten, grundrechtlich fundierten Verfahrensteilhabe dar314. § 19 BImSchG sieht vor, daß für genehmigungsbedürftige Anlagen bestimmter Art und bestimmten Umfangs ein vereinfachtes Verfahren eingeführt werden kann. Dies ist durch § 4 der 4. BImSchV geschehen. Im vereinfachten Verfahren sind insbesondere Teilgenehmigungen, Vorbescheide, die Präklusion von Einwendungen sowie die Konzentrationswirkung und die nachbarrechtsgestaltende Wirkung der Genehmigung (§§ 13, 14 BImSchG) ausgeschlossen (§ 19 Abs. 2 BImSchG). e) Inhalt und Wirkung der Anlagengenehmigung: Falls der Antrag nicht abgelehnt werden muß, ist das Verfahren durch die Erteilung der Genehmigung zu beenden. Zum obligatorischen Inhalt des Genehmigungsbescheides (§ 21 der 9. BImSchV) gehören u. a. die Nebenbestimmungen und die Begründung, aus der die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben, und die Behandlung der Einwendungen hervorgehen sollen. Nebenbestimmungen können nach Maßgabe des § 12 BImSchG in Bedingungen, Auflagen, einer Befristung und einem Widerrufs- oder Auflagenvorbehalt bestehen. Sie müssen hinreichend bestimmt sein. Z. B. muß eine Schutzauflage entweder eine bestimmte Maßnahme oder einen bestimmten Immissions- oder Emissionswert bezeichnen315. Die Auflage ist im Gegensatz zur Bedingung und zur Befristung selbständig anfechtbar und erstreitbar — es sei denn, es handelt sich um eine sog. modifizierende, vom Genehmigungsinhalt nicht trennbare Auflage316. Die Gestattungswirkung der Genehmigung ist mit einer begrenzten Konzentrationswirkung verbunden (§13 BImSchG). Eingeschlossen sind insbesonde312

313 314 315

316

Feldhaus, BImSchR, Bd. 1, § 6 Anm. 15; Ule, BImSchG, § 10 Rdnr. 9, 16; Seltner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 365ff.; zu § 10 Abs. 2 GewO bereits BVerwG DVB1. 1973, 645. So Ule, BB 1979, 1009ff.; Wolfrum, DÖV 1979, 497ff.; Papier, NJW 1980, 313ff. So zutreffend Redeker, NJW 1980, 1597f.; vgl. zum AtomR unten VI 2c. Vgl. etwa BVerwGE 38, 209; OVG Münster DVB1. 1976, 800; Sellner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 238. Vgl. BVerwG DÖV 1974, 380; NVwZ 1984, 371 = DVB1. 1984, 476; auch BVerwGE 36, 145 (154); 55, 135 (136ff.); Sellner, a . a . O . (Fn. 279), Rdnr.228f.; kritisch: Erichsen /Martens, in: dies. (Hrsg.), Allg. VerwR, 6. Aufl. 1983, § 15 II 3 m. w. N.

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re die Baugenehmigung sowie Genehmigungen des Natur- und Landschaftsschutzrechts, nicht aber Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne, wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen sowie atomrechtliche Genehmigungen. Gegenüber dem privaten Nachbarrecht übt die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung eine materiell-rechtliche, anspruchsändernde Gestaltungswirkung aus (§ 14 BImSchG)317. Sie stellt somit einen typischen Fall des Verwaltungsakts mit Doppelwirkung dar 318 . Die genehmigte Anlage genießt Bestandsschutz nicht nur nach Maßgabe des einfachgesetzlichen Immissionsschutzrechts, sondern auch nach Art. 14 Abs. 1 GG. Hiervon kann im Rahmen des „überwirkenden", auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bezogenen Bestandsschutzes aufgrund der Umstände des Einzelfalles auch eine Erweiterung oder Nutzungsänderung der Anlage umfaßt sein319. Insoweit besteht ein Anspruch auf die Erteilung der Erweiterungs- oder Änderungsgenehmigung. 0 Vorbescheid und Teilgenehmigung: Der Vorbescheid nach § 9 BImSchG und die Teilgenehmigung nach § 8 BImSchG sind als Zwischenakte Instrumente des gestuften Verwaltungsverfahrens 320 . Sie dienen der Rationalität, Transparenz und Beschleunigung des Verfahrens, wo die Genehmigungsbehörde über die Zulässigkeit einer komplexen Anlage zu entscheiden hat. Der Vorbescheid enthält eine abschließende Entscheidung über einzelne Fragen, von denen die Erteilung der gesamten Genehmigung abhängt, z. B. über den Standort oder das Konzept der Anlage. Die Teilgenehmigung gestattet dagegen in abschließender Weise die Errichtung oder den Betrieb von realen Anlagenteilen. Beide Zwischenakte enthalten somit eine abschließende Teilentscheidung, daneben aber auch ein vorläufiges positives Gesamturteil über die betreffende Anlage. Während die abschließende Teilentscheidung die volle, inhaltlich begrenzte Bindungswirkung der Anlagengenehmigung ausübt, entfaltet das vorläufige positive Gesamturteil eine verminderte, unter dem Vorbehalt der gleichbleibenden Sach- und Rechtslage stehende Bindungswirkung321. 317 318 319 320

321

Vgl. oben III 4a, cc. Statt vieler: Seltner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 190. BVerwGE 50, 49 (58f.); NJW 1977, 1932 (1933); 1978, 64 (65); Seltner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 202 ff. Vgl. zum Ganzen Schmidt-Aßmann, in: Fg. aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des BVerwG, 1978, S. 569ff.; Selmer, Vorbescheid und Teilgenehmigung im ImmissionsschutzR, 1979; Büdenbender / Mutschier, Bindungs- und Präklusionswirkung von Teilentscheidungen nach BImSchG und AtG, 1979; Breuer, Hansmann, Mutschierund de Witt, in: 6. Dt. AtomR-Symposium, 1980, S. 241 ff.; Ossenbühl, NJW 1980, 1353ff.; Jarass, UPR 1983, 241 ff. BVerwGE 24, 23 (27); entsprechend im AtomR: BVerwG DVB1. 1972, 678 (679); ferner trotz unterschiedlicher Nuancen: OVG Lüneburg DVB1. 1978, 67 (68); OVG Münster DVB1. 1978, 853 (854f.); VG Koblenz NJW 1980, 1410; unklar OVG Rheinl.-Pfalz GewArch. 1977, 133 (139); a. A. für die Teilgenehmigung VGH Bad.Württ. DÖV 1979, 521 (523f.); gegen den „Situationsvorbehalt" Ossenbühl, NJW 1980, 1357 f.

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g) Nachträgliche Anordnungen: Durch die Möglichkeit nachträglicher Anordnungen nach § 17 BImSchG wird der Bestandsschutz der unanfechtbar genehmigten Anlage beschränkt. Der zulässige Inhalt einer nachträglichen Anordnung deckt sich mit demjenigen einer Auflage322. Die nachträgliche Anordnung setzt einen Verstoß gegen die fortlaufend zu erfüllenden Betreiberpflichten des § 5 BImSchG oder gegen eine Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG voraus. Dabei kommt es aufgrund des dynamischen Charakters der Betreiberpflichten auf die Sachlage und den Erkenntnisstand sowie im Rahmen des Vorsorgegrundsatzes (§ 5 Nr. 2 BImSchG) auf den Stand der Technik im Zeitpunkt der nachträglichen Anordnung an323. Deren Erlaß steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Falls jedoch nach Erteilung der Genehmigung festgestellt wird, daß die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen geschützt ist, daß also — vereinfacht gesprochen — der Schutzgrundsatz (§ 5 Nr. 1 BImSchG) verletzt wird, soll die zuständige Behörde nachträgliche Anordnungen treffen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG). Diese Sollvorschrift hat nachbarschützenden Charakter32*. Unter ihren Voraussetzungen besteht daher grundsätzlich ein verwaltungsprozessual durchsetzbarer Anspruch auf Erlaß einer nachträglichen Anordnung. Ausgeschlossen ist eine nachträgliche Anordnung zum einen, wenn sie nach dem Stand der Technik nicht erfüllbar ist (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BImSchG). Zum anderen ist sie auch dann ausgeschlossen, wenn sie für den Betreiber und für Anlagen der von ihm betriebenen Art wirtschaftlich nicht vertretbar ist (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BImSchG). Die Ausschlußvoraussetzung der wirtschaftlichen Unvertretbarkeit muß hiernach kumulativ sowohl nach dem objektivierten Vergleichsmaßstab eines gesunden Durchschnittsunternehmens als auch nach den subjektiven, eventuell günstigeren Verhältnissen des betreffenden Betreibers erfüllt sein. Das Merkmal der wirtschaftlichen Vertretbarkeit bereitet erhebliche Konkretisierungsprobleme; jedenfalls umfaßt es die nachhaltige Erzielbarkeit eines angemessenen Gewinns325. h) Untersagung, Stillegung und Beseitigung von Anlagen, Widerruf der Anlagengenehmigung: Nach § 20 Abs. 1 BImSchG kann die zuständige Behörde den Betrieb einer genehmigungsbedürftigen und genehmigten Anlage ganz oder teilweise untersagen, wenn der Betreiber einer Auflage oder einer voll322 323

324 325

Seltner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 436 ff. m. w. N. Hoppe, Wirtschaftliche Vertretbarkeit im Rahmen des BImSchG, 1977, S. 33; anders ist dagegen der maßgebende Zeitpunkt für die gerichtliche Kontrolle der Genehmigung zu bestimmen, vgl. Breuer, DVB1. 1981, 300 ff. m. w. N. Seilner, a. a. O. (Fn. 279), Rdnr. 465 ff. m. w. N. Vgl. zum Streitstand Hoppe, a.a.O., insbes. S. 57ff.; Seltner, a.a.O. (Fn. 279), Rdnr. 443ff.; Soell, Der Grundsatz der wirtschaftlichen Vertretbarkeit im BImSchG, 1980; Thomas, WiVerw. 1980, 244ff.; Sendler, UPR 1983, 44ff. und DVB1. 1983, 209f.; dazu Hoppe, DVB1. 1983, 20ff.

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ziehbaren nachträglichen Anordnung nicht nachkommt. Nach § 20 Abs. 2 BImSchG soll die zuständige Behörde die Stillegung oder Beseitigung einer Anlage anordnen, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird. § 20 Abs. 3 BImSchG sieht die Untersagung des weiteren Betriebes einer genehmigungsbedürftigen Anlage wegen persönlicher Unzuverlässigkeit vor. Die Vorschriften über den Widerruf der Genehmigung (§ 21 BImSchG) stellen eine Spezialregelung gegenüber den allgemeinen Vorschriften über den Widerruf von Verwaltungsakten (§ 49 VwVfG) dar. Die spezialgesetzlichen Widerrufsgründe entsprechen den allgemeinen. Der Widerruf wegen einer Änderung der Sach- oder Rechtslage oder wegen schwerer Nachteile für das Gemeinwohl ist entschädigungspflichtig, soweit er in ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen eingreift (§ 21 Abs. 4 BImSchG). Hierbei handelt es sich um Enteignungstatbestände, gleich ob man die öffentlich-rechtliche Genehmigungsposition oder den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als betroffenes Eigentumsobjekt ansieht 326 . Eine Sonderregelung enthält § 21 Abs. 7 BImSchG: Die restriktiven Widerrufsgründe und die Entschädigungspflicht gelten nicht, wenn die Genehmigung von einem Dritten angefochten und von der Behörde während des Vorverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch oder der Klage abgeholfen wird. Insoweit liegt weder ein schutzwürdiges Vertrauen des Genehmigungsbegünstigten noch ein Enteignungstatbestand vor 327 . i) Anlagenbezogene Überwachung: Unter den Voraussetzungen der §§ 26 und 28 BImSchG kann die zuständige, landesrechtlich bestimmte Behörde entweder aus besonderem Anlaß oder zur erstmaligen und periodisch wiederkehrenden Präventivkontrolle genehmigungsbedürftiger Anlagen anordnen, daß Messungen von Emissionen sowie von Immissionen im Einwirkungsbereich der Anlage durch eine behördlich bekanntgegebene Meßstelle durchgeführt werden. Statt solcher Einzelmessungen können bei genehmigungsbedürftigen Anlagen kontinuierliche Messungen durch aufzeichnende Meßgeräte erfolgen (§ 29 BImSchG). Der Betreiber einer in einem festgesetzten Belastungsgebiet (§ 44 BImSchG) gelegenen genehmigungsbedürftigen Anlage ist nach Maßgabe des § 27 BImSchG zur Abgabe einer Emissionserklärung verpflichtet. Ergänzend treten die Auskunftspflicht nach § 31 BImSchG sowie das behördliche Zutrittsrecht im Rahmen der allgemeinen Überwachung nach § 52 BImSchG hinzu. 3. Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen i. S. der §§ 22 ff. BImSchG sind solche, die keiner Genehmigung nach den §§ 4ff. BImSchG bedürfen. Sie 326 327

Vgl. hierzu Breuer, a. a. O. (Fn. 48), S. 184f. Vgl. hierzu BVerwGE 65, 313 (321 f.); Ule, BImSchG, §21 Rdnr. 1; Breuer, DVB1. 1981,307.

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können jedoch einer Genehmigung nach anderen gesetzlichen Vorschriften, z. B. einer Baugenehmigung, bedürfen 328 . Der Anlagenbegriff ist auch insoweit § 3 Abs. 5 BImSchG zu entnehmen, wirft hier jedoch vielfältige, nur kasuistisch lösbare Abgrenzungsprobleme auf 3 2 9 . Die Betreiberpflichten nach § 22 Abs. 1 BImSchG unterscheiden sich von den Pflichten des Betreibers einer genehmigungsbedürftigen Anlage nach § 5 BImSchG 330 . Das Gebot, schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), bezieht sich auf die Emissionsbegrenzung, ohne prinzipiell zwischen dem Schutz- und dem Vorsorgegrundsatz zu trennen. Insbesondere ist der hierdurch gewährte Schutz insgesamt nicht absolut geboten, sondern durch den Stand der Technik (§ 3 Abs. 6 BImSchG) begrenzt. Das weitere Gebot, daß die nach dem Stand der Technik unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG), bezieht sich auf die Begrenzung erlaubter, wenn auch schädlicher Immissionen. Hinzu tritt die Pflicht des Betreibers zur ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung (§ 22 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG). Streitig ist, ob § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG nachbarschützenden Charakter hat. Dies wird gelegentlich verneint unter Hinweis darauf, daß Anordnungen nach § 24 BImSchG und Untersagungsverfügungen nach § 25 Abs. 1 BImSchG zur Durchsetzung der erwähnten Betreiberpflichten im behördlichen Ermessen stehen331. Hiernach soll nur der Sollvorschrift des § 25 Abs. 2 BImSchG, die für Sonderfälle konkreter Gefahren Untersagungsverfügungen vorsieht, eine nachbarschützende Funktion zukommen. Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Sie verkennt, daß die Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 BImSchG bei der Erteilung einer gebundenen außer-immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, z. B. einer Baugenehmigung, als zusätzliche rechtsbegriffliche Voraussetzungen fungieren, ohne daß ein Ermessen in Betracht kommt. Insoweit geht es um eine reine, rechtlich strikt gebundene Präventivkontrolle. Daß der zuständigen Behörde bei repressiven Verfügungen aufgrund der §§ 24, 25 BImSchG ein Ermessen zukommt, steht auf einem anderen Blatt. Ein Anspruch des Nachbarn auf repressives Einschreiten mag im allgemeinen nur im Falle des § 25 Abs. 2 BImSchG gegeben sein. Dagegen kann der Nachbar bei der Anfechtung einer gegen § 22 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 BImSchG verstoßenden außer-immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einen Genehmigungsabwehranspruch geltend machen. Insoweit ist ausschlaggebend, daß der gesetzlich gebotene Schutz vor schädlichen Umwelt328 329

330 331

Seltner / Löwer, WiVerw. 1980,221. Vgl. z. B. BVerwG DVB1. 1974, I I I (Kinderspielplatz); BVerwG GewArch. 1977, 385 (Schrottplatz); OVG Münster BRS 32 Nr. 158 (Parkplätze); OVG Münster DVB1. 1979, 315 (Betriebsfahrzeuge als Bestandteil einer Anlage); weitere Beisp. bei Seilner / Löwer, WiVerw. 1980, 231 ff. Hierzu Seltner /Löwer, WiVerw. 1980, 233ff.; Kutscheidt, NVwZ 1983, 65ff. So Seltner, NJW 1976. 265ff.; Seltner/Löwer, WiVerw. 1980. 240ff.

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einwirkungen nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch der Nachbarschaft zugute kommen soll332. Gelegentlich ist zweifelhaft, inwieweit neben den §§ 22 ff. BImSchG noch die landesrechtlichen Vorschriften des allgemeinen handlungsbezogenen Immissionsschutzes anwendbar sind333. Jedenfalls sind landesrechtliche Vorschriften, wonach ruhestörende Betätigungen zur Nachtzeit verboten sind, auf nicht genehmigungsbedürftige Anlagen i. S. der §§22 ff. BImSchG anwendbar 334 . 4. Der produktbezogene Immissionsschutz Die §§ 32 ff. BImSchG sehen einen produktbezogenen Immissionsschutz vor. Dessen Anwendungsbereiche sind die Beschaffenheit von bestimmten technischen Anlagen sowie von serienmäßig hergestellten Teilen gewisser Anlagen, die Einführung einer Bauartzulassung für diese Anlagen oder Anlagenteile, die Beschaffenheit von Brennstoffen oder Treibstoffen sowie von sonstigen Stoffen und Erzeugnissen, die geeignet sind, bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung oder bei der Verbrennung zum Zwecke der Beseitigung oder der Rückgewinnung einzelner Bestandteile schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen hervorzurufen. Das Gesetz ist insoweit auf die Aktualisierung im Verordnungswege angewiesen. Es begnügt sich mit Ermächtigungen, wonach die Bundesregierung nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51 BImSchG) durch Rechtsverordnung einschlägige Regelungen des produktbezogenen Immissionsschutzes treffen kann 335 . 5. Der verkehrsbezogene Immissionsschutz a) Grundlagen des Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen: Die §§ 41-43, 50 BImSchG enthalten zwar eine Spezialregelung des Verkehrslärmschutzes bei Straßen und Schienenwegen. Diese Regelung ist jedoch eine lex imperfecta geblieben, da die vorgesehene Schallschutzverordnung der Bundesregierung nach § 43 BImSchG ausgeblieben ist336. Da zudem das Vorhaben eines Verkehrslärmschutzgesetzes vorerst gescheitert ist337, 332

333 334 335 336 337

Zutreffend Feldhaus, BImSchR, Bd. 1, § 22 Anm. 10; Jarass, BImSchG, 1983, § 22 Rdnr. 11; Schrödter, DVB1. 1974, 363; nicht einschlägig sind insoweit Entscheidungen zum Ermessen bei repressiven Verfügungen nach den §§ 24, 25 BImSchG; so HessVGH BauR 1978, 44; OVG Lüneburg GewArch. 1979, 345. Eingehend hierzu Seltner / Löwer, WiVerw. 1980, 221 ff.; vgl. auch unten V 6. OVG Münster DVB1. 1979, 317. Vgl. z. B. die 3. BImSchV (VO über Schwefelgehalt von leichtem Heizöl und Dieselkraftstoff) vom 15. 1. 1975 (BGBl. I S. 264). Vgl. BVerwGE 61, 295 (2990; Korbmacher, DÖV 1976, 1 ff.; Breuer, NJW 1977, 1032 ff. Vgl. BT-Drucks. 8/1671, 3730 und 4360; auch Fickert, DVB1. 1979, 645ff.; SchmidtAßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Systemgedanken einer Regelung des Lärmschutzes an vorhandenen Straßen, 1979.

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wird der gesamte Sektor des verkehrsbezogenen Immissionsschutzes bei Straßen, Schienenwegen und Flughäfen weiterhin von allgemeinen Regeln beherrscht, die von der Rechtsprechung aus dem Planfeststellungsrecht sowie aus eigentums- und entschädigungsrechtlichen Grundsätzen entwickelt worden sind. Hiernach stellt der Immissionsschutz bei der planerischen Entscheidung über Verkehrsvorhaben einen gewichtigen abwägungserheblichen Belang dar, der im Rahmen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots berücksichtigt werden muß 338 . Notwendige Schutzauflagen dürfen im Planfeststellungsbeschluß nicht einer späteren Entscheidung vorbehalten werden339. Sie werden von der Rechtsprechung aufgrund des Planfeststellungsrechts als erforderlich angesehen, wenn die Immissionen für die jeweilige Umgebung mit Rücksicht auf deren durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit nicht zumutbar sind. Dabei bestimmt sich die „Unzumutbarkeit" nicht nach dem enteignungsrechtlichen Maßstab der schweren und unerträglichen Betroffenheit, sondern im Vorfeld dieses Maßstabs nach dem Kriterium eines gerechten planerischen Interessenausgleichs340. Sind dementsprechende Schutzauflagen mit dem Vorhaben nicht vereinbar oder unverhältnismäßig kostspielig, greift nach den Planfeststellungsgesetzen341 ein positiv-rechtlicher Entschädigungsoder Schadensersatzanspruch des Betroffenen ein. Im übrigen kommt bei Immissionen öffentlicher Verkehrsanlagen nur ein Entschädigungsanspruch aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff in Betracht342. b) Sonderregelung des Fluglärmschutzgesetzes: Das Fluglärmschutzgesetz343 enthält die bindende Ermächtigung, daß zum Schutz der Allgemeinheit vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen für Verkehrsflughäfen, die dem Linienverkehr angeschlossen sind, und für militärische Flugplätze, die dem Betrieb von Flugzeugen mit Strahltriebwerken zu dienen bestimmt sind, Lärmschutzbereiche festgesetzt werden. Die Festsetzung erfolgt im Wege der Rechtsverordnung. Derartige Lärmschutzverordnungen für einzelne Flughä338

339 340 341

342

343

BVerwGE 48, 56; 51, 15; 52, 237; 56, 110; 59, 253; 61, 295; Bartlsperger, Die Straße im Recht des Umweltschutzes, 1980, insbes. S. 35ff.; Gehrmann, UPR 1984, 35ff. BVerwGE 48, 56 (68ff.); 56, 110 (123f.); 59, 253 (259f.); 61, 295 (306). BVerwGE 51,15 (29f.); 59, 253 (261); 61, 295 (301 f.). Entschädigung: § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG; § 17 Abs. 4 Satz 2 FStrG; Schadensersatz: § 11 LuftVG i. V. m. § 14 BImSchG. Vgl. hierzu BGHZ 64, 220; DVB1. 1977, 523; 1978, 110; NJW 1980, 582; eingeschränkt, aber nicht überholt durch BVerfGE 58, 300; vgl. BGH NJW 1984, 1169 = DVB1. 1984, 391 mit Anm. von Götz; Ossenbühl, NJW 1983, 1 ff. Vom 30. 3. 1971 (BGBl. I S. 282), zuletzt geändert durch G vom 14. 12. 1976 (BGBl. I S. 3341, ber. BGBl. 1977 I S.667); zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 56, 54; krit. Soell, in: Schutz gegen Verkehrslärm, 1978, S. 45ff.; ders., in: Salzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 348 ff.

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fen oder Flugplätze344 sind in zwei abgestufte Schutzzonen gegliedert und lösen bestimmte Bauverbote, Schallschutzanforderungen und Förderungen für bauliche Maßnahmen des passiven Schallschutzes aus. Nachbaransprüche aus den §§ 1004, 906 BGB i. V. mit den §§ 11 LuftVG, 14 BImSchG werden durch die planungsrechtlichen Regelungen des Fluglärmschutzgesetzes nicht berührt 345 . 6. Der allgemeine handlungsbezogene Immissionsschutz Den Immissionsschutzgesetzen und -Verordnungen der Länder 346 verbleibt die Regelung des allgemeinen handlungsbezogenen Immissionsschutzes. Hierunter fallen z. B. Vorschriften über das Verbrennen im Freien, den Schutz der Nachtruhe, die Benutzung von Tongeräten, das Abbrennen von Feuerwerken oder Feuerwerkskörpern und die Tierhaltung. 7. Der gebietsbezogene Immissionsschutz Das Immissionsschutzrecht kennt nur punktuelle Ansätze für einen differenzierten, eventuell gesteigerten Schutz bestimmter Gebiete. Zum einen enthalten die Festsetzung von Belastungsgebieten (§ 44 BImSchG) sowie die Aufstellung eines Emissionskatasters (§ 46 BImSchG) und eines Luftreinhalteplans (§ 47 BImSchG) für ein festgesetztes Belastungsgebiet lediglich indikative Datensammlungen und Exekutivprogramme 347 . Die Voraussetzungen für die Erteilung von Anlagengenehmigungen und die administrativen Eingriffsbefugnisse werden hierdurch nicht erweitert. Dies gilt auch insoweit, als der Luftreinhalteplan Maßnahmen zur Verminderung der Luftverunreinigungen und zur Vorsorge enthält (§ 47 Satz 3 Nr. 3 BImSchG). An dieser Rechtslage ändert sich auch dann nichts, wenn Luftreinhaltepläne nach Landesrecht 348 durch Rechtsverordnung für verbindlich erklärt werden und „bei allen behördlichen Maßnahmen im Rahmen der dafür geltenden Vorschriften" beachtet werden müssen. Zum anderen werden die Landesregierungen durch § 49 Abs. 1 BImSchG ermächtigt, durch Rechtsverordnung vorzuschreiben, daß in näher zu bestimmenden schutzbedürftigen Gebieten u. a. bestimmte ortsfeste Anlagen nicht errichtet oder nur in näher zu regelnder Weise betrieben werden dürfen. Ferner werden die Landesregierungen durch § 49 Abs. 2 BImSchG ermächtigt, durch Rechtsverordnung Gebiete festzusetzen, in denen während austauscharmer Wetterlagen ein starkes Anwachsen schädlicher Umwelteinwirkungen zu befürchten ist, und vorzuschreiben, daß in diesen Gebieten Anlagen nur in 344 345 346 347

348

Vgl. die Zusammenstellung bei Feldhaus, BImSchR, Bd. 3, Nr. 1. 2. 3 ff. BGHZ69, 105 (108 ff.). Vgl. die Zusammenstellung oben zu Beginn des 7. Abschn. Vgl. Ule, BImSchG, §44 Rdnr. 1, §46 Rdnr. 1, 4, §47 Rdnr. 1, 4; Jarass, BImSchG, 1983, Vorbem. vor §§44 - 47 Rdnr. 3; Seilner, a . a . O . (Fn. 279), Rdnr. 48 ff. So § 8 Abs. 1 LImSchG N-W; hierzu Feldhaus, BauR 1978, 260ff.

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beschränkter Weise betrieben werden dürfen, sobald die austauscharme Wetterlage von der zuständigen Behörde bekanntgegeben wird. In diesen beiden Fällen handelt es sich jedoch um räumlich eng begrenzte Sonderregelun-

VI. Atom- und Strahlenschutzrecht 1. Allgemeines Im Zentrum des Atom- und Strahlenschutzrechts steht das Atomgesetz350. Dessen Inhalt ist im wesentlichen auf das Kernenergierecht beschränkt. Unmittelbar regelt das Atomgesetz lediglich die Verwendung von Kernbrennstoffen. Hinsichtlich der Verwendung von sonstigen radioaktiven Stoffen begnügt es sich mit Verordnungsermächtigungen. Es umfaßt verwaltungsrechtliche Überwachungsvorschriften (§§3-21 AtomG), Vorschriften über die verwaltungsbehördlichen Zuständigkeiten (§§ 22-24 AtomG) und privatrechtliche Haftungsvorschriften (§§ 25-40 AtomG). Gewiß liegt auf dem Feld des Kernenergierechts unter den Aspekten des Umweltschutzes und der technischen Sicherheit sowie unter allgemeinen staats-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Aspekten eine besondere Brisanz351. Die geltenden Rechtsverordnungen des Atom- und Strahlenschutzrechts greifen jedoch über dieses Feld hinaus. So enthält die Strahlenschutzverordnung352, auf die Ermächtigungen des Atomgesetzes gestützt, in den Überwachungsvorschriften (§§ 3 ff.) teils ergänzende und modifizierende Regelungen über die Verwendung von Kernbrennstoffen, teils originäre Regelungen über die Verwendung sonstiger radioaktiver Stoffe. Unter diesen sind Stoffe zu verstehen, die, ohne Kernbrennstoffe zu sein, ionisierende Strahlen spontan aussenden (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AtomG). Die Schutzvorschriften der Strahlenschutzverordnung (§§28 ff.) gelten für den gesamten Bereich der Verwendung radioaktiver Stoffe, ausgenommen die Errichtung und den Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern. Für die letzteren Einrichtungen gilt die gleichfalls auf das Atomgesetz gestützte Röntgenverordnung353. Als bloße Durchführungsverordnungen zum Atomgesetz fungieren demgegenüber die Atomrechtliche Verfahrensverord349 350

351

352

353

Vgl. BT-Drucks. 7/179, zu § 41. I. d. F. der Bekanntm. vom 31. 10. 1976 (BGBl. I S. 3053), zuletzt geändert durch G vom 20. 8. 1980 (BGBl. I S. 1556). Vgl. etwa den Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik", BT-Drucks. 8/4341; Roßnagel, Bedroht die Kernenergie unsere Freiheit, 1983; auch Degenhart, KernenergieR, 1981. Vom 13. 10. 1976 (BGBl. I S. 2905, ber. BGBl. 1977 I S. 184 und 269), geändert durch VO vom 22. 5. 1981 (BGBl. I S. 445). Vom 1.3. 1973 (BGBl. I S. 173), geändert durch VO vom 13. 10. 1976 (BGBl. I S. 2905).

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nung 354 , die das Verfahren der Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG regelt, die Atomrechtliche Deckungsvorsorge-Verordnung 355 und die Atomrechtliche Kostenverordnung 356 . Die Überwachungsvorschriften des Atomgesetzes und der Strahlenschutzverordnung sind der Sitz der genehmigungspflichtigen Tatbestände (§§ 3 - 9 AtomG, § § 3 - 2 0 StrlSchV)357. Die Genehmigungsvoraussetzungen bestehen — ungeachtet unterschiedlicher Details — in den durchweg wiederkehrenden Erfordernissen der Zuverlässigkeit, der Fachkunde und hinreichender Kenntnisse, der Schadensvorsorge, der Deckungsvorsorge, des Schutzes gegen Einwirkungen Dritter sowie der Umweltverträglichkeit 358 . Abgesehen vom Vorbehalt der Genehmigungen nach den §§ 7 und 9 AtomG, handelt es sich hierbei um präventive gesetzliche Verbote unter dem Vorbehalt einer administrativen, rechtlich gebundenen Unbedenklichkeitserklärung 359 . 2. Die atomrechtliche Anlagengenehmigung Die Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG ist oben bereits im Rahmen des Wirtschaftsverwaltungsrechts dargestellt 360 und im Rahmen des allgemeinen Umweltverwaltungsrechts als administratives Kontrollinstrument gekennzeichnet worden, dessen Rechtsgrundlage auf der Grenze zwischen einem präventiven und einem repressiven Verbot steht361. Aufgrund der rechtsbegrifflichen Genehmigungsvoraussetzungen und des hinzutretenden Versagungsermessens liegt der Genehmigungspflicht nach § 7 AtomG ein präventives, aber potentiell restriktives Verbot zugrunde. Erinnert sei auch daran, daß die atomrechtliche Anlagengenehmigung dem BVerfG 362 Gelegenheit gegeben hat, den Gesetzesvorbehalt und die erforderliche Bestimmtheit des Gesetzes sowie positive grundrechtliche Schutzpflichten des Staates auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu präzisieren. a) Unter den rechtsbegrifflichen Voraussetzungen der atomrechtlichen Anlagengenehmigung interessieren aus der Perspektive des Umweltschutzes vor allem die Postulate, daß die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen sein muß (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG) und überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Reinhaltung des Wassers, der Luft und des Bodens, der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen dürfen (§ 7 Abs. 2 Nr. 6 AtomG). 354 355 356 357 358 359

360 361 362

I. d. F. der Bekanntm. vom 31. 3. 1982 (BGBl. I S. 411). Vom 25. 11. 1977 (BGBl. I S. 220). Vom 17. 12. 1981 (BGBl. I S. 1457). Hierzu bereits oben II 3a. Vgl. Winters, Atom- und StrahlenschutzR, 1978, S. 18. Vgl. Fischerhof, Dt. AtomG und StrahlenschutzR, Bd. I, 2. Aufl. 1978, Einf. Rdnr. 13, Vorbem. vor § 3 Rdnr. 1; zur Terminologie oben III 2b. Badura, oben 4. Abschn., III 2 c. Vgl. oben III 2b, bb. BVerfGE 49, 89; 53, 30; vgl. oben I 3 und 4a, b.

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Die erste dieser Voraussetzungen umschließt die Gebote der unabdingbaren Gefahrenabwehr und der vorgelagerten, durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzten Risikovorsorge. Jenseits aller Diskussionen über die Konkretisierung dieser Gebote 363 steht fest, daß die erforderliche „Schadensvorsorge" sich trotz ihrer gesteigerten Strenge strukturell nicht von den sicherheitsrechtlichen Voraussetzungen unterscheidet, die in klassischen Fällen präventiver gesetzlicher Verbote bei der Erteilung der vorbehaltenen, als Unbedenklichkeitserklärung ausgestalteten Erlaubnis erfüllt sein müssen. Die Genehmigungsbehörde hat nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG — unbeschadet aller Probleme der naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse 364 — lediglich das konkrete Vorliegen generell-abstrakter Voraussetzungen zu prüfen und nicht etwa Umweltressourcen oder Befugnisse zu Umweltbelastungen nach planwirtschaftlichen Zwecken zuzuteilen. Das gleiche gilt für das ergänzende strahlenschutzrechtliche Minimierungsgebot (§§28 Abs. 1, 48 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV), in dem das Gebot der Risikovorsorge einen markanten und für die Rechtssicherheit problematischen Niederschlag gefunden hat 365 . Allerdings entbehrt das Minimierungsgebot im Gegensatz zu den Dosisgrenzwerten der Strahlenschutzverordnung und der Grundnorm des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG der nachbarschützenden Wirkung 366 . Die Genehmigungsvoraussetzung des § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtomG steht mit derjenigen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG in einem wechselbezüglichen Zusammenhang. Sie verlangt eine standortbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung 367 . Die Genehmigungsbehörde erhält hierdurch jedoch keine Befugnis zur Raum- oder Umweltplanung. § 7 Abs. 2 Nr. 6 AtomG bezieht sich nämlich nur auf die umweltspezifischen Auswirkungen der Atomanlage und zwingt nicht zur Wahl eines optimalen Standorts sowie zur Prüfung von Standortalternativen. Hiernach ist lediglich im Sinne einer Negativauslese die Anlagengenehmigung zu versagen, wenn der vorgesehene Standort ungeeignet ist, weil seiner Wahl unter umweltspezifischen Gesichtspunkten überwiegende 363

364

365

366 367

Vgl. hierzu Hönning/Schmieder, DB 1977, Beil. Nr. 14/77; Albers, DVB1. 1978, 22ff.; Lieb, ZfU 1978, 279ff.; Breuer, DVB1. 1978, 829ff.; Bender, NJW 1979, 1425ff.; ders., DÖV 1980, 633ff.; Wagner, NJW 1980, 665ff.; ders., DÖV 1980, 269 ff.; auf breiter Grundlage: Lukes (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, Teile I - I I I , 1980; ferner Degenhart, a.a.O. (Fn. 351), S. 7ff„ 117ff., 168ff., 177ff.; Marburger, Atomrechtliche Schadensvorsorge, 1983. Hierzu Smidt, in: 6. Dt. AtomR-Symposium, 1980, S. 39ff.; Heuser und Birkhofer, in: Lukes (Hrsg.), a. a. O., Teil I, S. 43ff., 65ff.; Mathiak /Schütz, ebenda, Teil III, S. 1 ff.; zur richterlichen Sachaufklärung Czajka, DÖV 1982,99ff. Vgl. hierzu OVG Lüneburg DVB1. 1977, 340 (342); 1978, 67 (69f.); Breuer, DVB1. 1978, 600f.; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), S. 197f.; einschränkend Schattke, DVB1. 1979, 652 ff. BVerwGE 61, 256 (267f.); a. A. OVG Münster ET 1975, 220; OVG Lüneburg DVB1. 1978, 67(69). OVG Münster ET 1975, 220 (222); Fischerhof, a. a. O. (Fn. 359), § 7 AtG Rdnr. 5, 20; Winters, a. a. O. (Fn. 358), S. 21; Degenhart, a. a. O. (Fn. 351), S. 46ff. m. w. N.

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öffentliche Interessen des Umweltschutzes entgegenstehen368. Eine Optimierung der Standortwahl sowie eine Prüfung von Standortalternativen sind nur mit den Instrumenten der systematisch vorgelagerten Raumplanung möglich369. b) Die Genehmigung einer Anlage, die sämtliche rechtsbegrifflichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtomG erfüllt, darf aufgrund des Versagungsermessens nur zur Wahrung eines in § 1 Nr. 2 - 4 AtomG geregelten Schutzzwecks abgelehnt werden370. Zudem wäre es ein Verstoß gegen den Förderungszweck des § 1 Nr. 1 AtomG, wenn die Genehmigungsbehörde sich ungeachtet der Erfüllung aller Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtomG generell und absolut weigern würde, noch eine atomrechtliche Anlagengenehmigung zu erteilen. Der Gesetzgeber hat, den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts, der Bestimmtheit des Gesetzes und der grundrechtlichen Schutzpflichten entsprechend, eine positive Grundsatzentscheidung zugunsten der friedlichen Nutzung der Kernenergie getroffen 371 . Die Exekutive muß daher im Einzelfall in eine konkrete Abwägung zwischen den konfligierenden Zwecken des § 1 AtomG eintreten372. c) Das Verfahren der atomrechtlichen Anlagengenehmigung entspricht im wesentlichen dem Verfahren der Anlagengenehmigung nach den §§ 4 ff. BImSchG373. Dies gilt insbesondere für die Stufung des Verfahrens durch Vorbescheid und Teilgenehmigungen (§§ 7 a, 7 b AtomG) sowie für die Förmlichkeit, Publizität und Popularbeteiligung. Die materielle Präklusion nicht fristgerecht erhobener Einwendungen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AtVfV, § 7b AtomG) ist mit Art. 19 Abs. 4 GG und den materiellen Grundrechten vereinbar 374 . Demgemäß kann ein Standortvorbescheid nach § 7 a AtomG von einem Dritten mit der substantiierten Behauptung angefochten werden, daß ihm gegenüber an dem gewählten Standort die erforderliche Schadensvorsorge nicht gewährleistet sei375. Mangels einer Verfahrenskonzentration ist die atomrechtliche Anlagengenehmigung mit parallelen, kompetenziell abzugrenzenden Gestattungsverfahren anderer Sachbereiche gekoppelt376. 368 369

370 371 372 373 374 375 376

In der Rspr. z. B.: OVG Koblenz ET 1976, 539 (546); VG Würzburg NJW 1977, 1649 (1650, 1651); vgl. auch Degenhart, a. a. O. (Fn. 351), S. 57ff. Vgl. Breuer, NJW 1979, 1868; ders., in: 7. Dt. AtomR-Symposium, 1983, S. 153ff.; zur Standortvorsorgeplanung Blümel, DVB1. 1977, 301 ff.; Hoppe, W D S t R L 38 (1980), S. 295ff.; ferner Degenhart, a. a. O. (Fn. 351), S. 123ff. m. w. N. Fischerhof, a. a. O. (Fn. 359), § 7 AtG Rdnr. 25. BVerfGE 49, 89 (128ff.); 53, 30 (57ff.). Näher hierzu Breuer, Der Staat 20 (1981), S. 393ff.; Ossenbühl, ET 1983, 665ff. Vgl. einers. oben V 2 d und f; anderers. Badura, oben 4. Abschn., III 2 c; auch Degenhart, a. a. O. (Fn. 351), S. 61 ff.; v. Mutius /Schoch, DVB1. 1983, 149ff. Vgl. (noch zu § 3 Abs. 1 AtAnlV) BVerfGE 61, 82 (109ff.); BVerwG 60, 297. BVerwG DVB1. 1982, 960. Vgl. zum Meinungsstand BVerwG DÖV 1980, 178 (mit Anm. von Krause, S. 522); BayVGH DVB1. 1979, 673 (677); UPR 1984, 70; OVG Lüneburg ZfW 1980, 303

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3. Rechtsfragen der nuklearen Entsorgung § 9 a AtomG begründet lückenlose Pflichten zur Entsorgung von radioaktiven Reststoffen sowie ausgebauten oder abgebauten radioaktiven Anlagenteilen. Diese Pflichten obliegen zunächst jedem, der Anlagen, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird, errichtet, betreibt, sonst innehat, wesentlich verändert, stillegt oder beseitigt, außerhalb solcher Anlagen mit radioaktiven Stoffen umgeht oder Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen betreibt. Soweit die primär gebotene schadlose Verwertung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich, wirtschaftlich nicht vertretbar oder mit den Zwecken des § 1 Nr. 2 - 4 AtomG unvereinbar ist, haben die genannten Personen dafür zu sorgen, daß die fraglichen Reststoffe und Anlagenteile als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden (§ 9 a Abs. 1 AtomG). Das Sammeln sowie die Zwischen- und Endlagerung radioaktiver Abfälle erfolgen, dem Risikopotential entsprechend, in staatlicher Eigenregie (§ 9 a Abs. 3 AtomG) 377 . Wer radioaktive Abfälle besitzt, hat sie kostenpflichtig an eine solche Anlage abzuliefern (§§ 9 a Abs. 2 Satz 1,21 Abs. 3 AtomG). Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle bedürfen einer Planfeststellung, die in einem förmlichen Verfahren ergeht und eine Konzentrationswirkung ausübt (§ 9 b AtomG) 378 . Die Konzentrationswirkung ist lediglich insofern durchbrochen, als die Planfeststellung sich nicht auf die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Berg- und Tiefspeicherrechts erstreckt (§ 9 b Abs. 5 Nr. 3 AtomG). Streitig ist, ob die Sicherstellung der nuklearen Entsorgung zu den rechtsbegrifflichen Voraussetzungen der Anlagengenehmigung nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG gehört 379 oder lediglich für die Ausübung des Versagungsermessens bei der Entscheidung über die Anlagengenehmigung bedeutsam ist380. Keiner dieser beiden Extremstandpunkte vermag voll zu überzeugen. Die gebotene Schadensvorsorge nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG bezieht sich auf das anlagenimmanente Risikopotential. Hierzu gehören der Anfall und der eventuelle Verbleib radioaktiver Reststoffe oder Abfälle in der betreffenden Anlage, z. B. in einem Kernkraftwerk. Dieses Gebot ist jedoch erfüllt, wenn irgendei-

377

378

379 380

(305f.); DVB1. 1980, 1012 (1013f.); 1983, 184; Kröncke, Die Genehmigung von Kernkraftwerken, 1982; Henseler, DVB1. 1982, 390ff.; Breuer, a.a.O. (Fn. 369), S. 159 ff. Vgl. oben III 7 a und b; zur Gesamtproblematik Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981; Wagner / Ziegler / Cioss, Risikoaspekte der nuklearen Entsorgung, 1982. Vgl. Breuer, Die Planfeststellung für Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984; Rengeling, Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle, 1984. So OVG Lüneburg DVB1. 1978, 67 (71 ff.); VG Schleswig NJW 1977, 644f.; wohl auch: VG Freiburg NJW 1977, 1645 (1649); Winters, a. a. O. (Fn. 358), S. 28. So VGH Bad.-Württ. NJW 1979, 2528; VG Karlsruhe DVB1. 1978, 856 (859); VG Schleswig NJW 1980, 1296 (1300f.); Fischerhof, a. a. O. (Fn. 359), § 7 Rdnr. 17; Lukes / Dauk, ET 1979, 667 ff.; Wagner / Ziegler, DVB1. 1980, 142 ff.

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ne geeignete Maßnahme der anlagenexternen Verbringung radioaktiver Reststoffe oder Abfälle oder eine den Anforderungen der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge genügende anlageninterne Zwischenlagerung (Kompaktlagerung) gewährleistet ist. Das verbleibende anlagentranszendente Risikopotential ist lediglich für die Ausübung des Versagungsermessens nach § 7 Abs. 2 AtomG bedeutsam 381 . 4. Atomrechtliche Haftung Die Vorschriften über die atomrechtliche Gefährdungshaftung (§§25 ff. AtomG) sind durch das Änderungsgesetz vom 15. 7. 1975 an die Pariser und Brüsseler Atomhaftungsübereinkommen 382 angepaßt worden. Nach § 25 Abs. 1 AtomG ist die Gefährdungshaftung für Schäden, die auf einem von einer ortsfesten Kernanlage ausgehenden nuklearen Ereignis beruhen, aus dem Pariser Übereinkommen in Verbindung mit den ergänzenden Vorschriften des Atomgesetzes zu entnehmen. § 25 a AtomG fügt eine modifizierende Haftungsregelung für Reaktorschiffe hinzu; als Rechtsgrundlage der Haftung tritt hier das Brüsseler Reaktorschiff-Übereinkommen an die Stelle des Pariser Übereinkommens. Aufgrund des internationalen Rechts ist das zuvor im deutschen Atomrecht geltende Haftungsprinzip der „wirtschaftlichen Kanalisierung" durch das Prinzip der „rechtlichen Kanalisierung" abgelöst worden 383 . Dies bedeutet, daß für Schäden aus einem von der Anlage ausgehenden nuklearen Ereignis ausschließlich der Anlageninhaber — nicht etwa ein Dritter wie z. B. ein Zulieferer — nach Maßgabe des Pariser Übereinkommens haftet. Eine Verschlechterung des Opferschutzes wird dadurch vermieden, daß § 29 Abs. 2 AtomG den Ersatz eines Nichtvermögensschadens (Schmerzensgeld) vorsieht. Die Haftungshöchstgrenze beträgt zur Zeit eine Milliarde DM (§31 Abs. 1 Satz 1 AtomG) 384 . Damit geht das deutsche Recht erheblich über die Haftungshöchstbeträge des Pariser Übereinkommens (Art. 7: 15 Mio. Rechnungseinheiten) und des nationalen Rechts der übrigen Vertragsstaaten hinaus. Zugleich hat der deutsche Gesetzgeber die Deckungshöchstsumme auf 381

Breuer, Verw Arch. 72 (1981), 261 (273 ff.). Pariser Übereinkommen vom 29. 7. 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i. d. F. der Bekanntm. vom 5. 2. 1976 (BGBl. II S. 310, 311); Brüsseler Zusatzübereinkommen vom 31. 1. 1963 zum Pariser Übereinkommen i. d. F. der Bekanntm. vom 5. 2. 1976 (BGBl. II S. 310, 318); Brüsseler Reaktorschiff-Übereinkommen vom 25. 5. 1962 über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen (BGBl. II S. 957, 977); Brüsseler Kernmaterial-Seetransport-Übereinkommen vom 17. 12. 1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See (BGBl. 1975 II S. 957, 1026). 383 BT-Drucks. 7/2183, S. 13f.; Fischerhof, a . a . O . (Fn. 359), Vorbem. vor §25 AtG Rdnr. 3, 4, Art. 6 PÜ Rdnr. 1 ff. 384 Vgl. zur diskutierten Erweiterung der atomrechtlichen Haftung Pfaffelhuber, Schmidt, Breitling und Pelzer, in: 6. Dt. AtomR-Symposium, 1980, S. 383ff.; Kukkuck, DVB1. 1981, 564 ff. 382

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500 Mio. DM erhöht (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 AtomG). In dem Bereich zwischen der Deckungshöchstsumme und der Haftungshöchstgrenze greift die Freistellungsverpflichtung des Staates ein (§ 34 AtomG). Diese wird zu 75% vom Bund und im übrigen von dem Land getragen, in dem die Kernanlage, von der das nukleare Ereignis ausgegangen ist, sich befindet (§ 36 AtomG). Die §§ 38-40 AtomG enthalten besondere Regelungen des Opferschutzes für grenzüberschreitende Schäden nuklearer Ereignisse385.

VII. Recht der Abfallbeseitigung 1. Allgemeines Das lange unterschätzte, dem kausalen Umweltschutz zuzurechnende Recht der Abfallbeseitigung hat aufgrund der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Nr. 24 GG im Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes386 eine vollzugsfähige Vollregelung gefunden. Diese läßt jedoch Raum für ergänzende Detailregelungen durch die Abfallbeseitigungsgesetze der Länder 387 . Damit sind die erforderlichen Rechtsgrundlagen geschaffen worden, damit die in den letzten Jahrzehnten besorgniserregend angewachsene „Müll-Lawine" auf umweltschonende Weise bewältigt werden kann 388 . Der gesetzlich geregelte Tätigkeitsbereich der Abfallbeseitigung umfaßt das Einsammeln, Befördern, Behandeln, Lagern und Ablagern der Abfälle (§ 1 Abs. 2 AbfG). Aus dem Anwendungsbereich des allgemeinen Abfallbeseitigungsrechts ist eine Reihe von Stoffen ausgeklammert, die nach spezialgesetzlichen Vorschriften zu behandeln oder zu beseitigen sind. Hierzu gehören u. a. die nach dem Tierkörperbeseitigungsgesetz389 zu beseitigenden Stoffe, Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe, im Bergbau anfallende Abfälle, nichtgefaßte gasförmige Stoffe sowie grundsätzlich auch Abwasser und Altöle (§ 1 Abs. 3 AbfG). Die Abwasserbeseitigung unterliegt den Spezialvorschriften der §§ 18 a, 18 b WHG und der Landeswassergesetze390. 385 386 387 388 389 390

Vgl. wegen der Einzelheiten Fischerhof, ebenda; auch Breuer, NJW 1977, 1122. I. d. F. der Bekanntm. vom 5. 1. 1977 (BGBl. I S. 41, ber. S. 288), zuletzt geändert durch G vom 4. 3. 1982 (BGBl. I S. 281). Vgl. die Zusammenstellung oben zu Beginn des 7. Abschn. Vgl. zur gesetzlichen Entstehungsgeschichte Hösel / v. Lersner, Recht der Abfallbeseitigung, Kennz. 1020; Hoschützky / Kreft, AbfG, 3. Aufl. 1980, S. 1 ff. Vom 2. 9. 1975 (BGBl. I S. 2313, 2610). Hierzu Salzwedel, unten 9. Abschn., I 2 b.

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2. Abfallbegriff Der alternativ kombinierte Abfallbegriff des § 1 Abs. 1 AbfG 391 umfaßt zum einen bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will. Dieser subjektive Abfallbegriff beruht auf liberalen Vorstellungen. Insoweit gilt die Priorität der Verwertung. Wenn der Besitzer Reststoffe als Wirtschaftsgut zur Rückgewinnung von Bestandteilen (recycling) entweder selbst verwerten oder im Wege der entgeltlichen Veräußerung durch eine Dritten verwerten lassen will, handelt es sich grundsätzlich nicht um Abfall 392 . Zum anderen fallen jedoch unter den gesetzlichen Abfallbegriff auch solche beweglichen Sachen, deren geordnete Beseitigung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist. Diesem objektiven Abfallbegriff liegt die sozialstaatliche Vorstellung zugrunde, daß im Konfliktfall die objektiven öffentlichen Belange einer geordneten, umweltschonenden Abfallbeseitigung gegenüber dem subjektiven Willen des Besitzers vorgehen müssen. Wenn die beabsichtigte, technisch mögliche und wirtschaftlich gewinnbringende Verwertung von Reststoffen erhebliche, nicht hinreichend abwendbare Umweltbelastungen verursacht, erleidet die grundsätzliche Priorität der Verwertung eine Ausnahme. Die betreffenden Reststoffe dürfen alsdann nicht als Wirtschaftsgut verwertet werden, sondern sind nach dem objektiven Begriff Abfall und als solcher nach den gesetzlichen Vorschriften zu beseitigen 393 . 3. Handlungspflichten der Abfallbeseitigung Die öffentliche Eigenregie auf dem Sektor der Entsorgung 394 determiniert die Handlungspflichten der Abfallbeseitigung. Dies gilt für die grundsätzliche Beseitigungspflicht der öffentlichen, landesrechtlich zu bestimmenden Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 3 Abs. 2 AbfG) und die hiervon eröffneten Ausnahmen mit der Folge einer Beseitigungspflicht Privater sowie für die Überlassungspflicht des Besitzers (§ 3 Abs. 1 AbfG), die nur beim Ausschluß von „Sondermüll" aus der öffentlichen Abfallbeseitigung durch eine Beseitigungspflicht des Besitzers abgelöst wird (§ 3 Abs. 3 und 4 AbfG). In allen Fällen sind Abfälle so zu beseitigen, daß das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird; dabei sind insbesondere die im Gesetz enumerativ aufgeführten umweltspezifischen Belange zu beachten (§ 2 Abs. 1 AbfG). Ferner gilt der Grundsatz, daß Abfälle nur in den dafür zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen behandelt, gelagert und abgelagert werden dürfen (§ 4 Abs. 1 AbfG). 391

392

393

Vgl. hierzu Hösel/ v. Lersner, a. a. O., Kennz. 1110, § 1 AbfG Rdnr. 3ff.; v. Lersner, NuR 1981, 1 ff.; Sack, JZ 1978, 17ff.; Altenmüller, DÖV 1978, 27ff.; Franßen, in: Satzwedel, Grundzüge des UmweltR, 1982, S. 408ff. So in der Rspr.: BayObLG NJW 1974, 156; 1975, 396; OLG Koblenz GewArch. 1975, 347; OLG Karlsruhe NuR 1983, 247; OLG Köln NuR 1983, 247; OLG Düsseldorf NuR 1983, 247; OVG Münster DÖV 1978, 48; NuR 1983, 126 und 243. 394 So in der Rspr.: OVG Berlin GewArch. 1980, 279. Vgl. oben III 7.

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Die Überlassungspflicht des Besitzers weist auch den Weg für die rechtliche Behandlung von „wildem Müll", der auf einem Grundstück von Dritten widerrechtlich und gegen den Willen des Grundstücksbesitzers gelagert oder abgelagert wird. Der Grundstücksbesitzer muß zwar als „Besitzer" solcher Abfälle und somit als überlassungspflichtig angesehen werden 395 . Er ist jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, den „wilden Müll" einzusammeln und der beseitigungspflichtigen Körperschaft bereitzustellen; denn diese Tätigkeiten gehören zur Abfallbeseitigung (§ 1 Abs. 2 AbfG) und sind mithin — aus guten Gründen der geordneten Entsorgung - eine Angelegenheit der beseitigungspflichtigen Körperschaft 396 . Der Grundstücksbesitzer kann auch nicht als „Zustandsstörer" im polizeirechtlichen Sinne 397 zur Einsammlung und Bereitstellung des „wilden Mülls" verpflichtet werden. Insoweit wird das allgemeine Polizeirecht durch die spezielle Pflichtenregelung des Abfallbeseitigungsrechts verdrängt 398 . 4. Abfallbeseitigungspläne Die Länder sind verpflichtet, für ihren Bereich Pläne zur Abfallbeseitigung nach überörtlichen Gesichtspunkten aufzustellen (§ 6 AbfG). Diese Pläne müssen geeignete Standorte für die Abfallbeseitigungsanlagen festlegen und können darüber hinaus Bestimmungen über die Träger und die Modalitäten der Abfallbeseitigung enthalten. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um verwaltungsinterne Fachpläne. Sie gewinnen jedoch normativen Charakter, wenn ihre Festlegungen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 5 AbfG für alle öffentlichen und privaten Beseitigungspflichtigen für verbindlich erklärt werden 399 . 5. Abfallbeseitigungsanlagen Die Errichtung und der Betrieb von ortsfesten Abfallbeseitigungsanlagen sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebes bedürfen grundsätzlich einer Planfeststellung (§ 7 Abs. 1 AbfG). Ihr ist die für dieses Rechtsinstitut 400 typische Genehmigungs-, Konzentrations-, Gestaltungs-, Ausschluß- und Duldungswirkung sowie in verfahrensrechtlicher Hinsicht die charakteristische Förmlichkeit, Publizität und Interessentenbe-

395 396 397 398 399 400

Hösel / v. Lersner, a.a.O., Kennz. 1130, §3 AbfG Rdnr. 4; Brosche, DVB1. 1977, 237. OVG Münster NuR 1981, 32; Hösel / v. Lersner, ebenda; Brosche, DVB1. 1977, 237; a. A.: BVerwG NuR 1983, 233; OLG Frankfurt NJW 1974, 1666. Allgemein hierzu Friauf, oben 3. Abschn., II 2 b. Insoweit übereinstimmend BVerwG NuR 1983, 233. Hösel/ v. Lersner, a. a. O., Kennz. 1160, § 6 AbfG Rdnr. 18; Breuer, RdWWi 20, 86 f., 90. Allgemein hierzu oben III 1 b und d m. w. N.

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teiligung eigen (§§ 20-29 AbfG). Sie unterliegt den allgemeinen planungsrechtlichen Bindungen401. Anstelle der Planfeststellung genügt eine (schlichte) Genehmigung, wenn das Vorhaben geringere Bedeutung hat oder mit Einwendungen nicht zu rechnen ist (§ 7 Abs. 2 AbfG). Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Regelung, daß die Vorschriften über Abfallbeseitigungsanlagen auch auf Anlagen, die der Lagerung oder Behandlung von Autowracks oder Autoreifen dienen, Anwendung finden (§ 5 Abs. 1 AbfG). Die rechtsbegrifflichen Voraussetzungen dieser Regelung haben zu einer umfangreichen Kasuistik402 geführt.

401 402

BVerwG DÖV 1980, 133. Vgl. etwa BVerwG NuR 1983, 188 und 189; BayObLG NuR 1982, 159; 1984, 35; OLG Koblenz GewArch. 1976, 68; NuR 1984, 37 und 38; OVG Lüneburg DÖV 1976, 386; VGH Bad.-Württ. RdL 1976, 38; BWVPr. 1975, 156; BayVGH GewArch. 1976, 69; BayVBl. 1980, 82; Doms, Rechtsgrundlagen der Beseitigung von Autowracks, 1978, S. 55 ff.

ACHTER A B S C H N I T T Jürgen Salzwedel

Wege- und Verkehrsrecht Literatur R. Bartlsperger/ W. Blümel/ H.-W. Schroeter(Hrsg.), Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, 1980. R. Bartlsperger, Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, 1970. R. Bartlsperger, Rechtsansprüche und Haftung bei der öffentlichen Straßenverkehrssicherungspflicht, DVB1. 1973, 465 ff. R. Bartlsperger, Straßenverkehrssicherungspflicht und Staatshaftung, DÖV 1982, 469 ff. W. Blümel, Straße und Umwelt, 1979. B. Drews / G. Wacke / K. Vogel / W. Martens, Gefahrenabwehr (Allgemeines Polizeirecht), 8. Aufl., Bd. I, 1975. H. C. Fickert, Aktuelle Fragen des Straßenrechts in Rechtspraxis und höchstrichterlicher Rechtsprechung, 1980. H. C. Fickert, Bundesfernstraßengesetz, 1976. H. C. Fickert, Planfeststellung für den Straßenbau, 1978. H. C. Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1968. E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973. H. Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 1983. A. Germershausen / G. Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, Bd. I, 4. Aufl. 1932, Unveränderter Neudruck 1966. A. Germershausen / G. Seydel / E. A. Marschall, Wegerecht und Wegeverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland und deren Ländern, Bd. II, 5. Aufl. 1961. W. Kentner, Straßenrecht für Baden-Württemberg, 2. Aufl. 1964. K. Kodal, Straßenrecht, 3. Aufl. 1978. E. A. Marschall, Bundesfernstraßengesetz, 4. Aufl. 1977. F. Müller, Straßenverkehrsrecht, Bd. I, 22. Aufl. 1969. G. Nedden / H. Mecke de Swebussin, Handbuch des Niedersächsischen Straßenrechts, 1964. H.-J. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1977. F. Sieder / H. Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegerecht, 2. Aufl. 1972 mit Ergänzungsheft 1975 zur 2. Aufl. W. Weber / K. Stern, Die öffentliche Sache, VVDStRL 21 (1964), S. 145 ff. H. J. Wolff / O. Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., 1974.

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Jürgen Salzwedel

Gesetze Bund: BundesfernstraßenG i. d. Fassung vom 1. Oktober 1974 (BGBl. I, S. 2413) zuletzt geändert am 1. Juni 1980 (BGBl. I, S. 649). G über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs vom 2. März 1951 (BGBl. I, S. 157) i. d. F. v o m 30. August 1971 (BGBl. I, S. 1426). G über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen vom 14. August 1963 (BGBl. I, S. 681) i. d. F. vom 21. März 1971 (BGBl. I, S. 337). StraßenverkehrsG vom 19. Dezember 1952 (BGBl. I, S. 837) zuletzt geändert am 28. Dezember 1982 (BGBl. I, S. 2090). StraßenverkehrsO vom 16. November 1970 (BGBl. I, S. 1565) zuletzt geändert am 28. April 1982 (BGBl. I, S. 564). StraßenverkehrszulassungsO i. d. F. v o m 15. November 1974 (BGBl. I, S. 3193) zuletzt geändert am 15. Mai 1983 (BGBl. I, S. 602). ReichspolizeikostenG v o m 29. April 1940 (RGBl. I, S. 688). Länder: Baden-Württemberg: StraßenG für Baden-Württemberg vom 20. März 1964 (GBl. S. 127) zuletzt geändert am 6. April 1982 (GBl. S. 97). Bayern: Bayerisches Straßen- und WegeG v o m 5. Oktober 1981 (GVB1. S. 448) Berlin: Berliner StraßenG v o m 9. Juni 1964 (GVB1. S. 693) zuletzt geändert am 17. Juni 1969 (GVB1. S. 1030). Bremen: Bremisches Landesstraßengesetz v. 20. Dezember 1976 (GBl. S. 341) zuletzt geändert am 25. Mai 1979 (GBl. S. 195). Hamburg: Hamburgisches WegeG vom 4. April 1961 (GVB1. S. 117) zuletzt geändert am 1. Dezember 1980 (GVB1. S. 358). Hessen: Hessisches StraßenG v o m 9. Oktober 1962 (GVB1. S. 437) zuletzt geändert am 31. Januar 1978 (GVB1. S. 106). Nordrhein-Westfalen: Straßen- und WegeG des Landes Nordrhein-Westfalen v o m 1. August 1983 (GVNW. S. 306). Rheinland-Pfalz: LandstraßenG für Rheinland-Pfalz vom 15. Februar 1963 (GVB1. S. 57), i. d. F. vom 1. August 1977 (GVB1. S. 274). Niedersachsen: Niedersächsisches StraßenG v o m 24. September 1980 (GVB1. S. 359). Saarland: Saarländisches StraßenG v o m 17. Dezember 1964 (ABl. 1965 S. 117) i. d. F. vom 15. Oktober 1977 (ABl. S. 969). Schleswig-Holstein: Straßen- u. WegeG des Landes Schleswig-Holstein vom 22. Juni 1962 (GVB1. S. 237), i. d. F. vom 30. Januar 1979 (GVB1. S. 163). Zeitschriften: Deutsches Autorecht; Internationales Archiv für Verkehrswesen; Verkehrsblatt; Verkehrsrechtliche Mitteilungen; Verkehrsrundschau; Verkehr und Technik; Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht; Umwelt- und Planungsrecht.

Wege- und Verkehrsrecht

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Gliederung I.Grundlagen 1. Begriff und Gegenstand des Wegerechts und des Verkehrsrechts a) Wegerecht b) Verkehrsrecht 2. Straßen und Wege als öffentliche Sache 3. Bundesstraßenrecht und Landesstraßenrecht-Bundesverkehrsrecht a) Zuständigkeit des Bundes b) Zuständigkeit der Länder

618 618 618 618 619 620 620 621

II. Straßenbehörden und Straßenverkehrsämter 1. Straßenaufsichts- und Straßenbaubehörden a) Straßenaufsichtsbehörden b) Straßenbaubehörden 2. Straßenverkehrsämter

622 622 622 623 623

III. Widmung und Einziehung; Umstufung 1. Widmung 2. Einziehung 3. Umstufung

624 624 628 631

IV. Gemeingebrauch und Sondernutzung 1. Gemeingebrauch a) Gemeingebrauch für jedermann b) Anlieger 2. Sondernutzungen a) Erlaubnis b) Gestattung des Wegeigentümers c) Erlaubnis- und gestattungspflichtige Sondernutzungen

632 632 632 636 638 638 639 640

V. Straßenbaulast und andere Pflichten 1. Straßenbaulast 2. Verkehrssicherungspflicht 3. Polizeimäßige Reinigung

641 641 644 646

VI. Planfeststellung und Enteignung 1. Planfeststellung 2. Enteignung

647 647 649

VII. Straßenverkehrsrecht 1. Zulassungswesen 2. Verkehrspolizeiliche Verfügungen 3.Haftung

650 650 652 653

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I. Grundlagen 1. Begriff und Gegenstand des Wegerechts und Verkehrsrechts a) Wegerecht: Unter der herkömmlichen Bezeichnung Wegerecht, die neuerdings vielfach der engeren des Straßenrechts hat weichen müssen, wird die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen zusammengefaßt, die die Rechtsverhältnisse an solchen Straßen, Wegen und Plätzen zum Gegenstand haben, welche dem allgemeinen Verkehr gewidmet sind. Es handelt sich um die rechtliche Ordnung der wichtigsten öffentlichen Sachen, die im Gemeingebrauch stehen. Gemeingebrauch im wegerechtlichen Sinne ist das jedermann zustehende subjektiv-öffentliche Recht, die öffentlichen Straßen, Wege und Plätze im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften zum fließenden oder ruhenden Verkehr in Anspruch zu nehmen. Dazu gehört die Benutzung durch Kraftfahrzeuge, Fahrräder, zu Pferde oder zu Fuß 1 . Die wegerechtliche Ordnung erstreckt sich auf den Straßenkörper, den Luftraum über der Straße und alles Zubehör, welches den Verkehr sichern oder erleichtern oder dem Schutz der Anlieger dienen soll, hier vor allem auch Verkehrsanlagen, Verkehrszeichen und Bepflanzungen 2 . Auch auf Wegen, die nicht dem allgemeinen Verkehr gewidmet und deshalb nicht dem Gemeingebrauch unterworfen sind, kann ein Verkehr stattfinden. Dafür gilt aber kein Wegerecht. Die Verfügung über diese Privatstraßen oder -wege steht dem Eigentümer zu. Nach § 903 BGB kann er damit nach Belieben verfahren und andere von der Benutzung ausschließen. Soweit er den Verkehr duldet, entstehen für diese „tatsächlich öffentlichen Wege" im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums besondere Pflichten 3 . Aber die Straßenaufsichtsbehörde hat nichts damit zu tun, und einen Straßenbaulastträger gibt es nicht. Tatsächlich öffentliche Wege sind die Wirtschafts- und Feldwege, die den Zugang zu ländlichen Grundstücken eröffnen. Ebenso sind die forstfiskalischen Wege hierher zu rechnen. Das gleiche gilt für Wege, die die Zufahrt zu Bahnhöfen erschließen, weithin auch für Bahnhofsvorplätze. Schließlich sind in dieser Gruppe die Uferwege, Wanderwege und Leinpfade zu erwähnen 4 . b) Verkehrsrecht: Das Verkehrsrecht umfaßt die Gesamtheit der öffentlichrechtlichen Rechtsnormen, die solche Fragen des Verkehrs betreffen, welche erst dadurch aufgeworfen werden, daß der Gemeingebrauch auf Straßen u. 1 2 3 4

Vgl. Forsthoff, VwR, S. 380ff.; Wolff/Bachof, VwR I, § 58 IIc 3 ß; § 7 I FStrG. Etwa § 1 IV FStrG; § 2 II StrWG NW; Art. 2 bayer. StrWG. OVG NW DVB1. 1972, 508; für Skipisten OLG München DVB1. 1974, 189. Naunin, Straßen- und Wegerecht, in W. Loschelder / J. Salzwedel, Verfassungsund VerwaltungsR des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 414.

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Wegen von zu vielen Verkehrsteilnehmern zur gleichen Zeit ausgeübt wird. Anders als im Wegerecht geht es also nicht um die individuelle Benutzung an sich, sondern um die Gemeinverträglichkeit der vielen gleichzeitigen Benutzungen. Dem § 7 II 15 PrALR, wonach „der freie Gebrauch der Land- und Heerstraßen einem jeden zum Reisen und Fortbringen seiner Sachen gestattet" war, stand dementsprechend schon der § 25 II 15 PrALR gegenüber: „Den nach § 7 einem jeden freistehenden Gebrauch der Landstraßen muß ein jeder so ausüben, daß der andere in dem gleichmäßigen Gebrauch des Weges nicht gehindert, noch zu Zänkereien oder gar Tätlichkeiten über das Ausweichen Anlaß gegeben werde". Heute steht die Gemeinverträglichkeitsklausel in § 1 StVO, ohne daß ihre Friedensfunktion noch so bildhaft betont würde 5 . Das Verkehrsrecht gilt überall dort, wo aus dem Zusammentreffen zu vieler Verkehrsteilnehmer Gefahren für die Sicherheit oder die Leichtigkeit des Verkehrs entstehen oder entstehen können. Deshalb wird es auch für Privatstraßen und Privatwege verbindlich, sobald der Eigentümer die Benutzung zu Zwecken des Verkehrs duldet 6 . Der Geltungsbereich erstreckt sich also über das Wegerecht hinaus auch auf die reine Eigentümerherrschaft an tatsächlich öffentlichen Wegen. 2. Straßen und Wege als öffentliche Sachen An öffentlichen Straßen und Wegen besteht Eigentum wie an anderen auch. Das Eigentum ist jedoch mit einer öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit belastet, kraft derer der Eigentümer die Benutzung zum Zweck des Verkehrs im Rahmen des Gemeingebrauchs zu dulden hat. Die Dienstbarkeit wird durch Widmung begründet und geht durch Entwidmung (sog. Einziehung) unter; einer Eintragung ins Grundbuch ist sie weder bedürftig noch fähig. Ein Wechsel des Eigentümers läßt die Dienstbarkeit unberührt. Sie geht ipso iure auf den Erwerber über. Ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 936 BGB ist — wie bei allen öffentlichen Lasten — ausgeschlossen7. Der Duldungspflicht des Eigentümers steht die Wegehoheit gegenüber. Sie umfaßt die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Befugnisse, die zum Zweck der Verwirklichung des Widmungszwecks in dem dem Eigentümer entzogenen Herrschaftsbereich ausgeübt werden können. Sie wird durchweg von der Straßenaufsichtsbehörde ausgeübt, wenn die Straße einem Privatmann gehört. Steht das Eigentum dem Bund, einem Land 5

6 7

Vgl. Salzwedel, Gemeingebrauch im Wegerecht und Wasserrecht, ZfW 1962/63, S. 88f.; Evers NJW 1962, 1033ff.; irreführend die Behauptung eines spezifisch wegerechtlichen Prinzips der Gemeinverträglichkeit bei E. R. Huber, DÖV 1955, 133; Wolff/Bachof, VwR I, § 58 IIc 3 ß; Scheuner, Die Gemeinverträglichkeit im Rahmen des Gemeingebrauchs und der Nutzung öffentlicher Sachen, Fs. f. Gieseke, 1958, S. 73 ff. Vgl. J. Floegel / F. Härtung, StraßenverkehrsR, 16. Aufl., § 1 StVO, Anm. 5 mit Nachweisen. A. Germershausen / G. Seydel, Wegerecht und Wegeverwaltung in Preußen, I 4. Aufl. S. 90ff.; Wolff /Bachof, VwR I, § 57 IIb.

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oder einer Gebietskörperschaft innerhalb des Landes zu, so liegt die Wegehoheit weitgehend beim Straßenbaulastträger. Grundsätzlich reicht die Duldungspflicht des Eigentümers nur so weit wie der Gemeingebrauch. Alle Eingriffe darüber hinaus sind von seiner Zustimmung abhängig; vor allem kann er die Zustimmung von einem privatrechtlichen Entgelt abhängig machen, dessen Höhe an sich nur durch das Wucherverbot des § 138 BGB begrenzt ist. Dies gilt aber nur mit zwei Einschränkungen. Zunächst spielt die Reduzierung des Gemeingebrauchs durch die „verkehrsbehördlichen Vorschriften" hier keine Rolle. Ob der Gemeingebrauch mit der Straßenverkehrsordnung vereinbar ist oder nicht, geht den Eigentümer nichts an8. Ferner erstreckt sich die Duldungspflicht auch auf gewerbliche Betätigungen, deren Ausübung bei Gelegenheit und in Anpassung an den fließenden Verkehr sozialadäquat erscheint. Dazu gehört der Verkauf von Zeitungen, auch von beweglichen Verkaufsständen aus9. Die Wegehoheit äußert sich vor allem in der Widmung oder Entwidmung, dem Erlaß einer Inanspruchnahmeverfügung, wenn der Eigentümer oder ein sonst nach bürgerlichem Recht Berechtigter die öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit nicht respektiert10, der Erteilung von Erlaubnissen zur Benutzung über den Gemeingebrauch hinaus, der Konkretisierung gesetzlicher Anpflanzungs- oder Duldungspflichten der Straßenanlieger sowie der Heranziehung des Unterhaltungspflichtigen, wenn er Straße oder Weg nicht von sich aus in den gesetzlich vorgeschriebenen Zustand versetzt. Dagegen sind Ausfluß des Wegeeigentums die Veräußerung oder Belastung der Grundflächen, die Entscheidung über die bürgerlich-rechtliche Gestattung einer Benutzung über den Gemeingebrauch hinaus, welche die Duldungspflicht überschreitet, sowie über die Höhe des dafür zu entrichtenden Entgelts, schließlich die Verfügung über den Erdraum unter dem Straßenkörper, soweit er vom Gemeingebrauch überhaupt nicht berührt wird. In letzter Hinsicht spielt vor allem das Verlegen von Versorgungsleitungen und Pipelines eine wichtige Rolle. 3. Bundesstraßenrecht und Landesstraßenrecht — Bundesverkehrsrecht a) Zuständigkeit des Bundes: Der Bund hat nach Art. 74 Ziff. 22 GG konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen für das Wegerecht an den „Landstraßen des Fernverkehrs" sowie für das gesamte Verkehrsrecht einschließlich des Kraftfahrwesens. Das BundesfernstraßenG regelt nur das Wegerecht an den „Bundesfernstraßen", die ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bilden und einem weiträumigen Verkehr dienen oder zu dienen bestimmt sind; dazu gehören die Bundesautobahnen, die Bundesstraßen und deren Ortsdurchfahrten. Insoweit sind die Länder von der Gesetzgebung ausgeschlossen, wenn nicht aus8 9 10

Vgl. Salzwedel, Gemeingebrauch, a. a. O., S. 90. Vgl. Forsthoff, VwR, S. 395; Kodal, a. a. O., Kap. 24 IX A 1, S. 437 f. A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 426, 506ff.

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drücklich vorgesehen ist, daß sie von bestimmten Regelungen abweichen dürfen 11 . Die Straßengesetze der Länder behandeln das Wegerecht an den sonstigen „Landstraßen des Fernverkehrs" und an denjenigen, die nur einem regionalen oder örtlichen Verkehr dienen. Das Verkehrsrecht ist vor allem in dem StraßenverkehrsG, der StraßenverkehrsO und der StraßenverkehrszulassungsO zusammengefaßt. Insoweit gilt das Kodifikationsprinzip; Landesverkehrsrecht ist unzulässig12. Das gilt auch dann, wenn die Länder eine ihrem Wesen nach verkehrsrechtliche Regelung in ein wegerechtliches Gewand kleiden, z. B. das Dauerparken als Sondernutzung qualifizieren. b) Zuständigkeit der Länder: Da die Länder sich im wesentlichen an einen vereinbarten Musterentwurf gehalten haben, sind die vorstehend behandelten Grundlagen des deutschen Wegerechts kaum angetastet worden. Auch die Einführung des öffentlichen Eigentums im Hamburgischen WegeG bildet keine Ausnahme. Zwar bedeutet dies eine späte Verwirklichung der Lehre von Otto Mayer13, der das domaine public des art. 537 code civil im Wegerecht allgemein etablieren wollte, wenigstens für den Hamburger Raum. Aber auch Otto Mayer hatte es ferngelegen, Straßen und Wege als nicht eigentumsfähig zu betrachten. Nur für den Fall, daß Wegeeigentum und Wegehoheit in einer Hand, also in der Hand einer Gebietskörperschaft vereinigt sind, wollte er das Nebeneinander von bürgerlich-rechtlichen und öffentlich-rechtlichen Beziehungen ausschalten. Öffentliches Eigentum gibt es daher auch in Hamburg nur an „Grundflächen, die als öffentliche Wege gewidmet sind und der Freien und Hansestadt Hamburg gehören" 14 . Die Wirkung beschränkt sich darauf, daß sie dem Rechtsverkehr entzogen und Vorschriften des bürgerlichen Rechts, insbesondere über den Besitz und das Eigentum, unanwendbar sind15.

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So z. B. § 5 IV FStrG. So noch § 45 I StVO a. F. vom 13. November 1937 (RGBl. I, S. 1179) i. d. F. der Bekanntmachung vom 29. März 1956 (BGBl. I, S. 271, 327): „Diese Verordnung ist auf den gesamten Straßenverkehr anzuwenden. Sie enthält . . . die ausschließliche Regelung des Straßenverkehrs." Vgl. Otto Mayer, Dtsches VerwaltungsR II, 2. Aufl. 1919, §§35ff.; Otto Mayer, AöR 16 (1900), S. 38ff.; weitere Hinweise zu Entwicklung und Meinungsstand bei Forsthoff, a. a. O., S. 379. § 4 1 hamb. WG. Salzwedel, Gemeingebrauch, a. a. O., S. 78; Werner Weber, Die öffentliche Sache, W D S t R L 21 (1964), S. 156ff.; vgl. auch BVerfG DÖV 1969, 102; BVerfG NJW 1976, 1835.

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II. Straßenbehörden und Straßenverkehrsämter 1. Straßenaufsichts- und Straßenbaubehörden a) Straßenaufsichtsbehörden: Die Straßenaufsichtsbehörden üben heute nur noch die früheren wegebaupolizeilichen Befugnisse16 gegenüber dem Straßenbaulastträger aus. Sie überwachen die Erfüllung der Verpflichtung, die Straßen in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern17. Die Wegeherrschaft im übrigen wird, sofern die Straßenbaulast Staat, Kreis oder Gemeinden obliegt, von deren Straßenbaubehörden ausgeübt. Nur wenn Eigentum und Unterhaltungspflicht in privater Hand liegen, umfaßt die Straßenaufsicht noch die Wegehoheit in vollem Umfang18. Die Straßenaufsicht ist grundsätzlich Sache des Staates19. Für Bundesstraßen ist in Art. 90 II GG vorgesehen, daß die Länder bzw. die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften die Verwaltung im Auftrag des Bundes führen (Art. 85 GG). Damit ist auch die hoheitliche Straßenaufsicht gemeint. Eigentlich müßten also im allgemeinen die zuständigen Landesminister und in Nordrhein-Westfalen die Direktoren der Landschaftsverbände Straßenaufsichtsbehörde für Bundesstraßen sein. Da aber § 5 I Buchst, b) Ziff. 3 nordrh.-westf. LVerbO den Landschaftsverbänden die Verwaltung der Bundesstraßen wiederum nur „im Auftrag des Landes" überlassen hat, was vielleicht dem Wortlaut, aber jedenfalls nicht dem politischen Sinn der Verfassungsbestimmung widerspricht20, sind die Landesminister allenthalben Straßenaufsichtsbehörden für den Vollzug des Bundesfernstraßengesetzes21. Sie sind ferner Straßenaufsichtsbehörde für den Vollzug des Landesstraßengesetzes an den Landstraßen, die dem Durchgangsverkehr gewidmet sind22. Soweit in den Ländern Mittelbehörden und Landkreise bestehen, ist der Regierungspräsident Aufsichtsbehörde für die Kreisstraßen, die Kreisinstanz Aufsichtsbehörde für die Gemeindestraßen und sonstigen öffentlichen Straßen23. 16

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22 23

Dazu A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 396: „Die Wegebaupolizei hat den Bau und die Unterhaltung der Wege und die Wahrung ihres baulichen Bestandes zum Gegenstand. Eine wegebaupolizeiliche Verfügung als solche kann nur gegen den Wegebaupflichtigen erlassen werden." Vgl. Kodal, a. a. O., Kap. 17 3, S. 291. Vgl. dazu Salzwedel, DÖV 1963, 241 ff. (247). Kodal, a. a. O., Kap. 17, 2, S. 290. So im Ergebnis zutreffend Naunin, a. a. O., S. 426. Vgl. für Nordrhein-Westfalen: §§ 53, 54 StrWG, § 4 VO zur Durchführung des FStrG vom 20. September 1955 (GVB1. S. 849); dazu Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westf., § 54 LStrG Anm. 1. § 54 II Ziff. 1 StrWG NW. § 54 II Ziff. 2 und 3 StrWG NW.

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b) Straßenbaubehörden: Die Straßenbaubehörden sind die zuständigen Verwaltungsorgane der Straßenbaulastträger. Sie sind nur dort staatlich, wo das Land die Straßenbaulast selbst übernommen hat, vor allem also im Regelfall hinsichtlich der Bundesstraßen und der Landstraßen 1. Ordnung. Sonst ist die Straßenbaulast Selbstverwaltungspflichtaufgabe der Gebietskörperschaft. In Nordrhein-Westfalen sind die Direktoren der Landschaftsverbände Straßenbaubehörde für Bundesstraßen und Landstraßen. Im übrigen liegt die Zuständigkeit für die kreisfreien Städte bei den Bürgermeistern oder Oberstadtdirektoren, für die Landkreise bei den Landräten oder Oberkreisdirektoren, für die Gemeinden bei den Bürgermeistern oder Stadt- bzw. Gemeindedirektoren 24 . Die Aufgaben der Straßenbaubehörden sind zweifach. In erster Linie haben sie alle Rechtsgeschäfte und faktischen Arbeiten vorzunehmen, die erforderlich sind, um der gesetzlichen Verpflichtung zum Bau und zur Unterhaltung der Straßen zu genügen. Ferner nehmen sie alle wegehoheitlichen Befugnisse wahr, die nicht der staatlichen Straßenaufsicht vorbehalten sind, sie widmen oder ziehen ein, erlassen Inanspruchnahmeverfügungen, realisieren Anpflanzungs- und Duldungspflichten der Anlieger, erteilen oder widerrufen Sondernutzungen, überwachen die Einhaltung der Auflagen gegenüber Sondernutzungsberechtigten und schreiten gegen solche Benutzungen ein, die illegitimerweise über den Gemeingebrauch hinausgehen. Nur in den Fällen, in denen die Unterhaltungspflicht Privaten obliegt, kommen für diese wegehoheitliche Befugnisse nicht in Betracht 25 . Vielmehr ist dann stets einer Gebietskörperschaft die Kompetenz zum Erlaß der betreffenden Verwaltungsakte vorbehalten, in der Regel der Straßenaufsichtsbehörde 26 . 2. Straßenverkehrsämter Sachlich zuständig zur Ausführung der Straßenverkehrsordnung und der Straßenverkehrszulassungsordnung sind die Straßenverkehrsämter. Nach § 44 I StVO, § 68 I StVZO obliegt es den Behörden der Kreisstufe, für Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu sorgen und die Einhaltung der Zulassungsvorschriften zu überwachen. Da die Straßenverkehrsämter über keinen ausreichenden Vollzugsapparat verfügen, kommen den Polizeibehörden praktisch konkurrierende Eingriffsbefugnisse zu, um illegale Verhaltensweisen im Verkehr oder Zulassungsverstöße zu bekämpfen 27 . Es handelt sich um einen Teil der allgemeinen Gefahrenabwehr. Soweit die Kreisbehörde nicht als untere staatliche Verwaltungsbehörde fungiert, sondern als Selbstverwal24 25 26 27

Wolff/Bachof, VwR I, § 57 IVc 2 y; Kodal, StraßenR, 2. Aufl. 1964, „Straßenverwaltung" S. 714f.; Naunin, a. a. O., S. 426. Fickert, StraßenR in Nordrhein-Westf., § 6 Anm. 2. Vgl. dazu Kodal, StraßenR, 2. Aufl. 1964, „Straßenverwaltung", S. 714f. Vgl. B. Drews / G. Wacke / K. Vogel / W. Martens, a.a.O., S. 86 f.; H. Jagusch, a. a. O., § 44 StVO, Rz. 6.

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tungsbehörde, sind die Aufgaben dem übertragenen Wirkungskreis zuzurech-

III. Widmung und Einziehung; Umstufung Verwaltungsakte, die den Status des öffentlichen Weges begründen, aufheben oder ändern, sind die Widmung, die Einziehung und die Umstufung. 1. Widmung

Die Widmung ist Verwaltungsakt, soweit die Straßenbaubehörde die Rechtswirkungen für oder gegen die Betroffenen willentlich festsetzt, dagegen ein gesetzlicher Tatbestand, soweit Rechtswirkungen nach geltendem Straßenrecht unabhängig vom Inhalt der Verfügung eintreten. Daher ist die Widmung Verwaltungsakt gegenüber dem Eigentümer oder sonst dinglich Berechtigten und gegenüber dem künftigen Träger der Straßenbaulast29. Dagegen bildet sie insofern einen gesetzlichen Tatbestand, als subjektiv-öffentliche Rechte der Anlieger und der Benutzer im Rahmen des Gemeingebrauchs ausgelöst oder Anbauverbote für die Nachbarn begründet werden oder Schadensersatzansprüche aus der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht entstehen30. Die Widmungsverfügung hat vor allem gegenüber dem Eigentümer den Inhalt, seine Sache mit der öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit zu belasten, wonach der Gemeingebrauch künftig geduldet werden muß. Es handelt sich um einen zweiseitigen Verwaltungsakt. Fehlt die Zustimmung oder ist sie unwirksam, kommt schon der äußere Tatbestand der Widmung nicht zustande31. Ist der Straßenbaulastträger schon Eigentümer, bildet die Widmung ein In-SichGeschäft der Straßenbaubehörde. Der Zustimmung des Eigentümers ist nach 28

29

30 31

Auch in Nordrhein-Westfalen, das in Art. 78 Abs. 2 LVerf. die Pflichtaufgaben nach Weisung eingeführt hat, die, solange keine Weisung ergeht, wie eigene Aufgaben der Gemeinde oder des Kreises zu erfüllen sind (Salzwedel, Kommunalrecht, in Loschelder / Salzwedel, a. a. O., S. 229), handeln die Straßenverkehrsämter wie in allen anderen Ordnungsangelegenheiten nicht völlig autonom. Wie hier F. Sieder / H. Zeitler, Bayerisches Straßen- und WegeR, 1972, Art. 6 Anm. 2; wohl auch Marschall, Komm. BFStrG, § 2 Anm. 1.2; Wolff / Bachof, VwR I, § 56 II e 2; Heiss/Hablitzel, DVB1. 1976, 93. Dazu näher unten V 2. Nicht einmal die Nichtigkeitslehre kommt danach zur Anwendung. Wie hier Heiß / Hablitzel DVB1. 1976, 93, 95. Für Nichtigkeit Forsthoff, VwR, S. 386; Zippelius, DÖV 58, 845. Nach vordringender Auffassung soll dagegen die Zustimmung des Wegeeigentümers lediglich Rechtmäßigkeitsvoraussetzung sein. Die Widmung müßte dann vom Eigentümer erst angefochten werden; so BayObLG DÖV 1961, 832; Wolff/ Bachof, VwR I, § 56 IV a; Marschall, Komm. § 2 Anm. 2.3; Kodal, a. a. O., Kap. 7 II 3, S. 157.

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§ 2 II FStrG die vertragliche Besitzüberlassung gleichgestellt, vornehmlich in Zusammenhang mit Erwerbsverhandlungen vor Baubeginn 32 . Wie die Zustimmung muß die Besitzüberlassung unbedingt und unwiderruflich erklärt sein. Konkludentes Verhalten genügt, Formen sind nicht vorgeschrieben. Bleibt der Eigentümer ganz ablehnend, muß der Straßenbaulastträger an sich die Enteignung betreiben und den zwangsweisen Eigentumserwerb abwarten. Die Straßengesetze lassen als Grundlage der Widmung aber auch die vorläufige Besitzeinweisung genügen, die die Enteignungsbehörde auf Antrag des Straßenbaulastträgers verfügt 33 . Wenn die Straßenbaubehörde zum Erlaß der Widmungsverfügung zuständig ist, beruhen das Einverständnis des Straßenbaulastträgers mit der Übernahme der Unterhaltungslast und die Entstehung dieser Unterhaltungslast wieder auf einem bloßen In-Sich-Geschäft. Erläßt die Straßenaufsichtsbehörde die Widmung gegenüber einem privaten Unterhaltungspflichtigen, so ist jedoch ein zweiseitiger Verwaltungsakt erforderlich; ohne wirksame Zustimmung bleibt die Unterhaltungsfrage ungeregelt, und dieser Umstand steht der Entstehung einer öffentlichen Sache absolut entgegen34. Das gleiche gilt, wenn die Straßenbaubehörde eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Unterhaltungslast für eine Straße oder einen Teil der Straße bedenken will. Die Verfügung setzt dann voraus, daß die übernehmende Körperschaft der Belastung - etwa auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages — zustimmt und daß diese Zustimmung wirksam ist. Daran fehlt es an sich, wenn von der gesetzlichen Regelung der Straßenbaulast abgewichen wird. Allerdings enthalten die Straßengesetze eine Reihe von besonderen Ermächtigungen, solche öffentlich-rechtlichen Verträge zu schließen35. Während in Preußen die Wegepolizeibehörde an dem Zustandekommen der Widmung beteiligt war36 und nach § 6 I S. 1 schlesw.-holst. LStrG auch heute noch die Zustimmung der Straßenaufsichtsbehörde erforderlich ist, 32

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Ebenso § 5 I bad.-württ. StrG; Art. 6 III bayer. StrWG; § 6 V StrWG NW; § 4 II hess. StrG; dazu näher etwa Zimniok, Komm, zum bayer. Straßen- und WegeG, Anm. 12 u. 13 zu Art. 6. § 18f I FStrG; PrOVG 32, 210; 38, 242. A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 5; Kodal, a. a. O., Kap. 7 II 1, S. 152. § 12 Abs. 2 hamb. WegeG; § 45 I StrWG NW; Art. 44 I bayer. StrWG. A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 4, 393f.; „Wenn auch die dem Bedürfnis entsprechende Bereitstellung und Erhaltung des Weges für den öffentlichen Verkehr in erster Linie Sache des Wegebaupflichtigen ist, und demgemäß die Wegepolizeibehörde ein Hand-in-Hand-Gehen mit ihm sich angelegen sein lassen muß, so steht doch die entscheidende Bestimmung überall der Wegepolizeibehörde vorbehaltlich der Rechtskontrolle nach ihrem Ermessen zu. Ohne deren mindestens stillschweigende Mitwirkung kann — abgesehen von den in den Gesetzen vorgesehenen Ausnahmefällen — rechtswirksam ein öffentlicher Weg weder angelegt noch in seiner Lage, seinem Bestände und seinen wesentlichen Einrichtungen verändert werden und kann rechtswirksam nichts an dem Wege geschehen, was geeignet wäre, seinen Bestand oder die Bedürfnisse des Verkehrs, dessen Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit nachteilig zu beeinflussen. Ihre Bestimmung ist entscheidend

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sind die Straßenbaulastträger sonst von Staat und Straßenaufsicht unabhängig, wenn sie öffentliche Straßen schaffen. Die Straßenaufsichtsbehörde kann indes schon während des Widmungsverfahrens intervenieren, wenn sie den weiteren Ausbau des Straßennetzes in der geplanten Weise für rechtswidrig hält. Ob auch ein repressives Einschreiten aus Zweckmäßigkeitserwägungen zulässig ist, hängt davon ab, ob der Straßenbaulastträger Selbstverwaltungskörperschaft ist und ob der Straßenbau zum eigenen Wirkungskreis gehört. Landschaftsverbände, Landkreise, Städte und Gemeinden handeln hier in eigener Sache und weisungsfrei. Da die Länder die Bundesstraßen nach Art. 90 GG nur im Auftrag des Bundes verwalten, konnte § 2 VI FStrG Widmungsverfügungen der obersten Landesstraßenbaubehörde vom Einverständnis des Bundesministers für Verkehr abhängig machen. Das hat indes nicht unmittelbar etwas mit der Straßenaufsicht zu tun 37 , weil diese auch von den Ländern wahrgenommen wird. Die übliche Kennzeichnung der Widmung als adressatloser Verwaltungsakt 38 ist unzutreffend. Sie ist zumindest belastender Verwaltungsakt gegenüber Eigentümer und Unterhaltungspflichtigem und deshalb ohne Adresse nicht denkbar. Stillschweigende Widmungen werden nicht mehr anerkannt. Nach den neueren Straßengesetzen ist jede Widmung öffentlich bekanntzumachen, ortsüblich oder durch Veröffentlichung in einem Amtsblatt 39 . Die Bekanntmachung ersetzt notfalls die Verfügung an Eigentümer und Unterhaltungspflichtigen. Sind andererseits diese Hauptbetroffenen förmlich angesprochen, ohne daß die Bekanntmachung ordnungsgemäß erfolgt wäre, dürfte die Widmung von der Verkehrsübergabe ab wirksam sein. Die Publikation soll lediglich für diejenigen, die von den unmittelbar gesetzlichen Wirkungen betroffen sind, die Möglichkeit der Kenntnisnahme gewährleisten. Inhalt der Widmungsverfügung ist, welche Straße der öffentlichen Zweckbestimmung unterstellt und in welche Straßenklasse sie eingestuft wird sowie welche Benutzungsarten (Kraftfahrzeug) welchem Benutzerkreis (z. B. nur Besucher von Friedhöfen, Schulen) eröffnet werden. Beschränkt-öffentliche Wege dürfen nicht die Allgemeinheit der Benutzung in Frage stellen —

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für die Art der Anlegung und Einrichtung des Weges, insbesondere auch für Einteilung in Fahrdamm, Fußweg (Bürgersteig), Grünanlagen usw. Der Wegebaupflichtige bedarf zwar nicht zu jeder von ihm für notwendig oder zweckmäßig erachteten Unterhaltungsmaßnahme, auch wenn diese mit einer Änderung der Wegekonstruktion oder Einrichtung verbunden ist, einer Genehmigung der Wegepolizeibehörde; er setzt sich aber deren Eingriff aus, wenn seine Maßnahmen nicht genügen oder den Verkehr erschweren." - Vgl. Kodal, a. a. O., Kap. 7 II 1, S. 149. Ebenso Naunin, a. a. O., S. 427. Forsthoff, VwR, S. 384; Wolff/ Bachof VwR I, § 56 II e 2; differenzierend: Kodal, a. a. O., Kap. 7 II 3, S. 155; Maunz, Hauptprobleme des öffentlichen Sachenrechts, 1933, S. 219, versteht die Widmung als „Mantelrechtsgeschäft"; Stern, VVDStRL 21 (1964), S. 198, als Organisationsakt. Z. B. § 2 VI FStrG; § 5 IV bad.-württ. StrG; Art. 6 IV bayer. StrWG; § 4 II hess. StrG; § 6 I 2 StrWG NW.

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grundsätzlich muß jedermann den Weg gebrauchen können, der sich mittels zugelassener Benutzungsart einem zugelassenen Benutzungszweck zuwenden will. Illegitime Einschränkungen gelten als nicht geschrieben40. Von wegerechtlichen Einschränkungen in der Widmung, die die Benutzung der Straße schlechthin betreffen, sind solche zu unterscheiden, die das Verkehrsrecht vorschreibt oder zuläßt, um der Benutzung der Straße durch zu viele und zu gleicher Zeit zu begegnen. Solche verkehrsrechtlichen Regelungen gehören nicht in die Widmungsverfügung. Andererseits brauchen die wegerechtlichen Schranken der Widmung nicht durch Beschilderung kenntlich gemacht zu werden. Es genügt, wenn sie sich aus der Anlage des Weges, der Beschaffenheit des Wegekörpers oder der allgemeinen Benutzungsusance erschließen lassen41. Zu dem Rechtsgeschäft der Widmung muß die faktische Indienststellung der Straße treten, um die behördlich festgesetzten und die gesetzlichen Rechtswirkungen zur Entfaltung kommen zu lassen42. Hinsichtlich einer Straße, die dem Verkehr nicht wirklich übergeben worden ist, lassen sich keine wegerechtlichen Rechtsfolgen geltend machen: der Eigentümer braucht nichts zu dulden, der Unterhaltungspflichtige nichts zu bauen, niemand ist „Anlieger" und Gemeingebrauch gibt es auch noch nicht. Die umstrittene Frage43, ob eine fehlerhafte Widmung nichtig oder nur anfechtbar sei, insbesondere bei fehlender Zustimmung des Eigentümers oder des Unterhaltungspflichtigen, führt am Problem vorbei. Einerseits folgt aus der Lehre vom zweiseitigen Verwaltungsakt, daß er, einseitig erklärt, keine Rechtswirkungen erzeugt. Andererseits wird man eine Lehre vom „faktischen Straßenrechtsverhältnis" anerkennen müssen, wonach eine voll ausgebaute und dem Verkehr übergebene Straße wie eine rechtmäßig und wirksam gewidmete behandelt werden muß. Die Mängel des Entstehungsaktes der öffentlichen Sache können hier nicht mehr geltend gemacht werden 44 , um alle öffentlichen Investitionen wieder rückgängig zu machen, sondern nur, um Entschädigungsansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff zu begründen. Andere Möglichkeiten, öffentliche Straßen zu schaffen, gibt es grundsätzlich nicht. Sollen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages benachbarter Gebietskörperschaften Widmungen ausgesprochen werden, sind Verfahren und Voraussetzungen nach dem jeweiligen Straßenrecht verbindlich. Die Eintragung in das Straßenverzeichnis hat heute keine rechtsbegründende

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Kodal. a. a. O., Kap. 7 I 2, S. 147. OLG Nürnberg Verk.Mitt. 1962, S. 21; BGH BB 1958, 97. Forsthoff, VwR, S. 387; Wolff/Bachof, VwR I, §56 III; bad.-württ. VGH Verw.Rspr. 13, 104. Vgl. die Nachweise in Fußn. 31. Vgl. die Parallele in § 7 Erste WasserverbandsVO: „Das Bestehen des Wasser- und Bodenverbandes kann nicht mit der Begründung angefochten werden, daß eine Voraussetzung des Erlasses der Satzung nicht vorgelegen habe."

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Wirkung mehr 45 . Die sog. Widmung kraft unvordenklicher Verjährung 46 ist nicht mehr als eine praesumtio iuris et de iure, wonach ein Weg, der von den Beteiligten über einen langen Zeitraum hinweg als öffentlicher Weg behandelt worden ist, als irgendwann ordnungsmäßig gewidmet gilt. Nach Aufstellung der Straßenverzeichnisse ist dafür künftig ohnehin kein Raum mehr, weil die darin aufgenommenen Straßen als öffentliche anzusehen sind, alle anderen als nicht-öffentliche. Planfeststellungsverfahren können die Verlegung öffentlicher Wege einschließen, d. h. die Einziehung des vorhandenen mit der Widmung eines neuen verbinden. Aber darin liegt keine Besonderheit, weil der Planfeststellungsbeschlüß — z. B. der nach den Straßen- oder Eisenbahngesetzen — ohnehin alle nach anderen Rechtsvorschriften erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Zustimmungen ersetzt, also auch Widmungen. In materieller Hinsicht müssen in diesem Verfahren zudem die gleichen Voraussetzungen erfüllt sein wie sonst auch. Vor allem sind die Zustimmungserklärungen des Eigentümers und Wegeunterhaltungspflichtigen unerläßlich. Nach § 6 V schlesw.-holst. LStrG gelten die bei einer Verbreiterung, Begradigung oder Ergänzung einer Straße hinzukommenden Straßenteile mit der „Überlassung für den öffentlichen Verkehr", also mit der faktischen Indienststellung als gewidmet, sofern die materiellen Voraussetzungen der Widmung vorliegen. Praktisch werden damit nur konkludente Widmungserklärungen als wirksam anerkannt, die für das Publikum erkennbar und eindeutig sind, und Publikationserfordernisse fallengelassen 47 . 2. Einziehung Die Einziehung ist insofern actus contrarius der Widmung, als sie die öffentliche Zweckbestimmung der Straße wieder ganz oder teilweise beseitigt. Die Volleinziehung läßt die öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit untergehen, die auf dem privaten Eigentum an der Straße lastet; es entsteht eine Privatstraße. Die Teileinziehung schränkt den Inhalt der Dienstbarkeit ein, z. B. die zugelassenen Benutzungsarten oder den Benutzerkreis, so daß sich die Duldungspflicht des Eigentümers vermindert. Die Einziehung ist also begünstigender Verwaltungsakt gegenüber dem Eigentümer. Gleichzeitig wird die Unterhaltungslast aufgehoben oder dadurch verringert, daß die Straße künftig nur in einen dem reduzierten Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand versetzt zu werden braucht. Die Einziehung ist also begünstigender Verwaltungsakt gegenüber dem Straßenbaulastträger. Es handelt sich aber nicht um einen zweiseitigen Verwaltungsakt, weil weder Eigentümer noch Unterhaltungspflichtiger in ihren Rechten betroffen sein können; für eine Zustimmung ist also kein Raum, erst recht nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung. Die 45 46 47

Früher § 2 DVO zum StraßenregelungsG vom 7. Dezember 1934 (RGBl. I, S. 1237); vgl. Kodal, a. a. O., Kap. 7 III 6, S. 161; Kap. 11 I 1, S. 204. Vgl. A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 14 zu diesen sog. „alten Wegen". Dazu Kodal, a. a. O., Kap. 7 III 4, S. 159 f.

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Schwierigkeit liegt darin, daß die Einziehung vor allem die unmittelbar gesetzlichen Rechtswirkungen berührt, die mit der Widmung zugunsten oder zu Lasten Dritter eingetreten waren. Ihre rechtliche Ausgestaltung muß deshalb in erster Linie den Eingriffen Rechnung tragen, die die kraft Gesetzes entstandenen Rechte Dritter zum Gegenstand haben. Der Einwand, wenn Rechte kraft Gesetzes mit der Widmung entstanden seien, könnten sie auch kraft Gesetzes mit der Entwidmung entfallen, ohne daß dieser Eingriff zum Inhalt des Verwaltungsaktes gemacht zu werden brauchte, verschlägt nicht. Denn gerade weil die Einziehung in erster Linie wohlerworbene Rechte Dritter zum Untergang verurteilt, muß der Wille der Einziehungsbehörde auf jeden einzelnen Eingriff dieser Art gerichtet sein und die gesetzliche Ermächtigung den Rechtsverlust gegenüber jedem einzelnen Betroffenen rechtfertigen 48 . Dabei liegt ein bewußter oder gezielter Eingriff zumindest gegenüber den Anliegern vor, die den Zugang zur öffentlichen Straße verlieren49. Das gleiche gilt für die Inhaber von Sondernutzungsrechten, weil diese, ohne daß ein besonderer Widerruf der Erlaubnis erforderlich wäre, mit der Einziehung als solche erlöschen50. Die Gemeingebrauchsberechtigten zählen an sich nicht. Ein Recht auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs an bestimmten öffentlichen Straßen besteht nicht51. Immerhin hat das Gesetz auch die Interessen dieser Betroffenen im Einziehungsverfahren berücksichtigt. Die Einziehung muß mindestens drei Monate vorher in öffentlicher Bekanntmachung angekündigt sein. Jedermann ist zur Erhebung von Einwendungen zugelassen. Die Einziehung selbst ist wieder öffentlich bekanntzugeben 52 . Die Einziehung ist also Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, begünstigend gegenüber Eigentümer und Straßenbaulastträger, belastend zumindest gegenüber Anliegern und Sondernutzungsberechtigten, vielleicht auch gegenüber denjenigen, die sonst mit ihren Einwendungen im öffentlichen Verfahren unberücksichtigt gelassen worden sind, oder sogar denjenigen, denen wegen irgendwelcher Verfahrensfehler die Gelegenheit, Einwendungen zu erheben, abgeschnitten worden ist. Jedenfalls bei schweren und unerträglichen Belastungen dürfte insoweit die verfahrensrechtliche Seite der Grundrechte tan48 49

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Vgl. Kodal, a. a. O., Kap. 10, 3, S. 200ff. Das kommt zumindest darin zum Ausdruck, daß sie wegen des enteignungsgleichen Eingriffs und des Sonderopfers entschädigt werden müssen; vgl. unten Fußn. 73, 74. Vgl. Kodal, a. a. O., Kap. 10 I 2, S. 197 f., der jedoch die Ansicht vertritt, daß unwiderrufliche Sondernutzungen nach ihrem Erlöschen als Nutzungen in irgendeiner Rechtsgestalt erhalten bleiben müssen. Vgl. § 14a II StrWG NW: „Den Straßenanliegern (§ 14a I) steht kein Anspruch darauf zu, daß die Straße nicht verändert oder nicht eingezogen wird." Das gilt naturgemäß erst recht für alle anderen. Vgl. für das Preuß. Recht A. Germershausen / G. Seydet, a.a.O., S. 517 ff.; dazu auch OVG NW DÖV 1962, 73 (eine fehlerhafte Bekanntmachung läßt sich auch nicht im Einwendungsverfahren heilen); für das heutige Kodal, a. a. O., Kap. 10 II 2, S. 200.

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giert sein. Soweit die Einziehung belastet und die Adressaten in ihren Rechten verletzt sein können, muß auf Widerspruch und Anfechtungsklage hin vom Verwaltungsgericht nachgeprüft werden, ob die formellen und materiellen Eingriffsvoraussetzungen vorgelegen haben 53 . Die noch aus früherem Recht fortwirkende Vorstellung, diese formellen und materiellen Tatbestandsmerkmale seien von absolutem Gehalt und nachprüfbar ohne Rücksicht darauf, wer jeweils klagt, dürfte indes nicht mehr zutreffen. Jedermann hat ein Recht darauf, daß die Einziehung in dem vorgeschriebenen förmlichen Verfahren erfolgt — die Einziehung ist also stets dann aufzuheben, wenn die Ankündigung nicht oder nicht rechtzeitig vorgenommen worden ist. Wer etwa als bisher Gemeingebrauchsberechtigter Einwendungen erhoben hat und damit ohne Erfolg blieb, hat nur ein Recht darauf, daß materiell irgendein vernünftiges öffentliches Interesse hinter der Zurückweisung seiner Einwendungen steht — eine lediglich auf Privatinteressen gegründete Einziehung könnte auf diesem Wege beseitigt werden54. Klagt ein bisher Sondernutzungsberechtigter, dessen Erlaubnis auf Widerruf erteilt war, ist seine Rechtsposition kaum stärker. War die Erlaubnis auf Zeit erteilt, muß das hinter der Einziehung stehende öffentliche Interesse schon ein größeres Gewicht haben, um sein subjektiv-öffentliches Recht zu verdrängen — ganz abgesehen davon, daß er Entschädigung verlangen kann. Das Zugangsrecht der Anlieger, die nicht durch anderweitige Verbindung zum Straßennetz zufriedengestellt werden können, ist am schwersten zu überwinden, zumal der Straßenbaubehörde hier in der Regel eine geschlossene Gruppe gegenübersteht, die ein kollektives Interesse an der Beibehaltung des status quo zusammenfaßt 548 . Auf Anfechtungsklage hin muß der Straßenbaulastträger dartun, daß das konkrete öffentliche Interesse an der Durchführung neuer Bebauungspläne oder der Erleichterung der Straßenbaulast oder der Strukturverbesserung oder der Förderung volkswirtschaftlich wichtiger Privatunternehmen höheren Rang beanspruchen kann als das kollektive Interesse der Anlieger an der Aufrechterhaltung des Zugangs. Alles dies zeigt, daß das Verwaltungsgericht durchaus differenziert entscheiden muß je nachdem, wer Anfechtungsklage erhoben hat. 53

So schon nach Preuß. Recht; vgl. A. Germershausen / G. Seydel, S. 528ff., wonach „die Klage in vollem Umfang den Charakter einer Popularklage" hatte. Enger: OVG Niedersachsen/Schleswig-Holstein, DVB1 1967, 922 (nur Anlieger im engsten Sinne; gesteigerter Gemeingebrauch reicht nicht aus); das BVerwG sieht einen weiteren Anliegerbegriff (DÖV 1969, 722), der dem des gesteigerten Gemeingebrauchs nahekommt (ganz weit: Hess. VGH DÖV 1963, 708). 54 Nur insoweit, als Verfahrensmängel oder das Fehlen eines öffentlichen Einziehungsinteresses gerügt werden, kann auch heute noch von einer Popularklage gesprochen werden; a. A.: Niedersachsen/Schleswig-Holstein, DVB1 1967, 922. 54a Klagebefugnis bejaht in: BVerwG DÖV 1969, 722; OVG Rh-P. DÖV 1955, 510; OVG Niedersachsen / Schleswig-Holstein, VkBl. 1967, 615; Hess. VGH DÖV 1963, 708; für die besondere Problematik der Fußgängerzonen: BVerwG MDR 1975, 430.

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Die Einziehung ist gegenüber den genannten Inhabern von Rechten oder sonst geschützten Positionen voll rechtsgebunden, wenn auch die Schranken unterschiedliche Höhe aufweisen. Demnach hängt die Zulässigkeit der Einziehung insgesamt letztlich davon ab, ob auch der Widerstand der Inhaber der stärksten Rechtsposition überwunden werden kann, welche jeweils auf Zementierung des status quo gerichtet ist. Liegen die Eingriffsvoraussetzungen vor, hat die Straßenbaubehörde Ermessen, ob sie einzieht oder nicht. In manchen Fällen ist sie objektiv-rechtlich — also gewissermaßen gegenüber der Straßenaufsichtsbehörde — verpflichtet, die Straße zu „privatisieren", z. B. weil diese jede Verkehrsbedeutung verloren hat oder überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls dafür sprechen (§ 2 IV FStrG). Niemals dürfte sich indes daraus eine Verpflichtung gegenüber Dritten ergeben 55 . Aus der Ermächtigung zur Einziehung folgt die Zulässigkeit einer Teileinziehung. Dabei handelt es sich um die teilweise vorgenommene Entwidmung mit dem Ziel, den Gemeingebrauch hinsichtlich der Benutzungsarten oder des Benutzerkreises einzuschränken. Die größte Bedeutung kommt der Teileinziehung heute bei der Schaffung von Fußgängerzonen in den Stadtzentren zu. Die Städte gehen dabei bald den Weg der sog. verkehrsrechtlichen Lösung — durch Verkehrsbeschränkungen nach § 45 I StVO —, bald den der straßenrechtlichen Lösung — Teileinziehung —, bald den einer Koordination der einen mit der anderen. Daneben kommt der Ausweisung von Verkehrsflächen im Bebauungsplan nach § 9 Ziff. 3 BBauG nur vorbereitende Funktion zu. Eine Festlegung auf eine Lösung ist kaum möglich; entscheidend ist zumeist die Regelung der Zufahrtsverhältnisse gegenüber vorhandenen Anliegern. Bei der Teileinziehung muß ihr Sonderstatus durch Sondernutzungen abgesichert werden 56 . 3. Umstufung Die Umstufung ändert nichts an dem Charakter der öffentlichen Straße, weist diese vielmehr in eine höhere (Aufstufung) oder niedrigere Straßenklasse (Abstufung) ein. Wenn sich auch die Straßenklasse nach der Widmung richtet, so verpflichten die Straßengesetze doch dazu, die Einordnung der jeweiligen wirklichen Verkehrsbedeutung anzupassen. Die Straßenaufsichtsbehörde setzt die gesetzliche Verpflichtung zur Umstufung durch, indem sie der Straßenbaubehörde die Vornahme aufgibt; teilweise ist sie selbst dafür zuständig, gegenüber den beteiligten Straßenbaulastträgern die Neuregelung zu treffen 57 . Straßenklassen sind: Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Landstra55 56

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Marschall, Komm. §2 Anm. 6.5: „Es besteht auch kein Rechtsanspruch Privater auf Einziehung eines Weges (Popularklage)." Vgl. zur Einrichtung von Fußgängerzonen Sendler, DÖV 1974, 217, 221; Kolb, Bay. VB1. 1973, S. 230; K. D. Becker, NJW 1972, 804; Wendrich, DVB1. 1973, 475; VG Köln NJW 1971, 1478; Bay. VGH DVB1. 1973, 508; Hess. VGH DVB1. 1973, 510; OVG NW DÖV 1971, 103; Löwer, Staats- u. Kommunalverwaltung 1976, 327, 328; Kodal, a.a.O., Kap. 10 I 1, S. 194. Kodal, a. a. O., Kap. 9 III, S. 187.

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ßen 1. Ordnung, Landstraßen 2. Ordnung oder Kreisstraßen, Gemeindestraßen, sonstige öffentliche Straßen. Umstufungen innerhalb einer Straßenklasse, etwa innerhalb der Gemeindestraße zwischen Gemeindeverbindungsstraßen und Ortsstraßen, kommen in Betracht, wenn damit andere Rechtswirkungen eintreten, z. B. wenn der Umfang der Anbauverbote differiert oder die zugelassene Benutzungsart oder der Benutzerkreis58. Inhalt der Umstufungsverfügung ist an sich nicht die Entlastung des bisherigen und die Verpflichtung des neuen Straßenbaulastträgers, zumal ein Wechsel nicht stattzufinden braucht, noch ist Inhalt die Herbeiführung der Rechtsfolgen, die sonst kraft Gesetzes eintreten: neue Zuständigkeiten für die Straßenaufsicht, gesetzlicher Eigentumsübergang mit dem Wechsel der Straßenbaulast (§6 1 FStrG), Eingreifen anderer Anbau- oder Anpflanzungsvorschriften für Anlieger, Änderung von Benutzungsart oder Benutzungskreis, Wechsel der Passivlegitimation für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Vielmehr setzt die Umstufung nur konstitutiv die neue gesetzesgemäße Klassifizierung oder Unter-Klassifizierung fest; alles andere ist normative Folge. Es handelt sich jedoch dennoch um einen belastenden Verwaltungsakt gegenüber dem alten und gegenüber dem neuen Straßenbaulastträger, wenn ein solcher Wechsel eintritt. Diese Primärrechtsfolge ist zugleich gewollt. Dagegen dürften alle anderen Rechtswirkungen sekundär sein; sie werden nicht gegenüber den Betroffenen festgesetzt59. Eine Ausnahme könnte eingreifen, wenn die Umstufung die Benutzungsarten oder den Benutzerkreis verengt. Aber in diesen Fällen wird sie ohnehin mit einem Einziehungsverfahren gekoppelt werden müssen. Auf das nur dort vorgeschriebene öffentliche Verfahren kann nicht verzichtet werden60. Deshalb kann die Umstufung selbst nur von den beteiligten Straßenbaulastträgern angefochten werden, wenn ein Wechsel eingetreten ist, sonst nicht. Daß sie öffentlich bekanntzumachen ist, ändert daran nichts.

IV. Gemeingebrauch und Sondernutzung60* 1. Gemeingebrauch a) Gemeingebrauch für jedermann: Wegerechtlicher Gemeingebrauch ist das jedermann gewährte subjektiv-öffentliche Recht, die öffentlichen Wege ohne besondere Zulassung im Rahmen der Widmung zu Zwecken des Verkehrs un58

Kodal, a. a. O., Kap. 9 I 2, S. 178. Die h. L. entzieht sich mit der Kennzeichnung auch der Umstufung als adressatlosen Verwaltungsakt allen Schwierigkeiten; differenzierend Kodal, a.a.O., Kap. 9 III 3, S. 188f.; anders offenbar — wie bei der Widmung — Marschall, Komm. § 2 Anm. 4.3, 5.1. 60 So zutreffend Kodal, a. a. O., Kap. 9 I 2, S. 178. 60a Zur Abgrenzung allgemein: vgl. Meissner, JA 1980, 583, und Thiele, DVB1. 1980, 977; BVerwG NJW 1979, 440. 59

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entgeltlich zu benutzen. Die neueren Straßengesetze haben diesen wegerechtlichen Gemeingebrauch noch zum individuellen durchgefiltert, indem sie ihn auch nur „im Rahmen der verkehrsbehördlichen Vorschriften" anerkannt haben 61 . Das ist nützlich, weil nun jedermann wirklich weiß, was er auf den Straßen tun und lassen darf, aber zugleich irreführend, weil es scheinbar das ganze Verkehrsrecht in das Wegerecht inkorporiert. Demgegenüber muß betont werden, daß die Überschreitung der verkehrsbehördlichen Vorschriften auch nur verkehrsrechtliche Sanktionen auslöst, keine wegerechtlichen. Insbesondere ist eine Benutzung der Straße, die verkehrswidrig ist, weil man so tut, als gäbe es nur einen Verkehrsteilnehmer zur gleichen Zeit an gleicher Stelle, kein wegerechtlicher „Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinaus", also keine Sondernutzung 62 . Dadurch, daß das Benutzungsrecht ohne besondere Zulassung gewährt ist, unterscheidet sich der Gemeingebrauch an öffentlichen Sachen von der Anstaltsnutzung. Während hier eine unmittelbar dingliche Inanspruchnahme möglich ist, hat der Einwohner einer Gemeinde nur einen obligatorischen Anspruch darauf, durch ausdrücklichen oder konkludenten begünstigenden Verwaltungsakt zur Benutzung der öffentlichen Einrichtungen zugelassen zu werden 63 . Deshalb ist das Straßenwesen kein Zweig der Anstaltsnutzung und Leistungsverwaltung 64 . Vielmehr ist es Eingriffsverwaltung, wenn jemandem der Zugang zu öffentlichen Straßen verwehrt wird, und der Eingriff ist unzulässig, wenn er nicht von der Widmung her zu rechtfertigen ist. Die Unentgeltlichkeit des Gemeingebrauchs ist kein naturrechtliches Prinzip. Aber es bedürfte eines förmlichen Gesetzes, um Straßenbenutzungsgebühren zu erheben. Deshalb konnten Parkuhren, die nur durch Münzen in Betrieb gesetzt werden können, erst auf Grund der Ermächtigung in § 16 III StVO alter Fassung (1956, BGBl. I S. 271, 327) - heute § 13 I StVO - aufgestellt werden 65 . Da die Straßen für den fließenden wie für den ruhenden Ver61 62 63 64

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Vgl. dazu Salzwedel, Gemeingebrauch, a.a.O., S. 73 ff.; Salzwedel, DÖV 1963, 244f.; Wolff/Bachof, VwR'l, § 58 II c 3 ß; BVerwGE 4, 342. So auch Kodal, a. a. O., Kap. 24 III 2, S. 409f. Vgl. Salzwedel, KommunalR, a. a. O., S. 241 f.; Salzwedel, DÖV 1963, 241 ff. Salzwedel, DÖV 1963, 242f., gegen Werner Weber, WDStRL 21 (1964), S. 174ff„ der den Gemeingebrauch jedenfalls an Bundesautobahnen, Kanälen usw. eher als eine „archaische Form der Benutzung öffentlicher Sachen" versteht, die sich z. T. schon in Anstaltsnutzung umgewandelt habe, z. T. auf dem Wege dahin sei. Dazu ist anzumerken, daß die anstaltliche Deutung im alten preußischen Recht dominierte: so A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 3: „ . . . sind die öffentlichen Wege polizeiliche Anstalten und als solche im weitesten Maße der Verfügungsgewalt der Polizeibehörde unterworfen." Gerade die moderne Entwicklung drängte zum Gemeingebrauch als subjektiv-öffentliches Recht. Das BVerwG hat in BVerwGE 47, 280 (286) die Frage eindeutig offengelassen. Unzutreffend daher Steinberg, NJW 1978, 1898 (1899). Vgl. H. Jagusch, a. a. O., § 13 StVO Rz. 10 mit Nachweisen; Hans Peters, Parkometergebühr durch Verwaltungsanordnung? Fs. f. Jellinek, 1955, S. 583. Vgl. dagegen Urteil des VGH Bad.-Württ., DÖV 1978, 178, das die Erhebung einer Gebühr

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kehr gewidmet sind, fällt auch längeres Parken unter den Gemeingebrauch und damit an sich unter die Gebührenfreiheit 66 . Auch für den Bau oder die Inanspruchnahme von Haltestellenbuchten konnten den Omnibus- oder Obusunternehmungen keine Gebühren abverlangt werden. Denn auch der ruhende Verkehr von Linienfahrzeugen ist gemeingebräuchlich. Die verkehrsrechtliche Regelung des § 12 III Ziff. 4 StVO, wonach das Parken 15 m vor und hinter den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel verboten ist, ändert nichts daran, daß wegerechtlich auch dort der ruhende Verkehr für jedermann zugelassen ist, für Kraftfahrzeuge des Linienverkehrs ebenso wie für andere 67 . Von dem subjektiv-öffentlichen Recht, gewidmete Straßen ohne besondere Zulassung unentgeltlich zu benutzen 68 , ist nicht das Recht darauf umfaßt, daß die vorhandenen Straßen als öffentliche aufrechtzuerhalten sind. Die Gemeingebrauchsberechtigten haben lediglich einen Anspruch darauf, daß bei der Einziehung das förmliche Verfahren beachtet wird und daß ein öffentliches Interesse hinter der Zurückweisung ihrer Einwendungen erkennbar sein muß. Erst recht gibt es keinen Anspruch darauf, bestimmte öffentliche Straßen zu bauen, zu widmen, dem Verkehr zu übergeben. Es fragt sich, wieweit Grundrechte das Wegerecht in dieser Hinsicht absichern oder sogar zusätzliche Garantien begründen 69 . Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG umfaßt die Möglichkeit, mit anderen beliebig in Verbindung zu treten und sich dazu auf vorhandenen öffentlichen Straßen von einem Ort zu jedem gewünschten anderen zu begeben. Auch die Freiheit der körperlichen Fortbewegung — Freiheit der Person in Art. 2 II S. 2 GG — steht dem entgegen, durch Verweigerung des Zugangs zu den öffentlichen Straßen die Wirkung einer polizeilichen Ausgangssperre, ja eines Hausarrestes herbeizuführen. Die Freizügigkeit, die Berufsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Meinungsfreiheit, nahezu alle Freiheitsrechte sind nur über einen funktionierenden Gemeingebrauch denkbar. Deshalb dürfte das subjektiv-öffentliche Recht auf Benutzung der öffentlichen Straßen ohne besondere Zu-

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für das Bereitstellen einer Parkuhr als rechtswidrig ansieht, und im Gegensatz dazu wiederum BayObLG NJW 1978, 1274. Zu Parkuhrgebühren allg. Kodal, NJW 1962, 480 und Roth, NJW 1961, 2192. Vgl. Evers, NJW 1962, 1033ff.; Salzwedel, DÖV 1963, 251 gegen OVG Hamburg DÖV 1955, 151; BVerwGE 4, 342. Das ist allerdings nicht unbestritten; a. A. z. B. OVG Hamburg DÖV 1955, 151; vgl. auch Forsthoff, VwR, S. 394 m. w. Hinweisen. H. Peters / J. Salzwedel, Die Kostenverteilung zwischen Straßenbaulastträgern und öffentlichen Verkehrsunternehmern, 1960, S. 71 ff. mit Nachweisen. Vgl. Salzwedel, Gemeingebrauch, a. a. O., S. 90f. Wie hier z.B. Forsthoff, VwR, S. 391 f.; E. R. Huber, DÖV 55, 129f.; Jesch, JuS 1963, 213ff.; OVG NW DÖV 62, S. 906; abweichend z. B. Wolff /Bachof, VwR I, §58 IIb. Die Frage ist offengelassen in BVerwGE 4, 342 (343). Vgl. Haselau, Die Freiheit der Straßen als Rechtsproblem, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Güterfernverkehr, H. 11, 1960; Herbert Krüger, Gegen eine Entstaatlichung der öffentlichen Wege, ebenda Heft 1; Salzwedel, DÖV 1963, 246; W. Krebs, VerwA 67 (1976) S. 329ff.; weitgehend ablehnend Forsthoff, VwR, S. 390.

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lassung verfassungsrechtlich geboten sein69". Auch eine Veranstaltlichung des Straßenwesens in der Weise, daß an die Stelle des dinglichen Rechtes auf Benutzung ein obligatorischer Anspruch auf Zulassung zur Benutzung treten würde, müßte bereits als bedenklich gelten. Damit allein kann es indes nicht seine Bewandtnis haben. Denn es kommt darauf an, daß stets ein ausreichender Bestand an öffentlichen Straßen verbürgt ist, an denen das subjektive Gemeingebrauchsrecht sich entfaltet. Hier greift die Lehre von den institutionellen Garantien ein. Die genannten Grundrechte verpflichten den Staat, ein umfassendes Netz öffentlicher Straßen bereitzustellen. Die Aufrechterhaltung bestimmter Straßen ist zwar danach nicht gesichert. Indes würde eine systematisch durchgeführte Kampagne zur Privatisierung öffentlicher Straßen bald an eine absolute Bestandsgrenze stoßen. Der Verfassungsverstoß könnte dann auch im einzelnen Einziehungsverfahren geltend gemacht werden. Der Gemeingebrauch kann wegerechtlich beschränkt werden, soweit sich die Schranken aus der Widmung rechtfertigen lassen. Dauerregelungen können notwendig sein, um auf einen nicht verkehrssicheren Zustand der Straße (gefährlich gewölbte Kurve, Kreuzung, Steinschlag, Wildwechsel) hinzuweisen oder die Belastungsgrenzen für den Straßenkörper anzuzeigen. Vorübergehende Einschränkungen kommen in Betracht, wenn Straßenbauarbeiten vorzunehmen sind oder wenn nach Frostschäden nur noch eine verminderte und vorsichtige Benutzung zugelassen werden kann. Dementsprechend kann auch die Straßenbaubehörde Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen anbringen, die grundsätzlich nicht mit den amtlichen Verkehrszeichen und -einrichtungen der StVO übereinzustimmen brauchen. Das Straßenverkehrsamt ist zu unterrichten. Es kann abweichende Regelungen treffen, bleibt aber an die zugrunde liegende Sachentscheidung, der Verkehrssicherungspflicht zu genügen oder die Straßensubstanz zu schützen, inhaltlich gebunden 70 . Die Widmung öffentlicher Straßen für den öffentlichen Verkehr schließt Unterschiede im Benutzungszweck nicht aus. Straßen mit Erschließungsfunktion und freie Strecken dürfen nicht gleichbehandelt werden. Im innerstädtischen Bereich tritt die Benutzung der Straßen zu Handel und Wandel in den Vordergrund. Die kommunikative Funktion der Straßen ist dort auch verfassungsrechtlich abgesichert. So ist das Verteilen von Flugblättern wegen des Art. 5 I G G in der Regel Gemeingebrauch, nicht Sondernutzung 71 . Zum kommunikativen Verkehr zwischen Verkehrsteilnehmern gehört die Inanspruch69a

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Ähnlich: BVerwGE 4, 342; Kodal, Kap. 24 I 2c, S. 395; den Umfang des Gemeingebrauchs hat das BVerwG wieder offengelassen in BVerwGE 56, 63 (65); grundsätzlich a. A.: Steinberg, NJW 1978, 1898 (1900). Kodal, a. a. O., Kap. 42 II 3, S. 1087. Vgl. OLG Celle DVB1. 1976, 111; OLG Stuttgart DVB1. 1972, 509; DVB1. 1976, 113; OLG Bremen NJW 1976, 1359; OVG Berlin NJW 1973, 2044; anders noch OVG NW DVB1. 1972, 509. - Zum Problemkreis Meinungsfreiheit und Straßennutzung allg. vgl. Stock, Straßenkommunikation als Gemeingebrauch, 1979; a. A.: z. B. Steinberg, NJW 1978, 1898 (1900); Kodal, Kap. 24 X 1 b S. 444, Kap. 26 VI 2 S. 516.

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nähme der Straße durch Personen zum Aufenthalt - gleich aus welchem Grunde - oder zur Fortbewegung 7 ' 3 . Ausgehend von diesem Standpunkt gehören auch Demonstrationen zur grundrechtlich geschützten Betätigung innerhalb des Gemeingebrauchs. Dem steht zum einen nicht die teilweise bestehende Anzeigepflicht und die Möglichkeit von Auflagen nach dem Versammlungsgesetzt entgegen71b. Denn das Versammlungsgesetz setzt als einschränkendes Gesetz im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG kein Straßenrecht. Im Gegenteil handelt es sich gerade um die Rechtsgrundlage für polizeirechtliche Eingriffe. Ebensowenig steht der Zuordnung von Demonstrationen zum Gemeingebrauch entgegen, daß mit ihnen stets eine weitgehende Beeinträchtigung des allgemeinen Verkehrs verbunden ist71c. Es gehört auch zum Gemeingebrauch, Beeinträchtigungen hinzunehmen, die durch die Grundrechtsausübung anderer entstehen. Ohne eine solche immanente Beschränkung gäbe es überhaupt keinen Gemeingebrauch. Charakteristisch für die Sondernutzung ist gerade nicht die Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs anderer71*1, jedenfalls solange nicht, wie die Verhinderung der Ausübung des Gemeingebrauchs durch andere nicht vorrangiges Ziel der Veranstaltung ist. Daher stellen Blockadeaktionen Sondernutzungen dar, die einer Erlaubnis zugänglich sind. Bei Menschenschlangen kommt es darauf an, ob sie der Absperrung eines Gebäudes oder Geländes oder der Kommunikation (z. B. der Verbindung zwischen den Botschaften zweier in politischer Gegnerschaft stehender Staaten) dienen sollen. Dagegen steht bei der Behinderung von Passanten durch aufdringliche politische Werbung nicht eine Beeinträchtigungsabsicht im Vordergrund, so daß es auch hier sich um Gemeingebrauch handelt, der allerdings aus polizeirechtlichen Gründen Einschränkungen unterliegt72. Nur in besonders engen und überlasteten Straßen kann eine andere Beurteilung angemessen sein. b) Anlieger: Obwohl der Gemeingebrauch jedermann zusteht, hat das Recht nach herrschender Auffassung für die Anlieger einen anderen Inhalt als für sonstige Benutzer. Anlieger sind die Eigentümer oder Besitzer von Grundstücken, die an einer öffentlichen Straße gelegen sind. Das Anliegerrecht und der Anliegergebrauch sind grundsätzlich auf Straßen beschränkt, die Erschließungsfunktion besitzen, nämlich von der Gemeinde für den inneren Verkehr und den Anbau bestimmt sind. Praktisch handelt es sich um Gemeindestraßen und Ortsdurchfahrten. Das Anliegerecht hat zum Inhalt, daß ein freier Zugang von und zur Straße zu Fuß und zu Wagen sowie der freie Zutritt von Licht und Luft zu den an der Straße errichteten Gebäuden aufrechtzuerhalten ist73. Der BGH 74 hat das An7,a

BVerwGE 56, 63 (65). 7 , b So aber Kodal, Kap. 24 X 1 b S. 444. A. A.: Kodal, ebda, und Kap. 26 VI 2 d S. 517. 71d BVerwGE 56, 63 (65); 35, 326 (329). 72 OLG Düsseldorf NJW 1975, 1288 und OLG Celle NJW 1975, 1894 gehen von Sondernutzung aus, die im Einzelfall aber nicht erlaubnispflichtig sein soll. 73 Dazu RGZ 145, 107 ff. (113); A. Germershausen / G. Seydel, a. a. O., S. 112ff.; Kodal, StraßenR, 2. Aufl. 1964, „Anlieger", S. 32ff.; Marschall, Komm., § 8 a Anm. 710

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liegerrecht dessen, der einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb mit Laufkundschaft an der Straße besitzt, noch dahin erweitert, daß in diese betriebsbezogene Verkehrslage nicht entschädigungslos eingegriffen werden dürfe, wenn dem Betroffenen damit ein Sonderopfer auferlegt würde. Besondere Bedeutung gewinnt diese Rechtsprechung für Tankstellen, Sparkassen mit Autoschaitern o. ä. In Wahrheit hat das Anliegerrecht nichts mehr mit einem subjektiv-öffentlichen Recht auf Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen, so wie sie nun einmal jeweils sind, zu tun. Vielmehr findet hier partiell ein Recht auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs an einer bestimmten Straße Anerkennung. Das Recht richtet sich gerade gegen Einziehungen, Niveauveränderungen, Straßensperren oder Bauarbeiten an der Straße. Der Anliegergebrauch, der auch als gesteigerter Gemeingebrauch bezeichnet wird, betrifft dagegen eine vom Anliegergrundstück auf die Straße selbst und den Luftraum über der Straße übergreifende Tätigkeit, um die besonderen Vorteile des Verkehrs zu nutzen71. Dabei wird der Gemeingebrauch in doppelter Hinsicht erweitert. Während die Straße sonst nur zu Zwecken des Verkehrs benutzt werden darf, wird hier gerade die geschäftliche Betätigung der Anlieger akzeptiert, die dort je nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen und örtlichen Gewohnheiten Waren auslegen, Tische und Stühle für Gaststättenbesucher aufstellen, Reklame- und Firmenschilder, Schaukästen, Lichtreklamen anbringen. Ferner werden unabhängig vom Benutzungszweck Benutzungsarten toleriert, die dem Passanten nie offenstehen, so z. B. das Aufstellen von Baugerüsten und Baugeräten. Die Darstellung zeigt, daß das Dogma der Rechtsprechung 76 , Anlieger hätten Gemeingebrauch wie Passanten sonst auch, ganz unhaltbar ist. Das Anliegerrecht betrifft in Wirklichkeit den Status der Straße, der Anliegergebrauch eine Betätigung, die außerhalb der für alle geltenden Widmung liegt. Daher handelt es sich um unmittelbar durch Gesetz eingeräumte Sondernutzungen77. Die neuen Straßengesetze tragen dem z.T. Rechnung: § 2 0 V StrWG NW behandelt das Anliegerrecht als Ausnahme zu dem Grundsatz des § 14a II StrWG NW, wonach Anlieger keinen Anspruch darauf haben, daß die Straße nicht verändert oder eingezogen wird. Der Anliegergebrauch

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7.1.f.; Forsthoff, VwR, S. 406; Wolff /Bachof, VwR I, §58 I l l b 2; F. Sieder/ H. Zeitler, Komm., Art. 17 A n n . 11. Vgl. auch OVG Lüneburg NJW 1979, 1422 und BVerwG NJW 1980, 354. BGHZ 8, 274; 23, 157ff.; 23, 235; DVB1. 1972, 115; 1974, 125. A. Germershausen / G. Seydel, a.a.O., S. 112 ff.; Kodal, a.a.O., Kap. 25 I 2, S. 448ff.; Marschall, Komm., § 7 Anm. 5. 22; F. Sieder/H. Zeitler, Komm., Art. 14 Anm. 12, wonach der gesteigerte Gemeingebrauch dem bayerischen Recht begrifflich fremd war. PrOVG 32, 213; 39, 230; BGH DÖV 1957, 155; BVerwGE 32, 222; BVerwG DVB1. 1973, 496; Marschall, Komm., § 7 Anm. 5. 22, 5. 23. Salzwedel, Gemeingebrauch, a. a. O., S. 85.

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des § 17 hamb. WegeG wird als eine Betätigung über den Gemeingebrauch hinaus angesehen. Auch sonst ist der Anliegergebrauch als Bestandteil des gesetzlichen Gemeingebrauchs nahezu verschwunden 78 . Die Straßengesetze ermächtigen statt dessen die Gemeinden, den Gebrauch der Ortsdurchfahrten und der Gemeindestraßen „über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung)" durch Satzung zu regeln (vgl. § 19 StrWG NW, § 51 I nieders. StrG, § 23 I schlesw.-holst. StrWG). 2. Sondernutzungen Sondernutzungen sind Benutzungen der öffentlichen Straße über den Gemeingebrauch hinaus. Sofern sie nicht schon nach Gesetz oder Satzung zugelassen sind, bedürfen sie bald einer Erlaubnis der Straßenbaubehörde (a), bald einer bürgerlich-rechtlichen Gestattung des Wegeeigentümers (b), bald des einen wie des anderen (c). a) Erlaubnis: Nach den neuen Straßengesetzen ist eine Erlaubnis regelmäßig nur dann erforderlich, wenn die Benutzung den Gemeingebrauch nicht nur überschreitet, sondern auch beeinträchtigt. Dabei sollen Beeinträchtigungen von kurzer Dauer unberücksichtigt bleiben, wenn es sich um öffentliche Versorgungsleitungen handelt (§ 8 X FStrG, § 23 I StrWG NW, § 45 I rheinl.pfälz. LStrG). Eine Überschreitung des Gemeingebrauchs liegt vor, wenn die Straße zu anderen Zwecken als denen des Verkehrs, zu anderen als in der Widmung zugelassenen Benutzungsarten oder von anderen als in der Widmung bezeichneten Benutzern in Anspruch genommen werden soll. Der Straßenhandel ist nicht nur Sondernutzung, wenn er von einem festen Verkaufsstand aus betrieben wird, sondern richtiger Ansicht nach auch, wenn fahrende Händler vom Kraftfahrzeug oder vom Bauchladen aus verkaufen 79 . Bedeutsam sind auch Benutzungen, die — wie beim Großraum- oder Schwerverkehr — aus straßenbautechnischen Gründen an sich von der Straße ferngehalten werden müssen. Auch die Bundeswehr ist beim Einsatz von Panzerfahrzeugen grundsätzlich an die Schranken der Widmung gebunden 80 . Die Erlaubnis wird auf Widerruf oder auf Zeit erteilt. Ein Rechtsanspruch besteht nicht, wohl aber ein Anspruch gegen die Straßenbaubehörde auf feh78 79

80

Kodal, a. a. O., Kap. 25 II 2, S. 454f. Weiter geht Kodal, a. a. O., Kap. 24 IX 3, S. 439f.; Forsthoff, VwR, S. 395. Die verkehrspolizeiliche Ausnahmegenehmigung gem. § 46 II StVO für Anlagen, die als Hindernisse für die Leichtigkeit des Verkehrs an sich unter das Verbot des § 41 StVO fallen, ersetzt nicht eine nach Wegerecht erforderliche Sondernutzung. Dazu auch Bismark, BayVBl. 1983, 456. Dazu Kodal, a. a. O., Kap. 24 VIII A, S. 430f.; hier ersetzt die Erlaubnis gem. § 5 StVO eine etwa wegerechtlich erforderliche Erlaubnis der Sondernutzung; vgl. § 8 VI FStrG; § 21 StrWG NW. Das Gleiche gilt auch für die Kunstausübung oder die Aufstellung von Kunstgegenständen. Art. 5 III GG steht der Anwendung von Vorschriften, die die Sondernutzung der Straße deshalb einer Erlaubnispflicht unterwerfen, nicht entgegen; vgl. BVerwG.

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lerfreie Ermessensausübung. Die Ablehnungsgründe sind nicht nur dahin begrenzt, daß sie an vernünftigen öffentlichen Interessen orientiert sein müssen. Vielmehr kommen nur Gesichtspunkte in Betracht, die gerade mit den wegehoheitlichen Aufgaben des Straßenbaulastträgers zusammenhängen: mit dem Schutz der Straßensubstanz und der Aufrechterhaltung eines störungsfreien Gemeingebrauchs für alle81. Wenn in den Straßengesetzen von Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die Rede ist, dürfte die Formulierung nicht nur eng, sondern auch noch mit dem Auftrag der Verkehrsbehörde vermengt sein. Richtig ist, daß Anträge schon abgelehnt werden können, um die spezifisch verkehrsrechtlichen Ballungsprobleme überhaupt nicht erst auftreten zu lassen. Die Gründe, die einer Sondernutzung auf Zeit oder auf Widerruf entgegengehalten werden können, bestimmen auch die Festsetzung von Bedingungen und Auflagen. Benutzungsgebühren können dagegen aus fiskalischen Erwägungen auferlegt werden. Sie sollen den wirtschaftlichen Vorteil der Sondernutzung, die ja ein gegenüber anderen Staatsbürgern schwer zu rechtfertigendes Privileg darstellt, ganz oder teilweise abschöpfen 82 . Außerdem hat der Erlaubnisinhaber Ersatz zu leisten, wenn dem Straßenbaulastträger durch die Sondernutzung Mehrkosten für den Bau und die Unterhaltung oder sonstige Kosten entstehen 83 . Auch die Erlaubnis kann im Planfeststellungsverfahren ersetzt werden. Nach § 8 VI FStrG erübrigt die verkehrsbehördliche Erlaubnis nach § 29 II StVO für besondere Veranstaltungen sowie Großraum- oder Schwertransporte die Erteilung einer Sondernutzung: das Straßenverkehrsamt muß sich jedoch die intern von der Straßenbaubehörde geforderten Bedingungen und Auflagen zu eigen machen. Häufig werden Verkehrs- oder wegerechtliche Erlaubnisse im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verträge erteilt. Dazu gehören auch Vereinbarungen zwischen Straßenverkehrsamt und Bundeswehr nach § 35 III StVO, wonach die Bundeswehr für Veranstaltungen nach § 29 II StVO generell von der Erlaubnis freigestellt wird. Wiederum werden die Vereinbarungen im Benehmen mit der Straßenbehörde und mit Wirkung auch gegen diese abgeschlossen. b) Gestattung des Wegeeigentümers: Beeinträchtigt eine Benutzung öffentlicher Straßen den Gemeingebrauch weder dauernd noch vorübergehend 84 , ist für die Sondernutzung nach neuem Straßenrecht eine Erlaubnis nicht mehr 81

82 83 84

So bad.-württ. VGH DÖV 1953, 640 und ganz h. L.: Marschall, Komm., Anm. 4.2; Kodal, a. a. O., Kap. 26 II 2, S. 497f.; Forsthoff, VwR, S. 395; Wolff /Bachof, VwR I, § 59 IIb 2; für Rechtsanspruch Stern, WDStRL 21 (1964), S. 220f.; vgl. auch Ziegler, DVB1. 1976, 89. Salzwedel, Gemeingebrauch, a. a. O., S. 87; anders Stern, a. a. O., S. 216f. § 44 rheinl.-pfälz. StrG; §§ 21 V, 22 I bad.-württ. StrG; Art. 18 III bayer. StrG; § 16 StrWG NW; § 22 I nieders. StrG u. a. Nach § 8 X FStrG lösen vorübergehende Beeinträchtigungen des Gemeingebrauchs keine Erlaubnispflicht aus, wenn die Maßnahmen Zwecken der öffentlichen Versorgung dienen; ebenso z. B. § 23 bad.-württ. StrG; Art. 18, 20 bayer. StrWG; § 20 hess. StrG; § 23 nieders. StrG; § 23 I StrWG NW.

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erforderlich (anders § 10 I berl. StrG). Statt dessen muß die Gestattung des Wegeeigentümers nachgesucht werden, die im Rahmen eines bürgerlichrechtlichen Nutzungsvertrages erteilt zu werden pflegt. In Betracht kommen vor allem Miete, Pacht und Leihe. Die wichtigsten Verträge dieser Art sind die Konzessionsverträge mit Versorgungsunternehmen über die Verlegung von Versorgungsleitungen in den Straßengrund. Die Dispositionsfreiheit des Wegeeigentümers reicht an sich bis an die Wuchergrenze. Jedoch gelten zwei wichtige Einschränkungen. Zunächst kann ein Kontrahierungszwang aus § 826 BGB folgen, nämlich dann, wenn der Wegeeigentümer an Kreuzungen oder im Stadtgebiet praktisch ein Monopol für die Vergabe von Leitungsrechten besitzt. Eine freie Ablehnung wäre u. U. sittenwidrig; die Gestattung erfolgt zu angemessenen Bedingungen 85 . Im übrigen sind bei der monopolfreien Entscheidung über die Gestattung die Schranken zu beachten, die sich für staatliche und kommunale Wegeeigentümer aus der Grundrechtsbindung des Fiskus ergeben. Insbesondere ist der Gleichheitsgrundsatz zu respektieren86. Für Klagen in diesem Bereich sind durchweg nicht die Verwaltungsgerichte, sondern die ordentlichen Gerichte zuständig. Die Klage ist auf Abgabe einer Willenserklärung oder Schadensersatz gerichtet. c) Erlaubnis- und gestattungspflichtige Sondernutzungen: Die neuen Straßengesetze — mit Ausnahme des Berliner Straßengesetzes — haben sich bemüht, die Doppelbödigkeit der Sondernutzung nach öffentlichem und bürgerlichem Recht zu beseitigen. Aber auch ihnen blieb der Erfolg teilweise versagt. Fallen nämlich Straßenbaulast und Wegeeigentum auseinander oder tangiert eine Benutzung sowohl den Gemeingebrauch als auch die private Restherrschaft, muß nach wie vor außer der Erlaubnis auch die bürgerlichrechtliche Gestattung eingeholt werden. Gelegentliche Versuche, diese Möglichkeiten doppelter Beeinträchtigung zu leugnen, laufen auf eine kalte Sozialisierung des Wegeeigentums hinaus 87 . Der Eigentümer braucht nur den Gemeingebrauch zu dulden. Alles, was über die Widmung hinausgeht, betrifft die Privatnützigkeit, die ihm allein verblieben ist. Der Benutzer ist, gleichviel ob der Eigentümer in eigener Nutzung gestört ist oder nicht, von der Gestattung abhängig und muß damit alle Gegenleistungen aufbringen, die der Eigentümer verlangt. Fallen Straßenbaulast und Eigentum auseinander, ist die Zweigleisigkeit von Erlaubnis und Gestattung unvermeidbar. Das gleiche muß aber gelten, wenn eine Benutzung im Falle der Vereinigung beider in einer Hand sowohl in die Wegehoheit des Straßenbaulastträgers als auch in dessen Wegeeigentum eingreift. Denn es besteht keine Veranlassung, das Wegeeigentum straßenbaupflichtiger Körperschaften gegenüber dem Privater zu diskriminieren. 85 86 87

Vgl. RGZ 115, 253 (258); 143, 24ff.; 79, 224ff.; dazu Flume, Das Rechtsgeschäft, § 33 6d. BGHZ 29, 76ff.; vgl. auch Hesse, Grundzüge, §111. Vgl. Salzwedel, Gemeingebrauch, a. a. O., S. 79; wie hier Zippelius, DÖV 1958, 838, 846f.; a. A.: Ziegler, DVB1. 1976, 89ff. mit weiteren Nachw.

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Deutlich wird das an den Straßenbahn- und Obusunternehmen, die mit den Schienen und Masten den Gemeingebrauch beeinträchtigen, zugleich aber in die Straßensubstanz eingreifen, die ganz von der Restherrschaft des Eigentümers umfaßt ist88. Nun hat § 32 I PBefG für Straßenbahnen bzw. § 41 II PBefG für Obusse vorgesehen, daß an die Stelle einer Erlaubnis der Straßenbaubehörde deren Zustimmung gegenüber der Genehmigungsbehörde beizubringen ist. Aber die materiellen Voraussetzungen der Erteilung sollten dadurch nicht berührt werden. Lediglich ist in § 33 PBefG vorgesehen, daß von der Landesregierung bestimmte Behörden — auch mit Wirkung gegen den Straßenbaulastträger — entscheiden, wenn eine Einigung zwischen den Beteiligten über die Bedingungen für die Zustimmung nicht zustande kommt. Vom Wegeeigentum ist bei alledem nicht die Rede. Aber da das PersonenbeförderungsG sich über die Restherrschaft der Wegeeigentümer nicht einfach hinwegsetzen kann, ist neben der öffentlich-rechtlichen Benutzungsvereinbarung mit dem Straßenbaulastträger ein bürgerlich-rechtlicher Gestattungsvertrag mit dem Wegeeigentümer abzuschließen, wenn beide auseinanderfallen89. V. Straßenbaulast und andere Pflichten 1. Straßenbaulast Für den Straßenbau bieten sich zwei gegensätzliche Konstruktionen an: Hoheitsaufgabe der öffentlichen Verwaltung oder Etföllung einer nicht typisch staatlichen Wegeunterhaltungspflicht, worüber der Staat nur als Wegebaupolizei wacht90. Die Straßengesetze lassen eine deutliche Hinwendung zur ersteren Konzeption erkennen. Das macht schon der sprachliche Übergang von der früheren Wegebau- und Unterhaltungspflicht zur Straßenbaulast sichtbar. Vor allem die Übertragung der wesentlichsten wegehoheitlichen Funktionen auf die Straßenbaulastträger selbst ist ein Markstein in der Entwicklung. Bei den Bundesstraßen und Landstraßen 1. Ordnung sind sogar Straßenaufsicht und Straßenbaulast in einer Hand vereinigt. Die Rechtsnatur der Widmung ist indes am alten Leitbild orientiert; andernfalls müßte sie zum reinen Organisationsakt umgestaltet sein91. Außerdem paßt die Hoheitstheorie kaum für die Straßenbaulast der Gemeinden und erst recht nicht für diejenige Privater, die nämlich als beliehene Unternehmer begriffen werden müßten. Das geltende Recht ist also von beiden Leitbildern geprägt, und in fast allen Streitfragen drängt sich diese grundlegende gesetzgebungspolitische Alternative wieder in die Argumentation hinein. 88 89 90 91

H. Peters / J. Salzwedel, a. a. O., S. 40 f. Vgl. Kodal, a. a. O., Kap. 27 II 5, S. 569; H. Peters / J. Salzwedel, a. a. O., S. 40. Dazu Salzwedel, DÖV 1963, 247f.; Kodal, a. a. O., Kap. 12 I 3, S. 218f. So Stern, W D S t R L 21 (1964), S. 198.

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Die Straßenbaulast umfaßt alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straßen, Wege und Plätze zusammenhängenden Aufgaben 918 . Sie ist die objektiv-rechtliche, also nicht unmittelbar gegenüber dem Publikum bestehende 9 "' Verpflichtung des Straßenbaulastträgers9lc, die Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern, sofern dies nicht seine finanzielle oder administrative Leistungsfähigkeit überschreitet. Dazu gehören auch die sog. verkehrsmäßige Reinigung, die verkehrsmäßige Beleuchtung, die Anbringung straßenbaubedingter Verkehrszeichen, seit dem ReichspolizeikostenG auch — systemwidrig — die Anbringung verkehrspolizeilich erforderlicher Verkehrszeichen, nicht dagegen der sog. Winterdienst gemäß § 3 III BFStrG 92 . Trägt der Staat oder eine Körperschaft die Straßenbaulast, so ist die Verpflichtung zunächst auf die Etatisierung ausreichender Straßenbaumittel gerichtet. Soweit die Länder oder Landschaftsverbände die Bundesstraßen im Auftrag des Bundes verwalten, beschränkt sich dessen Verpflichtung als Träger der Straßenbaulast auf die Bereitstellung des Budgets und die Deckung der laufenden Ausgaben. Das gleiche gilt, wenn das Land die Verwaltung von Kreisstraßen übernommen hat. Straßenbaulast ist dann also Finanzierungslast, die Straßenverwaltung ist Sache der beauftragten oder Übernehmerkörperschaft. Die Straßenverwaltung für einen anderen Straßenbaulastträger stellt sich verschieden dar, je nachdem, ob es sich um die Wahrnehmung der spezifisch wegehoheitlichen Funktionen („Hoheitsverwaltung") oder um die rechtsgeschäftlichen und faktischen Maßnahmen zu Straßenbau und -Unterhaltung sonst („Vermögensverwaltung") handelt 93 . Straßenaufsichtliche Anordnungen, Widmung, Einziehung oder Umstufung, Erteilung oder Widerruf von Sondernutzungen, Inanspruchnahmeverfügungen, Verwaltungsakte gegenüber wegerechtlich Pflichtigen Anliegern sowie straßenbaubedingte Verkehrsregelungen fließen für die beauftragte oder Übernehmerkörperschaft aus eigenem Recht. Die Verwaltungsakte werden von der Straßenbaubehörde in eigenem Namen erlassen. Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen sind je nach Landesrecht gegen das Land oder die Landesbehörde zu erheben, die den belastenden Verwaltungsakt erlassen hat oder den begünstigenden — z. B. den Dispens von einem Anbauverbot — erlassen soll. Alle öffentlich-rechtlichen oder bürgerlich-rechtlichen Willenserklärungen, die mit dem Straßenbau oder der Unterhaltung selbst zusammenhängen, sind dagegen im Namen, im Interesse und für Rechnung des Straßenbaulastträ91a

§ 3 FStrG und die entspr. Vorschriften der Landesstraßengesetze; anders nur: § 3 SaarlWG. 91b BGH NJW 1967, 1325 (1326). 9,0 § 5 FStrG sowie die entspr. Vorschriften der Landesstraßengesetze. 92 Kodal, a. a. O., Kap. 12 II A, S. 220f. 93 Kodal, StraßenR, 2. Aufl. 1964, „Auftragsverwaltung", S. 62ff.

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gers und Eigentümers abzugeben. Die Länder oder Landschaftsverbände schließen deshalb mit Wirkung für und gegen den Bund als Straßenbaulastträger öffentlich-rechtliche Baulastverträge ab oder mit Wirkung für und gegen den Bund als Eigentümer bürgerlich-rechtliche Nutzungsverträge. Für Klagen aus diesen Rechtsverhältnissen ist also der Bund aktiv und passiv legitimiert. Zur Verwaltung der Bundesstraßen durch die Länder oder Landschaftsverbände gehört aber die Prozeßführungsbefugnis kraft Gesetzes, auf die der Bundesverkehrsminister nur durch Weisung an die Landesregierung nach Art. 85 III GG Einfluß nehmen kann. Die Zurechnung der faktischen Straßenbaumaßnahmen zum Straßenbaulastträger wirkt sich praktisch zumeist nur darin aus, daß er letztlich die Kosten zu tragen hat. Nach außen tritt auf Grund der meisten Haftungstatbestände die beauftragte oder Übernehmerkörperschaft dafür ein, so nach § 823 I BGB bei Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, weil sie selbst mit der Indienststellung die objektive Gefahrenlage geschaffen hat, nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG bei der Amtshaftung als Anstellungskörperschaft, nach § 7 StVG als Halter des fremden, z. B. bundeseigenen Kraftfahrzeugparks. Lediglich für Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff dürfte der Straßenbaulastträger und Eigentümer der richtige Beklagte sein, weil er die durch Maßnahmen der Vermögensverwaltung unmittelbar begünstigte Körperschaft ist. Wer Träger der Straßenbaulast ist, bestimmt sich nach der Straßenklasse. Für Ortsdurchfahrten 94 , die durch wegehoheitlichen Verwaltungsakt der Straßenbaubehörde für die Durchgangsstraße in der Längsrichtung gegenüber der freien Strecke und seitlich gegenüber Straßenverbreiterungen und Plätzen begrenzt wird, hängt die Straßenbaulast von der Einwohnerzahl der Gemeinde (50000 für Bundesstraßen, nach Landesrecht jeweils zwischen 20000 und 30000 für Landstraßen) ab. In den größeren Städten sind die Ortsdurchfahrten gemeindlich zu unterhalten. In den kleineren Gemeinden ist die Straßenbaulast geteilt; während hinsichtlich der Fahrbahn der Baulastträger für die Straße zuständig ist, liegt sie für Gehwege und Parkplätze stets, für Radwege weithin bei den Gemeinden. Eine große Rolle spielen die Sonderbaulasten Dritter95, die entweder auf besonderen Vorschriften der Straßengesetze oder anderer Gesetze oder auf besonderem Rechtstitel beruhen. Gesetzliche Sonderregelungen finden sich z. B. in § 13 II FStrG, § 14 Eisenbahn-KreuzungsG. Als besondere Rechtstitel kommen Auflagen in Betracht, die mit wege- oder kreuzungsrechtlichen Planfeststellungen, mit wasserrechtlichen Erlaubnissen oder Bewilligungen und anderen Verwaltungsakten verbunden sein können, vor allem aber auch öffentlich-rechtliche Verträge zwischen Träger und Übernehmer der Straßenbaulast. Eine Reihe von straßenrechtlichen Bestimmungen wie § 12 II hamb. WegeG, § 45 I StrWG NW, Art. 44 I bayer. StrWG, ferner § 123 III BBauG 94 95

Kodal, a. a. O., Kap. 13 II C 2, S. 237f; BVerwGE 62, 143ff. Kodal, a. a. O., Kap. 14, S. 244ff.

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sehen Vereinbarungen über die Straßenbaulast ausdrücklich vor. Die Wirkung der Übertragung oder Übernahme der besonderen Straßenbaulast ist privativ; der ordentliche Wegeunterhaltspflichtige wird frei. Dadurch unterscheiden sich öffentlich-rechtliche von bürgerlich-rechtlichen Vereinbarungen, die zwar unbeschränkt zulässig sind, die gesetzliche Straßenbaulast indes unberührt lassen und mithin nur inter partes zur Vornahme von Arbeiten oder zur Kostentragung verpflichten. 2. Verkehrssicherungspflicht Während die Straßenbaulast im Verhältnis zum Staat und dessen hoheitlicher Straßenaufsicht getragen wird, bestimmt die Verkehrssicherungspflicht, ob und wieweit eine Verpflichtung gegenüber Dritten besteht, die Straße in einem ungefährlichen Zustand zu erhalten95a. Beide Pflichten haben nur insofern etwas miteinander zu tun, als die straßenbaurechtliche Erhaltung der Straße in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entsprechenden Zustand mindestens die Beseitigung ernsthafter Gefahrenquellen einschließt9511. In diesem Umfang kann auch gegenüber dem Staat der Einwand mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit nicht geltend gemacht werden. Die Straßenbaulast geht indes weit über das hinaus, was zum Schutz des Publikums unerläßlich erscheint. Umstritten ist, auf welchem Rechtsgrund die Verpflichtung beruht: während die überkommene Rechtsprechung sie aus § 823 I BGB entwickelt96, überwiegen im Schrifttum die Stimmen, die sie als hoheitliche Amtspflicht gegenüber Dritten im Sinne des § 839 BGB, Art. 34 G G qualifizieren 97 . In seinem grundlegenden Urteil vom 30. April 195398 bot der Bundesgerichtshof öffentlichrechtlichen Körperschaften beide Verpflichtungen zur Wahl an: an sich nach § 823 I BGB bürgerlich-rechtlich verantwortlich, können sie durch ausdrücklichen Organisationsakt, der der Allgemeinheit kundgemacht werden muß, nach außen verbindlich und wirksam erklären, daß sie dem Publikum künftig hoheitlich gegenübertreten wollen. In einer Reihe von Landesstraßengesetzen ist dies für alle Land- und Gemeindestraßen inzwischen sogar gesetzesförmlich zum Ausdruck gebracht worden, so in § 5 hamb. WegeG, § 67 StraßenG Bad.-Württ., Art. 72 bayer. StrWG § 48 II LStrG Rheinl.-Pfalz, § 9a StrWG NW und § 10 IV LStrG Schlesw.-Holst. § 17 III StHG hatte die Verkehrssicherungspflicht als öffentlich-rechtliche Pflicht normiert98®. 95a

Vgl. dazu BGHZ 60, 54 (55) Für völlige Identität: Bartlsperger, Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, S. 76ff.; ders., DVB1. 1973, 465 (466). 96 So zunächst RGZ 54, 53; 154, 25; jetzt grundsätzlich auch der BGH, vgl. BGHZ 9, 373; 24, 124; BGHZ 60, 54 (55); BGH NJW 1979, 2043. 97 So z. B. Wolff / Bachof, VwR I, § 57 V b; Forsthoff, VwR, S. 373; Clasen, DÖV 1959, 284; merfelder, DÖV 1960, 898; Bartlsperger, Verkehrssicherungspflicht und öffentliche Sache, S. 56 ff. 98 BGHZ 9, 373 (388); BGHZ 60, 54 (56); NJW 1979, 2043; NJW 1981, 2120. 98a Dazu Wendrich, DVB1. 1982, 248ff.; Bartlsperger, DÖV 1982, 469 (471). 95b

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Wer verkehrssicherungspflichtig ist, könnte in erster Linie davon abhängen, ob von der Option für die Amtshaftung Gebrauch gemacht worden ist oder nicht. Nach § 823 I BGB kommt es darauf an, wer rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, die für die Verkehrssicherheit erforderlichen Maßnahmen zu treffen". Das ist der Straßenbaulastträger, wenn er dieser Verpflichtung selbst genügt, dagegen im Fall der Auftragsverwaltung oder der Wahrnehmung des Straßenbaues seitens des Landes für die Landkreise oder kreisfreien Städte diejenige Körperschaft, die die haushaltlichen Bereitstellungen des Straßenbaulastträgers verwirklicht. Deshalb sind die Länder, in Nordrhein-Westfalen die Landschaftsverbände, für Bundesstraßen verkehrssicherungspflichtig, obwohl die finanzielle Straßenbaulast beim Bund liegt. Ebenso muß der Geschädigte sich an das Land halten, wenn er einen Unfall auf einer Kreisstraße erlitt, für die das Land die Unterhaltung administrativ übernommen hat 100 . Nach § 839 BGB, Art. 34 G G ist die Anstellungskörperschaft des Beamten oder Angestellten oder Arbeiters verantwortlich, der die Gefahrenquelle jeweils nicht oder nicht in genügendem Maß beseitigt oder sogar selbst solche geschaffen hat 101 . Da es sich dabei wohl stets um Bedienstete der Körperschaft handeln dürfte, der die Unterhaltung tatsächlich obliegt, wirkt sich der verschiedene Rechtsgrund kaum auf die Passivlegitimation aus. Der Inhalt der Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB und der Inhalt der Amtspflicht gegenüber Dritten nach § 839 BGB dürften sich ebenfalls decken. Soweit die Amtspflicht in der Erfüllung der besonderen öffentlich-rechtlichen Bau- und Unterhaltungspflicht gesehen wird, besteht sie nicht in vollem Umfang gegenüber Dritten. Kann die Straßenaufsichtsbehörde auf Erweiterung der Straße entsprechend dem gestiegenen Verkehrsbedürfnis dringen, kommt weder jedem Dritten ein solcher Anspruch zu noch kann er Schadensersatz verlangen, wenn ein Unfall sich bei rechtzeitigem Ausbau nicht ereignet hätte. Die praktischen Konsequenzen der Umstellung auf Amtshaftung liegen in der Subsidiarität der Schadensersatzpflicht im Fall des § 839 I S. 2 BGB und dem Wegfall des Anspruchs im Fall mitwirkenden Verschuldens nach § 839 III BGB102. Wie Werner Weber103 gegenüber Forsthoff mit Recht hervorgehoben hat, ist es auch rechtspolitisch wenig sinnvoll, den Boden bürgerlichrechtlicher Haftung nach § 823 I BGB zu verlassen. Wenig glücklich, aber wohl fest eingefahren ist die Rechtsprechung des BHG 104 , wonach die Straßenbaubehörde für Schäden, die ihre Bediensteten Dritten in Zusammen99 100 101

102

103 104

BGHZ 9, 373 (383/84); 24, 124 (130). BGHZ 6, 195; 14,83. BGHZ 2, 350, ständige Rspr.; Forsthoff, VwR, S. 299; Wolff/Bachof

Hg.

VwR I, § 64

Vgl. Forsthoff, VerwR, S. 402; Wolff / Bachof, VwR I, § 64 Ib, Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 3. Aufl., S. 22; Bartlsperger, DÖV 1982, 470. Werner Weber, a. a. O., S. 160 f. BGHZ 21, 48 (51).

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hang mit Straßenbauarbeiten zufügen, stets nach § 839 BGB, Art. 34 G G einzustehen hat 105 . 3. Polizeimäßige Reinigung Während die verkehrsmäßige Reinigung einen Teil der wegerechtlichen Straßenbaulast ausmacht, gehört die polizeimäßige Reinigung an sich in das Gemeinderecht. Die neuen Straßengesetze haben die polizeimäßige Reinigung allerdings ausdrücklich in Bezug genommen (§ 3 III S. 2 FStrG). Die Landesstraßengesetze verweisen auf das bisher geltende Recht, z. B. § 7 IV berl. StrG auf das Preußische G über die Reinigung öffentlicher Wege vom 1. Juli 1912106. Die wichtigste Verknüpfung beider Rechtsbereiche ergibt sich aus dem Grundsatz, daß die Verpflichtung zur verkehrsmäßigen Reinigung nicht eintritt, soweit eine Verpflichtung zur polizeimäßigen Reinigung besteht (§ 1 IV PrWegeRG). Nach Landesrecht ist die polizeimäßige Reinigung den Gemeinden als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungspflichtaufgabe aufgegeben. Die Rechtsprechung müht sich mit der Frage ab, ob diese Aufgabe gegenüber dem Publikum hoheitlich erfüllt wird oder in bürgergleicher Weise. Der BGH 107 läßt die Gemeinden nach § 839 BGB, Art. 34 G G haften. Die Begründung, die Wegereinigungspflicht sei „eine von der Ortspolizeibehörde erzwingbare, öffentliche Last", trifft nicht den Kern der Sache, weil damit nichts über das Verhältnis zu Dritten ausgesagt ist. Ferner soll die Gemeinde ausnahmsweise doch wieder nach § 823 BGB haften, wenn die verfassungsmäßig berufenen Organe überhaupt keine organisatorischen Maßnahmen zur Erfüllung der Wegereinigungspflicht getroffen haben 108 . Sicherlich spricht die Nähe zur verkehrsmäßigen Reinigung, ja die Ersetzung der polizeimäßigen durch die verkehrsmäßige Reinigung eher dafür, daß die Wegereinigungspflicht „nach unten" stets nichthoheitlich erfüllt wird 109 . Es kommt hinzu, daß die Wegereinigungspflicht vielfach durch Satzung auf die Anlieger abgewälzt wird. Deren Verantwortlichkeit bestimmt sich nach § 823 II BGB, weil die Wegereinigungsnormen als Schutzgesetz gelten 110 . Das trifft auch für die Gemeinde selbst zu, soweit sie als Anlieger der satzungsgemäßen Wegereinigungspflicht nicht genügt 111 . Die partielle Amtshaftung, die danach übrig bleibt, ist dogmatisch wenig einleuchtend und höchst unpraktisch. lu5 106

107 108 109 110 111

Zur Verkehrssicherungspflicht vgl. Nedden, DVB1. 1974, 253; BGH DVB1. 1973, 488; DVB1. 1973, 491; DVB1. 1974, 285. Für NRW gilt seit dem 31. 12.1975 das „Gesetz über die Reinigung öffentlicher Straßen" (StReinGNW) vom 18. Dezember 1975 (GV NW S. 706), zuletzt geändert am 11. Dezember 1979 (GV NW S. 914). BGH NJW 1958, 1234f. (1235); vgl. auch Wiethaupt, BB 1958, 66. BGH NJW 1958, 1235; BGH NJW 1960, 1810. Vgl. W. Ott, DÖV 1978, 160, 161. BGH NJW 1958, 1234f. (1235); vgl. weiter Palandt / Thomas, BGB, §823 Anm. 9f., 14; OLG Köln NJW 1960, 2289. Darüber hinaus haftet sie auch nach Abwälzung der Reinigungspflicht durch Satzung bei mangelnder Aufsicht, vgl. BGH NJW 1966, 2311.

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VI. Planfeststellung und Enteignung 1. Planfeststellung Die Planfeststellung ist für den Bau von neuen Bundes- und Landstraßen vorgeschrieben, für den Bau von Kreisstraßen zugelassen. In den Gemeinden beruht der Bau von Ortsdurchfahrten und Gemeindestraßen regelmäßig auf dem Bebauungsplan, der nach § 9 I Ziff. 3 BBauG auch die erforderlichen Verkehrsflächen festsetzt. Während die Gemeinde den Bebauungsplan im Wege der Rechtsetzung als Satzung beschließt (§ 10 BBauG), ist das Planfeststellungsverfahren ein förmliches Verwaltungsverfahren, der Planfeststellungsbeschluß ein Verwaltungsakt. Die Planfeststellungsbehörde übt weder Straßenaufsicht noch sonst Befugnisse der Wegehoheit aus. Sie steht deshalb eigentlich außerhalb des Straßenwesens: für Bundesstraßen ist die Zuständigkeit der obersten Landesstraßenbaubehörde (§ 17 II FStrG), für Land- und Kreisstraßen in Nordrhein-Westfalen die des Direktors des Landschaftsverbandes (§ 39 a II StrWG NW), in anderen Ländern z. T. die des Regierungspräsidenten vorgesehen 112 . Die Planfeststellung ist zunächst Verwaltungsakt mit Doppelwirkung gegenüber dem Straßenbaulastträger. Sie begünstigt ihn, indem sie ihm das Hoheitsrecht verleiht, die Straße in dem im voraus festgelegten Verlauf und Umfang herzustellen; weder die Straßenbaupflicht noch die ihm partiell überlassene Wegehoheit schließen dieses Recht ein113. Ferner ersetzt die Planfeststellung alle nach anderen Rechtsvorschriften erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Zustimmungen und sonstigen Hoheitsakte. Sie gewährt dem Unternehmer ein Recht, von der Enteignungsbehörde die Enteignung von Grundstücken zu verlangen, die für den Straßenbau benötigt werden. Mit der Rechtskraft der Planfeststellung gehen Ansprüche der Nachbarn auf Unterlassung, Beseitigung und Änderung unter; insoweit handelt es sich um einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Die Planfeststellung ist belastend, soweit der Straßenbaulastträger verpflichtet wird, im Fall der Ausnutzung seines Hoheitsrechtes die darin bestimmten Anlagen zu errichten und zu unterhalten, die für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren oder Nachteile notwendig erscheinen (§ 17 IV FStrG). Jedoch wird dem Unternehmer keine Ausbaupflicht auferlegt — das ist Sache der Straßenaufsicht und geht erforderlichenfalls der Planfeststellung voraus" 4 . Die Planfeststellung begründet auch Rechte Dritter und greift in deren Rechtssphäre ein. Die Anlieger erhalten ein subjektiv-öffentliches Recht, die 112 113 114

So z. B. § 41 I bad.-württ. StrG; § 8 rheinl.-pfälz. LStrG; Art. 39 I bayer. StrWG. Vgl. die Darstellung bei Kodal, a.a.O., Kap. 34 II C 1, S.746f.; Marschall, Komm., § 17 Anm. 3; F. Sieder / H. Zeitler, zu Art. 36, Anm. 5 ff. Vgl. Marschall, Komm., § 20 Anm. 1.1.

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Errichtung der Anlagen zum Schutz ihrer Grundstücke zu fordern. Andererseits verwandeln sich ihre Abwehransprüche gegen das Hoheitsunternehmen Straße in Entschädigungsansprüche, wenn der Beschluß unanfechtbar wird. Ob die Eigentümer und sonstigen dinglich Berechtigten der Grundstücke, die für die Straße in Anspruch genommen werden sollen, durch die Planfeststellung bereits betroffen sind, könnte zweifelhaft sein; denn in diesem Verfahren wird nur eine behördeninterne Bindung erzeugt. Die Zulässigkeit der Enteignung gegenüber dem Betroffenen wird auf entsprechende Einwendungen hin im Enteignungsverfahren unabhängig davon nochmals überprüft 115 . Allerdings ist das Planfeststellungsverfahren öffentlich. Jedermann kann Einwendungen gegen den Straßenbau erheben1158. Die Entscheidung über den Plan ist den am Verfahren Beteiligten mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung zuzustellen. Wird der zulässige Verwaltungsrechtsweg beschritten, ist nach § 70 VwVfG ein Vorverfahren in der Regel nicht erforderlich. Richtige Klageart ist die Anfechtungsklage; die Verpflichtungsklage kommt nur in Betracht, wenn die fehlerhafte Unterlassung einer Schutzauflage geltend gemacht wird. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß jedermann die Planfeststellung anfechten könne. Mittelbare Auswirkungen der Planfeststellung vermögen die Klagebefugnis nicht zu begründen. Klagebefugt können sein: Vorhabensträger, Eigentümer oder dinglich Berechtigte der in Anspruch genommenen Grundstücke, bei unzumutbaren Einwirkungen die Eigentümer der benachbarten Grundstücke, u. U. Anlieger oder Sondernutzungsberechtigte, Träger öffentlicher Aufgaben oder Anlagen. Behörden sind in Ermangelung eigener Rechte nicht klagebefugt, wohl aber Körperschaften, in deren verfassungsrechtlich bzw. einfachgesetzlich garantierten oder fiskalischen Bereich eingegriffen wird. Art. 28 II GG gibt den Gemeinden das Recht, sich gegen überörtliche, ortsrelevante Planungen zur Wehr zu setzen, die die eigene Planungshoheit rechtswidrig berühren. Prozeßstandschaft kennt das verwaltungsrechtliche Verfahren dagegen prinzipiell nicht (s. aber § 29 I Nr. 6 BNatSchG). Ob eine Verfahrensvorschrift ein subjektives öffentliches Recht gewährt, beurteilt sich ausschließlich nach deren Zielrichtung und Schutzzweck selbst, nicht nach dem Charakter des zugrunde Hegenden materiellen Rechts. Das Planfeststellungsverfahren hat keine derartige Schutzfunktion. Nur wenn ein schwerer Verfahrensfehler behauptet wird, etwa daß der Plan nicht ordnungsgemäß ausgelegt worden sei, ist wohl eine nahezu allgemeine Anfech115

BVerwG VkBl. 1963, 220; Kodal, a.a.O., Kap. 34 II B 5, S. 744f.; Wey reuther, DÖV 1977, 419, 423 f. 115a Zu den Anforderungen an einen Bebauungsplan für den Ausbau einer Bundesfernstraße im Verhältnis zu anderen Fachplanungen (insbes. Landschaftsplanung) sowie bezüglich des Lärmschutzes und zur Antragsbefugnis in einem diesbezüglichen Normenkontrollverfahren i. S. d. § 47 VwGO vgl. OVG Berlin, Urt. v. 14. Dezember 1982 - OVG 2 A 10.81 - ; zur einstweiligen Anordnung i. S. d. § 123 VwGO im gleichen Verfahren vgl. OVG Berlin, UPR 1982, 131 und VG Berlin, UPR 1982, 132.

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tung möglich. Wer mit Einwendungen zurückgewiesen worden ist, wird rügen können, daß überhaupt kein Gesichtspunkt des öffentlichen Wohls hinter dem Vorhaben stünde, wenn es ihn irgendwie in wirtschaftlichen Interessen berührt. Nur unter diesem Aspekt wird auch der künftige Adressat eines EnteignungsVerfahrens die Planfeststellung selbst schon erfolgreich anfechten können. 2. Die Enteignung Das Enteignungsverfahren, das der Durchsetzung des Planfeststellungsbeschlusses gegenüber veräußerungsunwilligen Eigentümern oder dinglich Berechtigten dient, richtet sich nach Landesrecht. In mehrfacher Hinsicht greift das Straßenrecht indes in den normalen Ablauf eines Enteigungsverfahrens ein. Zunächst bedarf es in der Regel keines Kabinettsbeschlusses über die Zulässigkeit der Enteignung, d. h. der ausdrücklichen Anerkennung, daß das Unternehmen, um dessentwillen in fremdes Eigentum eingegriffen werden soll, dem „Wohl der Allgemeinheit" im Sinne des Art. 14 III GG dient. Die Planfeststellung ersetzt die sog. Verleihung des Enteignungsrechtes, weil die Straßengesetze dem Straßenbaulastträger bereits das Enteigungsrecht zur Erfüllung ihrer Aufgaben eingeräumt haben (§ 19 I FStrG) 116 . Ferner ist die Planfeststellung für die Enteignungsbehörde bindend und Grundlage des Enteigungsverfahrens (§ 19 II FStrG). Allerdings dürfte dies voraussetzen, daß der Beschluß bereits unanfechtbar geworden oder nach § 80 II Ziff. 4 VwGO zumindest für sofort vollziehbar erklärt worden ist117. Ob die Straße, gedeckt vom Wohl der Allgemeinheit, überhaupt und in der festgestellten Weise gebaut werden kann, hat die Enteignungsbehörde zunächst nicht zu überprüfen. Es ist Sache des Betroffenen, sich etwa darauf zu berufen, daß eigennützige Motive von Beamten oder Einflüsse Privater dominiert hätten oder die Entziehung seines Grundstücks von unverhältnismäßiger Härte sei. Dann wird der Regierungspräsident allerdings aufgerufen sein, diese Einwendungen zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Im allgemeinen ist, von der Legitimität der Planfeststellung ausgehend, nur zu prüfen, ob der Eingriff von dort her notwendig ist, ob der Enteignungszweck nicht auf andere zumutbare Weise erreicht werden kann, ob der Träger der Straßenbaulast sich ernsthaft um den freihändigen Erwerb des Grundstücks zu angemessenen Bedingungen bemüht hat und ob das Grundstück auch innerhalb angemessener Frist zu dem vorgesehenen Zweck verwendet werden soll118 (vgl. § 421 StrWG NW). Von besonderer Bedeutung ist die vorläufige Besitzeinweisung. Da das Enteignungsverfahren nach Landesrecht mit seinen aufeinanderfolgenden Ab116 117 118

Marschall, Komm., § 19 Anm. 2.1. So auch Kodal, a. a. O., Kap. 37 I C 2, S. 907f.; wohl auch Marschall, Komm., § 19 Anm. 1. Vgl. BVerwG VkBl. 1962, 210; BVerwG VkBl. 1963, 220.

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schnitten Feststellung des Enteignungsplans, Feststellung der Entschädigung und Enteignungsbeschluß trotz aller Möglichkeiten der Zusammenfassung und Vereinfachung noch sehr zeitraubend ist, haben alle Straßengesetze dazu ermächtigt, den Widerstand des Eigentümers oder dinglich Berechtigten schon frühzeitig auszuräumen, wenn sich sonst die Straßenbauarbeiten zu sehr verzögern würden. Die vorläufige Besitzeinweisung rechtfertigt nicht nur den Beginn der Bauarbeiten, sondern sogar bereits die Widmung. Voraussetzungen sind, daß der sofortige Baubeginn geboten, die Inanspruchnahme des Grundstücks dazu schon unerläßlich erscheint, ferner wieder nach richtiger Ansicht, daß der Planfeststellungsbeschluß unanfechtbar geworden oder zumindest die sofortige Vollziehung nach § 80 II Ziff. 4 VwGO angeordnet ist" 9 . Außerdem ist zu fordern, daß das Enteignungsverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu der beantragten Enteignung durch Beschluß führen werde. Zuständig für die vorläufige Besitzeinweisung ist die Enteignungsbehörde, die auf Antrag des Straßenbaulastträgers entscheidet.

VII. Straßenverkehrsrecht 119 " 1. Zulassungswesen Das Verkehrsrecht beruht auf dem Prinzip der Verkehrsfreiheit. Nach § 1 StVZO ist jedermann zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen, soweit nicht für die Zulassung zu einzelnen Verkehrsarten eine Erlaubnis vorgeschrieben ist. Eine Zulassungspflicht besteht vor allem für die Teilnahme am Kraftverkehr. Einer dinglichen Zulassung bedürfen nach § 1 StVG Kraftfahrzeuge, die auf öffentlichen Wegen oder Plätzen in Betrieb gesetzt werden sollen. Einer persönlichen Erlaubnis bedarf nach § 2 StVG, wer auf öffentlichen Wegen oder Plätzen ein Kraftfahrzeug führen will. Das Zulassungsverfahren für Kraftfahrzeuge ist in den §§ 18 — 29 StVZO näher geregelt. Die Zulassung zerfällt in die Erteilung der Betriebserlaubnis nach § 19 StVZO und die Zuteilung des amtlichen Kennzeichens nach § 23 StVZO. Auf die Vornahme beider Verwaltungsakte besteht ein Rechtsanspruch, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Im Rahmen des § 70 StVZO können bestimmte Ausnahmen von den materiellen Anforderungen genehmigt werden. Hier kommt nur ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung in Betracht. Die Erteilung der Fahrerlaubnis behandeln die §§ 7 ff. StVZO. Die Prüfung erstreckt sich auf drei Fragenkreise. An Hand der Antragsunterlagen, des Ergebnisses einer u. U. angeordneten Untersuchung oder eines Berichts des sachverständigen Prüfers ist zu entscheiden, ob Be119

So auch HessVGH VkBl. 1959, 395 u. Kodal, a. a. O., Kap. 37 II C 1, S. 915f. gegen OVG NW VkBl. 1958, 244. " 9 a Z u r neuesten Entwicklung vgl. Hentschel, NJW 1979, 957, und Steiner, NJW 1980, 2339.

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denken gegen die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen vorliegen, einerseits gegen seine körperliche und geistige Eignung, andererseits gegen seine persönliche Zuverlässigkeit (§ 9 StVZO). In einer theoretischen Prüfung hat der Antragsteller nachzuweisen, daß er die zur sicheren Führung eines Kraftfahrzeugs erforderlichen verkehrsrechtlichen und technischen Kenntnisse besitzt. Die eigentliche praktische Fahrprüfung hat schließlich die Fähigkeit zur gefahrlosen Teilnahme am Verkehr selbst zum Gegenstand. Die Entscheidung über die Eignung trifft das Straßenverkehrsamt. Über das Bestehen der Prüfung entscheidet der Sachverständige. Beide Verwaltungsakte sind selbständig; das Straßenverkehrsamt ist an das Ergebnis der Fahrprüfung gebunden 120 . Auf die Erteilung des Führerscheins besteht ein Rechtsanspruch. Die Beweislast dafür, ob die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, dürfte indes den Antragsteller treffen; Zweifel an Eignung sowie theoretischer und praktischer Fahrtüchtigkeit gehen zu seinen Lasten. Die Fahrerlaubnis kann zunächst nach § 69 StGB im Rahmen eines Strafverfahrens entzogen werden. Dabei wird zugleich eine Sperre für die Neuerteilung angeordnet (§69a StGB). Zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ermächtigt § 111 a StPO, wenn der Verdacht einer strafbaren Handlung besteht und im Verlauf des Verfahrens mit einer endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis gerechnet werden muß. Ob die Polizeibehörde darüber hinaus ermächtigt ist, den Führerschein nach Polizeirecht einzubehalten, um die Begehung von Verkehrsstraftaten zu verhindern, ist umstritten121. Unabhängig von einem Strafverfahren muß das Straßenverkehrsamt die Fahrerlaubnis nach § 4 StVG entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, insbesondere, wenn die körperliche oder geistige Eignung bei Erteilung zu Unrecht angenommen worden war oder später weggefallen ist. Sollten die Umstände, die den Erlaubnisinhaber als unzuverlässig, körperlich oder geistig ungeeignet, fahruntüchtig erweisen, aus Sachverhalten abgeleitet werden, die Gegenstand eines Strafverfahrens sind, tritt eine Feststellungswirkung ein. Nach § 4 III StVG ist das Straßenverkehrsamt an den gerichtlich festgestellten Sachverhalt, an die gerichtliche Beurteilung der Schuldfrage sowie an die gerichtliche Beurteilung der Eignung des Beschuldigten zur Führung von Kraftfahrzeugen gebunden 122 . Aus diesem Grunde muß auch der Abschluß des Strafverfahrens zunächst abgewartet werden. Das Straßenverkehrsamt kann die Fahrerlaubnis aber stets entziehen, wenn die Gründe auch außerhalb des Sachverhalts nachgewiesen werden können, die den Gegenstand des Strafverfahrens bilden, oder wenn der Richter es — zu Recht oder zu Unrecht — unterlassen hat, sie innerhalb des 120

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So bezüglich der Bindung auch H. Jagusch, a.a.O., § 11 StVZO Rdnr. 10; VG Frankfurt VRS 25, 157; F. Müller, a. a. O., § 11 StVZO Anm. 6; anders hinsichtlich der Selbständigkeit: OVG Koblenz NJW 1965, 1622 gegen OVG NW NJW 1954, 1963. Vgl. Dahsjun., NJW 1968, 632 m. w. Hinw. H. Jagusch, a. a. O., § 4 StVG Rz. 25ff.; F. Müller, a. a. 0 . , § 4 StVG Anm. 31; vgl. hierzu auch BVerwGE 14, 39 und 17, 347.

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Strafverfahrens zu behandeln und in der schriftlichen Entscheidung zu berücksichtigen 123 . 2. Verkehrspolizeiliche Verfügungen Es entspricht dem Grundsatz der Verkehrsfreiheit, daß die Verkehrsbehörde repressive Gefahrenabwehr betreibt. Eine Reihe von verkehrspolizeilichen Verfügungen bildet das Instrumentarium. Dazu gehören Verkehrsregelungen durch Polizeibeamte oder durch Farbzeichen (§§ 36, 37 StVO), die Weisungen und Zeichen der Polizeibeamten zum Anhalten (§ 36 V StVO), das Einschreiten gegen das zulassungsfreie Führen von Fahrzeugen oder Tieren, wenn der Betroffene sich als ungeeignet dazu erweist oder Auflagen nicht beachtet (§§ 2, 3 StVZO). Verkehrsregelnde Maßnahmen dürfen aber nicht dazu führen, daß eine straßenrechtliche Teilentwicklung (z. B. Fußgängerbereich) durch verkehrsrechtliche Zulassung einer anderen Benutzungsart (z. B. beschränkter Kraftfahrzeugverkehr) faktisch wieder aufgehoben wird123". Besondere rechtliche Schwierigkeiten hat die dogmatische Einordnung der Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nach den §§ 39, 43 StVO bereitet. Während die früher herrschende Lehre darin Rechtsnormen sah 124 , hat sich die Rechtsprechung heute wohl endgültig dafür entschieden, sie als Verwaltungsakte zu behandeln 125 . Die Kontroverse ist weithin von dem durchaus sekundären Gesichtspunkt der Zulässigkeit einer Anfechtungsklage beherrscht worden. In Wirklichkeit müssen die materiellen Rechtsfolgen den Ausschlag geben. In jedem Falle bleiben die Verkehrszeichen Verwaltungsakte besonderer Art. Zunächst handelt es sich um belastende Verwaltungsakte, die aber nicht vollstreckt werden können; die Nichtbefolgung führt zu Sanktionen nach dem OrdnungswidrigkeitenG, zu Strafverfahren oder einer gebührenpflichtigen Verwarnung. Ferner dürften die Verwaltungsakte kaum unanfechtbar werden, weil nicht die der Aufstellung des Verkehrszeichens zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidungen und nicht die Aufstellung das verbindliche Ge- oder Verbot enthalten, sondern das Verkehrszeichen selbst, das jeweils in das Blickfeld des Adressaten kommt. Auch rechtswidrig angebrachte Verkehrszeichen sind nach der Lehre vom Verwaltungsakt verbindlich. Nur kann man nicht sagen, daß nichtige Verkehrszeichen schlechthin unver123 123a 124

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H. Jagusch, a. a. O., § 4 StVG Rz. 28, 29. BVerwGE 62, 376 ff. Liedel, DAR 1965, 117; Hoffmann, JZ 1964, 702; Czermak, NJW 1965, 93; so auch VG Frankfurt DÖV 61, 313; OVG NW DVB1. 1961, 456. So z.B. BVerfG NJW 1965, 2395; BGHSt. 20, 125; BVerwGE 27, 181 = NJW 1967, 1627 = DVB1. 1967, 773; OLG Stuttgart DVB1. 1966, 908; OLG Frankfurt NJW 1968, 2073; OVG NW DÖV 1971, 103; VGH Mannheim Bd.-Württ. VB1. 1974, 58; a. A. in neuerer Zeit VGH München NJW 1978, 1988 und bestätigend NJW 1979, 670; das BVerwG hielt demgegenüber in seiner Revisionsentscheidung zu VGH München NJW 1978, 1988 an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (NJW 1980, 1640 = JuS 1980, 615); vgl. dazu Steiner, DVB1. 1980, 417; Prutsch, JuS 1980, 566; Czermak, JuS 1981,25.

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bindlich seien, weil sich die Verkehrsteilnehmer zunächst im Rahmen des § 1 StVO auf die Möglichkeit einstellen müssen, daß das Halteschild oder Vorfahrtsschild de facto vielfach beachtet wird 126 . Wird ein Verkehrszeichen auf Anfechtungsklage hin vom Verwaltungsgericht kassiert, kommt dem theoretisch ex tunc-Wirkung zu. Für Sanktionen nach Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht spielt dies jedoch keine Rolle, weil die Fiktion insoweit irrelevant ist. Ob Recht oder Unrecht begangen worden ist, kann nicht rückwirkend manipuliert werden 127 . 3. Haftung Die verkehrspolizeiliche Tätigkeit unterliegt wie jede hoheitliche Gefahrenabwehr der Amtshaftung. Die Frage, ob eine Amtspflicht gegenüber Dritten verletzt worden ist, muß verschieden beurteilt werden, je nachdem, ob das Straßenverkehrsamt oder die Polizeibehörde den Schaden durch positives Tun verursacht oder es nur unterlassen hat, ihn durch rechtzeitiges verkehrspolizeiliches Einschreiten zu verhindern. Die jeweilige Anstellungskörperschaft ist danach ohne weiteres schadensersatzpflichtig, wenn die Polizeibeamten z. B. mit Polizeifahrzeugen selbst schuldhaft Unfälle heraufbeschworen haben. Das gleiche gilt, wenn ein Verkehrsteilnehmer leichtfertig einem Strafverfahren ausgesetzt worden ist, indem man sachlich unzutreffende Berichte fertigstellte oder weitergab. Eine Amtspflichtverletzung durch Unterlassen kommt dagegen grundsätzlich nur in Betracht, wenn das Straßenverkehrsamt oder die Polizeibehörde sich damit in so hohem Maße fehlsam verhalten hat, daß die Entscheidung mit den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar ist. Da grundsätzlich nur eine Befugnis zum Einschreiten besteht, die Beamten also Opportunitätsermessen zu üben haben, reduziert sich die Amtspflicht darauf, sich nicht gerade für ein Nichteinschreiten zu entscheiden, wenn dies unter allen denkbaren Gesichtspunkten völlig unsinnig oder willkürlich erscheint.

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Vgl. AG Bonn NJW 1967, 1480; BayObLG NJW 1965, 1973; anders OLG Frankfurt NJW 1968, 2073. In diesem Sinne auch der Vorlegungsbeschluß des BayObLG in NJW 1968, 1848.

NEUNTER ABSCHNITT Jürgen Salzwedel

Wasserrecht Literatur K. Berendes / K.-P. Winters, Das neue Abwasserabgabengesetz, 1981. C. Bergdolt, Preußisches Wasserrecht, 1957. R. Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 1976 (Nachtrag 1977). M. Butong / O. Finkenbeiner, Wassergesetz für Baden-Württemberg, Kommentar, 1968. F.-J. Burghartz, Wasserhaushaltsgesetz und Wassergesetz für das Land NordrheinWestfalen, Kommentar, 2. Aufl. 1974. C. Dornheim, Wasserrecht, in: Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1964, S. 435 - 459. C. Dornheim, Das Recht der Wasser- und Bodenverbände, 2. Aufl. 1980. L. G. Feldt, Hessisches Wassergesetz, Kommentar, 1964. A. Friesecke, Bundeswasserstraßengesetz, Kommentar, 2. Aufl. 1981. A. Friesecke, Recht der Bundeswasserstraßen, 1962. F. Fritzsche, Das Wasserrecht in Bayern, Kommentar, Loseblatt, Stand: 1980. P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski; Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1979. L. Holtz / F. Kreutz / P. Schlegelberger, Das Preußische Wassergesetz, 2 Bände, Unveränderter Nachdruck der 3. u. 4. Auflage von 1927/31, 1955. P. Kaiser / K. Linckelmann / E. Schleberger, Wasserverbandsordnung, 3. Auflage, 1967. F. Kolb, Das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts, 1958. K. Mintzel, Bundeswasserstraßengesetz, in: A. Wüsthoff / W. Kumpf Handbuch des deutschen Wasserrechts. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen - Umweltgutachten 1978, S. 80ff.; - Umweltprobleme des Rheins, 1976; - Umweltprobleme der Nordsee, 1980, insbes. Rdnr. 1047 ff. J. Rehder, Niedersächsisches Wassergesetz, Kommentar, 4. Auflage, 1971. J. Salzwedel, Die Entschädigungspflicht bei der Festsetzung von Wasserschutzgebieten, 1970.

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J. Salzwedel, Wasserrecht, in: Grundzüge des Umweltrechts, hrsg. v. J. Salzwedel, 1982. F. Sieder / H. Zeitler / H. Dahme, Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, Loseblatt, Stand: Juli 1981. F. Sieder / H. Zeitler / H. Dahme, Bayerisches Wassergesetz, Kommentar, Loseblatt, Stand: März 1983. G. Witzel, Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 5. erw. Auflage, 1964. A. Wüsthoff, Einführung in das deutsche Wasserrecht, 3. Auflage, 1962. A. Wüsthoff / W. Kumpf Handbuch des deutschen Wasserrechts, hrsg. v. H. v. Lersner u. H. Roth, 6 Bde., Stand: Aug. 1983. U. Ziegler, Kommentar zum Wassergesetz für Baden-Württemberg, 1. Erg.-Lieferung, 1971. K. Zimniok, Bayerisches Wasserrecht, Handkommentar, 2. Auflage 1971. Zeitschriften: Zeitschrift für Wasserrecht; Recht der Wasserwirtschaft.

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Gesetze Bund: WasserhaushaltsG v. 27. Juni 1957 i. d. F. der Bekanntmachung v. 16. Oktober 1976 (BGBl. I, S. 1110) zuletzt geändert am 28. März 1980 (BGBl. I, S. 373). BundeswasserstraßenG v. 2. April 1968 (BGBl. II, S. 173) zuletzt geändert am 1. Juni 1980 (BGBl. I, S. 649). Abwasserabgabengesetz v. 13. September 1976 (BGBl. I, S. 2721, ber. S. 3007). Länder: Baden-Württemberg: WasserG für Baden-Württemberg v. 25. Februar 1960 i. d. F. der Bekanntmachung v. 26. April 1976 (GBl. S. 369) zuletzt geändert am 6. April 1982 (GBl. S. 97). Bayern .-Bayerisches WasserG v. 18. September 1981 (GVB1. S. 425). Berlin: Berliner WasserG v. 23. Februar 1960 (GVB1. S. 133) zuletzt geändert am 30. November 1981 (GVB1. S. 1470). Bremen . Bremisches WasserG v. 13. März 1962 (GBl. S. 59) zuletzt geändert am 18. Dezember 1974 (GBl. S. 351); Bremisches Abwasserabgabengesetz v. 20. Oktober 1980 (GBl. S. 271). Hamburg: Hamburgisches WasserG v. 20. Juni 1960 (GVB1. S. 335) zuletzt geändert am 17. Dezember 1982 (BGBl. I, S. 1777); Hamburgisches Gesetz zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes v. 9. Juli 1980 (GVB1. S. 121). Hessen .'Hessisches WasserG i. d. F. v. 12. Mai 1981 (GVB1. S. 153); Hessisches Ausführungsgesetz zum Abwasserabgabengesetz v. 17. Dezember 1980 (GVB1: S. 540). Niedersachsen: Niedersächsisches WasserG v. 7. Juli 1960 i. d. F. der Bekanntmachung v. 1. Dezember 1970 (GVB1. S. 457) zuletzt geändert am 23. Juni 1982 (GVB1. S. 219). Nordrhein-Westfalen: WasserG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 4. Juli 197? (GVNW S. 488) zuletzt geändert am 1. Dezember 1981 (GVNW S. 698). Rheinland-Pfalz: LandeswasserG Rheinland-Pfalz v. 4. März 1983 (GVB1. S. 31); LandesabwasserabgabenG v. 22. Dezember 1980 (GVB1. S. 258). Saarland: Saarländisches WasserG v. 28. Juni 1960 (ABl. S. 511) i. d. F. der Bekanntmachung v. 25. Januar 1982 (ABl. S. 129). Schleswig-Holstein: WasserG des Landes Schleswig-Holstein v. 25. Februar 1960 (GVB1. S. 39) i. d. F. der Bekanntmachung v. 7. Juni 1971 (GVB1. S. 327) zuletzt geändert am 19. November 1982 (GVB1. S. 256).

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Jürgen Salzwedel Gliederung

I.Grundlagen 1. Recht der Wasserwirtschaft und Wasserwegerecht a) Gegenstand b) Gesetzgebungskompetenz 2. Wasserrecht als öffentliches Recht a) Hoheitlicher Bezug b) Bewirtschaftung 3. Gewässereigentum a) Gegenstand und Eigentümer b) Duldungspflicht 4. Wasserrechtliches Nachbarrecht a) Rechtsnatur b) Abwehransprüche II. Wasserbehörden 1. Vollzug des Rechts der Wasserwirtschaft 2. Vollzug des Wasserwegerechts und Schiffahrtsrechts

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III. Erlaubnis und Bewilligung 1. Benutzungen 2. Erlaubnis und Bewilligung a) Abgrenzung b) Begriff der Drittwirkung 3. Voraussetzungen der Erteilung a) Grundsätze der Wasserbehörde b) Einwendungen Dritter 4. Bedingungen und Auflagen a) Begriff b) Zulässigkeit c) Rechtsbehelfe d) Reinhalteordnungen 5. Rücknahme und Widerruf a) Zulässigkeit b) Nachträgliche Benutzungsbedingungen und Auflage c) Ausgleichsverfahren 6. Alte Rechte und Befugnisse 7. Pipeline-Genehmigung 8. Erlaubnisfreie Benutzungen

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IV. Repressive Maßnahmen der Wasserbehörden 1. Allgemeine Eingriffsmöglichkeiten 2. Wasserschutzgebiete

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V. Unterhaltung und Ausbau 1. Funktion 2. Durchführung und Zulässigkeit VI. Wasser- und Bodenverbände 1. Grundlagen 2. Satzung 3. Aufgaben und Organisationen

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I. Grundlagen 1. Recht der Wasserwirtschaft und Wasserwegerecht a) Gegenstand: Im Wasserrecht ist zwischen dem Recht der Wasserwirtschaft und dem Wasserwegerecht zu unterscheiden. Das Erstere regelt eine Inanspruchnahme des Wassers selbst, durch welche die verfügbare Wassermenge vermindert oder die vorhandene Wassergüte beeinträchtigt werden kann. Geschütztes Gut ist also der Wasserhaushalt als Ganzes. Alle Gewässer, auch das Grundwasser, sind einbezogen. Das Wasserwegerecht behandelt die Verkehrs- und Transportfunktion der Oberflächengewässer, die dafür in Betracht kommen 1 . b) Gesetzgebungskompetenz: Bisher steht dem Bund nach Art. 75 Ziff. 4 GG nur eine Rahmenkompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft zu2. Davon hat er im WasserhaushaltsG Gebrauch gemacht. Es ist nicht an die Landesgesetzgeber, sondern unmittelbar bürgeradressiert. Allerdings wird es erst zusammen mit dem jeweils rahmenausfällenden LandeswasserG vollziehbar3. In der Bundesrepublik gibt es daher 11 Wasserrechte, nämlich in jedem Land eine zusammengesetzte Rechtsordnung, in der das WHG und das LWG ineinandergreifen. Das gilt auch für Bundeswasserstraßen. Der Versuch des Bundes, sich mit dem G zur Reinhaltung der Bundeswasserstraßen 4 auch die Wasserwirtschaftshoheit zu sichern, ist am Bundesverfassungsgericht5 gescheitert. Die Vierte Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz vom 16. Oktober 1976 (BGBl. I, S. 3017) hat das Wasserrecht in mehrfacher Hinsicht auf neue Grundlagen gestellt. Ferner hat das Bundes-Abwasserabgabengesetz, das zusammen mit der Vierten Novelle verabschiedet worden ist, neue Akzente gesetzt. Bisher hat lediglich Nordrhein-Westfalen ein neues Landeswassergesetz erlassen, in dem auch die Abwasserabgabe geregelt ist. Hamburg, Hessen und Bremen haben dagegen Landesabwasserabgabengesetze verabschiedet und die bestehenden Landeswassergesetze geändert. In den letzten Jahren hat die Europäische Gemeinschaft, gestützt auf die Art. 100, 235 der Römischen Verträge, eine führende Rolle im Kampf gegen die Verschmutzung der Gewässer übernommen. Bisher geht es dabei nicht 1 2

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Zum Wasserrecht als Teil des Umweltschutzrechts, siehe Breuer, in diesem Lehrb., 7. Abschn. Der Versuch, für den Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu schaffen, ist im Jahre 1970 erneut am Widerstand des Bundesrates gescheitert (BTDrucks. VI/1298). BVerfG E 15, 17. Gesetz vom 17. August 1960 (BGBl. II, S. 2125). BVerfG E 15, 1.

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um eine eigentliche Harmonisierung der Wasserrechte der Mitgliedstaaten, sondern um die Beschränkung ihrer Bewirtschaftungshoheit durch Einleitungsstandards oder durch Gewässerstandards. Die folgenden Richtlinien gelten einheitlich in allen neun Mitgliedstaaten: — Richtlinie des Rates betr. die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft v. 4. Mai 1976. — Richtlinie des Rates über Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedstaaten vom 16. Juni 1975. — Richtlinien des Rates über die Qualität der Badegewässer vom 8. Dezember 1975. — Richtlinie des Rates über die Qualität von Süßwasser, das schütz- oder verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten, v. 18. Juli 1978. — Richtlinie des Rates über den Schutz des Grundwassers gegen Verschmutzung durch bestimmte gefährliche Stoffe, v. 17. Dezember 1979. Diese Richtlinien sind nicht unmittelbar geltendes Recht. Ihre Umsetzung in nationales Wasserrecht wird durch das Wasserhaushaltsgesetz (z. B. § 7 a, § 18a, § 36b WHG) oder durch die Landeswassergesetze sichergestellt. Das Wasserwegerecht ist seit Erlaß des BundeswasserstraßenG geteilt. Die Bundeswasserstraßen sind im wesentlichen mit den Binnenwasserstraßen identisch, für die dem Bund nach Art. 74 Ziff. 21 GG konkurrierende Gesetzgebung zukommt, soweit es um ihre Funktion als Verkehrswege oder die Regelung der Schiffahrt darauf geht6. Das BundeswasserstraßenG dürfte die Materie abschließend normiert haben. Für alle anderen Oberflächengewässer, an denen Schiffahrt und Flößerei möglich sind, gilt Landesrecht. Die wasserwegerechtlichen Bestimmungen sind aber durchweg in die jeweiligen Landeswassergesetze aufgenommen, in denen also neben der Rahmenausfüllungskompetenz für die Wasserwirtschaft auch zugleich die Vollkompetenz für die Landeswasserwege ausgeschöpft ist7. 2. Wasserrecht als öffentliches Recht a) Hoheitlicher Bezug: Das Wasserrecht ist öffentliches Recht. Die Bewältigung einer derart umfassenden, dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe gehört auch nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 73 zu den typischen Angelegenheiten des öffentlichen Rechts, die mit den Mitteln des Privatbereiches kaum erfüllt werden können. Wer Gewässer wasserwirtschaftlich oder zu Verkehrszwecken in Anspruch nehmen will, ist hoheitsunterworfen, auch wenn er selbst Eigentümer sein sollte. Soweit der Staat 6

BVerfG E 15, 8. In seinem Beschluß vom 11. April 1967 (DÖV 1967, 563) hat das BVerfG die wasserwegerechtlichen Bestandteile der früheren wie der heutigen Wassergesetze übersehen; vgl. Salzwedel, DÖV 1968, 103. 7a BVerfG E 58, 300, 344 (Naßauskiesung). 7

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Eigentümer des Gewässers ist, verfügt er darüber primär nicht als Fiskus, sondern kraft hoheitlicher Gewässerherrschaft. b) Bewirtschaftung: Das Recht der Wasserwirtschaft wird dadurch noch besonders gekennzeichnet, daß die Benutzung der Gewässer nicht allein hoheitlich kontrolliert wird — der Wasserschatz ist bewirtschaftet8. Nach § 2 I WHG bedarf jede Benutzung einer Erlaubnis oder einer Bewilligung der Wasserbehörde. Der Katalog der Benutzungen in § 3 I und II WHG ist so weit gespannt, daß fast jeder Zugriff und fast jede Einwirkung auf das Gewässer damit zunächst verboten ist, wie auch immer die Eigentumsverhältnisse sein mögen. Die Erteilung einer Erlaubnis oder einer Bewilligung ist ausgeschlossen, soweit von der beabsichtigten Benutzung eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung zu erwarten ist (§ 6 WHG). Entscheidend ist nun, daß auch dann, wenn diese Sperrwirkung zugunsten des unmittelbaren Gemeinschaftsbedarfs an Wasser nicht eingreift, kein Rechtsanspruch auf Erteilung besteht. Die Wasserbehörde hat Zuteilungsermessen. Wird eine Erlaubnis versagt oder nur unter Bedingungen oder Auflagen erteilt, kann das Verwaltungsgericht die Entscheidung nach § 114 VwGO nicht voll nachprüfen. Die Entscheidung wird nur aufgehoben, wenn die Wasserbehörde die Grenzen ihres Ermessens verkannt oder von dem Ermessen nach fehlerhaften Gesichtspunkten Gebrauch gemacht hat. Daß das Verwaltungsgericht die Wasserbehörde zur Erteilung einer Erlaubnis verurteilt, ist — abgesehen vom selteneren Fall der Ermessensschrumpfung — ausgeschlossen9. Die Kernfrage geht dahin, nach welchen Gesichtspunkten die Wasserbehörde über den Antrag auf Erteilung befinden soll. Das WasserhaushaltsG schweigt; die Landeswassergesetze beschränken sich auf Regelungen für das Zusammentreffen konkurrierender Anträge, wie die des § 28 nordrh.-westf. LWG, wonach vorrangig die Bedeutung der beabsichtigten Benutzung für das Wohl der Allgemeinheit, berücksichtigt werden soll. Immerhin ist daraus zu entnehmen, daß die Sozialwertigkeit der beabsichtigten Benutzung den Maßstab bildet. Dem steht gegenüber, welche Kapazitäten zur Deckung des gegenwärtigen und des konkret voraussehbaren Wasserbedarfs noch zur Verfügung stehen10. Eine wasserwirtschaftliche Rahmenplanung, die den nutzbaren Wasserschatz, Erfordernisse des Hochwasserschutzes und die Reinhaltung der Gewässer berücksichtigt, soll den Wasserbehörden die erforderlichen Daten liefern (§ 36 WHG). Auch das Zusammenwirken dieser beiden Kompetenzen läßt indes die Entscheidung der Wasserbehörde nicht auf eine im Einzelfall allein richtige zusammenschrumpfen. Es ist letztlich Sache der 8

9 10

Zur Notwendigkeit einer Bewirtschaftung BVerfG E 58, 300, 342 f. u. 347. Das Abfallrecht umfaßt das Wasserrecht auch insoweit nicht, als es um die Beseitigung von Abwasser geht. Vgl. zum Abfallbeseitigungsgesetz v. 7. Juni 1972 (BGBl. I, S. 873) in diesem Punkt Sautter, ZfW 1974, 213. P. Gieseke/ W. Wiedemann / M. Czychowski, WHG, § 6 Anm. 2. Vgl. Salzwedel, Gas- und Wasser-Fach 1963, 621.

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Wasserwirtschaftspolitik der Regierungen der Länder, die auch das WHG nach Art. 83 GG als eigene Angelegenheit ausführen, welchen Stellenwert sie dem Antragsteller auf der Rangliste der wasserwirtschaftlichen Benutzungen zubilligen und wie haushälterisch sie mit dem — jenseits des § 6 WHG verfügbaren — Wasserschatz umgehen 11 . Eine entscheidende Schwäche des Bundesrechts bestand bisher darin, daß die Grenze des Bewirtschaftungsermessens der Länder in § 6 WHG kaum konkretisiert werden konnte. So sehr die Gewässerverschmutzung auch zunahm, ob die Erteilung einer Bewilligung oder Erlaubnis im Einzelfall rechtswidrig war oder nicht, blieb offen. Daher hat die Vierte Novelle zum WHG an diesem Punkt angesetzt: die Erteilung wird davon abhängig gemacht, daß die Einleitungsstandards nach § 7 a WHG festgesetzt und daß die von den Ländern nach § 36 b WHG aufzustellenden Gewässerstandards nicht überschritten werden. In der gleichen Richtung wirken sich die wasserrechtlichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts aus: so müssen allen Abwassereinleitern Reinigungsmaßnahmen im Sinne der „best available means" auferlegt werden, soweit es sich um Stoffe oder Stoffgruppen der sogenannten Schwarzen Liste handelt, im übrigen müssen Sanierungsprogramme für Gewässer schrittweise durchgesetzt werden, die mit Stoffen der sogenannten Grauen Liste überlastet sind. Das neue Instrumentarium des Bundesrechts umfaßt vor allem folgende Maßnahmen, die die Länder treffen müssen: — Alle Bescheide über Abwassereinleitungen müssen mit Reinigungsauflagen „nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik", wenn nicht sogar nach den gemeinschaftsrechtlichen best available means gekoppelt werden (§7a WHG). — Die Länder stellen Abwasserbeseitigungspläne mit dem Ziel auf, die Zahl der Direkteinleiter zu vermindern, also möglichst viele Abwassereinleiter an die kommunalen Entwässerungssysteme und Kläranlagen anzuschließen (§ 18 a WHG). — Die Länder stellen Bewirtschaftungspläne für oberirdische Gewässer zur Sicherung der öffentlichen Wasserversorgung auf, die durch Maßnahmen nach § 36b Abs. 5 WHG zu vollziehen sind. — Die Länder erheben von den Abwassereinleitern vom 1.1. 1981 Abwasserabgaben, die bundeseinheitlich bemessen sind und ungerechtfertigte Vorteile abschöpfen, die den Gewässerverschmutzern bisher zukommen. Das Bewirtschaftungssystem ist ohne Lücken. Es erfaßt auch alle hoheitlichen Benutzer. Darunter fallen vor allem die Einleitungen der kommunalen Kanalisation, die allenthalben als hoheitliche Veranstaltung gilt12, in Hessen offenbar auch die Entnahmen der kommunalen Wasserversorgung, die sonst fiskalisch etikettiert wird13. Bundesbehörden wie die Bundespost und die Bundeswehr sind dem Wasserrecht unterworfen, auch insoweit als die Lan11 12 13

Salzwedel, R. d. Wasserwirtsch. H. 15, S. 35. BGH LM Nr. 81 zu § 13 GVG; BGH DÖV 1965, 203. Gönnenwein, GemeindeR, S. 480, insbes. Fußn. 3.

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desgesetze das WHG ausfüllen. Die Erlaubnispflicht ist nur dort eingeschränkt, wo unausweisliche B e d ü r f n i s s e m i l i t ä r i s c h e r G e h e i m h a l t u n g ein Erteilungsverfahren ausschließen 14 . Nach § 13 WHG bedürfen sogar diejenigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, die eigentlich nur um des Wassers willen da sind, einer Erlaubnis oder Bewilligung, nämlich die Wasserund Bodenverbände sowie die einschlägigen kommunalen Zweckverbände. Nur die auf SonderG beruhenden großen Wasserverbände Nordrhein-Westfalens sind befreit 15 . Hat eine Behörde sich nun einer hoheitlichen Benutzung ohne Erlaubnis schuldig gemacht, ist dies zwar rechts- und polizeiwidrig. Aber durch Verwaltungsakt kann man dagegen nicht vorgehen. Die Frage muß verwaltungsintern geregelt werden 16 . 3. Gewässereigentum a) Gegenstand und Eigentümer: Wasser ist eigentumsfähig. Privates Eigentum an der „fließenden Welle" ist so zu begreifen, daß sich die rechtliche Herrschaft jeweils auf die Wassersäule erstreckt, die sich über oder unter dem Grundstück befindet 17 . Während das WasserhaushaltsG zu den Fragen schweigt, wer Eigentümer der Gewässer ist und wie weit die Sachherrschaft reicht, haben die Landeswassergesetze darüber Bestimmungen getroffen. Für Bundeswasserstraßen ist allerdings das Eigentum des Bundes durch Art. 89 I GG vorgegeben. Gewässer erster Ordnung sind Eigentum des Landes. Die übrigen oberirdischen Gewässer gehören in der Regel den Eigentümern der Ufergrundstücke 18 . Grundwasser ist Bestandteil des Grundstückeigentums 183 . b) Duldungspflicht: Mit der Sachherrschaft ist es freilich nicht weit her. Alle Länder haben die öffentlich-rechtliche mit der privatrechtlichen Seite der Gewässer in der Weise verbunden, daß der Eigentümer verpflichtet ist, die durch Erlaubnis oder Bewilligung gedeckte Gewässerbenutzung zu dulden. Nach Art. 4 II bayer. LWG ist wenigstens die Privatnützigkeit gewahrt, indem der Eigentümer für die fremde Benutzung ein Entgelt verlangen kann. 14

BVerwG DVB1. 1968, 749. § 133 II S. 1 nordrh.-westf. LWG; dazu Dornheim, WasserR, in: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze des Landes Nordrh.-Westf., S. 444. 16 Vgl. B. Drews / G. Wacke / K. Vogel, Gefahrenabwehr Bd. I, § 9 Anm. 2 f. 17 L. Holtz / F. Kreutz/P. Schlegelberger, PrWG, § 7, Vorbem. A. Das gilt auch für das „öffentliche" Eigentum an den Gewässern in Bad.-Württ. Es bedeutet nichts anderes, als daß über Gewässereigentum der öffentlichen Hand nur öffentlichrechtlich, nicht also durch bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäfte, verfügt werden darf. 18 Vgl. z. B. § 5 nordrh.-westf. LWG; § 4 hamb. WG; § 53 nieders. WG; § 3 rheinl.pfälz. WG; Art. 6 bayer. WG. 18a Zu den neueren Entwicklungen zum Eigentumsbegriff: Leisner, DVB1. 1983, 61 ff. (zu BVerfG E 58, 300 ff.). 15

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In den anderen Ländern wird die Duldungspflicht zumindest dort ihre Grenzen haben, wo die Benutzung auch eine Inanspruchnahme des Gewässerbettes erfordert. Denn wenn auch die Benutzung „unentgeltlich" zu dulden ist, so doch nur die der Gewässer „als solche". Die herrschende Lehre will aber den Gewässereigentümer auch hier verdrängen und glaubt, dies mit der besonderen Sozialbindung des Gewässereigentums noch rechtfertigen zu können 19 . Nur für Grundwasser wird der Standpunkt kaum aufrechterhalten: das Betreten fremder Grundstücke zum Zwecke der unterirdischen Wassergewinnung kann nicht zulässig sein20. Aber für das unterirdische Anzapfen fremden Grundwassers von außen her wird die Frage wieder akut. 4. Wasserrechtliches Nachbarrecht a) Rechtsnatur: Dem hoheitlich ausgerichteten Recht der Wasserwirtschaft steht das wasserrechtliche Nachbarrecht 21 gegenüber. Denn nur die Beziehungen zwischen der Wasserbehörde und dem Benutzer oder Drittbetroffenen gehört dem öffentlichen Recht an. Zwischen Gewässerbenutzern gilt Bürgerliches Recht. Vor allem entstehen Abwehransprüche aus § 1004 BGB, ferner aus § 823 I und § 823 II BGB. b) Abwehransprüche: Auf wasserrechtliches Nachbarrecht wäre hier nicht einzugehen, wenn die Abwehransprüche unabhängig von einer Erlaubnis oder Bewilligung entstünden. In diese Richtung könnte § 2 II S. 1 W H G weisen, wonach weder die Erlaubnis noch die Bewilligung ein Recht auf Zufluß von Wasser bestimmter Menge und Beschaffenheit geben. Denn daß die Wasserbehörde damit keine Lieferzusage verbindet, versteht sich von selbst. Also könnte der § 2 II S. 1 WHG betonen wollen, daß es nur auf die in Satz 2 genannten „privatrechtlichen Ansprüche auf Zufluß bestimmter Menge und Beschaffenheit" ankäme — weder Erlaubnis noch Bewilligung verstärkten die Rechtsstellung gegenüber dem Nachbarn oder schränkten sie ein. Mit einer solchen radikalen Trennung der öffentlich-rechtlichen von der privatrechtlichen Nutzungsordnung wird man indes dem wasserrechtlichen Bewirtschaftungssystem nicht gerecht. Wer selbst nicht durch Erlaubnis oder Bewilligung öffentlich-rechtlich legitimiert ist, Gewässer zu benutzen, kann sich gegen Störungen durch andere Benutzer nicht zur Wehr setzen; ein pri19 20 21

Vgl. P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski, Einleitung VIII; dagegen Salzwedel, R. d. Wasserwirtsch. H. 12, S. 53 ff. P. Gieseke/ W. Wiedemann / M. Czychowski, § 8 Anm. 5; Gieseke, ZfW 1967/68, 28.

OLG München NJW 1967, 570; vgl. weiter Gieseke, ZfW 1967/68, 175. Hinsichtlich des Abflusses von Niederschlagswasser kommen auch die Nachbarrechtsgesetze von Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1959 (GBl. S. 171), Hessen vom 24. September 1962 (GVB1. I, S. 477), Niedersachsen vom 31. März 1967 (GVB1. I, S. 91) und Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1969 (GVNW S. 190) zur Anwendung.

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vatrechtlicher Anspruch, sei es aus Eigentum, Recht am eingerichteten oder ausgeübten Gewerbebetrieb oder aus der Verletzung von Schutzgesetzen, steht ihm nicht zu. Ebenso schwach ist seine Rechtsstellung, wenn er selbst auf Unterlassung in Anspruch genommen wird. Mag ihm bürgerlich-rechtlich an sich das bessere Recht zustehen können, etwa weil er seine Anlagen früher errichtet hatte als der Kläger, ohne Erlaubnis oder Bewilligung bleibt ihm die Berufung darauf verschlossen. Freilich wird man dem Inhaber einer Erlaubnis oder Bewilligung denjenigen gleichzustellen haben, der — ausnahmsweise — einen Rechtsanspruch darauf besitzt, weil die Wasserbehörde ihm die Benutzung schlechterdings unter keinem Gesichtspunkt verweigern dürfte. Denn nicht die formelle, sondern die materielle Rechtswidrigkeit ist entscheidend, der verbotene Griff nach der geschützten Wassermenge oder Wassergüte 22 . Es ist vertreten worden, offenbar im Wege berichtigender Auslegung des § 2 II WHG, daß ein Bewilligungsinhaber ein privates Recht auf Zufluß gegen Dritte habe, und zwar mit dem gleichen Umfang, wie der Bewilligungsbescheid das subjektiv-öffentliche Recht umschreibt 23 . Solche Aussagen kann man aber allenfalls den Landeswassergesetzen entnehmen, und zwar, entgegen Gieseke / Wiedemann / Czychowski24 auch nur denjenigen, die — wie § 26 I nordrh.-westf. LWG 25 — auf Ansprüche aus dem bewilligten Recht die Vorschriften des BGB über Ansprüche aus dem Eigentum anwendbar sein lassen. Im übrigen wird der Unterlassungsanspruch aus § 823 I BGB auf Verletzung des Gewässereigentums gestützt werden können 26 . Das trifft stets zu, wenn es sich um stationäre Wasservorkommen handelt, etwa bei Seen, Teichen, auch meist bei Grundwasser 27 . Besteht nur Eigentum an der fließenden Welle wie bei Wasserläufen oder Grundwasserströmen, kann also nur das Recht auf Zufluß, auf Regeneration der jeweiligen Wassersäule über oder unter dem Grundstück entscheidend sein, so ist ein Abwehranspruch gegeben, wenn für die Ausnutzung bereits rechtmäßige Anlagen oder Einrichtungen vorhanden sind und die Beeinträchtigung des Zuflusses die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen würde 28 . In der Regel ist dann auch ein Anspruch wegen Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegeben 29 . Zur öffentlich-rechtlichen Legitimation genügt eine Erlaubnis; der 22 23 24 25 26 27 28

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BayObLG NJW 1965, 973; zur baurechtlichen Parallele vgl. BVerwG E 3, 351. Früher: F. Sieder/H. Zeitler, WHG, § 2 Anm. 10; heute differenzierter: F. Sieder/ H. Zeitler / H. Dahme, WHG, § 2 Anm. 10-10 b. P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski, § 8 Anm. 2. Weiter z. B. § 15 I berl. WG; § 12 brem. WG; § 12 nieders. WG; § 19 hess. WG. A. A.: P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski, § 8 Anm. 2. So im Ergebnis wohl auch P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski, a. a. O. Salzwedel, Bürgerlich-rechtliche Unterlassungsansprüche gegen Gewässerbenutzer, Kongreßbericht 1968, in: Vorträge Wasser Berlin 1968, Hrsg. Kongreß und Ausstellung Wasser Berlin e. V. Dazu Gieseke, ZfW 1964, 37ff.; vgl. auch Salzwedel, a. a. O.

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Anspruch ergibt sich hier nämlich allein aus den bürgerlich-rechtlichen Positionen, nicht aus dem subjektiv-öffentlichen Recht. Soweit Abwehransprüche aus § 823 II BGB hergeleitet werden, fragt es sich, ob die wasserrechtlichen Bestimmungen Schutzgesetzcharakter haben. Die Rechtsprechung 30 neigte früher dazu, dies für § 2 I WHG anzunehmen, so daß jeder, dessen Nutzungsinteressen irgendwie davon berührt werden, gegen unerlaubte Benutzungen Klage erheben könnte. Dem wird man kaum folgen können. Die heute herrschende Lehre sieht die entscheidenden Schutzgesetze in den materiell-rechtlichen Bestimmungen der Landeswassergesetze, die § 8 IV WHG ausfüllen 31 . Darin wird zwar an sich geregelt, wer ohne Inhaber eines „Rechts" (§ 8 III WHG) zu sein, gegen die Erteilung einer Bewilligung Einwendungen erheben kann. Aber zugleich wird damit der Kreis derjenigen umschrieben, die berechtigt sein sollen, Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung gegen den neuen Eingriff in das Gewässer geltend zu machen32. In der Regel gehören dazu alle Benutzer, Anlieger oder Hinterlieger, Gewässereigentümer, die dadurch erhebliche Nachteile zu erwarten haben, daß durch die beabsichtigte Benutzung der Wasserabfluß verändert oder das Wasser verunreinigt wird33. Auch dieser Anspruch muß indes sehr restriktiv interpretiert werden, weil sonst die Zementierung der bestehenden wasserrechtlichen Nutzungsverhältnisse, der man mittels des öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftungssystems gerade hat begegnen wollen, durch die Hintertür des wasserrechtlichen Nachbarrechts wieder akzeptiert würde. Deshalb wird auch hier nur eine Beeinträchtigung ohnehin geschützter Rechte aus Gewässereigentum oder Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ausreichen. Soweit es freilich um ein Recht auf Zufluß geht, reicht das Schutzgesetz weiter: es gibt einen Unterlassungsanspruch nicht nur gegen Benutzungen, die die Wirtschaftlichkeit vorhandener Anlagen schlechthin in Frage stellen, sondern gegen alle Beeinträchtigungen der Wassermenge und Wassergüte, die erheblich erscheinen34. § 22 WHG hat eine Gefährdungshaftung eingeführt, die in Absatz I an bestimmte verunreinigende Gewässerbenutzungen, in Absatz II an die Unterhaltung bestimmter verunreinigungsgeeigneter Anlagen geknüpft ist. Richtiger Ansicht nach setzen beide Anspruchstatbestände voraus, daß die Verun-

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OLG München NJW 1967, 570; bespr. von Giesekem Z f W 1967/68, S. 175ff.; dort auch Hinweis auf das nicht veröffentlichte Urteil des BVerwG vom 7. Juni 1967 (IV C 208/65). So zuerst Salzwedel, R. d. Wasserwirtsch., H. 12, S. 62; weiter Gieseke, ZfW 1967/68, 177; Dellian, Anm. zu OLG München NJW 1967, 570; jetzt BVerwG E 36, 248; 41, 58. Salzwedel, a . a . O . Vgl. z. B. § 27 I nordrh.-westf. LWG; Art. 18 bayer. W G ; § 15 bad.-württ. W G ; § 20 hess. W G ; § 13 schlesw.-holst. WG. Salzwedel,a.a.O.

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reinigung rechtswidrig ist, sei es nach öffentlichem oder privatem Recht 35 . Sie stellen also mithin nur eine Fortbildung der Abwehr- und Schadensersatzansprüche des wasserrechtlichen Nachbarrechts in der Weise dar, daß es — anders als nach § 823 I oder II BGB — auf Verschulden des Benutzers oder Anlageninhabers nicht ankommt. Fraglich ist, ob nicht von da her auch der uferlose Kreis der Anspruchsberechtigten — jeder, dem daraus ein Schaden entstanden ist? — entsprechend eingedämmt werden muß 36 . Das Fehlen jeglicher Höchstsummen der Haftung wiegt schwer genug.

II. Wasserbehörden 1. Vollzug des Rechts der Wasserwirtschaft Die Kompetenzen beim Vollzug des Wasserhaushaltsgesetzes und der jeweils rahmenausfüllenden Landeswassergesetze liegen durchweg bei den Ländern, und zwar bei der allgemeinen Landesverwaltung. Danach ergeben sich für die Wasserbehörden die gleichen Verschiedenheiten, die der Behördenaufbau der Länder untereinander sonst aufweist. Wo Mittelbehörden bestehen, sind die Regierungspräsidenten obere, die Kreise untere Wasserbehörde und teilen sich in die wichtigsten Zuständigkeiten. In Nordrhein-Westfalen ist nach dem neuen Landeswassergesetz die Erteilung von Bewilligungen und Erlaubnissen unterschiedlich geregelt; mehrheitlich ist jedoch der Regierungspräsident hierfür zuständig 37 . Wenngleich fast überall nicht mehr von Wasserpolizei, sondern von Wasseraufsicht die Rede ist38, liegt der Kern der wasserbehördlichen Befugnisse doch nach wie vor in der Gefahrenabwehr 39 . Daß die Bewirtschaftung des Wassers weit in den Bereich der Wohlfahrtspflege hineinragt, steht dem auch nicht entgegen. Allenthalben handelt es sich deshalb um staatliche oder zumindest an sich staatliche Aufgaben, nicht um kommunale. Die staatliche Wasserwirtschaftspolitik kann deshalb überall durch Weisungen von oben 35

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F. Sieder / H. Zeitler / H. Dahme, § 22 Anm. 23; P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski, § 22 Anm. 7; Aschenberg, ZfW 1967/68, 254; a. A.: Burghartz, Komm., § 22 Anm. 1; Lorenz, Schuldrecht II, 10. Aufl., S. 559. Eine solche enge Auslegung des § 22 WHG würde in der Konsequenz der Ausführungen von Salzwedel, a. a. O., liegen. §§ 30, 136 nordrh.-westf. LWG. Auch hier zeigt sich gegenüber dem früheren Landeswassergesetz die rechtliche Annäherung zwischen Erlaubnis und Bewilligung; vgl. §§ 22, 97 nordrh.-westf. LWG (a. F.). So z. B. die §§ 116ff. nordrh.-westf. LWG; § 82 bad.-württ. WG; § 69 schlesw.-holst. WG; Art. 68 bayer. WG. Vgl. § 138 nordrh.-westf. LWG: „Die Wasserbehörden sind Sonderordnungsbehörden. Die ihnen nach dem Wasserhaushaltsgesetz und diesem Gesetz obliegenden Aufgaben gelten als solche der Gefahrenabwehr. Ihre Befugnisse zur Gefahrenabwehr auf Grund allgemeinen Ordnungsrechts bleiben unberührt."

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nach unten gelenkt und uniform durchgesetzt werden. Auch in NordrheinWestfalen, wo die Wasserpolizei zu den Pflichtaufgaben nach Weisung zählt, können die Landkreise oder kreisfreien Städte gebunden werden. Die gesetzlichen Schranken des Weisungsrechts sind weitläufig formuliert und nicht justitiabel40. 2. Vollzug des Wasserwegerechts und Schiffahrtsrechts Für die wasserwegerechtlichen und verkehrsrechtlichen Kompetenzen an Bundeswasserstraßen hat Art. 89 II GG dem Bund eigene Mittel- und Unterbehörden, die Wasser- und Schiffahrtsdirektionen sowie Wasser- und Schifffahrtsämter, gesichert. Die Strompolizei umfaßt die Sorge für die Erfüllung der Unterhaltungspflicht, die Erteilung von Anlagegenehmigungen, die Abwehr von Eingriffen oder Einwirkungen Dritter41. Die Schiffahrtspolizei hat es dagegen mit den Verkehrsteilnehmern, den Schiffern, zu tun 42 . Allerdings fehlt eine mobile Vollzugspolizei des Bundes auf dem Wasser. In die Lücke tritt die Wasserschutzpolizei des jeweiligen Landes, die indes zugleich allgemeinpolizeiliche Aufgaben wahrnimmt wie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Verbrechensbekämpfung und die Untersuchung von Unfällen 43 . Auf allen anderen Oberflächengewässern kommen den allgemeinen Wasserbehörden auch die wegerechtlichen und schiffahrtsrechtlichen Befugnisse zu, weil sie die Landeswassergesetze in diesem Bereich ebenfalls vollziehen. III. Erlaubnis und Bewilligung 1. Benutzungen Der Begriff der Benutzungen grenzt den — vorbehaltlich der §§ 23, 24 WHG — erlaubnispflichtigen Gebrauch der Gewässer von denjenigen Tätigkeiten ab, die vom präventiven Gewässerschutz überhaupt nicht erfaßt sind. Dabei stellt § 3 WHG die echten Benutzungen des Abs. I, bei denen der Wille des Unternehmers final auf den wasserwirtschaftlichen Erfolg gerichtet ist, den unechten des Abs. II gegenüber, die nur als Benutzungen gelten, weil möglicherweise überhaupt keine Einwirkung auf Wassermenge oder Wassergüte beabsichtigt ist. Zu den Ersteren gehören vor allem das Entnehmen und 40 41 42 43

Vgl. Salzwedel, KommunalR in Nordrh.-Westf., in: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze des Landes Nordrh.-Westf., S. 230; Salzwedel, W d S t R L 22 (1965), S. 218. Dazu vgl. L. Holtz / F. Kreutz / P. Schlegelberger, PrWG, IV vor § 342; B. Drews / G. Wacke / K. Vogel, a. a. O., § 2 Anm. 2 b. § 1 I Ziff. 2 des G über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt vom 15. Februar 1956 (BGBl. II, S. 317). Vgl. §§3,6, 12 ff. nordrh.-westf. PolG; siehe auch B. Drews / G. Wacke / K. Vogel, a. a. O., § 3, 1 b y.

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Ableiten von Wasser sowie das Einbringen fester oder Einleiten flüssiger Stoffe in oberirdische Gewässer oder das Einleiten in das Grundwasser. Nur die unmittelbare Entnahme oder Einleitung zählt. Deshalb ist die mittelbare Einleitung von verunreinigenden Stoffen in die Kanalisation nicht erfaßt 44 . Unter den unechten Benutzungen ist die Generalklausel des § 3 II Ziff. 2 WHG am wichtigsten; erlaubnispflichtig sind alle Maßnahmen, die objektiv geeignet sind, schädliche Veränderungen der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Wassers herbeizuführen. Bei unechten Benutzungen gewinnt die Erteilung der Erlaubnis oder Bewilligung einen ganz anderen Inhalt, weil der Unternehmer überhaupt keinen Anteil am Wasserschatz beanspruchen will und die Wasserbehörde also auch keinen Part zuteilt. Die Abwägung kann sich nur darauf beziehen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer wirklichen Einwirkung auf das Gewässer ist und welche Folgen solchenfalls auftreten würden, ferner ob diese in Kauf genommen werden könnten oder nicht. Maßnahmen, die dem Ausbau (§ 31 WHG) oder der Unterhaltung (§ 28 WHG) der Gewässer dienen, gelten nicht als Benutzung. Der Einsatz chemischer Mittel bei der Gewässerunterhaltung ist neuerdings aber erlaubnispflichtig. 2. Erlaubnis und Bewilligung a) Abgrenzung: Das alte WHG hatte Erlaubnis und Bewilligung in drei Hinsichten voneinander unterschieden. Die Erlaubnis war bloß widerruflich, bloß persönlich und ohne Drittwirkung. Die Bewilligung war unwiderruflich, dinglich und schloß Abwehr- und Schadensersatzansprüche Dritter aus. Unangetastet ist nur noch das erste Merkmal; die beiden anderen haben inzwischen die Vierte Novelle oder das Landesrecht teilweise relativiert 45 . So geht jetzt nach § 7 Abs. 2 W H G auch die Erlaubnis mit der Wasserbenutzungsanlage oder, wenn sie für ein Grundstück erteilt ist, mit diesem auf den Rechtsnachfolger über, soweit nicht bei der Erteilung ein anderes bestimmt ist. In Berlin gelten alle Vorschriften, die die Drittwirkung der Bewilligung ausmachen, nämlich § 8 III, § 10 und § 11 WHG, auch für die Erlaubnis (§ 16 I berl. LWG). In Bayern trifft dies weithin für die qualifizierte Erlaubnis zu — nur ist § 11 W H G nicht voll in Bezug genommen, weil allein Abwehr — nicht auch Schadensersatzansprüche Dritter ausgeschlossen werden sollen (Art. 16 III bayer. LWG). Soweit schließlich in vielen Landeswassergesetzen nur § 8 III W H G für anwendbar erklärt wird, kann man vielleicht den Stand44

45

Burghartz, Komm., § 3 Anm. 1; Abt, R. d. Wasserwirtsch. H. 12, S. 105; a. A.: P. Gieseke / W. Wiedemann / M. Czychowski, WHG, § 3 Anm. 7 c; F. Sieder / H. Zeitler / H. Dahme, WHG, § 3 Anm. 3. Vgl. zum Unterschied zwischen Bewilligung und Erlaubnis BVerwG E 41, 58; zur Bewilligung OVG NW OVGE 28, 149; rechtspolitische Vorschläge: SalzwedelZfW 1971, 34 und R. d. Wasserwirtsch. H. 19 (1975) S. 40ff.

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punkt vertreten, daß die §§ 10, 11 WHG sich dem Sinn nach auch auswirken sollen. Allerdings setzt dies ein förmliches Verfahren voraus, das nicht überall ausdrücklich vorgeschrieben ist46. Überwiegend wird für diese Fälle jedoch eine Ausschlußwirkung abgelehnt47. Manche gehen so weit, die genannten Vorschriften über eine Drittwirkung überhaupt für unzulässig zu halten, weil die Annäherung der Erlaubnis an die Bewilligung am stärkeren Bundesrecht scheitere48. Dem wird man nicht folgen können, weil das WHG nur in der Frage „widerruflich oder nicht ganz dezidiert", im übrigen ausfüllungsfähig ist. b) Begriff der Drittwirkung: Was heißt nun Drittwirkung? Das Bewilligungsverfahren und teilweise also auch das Erlaubnisverfahren ist ein Zerreißwolf 49 für bürgerlich-rechtliche Abwehr- oder Schadensersatzansprüche, mit denen die wasserrechtlichen Nachbarn dem schlichten Erlaubnisinhaber das Leben sauer machen könnten (§ 11 WHG). Es handelt sich um privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte, die in ihrer anspruchsvernichtenden Wirkung nur vor Verträgen halt machen (§1111 WHG). Während der Erlaubnisinhaber also darauf angewiesen ist, das Risiko nachträglicher Abwehrklagen hinzunehmen und sich von Fall zu Fall freizukaufen, hat der Bewilligungsinhaber nach Rechtskraft des Bescheides eine sichere Kalkulationsbasis. Lediglich wegen zunächst unvoraussehbarer Auswirkungen seiner Benutzung sind noch Nachforderungen möglich (§ 10 WHG). Der verdrängte Nachbar ist nach § 8 III WHG zu entschädigen. Diesen „bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch" 50 dürfte stets der begünstigte Unternehmer zu erfüllen haben51. Während der Anspruch aber z. B. in § 14 BImSchG auf vollen Schadensersatz (§ 249 BGB) gerichtet ist52, löst der Bewilligungsinhaber die entgegenstehenden Ansprüche mit einer bloßen „angemessenen Entschädigung" (§ 20 WHG) ab. Viele Landeswassergesetze haben der Bewilligung, diesmal über das WHG hinaus, den Charakter eines absoluten privaten Rechts zugesprochen, auf das die Vorschriften über das Eigentum anwendbar seien. Wie bereits hervorgehoben, wird man in diesen Ländern davon ausgehen können, daß sich der Inhalt des privaten Rechts nicht nach dem Schutzbereich des Eigentums oder des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs bestimmt, worauf sich sonst jeder Benutzer gegenüber Dritten stützt, sondern nach dem Bewilligungsbescheid. 46 47 48 49 50 51

52

Vgl. dazu Salzwedel, R. d. Wasserwirtsch. H. 12, S. 71 ff. So Wiedemann, DVB1. 1966, 475/76. P. Gieseke/ W. Wiedemann / M. Czychowski, WHG, § 7 Anm. 10. Näheres bei Salzwedel, a. a. O. Dazu näher Soergel / Siebert / Baur, BGB, Anm. 77 vor § 903; vgl. auch BGHZ 16, 366. So die Landesrechte, vgl. z. B. § 94 V bad.-württ. WG; Art. 74 V bayer. WG; § 84 berl. WG; §89 IV hess. WG; §46 nieders. WG; etwas abweichend §79 IV schlesw.holst. WG. RGZ 139,29(34-36).

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3. Voraussetzungen der Erteilung a) Grundsätze der Wasserbehörde: Im Regelfall ist nur eine Erlaubnis zu erteilen, die die Dispositionsfreiheit der Wasserbehörde für die Zukunft an sich unberührt lassen soll. Nach § 8 II WHG darf eine Bewilligung — wohl gerade wegen der Bindung der Wasserbehörde, kaum wegen der Drittwirkung — nur erteilt werden, wenn dem Unternehmer die Durchführung seines Vorhabens ohne gesicherte Rechtsstellung nicht zugemutet werden kann und die Benutzung nach einem bestimmten Plan verfolgt wird. Der Erlaubnisinhaber baut öffentlich-rechtlich und bürgerlich-rechtlich auf Sand, weshalb die Darlegung eines bestimmten Benutzungszwecks und einer hinreichenden Sozialwertigkeit ausreicht. Der Bewilligungsinhaber verlangt Sicherheit gegenüber Staat und Dritten. Daher sind strenge Anforderungen zu stellen: der Benutzungszweck muß nach einem bestimmten Plan verfolgt werden, der zugleich den Inhalt des Rechtes fixiert, die Sozialwertigkeit muß besonders hoch, das Schutzbedürfnis wegen der Investitionen eindrucksvoll sein. Auch wenn die Voraussetzungen des § 8 II WHG, die sämtlich unbestimmte Rechtsbegriffe darstellen, nachgewiesen sind, besteht noch kein Rechtsanspruch auf Erteilung. Vielmehr setzt dann erst das Zuteilungsermessen der Wasserbehörde ein, und die Entscheidung gegen den Unternehmer ist, wenn ohne Ermessensfehler getroffen, immer noch rechtmäßig und unangreifbar 53 . Seit Inkrafttreten der Vierten Novelle dürfen Bewilligungen für Abwassereinleitungen nicht mehr erteilt werden. Bereits erteilte Bewilligungen bleiben aber aufrechterhalten. Die Widerruflichkeit soll vor allem deshalb gewährleistet werden, weil neue Einleitungsstandards oder Gewässerstandards jederzeit durchgesetzt werden sollen, nicht erst nach Ablauf der Frist, für die eine Bewilligung erteilt worden war. b) Einwendungen Dritter: Der Antragsteller muß aber nicht nur das gesetzlich legitimierte Unbehagen der Wasserbehörde überwinden, sich für die Zukunft zu binden, sondern auch den Widerstand Dritter. Nach § 8 III WHG hat die Einwendung des Inhabers eines „Rechtes", der von der Benutzung nachteilig betroffen werden würde, Sperrwirkung, sofern Schutzvorkehrungen oder Ausgleichsmaßnahmen nicht möglich sind. Nur aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit kann sich die Wasserbehörde darüber hinwegsetzen, wobei sowohl streng-hoheitliche als auch protektionistische Erwägungen in Betracht kommen. Das ist aber ein Enteignungsfall — der Bundesgesetzgeber sieht eine Entschädigung vor, die Landesgesetzgeber gewähren sie in der Form eines sogenannten bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs gegen den begünstigten Unternehmer 54 . Inhaber eines Rechts sind alle diejenigen, die einen bürgerlich-rechtlichen Abwehranspruch gegen den Unterneh53

54

So das BVerwG NJW 1965, 1680 (Gildebrauerei-Fall), abgedruckt auch in ZfW 1965/66, S. 98 mit Anm. von Wiedemann; vgl. auch Külz, R. d. Wasserwirtsch. H. 15, S. 14/15, jetzt OVG NW OVGE 28, 149. Vgl. Fußn. 51.

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mer geltend machen könnten, gestützt vor allem auf Gewässereigentum oder Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, u. U. auf frühere Bewilligungen. Nach § 8 IV WHG können die Länder weitere Einwendungen zulassen, wovon sie in weitem Umfang Gebrauch gemacht haben 55 . Diese Vorschriften sind dann Schutzgesetze, die wieder weitergehende Abwehransprüche nach § 823 II BGB erzeugen55®. Wie die der Rechtsinhaber, können sie in dem Zerreißwolf des Bewilligungsverfahrens untergehen. Allerdings ist dies keine Enteignung; es genügt deshalb, daß der von der neuen Benutzung zu erwartende Nutzen den für den Betroffenen zu erwartenden Nachteil erheblich übersteigt, und Entschädigung braucht der Unternehmer nur zu zahlen, wenn die Länder dies ausdrücklich oder stillschweigend vorsehen. Denn da die Länder die Ansprüche erst hervorbringen, so können sie diese auch mit allen endogenen Schwächen behaften, die sachlich einleuchten. 4. Bedingungen und Auflagen a) Begriff: Die „Benutzungsbedingungen" des § 4 I WHG sind in Wahrheit Bestimmungen über den Inhalt des subjektiv-öffentlichen Rechts, z. B. über die höchstzulässige Wassermenge, die entnommen oder eingeleitet werden darf, letzterenfalls die tolerablen oder nichttolerablen verunreinigenden Stoffe. Echte aufschiebende oder auflösende Bedingungen sind aber nicht ausgeschlossen: sie machen die Entstehung oder Aufrechterhaltung des Benutzungsrechtes dann von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig. Auflagen haben nichts mit Entstehung oder Aufrechterhaltung des subjektivöffentlichen Rechts zu tun, sondern knüpfen an die Innehabung des Rechts unselbständige Verpflichtungen, die durch Verwaltungsakt festgesetzt und vollzogen werden können 56 . b) Zulässigkeit: Alle Inhalts- und Nebenbestimmungen 56 ® können im Interesse der Allgemeinheit getroffen werden, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mit dem verbrieften Benutzungsrecht stehen. Ob sie nach § 4 I S. 2 W H G auch generell zulässig sind, „um nachteilige Wirkungen für andere zu verhüten oder auszugleichen", ist zweifelhaft. Darin ist nur der mögliche Gehalt solcher Regelungen umschrieben, nicht aber schlechterdings eine Ermächtigung erteilt, die Interessen Privater wasserbehördlich durchzusetzen. Vielmehr sind, was die Ermächtigung angeht, zwei Fälle zu unterscheiden. Entweder handelt es sich um vorgegebene Abwehransprüche bzw. solche, die auf Grund der landesrechtlichen Ausfüllung des § 8 IV W H G entstanden sind. Sie bleiben von der Erlaubnis an sich unberührt; nur im Bewilligungs55

So z. B. Art. 18 bayer. WG; § 17 berl. WG; § 11 IV brem. WG; § 20 hess. WG; § 11 IV nieders. WG; § 27 I nordrh.-westf. LWG; insbesondere § 15 bad.-württ. WG. 55a Vgl. dazu BGH VersR 1983, 1137 in Ergänzung zu BGHZ 69, 1. 56 Vgl. Forsthoff, VwR I, 10. Aufl., S. 215. 56a Zur Auslegung von Nebenbestimmungen: BadWürttVGH, Urt. v. 21. 12. 1983-5 S. 2700/83.

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verfahren sind wegen der Ausschlußwirkung des § 11 WHG Einwendungen erforderlich. Diese Abwehransprüche dürfen nun von der Wasserbehörde auch im Erlaubnisverfahren berücksichtigt werden, wenn landesrechtlich § 8 III WHG in Bezug genommen ist, um Klagen vor den ordentlichen Gerichten zu erübrigen. Sie dürfen aber auch nur mittels bestimmter Benutzungsbedingungen oder Auflagen berücksichtigt werden, wenn der Dritte wirklich selbst entsprechende Einwendungen erhebt. Oder es handelt sich um Nachbarinteressen, die sich nicht zu einem Abwehranspruch verdichten, aber im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der wasserwirtschaftlichen Nutzungsordnung förderungswürdig erscheinen. Die Wasserbehörde kann die Betroffenen dann u. U. reflexhaft begünstigen. So sind nach § 24 Abs. 2 nordrh.-westf. LWG Nebenbestimmungen u. a. zulässig, „um sicherzustellen, daß die der Gewässerbenutzung dienenden Anlagen technisch einwandfrei gestaltet und betrieben werden". Müssen diese objektiven Interessen auch stets an konkreten Schutzobjekten exemplifiziert werden, sind es doch nicht die Unternehmer selbst, um derentwillen die Regelung getroffen wird. Stets müssen die höheren Sozialwertigkeiten den Ausschlag geben. c) Rechtsbehelfe: Wird einem Antrag auf Erteilung nur unter einschränkenden Bedingungen oder unter Auflagen stattgegeben, so liegt darin eine partielle Versagung, gegen die Widerspruch und Klage erhoben werden können. Zulässig ist aber nicht eine Anfechtungsklage, weil dies darauf hinausliefe, aus dem Bündel von Vorteilen und Nachteilen, die in der einheitlichen Ermessensausübung der Wasserbehörde miteinander untrennbar verkoppelt waren, einzelne Elemente herauszuschießen. Vielmehr ist die Klage darauf zu richten, die Wasserbehörde unter Aufhebung der Erlaubnis oder Bewilligung zu verpflichten, über den Antrag unter Vermeidung der beanstandeten Bedienung oder Auflage erneut zu entscheiden57. Selbstredend schließt dies das Risiko ein, daß die Wasserbehörde, erweist sich die Teilregelung wirklich als unzulässig, nunmehr ohne Ermessensfehler zu einer negativen Entscheidung im ganzen kommt. Ist eine Bedingung oder Auflage nichtig, fragt es sich, ob der so außerordentlich schwere Fehler den begünstigenden Verwaltungsakt insgesamt nichtig erscheinen läßt. Das ist der Fall, wenn die nichtige Teilregelung — für den Unternehmer erkennbar — innerhalb der Ermessensentscheidung der Wasserbehörde conditio sine qua non gewesen ist. Anderenfalls wird die betreffende Bestimmung einfach gestrichen. Insoweit ist eine Klage auf Feststellung der Teilnichtigkeit zulässig, auch wenn die Regelung nicht — wie etwa die Auflage — in sich schon die Merkmale eines Verwaltungsaktes erfüllt. d) Reinhalteordnungen: Seit der Vierten Novelle haben die Reinhalteordnungen des § 27 WHG eine neue Funktion und einen anderen Inhalt. Sie dienen jetzt dem Vollzug von Bewirtschaftungsplänen nach § 36 b WHG, sie 57

VG Bremen in ZfW 1965/66, S. 110/111.

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werden stets als Rechtsverordnung erlassen und sie setzen dabei das gewässerbezogene Sanierungsprogramm in normative, an die Gewässerbenutzer gerichtete Gebote oder Verbote um. Allerdings sind die Länder, wenn sie der Verpflichtung des § 36b WHG nachkommen und Bewirtschaftungspläne aufstellen, nicht gehalten, diese unbedingt in Reinhalteordnungen umzusetzen. Sie können die Bewirtschaftungspläne, die nach Landesrecht schon mindestens für alle behördlichen Entscheidungen verbindlich sein müssen, auch von Fall zu Fall bei der Erteilung von Wasserrechten oder nachträglichen Anordnungen nach § 5 WHG berücksichtigen. 5. Rücknahme und Widerruf

a) Zulässigkeit: Die Erlaubnis ist nicht so leicht widerruflich, wie es den Anschein hat. Denn die Wasserbehörde muß einen sachlich einleuchtenden Grund haben, warum sie die Benutzung künftig nicht mehr dulden will, und dieser Grund darf nicht außer Verhältnis zur Schwere des Schadens stehen, welcher für den Unternehmer damit verbunden ist. Die Erlaubnis ist sogar u. U. stabiler als die Bewilligung, weil sie unbefristet erteilt werden kann, dann also nicht irgendwann ipso iure erlischt. Mancher Grund, der die Ablehnung einer Neubewilligung rechtfertigt, reicht zur Begründung des Widerrufs einer Erlaubnis nicht aus. Deshalb wird heute von der nach § 7 I 2. Halbsatz WHG gewährten Möglichkeit, auch eine Erlaubnis zu befristen, immer häufiger Gebrauch gemacht. Soweit die Landeswassergesetze die Rücknahme — also wegen fehlerhafter Erteilung 58 — erwogen haben, wird regelmäßig der Fall hervorgehoben, daß die Erlaubnis auf Grund unrichtiger oder unvollständiger Nachweise erzielt worden war. Wird der Widerruf ausdrücklich unter der Voraussetzung zugelassen, daß von der weiteren Benutzung eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten ist59, liegt darin nicht mehr als die beispielhafte Aufzählung eines besonders starken Grundes. Keineswegs ist damit gesagt, daß der Widerruf nur noch im Fall des § 6 WHG zulässig sein soll, genauer: wenn die Erteilung im jetzigen Zeitpunkt verboten sein würde. Wichtig ist der Widerruf wegen Fehlverhaltens des Unternehmers, z. B. wegen einer Überschreitung des Benutzungsrechtes oder der Änderung des Benutzungszweckes oder der Nichterfüllung von Auflagen. Die Bewilligung wird auf bestimmte Zeit erteilt. Der Zeitraum bemißt sich vor allem danach, bis wann der Unternehmer seine Investitionen amortisiert haben kann. Eine Verlängerung der Bewilligung ist deshalb rechtlich eine Neuerteilung, und grundsätzlich hat die Wasserbehörde wieder den gleichen Ermessensspielraum, wie wenn noch keine Anlagen vorhanden wären. Immerhin kann der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit in Ausnahmefällen zu einer gewissen Schrumpfung des Ermessens führen, vor allem dann, wenn 58 59

Forsthoff, a. a. O., S. 251. So einige LandesG, z. B. § 25 II nordrh.-westf. LWG; Art. 16 u. 17 bayer. WG; § 15 II rheinl.-pfälz. WG; § 11 II schlesw.-holst. WG.

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Ausweichlösungen denkbar sind. Nach Ablauf der Amortisationszeit wird häufig nur noch eine Erlaubnis zu erteilen sein, es sei denn, der Unternehmer brauchte gegenüber den Nachbarn weiterhin eine gesicherte Rechtsstellung, weil sie ihn mit Unterlassungsklagen überziehen könnten. Die Rücknahme oder der Widerruf einer Bewilligung ist nach § 12 WHG grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Rücknahme ist nur für den Fall der Erschleichung vorgesehen, dann mit ex-tunc-Wirkung und natürlich ohne Entschädigung. Im übrigen sind rechtswidrige Erteilungen irreparabel. Nur ein Widerruf ist allgemein zugelassen, nämlich dann, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung in Erscheinung getreten oder zu erwarten ist, und auch nur gegen angemessene Entschädigung. Widerruf ohne Entschädigung ist weder zugelassen, wenn der Unternehmer das Privileg durch sein Fehlverhalten verwirkt hat, noch ferner für den Fall der Nichtausübung des Rechts. b) Nachträgliche Benutzungsbedingung und Auflage: Ein partieller Widerruf von Erlaubnis und Bewilligung liegt in der nachträglichen Festsetzung einer Benutzungsbedingung oder Auflage nach § 5 WHG. Hinsichtlich der Bewilligung zeigt sich darin, daß die Kalkulationsbasis des Bewilligungsinhabers doch nicht ganz so stabil ist, wie es dem ersten Anschein entspricht. Zusätzliche Anforderungen an die Beschaffenheit einzubringender oder einzuleitender Stoffe oder Restriktionen hinsichtlich der zu entnehmenden Wassermenge dürfen jedoch nicht so weit gehen, daß sie den wesentlichen Inhalt der Bewilligung tangieren oder die Wirtschaftlichkeit der Anlage schlechthin in Frage stellen. Solche Eingriffe sind nur im Rahmen des § 12 WHG möglich. c) Ausgleichsverfahren: Auch das Ausgleichsverfahren 60 des § 18 WHG, das in der Praxis bisher allerdings kaum eine Rolle spielt, läuft auf partiellen Widerruf von Erlaubnis und Bewilligung hinaus. Dabei können in einem Verfahren gegenüber einer Vielzahl von Benutzern Einschränkungen getroffen werden, wenn das Wasser nach Menge und Beschaffenheit nicht für alle Benutzungen ausreicht oder sich diese beeinträchtigen und wenn das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung es erfordert. Obwohl dieses Revirement der Nutzungsordnung Erlaubnisse und Bewilligungen erfaßt, dürfen wiederum die letzteren nur beschränkt werden, solange ihr Kern unberührt bleibt und die Wirtschaftlichkeit der Anlage nicht schlechthin erschüttert wird; andernfalls ist § 12 WHG maßgebend. Die Ausgleichszahlungen, die die Wasserbehörde anordnen kann, um etwa bei der Entnahme oder Einleitung Vorteile der Oberlieger gegen Nachteile der Unterlieger zu kompensieren, schaffen etwas Ähnliches wie einen rudimentären Lastenverband. Die Festsetzung liegt im Ermessen der Wasserbehörde; nur soweit bei Bewilligungsinhabern oder Gewässereigentümern oder Betriebsinhabern Einschränkungen mit Enteignungscharakter verhängt werden, ist sie obligatorisch. 60

Dazu insbesondere Abt, ZfW 1962/63, 237ff.

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6. Alte Rechte und Befugnisse Das WHG hat das neue Zuteilungssystem mit Erlaubnissen und Bewilligungen nicht einfach in Kraft treten lassen können, wie wenn es noch keine Benutzungen gäbe. Die Überleitungsbestimmungen der §§ 15 — 17 WHG sind zunächst Ausführungsbestimmungen zu Art. 14 III GG. Soweit die Entziehung eines alten Benutzungsrechts früher nicht möglich war und jetzt einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder rechtmäßig vorhandene Anlagen lahmlegen würde, bleibt das Recht nach § 15 WHG aufrechterhalten oder verwandelt sich nach § 17 II WHG in einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Bewilligung, um die sonst unvermeidliche Entschädigungsfolge auszuschalten. Diese Rechtspositionen sind der Bewilligung gleichzuachten und können deshalb nur im Fall erheblicher Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit und nur gegen Entschädigung beschränkt oder aufgehoben werden. Aber auch dann, wenn Gewässer vor Inkrafttreten des Gesetzes auf Grund eines nicht durch Art. 14 GG geschützten Rechtes oder „in sonst zulässiger Weise" benutzt worden sind, wird dieser Rechtszustand zunächst weithin aufrechterhalten (§ 17 I WHG) 61 . 7. Pipeline-Genehmigung Der Bewilligung nachgebildet ist die Genehmigung für Rohrleitungsanlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe nach § 19 a WHG. Häufig ist sie neben einer gewerberechtlichen Erlaubnis erforderlich, die die Verordnung über brennbare Flüssigkeiten schon vorher auf Grund des § 24 I GewO eingeführt hatte. Dort geht es um die Gefahr der Gewässerverunreinigung, hier um den Schutz der Beschäftigten und Nachbarn vor Brand und Explosion. Ob die enge Anlehnung an die Regelung von Benutzungen gelungen ist, muß bezweifelt werden. Schon bei unechten Benutzungen nach § 3 II WHG paßt ein Zuteilungsermessen der Wasserbehörde nicht recht, weil das Gewässer u. U. überhaupt nicht in Anspruch genommen werden soll. Erst recht stehen bei Pipelines nur die Betriebssicherheit, um den Rohrbruch zu verhindern, die Olwehr, um bei Rohrbrüchen den Eintritt der Stoffe in ein Gewässer noch zu verhüten, und Rettungsmaßnahmen in Frage, um verunreinigte Gewässer alsbald zu regenerieren oder eine Ersatzversorgung zu organisieren. Nach § 19b II WHG ist die Genehmigung zu versagen, wenn durch Errichtung oder Betrieb der Pipeline eine Verunreinigung der Gewässer oder eine sonstige nachteilige Veränderung ihrer Eigenschaften zu besorgen ist, die auch durch Auflagen nicht verhütet oder ausgeglichen werden kann. Läßt sich eine solche Besorgnis nicht recht begründen, kann die Genehmigung kaum versagt werden, weil man überhaupt kein Risiko eingehen wolle. Denn offenbar wäre es falsche Ermessensausübung, die Genehmigung überhaupt 61

Nähere Darstellungen bei Wiedemann, ZfW 1967/68, 67ff.; Gieseke, ZfW 1967/68, 33ff.; auch Abt, ZfW 1965/66, 92ff.; vgl. insbesondere BVerwG E 37, 103; OVG NW OVGE 27, 44 und BayOblG BayVBl. 1982, 313.

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nicht in Erwägung zu ziehen. Die Überlegung, ob man auch das 'if the worst comes to the worst' denkbare Ausmaß an Gewässerschädigung verkraften könne, scheidet hier aber auch aus. Denn das könnte man natürlich nicht. Praktisch fällt die Entscheidung also immer bei § 19b II WHG, und die Tatsache, daß nach langem Tauziehen selbst die ENI-Pipeline am Bodensee, dem größten Trinkwasserspeicher Europas, genehmigt worden ist, hat erwiesen, daß reine Gefahrenabwehr, nicht Wasserbewirtschaftung betrieben wird 62 . 8. Erlaubnisfreie Benutzungen Durch § 2 I WHG und den weitgespannten Katalog von Benutzungen ist fast jede gewollte oder virtuelle Inanspruchnahme der Gewässer zur wasserwirtschaftlichen Sondernutzung geworden 63 . Gemeingebrauch (§ 23 WHG) für jedermann gibt es nur an oberirdischen Gewässern und — nach Landesrecht — nur zum Baden, Waschen, Viehtränken, Schöpfen mit Handgefäßen. Dabei dürfen weder Rechte noch Befugnisse anderer beeinträchtigt werden. Der Eigentümer eines oberirdischen Gewässers kann es darüber hinaus ohne Erlaubnis oder Bewilligung ,Jur den eigenen Bedarf benutzen (§ 24 WHG), auch hier nur vorbehaltlich der stärkeren Rechtspositionen von Erlaubnis- oder Bewilligungsinhabern. Dabei handelt es sich nicht um einen Ausfluß des Eigentums selbst, also ein ultimum refugium positiver Sachherrschaft. Vielmehr ist dies eine unmittelbar durch Gesetz begründete Sondernutzung. Durch Landesrecht ist teilweise auch den Anliegern oder Hinterliegern oberirdischer Gewässer eine Sondernutzung im Umfang jenes Eigentümergebrauchs eingeräumt.

IV. Repressive Maßnahmen der Wasserbehörden 1. Allgemeine Eingriffsmöglichkeiten Über den Erlaubnis- und Bewilligungsvorbehalt werden Gewässerschutz und Gewässerbewirtschaftung präventiv ausgeübt. Für eine wasserbehördliche Eingriffsverwaltung ist Raum, soweit es sich um unerlaubte Benutzungen handelt oder um gewässerbezogene Verhaltensweisen, die nicht unter § 3 W H G fallen, oder um erlaubnisfreie Benutzungen, schließlich um die Durchsetzung von Auflagen. Den wichtigsten Maßstab bildet die polizeiliche Generalklausel. Die öffentliche Sicherheit umfaßt auch ein Mindestmaß geordneter Wasserwirtschaft. 62 63

Vgl. VG Augsburg DVB1. 1966, 508; dazu Hörster, Die Zulassung von MineralölPipelines, Diss. Bonn 1969. Salzwedel, ZfW 1962/63, 85; vgl. auch Hundertmark, Die Rechtsstellung des Sondernutzungsberechtigten im Wasserrecht, S. 16 ff.

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Dieser Schwellenwert für wasserbehördliches Eingreifen ist stets erreicht, wenn Gewässer unerlaubt oder über den Gemeingebrauch hinaus oder auflagenwidrig benutzt werden. Im übrigen ist § 6 WHG heranzuziehen. Daraus, daß eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der öffentlichen Wasserversorgung durch Erlaubnis oder Bewilligung nicht sanktioniert werden darf, läßt sich entnehmen, daß dieser Zustand auch bekämpft werden kann, wenn er auf andere Weise als durch eine Benutzung einzutreten droht 64 . Vielfach haben die Wassergesetze den Schwellenwert für wasserbehördliches Eingreifen präzisiert oder heruntergeschraubt. Am wichtigsten sind § 26 II, § 34 II WHG. Danach dürfen Stoffe an einem oberirdischen Gewässer nur so gelagert oder abgelagert werden, daß eine Verunreinigung des Wassers nicht zu besorgen ist. Und praktisch überall muß die Lagerung unter Umständen erfolgen, daß eine nachteilige Veränderung der Eigenschaften des Grundwassers nicht zu besorgen ist. Freilich ist in beiden Fällen das Verhältnis zu § 3 II Ziff. 2 WHG schwer zu bestimmen, weil darin oft schon Maßnahmen gesehen werden müssen, die geeignet sind, das Wasser zu verunreinigen. Praktisch läuft die Regelung darauf hinaus, daß Lagerungen, die die bloße Besorgnis rechtfertigen, sie könnten zur Verunreinigung geeignet sein, erst einmal verboten werden. Der Adressat der Verfügung kann demgegenüber entweder schon die Eignung an sich bzw. unter den im Einzelfall herrschenden Verhältnissen bestreiten. Oder er muß sich um eine Erlaubnis bemühen, die erteilt werden kann, wenn die Verunreinigung auch im Fall einer Bestätigung der Eignung und einer Realisierung des Risikos noch hingenommen werden kann. Die Besorgnis allein drängt den Lagernden vollends in die Defensive65. Auch die unbestimmten Rechtsbegriffe der § 26 II, § 34 II WHG haben sich als nicht vollzugsgeeignet erwiesen. Die Länder haben durch Lagerverordnungen für wassergefährdende Stoffe eine konkretere Schutzwirkung für die Gewässer, insbesondere für das Grundwasser herbeizuführen versucht. Aber die Regelungen sind teilweise unzureichend, teilweise in ihrer Verschiedenheit von Land zu Land schwerlich tragbar; man denke nur an die unterschiedlichen Anforderungen an die Lagerung von Heizöl, von der insbesondere die Hersteller entsprechender Anlagen nachteilig betroffen sind. Der Bund hat in den §§ 19g bis 191 WHG eine seiner beschränkten Gesetzgebungskompetenz entsprechende Rahmenregelung getroffen, die zugleich ein Mindestmaß an Effizienz wie an Bundeseinheitlichkeit der Anforderungen an das Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe sicherstellen soll. Die vom Regierungsentwurf abweichende, im Bundestag hastig zusammengeschriebene Rahmenregelung wird aber eher Verwirrung stiften als abbauen. 64 65

Vgl. Salzwedel, R. d. Wasserwirtsch., H. 13, S. 42; siehe auch Salzwedel, ZfW 1962/63,297. Vgl. Abt, ZfW 1963, 303; Hofmann, GWF 1962, 568; Salzwedel, R. d. Wasserwirtsch. H. 13, S. 39; Horster, a. a. O.

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2. Wasserschutzgebiete Das wichtigste Mittel, um das Instrumentarium der Wasserbehörden zum repressiven Gewässerschutz anzureichern, ist die Festsetzung von Wasserschutzgebieten nach § 19 WHG. Darin können den Grundstückseigentümern und allen anderen bestimmte Handlungen verboten, den ersteren zudem Duldungspflichten auferlegt werden. Wegen der starken Beschränkung von Freiheit und Eigentum ist die Festsetzung nur zulässig, wenn es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, um Gewässer für die öffentliche Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, Grundwasser anzureichern oder das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser zu verhüten. Wird die Grenzlinie zwischen Eigentumsbeinhaltung in Anspannung der Sozialpflichtigkeit und Enteignung überschritten wie z. B. dann, wenn ein Landwirt überhaupt nicht mehr düngen oder Viehzucht treiben oder ein Kiesabbauunternehmer nicht mehr auskiesen darf, ist Entschädigung zu gewähren. In der Regel hat das Land die Entschädigungslast zu tragen 66 . Die Festsetzung des Wasserschutzgebietes erfolgt durch Erlaß einer Rechtsverordnung 67 . Die Schutzanordnungen sind echte Rechtsnormen, die von der Wasserbehörde — teilweise auch von der örtlichen Ordnungs- oder Polizeibehörde — durchzusetzen sind. In den letzten Jahren hat die recht entschädigungsfreundliche Rechtsprechung des BGH 68 bei der Festsetzung von Wasserschutzgebieten in Kiesabbaugebieten Unruhe hervorgerufen. Das ohnehin bestehende Vollzugsdefizit bei der Festsetzung von Wasserschutzgebieten zum Schutz der öffentlichen Wasserversorgung wurde dadurch noch verstärkt. In der Hauptsache geht es darum, ob Schutzanordnungen für Grundstücke, auf denen noch kein Kiesabbau betrieben wird, sich aber für den Eigentümer wirtschaftlich „anbietet", eine Entschädigungspflicht auslösen. Ferner ist offen, ob das Wasserversorgungsunternehmen immer für entschädigungspflichtig erklärt werden kann, selbst wenn es die Festsetzung des Wasserschutzgebietes nicht oder nicht in dem letztlich angeordneten Ausmaß beantragt hat. § 1 a Abs. 3 WHG versucht, die Rechtsprechung des BGH zu korrigieren: das Grundeigentum als solches berechtigt noch nicht dazu, Kiesabbau unter Umständen zu betreiben, die eine Erlaubnispflicht begründen. Das BVerfG69 hat sogar ein obiter dictum gefunden, um diese bundesrechtliche Regelung als verfassungsmäßig zu bestätigen. Dennoch ist es zu zwei Vorlagebeschlüssen des III. Zivilsenates des BGH gekommen, die die Vereinbarkeit des § 1 a Abs. 3 WHG mit Art. 14 Abs. 1 GG leugnen70. In der Frage, ob der Staat oder die Gemeinde oder das Wasserversorgungsunternehmen entschädigungspflichtig sind, 66

Hammer, ZfW 1964, 203 f. vBVerwG E 18, 1; vgl. auch BadWürttVGH ZfW 1983, 170. 68 z. B. BGHZ 60, 123. 69 BVerfG E 45, 63, 80, 81. 70 Beschluß vom 17. Juli 1978, NJW 1978, 2290 = ZfW 1979, 33; Beschluß vom 13. März 1978, III ZR 28/76. Zur Entscheidung des BVerfG (E 58, 300) vgl. auch Salzwedelm ZfW 83, 13; ders., Bodennutzung und Grundwasserschutz im Wasserrecht, 67

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finden sich in den Landeswassergesetzen unterschiedliche Lösungen. In Nordrhein-Westfalen soll regelmäßig der „begünstigte Unternehmer der Wassergewinnung" entschädigungspflichtig sein; zusätzlich sind noch pauschale Ausgleichszahlungen in Härtefällen zu leisten (§15 Abs. 2 und 3 nordrh.-westf. LWG). Der Abwälzung von staatlich veranlaßten Entschädigungslasten auf private und auch auf kommunale Wasserversorgungsunternehmen dürften aber verfassungsrechtliche Grenzen in Fällen gezogen sein, in denen von einer objektiven Begünstigung schlechterdings nicht mehr die Rede sein kann 70a . V. Unterhaltung und Ausbau701* 1. Funktion Die wasser wirtschaftliche Unterhaltung oberirdischer Gewässer dient nach § 28 WHG der Erhaltung eines ordnungsmäßigen Zustands für den Wasserabfluß, nach Landesrecht auch der Erhaltung des Gewässers und seiner Ufer in anderer die Wassermenge oder Wassergüte betreffender Hinsicht. Dazu gehören Reinigung, Räumung, Festlegung, Schutz und Wiederinstandsetzung des Gewässerbettes und der Ufer. Die Reinhaltung des Wassers selbst ist jedoch nicht Gegenstand der Unterhaltung. Der Pflichtige hat nur die äußeren Voraussetzungen für einen geordneten Wasserabfluß zu schaffen, vor allem für Strömung und damit mittelbar Verhütung von Fäulnis und rasche Regeneration des Wassers. Die wasser wegerechtliche Unterhaltung dient dagegen der Erhaltung der Schiffahrt und Flößerei. Indem § 28 WHG sich damit befaßt, hat der Bund einen unzulässigen, aber in der Sache leerlaufenden Griff in die Landeskompetenzen getan. Für Bundeswasserstraßen ergibt sich die Unterhaltungspflicht aus dem BundeswasserstraßenG, für die schiffbaren oder flößbaren Gewässer der Länder aus den nicht ausfüllenden wasserwegerechtlichen Partien der Landeswassergesetze71. Während Unterhaltungsarbeiten den bestehenden Ausbauzustand aufrechterhalten sollen, dient der Ausbau dazu, ein neues Bett zu schaffen oder an dem vorhandenen wesentliche Umgestaltungen und Verbesserungen vorzunehmen. Auch die Beseitigung eines Gewässers ist Ausbau. Nach jetzt gefestigter Rechtsprechung stellt ein Kiesabbau oder eine sonstige Entnahme von Bodenbestandteilen, wenn ein Baggersee auf Dauer beWasserrecht und Wasserwirtschaft, Bd. 21, Berlin 1983; Schwerdtfeger, JuS 1983, 104; Leisner, DVB1. 1983, 61. Zur neuesten Rechtsprechung vgl. BGH NJW 1984, 1169 und 1172. Vgl. Salzwedel, Die Entschädigungspflicht bei der Festsetzung von Wasserschutzgebieten, S. 19 ff. 70b Zur Abgrenzung: Knopp, BayVBl. 1983, 524. 71 Vgl. zur Abgrenzung Salzwedel, ZfW 1971, 1 ff.; ferner BVerwG E 44, 235.

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stehen bleibt, keine erlaubnispflichtige Benutzung, sondern einen planfeststellungspflichtigen Ausbau dar. Gerade in diesem Zusammenhang wird neuerdings einem Ausbau, der im öffentlichen Interesse liegt, und einem lediglich „privatnützigen" Ausbau scharf unterschieden. Nach neuerer Rechtsprechung bietet ein Planfeststellungsverfahren für einen lediglich privatnützigen Ausbau keine Handhabe, um entgegenstehende Rechte Dritter auszuschließen718. 2. Durchfährung und Zulässigkeit Die Unterhaltung beruht unmittelbar auf dem Gesetz und geschieht allein durch faktische Handlungen. Der Ausbau bedarf dagegen zunächst der Durchführung eines förmlichen Planfeststellungsverfahrens, in dem alle für das neue Gewässer erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen zusammenfassend erteilt und alle öffentlich-rechtlichen Einwendungen oder Abwehransprüche von Unterhaltungspflichtigen, Bewilligungsinhabern, Anliegern, Hinterliegern oder Dritten ausgeschlossen werden. Alle faktischen Maßnahmen, die dann der Verwirklichung des geplanten Zustands dienen, sind erlaubnisfrei; nach § 3 III WHG sind sie allein wegen dieser Zweckbestimmung keine „Benutzungen". Auch wenn ein privater Anlieger unterhaltspflichtig ist oder der Ausbau von einem privaten Unternehmer getragen wird, sind damit andere Eingriffe wie das Aufstauen oder Ableiten mit erfaßt. Der Ausbau durch private Unternehmer und zwecks Gewinnerzielung ist an sich unbeschränkt zulässig. Gesichtspunkte des allgemeinen Wohls, also z. B. bestimmte volkswirtschaftliche Präferenzen müssen indes wegen des Art. 14 III GG dargetan sein, wenn dabei Vermögenswerte Rechte Dritter entzogen, also gegen Entschädigung enteignet werden. Wer unterhaltungspflichtig ist, ergibt sich aus dem Gesetz. Wer ausbauberechtigt ist, ergibt sich aus dem begünstigenden Verwaltungsakt, den die Planfeststellung für den antragstellenden Unternehmer darstellt. Er gewährt ein Recht auf Änderung des Gewässers, nicht aber auf Beibehaltung des neuen Zustands. Soweit nach Landesrecht Unterhaltungspflichtige zum Ausbau herangezogen werden können, ist die Planfeststellung belastender Verwaltungsakt. Am wichtigsten sind indes die Rechtswirkungen des Ausbaues gegen Dritte, deren Rechte oder Befugnisse im Planfeststellungsverfahren ausgeschlossen werden72. Begünstigend ist der Verwaltungsakt für Dritte nicht. Da ferner zwischen dem Ausbau und der Benutzung eines Gewässers unterschieden werden muß, müssen unter Umständen parallell zur oder im Anschluß an die Planfeststellung wasserrechtliche Bewilligungen oder Erlaubnisse erteilt werden 73 . Für Bundeswasserstraßen wird man aus Art. 89 II GG, wonach der Bund die Bundeswasserstraßen „verwaltet", kaum entnehmen können, daß auch in 71a 72

BVerwG E 55, 220; vgl. auch BVerfG NJW 1981, 1257. Friesecke, ZfW 1965/66, 58. 73 Wiedemann, ZfW 1967/68, 83 ff. (85).

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wasserwirtschaftlicher Hinsicht die Entscheidung über Unterhaltung und Ausbau sowie die Unterhaltung selbst Sache des Bundes seien. Die wasserwirtschaftliche Hoheitsverwaltung liegt ungeteilt bei den Ländern. In Einklang mit der Entscheidung des BVerfG74 zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen dürfte es sein, daß die Landeswassergesetze die wasserwirtschaftliche Unterhaltungslast dem Bund auferlegen. Das ist weithin geschehen, ob überall — z. B. auch in Nordrhein-Westfalen — kann zweifelhaft sein. Selbst eine Ausbaupflicht kann statuiert werden. Fest steht danach, daß die Wasserbehörden der Länder bestimmen, was im Rahmen der Unterhaltungspflicht an Bundeswasserstraßen zu geschehen habe, um deren Reinhaltung zu gewährleisten, sowie ob und wie ein ausschließlich wasserwirtschaftlich indizierter Ausbau vorzunehmen sei75. Die Unterhaltungspflicht liegt für Gewässer erster Ordnung bei den Ländern, für Gewässer zweiter Ordnung bald bei den Ländern (Berlin76 und Saarland 77 ), bald bei den Regierungsbezirken (Bayern)78, bald bei den Stadtund Landkreisen (Rheinland-Pfalz) 79 , den Anliegergemeinden (NordrheinWestfalen) 80 oder den Gemeinden schlechthin (Baden-Württemberg 81 , Hessen82, Bremen83), bald bei Wasser- und Bodenverbänden (z. T. Hessen84, Niedersachsen 85 u. a.), bald bei den Eigentümern (Hamburg 86 und SchleswigHolstein87, wo aber Wasser- und Bodenverbänden die Erfüllung zugewiesen ist). Alle anderen Gewässer sind von den Gewässereigentümern, den Anliegern oder „denjenigen Eigentümern von Grundstücken oder Anlagen" zu unterhalten, „die aus der Unterhaltung Vorteile haben oder die Unterhaltung erschweren" (§ 29 WHG). Die Unterhaltungspflicht begründet lediglich Verwaltungsrechtsverhältnisse zwischen der Gewässeraufsichtsbehörde und dem Unterhaltungspflichtigen, nicht Amtspflichten gegenüber Dritten im Sinne des § 839 BGB, Art. 34 GG. Die Haftung nach außen ergibt sich aus § 823 I BGB. Sie trifft denjenigen, der das Gewässer der Schiffahrt oder Flößerei eröffnet hat; ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft unterhaltungspflichtig, indiziert dies allerdings ihre Verantwortlichkeit 88 . Da die Vorschriften über Unterhaltungspflicht keine „Schutzgesetze" sind, entfallen Ansprüche aus § 823 II BGB89. Nach der Rechtsprechung soll allerdings eine unterhaltungspflichtige Körperschaft durch ausdrücklichen und der Allgemeinheit bekanntgemachten „Organisationsakt" bestimmen können, daß sie den Benutzern hoheitlich gegenübertreten wolle; dann haftet sie aus § 839 BGB90. 74 76 78 80 81 83 85 87 88 90

BVerfG E 15, 1. 75 BVerfG E 21, 312 und in DÖV 1967, 563. § 41 I Ziff. 2 berl. WG. 77 § 47 Ziff. 1 saarl. WG. Art. 43 I Ziff. 2 bayer. WG. 79 § 56 I Ziff. 2 rheinl.-pfälz. WG. § 91 I Ziff. 2 nordrh.-westf. LWG. § 49 II bad.-württ. WG. 82 § 47 I Ziff. 2 hess. WG. § 88 I brem. WG. 84 Siehe Fußn. 76. § 83 I nieders. WG. 86 §§ 37, 38 hamb. WG. § 40 schlesw.-holst. WG. RGZ 155, 1. 89 RGZ a . a . O . BGHZ 9, 373 (grundlegend); BGHZ 14, 83.

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Das ist mißverstandenes kommunales Anstaltsrecht und ganz unpraktikabel91. Dagegen wird man der Rechtsprechung folgen können, daß die zur Erfüllung der Unterhaltungspflicht gegenüber dem Staat oder der Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Publikum vorgenommenen Arbeiten hoheitlich zu qualifizieren sind. Werden Dritte also nicht durch die Unterlassung, sondern durch schuldhaft fehlsame Ausführung von Unterhaltungsarbeiten geschädigt, so löst dies Ansprüche aus § 839 BGB aus92. VI. Wasser- und Bodenverbände 1. Grundlagen Das WasserverbandsG vom 10. Februar 1937 sowie die Erste Wasserverbands-Verordnung vom 3. September 1937 (WWO) haben das innere Verbandsrecht der früheren landesrechtlichen Wassergenossenschaften sowie Wasserverbände öffentlich-rechtlichen oder auch privatrechtlichen Gepräges einheitlich geregelt. Dabei handelt es sich heute nach richtiger Ansicht um Bundesrecht. Freilich sind alle Vorschriften entfallen, die das Führerprinzip gegenüber und in der Verbandsverwaltung verwirklichten. Die Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörde sind so zu interpretieren, daß die Selbstverwaltung der Körperschaft gewahrt bleibt. Die Stellung der Mitgliederversammlung muß so aufgewertet werden, daß innerhalb des Verbandes eine echte Willensbildung von unten nach oben gesichert ist, der Verbandsvorsteher also demokratisches Vollzugsorgan wird. Die Rechtsprechung hat hier allerdings keine wesentlichen Korrekturen für nötig gehalten93. 2. Satzung Der Erlaß der Satzung und andere Rechtsetzungen müssen ferner heute rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Die Regelung des § 169 Abs. 1 W W O ist aber mit der Maßgabe bestätigt worden, daß die Satzung über die Gründung zwar jetzt nicht schon mit dem Erlaß wirksam wird, sondern erst mit der Bekanntmachung, daß diese aber auf den Zeitpunkt des Erlasses zurückwirke94. § 7 W W O , wonach das Bestehen des Wasserverbandes nicht mit der Begründung angefochten werden kann, daß die Voraussetzungen für den Erlaß einer Gründungssatzung nicht vorgelegen hätten, ist dagegen unanwendbar 95 . Allerdings sind manche Rechtsnormen über die Gründung nur 91 92 93

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Dazu Salzwedel, DÖV 1963, 241 (243). BGHZ 21, 48; kritisch dazu auch Salzwedel, DÖV 1963, 243 Fußn. 37a. So Maue, ZfW 1967/68, 242; vgl. auch Külz, R. d. Wasserwirtsch. H. 15, S. 21 ff.; BVerwG E 25, 151; BVerwG ZfW 1974, 229; zur gegenwärtigen Rechtslage vgl. Kaiser, ZfW 83, 65. So BVerwG vom 19. Oktober 1966 (IV C 222.65); Maue, ZfW 1967/68, 243; P. Kaiser / K. Linckelmann / E. Schleberger, W W O , § 169 Anm. 3. BVerwG E 7, 30; vgl. weiter Maue, ZfW 1967/68, 243.

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Sollvorschriften. Auch gibt es so etwas wie eine faktische Körperschaft, deren Existenz nicht einfach hinweggedacht werden kann, also nur im Wege der Rückabwicklung wieder zu beseitigen ist. Unsicherheit herrscht vor allem, ob Rechtsakte in Zusammenhang mit der Gründung oder Auflösung Rechtsnormen oder Verwaltungsakte sind; das gleiche gilt für die Zuweisung neuer Mitglieder durch die Aufsichtsbehörde oder die Entlassung 96 . Sehr schwierig ist auch die rechtliche Durchdringung der Beitragsberechnung. Die Beitragslast verteilt sich nach § 81 I W W O auf die Mitglieder im Verhältnis der Vorteile, die sie von der Aufgabe des Verbandes haben, und der Lasten, die der Verband auf sich nimmt, um ihren schädigenden Einwirkungen zu begegnen. Regelmäßig sehen die Satzungen einen Vorteilsmaßstab vor, ohne nach objektiven Kriterien die Vorteilsklassen abzugrenzen. Es bleibt dann Sachverständigen überlassen, für die Aufstellung des „Beitragsbuches" (§ 78 W W O ) Vorteilsklassen zu bilden und die einzelnen Mitglieder entsprechend einzuordnen. Das Bestimmtheitserfordernis, dem jede Satzungsnorm genügen muß, dürfte hier gelegentlich unterschritten sein. Wenn auch an eine perfekte Determinierung des Einzelbeitrags durch die Norm aus sachlichen Gründen kaum gedacht werden kann, ist doch ein größeres Maß an Vorausbestimmung anzustreben. Insgesamt erweist sich das überkommene Recht aber als praktikabel, und wegen des untergründig fortschwelenden Kompetenzstreites zwischen Bund und Ländern ist auch an keine Neuordnung zu denken. 3. Aufgaben und Organisation Die wichtigsten Aufgaben von Wasser- und Bodenverbänden sind Meliorationen der Gewässer und ihrer Ufer, die Herstellung und Unterhaltung von Benutzungsanlagen, die Be- oder Entwässerung von Grundstücken, die Beseitigung von Abwasser, die Beschaffung von Trink- und Brauchwasser sowie die Landgewinnung. Zusammengeschlossen sind einmal die sogenannten dinglichen Mitglieder — Eigentümer von Grundstücken, Bergwerken und Anlagen, ferner die Gewässer- und Uferunterhalter, schließlich alle beteiligten Gebietskörperschaften. Im Vordergrund steht die unternehmerische Tätigkeit des Verbandes; nur um diese zu ermöglichen, wird Befehl und Zwang ausgeübt. So übt der Verband selbst das Enteignungsrecht aus (§§ 30 ff. W W O ) . Ferner steht dem Verbandsvorsteher Ordnungsgewalt gegenüber den Mitgliedern zu, soweit der Schutz des Verbandsunternehmens es erfordert (§§96 ff. W W O ) . Die Aufsichtsbehörde übt Polizeigewalt zum Schutze der Anlagen gegenüber Dritten aus; der Verbandsvorsteher kann mit der Wahrnehmung beauftragt werden (§§ 102ff. W W O ) . Selbstredend ist auch die Beitragserhebung gegenüber den Mitgliedern autonom, um die staatsfreie Aufbringung der Mittel zu sichern (§§ 71 ff. W W O ) . Nach § 4 II Ziff. 3 WHG kann die Wasserbehörde übrigens Erlaubnisse und Bewilligungen zugunsten Dritter mit der Auflage verbinden, bestimmte Zuschüsse zu den Kosten zu 96

Dazu ausführlich Maue, ZfW 1967/68, 244ff. mit Rechtsprechungshinweisen.

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erbringen, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts trifft, um eine mit der beabsichtigten Benutzung verbundene Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten oder auszugleichen. In dieser Hinsicht wird es sich stets um vorhandene oder neugebildete Wasser- und Bodenverbände handeln. Die Verbandsversammlung ist die eigentliche Vertretungskörperschaft (§§ 62, 63 WVVO). Schon in der Satzung wird indes zumeist ein Ausschuß gebildet, der die Verbandsmitglieder gegenüber dem Vorstand vertritt. Die Verbandsmitglieder wählen die Mitglieder des Ausschusses. Der Vorstand besteht entweder nur aus einem Verbandsvorsteher oder aus diesem und einer satzungsmäßig bestimmten Zahl von Verbandsmitgliedern. Die Verfassung ist straff dualistisch, der Vorstand keineswegs voll weisungsgebunden. Die großen wasserwirtschaftlichen Verbände Nordrhein-Westfalens, die Emschergenossenschaft, der Lippeverband, der Ruhrverband, der Ruhrtalsperrenverein, die linksniederrheinische Entwässerungsgenossenschaft (LINEG) und der Große Erftverband 97 sind jeweils durch SonderG begründet worden. Im Ruhrgebiet ist die jahrzehntelang bewährte „Klassifizierung" der Emscher als Abwasserfluß, der Ruhr als Wasserversorgungsreservoir ein Beispiel zukunftweisender Planung gewesen. Wer das Wasserrecht eines Landes erfassen will, darf nicht bei der wasserbehördlichen Reglementierung der Gewässerbenutzung stehen bleiben. Organisation und Leistungsfähigkeit der Verbände mit ihrer unternehmerischen Aufgabenstruktur bestimmen mindestens in dem gleichen Maß, welchen Stand die Wasserwirtschaft erreicht hat und erreichen kann.

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G des Landes Nordrhein-Westfalen über die Gründung des Großen Erftverbandes vom 3. Juni 1958 (GVB1. S. 253); dazu BVerfG E 10, 89ff.

ZEHNTER ABSCHNITT Thomas Oppermann

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Bremen: G zur Förderung der außerschulischen Jugendbildung vom 1.10. 1974 (GBl. S. 309). BildungsurlaubsG vom 18. 12. 1974 (GBl. S. 348). WeiterbildungsG i. d. F. vom 18. 2. 1975 (GBl. S. 95). PrivatschulG i. d. F. vom 23. 1. 1978 (GBl. S. 63). SchulG vom 8. 12. 1981 (S. Bl. S. 436). SchulverwaltungsG vom 24. 7. 1978 (GBl. S. 167). Hamburg: BildungsurlaubsG vom 21. 1. 1974 (GVB1. S. 6). SchulverfassungsG i. d. F. vom 17. 10. 1977 (GVB1. S. 297). PrivatschulG vom 12. 12. 1977 (GVB1. S. 389). SchulG der Freien und Hansestadt Hamburg vom 5. 6. 1979 (GVB1. S. 129). Hessen: G über den Anspruch auf Bildungsurlaub vom 24. 6. 1974 (GVB1. S. 300). G über die Mitbestimmung der Erziehungsberechtigten und den Landesschulbeirat i. d. F. vom 14. 7. 1977 (GVB1. S. 319). SchulpflichtG i. d. F. vom 17. 3. 1978 (GVB1. S. 153). SchulverwaltungsG Neufassung vom 4. 4. 1978 (GVB1. S. 231). G zur Förderung von Ginrichtungen der Erwachsenenbildung Neufassung vom 9. 8. 1978 (GVB1. S. 501). G über Volkshochschulen i. d. F. vom 21. 9. 1981 (GVB1. S. 197). JugendbildungsförderungsG vom 5. 6. 1981 (GVB1. S. 200). Niedersachsen: G über den Bildungsurlaub für Arbeitnehmer, Neufassung vom 17. 12. 1974 (GVB1. S. 569). G über Lernmittelhilfe vom 2. 4. 1981 (GVB1. S. 55). JugendförderungsG vom 15. 7. 1981 (GVB1. S. 199). SchulG i. d. F. vom 23. 10. 1981 (GVB1. S. 263). Nordrhein- Westfalen : Erstes G zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 7. 5. 1982 (GVB1. S. 276). G über die Mitwirkung im Schulwesen vom 13. 12.1977 (GVB1. S. 448). Erstes G zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen i. d. F. vom 21.2. 1978 (GVB1. S. 80). SchulverwaltungsG Neufassung vom 21. 6. 1982 (GVB1. S. 486). SchulfinanzG i. d. F. vom 14. 7. 1979 (GVB1. S. 479). SchulpflichtG i. d. F. vom 2. 2. 1980 (GVB1. S. 164). Rheinland-Pfalz: PrivatschulG i. d. F. vom 6. 11. 1974 (GVB1. S. 512). WeiterbildungsG vom 14. 2. 1975 (GVB1. S. 77). SchulG i. d. F. vom 23. 12. 1977 (GVB1. S. 460). Saarland: G Nr. 994 über die Mitbestimmung und Mitwirkung im Schulwesen vom 27. 3. 1974 (ABl. S. 381). G Nr. 812 zur Ordnung des Schulwesens im Saarland, i. d. F. vom 21. 6. 1978 (ABl. S. 674).

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G Nr. 969 zur Förderung der vorschulischen Erziehung i. d. F. vom 18. 2. 1975 (ABl. S. 368). G Nr. 751, PrivatschulG i. d. F. vom 5. 11. 1975 (ABl. S. 1214). G Nr. 910 zur Förderung der Erwachsenenbildung i. d. F. vom 17. 12. 1975 (ABl. 1976 S. 1). G Nr. 826 über die Schulpflicht im Saarland i. d. F. vom 30. 1. 1980 (ABl. S. 277). Schleswig-Holstein: SchulpflichtG i. d. F. vom 9. 12. 1974 (GVB1. S. 453). Schulunterhaltungs- und SchulverwaltungsG i. d. F. vom 27. 2. 1976 (GVB1. S. 62). SchulG vom 2. 8. 1978 (GVB1. S. 255). Ausgewählte Literatur zum Schulrecht der Länder: Baden- Württemberg: W. Holfelder/ W. Bosse, Schulgesetz für Baden-Württemberg, 5. Auflage, 1980. H. Hochstetter / E. Muser, Schulgesetz für Baden-Württemberg, 1983. W. Elser, Entwicklung des Schulrechts in Baden-Württemberg, 1981 - 1983, RdJB 1984, 67 ff. Bayern: Falckenberg / Schiedermair u. a., Schulordnung für die Volksschulen in Bayern, 1976. B. Becker, Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, 1982. D. Falckenberg, Schulrechtliche Entwicklungen in Bayern 1982 und 1983, RdJB 1983, 474ff. Berlin: G. Eiselt/ W. Heinrich,Grundriß des Schulrechts in Berlin, 1980. H.-J. Krzyweck, Die Entwicklung des Schulrechts in Berlin 1981 - 8 2 , RdJB 1983, S. 340ff. Bremen: Handbuch des bremischen Schulrechts, 3. Ausgabe, 1978, hrsg. v. Senator für Bildung. U. Karschner, Die Entwicklung des Schulrechts in Bremen 1981 und 1982, RdJB 1983, S. 164 ff. Hamburg: L. Rellstab, Die Entwicklung des Schulrechts in Hamburg 1981 und 1982. RdJB 1983, 341 ff. Hessen: W. Sewerin, Grundriß des Schulrechts in Hessen, 2. Aufl. 1979. Niedersachsen : L. Wemecke, Grundriß des Schulrechts in Niedersachsen, 2. Aufl. 1981. E. Klügel, Entwicklung des Schulrechts in Niedersachsen 1981 bis Anfang 1983, RdJB 1983, 406ff. Nordrhein- Westfalen: H. Gampe, Schulmitwirkung und Schulorganisation in Nordrhein-Westfalen, 1978. Ch. Jülich, Die Schulpflicht in Nordrhein-Westfalen, 1980. H. Pöttgen / W. Jekuhl / W. Esser, Allgemeine Schulordnung. Kommentar, 3. Aufl. 1980.

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Rheinland-Pfalz: H. G. Femis / P. G. Schneider, Landesgesetz über die Schulen in Rheinland-Pfalz, Loseblatt, 2. Aufl., 1979 ff. Saarland: H. Lang, Die Entwicklung des Schulrechts im Saarland 1974 - 1982, RdJB 1983, i62fr. Schleswig-Holstein: K.-P. Fuglsang-Petersen, Grundriß des Schulrechts in Schleswig-Holstein, 1979.

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Gliederung I. Umriß des Bildungsbereiches 1. Bildungsverwaltungsrecht als Teil des Kulturverwaltungsrechts 2. Bestandteile und Dimension der Bildungsordnung II. Schulwesen 1. Rechtsgrundlagen a) Bundesschulrecht b) Länderschulrecht 2. Grundlegende Merkmale der Schule a) Rechtsnatur b) Schulauftrag c) Schulverhältnis und Schulgewalt d) Innere Schulverfassung 3. Schulorganisation (Schularten und Schulstufen) a) Öffentliches Schulwesen und privates Schulwesen b) Pflichtschulen und Wahlschulen c) Allgemeinbildende und berufsbildende Schulen d) Grundschule und Hauptschule e) Realschule f) Gymnasium g) Berufsbildende Schulen h) Schulen mit Auslandsbezug i) Schulstufen 4. Außerstaatliche Beteiligung am Schulwesen (Gemeinden, Kirchen, Freies Schulwesen) a) Gemeinden b) Kirchen aa) öffentliche Bekenntnisschulen bb) Religionsunterricht c) Privatschulen 5. Schulverwaltung 6. Schulaufsicht 7. Lehrer, Eltern, Schüler a) Lehrer b) Eltern aa) Konfessionelle Komponente des Elternrechts bb) Weltlich-demokratische (pädagogische) Komponente des Elternrechts c) Schüler d) Ausländische Schüler 8. Berechtigungen III. Ergänzende Bildungsformen 1. Erwachsenenbildung a) Volkshochschulen

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b) Volksbüchereien c) Volksbühnen 2. Staatsbürgerliche (Politische) Bildung 3. Jugendbildung a) Jugendpflege b) Jugendschutz IV. Zentrale Kulturverwaltung im Bildungsbereich 1. Bildungsverwaltung der Länder 2. Überregionale Bildungsverwaltung a) Zusammenarbeit der Länder b) Bundesbildungsverwaltung und Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern V. Internationale Zusammenarbeit im Bildungswesen

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I. Umriß des Bildungsbereiches 1. Bildungsverwaltungsrecht als Teil des Kulturverwaltungsrechts Das Bildungsverwaltungsrecht ist neben Wissenschafts- und Kunstverwaltungsrecht einer der drei großen Bestandteile des Kulturverwaltungsrechts1. Mit diesen beiden Sachbereichen teilt es gewisse allgemeine Merkmale des Kulturverwaltungsrechts. Im kulturellen Bereich tritt der moderne Staat mit der Welt des Geistes in Verbindung. Staatliche Vorsorge für Bildung und Ausbildung der Bürger, sowie für gute Voraussetzungen wissenschaftlicher und künstlerischer Tätigkeit gehören zu den Selbstverständlichkeiten heutiger Leistungs- und Ordnungsverwaltung. Andererseits ist zu bedenken, daß geistiges und künstlerisches Schaffen sich nach eigenen sachimmanenten Gesetzlichkeiten vollzieht. Staatliche Eingriffe und Förderung können hierbei nur bis zu einem gewissen Grade von Nutzen sein, nämlich solange, als sie nicht den sachgegebenen Eigengesetzlichkeiten der Kultursphäre zuwider laufen. Kennzeichnend für das Kulturverwaltungsrecht und damit für das Bildungsverwaltungsrecht ist daher ein im Vergleich zu anderen Verwaltungszweigen stärkeres Maß an Autonomie, Freiheit, Distanz zur Zwangsgewalt des Staates. Dem entspricht es, wenn die beherrschende Zentralnorm für Wissenschaft und Kunst, Art. 5 III GG, eine Freiheitsnorm ist. Im Bildungsbereich liegen die Dinge zwar etwas anders. Über Art. 7 I G G wird dem Gemeinwesen eine beträchtliche Gestaltungsmacht in Bildungsangelegenheiten eingeräumt. Zu ihr steht insbesondere das ebenfalls grundrechtlich verankerte Erziehungsrecht der Eltern in einem notwendigen Spannungsverhältnis. Bei beiden Normen steht das eigentliche Subjekt des Bildungsprozesses, der Jugendliche, etwas im Hintergrund. Das erklärt sich daraus, daß Bildung es in ganz anderem Maße als Wissenschaft und Kunst mit dem noch nicht fertigen jungen Menschen zu tun hat, der zu seiner Entwicklung eines gewissen Maßes an Fremdbestimmung bedarf. Trotz der sich hieraus ergebenden stärkeren Rolle u. a. auch des Staates im Bildungswesen gilt die Grundtatsache der kulturellen Autonomie in vielem auch hier. Das wird an Problemkreisen wie z. B. der pädagogischen Freiheit des Lehrers, bei Elternrecht und Elternmitverwaltung, bei der Grundrechtsmündigkeit des Schülers, der Schülermitverantwortung oder auch im Privatschulwesen immer wieder sichtbar. Die „verwaltete Schule" ist ebensowenig ein sinnvolles Vorstellungsbild des Kulturverwaltungsrechts wie eine ganz vom Staat beherrschte Hochschule oder eine ausschließlich als Dienerin des Staates gesehene Kunst. 1

Vgl. Oppermann, KulturverwR, 1969, S. 6ff.; Steiner, W D S t R L 42 (1984), S. 9. Zum Sachbereich Wissenschaft vgl. in diesem Bande Kimminich, 11. Abschn. Der Kunstbereich wird in diesem Bande nur teilweise im Abschnitt Presse und Rundfunk berührt, vgl. Rudolf, 12. Abschn.

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2. Bestandteile und Dimension der Bildungsordnung Die verwaltungsrechtliche Ordnung des Bildungswesens gliedert sich ihrerseits in einzelne Sachbereiche. Kernstück ist das Schulwesen, dem auf der anderen Seite einige ergänzende Bildungsformen gegenüberstehen. Oberhalb der Einzeleinrichtungen ist die Bildungsverwaltung Bestandteil der allgemeinen, zentralen Kulturverwaltung in den Ländern (Kultusministerien) und auf überregionaler und Bundesebene (z. B. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft). Im näheren umfaßt das Schulwesen die verschiedenen Schularten von der Volksschule (Grund- und Hauptschule), berufsbildendem Schulwesen, Real(Mittel-)Schule bis zu den Gymnasien (Höhere Schule). Die Schularten werden neuerdings zunehmend in übergreifenden Schulstufen vom Elementarbereich bis zum Sekundarbereich II zusammengefaßt. Die Abgrenzung zum Hochschulwesen ist in jüngerer Zeit an manchen Stellen schwierig geworden, (z. B. Berufsakademien). In der Bildungsreform werden die Gemeinsamkeiten zwischen Schule und Hochschule heute stärker als früher betont. Innerhalb der ergänzenden Bildungseinrichtungen sind im wesentlichen zu unterscheiden die weiterbildende Erwachsenenbildung (Volkshochschulwesen, Volksbüchereien, Volksbühne), die z. T. mit dem Schulwesen verflochtene Staatsbürgerliche (politische) Bildung, aus dem Jugendrecht die Jugendbildung (Jugendpflege und Jugendschutz) und neuerdings auch die vorschulische Erziehung. Seinen quantitativen Dimensionen nach gehört das Bildungswesen zu den bedeutsamsten Erscheinungsformen öffentlicher Vorsorge für die Bevölkerung. Anfang der achtziger Jahre unterrichteten in der Bundesrepublik ca. 600000 Lehrer etwa 10 Millionen Schüler im allgemeinund berufsbildenden Schulwesen. Die Schulausgaben vor Bund und Ländern (ohne Gemeinden) machten 1980 ungefähr 33 Milliarden DM aus bei einem Gesamtkulturbudget von 68 Milliarden DM 2 . Infolge sinkender Schülerzahlen und der Finanzprobleme der öffentlichen Hand flacht sich die starke Expansion seit den sechziger Jahren allerdings stark ab.

II. Schulwesen 1. Rechtsgrundlagen Die Struktur des öffentlichen Schulrechts wird maßgebend durch die föderale Gliederung der Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Der Schwerpunkt der Regelungsbefugnis im Bildungswesen liegt eindeutig bei den Ländern. Dennoch ist es unrichtig, die sog. Kulturhoheit der Länder absolut zu sehen. Insbesondere im G G selbst, aber nicht nur dort, gibt es eine Reihe von Normen, die unmittelbar oder mittelbar als Bestandteil eines Bundesbil2

Grundlegende statistische Daten zum Bildungswesen z. B. in: Kulturpolitik der Länder 1979- 1981 (Hrsg. KMK) (1982), S. 287ff. Ferner Weiss. RdJB 1983, 20ff.

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dungsrechts zu begreifen sind. Die Einbeziehung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Aussagen in das Bildungsverwaltungsrecht ist infolge ihrer unmittelbaren Geltungswirkung (Art. 1 III, 20 III GG) notwendig. a) Bundesschulrecht: Aus dem GG ergeben sich einerseits schulrechtliche Auswirkungen der allgemeinen Staatsform- und Staatszielbestimmungen (Art. 20, 28 GG), die man als Leitprinzipien der deutschen Schulverfassung bezeichnen könnte. Andererseits finden sich speziell schulrechtliche Aussagen vor allem im Grundrechtsteil. Die Rechtsstaatsentscheidung (Art. 19 IV; 20 II, III; 28 GG) bewirkte eine freiheitliche Auflockerung des Schulwesens. Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen3. Immerhin lebt die heutige deutsche Schule nicht mehr unter weitgehend exekutiver Regelungsgewalt in der Immunität eines undurchdringlichen besonderen Gewaltverhältnisses. Die moderne Schulrechtsetzung besinnt sich seit der Anerkennung der „Wesentlichkeitstheorie" (Grundlegende Entscheidungen hat das Parlament zu treffen) vielmehr zunehmend auf den Primat des parlamentarisch-demokratischen Gesetzgebers4. Unter der Herrschaft der Generalklausel (Art. 19 IV GG, §§ 40ff. VwGO) haben die Gerichte das Schulbenutzungsverhältnis einer umfänglichen Rechtskontrolle unterworfen 5 . Aus der Sozialstaatsentscheidung (Art. 20 I, 28 GG) als einer allgemeinen Staatszielbestimmung lassen sich genau konkretisierte, bildungsspezifische Ansprüche an den Gesetzgeber nicht herleiten6. Dennoch ist die Sozialstaatlichkeit ernst zu nehmen 7 . Verfassungspolitisch und nach einigen Länderverfassungen sogar verfassungsrechtlich ist Bildung Bürgerrecht (Dahrendorf) 8 , d. h. Gesetzgebung und vollziehende Gewalt sind ständig aufgerufen, um des geistigen Wohles aller willen die Bildungseinrichtungen auf der Höhe der 3 4

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Vgl. die Erörterungen der Abteilung „Schule im Rechtsstaat" des 51. DJT (1976), insbes. Oppermann, Grundsätze, 1976, 44ff.; ferner Ossenbühl, DÖV 1977, 801 ff. Die Wesentlichkeitstheorie wurde seit BVerfGE 33, 303 ff. („NC") entwickelt. Vgl. später etwa BVerfGE 47, 46ff. („Sexualerziehung"), BVerfGE 58, 257ff. („Versetzung") und BVerwGE 64, 308 ff. („Grundständiges Latein"). Aus der Lit. zuletzt Richter, NVwZ 1982, 357ff.; Heussner, in: Fs. E. Stein, 1983, 147ff., ferner die Fn. 3 Genannten. Bahnbrechend BVerwG E 1, 260; 5, 153. Vgl. später zusammenfassend Niehues, Schul- und Prüfungsrecht 1983, Rdnr. 88ff. Zu dieser „Verrechtlichungsproblematik Wimmer, Engagement 1981,14ff.; Oppermann, RdJB 1982, 279ff. Oppermann, Grundsätze, 1976, S. 19ff.; a. A.: Heymann / Stein, AöR 97 (1972), S. 185 ff., jedoch ohne dem Konflikt insbes. mit dem pari. Budgetrecht voll gerecht zu werden. Glotz/Faber, HdbVerfR 1983, S. 999ff.; Oppermann, in: Fs. Bachof, 1984, S. 3ff. (Ergänzung durch Kulturstaatsentscheidung?) Art. 11 I bad.-württ. Verf.; Art. 128 I bayer. Verf.; Art. 27 brem. Verf.; Art. 8 S. 1 nordrh.-westf. Verf.; verfassungspolitisch Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht, 1965, zum verf. rechtl. Stand auf Bundesebene Oppermann, Kultur, in: BMI/BMJ (Hrsg.), Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, 1983, S. 122 ff.

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Zeit zu halten. So sind z. B. Regelungen über den Schulzugang, über die Chancen erfolgreicher Schulbeendigung oder über Ausbildungs- und Erziehungsbeihilfen stets im Lichte der Sozialstaatlichkeit zu sehen. Sie garantiert die Existenz eines grundsätzlich chancengleichen, ausgebauten Bildungswesens „dem Grunde nach" und untersagt dessen radikale Beseitigung. Weiterhin ist das Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie (Art. 20, 28 GG) auch im Schulwesen zu beachten. In z. T. enger Wechselbeziehung mit dem Rechtsstaatsgedanken äußert es sich zum einen in der verfassungsrechtlichen Anerkennung individueller Rechtspositionen gegenüber der staatlichen Schulgestaltungsmacht (z. B. Recht des Kindes auf Persönlichkeitsentfaltung, elterliches Erziehungsrecht, Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte, Privatschulfreiheit, Regelung des Religionsunterrichts) 9 . Eine zweite Komponente des Demokratiegedankens im Schulwesen besteht in der Forderung nach einer Auflockerung hierarchisch-anstaltlicher Schulstrukturen zugunsten mehr kooperativer Formen. Ihr dient eine Bevorzugung kollegialer vor direktorialen Entscheidungsorganen, eine gewisse pädagogische Freiheit des Lehrers gegenüber der Schulaufsicht, sowie die Einrichtung von Organen der Eltern- und Schülermitverantwortung im Schulwesen („Demokratisierung i. e. S.")10. Dabei sind jedoch Sachgrenzen zu beachten. Sie ergeben sich erstens aus der Rechtsgestalt der Schule als einer Veranstaltung des Staates für spezielle Zielsetzungen (Bildungs- und Ausbildungsaufgabe), die eine schlichte Übertragung sämtlicher für das umfassende Gemeinwesen gültigen Demokratiegebote nicht sinnvoll erscheinen lassen. Zweitens ist auch hier in Rechnung zu stellen, daß es sich bei den Schülern um in der Entwicklung stehende Menschen handelt, denen gegenüber die Rechtsordnung aus diesen Gründen ganz allgemein sich in der Gewährung wesentlicher Positionen (z. B. Geschäftsfähigkeit, Wahlrecht) zurückhält. Schließlich verpflichtet das Demokratieprinzip in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen. Gerade dieser, als „Wesentlichkeitstheorie" bezeichnete Aspekt des Demokratieprinzips hat in letzter Zeit zu einer erheblichen Ausweitung des Gesetzesvorbehaltes im Bildungswesen geführt". Von geradezu konstituierender Bedeutung für die Struktur des heutigen deutschen Bildungswesens ist schließlich die Bundesstaatsentscheidung des G G (Art. 20, 28, 30, 70, 83) mit ihrer sehr weitgehenden Zuweisung der Bildungsangelegenheiten in die Gesetzgebungs- und Verwaltungshoheit der 9

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BVerfGE 24, 119ff.; Ekkehart Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, 1967 (sehr weitgehend); Oppermann, Grundsätze, 1976, C 82ff; Maihofer, HdbVerfR 1983, S. 988ff. Zu ihr Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 130f., 425f.; F. Meyer, Demokratie in der Schule, 1973; Glotz / Faber, aaO. (Anm. 7); Boppel / Volzenburg, Mitbestimmung in der Schule, 1981. Vgl. oben Fn. 3 und 4.

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Länder. Die Verfassungsrechtsprechung hat Versuchen eine Absage erteilt, die Schärfe dieser Verteilungsnormen abzumildern 12 . Dennoch konnte der faktische Gesamtverbund im „unitarischen Bundesstaat" des GG (Konrad Hesse) vor dem Bildungswesen nicht haltmachen. Neben legitimen Einflußzonen des Bundes im Rahmen der Auswärtigen Beziehungen nach Art. 32 Abs. 1 GG (insbesondere auswärtige Kulturpolitik und Auslandsschulwesen) und der Beteiligung des Bundes an der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung nach Art. 91 b GG äußert sich diese Zusammengehörigkeit in überregionaler Zusammenarbeit der Länder, so vor allem in der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) 13 . Neben diesen Fundamentalentscheidungen enthält das GG einige weitere Einzelaussagen zur gemeindeutschen Bildungsverfassung. Sie sind nur bedingt in systematischen Zusammenhang zu bringen. Im Vordergrund steht die Polarität zwischen der staatlichen Schulgestaltungsmacht (Schulaufsicht i. S. d. Art. 7 I GG) und den Grundrechten der Eltern (Elterliches Erziehungsrecht nach Art. 6 II GG) sowie des Kindes selbst (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 I GG). Es handelt sich hierbei um prinzipiell gleichrangige Verfassungsaussagen, deren Gegensätzlichkeit in der Praxis zum Ausgleich gebracht werden muß 14 . Weiterhin verbürgt der Grundrechtsteil des GG mit der Privatschulfreiheit (Art. 7 IV GG), der Regelung des schulischen Religionsunterrichts (Art. 7 II, III i. V. m. Art. 4 I, II GG) sowie dem Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte (Art. 12 I GG) weitere für das Bildungswesen grundlegend wichtige Einzelfreiheiten bzw. institutionelle Garantien. Außerdem können selbstverständlich alle möglichen weiteren Normen des GG je nach den Umständen auch im Bildungsbereich bedeutsam werden (z. B. Problematik der Meinungs- und Pressefreiheit bei Schülerzeitungen oder Bedeutung der Regelungen über den öffentlichen Dienst für die Lehrerschaft). Bildungspolitisch stehen neuerdings im Vordergrund das Recht auf gleiche Chance beim Bildungserwerb und bei der freien Ausbildungswahl (Art. 2 I, 3 I, 12 I, 20 I GG) sowie das Recht auf eine ideologisch tolerante Schule (Art. 2 I, 4 I - II, 5 I - II, 6 II, 7 II - VI

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BVerfGE 6, 309ff. (Konkordatsurteil); BVerfGE 12, 205ff. (Fernsehurteil); etwas verbindlicher BVerfGE 22, 180ff. (Jugendwohlfahrtsgesetz); ferner unten IV., 1 - 2 . Zu den heutigen Schwankungen in der Bund/Länder-Bildungskooperation (Auflösung, Bildungsrat 1975; Einschränkung BL-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1983; finanzieller „Abschied" vom bundesweiten Bildungsgesamtplan 1973 = BT-Druck VII/1474) u. a.; Dittmann, Bildungsplanung als Gemeinschaftsaufgabe, 1975; ders. RdJB 1978, 168ff.; Boppel, DUZ 20/1982, 9ff. und unter IV. 2. Zum Verhältnis von Art. 7 I zu Art. 6 II grundlegend (im Sinne der Gleichrangigkeit) BVerfGE 34, 165 ff. (Hessische Förderstufe). Elternrechtsfreundlicher dann BVerfGE 47, 46 ff. (Sexualerziehung). Zu den Bildungsgrundrechten insgesamt Faller, EuGRZ 1981, 611 ff.; Ramm, in: Fs. f. E. Stein, 1983, S. 239ff.

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GG) 15 . Insbesondere muß das Länderrecht nach dem allgemeinen Vorrang des Bundesrechts (Art. 31 i. V. m. Art. 142 GG) dem im GG angelegten Kern der gemeindeutschen Bildungsverfassung entsprechen. Infolge der grundsätzlichen Zuweisung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz an die Länder gibt es kaum einfaches Bundesschulrecht. Während altes Reichsschulrecht über Art. 123 ff. GG nunmehr zu Länderrecht wurde, entstanden aus Gesichtspunkten des Sachzusammenhanges mit Bundeszuständigkeiten nur sehr selten einige Normen bildungsrechtlichen Inhaltes wie z. B. der staatsbürgerliche und völkerrechtliche Unterricht in der Bundeswehr nach § 33 SoldatenG i. d. F. vom 19. 8. 1975, die Regelung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes i. d. F. vom 6. 6. 1983 mit grundlegenden Rechtsansprüchen Bedürftiger auf finanzielle Förderung beim Schulbesuch oder das vornehmlich am Verbraucherschutz orientierte Fernunterrichtsschutzgesetz vom 24. 8. 1976. Ebenso gibt es in diesem Bereich kaum Bundesgewohnheitsrecht oder Erlaß von Verwaltungsvorschriften in nennenswertem Umfang. Andererseits sind auch in der einfachen Gesetzgebung eine Reihe allgemeiner Regelungen mit bildungsrechtlichem Sekundäreffekt zu beachten wie z. B. das BeamtenrechtsrahmenG im Hinblick auf die dienstrechtliche Stellung der Lehrerschaft. Weiterhin entfalten schulrechtliche Bestimmungen in auf Bundesebene transformierten völkerrechtlichen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland (Kulturabkommen!) gewisse gesamtstaatliche Rechtswirkungen - nach richtiger Auffassung mindestens im Sinne einer verfassungsrechtlichen Pflicht der Länder gegenüber dem Bund zur weiteren Transformation in Länderrecht 16 . Schließlich erlangen im Zeichen eines kooperativen Föderalismus Bund-Länderverträge auch im Bildungswesen zunehmende Bedeutung. b) Länderschulrecht: Hier liegt der Schwerpunkt des heutigen deutschen Schulrechts. Bis auf Berlin, Hamburg und Niedersachsen formulieren bereits die Länderverfassungen die wesentlichsten Grundsätze zur Gestaltung des Schulwesens breiter aus als das GG 17 . Allgemein ins Auge fällt die durchgängige Betonung der Staatsaufsicht über das Unterrichtswesen, z. T. auch der allgemeinen Schulpflicht. Eine zweite Komponente besteht jedoch auch hier in der Anerkennung individueller und gesellschaftlicher Erziehungspositionen (Elternrecht, z. T. Recht auf Bildung, Privatschulfreiheit, sowie in heute 15

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Dazu Oppermann, Grundsätze, 1976, C 9 2 ; kritisch Preuß, RdJB 1976, 267 ff. mit Entgegnung Oppermann, RdJB 1977, 44ff. und Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Rdnr. 321 ff., 342 ff. In allgemeinerem Zusammenhang Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip, 1977. Vgl. unten V. H. Heckel, Einführung, 1977, S. 13ff.; Oppermann, Kultur aaO. (Anm. 8), S. llOff.; Zu einzelnen landesverfassungsrechtlichen Festlegungen Gallwas, BayVBl. 1976, 385ff. (Bayern); Schultze, in: Fs. f. 30 Jahre Hess. Verf., 1976, 230ff. (Hessen); Frowein, in: Fs. f. Ipsen, 1977, 31 ff. (Nordrh.-Westf.); Leist, in: Fs. f. Armbruster, 1976, 149 ff. (Rh.-Pfalz).

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stark reduziertem Umfang öffentliches Bekenntnisschulwesen), so daß insgesamt von einem durch Freiheitsrechte aufgelockerten System eines gewissen staatlichen Vorranges im Schulwesen gesprochen werden kann. Auf der Ebene der einfachen Ländergesetzgebung läßt sich in großen Zügen eine Art Typik des Schulrechts erkennen 18 . Manche Länder sind bestrebt, das Schulwesen in einem möglichst umfassenden allgemeinen Schulgesetz zu regeln (z. B. bad.-württ. SchulG v. 1.8. 1983)19. Daneben finden sich Typen von Spezialgesetzen wie das Schulpflichtgesetz (z. B. Saarl. SchulpflichtG i. d. F. vom 30. 1.1980)20, Regelungen über Unentgeltlichkeit des Schulbesuchs (z. B. saarl. G Nr. 998 über die Einführung und Durchführung der Lernmittelfreiheit i. d. F. vom 16.2.1977) 21 , über einzelne Schulzweige (z. B. bayer. VolksschulG i. d. F. vom 3. 9. 1982)22, das freie Schulwesen (z. B. bad.-württ. PrivatschulG i. d. F. vom 19. 7.1979) 23 , sowie allgemeine Schulflnanzierungsgesetze (z. B. nordrh.-westf. SchulfinanzG i. d. F. vom 4.7.1979) 25 . Ein anderer Sonderbereich ist das öffentliche Dienstrecht der Lehrer. Infolge der immer weitergehenden Normierung des Schulrechts durch Ländergesetze ist Ländergewohnheitsrecht hier nur noch selten von Bedeutung. Wenn auch nicht Rechtsquelle im strengen Sinne des Wortes, sind die Verwaltungsvorschriften der Kulturministerien im Schulwesen immer noch ein wichtiges Instrument staatlicher Schulgestaltung (vgl. z. B. Rahmenrichtlinien). Seit der Durchsetzung der Wesentlichkeitstheorie durch die Rechtsprechung 26 haben sich allerdings die Gewichte zugunsten parlamentarisch autorisierter Rechtsetzung verschoben. Außerdem gehen die Kulturverwaltungen selbst daran, den „Erlaßdschungel zu lichten"27. Über das einzelne Bundesland hinaus spielen staats- und verwaltungsrechtliche Vereinbarungen zwischen mehreren oder allen Ländern eine sehr wesentliche Rolle im deutschen Schulwesen. Erst die sich hieraus ergebenden Bindungen machen den Bildungsföderalismus erträglich und bewahren ihn vor dem Abgleiten ins „Schulchaos". Die weiteste Bindung erfolgt bei den schulrechtlichen Staatsverträgen zwischen den Ländern. Hier ist das Hamburger Abkommen zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens i. d. F. vom 14. 10. 1971 das zentrale Instrument zur Harmonisierung der gemein18

19 21 23 26 27

Gesamtübersichten bei Seipp (Hrsg.), SchulR, 1981 ff. (Losebl.-Slg. in Landesausgaben); von Campenhausen / Lerche (Hrsg.), Dt. SchulR 1969ff. (Losebl.-Slg.); Hekkel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 411 ff.; Wolff / Bachof, VwR II, § 101. Der Versuch des Dt. Juristentages, 1980/81 das Modell eines rechtsstaatlich befriedigenden Landesschutzgesetzes zu schaffen (Dt. JT [Hrsg.], Schule im Rechtsstaat, Bd. I), fand zunächst nur begrenzte Resonanz, vgl. KMK-Beschluß v. 11./12. 3. 82, RdJB 1982, 252. GBl. S. 397. 20 Abi. S. 277. ABl. S. 197. 22 GVB1. S. 778. GBl. S. 314. 24 GVB1. S. 769. 25 GVB1. S. 479. Vgl. oben Fn. 3 und 4. Dazu Oppermann, RdJB 1982, 280ff. m. w. N.

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deutschen Schulordnung 28 . Umstritten ist dagegen die Bindungswirkung der im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) laufend in großer Zahl zwischen den Verwaltungen gefaßten Beschlüsse29. Genau betrachtet ist eine allgemeine Antwort hierzu nicht möglich. Es ist vielmehr induktiv der einzelne Beschluß zu prüfen. Auf diesem Wege lassen sich sowohl nicht-bindende Empfehlungen u. ä. als auch bindende Verwaltungsvereinbarungen erkennen 30 . Während die Länder von ihrem internationalen Vertragsschließungsrecht im Schulwesen über Art. 32 III G G nur sehr selten Gebrauch gemacht haben, enthalten die Konkordate mit der katholischen Kirche (für das Schulwesen wesentlich bes. bayer. Konkordat vom 29. 3. 192431, Reichskonkordat von 20.7. 193332, nieders. Konkordat vom 26. 2. 196533 und rheinl.-fälz. Konkordat vom 15. 5. 197334 sowie die Verträge der Länder mit den Evangelischen Landeskirchen (z. B. Loccumer Vertrag vom 19. 3. 195535) wesentliche schulrechtliche Vereinbarungen, wie z. B. über Bekenntnisschulfragen oder Erteilung des Religionsunterrichts 36 . Schließlich ist auf die Ausübung des kommunalen Satzungsrechtes im Schulwesen als einer weiteren Schulrechtsquelle hinzuweisen 37 . 2. Grundlegende Merkmale der Schule a) Rechtsnatur: In aller Regel ist die einzelne Schule als nicht-rechtsfähige Anstalt ihres „Trägers" (Gemeinde, Land, evtl. auch ein Zweckverband) ausgestaltet 38 . Bei aller durch die Demokratisierung der heutigen Schule erfolgten Auflockerung ihrer Anstaltlichkeit ist die institutionelle Grundstruktur unverändert geblieben. Insbesondere besitzt die Einzelschule weder rechtliche Selbständigkeit noch mitgliedschaftlich geprägten Körperschaftscharakter. Es gibt bisher nur geringe Ansätze einer institutionellen „Freiheit der Einzelschule". Damit unterscheiden sich Schule und Hochschule in wesentlichen Punkten. Aus der Rechtsnatur als unselbständige Anstalt ergeben sich 28 29

30 32 35 36 37 38

Text z. B. bad.-württ. GBl. 1972, S. 126ff. Zur urspr. Fassung Hans Heckel, RdJ 1965, 51 ff. Laufende Zusammenstellung bei P. Seipp / A. Fütterer, Beschlüsse der KMK, 1960ff. (Losebl.-S.) - im folgenden zit.: BS/KMK - Abdruck der KMK-Beschlüsse z. T. auch im GMB1. Vgl. unten IV, 2. 31 GVB1. S. 53, zuletzt geändert durch Vertrag vom 29. 9. 1978 (GVB1. S. 673). RGBl. II, S. 679. 33 GVB1. S. 191 ff. 34 GVB1. S. 157. Nieders. GVB1. S. 159, z. T. geändert. Texte bei Hermann Weber, Staatskirchenverträge, 1967. Zu ihr Schuegraf, BayBgm 1958, 100 ff. Nachweise aus den Länderschulgesetzen bei Wolff / Bachof, VwR II, § 101, III, a) 1. — Ferner etwa Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 60ff.; H. Heckel, Einführung, 1977, S. 48ff.; Lang, Das Schulverhältnis als Anstaltsverhältnis, 1969; kritisch im Sinne der Stärkung des Selbstverwaltungsgedankens Stock, AöR 96 (1971), S. 392 ff.

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insbesondere in der Erledigung der äußeren Schulangelegenheiten mannigfache Konsequenzen, wie z. B. die Schulunterhaltung und in vielem auch -Verwaltung (gerichtliche und außergerichtliche Vertretung!) durch den Schulträger, sowie keine Vermögensfähigkeit und nur sehr eingeschränkte behördliche Befugnisse der Einzelschule. Auch die Zuordnung der Pflichtschulen zu bestimmten Schulbezirken („Einzugsgebiete") weist sie als unselbständige Teile eines übergreifenden staatlichen Schulgestaltungswillens aus. In der Reformdiskussion (Strukturplan des Bildungsrates 1970) wird neuerdings eine Stärkung „materieller" Selbstverwaltung der öffentlichen Schule empfohlen39. b) Schulauftrag: Die Anstalt Schule ist um eines bestimmten Auftrages willen geschaffen worden. In ihr sollen je nach Schulart verschieden junge Menschen (neben den elterlichen Bemühungen) von öffentlicher Seite in ihrer geistig/sozialen Entwicklung gefördert werden40. Die Schule will also im Grunde zugunsten der Schüler bestimmte Leistungen erbringen. Dabei lassen sich im wesentlichen die beiden Komponenten einer nicht im unmittelbaren Sinne „nützlichen" Bildung und die stärker zweckgerichtete Ausbildung im Hinblick auf bestimmte Berufe unterscheiden. Beide Ziele schließen im Hinblick auf das Alter der Schüler einen Erziehungsauftrag der Schule ein. Er kann die Entwicklung der Kritikfähigkeit des Schülers einschließen, verfehlt jedoch die anderen erwähnten Bildungsziele, wenn Verengungen im Sinne einer reinen „Erziehung zum Widerstand" o. ä. auftreten 41 . Die Schwerpunkte dieser verschiedenen Aspekte des Schulauftrages werden in den einzelnen Schulzweigen verschieden gesetzt, z. B. im allgemeinbildenden Schulwesen einerseits, im berufsbildenden Schulwesen andererseits. c) Schulverhältnis und Schulgewalt: Dieser Schulauftrag ist es, der innerhalb des Schulverhältnisses die öffentliche Bestimmungsmacht der Schule über die Schüler legitimiert und ihr zugleich die Grenzen setzt. Innerhalb der Schulanstalt stehen ihre „Benutzer" in einem besonderen Pflichtenverhältnis (bisher: „Gewaltverhältnis") zu den Schulorganen, insbesondere zu den Lehrern. Damit ist nicht eine Autoritätsausübung um ihrer selbst willen gemeint. Die Forderung nach der „humanen Schule" (Flitner, von Hentig u. a.) ist grundsätzlich eine Selbstverständlichkeit. Die Schulgewalt besteht vielmehr, damit die der Schule zufallenden Leistungsaufgaben an den ihr anvertrauten jungen Menschen verwirklicht werden können. Aus der Zusammenführung von Gruppen noch entwicklungs- und erziehungsbedürftiger Personen ergibt sich die Notwendigkeit, von ihnen Mitarbeit, aber nötigenfalls auch Einordnung sowie Anerkennung und Duldung schulischer Maßnahmen verlangen und durchsetzen zu können, um den Entwicklungsauftrag der Schule zu erfüllen. 39 40 41

Reeb, Bildungsauftrag der Schule, 1981. Vgl. z. B. § 2 nds. SchulG und Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981. So mit Recht Frowein, in: Fs. f. Geiger, 1974, S. 579ff.; Maunz, RdJB 1976, 264ff.; Roellecke, DÖV 1976, 515 ff. Zu einseitig Büchner, RdJB 1974, 353 ff.

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Die intensivsten Ausformungen der öffentlichen Schulgewalt sind die allgemeine Schulpflicht und die Schuldisziplinargewalt. Die Volks- und Berufsschulpflicht ist z. T. in den Länderverfassungen, z. T. in einfachen Gesetzen im Regelfall vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, nach Voll- und Teilzeitschulpflicht gestaffelt, festgelegt. In der bildungspolitischen Erörterung befinden sich die Vorverlegung des Schuleintrittalters und die Einrichtung vorschulischer Erziehung42. Das Hamburger Schulabkommen der Bundesländer i. d. F. vom 14. 10. 1971 sieht eine Vollschulpflicht von mindestens 9 Jahren vor43. Im Zeichen der Bildungsexpansion bestehen Bestrebungen, solche Fristen um ein 10. Vollschuljahr (u. U. als Berufsgrundbildungsjahr) zu verlängern. Die Schulpflicht, die sich vor allem in der Schulbesuchspflicht und in Verhaltenspflichten näher ausprägt, stellt den umfassendsten Eingriff des Staates in die persönliche Freiheitssphäre der Gesamtheit seiner Bürger dar. Er rechtfertigt sich aus dem oben umrissenen Schulauftrag des Staates, der sich letztlich auf den Gedanken demokratisch-staatsbürgerlicher Bildungs- und sozialstaatlicher Daseinsvorsorge zurückführen läßt. Nötigenfalls kann die Schulpflicht durch Ordnungsmaßnahmen bis zum Schulzwang durchgesetzt werden44. Die in der Schulpflicht liegenden Verhaltenspflichten, die sich im übrigen nicht streng räumlich auf das Schulgelände zu beschränken brauchen, schließen u. a. die Vorstellung eines Schulstreiks aus45. Die Schuldisziplinargewalt (Schulordnungsgewalt) ist im Grundsatz ebenfalls als ein letztes Hilfsmittel zur effektiven Durchführung des allgemeinen Schulauftrages gerechtfertigt. In der individualfreundlich-rechtsstaatlichen Atmosphäre des GG, von dessen Grundrechtsgewährung richtiger Auffassung nach auch der minderjährige Schüler nicht a limine ausgeschlossen ist (Problem der „Grundrechtsmündigkeit"), sind jedoch die Konturen der Schuldisziplinargewalt enger gezogen worden als früher. Das gilt insbesondere für Schulstrafen wie das Züchtigungsrecht des Lehrers, Nachsitzen, Schularrest oder Schulausschluß. Solche Maßnahmen bedürfen heute i. d. R. formell-gesetzlicher Ermächtigung, jedoch hat die Schulverwaltung in den meisten Bundesländern insbesondere auf das Züchtigungsrecht verzichtet. Aber auch dort, wo diese Maßnahmen weiter angewendet werden, sind die sich aus einer altersmäßig steigernden Grundrechtsmündigkeit der Schüler (Art. 2 II S. 1, Art. 12 I S. 1, Art. 104 I, II GG) und allgemeinen rechtsstaatlichen 42

43

44 45

Vgl. etwa das saarl. G Nr. 969 zu Förderung der vorschulischen Erziehung vom 9. 5. 1973 (ABl. S. 373). Zu den teilweise ernüchternden Erfahrungen mit entsprechenden Modellversuchen vgl. den Abschlußbericht für NRW, LT-Drucksache 8/743. Wesentlich auch KMK-Beschluß über vorzeitige Einschulung von noch nicht schulpflichtigen Kindern vom 28. 3. 1968. — Einzelheiten zur Schulpflicht Heckel, Einführung 1977, S. 88 ff. Zu ihm Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 281 f. VGH Bad.-Württ., bad.-württ. VB1. 1969, S. 138; zum „Schülerstreik" zusammenfassend Grupp, DÖV 1974, 661 ff.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 1983, Rdnr. 241.

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Grundsätzen (Übermaßverbot) ergebenden Grenzen genauer als früher zu beachten 46 . Wie bei diesen Spezialfragen läßt sich ganz allgemein sagen, daß die staatliche Schulbestimmungsmacht in der heutigen deutschen Verfassungsordnung prinzipiell begrenzt ist. Einmal aus der Sache heraus durch den der Schule zugewiesenen Bildungs-, Ausbildungs- und Erziehungsauftrag. Zum anderen setzen die individuellen Rechtspositionen der Schulbenutzer der öffentlichen Schulgewalt Grenzen. Hier sind sowohl Fundamentalnormen wie Art. 1, Art. 2 I, II und Art. 19 II GG zu beachten als auch stärker schulspezifische Verbürgungen wie z. B. das elterliche Erziehungsrecht des Art. 6 II GG oder die Privatschulfreiheit des Art. 7 IV GG 47 . Die hier im Einzelfall, wie etwa bei Schulversuchen, oft schwierigen Güterabwägungen zwischen solchen Rechten und der über Art. 7 I GG ebenfalls verfassungskräftigen staatlichen Schulgestaltungsmacht sind als ein Ausschnitt aus der Gesamtproblematik der Geltung der Grundrechte im bis vor kurzem sogenannten besonderen Gewaltverhältnis zu begreifen. Trotz mancher fortbestehender dogmatischer Schwierigkeiten kann die frühere „Lücke im Rechtsstaat" (Forsthoff) für die Praxis des Schulwesens inzwischen als weithin geschlossen gelten. Vom Rechtsschutz her gesehen hat die Verwaltungsrechtsprechung einen ziemlich festen Bestand an Grundakten innerhalb des Schulbenutzungsverhältnisses herausgearbeitet (vor allem Aufnahme in die Schule, Versetzung, Verweisung von der Schule, Schulabschluß), die als Rechts- und Verwaltungsakte mit Außenwirkungen von sonstigen innerdienstlichen „Betriebsregelungen" abgegrenzt und von den Schulbenutzern der Rechtskontrolle i. S. der §§ 40 ff. VwGO zugeführt werden können 48 . d) Innere Schulverfassung: Die Frage nach der Rechtsgestalt der Schule läßt sich schließlich auch organisatorisch stellen. Die innere Schulverfassung ist natürlich in bestimmtem Maße von der Rechtsform als unselbständige Anstalt vorbestimmt. So wird vor allem die Organisationsgewalt hier im wesentlichen von der übergeordneten Schulverwaltung und nicht durch die Einzelschule selbst wahrgenommen. Die Einzelschule gliedert sich regelmäßig in die für sie typischen Strukturen der Schulleitung, der Lehrerkonferenz, Prüfungsausschüsse, der Tätigkeit des Einzellehrers sowie daneben in Organe der Eltern- und Schülermitverwaltung. Eine grundsätzliche Unterscheidung 46

47 48

Insgesamt Nevermann / Richter, Rechte der Lehrer — Rechte der Schüler — Rechte der Eltern, 1977; Niehues, DVB1. 1980, 465ff. - Zum Züchtigungsrecht Eser, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 20. Aufl. 1980, S. 223, Rdnr. 16ff.; Zum Schularrest Kohlhaas, RWS 1982, 335 ff. = DRiZ 1962, 122 ff. Zu Ausgangssperren Perschel, RdJ 1965, 79ff. Zum Nachsitzen VGH Bad.-Württ. DÖV 1984, 766ff. Dazu Starck, DÖV 1979, 269 ff. Aus dieser im allgemeinen wohlabgewogenen Rechtsprechung etwa BVerwGE 1, 260; 5, 153; 15, 251; 17,41; 19, 128; 23, 347; 27, 360; 35, 111. Zu ihr zusammenfassend Wolff / Bachof, VwR II, § 101, V.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 1983, Rdnr. 88ff.; 463ff.

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besteht zwischen direktorialer (monokratischer) Schulverfassung, die dem Schulleiter starke Weisungsrechte gegenüber den übrigen Schulorganen einräumt und der kollegialen Schulverfassung mit insbesondere stärkerer Betonung des Beschlußrechtes der Lehrerkonferenz 49 . Die größere Nähe des Kollegialprinzips zum Vorstellungsbild demokratischer Schulstruktur und seine Vorzüge unter pädagogischen Gesichtspunkten (Gesamtbewertung der Schülerleistung i. d. R. durch eine Mehrzahl fachlich spezialisierter Lehrer) sind offensichtlich. Andererseits erfordert eine effiziente Erledigung vor allem der äußeren Schulangelegenheiten die Konzentration eines bestimmten Maßes an Entscheidungsbefugnissen beim Schulleiter. Aus diesen z. T. widerstreitenden Sacherfordernissen hat sich inzwischen in der Schulgesetzgebung eine von Land zu Land etwas abgewandelte Mischform zwischen Direktorialund Kollegialprinzip als Regeltyp der inneren Verfassung der deutschen Schule herausgebildet50. Die bildungspolitische Diskussion über eine weitere „Demokratisierung der Schule" unter noch stärkerer organisatorischer Einbeziehung von Lehrern, Eltern und Schülern in die innere Schulverwaltung (sog. emanzipatorische Schulverfassung) befindet sich jedoch weiterhin im Fluß". 3. Schulorganisation (Schularten und Schulstufen) Für das Schulwesen insgesamt kennzeichnend ist seine nach rationalen Gesichtspunkten durch die oberste Schulverwaltung vorgenommene Gliederung. Von dem Grundsatz ausgehend, daß das Gemeinwesen an der Bildung, Ausbildung und Erziehung der gesamten Bevölkerung mitzuwirken hat, ergibt sich seit jeher für die Kulturverwaltung die Aufgabe übergreifender Bildungsplanung und Organisation, in welcher der Einzelschule der Stellenwert eines Mosaiksteines in dem Gesamtgefüge des Schulwesens zukommt. Reformen der Schulorganisation werden öfters (z. B. Gesamtschulmodell) durch Schulversuche über eine Reihe von Jahren erprobt. Der objektiven Konzeption, Durchführung und Bewertung solcher Versuche kommt bildungspolitisch erstrangige Bedeutung zu32. 49 50

51

52

Zum Schulleiter Lampe / Knapp, Schulmanagement 1982, 18ff.; Nevermann, Schulmanagement 1982, 23 ff., und ders., Der Schulleiter, 1982. Näheres bei Hechel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 69ff.; Hans Heckel, Einführung, 1977, S. 48ff.; Wolff / Bachof, VwR II, § 101; Oppermann, KulturverwR, S. 197f.; Rollfinke, Aula 3 (1976), 264ff.; Lawenstein / Wunder, RdJB 1977, 344ff.; Alfred J. Müller, RdJB 1977, 13 ff. Vgl. u.a. Dietze, Von der Schulanstalt zur Lehrerschule, 1976; zusammenfassend Baumert, Aspekte der Schulorganisation und Schulverwaltung, in: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1980, S. 589ff. — Zur verfassungs- und beamtenrechtlichen Problematik einer Schulleiterwahl auf Zeit Leisner, Vorgesetztenwahl?, 1974; Böhmer/Pfeifer, ZBR 1975, 37ff. und AG Bremen RdJB 1983, 80ff. Hierzu Satzke, Schulentwicklung durch Schulversuche, Erziehung und Unterricht 1976, 601 ff.; Stober, RdJB 1976, 54ff.; Weishaupt, Modellversuche im Bildungswesen und ihre wissenschaftliche Begleitung in: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 1287 ff.

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a) Öffentliches Schulwesen und privates Schulwesen: Die erste große Unterscheidung ergibt sich zwischen dem Regelfall des öffentlichen Schulwesens in der Bundesrepublik Deutschland und der Existenz eines über Art. 7 IV GG institutionell gesicherten privaten („freien") Schulwesens. Wesentlich für diese Unterscheidung ist die „Trägerschaft", d. h. die Einrichtung und Unterhaltung der Schule53. Öffentliche Schulen werden von Gebietskörperschaften (Land, Gemeinde) oder Zweckverbänden, evtl. auch von sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts getragen, private Schulen i. d. R. von nichtöffentlichen Trägern (Einzelpersonen, Vereinen u. ä.), aber auch von den Kirchen. In der Bildungsarbeit behält sich dagegen der Staat (d. h. die Länder) im Grundsatz eine Einflußnahme auf das „gesamte Schulwesen" (arg. Art. 7 I GG) vor. b) Pflichtschulen und Wahlschulen: Eine weitere wesentliche Unterscheidung, die sich mit derjenigen zwischen öffentlichem und privatem Schulwesen z. T. überschneidet, ist diejenige zwischen Pflichtschulen und Wahlschulen. Weitgehend deckungsgleich mit der Wahlschule ist ferner die weiterfuhrende Schule54. In den Pflichtschulen (vor allem Volksschule = Grund- und Hauptschule, Berufsschule) wird über die Schulpflicht der gesamten heranwachsenden Bevölkerung ein bestimmter Bildungsstandard vermittelt. Teilweise übernehmen aber auch untere Klassen weiterführender Schulen (Realschule, Gymnasium) diese Pflichten. Bei den Wahlschulen (vor allem Realschule, Gymnasium, verschiedene berufsbildende Fachschulen) steht der Gedanke freiwilliger Weiterbildung über das allgemeine „Volksbildungsminimum" hinaus nach dem Willen der Schüler bzw. ihrer Eltern im Vordergrund. Die „Freiwilligkeit" des Eintrittes in Wahlschulen ist freilich recht fragwürdig, wenn man an die große Bedeutung der Berechtigungen denkt, die mit dem erfolgreichen Abschluß weiterführender (Wahl)Schulen erworben werden (insbesondere Mittlere Reife, Fachschulreife, Hochschulreife). Deshalb ist die Aufnahme in das Gymnasium („Höhere Schule") bzw. in vergleichbare Einrichtungen des Sekundarbereiches I zu einer der zentralen bildungspolitischen Fragen des Schulaufbaus geworden. Sie befindet sich unter wechselnden Stichworten (Positive oder negative Auslese, Ausschöpfung der Begabungsreserven, Förder- oder Orientierungsstufe, Elternrecht, freie Wahl der Ausbildungsstätte, Recht auf Bildung u. a.) seit den fünfziger Jahren in fortwährender Entwicklung55. Neuerdings steht mit der Gesamtschule ein Modell zur Diskussion, dessen Verwirklichung eine wesentliche Verschie53

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Zur Unterscheidung öffentliches/privates Schulwesen Wolff / Bachof, VwR II, § 101; Hans Heckel, Einführung 1977, S. 18ff., 32ff. - Zur Trägerschaft Dittmann, Schulträgerschaft zwischen Kreisen und Gemeinden, 1978; Staupe, Strukturen der Schulträgerschaft und Schulfinanzierung, in: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1980, S. 867 ff. Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 29 ff. Dazu zusammenfassend Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 27 ff.; Oppermann, KulturverwR, S. 194ff.; Glotz/Faber, in: HdbVerf. 1983, S. 999ff.

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bung des Verhältnisses zwischen Pflicht- und weiterführender Schule mit sich bringen würde56. Elternrechtlich unbedenklich ist die integrierte Gesamtschule allerdings nur dann, wenn sie intern hinreichend differenzierte Bildungsangebote enthält oder Schulen des überkommenen gegliederten Systems am gleichen Ort als Alternative vorgehalten werden57. c) Allgemeinbildende und berufsbildende Schulen: Nach dem Bildungsziel wird schulorganisatorisch zwischen allgemeinbildendem und berufsbildendem Schulwesen unterschieden. Während sich Volksschule, Realschule und Gymnasium einer jedenfalls nicht im engsten Sinne nur praktisch-nützlichen, sondern eben „allgemeinen" Bildung widmen, verfolgen Berufsschule, Berufsfachschule und der sog. „Akademiebereich" (Berufsakademien) Ziele der Ausbildung auf konkrete Berufsbilder hin. Die erste große Gliederung nach den Bildungszielen (allgemeinbildendes — berufsbildendes Schulwesen) setzt sich im einzelnen in den Schulzweigen fort. Im herkömmlichen gegliederten Schulsystem unterscheidet man insoweit vor allem Grund/Hauptschule, Realschule, Gymnasium und andererseits die berufsbildenden Schulen. Im Konzept der integrierten Gesamtschule wird dieser Aufbau vor allem durch die Integration der Mittelstufe verändert, um die „Berufsvorentscheidungen" möglichst lange hinauszuschieben 58 . Das Hamburger Länderschulabkommen von 1964/71 geht weiterhin grundsätzlich von einem bundesweit gegliederten Schulaufbau aus59. d) Grundschule und Hauptschule: Die Basis der Schulorganisation — sieht man von der nur begrenzt eingeführten Vorschulerziehung ab — bildet die Grundschule. Sie umfaßt die ersten vier (z. T. sechs) Jahrgänge der öffentlichen Volksschule, deren obere Jahrgänge als Hauptschule zusammengefaßt 56

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Zur theoretischen Grundlegung C. H. Evers, DUZ 1964, H. 9, 15ff. Zur Entwicklung zusammenfassend Oppermann, Gegliedertes Schulwesen versus Gesamtschule in: Grundfragen des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, Bl. 4, 1982, S. 3 ff. m. w. N. — Tatsächliche Verwirklichungen des Gesamtschulgedankens vor allem im Schulrecht von Berlin, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Insgesamt besuchen aber bisher nur 2 — 3% aller Schüler eine Gesamtschule. BVerfGE 45, 400ff. (415); Hess. StGH NJW 82, 1381 u. DÖV 83, 546; Oppermann, Elterliches Erziehungsrecht und staatlicher Schulauftrag, in: Röper (Hrsg.), Die Schule und ihr Auftrag, 1979, S. 71 ff.; Dietze, NVwZ 1984, 72ff. Vgl. die Lit. oben Anm. 56, ferner als Vorläufer geschichtlich Sienknecht, Der Einheitsschulgedanke, 1968, sowie als Modell den Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des allgemeinbildenden öffentlichen Schulwesens von 1959 (Hrsg.: Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen). Durch die KMK-Beschlüsse v. 7. 7. 1972 zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe und v. 28. 2. 1974 über die Orientierungsstufe erfolgten allerdings wesentliche Änderungen der Systeme im Sinne der „Horizontalisierung", über dazu Oppermann aaO. (Anm. 56), Horizontalisierung S. 17 ff.

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werden60. Die Tendenz geht dahin, die Trennung Grundschule/Hauptschule stärker zu betonen und die Hauptschule neben Realschule und Gymnasium als die drei „auf der Grundschule aufbauenden Schulen" anzusehen (§ 4 Hamburger Länderschulabkommen von 1964/71). Daneben besteht die Möglichkeit einer gewissen Verlängerung der Grundschule dadurch, daß die Länder ein für alle Schüler gemeinsames S. und 6. Schuljahr mit der Bezeichnung „Förder- oder Orientierungsstufe" schaffen können. Davon wird z. T. Gebrauch gemacht61. Eine solche Förderstufe steht zwar zwischen Grund- und weiterführender Schule, teilt aber mit der Grundschule deren entscheidendes Merkmal, daß sie alle Schüler des betreffenden Jahrganges umfaßt. Dieser über die Schulpflicht gegebenen Allgemeinheit der Grundschule kommt besondere Bedeutung zu, verwaltungsrechtlich im Sinne subjektiv-öffentlicher Berechtigung, über die Schulpflicht sogar Verpflichtung zum Volksschulbesuch62. Die Vermittlung des gleichen Bildungsgutes an die gesamte Bevölkerung in einem besonders aufnahmefähigen Alter entspricht aber auch wesensmäßig den Strukturen einer vom Gleichheitssatz geprägten Demokratie. Hierin liegt auch die Ratio gewisser Erschwerungen für die Gründung privater Volksschulen und für die Beibehaltung des Vorschulverbotes (Art. 7 V, VI GG). Auch in einer militanter Nationalerziehung abholden Zeit kann die Bedeutung eines mehrjährigen gemeinsamen Erziehungsabschnittes für die gesamte Jugend kaum überschätzt werden. Das gilt nicht nur für die Entwicklung der grundlegenden geistigen Voraussetzungen für die Teilnahme am Sozialleben (Lesen, Schreiben, Rechnen u. ä.)63, sondern ebenso für die ersten Konturen einer staatsbürgerlichen Vorstellungswelt, die manchem damit für 60

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KMK-Empfehlungen vom 3.7.1969 zur Hauptschule, GMB1. 1969, S.402f.; KMK-Empfehlungen vom 2. 7. 1970 zur Arbeit in der Grundschule, GMB1. 1970, S. 410. - Gesamtüberblick bei Hecket / Seipp, Schulrechtskunde, S. 31 ff.; Wolf// Bachof, VwR II, §101, b; Oppermann, KulturverwR, 1969, S. 201 ff. - Ferner Arendt, Verfassungsrechtliche Problematik der öffentlichen Vorschulerziehung, 1976. Vgl. den KMK-Beschluß v. 28. 2. 1974 über die Orientierungsstufe, Text u. a. Kulturpolitik der Länder 1973 - 1974 (1975), S. 315 ff. Verwirklicht wurden sie besonders im Schulrecht von Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, allerdings in sehr unterschiedlicher, z. T. freiwilliger, z. T. obligatorischer Form. Zur grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfGE 34, 165 ff. Geregelt in den Schulpflichtbestimmungen der Länderverfassungen bzw. -gesetze, die an die Stelle des ReichsschulpflichtG vom 6. 7. 1938 (RGBl. I, S. 799) traten. Zu Schulbesuchsrecht und -pflicht OVG Lüneburg, VerwRspr 11, 209ff.; BVerwG DVB1. 1958, 512; VG Hannover, RWS 1962, 341, und zusammenfassend Ihlenfeld, Pflicht und Recht zum Besuch öffentlicher Schulen nach dt. Bundes- und Landesrecht, 1971. So schon § 46 II 12 ALR: Vermittlung desjenigen Wissens und Könnens, dessen jeder vernünftige Mensch bedarf. — Heute im einzelnen in Länderverwaltungsvorschriften (Unterrichtsordnung, Stoffplan, Bildungsplan u. s. f.) niedergelegt, die bundesweit über KMK-Beschlüsse und z. T. sogar Länderabkommen harmonisiert sind.

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sein ganzes weiteres Leben mitgegeben wird 64 . Die Hauptschule ist je nach Grundschuldauer und Gesamtausbau (9. oder 10. Volksschulahr) die zweibis fünfjährige Oberstufe der Volksschule. Sie vermittelt denjenigen Kindern weitere Allgemeinbildung, die nicht auf (sonstige) weiterführende Schulen überwechseln. Im Sinne der allgemeinen Steigerung der Bildungsanforderungen wird angestrebt, den Unterrichtsinhalt der Hauptschule zu verbessern einen Hauptschulabschluß zu schaffen und von ihr zusätzliche Übergänge in weiterführende Schulzweige zu schaffen. Dennoch steht sie infolge der verstärkten Überleitung der Begabten in weiterführende Schulen bereits am Ende der Grundschule in steter Gefahr, „Restschule" zu bleiben 65 . Andere Sonderformen der Volksschule sind die Hilfsschulen für schwächer begabte und die Sonderschulen für durch körperliche Mängel u. ä. in der Entwicklung gehemmte Kinder 66 . e) Realschule: Die Real-(„Mittel"-)Schule vermittelt als weiterführende Schule eine über die Hauptschule hinausgehende allgemeine Bildung (§§ 6, 10 Hamburger Länderschulabkommen von 1964/71) 67 . Vor allem in der vieroder sechsklassigen Normalform vermittelt sie einen Bildungsinhalt, der einerseits weiter als der Standard der Hauptschule reicht, andererseits nicht so weit wie die Gymnasialbildung führen soll. Obwohl grundsätzlich allgemeinbildend, ist das Programm der Realschule doch mehr berufspraktisch orientiert als dasjenige des Gymnasiums. Abschluß der Realschule ist die Mittlere Reife, die den Zugang zu einer Reihe „gehobener" Berufsausbildungen eröffnet, u. a. im öffentlichen Dienst, aber auch über das berufsbildende Fachschulwesen bis zur fachbezogenen Hochschulreife 68 . Bildungspolitisch wird die Berechtigung einer eigenständigen Realschule sowohl durch die Erleichterungen beim Zugang zum Gymnasium und im Standard des Abiturs als auch durch das Gesamtschulmodell in Frage gestellt. f ) Gymnasium: Von besonderer Bedeutung unter den weiterführenden Schulen ist das Gymnasium („Höhere Schule") 69 . Vor allem in seiner siebenoder neunklassigen Normalform (i. d. R. an die Grundschule bzw. Förderstu64 65 66 67 68

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Näher dazu Oppermann, KulturverwR, S. 201 ff. Möller, Die Hauptschule, 1972. Vgl. etwa bayer. SonderschulG i. d. F. vom 3. 9. 1982 (GVB1. 788). KMK-Beschluß über die Stellung der Mittelschulen im Schulaufbau v. 17. 12. 1953 BS/KMK Nr. 150; ferner Oppermann, KulturverwR, S. 209 ff. Bundesweite gegenseitige Anerkennung der Mittleren Reife über Abschnitt VIII des oben Anm. 69 genannten KMK-Beschlusses. Zur Bedeutung der Mittleren Reife für den gehobenen öffentlichen Dienst § 13 Nr. 2 BRRG i. d. F. der Bekanntm. vom 3. 1. 1977 (BGBl. I, S. 21) und Ganser, DöD 1957, 47 ff. Wesentliche Rechtsgrundlagen: Hamburger Länderschulabkommen von 1964/71; KMK-Beschluß vom 7. 7. 1972 zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II, BS/KMK Nr. 175/3 und den späteren Durchführungsbeschlüssen vom 30. 1. 1981, 18. 11. 1982, GMB1. 1981, 277ff.; 1983, 190ff. mit den entsprechenden landesrechtlichen Ausführungsgesetzen.

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fe anschließend und sich in den Klassen 11 [12] — 13 in die besondere gymnasiale Oberstufe ausgliedernd) vermittelt es denjenigen Bestand an allgemeiner Bildung, der für die Zuerkennung der — über das Abitur ausgesprochenen — allgemeinen Hochschulreife für notwendig erachtet wird70. Die durch das Gymnasium vermittelten Bildungsziele sind vielgestaltig, doch lassen sich seit längerem die drei großen Typen des altsprachlichen („humanistischen"), neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums unterscheiden, daneben neuerdings das Wirtschaftsgymnasium 71 . Alle Gymnasien führen zu einer Abschlußprüfung (Abitur), auf Grund deren das Reifezeugnis i. S. der Qualifikation der allgemeinen Hochschulreife verliehen wird. Die Reifezeugnisse der verschiedenen Gymnasialtypen und gleichzeitig der einzelnen Bundesländer werden grundsätzlich untereinander als gleichwertig anerkannt 72 . Der begünstigende Verwaltungsakt der Zuerkennung der allgemeinen Hochschulreife stellt kulturverwaltungsrechtlich gesehen den wesentlichsten Grenzpunkt zwischen Bildungs- und Wissenschaftsbereich dar 73 . Spezielle Möglichkeiten, zur Reifeprüfung zu gelangen, werden mit dem sog. zweiten Bildungsweg angeboten (Abendgymnasium, internatsmäßige „Kollegs", Fernstudien, auch schon erste Ansätze zu Funk-(Fernseh-)Kollegs)74. Bildungspolitisch kommt dem Gymnasium im Verhältnis zur Grundschule einerseits, zur Hochschule andererseits in dem der Chancengleichheit verpflichteten Sozialstaat des GG zunehmend die Aufgabe eines ersten großen Verteilers in die verschiedenen, von Staat und Gesellschaft her vorgegebenen Sozialfunktionen zu. In diesem Sinne ist von der Verfassung her die 70

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Gesamtüberblick: Heckel/ Seipp, Schulrechtskunde, S. 33f.; Wolff / Bachof, VwR, II, § 101; Oppermann, KulturverwR, S. 211 ff. Dabei muß die vermittelte Allgemeinbildung angemessen breit sein, vgl. Hess. StGH NJW 1982, 1381 ff. Kritisch dazu Evers, JZ 1982,459ff.; E. Stein, RdJB 1982, 178ff. Ulshoefer, Die Geschichte des Gymnasiums seit 1945, 1967. § 17 Hamburger Länderabkommen vom 28. 10. 1964 i. V. m. KMK-Beschluß vom 20. 3. 1969 i. d. F. vom 20. 6. 1972 einer Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der an Gymnasien erworbenen Zeugnisse der allgemeinen Hochschulreife, GMB1. 1969, S. 161 i. V. m. GMB1. 1972, S.410 und KMK-Beschluß vom 7. 5. 1971 i. d. F. vom 8. 11. 1972 einer Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen der allgemeinen Hochschulreife, die an Gymnasien mit neugestalteter Oberstufe erworben wurden, GMB1. 1973, S. 102, sowie KMK-Beschluß vom 25. 11. 1976, GMB1. 1977, S. 79. Seit 1982 sind die Gesamtschulzeugnisse in der Gleichwertigkeit definitiv einbezogen worden. — Ferner international: Europaratskonvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse vom 11. 12. 1953 (BGBl. 1955 II, S. 599). Aus der Rspr. zum Abitur: VG Ffm. JZ 1962, 504; OVG Saarlouis RWS 1963, 150; bad.-württ. VGH VerwRspr. 12, 524; BVerfGE 33, 303ff.; 43, 291 ff.; („Numerus Clausus"); OVG Münster DÖV 1975, 358ff. Belser, Zweiter Bildungsweg, 1960; Wolff/ Bachof, VwR II, § 101, II, d (dort auch zum „3. Bildungsweg" der Einzelbegabtenprüfung); Blinkert, Die Situation von Abendgymnasium und Kollegs in der Bundesrepublik Deutschland, 1974.

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gleiche Bildungschance für jeden zu fordern, wobei sich die notwendige Auslese am Leistungsprinzip zu orientieren hat75. g) Berufsbildende Schulen: Am berufsbildenden Schulwesen fällt im Vergleich zum allgemeinbildenden eine nicht immer glückliche Typenvielfalt auf 76 . Sehr zu Unrecht ist das berufsbildende Schulwesen in der allgemeinen Schulreform Jahrzehnte hindurch vernachlässigt worden. Da der Bund seine hier z.T. gegebene Gesetzgebungszuständigkeit (Art. 74 Ziff. 11, 12, 13 GG) nur partiell ausnutzte und auch die KMK nicht grundlegend harmonisierte, orientiert sich die Typik des berufsbildenden Schulwesens noch maßgeblich an älteren Leitbildern77. Basis ist die Berufsschule, regelmäßig als berufsbegleitende Teilzeitschule geführt. Auf ihr erfüllen vor allem Hauptschulabgänger den Rest ihrer allgemeinen Schulpflicht (durchschnittlich drei Jahre)78. Die Berufsschulen sind entsprechend Berufsbildern der Ausbildungsberufe vielfältig gegliedert (kaufmännisch, gewerblich, landwirtschaftlich u. s. f.). Neben oder nach dem Besuch der Berufsschule vermittelt die Berufsaufbauschule als mindestens einjährige Vollzeitschule eine über das Ziel der Berufsschule hinausgehende allgemeine und fachtheoretische Bildung. Von der Berufsschule ist als zweiter Grundtyp des berufsbildenden Schulwesens die Beruf sf achschule zu unterscheiden. Ihr Erscheinungsbild ist nach den Voraussetzungen (Hauptschulabschluß, Mittlere Reife), der Ausbildungsdauer (1—3 Jahre), ihrem Abschluß (Fachschulreife, z. T. auch fachbezogene Hochschulreife) und der fachlichen Ausrichtung (gewerblich, kaufmännisch, hauswirtschaftlich, pflegerisch, künstlerisch u. a.) äußerst differenziert. Gemeinsames Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Berufsschule ist eigentlich nur der Charakter als Vollzeitschule und der i. d. R. zu einer Berechtigung führende Abschluß. Dagegen ist die Abgrenzung zum dritten Grundtyp, der Fachschule, im einzelnen oft unscharf. Auch dieser anspruchsvollste Bereich des berufsbildenden Schulwesens ist in sich vielfaltig und nicht immer systematisch-logisch gegliedert. Gemeinsam ist die Voraussetzung der Fachschulreife (i. d. R. Mittlere Reife und abgeschlossene Berufsausbildung) und bei gutem 75

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Dahrendorf, Bildung ist Bürgerrecht, 1965; Peisert, Soziale Lage und Bildungschancen in Deutschland, 1967; Maunz, Fs. f. Geiger, 1974, 545 ff; Trommer-Krug, Soziale Herkunft und Schulbesuch, in: Bildung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1980, S. 217 ff. Georg, Einführung in die Grundlagen des Berufsbildungsrechts, 3. Aufl. 1977; Münch, Das berufliche Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, 1982; Hurlebaus, Wirtschaft und Berufserziehung 1983, 335ff. Wichtig besonders der Erlaß des RMWEV vom 29. 10. 1937 und KMK-Beschluß v. 8. 12. 1975 über die Bezeichnungen zur Gliederung des beruflichen Schulwesens = Kulturpolitik der Länder 1975-76, 1977, 327f. Ferner einige, spezielle KMK-Beschlüsse, besonders bedeutsam Rahmenvereinbarungen über das Berufsgrundbildungsjahr vom 6.7. 1973, BS/KMK Nr. 321 im Bund willig das Berufsbildungsförderungsgesetz v. 23. 12. 1981, SaBl. 1982, 400ff.; Göxing, RdJB 1982, 425ff. Zum korrespondierenden Recht des Jugendlichen auf Berufsausbildung Walter Becker, NDV 1957, 161 ff.

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Abschluß die Verleihung der Berechtigung zur Fachhochschulreife. Ländereinheitlich wird seit 1968 als ein Sondertyp der Fachschule insbesondere die Fachoberschule organisiert79. h) Schulen mit Auslandsbezug: In lockerem Bezug zur deutschen Schulorganisation stehen schließlich auch die deutschen Auslandsschulen, internationale Schulen mit deutscher Beteiligung und ausländische Schulen in der Bundesrepublik Deutschland 80 . Die deutsche Auslandsschule ist i. d. R. eine Schule privaten Rechts, wird aber vom deutschen Staat (Kulturabteilung des AA, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen beim Bundesverwaltungsamt, Ausschuß für Auslandsschulwesen des KMK) sachlich und personell unterstützt, und ihre Berechtigungen werden oftmals in der Bundesrepublik anerkannt 81 . Es bestehen wieder ca. 250 Auslandsschulen mit 1500 Lehrkräften und ca. 100000 Schülern. Ähnlich beteiligt sich die Bundesrepublik an verschiedenen internationalen, insbesondere den Europäischen Schulen. Das Ausmaß der deutschen Mitwirkung, die Bildungsinhalte und die Anerkennung der Berechtigungen sind hier i. d. R. völkervertragsrechtlich festgelegt82. Umgekehrt gibt es ausländische Schulen in der Bundesrepbulik Deutschland (u. a. dänische Schulen in Südschleswig)83. Sie können sich grundsätzlich auf die Privatschulfreiheit des Art. 7 IV GG berufen 84 . i) Schulstufen: Neben die in den vorstehenden Absätzen dargestellte Gliederung des Schulwesens nach Schularten tritt in neuerer Zeit eine Differenzierung nach sog. Schulstufen, die das Schulwesen nach Altersstufen gliedern und die jeweils eine oder mehrere Schularten umfassen. Der Elementarbereich umfaßt alle Einrichtungen familienergänzender Bildung und Erziehung 79

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Dagegen rechnen die Fachhochschulen inzwischen zum tertiären Bildungsbereich, d. h. dem Hochschulwesen, vgl. unten Kimminich, 11. Abschnitt. Im Grenzbereich befinden sich die Berufsakademien, vgl. Erhardt, in: Kulturverwaltungsrecht im Wandel, 1981, S. 32ff. Überblick: Hecke!/Seipp, Schulrechtskunde, S. 153ff.; Oppermann, KulturverwR, S. 216ff. und Jutzi, Die Deutschen Schulen im Ausland, 1977. Jaenichen, Bulletin 1961, 211 f.; Kulturpolitik der Länder 1977-1978 (Hrsg. KMK), 1979, S. 335 ff. KMK-Beschluß über die Zuständigkeit des AA und der KMK für die deutschen Schulen im Ausland, GMB1. 1970, S. 299; KMK-Beschluß über die Ordnung der deutschen Reifeprüfung im Ausland, GMB1. 1974, S. 244ff. Z. B. Satzung der Europäischen Schule vom 12. 4. 1957 nebst Prüfungsordnung der Europäischen Reifeprüfung vom 15. 7. 1957 (BGBl. 1965 II, S. 1041). Ferner Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen vom 13. 4. 1962 (BGBl. 1969 II, S. 1301). Vgl. auch Heusch, Die Europäische Schule in Luxemburg, ArchVR 8 (1959/60), 71 ff. KMK-Beschluß vom 25. 6. 1957 einer Vereinbarung über die Voraussetzungen zur Zulassung ausländischer Schulen im Gebiet der Bundesrepublik und Berlin, BS/KMK Nr. 312; KMK-Beschluß i. d. F. vom 28./29. 9. 1961 über Errichtung von Schulen für fremde Volksgruppen BS/KMK Nr. 311; Biehl, Minderheitenschulrecht in Nord- und Südschleswig, 1960. OVG Lüneburg DVB1. 1954, 255ff.

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nach Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Beginn der Schule, wobei den Einrichtungen für Fünfjährige eine Sonderstellung zukommt (Vorschulgedanke). Im Primarbereich sollen die Schüler allmählich von den Formen des mehr spielerischen Lernens im Elementarbereich zu den systematischeren Formen des schulischen Arbeitens geführt werden. Er umfaßt die ersten vier bzw. sechs Jahrgangsstufen. Der Sekundarbereich I umfaßt alle Bildungsgänge, die auf dem Primarbereich aufbauen und bis zum 9. bzw. 10. Schuljahr reichen. Hieran schließt sich unmittelbar der Sekundarbereich II an. Zu ihm gehören Bildungsgänge, die auf einen Beruf vorbereiten, studienbezogene Bildungsgänge, Bildungsgänge, die mit einer beruflichen Qualifikation oder Ausrichtung auch weiterführende Bildungsgänge im Tertiären Bereich (Hochschulbereich) eröffnen und Bildungsgänge für Jugendliche, die gegenwärtig ohne Schulabschluß in das Erwerbsleben treten. Ausgehend von den Empfehlungen des Bildungsrates im Strukturplan (1970) über die Festlegungen im Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (1973) hat der Gedanke eines nach Stufen gegliederten Schulwesens bereits Eingang in die neueren Schulgesetze der Bundesländer gefunden 85 . 4. Außerstaatliche Beteiligung am Schulwesen (Gemeinden, Kirchen, Freies Schulwesen) Auf die grundlegende Gliederung des Schulwesens in einen öffentlichen und einen privaten Teil wurde bereits oben Ziff. 3 hingewiesen. Eine andere wesentliche Scheidungslinie ergibt sich zwischen der Schulbestimmungsmacht des Staates i. e. S., wie sie vor allem Art. 7 I G G ausspricht, und der Einflußnahme „außerstaatlicher" Erziehungsträger im weitesten Sinne. Mit letzteren sind sowohl öffentliche Institutionen wie die Gemeinden und die Kirchen angesprochen, als auch die privaten („freien") Schulträger im eigentlichen Sinne. a) Gemeinden: Die Gemeinden (einschl. Gemeinde- und Zweckverbände) gehören als die unterste Ebene der Gebietskörperschaften seit langem zu den Trägern wesentlicher Schulfunktionen 86 . Ihre Mitsprache in (meist äußeren) Schulangelegenheiten gehört zum Kernbereich der Gemeindeautonomie. Gleichzeitig ergibt sich jedoch bei der Beteiligung der Gemeinden im Schulwesen das Grundproblem, daß die Kommunen als Einzelbestandteile des umfassenden Gemeinwesens keine übergreifenden Maßstäbe zu setzen vermögen. Das gilt vor allem für die inneren Schulangelegenheiten, wie die Auswahl und das Niveau des Bildungsstoffes. Wenn es eine Aufgabe des modernen Sozialstaates ist, chancengleich Bildung zu vermitteln, hat er damit gleichzeitig über eine im Wege der Schulaufsicht durchzusetzende überregio85 86

H. Heckel, Einführung, 1977, S. 19ff. Stephany, Staatliche Schulhoheit und kommunale Selbstverwaltung, 1964; Oppermann, Grundsätze, 1976, C 6 9 f f . ; H. Heckel, Einführung; 1977, S. 32ff.; Hufen, NVwZ 1983, 516ff.

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nale Bildungsplanung für ein gleichartiges und gleichwertiges Bildungsangebot zu sorgen. Das schließt einseitige Bestimmungsrechte der Gemeinden insoweit aus und verweist ihre Mitwirkung im Schulwesen vor allem in das Gebiet der äußeren Schulangelegenheiten im Sinne sozialstaatlich motivierter Schulentwicklungspflichten. Als eine erste Faustregel gilt so immer noch der Satz von Anschütz, daß die Gemeinde der Schule das Haus baut, Herr im Hause aber der Staat ist87. Auch insoweit sind jedoch weitere Einschränkungen zu beachten. So hängt z. B. die Schulgründung (Standortwahl) und entsprechend die Auflösung von Schulen eng mit Fragen übergeordneter Bildungsplanung zusammen. Ferner sind die Gemeinden vielerorts längst nicht mehr in der Lage, die ständig steigenden Anforderungen der Schulfinanzierung, insbesondere die Personalkosten, allein zu tragen. Hieraus ergab sich eine weitere Stärkung des Staatseinflusses. U. a. stehen die Lehrer heute weithin im öffentlichen Dienst des Staates (Landes). Trotz dieser wesentlichen Einschränkungen spielen die Gemeinden weiterhin eine bedeutsame Rolle im deutschen Schulwesen, wie es einem dem Gedanken der Selbstverwaltung verpflichteten demokratischen Gemeinwesen (Art. 28 GG) entspricht 88 . Im Hinblick auf die Trägerschaft ist die „staatskommunale" Schule die Regelform in den meisten Ländern 89 . Hier trägt die Gemeinde grundsätzlich die sachliche Schullast und verwaltet die äußeren Schulangelegenheiten, während die Lehrer dienstrechtlich und finanziell dem Land zugeordnet sind. Kommunale Schulen, bei denen auch die Lehrer in Dienst und Besoldung der Gemeinde stehen, sind selten. Auf der anderen Seite stehen die staatlichen Schulen, wo das Land Schulträger und Dienstherr ist. — Ein wesentlicher Bedeutungswandel der kommunalen Schulbeteiligung liegt darin, daß nach dem neueren Gemeinderecht die kommunale Mitwirkung häufig nicht mehr wie früher als Auftragsangelegenheit anzusehen ist, sondern als eine zur Selbstverwaltung zugewiesene Pflichtaufgabe, bei der dem Staat nur die Rechtsaufsicht zusteht. Aber auch an manchen inneren Angelegenheiten (die von den äußeren ohnehin oft schwierig zu trennen sind), werden die Gemeinden mancherorts kraft staatlicher Zuweisung beteiligt 90 .

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Anschütz, WRV, 14. Aufl. 1933, Art. 143, Anm. 2, Art. 144, Anm. 1. Nicht unähnlich etwa wieder BVerwG E 18, 38 ff. oder von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft, 1967, S. 101. Vgl. aber auch Wimmer, DVB1. 1971, 533ff.; Kloepfer, DÖV 1971, 837ff. In diesem Sinne auch KMK-Beschluß i. d. F. vom 28./29. 9. 1961 über Selbstverwaltung und Schule, BS/KMK Nr. 920; vgl. auch Erbet, Die Verwaltung 1972, 173ff.; RichterRdJB 1972, 8ff. Hierzu und im folgenden eingehend Hechel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 96 ff. und Dittmann, Schulträgerschaft zwischen Kreisen und Gemeinden, 1978; Thode, Das kommunal-staatliche Kondominium in der Schulträgerschaft, 1982. Im einzelnen viele Differenzierungen je nach der Struktur der Gemeindeordnungen („Weinheimer Typ" oder mehr traditionelle Struktur), vgl. auch Wolff / Bachof, VwR II, § 101.

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b) Kirchen: Die Mitsprache der Kirchen im öffentlichen Schulwesen wirft andere Probleme auf. Die Kirchen stellen neben Elternhaus und Staat eine dritte große Institution mit eigenem Erziehungsanspruch dar. Zwar wie die Gemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts (Art. 140 G G i. V. m. Art. 137 V WRV), treten die Kirchen eben wegen dieses inhaltlichen Erziehungsanspruches in ganz anderer Weise in Wettstreit, evtl. sogar in Widerspruch zur staatlichen Schulbestimmungsmacht. Allgemein bleibt dabei aber zu beachten, daß der Staat des G G ausweislich des Grundrechtes der Glaubens* und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 G G und des Verbotes der Staatskirche (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 I WRV) sich mit den religiösen Anschauungen und Meinungen seiner Bürger „nicht identifiziert" (Herbert Krüger). Hieraus ergeben sich Rückwirkungen auf die Regelung konfessioneller Fragen bei der Gestaltung des Schulwesens. Dabei sind mit dem Bekenntnisschulwesen und der Gestaltung des Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen zwei größere Sachkomplexe zu unterscheiden 91 . aa) Öffentliche Bekenntnisschulen: Das öffentliche Bekenntnisschulwesen war in Reaktion auf den Kirchenkampf des NS-Regimes nach 1945 zunächst wieder in die alten Positionen aus der Weimarer Zeit eingesetzt worden. Im wesentlichen bestanden öffentliche Konfessionsschulen im Volksschulbereich. In einer seit Mitte der sechziger Jahre in verschiedenen Bundesländern durchgeführten Reform wurden die öffentlichen Bekenntnisschulen jedoch in weitem Umfang meist in (christliche) Gemeinschaftsschulen umgewandelt 92 . In einer Reihe von Ländern (Größter Teil Baden-Württembergs, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, früheres Lippe, Schleswig-Holstein) war die Gemeinschaftsschule seit längerem einzige oder Regel-Schulform der öffentlichen Volksschule. Die Bekenntnisschule ist hier weitgehend in den Privatschulbereich verwiesen (z. T. mit weitgehender Subventionierung durch den Staat). Nicht zufällig entsprach der Kreis der früheren „Bekenntnisschulländer" (Südwürttemberg/Hohenzollern, Bayern, Oldenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland) den Gebieten mit starkem katholischen Bevölkerungsanteil. Für die katholische Kirche stellte sich infolge ihres kirchlichen Rechtes und ihrer Soziallehre 93 die Frage nach institutio91 92

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Dazu und zum folgenden Oppermann, Grundsätze, 1976, C 74ff.; H. Heckel, Einführung, 1977, S. 28 ff. Gesamtüberblick: Geiger, Kirchen und staatliches Schulsystem, in: Friesenhahn/ Scheuner (Hrsg.), Hdb. d. Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1975, S. 483 ff. Subsidiarität der staatlichen gegenüber der elterlichen Erziehung, verbunden mit kirchenrechtlicher Bindung des Elternwillens: c.j. c. can. 1374 und folgerichtig auch die nachkonziliare Soziallehre, so Erklärung „Gravissimum educationis" des 2. Vatikanischen Konzils vom 28. 10. 1965. — Die staatliche Anerkennung dieser Grundsätze wird über Konkordatsbindungen (vor allem bayer. Konkordat 1924; Reichskonkordat 1933; nieders. Konkordat 1965) wenigstens teilweise zu erreichen versucht.

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nalisiertem Einfluß im öffentlichen Bildungswesen in anderer Schärfe als für die evangelischen Landeskirchen, die im Grundsatz kaum Schwierigkeiten sahen, das Schulwesen dem Staat zu überlassen94. Nach den Reformen ergibt sich in den Bekenntnisschulländern folgendes Bild: Baden- Württemberg (Art. 15, 16 Verf. i. d. F. vom 8. 2. 1967): Christliche Gemeinschaftsschule „badischen Typus"; Bayern (Art. 135 Verf. i. d. F. vom 22. Juli 1968): christlich geprägte Gemeinschaftsschule; Nordrhein-Westfalen (ohne Lippe) (Art. 12 Verf. i. d. F. vom 5. März 1968): Grundschule nach Elternwahl Gemeinschaftsoder Bekenntnisschule, Hauptschule als Regelform christliche Gemeinschaftsschule, Rheinland-Pfalz (Alt. 29 Verf. i. d. F. vom 8. Juli 1970): Grundund Hauptschule, christliche Gemeinschaftsschule; Saarland (Art. 27 Verf. i. d. F. vom 23. Februar 1965): Elternwahl zwischen Bekenntnisschule und christlicher Gemeinschaftsschule. Die Bekenntnisschule läßt sich zunächst äußerlich als Zusammenfassung von Schülern einer bestimmten Konfession zum Unterricht durch Lehrer derselben Religionszugehörigkeit verstehen (formeller Bekenntnisschulbegriff)95. In der Praxis ergeben sich dabei infolge der konfessionellen Bevölkerungsmischung regelmäßig Minderheitenprobleme. Ihre eigentliche ratio essendi kann die Bekenntnisschule auch nach ihrem Selbstverständnis aber nur in inhaltlichen Kriterien finden. Danach gehört zu ihren konstituierenden Merkmalen die Gestaltung des gesamten Unterrichts im Geiste einer bestimmten Konfession (materieller Bekenntnisschulbegriff)96. Eben dieser Anspruch macht aber gleichzeitig die Legitimierung der Bekenntnisschule jedenfalls als öffentlicher, allgemeiner (Grundschule!) Unterrichtsanstalt im gesinnungsneutralen Verfassungsstaat des GG schwierig97. Auf jeden Fall muß sie, von Art. 4, 140 GG her gesehen, als eine Ausnahmeerscheinung im Rahmen der öffentlichen Bildungseinrichtungen verstanden werden. Weltlich-demokratisch läßt die öffentliche Bekenntnisschule sich nur in dem Maße rechtfertigen, als der Nachweis eines hinreichenden, auf ihren Fortbestand gerichteten Sonderwillens geführt wird. Zu Recht stellen daher die oben genannten Länderverfassungen und die sie ausführende Rechtsetzung neuerdings entschei94 95 96 97

von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft, 1967, S. 129 ff. Klassischer Ausdruck in § 33 Preuß. VolksschulunterhaltungsG vom 28. 7. 1909 (GS S. 335). BVerwG E 17, 267; 19, 252. Hans Heckel, DÖV 1953, 593ff.; Fackler, RWS 1964, 359. Anerkennung der Verfassungsmäßigkeit der öffentlichen Bekenntnisschule in BVerfGE 6, 309ff. (355f.), BVerwGE 6, 101 ff.; 19, 252ff. Obermayer, Gemeinschaftsschule als Auftrag des GG 1967; Schulreform und Recht (Hrsg.: Kulturbeirat beim ZK der dt. Katholiken), 1967. Martin Heckel/A. Höllerbach, W D S t R L 26 (1968), S. 5ff.; von Campenhausen, BayVBl. 1970, 153ff.; Scheuner, in: Fs. f. Maunz, 1971, S. 307ff.; Cube, APuZ 25/1974 (Beilage zu „Das Parlament"); Geiger, Die Einschulung von Kindern verschiedenen Bekenntnisses in eine öffentliche Bekenntnisschule, 1980, S. 36 ff.

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dend auf den Elternwillen im Sinne des Art. 6 II GG ab, dessen freie Äußerung im Sinne allgemeiner demokratischer Wahlrechtsgrundsätze sichergestellt sein muß. Bildet sich auf diese Weise ein hinreichender Elternwille zugunsten öffentlicher Bekenntnisschulen (nach bisheriger Erfahrung faktisch recht selten), lassen sich aus dem vom Staatskirchensystem des G G ableitbaren Grundsatz kooperativer Partnerschaft zwischen Staat und Kirche genügend Anhaltspunkte entnehmen, diese Schulform als verfassungsrechtlich zulässig anzusehen. Auch Art. 7 V GG schließt eine „öffentliche Volksschule dieser Art" ausdrücklich nicht aus. Eine andere, mehr bildungspolitische Frage ist es, ob der optimale Standort der Bekenntnisschule in der heutigen Gesellschaft nicht derjenige der großzügig vom Staat subventionierten Privatschule ist (so z. B. in Hamburg), während im übrigen die christliche Gemeinschaftsschule dem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland besonders gut entspricht 98 . Im einzelnen ergeben sich bei der äußeren und inneren Organisation der öffentlichen Bekenntnisschule eine Reihe weiterer Fragen. Als öffentliche Anstalt unterliegt sie vollen Umfanges der staatlichen Schulaufsicht und in ihrer Bildungsarbeit staatlichen Allgemeinprinzipien wie der Meinungs- und Gewissensfreiheit, sowie dem Gebot der Toleranz gegenüber den Ansichten Andersdenkender. Daß sich damit schwierige Verschränkungen im Verhältnis zu den hier ebenfalls legitimen konfessionellen Bildungszielen ergeben können, liegt auf der Hand". Probleme bestehen weiterhin z. B. bei besonderen kirchlichen Anforderungen für die Ausbildung zu konfessionsgebundenen Lehrämtern, für ihre Besetzung (katholisch-kirchliches Eherecht!), sowie bei der Stellung der sog. Minderheitenschüler und -lehrer100. bb) Religionsunterricht: Der Einbau des Religionsunterrichts in das öffentliche Schulwesen ist von Art. 7 II, III GG her gesamtstaatlich bestimmt. Die tragenden Grundsätze dieser Regelung sind einerseits eine Einrichtungsgarantie des Religionsunterrichts als ordentliches Lehr-(Pflicht-)fach der meisten öffentlichen Schulen, mit geistlicher Einflußnahme auf den Unterricht101, andererseits das individuelle Entscheidungsrecht sowohl der Eltern (Kinder), als auch der Lehrer, am Religionsunterricht teilzunehmen bzw. ihn 98

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Erlinghagen, Die Schule in der pluralistischen Gesellschaft, 1964; Maunz, Kirchen als Schulträger, in: Friesenhahn/Scheuner (Hrsg.), Hdb. d. Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1975, S. 547ff. Brauburger, RdJB 1976, 42ff. Die Verfassungskonformität der christlichen Gemeinschaftsschule haben BVerfGE 41, 29ff. (Bad.-Württ.), 65ff. (Bayern) 88ff. (Nordrh.-Westf.) klargestellt. Vgl. auch Oppermann, Grundsätze, 1976, C 77 f, m. w. N. Näher Oppermann, KulturverwR, S. 232 ff. Dazu u. a. BVerwG E 19, 252ff.; Bayer. VerfGH JZ 1966, 793ff.; VGH Mannheim DVB1. 1968, 255ff.; Hans Heckel, ZBR 1958, 155ff.; Werner Weber, Die Konfessionalität der Lehrerbildung in rechtlicher Betrachtung, 1965. Zu Einzelheiten (einerseits geistliches Visitationsrecht, Mitsprache beim Lehrplan, kirchliche Bevollmächtigung der Religionslehrer, andererseits staatliche Aufsicht) Listl (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach, 1983.

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zu erteilen102. Diese Grundsätze liegen auf der allgemeinen staatskirchenrechtlichen Linie des GG, welche durch eine gewisse Synthese zwischen der Gesinnungsneutralität des Staates und seiner Bereitschaft zur Kooperation mit den „öffentlichen" Kirchen gekennzeichnet ist103. Da der Religionsunterricht somit im Kern geistliche Unterweisung und nicht „Weltanschauungskunde" o. ä. ist, zugleich aber auch ordentliches Lehrfach, ergibt sich hieraus die Zulässigkeit eines obligatorischen ethischen „Ersatzunterrichts" für vom Religionsunterricht abgemeldete Kinder 104 und des entspr. Religionsunterrichts für nichtchristliche Ausländerkinder 105 . Die Bundesländer haben diesen gesamtstaatlichen Rahmen unterschiedlich ausgefüllt. Eine Mehrzahl übernimmt entweder einfach die Regelung des GG oder wiederholt sie in enger Anlehnung an dessen Grundsätze (Bay., Hamb., Hess., Nordrh.-Westf., Nieders., Schlesw.-Holst.). In einer 2. Gruppe (Bad.-Württ., Rheinl.-Pf., Saarl.) wird der geistliche Charakter des dort „im Auftrage der Kirchen" erteilten Religionsunterrichts etwas stärker betont 106 . Berlin und Bremen kennen keinen Religionsunterricht i. e. S. als ordentliches Lehrfach. Berlin gibt die Möglichkeit freiwilligen Religionsunterrichts mit de facto ähnlicher Behandlung wie ein ordentliches Lehrfach 107 . Bremen kennt die Sonderform eines „bekenntnismäßig nicht gebundenen Unterrichts in biblischer Geschichte und allgemeinchristlicher Grundlage" 108 . Beide Abweichungen von Art. 7 II, III GG sind mindestens über Art. 141 GG („Bremer Klausel") gedeckt. c) Privatschulen: Die Bildungsverfassung des GG räumt dem Privatschulwesen („freies Schulwesen") eine bedeutsame Rechtsstellung ein109. Ungeachtet des allgemeinen staatlichen Aufsichtsrechtes im Sinne von Art. 7 I GG 102

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Zur sog. Religionsmündigkeit nach § 5 des G über die religiöse Kindererziehung vom 15. 7. 1921 (RGBl. I, S. 939) - i. d. R. 14 Jahre, in einigen Ländern geändert - Feuchte. DÖV 1965, 661 und BVerwG DÖV 1982, 248 ff. Zum Religionsunterricht u. a. zu beachten Art. 21 Reichskonkordat vom 20. 7. 1933 (RGBl. 1933 II, 679). - Insgesamt zum Religionsunterricht BVerwGE 42, 346ff. (Versetzungserheblichkeit); Link, Religionsunterricht, in: Friesenhahn/Scheuner (Hrsg.), Hdb. d. Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1975, S. 503ff., Exeler (Hrsg.), Umstrittenes Lehrfach: Religion, 1976; Kritisch Schach, Elternforum 1981, 10 ff. BVerwG NJW 1973, 1815; vgl. auch Reuter, RdJB 1976, 121 ff. - Zum Sonderproblem des Schulgebetes nunmehr BVerfGE 52, 223 ff. und dazu Böckenförde, DÖV 1980, 323 ff. Dazu Eiselt, DÖV 1981, 205ff.; Stempel, RdJB 1982, 58ff. Zu Baden-Württemberg Rumpf, DÖV 1968, 14 ff. Giese, Die Kirche in der Berliner Schule, 1955. BremStGH DÖV 1965, 815: Kein Gesinnungsunterricht auf evangelischer Grundlage; BVerfGE 30, 112. Zur Problematik Dürig, Die Rechtsstellung der katholischen Privatschulen in Bremen, 1964; Scheuner, DÖV 1966, 145 ff. Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 133ff.; Oppermann, KulturverwR, S. 237ff.; Richter, RdJB 1983, 220ff.; Vogel, RdJB 1983, 170ff.; F. Müller, Das Recht der

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und damit eines gewissen öffentlichen Vorranges gewährleistet Art. 7 IV die Privatschulgründungsfreiheit. Neuerdings ist darin sogar eine institutionelle Bestandsgarantie zugunsten einer grundsätzlichen Existenz des Privatschulwesens gesehen worden, mit Konsequenzen bis zu Subventionierungspflichten des Staates in bestimmten Situationen 110 . Die Länderverfassungen wiederholen oder verstärken z. T. sogar die Entscheidung des GG. Nähere Regelungen finden sich in den Privatschulgesetzen der Länder 111 . Quantitativ gesehen ist der Anteil der Privatschulen am gesamten Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland jedoch gering 112 . Die relativen Schwerpunkte liegen bei den höheren Schulen, den Sonderschulen und im berufsbildenden Schulwesen. Dabei handelt es sich vielfach um konfessionelle Anstalten. Der Grund für die Förderung des Privatschulgedankens liegt einmal darin, daß der Toleranz des pluralistischen Staates ein vollständiges staatliches Schulmonopol nicht entspricht. Damit zusammen hängt die durch Erfahrung bestätigte pädagogische Vorstellung, daß Privatschulen infolge der ihnen grundsätzlich zustehenden inneren Unterrichtsfreiheit oftmals Schrittmacher erzieherischen Fortschritts sein können. Institutionell sind die Privatschulen i. d. R. nicht-öffentliche und nichtrechtsfähige Anstalten ihres Trägers. Dem Privatrecht unterliegt grundsätzlich auch das Rechtsverhältnis zwischen den Schülern (Eltern) und dem Privatschulträger, sowie dessen Beziehungen zu den Lehrern" 3 . Wesentlich ist vor allem die weitere Unterscheidung zwischen Ersatz- und Ergänzungsschulen 114 . Die genehmigungspflichtigen (Art. 7 IV S. 2 GG) Ersatzschulen stehen trotz eigen geprägter Bildungsarbeit in Analogie zum öffentlichen Schulwesen. Häufig werden sie durch Anerkennung den öffentlichen Schulen einschließlich der Berechtigungen gleichgestellt" 5 . Das setzt andererseits Gleichwertigkeit (nicht Gleichartigkeit!) ihrer Bildungsarbeit mit den entsprechenden öffentlichen Anstalten voraus, sowie staatliche Kontrolle dieser Gleich-

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Freien Schule nach dem Grundgesetz, 1982; Frowein, Zur verfassungsrechtlichen Lage der Privatschulen unter besonderer Berücksichtigung der kirchlichen Schulen, 1979; Avenarius, Fs. E. Stein, 1983, 17ff. Vgl. unter Fn. 121. Die Rechtsgrundlagen bei Vogel / Knudsen (Hrsg.), Bildung und Erziehung in freier Trägerschaft (Losebl. Slg.) 1981 ff. Ein Überblick bei Dikow, Das Schulwesen in freier Trägerschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Grundfragen des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, 1982, S. 95 ff. OVG Münster, JZ 1979, 677ff.; vgl. auch VGH B.W., b.w. VerwPr. 1980, 87f.; näher Wolff / Bachof, VwR II, §101; Pluemer, Verfassungsrechtliche Grundlagen und Rechtsnatur des Privatschulverhältnisses, 1968. Zu dieser noch weiter zu differenzierenden Gliederung BVerwGE 12, 349ff.; 17, 41; BVerwG GewArch 1973, 241; VGH Bad.Württ. DÖV 1983, 553ff.; Hans Heckel, DÖV 1964, 595ff.; Säcker/ Pluemer, DVB1. 1971, 537ff. Zur Zulässigkeit der Heraushebung einer Gruppe der Ersatzschulen als anerkannte Privatschulen BVerfGE 27, 195 ff, ferner HessVGH DÖV 1983, 865.

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Wertigkeit, ferner, sozialstaatlich gesehen, Vermeidung einer Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern, aber auch Sicherung der Stellung des Lehrers (Art. 7 IV S. 3, 4 GG). Soweit die Beleihung von Ersatzschulen mit öffentlichen Funktionen reicht, können sie als Behörden i. S. der VwGO mit allen prozessualen Konsequenzen angesehen werden116. Ergänzungsschulen leisten demgegenüber Bildungsarbeit in Bereichen, um die sich der Staat weniger kümmert (z. B. Schauspielschulen). Einem lockeren Aufsichtsrecht des Staates entspricht hier i. d. R. nur eine Anzeigepflicht der Schulen. Noch weiter außerhalb des öffentlichen Bildungswesens befindet sich schließlich der individuelle PrivatunterrichtU7, sowie die freien Unterrichtseinrichtungen ohne schulischen Charakter (z. B. Fahr- oder Tanzschulen")118. Sie unterstehen dem Gewerberecht und genießen eine Art. 12 I GG entnehmbare, Art. 7 IV analoge Gründungsfreiheit. Dagegen ist der in der Bundesrepublik bislang noch zu sehr vernachlässigte Fernunterricht eine Sonderform der Unterrichtsvermittlung, deren sich sowohl das private wie das öffentliche Schulwesen bedienen können 119 . In den Fernunterricht werden allmählich die Massenmedien eingeschaltet („Tele-Kollegs" u. ä.) und seine öffentliche Kontrolle wird infolge kommerzieller Mißbräuche verstärkt (Zentralstelle für Fernunterricht als gemeinsame Ländereinrichtung) 120 . Die sehr komplexe Frage einer öffentlichen Subventionierungspflicht zugunsten des institutionell garantierten Privatschulwesens stellt sich vor allem bei den Ersatzschulen. Hier ergeben sich aus der grundsätzlichen Kostenersparnis des Staates, dem Verbot der Besitzordnung und der Schlechterstellung der Lehrkräfte sowie aus der Berücksichtigung der faktisch immer stärker steigenden Schulkosten beachtliche Argumente mindestens für einen rechtspolitischen Auftrag der Länder, die Existenz der freien Schulen auch finanziell zu sichern121. 116

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So mit Recht etwa BVerwGE 17, 41; BVerwGE 45, 117ff.; BayVGH DÖV 1982, 37ff.; Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 1983, Rdnr. 466; a. A. BGH VRspr 14, 156 (zu dieser Entsch. Hans Heckel, RWS 1961, 16; Menger, VerwArch 53 [1962] 280). Abwägend auch Evers, JuS 1967, 257 ff. OVG Münster VRspr 4, 494ff.; Potrykus, RdJ 1966, 41 ff. Dazu VGH München VRspr 9, 629ff.; Tenhof, RWS 1962, 133ff.; Heckel/Seipp, Schulrechtskunde, S. 150 f. Hans Heckel, RdJ 1965, 85ff.; Haagmann, Die deutschen Fernschulen, 1968; Storch, RdJB 1970, 85ff.; Heckel/Seipp, Schulrechtskunde, S. 151. Neufassung des Staatsvertrages über die Errichtung und Finanzierung der staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht vom 9. 7. 1974 (Text u. a. bad.-württ. GBl. S. 270); Rahmenvereinbarung der KMK über das Verfahren bei staatlichen Abschlußprüfungen für Fernlehrgangsteilnehmer vom 15. 6. 1973 (GMB1. S. 298) und jetzt FernunterrichtsschutzG vom 24. 8. 1976 (BGBl. I, S. 2525); zum letzteren etwa Bartl, NJW 1976, 1993ff.; Dörner, BB 1977, 1739ff. Noch etwas weitergehend (Unterstützungsanspruch „dem Grunde nach" in bedrängter Lage) BVerwG E 23, 347ff.; 27, 360ff. VerfGH NRW DÖV 1983, 335. Ähnlich wie hier z. B. § 10 KMK-Beschluß vom 10./11. 8. 1951 BS/KMK Nr. 480 und in der Lit. Maunz / Dürig GG. Art. 7, Rdnr. 86 m. w. N. Petermann, NVwZ

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5. Schulverwaltung Neben der Blickrichtung auf die Formen der Einzelschule in den vorangehenden Abschnitten sind andere Teile der öffentlichen Schulordnung zu beachten, die z. T. über sie hinausführen. Dazu gehört die Schulverwaltung122. Im großen und ganzen umfaßt dieser Bereich alle verwaltende Tätigkeit im Schulwesen, die nicht Bildungsarbeit im Sinne des pädagogischen Bemühens von Lehrern an Schülern darstellt. Allerdings müssen Einschränkungen für einen gewissen Komplex übergreifender Entscheidungen der obersten Schulbehörden gemacht werden, welche der Schulaufsicht (unten Ziff. 6) zuzuordnen sind. Davon abgesehen sind Gegenstand der Schulverwaltung also in erster Linie die äußeren Schulangelegenheiten (Verwaltungssachen), in Unterscheidung von den inneren Schulangelegenheiten (Bildungsarbeit). Diese Differenzierung läßt sich nicht überall konsequent durchhalten, ermöglicht aber immerhin eine Grobscheidung. So enthalten etwa die Schulverwaltungsgesetze verschiedener Länder vor allem Regelungen der äußeren Schulangelegenheiten 123 . Im näheren lassen sich eine Reihe grundlegender Funktionen der Schulverwaltung unterscheiden. Hierher gehören zunächst die organisatorischen Grundakte der Gründung, organisatorischen Änderung und Schließung von Schulen, einschließlich der Festlegung der Schulbezirke („Einzugsgebiete") für die einzelnen Schulen 124 . Es geht dabei in der Sache um Fragen von bedeutsamer bildungspolitischer Auswirkung (Schuldichte!), und die Verzahnung mit der Schulaufsicht ist daher eng 125 . Ferner gehört zur Schulverwaltung die Schulunterhaltung im weitesten Sinne 126 . Sie umfaßt die laufende Schulfinanzierung über die öffentlichen Haushalte, die Bereitstellung der erforderlichen Sachmittel (Gebäude u. s. f.), aber etwa auch Regelungen über

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1982, 543; Kritisch u. a. Rasenack, DÖV 1974, 37ff. Zum besonders subventionsfreundlichen Nordrh.-Westf. Berkenhoff, DVB1. 1962, 247 ff. Auch andere Länder erkennen über ihre Verfassungen und die einfache Gesetzgebung Zuschußpflichten an; vgl. etwa hess. ErsatzschulfinanzierungsG i. d. F. vom 14.7.1977 (GVB1. S. 319). Hössel, Schulrecht und Schulverwaltung, 1981; Avenarius, RdJB 1981, 443ff. Z. B. brem. SchulverwaltungsG vom 24. 7. 1978 (GBl. S. 167). Dazu aus der Rspr: BVerfGE 43, 198ff.; 45, 400ff.; OVG Koblenz AS 7, 373ff.; OVG Lüneburg DÖV 1961, 793ff.; Bayer. VGH RWS 1963, 22ff.; OVG Münster NJW 1978, 286 ff. Vgl. auch Erbet, DV 1972, 173 ff. und Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Rdnr. 96 f. Geipel, Sozialräumliche Strukturen des Bildungswesens, 1966; Bildungsgefälle zwischen den Bundesländern = BT-Drucks. V/4603. Zur überregionalen Abstimmung: KMK-Beschlüsse über den Schulhausbau vom 17./18. 5. 1966, BS/KMK Nr. 940 und über die Errichtung eines Schulbauinstituts in Berlin vom 5. 7. 1962, BS/KMK Nr. 941; Empfehlung des Deutschen Bildungsrates zur Sicherung der öffentlichen Ausgaben für Schulen, 1967. — Überblick etwa bei Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 96ff.; zur Berechnung der Schulkosten im besonderen Hans Heckel, Die Sammlung, 1953, 197 ff.

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Schulgeld-, Lern- und Lehrmittelfreiheit127 bzw. umgekehrt das schulische Gebührenwesen. Schließlich ist an die Betreuung des Schulpersonals zu denken, d.h. an die Anstellung und allgemeine dienstrechtliche Betreuung der Lehrer und sonstigen Schulbediensteten. — Diese Grundfunktionen der Schulverwaltung sind im Recht der Bundesländer bis zu einem gewissen Grade unterschiedlich geregelt und werden von verschiedenen Organen wahrgenommen. Im großen und ganzen ergibt sich aber das Bild einer einigermaßen homogenen gemeindeutschen Verwaltungsstruktur. Institutionell hat die Frage nach der Gliederung der Schulverwaltung einen zweifachen Sinn. Bezüglich der Schulunterhaltung geht es um die Ermittlung des Schulträgers, d. h. des Rechtsträgers, der vor allem die Sachkosten und die Verwaltung der äußeren Schulangelegenheiten übernimmt, soweit sie außerhalb der Einzelschule zu erledigen sind. Als derartige Schulträger kommen vor allem in Betracht Gemeinden, Kreise, Schul-(zweck-)verbände und andererseits der Staat (d. h. die Länder)128. Ferner findet sich auch die Mischform der „staatskommunalen" Trägerschaft. — Bezüglich der Schulverwaltung (und Schulaufsicht) stellt sich institutionell die Frage nach dem Behördenzu^29. Hier gehen die meisten Flächenstaaten unter den Bundesländern (Baden-Württ., Bay., Nieders., Nordrh.-Westf.) vom dreistufigen Aufbau aus: Untere Instanz (Schulamt, Schulrat, i. d. R. für Volks- und Realschulen zuständig) — Mittlere Instanz (Oberschulämter, Regierung, Schulkollegien, i. d. R. für die übrigen Schularten zuständig) Oberste Instanz (Kultusministerium = Zentralinstanz für alle Schulen, unmittelbare Zuständigkeit z. T. für Gymnasien und Fachhochschulbereich). Berlin, Hessen und Rheinland-Pfalz kennen einen zweistufigen Aufbau unter Verzicht auf die Unterinstanz, während in SchleswigHolstein und im Saarland die Mittelinstanz entfällt. In Bremen und Hamburg vereinigt je eine einzige Behörde die drei Ebenen. Wie derzeit das gesamte Schulwesen, so wird auch die Organisation der Schulverwaltung teilweise neu durchdacht. Reformbestrebungen zielen insbesondere auf eine stärkere Dezentralisierung der Schulverwaltung zugunsten einer stärker als bisher selbstverwalteten Schule130. Der Autonomiegedanke berührt sich dabei in manchem mit den Vorstellungen einer Demokratisierung (auch) der Schule131. 127 128 129 130

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Dazu Kahlert, RdJB 1974, 38 ff. Einzelheiten bei Dittmann, Schulträgerschaft zwischen Kreisen und Gemeinden, 1978, und Staupe, a. a. O. (Fn. 53). Wolff/Bachof, VwR II, § 101. Zusammenfassend etwa Görg, Zur Entwicklung des Schulverwaltungsrechts, in: Demokratie und Verwaltung 1972, S. 589ff., Hans Heckel, RdJB 1974, 29ff.; Richter, BildungsverfR, 1973, S. 232ff. und Bericht der Bildungskommission des Dt. BildR zur Reform von Organisation und Verwaltung, 1974. Im Sinne Stärkung der Rechtsstaatlichkeit wirkt auch die (teilweise) Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze im Schulwesen, dazu Dittmann, Kulturverwaltungsrecht im Wandel, 1981, S. 62 ff.

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6. Schulaufsicht Art. 7 I GG („Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates") kann als eine Fundamentalnorm der deutschen Bildungsverfassung angesehen werden. Sie wird, teilweise noch schärfer akzentuiert, in den Länderverfassungen durchweg wiederholt (z. B. Art. 56 I hess. Verf.: „Das Schulwesen ist Sache des Staates")132. Durch diese Verfassungsentscheidung wird klargestellt, daß ungeachtet aller sonstigen Anerkennung und Förderung anderer Erziehungsmächte (Gemeinden, Kirchen, Eltern, Privatschulträger) dem Staat (d. h. im wesentlichen den Bundesländern) eine zentrale Stellung im Schulwesen zukommt. Was diese Stellung im näheren beinhaltet, ergibt sich aus der Auslegung des „Aufsichts"begriffes im Sinne von Art. 7 I GG bzw. der entsprechenden Bestimmungen in den Länderverfassungen 133 . Die Vorstellung von der Schul„aufsicht" unterscheidet sich in Deutschland seit langem vom allgemeinen Aufsichtsbegriff. Während man unter Aufsicht im allgemeinen die Rechtmäßigkeitskontrolle über eigenberechtigte fremde Tätigkeit versteht („Rechtsaufsicht"), verknüpft sich mit der Schulaufsicht der Gedanke an prinzipiell kaum begrenzte, inhaltlich bestimmende Leitungsfunktionen des Staates (Parlament und Kultusexekutive) sowohl in den äußeren wie in den inneren Schulangelegenheiten134. Die Schulaufsicht stand so der „Fachaufsicht" nahe, ging aber z. T. noch über diese hinaus. Klassische rechtswissenschaftliche Ausprägung fand dieser — vor allem in Auseinandersetzung mit der geistlichen Schulaufsicht entstandene — Schulaufsichtsbegriff durch Anschütz135. Unter der Verfassungslage des GG bedurfte diese weitgespannte Vorstellung der Revision. Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 28 II GG), die „positive" Religionsfreiheit (Art. 4, 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV), das Elternrecht (Art. 6 II GG), das Kindesrecht auf Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 I GG) und die Privatschulfreiheit (Art. 7 IV GG) — alle in den Länderverfassungen in Variationen wiederholt — stellen ihrerseits verfassungsrechtliche Positionen dar, die einen allzu einseitigen Akzent zugunsten der Gestaltungsrechte des Staates bei Art. 7 I GG nicht mehr möglich erscheinen lassen. Eine wiederum andere Frage ist es, ob ein „usus modernus" der Schulaufsicht unter dem GG bis zu ihrer Überführung in die Rechtsaufsicht gehen muß. Das ist zu verneinen 136 . Einerseits hat die staatliche Schulaufsicht heute im Gegensatz zu früher jene eben genannten verfassungsrechtlichen Begrenzungen ihrer Gestaltungs132 133

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Kurtz, Zur Geschichte der Schulaufsicht im deutschsprachigen Raum, 1982. Neben den Kommentaren (insbes. Maunz /Düng, GG. Art. 7, Rdnr. 14ff.) etwa Oppermann, KulturverwR, S. 252ff.; ders. Grundsätze, 1976, C 47f.; m. w. N.; Hans Heckel, Einführung 1977, S. 40ff.; Eiselt, DÖV 1981, 821 ff. So insbes. die Rspr.: BVerfGE 34, 165ff. (182); 47, 48ff. st.Rspr.; BVerwGE 5, 153; 47, 194ff., 201 ff. st.Rspr. Komm, zur WRV, 14. Aufl. 1933, zu Art. 143, Anm. 2; zu Art. 144, Anm. 1. So auch RGZ 80, 345ff.; Preuß. OVG 72, 239ff. Vgl. die Nachweise Fn. 133, 134 und entschieden wieder Eiselt, RdJB 1981, 169ff.

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macht zu respektieren. Die Annahme einer gänzlich unbeschränkten inhaltlichen Bestimmungsbefugnis des Staates ist daher ausgeschlossen. Die Schulaufsicht ist vielmehr in ihrer Intensität nach den jeweiligen Aufgaben und Sachgebieten zu differenzieren. So unterliegt der Schulaufsicht zwar das „gesamte" Schulwesen, sie ist aber in dessen Teilen (staatliche, kommunale, kirchliche, private Schulen) gradueller Abstufung fähig. Sie kann sich je nachdem als Fachaufsicht (Recht-und Zweckmäßigkeitskontrolle über äußere und innere Schulangelegenheiten), als Dienstaufsicht über die Lehrer oder nur als Rechtsaufsicht (z. B. bei Privatschulen) äußern. Neben diesen Formen der Fremdkontrolle liegt in der Schulaufsicht aber gleichzeitig die Befugnis des Staates zur eigenen maßgeblichen Festlegung inhaltlicher Normen in äußeren wie inneren Schulangelegenheiten (z. B. Festlegung des Unterrichtsstoffes in Rahmenrichtlinien, Lehrplänen und Stundentafeln, Prüfungsordnungen, Genehmigung von Schulbüchern, Ferienordnungen, Schuljahrbeginn, Bestimmung von Schultypen, Ausbildungsgängen, geographische Verteilung der Schulen, bauliche Anforderungen usw).137. Art. 7 I GG enthält in diesem Sinne einen staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag Pflichtigen Charakters138. Diese Kompetenz rechtfertigt sich letztlich aus der Aufgabe des sozialstaatlich-daseinsvorsorgenden Gemeinwesens, ferner aus der staatlichen Integrationsfunktion. Inwieweit diese Kompetenz dabei, innerstaatlich gesehen, der Legislative oder Exekutive zusteht, wird vom Schulaufsichtsbegriff des Art. 7 I GG nicht entschieden. Maßgeblich ist insoweit das Kriterium, daß „wesentliche" Schulregelungen dem Parlaments- bzw. Gesetzesvorbehalt unterliegen139. Es gründet sich unmittelbar sowohl im Rechtsstaats- wie im Demokratieprinzip. Das Recht auf chancengleichen Bildungserwerb kann nur verwirklicht und gesichert werden, wenn das Schulwesen sowohl pädagogisch-inhaltlich als auch äußerlich-organisatorisch bundesweit ein Mindestmaß einheitlicher Ordnung aufweist. Bildungsplanung ist somit, rechtlich gesprochen, ein Teil der Schulaufsicht. Die gleichen Forderungen stellen sich vom Berufsleben her, das eines allgemein garantierten Mindeststandards im Schulunterricht bedarf, ferner etwa aus der Mobilität der modernen Industriegesellschaft, zu der die in Art. 11 GG bundesweit garantierte Freizügigkeit des Ortswechsels gehört. Über solchen Utilitarismus hinaus kann aber auch und gerade der freiheitlich-demokratische Staat nicht darauf verzichten, seine künftigen Bürger mit den grundlegenden staatsbürgerlichen Werten vertraut zu machen, deren Kenntnis und Respektierung im Sozialleben vorausgesetzt werden 137

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Vgl. etwa KMK-Richtlinien für die Genehmigung von Schulbüchern GMB1. 1972, S. 568; Dietze, DVB1. 1975, 389ff. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen (z. B. Toleranz* und Pluralismusgebot) inhaltlicher Schulgestaltungsmacht Püttner, DÖV 1974, 656 ff. So ausdrücklich BVerfGE 47, 48ff. (Sexualkunde); dazu Oppermann, JZ 1978, 289 ff. Vgl. oben Fn. 3, 4.

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muß. Auch aus dieser Sicht kann die „inhaltliche Seite" der Schulaufsicht heute ebensowenig entbehrt werden wie früher. Die Staatspraxis faßt daher den „usus modernus" der Schulaufsicht zu Recht in ungefähr diesem Sinne auf 140 . Organisatorisch vollzieht sich die Schulaufsicht, soweit sie durch die Exekutive ausgeübt wird, über denselben Instanzenzug wie die allgemeine Schulverwaltung (oben Ziff. 5). Ihr eigentlicher Ort ist dabei die oberste Schulbehörde (Kultusministerium). In zunehmendem Maße beteiligen sich aber im Zeichen der „Wesentlichkeitstheorie" die Parlamente (Landtage u. u.) an den wichtigsten Fragen der Schulaufsicht.

7. Lehrer, Eltern, Schüler Als Teil der Kulturordnung und damit der Welt des Geistes ist das Schulwesen stark personal geprägt. Seine ratio essendi sind nicht verwaltende Elemente, sondern die Bildungsarbeit der Lehrer an den Schülern (unterrichtende Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten sowie erzieherische Einwirkungen). Dabei ergeben sich zur äußeren Organisiertheit der Schule als „Staatsveranstaltung" mancherlei Gegensätze. Die moderne Tendenz einer „Demokratisierung" der Schule versteht sich in diesem Dualismus als Herausbildung einer Reihe von Rechtspositionen zugunsten der drei großen personellen Gruppen der Lehrer, Eltern und Schüler 141 . Übergreifender Gedanke und Rechtfertigung für eine solche Demokratisierung kann neben Analogien zur allgemein-politischen Struktur entscheidend nur der Wille sein, dem Bildungserfolg als dem eigentlichen materiellen Schulzweck durch Einbau von Gegengewichten gegen eine zu einseitige öffentliche Schulhoheit zu dienen. a) Lehrer: Ganz besonders sind die Lehrer in die Dialektik zwischen „Unterrichtsbeamtentum" und personale, pädagogische Anforderung hineingestellt. Auf der einen Seite ist der Lehrer als öffentlicher Bediensteter (meist Landesbeamter) in die allgemeinen Laufbahnen eingeordnet und unterliegt damit den Regelungen des Beamten- bzw. Angestelltenrechts. Neben den grundsätzlichen Treue- und Gehorsamspflichten sowie Verhaltenspflichten inner- und außerhalb des Dienstes ist schulrechtlich besonders wesentlich die Bindung an die jeweils geltenden Vorschriften der Schulaufsicht über den zu

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So durchweg die Landesschulgesetze, vgl. oben Anfang: bei „Gesetze". [Zur Organisation der Schulaufsicht Vogelsang / Kurz, Schulmanagement 6 (1976), 23 ff.] Grundsätzlich Heckel/Seipp, Schulrechtskunde, S. 23f.; Oppermann, Grundsätze, 1976, C38ff.; Nevermann / Richter, Rechte der Lehrer — Rechte der Schüler — Rechte der Eltern, 1977, bes. S. 11 ff., 173ff.; Eiselt, DÖV 1979, 845ff.

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erteilenden Unterricht 142 . Andere, Sonderprobleme ergeben sich aus der Einstufung der verschiedenen Lehrerlaufbahnen (Lehramt an Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien) untereinander. Sozialdemokratische Bildungspolitik möchte die Differenzierung nach Schularten durch diejenige nach Schulstufen („Stufenlehrer" für den Primär- und die Sekundärbereiche) auch hier allmählich ablösen 143 . Dabei spielt die Ausgestaltung der Lehrerbildung (Verhältnis der Pädagogischen Hochschulen zu den Universitäten) eine besondere Rolle 144 . Ungeachtet der grundsätzlichen Bindung des Lehrers im Unterricht an die Normen der Schulaufsicht wird von der „pädagogischen Freiheit" des Lehrers gesprochen 145 . Soweit damit die Tatsache angesprochen wird, daß Unterricht als geistiger Austausch nie vollständig zu reglementieren sein wird, ist das Wort am Platze. In ungefähr diesem Sinne bedient sich auch moderne Schulgesetzgebung z. T. dieser Begrifflichkeiten und deutet damit eine Sondersituation des Lehrer-Beamtenstatus kraft Natur der Sache an 146 . Nicht möglich ist es dagegen, die pädagogische Freiheit des Lehrers im Sinne einer allgemeinen Analogie insbesondere zur Lehrfreiheit des Hochschullehrers i. S. von Art. 5 III G G oder zu der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 I G G verfassungsrechtlich auszudeuten. Die Statuierung der Schulaufsicht in Art. 7 I G G in dem oben Ziff. 6 näher dargelegten Sinne steht der Analogie zu Art. 5 III G G deutlich entgegen. Ebenso die Tatsache, daß die besondere Wissenschaftsfreiheit an den Hochschulen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 G G die dort gegebene regelmäßige Forschungstätigkeit mit voraussetzt. Ferner gibt die beamtenrechtlich legitime (Art. 5 II GG) Gehorsamspflicht keinen Raum, pädagogische Eigenmächtigkeiten als Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 I G G rechtfertigen zu wollen. Sachlich ist die stärkere Bindung des Lehrers wiederum aus dem allgemeinen Staatsauftrag zu rechtfertigen, im Sinne des gleichen Rechtes auf Bildung für von örtlichen und personellen Zufälligkeiten möglichst unabhängige, qualitativ gleichwertige Schulbildung zu sorgen. Insofern hat der Staat in den Grenzen einer personal-pädagogischen Freiheit 142

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Zum öff. Dienstrecht allgemein oben von Münch, Abschnitt I; zum Dienstrecht der Lehrer Hall, Der Lehrer und sein Recht, 1975; Hans Heckel, Rechte und Pflichten des Lehrers in: Nevermann / Richter a. a. O. (Fn. 141), S. 29ff., Leisner, ZBR 1980, 361 ff., zu der gemäß Art. 33 Abs. 5 GG (auch) vom Lehrer zu fordernden Verfassungstreue BVerfGE 39, 334ff.; BVerwGE 47, 330ff.; Stern, Zur Verfassungstreue der Beamten, 1974; Brandt, Die politische Treuepflicht der Lehrer nach dem „Radikalenbeschluß" des BVerfG, in: Nevermann / Richter a. a. O. (Fn. 141), S. 62ff. Zu den beamtenrechtlichen Grenzen insoweit BVerfGE 62, 374ff. (Bremische „Amtsbezeichnungen"). Sie gehört in den Wissenschaftsbereich, vgl. Kimminich, unten 11. Abschn. Grundsätzlich von Münch, DVB1. 1964, S. 789ff.; Maunz / Dürig, GG Art. 7, Rdnr. 59ff. - Neuerdings etwa Gabler, RdJB 1982, S. 216ff.; Ossenbühl, DVB1. 1982, S. 1157ff.; Fauser, Pädagogische Freiheit in Schule und Recht, 1983 (extensiv). Z. B. in den Schulgesetzen von Berlin, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, vgl. oben anfangs bei „Gesetze". Ferner BVerwGE 12, 359.

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im obigen Sinne den allgemeinen Unterrichtsstandard zur Geltung zu bringen, und der Lehrer hat diese Forderungen zu akzeptieren. b) Eltern: Stärker als bei den Lehrern ergeben sich in der demokratischen Bildungsverfassung des GG Grenzen der staatlichen Schulgestaltungsmacht gegenüber den Eltern als den gesetzlichen Vertretern der eigentlichen Nutzer des Schulwesens. Art. 6 II S. 1 GG erklärt die Kindererziehung zum natürlichen Elternrecht und einer zuvörderst den Eltern obliegenden Pflicht. Art. 6 II S. 2 und Art. 7 I GG stehen allerdings einer Vorrangwirkung des Elternrechts gegenüber der staatlichen Schulaufgaben entgegen. Staatlicher und elterlicher Bereich sind ohne ausdrückliche Rangentscheidung voneinander abgegrenzt. — Zumindest im Schulbereich ist der staatliche Erziehungsauftrag dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Die daraus resultierende gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen, wobei die Schule den „Gesamtplan" der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder zu respektieren hat147. Damit ist insbesondere der Gedanke einer Subsidiarität der staatlichen gegenüber der elterlichen Erziehung vom GG nicht aufgegriffen worden. Ungeachtet solcher Abgrenzungen erkennen das GG und die Länderverfassungen insgesamt den Eltern eine beachtliche Mitbestimmungsrolle („Sekundanzanspruch") im Schulwesen zu148. Sie äußert sich in mehrfacher Hinsicht. aa) Konfessionelle Komponente des Elternrechts: Im Vordergrund stand lange die konfessionelle Komponente, obwohl das Elternrecht auf sie keineswegs beschränkt ist. Obwohl Art. 6 II GG ein gesamtstaatliches subjektiv-öffentliches (Gruppen-)Recht der Eltern auf Entscheidung über die Form der öffentlichen Volksschule (Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule) nicht gewährt, wird diese Entscheidung in der Länderschulreform inzwischen stärker als früher von einem solchen elterlichen Wahlrecht abhängig gemacht 149 . Insofern kann Art. 6 II GG neben Art. 4 I GG („positive Religionsfreiheit") als Legitimationsgrund angesehen werden, der es dem grundsätzlich gesinnungsneutralen Staat gestattet, in bestimmten Situationen und in bestimmtem Umfang Eltern-Sonderwünschen nachzukommen. In diesen Zusammenhang gehören ferner die Elternrechte beim Religionsunterricht ihrer Kinder nach Art. 7 II GG. 147 148

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Grundlegend BVerfGE 34, 165ff. (183) und bes. BVerfGE 47, 46ff.; (74f.); dazu Oppermann, JZ 1978, 289 ff. Aus der umfänglichen Lit. zum Elternrecht zuletzt etwa Oppermann, Elterliches Erziehungsrecht und staatliche Schulerziehung, in: Röper (Hrsg.), Die Schule und ihr Auftrag 1979, S. 71 ff.; Böckenförde, Elternrecht - Recht des Kindes - Recht des Staates, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 1980, S. 54ff.; Ossenbühl, Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des GG, 1981; Fehnemann, DÖV 1982, 353ff.; Schmitt-Kammler, Elternrecht und schulisches Erziehungsrecht, 1983. Dazu BVerwGE 5, 158; BVerwG DVB1. 1975, 428ff.; Erwin Stein, Elterliches Erziehungsrecht und Religionsfreiheit, in: Friesenhahn/Scheuner (Hrsg.), Hdb. d. Staatskirchenrechts der BRD, Bd. 2, 1975, S. 455 ff.

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bb) Weltlich-demokratische (pädagogische) Komponente des Elternrechts: Die mehr weltlich-demokratische Seite des Elternrechts baut zunächst grundsätzlich auf der Vorstellung auf, daß der pluralistische Staat kraft seines Selbstverständnisses nicht alleiniger Erziehungsträger sein kann. Hieraus rechtfertigt sich die Privatschulfreiheit des Art. 7 IV, V GG, in welcher der staatliche Respekt vor dem Elternwillen mitschwingt150. — Ähnliches gilt für eine ganze Reihe elterlicher Bestimmungsmöglichkeiten gegenüber und innerhalb der Schule, die über die Rechtsprechung (sicher noch nicht abschließend!) seit den fünfziger Jahren herausgearbeitet wurden 151 . Im Zuge der modernen BildungsWerbung („Recht auf Bildung") ergeben sich hier schwierige Abwägungsprobleme zwischen dem Bestimmungsrecht der Eltern und einer vom Staat in Anspruch genommenen Befugnis, am besten zu wissen, was der Zukunft der Kinder dient152. Auf jeden Fall untersagt Art. 6 II GG, den Willen der Eltern hier einfach beiseite zu schieben, etwa in der Weise, daß der Staat im weiterführenden Schulwesen nur noch eine „Einheitsschule" als alleinigen Typus zur Verfügung stellt und so das Wahlrecht der Eltern aushöhlt153. Im übrigen können Normen wie § 1666 BGB oder § 1 JWG bei der schulrechtlichen Abgrenzung des Elternrechts einige Anhaltspunkte geben. — Ferner werden die Eltern über die Länderschulgesetzgebung, z. T. auch über Verwaltungsvorschriften, in Gestalt von Elternräten, Schulpflegschaften u. ä. mit der Einzelschule verbunden, bisweilen auch durch schulübergreifende Einrichtungen bis zu Landeselternräten zu Fragen der Schulaufsicht und Gesetzgebung hinzugezogen154. Die Funktionen der Eltern sind dabei meist beratender Natur, werden neuerdings aber z. T. ausgedehnt. c) Schüler: Unter der Bildungsordnung des GG und der Länderverfassungen hat sich auch der Schüler zunehmend vom Objekt elterlicher oder öffentlicher Erziehungsansprüche („Schulbenutzer") zum Inhaber gewisser Eigenrechte gegenüber der staatlichen Schulgewalt entwickelt. Allerdings setzt der altersbedingte Reifegrad großer Teile der Schülerschaft den Versuchen eines 150 151

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F. Müller, a. a. O. (Fn. 109). U.a. BVerwGE 5, 153ff. (Elterliches Wahlrecht beim Besuch weiterführender Schulen); HessStGH RdJB 1982, 245ff. (elterliches Recht auf umfassende Allgemeinbildung ihrer Kinder in der Schule) — dazu kritisch Dietze, NJW 1982, 1353ff.; BVerfGE 59, 360ff. (Informationsgespräch der Eltern an der Schule). Zu den Grenzen des Art. 6 Abs. 2 GG etwa BVerwGE 64, 308 ff. (kein Elternrecht auf grundständiges Latein) - dazu H. und T. Oppermann, Fs. Johanneum 1979, S. 184ff.; Restriktiv Nevermann, RdJB 1982, 184ff. Betont „elternfreundlich" BVerfGE 34, 165 ff. (184). BVerfGE 45, 400 ff. (416) stellt die Verpflichtung des Staates klar, mehrere alternative Schultypen den Schülern und Eltern zur Wahl zu stellen. Vgl. ferner Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Probleme der Kooperativen Schule, 1977. Z. B. hess. G über die Mitbestimmung der Erziehungsberechtigten und den Landesschulbeirat i. d. F. vom 14. 7. 1977 (GVB1. S. 319). Weitere Nachweise bei Wolff / Bachof, VwR II, § 101. Überblicke bei Evers / Dietze, Zur Mitbestimmung in der Schule, 1970; Mickel, RdJB 1974, 363ff.

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Ausbaues subjektiv-öffentlicher Schülerrechte offenkundige sachbedingte Grenzen. Außerdem ist die Schule ihrerseits dazu gedacht, eine geistige Mündigkeit überhaupt erst mit zu vermitteln, welche anschließend die vollberechtigte Teilnahme am Sozialleben ermöglicht. — Andererseits ist zu berücksichtigen, daß ernstgenommene Grundrechte wohl nicht mittels des gesetzgeberischen Aktes der Volljährigkeitserklärung (§ 2 BGB) ab einer bestimmten Altersgrenze automatisch verliehen werden, sondern dem einzelnen elementarpersonal zustehen. Das Kind hat so z. B. das Grundrecht, seine Persönlichkeit zu „entfalten", aber auch erzogen zu werden155. Auf diese Weise hat sich die Vorstellung einer dem natürlichen Reifeprozeß entsprechenden besonderen „Grundrechtsmündigkeit" des Schülers ergeben156. Für sie gibt etwa auch die besondere „Religionsmündigkeit" nach § 5 des G über die religiöse Kindererziehung (i. d. R. 14 Jahre) ein Beispiel ab. Die Grundrechtsmündigkeit ist vor allem für die Schüler der oberen Klassen von Bedeutung. Praktisch äußert sie sich dort etwa in Gestalt einer gewissen Anerkennung politischer Grundrechte (z. B. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit) innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses der Lehranstalt157. Eine besondere Rolle spielt auch die inzwischen einschließlich des (Vor)Zensurverbotes von der Kultusverwaltung mehr und mehr anerkannte Pressefreiheit für Schülerzeitungen 158 . Ähnlich wie für die Eltern haben sich auch Formen der Schülermitgestaltung oder -mitverwaltung innerhalb der Schule vielerorts herausgebildet159. Auch hier setzt freilich der alters- und ausbildungsmäßige Reifegrad der Schüler Grenzen. Eigentlicher Sinn der Einbeziehung der Schüler in organisatorische Schulfunktionen ist selbst ein pädagogischer. Die Mitverantwortung über die Berufung in Schulämter (Vertrauensschüler, Klassensprecher, Schülerausschüsse, Schülerparlamente) stellt sich im Sinne einer Erziehung zur Selbstverantwortung als Maßnahme im Rahmen staatsbürgerlicher Bildung im weitesten Sinne dar. Neuere Tendenzen einer Schülermitbestimmung (oder „Schülervertretung") in der Schule gehen in der Forderung z. B. auf Beteiligung bei Disziplinarfällen, bei der Lehrstoffauswahl und bei Noten- und 155

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BVerfGE 24, 119ff.; 45, 417; 47, 46ff.; Ekkehart Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, 1967; Hill, RdJB 1971, 231 ff.; Oppermann, Grundsätze, 1976, C 82 ff. Maunz/Dürig, GG, zu Art. 19 III, Rdnr. 16ff. m. w. N. Z. T. inzwischen schulgesetzlich höher normiert (z. B. Niedersächs. Schulgesetze). Vgl. ferner VGH Bad.-Württ., DVB1. 1976, 638f.; OVG Lüneburg, DVB1. 1983, 599ff. — Aus der Lit. etwa Berkemann, Die „politischen Rechte" des Schülers, in: Nevermann/Richter a . a . O . (Fn. 141), S. 102ff.; Kästner, DÖV 1977, S. 500ff.; Staupe, Westermanns pädagog. Beiträge 1981, 82 ff. Grundsätzlich Schock, Schülerpresserecht, 1971; Jarass, DÖV 1983, 609ff. - Zum Vertrieb der Schülerzeitungen im Schulgelände; Tiemann, Kulturverwaltungsrecht im Wandel, 1981, S. 143 ff. Die Nachweise aus der Schulgesetzgebung bei Wolff / Bachof, VwR II, § 101; Zeizinger, RdJB 1981, S. 1 ff.

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Versetzungskonferenzen allerdings noch wesentlich weiter 160 . Die optimale Grenze zwischen förderlicher Demokratisierung und Beeinträchtigung des fachlichen Bildungsauftrages der Schule muß jeweils im einzelnen überdacht und gesucht werden. Ein „politisches Mandat" können öffentlich-rechtlich und schulbezogen organisierte Schülervertretungen nicht wahrnehmen, da dies einen Mißbrauch ihres Auftrages bedeutete, alle Schüler zu vertreten. d) Ausländische Schüler: Im Rahmen des Problems der Ausländerintegration in der Bundesrepublik stellt sich die Frage nach den Rechten ausländischer, langjährig in Deutschland ansässiger Eltern und Schüler auf öffentliche Schulbetreuung 161 . Sowohl das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 G G als auch das Entfaltungsrecht des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1 G G sind menschenrechtliche Jedermannsrechte, auf die sich auch Ausländer berufen können.

8. Berechtigungen Zwar widerspricht es dem Ideal menschlicher Bildung, auf welche das Schulwesen nach seinem sachlichen Auftrag angelegt ist, sich in formalen abschließenden Beurteilungen zusammenfassen zu lassen 162 . Jedoch vermag die Schule sich unter den Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft, die sich zum Recht auf chancengleiche Bildung bekennt, weniger denn je der Aufgabe zu entschlagen, eine Art erste Verteilungsstelle im Hinblick auf spätere berufliche Laufbahnen zu sein. Aus diesem Grunde behalten die schulischen Berechtigungen ihre schulrechtliche und berufliche Bedeutung weiter 163 . Dabei gewähren die durch eine Prüfung oder die Beendigung eines Ausbildungsganges erworbenen Qualifikationen („Berechtigung") nicht etwa subjektiv-öffentliche Rechte, sondern schaffen lediglich die Voraussetzung, überhaupt erst eine weiterführende Ausbildung oder einen Beruf nach deren jeweiliger Regelung einschlagen zu können. Wesentliche schulrechtliche Berechtigungen sind die Mittlere Reife (z. B. Voraussetzung zum Besuch von Berufsfachschulen), Fachhochschulreife (zum Besuch von Fachhochschulen) und vor allem das Reifezeugnis des Gymnasiums (gewährt die volle Hochschulrei160

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Insoweit aufgeschlossen KMK-Beschluß vom 3. 10. 1968 zur Schälermitverantwortung und KMK-Beschluß vom 25. 5. 1973 zur Stellung des Schülers in der Schule (Text u. a. RdJB 1973, 235ff.). Vgl. auch Perschel, RdJ 1966, 57ff.; 94ff; Czymek, RdJ 1968, 42ff.; Dietze, Mitbestimmung als Strukturprinzip der demokratischen Schulreform, 1974. Dazu Engelhard, RdJB 1982, 50ff.; Hage, RdJB 1982, 26ff. Zum Grundsätzlichen Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 44ff.; Hans Heckel, Schulrecht und Schulpolitik, 1967, S. 170ff.; Oppermann, KulturverwR, S. 267f.; Dietze, JZ 1976, 114 ff. KMK-Beschluß über Grundsätze zum Berechtigungswesen vom 30. 6./1.7. 1954, BS/KMK Nr. 1830; Reuter, RWS 1963, 73ff.

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fe)164. Berufsrechtlich ist z. B. die Verbindung zwischen schulischer Berechtigung und Laufbahngestaltung des Beamtenrechts von wesentlicher Bedeutung (§ 13 BRRG: Einfacher Dienst: erfolgreicher Besuch einer Hauptschule; mittlerer Dienst: Realschulabschluß oder Hauptschulbeendigung mit bestimmten Zusatzqualiflkationen; gehobener Dienst: Reifezeugnis des Gymnasiums oder gleichwertige Qualifikation; höherer Dienst: abgeschlossenes Studium an einer Hochschule). Berufsrechtlich sind die schulischen Berechtigungen als zumindest indirekte subjektive Zulassungsvoraussetzungen grundsätzlich an Art. 12 GG zu messen.

III. Ergänzende Bildungsformen 1. Erwachsenenbildung Neben dem nach seiner allgemeinen Bedeutung im Vordergrund stehenden Schulwesen umfaßt die deutsche Bildungsordnung seit jeher verschiedene ergänzende Bildungseinrichtungen. Unter ihnen ist zunächst die Erwachsenenund Weiterbildung zu nennen165. Allgemein kulturverwaltungsrechtlich gesehen steht sie zwischen Bildungs- und Wissenschaftsbereich. Vor allem die weitgehende Priorität des Lehrens unter Zurücktreten der Forschung legt es nahe, die Einrichtungen der Erwachsenenbildung grundsätzlich dem Bildungswesen und nicht der Wissenschaft zuzurechnen. Typisch für die schon seit Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen, nach 1945 wieder erneuerten Einrichtungen der Erwachsenenbildung ist die gleichzeitige Initiative aus dem staatlichen und dem gesellschaftlichen Raum. Das GG nimmt zur Erwachsenenbildung nicht unmittelbar Stellung. Über die Anerkennung der Meinungs-, Informations-, Lehr-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Berufsfreiheit (Art. 5, 8, 9, 12 GG) schafft es aber die Voraussetzungen für die grundsätzlich freie Aufnahme und Ausübung außerschulischer Bildungstätigkeit. Die Mehrzahl der Länderverfassungen bekennt sich darüber hinaus in Anlehnung an den früheren Art. 148 IV WRV ausdrücklich 164

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Aus dem Berechtigungscharakter des Abiturs ergibt sich bei Mangel an Studienplätzen die Forderung nach bundesweit vergleichbarer „Normierung" des Abiturs. Die von der KMK vorbereiteten „Normenbücher" werfen aber ihrerseits rechtsstaatliche und föderalistische Verfassungsprobleme auf, vgl. Perschel, Verfassungsrechtliche Probleme der Normenbücher, in: Flitner / Lenzen (Hrsg.), Abiturnormen gefährden die Schule, 1977, S. 41 ff. Oppermann, KulturverwR, S. 269ff.; Knoll, Erwachsenenbildung, 1972; Keimbungenstab (Hrsg.), Grundlagen der Weiterbildung, 1973 (Loseblatt); Feidel / Merz, Erwachsenenbildung in der BRD seit 1945, 1976; Sauer, Erwachsenenbildung, 1976; Bockemühl, RdJB 1977, 188ff.; Tietgens, RdJB 1983, 97ff.; fVilms, Erwachsenenbildung 1983, 131 ff.

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zur Förderung der Erwachsenenbildung 166 . In einigen Ländern konkretisieren besondere Gesetze die staatliche Förderung der Erwachsenen- oder Weiterbildung 167 . Faktisch gesehen sind Träger der Erwachsenenbildung auch selten rein gesellschaftliche Kräfte. Im Vordergrund stehen vielmehr die Gemeinden als Träger und Förderer und nach ihnen die Kirchen, die oftmals mit den Kommunen eng zusammenarbeiten 168 . Schließlich unterstützt der Staat die Erwachsenenbildung vor allem finanziell. Das gilt nicht nur für die Länder, sondern auch für den Bund, der u. a. Mittel des Bundesjugendplanes für diese Zwecke einsetzt. Auf diese Weise sind die Einrichtungen der Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt gesehen zwar nicht als unmittelbare Veranstaltung des Staates anzusprechen, wohl aber als weithin öffentliche oder öffentlich geförderte Institutionen. Über Arbeitszeitverkürzung, Bildungsurlaub und ähnliche Sozialmaßnahmen dürfte der Gedanke der Erwachsenenbildung in seiner modernen Variante der Weiterbildung („Life-long-learning") künftig weiter kräftige Förderung erfahren 169 . a) Volkshochschulen: Kernstück der Erwachsenenbildung ist seit Anfang dieses Jahrhunderts die Volkshochschule 170 . Sie dient über allgemein zugängliche Vorträge, Kurse, Arbeitsgemeinschaften und Seminare in grundsätzlich unbeschränkter Thematik dem Fortbildungsbedürfnis einer breiten und in sich wenig homogenen Hörerschaft. Im Gegensatz etwa zum zweiten Bil166

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Überblick bei Beckel, Fg. f. Hefermehl, 1972, S. 485ff.; ders., RdJB 1976, 297ff.; Bockemühl, RdJB 1976, 300ff. Ferner KMK-Empfehlung vom 16./17. 1. 1964 zugunsten einer „Grundsatzordnung für die Förderung der Erwachsenenbildung" ( = im wesentlichen Übernahme des Gutachtens des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen über die Erwachsenenbildung von 1960). Bayer.G zur Förderung der Erwachsenenbildung vom 24. 7. 1974 (GVB1. S. 368), brem. WeiterbildungsG i. d. F. vom 18. 2. 1975 (GBl. S. 95); hess. G zur Förderung von Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Neufassung vom 21.5. 1981 (GVB1. S. 197ff.); nds. G zur Förderung der Erwachsenenbildung i. d. F. vom 22. 6. 1977 (GVB1. S. 190); nordrh.-westf. G zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung i. d. F. vom 7. 5. 1982 (GVB1. S. 276); rh.-pfälz. WeiterbildungsG vom 14. 2. 1975 (GVB1. S. 77); saarl. G zur Förderung der Erwachsenenbildung i. d. F. vom 17. 12. 1975 (ABl. 1976, S. 1). Berger, Kirche und Erwachsenenbildung, 1957; G. Scherer / A. Beckel / F. Pöggeler, Gemeinde und Erwachsenenbildung, 1958; Sauberzweig, StT 1975, 183 ff. Vgl. brem. BildungsurlaubsG vom 18. 12. 1974 (GBl. S. 348); hamb. BildungsurlaubsG vom 21. 1. 1974 (GVB1. S. 6); hess. G über d. Anspruch auf Bildungsurlaub vom 24. 6. 1974 (GVB1. S. 300); nds. G über d. Bildungsurlaub für Arbeitnehmer, Neufassung vom 17. 1. 1974 (GVB1. S. 569). Grundsätzlich Karpen, Rechtsfragen des lebenslangen Lernens, 1979. — Zu verfassungsrechtlichen Fragen des Bildungsurlaubs Arndt, BB 1974, 1399; ferner Beinke, RdJB 1977, 203ff.; Gola, Bildungsurlaub im Arbeitsverhältnis, 1977. A. Köngen / H. Dolff/ W. Küchenhoff, Die Volkshochschule in Recht und Verwaltung, 1962; Gedanken zur Volkshochschule neuen Typs, 1965; Scheel, Bulletin 1976, 1193ff.; Saynisch, RdJB 1982, 171 ff.

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dungsweg ist für die Volkshochschule die Vermittlung von Allgemeinbildung in einem geradezu klassischen nichtutilitaristischen Sinne typisch. Insbesondere verleiht die Volkshochschule keine Berechtigungen. Institutionell finden sich die Haupttypen der Heim- und vor allem der Abendvolkshochschule, die i. d. R. einer Gemeinde entweder unmittelbar als Anstalt eingegliedert ist oder von ihr in Gestalt eines privatrechtlichen Vereins personell und materiell getragen wird. Ferner findet häufig Zusammenarbeit mit großen Sozialverbänden (z. B. Gewerkschaften, Bauernorganisationen) statt. Der Lehrkörper der Volkshochschulen ist noch ziemlich heterogen. Neben wenigen hauptamtlichen Stellen überwiegt der freie, nebenberuflich an der Volkshochschule tätige Dozent, der über einen Dienstvertrag verpflichtet wird. Die neue Gesetzgebung sieht auch insofern statusrechtliche Verbesserungen, insbesondere eine stärkere personelle Durchlässigkeit zwischen allgemeinem (öffentlichen) und ergänzendem Bildungswesen vor171. An der Universität Bochum wurde 1965 der erste Lehrstuhl für Erwachsenenbildung geschaffen, an dem sich Volkshochschuldozenten fortbilden können172. In Fortführung einer längeren Tradition ist das deutsche Volkshochschulwesen über den Deutschen Volkshochschulverband e. V. verhältnismäßig stark überregional verflochten. Die länderverfassungsrechtlich und gesetzlich niedergelegten Förderungspflichten werden von den Ländern und Gemeinden neben der Übernahme der Trägerschaft meist durch Zuschüsse zu den laufenden Kosten der Volkshochschulen effektuiert. Soweit in den einzelnen Ländern einfach-gesetzliche Regelungen vorliegen, besteht ein Anspruch auf diese Förderung. Im übrigen werden die Mittel nach dem Ermessen der Vergabebehörden zugeteilt, da die erwähnten Verfassungsbestimmungen nicht im Sinne von Rechtsansprüchen der Einrichtungen der Erwachsenenbildung gegen die öffentliche Hand ausgelegt werden können. b) Volksbüchereien: Ähnlich werden auch die Volksbüchereien („öffentliche Büchereien") als zweite wesentliche Institution der Erwachsenenbildung von der öffentlichen Hand gefördert173. Auch hier stehen die Gemeinden im Vordergrund (Bereitstellung von Gebäuden, Personalanstellung, Etat). Aber auch die Länder, z. T. sogar überregional in der KMK, wirken mit, z. B. über die Einrichtung staatlicher Büchereistellen zur fachkundigen Beratung der einzelnen Bibliotheken, Förderung der Ausbildung und Besoldung des 171

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Vgl. etwa § 9 nds. ErwachsenenbildungsG i. d. F. vom 22. 6. 1977 (GVB1. S. 190); Art. 13 bayer. G zur Förderung der Erwachsenenbildung vom 24. 7. 1974 (GVB1. S. 368). KMK-Beschluß vom 28./29. 10. 1965 zur Beteiligung der wissenschaftlichen Hochschulen an der Erwachsenenbildung, BS/KMK Nr. 1987; ferner KMK-Beschluß v. 24.2. 1971 zum Lehrpersonal an Volkshochschulen (Besoldung), GMB1. 1971,

S. 138; J.-H. Knoll/ G. Wodraschke, Erwachsenenbildung am Wendepunkt, 1967. Hugelmann, Die Volksbücherei, 1952.

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Volksbibliothekarpersonals und Zuschüsse zu den kommunalen Etats 174 . Die rechtliche Zusammenfassung dieser Förderungsmaßnahmen in dem oftmals geforderten „Büchereigesetz" ist bisher noch nirgends erfolgt. c) Volksbühnen: Das Volksbühnenwesen als ein dritter Bereich wird wesentlich auf vereinsmäßiger Grundlage getragen. Die privatrechtliche Konstruktion ermöglicht dabei den überregionalen Verbund im Verband der Deutschen Volksbühnenvereine bzw. im Bund der Theatergemeinden. Auch das Volksbühnenwesen wird von den Ländern und Gemeinden in verschiedener Form subventioniert (z. B. bei der Veranstaltung der Ruhrfestspiele). 2. Staatsbürgerliche (Politische) Bildung In einem ganz allgemeinen Sinne bedarf der demokratische Staat der aktiven Mitwirkung seiner Bürger in den öffentlichen Angelegenheiten, weil er aus ihrem Gemeinwillen seine Legitimation ableitet. Aus diesem Grund muß er Anstrengungen unternehmen, um die Kenntnis, das Verständnis und die Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rechte zu fördern 175 . Hieraus ergibt sich ein besonderer ergänzender Bildungsauftrag zur staatsbürgerlichen Erziehung, der schon in Art. 148 III WRV verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden hatte 176 . Während das GG leider hierzu schweigt, bekennt sich die Mehrzahl der Länderverfassungen zu dieser Aufgabe (z. B. Art. 21 bad.-württ. Verf.)177. Im näheren vollzieht sich die staatsbürgerliche oder politische Bildung in verschiedener Form. Der Schwerpunkt liegt in ihrer Einfügung in den öffentlichen Schulunterricht, vor allem über das Fach Gemeinschafts(oder Sozial-)kunde 178 . Aber auch Einrichtungen wie die Schülermitverwaltung können als eine Art praktische Einübung in staatsbürgerliches Verhalten begriffen werden. Auch innerhalb der Bundeswehrausbildung wird staatsbürgerlichem Unterricht im Sinne der Erziehung zum „Bürger in Uniform" Platz eingeräumt 179 . Bis zu einem gewissen Grade wird auch die Förderung der politischen Wissenschaft (als „Demokratiewissenschaft") an den Hochschulen unter ähnlichen Aspekten betrieben 180 . Daß ein Gelingen staatsbürgerlicher 174

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KMK-Beschluß vom 16./17. 11. 1951 über die bibliothekarische Ausbildung an Büchereischulen, BS/KMK Nr. 2120. Dazu Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, 1964, S. 214ff. Litt, Wesen und Aufgabe der politischen Erziehung, 1964; Oppermann, KulturverwR, 1969, S. 275ff.; Behr, Strukturprobleme der politischen Bildung, 1973 ( = Aus Politik und Zeitgeschichte B 5/73); Carstens, Bulletin 1982, 553 ff. Weitere Nachweise bei Oppermann, a. a. O. (Anm. 176). Wasser, Politische Bildung am Gymnasium, 1967; Schörken, Streitpunkte des Politikunterrichts, 1976 ( = Aus Politik und Zeitgeschichte B 8/1976). § 33 SoldatenG i. d. F. vom 19. 8. 1975 (BGBl. I, S. 2273); Grosse, Soldat und politische Bildung, 1968 ( = Aus Politik und Zeitgeschichte, B 8/1968). Hennis, in: Fg. f. Carlo Schmid, 1962, S. 96ff.; Busshoff, Politikwissenschaft und politische Bildung, 1967 ( = Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17/1967).

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Bildung nicht nur Kenntnisse von den Formalien der Demokratie voraussetzt, sondern die Anverwandlung ihrer tragenden Grundsätze, kann hier nur angemerkt werden 181 . Außerhalb des Schulwesens im weitesten Sinne wirken Bund und Länder über besondere nichtrechtsfähige Anstalten (z. B. Bundeszentrale für politische Bildung und entspr. Landeszentralen) auf die staatsbürgerlichen Vorstellungen der Gesamtbevölkerung mit publizistischen Mitteln und indirekter finanzieller Bezuschussung über weitere Gesellschaften und Vereine ein, die sich der politischen Bildungsarbeit widmen 182 . 3. Jugendbildung Neben Erwachsenen- und staatsbürgerlicher Bildung steht als drittes ergänzendes Bildungsbemühen des Gemeinwesens die außerschulische Betreuung der Jugend. Es handelt sich hier um einen außerordentlich breiten Katalog von Maßnahmen, die öfter in einer nicht sehr festgelegten Terminologie unter der Vorstellung der Jugendwohlfahrt oder auch der Jugendförderung zusammengefaßt werden. Die aus bildungsrechtlichem Blickwinkel interessierenden Aspekte der Jugendbildung stellen dabei nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtspektrum jugendfördernder Maßnahmen dar 183 . Der Gedanke der Jugendbildung läßt sich am besten unter den beiden Stichworten Jugendpflege und Jugendschutz zusammenfassen. Bei ihnen geht es in besonderem Maße um erzieherisch-kulturelle Einwirkungen des Staates in die Welt der Jugend außerhalb der Schule, während bei der hier nicht zu behandelnden allgemeinen Jugendwohlfahrt (u. a. Jugendfürsorge, Jugendarbeitsschutz, letztlich auch Jugendstrafrecht) soziale Aspekte stärker im Vordergrund stehen. Allerdings gehen die Begrifflichkeiten vielfältig ineinander über. So wird insbesondere die legislative Bundeszuständigkeit für Maßnahmen der Jugendpflege und des Jugendschutzes einer extensiven Auslegung des Begriffes der „öffentlichen Fürsorge" i. S. des Art. 74 Ziff. 7 G G entnommen 184 . a) Jugendpflege: Nicht unähnlich der Erwachsenenbildung findet in der Jugendpflege eine weitgehende Kooperation zwischen öffentlichen Einrichtungen und gesellschaftlicher Aktivität statt 185 . Auch die in einigen Ländern er181 182

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Dazu Thielicke, An die Deutschen, 4. Aufl. 1962, S. 15f.; Raasch, RdJ 1965, 66ff. Zur Bundeszentrale für politische Bildung die Erlasse des BMI vom 25. 11. 1952 (GBM1. S. 318) und vom 18. 5. 1963 (GMB1. S. 214); Franken, in: StaatsL., Bd. II, Sp. 303 f. Harrer, Jugendwohlfahrtskunde, 7. Aufl. 1977; Heckel / Seipp, Schulrechtskunde, S. 377ff.; Oppermann, KulturverwR, S. 277ff.; G. Kaiser, Gesellschaft, Jugend und Recht: System, Träger und Handlungsstile der Jugendkontrolle, 1977; Eiselt, Außerschulische Jugendbildung, 1981 ( = Aus Politik und Zeitgeschehen B 43/ 1981); Moritz, Jura 1984, 113ff. Vgl. auch oben 5. Abschnitt. BVerfG E 22, 180ff.; BVerwG E 19, 94. Kritisch Bettermann, AöR 83 (1957), 91 ff.; Ule, DVB1. 1965, 580 ff. Riedel, RWS 1964, 272ff.; Stettner, RdJ 1965, 179ff.; 207ff.; 232ff.; Jans, RdJB 1972, 343 ff.

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gangenen Gesetze zur Förderung der außerschulischen Jugendbildung weisen dem Staat im wesentlichen eine nur fördernde und vor allem finanziell unterstützende Rolle zu, wiewohl auch hier, ähnlich der Entwicklung in der Erwachsenenbildung, eine Tendenz zu stärkerer staatlicher Mitwirkung deutlich erkennbar wird186. Als öffentliche Institutionen stehen über das JWG i. d. F. vom 25. 4. 1977187 und seine landesrechtlichen Ausführungsgesetze vor allem die Jugendämter für jugendpflegerische Aufgaben zur Verfügung 188 . Sie sind Bestandteile der Gemeindeverwaltung. Das Jugendamt besteht aus einer Verwaltungsbehörde und einem Jugendwohlfahrtsausschuß, der insbesondere die Verzahnung mit den freien Jugendverbänden ermöglicht189. Auf Landesebene wird die Jugendarbeit über Landesjugendämter harmonisiert, die durch einen Landesjugendwohlfahrtsausschuß unterstützt werden (§ 21 JWG). Im Sinne einer auch bundesweit möglichst gleichmäßigen Erfüllung der Aufgaben der Jugendämter besteht ferner beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ein Bundesjugendkuratorium (§ 26 JWG). Gesellschaftlicher Partner der Jugendämter sind die in privatrechtlicher Form (i. d. R. als e. V.) gegründeten vielfältigen Jugendorganisationen, die fiir die Zwecke der Jugendpflege z. T. öffentlich anerkannt werden190. Sie sind entweder spezifischen Jugendzielen zugewendet (z. B. Pfadfinder) oder stehen auf politischer oder bekenntnismäßiger Grundlage (z. B. Jungsozialisten oder katholische Jugend). Zum guten Teil sind die einzelnen Jugendorganisationen in den Kreis- und Landesjugendringen in lockerer Form vereinigt, um Anliegen gegenüber dem Staat gemeinsam zu vertreten. Als Spitzenorganisation der freien Jugendverbände besteht der Bundesjugendring. Die Aufgabenkataloge der verschiedenen jugendpflegerischen Einrichtungen, vor allem der Jugendämter, sind i. d. R. recht allgemein gefaßt (z. B. §§ 4 ff. JWG und etwa § 1 brem. JugendbildungsG). Grundgedanke ist die sozialstaatliche Förderung und Anregung der Aktivität der freien Jugendorganisationen durch die öffentliche Hand („Öffentliche Hilfe zur Selbsthilfe")191. Auf der kommunalen Ebene spielt das Angebot materieller Hilfsmittel eine große Rolle (z. B. Schaffung von Heimen, Übergabe von Gerätschaften u. s. f.), ferner personelle Hilfe (Einsatz von Jugendpflegern, die Jugendveranstaltungen mitorganisieren u. ä.). Die Fassung des JWG und — in abgeschwächter Form — auch die Jugendhilfegesetze der Länder gehen dabei von einem betonten Subsidiaritätsdenken aus, wonach 186

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189 190 191

Vgl. die Gesetze der Länder Baden-Württemberg vom 6. 5. 1975 (GesBl. S. 254); Bremen vom 1. 10. 1974 (GesBl. S. 309); Hessen vom 5.6. 1981 (GVB1. S.200); Niedersachsen vom 15. 7. 1981 (GVB1. S. 199). BGBl. I, S. 633. Harrer, Jugendwohlfahrtskunde, 7. Aufl. 1977, S. 13 ff.

Potrykus, Der Jugendwohlfahrtsausschuß, 1953.

Dazu § 5 Abs. 4, § 9 JWG; Rauschert, RdJ 1963, 241 ff., 261 ff.; Stettner, RdJ 1966, 211 ff. Rehbein, RdJB 1981, 258ff. Neuerdings wird dies unter dem Stichwort der „offenen" (d. h. möglichst eigenständigen) Jugendarbeit sehr betont.

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das Jugendamt von eigenen Einrichtungen und Veranstaltungen absehen soll, soweit geeignete Einrichtungen und Veranstaltungen der Träger der freien Jugendhilfe (z. B. Kirchen) vorhanden sind192. Auf Landes- und Bundesebene steht die Bereitstellung von öffentlichen Haushaltsmitteln für die Jugendarbeit im Vordergrund. Sie erfolgt u. a. über die Landesjugendpläne und den Bundesjugendplanm. Die in Ausführungen dieser Pläne ergehenden Verwaltungsvorschriften beeinflussen nachhaltig die Jugendarbeit. Daneben gibt der Staat über andere überregionale Maßnahmen der Jugendpflege wie z. B. die Veranstaltung der Bundesjugendspiele und die Verleihung von Bundesjugendpreisen Impulse für die Jugendpflege. b) Jugendschutz: Während die Jugendpflege weithin der Leitungsverwaltung angehört, bemüht sich das Gemeinwesen über den Jugendschutz gleichzeitig mit Mitteln der Ordnungsverwaltung, bestimmten Gefahren während des körperlichen und geistigen Reifeprozesses der Jugend zu steuern194. Wesentliche Instrumente sind hierbei die beiden BundesG zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JSchÖG) i. d. F. vom 27. Juli 1957195 und über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) i. d. F. vom 29. April 1961196. Da das GG insbesondere mit der Gewährleistung der freien Persönlichkeitsentfaltung, mit Gewissens- Meinungs- und Kunstfreiheit umfängliche, auch für die Jugendbildung relevante Freiheitspositionen festgelegt hat, ergeben sich im Sinne einer verfassungskonformen Handhabung der beiden Gesetze im einzelnen manche schwierige Abgrenzungsfragen 197 . Immerhin enthalten der Familienschutz des Art. 6 GG und der Gesetzesvorbehalt zugunsten des Jugendschutzes in Art. 5 II GG Hinweise, daß die Vorstellung staatlicher Maßnahmen zugunsten des Jugendschutzes der gesamtstaatlichen Verfassung nicht fremd ist. Außerdem ist der Jugendschutzgedanke in einer Reihe von Länderverfassungen verankert (z. B. Art. 6 II nordrh.-westf. Verf.). 192

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Nach BVerfG E 22, 180 ff. ist dies eine im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegende Lösung. Zur Problematik etwa Lerche, Verfassungsfragen um Sozialhilfe und Jugendwohlfahrt, 1963; Bender, DVB1. 1963, 87ff.; Günther Küchenhoff, NJW 1968, 433ff.; Ewald, RdJB 1970, 97ff. Vgl. z. B. Durchführungserlaß vom 15. 12. 1977 zum Bundesjugendplan 1978, GMB1. 1977, S. 722f. - Ferner OVG Münster VerwRspr. 15, 76; Bor, RWS 1963, 289ff.; Stettner, RdJ 1965, 207ff.; Kölble, in: Planung I, hrsg. von Kaiser, 1965, S. 91 ff. Heinz Schneider, Die öff. Jugendhilfe zwischen Eingriff und Leistung, 1964; Dickfeldt, RdJB 1976, 101 ff. BGBl. 1957 I, S. 1058. BGBl. 1961 I, 497; Kommentar zum JSchÖG: W. Tillmann / K. Göke / W. Becker, 2. Aufl. 1962; Zum GjS: Mayer-Tasch, JZ 1969, 284ff.; Eckhardt, DVB1. 1969, 857ff.; Raue, Literarischer Jugendschutz, 1970. Insbesondere zur Kunstfreiheit. Dazu etwa BVerfG E 30, 336 f f ; BVerwG E 1, 303; 23, 104; 25, 318; Erbel, Inhalt und Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie, 1966; Geiger, in: Fs. f. Leibholz, 1966, II, 187ff.; Leonardy, NJW 1967, 714ff.; Lerche, BayVBl. 1974, 177ff.

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In der neueren Diskussion wird der Jugendschutzgedanke allerdings nicht selten relativiert und bisweilen ganz in Frage gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht ist diesen Tendenzen jedoch deutlich entgegengetreten und hat einen prinzipiellen Vorrang der Kunstfreiheitsgarantie („Kunstschutz geht vor Jugendschutz") nicht anerkannt 198 . Im Vordergrund des Jugendschutzes über das GjS stehen Beschränkungen des Vertriebs jugendgefährdender Schriften („Schmutz und Schund"). Sie erfolgen über eine beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ressortierende Bundesprüfstelle. Die Stelle ist mit weisungsgebundenen amtlichen und gesellschaftlichen Mitgliedern besetzt und wird auf Anträge des BMJFG oder oberster Landesjugendbehörden tätig. Die Vertriebsbeschränkungen infolge des Verwaltungsaktes der Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Schriften (Verbot offenen Verkaufes u. ä.) sind wirtschaftlich gesehen für Verlag und Handel sehr fühlbar. — Über das JSchÖG ist insbesondere der Filmjugendschutz geregelt199. Er verwirklicht sich durch Entscheidungen der zuständigen obersten Landesbehörden über die Jugendfreigabe von Filmen, wobei die Maßnahmen nach dem Kindesalter abgestuft sind. — Noch in den Anfängen steht der Jugendschutz beim Fernsehen200. Wegen der besonderen technischen Strukturen (Empfang i. d. R. in der häuslichen Privatsphäre) kann hier das System des JSchÖG nicht übernommen werden. Erste Versuche eines strafrechtlichen Jugendschutzes auch insoweit (Gewaltdarstellungsverbot nach § 131 StGB i. d. F. vom 2. 1. 1975) sind nicht ohne Kritik geblieben201. Als Ansatzpunkt für Jugendschutzmaßnahmen können vor allem die Regelungen in den Satzungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über die Programmgestaltung dienen (vgl. z. B. die sog. „21-Uhr-Grenze" für jugendungeeignete Sendungen in § 10 des Staatsvertrages der Bundesländer über das ZDF vom 6. Juni 1961). Ein generelles Verbot jugendungeeigneter Sendungen im Fernsehen ist dagegen als übermäßige Beschränkung vor allem der durch Art. 5 GG geschützten Freiheit nicht zulässig. IV. Zentrale Kulturverwaltung im Bildungsbereich Ein Umriß der deutschen Bildungsordnung muß wenigstens im Überblick ihre übergreifenden Normen und Einrichtungen mitberücksichtigen. So gesehen ist die Bildungsverwaltung als einer der drei wesentlichen Bestandteile der allgemeinen Kulturverwaltung zu begreifen, welche daneben für die Sachkomplexe Wissenschaft und Kunst zuständig ist202. 198 199 200 201 202

BVerwGE 39, 197ff.; dazu Ott, NJW 1972, 1219ff. Weides, in: Fs. f. Armbruster, 1976, S. 301 ff.; Gorges, RdJB 1977, 289ff. Potrykus, MDR 1965, 185 ff.; Gorges a. a. O. (Anm. 199). Gehrhardt, Gewaltdarstellungsverbot und Grundgesetz, 1974; Walter Becker, RdJB 1974, 319f. Vgl. oben I, 1. Ferner Oppermann, KulturverwR, S. 29 ff.; Maihof er, HdbVerfR 1983, S. 977 ff.

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Konstituierend für die heutige Struktur der Kultur- und damit der Bildungsverwaltung in der BRD ist die Bundesstaatsentscheidung des GG mit ihren grundlegenden Vermutungen zugunsten der Länderhoheit (Art. 20, 30, 70 ff., 83 ff. GG). In diesem Rahmen ist der Bildungsbereich, insbesondere das Schulwesen im weitesten Umfang den Ländern zugewiesen worden 203 . Die Verfassungsrechtsprechung hat bisher das ihre dazu getan, diese oft etwas pauschal so genannte „Kulturhoheit" der Länder gegen Mitbestimmungsversuche des Bundes über eine etwas flexible Auslegung der bundesstaatlichen Verteilungsnormen deutlich abzuschirmen 204 . Ob diese Legalstruktur der Wirklichkeit des vor allem in wirtschaftlich-sozialer Hinsicht weithin „unitarischen Bundesstaates" des GG (Konrad Hesse) hinreichend entspricht, unterliegt Zweifeln. Die Forderung wenigstens nach einer Rahmengesetzgebungszuständigkeit des Bundes im Bildungswesen wird politisch immer wieder erhoben 205 . Die Verfassungsänderungen 1969 haben mit der Bundesgesetzgebungskompetenz für die Regelung der Ausbildungsbeihilfen (Art. 74, Ziff. 13 GG) und der Anerkennung der Bildungsplanung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern (Art. 91b GG) erste Schritte in dieser Richtung gebracht. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz und der von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung erarbeitete Bildungsgesamtplan von 1973 sind weiter Ergebnisse dieser neuen Entwicklung, die allerdings immer wieder Schwankungen unterliegt 206 . Weder zu erwarten noch zu wünschen ist eine starke Zentralisierung der Schulkompetenzen beim Bund. Sie würde der Bürgernähe des Schulwesens und auch dem begrüßenswerten bildungspolitischen Wettbewerb der Bundesländer abträglich sein. 1. Bildungsverwaltung der Länder Entsprechend der Bundesstaatsentscheidung liegt der Schwerpunkt der zentralen Bildungsverwaltung in den Ländern 207 . Die übergreifenden Bildungsangelegenheiten gehören zum größten Teil in die Zuständigkeit der Kultusministerien. Bis auf wenige Länder (Bayern, Hessen) sind die früheren „großen" Kultusministerien mit Gesamtzuständigkeit für Bildung, Wissenschaft und Kunst inzwischen durch mehrere Spezialressorts ersetzt worden. 203

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Näheres etwa bei Maunz / Zippelius, StaatsR, §§ 14, 26, 27; Oppermann, KulturverwR, S. 549ff.; ders./Grundsätze 1976, C 64ff.; Hans Heckel, Einführung, 1977, S. 10ff., Glotz /Faber, m.HdbVerfR 1983, S. 999ff. Vor allem BVerfG E 6, 309ff. (Konkordatsurteil); BVerfG E 12, 205ff. (Fernsehurteil); aber auch BVerfG E 22, 180 ff. (Jugendwohlfahrtsgesetz). Zusammenfassender „Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems" = BT-Drucks. 8/1551 vom 23. 2. 1978 („Mängelbericht") und die kritische Stellungnahme der KMK hierzu, 1978. Bestandsaufnahme bei Dittmann, RdJB 1978, 168ff.; neuerdings wieder Kühlwein, Informationen, Bildung und Wissenschaft 1982, S. 42f. Kritisch zur Ausweitung der Bundeskompetenzen etwa Boppel, DUZ 1982, 20/9 ff. Amtliche Übersichten der Länderbildungspolitik in: Kulturpolitik der Länder, zuletzt 1979-1981 (1982).

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Die Bildungs(Schul-)fragen sind meist einem besonderen Ministerium (Senatsbehörde o. ä.) anvertraut, das sich weiterhin Kultusministerium nennt (z. B. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen). Die staatsbürgerliche Bildung (Landeszentralen für politische Bildung u. ä.) unterstehen bisweilen den Staats-(Senat-)kanzleien der Länderregierungschefs. Faktisch gesehen kommt außerdem den Finanzministerien infolge der erheblichen finanziellen Auswirkungen der Bildungspolitik ein nicht zu unterschätzendes Mitwirkungsrecht zu. Nachdem im Schulrecht den rechtsstaatlichen Erfordernissen (Vorbehalt des Gesetzes u. a.) mehr als früher Rechnung getragen wird, hat sich auch der Einfluß der Landtage auf die Gestaltung des Bildungswesens verstärkt. 2. Überregionale Bildungsverwaltung Infolge der wirtschaftlich-sozialen Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, die auch vom G G anerkannt und gefördert wird (vgl. z. B. Art. 11 oder Art. 72 II GG), ergibt sich ungeachtet der grundsätzlichen Bildungshoheit der Länder ein Sachzwang zur bildungspolitischen Zusammenarbeit in bundesweitem Maßstab. Sie erfolgt teilweise in Zusammenarbeit der sog. Ländergemeinschaft, daneben aber auch über ein Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern. Die Staatspraxis zeigt, daß ohne ein gewisses Maß an „kooperativem Föderalismus" auch im Bildungswesen wahrscheinlich die Bundesstaatsentscheidung als solche in Frage gestellt würde 208 . Die ausdrückliche Anerkennung der Bildungsplanung als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern nach Art. 91 b G G seit 1969 hat die vertragliche Zusammenarbeit im Bundesstaat nunmehr weitgehend legalisiert209. a) Zusammenarbeit der Länder: In dem Bestreben, ihre Kulturhoheit so weit als möglich zu wahren, haben die Bundesländer seit längerem eine intensive freiwillige Zusammenarbeit unter sich eingeleitet. In Bildungsfragen hat sie sich vor allem in der schon 1948 gegründeten Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD (KMK) institutionell verfestigt 210 . Das Schwergewicht ihrer Arbeit liegt im Schulwesen. Obwohl im Grunde nichts anderes als eine lockere Fachkonferenz, ähnlich wie diejenige der Länderinnen- oder -finanzminister, ist der Geschäftsanfall der K M K infolge des weitgehenden Fehlens für Bildungsfragen zuständiger Bundesressorts ungleich stärker. Aus diesen Gründen unterhält die K M K ein ständiges Sekretariat und tritt sehr häufig in Konferenzen auf Verwaltungs- oder Regierungsebene zusammen. Nach ihrer Geschäftsordnung vom 2./3. Dezember 1949 / 208 209 210

Überblick bei Kisker, DÖV 1977, 689 ff.; Oppermann, Kultur a.a.O. (Anm. 8), S. 107 ff. Staff, DÖV 1973, 725ff.; zusammenfassend Dittmann, Bildungsplanung als Gemeinschaftsaufgabe, 1975, S. 40f. Knoke, Kultusministerkonferenz und Ministerpräsidentenkonferenz, 1966; Oppermann, KulturverwR, S. 565ff.; Sewerin, RdJB 1983, 383ff.

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19. November 1955 und einem Abkommen vom 20. Juni 1959 zwischen den Bundesländern 211 steht an der Spitze der K M K ein zwischen den Kultusministern turnusmäßig wechselndes Präsidium, welches die Konferenzen auf Ministerebene einberuft und durchführt. Die Sachverständigen der Länderkultusverwaltungen treten regelmäßig in Ausschüssen zusammen, wobei als große ständige Ausschüsse in Bildungsfragen der Schulausschuß und der Ausschuß für das Auslandsschulwesen der K M K tätig sind. Für das Bildungswesen von Bedeutung sind innerhalb der K M K ferner der Pädagogische Austauschdienst (Lehrer- Assistenten- und Schüleraustausch) sowie die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (gutachtliche Vergleichung in- und ausländischer Bildungsgänge zur Vorbereitung von Anerkennungsentscheidungen der Kultusverwaltungen). Laufende Verwaltungsgeschäfte werden vom Sekretariat erledigt, an dessen Spitze der Generalsekretär der KMK steht, der an die Weisungen des Präsidenten gebunden ist. Als Aufgabe sieht die KMK nach dem Vorspruch ihrer Geschäftsordnung „Angelegenheiten der Kulturpolitik von überregionaler Bedeutung mit dem Ziel einer gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung und der Vertretung gemeinsamer Anliegen" an. Im Mittelpunkt der KMK-Tätigkeit in Bildungsfragen steht eine gewisse Harmonisierung des deutschen Bildungswesens über die Ausübung des Beschlußrechtes212. Die KMK-Beschlüsse werden in einer gleichsam quasi-völkerrechtlichen Atmosphäre „bildungssouveräner" Länder vom Ministerplenum grundsätzlich einstimmig verabschiedet, wobei jedes Bundesland über eine Stimme verfügt. Daneben gibt es erleichterte Verabschiedungsmöglichkeiten in den Ausschüssen. Die Qualifikation der KMK-Beschlüsse bereitet sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen Schwierigkeiten 213 . Mit Sicherheit hat eine große Anzahl von ihnen lediglich nicht rechtsverbindlichen Empfehlungscharakter. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß die Länder oder auch nur ihre Exekutiven mit bestimmten anderen Beschlüssen wirksame Bindungen eingegangen sind. Die Frage kann jeweils nur an Hand des einzelnen Beschlusses konkret entschieden werden (Inhalt des Beschlusses, Möglichkeit der Kultusminister, nach ihrem Länderrecht über den Inhalt des betr. Beschlusses Bindungen eingehen zu können, Vollmacht hierfür u. a. m.). Die zunehmende Durchsetzung des Gesetzesvorbehaltes auch im Bildungswesen wird die Möglichkeiten der K M K zu verbindlicher Harmonisierung allerdings einschränken. Faktisch betrachtet, hat die K M K vor allem im Schulwesen seit 1949 eine beträchtliche Harmonisierungsarbeit geleistet. Die Länder kommen den Empfehlungen i. d. R. auch nach. Wesentliche Ergebnisse liegen z. B. im Berechtigungswesen vor (u. a. gegenseitige Anerkennung der Reifezeugnisse zwischen den Ländern!). Andererseits wird die sich aus der Konstruktion der

211 212 213

Texte u. a. in: Kulturpolitik der Länder 1963 - 1964 (Hrsg.: KMK), 1965, S. 303ff. Seipp / Fütterer, Beschlüsse der Kultusministerkonferenz, 1960ff. (Losebl.-Slg.). Vgl. etwa die oben Anm. 210 genannte Lit.

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Ländergemeinschaft ergebende Langsamkeit des Entscheidungsprozesses in der KMK oft kritisiert214. Besonders wichtige bildungspolitische Absprachen, wie z. B. der Abschluß förmlicher Staatsverträge, werden bisweilen nicht von der KMK, sondern von der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder getroffen 215 . Beispiele bieten vor allem der Abschluß des Düsseldorfer Länderabkommens zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens vom 17. Februar 1955 und seiner Hamburger Neufassung vom 28. Oktober 1964 (inzwischen weitere Ergänzungen). Das Abkommen stellt die bisher wesentlichste Rechtsverpflichtung zur fortlaufenden Harmonisierung der Schulstruktur in gemeindeutschem Maßstabe dar216. — Ferner befaßt sich der Kulturausschuß des Deutschen Städtetages mit überregionalen schulpolitischen Fragen, da die Gemeinden vor allem in den äußeren Schulangelegenheiten ein wesentliches Maß an Mitverantwortung tragen (vgl. oben Ziffer II, 4 a). b) Bundesbildungsverwaltung und Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern: Das Wort von der Bildungshoheit der Länder unter dem GG gilt nur in einem quantitativ-schwerpunktmäßigen Sinne. In bestimmtem Umfang erkennt das GG Befugnisse des Gesamtstaates im Bildungswesen an. Insoweit haben sich Ansätze einer Bundeskulturverwaltung gebildet217. Ferner findet seit jeher eine begrenzte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern statt218. Insbesondere ist der Bund in die Bildungsplanung (Art. 91b GG) sowie im Sinne des Art. 32 GG in Bildungsfragen mit Auslandsbezug eingeschaltet (vgl. unten V.). Ferner verwaltet er Bildungseinrichtungen im Verteidigungsbereich und befaßt sich mit Fragen der allgemeinen staatsbürgerlichen Bildung. Auch in Fragen der Jugendbildung kommt dem Gesamtstaat ein beachtliches Mitspracherecht zu. Weiter ergeben sich aus den Zuständigkeiten des Bundes im wirtschaftlich-sozialen Bereich eine Reihe von Verbindungslinien zur Bildungsordnung, die u. a. auch der Funktion des Zubringers an qualifiziertem Personal für die Wirtschaft im weitesten Sinne gerecht zu werden hat. Schließlich ergeben sich im Bundesstaat des GG ganz allgemein aus der Interdependenz der großen staatlichen Sachbereiche eine Vielzahl von gesamtstaatlichen Berührungspunkten mit der Bildungsordnung. Sie laufen etwa unter den Stichworten des Sachzusammenhanges, des Annexes, der Natur der Sache, gesetzesfreier Verwaltung, Finanz-, Fonds- oder Planungskompetenzen 219 . Ihr Umfang ist im einzelnen oft schwierig abzugrenzen. 214 215 216 217 218 219

Hans Heckel, RdJ 1967, 253ff.; Kühlwein, a. a. O. (Anm. 205). Knoke, a. a. O. (Anm. 210), S. 109 ff. Hans Heckel, RdJ 1965, 51 ff.; Hans Heckel, Schulrecht und Schulpolitik, 1967, S. 24ff. Böning, Bildungspolitik aus der Sicht des Bundes, in: Bildungsreform-Bilanz u. Prognose, 1973, 71 ff.; Oppermann, Kultur a. a. O. (Anm. 8), S. 108ff. Bohrer, NJW 1969, 2077ff.; Frey, RdJB 1976, 226ff.; Brünner, RdJB 1981, 11 ff. BVerfG E 22, 180ff.; Köngen, Fondsverwaltung in der BRD, 1965; Edding, DUZ 1967, 12/27ff.; Oppermann, DÖV 1972, 591 ff.; Brünner, RdJB 1981, 11 ff.

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Institutionell liegen Schwerpunkte der Bundesbildungsverwaltung beim Auswärtigen Amt (Kulturabteilung), beim Bundesminister des Innern (Kulturabteilung, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen beim Bundesverwaltungsamt), neuerdings aber immer stärker beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit (Jugendpflege, Jugendschutz). Aber etwa auch die Bundesministerien für Verteidigung, Wirtschaft, Arbeit und Sozialordnung wirken aus den genannten Gründen bei Fragen bildungspolitischer Auswirkung mit. Der Bundestag erörtert gelegentlich Bildungsfragen. Der Bundesrat erweist sich im Gesetzgebungsverfahren als ein aufmerksamer Wächter und Verteidiger der Länderbildungshoheit 220 . Institutionalisierte Zusammenarbeit in Bildungsfragen zwischen Bund und Ländern erfolgte 1965 — 75 über den Deutschen Bildungsrat, der den rein beratenden Deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen (1954 - 64) ersetzte. Infolge seines starken Engagements für die Gesamtschule (Strukturplan 1970) geriet der Bildungsrat in parteipolitische Polarisierungen und wurde 1975 aufgelöst221. Seit 1970 wurde die fachliche Arbeit des Bildungsrates bereits von der durch ein Bund-Länder-Abkommen auf der Grundlage von Art. 91b GG gegründeten gemeinsamen Bildungsplanungskommission von Bund und Ländern (BLK) amtlich-politisch weitergeführt. In ihr sind Bundes- und Ländereinfluß ausgeglichen. Ihre Beschlüsse haben nur vorbereitend/empfehlenden Charakter, faktisch kommen sie nur bei Übereinstimmung aller Partner (Bund/11 Länder) zustande. Die Verabschiedung des Bildungsgesamtplanes 1973 bedeutete den bisherigen Höhepunkt der BLK-Arbeit. Die Fortschreibung dieses Planes seit 1976 mißlang, und die Bedeutung der BLK ging zurück222.

V. Internationale Zusammenarbeit im Bildungswesen Wie nahezu jeder staatliche Tätigkeitsbereich weist auch das Bildungswesen Auslandsbezüge auf, die ihrerseits rechtlicher Regelung bedürfen. Deutsche Auslandsschulen und internationale Schulen, ausländische Schulen in der Bundesrepublik, zwischenstaatliche Anerkennung von schulischen Berechtigungen oder z. B. internationaler Jugendaustausch können hierfür als einige Beispiele genannt werden. Internationale Zusammenarbeit im Bildungswesen stellt so einen wesentlichen Bestandteil der auswärtigen Kultur220 221

222

Dazu Katzenstein, DÖV 1958, 593ff.; Frey, Konstruktiver Föderalismus, 1976. Bund-Länderabkommen vom 15. 7. 1965, Bulletin 1965, 982 (1970 um 5 Jahre verlängert). Rückblick mit dem Bildungsrat bei Hellmut Becker, Reform der Demokratie 1976, S. 127 ff. Text BLK-Abkommen Bulletin 1970, 891 f. Zum neueren Stand Boppel, DUZ 1982, 20/9 ff.

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politik der Bundesrepublik Deutschland dar 223 . In der Sache geht es dabei weithin um Probleme fachlicher Kooperation und nicht so sehr um den für auswärtige Kulturpolitik sonst oft kennzeichnenden Gedanken der Nationalrepräsentation, zumal die moderne Sicht der Auswärtigen Kulturpolitik („Dritte Säule der Außenpolitik") diese fachliche Seite immer stärker herausstellt. Die internationale Bildungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland vollzieht sich vor allem über völkerrechtliche Verträge, auf Grund deren z. T. auch Organisationen der zwischenstaatlichen Bildungskooperation errichtet werden. Dabei ergibt sich verfassungsrechtlich die Notwendigkeit, die beiden Entscheidungen des G G in Einklang zu bringen, daß einerseits die Bildungshoheit weitgehend bei den Ländern liegt, während andererseits die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten grundsätzlich Sache des Bundes ist (Art. 32 GG). Diese Problematik tritt vor allem beim Abschluß der Kulturabkommen auf, die vielfach Regelungen aus dem Bildungsbereich enthalten (Lehrer- und Schüleraustausch, Sprachunterrichtsfragen, Schulbuchverbesserung, Gleichwertigkeit und gegenseitige Anerkennung von Berechtigungen, Einrichtungen und Schulen u. a.)224. Trotz fortbestehenden dogmatischen Dissenses zwischen Bund und Ländern und auch in der Lehre haben sich vor allem im Anschluß an die sog. „Lindauer Verständigung" vom 14. November 1957 praktische Verfahrensweisen entwickelt, die den Abschluß kultureller Verträge der Bundesrepublik innerstaatlich erleichtern 225 . Leider erfordert dieses Procedere nicht selten einen erheblichen Zeitaufwand. Hervorzuheben ist eine weitgehende Beteiligung der Länder schon in der Verhandlungs-(Vorbereitungs-)phase solcher Abkommen sowie die Herstellung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nur mit Einverständnis der Länder. Umstritten ist sodann vor allem die bundesstaatliche Einordnung der völkerrechtlichen Abschluß- und der innerstaatlichen Transformationskompetenz. Am meisten überzeugt dazu die sog. „norddeutsche Länderauffassung", wonach der Bund für den völkerrechtlichen Abschluß nach außen verantwortlich ist, die Länder für die Transformation in innerstaatliches (Länder-)Recht. Im Sinne der Erhaltung internationaler Verkehrsfähigkeit der Bundesrepublik ist eine solche Trennung allerdings nur erträglich, wenn sie gleichzeitig durch eine aus der Bundestreue herzuleitende Pflicht der Länder ergänzt wird, im Sinne des zum Abschluß bereits ge223

224 225

Abelein, Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland, 1968, S. 137ff.; Oppermann, KulturverwR, S. 604ff.; Peisert, Gutachten Ausw. Kulturpolitik, 1971; Holzheimer, RdJB 1973, 311 ff.; Arnold, Außenpolitik 1973, 165 ff.; Bericht Enquetekommission Ausw. Kulturpolitik = BT-Drucks. 7/4121 (1975); Kilian, in: Kulturverwaltungsrecht im Wandel 1981, S. 111 ff. Zusammenfassend Hirsch, Kulturhoheit und Auswärtige Gewalt, 1968; zu den Kulturabkommen Fricke, JA 1983 117 ff. Text der Lindauer Verständigung, in: ZaöRVR 20 (1959), 116ff.; grundsätzlich zu ihr Rojahn, in: v. Münch, GG, 2. Aufl. 1983, Art. 32, Rdnr. 42ff.; Fricke, a. a. O. (Fn. 224).

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gebenen Einverständnisses die Transformation in zumutbarer Frist vorzunehmen. Wesentliche Erscheinungsformen der zwischenstaatlichen Bildungskooperation der Bundesrepublik Deutschland liegen neben dem Netz der bilateralen Kulturabkommen und dem bereits (oben II, 3) behandelten Auslandsschulwesen in der Beteiligung an internationalen Bildungsorganisationen. So beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland (Vertretung über AA und KMK) am Internationalen Erziehungsbüro in Genf, über dessen Konferenzen ein Erfahrungsaustausch in Fragen des Erziehungswesens stattfindet. — Ein wichtiges Zentrum der Bildungszusammenarbeit ist der Europarat, insbesondere dessen Rat für kulturelle Zusammenarbeit (mit Fachausschüssen) und die in engem Zusammenhang mit dem Europarat turnusmäßig tagende Konferenz der Europäischen Erziehungsminister226. Als Schulwettbewerb gestaltet der Europarat den „Europäischen Schultag" maßgeblich mit. Wichtig sind aber vor allem verschiedene im Rahmen des Europarates abgeschlossene Konventionen bildungsrechtlichen Inhalts. So bekennt sich die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 2 des Zusatzprotokolls vom 20. März 1952) zum Recht auf Bildung und zum Elternrecht 227 , und für die zwischenstaatliche Freizügigkeit im Hochschulstudium schafft die Europäische Konvention über die Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse vom 11. Dezember 1953228 die grundlegende Voraussetzung. In den Bildungsgremien des Europarates wird die Bundesrepublik Deutschland sowohl durch Bundesressorts als auch über die KMK vertreten. Zunehmend wirkt sich die Europäische Gemeinschaft (EG) auf das deutsche Bildungssystem aus (Berufsbildungsrecht, gegenseitige Anerkennung von Diplomen im Niederlassungsrecht Ausländerbildungspolitik u. a. m.)229. — In weltweitem Rahmen, und seit 1973 auch unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland, befaßt sich die Organisation der Vereinten Nationen mit Bildungsfragen. So gewährleisten etwa auch die universalen Menschenrechtskonventionen der UNO vom 16. Dezember 1966 bildungsrechtliche Positionen: Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte — Art. 10: Recht der Familie auf Kindererziehung; Art. 13, 14: Allgemeines Recht auf Erziehung, sehr ausführlich 229 . Vor allem widmet sich aber Bildungsfragen die Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO)230. Die Arbeit dieser Organisation vollzieht sich auf ihren Generalkonferenzen („Weltkonferenz der Erziehungsminister"), im Exekutivrat und im internationalen Sekretariat. Schwerpunkte 226 227

228 229 230

Jochimsen, Bulletin 1977, 849ff.; Vorbeck, D U Z / H D 1977, 756. Sombart, EA 1982, 647 ff. Dazu Bannwart-Maurer, Das Recht auf Bildung und das Elternrecht. Art. 2 des ersten Zus.protokolls zur EMRK, 1975; Eiselstein, in: Kulturverwaltungsrecht im Wandel 1981, S. 178 ff. BGBl. 1952 II, S. 1880, bzw. BGBl. 1955 II, S. 599. Im einzelnen Hiermaier, in: Kulturverwaltungsrecht im Wandel 1981, S. 81 ff.; Witter, RdJB 1982, 40ff.; BGBl. 1973 II, S. 1569. Dazu Zuleeg, RdA 1974, 321 ff. Kipp, Unesco, 1957; Krill, VjHfZG 1968, 247 ff.

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der UNESCO-Bemühungen, die rechtlich in Empfehlungen, Beschlüsse oder Abkommen ausmünden, liegen immer stärker in der Förderung des Bildungsniveaus der Entwicklungsländer, aber etwa auch in der Bekämpfung erzieherischer Diskriminierung (z. B. Abkommen gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen vom 14. Dezember 1964)231. Die Bundesrepublik Deutschland wird in der UNESCO wiederum vom Bund und den Ländern kooperativ vertreten. Nationale Verbindungsstellen zur UNESCO sind die Deutsche UNESCO-Kommission e. V., verschiedene UNESCO-Institute (rechtsfähige Stiftungen privaten Rechts) sowie das Internationale Schulbuchinstitut in Braunschweig (vergleichende Begutachtung von Schulbüchern). Wesentliche Impulse für Innovationen im Bildungswesen sind auch von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ausgegangen232. — Eine intensive bilaterale Bildungszusammenarbeit sieht ferner der deutsch-französische Zusammenarbeitsvertrag vom 22. Januar 1963233 vor. Hier wird u. a. die Erweiterung des gegenseitigen Sprachunterrichts ins Auge gefaßt. Von deutscher Seite ist jeweils ein Länder-Ministerpräsident zum „Bundesbevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des deutsch-französischen Vertrages" ernannt. In Ausführung dieses sog. „Elyseevertrages" ist ferner als bilaterale Bildungsorganisation durch Abkommen vom 5. Juli 1963234 das Deutsch-Französische Jugendwerk gegründet worden, das organisatorisch und finanziell der Begegnung, dem Austausch und der Kenntnisvertiefung der Jugend beider Länder dienen soll235.

231 232

233 234 235

Text u. a. in hess. GVB1. 1964, 184. Etwa Konferenz über Wirtschaftswachstum und Ausbau des Erziehungswesens 1961 in Washington (Ergebnisse in .Dokumentation der KMK' Nr. 2, 1961) oder die Studie: Indicators of performance of educational systems, 1973. — Zur Bildungsarbeit der OECD auch Schuster, WissR 1973, 148 ff. BGBl. 1963 II, S. 707. BGBl. 1963 II, S. 1613. Moesta / Krause, RdJB 1969,68ff.

ELFTER A B S C H N I T T Otto Kimminich

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Gesetze Bund: G über die Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen" (HochschulbauförderungsG) vom 1. September 1969 (BGBl. I, S. 1556), zuletzt geänd. durch G vom 26. Januar 1976 (BGBl. I, S. 185). G über die Krankenversicherung der Studenten (KVSG) vom 24. Juni 1975 (BGBl. I, 5. 1536); § 8 außer Kraft gesetzt durch G vom 22. Dezember 1981 BGBl. I, S. 1523). G über individuelle Förderung der Ausbildung (BundesausbildungsförderungsG — BAföG) vom 26. August 1971 (BGBl. I, S. 1409), i. d. F. der Bekanntmachung vom 6. Juni 1983 (BGBl. I, S. 645). G über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen (GraduiertenförderungsG - GFG) i. d. F. vom 28. März. 1978 (BGBl. I, S. 445). G über eine Bundesstatistik für das Hochschulwesen (HochschulstatistikG — HStatG) i. d. F. vom 21. April 1980 (BGBl. I, S. 453). G zu dem Europäischen Übereinkommen vom 14. Dezember 1959 über die Anerkennung von akademischen Graden und Hochschulzeugnissen vom 23. Oktober 1969 (BGBl. II, S. 2057). Hochschulrahmengesetz (HRG) vom 26. Januar 1976 (BGBl. I, S. 185), zuletzt geänd. durch ÄndG vom 10. Mai 1980 (BGBl. I, S. 561).

Länder: Baden- Württemberg: G über die Pädagogischen Hochschulen (PHG) i. d. F. vom 4. Juni 1982 (GBl. S. 323). G über die Kunsthochschulen im Lande Baden-Württemberg (Kunsthochschulgesetz - KHSchG) i. d. F. vom 4. Juni 1982 (GBl. S. 289). G über die Universitäten im Lande Baden-Württemberg (Universitätsgesetz — UG) i. d. F. vom 4. Juni 1982 (GBl. S. 177/448). G über die Fachhochschulen im Lande Baden-Württemberg (Fachhochschulgesetz — FHG) i. d. F. vom 4. Juni 1982 (GBl. S. 227). Bayern: Bayerisches HochschulG (BayHSchG) i. d. F. vom 7. November 1978 (GVB1. S. 791), zuletzt geänd. durch G vom 4. August 1983 (GVB1. S. 543). G über die Rechtsverhältnisse der Hochschullehrer sowie des weiteren wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an den Hochschulen (BayHSchLG) vom 24. August 1978 (GVB1. S. 571/790). Berlin: G über die Hochschulen im Land Berlin (BerlHG) i. d. F. vom 30. Juli 1982 (GVB1. S. 1549), zuletzt geänd. durch G vom 10. November 1983 (GVB1. S. 1419). G über die Pädagogische Hochschule Berlin vom 13. November 1958 (GVB1. S. 1073), zuletzt geänd. durch G vom 22. Dezember 1978 (GVB1. S. 2449). Bremen: Bremisches HochschulG (BremHG) i. d. F. vom 25. Mai 1982 (GBl. S. 183). Hamburg: Hamburgisches HochschulG (HmbHG) vom 22. Mai 1978 (GVB1. S. 109), zuletzt geänd. durch G vom 2. Juli 1981 (GVB1. S. 166).

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Hessen: Hessisches HochschulG (HHG) vom 6. Juni 1978 (GVB1. I, S. 319), zuletzt geänd. durch G vom 10. Oktober 1980 (GVB1.1, S. 391). G über die Universitäten (HUG) vom 6. Juni 1978 (GVB1.1, S. 348). G über die Fachhochschulen (FHG) vom 6. Juni 1978 (GVB1.1, S. 380). Niedersachsen: Niedersächsisches HochschulG (NHG) i. d. F. vom 23. Oktober 1981 (GVB1. S. 263). Nordrhein- Westfalen: G über die wissenschaftlichen Hochschulen (WissHG) vom 20. November 1979 (GVB1. S. 926). G über die Fachhochschulen (FHG) vom 20. November 1979 (GV. NW. S. 964). Rheinland-Ff alz: G über die wissenschaftlichen Hochschulen (HochSchG) vom 21. Juli 1978 (GVB1. S. 507), geänd. durch G vom 2. April 1981 (GVB1. S. 76). G über die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (VHochSchG) vom 21. Juli 1978 (GVB1. S. 568). G über die Fachhochschulen (FachHSchG) vom 21. Juli 1978 (GVB1. S. 543), geänd. durch G vom 2. April 1981 (GVB1. S. 76). Saarland: G Nr. 1093 Saarländisches UniversitätsG vom 14. Dezember 1978 (ABl. S. 1085; Berichtigung ABl. 1979 S. 379), geänd. durch G vom 14. November 1979 (ABl. S. 1041). G über die Fachhochschule des Saarlandes vom 31. Januar 1979 (ABl. S. 269). G Nr. 1099 über die Musikhochschule vom 21. März 1979 (ABl. S. 393). G Nr. 1144 zur Änderung des UniversitätsG, des FachhochschulG und des MusikhochschulG vom 6. Oktober 1982 (ABl. S. 817). Schleswig-Holstein : HochschulG (HSG) i. d. F. vom 1. März 1979 (GVB1. S. 123), zuletzt geänd. durch G vom 18. Mai 1981 (GVB1. S. 115).

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Gliederung I. Besonderheiten der Wissenschaftsverwaltung II. Die staatlichen Hochschulen 1. Begriffsbestimmungen 2. Verfassungsrechtliche Grundlagen 3. Die Rechtsgestalt der staatlichen Hochschulen

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III. Nichtstaatliche Hochschulen 1. Allgemeine Rechtsgrundlagen 2. Kirchliche Hochschulen a) Katholische kirchliche Hochschulen b) Evangelische kirchliche Hochschulen 3. Hochschulen anderer Träger a) Die Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung b) Die Hochschulen für Politik c) Die Sozialakademien in Frankfurt, Dortmund und Hamburg d) Die Freien Hochschulen e) Die Hochschulen der Bundeswehr

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IV. Verwaltung und Organisation der staatlichen Hochschulen 1. Recht auf Selbstverwaltung 2. Das Nebeneinander von Selbstverwaltung und Staatsverwaltung 3. Die Organisation der Selbstverwaltung a) Rektoratssystem b) Präsidialverfassung c) Weitere Selbstverwaltungsorgane d) Der Kanzler 4. Die Einheitsverwaltung 5. Die Aufsicht

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V. Wissenschaftliches Personal 1. Professoren 2. Lehrbeauftragte 3. Mittelbau 4. Assistenten 5. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit VI. Die Studenten 1. Die akademische Freiheit 2. Die studentische Selbstverwaltung 3. Ordnungsrecht 4. Hausrecht VII. Das Recht der Hochschulzulassung 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen 2. Studienplatzvergabe 3. Kapazitätsermittlung 4. Die Numerus-clausus-Rechtsprechung

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VIII. Prüfungen und akademische Grade 1. Grundsätze 2. Promotion und Habilitation 3. Führung des Doktortitels

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I. Besonderheiten der Wissenschaftsverwaltung Die Wissenschaft kann sich finanziell nicht selbst tragen. Zwar bilden die Ergebnisse ihrer Forschung die Grundlage für die Industrieproduktion, aber sie bedürfen der Umsetzung in kommerzielle Werte. Daher erkannten die Industriestaaten des 19. Jh. die Finanzierung der Wissenschaft als eine ihrer Aufgaben. Dabei vertrauten sie die Pflege der Wissenschaft einer alten Institution an, deren Finanzierung sie seit dem Zeitalter des Absolutismus übernommen hatten: der Universität. Die Wissenschaftspflege außerhalb der Universität - vor allem in den Forschungslaboratorien der Wirtschaftsunternehmungen und Stiftungen - wurde dadurch nicht abgeschnitten. So liegt heute ein großer Teil der Wissenschaftspflege von vornherein außerhalb der staatlichen Verwaltung. Aber auch die an staatlichen Einrichtungen betriebene Wissenschaft wird zum Teil von der Privatwirtschaft finanziert. Die staatliche Verwaltung dieses Bereichs steht daher vor besonders schwierigen Aufgaben, die nicht nur mit der inhärenten Freiheit der Wissenschaft zusammenhängen, sondern auch mit der Eigenart der wissenschaftlichen Betätigung und mit dem Zusammenspiel von öffentlicher und privater Finanzierung.

II. Die staatlichen Hochschulen 1. Begriffsbestimmungen In der Gesetzgebungssprache ebenso wie in Literatur und Rechtsprechung wird der Begriff der wissenschaftlichen Hochschule verwendet. Er ist eine Tautologie; denn eine nichtwissenschaftliche Hochschule gibt es nicht. Auch die Fachhochschulen nehmen im Rahmen ihres Bildungsauftrags Forschungs- und Entwicklungsaufgaben wahr1. In seinem Beschluß vom 29. Juni 1983la hat allerdings das BVerfG markante Unterscheidungen zwischen den wissenschaftlichen Hochschulen und den Fachhochschulen herausgearbeitet. Hauptaufgabe der Fachhochschulen sei die anwendungsbezogene Lehre, wozu weder die wissenschaftliche Forschung noch die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses notwendigerweise gehöre. Traditionell hatte das deutsche Hochschulrecht zwischen Universitäten und anderen Hochschulen unterschieden. Aber auch diese Unterscheidung war bereits im letzten Drittel des 19. Jh., nämlich seit der Errichtung von Technischen Hochschulen, fragwürdig geworden. Die Universität, deren Be1 1a

So ausdrücklich §3 des Baden-Württembergischen FachhochschulG vom 22. 11. 1977, GBl. 1977, S. 522. BVerfGE 64, 323 ff.

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Zeichnung sich von dem lateinischen Ausdruck „universitas litterarum" ableitet, war dadurch gekennzeichnet, daß sie die gesamte Breite der Natur- und Geisteswissenschaften in Forschung und Lehre erfaßte, während die Hochschule nur einem Spezialgegenstand oder einer Gruppe verwandter Fächer gewidmet war. Durch die Ausklammerung der technischen Fächer beschränkte die Universität seit dem 19. Jh. ihren Universalitätsanspruch auf die geisteswissenschaftlichen Fächer. Aus der Tatsache, daß heute keine Institution mehr die gesamte Breite aller wissenschaftlichen Disziplinen pflegen kann, hat das Hochschulrecht die Konsequenz gezogen, daß die Pflege eines größeren oder kleineren Kreises von Disziplinen kein rechtliches Unterscheidungsmerkmal mehr sein kann. Die Verleihung der Bezeichnung „Universität" an bestimmte Lehr- und Forschungseinrichtungen ist nur noch eine Formalität. Um den Problemen einer allgemeinen Definition des Begriffs der wissenschaftlichen Hochschule aus dem Weg zu gehen, ist die Hochschulgesetzgebung dazu übergegangen, die Einrichtungen, auf die ein Gesetz anzuwenden ist, enumerativ zu bestimmen. Einige Länder (Bayern, Schleswig-Holstein) haben ein einheitliches Gesetz für alle Hochschulen und unterscheiden bei der Aufzählung zwischen wissenschaftlichen Hochschulen, Fachhochschulen, Kunsthochschulen usw., andere (z. B. Baden-Württemberg) beschränken den Geltungsbereich auf Einrichtungen mit der Bezeichnung „Universität". Hessen hat neben dem HochschulG ein UniversitätsG für vier namentlich genannte Institutionen, Nordrhein-Westfalen zählt zu den wissenschaftlichen Hochschulen ausdrücklich die Universitäten, die TH Aachen, die Pädagogischen Hochschulen und die Sporthochschule Köln, Rheinland-Pfalz verfährt ähnlich und nennt neben zwei Universitäten die Erziehungswissenschaftliche Hochschule und die Hochschule für Verwaltungswissenschaft. Das HRG verzichtet auf die Definition der wissenschaftlichen Hochschule und verweist in seinem § 1 auf das jeweils anzuwendende Landesrecht. Traditionell ist die deutsche Universität durch folgende Merkmale gekennzeichnet: 1. Einheit von Forschung und Lehre, 2. Berücksichtigung der gesamten Breite der Natur- und Geisteswissenschaften an jeder Universität, 3. körperschaftliche Rechtsstruktur mit der darauf beruhenden Autonomie. Im Zuge der Ausdehnung des Universitätsbegriffs ist das zweite Wesensmerkmal beseitigt worden. Da der Universalitätsanspruch im Grunde genommen niemals ganz erfüllt wurde, erscheint auch der Verzicht auf ihn nicht als grundlegender Wandel des deutschen Hochschulrechts. Schwerwiegender ist die im Verlauf der Debatte über die Hochschulreform wiederholt aufgetauchte Vermutung, daß auch das erste Wesensmerkmal der deutschen Universität durch die Hochschulreform bedroht wird. Nach anfänglicher Unsicherheit hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die Einheit von Forschung und Lehre aufrechterhalten werden muß, weil sie verfassungsrechtlich abgesichert ist22

Vgl. D. Küchenhoff, DÖV1964, S. 601f f . ; U. Wussow, WissR 1980, S. 1 ff.

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2. Verfassungsrechtliche Grundlagen Das Hochschulwesen gehört zur Gesetzgebungskompetenz der Länder; der Bund kann gemäß Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 a G G die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens regeln. In Ausübung dieser Rahmenkompetenz, die durch die 22. Änderung des G G vom 12. Mai 1969 (BGBl. I, S. 363) geschaffen worden war, erging das H R G vom 12. Dezember 1974, das am 27. Januar 1976 in Kraft trat (BGBl. I, S. 185). Die Zuständigkeit des Bundes zur Rahmengesetzgebung gemäß Art. 75 Nr. 1 a GG bezieht sich nicht nur auf die wissenschaftlichen Hochschulen, sondern auf Hochschulen aller Art. Der Hochschulgesetzgebung des Bundes sind „in vierfacher Hinsicht normative Grenzen gesetzt: sie kann nur einen Rahmen im Sinne der Rahmengesetzgebung des G G darstellen; dieser Rahmen darf nur so weit reichen, als ein .Bedürfnis' im Sinne des Art. 72 GG besteht; durch ein Rahmengesetz dürfen nur G r u n d sätze' für das Hochschulwesen erlassen werden; diese Grundsätze wiederum dürfen nur .allgemeiner' Natur sein" 3 . Die verfassungsmäßige Sicherung der Eigenart der wissenschaftlichen Hochschulen wird in Art. 5 Abs. 3 G G und den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen (Art. 138 Abs. 2 Satz 1 der Bayer. Verf., Art. 20 Abs. 2 der Bad.-Württ. Verf., Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Hess. Verf., Art. 16 Abs. 1 der Nordrh.-Westf. Verf., Art. 39 Abs. 1 Satz 1 der Rheinl.-Pfälz. Verf.) gesehen. Das dort normierte Grundrecht der Lehrfreiheit weist einen historischen Zusammenhang mit der liberalen Universitätsidee auf, von der die deutsche Universität geprägt worden ist4. Aus dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 GG ist nach h. M. eine institutionelle Garantie der Wissenschaftsfreiheit abzuleiten. Sie bedeutet „die Gewährleistung einer von staatlicher Einwirkung freien Sphäre der Wissenschaft" 5 , die „Garantie für den Bestandszusammenhang von Wissenschaftspflege und der für sie üblichen Institution der Universität" 6 . Jedoch schreibt Art. 5 Abs. 3 G G keine bestimmte Rechtsgestalt der Universität vor. 3. Die Rechtsgestalt der staatlichen Hochschulen Nach einer älteren Lehre sind die staatlichen Hochschulen Anstalten des öffentlichen Rechts 7 . Doch bereits unter der Geltung der WRV setzte sich immer mehr die Auffassung durch, daß die Universitäten und Technischen Hochschulen unter der Geltung einer rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung Körperschaften des öffentlichen Rechts sein müßten. Die ältesten deut3 4 5 6 7

Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Rdnr. 28 a zu Art. 75. Vgl. R. Thoma, Die Lehrfreiheit der Hochschullehrer RuSt 166, 1952. Thieme, Dt. HochschulR, S. 108. F. Mayer, Von der Rechtsnatur der Universität, S. 27 f. Otto Mayer, VwR II, 3. Aufl. 1924, S. 338; W. Jellinek, VwR, S. 521; Laforet, Dt. VwR, 1937, S. 197; Peters, VwR, S.413; v. Turegg, VwR, 2. Aufl., 1954, S.409; Forsthoff, VwR I, 10. Aufl., S. 489.

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sehen Universitäten hatten diese Rechtsform bereits im Mittelalter besessen und erst im Zeitalter des Absolutismus verloren. Markanter Ausdruck der absolutistischen Universitätsauffassung war § 1 II 12 des Preußischen ALR von 1794, das Universitäten wie Schulen als „Veranstaltungen des Staates" bezeichnete. Unter der Geltung der WRV war darauf hingewiesen worden, daß die deutsche Universität nach „herkömmlichem" Recht eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei8. Zu dieser Auffassung bekennt sich heute die h. M.9. Das HRG und die Hochschulgesetze der Länder bezeichnen die wissenschaftlichen Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. § 58 HRG fügt hinzu, daß die Hochschulen zugleich „staatliche Einrichtigungen" seien. Die körperschaftliche Rechtsnatur der Hochschulen wird dadurch nicht berührt. In der Literatur ist allerdings von einer „dualistischen Konzeption" gesprochen worden. Mit Recht wird diesem Gedanken entgegengehalten: „Eine Anstalt mit Rechten einer Körperschaft ist keine Anstalt mehr (so wenig wie ein Esel ein Kamel ist). Beides sind Rechtsformen, die einander ausschließen. Es wäre auch nichts gewonnen, wenn man ganz unscharf sagt, die Universität sei eine Anstalt mit körperschaftlichem, oder eine Körperschaft mit anstaltlichem Einschlag oder gar Charakter" 10 . Die Tatsache, daß die Sach- und Personalmittel der wissenschaftlichen Hochschule vom Staat zur Verfügung gestellt und verwaltet werden, kann die Rechtsnatur der wissenschaftlichen Hochschule als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht beeinträchtigen. „Die Universität ist nicht Teil der Verwaltungsorganisation des Staates, nicht eine dem Ministerium nachgeordnete Staatsbehörde" 11 .

III. Nichtstaatliche Hochschulen 1. Allgemeine Rechtsgrundlagen Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen private wissenschaftliche Hochschulen eine große Rolle spielen, zeichnete sich das deutsche Universitätswesen dadurch aus, daß sämtliche Universitäten staatlich waren. Es wurde als selbstverständlich angesehen, daß nur der Staat berechtigt war, wissenschaftliche Hochschulen zu gründen und zu erhalten. Geht man allerdings in der deutschen Universitätsgeschichte weiter zurück, so findet man, daß die 8

9 10 11

Vgl. Gerber, Von der Universität als wissenschaftlicher Gemeinde, Marburg 1927; Gerber, Die Rechtsgestalt der Universität im Zusammenhang des staatlichen Lebens, Stuttgart 1933; Hubrich, AöR 38 (1918), S. 219ff.; Röttgen, Deutsches Universitätsrecht, Tübingen 1933. Vgl. Kimminich, Die Rechtsgestalt der Hochschulen, in: HdW, Bd. 1, S. 141 ff. H. J. Wolff, Die Rechtsgestalt der Universität, 1956, S. 19. F. Mayer, Von der Rechtsnatur der Universität, 1967, S. 34.

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ältesten Einrichtungen, die zumindest als Vorläufer der deutschen Universität gelten können, kirchliche Gründungen waren. Das Recht der Kirchen, Hochschulen zu gründen und zu erhalten, wurde vom Staat auch in der Neuzeit respektiert, allerdings mit der Maßgabe, daß die kirchlichen Hochschulen erst nach staatlicher Anerkennung akademische Titel verleihen durften. So war im Grunde genommen das staatliche „Hochschulmonopol" zu keiner Zeit perfekt. Jedoch wurde die Problematik nichtstaatlicher wissenschaftlicher Hochschulen lange Zeit überhaupt nicht erörtert. Auch die meisten der geltenden Hochschulgesetze stellen ohne weiteres fest, daß die wissenschaftlichen Hochschulen zugleich Einrichtungen des Staates seien. So kommt Oppermann bezüglich des deutschen Hochschulwesens zu dem Ergebnis, „daß von einer unwiderruflichen Entscheidung für seine Staatlichkeit ausgegangen werden kann" 12 . Nach der heute durchaus herrschenden Meinung kann jedoch nicht mehr von einem staatlichen Hochschulmonopol gesprochen werden. Zwar hat das BVerfG in mehreren Entscheidungen das staatliche Hochschulmonopol erwähnt, aber es hat dafür niemals eine verfassungsrechtliche Grundlage oder Richtlinie herangezogen. Vielmehr stellte es im Urteil vom 18. Juli 1972 fest, der Staat habe im Bereich des Hochschulwesens „ein faktisches, nicht beliebig aufgebbares Monopol" 13 . Die Formulierung im Urteil vom 29. Mai 1973 ist noch vorsichtiger. Dort weist das BVerfG zunächst nur darauf hin, daß „ohne eine geeignete Organisation und ohne entsprechende finanzielle Mittel über die im wesentlichen nur noch der Staat verfügt, heute in weiten Bereichen der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften keine unabhängige Forschung und wissenschaftliche Lehre mehr betrieben werden kann", und fügt dann hinzu: „Der Staat besitzt hinsichtlich dieses Wissenschaftsbetriebs heute weithin ein faktisches Monopol" 14 . Über die Faktizität dieses Monopols besteht kein Streit. Vom juristischen Standpunkt ist aber allein die Frage von Interesse, ob die Brechung des faktischen Hochschulmonopols des Staates verfassungswidrig ist oder nicht. Das G G hat zur Frage der Zulässigkeit nichtstaatlicher wissenschaftlicher Hochschulen nicht Stellung genommen. Die Garantie der Privatschulfreiheit in Art. 7 Abs. 4 GG bezieht sich nicht auf die wissenschaftlichen Hochschulen, da diese keine Schulen im Sinne des G G sind. Andererseits findet sich im G G keine Bestimmung, welche die Errichtung privater wissenschaftlicher Hochschulen verbietet. Art. 5 Abs. 3 GG, aus dem sich nach absolut herrschender Meinung auch die Leitlinien für die Organisation der wissenschaftlichen Hochschulen ergeben, will die Freiheit der Wissenschaft vom Staat garantieren. Dabei mag argumentiert werden, daß die Sicherung einer staatsfreien Sphäre für eine staatliche Einrichtung besonders problematisch ist, und daß deshalb Art. 5 Abs. 3 GG. Eine besondere Bedeutung für die wissenschaftli12 13 14

Oppermann, KulturverwaltungsR, 1969, S. 320.

BVerfGE 33, 321 ff. BVerfGE 35, 115.

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chen Hochschulen, die „zugleich" staatliche Einrichtungen sind. Jedoch kann hieraus nicht geschlossen werden, daß Art. 5 Abs. 3 G G nichtstaatliche Hochschulen verbietet. Mit Recht kommt daher die h. M. zu dem Ergebnis: „aus dem GG läßt sich ein staatliches Hochschulmonopol nicht ableiten" 15 . Das H R G gestattet den Ländern, nichtstaatliche Hochschulen zuzulassen, wenn bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllt werden 16 . Die geltenden Hochschulgesetze der Länder bedienen sich unterschiedlicher Systeme. Da sie in der Regel das Enumerationsprinzip verwenden, um den Geltungsbereich des jeweiligen Hochschulgesetzes eindeutig zu bestimmen, müssen sie bereits aus diesem Anlaß zur Frage der nichtstaatlichen wissenschaftlichen Hochschulen Stellung nehmen. Die Aufführung einer nichtstaatlichen wissenschaftlichen Hochschule in der Liste derjenigen Einrichtungen, für die das betreffende Gesetz gilt, würde bereits die Anerkennung bedeuten. Ein solcher Fall läßt sich im geltenden Hochschulrecht nicht nachweisen. Das baden-württembergische UniversitätsG vom 22. November 1977 zählt nur staatliche wissenschaftliche Hochschulen auf und fügt dann hinzu: „Die Bezeichnung Universität darf von anderen als den in § 1 aufgeführten Bildungseinrichtungen nur aufgrund eines Gesetzes geführt werden. Im übrigen darf eine auf eine Universität hinweisende Bezeichnung nur mit Zustimmung des Kultusministeriums geführt werden." Alle Länder, mit Ausnahme von Bremen, berücksichtigen die nichtstaatlichen Hochschulen in ihren Hochschulgesetzen bzw. Fachhochschulgesetzen 17 . Die Bundeswehrhochschulen werden in dieses System einbezogen. Vom Standpunkt der Hochschulgesetze der Länder gelten sie als nichtstaatliche Hochschulen 18 .

2. Kirchliche Hochschulen Die Hochschulen der Religionsgemeinschaften (evangelische und katholische kirchliche Hochschulen und die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg) sind nichtstaatliche wissenschaftliche Hochschulen. Das H R G erwähnt sie nicht eigens, von den Ländergesetzen widmet ihnen nur das Bayer. HochschulG einen eigenen Artikel (Art. 97), dessen erster Satz lautet: „Das Recht der Kirchen, ihre Geistlichen auf eigenen kirchlichen Hochschulen (einschl. Ordenshochschulen) aus- und fortzubilden, bleibt unberührt." Studiengänge, die nicht oder nicht nur die Aus- und Fortbildung von Geistlichen zum Gegenstand haben, können an kirchlichen Hochschulen nur auf15 16 17

18

Flämig, WissR 1975, S. 5. § 70 HRG. Baden-Württemberg: § 128 UG; Bayern: Art. 91-99 HSchG; Berlin: §§ 163-167 HG; Hamburg: § 1 IV HG; Hessen: § 2 III HG; Niedersachsen: §§ 126-133 HG; Nordhrein-Westfalen: §§114-118 WissHG; Rheinland-Pfalz: §§115-117 HochSchG; Saarland: §§ 81-85 Gesetz Nr. 1096 über die Fachhochschule des Saarlandes; Schleswig-Holstein: §§ 106-112 HSG. Vgl. Art. 96 BayHSchG und § 143 des Hamburgischen HochschulG.

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grund staatlicher Anerkennung eingerichtet werden; die Anerkennung beschränkt sich auf diese Studiengänge (Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG). a) Katholische

kirchliche Hochschulen:

Das katholische Kirchenrecht for-

dert, daß jede Diözese eine eigene Ausbildungsstätte für den Priesternachwuchs besitzt. Diese Ausbildungsstätte kann als theologische Fakultät an einer staatlichen wissenschaftlichen Hochschule bestehen, sie kann aber auch eine eigene Hochschule bilden. Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen des Staates unterliegen den allgemeinen Hochschulgesetzen, doch sichern Konkordate der katholischen Kirche ein Mitwirkungsrecht bei der Besetzung der Lehrstühle. Die Zulässigkeit solcher „staatsvertragsgebundener Ämter" („Konkordatslehrstühle") hängt davon ab, ob der Staat von Verfassungs wegen eine derartige völkerrechtliche Verpflichtung eingehen durfte und dabei die ihm durch die Verfassung gesetzten Grenzen beachtet hat. Diese Frage ist für das Verhältnis zwischen dem Bayer. Konkordat vom 4.9. 1974 und der Bayer. Verf. ausdrücklich bejaht worden 19 . Ferner bestimmt Art. 19 des Reichskonkordats vom 12. September 1933 (RGBl. 1933 II, S. 679), daß sich das Verhältnis der katholisch-theologischen Fakultäten zu den kirchlichen Behörden „nach den in den einschlägigen Konkordaten und dazugehörigen Schlußprotokollen festgelegten Bestimmungen unter Beachtung der einschlägigen kirchlichen Vorschriften" regelt. Zur Erläuterung verweist das Schlußprotokoll des Konkordats auf die Apostolische Konstitution „Deus scientiarum Dominus" vom 24. Mai 1931. Nach dem II. Vatikanischen Konzil ist eine Reform des kirchlichen Hochschulrechts eingeleitet worden, die ihren Abschluß in der Studienbulle Sapientia Christiana vom 15. April 1979 fand 20 . Nach h. L. findet Art. 19 des Reichskonkordats auch in den Fällen Anwendung, in denen kein Länderkonkordat abgeschlossen worden ist. Entziehen die zuständigen kirchlichen Behörden dem Inhaber eines theologischen Lehrstuhls an einer staatlichen Hochschule die kirchliche Lehrbefugnis (Missio canonica) so verliert der Betreffende zwar weder den Lehrstuhl noch seine beamtenrechtliche Position, aber seine Lehrveranstaltungen werden im Rahmen der Vorbereitung auf das kirchliche Lehramt nicht mehr anerkannt. Um die Vollständigkeit des Lehrangebots zu gewährleisten, muß daher der Staat für einen Ausgleich durch Schaffung eines neuen Lehrstuhls sorgen21. Art. 20 des Reichskonkordats von 1933 bestätigt das Recht der Kirche, „philosophische und theologische Lehranstalten" zu errichten. Dieses Recht ist in verschiedenen Länderverfassungen bekräftigt worden 22 . Die Bayer. Verf 19 20

21 22

BayVerfGH, Entscheidung vom 11.4. 1980, BayVBl. 1980, S. 462 ff. Hierzu Baldus, Die Reform des Hochschulrechts in der katholischen Kirche, in: Hochschulen der Religionsgemeinschaften, Beiheft 8 zu WissR, Tübingen 1983, S. 46 ff. Vgl. Scheuner, Rechtsfolgen der konkordatsrechtlichen Beanstandung eines katholischen Theologen, Berlin 1981. Art. 150 Abs. 1 der Bayer. Verf., Art. 42 der Rheinland-Pfälzischen Verf., Art. 36 der Verf. des Saarlandes, Art. 16 Abs. 2 der Nordrhein-Westf. Verf.

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betont an anderer Stelle (Art. 138 Abs. 1) noch ausdrücklich, daß es sich hierbei um eine Ausnahme vom staatlichen Hochschulmonopol handelt. Art. 60 Abs. 3 der Hessischen Verf, der nur die „kirchlichen theologischen Bildungsanstalten" anerkennt, ist ebenfalls von Anfang an als Durchbrechung des staatlichen Hochschulmonopols angesehen worden 23 . Hinsichtlich der übrigen Länder war die Begründung des Rechts der Kirche auf Errichtung und Unterhaltung wissenschaftlicher Hochschulen schwieriger, solange am staatlichen Hochschulmonopol festgehalten wurde. Aber schon die Tatsache, daß sich solche Hochschulen auch in solchen Ländern befinden, die in ihrer Verfassung das staatliche Hochschulmonopol nicht ausdrücklich zugunsten der kirchlichen Hochschulfähigkeit durchbrechen, zeigt, daß in Wirklichkeit ein solches Monopol niemals von Rechts wegen bestand. Aus diesem Grund sind die Länder zu keiner Zeit der Entwicklung eines eigenständigen kirchlichen Hochschulwesens unter Berufung auf das staatliche Hochschulmonopol entgegengetreten. Die von der katholischen Kirche unterhaltenen Hochschulen führen in der Regel die Bezeichnung „Philosophisch-theologische Hochschule" und sind wissenschaftliche Hochschulen i. S. des deutschen Hochschulrechts. Ihre Verwaltung obliegt jedoch naturgemäß nicht staatlichen, sondern kirchlichen Behörden. Sie unterstehen der Aufsicht des zuständigen Bischofs. Eine kirchliche Hochschule, nämlich die Universität Eichstätt, hat eine besondere Rechtsform erhalten: sie ist eine Stiftung des Öffentlichen Rechts. b) Evangelische kirchliche Hochschulen: Für den Bereich der Evangelischen Kirche Deutschlands ist die Rechtslage grundlegend anders als für den der katholischen Kirche. In den evangelischen Kirchenverträgen der Weimarer Zeit wurde unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die Ausbildung der Theologen staatlichen Hochschulen vorbehalten ist. Doch wurde der Gedanke kirchlicher Hochschulen bereits um die Jahrhundertwende von Friedrich von Bodelschwingh vertreten. Seiner Verwirklichung dient der 1905 gegründete „Verein zur Gründung und Unterhaltung einer praktischen theologischen Schule in Bethel". Gegenwärtig bestehen evangelische kirchliche Hochschulen in Berlin, Bethel, Wuppertal und Neuendettelsau, die jeweils der betreffenden Landeskirche zugeordnet sind. Hinzu kommt die von einer evangelischen Freikirche getragene Lutherische Theologische Hochschule Oberursel. Abgesehen von der Kirchlichen Hochschule Berlin haben die Hochschulen der evangelischen Kirche, auch dann, wenn sie ein theologisches Vollstudium anbieten, im wesentlichen die Aufgabe, die Ausbildung von Theologen an den staatlichen evangelisch-theologischen Fakultäten zu ergänzen 24 .

23 24

Mikat, GRe IV/1, S. 213, Anm. 432. Vgl. Solte, Die evangelischen kirchlichen Hochschulen in der neueren Rechtsentwicklung, in: Hochschulen der Religionsgemeinschaften, Beiheft 8 zu WissR 1983, S. 1 ff.

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3. Hochschulen anderer Träger Obwohl die Errichtung privater wissenschaftlicher Hochschulen - mit Genehmigung des zuständigen Kultusministers - zulässig ist, sind solche Einrichtungen selten. Zu nennen sind insbesondere: a) Die Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt. Sie wurde gemeinsam vom Land Hessen und von der Gesellschaft für pädagogische Tatsachenforschung und weiterführende pädagogische Studien e.V. in der Rechtsform einer selbständigen Stiftung des öffentlichen Rechts gegründet. b) Die Hochschulen fiir Politik: Die erste Einrichtung dieser Art war die 1920 als eingetragener Verein in Berlin gegründete Deutsche Hochschule für Politik, die 1958 als „Otto-Suhr-Institut" in die Freie Universität Berlin eingegliedert wurde. In München wurde 1950 die Hochschule für Politische Wissenschaften als eingetragener Verein gegründet. Gemäß Art. 1 des Gesetzes vom 27. 10. 197025 trägt sie nunmehr die Bezeichnung „Hochschule für Politik München" und ist „eine institutionell selbständige Einrichtung an der Universität München". c) Die Sozialakademien in Frankfurt, Dortmund und Hamburg: Die Sozialakademie Frankfurt setzt die Tradition der 1921 gegründeten Akademie der Arbeit fort. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie vom DGB zusammen mit dem Hessischen Minister für Arbeit, Landwirtschaft und Wirtschaft als Stiftung neu errichtet. Die Sozialakademie Dortmund wurde 1947 durch eine Vereinbarung zwischen dem Land Nordhrein-Westfalen, der Stadt Dortmund und dem DGB gegründet. 1953 wurde sie als staatliche Anstalt der Aufsicht des Kultusministers unterstellt; in ihrem Kuratorium sind aber die Stadt Dortmund und der DGB noch vertreten. d) Die Freien Hochschulen26: Am 13. 7. 1982 wurde die Universität Witten/ Herdecke vom Land Nordhrein-Westfalen als nichtstaatliche wissenschaftliche Hochschule („Universität in freier Trägerschaft") anerkannt. Sie nahm den Lehrbetrieb im SS 1983 zunächst für die medizinischen Fächer auf. Die Erweiterung auf weitere natur- und geisteswissenschaftliche Fächer ist ab 1984 vorgesehen. Träger der Universität ist der Universitätsverein Witten/ Herdecke e.V. - Eine fachlich begrenzte private Universität plant die IHK Koblenz für den Führungsnachwuchs der Wirtschaft. Das Studium der Wirtschaftswissenschaften soll dort im Herbst 1984 aufgenommen werden können. e) Die Hochschulen der Bundeswehr in Hamburg und München werden nach den Landesgesetzen als nichtstaatliche wissenschaftliche Hochschulen behandelt, obwohl sie einen staatlichen Träger haben, nämlich den Bund. Da die Errichtung und der Betrieb von wissenschaftlichen Hochschulen Sache der Länder ist, mußte der Bund mit dem Freistaat Bayern und der Freien und 25 26

GVB1. Bayern 1970, S. 495. Vgl. Bourmer, Privatinitiative contra staatliches Monopol; Die Freie Medizinische Hochschule - Ausweg oder Irrweg?, Das Parlament 1976, 35/36, S. 13.

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Hansestadt Hamburg jeweils ein Abkommen über die Errichtung einer wissenschaftlichen Hochschule für Soldaten der Bundeswehr abschließen. Beide Länder haben die Bundeswehr-Hochschule in den Geltungsbereich ihrer HochschulG einbezogen (Art. 96 BayHSchG 1973, § 143 HmbHG) 27 .

IV. Verwaltung und Organisation der staatlichen Hochschulen 1. Recht auf Selbstverwaltung Aus dem Wesen der wissenschaftlichen Hochschule und aus ihrer Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts wird nach h. M. ein durch Art. 5 Abs. 3 GG gesichertes Recht auf Selbstverwaltung abgeleitet. Es besteht auch ohne ausdrückliche Normierung in den betreffenden Landesverfassungen. Das BVerfG erklärte hierzu im Urteil vom 29. Mai 1973: „Der wesentliche Inhalt eines solchen .Grundrechts', nämlich die Selbstverwaltung im .akademischen', d. h. dem auf Forschung und Lehre unmittelbar bezogenen Bereich, besteht faktisch unangefochten, ist in den HochschulG anerkannt und in den meisten Länderverfassungen ausdrücklich garantiert" 28 . Der Umfang des Selbstverwaltungsrechts ergibt sich aus den Funktionen der wissenschaftlichen Hochschule. Soweit Landesverfassungen das Selbstverwaltungsrecht der Universität ausdrücklich normieren, wie die Nordrhein-Westfälische Verf. in Art. 16 Abs. 1 und die Bayer. Verf. in Art. 138 Abs. 2, wird auf die Grenzen ebenso ausdrücklich verwiesen. Die Funktionen der wissenschaftlichen Hochschule werden mit dem Schlagwort „Forschung und Lehre" umrissen. Maßgeblich ist dabei, daß die wissenschaftliche Hochschule durch die Einheit von Forschung und Lehre gekennzeichnet ist29. Die Rechtslage wird dadurch kompliziert, daß den deutschen wissenschaftlichen Hochschulen eine wesentliche Grundlage der Selbstverwaltung, nämlich die Finanzhoheit, seit jeher gefehlt hat. Die deutschen Universitäten hatten zwar bereits im 19. Jh. die geistige Freiheit vom Staat erlangt, nicht jedoch die finanzielle Freiheit. Zwar sind die wissenschaftlichen Hochschulen der Gegenwart ebenso wie die traditionellen deutschen Universitäten als juristische Personen des öffentlichen Rechts vermögensfähig. Aber in der Praxis sind sie fast ausschließlich auf Finanzzuweisungen in den öffentlichen Haushalten angewiesen. Diese finanzielle Abhängigkeit einer mit dem verfassungsmäßig abgesicherten Recht der Selbstverwaltung ausgestatteten Körper27

28 29

Vgl. Wangemann, Die Verwaltung der Hochschule der Bundeswehr und das Problem ihrer Integration in eine Gesamthochschule, WissR 1975, S. 37ff.; Thomas Weise, Die Hochschulen der Bundeswehr als Körperschaften des öffentlichen Rechts, WissR 1978, S. 244ff. BVerfGE 35, 116. Vgl. Wussow, WissR 1980. S. 1 ff.

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schaft von den Zuwendungen der öffentlichen Hand bewirkt ein kompliziertes Nebeneinander von Selbstverwaltung und Staatsverwaltung an den wissenschaftlichen Hochschulen. 2. Das Nebeneinander von Selbstverwaltung und Staatsverwaltung Diejenigen, die in der wissenschaftlichen Hochschule immer noch anstaltsrechtliche Züge sehen, deuten das Nebeneinander von Selbstverwaltung und Staatsverwaltung in der wissenschaftlichen Hochschule so, daß der Körperschaft eine Anstalt des öffentlichen Rechts zur „Bedarfsverwaltung" zugeordnet ist30. Diese Rechtskonstruktion ist aber nur dann erforderlich, wenn sich an der Finanzierung einer Universität andere Rechtspersonen neben dem betreffenden Bundesland beteiligen (z. B. eine Stadt oder eine Stiftung). Soweit ein Land der Bundesrepublik eine wissenschaftliche Hochschule allein unterhält - was der Regelfall ist - , ist die Gründung einer eigenen Anstalt zum alleinigen Zweck der Bedarfsdeckung der wissenschaftlichen Hochschule nicht nötig 31 . Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen jener innerhalb der wissenschaftlichen Hochschule tätigen unmittelbaren Staatsverwaltung und der Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschule hat der Rechtslehre Schwierigkeiten bereitet 32 . Weithin gebräuchlich ist die Formel, daß die „akademischen" Angelegenheiten zur Selbstverwaltung gehören, die übrigen zur Staatsverwaltung in der Universität. Dadurch wird jedoch nur das Problem auf die Definition der „akademischen Angelegenheiten" verlagert. Daher empfiehlt es sich, von dem in den Gesetzen und in der Rechtsprechung des BVerfG verwendeten Begriff „Forschung und Lehre" auszugehen. Soweit es sich um den Inhalt von Forschung und Lehre handelt, ist damit von vornherein keine Verwaltungstätigkeit verbunden. Daher können Forschung und Lehre nicht das Wesen der Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschule ausmachen, weil sie nicht Verwaltung sind. Forschung und Lehre bedürfen jedoch auch einer Organisation. Diese ist der Gegenstand der Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschule. Demnach gehören zum Bereich der Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschule die Zusammensetzung des Lehrkörpers, die Anstellung von wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Dienstkräften, die Aufstellung des Semesterstundenplans, die Abhaltung von Prüfungen. Aber auch in allen diesen Bereichen kann die wissenschaftliche Hochschule nicht selbständig tätig werden, soweit die von ihr gesetzten Rechtsakte Bestandteil einer staatlich geregelten Berufsausbildung sind. Vielmehr muß sie bei der Setzung dieser Rechtsakte die von den zuständigen Behörden erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften beachten. So muß z. B. jeder Semesterstun30 31 32

So Wolff/ Bachof, VwR II, 4. Aufl., S. 300. Ebenso Dallinger, in: Daliinger/Bode/ Dellian, H R G , 1978, Rdnr. 3 - 5 zu § 58. Vgl. Reinhardt, WissR 1968, S. 6ff.; Zum gegenwärtigen Stand Oppermann / Doderer, Selbstverwaltung und staatliche Verwaltung, in: HdW, Bd. 1, S. 251 ff.

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denplan einer juristischen Fakultät so aufgestellt werden, daß das Referendarexamen nach der Absolvierung der von der Justizausbildungs- und Prüfungsordnung vorgeschriebenen Mindestzahl von Semestern abgelegt werden kann. Das H R G enthält zwar einen Abschnitt mit der Überschrift „Selbstverwaltung und Staatsverwaltung" (§§ 58-60 HRG), regelt dort aber nur die Rechtsstellung der Hochschule (§ 58), die Aufsicht (§ 59) und das Zusammenwirken von Land und Hochschule (§ 60). Nur mittelbar ergibt sich aus § 59 H R G eine Aussage über die Unterscheidung zwischen Selbstverwaltung und Staatsverwaltung an den wissenschaftlichen Hochschulen, weil dort Gegenstände aufgezählt sind, die der „weitergehenden Aufsicht" des Staates unterliegen. Es handelt sich vor allem um die Wirtschaftsverwaltung, die fast ausschließlich Staatsverwaltung ist. Verfügungen über Vermögenswerte, die im Eigentum der wissenschaftlichen Hochschule stehen, oder über Einkünfte, die der wissenschaftlichen Hochschule nicht aus einem öffentlichen Haushalt zufließen, gehören zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten. Alle anderen Vermögensverfügungen und Entscheidungen in finanziellen Angelegenheiten können nur dann zum Bereich der Selbstverwaltung gehören, wenn der Staat als Geldgeber dies ausdrücklich gestattet. Gelegentlich ist deshalb für die Abgrenzung der Kompetenzen der Selbstverwaltung von demjenigen der Staatsverwaltung an der wissenschaftlichen Hochschule die Formel empfohlen worden, daß alles, was Geld kostet, zum Bereich der Staatsverwaltung gehört, alles andere dagegen zur Selbstverwaltung. Mit der Einschränkung, daß der staatliche Geldgeber den Selbstverwaltungsorganen der wissenschaftlichen Hochschule selbstverständlich auch das Recht der Einzelverteilung global zugewiesener Mittel zugestehen kann, ist diese Formel richtig. Der Vollzug des Haushalts ist stets Sache der Staatsverwaltung. 3. Die Organisation der Selbstverwaltung a) Rektoratssystem: Im Rektoratssystem steht an der Spitze der Selbstverwaltung der Universität ein aus dem Kreis der Lehrstuhlinhaber für eine bestimmte Amtsdauer (in der Regel zwei Jahre) gewählter Rektor. Als sein Stellvertreter fungiert der Prorektor, in der Regel sein Amtsvorgänger. Zur weiteren Entlastung von Rektor und Prorektor können die Hochschulsatzungen die Wahl weiterer Rektoren oder Prorektoren vorsehen. b) Präsidialverfassung: Einige Hochschulgesetze (§ 11 des baden-württembergischen UniversitätsG vom 22. 11. 1977) überlassen den wissenschaftlichen Hochschulen die Wahl zwischen Präsidialverfassung und Rektoratsverfassung. Andere (z. B. das Bayer. HochschulG vom 21. Dezember 1973) schreiben die Präsidialverfassung zwingend vor. Das bayer. HochschulG macht eine Ausnahme nur für Hochschulen mit weniger als 3000 Studenten (Art. 17) und läßt den Hochschulen die Wahl zwischen einem Präsidenten und einem Präsidialkollegium (Art. 12). Die Amtszeiten der Präsidenten sind in den einzelnen Hochschulgesetzen unterschiedlich geregelt; sie sind aber

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durchweg länger als die Amtszeiten der Rektoren in den Universitäten alten Stils. (Beispiele: Hamburg 9 Jahre, Baden-Württemberg 8 Jahre, Bayern 6 Jahre). Im Gegensatz zu den Rektoren bedürfen die Universitätspräsidenten einer Ernennung. Wiederernennung nach Ablauf der Amtszeit ist nach sämtlichen Hochschulgesetzen zulässig. Der Ernennung durch staatliche Stellen geht ein Meinungsbildungsprozeß an der wissenschaftlichen Hochschule voraus. In Hochschulen mit Präsidialverfassung steht der Hochschulpräsident an der Spitze der Selbstverwaltung. In der Person des Präsidenten wird jedoch zugleich eine Verbindung zwischen Selbstverwaltung und Staatsverwaltung hergestellt. Der Präsident erledigt in eigener Zuständigkeit die Geschäfte der laufenden Verwaltung. c) Weitere Selbstverwaltungsorgane: Die übrigen Selbstverwaltungsorgane der Universität (neben Rektor bzw. Hochschulpräsident) haben in den modernen Hochschulgesetzen der Länder unterschiedliche Bezeichnungen erhalten. In der „klassischen" deutschen Universität waren es die Senate und Fakultäten. Zum Teil sind diese Bezeichnungen aufrechterhalten worden, obwohl sich die Zusammensetzung der Gremien grundlegend gewandelt hat. Die Zusammensetzung der Kollegialorgane hat sich überall durch die Aufnahme von Vertretern der übrigen Mitglieder der Körperschaft geändert. Über die Frage, in welchem Verhältnis Lehrstuhlinhaber, Nichtordinarien, Assistenten, Studenten und Dienstkräfte der wissenschaftlichen Hochschulen in den Selbstverwaltungsorganen vertreten sein sollten, wurde in allen Landesparlamenten ausführlich besprochen. Die Öffenlichkeit sah hierin einen Hauptpunkt der Hochschulreform. Das HRG enthält hierzu lediglich eine allgemeine Aussage: „Art und Umfang der Mitwirkung sowie die zahlenmäßige Zusammensetzung der Kollegialorgane, Ausschüsse und sonstigen Gremien bestimmen sich nach deren Aufgaben sowie nach der Qualifikation, Funktion, Verantwortung und Betroffenheit der Mitglieder der Hochschule. Das Verhältnis der Stimmen, über die die Gruppen (Abs. 2) in den zentralen Kollegialorganen und im Fachbereichsrat verfügen, ist durch Gesetz zu regeln" (§ 38 Abs. 1 HRG). Im zweiten Absatz dieser Vorschrift werden die folgenden Gruppen aufgezählt: 1. Professoren, 2. Studenten, 3. wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter sowie Hochschulassistenten, 4. sonstige Mitarbeiter. Im Schrifttum hat sich für die in § 38 HRG skizzierte Organisationsform die Bezeichnung „ Gruppenuniversität" eingebürgert. Das BVerfG hat im Urteil vom 29. Mai 197333 erklärt, daß das organisatorische System der Gruppenuniversität „als solches mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar" sei, daß aber die Organisation der Wissenschaftsverwaltung von den Landesgesetzgebern so gestaltet werden müsse, daß den Hochschullehrern ein „möglichst breiter Raum für freie wissenschaftliche Betätigung" gesichert ist. Dies bedeute u. a., daß bei Entscheidungen, die unmittelbar die Lehre betreffen, der Gruppe der 33

BVerfGE 35, 79. Bestätigt in BVerfGE 43, 242; 47, 327.

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Hochschullehrer „der ihrer besonderen Stellung entsprechende maßgebende Einfluß verbleiben" müsse. Das sei dann der Fall, wenn diese Gruppe über die Hälfte der Stimme verfügt. Bei Entscheidungen, die unmittelbar Fragen der Forschung oder die Berufung der Hochschullehrer betreffen, müsse der Gruppe der Hochschullehrer „ein weitergehender, ausschlaggebender Einfluß vorbehalten bleiben". d) Der Kanzler: Der „leitende Verwaltungsbeamte", der in einer Hochschule mit Rektoratsverfassung die Spitze der an der Hochschule tätigen Staatsverwaltung darstellt, ist in einer Hochschule mit Präsidialverfassung dem Präsidenten nachgeordnet. Der leitende Verwaltungsbeamte trägt in der Regel die Amtsbezeichnung „Kanzler". Die Hochschulen mit Rektoratsverfassung bringen die Verbindung zwischen Selbstverwaltung und Staatsverwaltung dadurch zum Ausdruck, daß sie den Rektor zum Dienstvorgesetzten des Kanzlers machen, andererseits aber den Kanzler auch als Mitglied in die Körperschaft aufnehmen. Damit fällt dem Kanzler in der Rektoratsverfassung die Mittlerrolle zwischen Hochschule und Kultusministerium zu, die in der Präsidialverfassung der Präsident spielt. In beiden Verfassungstypen ist der Kanzler der leitende Beamte der Hochschulverwaltung und Beauftragter für den Haushalt.

4. Die Einheitsverwaltung Die neueren Hochschulgesetze bekennen sich zum Grundsatz der Einheitsverwaltung: ein und derselbe Beamte oder Angestellte nimmt zugleich Selbstverwaltungsangelegenheiten und Angelegenheiten der staatlichen Verwaltung wahr. Wenn Dienstvorgesetzter des Beamten oder Angestellten in jedem Fall der Kanzler ist (so z. B. gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 2 BayHSchG), so erscheint es fraglich, ob in der Praxis noch von einer Selbstverwaltung die Rede sein kann. Die Tatsache, daß der Kanzler und die anderen an der Hochschule hauptberuflich tätigen Beamten, Angestellten und Arbeiter zugleich Mitglieder der Körperschaft sind, ändert ihre dienstrechtliche Stellung nicht. Als Beauftragter für den Haushalt sowie als Dienstvorgesetzter ist der Kanzler nicht an Weisungen der Leitung der Hochschule gebunden. Wenn das System der Verzahnung von Selbstverwaltung und Staatsverwaltung den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 GG gerecht werden soll, muß die Trennung zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und Staatsverwaltungsaufgaben streng durchgeführt werden, auch wenn die Universität als Körperschaft keinen eigenen Verwaltungsapparat besitzt. Bei der Erledigung von Selbstverwaltungsaufgaben durch staatliche Dienstkräfte handelt es sich nicht um eine „Ausleihe" von Dienstkräften aufgrund besonderer Vereinbarungen, sondern um eine automatische Doppelfunktion der Staatsverwaltung an der wissenschaftlichen Hochschule. Im Bereich der Staatsverwaltung erstrecken sich die Weisungsbefugnisse der übergeordneten Behörde (Kultusministerium) auf alle Aspekte der Verwaltungstätigkeit (Rechtmäßigkeit und Zweck-

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mäßigkeit), im Bereich der Selbstverwaltung ist nur die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit im Rahmen der Rechtsaufsicht des Kultusministeriums über die Körperschaft zulässig; Weisungen erteilen hier der Rektor bzw. Präsident und die übrigen Selbstverwaltungsorgane der Universität. 5. Die Aufsicht § 59 H R G unterscheidet zwischen der Rechtsaufsicht und der „weitergehenden Aufsicht" des Staates über die wissenschaftlichen Hochschulen. Diese Formulierungen erinnern an die im Kommunalrecht übliche Unterscheidung zwischen dem eigenen Wirkungskreis (in dem der Staat nur die Rechtsaufsicht ausübt) und dem übertragenen Wirkungskreis (in dem der Staat auch die Fachaufsicht ausübt). Das H R G zählt jedoch nicht alle Bereiche der Hochschulverwaltung auf, die der „weitergehenden Aufsicht" unterliegen, sondern nennt nur einige von ihnen : Personalverwaltung, Wirtschaftsverwaltung, Haushalts- und Finanzverwaltung, Krankenversorgung, Ermittlung der Ausbildungskapazität und Festsetzung von Zulassungszahlen. Daß die Aufzählung nicht abschließend ist, ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „insbesondere" in § 59 Abs. 2 HRG. Das baden-württembergische UniversitätsG vom 22. November 1977 unterscheidet in seinem § 124 ausdrücklich zwischen der Rechtsaufsicht und der Fachaufsicht über die Universitäten. Die Gegenstände der Fachaufsicht werden dabei in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 2 H R G aufgezählt. Das bayer. HochschulG erklärt in Art. 4 Abs. 1: „Die Hochschulen nehmen eigene Angelegenheiten als Körperschaften (Körperschaftsangelegenheiten), staatliche Angelegenheiten als staatliche Einrichtungen wahr". In Körperschaftsangelegenheiten stehen die Hochschulen gemäß Art. 100 BayHSchG unter der Aufsicht des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Die Aufsicht über die Wahrnehmung der staatlichen Angelegenheit richtet sich nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Vorschriften. In der Literatur ist dagegen eingewendet worden, daß die Einfügung der Universität in das System von Rechts- und Staatsaufsicht dem Wesen der Universität nicht gerecht werde; denn die Universität übt eine „von der allgemeinen Staatsgewalt zu unterscheidende Hoheitsgewalt aus" 34 . Aufgrund solcher Überlegungen wird eine „differenzierende Regelung" gefordert, „die dem Wissenschaftsbezug der im einzelnen jeweils betroffenen konkreten Fachbereiche Rechnung trägt. Die gegenwärtigen Hochschulgesetze tragen dem nicht hinreichend Rechnung. Sie zwängen die Beziehungen zwischen Staat und Hochschule in das grobe Raster der Alternative von Rechts- oder Fachaufsicht, die durch die vielfältigen und in ihrer Systematik nicht leicht zu durchschauenden speziellen Bestimmungskompetenzen nur unzulänglich aufgelockert wird" 35 . 34 35

Oppermann, KulturverwaltungsR 1969, S. 324. D. Lorenz, WissR 1978, S. 6. Ebenso Hailbronner, in: Großkreutz / Hailbronner / Ipsen / Walter, Kommentar zum HRG, Rdnr. 8 zu § 58.

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Da aber die Universität insgesamt keine Finanzhoheit besitzt, nützen die aus dem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit abgeleiteten Beschränkungen der staatlichen Aufsichtsbefugnisse gegenüber den wissenschaftlichen Hochschulen wenig. Mit Recht betont daher Bachof: „Die Beschränkung staatlicher Aufsichtsbefugnisse in akademischen Angelegenheiten wird weitgehend unterlaufen durch die Abhängigkeit der Hochschulen von staatlicher Finanzierung, mittels derer sich nahezu alle Hochschulbereiche umfassend steuern lassen" 36 .

V. Wissenschaftliches Personal 1. Professoren Gemäß § 42 HRG besteht das hauptberuflich tätige wissenschaftliche Personal aus Professoren, Hochschulassistenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und „Lehrkräften für besondere Aufgaben". Die traditionelle Unterscheidung zwischen ordentlichen Professoren (Ordinarien) und außerordentlichen Professoren (Extraordinarien) ist damit ebenso hinfallig geworden wie die Zusammenfassung aller Hochschullehrer, die nicht Lehrstuhlinhaber sind, unter der Bezeichnung „Nichtordinarien". Jedoch ist damit keineswegs Klarheit in bezug auf die Personalstruktur der wissenschaftlichen Hochschulen geschaffen worden. Vor allem bleibt der Unterschied zwischen beamtenrechtlichem und korporationsrechtlichem Status von Bedeutung. Letzterer ergibt sich aus der Stellung des Professors als Mitglied der Universität, also einer Körperschaft des öffentlichen Rechts37. Das BVerfG legt seiner Rechtsprechung den „materiellen Hochschullehrerbegriff' zugrunde, der sich an der Funktion orientiert. Danach ist Hochschullehrer der „akademische Forscher und Lehrer, der aufgrund der Habilitation oder eines sonstigen Qualifikationsbeweises mit der selbständigen Vertretung eines wissenschaftlichen Faches in Forschung und Lehre betraut ist"38. In Fortführung dieser Rechtsprechung hat das BVerfG in seinem Beschluß vom 29. Juni 1983 festgestellt, daß die undifferenzierte Verwendung des Titels „Professor" im HRG und in den Hochschulgesetzen der Länder wegen Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 5 GG verfassungswidrig ist39. Eine Neuregelung steht z. Zt. noch aus. Voraussetzung für die Berufung in das Hochschullehrerverhältnis ist in der Regel die Habilitation. Durch sie wird die Lehrbefugnis (venia legendi) für ein bestimmtes Fach erworben. Sie erfolgt nach Maßgabe einer Habilitationsordnung. Regelmäßig werden die folgenden Habilitationsleistungen verlangt: 36 37

38 39

Wolf// Bachof, VwR II, 4. Aufl., 1976, S. 306. Vgl. Laubinger, Beamten- und korporationsrechtlicher Status der Professoren, in: HdW, Bd. 1, S. 401 ff. BVerfGE 35, 127; 43, 268; 47, 388. BVerfGE 64, 323.

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Habilitationsschrift, Habilitationsvortrag, wissenschaftliches Kolloquium und Nachweis pädagogischer Fähigkeiten. Die Berufung von Nichthabilitierten in das Hochschullehrerverhältnis ist ausnahmsweise zulässig. § 44 Abs. 1 H R G nennt als Einstellungsvoraussetzung für Professoren „zusätzliche wissenschaftliche Leistungen, die durch eine Habilitation oder durch gleichwertige wissenschaftliche Leistungen, auch in einer Tätigkeit außerhalb des Hochschulbereichs, nachgewiesen worden sind". Honorarprofessoren sind Persönlichkeiten, denen - in der Regel nach einer längeren Tätigkeit als Lehrbeauftragte - der Professorentitel vom Kultusminister auf Antrag der wissenschaftlichen Hochschule verliehen worden ist. Eine Beamtenernennung ist mit dieser Verleihung nicht verbunden. Die Honorarprofessoren sind auch ohne Habilitation berechtigt, Vorlesungen über die in der Ernennungsurkunde jeweils genau bezeichneten Fächer zu halten. 2. Lehrbeauftragte Lehrbeauftragte und Lektoren gehören zum Lehrkörper der wissenschaftlichen Hochschule, nicht aber zu den Hochschullehrern im engeren Sinn. Das H R G regelt die Rechtsstellung der Lehrbeauftragten nicht, sondern erklärt in seinem § 55 lediglich, daß Lehraufträge zur Ergänzung des Lehrangebots erteilt werden können, und daß die Lehrbeauftragten die ihnen übertragenen Lehraufgaben selbständig wahrnehmen, und zwar grundsätzlich gegen Vergütung. Die Bestellung der Lehrbeauftragten erfolgt nach den meisten Hochschulgesetzen durch die wissenschaftliche Hochschule, die dem Kultusministerium darüber Mitteilung zu machen hat. Daraus ist in der Literatur mit Recht geschlossen worden, daß zwischen dem Lehrbeauftragten und der wissenschaftlichen Hochschule ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis besteht 40 . Jedoch steht der Lehrbeauftragte als solcher nicht in einem Beamtenverhältnis. 3. Mittelbau Im Gegensatz zu den Lehrbeauftragten stehen die Akademischen Räte ebenso wie die Studienräte im Hochschuldienst im Beamtenverhältnis. Zusammen mit den Konservatoren und Kustoden bilden sie den sogen. Mittelbau. § 53 H R G faßt alle den wissenschaftlichen Einrichtungen oder den Betriebseinheiten zugeordneten Beamten und Angestellten, denen wissenschaftliche Dienstleistungen obliegen, unter dem Sammelbegriff „wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter" zusammen. 4. Assistenten Die Assistenten unterscheiden sich vom Mittelbau dadurch, daß ihre Tätigkeit nicht als Lebensstellung betrachtet wird, sondern als eine vorübergehende Beschäftigung, die im Regelfall der Vorbereitung auf die wissenschaftliche 40

Vgl. Leinemann/

Seibert, JZ 1971, S. 638ff.; Seibert. DVB1. 1972, S. 304 ff.

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Laufbahn dient. In denjenigen Ländern, die eigene Hochschullehrergesetze erlassen haben, ist die Rechtsstellung der Assistenten im HochschullehrerG geregelt, in den übrigen Ländern im HochschulG. Hochschullehrer im engeren Sinn sind die Assistenten jedoch nicht. Die Assistenten sind Beamte auf Zeit. Vorgesetzter des wissenschaftlichen Assistenten ist derjenige Hochschullehrer, dem der Assistent nach der Planstellenverteilung zugeordnet ist. Dies gilt auch dann, wenn der Assistent einer „Betriebseinheit" zugeordnet ist. Bei der Zuordnung zu einem Institut bzw. unmittelbar einer Fakultät ist Vorgesetzter des Assistenten der Institutsdirektor bzw. der Dekan. Dienstvorgesetzter ist dagegen der Rektor bzw. Hochschulpräsident. 5. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit Die Hochschullehrer im engeren Sinn genießen eine besondere Rechtsstellung aufgrund von Art. 5 Abs. 3 GG. Die h. M. geht davon aus, daß das dort normierte Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nur den Hochschullehrern als individuelles Recht zusteht. Die vom BVerfG im Urteil vom 29. Mai 1973 verwendete Formulierung, Art. 5 Abs. 3 G G gewähre ein individuelles Freiheitssrecht „für jeden, der in diesen Bereichen tätig ist oder werden will", hat zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Bei wörtlicher Auslegung der vom BVerfG gefundenen Formel würde das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 G G jedem zustehen, der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, ohne Rücksicht darauf ob er an einer wissenschaftlichen Hochschule beschäftigt ist oder nicht. Soweit dieser Grundsatz die Forschungsfreiheit betrifft, ist er unbestritten. Hingegen ist die Ausweitung der Lehrfreiheit auf alle Lehrpersonen - gleichgültig, ob sie an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer höheren Schule, einer Grundschule, Fachschule oder Privatschule lehren — von der h. M. abgelehnt worden, da jene vom Grundgesetz gewährte und gewährleistete Freiheit nur für die wissenschaftliche Lehre gilt und daher nur denjenigen zustehen kann, die an einer Institution lehren, die durch die Einheit von Forschung und Lehre gekennzeichnet ist, d. h. an einer wissenschaftlichen Hochschule. Die abweichende Meinung zum Urteil vom 29. Mai 1973, die im Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ein „Jedermannsrecht" sehen will41, hat sich nicht durchgesetzt. Die den Hochschullehrern in Art. 5 Abs. 3 G G verbriefte Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. Der Inhalt dieser in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG niedergelegten „Treueklausel" war zunächst umstritten. Im Parlamentarischen Rat wurde betont, die Treueklausel solle verhindern, daß „unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Kritik" eine „hinterhältige Politik" betrieben werde 42 . Dagegen ist eingewendet worden, daß insbesondere alle Lehr-Wissenschaft, die sich mit den Problemen des Staates auseinanderzusetzen hat, nicht frei sein kann, wenn wissenschaftliche Kritik an der Ver41 42

BVerfGE35, 155. Pari Rat 9. Sitzung am 6. 5. 1949, StenBer. S. 176.

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fassung unzulässig ist43. Politische Agitation ist jedoch nach absolut herrschender Meinung auf keinen Fall vom Grundrecht der Lehrfreiheit gedeckt44.

VI. Die Studenten 1. Die akademische Freiheit Die Rechtsstellung der Studenten richtet sich nach der Rechtsgestalt der wissenschaftlichen Hochschule. Ist die wissenschaftliche Hochschule eine Körperschaft, so sind die Studenten deren Mitglieder; ist sie eine Anstalt, so sind die Studenten deren Benutzer. Da sich im geltenden Recht die Auffassung von der körperschaftlichen Struktur der wissenschaftlichen Hochschule durchgesetzt hat, sind folgerichtig die Studenten als Mitglieder einer Körperschaft aufzufassen. Über die einzelnen Konsequenzen, die daraus für die Rechtsstellung der Studenten zu ziehen sind, besteht in der Rechtslehre keine volle Einmütigkeit45. Fest steht, daß der moderne Körperschaftsbegriff angewendet werden muß, der auch im Verwaltungsrecht gilt46. Ferner ist unbestritten, daß die Wissenschaftsfreiheit, die nach h. M. nur den Hochschullehrern im engeren Sinn zusteht, auch Ausstrahlungen auf die übrigen Mitglieder der wissenschaftlichen Hochschule hat. Dies folgt daraus, daß Art. 5 Abs. 3 GG nicht nur die Freiheit der Hochschullehrer in Lehre und Forschung sichert, sondern auch die Tätigkeit selbst unter einen institutionellen Schutz des GG stellt. Das Lehren setzt die Lernenden als Gegenüber voraus. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit ist die Basis für die institutionelle Garantie dieser Freiheit, beide zusammen bilden die Grundlage für eine Freiheit des Studenten, die als „akademische Freiheit" bezeichnet wird. Der BGH hat sie mit dem Schlagwort „geistige Unabhängigkeit" umschrieben und ausdrücklich betont, daß sie auch den Studenten zusteht47. Kernstück der akademischen Freiheit ist die sogen. „Lernfreiheit". Sie bedeutet, daß der Student an der wissenschaftlichen Hochschule nicht wie ein Schüler kontrolliert wird und daß er im Rahmen der von der wissenschaftlichen Hochschule (mit Genehmigung des Kultusministeriums) selbst gesetzten Rechtsnormen sein Studium frei gestalten kann. Sie bedeutet nach h. M., daß der Student freien Zugang zu den Quellen des Wissens besitzt. 43 44

45

46 47

von Mangoldt / Klein, GG I, S. 263. Vgl. Friesenhahn, Staatsrechtslehrer und Verfassung, 1950, S. 21 ff., Köttgen, in: GRe II, S. 314ff.; W. Weber, Die Rechtsstellung des deutschen Hochschullehrers, 1965, S. 27ff.; Wehrhahn, Lehrfreiheit und Verfassungstreue, RuSt 183/184, 1955. Vgl. die Referate von Rupp und Geck, „Die Stellung der Studenten in der Universität" und die darüber geführte Diskussion auf der Staatsrechtslehrertagung 1968, VVDStRL 27 (1969), S. 113ff.; 143ff.; 188ff. Forsthoff, VwR, S. 452. BGH DVB1. 1960, S.741.

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Als Mitglied der Körperschaft ist der Student einer wissenschaftlichen Hochschule berechtigt, an der Selbstverwaltung der Universität teilzunehmen (vgl. oben IV). Der Eintritt des Studenten in die Körperschaft erfolgt durch die Immatrikulation. Sie ist ein Verwaltungsakt, zugleich aber auch ein Akt der Selbstverwaltung der Universität. Die Immatrikulationsbestimmungen pflegen in staatlichen Gesetzen und Verordnungen niedergelegt zu sein. Soweit die Hochschulen selbst Immatrikulationsordnungen erlassen haben, werden diese als Ausfluß des Selbstbestimmungsrechts der Hochschulen angesehen 48 . 2. Die studentische Selbstverwaltung Aus der Rechtsstellung der Studenten und der akademischen Freiheit ergeben sich auch die Grundlagen der studentischen Selbstverwaltung. An den mittelalterlichen Universitäten war diese Selbstverwaltung eine Selbstverständlichkeit gewesen. Im Zeitalter des Absolutismus gingen die studentischen Freiheiten verloren und wurden insoweit auch im „liberalen" 19. Jh. nicht wiedergewonnen. Erst in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schlössen sich die Studenten an den deutschen wissenschaftlichen Hochschulen zu „Studentenschaften" zusammen. Ihre rechtliche Organisation wurde erstmals in der VO über die Bildung von Studentenschaften an den preußischen Hochschulen vom 18.9. 1920 geregelt. Die Studentenschaften sind Gliedkörperschaften der Gesamtkörperschaft „wissenschaftliche Hochschule". Da aber jeder Student mit der Immatrikulation bereits Mitglied der Körperschaft „wissenschaftliche Hochschule" wird, kann er über die Mitgliedschaft in der Studentenschaft nicht nochmals Mitglied derselben Körperschaft werden. Daher muß angenommen werden, daß der Student mit der Immatrikulation nicht nur Mitglied der Körperschaft „wissenschaftliche Hochschule", sondern auch zugleich Mitglied der Studentenschaft wird. Diese Zwangsmitgliedschaft des Studenten in der Studentenschaft ist Ende der 60er Jahre kritisiert worden 49 . Das bayer. HochschulG regelt die Organisation der Studenten in den Hochschulen ohne die Rechtsfigur der Studentenschaft und bestimmt in seinem Art. 58 Abs. 1 lediglich: „Die Studenten wirken in der Hochschule durch ihre gewählten Vertreter in Kollegialorganen mit." Allerdings bildet die Gesamtheit der gewählten Studentenvertreter in den Fachbereichsräten und im Senat den „studentischen Konvent" (Art. 58 Abs. 2 BayHSchG), der aus seiner Mitte den „Sprecherrat" wählt. Im Rahmen des staatlichen Haushalts werden Mittel für Zwecke des studentischen Konvents und des Sprecherrats zur Verfügung gestellt (Art. 59). § 41 Abs. 1 HRG stellt die Bildung von Studentenschaften „zur Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und kultureller Belange der Studenten 48 49

OVG Hamburg, VRspr. 15, 288; VG Berlin DVB1. 1964, S. 494f. Vgl. Besch, WissR 1968, S. 226ff.; Reinhardt, WissR 1968, S. 233ff.; Rupp, W D S t R L 27 (1969), S. 135f.

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sowie zur Pflege der überregionalen und internationalen Studentenbeziehungen" in das Ermessen der Landesgesetzgeber. Wird eine solche Studentenschaft gebildet, so steht ihr nach traditionellem deutschen Hochschulrecht das Recht der Selbstverwaltung zu. Der im Entwurf des H R G enthaltene Satz „die Studentenschaft ist eine Teilkörperschaft der Hochschule" ist nicht in die endgültige Fassung des Gesetzes übernommen worden, obwohl im Zeitpunkt des Inkrafttretens des H R G fast alle Hochschulgesetze der Länder die Studentenschaften als Teilkörperschaften der Hochschule normiert hatten. Da nach traditionellem deutschen Hochschulrecht Studentenschaften im Zeitpunkt des Inkrafttretens des HRG bereits vorhanden waren, bedeutet die Kann-Bestimmung des § 41 Abs. 1 H R G in Wirklichkeit eine Ermächtigung zur Aufhebung der bestehenden Studentenschaften durch LandesG. Die studentische Selbstverwaltung, die sich in der Studentenschaft oder in anderer, vom Landesgesetzgeber geregelter Weise entfaltet, ist nicht identisch mit der Mitwirkung der Studenten an der Selbstverwaltung der wissenschaftlichen Hochschule, bildet aber deren Basis50. Das H R G garantiert in § 41 Abs. 2 Satz 1 den Studentenschaften, soweit sie nach Landesrecht gebildet werden dürfen, das Recht der Selbstverwaltung „im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen". Die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Studentenschaft wird vom Landesrechnungshof geprüft. Die Studentenschaft untersteht der Rechtsaufsicht der Leitung der Hochschule und der zuständigen Landesbehörde (§ 41 Abs. 2 Satz 4 HRG). 3. Ordnungsrecht Aus der Rechtsstellung des Studenten als Mitglied der Körperschaft „Universität" ist früher auch das studentische Disziplinarrecht abgeleitet worden. Der „akademische Bürger" sollte jederzeit und überall als solcher auftreten. Unter der Geltung des modernen verwaltungsrechtlichen Körperschaftsbegriffs und der strengen Begrenzung der Hochschulautonomie auf Forschung und Lehre konnte ein so begründetes Disziplinarrecht nicht aufrechterhalten werden. Das HRG normiert weder ein Disziplinarrecht noch ein Ordnungsrecht, sondern bestimmt in seinem § 28 lediglich, daß die Einschreibung zum Studium widerrufen werden kann, wenn ein Student durch Anwendung von Gewalt, durch Aufforderung zur Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt den bestimmungsgemäßen Betrieb einer Hochschuleinrichtung, die Tätigkeit eines Hochschulorgans oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert oder ein Hochschulmitglied von der Ausübung seiner Rechte und Pflichten abhält oder abzuhalten versucht. Die gleiche Rechtsfolge tritt ein, wenn ein Student an den vorgenannten Handlungen teilnimmt oder wiederholt Anordnungen zuwiderhandelt, die gegen ihn von der Hochschule wegen Verletzung seiner Mitgliedschaftspflichten gemäß § 36 Abs. 4 H R G getroffen 50

Vgl. Bartsch, Die Studentenschaften in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., 1971.

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worden sind. Die Aufzählung der Pflichten in dieser Vorschrift ist allgemein: „alle Mitglieder und die ihnen gleichgestellten Personen haben sich, unbeschadet weitergehender Verpflichtungen aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, so zu verhalten, daß die Hochschulen und ihre Organe ihre Aufgaben erfüllen können und niemand gehindert wird, seine Rechte und Pflichten an den Hochschulen wahrzunehmen. Verletzen Mitglieder der Hochschule oder ihnen gleichgestellte Personen die ihnen nach Satz 1 obliegende Pflicht, so richten sich die zu treffenden Maßnahmen nach Landesrecht". 4. Hausrecht Trotz seiner Rechtsstellung als Mitglied der Körperschaft ist jeder Student zugleich Benutzer einer staatlichen Einrichtung. Denn da die Universität fast völlig auf die Finanzzuweisungen des Staates angewiesen ist und der Staat ihr in der Regel keine Vermögensobjekte zu Eigentum überläßt, sind alle Gebäude, Geräte, Bücher, Einrichtungsgegenstände usw. Staatseigentum, das die Studenten wie die anderen Mitglieder der Körperschaft benutzen. Dabei haben sie die Benutzungsordnungen zu beachten, die entweder in staatlichen Vorschriften niedergelegt sind oder in Ordnungen, die sich auf das Hausrecht des Rektors oder der Institutsdirektoren gründen. Es ist kein ursprüngliches Hausrecht der Körperschaft, sondern ein vom Staat abgeleitetes Recht. Während der Vorlesung steht es auch den Dozenten zu, denen es vom Rektor bzw. Hochschulpräsidenten übertragen worden ist.

VII. Das Recht der Hochschulzulassung 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen Das Grundrecht der Lernfreiheit kann nicht auf die bereits immatrikulierten Studenten beschränkt werden. Ebenso wie die Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer nicht nur für diejenigen gilt, die bereits Hochschullehrer sind, sondern auch für jeden einzelnen, „der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig werden will"51, muß auch das Recht auf freien Zugang zu den Quellen des Wissens denen zustehen, die die vom geltenden Recht geforderten Voraussetzungen für die Zulassung zur wissenschaftlichen Hochschule (Abitur oder eine gleichwertige Reifeprüfung) erfüllen. Dies ergibt sich aus dem Grundrecht der freien Berufswahl gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Trotzdem verfügten bereits Ende der 60er Jahre einzelne Länder bzw. Hochschulen Zulassungsbeschränkungen. Zwei von ihnen (§ 17 des hamburgischen UniversitätsG und das Bayer. ZulassungsG vom 8. 7. 1970) wurden Gegenstand eines Verfassungsstreits, über den das BVerfG im Urteil vom 18. Juli 1972 entschied. Darin bekräftigte es zunächst die herrschende Meinung, daß aus dem in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht auf freie 51

BVerfG E 15, 263 f.

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Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium folgt. Obwohl Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG seinem Wortlaut nach dem Gesetzgeber keine Befugnis einräumt, dieses Grundrecht einzuschränken, wendete das BVerfG im Urteil vom 18. 7. 1972 die von ihm bereits früher entwickelte „Stufentheorie" 52 an und gelangte zu dem Ergebnis, daß selbst ein absoluter Numerus clausus für Studienanfänger dann verfassungsmäßig sei, „wenn er 1. in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten angeordnet wird und wenn 2. Auswahl und Verteilung nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen" 53 . Die Entscheidung ist auf Kritik gestoßen. Wenn feststeht, daß der Numerus clausus an sich verfassungswidrig ist und zu der „krassen Ungleichheit" führt, „daß ein Teil der Bewerber alles und der andere Teil - für eine mehr oder weniger lange und für die weitere Lebensentscheidung möglicherweise ausschlaggebende Dauer - nichts erhält" 54 , so ist nicht einzusehen, wie die Zulassungsbeschränkungen in irgendeiner Form vor dem G G bestehen können. Vor allem bleibt unerfindlich, nach welchen Kriterien ein „an sich Gleichberechtigter" ohne Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip ausgeschlossen werden könnte 55 . 2. Studienplatzvergabe In Ausführung des Urteils vom 18. Juli 1972, das dem Bund und den Ländern die Verpflichtung auferlegte, neue Studienplätze zu schaffen, die vorhandenen Kapazitäten voll auszunutzen und die Zulassungsbeschränkungen einheitlich zu regeln, schlössen die Länder der Bundesrepublik Deutschland den Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom 20. Oktober 197256. Einheitlich für die gesamte Bundesrepublik Deutschland regelte er das Verfahren für die Vergabe der Studienplätze in denjenigen Fächern, für die Zulassungsbeschränkungen bestehen. Gemäß Art. 1 des Staatsvertrages haben die Länder eine Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in Dortmund errichtet. Sie ist eine rechtsfähige Anstalt der öffentlichen Rechts. Art. 8 Abs. 4 des Staatsvertrags legte fest, daß für Verwaltungsstreitverfahren über Entscheidungen der Zentralstelle im Vergabeverfahren ausschließlich 52 53 54 55

56 56

Vgl. BVerfGE 7, 401 ff., 30, 315 ff. BVerfGE 33, 338. BVerfGE 33, 333. Vgl. Kimminich, Anm. zum Urt. des BVerfG vom 18.7. 1972, JZ 1972, S.696ff. Weitere Stellungnahmen: Bähr, MittHV 1973, S. 88ff.; R. Gerhardt, Recht und Gesellschaft 1972, S. 290ff.; Häberle, DÖV 1972, 729ff.; Maunz, BayVBl. 1972, 470; von Mutius, VerwA 64 (1973), S. 183ff.; Schimanke, JR 1973, S. 45ff. Abgedr. in WissR 1973, S. 151 ff. BVerfGE 37, 191.

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das VerwG örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk die Zentralstelle ihren Sitz hat (VG Gelsenkirchen). Das BVerfG entschied mit Beschluß vom 7. Mai 197457, daß die Regelung als Abweichung von einem Bundesgesetz (§ 52 VwGO), dessen Änderung durch Staatsvertrag die Länder nicht befugt sind, gegen Art. 74 Nr. 1 und Art. 72 Abs. 1 G G verstößt und deshalb nichtig ist. Um die örtliche Zuständigkeit des VG Gelsenkirchen aufrechtzuerhalten, war daher eine ausdrückliche Ergänzung der VwGO erforderlich 58 . Mit Beschluß vom 9. April 1975 hat das BVerfG allerdings entschieden, daß abgewiesene Studienbewerber ihre Zulassung an einer bestimmten wissenschaftlichen Hochschule im Klagewege erzwingen können, wenn sie nachweisen, daß die betreffende Hochschule über ungenutzte Kapazitäten verfügt. Für diese Klage richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach den allgemeinen Regeln der VwGO 59 . Das Recht, einen Anspruch auf Zulassung zum Studium außerhalb der festgesetzten Kapazität klageweise geltend zu machen, ist jedoch spätestens mit Ablauf des auf das Bewerbungssemester folgenden Semesters verwirkt 60 . Das HRG enthält Rahmenbestimmungen für das Hochschulzulassungsrecht und verpflichtet die Länder, ihre einschlägigen Vorschriften dem H R G anzupassen, wobei die landesrechtlichen Vorschriften übereinstimmen müssen, soweit dies für die zentrale Vergabe der Studienplätze notwendig ist (§§ 27-35 HRG). Die Länder sind dieser Verpflichtung nachgekommen und haben am 23. Juni 1978 einen neuen Staatsvertrag abgeschlossen, der am 1. Juli 1979 in Kraft getreten ist. Er enthält dieselben Bestimmungen wie der Staatsvertrag von 1972. Unter anderem ermächtigt er die Länder zum Erlaß von Verordnungen zur Durchführung des Staatsvertrags. Auf dieser Ermächtigung beruht die Vergabeverordnung, die jeweils in ihrer neuesten Fassung für das Vergabeverfahren der ZVS maßgebend ist. 3. Kapazitätsermittlung Da die Studienkapazitäten der einzelnen Hochschulen für die Vergabe von Studienplätzen von ausschlaggebender Bedeutung sind, muß ihre Ermittlung einheitlich geregelt werden. Rahmenbestimmungen hierfür enthalten die §§ 29 und 30 HRG. Art. 7 des Staatsvertrags über die Vergabe von Studienplätzen vom 23. Juni 1978 hat die Länder ermächtigt, inhaltsgleiche Rechtsverordnungen für die Kapazitätsermittlung zu erlassen (Kapazitätsverordnungen). Die Kapazitätsverordnungen orientieren sich an der Rechtsprechung des BVerfG zum Numerus-clausus-Problem 61 und an § 29 HRG, der seinerseits die Ergebnisse dieser Rechtsprechung widerspiegelt. Danach darf die Zulas57 58 59 60 61

BVerfGE 37, 191. G zur Änderung der VwGO vom 26. 2. 1975 (BGBl. I, S. 617). BVerfGE 39, S. 276; hierzu Roellecke, DÖV 1975, S. 561 ff. OVG Münster, Urt. vom 14. 9. 1979 - XIII A 310/79 - rechtskräftig. Vgl. unten 4.

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Sungszahl für einen Studiengang mit absolutem Numerus clausus nicht niedriger festgesetzt werden, als dies unter Berücksichtigung der personellen, räumlichen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten zur Aufrechterhaltung einer geordneten Wahrnehmung der Aufgaben der Hochschule in Forschung, Lehre und Studium unbedingt erforderlich ist. Maßstab der Kapazitätsfestsetzung ist die „erschöpfende Nutzung" (§ 29 Abs. 2 Satz 2 HRG). Die Regelung ist auf Kritik gestoßen: „Die Aneinanderreihung von unbestimmten Rechtsbegriffen verdeckt die Schwierigkeiten, objektive und nachvollziehbare Kriterien für die Feststellung zu finden, was erschöpfende Nutzung ist. Die Kapazität eines Studiengangs läßt sich nicht mit dem Metermaß oder durch Augenschein oder sonstwie faktisch feststellen" 62 . 4. Die Numerus-clausus-Rechtsprechung An der Spitze der Rechtsprechung der BVerfG zum Numerus-clausus-Problem steht das bereits erwähnte Urteil vom 18. Juli 197263. In zwei Beschlüssen vom 9. April 197564 hat das BVerfG zur Bedeutung der Rangziffer bei ungenutzten Kapazitäten und zum Adressaten des Zulassungsanspruchs bei Nichtausschöpfung bei Kapazitäten Stellung genommen. Die beiden Beschlüsse lösten eine Prozeßlawine aus, „die jedes Semester periodisch auf Hochschulen und Gerichte zukommt" 65 . Ein weiterer Markstein ist das Quereinstieg-Urteil vom 13. Oktober 197666, in dem das BVerfG entschied, daß Studienbewerber, die für das angestrebte Studium anrechenbare Leistungen nachweisen und die Zuteilung eines freien Studienplatzes in dem entsprechenden höheren Semester begehren, nicht mit der Begründung abgewiesen werden dürfen, in dem betreffenden Semester bestehe keine „erhebliche Unterbesetzung". Durch ein weiteres Urteil vom 13. Oktober 197667 milderte das BVerfG die Härten, die das H R G durch die Nichtanrechnung von Wartezeiten geschaffen hat. Im Urteil vom 8. Februar 1977 (2. Numerus-clausus-Urteil) 68 erklärte es schließlich, daß Auswahlregelungen für zulassungsbeschränkte Studiengänge jedem Zulassungsberechtigten eine Chance lassen müssen, und befahl unmißverständlich: „die gegenwärtige Vergabe freier Studienplätze nach Durchschnittsnoten und Wartezeit ist in Numerus-clausus-Fächern mit hohem Bewerberüberhang beschleunigt durch ein anderes Auswahlverfahren zu ersetzen". Die Richtlinien für das Auswahlverfahren legt das H R G in seinen §§ 32 ff. fest. Im Beschluß vom 3. Juni 198069 nahm das BVerfG zur Frage 62 63 64 65 66 67 68 69

Mattonet, Kapazitätsermittlung, in: HdW Bd. 1, S. 745. BVerfGE 33, 303; hierzu oben VII. 1. BVerfGE 39, 258; 39, 276. Mattonet (Anm. 62), S. 763, Anm. 11. Zu diesem Problem H.-D. Lippert, NJW 1978, 981 ff.; K. Haas, DVB1. 1978, 238ff. BVerfGE 43, 34. BVerfGE 43, 47. BVerfGE 43, 291. BVerfGE 54, 173.

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der Notwendigkeit einer normativen Regelung der Lehrverpflichtung im Rahmen der Kapazitätsermittlung Stellung. Es kam zu dem Ergebnis, daß das GG eine normative, d. h. durch Gesetz oder Rechtsverordnung festgelegte, Bestimmung der Lehrverpflichtung nicht erfordert. Immer wieder war es das Medizinstudium, das zu Numerus-clausus-Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Anlaß gab. Dabei wurden auch Verfahrensfragen geklärt. Daß Verfassungsbeschwerden, die sich unmittelbar gegen Vorschriften über die Vergabe von Studienplätzen richten, in der Regel unzulässig sind, stellte das Gericht im Beschluß vom 3. November 1981 fest70. Die Befugnis des Gesetzgebers, den Zugang zu einem Zweitstudium - d. h. zu einem Studim, das erst nach erfolgreich abgeschlossener Hochschulausbildung begonnen wird zu erschweren, bestätigte das BVerfG im Beschluß vom 3. November 198271. Die Versuche des BVerfG, der Gesetzgeber in Bund und Ländern und der Kultusverwaltungen, das Numerus-clausus-Problem zu lösen, haben verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen, die das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) betreffen. Zum Fundament einer freiheitlichen Verfassung gehört die freie Entscheidung des Einzelnen für einen von ihm erstrebten Beruf und die entsprechende Ausbildungsstätte. Daß der Zugang zu den einzelnen Berufen von berufsspezifischen Leistungsnachweisen abhängig ist, bedeutet keine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit. Die verfassungsrechtliche Problematik von Zulassungsbeschränkungen beginnt erst dort, wo Zulassungsbeschränkungen aufgrund von mangelnden Kapazitäten ohne Rücksicht auf die Qualifikation der Bewerber praktiziert werden. So „besteht das Numerusclausus-Problem im Widerspruch zwischen der rechtsförmigen Feststellung der Hochschulreife und der ebenso rechtsförmigen Versagung der Mitgliedschaft in der Hochschule"72. Die Zustände an den deutschen Hochschulen haben dazu geführt, daß in der verfassungsrechtlichen Literatur die Frage der Zulässigkeit berufslenkender Maßnahmen erörtert und - in rechtsstaatlichen Grenzen - bejaht worden ist. Dies wird mit einer „Sozial-Bindung der Berufsfreiheit" 73 begründet.

VIII. Prüfungen und akademische Grade 1. Grundsätze Für die meisten Berufe, für welche die wissenschaftlichen Hochschulen als Ausbildungsstätten dienen, bestehen staatliche Prüfungsordnungen, deren Erlaß und Inhalt durch Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt sind. Daraus folgt jedoch nicht, daß das Prüfungswesen außerhalb der wissenschaftlichen Hochschulen 70 71 72 73

BVerfGE 59, 1. BVerfGE 62, 117. Roellecke, Studienvoraussetzungen, in: HdW Bd. 1, S. 723. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983, S. 482.

Wissenschaft

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steht. Nach wie vor ist anerkannt, daß die wissenschaftlichen Hochschulen auf allen Wissenschaftsgebieten kraft eigenen Rechts befugt sind, Abschlußprüfungen vorzunehmen und darüber Urkunden auszustellen. Soweit aber Staatsprüfungen stattfinden, verzichten die wissenschaftlichen Hochschulen auf ein besonderes akademisches Abschlußexamen. Die Prüfungsordnungen für die von der wissenschaftlichen Hochschule durchgeführten Prüfungen (akademischen Prüfungen) werden von den Fakultäten (Abteilungen, Fachbereichen) als autonome Satzungen erlassen und bedürfen der Genehmigung des Kultusministers. Alle Prüfungsentscheidungen im Rahmen von akademischen Prüfungen unterliegen ebenso wie die Entscheidungen im Rahmen von Staatsprüfungen der Nachprüfung im Verwaltungsrechtsweg. Allerdings kann das Verwaltungsgericht nur die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nachprüfen und darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Prüfungskommission setzen. Ermessensfehlgebrauch und Ermessensüberschreitung führen zur Aufhebung des Prüfungsaktes 74 . 2. Promotion und Habilitation Die Promotion dient der Erlangung des Doktorgrades. Sie erfolgt nach Maßgabe der von der Fakultät (bzw. der Abteilung oder dem Fachbereich) erlassenen und vom Kultusminister genehmigten Promotionsordnung. Promotionsleistungen sind die Doktorarbeit (Dissertation) und die mündliche Doktorprüfung (Rigorosum). Die Promotionsordnung regelt ferner die Voraussetzungen für die Zulassung zur Promotion. Die Zulassung selbst erfolgt durch einen Beschluß des Kollegialorgans der Fakultät oder des Fachbereichs. Von der Zulassung zur Promotion ist die Zuteilung eines Dissertationsthemas zu unterscheiden. Letztere ist kein Verwaltungsakt, sondern begründet lediglich das sog. Doktorandenverhältnis. Der BGH bejaht zwar die öffentlich-rechtliche Natur des Doktorandenverhältnisses, meint aber, daß es einer besonderen rechtlichen Qualifikation nicht unterworfen sei75. In der Rechtslehre wird das Doktorandenverhältnis entweder als ein „vertragsähnliches Verhältnis" 76 oder als ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zwischen dem Doktoranden und dem betreffenden Hochschullehrer angesehen, wobei allerdings der Hochschullehrer nur verpflichtet ist, eine von dem Doktoranden vorgelegte Dissertation über ein vereinbartes Thema zu beurteilen 77 . Mit Recht wird jedoch aus Art. 12 Abs. 1 G G gefolgert, daß die Zulassung zur Doktorprüfung nicht von der vorherigen Annahme als Doktorand seitens

74

75 76 77

Vgl. Pietzker, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Prüfungen, 1975. BGH JZ 1960, S. 366 f. Menger, VerwA 51 (1960), S. 378 f. Wolff/ Bachof, VwR II, 4. Aufl., S. 326.

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eines Hochschullehrers abhängig ist78. Die Zulassung zur Promotion ist ein Verwaltungsakt. Für die Habilitation gelten die gleichen verwaltungsrechtlichen Grundsätze wie für die Promotion. Zu beachten ist allerdings, daß durch die Habilitation nicht nur der Eignungsnachweis für die wissenschaftliche Lehrtätigkeit erbracht, sondern auch die Eingliederung in den Lehrkörper der Hochschule vollzogen wird79. 3. Führung des Doktortitels Für die Führung des Doktortitels gilt das G über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 (RGBl. 1939 I, S. 985). Nach anfänglicher Unsicherheit ist die Weitergeltung dieses Gesetzes von Rechtsprechung und Lehre bejaht worden80. Das Gesetz gilt als Landesrecht fort. Von besonderer Bedeutung ist es für die Entziehung des Doktorgrades gemäß seinem § 4. Neben Entziehungsgründen, die einer rechtsstaatlichen Prüfung ohne weiteres standhalten (wie z. B. Erschleichung des Doktortitels), normiert es in § 4 Abs. 1 c die Entziehung des Doktorgrades wegen „Unwürdigkeit" 81 . In Schleswig-Holstein ist das G vom 7. 6. 1939 vollständig aufgehoben und durch Bestimmungen im HochschulG ersetzt worden. Einige Länder (BadenWürttemberg, §94 Abs. 2 Ziffer 3 HSchG; Bayern, Art. 112 Abs. 2 Nr. 1 HSchG) haben § 4 Abs. 2 des G vom 7. 6. 1939, der eine Beschwerde gegen die Entscheidung über den Entzug des Doktorgrades vorsah, ausdrücklich aufgehoben. Der Rechtsweg richtet sich allein nach der VwGO.

78 79 80 81

Vgl. W. K. Geck, Promotionsordnungen und GG, 2. Aufl., 1969, S. 34 ff. BVerwGE 16, 51 ; Zur Habilitation vgl. oben V.l. Vgl. BVerwGE 10, 195; 39, 82. Hierzu R. von Hippel, GoldtA 1970, S. 18ff.

ZWÖLFTER ABSCHNITT Walter Rudolf

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Süddeutscher Rundfunk: G Nr. 1096 - Rundfunkgesetz - vom 21. 11. 1950 (Württ.Bad. RegBl. 1951, 1) - zuletzt G vom 18. 12. 1969 (GBl. Bad.-Württ. S. 294) Südwestfunk: Staatsvertrag über den Südwestfunk vom 27. 8. 1951 (Baden: G vom 18. 3. 1952, GVB1. S. 40; Rheinland-Pfalz: G vom 22. 4. 1952, GVB1. S. 71; Württemberg-Hohenzollern: G vom 8. 4. 1952, RegBl. S. 27), geändert durch Staatsvertrag vom 27.2./16.3. 1959 (Baden-Württemberg: G vom 10.6.1959, GBl. S.56; RheinlandPfalz: G vom 10.4. 1959, GVB1. S. 109) Westdeutscher Rundfunk: G über den „Westdeutschen Rundfunk Köln" vom 25. 5. 1954 (GV. NW. S. 151) - zuletzt G vom 9. 7. 1974 (GV. NW. S. 251) Zweites Deutsches Fernsehen: Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts „Zweites Deutsches Fernsehen" vom 6. 6. 1961 (Baden-Württemberg: G vom 18.7.1961 [GBl. S. 215]; Bayern: Zustimmungsbeschluß des Landtags vom 26.6.1962, Bekanntmachung vom 16.7.1962 [GVB1. S. 111]; Berlin: G vom 24. 11. 1961 [GVB1. S. 1641]; Bremen: G vom 22.2. 1962 [GVB1. S.49]; Hamburg: G vom 23. 1. 1962 [GVB1. S. 5]; Hessen: G vom 20. 12. 1961 [GVB1. S. 199]; Niedersachsen: G vom 24. 1. 1962 [GVB1. S. 9]; Nordrhein-Westfalen: Zustimmungsbeschluß des Landtages vom 17. 7. 1961, Bekanntmachung vom 9. 8. 1961 [GV. NW. S. 269]; Rheinland-Pfalz: G vom 24.7. 1961 [GVB1. S. 179]; Saarland: G Nr. 750 vom 30. 1. 1962 [Amtsbl. S. 67]; Schleswig-Holstein: G vom 18. 11.1961 [GVB1. S. 169]) Deutsche Welle und Deutschlandfunk: G über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts vom 29. 11. 1960 (BGBl. I S. 862) - zuletzt G vom 14. 12. 1976 (BGBl. T S. 3341, 3367) Bildschirmtext: Staatsvertrag über Bildschirmtext vom 18. 3. 1983 (Baden-Württemberg: G vom 21. 11. 1983 [GBl. S. 699]; Bayern: Zustimmungsbeschluß des Landtags vom 19.7. 1983, Bekanntmachung vom 1. 8. 1983 [GVB1. S. 537]; Berlin: G vom 23. 6. 1983 [GVB1. S. 971]; Hessen: G vom 24. 6. 1983 [GVB1. I S. 91]; Niedersachsen: G vom 18. 11. 1983 [GVB1. S. 263]; Nordrhein-Westfalen: G vom 21. 6. 1983 [GV. NW. S. 227]; Rheinland-Pfalz: G vom 26. 1. 1984 [GVB1. S. 7]; Saarland: G Nr. 1160 vom 19. 10. 1983 [ABl. S. 645]; Schleswig-Holstein: G vom 25. 8. 1983 [GVB1. S. 348]) Breitbandkabelversuch: Nordrhein- Westfalen: G über die Durchführung eines Modellversuchs mit Breitbandkabel vom 14. 12. 1983 (GV. NW. S. 640) Rheinland-Pfalz: LandesG über einen Versuch mit Breitbandkabel vom 27. 11. 1980 (GVB1. S. 229)

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Gliederung I. Die Massenmedien

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II. Presserecht 1. Historische und soziale Grundlagen a) Geschichtliche Entwicklung b) Gegenwartssituation 2. Rechtsgrundlagen 3. Anwendungsbereich der Landespressegesetze a) Druckwerke b) Periodische Druckwerke 4. Pressefreiheit und Informationsanspruch a) Äußere Pressefreiheit b) Innere Pressefreiheit c) Informationsanspruch 5. Schranken der Pressefreiheit und Pflichten der Presse a) Schranken der Pressefreiheit b) PflichtenderPresse

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III. Rundfunkrecht 1. Historische und soziale Grundlagen a) Geschichtliche Entwicklung b) Gegenwartssituation 2. Rechtsgrundlagen a) Bundesrecht b) Landesrecht 3. Organisation des Rundfunks a) Aufgaben der Rundfunkanstalten b) Innere Organisation und Kompetenzen der Organe aa) Rundfunkrat bb) Verwaltungsrat cc) Intendant dd) Programmbeirat c) Werbefernsehen d) ARD e) Privater Rundfunk 4. Rundfunkgebühr

805 805 805 807 811 811 812 813 813 814 815 816 816 817 817 817 818 820

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I. Die Massenmedien In der modernen Industriegesellschaft besteht neben den rein materiellen Bedürfnissen, die mit der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung verbunden sind, ein Massenbedarf an Information, Erbauung und Unterhaltung, der durch Presse, Film und Rundfunk befriedigt wird. Da man mit Hilfe dieser modernen Mittel öffentlicher Meinungsbildung die Bevölkerung leicht erreichen und ihre Ansichten und Lebensgewohnheiten beeinflussen kann, ist es notwendig, den Gebrauch dieser Massenmedien so zu regeln, daß ihr Mißbrauch entsprechend den Zielen von Staat und Gesellschaft verhindert wird. Diese Regelung ist orientiert an dem Zweck, den man mit den Medien der Meinungsbildung verfolgt. Der Zweck kann je nach der Verfassung von Staat zu Staat verschieden sein1. In einem System, in dem die Aufgabe der Massenmedien darin gesehen wird, die breiten Massen der Arbeiter zu erziehen und sie unter der alleinigen Führung einer Partei zu organisieren, um klar bestimmte Ziele der Partei zu erreichen2, wird man zu einer anderen Regelung kommen als in einem Staat, der die Vielfalt der Meinungen der einzelnen Informationsträger respektiert und es ihnen überläßt, ihre Zielsetzungen selbst zu bestimmen. Ausgehend von der Vorstellung, daß das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt und für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend ist3, wird den Massenmedien in der Bundesrepublik gemäß Art. 5 I GG die Freiheit des Empfangs und der Verbreitung von Nachrichten und Meinungen gewährleistet und ihnen ein vor Eingriffen des Staates geschützter Raum überlassen. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film finden gemäß Art. 5 II GG ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Wer eine dieser Freiheiten zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte gemäß Art. 18 GG 4 . Dadurch, daß der Staat den Massenmedien in der Bundesrepublik verfassungsrechtlich eine staatsfreie Sphäre gewährt, bleibt für eine rechtliche Regelung vornehmlich die Aufgabe, die Grenzen der Presse-, Film- und Rundfunkfreiheit näher festzulegen und diese Grundrechte zu konkretisieren. Letzteres gilt vor allem für die Rundfunkfreiheit, die nach dem Urteil des BVerfG 1 2 3 4

Vgl. die rechtsvergleichende Untersuchung über die Massenmedien von TerrouSolal, Legislation for Press, Film, Radio, Paris 1951. So Kuzmichevfür die sowjetische Auffassung, Terrou-Solal, a.a.O., S.51. BVerfGE 7, 198, 208. Zur Verwirkung vgl. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten im politischen Meinungskampf, 1968.

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vom 16.6. 1981 vom Landesgesetzgeber auszugestalten ist, ohne zu einer Beschränkung des Grundrechts zu führen 5 . Das Recht der Massenmedien ist deshalb wie kaum ein Rechtsgebiet sonst verfassungsrechtlich vorgezeichnet. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat sich demgemäß wiederholt mit der Konkretisierung und den Schranken des Art. 5 GG befassen müssen6. Da Presse und Film privatrechtlich betrieben werden, ohne daß eine Zensur stattfinden darf, ist die Zahl verwaltungsrechtlicher Vorschriften für diese beiden Medien verhältnismäßig gering. Presserecht und Filmrecht stellen vielmehr ein Konglomerat von Normen des Urheber-, Schadensersatz-, Strafrechts und anderer Rechtsgebiete dar, das sich insgesamt nur minimal als Teil des besonderen Verwaltungsrechts qualifizieren läßt. Dagegen ist der öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunk stärker Gegenstand verwaltungsrechtlicher Vorschriften. Unter den Massenmedien spielen Presse und Rundfunk die wichtigste Rolle, nachdem der Film durch das Fernsehen an Boden verloren hat, wie überhaupt der Film als Mittel öffentlicher Meinungsbildung nicht die Bedeutung besitzt wie Presse und Rundfunk. Ein Überblick über das Verwaltungsrecht der Massenmedien kann deshalb auf das Filmrecht verzichten7.

II. Presserecht 1. Historische und soziale Grundlagen a) Geschichtliche Entwicklung: Nachdem Gutenberg um 1450 den Buchdruck mit beweglichen Lettern in Europa erfunden hatte, dauerte es nicht lange, bis kirchliche und weltliche Obrigkeit die Druckerzeugnisse unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten. 1475 findet man bereits einen Zensurvermerk auf einer Druckschrift. 1501 erließ Papst Alexander VI. eine Bulle gegen den Druck nicht zensierter Schriften. Durch den Reichsabschied von Speyer 1529 wurde für ganz Deutschland auch von weltlicher Seite die präventive Zensur eingeführt. In den ersten eineinhalb Jahrhunderten nach der Erfindung des Buchdrucks erschienen vor allem Bücher und Flugschriften. Eine periodische Presse entstand erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. 1695 fällt in England die Pressezensur, nachdem John Milton schon 1644 Pressefreiheit gefordert hat5 6 7

BVerfGE 57, 295, 321. BVerfGE 7, 198; 10, 118; 12, 113; 19, 73; 20, 162; 21, 271; 27, 71, 88, 104; 28, 191; 30, 336; 33, 52; 34, 269; 35, 202; 54, 129, 148, 208; 57, 295. Zum Filmrecht vgl. von Hartlieb, UFITA 20 (1955), 129; ders., UFITA 28 (1959), 32; Berthold /von Hartlieb, FilmR, 1957; Noltenius, Die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des Grundgesetzes, 1958; Wohland, Informationsfreiheit und politische Filmkontrolle, 1968; Weides, Bundeskompetenz und Filmförderung, 1971; vgl. ferner BVerwGE 1, 303; 21, 184; 23, 104 und 194; 45, 1 und 8.

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te. Eine Positivierung des Rechts auf Pressefreiheit findet erstmals in der Bill of Rights von Virginia 1776 statt, in der die Pressefreiheit als eines der stärksten Bollwerke der Freiheit bezeichnet wird. 1791 wird die Pressefreiheit im 1. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika verankert. Auf dem europäischen Festland proklamiert Art. 11 der französischen Menschenrechtsdeklaration von 1789 die freie Mitteilung seiner Gedanken und Meinungen als eines der kostbarsten Rechte des Menschen — eine Auffassung von der Meinungsfreiheit, auf die das BVerfG zurückgegriffen hat 8 . In Deutschland hatte zwar die Bundesakte von 1815 die Verwirklichung der Pressefreiheit zur Aufgabe erklärt, gleichwohl schrieb aber das BundespreßG von 1819 die präventive Zensur der Presse von Bundes wegen vor. Erst die Revolution von 1848 beseitigte die Zensur 9 . Auch nach dem Scheitern der Revolution blieb die Pressefreiheit bestehen. In Preußen wurde sie durch die Verfassung von 1850 und im Reich durch das PreßG von 1874 ausdrücklich anerkannt. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte für die periodische Presse einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung und erheblichen Einfluß auf die politische Gestaltung. Die durch die technische Entwicklung ermöglichten hohen Auflagen sicherten den großen Zeitungen politischen Einfluß und machten die Presse zum entscheidenden Mittel der öffentlichen Meinungsbildung. Einen Rückschlag erfuhr die Pressefreiheit durch die Wiedereinführung der Zensur während der Dauer des 1. Weltkriegs und nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933. Durch die Zwangsmitgliedschaft aller im Pressewesen tätigen Personen in der Reichspressekammer 10 und durch das SchriftleiterG 11 wurde die Pressefreiheit beseitigt. Die politische Säuberung der Presse führte zu einer Pressekonzentration in den Händen der NSDAP. Am Ende des 2. Weltkriegs waren 82,5% der Gesamtauflage der deutschen Zeitungen in zwei Holdings zusammengefaßt, die beide im Eigentum eines der Partei gehörenden Verlags standen. Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft 1945 begann der Neuaufbau des Pressewesens zunächst im Rahmen eines von den Besatzungsmächten kontrollierten eng begrenzten Lizenzierungssystems (sog. Lizenzpresse), das erst 1949 aufgehoben wurde. Art. 5 I GG stellte die Pressefreiheit wieder in vollem Umfang her. Noch bestehende Vorbehalte der alliierten Besatzungsmächte wurden 1955 aufgegeben 12 . b) Gegenwartssituation: Die deutsche Presse bietet ein vielgestaltiges und bewegtes Bild. Im Bereich der Buchpresse besteht eine Fülle von Verlagen, 8 9 10 11 12

BVerfGE 7, 198, 208. § 143 Abs. 2 der Verf. des Deutschen Reiches vom 28. 3. 1849. Vgl. das ReichskulturkammerG vom 22. September 1933 (RGBl. I S. 661). Vom 4. Oktober 1933 (RGBl. I S. 713). Zur Geschichte der Presse und des Presserechts vgl. Möhrke, Pressegeschichte zum Nachschlagen, 1951; Löffler, PresseR, Kommentar, Bd. I, 3. Aufl., 1983, Einl. Rdnr. 94 ff.

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ohne daß trotz einer Tendenz zur Konzentration marktbeherrschende Positionen einzelner Verlage erkennbar wären. Auch bei der periodischen Presse ist der Zug zur Konzentration inzwischen beendet 13 . Da die privatwirtschaftlich betriebenen Zeitungsverlage selbst in weitem Umfange zu einer großbetrieblich organisierten Industrie geworden und die Kapitalinvestitionen, die ein Presseunternehmen laufend benötigt, erheblich sind, wurden Verlage der Kleinpresse bis zu einer Auflage von 20000 häufig zur Kooperation mit anderen Pressebetrieben gezwungen. Mit Hilfe von Materndiensten kann die Kleinpresse Teile des redaktionellen Inhalts der Zeitung fertig von dritter Seite beziehen, ohne ihre rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit aufgeben zu müssen. Damit kann allerdings die Gefahr eines Meinungsmonopols der Materndienstzentralen entstehen, die den Lesestoff der von ihnen belieferten Zeitungen gestalten. 1983 existierten in der Bundesrepublik Deutschland 1255 Zeitungen („redaktionelle Ausgaben"). Es bestanden aber nur 125 Zeitungen mit Vollredaktionen (sog. „publizistische Einheiten") 14 . Die Verkaufsauflage betrug im 4. Quartal 1982 durchschnittlich 21,2 Millionen Exemplare. 97% aller Zeitungen sind Abonnementszeitungen. Die wenigen Straßenverkaufszeitungen — unter ihnen auch Zeitungen für ausländische Arbeitnehmer — erreichten aber eine Auflage, die fast ein Drittel aller verkauften Exemplare ausmachte. „Bild" erschien im 4. Quartal 1982 in einer werktäglich verkauften Auflage von 5,40 Millionen, während die kleinste Zeitung mit einer Vollredaktion, die „Honnefer Volkszeitung", eine verkaufte Auflage von 3000 hatte. Der Umsatz aller Tageszeitungen erreichte 1982 die Summe von 8,7 Milliarden DM 15 . Das Zeitschriftenwesen ist durch eine reiche Vielfalt gekennzeichnet. Wöchentlich erscheinenden Programmzeitschriften, Magazinen und Illustrierten mit Millionenauflagen stehen Fach-, Berufs-, Verbands-, Werks-, Bildungs-, Unterhaltungs- und andere Zeitschriften mit verschiedenen Erscheinungszeiträumen und unterschiedlichen Auflagenhöhen gegenüber. Auflagenstärkste Zeitschrift ist die monatlich erscheinende „ADAC motorweit" mit einer Auflage von 6,92 Millionen im 4. Quartal 1982. Sie ist ebenso wie die an 3. Stelle stehende Zeitschrift „Mosaik" mit einer Auflage von 2,85 Millionen auf Mitgliedschaften in Verbänden gestützt. An 2. Stelle liegt „Hör zu", von der 13

14 15

Zur Pressekonzentrationsforschung vgl. Klaue / Knoche / Zerdick (Hrsg.), Probleme der Pressekonzentrationsforschung, 1980. - Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten der Pressekonzentration vgl. etwa Kunert, Pressekonzentration und Verfassungsrecht, 1971; Lerche, Verfassungsrechtliche Fragen zur Pressekonzentration, 1971; Herzog, in: Maunz / Düng, GG, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 178ff. Vgl. ferner die wirtschaftsrechtliche Untersuchung von Mestmäcker, Medienkonzentration und Meinungsvielfalt, 1978. Am 1. 2. 1984 stieg die Zahl der publizistischen Einheiten auf 126; vgl. Media Perspektiven 1984, 158. Schütz. Media Perspektiven 1983, 181 ff., 216 ff.; Media Perspektiven, Daten zur Mediensituation in der Bundesrepublik, 1983, 24.

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durch Abonnement und Einzelverkauf wöchentlich 3,81 Millionen Exemplare verkauft wurden16. Am 31. 12. 1980 wurden insgesamt 6243 Zeitschriften erfaßt, deren Verkaufsauflage sich auf 141,7 Millionen Exemplare belief, während weitere 104,2 Millionen unentgeltlich verteilt (Kundenzeitschriften, Anzeigenblätter) oder an Mitglieder von Vereinen und Verbänden im Rahmen der Mitgliedschaft abgegeben wurden. Die Fachzeitschriften bildeten nach der Anzahl die größte Gruppe. Der Umsatz aller Zeitschriften betrug 1980 8,1 Milliarden DM 17 . Da die periodische Presse überwiegend vom Anzeigengeschäft und weniger durch den Verkauf der Zeitungen finanziert wird, besteht nicht nur eine Konkurrenzsituation zwischen lokaler Klein- und Mittelpresse und überregionaler Großpresse, sondern auch ein Wettbewerb mit anderen Massenmedien, weil Hörfunk und Fernsehen ebenfalls Werbung betreiben. Der Marktanteil des Rundfunks an der Werbung ist in den letzten Jahren wieder leicht gestiegen. An den Netto-Werbeumsätzen ausgewählter Werbeträger von 13,00 Milliarden DM im Jahre 1982 waren die Anzeige- und Beilagenwerbung mit 8,72 Milliarden DM, die Fernseh-, Hörfunk- und Filmwerbung nur mit 1,85 Milliarden DM beteiligt. Die Anteile der Bruttowerbeaufwendungen für Produkte und Dienstleistungen mit regionaler und überregionaler Bedeutung betrugen 1982 für die Zeitungen 30,0%, die Zeitschriften 45,3%, den Hörfunk 7,4% und das Fernsehen 17,3%18.

2. Rechtsgrundlagen Von der ihm in Art. 75 Nr. 2 GG eingeräumten Rahmengesetzgebungskompetenz hat der Bund noch keinen Gebrauch gemacht. Ein im Bundesministerium des Inneren erarbeiteter Referentenentwurf von 1974, der sich vornehmlich mit der inneren Pressefreiheit befaßte, stieß wegen Zweifel an seiner Praktikabilität und verfassungsrechtlicher Bedenken überwiegend auf Ablehnung 19 . Der Bund hat aber auf Grund anderer Gesetzgebungskompetenzen Regelungen getroffen, die das Pressewesen angehen, wie etwa auf den Gebieten des Strafrechts, des Kartellrechts oder der Statistik. Auf Grund des Gesetzes über eine Pressestatistik vom 1. April 197520 ist es möglich, umfassende amtliche statistische Erhebungen bei allen Unternehmen durchzuführen, die Zeitungen oder Zeitschriften verlegen. 16 17 18 19

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Vgl. Diederichs, Media Perspektiven 1983, 499. Statistisches Jahrbuch 1983, S. 368. Media Perspektiven, Daten zur Mediensituation in der Bundesrepublik, 1983, 44f. ZV + ZV 39-40/1974, S.1208. Vgl. auch z.B. Augstein, Der Spiegel vom 29.7.1974; Fromme, FAZ vom 31.7. und 19.9.1974; Ahlers, Wirtschaftswoche vom 23. 8. 1974. - Zum Inhalt des Referentenentwurfs vgl. Groß, Presserecht, S. 83 ff. BGBl. 1975 I S. I I I .

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Die Länder einigten sich 1963 auf einen Modellentwurf eines LandespresseG, der von ihnen kooperativ ausgearbeitet wurde21. Diesem Modell entsprechend erließen zwischen 1964 und 1966 neun Länder inhaltlich weitgehend übereinstimmende Landespressegesetze, und das Land Hessen paßte sein PresseG dem Modellentwurf an. Unverändert blieb allein das bayerische LandespresseG von 194922. 3. Anwendungsbereich der Landespressegesetze a) Druckwerke; Die Landespressegesetze enthalten keine Legaldefinition des Pressebegriffs. Durch die jüngste technische Entwicklung ist die Abgrenzung zwischen Presse und Rundfunk problematisch geworden. Der Videotext, von den Zeitungsverlegern „Bildschirmzeitung" genannt, erscheint auf dem Fernsehempfangsgerät als geschriebener Text, und die Faksimilezeitung wird vom Empfängergerät sogar ausgedruckt. Die Pressegesetze der Länder definieren nur das Druckwerk. Der rechtliche Begriff der Presse muß sich demnach vornehmlich am Begriff des Druckwerks orientieren. Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Pressegesetze ist somit in erster Linie das Presseerzeugnis, nicht das Presseunternehmen oder die Pressetätigkeit. Unter den Begriff des Druckwerks fallen alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Schriften, besprochenen Tonträger, bildlichen Darstellungen mit und ohne Schrift und Musikalien mit Text oder Erläuterungen 23 . Zu den Druckwerken gehört auch das gesamte Korrespondenzmaterial der presseredaktionellen Hilfsunternehmen, so daß Nachrichtenagenturen, Pressekorrespondenzen, Materndienste und ähnliche Unternehmen den Bestimmungen der Landespressegesetze unterliegen. Keine Druckwerke i. S. der Pressegesetze sind amtliche Druckwerke 24 , soweit sie ausschließlich amtliche Mitteilungen enthalten, und die sog. „harmlosen" Druckwerke, die nur Zwecken des Gewerbes und Verkehrs, des häuslichen geselligen Lebens dienen, wie Formulare, Preislisten, Werbedrucksachen, Familienanzeigen, Geschäfts-, Jahres- und Verwaltungsberichte, Visitenkarten, Konzertprogramme, Speisekarten, Taschenkalender oder Hochzeitszeitungen sowie Stimmzettel für Wahlen. Ebenso wird der Charakter eines Druckwerks verneint, wenn der geistige Inhalt der Vervielfältigung gegenüber dem vorherrschenden Stoffmaterial so in den Hintergrund tritt, daß 21 22 23

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Text: Löffler, PresseR, Bd. II, 2. Aufl., 1968, S. 605ff. G über die Presse vom 3. 10. 1949 (BayBS I, S. 310). Zur Neuordnung vgl. Gensior, Juristen-Jahrbuch 5 (1964/65), S. 19ff. § 7 der PresseG von Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein; §6 der PresseG von Bayern und Berlin; § 4 Hessisches PresseG. Zu Verfassungsfragen des kommunalen Amtsblattes vgl. Ricker, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 287ff.; vgl. aber auch Wimmer, NJW 1982, 2793ff.

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er dessen stofflich wirtschaftlicher Bestimmung völlig untergeordnet wird oder eine unwesentliche Rolle spielt wie z. B. Biergläser mit Aufschriften, Warenetiketten, Banknoten oder Spielkarten. Trotz dieser Ausnahmen ist der Begriff des Druckwerkes außerordentlich weit, da er nicht nur gedruckte oder anderweitig vervielfältigte Erzeugnisse, sondern auch Schallplatten und besprochene oder bespielte Tonbänder umfaßt. Da der vom Gesetz nicht definierte juristische Pressebegriff am Druckwerkbegriff orientiert ist, folgt daraus, daß den Landespressegesetzen grundsätzlich auch ein sehr weiter Pressebegriff zugrunde zu legen ist. Die Pressegesetze gelten nicht nur für die Zeitungspresse, sondern darüber hinaus für alle Unternehmen, soweit sie Druckwerke im Sinne der Pressegesetze herstellen, sofern nicht ausdrücklich normierte oder aus dem Sinn und Zweck einer Bestimmung gebotene Einschränkungen vorliegen. b) Periodische Druckwerke: Besondere Vorschriften gelten für periodische Druckwerke, worunter Zeitungen, Zeitschriften und andere in ständiger, wenn auch unregelmäßiger Folge und im Abstand von nicht mehr als 6 Monaten erscheinende Druckwerke verstanden werden. Der Begriff des periodischen Druckwerkes deckt sich ungefähr mit dem, was man nach dem Sprachgebrauch unter Presseerzeugnis bzw. überhaupt unter Presse versteht 25 . Keine periodischen Druckwerke sind reine Anzeigenblätter 26 sowie wiederkehrend erscheinende Druckwerke, denen die Abgeschlossenheit und Selbständigkeit fehlt, wie z. B. Ergänzungslieferungen von Loseblattsammlungen. 4. Pressefreiheit und Informationsanspruch a) Äußere Pressefreiheit: Eine freie, nicht staatlich gelenkte und keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates. Die der Presse zufallende öffentliche Aufgabe, die sie insbesondere dadurch erfüllt, daß sie Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt 27 , nimmt sie im gesellschaftlichen Raum wahr. Sie stellt also keine vierte Gewalt im Sinne der staatlichen Gewaltentrennung dar, sondern steht außerhalb der staatlichen Organisation. Die Presseunternehmen arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und privatrechtlichen Organisationsformen und stehen untereinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf 28 . 25

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Vgl. Wolff / Bachof, VwR III, 4. Aufl., 1978, § 132 Ia 2. Auch das BVerfG hat im 1. Fernsehurteil als Presse nur die Zeitungs- und Zeitschriftenpresse gemeint, BVerfG E 12, 205, 261. BGHZ 19, 392. Vgl. § 3 der LandespresseG. BVerfGE 20, 162, 175. Abweichend von der herrschenden Meinung behauptet Löfflet, NJW 1969, 2227, daß auch nichtstaatliche Institutionen Adressaten des Zensurverbots sein können. - Zur Zulässigkeit von Pressesubventionen vgl. VG Berlin

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Art. 5 I S. 2 GG gewährt der Presse nicht nur einen individuellen Abwehranspruch gegen störende Eingriffe des Staates, sondern gewährleistet darüber hinaus die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Informationen bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung 29 . Geschützt ist nicht nur die formelle oder passive, sondern auch die materielle oder aktive Pressefreiheit, d. h. das Recht, aktiv am öffentlichen Geschehen durch Nachrichtenübermittlung, Meinungsäußerung, Kontrolle und Kritik mitzuwirken. Die institutionelle Sicherung der Presse als einer der Träger und Verbreiter der öffentlichen Meinung im Interesse einer freien Demokratie schließt das subjektive öffentliche Recht der im Pressewesen tätigen Personen ein, ihre Meinung in der ihnen geeignet erscheinenden Form ebenso frei und ungehindert zu äußern wie jeder andere Bürger. Der verfassungsmäßigen Garantie der Pressefreiheit widerspräche es, die Presse oder einen Teil von ihr unmittelbar oder auch nur mittelbar von Staats wegen zu reglementieren oder zu steuern. Ein Gesetz, das der Regierung erlauben würde, einem Redakteur die Berufsausübung zu untersagen, wäre verfassungswidrig 30 . Die institutionelle Garantie kommt freilich nur jenem Bereich der Presse zu, der den in § 3 der LandespresseG umschriebenen öffentlichen Aufgaben dient 31 . Sie gilt sicherlich nicht für sämtliche Personen, die Druckwerke in der weiten Bedeutung dieses Begriffs herstellen. Geschützt sind aber auch die im deutschen Pressewesen beschäftigten Ausländer sowie Deutsche und Ausländer, die in der Bundesrepublik Deutschland für ausländische Presseunternehmen tätig sind, soweit diese am Prozeß der Meinungsbildung im Inland mitwirken. Wichtigster Ausfluß der Pressefreiheit ist das in Art. 5 I S. 3 GG normierte Zensurverbot. Es bedeutet, daß präventive Einwirkungen, welche die Möglichkeit eines Eingreifens gegen bestimmte Auffassungen eröffnen, verboten sind. Wie weit dieses Verbot auch für die Schülerpresse oder für Anstaltszei-

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DVB1. 1975, 268, mit Anm. von Henke = DÖV 1975, 134, mit Anm. von Scholz; OVG Berlin DVB1. 1975, 905; Schenke, Der Staat 15 (1976), 553ff.; Lerche, in: Löffler(Hrsg.), Der Staat als Mäzen, 1981, S. lff. BVerfGE 10, 118, 121; 12, 205, 260; 20, 162, 175f. So die h. M„ vgl. Ridder, GRe II, S. 259ff.; Reh / Groß, Hessisches PresseG, 1963, S. 27; Scheuner, W D S t R L 22 (1965), S. 62ff.; Scheer, Deutsches PresseR, 1966, S. 175f.; Löffler, PresseR I, § 1 Rdnr. 57, 118ff. Kritisch: Bettermann, DVB1. 1963, 42; Forsthoff, DÖV 1963, 633; Kemper, Pressefreiheit und Polizei, 1964, S. 53ff.; Schnur, W D S t R L 22 (1965), S. 116ff.; Rehbinder. PresseR, 1967, S. 20f. BVerfGE 10, 118, 121 ff. Zum zulässigen Ausspruch eines Berufsverbots gemäß §§ 61 Nr. 7 und 70 StGB n. F. vgl. BVerfGE 25, 88 ff. (zu § 42 1 StGB a. F.). In diesem Sinne Scheuner, W D S t R L 22 (1965), S. 75. Das BVerfG beschränkt die „öffentliche Aufgabe" der Presse nicht auf die regelmäßig erscheinende politische Presse; vgl. BVerfGE 20, 162, 174ff. Nach BVerfGE 21, 271, 278, umfaßt die Pressefreiheit auch den Anzeigenteil. — Zum geschützten Personenkreis vgl. Rebe, Die Träger der Pressefreiheit nach dem Grundgesetz, 1969, S. 52ff.

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tungen gilt, hängt jeweils von den besonderen Rechtsverhältnissen ab32. Eine Selbstkontrolle der Presse fällt nicht unter das Zensurverbot. Sie könnte jedoch dann unzulässig sein, wenn durch sie eine Selbstgleichschaltung der Presse bewirkt würde, welche die durch Art. 5 I S. 2 GG gewährte institutionelle Garantie in Frage stellt33. Ob auch eine Nachzensur verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist, der Zensurbegriff also auch repressive Maßnahmen umschließt, ist streitig34. Auf Grund der Landespressegesetze gehört zur Freiheit der Presse auch das Verbot von Berufsorganisationen der Presse mit Zwangsmitgliedschaft und eine mit hoheitlicher Gewalt ausgestattete Standesgerichtsbarkeit 35 . Berufsorganisationen auf freiwilliger Basis und eine freiwillige Ehrengerichtsbarkeit sind dagegen zulässig. Freilich darf ein Ehren- oder Schiedsgericht nicht auf Ausschluß aus dem Presseberuf erkennen; denn die Verwirkung der Pressefreiheit darf allein durch das BVerfG ausgesprochen werden. Da die Pressefreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze findet, wäre auch eine Sonderbesteuerung der Presse unzulässig36. b) Innere Pressefreiheit: Angesichts der zunehmenden Konzentration der Zeitungspresse erhebt sich die Frage, ob die Pressefreiheit auch vor nichtstaatlichen Einwirkungen gesichert ist. Geht man davon aus, daß die Presse als Institution zur Artikulierung der öffentlichen Meinung im demokratischen Staat geschützt ist, kann sich zur Erhaltung und Sicherung der Offenheit und Vielfalt der Diskussion im Extremfall das Gebot eines staatlichen Eingriffs ergeben, um Gefahren abzuwehren, die einem freien Presserecht aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen könnten 37 . Der Vorschlag eines Anti-Konzentrations-Gesetzes, das eine Marktanteilsbegrenzung für Presseunternehmen bestimmen soll38, fand im juristischen Schrifttum Be32

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Vgl. hierzu VG Koblenz DÖV 1981, 67 f., mit Anm. von Ott; OVG Koblenz DVB1. 1981, 1015ff., mit Anm. von Hage; von Münch, Freie Meinungsäußerung und besonderes Gewaltverhältnis, 1957; Brenner, Pressefreiheit und Schülerzeitung, 1966; Leuschner, Das Recht der Schülerzeitung, 1966; Schock, Schülerpresserecht, 1971; Kästner, DÖV 1977, 500ff.; Löffler, AfP 1980, 184ff.; Tiemann, in: Birk/Dittmann /Erhard(Hrsg.), Kulturverwaltungsrecht im Wandel, 1981, S. 143ff.; Jarass, DÖV 1983, 609ff. (insbesondere zur Unterscheidung von Schülerpresse und Schulpresse); Löffler, NJW 1984, 1206ff.; Kühler, NJW 1984, Heft 38. Scholz, in: Fs. f. Maunz, 1981, S. 337ff. Vgl. im einzelnen Löffler, PresseR I, § 1 Rdnr. 147f., und BVerfGE 33, 52, 72f. Gegen einen „materiellen" Zensurbegriff, wie ihn Noltenius (Fn. 7), S. 106 ff., gebraucht, wendet sich Scheuner, W D S t R L 22 (1965), S. 79. § 1 IV der PresseG von Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein; § 1 III PresseG von Bayern und Niedersachsen; § 2 III Hessisches PresseG. Ein ausdrückliches Verbot einer Sonderbesteuerung der Presse enthält § 1 IV des Hessischen PresseG. BVerfGE 20, 162, 176; Scheuner, W D S t R L 22 (1965), S. 76f.; Löffler, PresseR I, 38 § 1 Rdnr. 118 ff. BT-Drucks. V/3122.

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fürworter, doch stieß er auch auf Ablehnung 39 . Insbesondere wird darauf hingewiesen, daß es sich bei einem solchen Gesetz nicht um ein allgemeines im Sinne von Art. 5 II GG, sondern um ein Einzelfallgesetz handeln würde. Um Meinungsmonopole zu verhindern oder zu erschweren, kommt auch die Genehmigungspflicht für Fusionen oder die Offenlegung der Besitz- und Beteiligungsverhältnisse in Betracht. Letzteres ist in Bayern und Hessen bereits in den Pressegesetzen geregelt. Eine pressespezifische Fusionskontrolle ist mit Wirkung vom 28. 1. 1976 in Kraft getreten40. Gemäß § 23 I S. 7 GWB sind Fusionen von Presseunternehmen mit Gesamtumsätzen von mehr als 25 Mill. DM dem Bundeskartellamt anzuzeigen41. Zur Sicherung der Meinungsvielfalt wird schließlich eine interne „Demokratisierung" der Presse empfohlen, indem der Verleger auf die Auswahl der Redakteure und auf die Festlegung „der allgemeinen publizistischen Haltung" der Zeitung beschränkt würde, während dem Chefredakteur eine „Richtlinienkompetenz" bei der Gestaltung der Zeitung zukommen würde und die Redakteure oder sogar alle Journalisten in diesem Rahmen bei der inhaltlichen Gestaltung ihrer Beiträge im einzelnen frei sein würden 42 . Die Interessen der Redakteure könnte eine Redakteursvertretung wahrnehmen, die auch an personellen Entscheidungen mitwirkt. Eine gesetzliche Regelung der Mitbestimmung von Redakteuren, Journalisten ohne Redakteurstatus und Redakteursvertretung wird freilich nicht nur unter verfassungsrechtlichen Aspekten kritisiert. Auch wird eingewendet, daß es unmöglich sei, die „allgemeine publizistische Haltung" eines Blattes festzulegen43. Da das wirtschaftliche Risiko dem Verleger nicht abgenommen werden kann, ohne daß die privatwirtschaftliche Struktur der Presse aufgegeben würde, sind der Mitbestimmung von Redakteuren und anderen im Pressewesen tätigen Personen letztlich Grenzen gesetzt, mögen diese auch recht weit sein44. Eine gesetzlich 39

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Dafür: Löffler, ZRP 1968, 12ff.. Ablehnend: Kuli, DÖV 1968, 861 ff.; Heizier, ZRP 1969, 7. - Vgl. ferner Kirn, ZRP 1970, 102ff.; Kunert, Pressekonzentration und Verfassungsrecht, 1971, S. 102 ff. 3. Gesetz zur Änderung des GWB vom 28. 6. 1976 (BGBl. I S. 1697); vgl. dazu BGH NJW 1980, 1381. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Fusionskontrolle vgl. Gehrhardt, AfP 1971, 2ff.; Kuli, AfP 1974, 634ff.; Ricker, AfP 1975, 733ff.; Groß, DVB1. 1976, 925ff.; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 1978, S. 383ff. So z. B. die Regelung des inzwischen nicht weiter verfolgten Referentenentwurfs vom Juli 1974. Wie „jeder Fach- und jeder Nicht-Idiot weiß" (Augstein, Der Spiegel vom 29. 7. 1974). Zur „inneren Pressefreiheit" vgl. z. B. Pressefreiheit, Entwurf eines Gesetzes zum Schutze freier Meinungsbildung und Dokumentation des Arbeitskreises Pressefreiheit, hrsg. von Armbruster u. a., 1970; Schwerdtner, ZRP 1970, 220ff.; ders., BB 1971, 833ff.; ders., JR 1972, 357ff.; Kuli, AfP 1970, 906ff.; ders., AfP 1972, 249ff.; Hensche, ZRP 1972, 177ff.; Marx, NJW 1972, 1547ff.; Kaiser, Presseplanung, 1972, S.41 ff.; Kubier, Gutachten für den 49. Deutschen Juristentag, 1972; W. Weber, Innere Pressefreiheit als Verfassungsproblem, 1973; Lerche, Verfassungsrecht-

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eingeführte Journalistenmitbestimmung ist im übrigen nur dann zulässig, wenn nur dadurch die Meinungsvielfalt einer freien Presse gewährleistet werden kann. c) Informationsanspruch: Art. 5 I S. 1 GG gewährt das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Dieses Informationsrecht steht auch der Presse zu und wird in § 4 der LandespresseG näher präzisiert. Danach sind die Behörden verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen45. Allgemeine Anordnungen, die einer Behörde Auskünfte an die Presse verbieten, sind unzulässig. Der Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift kann von den Behörden verlangen, daß ihm deren amtliche Bekanntmachungen nicht später als seinen Mitbewerbern zur Verwendung zugeleitet werden. Die Tätigkeit von amtlichen Pressestellen und Informationsdiensten gründet sich nicht auf das Auskunftsrecht der Presse, sondern dient der Öffentlichkeitsarbeit der betreffenden Körperschaften und Behörden 46 . Das Recht auf Information steht in engem Zusammenhang mit der Pressefreiheit, da diese mangels Information zu einem nudum ius degenerieren würde. Das Recht auf Meinungsverbreitung ist wertlos, wenn nicht gleichzeitig das Recht auf Unterrichtung über die Meinung anderer gesichert wird, wie auch andererseits das Recht, Informationen zu sammeln, ohne das Recht der freien Meinungsäußerung ohne jeden effektiven Wert ist. Begrifflich wird die Meinungsäußerungsfreiheit mitunter sogar als Teil der Informationsfreiheit verstanden. So spricht Art. 19 der allgemeinen Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen von 1948 von der Freiheit, Informationen zu sammeln, zu empfangen und zu verbreiten47.

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liehe Aspekte der „inneren Pressefreiheit", 1974; Branahl/Hoffmann-Riem, Redaktionsstatute in der Bewährung, 1975; Liesegang, JuS 1975, 215ff.; Arndt/von Olshausen, JuS 1975, 485ff.; Fischer / Molenveld / Petzke / Wolter, Innere Pressefreiheit in Europa. Komparative Studie zur Situation in England, Frankreich, Schweden, 1975; Löffler /Ricker, Handbuch des Presserechts, S. 198ff. Zum Auskunftsanspruch der Presse gegenüber einer Rundfunkanstalt vgl. - ablehnend - VGH Mannheim NJW 1982, 668. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, 1966, S. 121 ff.; zur Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und Verwaltung vgl. ferner Sänger, Die Funktion amtlicher Pressestellen in der demokratischen Staatsordnung, 1966; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, 1971, S. 117 ff. Zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Wahlkampf vgl. BVerfGE 44, 125 ff. Über die Grenzen der Pressefreiheit bei der Beschaffung von Informationen durch strafbare Handlungen vgl. BVerfGE 25, 296ff. Vgl. auch Löffler / Ricker, Handbuch des Presserechts, S. 99 ff. Vgl. auch Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1534). - Zu den Bemühungen der Vereinten Nationen um die Informationsfreiheit vgl. Rudolf, JIR 5 (1955), 259ff.; Eek, in: Nordenstreng / Schiller (Hrsg.), National sovereignty and international communication, 1979, S. 173 ff.

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Im Zusammenhang mit der Informationsfreiheit sind einige Privilegien der Presse zu sehen, darunter das verfassungsrechtlich zum Bereich des gerichtlichen Verfahrens gehörende und in § 53 I Nr. 5 StPO geregelte Zeugnisverweigerungsrecht der Redakteure, Verleger, Herausgeber, Drucker und anderer, die bei der Herstellung oder Veröffentlichung einer periodischen Druckschrift mitgewirkt haben 48 . Auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen genießt die Presse eine bevorzugte Behandlung im internationalen Fernmeldeverkehr, z. B. hinsichtlich der Pressetelegramme. Die Schranken des Informationsrechts ergeben sich einmal daraus, daß eine Auskunftspflicht nur im Rahmen der öffentlichen Aufgaben der Presse besteht. Zum anderen können Auskünfte verweigert werden, soweit hierdurch die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder ein überwiegendes Interesse oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde oder ihr Umfang das zumutbare Maß überschreitet.

5. Schranken der Pressefreiheit und Pflichten der Presse Überwachungsbehördliche Eingriffe in die Pressefreiheit sind nach ihren Schranken und nach den Pflichten zu beurteilen, denen die Presse unterliegt. a) Schranken der Pressefreiheit: Wichtigste Schranke sind die allgemeinen Gesetze. Darunter sind alle Gesetze zu verstehen, „die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutz eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat" 49 . Das Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Zu diesen Gesetzen gehören Straf-, Zivil- und Beamtengesetze sowie die Landespressegesetze selbst. Umstritten ist, ob auch die allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in die Pressefreiheit eingreifen dürfen. Nach einer weitverbreiteten Meinung soll die Pressefreiheit nicht

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BVerfGE 36, 193ff. Vgl. auch BVerfGE 20, 162, 189; 25, 296, 305; BVerfG DVB1. 1983, 940; Kaiser, NJW 1968, 1260ff.; Groß, NJW 1968, 2368ff.; Cramer, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Presse und Rundfunk, 1968; Löffler / Ricker, Handbuch des Presserechts, S. 131 ff.; Kohlhaas, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 143ff.; Löffler, PresseR I, § 23 Rdnr. 35 ff. BVerfGE 7, 198, 209f.

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mehr wie zur Zeit des ReichspreßG „polizeifest" sein50. Demgegenüber ist auf den Inhalt der Pressegesetze zu verweisen, wonach polizeiliche Eingriffe in Form der präventiv-polizeilichen Beschlagnahme im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht zulässig sind. Nach den Landespressegesetzen ist die Beschlagnahme von Druckwerken grundsätzlich ausschließlich dem Richter vorbehalten 51 . Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt allerdings nur in Berlin, Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz. In den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein ist eine vorläufige Sicherstellung von Presseerzeugnissen durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten zulässig, wobei in Bayern, Bremen und Niedersachsen für Zeitungen und Zeitschriften und in Nordrhein-Westfalen für Zeitungen das richterliche Beschlagnahmemonopol nicht durchbrochen ist. Keinen Rechtsschutz genießt die Presse gegenüber wertneutralen Eingriffen der Polizei, da es sich insoweit nicht um gezielte Eingriffe in die Pressefreiheit handelt. So ist die Schließung einer Druckerei aus baupolizeilichen Gründen ebenso zulässig wie die Entfernung von Plakaten an der Autobahn aus verkehrspolizeilichen oder Landschaftsschutzrücksichten. Auch die Zollerhebung für Druckwerke berührt die Pressefreiheit nicht. Ebenso ist die gesetzliche Beschränkung der freien Einfuhr von Presseerzeugnissen aus dem Ausland insoweit zulässig, als das betreffende Gesetz ein allgemeines im Sinne von Art. 5 II GG ist. Ob das bei dem Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 der Fall ist, ist bestritten52. Neben den allgemeinen Gesetzen stellen die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und das Recht der persönlichen Ehre weitere Schranken der Pressefreiheit dar. Das G über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften beschränkt die Verbreitung von Druckwerken. Schriften, Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine bei einer Bundesprüfstelle geführte Liste aufzunehmen. Indiziert werden vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende 50

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BGHZ 12, 197, 203; Kemper, Pressefreiheit und Polizei, S. 70ff.; Bettermann, JZ 1964, 605; Maunz / Zippelius, StaatsR, 25. Aufl., 1983, S. 195. Gegen diese Auffassung OVG Koblenz DOV 1981, 801; VGH München NJW 1983, 1339; W. Schmidt, JZ 1967, 151 ff.; vgl. auch Schwark, Der Begriff der „Allgemeinen Gesetze" in Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes, 1970, S. 54ff. § 13 der LandespresseG, außer Bayern (§ 16), Hamburg (§ 12), Hessen (§§ 13, 16, 17). BGBl. 1961 I S. 607, zuletzt geändert durch G vom 27. 2. 1974, BGBl. I S. 437. Als Sondergesetz wird das Überwachungsgesetz von Löffler, PresseR I, § 1 Rdnr. 173, charakterisiert; a. M.: Handschuh, Die Überwachung der Einfuhr und Verbreitung verfassungsfeindlicher Schriften, Diss. Tübingen, 1967, S. 140ff. Hinsichtlich des § 5 I und II GÜV vgl. BVerfGE 33, 52 ff. und die abweichende Meinung der Richter Rupp-von Brünneck und Simon, BVerfGE 33, 78 ff.

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sowie den Krieg verherrlichende Schriften. Nicht in die Liste aufgenommen werden dürfen Schriften allein ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts wegen oder solche, die der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dienen 53 . Eine periodische Druckschrift kann auf die Dauer von 3 bis 12 Monaten in die Liste aufgenommen werden, wenn innerhalb von zwölf Monaten mehr als zwei ihrer Nummern in die Liste aufgenommen worden sind; doch gilt dies nicht für Tageszeitungen und politische Zeitschriften, wohl aber für Wochenzeitungen. b) Pflichten der Presse: Unter den Pflichten, welche die Pressegesetze der Presse auferlegen, ist zuerst ihre Sorgfaltspflicht zu nennen. Danach hat die Presse alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft zu prüfen, um Druckwerke von strafbarem Inhalt freizuhalten oder Druckwerke strafbaren Inhalts nicht zu verbreiten54. Die unverfälschte Nachrichtenübermittlung ist deshalb von so großer Wichtigkeit, weil jede bewußte oder unbewußte Falschmeldung in das Denken von Millionen übergehen kann. Ein späteres Dementi versagt oft da, wo die falsche Nachricht auf die Gesinnung oder Meinung der Leserschaft richtig berechnet ist und ihre Wirkung bereits entfaltet hat, wenn das Dementi ergeht. Ferner dürfen Anklageschriften und andere amtliche Schriftstücke eines Straf- oder Bußgeldverfahrens vor ihrer Erörterung in öffentlicher Verhandlung oder vor Abschluß des Verfahrens nicht oder nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde veröffentlicht werden. Schließlich ist von jedem Druckwerk bestimmten Stellen (z. B. einer Universitätsbibliothek) ein Pflichtexemplar anzubieten und auf Verlangen gegen angemessene Entschädigung abzuliefern. Dem Eigentumsgrundrecht widerspricht es, daß der Verleger eines Druckwerks ein Belegstück unentgeltlich abliefern muß, wenn es sich um ein mit großem Aufwand und in kleiner Auflage herausgegebenes Werk handelt 55 . Besonderen Pflichten unterliegen periodische Druckwerke. Nur für sie besteht die Pflicht, einen verantwortlichen Redakteur zu haben und ihn mit Namen und Anschrift im Impressum anzugeben. An den Redakteur stellt das Gesetz persönliche Anforderungen: Er muß im Bundesgebiet seinen ständigen Aufenthalt haben, die bürgerlichen Ehrenrechte besitzen, unbeschränkt strafrechtlich verfolgt werden können und — soweit es sich nicht um Druckwerke von Jugendlichen für Jugendliche handelt — das 21. Lebensjahr vollendet haben und unbeschränkt geschäftsfähig sein. Ferner müssen gegen Entgelt gedruckte Anzeigen als solche deutlich bezeichnet sein. 53 54

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Zum Kunstbegriff vgl. BVerwG DVB1. 1968, 879 ff. Vgl. ferner Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967, S. 113 ff. § 6 der LandespresseG von Baden-Württ., Bremen, Hamburg, Nieders., Nordrh.Westf., Rheinl.-Pf., Saarl. und Schlesw.-Holst.; §3 der PresseG von Bayern und Berlin. Das Hess. LandespresseG enthält keine Bestimmung über die Sorgfaltspflicht der Presse. Zur Wahrheitspflicht der Presse vgl. Thieme, DÖV 1980, 149 ff. BVerfGE 58, 137.

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Der verantwortliche Redakteur und der Verleger eines periodischen Druckwerks sind verpflichtet, eine Gegendarstellung der Person oder Stelle zum Abdruck zu bringen, die durch eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist. Von der Anbietungs- und Ablieferungspflicht ist die periodische Presse befreit 56 .

III. Rundfunkrecht 1. Historische und soziale Grundlagen a) Geschichtliche Entwicklung: Im Jahre 1888 entdeckte der Physiker Hertz die elektromagnetischen Wellen und zeigte auf, wie man diese selber erzeugen und sich dienstbar machen kann. 10 Jahre später betrieb Marconi als erster einen drahtlosen Telegraphenverkehr, und 1902 wird das erste drahtlose Telegramm über den Atlantik gesendet. Die „Funkentelegraphie" wird zunächst für die Schiffahrt nutzbar gemacht. Um gegenseitige Störungen zu vermeiden, wird 1906 in Berlin der erste Internationale Funkentelegraphenvertrag geschlossen, dem nach dem Titanic-Untergang 1912 der zweite Weltfunkvertrag folgt. Die erste Rundfunkübertragung fand 1913 in New York statt. In Deutschland wird ein Unterhaltungsrundfunkdienst seit 1923 betrieben. Über Draht wurden aber schon seit 1881 Opernaufführungen für einige hochgestellte Persönlichkeiten in Berlin, Frankfurt, Danzig und in Bayern übertragen. Die Kompetenz über das Funkwesen nahm das Deutsche Reich auf Grund seiner Kompetenz über Telegraphenangelegenheiten in Anspruch. Der Rundfunk selbst wurde privatwirtschaftlich durch neun verschiedene regionale Gesellschaften und die Deutsche Welle betrieben. 1925 wurde die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft mbH als Dachorganisation für alle Rundfunkgesellschaften gegründet. 51% des Gesellschaftskapitals aller Rundfunkgesellschaften erhielt die Reichspost. Eine Kontrolle über die Gesellschaften übte der Rundfunkkommissar aus, zu dem Staatssekretär Bredow ernannt wurde, der sich um die Entwicklung des Rundfunks besonders verdient gemacht hatte. Als Überwachungsorgane über die Programmgestaltung fungierten Überwachungsausschüsse, deren Mitglieder von den jeweils betroffenen Landesregierungen und der Reichsregierung ernannt wurden, und Kulturbeiräte 57 . 56

57

Zum Ordnungsrecht der Presse und zum Recht der Gegendarstellung vgl. Löffler / Ricker, Handbuch des Presserechts, S. 59ff., 108ff.; Wenzel, Das Recht der Wortund Bildberichterstattung, 2. Aufl., 1979. S. 336ff.; Seitz / Schmidt / Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch in Presse, Film, Funk und Fernsehen, 1980; Damm, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 25ff.; Groß, DVB1. 1981, 247ff. Zur Geschichte des Rundfunks bis zur Bildung der Reichsfunkgesellschaft vgl. Lerg, Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland, 1965; Haensel, Rundfunkfreiheit und Fernsehmonopol, 1969, S. 17 ff.

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Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung begann die Gleichschaltung des Rundfunks, der aus dem Ressort der Reichspost in das des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda überführt wurde. Nur die Technik blieb Angelegenheit der Post. Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft betrieben die alliierten Militärbehörden die Sender zunächst selbst und schalteten auch die Post aus der Technik aus. Schließlich wurde der Rundfunk in deutsche Hände zurückübertragen, wobei entsprechend dem Vorbild der britischen BBC als Rechtsform die Anstalt öffentlichen Rechts gewählt wurde 58 . In der amerikanischen Besatzungszone entstanden in den Jahren 1948/49 der Bayerische Rundfunk, der Hessische Rundfunk, Radio Bremen und der Süddeutsche Rundfunk, jeweils für den Bereich des betreffenden Landes. Für die britische Zone wurde eine einheitliche Anstalt, der NWDR, gebildet, der 1954/55 in den Westdeutschen Rundfunk und den Norddeutschen Rundfunk geteilt wurde. Ebenso entstand in der französischen Besatzungszone nur eine Anstalt, der Südwestfunk. Im Saarland betrieb man den Rundfunk zunächst durch eine GmbH, deren Rechte und Pflichten 1957 der ebenfalls anstaltlich organisierte Saarländische Rundfunk übernahm. 1953 wurde der Sender Freies Berlin errichtet, doch blieb der von der amerikanischen Besatzungsmacht errichtete Rundfunkveranstalter RIAS daneben weiterhin bestehen. Außerdem existieren auf dem Bundesgebiet ausländische Sender zur Rundfunkversorgung der alliierten Streitkräfte sowie ein Sender der BBC in Berlin und 3 von ausländischen Privatpersonen organisierte und finanzierte Rundfunkunternehmen. Im Jahre 1960 gründete auch der Bund zwei Rundfunkanstalten, den Deutschlandfunk und die Deutsche Welle. Das Fernsehen ist Teil des Rundfunks. Es hat sich in Deutschland in organisatorischer Verbindung mit dem Hörrundfunk entwickelt. Zwischen 1935 und 1944 gab es bereits einen Fernseh Versuchsbetrieb. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahm der NWDR die Rechte der früheren Reichspost-Fernseh-GmbH und strahlte seit 1950 ein Versuchsprogramm aus. Seit Ende 1952 gibt es ein regelmäßiges Fernsehprogramm, das zunächst vom NWDR allein betrieben, dann von sämtlichen in der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten bestritten wurde. Zur Sendung eines Kontrastprogramms gründeten sämtliche deutschen Länder durch Staatsvertrag vom 6. Juni 1961 das Zweite Deutsche Fernsehen 59 . Außerdem bieten die Rundfunkanstalten der Länder fünf regionale dritte Fernsehprogramme an, teilweise als Gemeinschaftsprogramm (z. B. S 3 gemeinsam vom Saarländischen Rundfunk, Süddeutschen Rundfunk und Südwestfunk). 58

59

Zur Entstehung der gegenwärtigen Rundfunkorganisation vgl. Reichert, Der Kampf um die Autonomie des deutschen Rundfunks, 1955; Brack, RuF 1962, 30ff.; ders., Organisation und wirtschaftliche Grundlagen des Hörfunks und des Fernsehens in Deutschland, 1968, S. 9ff.; Rudolf, Über die Zulässigkeit privaten Rundfunks, 1971, S. 11 ff.; Herrmann, UFITA 97 (1984), 17ff. GV. NW. 1961 S. 269; Hillig, RuF 1962, 391 ff.

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In Anbetracht der technischen Schwierigkeiten ist die Fernsehversorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu 100% gesichert. Das 1. und 2. Programm kann im gesamten Bundesgebiet nur von 97%, das 3. Programm nur von 95% der Bevölkerung empfangen werden. Es bestehen jedoch regionale Unterschiede, da die Femsehversorgung abhängig ist von der Struktur der Landschaft. Sie ist besonders günstig in den ebenen Stadtstaaten und besonders ungünstig im geographisch stark gegliederten Sendegebiet des Saarländischen Rundfunks und des Südwestfunks, wo viele Füllsender erforderlich sind. Als erste Rundfunkorganisation der Welt hat der Südwestfunk Ende Oktober 1977 eine neuartige Füllsender-Versuchsstation in Betrieb genommen, die der Erprobung mit solarelektrischer Energieversorgung dient. b) Gegenwartssituation: Angesichts der großen Bedeutung, die der Rundfunk als Träger der öffentlichen Meinungsbildung besitzt, haben die Staaten sehr bald entsprechend ihren Vorstellungen über die Stellung des Rundfunks in der Gesellschaft Einfluß auf die Organisation dieses Massenmediums genommen. Dabei mußte berücksichtigt werden, daß aus technischen Gründen nur eine beschränkte Anzahl von Wellenlängen überhaupt zur Verfügung steht. Der Gesamtbereich sämtlicher Radiofrequenzen ist zudem zwischen Hör-, Fernseh-, Amateur-, Schiffs-, Flug-, Militär-, Polizeifunk und sonstigen Funkdiensten bis zu Hertzsche Wellen erzeugenden medizinischen Geräten aufzuteilen. Sind in einer Region genügend Wellenlängen vorhanden, daß jeder Interessierte, der die nötigen finanziellen Mittel besitzt, eine Frequenz erhalten kann, läßt sich der Rundfunk privatwirtschaftlich organisieren, wie das zumeist in der westlichen Hemisphäre geschehen ist. Nur die Gründung und der Geschäftsbetrieb der Privatgesellschaften wird staatlich überwacht. Finanziert wird dieser Privatrundfunk überwiegend durch Werbefunk. Das extreme Gegenteil dieses Systems ist ein staatliches Rundfunkmonopol der Art, daß die Regierung die Programmgestaltung in eigener Regie betreibt, wie z. B. in den Staaten des Ostblocks60. In der Bundesrepublik Deutschland hatte man sich im Hinblick auf die verhältnismäßig geringe Zahl der bisher zur Verfügung stehenden Frequenzen entschlossen, den Rundfunk als Anstalt des öffentlichen Rechts zu organisieren, da diese Rechtsform unter den gegebenen technischen Voraussetzungen die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk besonders gut gewährleistet61, aber ohne daß Art. 5 I S. 2 GG 60

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Vgl. die rechtsvergleichende Untersuchung von von Mangoldt / Sympher / Zeidler, Die rechtliche Ordnung des Rundfunks im Ausland, 1953; Krause-Ablaß, in: Internationales Handbuch für Rundfunk und Fernsehen 1967/68, S. 63 ff. W. Weber, Zur Rechtslage des Rundfunks, in: Denkschrift des Nordwestdeutschen Rundfunks, Hamburg, 1953, S. 63 ff.; vgl. ferner den Landesbericht Bundesrepublik Deutschland von Lerche, in: Bullinger / Kübler(Hrsg.), Rundfunkorganisation und Kommunikationsfreiheit, 1979, S. 15 ff. — Als Anstalt des öffentlichen Rechts können sich die Rundfunkanstalten außerhalb der treuhänderischen Wahrneh-

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die Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Anstalt fordert. Bei der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts sind die Rundfunkanstalten durch die ihnen ständig zukommenden Gebühren auf der einen Seite von der Regierung wirtschaftlich unabhängig, während auf der anderen Seite die pluralistischen Kräfte des öffentlichen Lebens in den Organen der Anstalten die Aufstellung von Grundsätzen der Programmgestaltung entscheidend beeinflussen können. Durch die Einrichtung des Werbefunks sind neben die Einnahmen aus Rundfunkgebühren sehr beträchtliche Einkünfte der Rundfunkanstalten aus der Rundfunkwerbung getreten 62 . Bestrebungen, die Zahl der Rundfunkanstalten durch Zusammenschlüsse zu verringern, blieben bisher erfolglos 63 . Während man bisher unter Rundfunk Hörfunk und Fernsehen 64 als Übertragung akustischer und visueller Darbietungen durch Funk — allerdings auch durch Drahtfunk 65 — verstand, ist angesichts der neuesten technischen Entwicklung 66 der Rundfunkbegriff umstritten. An neuen technischen Möglichkeiten sind neben dem Satellitenfunk?1 Kabelhörfunk und Kabelfemse-

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mung der Rundfunkfreiheit nicht auf Grundrechte berufen, vgl. Scholz, Rundfunkeigene Programmpresse?, 1982, S. 43fT. Einen Alimentierungsanspruch der Anstalten gegen den Staat vertreten Bachof, Verbot des Werbefernsehens durch Bundesgesetz?, 1966, S.34; Stern / Bethge, Funktionsgerechte Finanzierung der Rundfunkanstalten durch den Staat, 1968, S. 38ff.; Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und die Finanzautonomie des Deutschlandfunks, 1969, S. 16. Zur Rundfunkfinanzierung aus dem Staatshaushalt vgl. Heydt, AöR 100 (1975), 584ff. Zum Werbefernsehen vgl. vor allem Leisner, Werbefernsehen und öffentliches Recht, 1967, S. 22 ff., 129 ff. und passim; Bethge, Media Perspektiven 1983, 690ff. - Zu Finanzierung und Wirtschaftlichkeit der Anstalten vgl. auch Stern / Schreckenberger u. a., Programmauftrag und Wirtschaftlichkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, 1984. Schmücker, Neue Rundfunkstruktur in Südwestdeutschland?, ARD Jahrbuch 70, S. 18 ff. Vgl. auch K.-J. Schneider, Konzentrationsbestrebungen der deutschen Landesrundfunkanstalten in verfassungsrechtlicher Sicht, 1970. BVerfGE 12, 205, 226. BayVerfGHE 30, 78, 92; OVG Münster DÖV 1978, 519f.; Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, 1974, S. 60 ff. - Gegen die Einbeziehung des Drahtfunks ex deflnitione: Demme, Das Kabelfernsehen in rechtlicher Sicht, 1969; G. Küchenhoff, BB 1969, 1320; W. Weber, in: Fs. f. Forsthoff, 1972, S. 477. Zu den Neuen Medien siehe den Abschlußbericht der Expertenkommission BadenWürttemberg, Bd. I—III, 1981; ferner den Zwischenbericht der vom 9. Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken" vom 28. 3. 1983, BT-Drucks. 9/2442; aus der Literatur vor allem Bullinger, Kommunikationsfreiheit im Strukturwandel der Telekommunikation, 1980; ders., AfP 1982, 69ff.; Bismark, Neue Medientechnologien und grundgesetzliche Kommunikationsverfassung, 1982; Stern, DVB1. 1982, 1109ff.; Meng, in: Deutsche Landesreferate zum öffentlichen Recht und Völkerrecht, XI. Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung, 1982, S. 77ff.; Löffler, PresseR I, §25 Rdnr. 118ff.; Tettinger, JZ 1984, 400ff. Vgl. Bueckiing, NJW 1981, 1113ff.; Löwer, JZ 1981, 730ff.; Rudolf/Abmeier, ArchVR 21 (1983), I ff.; Degenhart, EuGRZ 1983, 205ff.; Hübner / Immelmann

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hen6S zu nennen. Über Koaxialkabel können gleichzeitig 12 bis 60 Fernsehprogramme und zusätzlich etwa die gleiche Anzahl von Hörfunkprogrammen übertragen werden. Im Mai 1984 waren bereits 7% aller Haushalte mit einem Kabelanschluß versorgt. Mit der in der Entwicklung befindlichen Glasfaserübertragung, die in größerem Maßstab zuerst in Stuttgart eingeführt werden wird, wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Kanäle für Fernsehen und Hörfunk in nicht allzu ferner Zukunft unvorstellbare Dimensionen annehmen. Schon jetzt werden Videotextdienste angeboten. Darunter versteht man die drahtlose oder drahtgebundene Übermittlung von Textnachrichten oder graphischen Darstellungen, die auf dem Bildschirm eines Fernsehempfangers mittels eines Decoders wiedergegeben werden können. Die Übertragung erfolgt in einer bisher nicht genützten Lücke der allgemeinen Fernsehübermittlung. Beim Bildschirmtext wird das bestehende Telefon-, Fernschreib- oder Datennetz als Übermittlungsträger benutzt. Fernmelderechtlich sind Funkanlagen „elektrische Sendeeinrichtungen, bei denen die Übermittlung oder der Empfang von Nachrichten, Zeichen, Bildern oder Tönen ohne Verbindungsleitungen oder unter Verwendung elektrischer, an einem Leiter entlang geführter Schwingungen stattfinden kann" (§ 1 I S. 2 FAG). Daraus folgt, daß nicht nur der drahtlose, sondern auch der drahtgebundene Rundfunk, also auch der Kabelrundfunk und der Videotext unter den fernmelderechtlichen Funkanlagenbegriff fallen. Die fernmelderechtliche Genehmigung zum Betreiben von Funkanlagen, die den Rundfunkanstalten von der Bundespost erteilt wurde, erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Benutzung der Austastlücke für Videotext, so daß die Rundfunkanstalten für Videotext-Übertragungen keiner zusätzlichen fernmelderechtlichen Genehmigung bedürfen 69 . Nicht unter den fernmelderechtlichen

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u. a., Satellitenfernsehen und deutsches Rundfunksystem, 1983; vgl. auch Krafczyk, Ausländische Rundfunksendungen als „allgemein zugängliche Quellen" im Sinne des Art. S Abs. 1 GG, 1983. — Die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben sich am 23. 2.1984 auf ein Nutzungskonzept für den europäischen Fernmeldesatelliten ECS I geeinigt. Ein Kanal, der sog. Ost-Beam, wurde dem ZDF, ein anderer, der sog. West-Beam, der Anstalt für Kabelkommunikation (AKK) Ludwigshafen zugewiesen. Diese hat die Nutzung an eine Arbeitsgemeinschaft von 21 selbständigen (privaten) Antragstellern vergeben. Die Satellitensendungen werden seit dem 1. 4. 1984 ausgestrahlt und können in die bestehenden Kabelnetze eingespeist werden. Zur Zulässigkeit zusätzlicher Programme des ZDF vgl. H. H. Kupp, Rechtsgutachten über die Ausstrahlung zusätzlicher Fernsehprogramme durch das ZDF (ZDF Schriftenreihe Heft 28), 1981. Zum Kabelfunk vgl. Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetze, 1974; KtK-Bericht, 1976, S. 106 ff. und Anlageband 5; Hühner / Elias u. a., Kabelfernsehprojekte, 1980. - Zu Rechtsfragen der Programmeinspeisung vgl. Groß, NJW 1984, 409ff. Rudolf / Meng, Rechtliche Konsequenzen der Entwicklung auf dem Gebiet der Breitbandkommunikation für die Kirchen, 1978, S. 29. Zum Videotext vgl. KtK-Bericht, 1976, Anlageband 2, S. 48ff., Anlageband 4, S. 122ff.; Messerschmid, Media Perspektiven 1977, 421 ff.; Ratzke(Hrsg.), Die Bildschirmzeitung, 1977.

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Funkbegriff fällt der Bildschirmtext, da er über das bestehende Telefon- oder Telegrafennetz übermittelt wird. Nach dem Rundfunkrecht der Länder ist der Rundfunkbegriff weit gefaßt. In dem Staatsvertrag über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens von 1968 haben sich die Länder auf eine einheitliche Begriffsbestimmung geeinigt, an der sie seither festgehalten haben. Danach ist Rundfunk die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters70. Nach dieser Definition unterfallen auch das Kabelfernsehen und der Videotext dem Rundfunkbegriff, nicht dagegen der Bildschirmtext. Nach Auffassung der Länder handelt es sich beim Bildschirmtext weder um „Presse" noch um „Rundfunk", sondern um ein neues Medium, das gemäß Art. 30 und 70 GG ihrer Regelungskompetenz unterfalle 71 . Auch der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff des Art. 5 I S. 2 GG ist weit gefaßt. Ihm unterliegen alle Massenmedien, die sich der Übermittlung durch elektrische Schwingungen bedienen. Nicht das Endprodukt (z. B. Faksimilezeitung) ist entscheidend, sondern die Art der Übermittlung, wobei freilich nicht zum Rundfunk gehört, was nicht der Massenkommunikation dient (z. B. ein Telefongespräch) 72 . Gegen eine derartig weite Fassung des Rundfunkbegriffs werden vor allem vor dem Hintergrund des faktischen Monopols der Rundfunkanstalten Bedenken erhoben 73 . Legt man den weiten Rundfunkbegriff zugrunde, ist es unerläßlich, die neuen technischen Kommunikationsmittel, vor allem den Kabelrundfunk in rechtlich unterschiedlich organisierten Pilotprojekten zu testen. Auf Grund eines Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz vom 11. Mai 1978 sollen 4 befristete Versuche mit Breitbandkabel durchgeführt 70 71

72

73

Art. 1 des Staatsvertrages vom 5. 12. 1974, GV. NW. 1975 S. 278. Vgl. Begründung zum Landesgesetz zum Staatsvertrag über Bildschirmtext, LTDrucks. Rheinland-Pfalz 10/120, S. 13. - Zur Qualifizierung des Bildschirmtextes als Individual- und /oder Massenkommunikationsmittel sowie als Rundfunk, Presse oder Medium eigener Art und zu den damit zusammenhängenden Kompetenzfragen zwischen Bund und Ländern vgl. Scherer, Der Staat 22 (1983), 321 ff.; ferner Koch, Zur Frage der Zuordnung der neuen audio-visuellen Medien zum Rundfunk in Art. 5 I 2 GG, Diss. Hamburg, 1979; König, Die Telextexte, 1980; Ferger/Junker, DÖV 1981, 439ff.; von Petersdorff, Die Bildschirmtextzentrale eine Fernmeldeanlage - Bildschirmtext ein Fernmeldedienst?, Diss. Berlin, 1982; Bartl, DB 1982, 1097ff.; Bullinger, Der Staat 22 (1983), 210ff.; Ring/Hartstein, Bildschirmtext heute, 1983. Einen weiten Rundfunkbegriff vertreten auch Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 195; Lerche, Rundfunkmonopol, 1970, S. 14ff.; Schwandt, DÖV 1972, 693ff.; Ossenbühl, DÖV 1972, 695ff.; Lieb, Kabelfernsehen und Rundfunkgesetz, 1974; Stammler, Verfassungs- und organisationsrechtliche Probleme des Kabelrundfunks, 1974, S. 8ff.; ders., AfP 1975, 743 ff.; Rudolf/ Meng( Fn. 69), S. 40 ff. M. Forsthoff, AfP 1975, 739ff.

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und ausgewertet werden. An der Durchführung der Pilotprojekte sind Rundfunkanstalten, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft und eine öffentlichrechtliche Anstalt zu beteiligen. Während nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz über die Durchführung eines Modellversuchs mit Breitbandkabel vom 14. 12. 1983 an Private keine Sendezeiten zur eigenverantwortlichen Gestaltung überlassen werden dürfen - sie können nur im sog. Offenen Kanal zu Worte kommen - 7 4 , sind aufgrund des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über einen Versuch mit Breitbandkabel vom 27. 11. 1980 im Kabelpilotprojekt Ludwigshafen auch private Veranstalter bei der Erprobung der neuen Medien zugelassen worden 75 . Bei dem Münchner Versuch beteiligen Bayerischer Rundfunk und Zweites Deutsches Fernsehen „in geeigneter Weise Dritte an der Erstellung des Gesamtrundfunkprogramms" 76 . Am 18. März 1983 haben die Bundesländer einen Staatsvertrag über Bildschirmtext geschlossen77. 1984 wird Bildschirmtext als erstes öffentliches elektronisches Textkommunikationssystem bundesweit eingeführt, nachdem er in Berlin78 und in Nordrhein-Westfalen 79 erfolgreich erprobt worden ist. Nach Maßgabe des Staatsvertrages kann sich jeder am Bildschirmtext als Teilnehmer und darüber hinaus als Anbieter, auch unter Verwendung externer Speicher und Rechner, beteiligen80. Der Staatsvertrag trifft unterschiedliche Regelungen für individual-, gruppen- und massenkommunikative Nutzungen des Bildschirmtextsystems81. 2. Rechtsgrundlagen a) Bundesrecht: Der Streit um den Rundfunkbegriff hat auch kompetenzrechtliche Aspekte. Auf dem Gebiet des Rundfunkwesens ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach dem Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts vor allem auf den sendetechnischen Bereich beschränkt 82 . Insoweit besitzt der Bund gemäß Art. 73 Nr. 7 GG die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis. 74 75 76

77 78 79 80 81 82

§ 5 Nr. 1, GV. NW. 1983 S. 640. Zum „Offenen Kanal" vgl. Hoffmann-Riem, in: Fg. f. von Unruh, 1983, S. 973 ff. § 14, GVB1. 1980 S. 229. § 4 1 1 Grundvertrag für das Kabelpilotprojekt München vom 16. 7. 1982, Text in: Media Perspektiven 1982, 531. Vgl. ferner den Entwurf eines Gesetzes über die Erprobung und Entwicklung neuer Rundfunkangebote und anderer Mediendienste in Bayern, Text in: Media Perspektiven 1984,140ff. GV. NW. S.227; vgl. hierzu Scherer, NJW 1983, 1832ff.; Lachmann, NJW 1984, 405 ff. G über die Erprobung von Bildschirmtext in Berlin vom 29.5. 1980 (GVB1. S. 1002). G über die Durchführung eines Feldversuchs mit Bildschirmtext vom 18.3. 1980 (GV. NW. S. 153). Art. 2 I Bildschirmtext-Staatsvertrag. Art. 3 I Bildschirmtext-Staatsvertrag. BVerfGE 12, 205.

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Unter den bundesrechtlichen Normen, die Regelungen für den Rundfunk enthalten, spielen zunächst innerstaatlich anwendbare völkerrechtliche Verträge eine Rolle, vor allem der Internationale Fernmeldevertrag 83 und dessen Vollzugsordnung für den Funkdienst 84 . Bedeutsam ist auch das Europäische Übereinkommen vom 22. Januar 1965 zur Verhinderung von Rundfunksendungen von Strahlern außerhalb nationaler Gebiete 85 , durch welches sich die Vertragsstaaten verpflichtet haben, Rechtsnormen zu schaffen, um gegen Piratensender außerhalb des Küstenmeeres vorgehen zu können. Die wichtigsten bundesrechtlichen Regelungen für den Rundfunk sind im G über Fernmeldeanlagen in der Fassung vom 17. März 1977 enthalten 86 . Danach steht das Recht, Fernmeldeanlagen, worunter auch Rundfunk- und Fernsehsendeanlagen fallen, zu errichten und zu betreiben, ausschließlich dem Bund zu, der diese Befugnis verleihen kann. Die Durchführung dieses Gesetzes obliegt der Bundespost, die für die Vergabe der Sendelizenzen und die Zuteilung der Frequenzen an die Rundfunksender zuständig ist. Durch ein BundesrundfunkG von i96087 wurde die Bundesanstalt „Deutschlandfunk" errichtet und die bisher als gemeinsame Einrichtung der Landesrundfunkanstalten betriebene „Deutsche Welle" vom Bund als Anstalt öffentlichen Rechts übernommen. b) Landesrecht: Bei den landesrechtlichen Bestimmungen 88 handelt es sich vor allem um die Rundfunkgesetze Baden-Württembergs, Bayerns, Berlins, Bremens, Hessens, Niedersachsens, Nordrhein-Westfalens und des Saarlands und um den Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk, der von den Ländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein abgeschlossen wurde 89 , den zwischen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz abgeschlossenen Staatsvertrag über den Südwestfunk und den von sämtlichen Bundesländern abgeschlossenen Staatsvertrag über das Zweite Deutsche Fernsehen. 83 84 85 86 87

88 89

Vertrag von Malaga - Torremolinos vom 25. Oktober 1973, BGBl. 1976 II S. 1090. In der Fassung von Genf 1963. BGBl. 1969 II S. 1940. Vgl. Haucke, Piratensender auf See, 1969; Oehler, Das deutsche Strafrecht und die Piratensender, 1970. BGBl. 1977 I S. 460; BGBl. III Nr. 9020/1; Sartorius I, Nr. 925. BGBl. 1960 I S. 862; Mallmann, JZ 1963, 350ff., erhebt verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Gesetz; vgl. dazu auch Lerche, Zum Kompetenzbereich des Deutschlandfunks, 1963; Ossenbühl, Rundfunkfreiheit und die Finanzautonomie des Deutschlandfunks, 1969, S. 3 ff. Zur Länderkoordinierung in der Medienpolitik angesichts der Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken vgl. Groß, DÖV 1983,437 ff. Der Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk vom 16. 2. 1955 (Niedersachsen, GVB1. S. 167; Schleswig-Holstein, GVB1. S. 92; Hamburg, GVB1. S. 197) wurde von Schleswig-Holstein zum 31. 12. 1980 gekündigt. Nach der Entscheidung des BVerwG 60, 162 galt die Kündigung nur hinsichtlich des Landes Schleswig-Holstein. Daraufhin schlössen die 3 Länder am 20. 8. 1980 einen neuen Staatsvertrag (Schleswig-Holstein: G vom 29. 10. 1980 [GVB1. S. 302], Niedersachsen: G vom 10. 12. 1980 [GVB1. S. 481], Hamburg: G vom 1. 12. 1980 [GVB1. S. 349]).

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Den drei genannten Staatsverträgen haben die Parlamente der beteiligten Länder zugestimmt. Diese Gesetze bzw. Staatsverträge sowie die auf Grund der Gesetze bzw. Staatsverträge ergangenen Satzungen regeln die Organisation der Rundfunk- bzw. Fernsehanstalten. Bedeutsam sind ferner das Länderabkommen über die Koordinierung des ersten Fernsehprogramms von 195990, der Staatsvertrag über die Höhe der Rundfunkgebühr von 198291, das 1982 geänderte 92 Länderabkommen über einen Finanzausgleich von 197393 und der Staatsvertrag über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens von 197494. Auf die verfassungsrechtliche Frage, ob die auf Staatsvertrag beruhenden Rundfunkanstalten überhaupt solche des Landesrechts sind oder aber auf dem Vertrag als einer eigenständigen interföderalistischen Rechtsordnung beruhen, braucht hier nicht eingegangen zu werden 95 . 3. Organisation des Rundfunks a) Aufgaben der Rundfunkansialten: Aufgabe der Rundfunkanstalten der Länder ist die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Nachrichten und Darbietungen in Wort, Ton und Bild. Jeder dieser Anstalten ist ein Sendegebiet zugewiesen, für dessen Programmversorgung die Anstalt verantwortlich ist und aus dem ihr das Gebührenaufkommen überwiegend zufließt. Ein vom Gesetz geregeltes ausschließliches Recht einer Rundfunkanstalt, sendetechnische Anlagen zu errichten und zu betreiben, ist freilich mit Art. 73 Nr. 7 G G nicht vereinbar 96 . Gleichwohl besitzen die Landesrundfunkanstalten tatsächlich ein Monopol der Rundfunkversorgung in ihrem Gebiet, abgesehen von der auf Staatsvertrag beruhenden Anstalt „Zweites Deutsches Fernsehen", der Anstalt für Kabelkommunikation des Kabelpilotprojekts Ludwigshafen und den Sendern, die von den alliierten Streitkräften oder von ausländischen Gesellschaften betrieben werden. Von den Bundesrundfunkanstalten hat die „Deutsche Welle" die Aufgabe, den Rundfunkteilnehmern im Ausland ein umfassendes Bild des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland zu vermitteln und ihnen die deutsche Auffassung zu wichtigen Fragen darzustellen und zu erläu90 91 92 93 94 95

96

GV. NW. 1959 S. 115. GV. NW. 1983 S. 226. Ebenda. GV. NW. 1973 S. 558. GV. NW. 1975 S. 278. Vgl. etwa Kölble, NJW 1962, 1084; Bachof / Kisker, Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Staatsvertrages über die Errichtung der Anstalt „Zweites Deutsches Fernsehen", 1965, S. 51 f.; Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 237ff.; BVerwGE 22, 299ff. BVerfGE 12, 205, 240; BGBl. 1961 I S. 269. Zum Ausschließlichkeitsanspruch vgl. H. Krüger. Der Rundfunk im Verfassungsgefüge und in der Verwaltungsordnung von Bund und Ländern, 1960, S. 113 ff.

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tern 97 . Der Deutschlandfunk hat Sendungen für Deutschland und das europäische Ausland zu veranstalten. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sind die Rundfunkanstalten nur der Rechtsaufsicht des Staates unterworfen 98 . Beim Westdeutschen Rundfunk und den Bundesrundfunkanstalten beschränkt sich diese Aufsicht auf die Beachtung der Bestimmungen der einschlägigen Gesetze, während sie beim Norddeutschen Rundfunk, beim Südwestfunk und beim „Zweiten Deutschen Fernsehen" auch die Beachtung der allgemeinen Rechtsvorschriften umfaßt und beim Saarländischen Rundfunk in allen Fällen, in denen Gesetze verletzt sind, eingreift. Die Rechtsaufsicht umfaßt neben der durch Art. 5 I S. 2 G G garantierten freien Programmgestaltung vor allem die Haushalts- und Wirtschaftsführung. Eine staatliche Zensur im Hinblick auf den Inhalt der gesendeten Meinungen darf freilich nicht ausgeübt werden. Wohl aber besteht ein weiter Spielraum bei der Einflußnahme der staatlichen Schulverwaltung auf Bildungssendungen im engeren Sinne (Schulfernsehen), die von den Rundfunkanstalten ausgestrahlt werden 99 . b) Innere Organisation und Kompetenzen der Organe: Die Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes sind verhältnismäßig einheitlich organisiert. Bedenklich ist der zunehmende parteipolitische Einfluß in ihnen 100 . Die Rundfunkorganisation erlaubt den Kontrollgremien unmittelbaren Einfluß auf das Programm, der allerdings in der Praxis weniger stark ist als die Einflußnahme über Personal- und Finanzentscheidungen. Noch in den 60er Jahren waren die Kontrollgremien mit Persönlichkeiten besetzt, die sich dem Druck aus den eigenen Reihen widersetzen und dem Rundfunk den verfassungsrechtlich gebotenen Freiraum erhalten konnten. Das hat sich im Gefolge einer von den politischen Parteien systematisch betriebenen Medien- und Personalpolitik leider geändert. Parlamentarisch oder durch weisungsgebun97 98

99 100

Rechtsvergleichend zum Auslandsfunk vgl. Rudolf, RuF 1954, 47 ff. Zur Rechtsaufsicht vgl. Wilkens, Die Aufsicht über den Rundfunk, Diss. Frankfurt, 1965; Leibholz, in: Fs. f. Scheuner, 1973, S. 363ff.; Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, 1973; Bethge, DV 1974, 439ff.; Mallmann, Zur Rechtsaufsicht über das Zweite Deutsche Fernsehen, 1975; Rudolf, ZRP 1977, 213ff.; Maunz, BayVBl. 1977, 526f.; VG Mainz JZ 1979, 303, mit Anm. von Starck. - Der Rundfunkteilnehmer, dem als Anstaltsbenutzer kein Anspruch auf die Ausstrahlung eines bestimmten Programms zusteht (vgl. BVerwG DÖV 1979, 102), besitzt auch keine gerichtlich durchsetzbare Möglichkeit, die Verletzung von Programmgrundsätzen zu rügen (vgl. von Münch, ZRP 1981, 126 ff.). Davon zu unterscheiden ist der Fall, daß Private eine Verletzung ihrer Rechte durch Rundfunksendungen geltend machen; hier ist die Frage, welcher Rechtsweg gegeben ist, heftig umstritten (vgl. etwa BGHZ 66, 182; Bettermann, NJW 1977, 513ff., und zuletzt Lerche, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 217 ff.). - Zur verfassungsrechtlich gebotenen Frist, innerhalb deren eine Gegendarstellung verlangt werden kann, vgl. BVerfGE 63, 131. Jarass, in: Popper/ Wolny, Beiträge zum Medienrecht, 1978, S. 37ff., 55ff. Zum folgenden vgl. vor allem Starck, Rundfunkfreiheit als Organisationsproblem, 1973.

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dene Beamte beherrschte oder weitgehend beeinflußte Rundfunkgremien können die Freiheit der Rundfunkberichterstattung beeinträchtigen. Sind die verantwortlichen Personen zu stark dem Druck der politischen Parteien, denen sie angehören, ausgesetzt, so könnte die Meinungsvielfalt verkümmern. Werden die Funkhäuser zur Spielwiese der Parteien, ist eine Reorganisation der Rundfunkanstalten geboten101. Organe der Anstalten sind der Rundfunkrat (beim ZDF: Fernsehrat), der Verwaltungsrat 102 und der Intendant, an dessen Stelle bei Radio Bremen ein Direktorium besteht. Dazu kommt beim Westdeutschen Rundfunk der Programmbeirat. Hinsichtlich der Verteilung der Kompetenzen dieser Organe besteht ebenfalls weitgehende Übereinstimmung 103 . aa) Der Rundfunkrat ist die Vertretung der Allgemeinheit im Rundfunk. In ihm sind zwischen 11 und 66 Mitglieder, die entweder von gesellschaftlichen Kräften aus dem wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und kulturellen Leben und aus den Lebensbereichen der Frauen, der Jugend, der Heimatvertriebenen und des Sports oder aber von staatlichen Organen — dann meist von den Landtagen — bestimmt werden. Sie gehören entweder zu den gesellschaftlichen Gruppen oder sind Parlamentarier. Die Regierungen entsenden grundsätzlich nur ein Mitglied. Weniger die Wahl der Rundfunkratsmitglieder durch die Verbände als vielmehr die Auswahl von Personen, die bestimmten gesellschaftlichen Gruppen angehören müssen, durch die Parlamente ist auf Kritik gestoßen. Wegen der teilweise praktizierten Mediatisierung der Verbandsmitglieder durch die Verbandsmanager, aber auch wegen der fehlenden Repräsentation ganzer gesellschaftlicher Gruppen ist die Legitimation des Rundfunkrats angezweifelt worden 104 . Da der Rundfunk „staatsfrei" zu sein hat, ist die Wahl der Rundfunkratsmitglieder ausschließlich durch Landesparlamente verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. 101

102 103 104

Zum Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks bei der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien vgl. OVG Lüneburg JZ 1979, 24, mit Anm. von H. H. Rupp, = DÖV 1979, 170, mit Anm. von Kewenig. Zu Teilhabeansprüchen auf Rundfunkkontrolle und ihrer gerichtlichen Durchsetzung vgl. Starck, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 375ff. Aus Art. 21 GG können Ansprüche politischer Parteien auf Mitwirkung im Rundfunkrat nicht hergeleitet werden, BVerfGE 60, 53, 63 ff. Zur politischen Betätigung der Rundfunkmitarbeiter und ihrer Meinungsäußerungsfreiheit im Verhältnis zur Neutralitätspflicht der Rundfunkanstalten vgl. Fuhr, AfP 1975, 736 ff. Gemäß § 9 der Satzung des Senders Freies Berlin bildet der Verwaltungsrat einen ständigen Ausschuß des Rundfunkrates. Zum folgenden vgl. Jank, Die Rundfunkanstalten der Länder und des Bundes, 1967, S. 24ff. (zu den Organen), 81 ff. (zu den Kompetenzen). Vgl. etwa Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und als Interessenvertreter, 1964, S. 76; Stock, AöR 104 (1979), lff. Nach dem FRAG-Urteil des BVerfG (E 57, 295, 330 f.) sind die Zusammensetzung des Rundfunkrats des Saarländischen Rundfunks (§ 16 IV) sowie die unzureichende gesetzliche Regelung des Programmbeirats des Westdeutschen Rundfunks (§§ 17 III und VI, 18) zu beanstanden.

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Beim Rundfunkrat sind sämtliche Kreationsfunktionen und die wichtigsten Aufsichtsbefugnisse konzentriert. Er wählt die zu wählenden Mitglieder des Verwaltungsrates, wählt und entläßt den Intendanten oder stimmt dessen Wahl durch den Verwaltungsrat zu. In der Programmgestaltung und teilweise auch in anderen Fragen darf er den Intendanten beraten. Geschieht dieses, so übt er damit keine Zensur aus. Der Rundfunkrat kann Ausschüsse (Hörfunk-, Fernseh-, Finanz-, Rechtsausschuß) bilden und auf diese in bestimmtem Umfang Aufgaben und Kompetenzen delegieren. bb) Der Verwaltungsrat, dem 6 bis 9 Mitglieder angehören, wird vom Rundfunkrat bestellt. Beim Bayerischen Rundfunk bestehen außerdem Mitgliedschaften kraft Amtes105. Zum Verwaltungsrat des Süddeutschen Rundfunks entsendet der Landtag, zu dem des Saarländischen Rundfunks, des Südwestfunks und des Zweiten Deutschen Fernsehens die Regierung einen oder mehrere Vertreter. Bei der Auswahl der Mitglieder des Verwaltungsrats ist der Rundfunkrat grundsätzlich frei. Es besteht allerdings eine Inkompatibilität zwischen der Mitgliedschaft in Rundfunkrat und Verwaltungsrat. Die Mitgliedschaft von Beschäftigten der Anstalt im Verwaltungsrat, wie sie beim Hessischen Rundfunk und bei Radio Bremen vorgeschrieben ist, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Zu den Aufgaben des Verwaltungsrats gehört, die laufende wirtschaftliche und technische Geschäftsführung des Intendanten zu überwachen und bestimmten Rechtshandlungen des Intendanten zuzustimmen. Eine besonders starke rechtliche Stellung besitzt der Verwaltungsrat des Norddeutschen und des Westdeutschen Rundfunks, des Südwestfunks und des Zweiten Deutschen Fernsehens. cc) Der Intendant ist der Leiter der Rundfunkanstalt 106 . Er wird in der Regel vom Rundfunkrat mit qualifizierter Mehrheit gewählt. Bei einigen Rundfunkanstalten erfolgt die Wahl in anderer Weise, entweder durch Rundfunkrat und Verwaltungsrat gemeinsam107 oder durch den Verwaltungsrat unter Bestätigung durch den Rundfunkrat 108. Nach der Wahl schließt der Intendant mit der Anstalt einen privatrechtlichen Vertrag ab. Allein bei den Bundesrundfunkanstalten wird er nach der Wahl und dem Abschluß eines Dienstvertrages auf Vorschlag des Rundfunkrates vom BPräs. ernannt. Die Amtszeit der Intendanten beträgt zwischen drei und neun Jahren. Dem Intendanten obliegt die Leitung der Anstalt und ihre Vertretung nach außen. Er ist vor allem für die Programmgestaltung zuständig und insoweit nahezu unabhängig 109 . Er kann Aufgaben an die leitenden Direktoren (Verwaltungs-, Hörfunk-, Fernseh-, Technischer Direktor, Justitiar) delegieren. Eine Mitbestimmung durch Belegschaftsmitglieder gegenüber dem Intendan105 106 107 108 109

Die Präsidenten des Landtags, des Senats und des Verwaltungsgerichtshofs. Stern / Bethge, Die Rechtsstellung des Intendanten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, 1972. So beim Südwestfunk. So beim Westdeutschen Rundfunk. Stern/Bethge {Fn. 106), S. 55ff.

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ten und in den Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten entbehrt der gesetzlichen Grundlage und kann nicht auf Art. 5 I G G gestützt werden 110 . Engeren Bindungen ist der Intendant dagegen bei der technischen und wirtschaftlichen Geschäftsführung unterworfen. Das Gesetz über Radio Bremen von 1979 hat das Amt des Intendanten in der bisherigen Form abgeschafft und durch ein aus 2 bis 4 Mitgliedern bestehendes Direktorium ersetzt. dd) Einen Programmbeirat neben den genannten drei Organen besitzt der Westdeutsche Rundfunk; er besteht aus 20 Mitgliedern, von denen die Landesregierung eines ernennt, während die übrigen vom Rundfunkrat auf Vorschlag der gesellschaftlichen Einrichtungen, Organisationen und Interessengemeinschaften aus deren Reihen gewählt werden. Der Programmbeirat hat die Aufgabe, den Intendanten bei der Programmgestaltung durch Aussprache und Empfehlungen zu beraten. Der Programmbeirat des Saarländischen Rundfunks ist nur ein beratender Ausschuß des Rundfunkrats. Er besteht aus Mitgliedern des Rundfunkrats und einer begrenzten Zahl von Persönlichkeiten des kulturellen Lebens. c) Werbefunk: Mit Ausnahme der Bundesrundfunkanstalten strahlen die Anstalten Werbesendungen aus, und zwar sämtliche Anstalten im Fernsehen und die Mehrzahl der Anstalten auch im Hörrundfunk. Normalerweise wird den Anstalten das Werbeprogramm durch Gesellschaften des privaten Rechts geliefert. Diese Werbegesellschaften wurden jeweils von den Rundfunkanstalten gegründet. Der von den Gesellschaften erzielte Gewinn kommt den Rundfunkanstalten zugute. Die Werbegesellschaften stellen das zu sendende Programm zusammen. Sie nehmen Aufträge für Werbesendungen von privaten Wirtschaftsunternehmen entgegen. Für das Verhältnis zu den Auftraggebern sind allgemeine Geschäftsbedingungen maßgeblich. Die von der Werbegesellschaft angenommenen Werbesendungen werden über die Sendeanlagen der Rundfunkanstalten ausgestrahlt. Hinsichtlich der Dauer der täglichen Werbeprogrammzeit sind die Rundfunkanstalten insofern Beschränkungen unterworfen, als im Fernsehen nur 20 Minuten täglich Werbung gesendet werden darf. d) ARD: Die Rundfunkanstalten der Länder haben sich 1950 zur Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) zusammengeschlossen zur Wahrnehmung gemeinsamer Interessen auf dem Gebiet des Rundfunks, Bearbeitung gemeinsamer 110

Zur Rundfunkmitbestimmung vgl. vor allem Bethge, UFITA 58 (1970), 117ff.; ders., JR 1972, 493ff.; Ipsen, Mitbestimmung im Rundfunk, 1972; Hoffmann-Riem, Redaktionsstatute im Rundfunk, 1972; Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 252ff.; Tietze, Rechtmäßigkeit einer Mitbestimmung der Redakteure in den Rundfunkanstalten, Diss. Mainz, 1975; Müller / Pieroth, Politische Freiheitsrechte der Rundfunkarbeiter, 1976, S. 22ff.; Rummel, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Mai 1978. - Zur Frage eines Grundrechtsschutzes eines Redakteurs gegenüber seiner Rundfunkanstalt vgl. OVG Münster NJW 1982, 670f.; Bethge, AfP 1981, 386ff.

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Fragen des Programms und gemeinsamer Fragen rechtlicher, technischer und betriebswirtschaftlicher Art und zur Erstattung von Gutachten. Später sind der Arbeitsgemeinschaft die inzwischen hinzugekommenen Landesrundfunkanstalten und die beiden Bundesrundfunkanstalten beigetreten. Die allgemeine Geschäftsführung und die Vertretung der Arbeitsgemeinschaft wird in der Weise bestimmt, daß ein Mitglied als geschäftsführende Anstalt für die Dauer eines Jahres gewählt wird. Beschlüsse der Arbeitsgemeinschaft werden je nach der Wichtigkeit der Angelegenheit mit einfacher oder mit 3/4-Mehrheit oder einstimmig gefaßt. Jede Rundfunkanstalt besitzt eine Stimme. Wichtigste Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft ist der Betrieb des ersten Fernsehprogramms. e) Privater Rundfunk: Nach dem FRAG-Urteil des BVerfG von 19811,1 fordert Artikel 5 I S. 2 GG für die Veranstaltung privater Rundfunksendungen eine gesetzliche Regelung, durch welche die zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit erforderlichen Vorkehrungen zu treffen sind. In Bayern und Bremen ist derzeitig ein privatrechtlich organisierter Rundfunk schlechthin ausgeschlossen, da nach Art. 11 la II BayVerf Rundfunk in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft zu betreiben ist und § 1 III des Gesetzes über Radio Bremen dieser Anstalt das ausschließliche Recht vorbehält, Rundfunksendungen in ihrem Sendegebiet zu veranstalten. Das Rundfunkmonopol des Norddeutschen Rundfunks bestand nur bis zum 1. 1. 1983. Das neue niedersächsische Landesrundfunkgesetz vom 23. 5. 1984" la sieht die Veranstaltung von Hörfunk und Fernsehen durch Private vor. Die Privatrundfunknormen des Gesetzes über die Veranstaltung von Rundfunksendungen im Saarland sind durch das FRAG-Urteil des BVerfG für nichtig erklärt worden" 2 . Rechtliche Ausgestaltungen für die Veranstaltung privater Rundfunksendungen unterliegen nach dem FRAG-Urteil des BVerfG dem Vorbehalt des Gesetzes. Das Parlament darf die Entscheidung darüber nicht der Exekutive überlassen oder einer Regelung durch Satzung der Veranstalter" 3 oder ver111

BVerfGE 57, 295ff.; vgl. auch den Vorlagebeschluß des OVG Saarland DÖV 1974, 497, und dazu: BVerfGE 42, 42ff.; Badura, Verfassungsrechtliche Bindungen der Rundfunkgesetzgebung, 1980; Bethge, Die verfassungsrechtliche Problematik der Zulassung von Rundfunkveranstaltern des Privatrechts, 1981. " l a G V B l . S. 147. 112 BVerfGE 57, 295ff.; vgl. dazu Ricker, NJW 1981, 1925ff.; von Pestalozza, NJW 1981, 2158ff.; Kohl/ Weilbächer, ZRP 1981, 243ff.; Kuli, AfP 1981, 378ff.; W. Schmidt, DVB1. 1981, 920ff.; Schmidt-Bleibtreu, Betr. 1981, 1448ff.; Scholz, JZ 1981, 561 ff.; Oppermann, JZ 1981, 721 ff.; Degenhart, DÖV 1981, 960ff.; Groß, DVB1. 1982, 561 ff.; vgl. aber auch schon Haensel, UFITA 50 (1967), 537; Fuhr/ Konrad, UFITA 50 (1967), 562ff.; Schmitz, DÖV 1968, 683ff.; Stern /Bethge, Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Rundfunk, S. 37ff., S. 67ff.; Theisen, Verfassungs-Forderungen an Privatrundfunk-Normen, Diss. Mainz, 1980, m. weit. Literaturangaben. 1,3 Diesen Anforderungen genügen die gesetzlichen Regelungen über den Sender Freies Berlin und über den Süddeutschen Rundfunk nicht.

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traglichen Regelungen anheimgeben. Der Landesgesetzgeber hat sicherzustellen, daß das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im wesentlichen entspricht114. Darüber hinaus hat er für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich zu machen, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten115. Die Voraussetzungen der Erteilung oder Versagung der Erlaubnis zur Veranstaltung privater Rundfunksendungen sind gesetzlich zu regeln. Eine solche Regelung sieht für das Kabelpilotprojekt Ludwigshafen das rheinland-pfälzische Landesgesetz über einen Versuch mit Breitbandkabel vor116. Unter dem öffentlich-rechtlichen Dach der Anstalt für Kabelkommunikation können juristische Personen 117 , Personengruppen und geschäftsfähige natürliche Personen mit Sitz oder dauerndem Wohnsitz im Geltungsbereich des GG am Versuch als Rundfunkveranstalter teilnehmen. Sie bedürfen einer vom Ministerium der Justiz zu erteilenden staatlichen Erlaubnis und einer vom Vorstand der Anstalt zu erteilenden Nutzungsgenehmigung, welche die Einzelheiten der Teilnahme festlegt118. Organe der Anstalt sind die Versammlung, die aus 40 Mitgliedern besteht, von denen 29 von den gesellschaftlich-relevanten Gruppen und die übrigen von den Landtagsfraktionen, der Landesregierung, den Kommunen und Landkreisen, den Kirchen und den bestehenden Rundfunkanstalten des Versuchsgebiets bestellt werden119. Die Versammlung wählt den dreiköpfigen Vorstand und erläßt Satzungen, überwacht die Ausgewogenheit der Programme und nimmt zu den Anträgen auf Erteilung der staatlichen Erlaubnis oder vor deren Entzug Stellung120. Bisher nicht entschieden sind die Fragen, „ob der Ausschluß privaten Rundfunks zugunsten der öffentlich-rechtlichen Anstalten auch unter den heutigen und künftigen technischen Bedingungen noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist und ob in Zusammenhang damit eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, privaten Rundfunk einzuführen" 121 . Da die aus Art. 5 I GG 114 115

116 117 118 119 120 121

Zum Vielfaltstandard bei Beteiligung Privater vgl. Lerche, NJW 1982, 1676ff.; Groß, DVB1. 1982, 1118ff.; Ricker/Schürdt, ZRP 1983, 124ff. BVerfGE 12, 205, 262f. Zu verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Rundfunkprogramm vgl. K. Lange, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 195ff., sowie die Gutachten von Ossenbühl und Ek. Stein, in: Rundfunkrecht (Schriften der Gesellschaft für Rechtspolitik, Bd. 1), 1981, S. 1 ff.; 71 ff.; zu hoheitlichen Programmanforderungen für private Rundfunkveranstaltungen vgl. Lerche, in: Fs. f. Roegele, 1980, S. 291 ff. GVB1. 1980 S. 229. Dazu: Ricker, AfP 1980, 140ff.; ders., NJW 1981, 849ff.; Stock, Koordinationsrundfunk im Modellversuch, 1981. Zur juristischen Person des öffentlichen Rechts als Rundfunkveranstalter vgl. Rudolf, in: Fs. f. Bachof, 1984, S. 97ff. § 14 i. V. m. § 10 III Nr. 3. §8. § 9

BVerfGE 57, 295, 318. — Gegen einen Anspruch Privater auf Veranstaltung von Rundfunksendungen: OVG Hamburg DÖV 1968, 178ff. ; OVG Berlin DÖV 1969, 713ff.; BVerwGE 39, 159; BayVerfGH AfP 1977, 334ff.; Schmitz, DÖV 1969,

820

Walter Rudolf

folgende Aufgabe, Rundfunkfreiheit rechtlich auszugestalten, nicht zu einer Beschränkung des Individualgrundrechts der Rundfunkfreiheit berechtigt, ist privater Rundfunk im Rahmen der vom BVerfG gezogenen Grenzen dann zuzulassen, wenn genügend Übertragungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das niedersächsische Landesrundfunkgesetz vom 23. 5. 1984 sieht eine Zulassung privater Rundfunkveranstalter ebenso vor wie die jüngsten Landesmediengesetzentwürfe der Länder Baden-Württemberg122, Saarland123 und Schleswig-Holstein124 und der Entwurf des Berliner Kabelpilotprojektgesetzes125. Im Kabelpilotprojekt Ludwigshafen bieten private Rundfunkveranstalter seit dem 1.1. 1984 Fernseh- und Hörfunkprogramme an. 4. Rundfunkgebühr

Der Rundfunkteilnehmer hat eine Gebühr zu entrichten, da aus Art. 5 I GG niemand das Recht zur unentgeltlichen Unterrichtung herleiten kann. Nach Auffassung des BVerfG ist die Veranstaltung von Rundfunksendungen öffentliche Leistungsverwaltung126. Da sie durch Anstalten des öffentlichen Rechts erbracht wird, liegt es nahe, daß der Rundfunkteilnehmer, der die Leistungen der Anstalt beim Empfang entgegennimmt, dafür eine Anstaltsnutzungsgebühr zu entrichten hat. Die Rechtsnatur der Hörergebühr ist gleichwohl umstritten. Sie wird entweder als Anstaltsnutzungsgebühr127 oder

122 123 124 125

126 127

698ff.; Grund, DVB1. 1969, 481 ff. Vgl. aber Krause-Ablaß, RuF 1968, 398ff.; Haensel, Rundfunkfreiheit und Fernsehmonopol, 1969, S. 101 ff.; Lerche, Rundfunkmonopol, 1970, S. 104ff.; Rudolf, Über die Zulässigkeit privaten Rundfunks, 1971, S. 73f.; ders., NJW 1972, 1292; W. Weber, Der Staat 11 (1972), S. 82ff.; HoffmannRiem, ZRP 1976, 291 ff.; Scheuner, AfP 1977, 367ff.; von Pestalozza, ZRP 1979, 25ff.; Gönsch, ZRP 1979, 88ff.; Kröger, NJW 1979, 2537ff.; Schmitt Glaeser, Kabelkommunikation und Verfassung, 1979; Starck, NJW 1980, 1359ff.; H. Klein, in: Fs. f. Löffler, 1980, S. 111 ff.; ders., Der Staat 20 (1981), 177ff.; Ladeur, NJW 1982, 359ff.; Böckenförde/ Wieland, AfP 1982, 77ff.; Scheuner, Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit, 1982; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 229ff.; Bethge, DVB1. 1983, 369ff.; Löffler, PresseR I, § 25 Rdnr. 97ff.; Groß, DÖV 1984, 140 ff. Text in: Ring, Deutsches Presse- und Rundfunkrecht II, F-VI 1.1. Text in: Media Perspektiven 1984, 325ff. Referentenentwurf, Text in: Media Perspektiven 1983, 813ff. Referentenentwurf, Text in: Media Perspektiven 1983, 892ff. - Vgl. ferner Ricker/ Schürdt, ZRP 1983, 124ff., zum Entwurf eines Mediengesetzes der Medienkommission der hessischen CDU. - Eine Synopse der Gesetzentwürfe mit Anmerkungen liefert Groß, Media Perspektiven 1983, 506ff. - Besondere Regelungen zum Satellitenrundfunk und UKW-Hörfunk enthält der rheinland-pfälzische Entwurf eines Landesgesetzes zur Änderung des Landesgesetzes über einen Versuch mit Breitbandkabel vom 5. 7. 1984, Text in: Media Perspektiven 1984, 568f. BVerfGE 12, 205, 244ff. Ebenso H. P. Ipsen, Die Rundfunkgebühr, 2. Aufl., 1958, S. 39ff.; Zeidler, Probleme der Rundfunkgebühr, 1961, S. 38. BayVGH DVB1. 1967, 332; Herrmann, AöR 90 (1965), 325f.

Presse und Rundfunk

821

als Beitrag128 oder als Anstaltsnutzungsgebühr mit Beitragscharakter129 qualifiziert. Das BVerwG hat sie als Benutzungsgebühr bestimmt130. Ferner ist entschieden, daß die Rundfunkgebühr nicht zum Recht des Postund Fernmeldewesens gehört, sich also nicht nach den Bestimmungen des Fernmeldeanlagengesetzes richtet; ihre Regelung obliegt vielmehr den Ländern 131 . Ab 1. Januar 1976 ziehen die Rundfunkanstalten die Gebühr selbst ein. Die Höhe der Gebühr wird von den Ländern gesetzlich festgelegt. Eine Entscheidungsgrundlage liefern dabei die Berichte der 1975 durch Beschluß der Ministerpräsidenten eingerichteten Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten des Landesrechts und des ZDF 132 . Am 6. Juli/26. Oktober 1982 unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Länder einen neuen Staatsvertrag über die Höhe der Rundfunkgebühr, der am 1. Juli 1983 in Kraft trat und erstmals zum 31. Dezember 1986 gekündigt werden kann 133 . Durch den - 1982 geänderten 134 - Staatsvertrag über einen Finanzausgleich der Rundfunkanstalten vom 20. September 1973135 werden die Rundfunkanstalten ermächtigt und verpflichtet, einen angemessenen Finanzausgleich durchzuführen. Er soll gewährleisten, daß die übergeordneten Aufgaben des deutschen Rundfunks erfüllt werden können und jede Rundfunkanstalt in der Lage ist, ein ausreichendes Programm zu gestalten und zu senden. Einzelheiten des Finanzausgleichs werden in Verwaltungsvereinbarungen geregelt. Für die Durchführung der Kabelpilotprojekte ist von den Landesrundfunkanstalten und vom ZDF ein Betrag von 35 Mio. DM je Projekt bereitzustellen136. Die Kosten für den Breitbandkabelversuch Ludwigshafen werden durch Teilnehmergebühren, Benutzungsgebühren, Abgaben und sonstige Einnahmen aufgebracht. An den Kosten beteiligt sich auch das Land Rheinland-Pfalz 137 . 128 129 130 131 132 133 134 135 136

137

Krause-Ablaß, DÖV 1962, 238; Wolff / Bachof, VwR I, 9. Aufl., 1974, S.308; Heydt, AöR 100 (1975), 594f. Ipsen(Fn. 126), S. 62ff.; Knemeyer, DVB1. 1968, 923. BVerwGE 29, 214. Vgl. dazu Knemeyer, DVB1. 1968,922f.; Kölble, DÖV 1969, 279. BVerwGE 29, 214, 217. Siehe zuletzt den 4. Bericht vom 22. 12. 1983. GV. NW. 1983 S. 226. GV. NW. 1983 S. 226. GV. NW. 1973 S. 558. Art. 3 I Staatsvertrag über die Höhe der Rundfunkgebühr und zur Änderung des Staatsvertrages über einen Finanzausgleich zwischen den Rundfunkanstalten vom 6. Juli/26. Oktober 1982, GV. NW. 1983 S. 226. § 25 LandesG über einen Versuch mit Breitbandkabel, GVB1. 1980 S. 229. Zur Finanzierung der Pilotprojekte vgl. Hymmen, Das Kabel, Fakten und Illusionen, 1975, S. 112ff., 130ff..; KtK-Bericht, S. 118 und Anlageband 8, S. 53ff.; Lange, Media Perspektiven 1978, 133ff.; Rudolf / Meng (Fn. 69), S. 74. Vgl. auch Thieme, Rundfunkfinanzierung im Bundesstaat, 1977.

DREIZEHNTER ABSCHNITT Dietrich Rauschning

Wehrrecht und Wehrverwaltung Literatur J. Heckel, Wehrverfassung und Wehrrecht des Großdeutschen Reiches, 1939. L. von Stein, Die Lehre vom Heerwesen, Neudr. der Ausg. von 1872, 1967. E. Barth, Der Soldat im Rechtsstaat. Das heutige Wehrrecht: Entstehungsgeschichte Grundzüge - Reformgedanken, 1967. E. Busch, Der Oberbefehl. Seine rechtliche Struktur in Preußen und Deutschland seit 1848, 1967. F. Brandstetter / H.-G. Schwenk / R. Weidinger (Hrsg.), Handbuch des Wehrrechts (Textsammlung mit Erläuterungen), Losebl.-Ausg., 1956 ff. A. Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983. M. Erhardt, Die Befehls- und Kommandogewalt, 1969. G. Hahnenfeld, Wehrverfassungsrecht, 1965. K. Ipsen, Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-europäischen Verteidigung, 1967. M. Lepper, Die verfassungsrechtliche Stellung der militärischen Streitkräfte im gewaltenteilenden Rechtsstaat, 1962. S. Mann, Das Bundesministerium der Verteidigung, 1971. W. Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung, 1961. H. Reinfried, Die Bundeswehrverwaltung, 3. Aufl. 1976. H. Reinfried, Streitkräfte und Bundeswehrverwaltung ( = Die Bundeswehr - Eine Gesamtdarstellung, Bd. 9) 1978. P. Pemthaler, Der Rechtsstaat und sein Heer, Wien 1964. J. Salzmann, Der Gedanke des Rechtsstaates in der Wehrverfassung der Bundesrepublik, 1962. H. Schulte, Die verfassungsrechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, 1970. H.-G. Schwenck, Rechtsordnung und Bundeswehr (— Die Bundeswehr - Eine Gesamtdarstellung Bd. 4), 1978. G. Chr. von Unruh / H. Quaritsch, Führung und Organisation der Streitkräfte im demokratisch-parlamentarischen Staat, W D S t R L 26 (1967/68), S. 157 ff. Weißbücher, Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr: 1971/1972, 1973/1974,1975/1976,1979,1983. Zeitschriften: Bundeswehrverwaltung (bis 1965); Neue Zeitschrift für Wehrrecht; Wehrkunde (bis 1975).

824

Dietrich Rauschning

Gesetze WehrpflichtG (WPflG) vom 21. Juli 1956, i. d. F. der Bekanntmachung vom 7. November 1977 (BGBl. I, S. 2021), zuletzt geändert am 6. Mai 1983 (BGBl. I, S. 529). MusterungsVO vom 25. Oktober 1956, neu bekannt gemacht am 5. März 1975 (BGBl. I, S. 671, ber. S. 748), zuletzt geändert am 16. Dezember 1983 (BGBl. I, S. 1457). G zur Neuordnung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes (Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz - KDVNG) vom 28. Februar 1983 (BGBl. I, S. 203). G über Rechtsstellung des Soldaten (SoldatenG) vom 19. März 1956, neu bekannt gemacht am 19. August 1975 (BGBl. I, S. 2273), zuletzt geändert am 24. Februar 1983 (BGBl. I, S. 179). VO über das militärische Vorgesetztenverhältnis (Vorgesetzten VO) vom 4. Juni 1956 (BGBl. I, S. 459), zuletzt geändert am 7. Oktober 1981 (BGBl. I, S. 1129). Wehrbeschwerdeordnung (WBO) vom 23. Dezember 1956, neu bekannt gemacht am 11. September 1972 (BGBl. I, S. 1737, 1906). Wehrdisziplinarordnung (WDO) vom 15. März 1957, neu bekannt gemacht am 4. September 1972 (BGBl. I, S. 1665), zuletzt geändert durch BVerfGE vom 13. April 1978 (BGBl. I, S. 590). G über die Geld- und Sachbezüge und die Heilfürsorge der Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten (Wehrsoldgesetz-WSG) vom 30. März 1957, neu bekannt gemacht am 20. Februar 1978 (BGBl. I, S. 265), zuletzt geändert am 25. Februar 1982 (BGBl. I, S. 69). G über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz-SVG) vom 26. Juli 1957, neu bekannt gemacht am 1. September 1971 (BGBl. I, S. 1481), zuletzt geändert am 22. Dezember 1983 (BGBl. I, S. 1532). BundesleistungsG (BLG) vom 19. Oktober 1956, neu bekannt gemacht am 27. September 1961 (BGBl. I, S. 1769, 1920), zuletzt geändert am 20. Dezember 1976 (BGBl. 1, S. 3574). G über die Beschränkung von Grundeigentum für die militärische Verteidigung (SchutzbereichsG) vom 7. Dezember 1956 (BGBl. I, S. 899), zuletzt geändert am 20. Dezember 1976 (BGBl. I, S. 3574). G über die Anwendung unmittelbaren Zwangs und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen (UZwGBw) vom 12. August 1965 (BGBL I, S. 796), geändert am 2. März 1974 (BGBl. I, S. 469).

Wehrrecht und Wehrverwaltung

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Gliederung I. Verfassungsrechtliche Grundlagen II. Gliederung und Organisationsrecht der Bundeswehr 1. Organisation der Streitkräfte 2. Organisation der Bundeswehrverwaltung 3. Das Bundesverteidigungsministerium als Spitze der Bundeswehr 4. Auswirkung der NATO-Integration auf die Organisation der Bundeswehr?

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III. Wehr-Dienstrecht 1. Begründung und Beendigung des Wehrdienstverhältnisses 2. Der Status der Soldaten 3. Beschwerde- und Disziplinarrecht

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IV. Materielle Rechtsgrundlagen des Handelns der Bundeswehr gegenüber Dritten 1. Rechtsgrundlagen des Handelns der Bundeswehrverwaltung 2. Rechtsgrundlagen des Handelns der Streitkräfte

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Dietrich Rauschning

I. Verfassungsrechtliche Grundlagen Nach Art. 87 a I S. 1 GG i. d. F. von 1968 stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. Damit wird nicht nur dem Bund eine Kompetenz erteilt, sondern auch die Aufgabe umschrieben: Es geht um das Errichten und Erhalten eines auf die Verteidigung ausgerichteten militärischen Instrumentes. Die Aufgabe der Bundeswehr als Teil der Staatsorganisation des Bundes ist zunächst das Bereithalten von Verteidigungskräften, das schon im Verein mit anderen Verteidigungsvorkehrungen und vor allem mit politischen Maßnahmen einen militärischen Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland verhindern soll1. Sollten die Streitkräfte dennoch ihren Verteidigungsauftrag in Form eines militärischen Abwehrkampfes ausführen müssen, so würde auch dann die Aufgabe, die Streitkräfte und Teile davon zu erhalten, zusätzlich oder ersatzweise zu errichten und bereitzuhalten, bedeutend bleiben. Die Aufgabe, Streitkräfte bereitzuhalten, fällt in den Bereich der Exekutive. Ihre Erfüllung ist vollziehende Gewalt i. S. von Art. 1 III, 20 II S. 2 GG. Im Wortlaut von Art. 1 III GG ist 1956 „Verwaltung" gerade deshalb in „vollziehende Gewalt" geändert worden, um auch die Bundeswehr zweifellos in diesen Begriff einzuschließen2. Die Rechtsgrundlagen, nach denen die Exekutive die Streitkräfte aufstellt und bereithält — und damit auch funktionsfähig macht und erhält - werden hier als Wehrrecht bezeichnet 3 . Dazu gehört also nicht das kriegerische Schädigungsrecht gegenüber den angreifenden feindlichen Streitkräften, das im Völkerrecht geregelt ist4. Aus der Betrachtung im Rahmen dieses Lehrbuches des besonderen Verwaltungsrechts ist das Wehrstrafrecht, das im WehrstrafG von 1957 niedergelegt ist, auszuschließen. Die verfassungsrechtlichen Vorschriften des Wehrrechts sind, soweit sie vor allem Grundlagen von Wehrgesetzen bilden, als Wehrverfassungsrecht nur zu erwähnen 5 . 1 2

3

4 5

Siehe dazu z. B. H. P. Ipsen, Scheuner und von der Heydte, Aussprache in W D S t R L 26 (1967/68), S. 275ff. Dazu Menzel, BK, Art. 1 Abs. 3, S. 37ff.; zur Einordnung auch Erhardt, S. 29ff. und ausführlich G. Lehnguth, Die Verwaltungsakte der Streitkräfe gegenüber dem Bürger, Diss. Göttingen 1973, S. 13ff. Auch in dieser Umschreibung umfaßt der Bereich des Wehrrechts eine Reihe von Materien mit erheblichen Problemen und Kontroversen. Es ist nicht möglich und erforderlich, daß sich ein Jurist während des Studiums in dieses Gebiet gründlich einarbeitet. Mehr als bei den anderen Beiträgen geht es im folgenden darum, einen Überblick und einen Eindruck zu vermitteln und dem Interessierten weiterführende Hinweise zu geben. Siehe dazu F. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, Kriegsrecht, 2. Aufl. 1969, insbesondere S. 61 ff.; vgl. auch Schwenck, S. 154ff. Siehe dazu die Berichte von von Unruh und Quaritsch in W D S t R L 26 (1967/68), S. 157ff.; die im Literaturverzeichnis genannten Monographien von Hahnenfeld, Lepper, Martens, Salzmann und Schulte; Gutachten und Schriftsätze im Streit vor

Wehrrecht und Wehrverwaltung

827

Das GG enthält eine Reihe von Vorschriften, in denen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erfüllung der genannten Aufgabe geschaffen und einige besondere Bestimmungen über die Organisation, Führung und Kontrolle der Bundeswehr getroffen sind: Art. 73 Ziff. 1 gibt dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Verteidigung; nach Art. 115c I GG verfügt er darüber hinaus schlechthin über die konkurrierende Gesetzgebung für den Verteidigungsfall. Zur Verteidigung gehören außer dem Recht über das Bereithalten der Streitkräfte die Verteidigungsvorsorge im Bereich der Wirtschaft und die Zivilverteidigung; das Gebiet des Verteidigungsrechts umfaßt also mehr als das Wehrrecht. Art. 12 a I GG ist die Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, Art. 4 III GG ermöglicht dagegen die Kriegsdienstverweigerung. Nach Art. 17 a I GG können für Angehörige der Streitkräfte die Meinungsäußerungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf Sammelpetitionen gesetzlich eingeschränkt werden6. Im Bereich von Organisation und Führung regeln Art. 65a und 115b GG die Zuständigkeit für die Befehls- und Kommandogewalt. Nach Art. 36 II GG müssen die Wehrgesetze die Bundesstaatlichkeit berücksichtigen, die Organisation der Streitkräfte muß sich gem. Art. 87 a I S. 2 GG aus dem Haushaltsplan ergeben. Die Einrichtung einer zivilen Bundeswehrverwaltung regelt Art. 87 b GG. Über den Eintritt des Verteidigungsfalles wird nach Art. 115 a GG entschieden, der Einsatz in Katastrophenfällen und zum Objektschutz wie zur Bekämpfung von Aufständischen ist in Art. 35 II und III bzw. in Art. 87 a III und IV GG geregelt. Der besonderen Überwachung der Streitkräfte durch das Parlament dienen der Bundestagsausschuß für Verteidigung und der Wehrbeauftragte des Bundestages nach Art. 45 a und b GG.

II. Gliederung und Organisationsrecht der Bundeswehr In den Schlußvorschriften des SoldatenG von 1956, in § 66, ist vorgesehen, daß die Organisation der Verteidigung gesetzlich geregelt wird. Ein solches OrganisationsG ist bisher nicht erlassen, und es ist auch anzunehmen, daß eine gesetzliche Fixierung der Wehrorganisation die erforderlichen Anpassungen an neue Lagen und Erkenntnisse zu sehr erschweren würde; zudem steht nach den bisherigen Erfahrungen die Bundeswehr hinreichend unter der Kontrolle des Parlaments, so daß es eines gesetzlichen Eingriffs in die Organisationsgewalt der Regierung nicht bedarf 7 . Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bestimmungen und der Bewilligungen im Haushalt sowie

6

7

dem BVerfG in „Der Kampf um den Wehrbeitrag", 3 Bde., 1952- 1958; s. auch Schwenck, S. lOff. Siehe dazu vor allem Lerche, Grundrechte der Soldaten, GRe IV, 1, S. 447 — 535; K. Ipsen/J. Ipsen, BK, Art. 17a, Rdnr. 26 - 78 und 79 - 112 zu weiteren Grundrechtseinschränkungen. Siehe dazu Quaritsch, VVDStRL 26 (1967/68), S. 246ff.

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unter Berücksichtigung einzelner Organisationsvorschriften in Wehrgesetzen ist es also der Regierung überlassen, mit welcher Organisation sie den Verfassungsauftrag zum Bereithalten von Streitkräften erfüllt 8 . 1. Organisation der Streitkräfte Die Streitkräfte sind vor allem entsprechend ihrer Aufgabe als potentielles Instrument militärischen Kampfes organisiert. Sie umfassen die Teilstreitkräfte Heer, einschließlich der Territorialverteidigung, Luftwaffe und Marine, sowie Zentrale Militärische Dienststellen und Zentrale Sanitätsdienststellen der Bundeswehr. Das Feldheer gliedert sich stufenweise in Korps, Divisionen und Brigaden als Großverbände, in Bataillone, die nur in Sonderfällen zu Regimentern zusammengefaßt sind (Verbände), und in Kompanien (bzw. Batterien und Staffeln) als den Einheiten. Den Korps untersteht eine Anzahl von Spezialtruppen als Korpsverfügungs- und Korpsversorgungstruppen. Zum Feldheer gehören entsprechend Heeresverfügungs- und Heeresversorgungstruppen. Die bodenständige Organisation des Heeres umfaßt die Schulen des Heeres, die Depotorganisation und das Heeresamt. Dazu kommt die Ausbildungsorganisation. Dem Heer eingeordnet und neben dem Feldheer steht das Territorialheer als Zusammenfassung der Territorialverteidigung. Den Korps entsprechen die Territorialkommandos. Für die Wehrbereiche bestehen Wehrbereichskommandos, denen für jeweils kleinere Räume Verteidigungsbezirkskommandos und Verteidigungskreiskommandos unterstellt sind. Dazu gehören noch Fernmelde- und Sanitätseinrichtungen. Im Rahmen des Territorialheeres besteht zudem die Basisorganisation mit den Kommandeuren der Logistik-(Versorgungs-)Truppen, den Stäben Hauptdepotgruppen und den Hauptdepots. Es war geplant, inbesondere das Heer neu zu gliedern. Die von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Wehrstrukturkommission hatte dazu in ihrem Strukturbericht Vorschläge vorgelegt 9 . Die Planungen des Bundesverteidigungsministeriums gingen u. a. dahin, Feldheer und Territorialheer organisatorisch zusammenzufassen und das Heer durch drei Generalkommandos und das Kommando Hamburg/Schleswig-Holstein zu führen. Die neue Kommandostruktur sollte die Korps und die Wehrbereichskommandos ersetzen. Die Pläne wurden nicht verwirklicht; statt dessen wurde das Heer nach der „Heeresstruktur 4" in 36 Brigaden gegliedert 10 . 8 9

10

Siehe E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, §§15,26. Siehe Wehrstruktur-Kommission der Bundesregierung, Die Wehrstruktur in der Bundesrepublik Deutschland — Analyse und Optionen, Bericht an die Bundesregierung vom 28. 11. 1972; BMVg: Die neue Struktur der Bundeswehr, 1974, insbesondere S. 19 - 30. Vgl. auch Weißbuch 1973/74, S.76f. Siehe Weißbuch 1979, S. 147ff.

Wehrrecht und Wehrverwaltung

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Die Einsatzverbände der Luftwaffe sind die Geschwader (Jagdbomber-, Aufklärungs-, Jagd- und Transportgeschwader), die u. a. mit Flugkörperverbänden zu vier Luftwaffendivisionen zusammengefaßt und dem Luftflottenkommando unterstellt sind. Dem Luftwaffenunterstützungskommando sind die Luftwaffenunterstützungskommandos Nord und Süd sowie das Materialamt der Luftwaffe nachgeordnet. Schließlich sind das Luftwaffenausbildungskommando, das Lufttransportkommando, das Luftwaffendienstkommando und das Amt für Wehrgeophysik unter dem Luftwaffenamt zusammengefaßt. Die Einsatzverbände der Marine unterstehen dem Flottenkommando. Dem Flottenbefehlshaber unterstehen die Seestreitkräfte der Ostsee unmittelbar. Für die Seestreitkräfte der Nordsee besteht ein besonderer Einsatzführungsstab. Die Einsatzgeschwader sind zu Typkommandos (wie Zerstörer, Schnellboote, U-Boote) zusammengefaßt. Dem Flottenkommando unterstehen auch das Kommando der Marineflieger mit den Marinefliegergeschwadern, die Marinedivisionen der Ostsee und der Nordsee mit den Unterstützungsverbänden und der Küstenorganisation sowie die Lehrgruppen. Dem Marineamt ist u. a. die Ausbildungsorganisation nachgeordnet. Schließlich gehören zum militärischen Bereich eine Reihe von Zentralen Militärischen Dienststellen der Bundeswehr wie das Amt für Sicherheit der Bundeswehr mit dem bei den Wehrbereichskommandos eingerichteten militärischen Abschirmdienst, das Personalstammamt und das Materialamt. Zum Bereich Zentrale Sanitätsdienststellen gehören das Sanitätsamt und die Sanitätsakademie. An zentralen Schulen sind die Führungsakademie, die Sportschule, die Schule für Innere Führung, die Schule für Nachrichtenwesen, die Logistikschule, die Stabsakademie und die Schule für Psychologische Verteidigung zu nennen. Im Herbst 1973 haben die Hochschulen der Bundeswehr in Hamburg und München, an denen die Berufsoffiziere während ihrer Ausbildung in auch außerhalb der Streitkräfte anerkannten Studiengängen studieren, ihren Lehrbetrieb aufgenommen. Die Streitkräfte sind ein Teil der Exekutive. Nach der konstitutionellen Auffassung von Laband und Otto Mayer" sollten sie als öffentlich-rechtliche Anstalten anzusehen sein. Das entspricht jedoch nicht einem neueren engen Verständnis der Anstalt: Anstalten sind durch die Nutzbarkeit, insbesondere auch der Sachmittel, von Seiten der Destinatare gekennzeichnet. Die Streitkräfte werden aber nicht in diesem Sinne „genutzt", und trotz des erheblichen Materialbedarfs überwiegt bei ihrer Organisation das personale Moment. Sind sie keine Anstalten, so müssen sie noch nicht als Zweig der Verwaltung angesehen werden, von deren allgemeinem Bild sie vor allem in Aufgabe und Struktur abweichen. Die Verwaltungszweige erbringen in der Regel eine Leistung oder verwalten „etwas" außer ihnen selbst Liegendes, während die unmittelbare Aufgabe der Streitkräfte im Frieden in ihrer Bereitschaft 11

P. Laband, Deutsches StaatsR, 5. Aufl. 1914, Bd. 4, S. 38; O. Mayer, VwR, 3. Aufl. 1924, Bd. 2, S. 269.

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und im Krieg dann in der Abwehr des Feindes besteht. Der Struktur nach heben sich die Streitkräfte von der Verwaltung dadurch ab, daß sie in militärischen Angelegenheiten einheitlich, durchgehend und strikt durch Befehle geführt werden. Wegen dieser Besonderheiten werden die Streitkräfte als der Verwaltung nebengeordnete Form der Exekutive angesehen12. Sie werden als „gliedschaftlich organisierter Leitungsverband" bezeichnet13. Besonderes Führungsmittel der Streitkräfte ist der Befehll4, und ihre einzelnen Verbände werden insbesondere als die Zusammenfassung der einem Vorgesetzten folgepflichtigen Soldaten abgegrenzt. Die besonders strenge Bindung des militärischen Befehls zeigt sich schon im Verhältnis zwischen überund untergeordneten Ämtern: Nach den systematisch zu Unrecht im Dienstrecht enthaltenen Vorschriften der §§ 37, 38 BRRG gehört es zu den Aufgaben eines Amtes der Verwaltung, das vorgesetzte Amt zu beraten, die Anordnungen auszuführen und Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnungen gegenüber dem unmittelbar und dem weiter vorgesetzten Amt zu erheben. Ein militärischer dienstlicher Befehl (Begriff in § 2 Ziff. 2 WehrstrafG) ist demgegenüber nach § 11 I SoldatenG vollständig und unverzüglich, also ohne Remonstration, auszuführen, wenn er nicht die Menschenwürde verletzt oder eine Straftat auslöst. Der militärische Befehl ergreift aber nicht nur das institutionell vorhandene Amt (etwa das des Bataillonskommandeurs), sondern auch den Amtswalter, die Person des Soldaten: Er hat nach § 11 SoldatenG die Befehle nach besten Kräften und gewissenhaft auszuführen, das Nichtbefolgen ist nicht nur wie bei Beamten ein Dienstvergehen, sondern wird nach den §§ 19 — 21 WehrstrafG strafrechtlich verfolgt15. Dementsprechend ist ein Soldat für ein rechtswidriges Handeln auf Befehl hin nur verantwortlich, wenn er die Strafbarkeit der Befehlsbefolgung erkannt hat oder sie offensichtlich war (§11 II SoldatenG, § 5 I WehrstrafG). Ob man wegen dieser Unterschiede den militärischen Befehl als gesteigerte Weisungsbefugnis16 oder gegenüber den Weisungen in der Verwaltungsorganisation als ein aliud ansieht17, kann dahingestellt bleiben. Ist das spezifische Führungsmittel innerhalb der Streitkräfte der Befehl, so ist entscheidend wichtig, wer befehlsbefugter Vorgesetzter ist. Das Vorgesetztenverhältnis ist gem. § 1 IV SoldatenG besonders durch die Vorgesetz12 13 14 15

16

17

Siehe etwa Lepper, S. 98ff.; Quaritsch, W D S t R L 26 (1967/68), S. 211 ff. Pernthaler, S. 69 ff. Zu Befehl und Gehorsam im Dienst der Streitkräfte eingehend Schwenck, S. 61 ff. Siehe allgemein (und vor allem zum schweizerischen Recht) Flütsch, Die rechtliche Natur des militärischen Befehls, 1969 und K. D. Leister, Abgrenzung des Befehls vom Verwaltungsakt im Beamten- und Wehrrecht, Diss-Bonn 1970. Zu den diffizilen Problemen „Befehlsdurchsetzung und Waffengebrauch" siehe die gleichnamige Schrift von K. Doehring, 1968. So Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 65a, Randnr. 18; ebenso BVerwGE 43, 55 ff. (58) und dazu E. Klein, Ministerielle Weisungsbefugnis und Stellvertretung in der Befehls- und Kommandogewalt, JuS 1974, S. 362 ff. So Quaritsch, W D S t R L 26 (1967/68), S. 220f.

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tenVO 18 rechtlich normiert. Als Regel bestimmt § 1, daß ein Soldat als Führer eines militärischen Verbandes oder einer militärischen Einheit oder Dienststelle den dazugehörenden Soldaten im und außer Dienst Befehle erteilen kann. Im Gegensatz zu früheren Regelungen folgt die Befehlsbefugnis aus dem höheren Dienstgrad gem. § 4 der VO nur für Befehle im Dienst innerhalb der Kompanien oder entsprechender Einheiten oder auf Schiffen bzw. innerhalb von Stäben; lediglich innerhalb umschlossener militärischer Anlagen können Soldaten einer höheren Dienstgradgruppe den einer niedrigeren angehörenden Soldaten außer Dienst Befehle erteilen. Wenn besondere Notlagen es erforderlich machen, können Offiziere und Unteroffiziere sich ausnahmsweise nach § 6 der VO zu Vorgesetzten erklären und im und außer Dienst Befehle erteilen. Damit herrscht heute das funktionale Vorgesetztenverhältnis vor. Befehle außer Dienst gibt, von Ausnahmesituationen abgesehen, nur der unmittelbare Vorgesetzte. 2. Organisation der Bundeswehrverwaltung Um dem Auftrag aus Art. 87 a G G zum Bereithalten von Streitkräften nachzukommen, muß der Bund die damit verbundenen Aufgaben des Personalwesens und der Deckung des Sachbedarfs erfüllen. Dazu dient die nach Art. 87 b I G G als bundeseigener Verwaltungszweig mit eigenem Verwaltungsunterbau zu führende Bundeswehrverwaltung 19 . Sie ist eine zivile Verwaltung neben den Streitkräften, obwohl sie deren Existenz dient. Organisatorisch sind die territoriale Bundeswehrverwaltung, der technische Verwaltungsbereich und die Truppenverwaltung zu unterscheiden. Territorial bestehen als Mittelbehörden die Wehrbereichsverwaltungen, deren räumlicher Amtsbereich sich mit den 6 Wehrbereichen deckt. Sie nehmen alle Verwaltungsaufgaben in der Mittelinstanz, namentlich im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, im Besoldungs-, Betreuungs- und Versorgungswesen, in Angelegenheiten des zivilen Personals, in Unterbringungsund Beschaffungsangelegenheiten, im Wehrersatzwesen, der materiellen Bedarfsdeckung nach dem Bundesleistungsgesetz und in der Wehrtechnik mit dem Güteprüfdienst wahr. Als untere Verwaltungsbehörden sind ihnen die Wehrbereichsbekleidungsämter (für die persönliche Ausrüstung des Bundeswehrpersonals), die Wehrbereichsverpflegungsämter (für die dezentrale Beschaffung von Verpflegungsmitteln, deren Prüfung und Lagerung und deren Bereitstellung für die Truppe) und die Wehrbereichsgebührnisämter (für die Dienstbezüge der Bundeswehrangehörigen) nachgeordnet. Für die Verwaltungsbetreuung aller Truppenteile und Dienststellen im Standortbereich unterstehen den Wehrbereichsverwaltungen die Standortverwaltungen. 18 19

Erläutert von IV. Scherer / O. Meyer, Soldatengesetz und Vorgesetztenverordnung, 5. Aufl. 1976. Dazu im einzelnen die im Literaturverzeichnis angegebenen Schriften von Dittmann, Reinfried und Schulte sowie F.- W. Witte, Die rechtliche Stellung der Bundeswehrverwaltung, 1963.

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Auch die Aufgaben des Wehrersatzwesens werden gemäß der Ermächtigung in Art. 87b II GG nach §§ 14ff. WPflG 20 durch die territoriale Bundeswehrverwaltung wahrgenommen. Lediglich die Wehrerfassung ist als Auftragsverwaltung in § 15 III WPflG den Ländern übertragen; sie wird von den Meldebehörden durchgeführt. Als Bundesunterbehörden führen die Kreiswehrersatzämter, die den Wehrbereichsverwaltungen nachgeordnet sind, die Musterungen durch die Musterungsausschüsse durch; diese bestehen nach § 18 II WPflG aus dem Leiter des Kreiswehrersatzamtes, einem von der Landesregierung ernannten sowie einem regional gewählten ehrenamtlichen Beisitzer. Widersprüche werden von den entsprechend bei den Wehrbereichsverwaltungen gebildeten Musterungskammern behandelt. Obere Bundesbehörde im Wehrersatzwesen ist das Bundeswehrverwaltungsamt. Die Organisation und das Verfahren für den Wehrersatz sind in dieser Weise gesetzlich festgelegt. Damit ist entsprechend der Verfassungsentscheidung in Art. 87 b II GG sichergestellt, daß das Wehrersatzwesen ausschließlich im Bereich der zivilen Verwaltung bleibt. Durch Übertragung von Entscheidungen an die Ausschüsse und Kammern für Musterungen soll die Berücksichtigung der Belange der Betroffenen organisatorisch gewährleistet werden. Gegen Entscheidungen in Wehrpflichtsachen ist dann die Klage vor den Verwaltungsgerichten und unter Ausschluß der Berufung die Revision an das BVerwG gegeben, wenn Verfahrensmängel gerügt werden oder die Revision zugelassen worden ist (§ 34 WPflG). Über die Berechtigung ungedienter Wehrpflichtiger zur Kriegsdienstverweigerung entscheidet das Bundesamt für den Zivildienst nach den § § 4 - 6 KDVNG ohne persönliche Anhörung. Begründen das Gesamtvorbringen des Antragstellers oder bekannte Tatsachen Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Antragstellers, dann entscheiden nach den §§9—16 KDVNG vom BMVg bei Kreiswehrersatzämtern gebildete Ausschüsse; sie entscheiden auch über Anträge von Soldaten oder von gedienten Wehrpflichtigen. Der vom BMVg bestellte Vorsitzende muß zum Richteramt befähigt sein, die je zwei Beisitzer werden von regionalen Vertretungskörperschaften gewählt. Gegen Entscheidungen der Ausschüsse kann Widerspruch zu gleichermaßen bei den Wehrbereichsverwaltungen gebildeten Kammern erhoben werden, gegen eine Entscheidung des Bundesamtes ist unmittelbar die Anfechtungsklage zu den Verwaltungsgerichten gegeben. Die Verwaltungsgerichte bilden die einzige gerichtliche Tatsacheninstanz ( § § 1 7 - 1 9 KDVNG). Dieses an die Stelle der §§ 25 — 27 WehrpflG tretende Verfahren gilt, wie auch die Erhöhung der Dauer des Zivildienstes auf vier Drittel der Grundwehrdienstzeit nach § 24 KDVNG zunächst vom 1. Januar 1984 bis zum 30. Juni 1986.

20

Siehe dazu K. Zwingenberger, WehrpflichtR, 2. Aufl. 1966; W. Scherer / F. Krekeler, WehrpflichtG (Kommentar), 3. Aufl. 1966; G. Hahnenfeld, Wehrpflichtgesetz, 1962ff. (Loseblattausgabe); eine Einführung und Anleitung aus der Praxis gibt H.-O. Eichel, Wehrersatzwesen, 3. Aufl. 1973.

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Die Verwaltung des wehrtechnischen Bereichs ist unter dem Bundesamtfür Wehrtechnik und Beschaffung zusammengefaßt 21 . Ihm obliegen vor allem die technischen Entwicklungsaufgaben für alle Waffensysteme und des sonstigen Materials, die wehrtechnische Normung und die zentrale Beschaffung nach Weisung des Ministeriums. Ihm sind nachgeordnet u. a. die Marinearsenale, die Beschaffungsstellen, die Erprobungsstellen und verschiedene Prüfstellen. Die territoriale Bundeswehrverwaltung und die techniche Sonderverwaltung sind jedoch organisatorisch nicht in der Lage, die Verwaltungsaufgaben für das Bereithalten der Streitkräfte voll zu erfüllen. In den militärischen Einheiten und in den höheren Stäben fallen täglich eine große Anzahl von Geschäftsvorfällen mit Verwaltungscharakter an, die sich nicht auf die territoriale Verwaltung verlagern lassen. Der BMVg hat deshalb in einer Reihe von sog. Abgrenzungserlassen bestimmte Verwaltungs- und Versorgungsaufgaben Truppenteilen, Stäben, militärischen Dienststellen und Kommandobehörden (kurz dem Kommandobereich) zur Erledigung überwiesen. Es handelt sich um solche Aufgaben, die auch im Einsatz vom Kommandobereich erfüllt werden müssen oder die wegen der Ausbildungsziele oder der Einsatzbereitschaft im Kommandobereich zu erledigen sind. Zur Erledigung der Truppenverwaltungsaufgaben sind in den Kommandobereich zivile Verwaltungsbeamte eingegliedert. Bei den Korps- und Divisionsstäben des Heeres sowie den vergleichbaren Stäben der Luftwaffe und der Marine wie auch beim Territorialheer in den Wehrbereichskommandos sind „Abteilungen Verwaltung", bei den Wirtschaftstruppenteilen (Truppenteile mit eigener Verwaltungsausstattung, insbesondere eigener Bewirtschaftung von Haushaltstiteln, i. d. R. Bataillon, Geschwader) sind Truppenverwaltungsbeamte tätig. Die Abteilungen Verwaltung wie auch die Positionen der Truppenverwaltungsbeamten sind mit zivilen Beamten und z. T. Angestellten als Hilfskräften besetzt. Für den Verteidigungsfall ist vorgesehen, die Zivilbediensteten zu Soldaten zu machen. Sie sind jedoch institutionell nicht selbständig, sondern in die jeweiligen Stäbe eingegliedert. Sie erfüllen ihre Verwaltungsaufgaben unter der Verantwortung des jeweiligen Kommandeurs oder Chefs des Stabes, der ihr Vorgesetzter ist. Als Verwaltungsstellen erhalten sie Anordnungen von ihren Vorgesetzten, stehen aber in Friedenszeiten nicht unter militärischem Befehl22. Der Truppenverwaltungsbeamte bei den Wirtschaftstruppenteilen erledigt entsprechend den Abgrenzungserlassen die Aufgaben im Haushalts-, Kassenund Rechnungswesen. Nur er ist im Auftrag des Kommandeurs für Ausgaben anordnungsbefugt, er ist Beauftragter für den Haushalt. Ihm unterstehen eine 21

22

Aufgaben und Organisation sind näher beschrieben von E. Caspar, Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung und sein Geschäftsbereich, 1969, und von H. Bode, Rüstung in der Bundesrepublik Deutschland ( = Die Bundeswehr — Eine Gesamtdarstellung Bd. 10), 1978. Siehe auch die Schrift Neuordnung des Rüstungsbereiches — Rahmenerlaß und Bericht des Organisationskomitees des BMVg zur Neuordnung des Rüstungsbereichs, 1971. Zur Gegenüberstellung von Befehl und Anordnung siehe Schulten, a. O., S. 53ff.

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von einem Soldaten verwaltete Zahlstelle. Im Gebührniswesen unterstützt er das Wehrbereichsgebührnisamt und bereitet eine Reihe von Zahlungen vor oder leistet sie. Er ist für das Verpflegungsgeld und für eine Reihe von Unterstützungen zuständig. Bei den Kommandobehörden berät der Leiter der Abteilung Verwaltung den Kommandeur und den Chef des Stabes in allen Verwaltungsangelegenheiten. Er bearbeitet federführend alle Verwaltungs-, Fürsorge- und Wirtschaftsangelegenheiten und ist Sachbearbeiter des Haushalts. Dienstvorgesetzter der in der Truppenverwaltung tätigen Beamten nach § 3 II BBG ist der Präsident der jeweiligen Wehrbereichsverwaltung. Soweit die Truppenverwaltung im Rahmen der Verwaltungszuständigkeit der territorialen Verwaltung tätig wird, also etwa im Gebührnis- oder Kassenwesen, unterliegt sie auch der Fachaufsicht der Wehrbereichsverwaltung. Die Tätigkeit ziviler Beamter in der Truppenverwaltung entlastet die militärischen Führer von den Verwaltungsaufgaben und ist den Erfordernissen einer rechtmäßigen Fachverwaltung angemessen. In der Praxis überwindbare Schwierigkeiten ergeben sich aus der Eingliederung nicht befehls-, sondern nur weisungsgebundener Stellen in den Kommandobereich und aus der engen Berührung zwischen Truppenverwaltung und -Versorgung. Die Deckung des Sachbedarfs der Truppe ist nämlich nicht nur ein Problem der haushaltsrechtlichen und beschaffungstechnischen Verwaltung, sondern zugleich unter dem Gesichtspunkt militärischer Effektivität ein Problem des Nachschubs und damit unter der Bezeichnung „Versorgung" (oder bei höheren Stäben „Logistik") eine militärische Aufgabe.

3. Das Bundesverteidigungsministerium als Spitze der Bundeswehr Die Leitung der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung ist im Amt des Bundesministers der Verteidigung, der durch das Verteidigungsministerium unterstützt wird, zusammengefaßt. Daß die Wehrverwaltung einem parlamentarisch verantwortlichen Minister untersteht, entspricht den Regelungen in den Ländern des Reiches vor dem I. Weltkrieg und in der Weimarer Republik und ist heute selbstverständlich. Der Oberbefehl über die Streitkräfte stand dagegen dem Kaiser und dann nach Art. 47 WRV dem Reichspräsidenten zu. Für die Gegenwart folgt nach der einen Auffassung die Unterstellung der Streitkräfte unter den BMVg schon aus Art. 65 S. 2 GG 23 , nach anderer Auffassung ist Art. 65 a GG, dem gemäß der BMVg die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte hat, konstitutiv 24 . Ob ohne Art. 65 a G G die Auslegung von Art. 65 S. 2 G G ebenfalls zur Unterstellung der Streitkräfte geführt hätte, kann nicht sicher beurteilt werden. Die Sondervorschrift hat so jedenfalls Klarheit geschaffen. Mit dem Doppelausdruck „Befehls- und

23 24

So Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 65a, Rdnr. 12, 13. So etwa Busch, S. 121; Erhardt, S. 67f., 69f.

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Kommandogewalt", der wohl einen Pleonasmus darstellt25, wird zugleich sichergestellt, daß alle Leitungsgewalt für die Streitkräfte dem Minister zusteht und daneben nicht noch ein besonderer Teil einer Militär-Leitungsgewalt kraft Natur der Sache originär bei militärischen Führern oder bei anderen Staatsämtern liegt. Mit dieser verfassungsrechtlichen Unterstellung unter den BMVg werden entsprechend der Staatsauffassung des GG die Streitkräfte voll in die politisch überwachte und geleitete Exekutive eingegliedert. Das Verteidigungsministerium ist wie Ministerien allgemein in Abteilungen untergliedert. Die Führungsstäbe Heer, Luftwaffe und Marine unter den jeweiligen Inspekteuren und der Inspekteur des Sanitätswesens sind als militärische Abteilungen dem Generalinspekteur als Hauptabteilungsleiter nachgeordnet, dem der Führungsstab der Streitkräfte für die Gesamtaufgaben untersteht. Entsprechend dem Rahmenerlaß des BMVg zur Neuordnung des Rüstungsbereichs vom 28. Januar 1971 untersteht dem Hauptabteilungsleiter für Rüstungsangelegenheiten der gesamte ministerielle Rüstungsbereich. Die früheren Abteilungen Verteidigungswirtschaft und Wehrtechnik sind in der Abteilung Rüstung, allerdings unter je einem stellvertretenden Hauptabteilungsleiter, vereinigt. Dem Hauptabteilungsleiter für Administrative Angelegenheiten sind die Abteilungen Verwaltung und Recht, Unterbringung und Liegenschaften und die Sozialabteilung nachgeordnet. Die Abteilungen Personal und Haushalt unterstehen ohne Dazwischentreten eines Hauptabteilungsleiters den beamteten Staatssekretären und endlich dem Minister26. Die Zusammenfassung der Militär- und der Verwaltungsabteilungen im Ministerium ermöglicht spätestens in dieser Instanz die Koordinierung zwischen den Zweigen der Bundeswehr. Trotz Einordnung in das Ministerium sind die Inspekteure der Teilstreitkräfte und deren Führungsstäbe und der Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens gleichzeitig Kommandobehörden. Truppendienstlicher Vorgesetzter der Zentralen Militärischen Dienststellen ist der Stellvertreter des Generalinspekteurs. Der Generalinspekteur selbst hat diese Zuständigkeit nicht. Vertreter des BMVg ist nach § 14 GOBReg z. Z. der Bundesminister des Auswärtigen, und zwar „einschließlich der Vertretung in der Befehls- und Kommandogewalt". Aus dem Bezug auf § 14 GOBReg geht aber hervor, daß auch bei der Vertretung in der Befehlsgewalt durch den Bundesaußenminister nur die Vertretung in dem „regierungsrelevanten Teil dieser Befugnisse" umfaßt wird; die Vertretung in Ressortangelegenheiten, und darunter wird die Ausübung der Befehls- und Kommandogewalt in den meisten Fällen gehören, obliegt einem Staatssekre25

26

Siehe etwa Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 153, 159; Düng, in: Maunz /Düng/ Herzog /Scholz, GG, Art. 65a, Rdnr. 20; a. A.: Erhardt, S. 74ff.; dazu auch von Unruh, Befehls- und Kommandogewalt, in Fs. f. H. J. Wolff, 1973, S. 109ff. (138ff.). Siehe dazu vor allem Mann und Weißbuch 1971/72, S. 114ff.; 138ff; Darstellung bei R. Zedier, Planungs- und Führungssystem ( = Die Bundeswehr — Eine Gesamtdarstellung, Bd. 7) 1978.

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tär 27 . Den Hauptabteilungsleitern, in militärischen Angelegenheiten also dem Generalinspekteur, ist die ständige Wahrung einer Reihe von Einzelaufgaben in Vertretung der Staatssekretäre übertragen. Mit Verkündung des Verteidigungsfalles geht die Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 115b G G auf den Bundeskanzler über; der Verteidigungsminister ist in jenem Bereich dann nicht mehr selbständiger Ressortchef. Um gerade in diesem Fall die Leitung der Streitkräfte und die der Bundeswehrverwaltung nicht zu trennen, wäre es zweckmäßig, dann ohne weitere organisatorische Änderung den BMVg als im Kommandobereich dem Kanzler unterstellt und als dessen Vertreter in seinen Funktionen zu belassen 28 . 4. Auswirkung der NATO-Integration auf die Organisation der Bundeswehr? Zur Vorbereitung der in Art. 5 I des Nordatlantikvertrages mit vorgesehenen kollektiven Verteidigung sind auf Grund der Beschlüsse des NATO-Rates vom 26. September 1950 und vom 22. Oktober 195429 Kommandobehörden der NATO gebildet worden. Sie haben die Aufgabe, im Bündnisfall die ihnen unterstellten Großverbände der Vertragsstaaten operativ zu führen. Die übrigen Führungsbereiche Personalwesen, Feindlage und Sicherheit sowie Logistik bleiben auch dann in nationaler Zuständigkeit. Das operative Kommando geht nach den NATO-Planungen im Verlauf der Spannungszeit, spätestens bei Ausbruch der Feindseligkeiten, auf die alliierten Befehlshaber über. Die Auslösung der entsprechenden Alarmstufe unterliegt der Entscheidungsgewalt des betreffenden Mitgliedstaates — die Regelung entspricht Art. 5 I des Vertrages, wonach jeder Bündnispartner über die erforderlichen Abwehrmaßnahmen selbst entscheidet. Schon im Frieden haben die NATO-Kommandobehörden entsprechend dem Konzept der gemeinsamen Verteidigung hinsichtlich der ihnen für den Bündnisfall zur Verfügung gestellten (assignierten) Verbände nach den Beschlüssen des NATO-Rates und des Militärausschusses wichtige Befugnisse. Ihnen obliegt die operative Planung, sie können die Kommandostruktur der alliierten Kommandobehörde bestimmen, sie nehmen Einfluß auf die Dislozierung der Verbände, erteilen den Regierungen Empfehlungen hinsichtlich Organisation, Ausbildung und Logistik, fordern Berichte an und inspizieren die Verbände. Die Bundesrepublik ist der Empfehlung des NATO-Rates von 1954, daß alle Einsatzverbände in Mitteleuropa der NATO assigniert werden, gefolgt. Bestimmte Verbände zur Luftabwehr unterstehen auch schon im Frieden operativ den NATO-Kommandobehörden. Die mit Soldaten der Mitgliedstaaten besetzten Ämter und Stäbe der zuständigen NATO-Befehlshaber sind 27 28 29

So BVerwGE 46, 55 (59 ff.), und dazu E. Klein, JuS 1974, 362 ff. Siehe dazu Busch, S. 149ff.; Düng, in: Maunz/Düng/Herzog/Scholz, GG, Art. 115b, Rdnr. 12; K. Ipsen, BK, Art. 115b, Rdnr. 105ff. Übersicht folgt vor allem K. Ipsen, Rechtsgrundlagen, S. 135ff.; dort auch die Texte der Beschlüsse. Text des NATO-Vertrages: BGBl. 1955 II, S. 289.

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für Schleswig-Holstein der dem Befehlshaber Nordeuropa nachgeordnete Commander Allied Forces Baltic Approaches (COMBALTAP) mit Befehlshabern für die Teilstreitkräfte COMLANDJUT, COMNAVBALTAP und COMAIRBALTAP. Die Verbände in den übrigen Gebieten unterstehen in den NATO-Heeresgruppen Nord bzw. Mitte (NORTHAG und CENTAG) oder in der 2. und 4. Taktischen Luftflotte der NATO (ATAF) dem übergeordneten Oberbefehlshaber Mitte CINCENT. In rein nationaler Zuständigkeit bleiben die Territoriale Verteidigung, die Basisorganisation der Logistik und die Ersatzbundeswehr, d. i. die für den Verteidigungsfall vorgesehene militärische Ersatz- und Ausbildungsorganisation. Die Organisationsprinzipien der Bündnisstreitkräfte ermöglichen so eine integrierte operative Führung im Bündnisfall. Ein erheblicher Teil der Befehls- und Kommandogewalt auch hinsichtlich der assignierten Verbände sowie der über die nicht unterstellten Teile der Streitkräfte bleibt selbst im Bündnisfall in der Hand des Ministers oder der des Bundeskanzlers nach Art. 115b GG. Auch steht die Unterstellung der Einsatzverbände selbst in nationaler Entscheidungszuständigkeit.

III. Wehr-Dienstrecht 1. Begründung und Beendigung des Wehrdienstverhältnisses Nach § 1 SoldatenG 30 ist Soldat, wer in einem Wehrdienstverhältnis 31 steht, in dem Staat und Soldat in gegenseitiger Treue verbunden sind. Es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis, das manches mit dem gleichfalls so gekennzeichneten Beamtenverhältnis gemeinsam hat. Es wird begründet entweder auf Grund der Wehrpflicht oder auf Grund freiwilliger Verpflichtung bei Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit; das Dienstrecht dieser letzten Gruppe entspricht dem Beamtenrecht in höherem Maße als das Dienstrecht der Wehrpflichtigen. Das Dienstverhältnis der Soldaten auf Zeit und der Berufssoldaten darf nur begründet werden mit Deutschen, die die Gewähr für das Eintreten für die demokratische Grundordnung bieten und zum Soldaten geeignet sind; es ist zudem eine Planstelle erforderlich. Zum Soldaten darf nicht berufen werden, wer strafgerichtlich qualifiziert bestraft worden ist (§§ 37, 38 SoldatenG). Berufssoldaten können nur Offiziere und Unteroffiziere vom Feldwebel an aufwärts sein. Auf Zeit kann das Dienstverhältnis für längstens 15 Jahre, bei Mannschaften und Unteroffizieren jedoch nicht über das 40. Lebensjahr hinaus begründet werden (§§ 39,40 SoldatenG). Wie bei Beamten ist zur Begründung des Dienstverhältnisses die Aushändigung einer Urkunde erforderlich; 30 31

Zum SoldatenG siehe vor allem M. Rittau, SoldatenG (Kommentar), 1957; W. Scherer / O. Meyer, SoldatenG und VorgesetztenVO, 5. Aufl. 1976. Dazu allgemein auch Schwenck, S. 28 ff.

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das gleiche gilt bei Beförderungen zum Unteroffizier und zu höheren Dienstgraden (§§ 41,42 SoldatenG). Die Berufssoldaten und die Soldaten auf Zeit erhalten Dienstbezüge nach dem BundesbesoldungsG. Nach § 47 BBesG können sie nach Maßgabe von Erschwernisverordnungen Erschwerniszulagen erhalten; Flieger-, Fallschirmspringer- oder Bordzulagen werden als Aufwandsentschädigung gewährt. D a s Dienstverhältnis

des Berufssoldaten

endet r e g e l m ä ß i g m i t d e m E i n t r i t t

in den Ruhestand je nach Dienstgrad mit Vollendung des 53., 55. . . . 60. Lebensjahres (§§ 44, 45 SoldatenG). Er bezieht dann Ruhegehalt nach den §§ 15 ff. SVG. Das Dienstverhältnis endet durch Entlassung nach näheren Bestimmungen, wenn die Voraussetzungen für die Begründung nicht vorlagen oder wegfallen, der Soldat die Eidesleistung verweigert oder wenn er bei Erreichen der Altersgrenze nicht die Mindestdienstzeit abgeleistet hat. Auf Antrag ist der Berufssoldat zu entlassen, jedoch innerhalb der ersten sechs Offiziersdienstjahre nur unter erschwerten Voraussetzungen (§ 46 SoldatenG). Bei strafgerichtlicher Verurteilung zu einer qualifizierten Freiheitsstrafe verliert er nach § 48 SoldatenG die Rechtsstellung als Berufssoldat. Das Dienstverhältnis der Soldaten auf Zeit endet regelmäßig durch Zeitablauf. Unteroffiziere und Mannschaften erhalten gem. §§4— 10 SVG während und nach ihrer Dienstzeit eine Berufsausbildung und werden im Rahmen der Berufsförderung in Stellen der Wirtschaft oder nach Erhalt eines Zulassungsscheines in solche des öffentlichen Dienstes vermittelt. Bei Dienstzeiten ab 4 Jahren werden 75 v. H. der letzten monatlichen Dienstbezüge für 6 Monate, bei einer Dienstzeit von 12 Jahren für 3 Jahre als Übergangsgebührnisse gezahlt. Als Übergangsbeihilfe wird je nach Dienstzeit das Mehr- oder Vielfache der monatlichen Dienstbezüge gezahlt (§§ 11, 12 SVG). Im Haushaltsjahr 1980 gehörten der Bundeswehr rund 265000 Berufs- und Zeitsoldaten und rund 222000 Wehrpflichtige sowie 6000 Wehrübende an. Für die Wehrpflichtigen und Wehrübenden wird das Wehrdienstverhältnis nach dem WehrpflichtG 32 durch Einberufungsbescheid der Kreiswehrersatzämter begründet (§§21, 23 WPflG). Die Folgepflicht gegenüber der Einberufung ergibt sich aus der Wehrpflicht, die nach § 3 1 WPflG außer dem Wehrdienst die Pflicht umschließt, sich zu melden, vorzustellen, mustern zu lassen sowie bei der Entlassung oder später Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke für den Gebrauch im Wehrdienst in Empfang zu nehmen und aufzubewahren. Wehrpflichtig sind deutsche Männer, die im Geltungsbereich des WPflG, also in den westdeutschen Bundesländern, ihren ständigen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben. Die Wehrpflicht erlischt oder ruht gemäß § 1 III WPflG jedoch nicht, wenn ein schon Wehrpflichtiger seinen ständigen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ohne eine in § 3 II WPflG geregelte Genehmigung herausverlegt. Die Wehrpflicht beginnt mit dem vollen32

Siehe dazu K. Zwingenberger, WehrpflichtR, 2. Aufl. 1966; W. Scherer /F. Krekeler, WehrpflichtG (Kommentar), 4. Aufl. 1974; G. Hahnenfeld, Wehrpflichtgesetz, 1962ff. (Loseblattausgabe); H.-O. Eichel, Wehrersatzwesen, 3. Aufl. 1973.

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deten 18. Lebensjahr und endet mit Ablauf des 45., bei Unteroffizieren und Offizieren sowie im Verteidigungsfall mit Ablauf des 60. Lebensjahres (§§ 1,3 WPflG). Zum Wehrdienst wird nicht herangezogen, wer dienstuntauglich oder entmündigt ist, wer wegen qualifizierter strafgerichtlicher Verurteilung vom Wehrdienst ausgeschlossen ist, wer durch einen gesetzlich genannten Grund davon befreit ist, wer vom Wehrdienst zurückgestellt oder unabkömmlich gestellt ist oder wer vom zivilen Bevölkerungsschutz, vom Entwicklungsdienst oder dem Bundesgrenzschutz in Anspruch genommen wird (§§ 9 - 13 a, 42 a WPflG). Ob ein ungedienter Wehrpflichtiger für den Wehrdienst zur Verfügung steht 33 , wird im Musterungsverfahren von den Musterungsbehörden durch Bescheid entschieden (§§ 16 — 20 a WPflG). Zum Wehrdienst nicht herangezogen wird ein Wehrpflichtiger, der „sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert" (§ 1 KDVNG). Mit der gesetzlichen Regelung wird sinnvollerweise Kriegsdienst als Wehrdienst verstanden. Der Hinweis auf die Ablehnung „jeder Waffenanwendung" schließt die „situationsbedingte" Kriegsdienstverweigerung aus und erkennt nur die „absolute" als rechtlich erheblich an; das BVerfG hat die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bestätigt 34 . Über die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wird in einem gesetzlich festgelegten Verfahren entschieden 35 . Der als Wehrpflichtiger einberufene Soldat darf den militärischen Dienst erst verweigern, wenn er im förmlichen Verfahren als Kriegsdienstverweigerer rechtskräftig anerkannt worden ist; das geht jetzt ausdrücklich aus § 3 II KDVNG hervor. Gegenüber dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Art. 4 III G G ist die auch im Grundgesetz verfassungsrechtlich verankerte Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr abzuwägen; dieser Abwägung entsprechend ist dem Antragsteller eine vorläufige Fortsetzung des militärischen Dienstes zuzumuten 36 . Kriegsdienstverweigerer haben statt des Wehrdienstes Zivildienst — früher: Ersatzdienst — nach dem Zivildienstgesetz 37 zu leisten 38 . Durch die Novelle zum Wehrpflichtgesetz vom 13. Juli 1977 (BGBl. I, 33 34 35

36 37

38

Zu den Problemfallen des „faktischen" bzw. des fehlerhaft eingestellten Soldaten siehe Schwenck, S. 32 ff. BVerfGE 12, 45; 23, 191 (204) für § 25 WPflG. §§ 4 - 16 KDVNG und oben S. 832. Siehe dazu näher G. Hahnenfeld, Kriegsdienstverweigerung, 1966; R. Zippelius, BK, Art. 4 III, Zweitbearbeitung, 1966, und das dort angegebene Schrifttum; das Verfahren nach bisherigem Recht war mit Art. 4 III GG vereinbar, BVerfGE 28, 243; 32, 40; DÖV 1975, 66 (LS). So BVerfGE 28, 242 (256ff., 274ff.) Das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst vom 13. Januar 1960 ist am 9. August 1973 unter dem Titel Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer neu bekannt gemacht worden - BGBL 1973 I, S. 1015. Jetzt gültig i. d. F. der Bekanntm. vom 7. November 1977 (BGBl. I, S. 2039); letzte Änderung durch Art. 2 des KDVNG. vgl. im einzelnen A. Riecker, NJW 1977, 2056ff.

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S. 1229) sollte sich die Rechtslage dahingehend ändern, daß ungediente Wehrpflichtige bereits aufgrund einer auf Art. 4 III GG bezugnehmenden Erklärung als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurden (§ 25 a I WPflG). Für den Fall, daß die Zahl der Wehrpflichtigen zur Erfüllung des Verteidigungsbeitrages nicht ausreichen sollte, war die Wiedereinführung des Anerkennungsverfahrens (§ 26 WPflG) durch Rechtsverordnung vorgesehen (§ 25 a II WPflG). Das BVerfG hat mit Urteil vom 13. April 1978 (BVerfGE 48, 127) festgestellt, daß das Änderungsgesetz als mit Art. 3 I in Verbindung mit Art. 4 III, 12 a I, II und 78, 87 b II 1 GG unvereinbar nichtig ist. Eine Neuordnung ist mit dem KDVNG erlassen worden. Einberufen werden die ungedienten Wehrpflichtigen entsprechend dem Musterungsbescheid auf Grund der Einberufungsanordnung des Verteidigungsministers (§ 21 WPflG). Gegenwärtig ist die Zahl der wehrtauglichen Angehörigen des jeweils zur Einberufung anstehenden Jahrgangs größer als der Bedarf der Streitkräfte an Wehrpflichtigen. Nach Abschaffung des Lossystems und entsprechend der Novelle zum Wehrpflichtgesetz von 1965 liegen den Einberufungen die detaillierten Personalanforderungen der Truppen zugrunde, die im Bundeswehrverwaltungsamt zu einem Bedarfsdeckungsplan zusammengefaßt und regional aufgeschlüsselt werden. Die Wehrpflichtigen werden von den Kreiswehrersatzämtern entsprechend den ihnen zugegangenen Anforderungen nach ihrer gemäß § 20 a WPflG festgestellten Eignung einberufen 39 . Sie werden zum Grundwehrdienst, seit der Novelle zum Wehrpflichtgesetz von 1972 statt für 18 nunmehr i. d. R. für 15 Monate einberufen. Zum Ausgleich für die durch die Verkürzung der Grundwehrdienstzeit entstandene Verringerung der Präsenz ausgebildeter Soldaten in den Einheiten kann nach § 5a WPflG eine bis zu zwölf Monate dauernde Verfügungsbereitschaft angeordnet werden. Dann unterliegt ihr der Wehrpflichtige unmittelbar im Anschluß an die 15 Monate Grundwehrdienst; er kann während der Verfügungsbereitschaft im vereinfachten Verfahren nach § 23 I, III wieder in seine Einheit zurückberufen werden40. Gediente Wehrpflichtige werden nach Maßgabe des § 6 WPflG zu Wehrübungen durch Bescheid nach § 23 herangezogen. Im Verteidigungsfall wird zu unbefristetem Wehrdienst einberufen. Der als Wehrpflichtiger dienende Soldat erhält während seines Wehrdienstes neben kostenloser Unterkunft, Dienstbekleidung und Heilfürsorge Wehrsold, nach Dienstgrad gestaffelt zwischen 7,50 und 21 DM täglich. Bei Wehrübungen wird ein einem Gehalt ähnliches Übungsgeld gewährt (§§1—8 WehrsoldG). Der Unterhalt von Angehörigen des Soldaten und in Ausnahmefällen auch nicht gedeckte Teile seines Unterhalts werden während des 39 40

Siehe dazu Hahnenfeld, WehrpflichtG, § 21, Randnr. 2 - 7 ; H.-O. Eichel, Wehrersatzwesen, 3. Aufl. 1973, S. 78. Siehe dazu Hahnenfeld, WehrpflichtG, Erläuterungen zu § 6a alte Fassung. Bedenken gegen die unterschiedliche Inanspruchnahme von Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden erheben K. Ipsen/J. Ipsen, BK, Art. 12 a, Rdnr. 125 ff. im Hinblick auf Art. 12 a II S. 2 GG.

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Dienstes als Wehrpflichtiger nach dem UnterhaltssicherungsG durch Geldleistungen gesichert. Das Wehrdienstverhältnis eines Soldaten kraft Wehrpflicht endet durch Entlassung regelmäßig mit Ablauf der im Einberufungsbescheid festgesetzten Zeit, wenn nicht Wehrdienst während der Verfügungsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst angeordnet oder der Verteidigungsfall eingetreten ist. Der Soldat wird weiterhin nach dem langen Katalog von Gründen in § 29 WPflG entlassen, wenn er auch als Berufs- oder Zeitsoldat aus dem Wehrdienst ausscheiden würde oder wenn die Voraussetzungen der Einberufung wegfallen. Bei qualifizierter gerichtlicher Bestrafung wird er aus der Bundeswehr ausgeschlossen (§ 30 WPflG). Nach seiner Entlassung untersteht er der Wehrüberwachung wie auch ein ungedienter Wehrpflichtiger nach der Musterung (§ 24 WPflG). 2. Der Status der Soldaten Die Rechtsstellung des Soldaten ist im SoldatenG 41 zusammenfassend sowohl für die Wehrpflichtigen wie für die Berufssoldaten und die Soldaten auf Zeit geregelt. Der Soldat hat nach § 7 SoldatenG die nach § 9 durch Eid oder Gelöbnis zu bekräftigende Grundpflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Er muß gem. § 8 die freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen und für sie eintreten. Inner- und außerhalb des Dienstes muß er in seinem Verhalten dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordern (§§17 I - III, 10 VI SoldatenG). Auf die Besonderheiten der Führung im militärischen Bereich zugeschnitten erlegt § 10 SoldatenG den Vorgesetzten die Pflichten auf, Beispiel zu geben, Dienstaufsicht zu führen, für die Untergebenen zu sorgen sowie nur zu dienstlichen Zwecken und rechtmäßig Befehle zu erteilen. § 11 verpflichtet den Untergebenen zum Gehorsam. Die Wahrheitspflicht wird in § 13 I betont; sie steht wie die Gehorsamspflicht und eine Reihe von Vorgesetztenpflichten nach § 42 WehrStrafG unter strafrechtlicher Sanktion. Der Charakter der Streitkräfte und ihrer Gliederungen als Personalverbände mit einem potentiellen Kampfauftrag bringt eine besondere Vorsorge für das Verhältnis der Soldaten zueinander mit sich, insbesondere, wenn das gemeinsame Wohnen und Verpflegen nach § 18 SoldatenG angeordnet ist. So erlegt § 12 SoldatenG unter dem Gesichtspunkt der Kameradschaft die Pflicht auf, den anderen Soldaten zu achten und ihm beizustehen. Zur Vermeidung persönlicher Spannungen darf sich der Soldat innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen politisch nur zurückhaltend betätigen; bei einer politischen Veranstaltung darf er keine Uniform tragen (§15 II, III SoldatenG). Sonst stehen ihm die staatsbürgerlichen Rechte jedoch, wie § 6 Sol41

Schrifttum siehe Anm. 30; siehe dazu auch Schwenck, S. 39 ff.

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datenG betont, voll zu42. Im Gegensatz zu den Soldaten der Weimarer Republik hat er das aktive Wahlrecht; in der Wählbarkeit steht er den Beamten bis auf die Meldepflicht über seine Kandidatur gem. § 25 SoldatenG gleich. Es entspricht dem Verständnis des Soldaten als eines Staatsbürgers in Uniform und auch der Pflicht zum Eintreten für die Staatsordnung nach § 8 SoldatenG, daß er unter Beachtung der gebotenen Beschränkungen am politischen Leben teilnimmt. Dem Staat ist es dagegen verwehrt, mit seinen Einrichtungen parteipolitisch tätig zu werden. Folgerichtig ist eine Betätigung für oder gegen eine politische Richtung im Dienst untersagt; ein Soldat darf von seinem Vorgesetzten oder im staatsbürgerlichen Unterricht nicht zugunsten oder zuungunsten einer politischen Richtung beeinflußt werden (§§ 15 I, IV; 33 I SoldatenG). Im übrigen ist die allgemeine Rechtsstellung der Soldaten ähnlich oder entsprechend geregelt wie die der Beamten. Hinzuweisen ist so auf die Vorschriften über die Verschwiegenheit (§ 14), die Nebentätigkeit (§ 20), das Verbot der Dienstausübung (§ 22), die Laufbahnvorschriften (§ 27) und auch das jetzt analog dem Beamtenrecht geregelte Recht auf Einsicht in die Personalakten (§ 29 SoldatenG). In militärischen Schulen und Einheiten wählen Soldaten Vertrauensmänner, die sich um die verantwortungsvolle Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und um die Erhaltung des kameradschaftlichen Vertrauens bemühen; in Dienststellen, die nicht Schulen, Einheiten oder Verbände sind, wählen auch Soldaten Vertretungen nach dem Personalvertretungsgesetz (§ 35 a SoldatenG). 3. Beschwerde- und Disziplinarrecht Die Eigenart des militärischen Dienstes, insbesondere unter den Maximen der Effektivität, der Flexibilität und der Bereitschaft, bringt es mit sich, daß die rein innerdienstliche Anordnung von militärischem Amt zu militärischem Amt, sozusagen das militärische Betriebsverhältnis, sich von der Einwirkung auf die Person des Soldaten häufig nicht trennen läßt. Die persönliche Rechtsstellung des Soldaten wird deshalb sinnvollerweise nicht dadurch rechtsstaatlich gesichert, daß die auch diesen Bereich berührenden Anordnungen als Verwaltungsakte angesehen und so in das allgemeine Rechtsschutzsystem eingeordnet werden, sondern dadurch, daß dem Soldaten gem. § 34 SoldatenG nach Maßgabe der WehrbeschwerdeO 43 ein weites Beschwer42

43

Siehe dazu P. Lerche, Grundrechte der Soldaten, GRe IV/1, S. 447 - 535; K. Ipsen/J. Ipsen, BK, Art. 17 a, bes. Rdnr. 79 ff; zu einem grundlegenden Aspekt E. Lingens, Die Rechte des Soldaten auf Leben und körperliche Unversehrtheit, NZWehrr 1982, S. 161 ff. Über das Verhältnis zur EMRK T. Stein, Europäische Menschenrechtskonvention und Wehrdisziplinarrecht, NZWehrr 1977, S. 1 ff. Dazu D. W. Oetting/J.Schreiber, Wehrbeschwerdeordnung, 4. Aufl. 1973; H. V. Böttcher / K. Dau, Wehrbeschwerdeordnung (Kommentar), 2. Aufl. 1971 - 73; H. Framm, Wehrbeschwerdeordnung (Kommentar), 1971 —73; siehe auch Schwenck, S. 127 ff.

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derecht zuerteilt ist: Nach § 1 WBO kann ein Soldat sich beschweren, wenn er glaubt, von Vorgesetzten oder von Dienststellen der Bundeswehr unrichtig behandelt oder durch pflichtwidriges Verhalten von Kameraden verletzt zu sein. Mit der Beschwerde wird also nicht nur gegen rechtswidrige, sondern auch gegen unrichtige, nach dem Wortlaut von § 13 WBO „unsachgemäße" Befehle und Maßnahmen vorgegangen. Es entspricht den Vorstellungen vom Verhältnis zwischen den Soldaten und von dem in der Bundeswehr angestrebten Führungsstil, wenn § 4 WBO ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, daß vor der Beschwerde ein Soldat, der sich persönlich gekränkt fühlt, einen von ihm zu wählenden Vermittler mit dem Bemühen um einen gütlichen Ausgleich beauftragen kann. Dem Beschwerdeführer ist auch nach § 4 V WBO Gelegenheit zu geben, im Rahmen einer Aussprache seinen Standpunkt darzulegen. Die Beschwerde wird beim nächsten Disziplinarvorgesetzten des Beschwerdeführers — das kann ein Kompaniechef oder ein übergeordneter Offizier als dienstlicher Vorgesetzter sein — schriftlich oder zur Niederschrift eingelegt; über sie entscheidet der Disziplinarvorgesetzte des Betroffenen, über den Beschwerde geführt wird. Ist der nächste Disziplinarvorgesetzte des Beschwerdeführers danach nicht zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig, dann kann die Beschwerde auch bei der dann zuständigen Stelle eingelegt werden. Ausuferungen werden dadurch vermieden, daß die Beschwerde frühestens nach einer Nacht seit Kenntnis des Beschwerdegrundes und nur binnen 2 Wochen erhoben werden kann; sie kann zurückgenommen werden. Gegen dienstliche Beurteilungen ist die Beschwerde unzulässig (§§ 5, 9, 6, 8, 1 III WBO). Die Beschwerde hat gem. § 3 WBO keine aufschiebende Wirkung, ausgenommen die Beschwerde gegen Disziplinarmaßnahmen gem. § 38 Nr. 1 WDO. Der Beschwerdebescheid ergeht schriftlich und begründet. Unzulässige oder unsachgemäße Befehle oder Maßnahmen sind aufzuheben oder zu ändern, von ausgeführten ist festzustellen, daß sie nicht hätten ergehen dürfen; unterbliebene Maßnahmen und Entscheidungen sind, wenn möglich, nachzuholen. Gegen den Beschwerdebescheid kann der Beschwerdeführer fristgebunden weitere Beschwerde zum nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten bzw. zur nächsthöheren Behörde der Bundeswehrverwaltung einlegen (§§ 12, 13, 16 WBO). Gegen einen ablehnenden Bescheid auf die weitere Beschwerde hin kann der Beschwerdeführer, wenn er sich gegen die Verletzung von Rechten oder von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber beschwert, die in den §§6 — 36 SoldatenG genannt sind, die Entscheidung des Truppendienstgerichts gem. §§ 17, 19 WBO beantragen. Das Gericht entscheidet dann über die Beschwerde und schließt insoweit nach § 17 II WBO die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte aus. Nicht die Truppendienstgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte entscheiden gem. § 59 SoldatenG über Beschwerden, die die Haftung der Soldaten gegenüber dem Bund (§ 24 SoldatenG), deren Wahlrecht (§ 25 SoldatenG) oder deren Bezüge und die Fürsorge (§§ 30, 31 SoldatenG) betreffen.

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Mit der WehrbeschwerdeO wird der allgemeine Rechtsbehelf der Beschwerde formalisiert und besonders dem Schutz der persönlichen Stellung des Soldaten dienstbar gemacht. Die Beschwerde hat, da sie auch gegen unsachgemäße Befehle und Maßnahmen zulässig ist, einen weiten Schutzbereich; ihr Einmünden in ein gerichtliches Verfahren hinsichtlich des Rechtsschutzes enthebt die Praxis und die Wissenschaft weitgehend schwieriger Abgrenzungsprobleme zwischen innerdienstlichen und eingreifenden Akten. Neben dem Rechtsbehelf der Beschwerde kann sich der Soldat zum Schutze seiner Grundrechte unmittelbar ohne Einhaltung des Dienstweges an den Wehrbeauftragten des Bundestages wenden. Die Befugnisse des Wehrbeauftragten, der als parlamentarisches Hilfsorgan die Aufgaben aus Artikel 45 b G G wahrzunehmen hat, sind im Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages vom 26.6. 1957 (BGBl. I, S. 652) in d. F. vom 16. 6. 1982 (BGBl. I, S. 677) geregelt. Zur Sicherung von Gehorsam und Disziplin dient das Wehrdisziplinarrecht. Die Wehrdisziplinarordnung von 1957 wurde durch Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts vom 21. 8. 1972 (BGBl. I, S. 1481) wesentlich geändert und dann neu bekannt gemacht (BGBl. I, S. 1665). Die Neufassung läßt den Erziehungsgedanken gegenüber dem Prinzip der Ahndung mehr hervortreten 44 . Die WDO regelt nicht nur die Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen, sondern sieht auch die Würdigung besonderer Leistungen durch förmliche Anerkennungen vor. Die förmliche Anerkennung kann im Kompanie- oder Tagesbefehl ausgesprochen oder im Ministerialblatt des BMVg veröffentlicht werden; mit der förmlichen Anerkennung kann ein Sonderurlaub gewährt werden. Ein Dienstvergehen, das ist gem. § 23 SoldatenG eine schuldhafte Verletzung soldatischer Pflichten, kann durch den Disziplinarvorgesetzten mit einfachen Disziplinarmaßnahmen oder durch die Wehrdienstgerichte im disziplinargerichtlichen Verfahren geahndet werden (§§ 18, 54 WDO). Die Bedingungen des militärischen Dienstes mit soldatischer Ordnung und dem Erfordernis der Einsatzbereitschaft sowie das enge Zusammenleben von Soldaten, die nicht nur freiwillig dienen, auch außerhalb des Dienstes, läßt eine Disziplinargewalt der militärischen Vorgesetzten in den Streitkräften aller Länder erforderlich erscheinen, die über die entsprechende Dienststrafgewalt von vorgesetzten Beamten hinausgeht. Außer den auch beamtenrechtlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen Verweis und Geldbuße kann gegen Soldaten Ausgangsbeschränkung und sogar Disziplinararrest verhängt werden (§ 18 — 22 WDO). Wenn es zur Aufrechterhaltung der Disziplin notwendig ist, kann der Disziplinarvorgesetzte Soldaten wegen eines Dienstvergehens vorläufig festnehmen (§ 17 WDO).

44

Allgemein zur WDO siehe F. Hodes, Wehrdisziplinarordnung in der Neufassung vom 4. September 1972 (Kommentar), 4. Aufl. 1973; F. Faust, Einführung in das Wehrdisziplinarrecht, 1966; K. Da«, Wehrdisziplinarordnung (Kommentar) 1979.

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Über eine einfache Disziplinarmaßnahme entscheidet der nächstzuständige Disziplinarvorgesetzte, d. h. der Einheits- und Verbandsführer vom Kompaniechef aufwärts. Nach der neuen WDO kann der Kompaniechef, der früher nicht mit Disziplinararrest bestrafen durfte, gegen Unteroffiziere und Mannschaften Disziplinararrest bis zu 7 Tagen, der Bataillonskommandeur bis zu 21 Tagen verhängen; gegen Offiziere kann Disziplinararrest nur vom Regiments- oder Brigadekommandeur an aufwärts verhängt werden (§ 24 WDO). Entsprechend Art. 104 II GG kann Disziplinararrest jedoch erst verhängt werden, wenn der Richter beim Truppendienstgericht die Maßnahme für rechtmäßig erklärt hat (§ 36 WDO). Der zuständige Disziplinarvorgesetzte entscheidet darüber, ob und wie disziplinar geahndet werden soll, ohne daß ihm darüber Befehle erteilt werden können (§ 31 WDO). Er kann eine Disziplinarmaßnahme erst nach Ablauf einer Nacht seit Kenntnis des Dienstvergehens verhängen. Die Disziplinarmaßnahme wird durch dienstliche Bekanntgabe an den Beschuldigten verhängt (§ 33 WDO). Gegen Disziplinarmaßnahmen ist die Beschwerde nach der WBO an den Disziplinarvorgesetzten des Verhängenden gegeben. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Truppendienstgericht, das Rechtsfragen dem Wehrdienstsenat vorlegen kann (§ 38 Ziff. 6 WDO). Die gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen werden von den Truppendienstgerichten als Wehrdienstgerichten verhängt. Aus den sonst auch im Beamtenrecht bekannten Maßnahmen hebt sich die Dienstgradherabsetzung heraus (§ 54 I Ziff. 3 WDO). Da die Wehrdienstgerichte auch einfache Disziplinarmaßnahmen verhängen können, steht ihnen auch der Disziplinararrest zur Verfügung. Laufbahnstrafen, die dem Soldaten das Aufsteigen im Gehalt versagen oder ihn in eine niedrigere Dienstaltersstufe einstufen, sind in der neuen WDO nicht mehr vorgesehen. Die Kammern der Truppendienstgerichte entscheiden in der Hauptverhandlung mit einem richterlichen Vorsitzenden und zwei Soldaten als ehrenamtlichen Richtern; einer gehört der Dienstgradgruppe des Beschuldigten und möglichst seiner Laufbahn an, der zweite muß einen höheren Dienstgrad haben und mindestens Stabsoffizier sein (§§ 69 ff. WDO). Im Wehrdisziplinarverfahren ist die Mündlichkeit der Verhandlung betont, im übrigen ist es entsprechend dem beamtenrechtlichen Dienststrafverfahren geregelt. Berufungsinstanz sind die Wehrdienstsenate mit dem Sitz in München, die zum Bundesverwaltungsgericht gehören. Sie entscheiden in der Hauptverhandlung mit drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. IV. Materielle Rechtsgrundlagen des Handelns der Bundeswehr gegenüber Dritten 1. Rechtsgrundlagen des Handelns der Bundeswehrverwaltung Die bei der Übersicht über die Organisation der Bundeswehrverwaltung gegebenen Hinweise auf deren Aufgaben lassen erkennen, daß ein erhebli-

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eher Teil ihres Verwaltungshandelns keine rechtlichen Auswirkungen gegenüber anderen Rechtsträgern hat. Beispiele sind die Personal- und Bedarfsplanungen oder die Lagerung, Pflege und auch Ausgabe von Material; auch die interne Haushaltsverwaltung hat keine rechtliche Außenwirkung. Die Beschaffungsaufgaben werden vorwiegend auf zivilrechtlicher Grundlage auf dem Wege über Kauf- oder Werkverträge und Miet- und Pachtverträge erfüllt 45 , so daß es auch hierfür keiner besonderen materiell-rechtlichen Grundlage nach dem Grundsatz von der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bedarf. Eigene Rechtsträger sind im Verhältnis zum Bund die Beamten und Soldaten der Bundeswehr. Ihnen gegenüber ergehen Personalverwaltungsakte auf Grund des Beamten- oder des Wehrdienstrechts. Sie sind gemäß § 59 SoldatenG, nach einer als Vorverfahren geltenden zweistufigen Beschwerde (§ 23 Abs. 2 WBO), vor den Verwaltungsgerichten anfechtbar, soweit der Rechtsschutz nicht gemäß § 17 Abs. 1 WBO den Truppendienstgerichten übertragen ist. Besondere Eingriffsrechte sind der Bundeswehrverwaltung für die Sachund Leistungsbeschaffung für Verteidigungszwecke sowie bei der Erklärung von Schutzbereichen übertragen. Nach dem BundesleistungsG46 können insbesondere zu Zwecken der Verteidigung als Leistungen die Überlassung von beweglichen Sachen zum Gebrauch oder Eigentum, die Überlassung von Grundstücken und von Nachrichtenmitteln und das Erbringen von Werkleistungen angefordert werden, wenn der Bedarf anders nicht adäquat gedeckt werden kann (§§1—3 BLG). Anforderungsbehörden sind nach § 5 I BLG und § 1 I der VO über die Anforderungsbehörden (BGBl. 1961 I, S. 1786) zunächst die Behörden der Landkreise und der kreisfreien Städte. Die Bundeswehrverwaltung ersucht diese Behörden um die Beschaffung. Erst im Verteidigungsfall oder nach einer Feststellung der BReg, daß dies zur beschleunigten Herstellung der Verteidigungsbereitschaft notwendig ist, können bestimmte in § 5 II BLG aufgezählte Leistungen von den Behörden der territorialen Bundeswehrverwaltung angefordert werden. Die Behörden der Bundeswehrverwaltung können solche Leistungen auch vorher für den Verteidigungsfall oder einen noch festzusetzenden Zeitpunkt nach seiner Verkündung oder nach der Erklärung der BReg durch Bereitstellungsbescheid anfordern (§ 36 III BLG). Leistungsbescheide und Bereitstellungsbescheide sind Verwaltungsakte, die nach den Vorschriften der VwGO angefochten werden können. Die Berufung gegen Urteile der Verwaltungsgerichte ist gem. § 46 I BLG beschränkt. Für die angeforderten Leistungen ist eine Entschädigung oder Ersatz zu leisten. Kommt eine Einigung nicht zustande, wird die Entschädigung oder die Ersatzleistung von der Anforderungsbehörde durch Bescheid festgesetzt (§ 51 III BLG). Gegen den Festsetzungsbescheid kann Beschwerde eingelegt wer45 46

So auch BVerwG DVB1. 1971, 111. Dazu B. Bauch / B. Danckelmann / H. Kerst / A. Dimpker, BundesleistungsG, 2. Aufl. 1965; E. Oestreicher, BundesleistungsG, 1957.

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den, über die die Aufsichtsbehörde entscheidet; gegen die Beschwerdeentscheidung kann Klage zum Landgericht erhoben werden (§ 58 BLG). Mit der Erklärung zum Schutzbereich wird die Nutzung von Grundstücken nach dem SchutzbereichsG 47 beschränkt, um so Verteidigungsanlagen zu schützen oder deren Wirksamkeit zu erhalten. Für die Erklärung zum Schutzbereich ist der BMVg zuständig, die übrigen notwendigen und nach dem Gesetz zulässigen Maßnahmen werden von den Wehrbereichsverwaltungen vorgenommen (§ 9 SchutzberG). Für Vermögensnachteile ist eine Entschädigung zu leisten, die von landesrechtlich bestimmten Festsetzungsbehörden festzusetzen ist. Gegen den Festsetzungsbescheid ist nach Beschwerde Klage zum Landgericht zulässig (§§ 12 - 25 SchutzberG). Gegen Verwaltungsakte der Schutzbereichsbehörden ist gem. § 26 der Rechtsschutz nach der VwGO gegeben. Nicht in dem Gesetz geregelt und umstritten ist, ob auch die Anordnung des Schutzbereichs durch den BMVg als Verwaltungsakt anfechtbar sein soll. Es besteht Einigkeit darüber, daß die Anordnung keine Verordnung ist, weil sie als solche den Anforderungen des Art. 80 G G nicht entspricht. Nach Meinung mancher ist sie als „rechtsetzender Regierungsakt" unanfechtbar 4 8 ; nach anderer Meinung ist sie als Allgemeinverfügung ein anfechtbarer Verwaltungsakt 49 . Sie ist wohl als ein in der Rechtsnatur einer Widmung ähnlicher Verwaltungsakt anzusehen. Zu den Wehr-Leistungsgesetzen gehört auch das G über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung. Es ist wie ein klassisches Enteignungsgesetz ausgestaltet. Enteignungsbehörde ist nach § 28 des Gesetzes jedoch eine Landesbehörde; der Bund ist im Enteignungsverfahren nach § 29 I Ziff. 1 nur Beteiligter. Ein Eingriffsrecht ist danach der Bundeswehrverwaltung im Landbeschaffungsgesetz nicht übertragen. 2. Rechtsgrundlagen des Handelns der Streitkräfte Die Streitkräfte oder ihre Untergliederungen handeln in der Regel nicht mit rechtlicher Verbindlichkeit für Rechtsträger außerhalb der staatlichen Organisation des Bundes. Von der Betrachtung ausgeschlossen bleiben hier zudem die Handlungen gegenüber dem Feind, den Angehörigen seiner Streitkräfte oder seiner Bevölkerung auf Grund des Völkerrechts. Dienststellen oder Funktionsträger der Bundeswehr treten jedoch in Ausnahmefallen mit dem Anspruch auf, Dritten gegenüber rechtsverbindliche Akte zu setzen50. Für den Erlaß derartiger belastender Hoheitsakte bedürfen auch die Streitkräfte einer gesetzlichen Grundlage. 47 48 49 50

Dazu B. Bauch / R. Schmidt, Landbeschaffungs- und SchutzbereichsG, 1957; R. von Schalburg, Landbeschaffungs- und SchutzbereichsG, 1957. So B. Bauch / R. Schmidt, S. 138f; auch noch Reinfried, a.a.O., in der 2. Aufl. 1964, S. 169f, während in der 3. Aufl. dazu keine Aussagen mehr gemacht werden. So z. B. R. von Schalburg, S. 94f. Für eine Übersicht über die einzelnen Arten von Verwaltungsakten und ihre Rechtsprobleme siehe G. Lehnguth, Die Verwaltungsakte der Streitkräfte gegenüber dem Bürger, S. 73 ff.

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Eine Grundlage solcher Akte bietet zunächst das G über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Bundeswehr51 (UZwGBw), das die Befugnisse der Bundeswehr zu ihrer eigenen Sicherung normiert. Es umfaßt nicht nur Bestimmungen darüber, in welchen Fällen und wie Zwangsmittel eingesetzt werden dürfen, sondern enthält auch die Rechtsgrundlagen für die Akte, die mit Zwang durchgesetzt werden. § 2 II UZwGBw ermächtigt Dienststellen der Bundeswehr, das Betreten militärischer Bereiche zu verbieten und sonstige Örtlichkeiten vorübergehend zu sperren, wenn das zur Erfüllung von Bundeswehraufgaben unerläßlich ist; die gesperrten Bereiche und Örtlichkeiten sind militärische Sicherheitsbereiche. Wer einen militärischen Sicherheitsbereich betreten will oder hat, kann angehalten und überprüft werden. Kann seine Person oder Aufenthaltsberechtigung nicht sofort festgestellt werden oder besteht Verdacht auf eine strafbare Handlung gegen die Bundeswehr, kann er zum Wachvorgesetzten gebracht werden. Bei Straftatverdacht kann der Verdächtige, wenn die Haftbefehlsvoraussetzungen vorliegen, vorläufig festgenommen werden, er kann durchsucht, besondere Gegenstände können beschlagnahmt werden (§§4 — 7 UZwGBw). Um eine dieser Maßnahmen oder eine Festnahme nach § 127 I StPO durchzusetzen, eine akute Straftat gegen die Bundeswehr zu verhindern oder eine rechtswidrige Störung des Dienstes, die die Bereitschaft oder Sicherheit der Truppe gefährdet, zu beseitigen, kann gem. § 9 unmittelbarer Zwang nach Maßgabe der §§10—18 angewandt werden. Handelnde sind Soldaten mit Wach- und Sicherheitsaufgaben oder auch zivile Wachpersonen. Sowohl das Sperren von militärischen Bereichen und von anderen Örtlichkeiten wie auch die Maßnahmen zur Personenüberprüfung und die Festnahme müssen als Verwaltungsakte angesehen werden 52 , die nach der Verwaltungsgerichtsordnung angefochten werden können. Wenn auch im UZwGBw eine in den Polizei- und Ordnungsgesetzen übliche Bestimmung, daß die unmittelbare Ausführung dem Erlaß einer Verfügung gleichsteht, fehlt, so wird man dennoch in dem Ausführungsakt gleichzeitig einen Verwaltungsakt sehen müssen. Zweifelhaft erscheint nur, ob auch die sofortige Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Verhinderung von Straftaten oder Störungen nach §9 Ziff. 1, 2 UZwGBw, also eine Abwehrhandlung, so konstruiert werden muß, daß sie von einem konkludent geäußerten Verwaltungsakt begleitet ist53. Entsprechend den Parallelregelungen in den Polizeigesetzen und zur Gleichstellung im Rechtsschutz im Vergleich zum Rechtsschutz gegen die anderen Maßnahmen nach dem UZwGBw wird man auch bei dieser Form des sofortigen Zwanges einen Verwaltungsakt annehmen müssen, der konkludent mit der Handlung des sofortigen Vollzuges erlassen wird54. Ermächtigungen an Dienststellen und Funktionsträger der Streitkräfte zum Erlaß von Verwaltungsakten finden sich auch in anderen Gesetzen. So dür51

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Dazu E. Jess / M. Henkel-Ernst, G über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Bundeswehr, 2. Aufl. 1981; siehe auch Schwenck, S. 144 ff. So auch E. Jess / M. Henkel-Ernst, S. 51 f. 53 So E. Jess / M. Henkel-Ernst, S. 52. Siehe G. Lehnguth, a. a. O., S. 102ff.

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fen etwa nach § 68 I BLG „Truppen . . . Grundstücke überqueren, . . . oder zeitweilig sperren". Sperren bedeutet hier den Erlaß eines rechtlichen Verbotes, das Grundstück zu betreten, mithin den Erlaß eines Verwaltungsaktes. Aus den Vorrechten der Streitkräfte nach § 35 Abs. 1 StVO ist eine Zuständigkeit zur Verkehrsregelung zur Sicherung der Bewegungsfreiheit der marschierenden Truppe nicht herzuleiten55. Der Vorrang der Streitkräfte folgt unmittelbar aus § 35 StVO, und es genügt in der Praxis, wenn die Streitkräfte bei Inanspruchnahme des Verkehrsvorrechts durch Angehörige der besonders ausgebildeten Feldjäger-Truppe auf das Vorrecht durch Zeichen jeweils hinweisen. Für den Verteidigungsfall und den Spannungsfall ermächtigt Artikel 87 a III GG die Streitkräfte jedoch ausdrücklich zu einer Verkehrsregelung, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags erforderlich ist. Diese Verkehrsregelung ist mit Verwaltungsakten verbunden 56 . Gleichfalls nach Art. 87 a III und IV GG kann den Streitkräften im Verteidigungs- und Spannungsfall oder im inneren Notstand der Schutz ziviler Objekte übertragen werden. Gleichgültig, ob die Objekte zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages oder zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen geschützt werden sollen, würde der Zugang zu ihnen abgesperrt oder beschränkt werden; die Verbote würden letztlich mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt. Fraglich ist, nach welcher gesetzlichen Grundlage die erforderlichen Verwaltungsakte erlassen würden. Landespolizeirecht kommt schon deshalb nicht in Frage, weil der Vollzug von Landesgesetzen durch die Bundesexekutive nach der Rechtsprechung des BVerfG schlechthin ausgeschlossen ist57. Die Akte müßten unmittelbar auf Grund der Verfassungsbestimmungen ergehen, und zwar in den im UZwGBw vorgesehenen Formen. Es wäre allerdings notwendig, den Anwendungsbereich des Gesetzes über das Militärische hinaus auf die Aufgaben der Streitkräfte nach Art. 87 a GG zu erweitern58.

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So richtig G. Lehnguth a. a. O., S. 114 und P. Karpinski, Öffentlich-rechtliche Grundsätze für den Einsatz im Staatsnotstand, 1974, S. 57; a. A.: K.Ipsen, BK, Art. 87 a, Rdnr. 86. Dazu K. Ipsen, BK Art. 87a, Rdnr. 8 6 - 9 1 ; Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 87a, Rdnr. 55, 88; Lehnguth a. a. O., S. 145ff.; Karpinskia. a. O., S. 65 ff. BVerfGE 21,312 (325). Siehe dazu K. Ipsen, BK, Art. 87 a, Rdnr. 1 1 5 - 1 3 3 ; E. Jess / M. Henkel-Ernst, S. 68f.; G. Lehnguth, a. a. 0., S. 142ff.

VIERZEHNTER ABSCHNITT Gerhard Hoffmann

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L. Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, 1965. L. Schnorr von Carolsfeld, Der Adressat der Vorschriften des Normengrenzrechts, entwickelt auf dessen Wesen, in: Fs. f. F. A. Freiherr von der Heydte, 1977, S. 577ff. L. Schnorr von Carolsfeld, Bemerkungen zum internationalen Wasserverwaltungsrecht, in: Fs. f. G. Küchenhoff, 1972 (Bd. 2), S. 827ff. C. Schreuer, Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte, 1977. J. Schulze, Das öffentliche Recht im internationalen Privatrecht, 1972. E. Steindorff, Internationales Verwaltungsrecht, in WVR, Bd. III, S. 581 ff. F. Stier-Somlo, Grundprobleme des internationalen Verwaltungsrechts, Revue Internationale de la Théorie du Droit 5 (1930/31), S. 222ff. K. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsnormen, 1965. K. Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, in : Fünfzig Jahre Institut für Internationales Recht an der Universität Kiel, 1965, S. 124ff.

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Gliederung I. Einführung 854 1. Völkerrecht, supranationales Recht und nationales Recht in ihrem Verhältnis zu den Staaten und den Staatsangehörigen 854 2. Geltung und Anwendung von fremdem Recht im innerstaatlichen Bereich . 855 II. Gegenstand des Internationalen Verwaltungsrechts 1. Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts 2. Inhalt des Internationalen Verwaltungsrechts 3. Besonderheiten des Internationalen Verwaltungsrechts

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III. Völkerrecht und Internationales Verwaltungsrecht 1. Völkerrechtliche Regelungsmöglichkeiten 2. Geltungsbereich nationaler Hoheitsakte

861 861 862

IV. Deutsches Recht und fremdes öffentliches Recht 1. Rechtsanwendungsbefehle 2. Fremde Rechtssätze als Bezugspunkte deutscher Rechtsanwendungsbefehle a) ausländische Gesetze b) Europäisches Gemeinschaftsrecht c) Völkerrecht d) Besatzungsrecht 3. Fremde Verwaltungsakte als Bezugspunkte der Rechtsanwendungsbefehle . a) Begriff des Verwaltungsaktes b) Kategorien von Verwaltungsakten c) Regelungen im allgemeinen Völkerrecht d) Regelungen in der Bundesrepublik

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I. Einführung

1. Völkerrecht, supranationales Recht und nationales Recht in ihrem Verhältnis zu den Staaten und den Staatsangehörigen Die Rechtsbeziehungen der Staaten zueinander werden im allgemeinen durch das Völkerrecht geregelt. Soweit Staaten einer gemeinsamen supranationalen Gemeinschaft angehören, kann auch deren Rechtsordnung 1 einen Teil zwischenstaatlicher Beziehungen normieren, wie das z. B. durch das interne Recht der EWG geschieht. Diese Rechtsordnung enthält auch Regelungen für die Beziehungen der Mitgliedstaaten zu ihren eigenen Rechtsunterworfenen und zu den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten. Das Völkerrecht begründet gegenwärtig nur in geringem Umfang Berechtigungen und Verpflichtungen eines Staates gegenüber seinen Angehörigen und gegenüber den Angehörigen fremder Staaten. Sie beruhen insoweit vornehmlich auf völkerrechtlichen Verträgen. Zu diesen gehört beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 mit ihren Zusatzprotokollen. Ein Staat, der seine eigenen Beziehungen oder die seiner Angehörigen zu Ausländern regeln will, kann das in der Weise tun, daß er den Geltungsanspruch seiner Gesetze auf Ausländer im Ausland erstreckt. Allerdings erlaubt das allgemeine Völkerrecht einem Staat nicht, schrankenlos den personalen Geltungsbereich seiner Gesetze über das eigene Staatsgebiet hinaus zu erstrecken und Ausländer in irgendeinem Teil der Welt mit beliebigen Pflichten in Anspruch zu nehmen 2 . Aber selbst soweit derartiges erlaubt ist, wird es einem Staat meistens nicht möglich sein, jenseits der eigenen Staatsgrenzen die Befolgung seiner Gesetze durch den Verpflichteten zu erreichen. Hier ist der betreffende Staat notfalls darauf beschränkt, in seinem innerstaatlichen Bereich die für den Fall der Zuwiderhandlung gesetzlich vorgesehenen Sanktionen gegen den Verpflichteten zu verhängen und z. B. in dessen hier vorhandene Rechtsgüter einzugreifen. 1

2

Zur Eigenständigkeit der Rechtsordnung supranationaler Gemeinschaften gegenüber dem Völkerrecht und dem staatlichen Recht vgl. G. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, 1962, S. 10f.; G. Hoffmann, DÖV 1967, 433 (434f.) und die dort unter Anm. 18 und 19 angegebene Literatur und Rechtsprechung; Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, 1969, S. 15ff. (20ff.); EuGH IX 1 ff., 25f.; X 1255ff., 1269f.; XIV 215ff., 230; BVerfGE 22, 293 ff., 296. Zur Frage, ob der staatliche Geltungsanspruch seiner Gesetze nur durch das völkerrechtliche Mißbrauchsverbot begrenzt wird, vgl. Sandrock, ZfvglRechtswiss. 69 (1967), S. 1 ff. (7) und die dort rezensierte Literatur; insbesondere K. Vogel, a. a. O., S. 89 ff. (104).

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Auf der anderen Seite können — auch wenn ein fremder Staat den personalen Geltungsanspruch seines Gesetzes auf seine Angehörigen u n d sein Gebiet beschränkt — bundesdeutsche Gerichte ein in der Bundesrepublik keine Geltung besitzendes ausländisches Gesetz in besonderen Fällen anwenden (Bsp. außerhalb des VerwR: zwei spanische Staatsangehörige begehren, da in der Bundesrepublik ansässig, von einem bundesdeutschen Gericht die Scheidung ihrer Ehe). Das Völkerrecht erlaubt es einem jeden Staat, seine rechtsanwendenden Organe den zu treffenden Entscheidungen ausländisches Recht zugrundelegen zu lassen. Welches Recht bei der Entscheidung von Fällen mit internationalen Bezügen zur Anwendung k o m m t , wird von den Staaten in ihrem innerstaatlichen Recht — u. a. im Internationalen Privatrecht (IPR) 3 , Internationalen Strafrecht 4 u n d Internationalen Verwaltungsrecht (IVR) 5 — sowie in zwischenstaatlichen (völkerrechtlichen) Verträgen geregelt 6 . 2. Geltung und Anwendung von fremdem Recht im innerstaatlichen Bereich Das rechtsanwendende Organ (Gericht oder Verwaltungsbehörde) eines Staates hat bei seinen Entscheidungen dasjenige Recht — nationales oder 3

4

5 6

Kegel, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1971; Niederer, Einführung in die allgemeinen Lehren des internationalen Privatrechts, 3. Aufl. 1961 ; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl., V961; M. Wolff, Das internationale Privatrecht Deutschlands, 3. Aufl., 1954. Aus dem Bereich der sozialistischen Länder z. B. Lunz, Internationales Privatrecht, 1961 (Sowjetunion); Barasch, Le droit international public — fondement du droit international privé et facteur qui en détermine le contenu, Revue Roumaine d'Etudes Internationales, 5. Jg., Bukarest 1971, S. 47 ff. Jescheck, in: WVR Bd. III, 1962, S. 396ff.; Rahn, Internationales Strafrecht, in: Die Verwaltung, Bd. 2 Va 2, Heft 48 (herausgegeben von F. Giese); Schnorr von Carolsfeld, Straftaten in Flugzeugen, 1965. Vgl. die im Literaturverzeichnis angegebenen Titel. Zum sonstigen „Internationalen Recht" vgl. u. a. Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (Arbeitsverweisungsrecht), 1959; Isay, Internationales Finanzrecht, 1934; Lippert, Handbuch des Internationalen Finanzrechts, 2. Aufl., 1928; von Maydell, Sach- und Kollisionsnormen im internationalen Sozialversicherungsrecht, 1965; ders., Probleme des internationalen Sozialversicherungsrechts, DVB1. 1971, 905ff.; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, 1975; Schnorr von Carolsfeld, in: Fs. f. Liermann, Erlangen 1964, S. 221 ff.; Schnorr von Carolsfeld, RdA 1958, S. 201 ff.; Heldrich / Schröder, Die Frage der internationalen Zuständigkeit im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Berichte auf der Tagung der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 1969, Berichte dieser Gesellschaft, Heft 10 (1971), S. 97ff., 133ff. In der DDR wird diese Frage weitgehend im Gesetz über die Anwendung des Rechts auf internationale zivil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf internationale Wirtschaftsverträge (Rechtsanwendungsgesetz) vom 5. Dezember 1975 (GBl. S. 748ff.) geregelt. — Allgemeines zu diesem Gesetz bei Wehser, JZ 1977, 449 ff.

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fremdes Recht — anzuwenden, das ihm in seiner Rechtsordnung zur Anwendung befohlen ist (s. unten, Abschn. IV 1). Da die Gerichte und Behörden eines Staates auch verpflichtet sein können, ihren Entscheidungen fremdes Recht zugrunde zu legen, erheben sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen: 1. Welches Recht ist für das rechtsanwendende Organ „fremdes" Recht? und 2. welches ist die rechtliche Position dieses fremden Rechts im Gesamtrahmen des im innerstaatlichen Bereich dem Rechtsanwender von seiner Rechtsordnung zur Anwendung befohlenen Rechts? Diese Gesichtspunkte können für die Auslegung der fremden Rechtssätze von Bedeutung sein. Eine Rechtsnorm stellt für das rechtsanwendende Organ fremdes Recht dar, wenn diese Norm von Rechtsetzungssubjekten erzeugt worden ist, die nicht rechtserzeugende Organe seines Staates (d. h. des Staates, dessen rechtsanwendendes Organ es ist) sind. Dieses für das rechtsanwendende Organ fremde Rechtsetzungssubjekt kann der Völkerrechtsordnung, einem ausländischen Staat oder einer supranationalen Gemeinschaft (welche bekanntlich keine Staatseigenschaft besitzt) zugehören. Auch Besatzungsrecht — stamme es von einer einzelnen Besatzungsmacht oder einer Gruppe von Besatzungsmächten — ist in diesem Sinne fremdes Recht. Handelt es sich bei dem „Heimatstaat" des rechtsanwendenden Organs um einen Bundesstaat, so ist auch das in den Gliedstaaten erlassene Recht für den Rechtsanwender kein fremdes Recht. Das ergibt sich daraus, daß die Gliedstaaten z. B. der Bundesrepublik Deutschland zwar originäre Rechtsordnungen besitzen, daß sie aber dennoch der Verfassung und der sonstigen Rechtsordnung des Bundes, also ihres gemeinsamen „Dachstaates", unterstehen. Gemeinsame Zugehörigkeit zum Bund als Dachstaat schließt es aus, daß das Recht eines Gliedstaates (Landes) für die rechtsanwendenden Organe eines anderen Gliedstaates fremdes Recht ist, wie auch das Bundesrecht für sie kein fremdes Recht darstellt. So sind Bund und Länder sowie die Länder im Verhältnis zueinander auch kein Ausland. Das G G stellt die Klammer dar, welche sowohl die Eigenschaft des internen Rechts (Bundes- und Landesrechts) als fremden Rechts wie auch die Auslandseigenschaft im Verhältnis untereinander ausschließt. In seiner Entscheidung vom 31. Juli 1973 hat das BVerfG übrigens festgestellt, daß die D D R zu Deutschland gehöre und im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden könne 7 . Diese angesichts früherer Entscheidungen zwar konsequente, aber vom Standpunkt des Völkerrechts aus keineswegs überzeugende Rechtsauffassung basiert auf der 7

BVerfGE 36, lff. (17). — Vgl. zum Problem der Inland-Ausland-Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten Gascard, Zur Frage der besonderen innerdeutschen Beziehungen zwischen der BRD und der DDR, in: Ostverträge Berlin-Status Münchener Abkommen, Beziehungen zwischen der BRD und der DDR (Symposium in Kiel vom März 1971, Hamburg 1971); ders., Inland/Ausland-Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, JIR 15 (1971), S. 339ff.

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Prämisse, daß das Deutsche Reich als Dachstaat über beiden deutschen Staaten auch heute noch bestehe. Diese Rechtsauffassung ist, auch wenn man sie für völkerrechtlich unzutreffend hält, von den rechtsanwendenden Organen der Bundesrepublik in einschlägigen Fällen bei ihren Entscheidungen — als eine Fiktion mit der rechtlichen Bedeutung eines verfassungsrechtlichen Befehls, so zu handeln, als ob das Reich als Dachstaat über beiden deutschen Staaten fortbestehe und die DDR eines der Glieder dieses Reichs sei — zu beachten. Indem bei der Abgrenzung zwischen „fremdem" und „eigenem" Recht auf die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Staatsverband abgestellt wird, ist zugleich klargestellt, daß die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer supranationalen Gemeinschaft wie z. B. zur Europäischen Gemeinschaft die „Fremdheit" der EWG-Verordnungen und des französischen Rechts im Verhältnis zum Recht der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder ebensowenig ausschließt wie die Auslandseigenschaft der EG-Mitgliedstaaten untereinander. Im Ursprung fremdes Recht ist für die rechtsanwendenden Organe eines Staates kein solches, wenn es von den rechtsetzenden Organen in diesem Staat in eigenes innerstaatliches Recht umgewandelt worden ist. Aus Völkerrecht, aus ausländischem Recht oder aus dem internen Recht einer supranationalen Gemeinschaft kann so eigenes nationales Recht werden, ohne daß dadurch die umgewandelte Norm des ursprünglich fremden Rechts aufhört, in dieser Rechtsordnung Geltung zu besitzen. Auf Grund dieser Darlegungen läßt sich umgekehrt formulieren: Eigenes Recht stellt für das rechtsanwendende Organ eines Staates diejenige Norm dar, welche von den zuständigen Organen seines Staates (bzw. - wenn dieser ein Bundesstaat ist — von den zuständigen Organen des Bundes oder eines Gliedstaates) erzeugt worden ist. Erzeugt worden ist in diesem Sinne auch das im Wege der Umwandlung aus einer anderen Rechtsordnung gewonnene Recht. Eine nähere Betrachtung des dem rechtsanwendenden Organ in der Bundesrepublik zur Anwendung befohlenen Rechts zeigt, daß es sich dabei einerseits um Normen handelt, die hier Geltung besitzen und anzuwenden sind, sowie andererseits um solche, die hier zwar keine Geltung haben, aber dennoch zur Anwendung befohlen werden („bloße Anwendbarkeit"). Bei dieser Unterscheidung zwischen „Geltung" und „bloßer Anwendbarkeit" (ohne Geltung anwendbar sein) ist klarzustellen, daß eine Norm für denjenigen Geltung besitzt, der unmittelbar aus ihr zu einem bestimmten Verhalten berechtigt oder verpflichtet wird. Ist die betreffende Norm im Bereich eines Staates und damit für dessen Angehörige zwar ohne Geltung, aber dennoch in bestimmten Fällen anwendbar (wie z. B. das Eherecht eines fremden Staates), so zeigt sich das darin, daß der einzelne sich in seinem Verhalten zwar nicht nach ihr zu richten braucht, um rechtmäßig zu handeln, wohl aber später in eine rechtliche Situation geraten kann, daß aus dieser Norm Rechtsfolgen an sein von ihr damals nicht geregeltes Verhalten geknüpft werden.

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Geltung besitzt in der Bundesrepublik — allem Recht des Bundes und der Länder übergeordnet — das Besatzungsrecht, und zwar unabhängig davon, ob es sich um vom Alliierten Kontrollrat (KR) gesetztes Recht oder um solches der drei westlichen Besatzungsmächte oder einer einzelnen von ihnen handelt, soweit es nicht aufgehoben oder außer Wirksamkeit gesetzt worden ist. Zwar ist der Alliierte Kontrollrat seit 1948 nicht mehr tätig. Die von ihm erlassenen Gesetze haben mit dem Ende seiner Tätigkeit jedoch nicht ihre Geltung verloren. Vielmehr wird sie im Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) vom 26. Mai 1952 i. d. F. v. 23. Oktober 19548 vorausgesetzt. Dort heißt es: „ . . . Vom Kontrollrat erlassene Rechtsvorschriften dürfen weder aufgehoben noch geändert werden" (Art. I Abs. 1). Jedoch haben die am Vertrag beteiligten Drei Mächte auf die Bundesrepublik das Recht übertragen, „nach jeweiliger Konsultation der Drei Mächte die Rechtsvorschriften des Kontrollrats außer Wirksamkeit zu setzen . . . " (Abs. 2). Das ist weitgehend geschehen. Zum Bestand des in der Bundesrepublik geltenden Rechts gehört auch das von den zuständigen Organen des Bundes und der Länder gesetzte Recht (vor allem Gesetze, Verordnungen usw.), natürlich ebenfalls unter der Voraussetzung, daß es nicht von zuständigen Organen außer Kraft gesetzt oder (von den Besatzungsmächten) suspendiert worden ist. Es handelt sich bei diesen Normen um nationales (eigenes) Recht. Völkerrecht hat in der Bundesrepublik als im Wege der Umwandlung erzeugtes nationales (d. h. als eigenes) Recht Geltung 9 . Das interne Recht der Europäischen Gemeinschaft (Montanunion, EWG, Euratom) besitzt in den Mitgliedstaaten als eigenständige (originäre) Rechtsordnung unmittelbar Geltung 10 . Auch der deutschen Rechtspraxis liegt diese Auffassung zugrunde 11 . Ausländisches Recht wird in auslandsbezogenen Fällen zwar den Behörden und Gerichten zur Anwendung befohlen, besitzt hier jedoch keine Geltung. Ob eine fremde Norm in einem Land nur anwendbar ist oder darüber hinaus auch Geltung im Sinne eines unmittelbaren Berechtigens und Verpflichtens besitzt, ist eine rechtliche Regelung, deren inhaltliche Ausgestaltung (Entscheidung für die eine oder andere Regelung) grundsätzlich im Ermessen eines jeden Staates liegt. Völkerrecht und supranationales Recht (z. B. der EWG) können ihn verpflichten, bestimmten fremden Rechtssätzen und 8 9

10 11

BGBl. 1955 II, S. 405 ff. Vgl. dazu G. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung im Völkerrecht, S. 14ff.; Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, H. 6, 1964, S. 56ff., 86ff.; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht — Theoretische und dogmatische Untersuchung über die Anwendung völkerrechtlicher Normen in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, passim. Vgl. BVerfGE 37, 271 ff. (277 ff.). Vgl. BVerfGE 22, 293ff. (296); 31, 145ff. (173f.); vgl. auch Zuleeg, a. a. O., S. 20ff.

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-grundsätzen (z. B. dem europäischen Gemeinschaftsrecht in bezug auf die Mitgliedstaaten) in seinem Herrschaftsbereich Geltung — und zwar mit Vorrang im Verhältnis zu geltendem eigenen Recht - einzuräumen.

II. Gegenstand des Internationalen Verwaltungsrechts 1. Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts Internationales Verwaltungsrecht (IVR) ist der Inbegriff derjenigen Rechtsnormen eines Staates, die eine Bestimmung darüber enthalten, welches Recht — eigenes oder fremdes (z. B. Besatzungsrecht, Völkerrecht, europ. Gemeinschaftsrecht, ausländisches Recht) — von seinen Verwaltungsbehörden und Gerichten in „internationalen" (auslands- bzw. ausländerbezogenen) Fällen anzuwenden ist12. Es kann sich hier um die Anwendung fremder Rechtssätze handeln, aber auch darum, daß der Entscheidung rechtsanwendender Organe fremde Verwaltungsakte zugrundegelegt werden (s. unten Abschn. IV). Die Internationalität eines Sachverhaltes kann — ganz allgemein, also auch das IPR betreffend — z. B. darin bestehen, daß ein deutsches Staatsorgan zu klären hat, welches die Staatsangehörigkeit eines Ausländers ist, ob er für bestimmte in Deutschland vorzunehmende Handlungen geschäftsfähig ist oder ob ihm ein hier in seinem Besitz befindlicher Gegenstand als Eigentum gehört. In solchen Fällen bedarf es der Anordnung durch den Gesetzgeber, welches Recht (deutsches oder fremdes Recht) das Staatsorgan für die Klärung der Frage anzuwenden hat. 2. Inhalt des Internationalen Verwaltungsrechts Seinem Inhalt nach ist das IVR Rechtsanwendungsrecht 13 . Jeder auf einen „internationalen" Tatbestand bezogene Rechtsanwendungsbefehl, gleich ob er die Verwaltungsbehörden und Gerichte auf deutsches oder fremdes Recht verweist, gehört damit dem IVR an. Häufig werden als dem IVR angehörend nur diejenigen Rechtsanwendungsbefehle bezeichnet, welche auf inländisches oder ausländisches Recht verweisen14. Es besteht jedoch kein Anlaß, Rechtsanwendungsbefehle, die auf andere Rechtsordnungen wie z. B. das Völkerrecht oder das Recht einer supranationalen Gemeinschaft verweisen, von dem Begriff des IVR auszunehmen. Die völkerrechtlich zulässige Möglichkeit, gesetzesähnliches Völkerrecht in innerstaatliches Recht umzuwandeln oder aber seine Anwendung als 12 13 14

Ebenso u.a. Isay, a.a.O., S. 344; Neumeyer, a.a.O., S. 94 f.; Schlochauer, Int. VerwR, S. I; Steindorff, WVR III, S. 581. Isay, a. a. O., S. 344; Kopp, DVB1. 1967, 469ff.; Neumeyer, a. a. O., S. 44ff.; Schlochauer, a. a. O., S. 1; a. A.: Vogel, a. a. O., S. 298ff. (310f.). Beispielsweise Schlochauer, a. a. O., S. 1; Isay, a. a. O., S. 344; M. Wolff, a. a. O., S. 1.

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Völkerrecht zu befehlen , hätte sonst das merkwürdige Ergebnis, daß im Fall der Rezeption der auf eigenes Recht verweisende Rechtsanwendungsbefehl dem Internationalen Verwaltungsrecht angehörte, wohingegen im Fall der Inkorporation der Rechtsanwendungsbefehl nicht dem Internationalen Verwaltungsrecht zuzurechnen wäre, obwohl es sich materiell um die Regelung ein und derselben Materie in ein und demselben Vertrag handelt. Die lediglich unterschiedliche Art des Vertragsvollzugs rechtfertigt es nicht, die Verweisung auf das Völkerrecht vom Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts auszunehmen. Nicht zum IVR gehören solche Kollisionsnormen in der Rechtsordnung der Gliedstaaten oder des Zentralstaates, die auf die eigene oder eine andere der im Bundesstaat bestehenden Rechtsordnungen verweisen. Wie das Internationale Privatrecht, so regelt auch das IVR nur die Abgrenzung der Anwendbarkeit der eigenen Rechtsordnung gegenüber fremdem Recht. Die Rechtsordnungen innerhalb eines Bundesstaates (Zentralstaatsrecht und Gliedstaatsrecht bzw. Bundesrecht und Landesrecht) sind im Verhältnis zueinander nicht „fremdes" Recht. Doch sind diejenigen Rechtsanwendungsbefehle, die im Recht eines Mitgliedstaates einer supranationalen Gemeinschaft (EWG, Montanunion) enthalten sind und den rechtsanwendenden Organen die Anwendung supranationalen Rechts befehlen, Teil des IVR. Das einander ergänzende supranationale Recht und das Recht des Mitgliedstaates sind zwar durch die Verfassung der supranationalen Gemeinschaft, vornehmlich den Gründungsvertrag, die die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten erfaßt, miteinander verbunden. Gemeinschaftsrecht und Mitgliedstaatsrecht sind dennoch zueinander „fremd" 16 . Da auch supranationales Recht und nationales Recht eines Mitgliedstaates miteinander kollidieren können, bedarf dieser Normenkonflikt einer Lösung17. Auch hier handelt es sich um einen Fall des IVR. Das Recht der DDR ist, da es nach der in diesem Beitrag vertretenen Rechtsauffassung keine gemeinsame Verfassung eines über beiden deutschen Staaten stehenden Dachstaates gibt, gegenüber dem Recht der Bundesrepublik Deutschland fremdes Recht im Sinne dieses oben entwickelten Begriffes18. Zwar hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 31. Juli 197319 ausdrücklich den Standpunkt eingenommen, daß die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik kein Ausland sei. Doch muß man trotzdem — ohne den Boden dieser Entscheidung zu verlassen — die Auffassung vertreten, daß das Recht der DDR für die rechtsanwendenden Organe in der Bundesrepublik 15 16

17 18

Zu den Begriffen Rezeption und Inkorporation vgl. G. Hoffmann, Strafrechtliche Verantwortung, S. 14ff. (17f.). S. oben Abschn. I 2; indem ich auf die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen staatlichen Verband abstelle und deshalb im Europarecht fremdes Recht sehen muß, weiche ich von der in früheren Auflagen vertretenen Auffassung ab. Vgl. hierzu u. a. G. Hoffmann, DÖV 1967, S. 433ff.; Zuleeg, a. a. O., S. 61 ff. (mit umfassendem Literaturnachweis). S. oben Abschn. I 2. 19 BVerfGE 36, 1 ff. (17).

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fremdes Recht ist, weil die rechtsetzenden Organe der DDR nicht an das Grundgesetz gebunden sind, außerdem auch, weil sie ihr Recht aus dem Gedankengut des Marxismus-Leninismus heraus setzen und durchsetzen, so daß die dem zugrundeliegende Rechtskonzeption eine völlig andere ist als die der Bundesrepublik. Das Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2. Mai 195320 trägt diesem Umstand im Bereich des Strafrechts Rechnung, ohne vom BVerfG beanstandet worden zu sein. Auch in einigen anderen Gesetzen der Bundesrepublik werden die DDR und ihre Bürger wie Ausland bzw. Ausländer behandelt 21 . 3. Besonderheiten des Internationalen Verwaltungsrechts Trotz des Attributes „international" sind die Bestimmungen deis IVR nationales Recht, und nicht etwa Bestandteil des Völkerrechts (welches ja die Beziehungen der Staaten und Staatenverbindungen im Verhältnis zueinander regelt). Auch die Verwaltungsakte und gerichtlichen Entscheidungen, denen aufgrund des deutschen Rechtsanwendungsbefehles fremdes Recht zugrundeliegt, gehören der deutschen Rechtsordnung an, weil sich deren Verbindlichkeit aus deutschem Recht ableitet. Schließlich bedarf schon hier der Erwähnung, daß die Verweisung des rechtsanwendenden Organs auf fremdes Recht noch keine Rückschlüsse darüber zuläßt, ob dieses fremde Recht nunmehr unverändert oder durch die Berücksichtigung des deutschen ordre public und der Grundrechte des GG modifiziert anzuwenden ist (s. unten, Abschn. IV 3 und 4).

III. Völkerrecht und Internationales Verwaltungsrecht 1. Völkerrechtliche Regelungsmöglichkeiten Die Bestimmung, welches Recht von den Verwaltungsbehörden und Gerichten eines Staates in auslandsbezogenen Fällen anzuwenden ist, kann rechtstechnisch im Völkerrecht geregelt werden. Geschähe dies im allgemeinen Völkerrecht, so hätte das den Vorteil einer überall einheitlichen Regelung. Doch hat man in der Staatengemeinschaft von dieser Möglichkeit — sicherlich aus begreiflichen Gründen (Unterschiede in der Rechtskonzeption und in den Auffassungen über Opportunität, aber auch staatliche Souveränität) — keinen Gebrauch gemacht. Jedoch gibt es zahlreiche völkerrechtliche Verträge, in denen die beteiligten Staaten Vereinbarungen über die Anwendung fremden Rechts getroffen haben (s. unten Abschn. IV). Rechtstechnisch ist es auch möglich, in völkerrechtlichen Verträgen aus sich selbst heraus vollziehbare (self-executing, gesetzesähnliche) Bestimmungen zu vereinbaren, in denen die Angehörigen der beteiligten Staaten zu Trä20

BGBl. 1953 I, S. 161.

21

Vgl. die Literaturhinweise in Fußn. 7.

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gern völkerrechtlicher Rechte und Pflichten (materiell) verwaltungsrechtlichen Inhalts gemacht werden. So stattet z. B. die EMRK die mit ihren Zusatzabkommen (Protokollen) die Bewohner der Vertragsstaaten mit Grundrechtsansprüchen gegenüber den für sie zuständigen Vertragsstaaten aus. Da das IVR seinem Begriff nach nur Rechtsanwendungsbefehle enthalten kann, ist diese Kategorie völkerrechtlicher (gesetzesähnlicher) Verträge nur für das materielle Verwaltungsrecht von Interesse. 2. Der Geltungsbereich nationaler Hoheitsakte Dem allgemeinen Völkerrecht gehört der Grundsatz an, daß der Geltungsanspruch der Rechtssätze und Rechtsakte (Hoheitsakte) eines Staates sich nicht auf das Herrschaftsgebiet eines anderen Staates erstrecken darf. In diesem Sinne kommt den Hoheitsakten eines Staates extraterritoriale Wirkung grundsätzlich nicht zu. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht für den Fall, daß ein Staat von der ihm in bezug auf seine Angehörigen im Ausland zustehenden Personalhoheit Gebrauch macht und diese seine Angehörigen mit Hilfe von seinen Gesetze zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet oder berechtigt. Da der betreffende Staat dadurch in die Territorialhoheit des fremden Aufenthaltsstaates eingreift, darf der Heimatstaat von seiner Personalhoheit nur dann Gebrauch machen, wenn er einen vernünftigen Grund hierfür hat. In Fällen staatlicher Gesetze mit „Auslandswirkung" ist der personale Geltungsanspruch des betreffenden Gesetzes ausgedehnt worden; insofern kommt solchen Gesetzen extraterritoriale Geltung zu. Auch den (für das IVR interessierenden) Verwaltungsakten kommt grundsätzlich keine extraterritoriale Wirkung zu; d. h., kein Staat darf mittels seiner Verwaltungsakte in den Herrschaftsbereich eines anderen Staates „hineinregieren", was mit der Ausschließlichkeit der Herrschaftsgewalt des Territorialstaates — ein Inhalt des völkerrechtlichen Souveränitätsbegriffes — nicht zu vereinbaren ist22. Nur in seltenen Ausnahmefällen kann man von einer extraterritorialen Wirksamkeit sprechen — nämlich dann z. B., wenn ein Staat entweder unmittelbar kraft Gesetzes oder durch Verwaltungsakt einer Person seine Staatsangehörigkeit verliehen hat. Ist das in völkerrechtskonformer Weise geschehen, so sind alle anderen Staaten aus allgemeinem Völkerrecht verpflichtet, diese Person als Angehörigen des betreffenden Staates zu behandeln 23,24 . 22

23 24

Hierzu Beitzke, WVR I, S. 404f.; Castel, Extraterritorial Effects of Antitrust Laws, RC 1983 I (Bd. 179), S. 27ff.; Doehring, Staatsrecht, S. 101 f. (auch mit Bezug zur DDR); Folz, Die Geltungskraft fremder Hoheitsäußerungen, 1975 (sehr ausführliche Darstellung, auch des Rechts anderer Staaten); Mann, The Doctrine of Jurisdiction in International Law, RC 1964 I (Bd. 111), S. 9 ff. Dahm, Völkerrecht I, S. 262 ff. Vgl. z. B. Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 262ff. - „Der Nachweis der Staatsangehörigkeit richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen der Gesetzgebung des Heimatstaates"; so z. B. Europ. Fürsorgeabkommen vom

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IV. Deutsches Recht und fremdes öffentliches Recht 1. Die Rechtsanwendungsbefehle Da ein jedes zur Rechtsanwendung berufene Organ innerhalb eines Staates wissen muß, welches Recht es seiner Entscheidung (Verwaltungsakt oder Urteil) zugrunde zu legen hat, enthält eine jede innerstaatliche Rechtsordnung notwendigerweise — wenn auch überwiegend im ungeschriebenen Recht — Rechtsanwendungsnormen. Die oberste Rechtsanwendungsnorm, die dem ungeschriebenen Verfassungsrecht zuzuzählen ist, hat die Verpflichtung der Organe zum Inhalt, nur dasjenige Recht anzuwenden, das ihnen zur Anwendung befohlen oder erlaubt wird. Das ist, wie die Rechtserfahrung innerhalb aller Staaten zeigt, das innerstaatliche Recht des betreffenden Staates, sofern nicht im geschriebenen oder ungeschriebenen Recht ausnahmsweise auf fremdes Recht (Völkerrecht, ausländisches Recht oder das interne Recht einer supranationalen Gemeinschaft) verwiesen wird. Auch im ungeschriebenen Verfassungsrecht der Bundesrepublik ist ein solcher oberster Rechtsanwendungsbefehl (mit dem genannten Vorbehalt eines Verweises auf fremdes Recht) vorhanden, da es sonst für die deutschen rechtsanwendenden Organe an einer Verpflichtung zur Anwendung deutschen Rechts fehlen würde. Die auf fremdes Recht verweisenden (z. T. im Vollzug völkerrechtlicher Verträge erlassenen) Rechtsanwendungsbefehle sind demgegenüber in einfachen Gesetzen25 (z. B. Zustimmungsgesetze gem. Art. 59 I S. 1 GG) enthalten. Sie sind wie jede deutsche Rechtsnorm im Rang unterhalb der Verfassung in vollem Umfang an den Grundrechten zu messen, wie es das BVerfG26 für die Vorschriften des deutschen Internationalen Privatrechts ausdrücklich festgestellt hat. Gehört dieser Rechtsanwendungsbefehl einem nachkonstitutionellen förmlichen Gesetz an, ist er auch der konkreten Normenkontrolle des BVerfG gem. Art. 1001 GG zugängig. Schwieriger ist die Frage nach dem anzuwendenden Recht in einem auslandsbezogenen Fall zu beantworten, wenn das geschriebene Recht keine ausdrückliche Bestimmung enthält. Zwar enthält die oberste Rechtsanwendungsnorm eine Vermutung zugunsten des deutschen Rechts. Da aber der Gesetzgeber die Rechtsanwendungsbefehle zumindest im Verwaltungsrecht kaum jemals ausdrücklich erteilt und die Verweisung auf ausländisches Recht dennoch seinem Willen entsprechen kann, dürfen die Verwaltungsbehörden

25 26

11. Dezember 1953 (BGBl. 1956 II, S. 564) - Zum Problem extraterritorialer Auswirkungen der Anerkennung des Flüchtlingsstatus vgl. auch Uibopuu, in: Fs. f. Schlochauer, 1981, S. 717. Für das deutsche Internationale Privatrecht (Recht der Eheschließung und Ehescheidung) z. B. vgl. Art. 13 und 17 EGBGB. BVerfGE 31, 58 ff., 73.

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und Gerichte nicht ohne weiteres unter Hinweis auf das Fehlen einer geschriebenen, die Anwendung fremden Rechts befehlenden Bestimmung deutsches Recht ihrer Entscheidung zugrunde legen. Sie haben vielmehr das Schweigen des Gesetzgebers daraufhin zu überprüfen, ob es zur Abweichung von der in der obersten Rechtsanwendungsnorm enthaltenen Regel berechtigt. Die hierbei anzustellenden Erwägungen zielen praktisch darauf ab, ob in einem speziellen Fall die Anwendung des deutschen oder die des ausländischen Rechts sachgerechter ist. Die Antwort auf diese Frage kann sich aus einem Vergleich der Rechtsfolgen ergeben, je nachdem, ob ausländisches oder deutsches Recht der Entscheidung zugrunde gelegt wird. Führt die Anwendung ausländischen Rechts zu einer sachgerechteren Entscheidung als die deutschen Rechts, so ist davon auszugehen, daß der Rechtsanwendungsbefehl auf das fremde Recht verweist. Anderenfalls ist — der Regel entsprechend — deutsches Recht anzuwenden. Den Erwägungen, ob ausländisches oder deutsches Recht anzuwenden ist, liegt heute nicht mehr eine früher vertretene Auffassung zugrunde, der inländische Richter habe ausländisches öffentliches Recht unter keinen Umständen anzuwenden. Dieser Satz „gilt mit Sicherheit nicht mehr, sofern er je wirklich gegolten haben sollte"27. Mittelbar werden die bundesdeutschen rechtsanwendenden Organe aus Europ. Gemeinschaftsrecht (z. B. Art. 5 EWG-Vertrag) zur Anwendung der in dieser (für die Bundesrepublik fremden; s. oben Abschn. I 2) Rechtsordnung enthaltenen Rechtssätze verpflichtet. Diese Bestimmung wird von dem auf den Gründungsvertrag bezogenen Zustimmungsgesetz (gem. Art. 59 II S. 1 GG) erfaßt und - also im deutschen Recht — mit dem für die deutschen Organe erforderlichen Vollzugsbefehl ausgestattet. Deutsches Verfassungsrecht, nämlich Art. 25 GG, enthält den an die infrage kommenden Staatsorgane gerichteten Befehl, in einschlägigen Fällen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts anzuwenden. Besatzungsrecht des Alliierten Kontrollrates und der westlichen Besatzungsmächte gilt auch nach Inkrafttreten des Deutschlandvertrages ohne Rücksicht auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zunächst weiter, ist also für Verwaltung und Gerichte verbindlich geblieben (BVerfGE 15, 337 ff., 346f.; 36, 146ff., 171). Der auf das Besatzungsrecht bezogene Anwendungsbefehl ist allerdings nicht im bundesdeutschen Recht enthalten, sondern in den diesbezüglichen Erklärungen der Besatzungsmächte. Der Gesetzgeber hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, dieses (für uns fremde) Recht außer Kraft bzw. außer Anwendung zu setzen, weitestgehend Gebrauch gemacht.

27

Zweigert, Internationales Privatrecht und öffentliches Recht, Fünfzig Jahre Institut für internationales Recht an der Universität Kiel, 1965, S. 124ff.; s. auch Mann, Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr, RabelsZ 1956, S. lff.

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2. Fremde Rechtssätze als Bezugspunkte deutscher Rechtsanwendungsbefehle Fremde Rechtssätze (in bezug auf das IVR: verwaltungsrechtlichen Inhalts) kommen als Bezugspunkte von Rechtsanwendungsbefehlen in Betracht, wenn sie als Entscheidungsgrundlage dienen. Auch wenn auf einen auslandsbezogenen Sachverhalt deutsches Recht anzuwenden ist, können der Entscheidung über eine dabei auftretende Vorfrage (z. B. Erwerb bzw. Verlust von Eigentum unmittelbar kraft Gesetzes) fremde Rechtssätze zugrundegelegt werden. Die oben erörterten Regeln (Abschn. IV. 1) gelten auch für diesen Fall. a) Die deutschen rechtsanwendenden Organe sind aus deutschem Recht verpflichtet, zu prüfen, ob das ausländische Gesetz, auf den der Rechtsanwendungsbefehl verweist, im Recht des Staates, dem es angehört, Rechtsbestand hat; denn nur auf geltendes Recht verweist der Rechtsanwendungsbefehl 28 . Ist eine ausländische Norm aber trotz Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht des betreffenden Staates von dessen Organen anzuwenden (etwa weil die dafür zuständige Instanz diese Norm noch nicht vernichtet hat), so ist im Zweifel auch das deutsche Organ zur Anwendung dieser Norm (aus deutschem Recht) verpflichtet. Auch deutsches Recht ist als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Doch kann es das ausländische Gesetz nicht vernichten. Unanwendbar ist ein ausländisches Gesetz im bundesdeutschen Rechtsbereich dann, wenn es mit dem deutschen „ordre public"unvereinbar ist. Dieser Grundsatz beherrscht das gesamte deutsche Rechtsanwendungsrecht und hat in Art. 30 EGBGB folgende Formulierung erfahren: „Die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ist ausgeschlossen, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde." Unanwendbar ist ein ausländisches Gesetz auch, wenn es gegen die Grundrechte des GG verstößt: denn auch bei der Anwendung fremden Rechts ist das deutsche rechtsanwendende Organ nicht aus seiner Bindung an diese Grundrechte entlassen29. Da die Grundrechte aus der EMRK und ihren Zusatzprotokollen in der Bundesrepublik als innerstaatliches Recht im Rang einfacher Gesetze gelten, löst der Verstoß gegen diese Grundrechte nicht die Rechtsfolge einer Unanwendbarkeit des ausländischen Gesetzes aus. Da deutsches Recht (z. B. das gem. Art. 59 II S. 1 GG zu dem EWG-Gründungsvertrag ergangene Gesetz) die Anwendung von Europ. Gemeinschaftsrecht befiehlt und da dieses Recht gegenüber Bundesgesetzen mit Anwendungsvorrang ausgestattet ist, gilt dieser Vorrang auch dann, wenn deutsche 28 29

Vgl. J. P. Bauer, Das Internationale Privatrecht im Rechtssystem, Brianger Diss., 1967, S. 463f.; Neumayer, RabelsZ 23 (1958), S. 585f. Das hat das BVerfG (E 31, 58 ff.) für das deutsche Internationale Privatrecht ausdrücklich klargestellt, wobei es sich mit einer im IPR bisher weit verbreiteten, abweichenden Meinung ausführlich auseinanderzusetzen hatte. Zustimmend u. a. Sturm, FamRZ 1972, 16 ff.

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Organe auf ausländische Rechtssätze verwiesen werden, die mit Europ. Gemeinschaftsrecht nicht in Einklang stehen. Insofern ist auch Gemeinschaftsrecht aufgrund deutschen Rechtes Prüfungsmaßstab für ausländische Gesetze. Prüfungsmaßstab sind auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, da sie gem. Art. 25 GG von den deutschen rechtsanwendenden Organen anzuwenden sind und den einfachen Gesetzen vorgehen. Die Unvereinbarkeit mit einer solchen Regel des Völkerrechts macht daher ein ausländisches Gesetz im Geltungsbereich des GG unanwendbar. In allen diesen Fällen grundsätzlicher Unanwendbarkeit ausländischer Gesetze fragt es sich, ob deutsche Behörden und Gerichte ausländische Gesetze im konkreten Fall durch Anpassung an das als Prüfungsmaßstab dienende Gesetz inhaltlich abgeändert und mit dem so gewonnenen Inhalt anwenden dürfen. Soweit der Bundesrepublik Deutschland aus Völkerrecht nicht eine ad hoc vorgenommene Anpassung eines ausländischen Gesetzes an das Recht des Prüfungsmaßstabes untersagt ist, steht es in ihrem Belieben, ob sie das ausländische Gesetz anpassen oder stattdessen unangewendet lassen will. Kommt es dem Gesetzgeber auf eine unveränderte Anwendung an, dann muß das Gesetz unangewendet bleiben, wenn es gegen das Recht des Prüfungsmaßstabes verstößt. Lassen sich die Intentionen des deutschen Gesetzgebers bei inhaltlicher Abwandlung des ausländischen Gesetzes erfüllen, so darf das Gesetz mit einem dem Prüfungsmaßstab angepaßten Inhalt von den deutschen Organen angewendet werden 30,31 . Für solche Fälle verweist das deutsche Recht einerseits auf ausländische Rechtssätze. Andererseits erteilt es den Verwaltungsbehörden und den Gerichten auch die Befugnis, durch Anpassung des fremden Rechtssatzes an das Recht des Prüfungsmaßstabes ad hoc eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Die so erzeugte Regelung besitzt — ebenso wie (vom Verfassungsrichterrecht abgesehen) das Richterrecht in der Bundesrepublik auch — keine allgemeine Verbindlichkeit. Diese Anpassungs-Befugnis der rechtsanwendenden Organe ist, soweit es sich um den deutschen ordre public handelt, praktisch unbestritten, wenn es auch hierzu verschiedene Varianten gibt32. Da den Grundrechtsbestimmungen des GG gleiche Bedeutung wie dem deutschen ordre public (als dessen Bestandteil die Grundrechte teilweise erachtet werden) zukommt, kann die Anpassungs-Befugnis auch insoweit keinen rechtlichen Bedenken begegnen33. Es ist verfassungsrechtlich zulässig, auch Bestim30

31 32 33

Eine andere Regelung enthält das Rechtsanwendungsgesetz der DDR (s. o. Fußn. 6). § 4 dieses Gesetzes lautet: „Gesetze und andere Rechtsvorschriften eines anderen Staates werden nicht angewandt, soweit ihre Anwendung mit den Grundprinzipien der Staats- und Rechtsordnung der Deutschen Demokratischen Republik unvereinbar ist. In diesem Falle sind die entsprechenden Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik anzuwenden." Vgl. Makarov, Grundzüge des internationalen Privatrechts, 1970, S. 94 ff. Vgl. Makarov, a.a.O., S. 98 ff. So aber Papier / Olschewski, DVB1. 1976, 475ff.

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mungen des Völkerrechts oder des Europ. Gemeinschaftsrechts zum Bezugspunkt einer Anpassung zu machen. b) Da die rechtsanwendenden Organe auch bei der Anwendung von Rechtssätzen des Europ. Gemeinschaftsrechts deutsche Staatsgewalt ausüben und deshalb an die Grundrechtsbestimmungen des GG gebunden sind, haben sie diese von ihnen anzuwendenden Rechtssätze auf deren Vereinbarkeit mit diesen Grundrechten zu überprüfen. Hierzu sind die rechtsanwendenden Organe aus deutschem Verfassungsrecht verpflichtet, wohingegen Europ. Gemeinschaftsrecht (z. B. Art. 5 EWG-Vertrag) derartiges im Interesse einer Einheitlichkeit der Rechtsanwendung innerhalb der Gemeinschaft untersagt. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang erklärt, es könne niemals über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts entscheiden. Jedoch könne es zu dem Ergebnis kommen, daß eine solche Vorschrift von den Behörden oder Gerichten der Bundesrepublik nicht angewendet werden dürfe, soweit sie mit einer Grundrechtsvorschrift des GG kollidiert34. Da durch den zunehmenden Ausbau eines Grundrechtssystems im Gemeinschaftsrecht (bis jetzt vornehmlich durch den EuGH) die Gefahr einer Unvereinbarkeit von Gemeinschaftsrecht mit deutschen Grundrechten abnimmt, verliert dieser Beschluß des BVerfG allmählich an Aktualität 35 . Für die Überprüfung von Rechtssätzen des Gemeinschaftsrechts am Maßstab dieser Rechtsordnungen ist letztlich der EuGH zuständig. Doch müssen sich auch die deutschen rechtsanwendenden Organe, wie stets, die Frage vorlegen, ob der für sie entscheidungserhebliche Rechtssatz überhaupt dieser Rechtsordnung angehört. Diese Frage hat im Fall von Zweifeln der EuGH zu beantworten (Art. 177 EWG-Vertrag). c) Auch bei der Anwendung von Völkerrecht durch deutsche Organe ist davon auszugehen, daß diese an die im GG verankerten Grundrechte gebunden sind. Der Konflikt zwischen grundrechtswidrigem Völkerrecht und völkerrechtswidrigem Grundrechtsvollzug ist im deutschen Verfassungsrecht trotz seiner Völkerrechtsfreundlichkeit zugunsten der Grundrechte entschieden. Das GG enthält keine Freistellung der Staatsorgane von ihrer Bindung an die Grundrechte (Art. 1 III) für den Fall abweichender Regelungen im Völkerrecht. Auch Art. 25 GG begründet eine solche Freistellung nicht, da die von dieser Bestimmung erfaßten Regeln des Völkerrechts im Range unter der Verfassung stehen. 34

35

BVerfGE 37, 271 ff., 280ff.: Solange es im Gemeinschaftsrecht keinen Grundrechtskatalog gibt, der dem des GG adäquat ist. — Kritik an dieser Entscheidung u. a. bei Feige, JZ 1975, 476ff. mit weiteren Nachweisen der Kritik pro und contra; s. auch (unter Einbeziehung völkerrechtlicher Argumente) Stöcker, JZ 1976, 45 ff. — Mit Feige und anderen Autoren fragt man sich, warum das BVerfG in seiner Entscheidung (BVerfGE 37, 271 ff., 280) der von ihm angeschnittenen Frage einer aus Art. 24 GG resultierenden Relativierbarkeit der Grundrechte des GG nicht weiter nachgegangen ist. Als Schranken einer solchen Relativierung wäre nicht erst Art. 79 III GG in Betracht zu ziehen, sondern bereits Art. 19 II. Vgl. nunmehr BVerfGE 52, 187 ff., 199 ff.

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d) Soweit ein rechtsanwendendes Organ der Bundesrepublik hingegen eine besatzungsrechtliche Norm anzuwenden hat, darf es dieser nicht deshalb die Anwendung versagen, weil sie mit dem GG oder einer Grundrechtsbestimmung nicht zu vereinbaren ist36. Da Besatzungsrecht fremdes Recht ist, kann es vom BVerfG nicht vernichtet werden, weil eine jede Rechtsordnung selbst über das Rechtsschicksal der ihr zugehörigen Norm entscheidet. Da es im Rang über dem GG steht, kann es auch bei Unvereinbarkeit mit dem GG nicht unangewendet bleiben, solange es nicht außer Kraft oder außer Wirksamkeit gesetzt37 worden ist.

3. Fremde Verwaltungsakte als Bezugspunkte der Rechtsanwendungsbefehle a) Auch fremde Verwaltungsakte können Bezugspunkte deutscher Rechtsanwendungsbefehle sein38. Diese beziehen sich auf den Verwaltungsakt mit demjenigen Inhalt, den dieser von der Behörde oder durch abänderndes Gerichtsurteil erhalten hat. Als Verwaltungsakte sind in diesem Zusammenhang solche Hoheitsakte auch anderer Staaten zu verstehen, die dem deutschen Verwaltungsaktsbegriff entsprechen. b) Für das IVR sind bestimmte Verwaltungsaktskategorien von besonderem Interesse, nämlich die eine Staatsangehörigkeit und in diesem Sinne einen Status39 gewährenden Verwaltungsakte 40,41 , Enteignungen 42 sowie (einmalige und wiederkehrende) Leistungspflichten begründende Verwaltungsakte. c) Das allgemeine Völkerrecht überläßt es grundsätzlich den Staaten, darüber zu entscheiden, ob sie fremde Verwaltungsakte in ihren Staatsgebieten anerkennen oder nicht. „Anerkennung" bedeutet in diesem Zusammenhang, daß aus dem fremden Verwaltungsakt im Inland diejenigen rechtlichen Fol36 37 38 39

40

41

42

Vgl. BVerfGE 36, 146 ff., 169. S. oben Abschn. I 2. Zum Problemkreis allg.: König, Die Anerkennung ausländischer Verwaltungsakte, 1965. Zur Staatsangehörigkeit als einem Status vgl. u. a. G. Hoffmann, AVR 19 (1980/81), S. 257 ff.; zur Begriffsbestimmung Randelzhof er, in: Maunz / Dürig, GG Erl. zu Art. 16, Rdn. 7 ff. Die Staatsangehörigkeit kann auch, ebenso wie die den Regeln des IPR unterliegende Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit, unmittelbar durch Gesetz erworben werden. Auch die kollisionsrechtlichen Fragen des Namensrechts gehören zum IPR; hierzu Edlbacher, Das Recht des Namens, Wien 1978, S. 45ff.; Raschauer, Namensrecht, Wien 1978. S. 306ff. — Hier zu erwähnen: Übereinkommen vom 13. 9. 1973 über die Angabe von Familiennamen und Vornamen in den Personenstandsregistern (BGBl. 1976 II, 1473), Rechtsanwendungsbefehl z. B. in Art. 4. Hierzu Doehring, Staatsrecht, S. 101 f.

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gen abgeleitet werden, die dem Verwaltungsakt in der fremden Rechtsordnung zugedacht werden 43 . Der völkerrechtliche Grundsatz von der diesbezüglichen Staatenfreiheit ist in nur wenigen Ausnahmefällen durchbrochen. So ist z. B. die von einem Staat einer bestimmten Person (unmittelbar durch Gesetz oder durch Verwaltungsakt) völkerrechtskonform verliehene Staatsangehörigkeit von allen anderen Staaten anzuerkennen 44 . Zwar dürfen die rechtsanwendenden Organe in der Bundesrepublik (wie in allen Ländern überhaupt) prüfen, ob eine von einem Staat gewährte Staatsangehörigkeit mit dem dortigen Recht und mit dem Völkerrecht zu vereinbaren ist. Kein Staat ist jedoch berechtigt, die Verleihung der Angehörigkeit zu einem fremden Staat nach seinem eigenen materiellen Recht eintreten oder nicht eintreten zu lassen. d) Die Bundesrepublik Deutschland ist aus zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen in deren Verbindung mit dem (gem. Art. 59 II S. 1 GG ergangenen) Zustimmungsgesetz verpflichtet, ausländische Verwaltungsakte (z. B. Zeugnisse und Titelverleihungen, Fahr- und Betriebserlaubnisse) ihren Entscheidungen zugrundezulegen 45,46 . Eine auch nur einigermaßen erschöpfende Aufzählung derartiger Verträge ist an dieser Stelle unmöglich. Die im Europ. Gemeinschaftsrecht an natürliche und juristische Personen gerichteten individuellen Entscheidungen sind (z. B. gem. Art. 189 IV EWGVertrag) in allen ihren Teilen verbindlich. Ihnen wird im innerstaatlichen Bereich der Mitgliedstaaten, jedenfalls in der Bundesrepublik, unmittelbare Geltung zuerkannt 47 . Sie sind deshalb von den deutschen rechtsanwendenden Organen deren Entscheidungen zugrundezulegen. 43

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47

So auch Polter, Auslandsentscheidungen und Investitionsschutz, 1975, S. 76. Dort (S. 75 ff.) Näheres zur Anerkennung fremder Hoheitsakte und zur Act of State-Doctrin. Zu dieser Doktrin sehr umfassend auch Folz, Die Geltungskraft fremder Ho44 heitsäußerungen, 1975. S. oben, Abschn. III 2. Z.B. Abkommen v. 16.6. 1977 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französ. Republik über die Gleichwertigkeit v. Prüfungszeugnissen in d. beruflichen Bildung (BGBl. 1977 II, S. 755ff.); Vereinbarung v. 10. 7. 1980 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französ. Republik über die Befreiung der Absolventen zweisprachiger deutsch-französischer Züge an Sekundärschulen von der Sprachprüfung (BGBl. 1980 II, S. 917ff.); Deutsch-Niederländisches Abkommen über die Anerkennung von Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich v. 29. 3. 1983 (BGBl. 1983 II, S. 242ff.); Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung von akademischen Graden und Hochschulzeugnissen v. 14. 12. 1959 (BGBl. 1969 II, S. 2057). Zum Recht der Führung ausländischer akademischer Grade durch Deutsche in der Bundesrepublik s. Raschauer, Namensrecht, Wien 1978, S. 152ff. Vereinbarung vom 25. 2./1. 3. 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs der Belgier über die Anerkennung der Führerscheine (BGBl. 1969 II, S. 1147ff.); Deutsch-ungarische Vereinbarung vom 29. 9./2. 11. 1976 über die Anerkennung der Führerscheine und Fahrzeugscheine (BGBl. 1977, II, S. 413). Vgl. z. B. Schweitzer / Hummer, Europarecht, 1980, S. 85.

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Soweit fremde Verwaltungsakte aufgrund einer von der Bundesrepublik übernommenen vertragsvölkerrechtlichen Verpflichtung - ohne Überprüfung am Maßstab des deutschen ordre public und der Grundrechte des G G — durch deutsche Organe zu vollstrecken sind, ist dies wegen des verfassungsrechtlichen Ranges des ordre public und der Grundrechte des G G unzulässig. Soweit das deutsche Recht keine Anweisung zur Anerkennung fremder Verwaltungsakte enthält, steht es im Ermessen der deutschen Staatsorgane, ob sie fremde Verwaltungsakte anerkennen oder nicht anerkennen. Deutsche rechtsanwendende Organe sind übrigens an diesbezügliche Entscheidungen anderer deutscher Behörden und Gerichte (von denen des BVerfG abgesehen) sowie ausländischer Staatsorgane nicht gebunden 48 , weil den diesbezüglichen deutschen Entscheidungen keine allgemeine Verbindlichkeit zukommt und ausländische Gesetze und Rechtsakte deutsche Organe nicht zu binden vermögen (zum Vorrang des Europ. Gemeinschaftsrecht, s. oben, Abschn. IV 2 b). In der deutschen Verwaltung hat sich die Praxis entwickelt, ausländische Verwaltungsakte soweit es sich nicht um solche mit wiederkehrenden Leistungsverpflichtungen handelt, weitgehend zu berücksichtigen. Das ist sogar rechtlich geboten; wenn ein Verwaltungsakt desselben Inhalts unter gleichen Umständen von deutschen Stellen erlassen werden darf. In solchen Fällen ist im allgemeinen kein vernünftiger Grund dafür zu sehen, diesen Verwaltungsakt nicht anzuerkennen; hier kann man von einer „Ermessensreduzierung auf Null" ausgehen. Unzulässig ist die Anerkennung eines fremden Verwaltungsaktes hingegen, wenn dem der ordre public oder eine Grundrechtsbestimmung des G G entgegensteht (s. oben, Abschn. IV 2 a). Grundsätzlich dürfen Verwaltungsakte aus dem Recht der DDR nicht als ausländische Verwaltungsakte behandelt werden. Dem steht die Rechtsauffassung des BVerfG entgegen, nach der beide Staaten unter einem gemeinsamen staatlichen Dachverband stehen und die D D R deshalb im Verhältnis zur Bundesrepublik nicht als Ausland angesehen werden kann (s. oben, Abschn. I 2). Trotz dieser fiktiven Inlandseigenschaft der D D R sind aber der bundesdeutsche ordre public und die Grundrechte des G G verfassungsrechtliche Schranken, die die Anerkennung von Verwaltungsakten der D D R unzulässig machen können, wie z. B. auch das Bundesgesetz über innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2. Mai 195349 erkennen läßt, daß der bundesdeutsche ordre public auch im Verhältnis zur D D R beachtet werden muß. Das gilt auch in bezug auf Rechtssätze dieses Staates.

48 49

Vgl. hierzu, wenn auch in anderem Zusammenhang erörtert, Heller, ZfRV 1982, S. 162 ff. BGBl. 1953 I, S. 161.

Sachverzeichnis (Die Zahlen verweisen auf die Seiten, fettgedruckte Zahlen auf die Hauptfundstellen)

A Abbruchgebot 470 Abbruchverfügung 508 ff. Abendgymnasium 711 Abendvolkshochschule 734 Abfallbeseitigung 558, 560, 564, 568, 572, 582 f., 596, 601, 611 ff. Abfallbeseitigungsanlage 564, 613 ff. Abfallbeseitigungspläne 564, 582, 613 Abfallrecht 611 ff., 661 Abgeordneter 9 Abitur 711,778 Abordnung d. Beamten 68, 71 Abstimmung 137 Abwägungsgebot 303, 457 ff. Abwahl 18 Abwasser 684 Abwasserabgaben 576, 662 Abwasserbeseitigung 576, 582 f., 611 Abwasserbeseitigungspläne 582, 662 Abwassereinleitungen 662, 671 Abwehranspruch - individueller 577 ff., 798 - wasserrechtl. 664ff., 671 f., 681 Adäquanztheorie 212 Ämter 191 Ämterpatronage 14 Äquivalenztheorie 212 Ärzte 286,316 Agrarstruktur 264 Akademie 708 Akademische Freiheit 775 f. Akademische Grade 782 ff. Akademische Räte 773 Aktiengesellschaft 172 Alimentationstheorie 51 ff. Allgemeinverfügung 847 Alliierter Kontrollrat 858, 864

Allzuständigkeit d. Gemeinden 107 f. Alte Rechte 676 Altenteil 383 Altenversorgung 368 Altersgrenze - flexible 401 - f. Beamte 23,68, 72 Alterskasse, landwirtschaftl. 411 Altersruhegeld 352 Alterssicherung 358 - f. Landwirte 378 Altersversorgung - betriebl. 337, 345 - d. Beamten 13 Altölbeseitigung 576, 583, 611 Altölbeseitigungsabgabe 576 Apotheken 395 Amt, funktionelles - im konkreten Sinne 71 Amtsbezeichnung 23, 35 Amtsführung, unparteiische 14,40 f. Amtshaftung 15 ff., 34, 49, 65 ff., 208, 252, 338,427, 643, 645 f., 653 Amtshandlungen, Bestandskraft 33 f. Amtshilfe 191,434, 861 Amtspflicht 208,644, 653, 682 Amtspflichtverletzung 48, 65 ff., 69, 78 Amtsträger 16, 79 Amtsverhältnis, öffentl.-rechtl. 10 Amtsverleihung 23 Amtsverschwiegenheit 12, 32,42 ff., 58, 82 Amts Vorsteher 237 Amtswalter 830 Amtszulage 50 Anerkennung, förmliche 844 Anerkennungsverfahren f.

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Kriegsdienstverweigerer 839 Anfechtung d. Beamtenernennung 32 Anfechtungsklage 27, 67, 304, 366, 476, 520, 532ff., 630, 642, 648, 653, 673 Anforderungsbehörden 846 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 107 Angestellte - im öffentl. Dienst 10, 12 f., 34, 80 ff., 726 Angestelltenversicherung 382 Anhörungsverfahren 466 Anlage - bauliche 475, 497, 499, 502 - Beseitigung 497, 502, 599 - genehmigungsbedürftige 499, 589ff. - lästige 324 - nicht genehmigungsbedürftige 600ff. - überwachungsbedürftige 319 - unerlaubter Betrieb v. - - Stillegung 599 Untersagung 599 f. Anlagengenenmigung - atomrechtliche 549, 569, 571, 578, 606ff. - Einwendungen 596, 608 - immissionsschutzrechtliche 545, 568, 578,589 ff. Anlieger 623, 627, 629, 632, 636f., 642, 646, 665, 681 f. Anliegergebrauch 637 Anliegerrecht 636 Anmeldepflicht 567 f. Annexkompetenz 191, 743 Anordnung - allgemeine 801 - einstweilige 473 - nachträgliche 599 Anpassungsgebiete 474 Anpassungspflicht 453,463 Anpflanzungspflicht 623 Anscheinsgefahr 203 Anschlußzwang 164 ff. Anstalt - bundesunmittelbare 385 - für Kabelkommunikation 819

- nicht-öffentliche 720 - nicht-rechtsfähige 702, 720 - öffentl.-rechtl. 8, 17, 160, 198, 436, 759, 806f., 811,817 Anstaltsordnung 159 Anstellung 23 Anschluß- und Benutzungszwang 165 ff. - Fernwärme 166 - Gründe für Anordnung 165 - Grundrechtsfragen 166 - Satzung 165 - Volksgesundheit 165 Anti-Konzentrations-Gesetz 799 Anwendung fremden Rechts 84 Anwendungsbefehl (Besatzungsrecht) 864 Anzeigenblätter 797 Anzeigepflicht 319, 324, 482, 567, 573, 721 Apothekenurteil 278 Apotheker 318 Arbeit 259 - schadensgeneigte 66 Arbeitgeber 377 Arbeitnehmer 377 - ältere 374 - im öffentl. Dienst 9, 12 f., 80 ff., 726 Arbeitsamt 373 f. Arbeitserlaubnis 373 Arbeitsförderung 336 Arbeitsförderungsfinanzierung 377 f. - Arbeitsmarktabgabe 378 - Beiträge 377 - Beitragsäquivalenz 378 - Beitragsbemessungsgrenze 377 - Beitragsfreiheit 377 - Konkursausfallgeld 377 Arbeitsförderungsgesetz 336 Arbeitsförderungsrecht 372 ff. Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands 806, 818 Arbeitskammern 289 Arbeitskampf s. Aussperrung, Streik Arbeitskräfte, qualifizierte 372 Arbeitslose 352, 374 Arbeitslosengeld 346, 352, 386 - Anwartschaftszeit 376 - Anspruch auf 376

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- Arbeitsbereitschaft 375 - Arbeitskämpfe 376 - Arbeitsweg 375 - Einkommen 375 - Erkrankung 375 - Heimarbeit 375 - maximale Bezugsdauer 376 - Qualifikationsstufen 375 - Schwarzarbeit 376 - Sperrzeit 375 - Teilzeitbeschäftigung 375 - Zumutbarkeitsanordnung 375 Arbeitslosenhilfe 346, 350, 352, 376 - Anschluß-A. 376 - Bedürftigkeit 376 - Bezugsdauer 376 - originäre A. 376 - Subsidiarität 376 Arbeitslosigkeit 372, 376 Arbeitsmarkt 373 Arbeitsmarktabgabe 378 Arbeitsplatz 278 Arbeitspolitik 264 Arbeitsrecht 258 Arbeitsschutz 86, 297, 560, 601 Arbeitsunfähigkeit 416 Arbeitsunfall 349,413 Arbeitsvermittlung 373 f. Architekt 316, 318 Artenschutz 584,587 Arzneimittelrecht 558 Assessor 19 Atomanlagen, Genehmigungspflicht 302, 305 ff. Atomaufsicht 297 Atomgesetz 305 Atomhaftungsübereinkommen - Brüsseler 610 - Pariser 610 Atomrecht 303, 605ff. Aufbaugesetze 446 Auffangplanung 469 Aufgaben - der Gemeinde 117 ff. Aufgabendualismus 126 Aufgabenmonismus 126 Auftragsangelegenheiten 118 Freie Aufgaben 119 - - Pflichtaufgaben 119 Rechtsschutz 123

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Selbstverwaltungsaufgaben 118 - - Staatsaufsicht 121 Weisungsaufgaben 119 f. - hoheitsrechtl. 21 - öffentliche, der Presse 798, 802 Aufgabendualismus 118 Aufgabenstruktur, monistische 119 Auflage 247, 300, 328, 463, 467, 520, 532, 639, 643, 661, 672 f., 675, 684 - modifizierte 520, 597 Aufopferung 252, 338, 670f. Aufsicht über Gemeinden s. Staatsaufsicht Aufsicht, weitergehende HRG 771 Aufsichtsbehörde 29,460, 683 f. Aufständische(n), Bekämpfung von 827 Aufstiegsbeamte 19 Auftragsangelegenheiten d. Gemeinden 118f., 126, 130 Auftragsverwaltung 576, 645 Aufträge, öffentl. 311 ff. Aufwandsentschädigung 838 Ausbildung 703 Ausbildungsaufgabe 698 Ausbildungsauftrag 705 Ausbildungsbeihilfe 698 Ausbildungsförderung 336, 350, 370 ff., 700 - Amt für Ausbildung 372 - Anrechnung des Einkommens 371 - Anrechnung des Vermögens 371 - Bedarf 371 - Darlehen 370, 372 - Förderungsart 370 - Förderungsfähigkeit 370 - Förderungshöchstdauer 370 - Höchstalter 370 - Parkstudium 371 - Schüler BAföG 370 - Subsidiarität 370 - Zweitausbildung 372 Ausbildungshilfe 370 Ausbildungskapazität, Ermittlung d. 780 Ausbildungskosten, Rückzahlung d. 53 Ausbildungsstätte 278 - freie Wahl d. 370, 698, 699, 707 Ausfallzeiten 404

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Ausführung, unmittelbare 244f. Ausführungsanordnung 492 Ausführungsgenehmigung (baurechtl.) 521 f. Ausgleichsabgaben 274, 296, 573 ff. Ausgleichsverfahren, wasserrechtl. 675 Auskunftspflicht 573, 600, 802 Auskünfte 228, 801 Ausländer 22, 30, 384, 731, 746, 798, 861 - Beschränkung des Zugangs 373 - Integration 731 Auslandsschule, deutsche 713 Auslandsschulwesen 699 - Ausschuß für das 742 Auslese (Schule) - negative 707 - positive 707 Ausnahme (Baurecht) 483, 513 ff. Ausnahmebewilligung 246 Ausschüsse - öffentlich-rechtlich organisierte 581 - privatrechtlich organisierte 581 Außenbereich 478f., 483, 488, 596 - sonstige Vorhaben im 484 Außenwirtschaftspolitik 263 Aussperrung 290 Ausübung eines öffentl. Amtes 17, 65 f. Auswärtiges Amt (Kulturabteilung) 713,744 Autonomie 695 B Badegewässer, Qualität d. 660 BAföG s. Bundesausbildungsförderungsgesetz Bankenaufsicht 297 Bannrechte 266 Bauabnahme 517, 522 Bauamt 247 Bauantrag 517 f. Bauanzeige 505 f. Bauaufsicht 482 Bauaufsichtsbehörde 452, 471,482, 501, 504, 516f., 521,578 Baubedingung 520

Baudispens s. Dispens Baudispensvertrag 523 Bauen(s), Rechtsfolgen ungenehmigten 506 ff. Bauerlaubnis s. Baugenehmigung Bauerlaubnisverfahren 517 ff. Bauerwartungsland 464 Baufreiheit 445,484,499, 502 ff. Baugenehmigung 452, 463,471, 476ff., 490, 502ff., 510ff., 532ff., 578 f., 598, 601 - Feststellungswirkung 504 - Rechtsanspruch auf Erteilung 483 f., 505, 533 - und private Rechtsverhältnisse 510f., 578 - zeitliche Begrenzungen 511 ff. Baugenehmigungsbehörde 482 f. Baugenehmigungspflicht 505 f. Baugenehmigungsverfahren 472, 482 ff., 487, 501,511 Baugestaltungsrecht 499 Baugesuch, Zurückstellung 486 ff. Bauherr 502, 504 ff., 511, 520, 533 ff. Baulandsachen, Kammern u. Senate f. 493 Baulandumlegung 451 Baulasten 517 Baulastverträge, öffentl.-rechtl. 643 Bauleiter 502 Bauleitplan(ung) 101, 303, 449ff., 451 ff., 497 f., 559, 585 - Änderung 460 - Aufhebung 460 - Aufstellung 460 - Ergänzung 460 - Genehmigung d. örtl. 453 - Grenzen 455 - Grundsätze 456 - Sicherung 485 ff. - u. privates Grundstückeigentum 491 ff. Verfahren, zweistufiges 461 - Vollzug 501 - Zulässigkeit 455 Bauordnung 444,450 ff., 497, 501, 511 f., 514f. Bauordnungsbehörden 522 Bauordnungsrecht 444, 448, 450 ff. 482,497 ff.

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- Funktionen 497 ff. Bauplanung 446 Bauplanungsrecht 449, 474f., 503, 527 Baupolizeirecht 450 Baurecht 247, 444,511 Baurechtliche Verträge 523 Baurechtskommission 448 Baurechtswidrigkeit 504ff. Baureife 497 Bauschein 519 Bausperre 466 Bauten, öffentl. Zustimmungsverfahren 521 Bauüberwachung 448, 498,516 ff. Bauunterlagen, nachträgl. Einreichung 507 Bauverfahren 516ff. Bauvorhaben, bauplanerische Zulässigkeit 474 ff. Bauvorlagen 518, 521 Bauwesen 445, 451,499 Bauwich 449, 529 Beamte - Abordnung 71, 86 - Änderungen d. Aufgabenbereichs 71 - Altersgrenze 23, 68, 72 - Arbeitspflicht 37 - Arten 17 ff. - auf Probe 46 - Aufstiegs 19 - Befähigung 14, 20, 25 - Beförderung 23, 68ff., 87 - Begriff 7 ff. haftungsrechtl. 15 f. staatsrechtl. 15 - Beihilfe 47, 82 Beamtenverhältnis 7, 18, 28f., 34ff., 58, 62, 382 - Beendigung 35, 72ff. - Begründung 15, 21 ff. - Dauer des 18 - faktisches 33 - fehlerhaftes 32 ff. - Grundrechte 43, 57 ff., 76 - objektive Voraussetzungen 21 - subjektive Voraussetzungen 22 f. - Umwandlung 23 - Verrechtlichung 14

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- Weisung 40 f. Beamtenversorgung 346 - Gesetzgebungskompetenz zur 73 Bebauungsgebot 470 Bebauungsplan 110, 112, 154ff., 444, 461 ff., 494, 585, 596, 631 - Aufstellung 462, 476 - Außerkrafttreten 468 - Form- und Verfahrensfehler 467 - Inhalt 461 ff. - Nichtigkeit 465, 476 - nichtqualifizierter 472 - Planreife 476 - qualifizierter 472, 474 - Rechtsbehelfe gegen 472 f. - Rechtsnatur 470 - Wirkung, rechtliche 469 ff. Bedarfsdeckung 260 Bedingung 247, 510, 520,639 f., 661, 672 f. Bedingungslehre s. Äquivalenztheorie Befähigungsbericht 56 Befangenheitsvorschriften in Gemeindeordnungen 134 Befehl, militär. 830, 833, 981 Befehls- u. Kommandogewalt 827, 834ff. Beförderung 27 Befolgungskontrolle 568 Befreiung 246 f. - im Baurecht s. Dispens Befristung 247 Beherbergungsbetrieb 327 Behinderte 374, 383, 397 - Arbeitslosigkeit 400 - berufsfördernde Leistungen 374 - Recht d. 336 - Rehabilitation 374 - Teilzeitarbeitsplätze 400 Behörden 189 - der allgemeinen Verwaltung 192 - Organisation 189 - staatliche 198 Beigeordneter 132, 143 f. Beihilfe 47, 51, 82 Beitrag 395, 407,419,433, 821 Beitragsberechnung ( W W O ) 684 Beitragszwang 353 Bekenntnisfreiheit 58, 716

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Bekenntnisschule 701, 716ff., 728 - Begriff, formeller 717 - Begriff, materieller 717 Belästigung 201 - unzumutbare 498 Belastungsgebiet 600, 604 Beleuchtung, verkehrsmäßige 642 Benutzung (WHG) 668 f. - echte 668 - unechte 668 Benutzungsbedingungen, wasserrechtl. 672,675 Benutzungsgebühr 639, 821 Benutzungsordnung, wasserwirtschaftsrechtl. 552, 569, 778 Benutzungszwang 164 ff. Benutzungszweck 671 Benzinbleigesetz 556, 587 Beratung (SGB) 356 Beratungspflicht 41, 830 Berechtigung, schulische 707, 731 - Anerkennung 744 Bereinigungsgesetz 39 Bereitschaftsdienst 38 Bereitschaftspolizei 59, 62 Bereitstellungsbescheid 846 Bergämter 236 Bergrecht 267, 301,317 Bergwerkseigentum 301 Berichterstattung, Freiheit d. 791 Beruf 279 - freier 317 - staatl. gebundener 317 Berufsakademie 696, 708 Berufsaufbauschule 712 Berufsaufklärung 373 Berufsausbildung 287, 712 - gehobene 710 Berufsausbildungshilfe 374 Berufsausübung 278 ff., 798 Berufsbeamtentum, hergebrachte Grundsätze 11, 34 ff., 64 Berufsbeamter 18 ff. Berufsberatung 373 Berufsbildungsgesetz 325 Berufsfachschule 708, 712, 731 Berufsförderung 838 Berufsfreiheit 260, 269, 275, 277 ff., 286,315,317,634 Berufsgenossenschaft 418

Berufskonsul 21 Berufskrankheit 415 Berufsorganisationen, freiwillige 799 Berufsschule 708, 712 Berufsschulpflicht 704 Berufssoldat 10, 837 ff. Berufsverband 63 Berufswahl 279, 321 Besatzungsrecht 856 ff. Beschäftigungsverhältnis 380 ff. Bescheid (Musterung) 839 Beschlagnahme 231 - präventiv-polizeil. 803 Beschwerde 56, 77 f., 89, 842 ff. - weitere 843 Beseitigungspflicht 612f. Besitzeinweisung - vorläufige 625, 650 - vorzeitige 492 Besitzstandswahrung 52 Besoldung 13, 17, 20, 49ff., 64 - Grundsatz d. funktionsgerechten 49 Besoldungsgesetzgeber, Rechtsschutz 52 Besoldungsgruppen 50 f. Besoldungsordnungen 50 f. Besoldungsstrukturgesetz 49 Bestandsschutz 480 f., 512, 592, 599 Bestandsschutzprinzip (umweltschutzrechtliches) 545 Bestimmtheitsgebot, verfassungsrechtliches 249, 273, 548, 608 Bestimmungsrecht der Eltern 855 Beteiligungsgesellschaft 172 Betreiberpflicht 590 Betriebsgenehmigung 590 Betriebsrat 413 Betriebssatzung 172 Betriebsverfassungsgesetz 84 Betriebsverhältnis 79 - Bundesrecht 11 - Ehrenbeamte 17, 20 - Eignung 14, 25 f. - Entlassung 11, 31, 74 ff., 79 - Ernennung 15, 22 ff., 31, 79, 773 Anfechtung 31 Anspruch auf Ernennung 25 ff. - - fehlerhafte 29, 32 ff. - - Form 24f., 29

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Mängel 29 Nichtigkeitsgründe 23, 29ff. - - Rücknahme 23, 31, 79 Zeitpunkt 24 Zuständigkeit 23 - Ernennungsklage 27 - freie Meinungsäußerung 58 - freier Bewerber 19 - Gehorsamspflicht 41 f., 79, 726 - im Beamtenrecht 79 - Konkurrentenklage 27 - Landes- 11, 17,24 - Laufbahn-19 - Lebenszeit 18,24, 29,72,76 - Mitbewerber 27 - Pflichten 32 ff. - planmäßige 19 - politische 20 - politische Betätigung von 14, 35, 40,58 - Probe- 19, 24, 28, 68, 75, 87 Entlassung 75 - Rechte 10, 46 ff., 74 - - Verlust 76 f. - Rechtsbehelfe außergerichtl. 77 ff. - - gerichtl. 78 f. - Rechtsschutz 37, 77 ff. - Residenzpflicht 64 - Ruhestands- 45 - Streikrecht 7, 35, 64 - Teilzeit 3 6 f. - Verfassungstreue 59 ff. - Wahl-18, 28 - auf Widerruf 18, 24, 29, 54, 75 f., 87 Entlassung 75 - auf Zeit 18, 24, 76, 140 Betriebsweise, industrielle 326 Beurteilung, dienstliche 55, 80 Beurteilungsmaßstab im Polizei- u. Ordnungsrecht 200 Beurteilungsrichtlinien 55 Beurteilungsspielraum 196, 590 Bevölkerungsschutz, ziviler 839 Bewährung, mangelnde 75 Bewährungsaufstieg 13 Bewährungsbeförderung 68 Bewilligung, wasserrechtl. 569, 571, 661 ff., 668 ff.

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- Anspruch auf 671, 676 - Verfahren 671 ff. Bewirtschaftung (WHG) 569 ff. Bewirtschaftungsermessen (WHG) 662 Bewirtschaftungspläne 564 Bezirke 153 f. Bezirksausschuß 153 Bezirkspolizeibehörde 237 Bezirksregierung 463 Bezüge, Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter 52 ff. Bildschirmtext 810 Bildschirmzeitung 796 Bildung 695 ff. - Recht auf 700, 707, 729 - staatsbürgerl. 696, 735 f., 743 Bildungsaufgaben, öffentliche 698 Bildungsauftrag 705, 725 Bildungsausgaben 696 Bildungseinrichtungen, ergänzende 696, 732 Bildungsfragen, Spezialressorts für 740 Bildungsgesamtplan 699,714, 740, 744 Bildungshoheit d. Länder 743, 745 Bildungsorganisationen, internat. 746 Bildungsplanung 699, 706, 715, 725, 743 Bildungsplanungskommission v. Bund u. Ländern 714, 744 Bildung, politische 696, 735 f. Bildungsrat 703, 744 Bildungsurlaub 733 Bildungsverfassung, gemeindeutsche 699 Bildungsverwaltung 696,738 ff. Bildungsverwaltungsrecht 695 f. Bildungsvorsorge 704 Bildungswesen 695ff., 732, 742ff. Bildungswesen, internat. Zusammenarbeit 744 ff. Bildungswesen, Zentralstelle f. ausländisches 742 Bindung - behördeninterne 648 - rechtssatzmäßige 471 Binnengliederung 153

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Binnenwasserstraße 660 Bodenbewertung 451 Bodennutzung 551 ff. Bodenordnung 450 Bodenordnungsrecht 446 Bodenschutz 555 Bodenverkehrsgenehmigung 450 Bodenverkehrsrecht 490 Borkum-Lied-Fall 214 Breitbandkabel 811, 819, 821 Bremer Klausel 719 Bruttosozialprodukt 355 Buchführungspflicht 573 Büchereigesetz 735 Bündnisfall 837 Bürger 148 Bürgerantrag 152 Bürgerbegehren 152 Bürgerentscheid 152 Bürgerversammlung 152 Bürgerliche Ehrenrechte 804 Bürger in Uniform 735, 842 Bürgermeister 139, 142, 237, 623 - Abwahl 140 - Aufgaben 141 eigene 141 übertragene 142 - Dringlichkeitsentscheidungen 142 - Einspruchsrecht 143 - Vertretung d. Gemeinde 143 - Verwaltungschef 142 Bürgermeisterverfassung 131 Bürgerversammlung 152 Bundesamt - f. gewerbliche Wirtschaft 285 - f. Verfassungsschutz 191 - f. Wehrtechnik und Beschaffung 832 Bundesangestelltentarifvertrag 12, 81 Bundesanstalt - Deutschlandfunk 812 - f. Arbeit 373, 419 Selbstverwaltung der 436 f. - f. d. Güterfernverkehr 285 - f. landwirtschaftl. Marktordnung 285 Bundesauftragsverwaltung s. Auftragsverwaltung Bundesausbildungsförderungsgesetz 353, 700, 740

Bundesautobahn 620, 631 Bundesbahn 17, 311, 316 Bundesbahn Versicherungsanstalt 410 Bundesbank 285 Bundesbaugesetz 446 ff. Bundesbeamter 11, 17, 23 Bundesbildungsrecht 696 Bundesbildungsverwaltung 744 Bundesfernstraße 519, 620, 622 Bundesgrenzschutz 191, 215, 420, 839 Bundesimmissionsschutzgesetz 459, 499, 587 ff., 670 Bundesjugendkuratorium 737 Bundesjugendplan 733,738 Bundesjugendpreise 738 Bundesjugendspiele 738 Bundeskanzler 10, 59, 836 Bundeskartellamt 285, 800 Bundesknappschaft 410 Bundeskriminalamt 191 Bundeskulturverwaltung 743 Bundesland - gleicher Zugang zu öffentlichem Amt 26 Bundesleistungsgesetz 846 Bundesminister s. Minister Bundesminister(ium) 10 - des Auswärtigen 835 - des Innern 795 - des Innern (Kulturabteilung) 744 - f. Bildung u. Wissenschaft 696, 744 - f. Jugend, Familie u. Gesundheit 737 f. 744 - f. Verkehr 309, 626, 643 - f. Verteidigung 744, 828, 832, 834 ff., 844, 847 - f. Wirtschaft 285, 744 Bundesoberbehörde 285 Bundespersonalausschuß 89 f. Bundespersonalvertretungsgesetz 84 Bundespost 17, 312, 316, 662, 809 Bundespräsident 83, 816 Bundesprüfstelle f. jugendgefährdende Schriften 739, 803 Bundesrat 50, 285, 744 Bundesregierung 10, 58, 285, 828, 846 Bundesrundfunkanstalten 814, 816f. Bundesrundfunkgesetz 812

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Bundesschulrecht 697 ff. Bundesstaat, unitarischer 740 Bundesstaatsentscheidung 698, 740 Bundesstaatlichkeit 827 Bundesstraße 620ff., 626, 631, 641 ff. Bundesstraßenrecht 620 f. Bundestag 17, 328, 678, 744, 827 Bundestagsabgeordnete, Entlassung aus d. öffentl. Dienst 76 Bundestagsausschuß - für Verteidigung 827 Bundestreue 745 Bundesverband f. d. Selbstschutz 17 Bundesverkehrsrecht 620 ff. Bundesversicherungsamt 437 Bundesversicherungsanstalt f. Angestellte 410 Bundesverwaltungsamt 744 Bundeswasserstraße 659f., 663, 680 ff. Bundeswehr 639, 662, 826 ff. - Führung 827 - Gliederung 827 ff. - Hochschule 762 - Kontrolle 827 - Organisationsrecht 827 ff. Bundeswehrverwaltung 826 ff., 845 ff. - Eingriffsrechte, besondere 846 - Organisation 831 ff. - zivile 827 Bundeswirtschaftsrat 288 Bundeszentrale f. polit. Bildung 736 C Chancengleichheit 370, 698, 699, 711,714, 725, 731 Chemikalienschutz 557, 560 D Damenringkampf 213 Daseinsfürsorge 160 Daseinssicherung 279 Daseinsvorsorge 160, 269, 292, 312, 704 Datenschutz 56, 434 ff. DDR 856 ff. - Recht d. 860 - Rechtsanwendungsgesetz 866

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- Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland 856, 860 - Verwaltungsakte aus dem Recht der 870 Deckungshöchstsumme (AtG) 610 Dekan 774 DELOG-Fall 458 Dementi 804 Demokratie(gebot) 268, 289, 698f., 709, 725, 791 Demokratische Grundordnung s. Grundordnung Demokratisierung 698, 702, 723, 726, 800 Demokratiewissenschaft 735 Demonstration 636 Dereliktion 216 Deutsche(r) - Auslandsschule 713 - Ausschuß f. d. Erziehungs- und Bildungswesen 744 - Bildungsrat 744 - UNESCO-Kommission e. V. 747 - Volkshochschulverband e. V. 734 - Welle 805, 812f. Deutsches Recht u. fremdes öffentliches Recht 863 ff. Deutsch-Französisches Jugendwerk 747 Deutschlandfunk 806, 812 Dezentralisationsprinzip 286 Dienst - nach Vorschrift 64 - öffentl. s. Öffentl. Dienst Dienstalter 68, 79 Dienstaltersstufen 50 Dienstaufsicht 125, 238, 725 Dienstaufsichtsbeschwerde 77 Dienstbarkeit, öffentl.-rechtl. 619 f., 624, 628 Dienstbefreiungsgründe s. Ehrenamtl. Tätigkeit Dienstbezüge 38,49ff., 82, 838 Diensteid 14, 74, 82, 838, 841 Dienstgradherabsetzung 845 Dienstherr 9, 26, 39, 46 f., 53 f., 59, 65 ff., 78,715 Dienstleistungspflicht d. Beamten 37 ff. Dienstpflicht d. Beamten 37 ff.

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Dienstpflichtverletzung 43 ff., 65 ff. Dienstpostenbewertung 49 Dienstpostenübertragung 71 Dienstrecht - einheitliches 13 - Reform 13 Dienststellenleiter 84 Dienststrafgewalt s. Disziplinarrecht Dienstunfähigkeit 54, 72 Dienstvergehen 43 ff., 76 f., 830, 844 Dienstverhältnis - öffentl.-rechtl. 382 Dienstvertrag 33, 81 f. Dienstvorgesetzter 32,41 f., 55, 77, 834 Dienstweg 77, 844 Dienstwegvorbehalt 77 Dienstwohnung 86 Dienstzeugnis 54 ff., 82 Dingliche Mitglieder 684 Direktorium (Rundfunk) 817 Dispens 247,483 ff., 513 ff. Dissertation 783 Disziplinararrest 844 Disziplinargericht 45, 78 Disziplinarmaßnahmen 44 ff., 844 ff. Disziplinarrecht 17,41, 43 ff., 76, 78, 83, 777, 842 ff. - Beschleunigungsgebot 45 Disziplinarverfahren 32, 76, 83, 87 - Vorermittlungen 45 Disziplinarvorgesetzter 843 Doktorandenverhältnis 783 Doktorgrad 783 Doktorprüfung 783 Doktortitel, Führung 784 Domizialität 105 Doppelstörer 219 Doppelwirkung s. Verwaltungakt mit Doppelwirkung Dotation s. Finanzzuweisung Dozent 778 Drei Mächte 858 Drittwirkung (Wasserrecht) 670 Druckwerk 796 f. - Begriff 796 f. - Beschlagnahme 803 - harmloses 796 - periodisches 797, 804 f. Düngemittelgesetz 558

Duldungspflicht 210, 573, 577, 619f., 679 Duldungsverfügung 216 Durchsuchung - präventive polizeil. 231 f. - von Personen 231 - von Wohnungen 232 E Ehe und Familie, Schutz von 62 Eheähnl. Gemeinschaft 354, 363 Ehre, Recht d. persönlichen 803 Ehrenamtl. Tätigkeit 9, 148, 151 f. Ehrenbeamte 20 f., 24, 140 - Berufskonsularbeamte 21 - Honorarkonsularbeamte 21 - Wahlkonsul 21 Ehrengerichtsbarkeit, freiwillige 799 Eigenbetrieb 9, 171 f. Eigengesellschaft 9 Eigenregie, staatl. u. kommunale 581 ff., 609,612 Eigentum - öffentliches 621 - Privatnützigkeit 283 - Sozialpflichtigkeit 218, 493, 664, 679 - an Straßen 619 f. Eigentumsgarantie 269, 280ff., 305, 355, 470, 494, 503, 530, 551, 572, 804 Eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition 481 f. Eigenverantwortlichkeit 109 Einberufung 840 - Anordnung 840 - Bescheid 839 Eindringen in Wohnungen 195 Einfacher Dienst s. Öffentl. Dienst Eingemeindung 103 Eingriff - enteignender 167, 283, 494 - Ermächtigung z. 197f., 227, 232 - geringstmöglicher 206 f., 278 - wertneutraler 803 Eingriffe in Natur und Landschaft 545, 567, 573 f., 585f. - Ausgleichsmaßnahmen b. 573 ff., 586

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Eingriffsverwaltung 16, 22, 193, 291, 562, 633, 677 Eingriffsvorbehalt 156 Einheit der Verwaltung, Grundsatz d. 121, 163 Einheit v. Forschung u. Lehre 758 Einheitsbauordnungen 447 Einheitsgemeinde 129 Einheitslaufbahn 19 Einheitsschule 729 Einheitssystem 193, 234 Einheitsverwaltung, Grundsatz d. 770 Einigungsstelle 87 f. Einleitungsstandards 660, 662, 670 Einrichtungen - des Staates 197 - Nutzungsrechte 162 f. - öffentliche 160 ff., 168 Einsammlungs- und Beförderungsgenehmigung 568 Einsatzverbände 837 Einsicht in Personalakten 56 ff. Einstweiliger Ruhestand 20, 72 Einwohner, Begriff d. in Gemeindeordnung 148 Einzelfallgesetz 800 Einzelhandel 328 Einziehung 619,628 ff., 642 Einzugsgebiete 703, 722 Elementarbereich 696, 713 Eltern 726 ff. Elternrat 729 Elternrecht 695, 698, 700, 705 f., 707, 724, 728 f., 731 Elternmitverwaltung 695 Elternwille 718 Elyseevertrag 747 Emissionsbegrenzung 596, 601 Emissionserklärung 568,600 Emissionskataster 604 Endlagerung atomarer Abfälle 609 Energiepolitik 264 Energierecht 298 Energieversorgung 13,478 - solarelektr. 807 Energieversorgungsunternehmen, Aufsicht 298 Enteignung 305,450,469,487, 491, 551, 572, 579f., 600, 625, 647ff.,

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671,679, 681, 868 Enteignungsbehörde 492,625, 647, 649, 847 Enteignungsbeschluß 492, 650 Enteignungsgesetz 847 Enteignungsgleicher Eingriff 252, 464, 487, 603, 627, 643 Enteignungsmaßnahme, Zulässigkeit 491 Enteignungsrecht 463,491 ff., 649, 684 - Verleihung d. 649 Enteignungsverfahren 492 f., 649, 847 Entfernung aus dem Dienst s. Öffentl. Dienst, Entfernung aus dem Entmündigung 30 Entpolizeilichung 192, 195,237 Entschädigung 210f., 224f., 464, 486f., 492ff., 505, 552, 573, 577, 580, 600, 603, 670f., 675f., 679, 681, 804, 847 - soziale, s. Soziale Entschädigung Entschädigungsanspruch 250ff., 490, 505, 627, 648 Entschädigungslosigkeit, grundsätzl. 493 Entschädigungspflicht, wasserrechtl. 493, 679f. Entsorgung 573, 581, 609f. Entsorgungsgrundsatz 590, 596 Entsorgungspflicht 306 Entwicklungsbereiche 473 Entwicklungsprinzip 456 Entwidmung s. Einziehung Entwurfsverfasser (Baurecht) 502 Enumerationsprinzip 234, 242 Ergänzungsgebiet 474 Ergänzungsschule 720 Erhaltung v. baul. Anlagen, Pflicht z. 470 Erholung 584 Erlaß, schriftl. 243 Erlaubnis - auf Widerruf 638 - auf Zeit 638 - freie 246 f. - gebundene 246 f., 488, 505 - nachträgliche Einschränkung 248

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Nebenbestimmungen 247 ordnungsbehördliche 246 ff. polizeiliche 241 f., 246 ff., 251 - Rücknahme 195, 248, 251 der Straßenbaubehörde 638 ff. wasserrechtliche 569 f., 578, 661 ff., 668 ff. Erlaubnispflicht 246 Erlaubniszwang 246 Ermächtigung - Einzel- 192 f. - fehlende baurechtl. 108 - generalklauselartige 514 - gesetzl. 189, 193, 629 - sondergesetzl. 232 f. - Speziai- 189, 193, 248 Ermächtigungsgesetz 273 Ermessen - Atomrecht 608 ff. - Baurecht 455, 457, 465, 484f., 506, 508 ff., 514, 516 - Beamtenrecht 14, 26, 36, 52, 69, 75 - Bildung 783 - Internat. Verwaltungsrecht 870 - Polizei- und Ordnungsrecht 197, 205 ff., 214, 219, 239, 246 - Prüfungskommission 783 - Sozialleistungen 423 - Wasserrecht 570, 671, 673 ff. - Wege- u. Verkehrsrecht 631, 638, 650 - Wirtschaftsverwaltungsrecht 273, 296, 302 Ermessensfehlgebrauch 783 Ermessenskontrolle 458 Ermessensreduzierung auf Null 207, 209, 508,516, 870 Ermessensüberschreitung 783 Ermittlungsverfahren, strafrechtl. 231 Ernennungsurkunde 15, 21 - Aushändigung 15, 23 f. - Worlaut 29 Eröffnungskontrolle 568 Ersatzanspruch 250 ff. Ersatzbauten 478, 481 Ersatzdienst 839 Ersatzgebiet 474 Ersatzkasse 398 Ersatzland 493

Ersatzmaßnahmen 547 ff., 586 Ersatzschule 720 Ersatzverkündung 467 Ersatzvornahme 123, 245, 252,461, 547, 574 Erschließungsbeiträge 497 Erschließungslast 497 Erschließungsrecht 451 Erschließungsvertrag 523 Erschwerniszulage 50, 838 Erstattungsanspruch 253, 296 Erstattungsverfahren 68 Erstreckungsgarantien für Gemeinden 114ff. - Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens 114 - Mitwirkungsrecht 114 Kompensation 114 Erwachsenenbildung 696, 732 ff. - Lehrstuhl für 734 Erwachsenenbildungswesen 733 f. Erweiterungsbau 481 Erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der öffentl. Hand 311 Erziehungsauftrag 705 Erziehungsrecht d. Eltern 695, 698, 705 Euratom 858 Europäische Gemeinschaften 271, 297, 659 f., 746, 858 Europäische Gemeinschaft f. Kohle u. Stahl s. Montanunion Europäische Konvention üb. d. Gleichwertigkeit der Reifezeugnisse 746 Europäische Menschenrechtskonvention 746, 854, 862, 865 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft s. EWG Europäischer Gerichtshof 867 Europäischer Schultag 746 Europäisches Gemeinschaftsrecht 864 ff. - Anwendungsvorrang 865 Europarat 746 Evidenztheorie 30 EWG 854ff. EWG-Verordnungen 857 EWG-Vertrag 865 ff.

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Examen s. Prüfung Extraordinarien 772 Extremisten im öffentl. Dienst 59 ff. F Fachaufsicht 117, 124ff., 238, 725, 834 - Rechtsschutz 125 - Weisungsbefugnis 125 Fachaufsichtsbehörde 125 Fachbehörde 452, 502, 518f. Fachbereichsrat 769, 776 Fachhochschule 713, 731, 757 f. Fachhochschulgesetze 762 Fachhochschulreife 731 Fachoberschule 713 Fachplanung 302, 563 ff, 569 Fachschule 707,710,712 Fachschulreife 707, 712 Fahrerlaubnis 650 ff., 869 Fakultäten 769, 774 - theologische 763 Fallprüfung im Polizei- u. Ordnungsrecht 207 Familienhilfe 390 Familienschutz 738 Farbzeichen 652 Feindseligkeiten, Ausbruch 836 Feldheer 828 Fernmeldeanlagengesetz 809 ff. Fernsehen - Kollegs 711,721 Fernsehurteil 699, 797, 811 Fernstudien 711 Fernunterricht 721 - Zentralstelle f. 721 Fernunterrichtsschutzgesetz 700 Fernwärme 166 Festsetzungen, rechtsverbindliche 471 Festsetzungsbescheid 847 Feststellungsbeschluß 462 Feststellungsklage 27, 78, 159, 673 Film 791 Filmfreiheit, Grenzen 791 Filmjugendschutz 739 Filmrecht 792 Finanzausgleich 821 Finanzhilfe 293

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Finanzhoheit 117, 727 - kommunale 115 Finanzministerien 741 Finanzplanung 271 Finanzpolitik 263, 270 Finanzpolitik der öffentl. Haushalte 270 Finanzvermögen d. Gemeinde 162 Fischereiwesen 559 Fiskalgeltung s. Grundrechte Fiskusprivilegien 116 Flächennutzungsplan 112, 135, 159, 461 ff,494 - Aufstellung 462 - Inhalt 462 - rechtl. Bedeutung 463 - Rechtsbehelfe 464 - Wirkungen 464 Flößerei 680, 682 Fluchtlinie 446, 452 Flüchtlingsstatus 863 Fluglärm 305, 310 Fluglärmschutzgesetz 556, 587, 603 f. Flugplätze 303, 566, 604 Flurbereinigung 567 Föderalismus, kooperativer 741 Förderstufe 707, 709, 711 Folgekostenvertrag 523 Folgenbeseitigung 224 f. Folgenbeseitigungsanspruch 224 Fondskompetenzen 743 Formalprinzip 24, 29 Forschung und Lehre 758 ff, 767, 772 - Einheit von 758 Forschungsfreiheit 774 Forstamt 236 Forstwirtschaft 316 Fortbildung - dienstl. 48 Fortsetzungsfeststellungsklage 27 Freiburger Schule 262 Freie Entfaltung d. Persönlichkeit 275, 699 Freiheit - akademische 775 f. - d. Einzelschule 702 Freiheitl. demokrat. Grundordnung s. Grundordnung Freiheitsbeschränkung 227 f., 231

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Freiheitsentziehung 227, 229 f. Freizügigkeit, Recht auf 64, 275,634 Fremdverwaltung 119 Füllsender-Versuchsstation 807 Fürsorgepflicht 29, 35, 46ff., 56, 64, 67, 69 ff., 75 Funk-Kollegs 711 Funktion, planähnliche 479 Funktionsbezeichnung 35 Fusionskontrolle 262, 800 Fußgängerzonen 631 Futtermittelschutz 558 G Garagenersatzvertrag 523 Garantien, institutionelle 635, 699, 759, 798 Gartenbau 316 Gaststättengesetz 327 Gebietshoheit 105 Gebietskörperschaft 271, 313,452, 620f., 623, 627, 684, 707, 714 Gebietsreform, kommunale 72, 102, 153 Geeignetheit einer Maßnahme 277, 283 Gefahrdungshaftung - atomrechtliche 578, 6lOf. - wasserrechtliche 578 Gefahr - abstrakte 243, 249 - Begriff 201 ff. - dringende 231 - erhöhte 222 f. - gegenwärtige 222 - gemeine 231 - im Verzug 232, 241, 244 - konkrete 242 f. - latente 203 f. - polizeil. 201 ff. - unmittelbar bevorstehende 222, 245 Gefahrenabwehr 186 ff., 192 ff., 210, 222 f., 225 f., 245 f., 259, 445 ff., 498ff., 550, 561, 607, 623, 652, 667, 677 Gefahrenquellen 202 Gefahrenvorsorge 166, 187 Gegendarstellung, Pflicht z. 805

Gehalts- u. Versorgungsbezüge 35, 49ff., 73, 76 Geheimhaltungsschutz 553 Gehobener Dienst s. Öffentl. Dienst Gehorsamspflicht - beamtenrechtl. 41 f., 79, 726 - d. Soldaten 841, 844 Geldbuße 844 Geldentwertung 284 Geldleistungspflicht 284 Gelöbnis 82, 841 Gelsenkirchener-Floatglas(DELOG-)Fall 458 Geltung fremden Rechts 855 ff. Gemeinde(n) 100 ff., 191, 198, 452, 471, 473, 622, 679, 702, 707, 714ff., 733 - allgemeinpolitisches Mandat 107 - Allzuständigkeit 107 ff. - Dualismus d. Aufgaben 103, 126, 131, 139 - Eingriffsmandat, der 104 - Einvernehmen d. 483, 485 - Finanzgarantien 115 - Grundrechted. 115f. - Kreisangehörige 130 - Kreisfreie 129 f. - Mitwirkungsrecht 114 - Monismus d. Aufgaben 126, 131, 135 - Personalhoheit d. 112 - Rechtsfähigkeit d. 105 - Selbstauflösung d. 105 - wirtschaftliche Betätigung 168 ff. Gemeindeaufbau 129 Gemeindeaufgaben 117 ff. - Energieversorgung 107 Gemeindeautonomie 104 ff. Gemeindebeamte 17 Gemeindebezirke 129 Gemeindedirektor 131, 135, 142, 237, 623 Gemeindeeinwohner 148 Gemeindegebiet 452, 484 Gemeindehoheiten 111 ff. - Finanzhoheit 113 - Organisationshoheit 112 f. - Personalhoheit 112 - Planungshoheit 111 f. - Rechtsetzungshoheit 109ff., 154ff.

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Gemeindename 106 Gemeindeordnung 101, 122, 131, 135, 139, 141 - Hausrecht 136 - Ordnungsmaßnahmen 135 Gemeindeorgane 143 Gemeinderat 131 ff., 467 - Ab Wahlmöglichkeit 140 - Aufgaben 138 f. - Ausschüsse 137 - Befangenheit 134 - Kommunalverfassungsstreit 145 - Mitglieder 132 f. - Sitzungen 136 - Vorbehaltsaufgaben 138 - Vorsitzender 135 Gemeinderecht 313, 646 Gemeindestraße 622, 632, 636 Gemeindeunfallversicherungsverbände 419,435 Gemeindeverbände 129, 173,435, 714 Gemeindeverbindungsstraße 632 Gemeindeverfassung 129 ff. Gemeindeverfassungsbeschwerde 147 Gemeindeverfassungsklage 147 Gemeindeverfassungstypen 131 ff. Gemeindeversorgungsunternehmen 9, 168 Gemeindevertreter 133 Gemeindevertretung 132, 143 Gemeindeverwaltung 148, 737 Gemeindevorstand 144 Gemeindevorsteher 131, 139 ff. Gemeingebrauch 618 ff., 629 ff., 632 ff., 677 - Schranken 635 - Unentgeltlichkeit 633 Gemeinlastprinzip (umweltschutzrechtl.) 547 Gemeinsamer Markt 297 Gemeinschaft, nicht-eheliche 354, 363 Gemeinschaften, supranationale 854 ff. Gemeinschaftsaufgabe 740 Gemeinschaftskunde 735 Gemeinschaftsrecht 662 Gemeinschaftsschule, christl. 716,

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728 Gemeinverträglichkeitsklausel 619 Gemeinwesen 187, 260, 706 Gemengelage 107 Genehmigung - fingierte 488 f. - Nebentätigkeit 38 ff., 82 - öffentl.-rechtl. 628 Genehmigungsanspruch 479 Genehmigungspflicht 299, 302, 504 ff., 800 Genehmigungsvorbehalte im Gemeinderecht 127 Generalbundesanwalt 20 Generalinspekteur 835 Generalklausel - baurechtl. 499, 501, 508 - beamtenrechtl. 44 - ordnungsbehördl. 509 - polizeil. 188,193 ff., 197 ff., 205 ff., 225 ff., 232 f., 245, 248, 280, 316, 445, 498, 677 - Schutzobjekte d. polizeil. 196ff. - wasserrechtl. 669 Generalstaatsanwalt 20 Generationenvertrag 368 Gesamtschule 706 ff. Gesamtversorgung, dynamische 83 Geschäfte der laufenden Verwaltung 141 Geschäftsführung ohne Auftrag 33, 253 Geschäftsherr 214 Geschäftsordnung 159 Gesellschaftspolitik 260, 264 Gesellschaftsrecht 274 Gesetze - allgemeine 791, 802 ff. Gesetzesvorbehalt s. Vorbehalt des Gesetzes Gesetzgebungskompetenz s. Zuständigkeit Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Grundsatz 272 Gestaltungsfreiheit - d. Gesetzgebers 269 - Spielraum planerischer 457 Gestaltungssatzung 500 Gesundheitsamt 236 Gesundheitsgefahr 201

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Gesundheitsrecht 560 Gesundheitsschutz 559 Getreidemarktordnung 292 Gewässer - Bewirtschaftungspläne f. 662 - d. Europ. Gemeinschaft 659 f. Gewässeraufsichtsbehörde 682 Gewässerausbau 563, 680ff. Gewässerbenutzung 552, 572, 578 f. Gewässerbewirtschaftung 677 Gewässereigentum 663 ff., 672,675 Gewässerherrschaft, hoheitl. 661 Gewässerreinhaltung 659, 673 Gewässerschädigung 677 Gewässerschutz 555 f., 560, 563 f., 576, 677 ff. Gewässerstandards 660, 662, 671 Gewässerunterhaltung 669 Gewässerverschmutzung 659 f., 662, 676, 678 Gewahrsam, polizeil. 202 Gewaltdarstellungsverbot 739 Gewaltverhältnis, besonderes s. Pflichtenverhältnis, besonderes Gewerbe - stehendes 323 Gewerbeaufsicht 297 Gewerbeaufsichtsamt 236 Gewerbeberechtigung 266 Gewerbebetrieb 315, 322 Gewerbebetrieb, eingerichteter u. ausgeübter 382, 598, 600, 637, 665 f., 670 f., 676 Gewerbefreiheit 260, 266, 268 Gewerbegebiete 466 Gewerbeordnung 267, 315 Gewerbepolizeirecht 267 Gewerberecht 246, 259, 314 ff., 444, 502, 721 Gewerbeschein 266 Gewerbesteuer 267 Gewerbeuntersagung 319 ff. Gewerkschaft 271 Gewissensfreiheit 58, 74, 718, 738 Gewohnheitsrecht 67 Giebelwand-Abbruch-Fall 213 Gilden 266 Glaubensfreiheit 58, 74, 716 Gleichbehandlung, Grundsatz 275 ff. Gleichheitssatz 52, 269, 275, 284,

310,510,640, 709, 779 Gliederungsprinzip, zentral örtliches 129 Gliedkörperschaft 776 Globalsteuerung durch Umweltschutzplanung 562 ff. GmbH 172 Grade, akademische 782 ff. - Gesetz über d. Führung 784 Graue Liste 662 Gremien (Universität) 769 Grenzregelungsverfahren 450, 485 Großfeuerungsanlagen 596 Großvorhaben 529 Gruppenuniversität 769 Grunderwerbsrecht 474, 491 Grundgehälter 50 Grundlagenvertrag 676 Grundordnung, freiheitl. demokrat. 7, 22, 59, 61 f., 77, 82, 200, 837, 841 Grundpflicht 841 Grundrechte - Baurecht 473, 530 f. - Beamtenrecht 43, 57ff. - Polizei- u. Ordnungsrecht 187, 200 - Presserecht 791 f., 797 ff., 817 ff. - Umweltschutz 549ff., 569, 608 - Verwirkung 76,791 - Wege- u. Verkehrsrecht 634 f. Grundrechtsbindung d. Fiskus 640 Grundrechtsfähigkeit d. Gemeinde 116

Grundrechtsmündigkeit d. Schüler 695, 704, 730 Grundrechtsschutz, wirtschaftl. Tätigkeit 274 ff. Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens 114 Grundrente 421 Grundschule 696, 707 ff. - Allgemeinheit d. 709 Grundstückserschließung 450,485 Grundstücksteilung 488 Grundstücksumlegung 446 Grundstücksverkehr 451 Grundstückswert 450 Grundstückszusammenlegung 451 Grundverhältnis im Beamtenrecht 79 Grundwasser 659, 663 ff., 669, 678, 679

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Grundwasserbenutzung 552 Grundwehrdienst 840 Gruppenuniversität 769 Gruppenuniversitätsurteil 769 Gruppenwahl 85 Gymnasium 696, 707 ff., 731 - altsprachliches 711 - humanistisches 711 - mathematisch-naturwissenschaftl. 711 - neusprachliches 711 H Habilitation 772, 784 Habilitationsordnung 772 Habilitationsschrift 773 Haftpflichtversicherung 369 Haftung - atomrechtliche 610 f. - Beamter 15 f., 34, 65 ff. Haftungshöchstgrenze (AtomG) 610 Haftungsminderung 66 Haftungsprivileg 65 Hamburger Abkommen z. Vereinheitlichung auf d. Gebiet des Schulwesens 701,704, 708, 710 Handelspolitik 271 Handlungsfähigkeit (SGB) 429 Handlungsfreiheit, allg. 549, 634 Handlungshaftung s. Verhaltenshaftung Handlungspflicht 210 Handwerk 325 ff. Handwerksbetrieb 325 Handwerksinnung 288 Handwerkskammer 288, 325 Handwerksrecht 325 Handwerksrolle 325 Hauptfürsorgestellen 422 Hauptschulabschluß 710 Haushalt d. Hochschule 770 Haushaltsgemeinschaft 363 Haushaltsgesetz 274, 294 Haushaltsplan 27, 311 Haushaltspolitik 278 Haushaltsrecht (SGB) 437 Haushaltsverwaltung 771 Hausmüll 583 Hausrecht d. Rektors 778

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Hebamme, männliche 278 Heer 828, 833, 835 Heilbehandlung 416 Heilfürsorge 840 Heilpraktiker 318 Heilquellenschutzgebiet 563 Heimvolkshochschule 734 Herabzonung (baurechtl.) 495 Hergebrachte Grundsätze d. Berufsbeamtentums 11,34 ff., 46 f., 64 Hilfsschule 710 Hinterbliebenenrente 405,427 Hinterbliebenen Versorgung 54, 354 Hinterlieger 665, 681 Hochschule 695, 757ff. - der Bundeswehr 765 f. - erziehungswissenschaftliche 758 - evangel, kirchl. 764 - Fachhochschule 713, 731 - freie 765 - Freiheit der 702 - für Internationale Pädagogische Forschung 765 - für Politik 765 - für Verwaltungswissenschaften 758 - kirchliche 762 ff. evangelische 764 f. katholische 763 f. - Kunsthochschule 758 - nichtstaatliche 760 ff. - Pädagogische 727, 758 - Philosophisch-theolog. 764 - private 760 - Rechtsgestalt der 759 f. - Rechtsstellung 768 - Sporthochschule 758 - staatl. 757 ff. - Technische 757 ff. - Verwaltung und Organisation 766ff. - - Aufsicht 771 f. Einheitsverwaltung 770 f. Finanzhoheit 766 Organisation der 766 ff. Selbstverwaltung 768 ff. Selbstverwaltungsrecht 766 f. Staatsverwaltung 767 ff. - wissenschaftl. 757 ff. ' Hochschulassistenten 772 ff.

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Hochschulbereich 714 Hochschulgesetze 760 ff. Hochschullehrer 22, 50, 772 ff. - Lehrfreiheit 727 Hochschullehrerbegriff, materieller 772 Hochschulmonopol, staatl. 761 ff. Hochschulpräsident 768 f., 774, 778 Hochschulrahmengesetz 11, 760 ff. Hochschulrecht 758 ff. Hochschulreform 758 Hochschulreife 707 - allgemeine 711 - fachbezogene 710, 712 Hochschulstudium, Recht auf Zulassung zum 778 - Grundrecht d. freien Berufswahl 778 - Kapazitätsermittlung 780 f. - Numerus clausus 779, 781 f. - Zulassungsbeschränkungen 779, 781 f. Hochschulwesen 696 - allgemeine Grundsätze des 759 - kirchliches 764 Höherer Dienst s. Öffentlicher Dienst Höhere Schule s. Gymnasium Hörergebühr, Rechtsnatur d. (Rundfunk) 820 Hoheitsakt 847, 868 - ausländ. 868 Anerkennung 868 Überprüfung 869 - nationale 862 extraterritoriale Wirkung 862 Geltungsbereich 862 Hoheitsbauten 521 Hoheitsverwaltung 16, 642 - wasserwirtschaftl. 682 Honorarkonsularbeamter 21, 22 Honorarprofessor 773 Hundegebell, nächtl. 202 I/J Immatrikulation 776 Immissionsgrenzwerte 588 Immissionsschutz 196, 306, 444, 499, 545, 556f., 564, 587ff.

- anlagenbezogener 589 - gebietsbezogener 589,604 - handlungsbezogener 589,604 - produktbezogener 589, 602 - verkehrsbezogener 589, 602 Inanspruchnahme, rechtswidrige 251 Inanspruchnahmeverfügung 620, 623, 642 Indienstnahme Privater 298 Indienststellung, faktische (Wegerecht) 628 Individualgüter, Unversehrtheit der 197 Industriegebiete 466 Industriegesellschaft 13, 80, 542, 725, 731 Industrierecht 258 Industrie- u. Handelskammer 287, 327 Informationsanspruch 732, 797, 801 f. Informationsfreiheit 801 Informationsrecht 801 f. - d. Aufsichtsbehörde 239 - Schranken 802 Ingenieur 318 Inkompatibilität 23, 74, 816 Inkorporation 860 Innenbereich, nicht beplanter 528 Innenminister 237 Instandsetzungsgebot 470 Institutionelle Garantien 635, 699, 759, 798 Institutsdirektor 774, 778 - Hausrecht 778 Intendant 815 ff. Interesse, öffentl. 198, 208 Internationale^,s) - Bildungsorganisationen 746 - Erziehungsbüro 746 - Fernmeldevertrag 812 - Privatrecht 855, 859f. - Schulbuchinstitut 747 - Strafrecht 855 - Verwaltungsrecht 855 Investitionshilfegesetz 268 Investitionslenkung 563 Inzidentkontrolle 158 Jagdwesen 559 Jahresarbeits verdienst 417

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Jahreswirtschaftsbericht 271 Journalistenmitbestimmung 800 Jugendamt 737 Jugendarbeitsschutz 736 Jugendaustausch, internat. 744 Jugendbildung 695, 736 ff. Jugendförderung 736 Jugendfürsorge 736 Jugendgefährdende Schriften 739 Jugendhilfe 336 Jugendorganisationen 737 Jugendpflege 696, 736 ff. Jugendpfleger 737 Jugendschutz 196, 696, 736, 738f., 803 Jugendstrafrecht 736 Jugendverband, freier 737 Jugendvertretung 84 Jugendwohlfahrt 736 Jugendwohlfahrtsausschuß 737 Jugendwohlfahrtsgesetz 699 K Kabelfernsehen 808 f., 821 Kabelpilotprojekt 811, 813, 819 ff. Kalkar-Beschluß 548, 549 Kameradschaft 841 Kammern 286 Kanalisation 669 Kanzler (Universität) 770 Kapazitätsermittlung (Hochschule) 780 Kapazitätsverordnungen 780 Kapitalismus 265 Kartellaufsicht 298 Kartellrecht 262 Kassenärztl. Vereinigung 394 Kassenarztrecht 391 ff. - Arzneimittelhöchstbetrag 393 - Bewertungsmaßstäbe 393 - Bundesmantelverträge 393 - Kontrolle 395 - Pflichten der Kassenärzte 393 - Schiedsämter 393 - Vergütung 394 - Zulassung 394 Katastrophenfälle 827 Katastrophenschutz 18 Kausalhaftung 211

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Kausalität 31, 211 f. Kennzeichnung von Polizeibeamten 48 Kernbrennstoffe 306, 557, 605 Kernenergie 557 - friedliche Nutzung d. 548 Kernenergierecht 605 Kernfamilie 354 Kernkraftwerk 479, 609 Kerntechnischer Ausschuß 581 Kiesabbau 679 f. Kindergeld 336, 351, 353, 368f. - Altersgrenze 368 - Finanzierung 368 Kindergeldkasse 369 Kinderspielplätze 501 Kirche 10, 707, 716ff., 733, 763 - Dienstrecht 10 - Konkordate 702, 763 - Selbstbestimmungsrecht 10 - Versorgungsrecht 10 Kirchenrecht, kathol. 763 Kirchliche evangel. Hochschule 764 Kirchliche Hochschulen 762 ff. Kirchliche Lehrbefugnis 763 Klassensprecher 730 Kleinsiedlungsgebiete 466 Knappschaftskasse 342 Koalitionen 63, 289 ff. Koalitionsfreiheit 35, 62f., 269, 289 Körperschaft 684 - bundesunmittelbare 17, 285 - des öffentl. Rechts 8, 17, 373, 644, 682, 685, 760,811 - faktische 684 - kommunale 100 Kollegialorgane 769 Kollegs 711,721 Kombinat 261 Kommando, operatives 836 Kommandobehörde 833 ff. Kommandobereich 833 ff. Kommunalaufsicht 121 ff., 460 Kommunalrechtliches Mandat 133 Kommunal verband 174 Kommunalverfassungsstreit 145 ff. - Klageart 146 - subjektive Rechte 146 Kommunalwahlen 149 ff. - Rechtsschutz 149 f.

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Sad

Kommunalwahlgesetze 149 Kommunal Wahlrecht 148 Kompetenz s. Zuständigkeit Kompetenz-Kompetenz 178 ff. Kondominium - im Gemeinderecht 128 - in der Schulträgerschaft 715 Konferenz d. Europäischen Erziehungsminister 746 Konfessionsschulen s. Bekenntnisschulen Konjunkturausgleichsrücklage 271 Konjunkturpolitik 263, 270,311 Konkordate 702 Konkordatslehrstühle 763 Konkurrentenklage - im Beamtenrecht 27 - im Wirtschaftsverwaltungsrecht 300 Konkursausfallgeld 377 Konservatoren 773 Kontrahierungszwang 299, 640 Kontrollrat, alliierter 858, 864 Kontrollstellen 226 Konvent, studentischer 776 Konzentrationsbewegung 298 Konzentrationsprinzip 518 Konzertierte Aktion 271, 290 Kooperationsprinzip (umweltschutzrechtliches) 547 f. Kooperativer Föderalismus 741 Kostenbelastung im Umweltschutz 545 ff. Kostenerstattungspflicht bei Polizeieinsätzen 253 Kraftverkehr, Teilnahme am 650 Kraftwerk 479 Krankengeld 389 f. Krankenhaus 8,389 Krankenhauspflege 390 Krankenkasse 382, 398, 422 - Betriebs-398 - Ersatz 398 - gesetzliche 398 - Innungs- 398 - landwirtschaftl. 398, 435 - Orts- 398 - Pflichtkassen 398 - See- 398, 435 Krankenpflege 388 f.

Krankenversicherung 351, 358, 381 Krankenversicherungsleistungen 387 ff. - Ausländer 391 - Familienhilfe 390 - Krankengeld 387, 389 - Krankenhauspflege 387 - Krankenpflege 388 - Krebsvorsorge 388 - Mutterschaftsgeld 387, 390 - Sachleistungen 388 - Selbstbeteiligung 388 - Sozialversicherungsabkommen 391 - Sterbegeld 390 - Versicherungsfall 387 Krankenversicherungsrecht 385 ff. - Apotheken 395 - Arbeitslose 397 - Behinderte 397 - Beiträge 395 - Finanzierung 395 - gesicherte Risiken 386 - Krankheit 386 Arbeitsunfähigkeit 387 Behandlungsbedürftigkeit 386 - - Pflegebedürftigkeit 386 Schwangerschaft 387 - Künstler 397 - Organisation 398 - Mitgliedschaft 385 - - Beginn 385 Beitragszahlung 385 - Rentner 396 - Selbständige 397 - Studenten 397 - Versicherungspflicht 385 - Versicherungspflichtgrenze 385 Krebsvorsorge 388 Kreditpolitik 263, 285 Kreis 100, 172 ff., 191, 237 f., 482, 622f., 626, 667, 682, 846 - Aufgaben 176 ausgleichende 178 ergänzende 177 übergemeindliche 177 - Gemeindeverbände 173 - Kompetenz 178 - Landrat 179 - Oberkreisdirektor 179

Sachverzeichnis

- Organleihe 180 - Selbstverwaltung 173 - Subsidiaritätsprinzip 175 - Verhältnis zu Gemeinden 177 Kreisausschuß 179 f. Kreiseinwohner 173 Kreisordnung 173, 177 Kreisordnungsbehörde 238 Kreisorgane 178 ff. Kreispolizeibehörde 237 f. Kreisstädte 173 Kreisstraße 622, 632, 642, 645, 647 Kreistag 178 f. Kreisumlage 178 Kreisverw. als untere staatl. Verwaltungsbehörde 176 Kreiswehrersatzämter 832, 838, 840 Kreuzberg-Urteil 188, 445, 500 Kriegsdienstverweigerer 832, 839 Kriegsdienstverweigerung 827, 832, 839 Kriegsopferversorgung 350, 422 Kriminalpolizei 236 Kündigung im öffentl. Dienst 83 f. Künstlerisches Personal 87 Kulturabkommen 746 Kulturabteilung des AA 713, 744 Kulturausschuß - des Deutschen Städtetages 743 Kulturhoheit der Länder 696, 740 f. Kulturpolitik, auswärtige 699, 744 Kulturverwaltung 696, 739 f. Kulturverwaltungsrecht 695 Kulturbesitz, preuß. 18 Kultusminister(ium) 696, 723, 726, 740, 742, 765, 770, 783 Kultusministerkonferenz s. Ständige Konferenz der Kultusminister Kuren 390 Kurzarbeitergeld 373 Kustoden 773 Kunst 695 f., 739 Kunsfreiheit 87, 200, 738 Kunsthochschule 758

L Ländergemeinschaft 741 Länderkonkordat 763 Länderschulrecht 700 ff.

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Lärmschutz 556, 565, 567, 587, 602ff. Lärmschutzbereich 603 Lagerung (WHG) 678 Landesarbeitsamt 373 Landesbauordnung 448,451, 498, 501,510,515 Landesbeamte 11, 17, 24, 726 Landeselternrat 729 Landeshochschulgesetze 758 Landesjugendpläne 738 Landeskriminalamt 237 Landesmediengesetze 820 Landesminister 622 Landesordnungsbehörde 238 Landesplanung 129,449, 453 ff., 462, 585 Landespolizeibehörde 237 Landespressegesetze 796 f. Landesregierung 10, 452, 462, 641, 643,819 Landessammelstellen f. d. Zwischenlagerung 582 Landesstraße 621, 623, 632, 641, 647 Landesstraßengesetze 622 Landesstraßenrecht 620 f. Landesversicherungsanstalt 410, 435 Landesversorgungsamt 422 Landesverteidigung 826 ff. Landeswassergesetze 659 ff., 680 Landeswasserwege 660 Landeszentrale f. polit. Bildung 736 Landkreis s. Kreis Landrat 179, 237, 623 Landschaftspflege 545, 553, 555, 559, 565, 575, 583 ff. Landschaftsplanung 583 ff. Landschaftsschutzgebiet 563, 586f. Landschaftsverband 622 f., 626, 642, 647 Landstraße 622 Landtag 726, 815 Landwirte 338, 378 Landwirtschaft 285, 316 Landwirtschaftlicher Betrieb 566 Landwirtschaftskammern 288 Lastentragung 160 Lastenverteilung 210 Laufbahn 19 f., 79, 727, 842 - Einheits 19 Laufbahnbefähigung 79

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Laufbahnbeamter 19 Laufbahnbewerber 22 Laufbahnfachrichtung 19 Laufbahngruppen 19 Laufbahnstrafen 845 Lebensmittelschutz 558 Lebenszeitbeamte 18, 24, 29, 72, 76 Legalitätsprinzip 205 Lehrbeauftragte 773 Lehrbefugnis 772 Lehrer 706, 715, 726 ff. - Verfassungstreue 82 - Pflichtstundenzahl 47 Lehrerbildung 727 Lehrerkonferenz 705 Lehrfach, ordentliches 719 Lehrfreiheit 62, 732, 759, 774 - Grundrecht auf 759 Lehrpläne 725 Leistungsbescheid 53, 68, 846 Leistungsprinzip - im Beamtenrecht 25, 68 - im Schulrecht 712 Leistungsrecht, öffentliches 337 Leistungsverwaltung 22, 168, 274, 291, 311, 316, 633, 695, 738, 820 Leistungsverband, gliedschaftl. organisierter 830 Lektor 773 Lenkungsmaßnahmen, wirtschaftspolitische 269, 292 Lernfreiheit 775, 778 Lernmittelfreiheit 701 Liberalismus 265 ff., 258 Life-long-Learning 733 Lindauer Verständigung 745 Lizenzpresse 793 Lösungsbeschluß 46 Logistik 828 f., 834, 836 Luft, Schutz d. 556, 588, 604, 606 Luftrecht 303, 308 ff. Luftreinhaltepläne 564, 604 Luftverunreinigung 604 Luftwaffe 829, 835 M Mäßigungspflicht d. Beamten 59 Magisches Viereck 372 Magistrat 131

Magistratsverfassung 131, 140, 144 Mandat, kommunalrechtliches 133 Manteltarifvertrag 12 Marine 829, 835 Marktfreiheit 324 Marktordnungen 274, 292 Marktverkehr 323 f. Marktwirtschaft 260ff., 268, 298 Marxismus-Leninismus 861 Massenmedien 791 f., 807, 810 Massenverfahren 304 Maßnahmen - notwendige im Polizei- u. Ordnungsrecht 206 Maßnahmeverbot, disziplinarrechtliches 46 Maßnahmegesetz 273 Materndienste 794, 796 Meinungsäußerung, freie s. Meinungsfreiheit Meinungsbildung, öffentl. 793, 799, 807 Meinungsfreiheit 58 f., 634, 699, 718, 727, 732, 738, 791, 793, 798, 801 f., Meinungsmonopol 794, 799 Meisterprüfung 325 Menschenrechtskonvention der UNO 746 Menschenwürde 42, 58, 830 Merkantilismus 265 Meßpflicht 573 Militärausschuß 836 Militär. Dienststellen, zentrale 828 f., 835 Minderheitenlehrer 718 Minderheitenschüler 718 Minderung des Familienaufwandes s. Familienaufwand Ministerpräsidentenkonferenz d. Länder 743 Mischgebiete 466, 566 Mitarbeiter - künstlerische 769 - wissenschaftl. 769, 772 - sonstige 769 Mitbestimmung 264 - eingeschränkte 87 - paritätische 264 - volle 86 Mitbestimmungsgesetz 264

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Mitgliedschaft - in einer verfassungsfeindl., nicht verbotenen Partei 59 ff. Mitnahme z. Wache 226 Mittelbau 773 Mittelbehörde 463, 622 Mittelschule 696, 710 Mittlere Reife 707, 710,712, 731 Mittlerer Dienst s. Öffentl. Dienst Mitwirkung im Personalvertretungsrecht 86 ff. Mitwirkungsverbot 135 Modernisierungsgebot 470 Monopolprivilegien 266 Montanunion 858 Mülheim-Kärlich-Beschluß 550 Müllbeseitigung 169 Musterbauordnung 448, 501, 502, 509 Musterungsbehörde 839 Musterungsbescheid 839 Musterungskammer 832 Musterungsverfahren 839 Mutterschaftsgeld 390 Mutterschaftsurlaub 47 Mutterschutz 47 N Nachbarhilfe, polizeil. 240 f. Nachbarrecht - baurechtl. 523 ff. - Nachbarklage 509, 525 f., 531 offensive 525 - - Verfahren 531 ff. vorläufiger Rechtschutz 533 f. - umweltschutzrechtl. 577 ff., 592 f., 596, 598 f., 601,607 - wasserrechtl. 664 ff. Abwehransprüche 664ff. Rechtsnatur 664 ff. Nachbarschutz, baurechtl. 523 ff. Nacheile 240 f. Nachweispflicht 573 Nachzensur 799 Namensrecht - d. Gemeinde 106 Naßauskiesungsbeschluß 552 Nationalpark 563, 586 Nationalrepräsentation 745

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NATO - Befehlshaber 836 - Kommandobehörde 836 - Planung 836 - Rat 836 - Vertrag 836 Naturdenkmal 584 Naturpark 563, 587 Naturschutz 305, 545, 553, 555, 559, 565, 573, 583ff. Naturschutzgebiet 551, 555, 563, 586 Nebenbestimmungen - baurechtl. 513, 520 - immissionsschutzrechtl. 597 - polizeirechtl. 247 Nebentätigkeit - Angestellte u. Arbeiter im öffentl. Dienst 82 - Beamte 3 8 ff. - Soldaten 842 Negativattest 488 Neubeplanung 458 Neutralitätspflicht - d. Beamten 14,40 - d. Gemeinde 150 Nichtstörer 210, 222ff., 227, 245, 250 ff. Nordatlantikvertrag s. NATO Norddeutsche Länderauffassung 745 Normenkontrolle - konkrete 863 - prinzipale 158 - verwaltungsgerichtl. 471 ff. Notar 9, 316, 318 Notdienstleistungspflicht 82 Notzuständigkeit 196 Numerus clausus 779 ff. - Rechtsprechung 781 f. - - Berufsfreiheit 782 Medizinstudium 782 Quereinstieg 781 - - Rangziffer 781 Verfassungsbeschwerde 782 - - Wartezeit 781 Zweitstudium 782 Nutzung, rechtl. Grenzen 204 Nutzungsänderung 479,482 Nutzungsgebot 470 Nutzungsverbot 508 Nutzungsvertrag 640, 643

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O Oberflächengewässer 659 f. Oberkreisdirektor 179, 623 Oberschulämter 723 Objektschutz 827, 849 OECD 543 .. Öffentliche Ämter - Fähigkeit z. Bekleidung 23, 30, 76 - Zugang 26 Öffentliche^, r) Dienst 7ff., 710, 838 - Abgrenzungsmerkmale 7 ff. - Arbeiter u. Angestellte 80 ff. - einfacher 19,732 - Entfernung aus dem 72, 76 - Extremisten im 59 ff. - gehobener 19, 732 - höherer 19, 732 - mittlerer 19, 732 - Nebentätigkeit im 38ff., 82 - Zulassungsschein 838 Öffentliche Einrichtungen d. Gemeinden 160 ff. - Anschluß- und Benutzungszwang 165 - Benutzungsverhältnis 163 - Nutzungsrechte 162 Kapazität 162 - Rechtsformen 161 - Rechtsschutz 164 - Widmung 161 - Zweistufenlehre 164 Öffentliche Hand 310 Öffentliche Sicherheit u. Ordnung s. Sicherheit, öffentliche Öffentlichkeitsarbeit 801 Öffentlich-rechtl. Vertrag 33, 625, 627, 639, 643 Offener Brief 77 Ölschäden, Haftung 217 Offenbarungspflicht 31 Opportunität 861 Opportunitätsprinzip 205, 653 Ordenshochschulen 762 Ordinarien 772 Ordnung, öffentl. 199 ff. Ordnungsbehörden 190, 192 f., 198, 225, 241 ff., 482, 679 - Aufsicht über 238 f. - höhere 238

- untere (örtl.) 237 - Organisation 237 f. Ordnungsmaßnahmen 704 Ordnungsprinzip 456 Ordnungsrecht, studentisches 777 Ordnungsverwaltung 695 Ordnungswidrigkeiten 198 Ordo Liberalismus 262 Ordre public 861, 866, 870 - Anpassungsbefugnis der rechtsanwendenden Organe 866 - und ausländisches Gesetz 865 - und Grundrechte 861 Organleihe 121, 142, 180 Organträger 14 Organisationsakt 641, 644, 682 Organisationsgewalt 26 Organisationshoheit, gemeindl. 112 Organisationsvorbehalt, gemeindl. 126 Organisationszwang 290 Orientierungsstufe 707 ff. Ortsbeirat 153 Ortsdurchfahrt 636, 647 Ortskrankenkasse 392 Ortsstraße 632 Ortsvorsteher 153 Ortszuschlag 50, 53 Ortschaft 129, 153 f. Ostverträge 856 P Pädagogische - Freiheit d. Lehrers 695, 698, 727 - Hochschule 758 Paketpostamt 219 Panzerfahrzeuge, Einsatz 638 Parallelverfahren (BBauG) 465 Parlamentarischer Rat 774 Parkuhr 633 Parteiendemokratie 40 Partizipationsdiskussion 151 Passivraucher 47 Paß- u. Meldewesen 233 Patentanwalt 318 Personalakte 25, 54ff., 82, 842 Personalausschuß 29, 78, 89 f. Personalhoheit 26, 69, 862 - Kommunale 112

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Personalien, Feststellung v. 226 ff. Personalkonzession 320 Personalrat 63, 78, 85 ff. Personalversammlung 85, 88 Personalvertretung 63, 83 ff. Personalverwaltungsakte 846 Personalvertretungsgesetz 842 Persönlichkeit, freie Entfaltung der 699 Personenbeförderung 320 Petitionsrecht I i i . , 151 Pflanzenschutz 559, 584, 587 f. Pflanzgebot 470 Pflichtaufgaben nach Weisung 522, 668 Pflichtausschüsse 137 Pflichtenverhältnis, besonderes 703 Pflichtschulden 707 Pflichtverletzung s. Disziplinarrecht Pipeline 620 - Genehmigung 676 f. Piratensender 812 Planänderung, spätere 456 Planaufstellung, Bauantrag während laufender 483 Planentwurf 466 Planerisches Ermessen 457 ff. Pläncrsätz 477 Planfeststellung 302f., 309, 452, 559, 563, 566, 580, 585, 598, 609, 614, 647 f., 681, 681 f. Planfeststellungsbeschluß 308f., 647 Planfeststellungsverfahren 308, 628, 639, 647 Plangesetz 273 Plangewährleistungsanspruch 283 Plankommission, Staatliche 261 Plankontrolle, Maßstab d. justitiellen 457 Planstelle 19 f., 22, 70 f. Planung - Rechtsanspruch auf Durchführung 460 f. Planungsermessen 457 ff. Planungshoheit, kommunale 111, 303,451 ff., 483,648 Planungskompetenzen 743 Planungsleitsätze 456 Planungsmaßnahmen 449 - enteignender Charakter 493

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Planungspflicht d. Gemeinde 455 ff. Planungsrecht d. Gemeinde 45 5 ff. Planungsschäden, Entschädigungsanspruch 494 ff. Planungsverbände 453 Planungsverfahren 455 f. Planverwirklichungsgebote 470 Planwirtschaft 260 ff, 273 - staatl. u. kommunale 582 Politische Betätigung v. Beamten 14, 40, 58 Politische Ökonomie 260 Politisches Mandat - Schülervertretung 731 Polizei 186 ff. - Notzuständigkeit 234 f. - u. Ordnungsbehörden, Aufsicht über 238 f. - u. Ordnungsgesetze als allg. Gesetze 802 f. - u. Ordnungsrecht 186 ff. - - formelles 234 ff. im Bundestag 191 materielles 193 ff. Organisation 234ff. Zuständigkeitsordnung 234 ff. Zuständigkeitsverteilung 234 - u. Ordnungsverwaltung 192 ff. Zweigliederung 192 ff. - Organisation 234 ff. - staatl. 236 f. Polizeiamt 237 Polizeibeamter 652, 653 Polizeibegriff 188 ff. - formeller 189 ff. - materieller 189 ff. - Verhältnis von formellem u. materiellem 189 f. Polizeibehörde(n) 189 f., 198, 234 ff., 623, 651,653, 679 - Arten der 23 5 f - Aufsicht über 23 8 f. - örtliche 237 f. - Zuständigkeit 189, 234 Polizeibezirk 239 Polizeidirektion 237 Polizeifunktion, materielle 192 Polizeigesetze(s) - Musterentwurf eines einheitlichen 190

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- Vereinheitlichung 190 Polizeihilfszuständigkeit 234 Polizeilicher Notstand 202, 210f., 218, 221 ff., 227, 246, 250, 253 Polizeipflicht 216, 221 - von Hoheitsträgern 219ff. - z. Einschreiten 207 ff. Polizeipflichtige Personen 210ff., 245 Polizeipräsidium 237 Polizeirecht 186 ff. Polizeiverordnung 245, 248 ff., 451 Polizeiverwaltung, einheitl. 193 Polizeivollzugsbeamte 17, 234, 240 Posthalter 18 Präklusion 307 Präsident d. Deutschen Bundestages 191 Präsident d. Hochschule 768 Präsidialkollegium 768 Präsidialverfassung 768 ff. Präventive Aufsicht 126 ff. - Genehmigungsvorbehalte 127 - Mitentscheidung, staatliche 128 - Unbedenklichkeitserklärung 127 - Zweck 126 Presse 791 ff. - institutionelle Eigenständigkeit d. 798 - Offenlegung d. Besitzverhältnisse d. 800 - periodische 792 ff. - Pflichten 804 ff. - Selbstkontrolle 799 - Sorgfaltspflicht 804 - Standesgerichtsbarkeit 799 Presseerzeugnis 796 Presseerzeugnisse(n), vorläufige Sicherstellung v. 803 Pressefreiheit 699, 791 ff. - aktive 798 - äußere 797 ff. - formelle 798 - Grenzen d. 791 - innere 799 ff. - materielle 798 - passive 798 - Schranken d. 791, 802 ff. - verfassungsmäßige Garantie d. 798

Pressekonzentration 794 Presserecht 792 ff. - geschichtl. Entwicklung 792 ff. Pressestatistik, Gesetz 795 Preußische Städteordnung 102 Preußischer Kulturbesitz 18 Preußisches Allgemeines Landrecht 11, 188,445, 502,619, 760 Primärbereich 714,727 Priorität, Grundsatz d. 205 Privatautonomie 274, 281, 292 Privatisierung öff. Einrichtungen 168 Privatnützigkeit des Eigentums 283 Privatschulen 719ff. Privatschulfreiheit 698, 700, 713, 724, 761 Privatschulgründungsfreiheit 720 Privatschulwesen 695, 719 Privatstraßen 618 Privatunterricht 721 Privatversicherung 345 Privatwege 618 Professoren 769,772 f. Prognose 277 Programmbeirat 815, 817 Promotion 783 f. Promotionsordnung 783 Propaganda, religiöse 58 Prorektor 768 Prüfungen 767, 782 ff. - v. Beamten 23, 89 Prüfungsakte 55 Prüfungsausschuß 705 Prüfungsentscheidung 57, 783 Prüfungsordnungen 725, 782 Psychologische Eignungstests 25 Publizistische Einheiten 794 Putativgefahr 203 Q Quereinstieg 781 Quotenregelung 26 R

Radikalen-Erlaß 59 Radioaktive Abfälle 557, 609, 611 - Endlagerung 582, 609 - Zwischenlagerung 610

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Radioaktive Reststoffe 557 Radioaktive Stoffe 557 Räumungsgebot 508 Rahmengesetzgebungszuständigkeit d. Bundes - im Bildungswesen 740, 759 - im Pressewesen 795 Rahmenpläne, wasserwirtschaftl. 564 Rat - f. kulturelle Zusammenarbeit 74 f. Ratsausschüsse 137 - beratende 137 - beschließende 137 - Pflichtausschüsse 137 Ratsbeschlüsse 135, 143 Ratsgeschäftsordnung 136 Ratsmitglied 136 Ratssitzung 136 - Beschlußfähigkeit 137 - Tonbandaufnahmen in 136 Ratsverfassung 131 Ratsvorsitzender 135f., 141 Raumordnung 449,453 ff., 462 Raumordnungspolitik 264 Raumplanung 107, 559 Raumplanungshoheit, kommunale 112

Razzia 227 Reaktorschiffe 610 Reaktorsicherheitskommission 581 Realschule 696, 707 f., 710 Recht - ausländisches 857 - d. DDR, Verhältnis bundesdeutschen Rechts zum 856 - d. ersten Zugriffs 235 - fremdes 855 f. - nationales 857 f. - subjektiv-öffentl. 460,484, 503, 632 f., 647 f., 666, 672 - supranationales 854ff. Rechte - staatsbürgerl. 841 Rechtsakt 705, 767 Rechtsanspruch auf polizeil. Einschreiten 207 ff. Rechtsansprüche, Sicherung privater 228 f. Rechtsanwalt 286, 316, 318 Rechtsanwaltskammer 286

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Rechtsanwendungsbefehl 859 ff., 863 ff. Rechtsanwendungsnorm 863 ff. Rechtsanwendungsrecht 859, 865 Rechtsanwendungsregeln, einzelne 865 Rechtsaufsicht 117, 121 ff., 144, 453, 463,715, 724, 771, 814 Rechtsbegriffe, unbestimmte 196, 457, 590, 671,678 Rechtsbeistand 318 Rechtsmittelbelehrung 244,648 Rechtsschutz im Beamtenrecht 37, 77 ff. Rechtsschutz der Gemeinden 123 f. - gegen Staatsaufsicht 123 f. - kommunale Verfassungsbeschwerde 123 - Schutz d. Gemeindenamen 106 Rechtsschutz, vorläufiger 80 Rechtssetzungshoheit, kommunale 113 Rechtsstaat 61, 186f., 197, 223, 243, 268, 291, 303, 458, 697, 698, 701, 725 Rechtsstellungsgarantie, subjektive d. Gemeinden 113 Rechtsverordnungen 159, 452, 462, 674, 679 Redakteur, verantwortl. 804 - Grundrechtsschutz 817 Redistribution s. Umverteilung Referendar 18, 28, 75 Referendarakten 55 Referendarexamen 768 Regelbeförderung 68 Regeln, allgemeine d. Völkerrechts 864, 866 Regiebetrieb 171 Regierung 198, 723,815, 827 Regierungsakt, rechtsetzender 847 Regierungspräsident 20, 238, 463, 622, 647, 649, 667 Regionalplanung 585 Rehabilitation s. auch Behinderte, Eingliederung 402 - berufsfördernde Leistungen 402 - medizinische Leistungen 402 - medizinische Maßnahmen 402 Reichskonkordat 702, 763

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Sachverzeichnis

Reichspressekammer 793 Reifezeugnis 711, 731 Reinhalteordnungen 564, 674 Reinhaltung der Bundeswasserstraßen, Gesetz z. 659 Reinigung - polizeimäßige 646 - verkehrsmäßige 642, 646 Reinigungsauflage 662 Reisegewerbe 323, 327 Rektor 768 f., 774 - Hausrecht 778 Rektoratssystem 768 Religionsfreiheit, positive 724, 728 Religionsgesellschaft 10 Religionsmündigkeit 730 Religionsunterricht 698, 702, 716, 718f., 728 - für nicht christliche Ausländerkinder 719 Remonstration 41, 82 Renten 346, 386,403ff. - Ausfallzeiten 404 - Beitragslose Zeiten 404 - Beitragszeiten 403 - Dynamisierungsfaktor 405 - Ersatzzeiten 403 - Fremdrentenrecht 407 - Halbbelegung 403 - Hinterbliebenenrente 405 - Höhe der R. 404 - Leistungen in das Ausland 407 - Mindestsicherung 404 - persönlicher Vomhundertsatz 404 - Wartezeiten 403 - Witwenrente 405 f. - Witwerrente 405 Rentenfinanzierung 407 ff. - Anteilsgerechtigkeit 408 - Beiträge 407 - Beitragsbemessungsgrenze 407 - Bundeszuschuß 407 - Finanzausgleich 409 - Gemeinlastverfahren 409 - Generationenvertrag 408 - Liquiditätsausgleich 409 - Sozialer Ausgleich 409 - Umlageverfahren 408 Rentenversicherung 346, 352, 374 Rentenversicherungsrecht 398 ff.

- Alter 401 flexible Altersgrenze 401 vorgezogenes Altersruhegeld 401 - Erwerbsunfähigkeit 400 - freiwillige Versicherung 410 - gesicherte Risiken 399 - Höherversicherung 410 - Künstler 343 - Leistungen 402 Ermessen 402 Rehabilitationsmaßnahmen 402 Übergangsgeld 402 - Organisation 410 f. - Tod 402 - übrige Versicherungspflichtige 409 f. - Versicherungspflicht 399 Rentner 396 Residenzpflicht 64 Restrisiko 549, 591 Restschmutz 576 Restschule 710 Rettungsschuß 232 Richter 10, 16, 50, 803 Richtlinien-Gesetz 273 Rigorosum 783 Risikovorsorge 607 Röntgen VO 605 Rohbauabnahme 522 Rückenteignung 493 Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter Bezüge 52 Rücknahmefrist (VA) 432 Rücksichtnahmegebot 528 f. Rufbereitschaft 38 Ruhegehalt 45, 51, 54 Ruhestand 72 ff. - einstweiliger 20, 72 Rundfunk 791 ff. - privater 805 f., 818 ff. Rundfunkanstalt, öffentl.-rechtl. 739, 807, 818 f. Rundfunkanstalten, Aufgaben der 813 ff. Rundfunkbegriff 808 ff. - verfassungsrechtl. 810 Rundfunkfreiheit, Grenzen d. 791 Rundfunkgebühr 808 f., 813, 820f. Rundfunkmonopol

Sachverzeichnis

- faktisches 810, 813 - staatliches 807 Rundfunkorganisation 813 ff. Rundfunkprogrammgestaltung 807 Rundfunkrat 815 f. Rundfunkrecht 805 ff. - geschichtl. Entwicklung 805 ff. S Sachen im Verwaltungsgebrauch 162 Sachkonzession 320 Sachkunde 321 ff. Sachzusammenhang 743 Sammelpetitionen 827 Samtgemeinde 129, 174 Sanierungsgebiet 453,455 f., 462, 470, 473, 490, 496 Sanierungsgenehmigung 491, 496 Sanierungsmaßnahmen 473 Sanierungsprogramm, wasserrechtl. 662, 674 Sanitätsdienststellen, Zentrale 828 f. Sasbachbeschluß 116 Satellitenfunk 808 Satzungen 154ff., 436, 466, 472, 487, 646 - autonome 155 - Erlaß 154, 683 f. - gemeindliche 154 ff. - - Arten 154ff. Anstaltssatzungen 154 Autonomie 155 baurechtliche S. 154 Gebührensatzung 154 Genehmigung 156 Gesetzesvorbehalt 156 Hauptsatzung 154 Haushaltsatzung 154 Inzidentkontrolle 158 Normenkontrolle, prinzipale 158 Publikation 156 Rechtsschutz 158 Satzungsgebungsverfahren 156 Verfahrensfehler 157 - Haushalts 154 Satzungsrecht, kommunales 155 Seekasse 410 Sekundanzanspruch 728

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Sekundarbereich I 707, 714, 727 Sekundarbereich II 696,714 Selbstbindung d. Verwaltung 28, 47 Selbsteintritt 239 Selbstgefährdung 198, 203 Selbstverwaltung 102, 106 ff., 134, 304, 703 - Kollegialorgane 769 - kommunale 21, 106 ff. 151 f., 304, 482 Eigenverantwortlichkeit 109 ff. Gesetzesvorbehalt 109 ff. Kernbereichsgarantie llOff. - - Universalität 107 ff. - Pflichtaufgaben 623, 646 - Schutz der kommunalen 106 ff. - studentische 776 ff. - d. Universität 766 ff. Selbstverwaltungsangelegenheiten 118, 367 Selbstverwaltungsaufgaben 118, 453 Selbstverwaltungsgarantie 108, 117 f., 453 ff. - der Landesverfassungen 117 - Kommunale 104 ff. Erstreckungsgarantien 104, 114f. Kernbereichsgarantie 110 Rechtsinstitutionsgarantie 104, 106 f. Rechtsstellungsgarantie 104, 113 f. Rechtssubjektsgarantie 104 Selbstverwaltungskörperschaft 103, 191, 198, 237, 622, 626, 683 Selbstverwaltungsorgane der Universität 768 ff. Selbstverwaltungsrecht 104, 724 self-executing International Law 861 Semesterstundenplan 767 f. Senat d. Hochschule 769 Sexual erziehung 697,699 Sicherheit, öffentl. 197 ff. - und Ordnung 186 ff., 191, 194, 196, 280, 292, 315, 317, 322, 450, 498, 521,522, 668, 802 Sicherheitsbereiche, militär. 848 Sicherheitsempfindlicher Bereich 61 f. Sicherheit u. Leichtigkeit d. Verkehrs

900

Sachverzeichnis

619, 623, 639 Siedlungswesen 451 Sistierung 226 ff. Soldat 49, 830, 833, 837 - auf Zeit 9, 837 ff. - Dienstzeit 838 - Entlassung 838, 841 - freiwilliger 9 - Pflichten 841, 844 - Rechtsstellung 841 f. - Verfügungsbereitschaft 841 Soldatengesetz 827, 830, 837, 841 f. Sonderabgaben 274 Sonderbaulasten Dritter 643 Sonderbehörde, staatl. 121 Sonderbesteuerung der Presse 799 Sondergesetze 248, 663, 685 Sondermüll 583, 612 Sondernutzung 569, 621, 623, 629ff., 636ff., 677 Sonderopfer 283, 637 Sonderordnungsbehörde 236, 246 f., 522 Sonderpolizeibehörde 191, 236, 246, 522 Sonderschule 710, 720 Sorgepflichtiger 214 Sorgepflichtverletzung 48 Sorgfaltspflicht der Presse 804 Souveränität d. Staaten 861 Souveränitätsbegriff, völkerrechtlicher 862 Sozialakademien 765 Sozialbindung 210,268, 499, 531, 552, 584,618, 664 Sozialbudget 338 Sozialdaten, Schutz d. 434 ff. - Amtshilfeersuchen 434 - zulässige Offenbarung 434 Soziale Entschädigung 336, 338, 348, 352 Soziales Entschädigungsrecht 419 ff. - Dienstleistungen 420 f. Bundesgrenzschutz 420 Gefangenschaft 420 - - Kausalität 420 militärischer Dienst 420 Zivildienst 420 - Entschädigungstatbestände 420 ff. - Gegenstände 419

- Impfung 421 - Kriegseinwirkung 421 - Leistungen 421 f. Ausgleichsrente 421 - - Beihilfen 422 Berufsschadensausgleich 421 Dauerschäden 421 Heilbehandlung 421 Kriegsopferfürsorge 422 - - Renten 422 Schwerbeschädigte 421 Übergangsgeld 421 - Verwaltungs- und Kostenträger 422 - - Bund 422 Hauptfürsorgestellen 422 Krankenkassen 422 Versorgungsämter 422 Soziale Sicherung 355 - Beratung 356 - Informationsmöglichkeit 356 - Konjunkturanfälligkeit 355 - soziale Umverteilung 355 - Systemerhaltung 355 Sozialgesetzbuch 339 ff. - Allg. Teil 339 Übersicht 339 Sozialhilfe 196, 337, 350, 352,357ff. - Amtsprinzip 358 - Anspruch 359 - Ermessen 359 - Familiengerechtigkeit 359 - Filterung des Armutspotentials 367 - Finalität 358 - Finanzierung 367 - Formen 359f. - Gegenwartsbezug 358 - Geldleistung 359 - Grundprinzipien 357 ff. - Hilfe in besonderen Lebenslagen 364 f. allgemeine Einkommensgrenze 364 Arbeitskraft, Einsatz d. 365 Bedarfszeitraum 365 Eingliederungshilfe f. Behinderte 364 - - Hilfe zur Pflege 364 Subsidiarität 364

Sachverzeichnis Vermögen 365 - Hilfe zum Lebensunterhalt 360 ff. Anspruchsberechtigung 362 f. Arbeitspflicht 363 Armutsgrenze 361, 367 Asylsuchende 364 Ausbildungsförderung 363 Ausländer 364 Bedarfsgemeinschaft 363 Deutsche im Ausland 364 eheähnliche Gemeinschaft 363 Einkommen 362 Haushaltsgemeinschaft 363 Haushaltsvorstand 361 f. Heiminsassen 362 notwendiger Lebensunterhalt 360 f. Regelsätze 361 - - RegelsatzVO 361 Vermögen 363 Warenkorb 361 - Individualisierung 358 - Kostenersatz 365 - Mindestsicherung 357 - Mitwirkung d. Hilfsempfänger 357 - persönl. Hilfe 360 - Regelbedarf 359 - Regelsatz 359 - Sachleistungen 360 - Subsidiarität 357 - Träger 360, 366 f. Institutionelle Subsidiarität 366 örtliche T. 366 f. örtliche Zuständigkeit 367 — - überörtliche T. - Überleitung von Ansprüchen 365 f. Schadensersatzansprüche 366 Sozialisierung 260, 261, 284 Sozialistengesetzgebung 343, 355 Sozialkunde 735 Sozialleistungen 423 ff. - Ermessen 423 - Gesetzesvorbehalt 423 - Pfändbarkeit 424 - Rechtsanspruch 423 - Rückerstattungspflicht 425 - Sonderrechtsnachfolge 424 - Verjährungsfrist 424 - Vorschüsse 423 Sozialleistungen und Ersatz durch

901

Dritte 425 ff. - Befriedigungsrecht des Geschädigten 427 - Fallgruppen 425 f. - Falsche Angaben 426 - Quotenvorrecht 426, 428 - relative Theorie 428 - Regreß der Unfallversicherungsträger 426 - Subsidiarität der Amtshaftung 427 - Teilungsabkommen 428 - Übergang von Schadenersatzansprüchen 426 - Verantwortlichkeit eines Dritten f. d. Schädigung 426 - Vorrangige Leistungspflichten 425 Sozialleistungsrecht 336 Sozialleistungsbereiche 344ff. - Fürsorge 340ff. - - Finalität 341 Histor. Entwicklung 340 ff. Individualisierungsprinzip 341 Rechtsanspruch 341 Subsidiarität 340 - Versicherung 342 ff. berufständische Sicherungssysteme 344 Familienausgleichskassen 344 Histor. Entwicklung 342 - Versorgung 344 Bereiche 344 Entwicklung 344 Sozialleistungsträger 43 5 f. - Anstalten 435 - Behörden 435 - Beziehungen untereinander 437 - Körperschaften 435 - Stiftungen 436 Sozialordnung 355 Sozialpflichtigkeit d. Eigentums 218, 493, 679 Sozialpolitik 260, 264, 276 Sozialrecht - Begriff 338 ff. - Entschädigung 348 - formales 289 - im engeren Sinn 336 - im weiteren Sinn 336 - Vorsorge 347 Pflegeversicherung 347

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Sachv

- - Pflichtmitgliedschaft 347 Vorsorgefähigkeit 347 Sozialstaat 13, 48, 186, 268ff., 444, 450, 542, 697,711,714 Sozialstaatssatz 270, 296 f., 779 Sozialverband 734 Sozialverfahrensrecht, Besonderheiten des 429 ff. - Amtssprache 429 - Anzeigepflicht 430 - Aufhebung von VA 433 - Mitwirkung des Berechtigten und Dritter 430 - Obliegenheiten 430 - Rücknahme von VA 431 ff. - Widerruf von VA 431 Sozialversicherung 336 f., 378 ff. - Beitrag 379 - Behinderte 383 - Beschäftigte zur Berufsausbildung 383 - Beschäftigung 380 - Beschäftigungsverhältnis 380 ff. Abhängigkeit, Kriterien 381 Arbeitnehmerbegriff 383 - - Entgelt 383 Familiäre Beziehungen 381 Freiwilligkeit d. Arbeit 381 Lehre vom B. 382 Unterschied zum Arbeitsverhältnis 382 - Finanzierung der Beiträge 378 ff. - Landwirte 383 - Maschinenbeitrag 380 - sozialer Ausgleich 380 - Selbständige 383 - Staatszuschüsse 380 - Versicherungsgrundtatbestand 380 ff. - Versicherungsschutz 379 Sozialversicherungsrecht 384 - Geltungsbereich 384 Ausländer 384 Leistungen ins Ausland 384 Sozialversicherungsabkommen 384 Territorialitätsprinzip 384 Versicherungspflicht 384 Sozialversicherungsträger, Selbstverwaltung der 436 f.

- Organe 436 f. Sozialverwaltungsrecht 336 Sozialwahl 437 Sozialwertigkeit 671 Spannungszeit 836 Sparkassen 171, 313, 637 Sparkassengesetze 172 Speisewirtschaft 327 Sperrklausel 149 Spezialermächtigung 193, 248 Spitzenorganisation, gewerkschaftl. 85 Spontanität, Recht d. 108 Sportanlage 160 Sporthochschule 758 Sprecherrat, studentischer 776 Subsidiarität - innerpolizeiliche 195 - der Notstandseingriffe 224 f. - Polizeirecht 209 - staatlicher Erziehung 728 - d. Staatstätigkeit 313 Subsidiaritätsprinzip 175 Subvention 274, 292, 300, 337 f., 373 Subventionierung v. Schulen 720 f. Subventionsbericht 271, 294 Supranationales Recht s. Europäische Gemeinschaft; Gemeinschaften, supranationale SCH Schadensbegriff, polizeirechtl. 201 Schadensersatz 15 ff., 27, 29, 48f., 53, 65 ff., 577, 579, 603, 624, 669 f. Schadensersatzpflicht d. Unternehmers 418 Schadensgeneigte Arbeit 66 Schadensvorsorge 607,609 f. Schallplatte 797 Schankwirtschaft 327 Schiedsgerichtsbarkeit, freiwillige 799 Schießplatz, militär. 219 Schiffahrt 680, 682 Schiffahrtsamt 668 Schiffahrtsdirektion 668 Schiffahrtspolizei 668 Schiffahrtsrecht, Vollzug 668 Schlechtwettergeld 373

Sachverzeichnis

Schlußabnahme 522 Schmerzensgeld 48,427 Schöffe 21 Schrankentrias, kommunalrechtl. 169 Schüler 726ff. - ausländische 731 Schülermitbestimmung 730 Schülermitverantwortung 695, 698 Schülermitverwaltung 705, 730,735 Schülerparlamente 730 Schülerrechte, subjektiv-öffentl. 730 Schülerunfallversicherung 352 Schülervertretung, polit. Mandat 731 Schülerzeitungen 699, 730 f. - Pressefreiheit 798 Schule 8 - allgemeinbildende 708 - Aufnahme in d. 705 - mit Auslandsbezug 713 - ausländische in d. BR Deutschland 713 - berufsbildende 708, 712 - europäische 713 - ideologisch tolerante, Recht auf 699 - internationale 713 - kommunale 715 - Rechtsnatur 702 f. - Schließung 722 - staatl. 715 - staatskommunale 715 - Verweisung von d. 705 - weiterführende 707, 710, 729 Schulabschluß 705 Schuländerung, organisator. 722 Schulamt 723 Schulangelegenheit 714f. - äußere 725 - innere 725 Schularrest 704 Schularten 696, 703, 706ff., 713 Schulaufbau, gegliederter 708 Schulauflösung 715 Schulaufsicht 698f., 714, 718f., 724 ff. Schulauftrag 703 Schulausschluß 704 Schulausschuß 742 Schulbehörde 722, 726

903

Schulbenutzungsverhältnis 697, 705 Schulbestimmungsmacht 705, 714, 716 Schulbezirke 703, 722 Schulbücher, Genehmigung 725 Schulchaos 701 Schuldisziplinargewalt 704 Schulentwicklungspflichten 715 Schulfinanzierungsgesetze 701 Schulgeldfreiheit 723 Schulgesetz 701 Schulgestaltungsmacht 699, 705, 728 Schulgewalt 703 ff. Schulgründung 722 Schulhoheit 726 Schulkinder 419 Schulleitung 706 Schulmonopol 720 Schulordnung, gemeindeutsche 702 Schulordnungsgewalt 704 Schulorganisation 706ff. Schulpersonal, Betreuung 723 Schulpflegschaft 729 Schulpflicht 700, 704, 707, 709 Schulpflichtgesetz 701 Schulrecht 697,700 Schulstrafen 704 Schulstreik 704 Schulstufen 696, 706ff., 713f. Schulträger 703, 707, 714f., 723f. Schulunterhaltung 703, 707, 722 Schulverfassung 697 - direktoriale 706 - emanzipatorische 706 - kollegiale 706 - innere 706 - monokratische 706 Schulverhältnis 703 ff. Schulversuch 705 f. Schulverwaltung 698, 703 f., 705, 722 f. Schulwesen 696ff., 723f., 728f. 741 - allgemeinbildendes 708 - außerstaatl. Beteiligung am 714 ff. - berufsbildendes 696, 708 - Bürgernähe des 740 - freies 714ff. - öffentliches 707 - privates 707 Schulzwang 704

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Sachverzeichnis

Schußwaffengebrauch 232 Schutzauflage (BImschG) 593, 597, 603 Schutzbereichsgesetz 847 Schutz d. Jugend in d. Öffentlichkeit 738 Schutzflächen 566 Schutzgebiete 555, 563, 586, 604 Schutzgebietsfestsetzungen 563, 584, 586 f. Schutzgüter, polizeil. 186, 196 ff. Schutzgrundsatz (§ 5 Nr. 1 BImschG) 59 Iff. Schutzpolizei 236 Schwarzbau 507 Schwarze Liste 662 Schweinemästerei-Fall 204, 528 Schwerbeschädigte 421 ST Staat und Wirtschaft 265 ff. Staatsangehörigkeit 22, 30, 859, 862, 868 Staatsaufsicht 117 ff. - Anordnungsrecht 123 - Anspruch auf Einschreiten 124 - Aufsichtsmittel 122, 126 - Beanstandungsrecht 123 - Dienstaufsicht 125 - Fachaufsicht 117, 124 ff. - Ersatzvornahme 123 - Genehmigungsvorbehalte 126 - Informationsrecht 122 - Kondominium 128 - Landratsamt 180 - präventive 122, 126 - Rechtsaufsicht 117, 121 - Rechtsschutz 123, 125 - repressive 122 - Weisungsrecht 125 Staatsdiener 11 Staatshaftung 15 f. Staatshaftungsgesetz 15 Staatskirchensystem 718 Staatsrechtlicher Beamtenbegriff 15 f. Staatssekretär 20, 836 Staatstätigkeit, Gesetz der zunehmenden 13

Staatsvertrag - schulrechtl. 703 - d. Bundesländer über das ZDF 739, 806 - über d. Vergabe von Studienplätzen 779 Staatsverwaltung (HRG) 770 Stabilitätsgesetz 263, 270, 372 Stadtdirektor 139, 623 Stadtentwicklungsplanung 447 Stadkreise 130, 237,682 Stadtvorstand 144 Städte - kreisangehörige 130 - kreisfreie 130, 482, 631, 668 Städtebau 446 Städtebauförderungsgesetz 446, 449, 451,490 - Entwicklungsbereich 473 - förml. Festlegungen nach dem 474 - Sanierungsgebiet 473 - Sanierungssatzung 474 Städtebauliche(r) - Entwicklungsbereich 474, 490 - Ordnung 464, 491 - Planung s. Bauleitplanung Städtebaurecht 446 Städteplanung 446 Ständige Konferenz der Kultusminister 699, 702, 712, 734, 741 ff., 746 - Beschlußrecht 742 Standardmaßnahmen, polizeil. 225 ff. Statist. Erhebungen 795 Stellenausschreibung 25 Stellenhebung 68 Stellenplan 27 Stellenzulage 13, 50 Sterbegeld 54, 387, 390, 417, 422 Steuerberater 318 Steuervergünstigungen 295 Stiftung des öffentl. Rechts 8, 18, 161,765 Stillegungsverfügung 508 Störer 210ff., 226ff., 246, 250, 252 - Ausgleichspflicht 218 - Haftung 207, 211 ff. - Notwehr gegen 199 Störfallverordnung 591

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Sachverzeichnis

Störung 186, 210 Störungsabwehranspruch 305 Störungsgrenze 469 Störungsneutralität, Grundsatz d. 204 Strafrechtl. Beamtenbegriff 16 ff. Straftaten - Verfolgung 189, 198, 226, 240 - Verhütung 198, 240 Strahlenminimierungsgebot 306, 607 Strahlenschutz 557, 605ff. Strahlenschutzbeauftragter 581 Strahlenschutzkommission 581 Strahlflugzeuge 50, 219 Straßenaufsicht 622 f., 626, 632, 641, 644, 647 Straßenaufsichtsbehörde 618f., 623 f., 625 f., 631 Straßenausbau 642 Straßenbau 623, 641, 647 Straßenbaubehörde 623 f., 631, 638 Straßenbaulast 622 ff., 641 ff. Straßenbaulastträger 618, 620, 622ff., 628 f., 639ff., 647 ff. Straßenbehörden 622 ff. Straßenbenutzungsgebühr 633 Straßenhandel 638 Straßenklasse 626, 631 f., 643 Straßenrecht 618, 627 Straßenrechtsverhältnis, faktisches 627 Straßenreinigung 642, 646 Straßenunterhaltung 623, 642 Straßen Verkehrsämter 622 ff., 639 f., 651 Straßenverkehrsgesetz 621 Straßenverkehrsordnung 195, 621, 623, 849 Straßenverkehrsrecht 650 ff. Straßenverkehrszulassungsordnung 621,623, 650ff. Straßenverzeichnis 627 Straßenwesen 633, 635, 647 Streik 35, 44, 63 f., 82, 290 Streikarbeit 83 Streikrisiko 377 Streitigkeit, sozialrechtl. 433 Streitkräfte 826ff., 834ff. - Organisation 828 ff. - Rechtsgrundlagen des Handelns 845ff.

Strompolizei 668 Strukturplan für das Bildungswesen 744 Strukturpolitik 263, 296 Student(en) 775 ff. - Hausrecht 778 - in der Sozialversicherung 769 - Ordnungsrecht 777 f. - Rechtsstellung 775 ff. - Selbstverwaltung 776 - Sprecherrat 776 - Zwangsmitgliedschaft 776 Studentenschaften 776 Studentenvertreter 776 Studentischer Konvent 776 Studienkapazitäten 780 Studienkommission f. d. Reform d. öffentl. Dienstrechts 14 Studienplätze, Klagen auf Zuteilung 780 Studienplatzvergabe 779 - Staatsvertrag 779 - Zentralstelle 779 Studienrat im Hochschuldienst 773 Stufenlehrer 727 Stufentheorie 779 Stundentafeln 725 T TA Luft 589, 592 Tarifautonomie 290 Tarifvertrags, 12,81,290 - Bundesangestellten- 12, 81 - Bundesmantel- 81 - Mantel- 12,81 - Sonder- 81 Technische Sicherheit, Recht d. 560 Technischer Überwachungsverein 299, 581 Teilbaugenehmigung 520 Teilgenehmigung 303, 597f., 608 Teileinziehung 631 Teilhaberechte 269, 370 Teilkörperschaft d. Hochschule 777 Teilungsgenehmigung 488 Teilzeitbeamte 3 6 ff. - Besoldung 50 Teilzeitbeschäftigung von Beamten 36

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Sachverzeichnis

Teilzeitschule, berufsbegleitende 712 Territorialheer 828, 833 Territorialhoheit 862 Territorialreform s. Gebietsreform Tertiärer Bereich 714 Theologische Fakultäten 763 Tierkörperbeseitigung 611 Tierschutz 559, 584, 587 Todesschuß, gezielter 232 Toleranz 718, 720 Tonbänder, bespielte 797 Trennungssystem 193, 234 Treueklausel 774 Treuepflicht 7, 12, 14, 17, 35,42f., 46, 59, 61 f., 69, 73,726 Trinkwassergewinnung 660, 684 f. Truppen Verwaltung 833 f. Truppenverwaltungsaufgaben 833 Truppenverwaltungsbeamter 833 Truppenverwaltungsdienstgericht 843 ff. Typengenehmigung 521 U Überbrückungshilfe 7 Übergangsbeihilfe 838 Übergangsgeld 54 Überleitungsbestimmungen (WHG) . 676 Überleitungsvertrag 858 Übermaßverbot, allg. 111, 572, 705 Übertragener Wirkungskreis 624 Überwachung - administrative 573 - atomrechtl. 573, 605 - b. Entsorgung 573 - chemikalienrechtl. 573 - d. Luftverunreinigung 573 - immissionsrechtl. 573, 587, 600 - strafrechtl. u. anderer Verbringungsverbote 803 - wasserwirtschaftsrechtl. 573 Umbildung - d. Dienstherrn 68 - v. Körperschaften 71 Umlegungsverfahren 450 Umschulung 374 Umsetzung 71 f., 80 Umstufung 631 f.

Umverteilung 264 Umweltabgaben 560, 573 ff. Umwelteinwirkungen, schädliche 499, 588 f. Umweltplanung 544 Umweltprogramm d. BReg von 1971 542 Umweltschutz 264, 542 ff. - Fachplan 563 ff., 569 - Gesamtplan 563 ff. - integrierter 559 f., 562 f., 581 - kausaler 556 ff., 581 - medialer 555 f., 563, 573, 581, 583, 588 - Minimalstandard 551 - vitaler 558f., 581,583 Umweltschutzbeauftragter 581 Umweltschutzplanung 562 ff. Umweltstatistik 554 Umweltverträglichkeitsprüfung 560, 607 Umzonung 496 Unbedenklichkeitserklärung, rechtliche im Gemeinderecht 127 UNESCO 746f. - Institute 747 Unfallfürsorge, beamtenrechtl. 54 Unfallverhütung 411 Unfallversicherungsleistungen 416 ff. - an Hinterbliebene 417 - Härteklausel 417 - Heilbehandlung 416 - Lohnfortzahlung 416 - Rehabilitation 416 - Übergangsgeld 416 - Verletztengeld 416 - Verletztenrente 416 - Vorschaden 416 - Witwenrente 417 - Witwerrente 417 Unfallversicherungsrecht 411 ff. - Arbeitsunfall 413 Abweg 414 Arbeitsweg 413 Betriebssport 413 eigenwirtschaftl. Tätigkeit 414 Kausalität 415 Unterbrechungen der Arbeit 414 Verschulden Dritter 415 - Aufgabe 411

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Beiträge 419 Berufsgenossenschaft 418 Berufskrankheiten 415 Finanzierung 419 Risiken, gesicherte 412 unechte Unfallversicherung 412 Unfallverhütungsvorschriften 411 Versicherte 411 Arbeitnehmer 412 arbeitnehmerähnliche Tätigkeiten 412 Betriebsfremde 412 Unternehmer 412 - Vorsorgesystem 418 Universalität s. Allzuständigkeit Universität(s) 198, 727, 757 ff. - Hoheitsgewalt 771 - Verwaltung 766 f. UNO s. Organisation der Vereinten Nationen Unparteiische Amtsführung 12, 14, 35, 40, 82 Unterhaltsausfalleistung 369 Unterhaltsbeitrag (Beamtenrecht) 54 Unterhaltsgeld 374 Unterhaltsleistungen 354 Unterhaltssicherungsgesetz 841 Unterhaltsvorschuß 369 f. Unterhaltsvorschußgesetz 369 Unterhaltszuschuß (Beamtenrecht) 54 Unterlassungsklage 473, 532, 675 Unternehmen - Öffentliche 7, 316 - wirtschaftliche 170 Unternehmensfreiheit 275 ff. Unternehmensverbände 271 Unternehmer - beliehene 8, 9, 299, 641 - Genehmigungen 302 ff. Unternehmertätigkeit 275 Unterrichtseinrichtungen, freie 721 Untersagungsermächtigung 319ff., 560 Unterschriftenquorum 149 Unterstützungspflicht, beamtenrechtl. 41 f. Unvereinbarkeit s. Inkompatibilität Unversehrtheit, körperl. 549, 550 Unzuverlässigkeit 319, 322f.

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Urkundsprinzip 24, 29 Urproduktion 316

venia legendi 772 Veränderungssperre 449, 486,490 Verantwortlichkeit - des Eigentümers 215 - des Inhabers der tatsächl. Gewalt 215 - für das Verhalten Dritter 214 - kumulative 218 Verbände 174 - wasserwirtschaftl. 663,683 ff. Verband, kommunaler 174 Verbandsgemeinde 129, 174 Verbandsklage 304, 585 Verbandsversammlung 684 Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 246, 319 ff., 504, 560, 562, 568 ff. Verbreitung jugendgefährdender Schriften 739 Verbringungsverbote 803 Vereinigungsfreiheit s. Koalitionsfreiheit Verfassungsbeschwerde im Kommunalbereich 114, 147 Verfassungsfeinde im öffentl. Dienst 59 ff. Verfassungsgarantie d. komm. Selbstverwaltung s. Selbstverwaltungsgarantie Verfassungsrecht - deutsches 864 - kommunales 144 - ungeschriebenes d. Bundesrepublik 863 Verfassungstreue 44, 774 Verfügungen - Form der 243 - ordnungsbehördl. 241 ff., 245, 249 - polizeil. 241 ff., 245, 249 - selbständige 242 f. - umweltschutzrechtl. 570 ff., 590 ff. - unselbständige 242 f. - verkehrspolizeil. 652 Vergabeverfahren (ZVS) 780 Vergabeverordnung (Studienplätze) 780

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Vergesellschaftung 261 Vergütungen (Beamtenrecht) 51 Verhältnismäßigkeit, Grundsatz der 202, 206f., 222, 243, 275 ff., 456, 492, 508,510, 594 Verhältniswahl 85, 149 Verkehrsanlagen 618 Verkehrsbetriebe 9 Verkehrseinrichtungen 635, 652 Verkehrsfläche 466,498,631, 647 Verkehrsfreiheit 650 Verkehrspolitik 264 Verkehrsrecht 502, 618 ff. Verkehrsrechtliche Lösung 631 Verkehrssicherungspflicht 624, 632, 635, 644ff., 683 Verkehrsunternehmen, Aufsicht über 297 Verkehrswesen 233 Verkehrswirtschaft 260 Verkehrszeichen 618, 635, 642, 652 Verletztenrente 416 Vermögensverwaltung 642 Vernehmung 228 f. Verordnungen - ordnungsbehördl. 248 ff. - polizeiliche 248 ff. Verpflichtungsklage 304,467, 483, 520, 532, 533, 642, 648, 673 Verrichtungsgehilfe 214 Versammlungsfreiheit 62 ff., 634, 730, 732 Versammlungsgesetz 195, 636 Versammlungswesen 233 Verschonungen 338 Verschwiegenheitspflicht 12, 32, 42f., 58, 73,82 Versetzung 71 Versichertenälteste 357 Versicherungsamt 357 Versicherungsaufsicht 297 Versicherungspflicht 353 Versorgungsamt 422 Versorgungsbetrieb 9, 292 Versorgungsbezüge 32, 35, 49ff., 54, 73,76 Versorgungsfläche 466 Versorgungsleitungen 620, 638 Versorgungsunternehmen 9, 640 Verstaatlichung 261

Verteidigung 826 ff. - kollektive 836 - Organisation d. 827 ff. Verteidigungsauftrag 826 Verteidigungsbeitrag 840 Verteidigungsfall 827, 836 f., 839, 846, 849 Verteidigungsminister 828, 832, 834f., 844, 847 Verteidigungsrecht 827 Verteidigungsvorsorge 827 Vertrag - öffentl.-rechtl. 33, 523 - verwaltungsrechtlicher 163 - völkerrechtl. 700, 745, 802, 812, 854, 861 Vertragsfreiheit s. Privatautonomie Vertragsschließungsrecht, internationales im Schulwesen 702 Vertreterversammlung (SGB) 436 Vertretungskörperschaft 685 Vertretungsverbot, kommunales 134 Verunstaltungen - Verhütung von 499 f. Verursachung 211 ff. - Theorie der unmittelbaren 212 Verursacherprinzip (umweltschutzrechtl.) 545 ff., 573 ff., 585 Verwahrung - Gründe 230 - von Personen 195, 229 f. Verwaltung - dezentralisierte 103 Verwaltungsagenden 101 Verwaltungsakt - adressatloser 626 - anfechtbarer 847 - antragsbedürftiger begünstigender 488 - Aufhebung 431 - Baurecht 464, 470, 489, 493, 504, 513, 520, 524 - Beamtenrecht 29, 43, 53, 67f., 70f., 78, 87 - begünstigender 533, 628,633, 681, 711 - belastender 193, 626, 632, 681 - besonderer Art 652 - Dauerwirkung 431 f. - Deutsche Rechtsanwendungs-

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befehle 863 dinglicher 564 Doppelwirkung 598, 629,647 Drittwirkung 297, 300, 302 Ermessen 431 fehlerhafter 53 Internationales Verwaltungsrecht 862 - Jugendschutz 739 - mitwirkungsbedürftiger 25, 68 - nichtiger 29 ff., 673 - Polizei- und Ordnungsrecht 193, 220, 241,244, 250, 253 - privatrechtsgestaltender 301, 670 - rechtmäßiger 431 - Rücknahme 31 f., 320, 431, 571 - Schulrecht 705, 711 - im Sozialrecht 366, 425 - unanfechtbarer 847 - Wasserrecht 663, 672, 684 - Wege- und Verkehrsrecht 623 ff., 643, 650 f., 652 - Wehrrecht 842, 847 f. - Widerruf 320, 431, 571, 599 - Wirtschaftsverwaltungsrecht 296, 299 ff. - zweiseitiger 624, 627 Verwaltungsbehörde, höhere 463, 467,485, 487, 492 Verwaltungsbehörden 192, 237, 866 Verwaltungsführung, dekonzentrierte 153 Verwaltungsgemeinschaften 129 Verwaltungshelfer 151 Verwaltungsmonopol 279 Verwaltungsprivatrecht 164, 310 Verwaltungsrat (Rundfunkanstalt) 815 Verwaltungsrecht, Dritter im 524 Verwaltungsrecht, internationales 859 ff. - Abgrenzung 860 - Begriff 859 - Besonderheit 861 - Inhalt 859 ff. Verwaltungsrechtsweg 48, 78 f., 254, 311,648 Verwaltungsträger, eigenständige 104 Verwaltungsvereinbarung, bindende 702

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Verwaltungsvorschriften - im Wirtschaftsverwaltungsrecht 295 Verweis 844 Verwendungsverbot ( § 9 1 Nr. 23 BBauG) 566 Videotext 796, 809 Völkerrecht 854ff. - allg. Regeln 864, 866 - Geltungsbereich 854 - grundrechtswidriges 867 Völkerrechtssetzungssubjekte 856 Vollbeschäftigungspolitik 372 Volksbüchereien 696, 734 Volksbühne 696, 735 Volkseigener Betrieb 261 Volkseigentum, DDR 261 Volksgesundheit 166 f. Volkshochschul(e) 733 f. - Träger 734 - wesen 696 Volksschule 696,707 ff., 717 Volksschulpflicht 704, 709 Volksvertretungen 198 Vollredaktion 794 Vollrente 417 Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen 17 Vollzug - einheitl. (Baurecht) 482 Vollzugsbeamte 234, 240 Vollzugshilfe 236 Vollzugsorgan 235,683 Vollzugspolizei 235, 240 Voranfrage 418 Vorbehalt des Gesetzes 109 f., 250, 268, 272, 296, 548 ff., 608 - im Bildungswesen 698 - im SGBI423 Vorbelastung 592 Vorbereitungsdienst 18, 23, 28, 53, 75 Vorbescheid 518, 597 f., 608 Vorführung zu polizeil. Dienststelle 229 Vorgesetztenpflichten, militär. 841 Vorgesetztenverhältnis, funktionales 831 Vorhaben - nicht privilegierte 528

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- privilegierte 478 ff. Vorkaufsrecht 474 - gemeindl. 489 f. Vorladung 228 ff. Vorlesungsboykott 372 Vorrang des Gesetzes 272 Vorruhestandsleistungen 373 Vorschulische Erziehung 696, 704, 708 Vorschulverbot 709 Vorsorgegrundsatz (§ 5 Nr. 2 BImSchG) 590, 593 ff. Vorsorgeprinzip (umweltschutzrechtliches) 306, 544 ff. Vorstand (SGB) 436 Vorteilsausgleichung (Beamtenrecht) 54 Vorverfahren 79 W Wachstumspolitik 263, 270 Währungspolitik 263, 285 Wärmelastpläne 564 Wahlbeamter 18, 28, 140 Wahlkonsul 21 Wahlrecht - d. Soldaten 842, 843 Wahlschulen 707 Wahlvorbereitungsentscheidungen 150 Wahlwerbung 150 Wahrheitspflicht 841 Wald - Rodung und Umwandlung 570 - Sozialfunktion d. 570 Waldsterben 550, 596 Wannsee-Urteil 494 WaschmittelG 556 Wasserabfluß 665 Wasseraufsicht 667 Wasserbehörde 662,667 ff., 671,673, 682, 684 - repressive Maßnahmen 677 ff. Wasserbewirtschaftung 661 ff., 677 Wasserbewirtschaftungspläne 674 Wasserbewirtschaftungssystem, öffentlich-rechtl. 665 Wassergenossenschaft 683

Wasserhaushalt 555, 659 Wasserhaushaltsgesetz 659 ff. Wasserpolizei 668 Wasserrecht 502, 659 ff. Wasserschutzgebiete 563, 679 ff. Wasserschutzpolizei 236,668 Wasserverbände 663, 682 ff Wasserverbandsgesetz 683 Wasserversorgung 478,498, 661, 675, 679 Wasserversorgungsunternehmen 679 f. Wasserverunreinigung 678 Wasserwegerecht 659 ff. Wasserwirtschaft 572, 659 ff., 677 Wasserwirtschaftshoheit 659 Wasserwirtschaftspolitik 662, 667 Wasser- und Boden verbände 683 ff. - Aufgaben und Organisation 684f. - Grundlagen 683 - Satzung 683 f. Wege - beschränkt-öffentl. 626 - tatsächlich öffentl. 618 f. Wegebaupolizei 641 Wegeeigentümer 639 ff. Wegeeigentum 620 f., 640 Wegehoheit 640, 647 Wegerecht 502,618 ff. Wegereinigungspflicht 646 Wegeunfall 413 f. Wegeunterhaltungspflicht 622, 641, 644 Wehrbeauftragter 827, 844 Wehrbereiche 828 ff. Wehrbereichsverwaltung 831 ff. Wehrbeschwerdeordnung 842 ff. Wehrdienst 376, 420 f., 838 Wehrdienstgericht 844 f. Wehrdienstrecht 837 ff. Wehrdienstvergehen 844 Wehrdienstverhältnis 837 ff. Wehrdisziplinarordnung 843 ff. Wehrdisziplinarrecht 842 ff. Wehrersatzwesen 832 Wehrgesetz 826 f. Wehrpflicht(iger) 9, 837 f. Wehrpflichtgesetz 832, 838ff. Wehrrecht 826 ff. Wehrsold 840

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Wehrstrafgesetz 826, 830, 841 Wehrstrafrecht 826 Wehrstrukturkommission 828 Wehrübender 838 Wehrüberwachung 841 Wehrübungen 840 Wehrverfassungsrecht 826 Wehrverwaltung 826 ff., 845 ff. Wehrverwaltungsamt 832 Weihnachtsgratifikation 13 Weimarer Reichsverfassung 258, 267, 288, 724, 732 Weinbau 316 Weinheimer Entwurf 119 Weisungsaufgaben, kommunale 120, 130 Weisungsrecht 82, 120, 239, 482, 667 Weisungsverwaltung 119 Weiterbildung 696, 707, 732 Werbeanlagen 500 Werbefernsehen 795 Werbefunk 795, 817 Werbung 283, 795 Wesentlichkeitstheorie 697, 698, 701, 726 Wettbewerbsbeschränkungen, Gesetz gegen 268 Wettbewerbsfreiheit 297 Wettbewerbsfunktion 260 Wettbewerbspolitik 262 f. Wettbewerbsrecht 314 Wettbewerbsregeln 290 Wettbewerbsverzerrung 552 Widerrufsvorbehalt 514, 520 Widerstandsrecht 42 Widmung 161, 618 ff., 624 ff., 632 - fehlerhafte 627 - kraft unvordenkl. Verjährung 628 Wiedergutmachung nationalsozialist. Unrechts 28 Wiener Übereinkommen üb. konsularische Beziehungen 21 Wilder Müll 613 Willkürverbot 276 Winterbauförderung 377 Winterdienst 642 Wirtschaftl. Betätigung d. öffentl. Hand 9 f. Wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinden 171 ff.

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- Beteiligungsgesellschaft 172 - Betriebssatzung 172 - Eigenbetrieb 171 - Konkurrentenschutz 170 - privatrechtliche Formen 172 - Regiebetrieb 171 - Schranken 169 - Subsidiaritätsprinzip 170 Wirtschaftsaufsicht 292 f., 297 Wirtschaftsbetrieb 9 Wirtschaftsförderung 259, 293 f. Wirtschaftsfreiheit 268, 275 Wirtschaftsgymnasium 711 Wirtschaftsidee, liberale 266, 284 Wirtschaftskammern 288 Wirtschaftslenkung 196, 259 f., 260, 283, 292f. Wirtschaftsplan 260 Wirtschaftsplanung 272, 283 Wirtschaftspolitik 259 ff., 265 ff., 268, 270, 276, 284 Wirtschaftspolitische Neutralität d. GG 269 ff. Wirtschaftsprüfer 286, 318 Wirtschaftsrecht kommunales 168 Wirtschaftstätigkeit, kommunale 168 - Rechtsschutz 170 Wirtschaftsüberwachung 196 Wirtschaftsunion 271 Wirtschaftsunternehmen, kommunale 168 Wirtschaftsverbände 289 ff. Wirtschaftsverfassung 267 ff. Wirtschaftsverwaltung 265, 272, 285 ff. Wirtschaftsverwaltungsakt 296 f., 299 ff. Wirtschaftsverwaltungsrecht 258 ff. Wirtschaftswerbung 283 Wirtschafts- und Sozialausschuß 289 Wirtschafts- und Sozialrat 288 Wissenschaft 695, 739 - Finanzierung d. 757 - politische 735 Wissenschaftl. Nebentätigkeit d. Beamten 40 Wissenschaftsfreiheit 54, 759, 761, 772, 774 f. - institutionelle Garantie der 727, 759

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Wissenschaftspflege 757 Wissenschaftsverwaltung 757 Wissenschaftsverwaltungsrecht 695 Witwen- u. Witwerrente 417, 422 Wohlerworbene Rechte 11, 629 Wohlfahrtspflege 188, 202, 366, 50 l r 667 Wohlfahrtsstaat(lich) 258, 262, 265, 273 Wohngebiete, reine 466, 566 Wohngeld 351 ff., 369 - Familieneinkommen 369 - Lastenzuschuß 369 - Mietzuschuß 369 - Studenten 369 - Tabellen 369 - Wohnraumbedarf 369 Wohngeldrecht 337 Z Zahnärzte 318, 391 ff. ZDF s. Zweites Deutsches Fernsehen Zeitschriftenwesen 794 f. Zensur 792, 816 Zensurverbot 730, 798 Zentralbank 263 Zentralstaat 860 Zentralstelle - f. d. Auslandsschulwesen 744 - f. d. Vergabe von Studienplätzen (ZVS) 779 - f. Fernunterricht 721 Zentralverwaltungswirtschaft s. Planwirtschaft Zersiedlung 484 Zeugen, anonyme 43 Zeugnisverweigerungsrecht 802 Zivildienst 839 Zölibatsklausel 62 Zollunion 271 Züchtigungsrecht d. Lehrers 704 Zünfte 266

Zulagen 50 f. Zulassungsbeschränkungen 778 Zulassungswesen 650 f. Zusicherung 28 Zuständigkeit - außerordentliche 240 f. - d. Bundes z. Gesetzgebung 191, 274, 340, 450f., 553, 620f., 659f., 678, 682,712, 811,826 f. - d. Landes z. Gesetzgebung 190, 447, 451,621,660, 682, 759 - instantielle 241 - örtliche 239f. - polizei- und ordnungsrechtl. 190 Zuständigkeitsordnung, polizeil. 239 ff. Zuständigkeitsverteilung, polizeil. 234 Zustandshaftung 211, 214ff. Zustandsstörer 240, 613 Zustimmungsgesetz 863 Zuteilungsermessen d. Wasserbehörde 661, 671 Zuverlässigkeit (Gewerberecht) 321 ff. Zuweisung 715 Zwang - unmittelbarer 232, 245, 252 Zwangsbeurlaubung 79 Zwangsmitgliedschaft 286 Zwangsmittel - d. Bundeswehr 848 f. - ordnungsbehördl. 249 f. - polizeil. 232, 244, 249 f. Zwangsrecht 266 Zwecktauglichkeit einer Maßnahme 277 Zweckveranlassung 213 Zweckverband 174, 663, 702, 707, 714 Zweiter Bildungsweg 711 Zweites Deutsches Fernsehen 806, 816

Juristische Ausbildung Herausgeber: Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen, Münster Prof. Dr. Gerd Geilen, Bochum Prof. Dr. Klaus Geppert, Berlin Prof. Dr. Albert von Mutius, Kiel Prof. Dr. Peter Schlosser, München Prof. Dr. Peter Schwerdtner, Bielefeld unter Mitwirkung zahlreicher weiterer Professoren

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