Berichte und Abhandlungen. Sonderband 12 Die Goldene Bulle: Politik – Wahrnehmung – Rezeption 9783050086231, 9783050042923

Die beiden Bände gehen auf eine internationale Tagung im Oktober 2006 über die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 z

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German Pages 1249 [1252] Year 2009

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Table of contents :
Vorwort
I. Kaiser und Reich im 14. Jahrhundert
Das Erbe Ludwigs des Bayern
Feindliche Übernahme. Die ludovicianischen Züge der Goldenen Bulle
Solide bases imperii et columpne immobiles? Die geistlichen Kurfürsten und der Reichsepiskopat um die Mitte des 14. Jahrhunderts
Es war an der Zeit. Die Goldene Bulle in der politischen Praxis Kaiser Karls IV
Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV.
,Theatrum praeeminentiae’. Kaiser und Reich zur Zeit der Goldenen Bulle
Die Ordnung des Reiches. Die Position des Herrschers in der Goldenen Bulle in der Wahrnehmung bis 1400
Römisches Recht, Gewohnheitsrecht und Politik im Reich und in den Territorien (12. - 15. Jahrhundert). Eine Skizze zur Verortung der Goldenen Bulle
II. Inszenierung und Repräsentation
Inszenierungen und Rituale des spätmittelalterlichen Reichs. Die Goldene Bulle von 1356 in westeuropäischen Vergleichen
Das inszenierte Imperium. Kaiser Karl IV. und König Karl V. von Frankreich
Zur Ikonografie der deutschen Herrscher des 14. Jahrhunderts. Rudolf I.–Ludwig IV.–Karl IV
Was ist karolinisch an der Hofkunst Karls IV.?
Herrscher – Kunst – Metapher. Das ikonografische Programm der Residenzburg Lauf an der Pegnitz als eine Quelle der Herrschaftsstrategie Karls IV
Aufgeräumte Herkunft. Zur Konstruktion dynastischer Ursprünge an königlichen Begräbnisstätten
Vom Rheinland nach Böhmen: Studien zur Reliquienpolitik Kaiser Karls IV
Schnöder Mammon oder Repräsentationsobjekt? Kaiserliche und kurfürstliche Münzen zu Zeiten der Goldenen Bulle
Inszenierung und Repräsentation von Herrschaft. Karl IV. in der Literatur
Sprachen der Macht – Sprache als Macht. Urkundensprachen im Reich des 13. und 14. Jahrhunderts (mit editorischem Anhang)
III. Das Reich und seine Nachbarn
Das Reich im 14. Jahrhundert - Blicke von außen
Die Goldene Bulle als europäisches Grundgesetz
Mehrer des Reiches oder Verwalter des Niederganges? Ein Vergleich kaiserlicher Macht zur Zeit Karls IV. im Abendland und in Byzanz
Herrschertreffen und Heiratspolitik. Karl IV., Ungarn und Polen
Das Erb- und Wahlrecht des Herrschers in Polen im 14. Jahrhundert
Die Goldene Bulle und die Rechtsverfügungen Karls IV. für das Königreich Böhmen in den Jahren 1346-1356
Die Mächte Italiens und das Reich in der Zeit Karls IV. Historische Realität und Geschichtsbilder um 1500
Kreuzzug und Reichsvikariat. Zu den Beziehungen zwischen Karl IV. und Venedig (mit editorischem Anhang)
Italienische Forschungen und Urkundeneditionen zur Zeit Karls IV
Die Rekrutierung diplomatischen Personals unter Karl IV. Zeitphasen und Verfahrensweisen
Luxemburg, Metz und das Reich. Die Reichsstadt Metz im Gesichtsfeld Karls IV
Das Papsttum, Frankreich und das Reich. Die Goldene Bulle und die Außenpolitik Karls IV
IV Rezeption und Wirkung
Zeitnahe Wahrnehmung und internationale Ausstrahlung. Die Goldene Bulle Karls IV. im ausgehenden Mittelalter mit einem Ausblick auf die Frühe Neuzeit (mit einem Anhang: Nach Überlieferungszusammenhang geordnete Abschriften der Goldenen Bulle)
Die Goldene Bulle Karls IV. im Politikverständnis von Kaiser und Kurfürsten während der Regierungszeit Friedrichs III. (1440-1493)
Die Rezeption der Goldenen Bulle in der Reichspublizistik des Alten Reiches
Goethe und die Goldene Bulle
Das Reich: 962 – 1356 – 1806. Zusammenfassende Überlegungen zur Tagung ,Die Goldene Bulle’
Verzeichnis der Abkürzungen sowie der ohne Erscheinungsjahr abgekürzten Werke
Register (Personen – Orte – Sachen)
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Berichte und Abhandlungen. Sonderband 12 Die Goldene Bulle: Politik – Wahrnehmung – Rezeption
 9783050086231, 9783050042923

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BERLIN-BRANDENBURGISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

Berichte und Abhandlungen Sonderband 12

Berichte und Abhandlungen Herausgegeben von der BERLIN-BRANDENBURGISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

Sonderband 12

Die Goldene Bulle Politik - Wahrnehmung - Rezeption Bandi

Herausgegeben von Ulrike Hohensee, Mathias Lawo, Michael Lindner, Michael Menzel und Olaf B. Rader

Akademie Verlag

Dieser Band wurde durch die Gemeinsame Wissenschaftskommission im Akademienprogramm mit Mitteln des Bundes (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und des Landes Berlin (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung) gefordert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-05-004292-3

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2009 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druckvorlage: Kathrin Künzel Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

I

11

Kaiser und Reich im 14. Jahrhundert

Jean-Marie Moeglin Das Erbe Ludwigs des Bayern

17

Michael Menzel Feindliche Übernahme. Die ludovicianischen Züge der Goldenen Bulle

39

Paul-Joachim Heinig Solide bases imperii et columpne immobiles? Die geistlichen Kurfürsten und der Reichsepiskopat um die Mitte des 14. Jahrhunderts

65

Michael Lindner Es war an der Zeit. Die Goldene Bulle in der politischen Praxis Kaiser Karls IV

93

Eva Schlotheuber Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV

141

Michael Lindner ,Theatrum praeeminentiae'. Kaiser und Reich zur Zeit der Goldenen Bulle

169

Claudia Garnier Die Ordnung des Reiches. Die Position des Herrschers in der Goldenen Bulle in der Wahrnehmung bis 1400

197

Inhalt |

5

Dietmar Willoweit

Römisches Recht, Gewohnheitsrecht und Politik im Reich und in den Territorien (12. - 15. Jahrhundert). Eine Skizze zur Verortung der Goldenen Bulle II

241

Inszenierung und Repräsentation

Bernd Schneidmüller

Inszenierungen und Rituale des spätmittelalterlichen Reichs. Die Goldene Bulle von 1356 in westeuropäischen Vergleichen

261

Martin Kintzinger

Das inszenierte Imperium. Kaiser Karl IV. und König Karl V. von Frankreich

299

Robert Suckale

Zur Ikonografie der deutschen Herrscher des 14. Jahrhunderts. Rudolf I.-Ludwig IV.-Karl IV

327

Jiri Fajt

Was ist karolinisch an der Hofkunst Karls IV.?

349

Richard Nemec

Herrscher - Kunst - Metapher. Das ikonografische Programm der Residenzburg Lauf an der Pegnitz als eine Quelle der Herrschaftsstrategie Karls IV

369

Olaf B. Rader

Aufgeräumte Herkunft. Zur Konstruktion dynastischer Ursprünge an königlichen Begräbnisstätten

403

Wolfgang Schmid

Vom Rheinland nach Böhmen: Studien zur Reliquienpolitik Kaiser Karls IV

431

Torsten Fried

Schnöder Mammon oder Repräsentationsobjekt? Kaiserliche und kurfürstliche Münzen zu Zeiten der Goldenen Bulle 6

| Inhalt

465

Martin Schubert Inszenierung und Repräsentation von Herrschaft. Karl IV. in der Literatur

493

Mathias Lawo Sprachen der Macht - Sprache als Macht. Urkundensprachen im Reich des 13. und 14. Jahrhunderts (mit editorischem Anhang)

517

III

Das Reich und seine Nachbarn

Werner Maleczek Das Reich im 14. Jahrhundert - Blicke von außen

563

Michael Borgolte Die Goldene Bulle als europäisches Grundgesetz

599

Franz Tinnefeid Mehrer des Reiches oder Verwalter des Niederganges? Ein Vergleich kaiserlicher Macht zur Zeit Karls IV. im Abendland und in Byzanz

619

Ulrike Hohensee Herrschertreffen und Heiratspolitik. Karl IV., Ungarn und Polen

639

Stawomir Gawlas Das Erb- und Wahlrecht des Herrschers in Polen im 14. Jahrhundert

665

Lenka Bobkovä Die Goldene Bulle und die Rechtsverfugungen Karls IV. für das Königreich Böhmen in den Jahren 1346-1356

713

Marie-Luise Favreau-Lilie Die Mächte Italiens und das Reich in der Zeit Karls IV. Historische Realität und Geschichtsbilder um 1500

737

Uwe Ludwig Kreuzzug und Reichsvikariat. Zu den Beziehungen zwischen Karl IV. und Venedig (mit editorischem Anhang)

761 Inhalt |

7

Antonella Ghignoli Italienische Forschungen und Urkundeneditionen zur Zeit Karls IV.

805

Flaminia Pichiorri Die Rekrutierung diplomatischen Personals unter Karl IV. Zeitphasen und Verfahrensweisen

835

Michel Margue / Michel Pauly Luxemburg, Metz und das Reich. Die Reichsstadt Metz im Gesichtsfeld Karls IV.

869

Stefan Weiß Das Papsttum, Frankreich und das Reich. Die Goldene Bulle und die Außenpolitik Karls IV.

917

IV Rezeption und Wirkung Marie-Luise Heckmann Zeitnahe Wahrnehmung und internationale Ausstrahlung. Die Goldene Bulle Karls IV. im ausgehenden Mittelalter mit einem Ausblick auf die Frühe Neuzeit (mit einem Anhang: Nach Überlieferungszusammenhang geordnete Abschriften der Goldenen Bulle)

8

933

Eberhard Holtz Die Goldene Bulle Karls IV. im Politikverständnis von Kaiser und Kurfürsten während der Regierungszeit Friedrichs III. (1440-1493)

1043

Arno Buschmann Die Rezeption der Goldenen Bulle in der Reichspublizistik des Alten Reiches

1071

Michael Niedermeier Goethe und die Goldene Bulle

1121

Johannes Helmrath Das Reich: 962 - 1356 - 1806. Zusammenfassende Überlegungen zur Tagung ,Die Goldene Bulle'

1137

| Inhalt

Verzeichnis der Abkürzungen sowie der ohne Erscheinungsjahr abgekürzten Werke

1153

Register (Personen - Orte - Sachen)

1161

Vorwort

Die vorliegenden beiden Bände gehen auf eine internationale Tagung über die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 zurück, die vom 9. bis 12. Oktober 2006 von der Arbeitsstelle der Monumenta Germaniae Histórica (MGH) an der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) veranstaltet wurde. Dieses akademische Langzeitvorhaben bearbeitet im Auftrag, in enger Abstimmung und mit nachhaltiger Unterstützung der MGH-Zentrale in München die Urkunden der Kaiser Ludwig IV. und Karl IV. zum Abschluss der Reihe ,Constitutiones et acta publica imperatorum et regum' innerhalb der Leges-Abteilung der MGH. Die Berliner Arbeitsstelle nahm das 650-jährige Jubiläum der Proklamation der Goldenen Bulle auf den Hoftagen zu Nürnberg und Metz zum Anlass, ihren prominentesten Text in den Mittelpunkt einer eingehenden Diskussion zu stellen, um auf diesem Wege sowohl die akademische Grundlagenforschung des Editionsvorhabens an der BBAW für die mediävistische Fachwelt wie die interessierte Öffentlichkeit darzustellen als auch über einen längeren Zeitraum erarbeitete Ergebnisse für die Forschung fruchtbar zu machen. Die europäische und die vergleichende Perspektive ergaben sich gleichsam selbstverständlich in Anbetracht der Ausdehnung und des multinationalen Charakters des Heiligen Römischen Reiches. Zum 600. Todestag Karls IV. im Jahre 1978 erschienen zahlreiche umfassende Publikationen zum 14. Jahrhundert und damit auch zum etwas enger zu fassenden Zeitalter der Goldenen Bulle. Allerdings stand dabei naturgemäß der Kaiser selbst als Staatsmann im Reich, in Böhmen und in Europa im Zentrum, etwa in den Monografien von Ferdinand Seibt1 und Jirí Spévácek.2 Die ,Blätter für deutsche Lan-

1

2

Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346 bis 1378 (1978, s 1985). - Vgl. auch den von ihm herausgegebenen Sammelband: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen ( 2 1978). Jiri SPEVÄCEK, KarellV. Zivot a dilo [Karl IV. Leben und Werk] (1979); DERS., Karl IV. Sein Leben und seine staatsmännische Leistung (1979).

Vorwort

11

desgeschichte' 3 widmeten ihm einen ganzen Jahresband. Den Ertrag und die Konsequenzen des Karlsgedenkens resümierten Frantisek Graus, Peter Moraw und Peter Wörster in kritischen Literaturberichten.4 Ebenfalls noch im Umfeld des Karlsjubiläums entstanden Sammelbände an der Karlsuniversität Prag und an der Akademie der Wissenschaften der DDR. 5 Danach ebbte die Beschäftigung mit Karl IV. wieder ab. Aus den Arbeiten der folgenden drei Jahrzehnte sind hervorzuheben die Gesamtdarstellungen von Heinz Stoob 6 und Frantisek Kavka7, der Sammelband ,Kaiser, Reich und Region' 8 als Publikation der Berliner MGH-Arbeitsstelle sowie zuletzt die Begleitbände zu zwei Ausstellungen des Jahres 2006: ,Karel IV. Cisar z bozi milosti. Kultura a umeni za vlädy poslednich Lucemburkü 1347-1437' [Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kultur und Kunst unter der Herrschaft der letzten Luxemburger 1347-1437] in Prag9 und ,Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und

3

4

Kaiser Karl IV. 1316-1378. Forschungen über Kaiser und Reich, hg. von Hans PATZE, zugleich BDLG 114(1978). Frantisek GRAUS, Kaiser Karl IV. Betrachtungen zur Literatur eines Jubiläumsjahres ( 1 3 7 8 / 1 9 7 8 ) , in: J b G O 2 8 ( 1 9 8 0 ) S. 7 1 - 8 8 ; P e t e r MORAW, K a i s e r K a r l I V . 1 3 7 8 - 1 9 7 8 .

Ertrag und Konsequenzen eines Gedenkjahres, in: Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für Frantisek Graus zum 60. Geburtstag (AK Beih. 18, 1982) S. 224-318; Der 600. Todestag Karls IV. und seine Resonanz in der Tschechoslowakei, bearb. von Peter WÖRSTER, zugleich: Dokumentation Ostmitteleuropa NF 5 (1979) S. 2 7 9 - 4 6 2 . 5

6 7

8

9

Mezinárodní védecká konference doba Karla IV. v déjinách národü CSSR, porádaná Universitou Karlovou v Praze k 600. vyrocí úmrtí Karla IV. 29.11.-1.12.1978 [Internationale wissenschaftliche Konferenz ,Die Zeit Karls IV. in der Geschichte der Völker der CSSR', veranstaltet von der Karlsuniversität Prag zum 600. Todestag Karls IV. 29.11.-1.12.1978], 3 Bde. (1981); Karl IV. Politik und Ideologie im 14. Jahrhundert, hg. von Evamaria ENGEL (1982). Heinz STOOB, Kaiser Karl IV. und seine Zeit (1990). Frantisek KAVKA, Am Hofe Karls IV. (1989); DERS., Vláda Karla IV. za jeho císarství (1355-1378). Zemé Ceské koruny, rodová, rísská a evropská politika [Die Herrschaft Karls IV. als Kaiser (1355-1378). Die Lande der Böhmischen Krone, dynastische, Reichsund europäische Politik], 2 Bde. (1993). Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Histórica, hg. von Michael LINDNER / Eckhard MÜLLER-MERTENS / Olaf B. RADER unter Mitarbeit von Mathias LA wo (BBAW. Berichte und Abh. Sonderbd. 2, 1997). Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1 3 1 0 - 1 4 3 7 , hg. v o n J i n FAJT u n t e r M i t w i r k u n g v o n M a r k u s HÖRSCH u n d A n d r e a LANGER m i t U n t e r s t ü t z u n g v o n B a r b a r a DRAKE BOEHM ( 2 0 0 6 ) .

12

| Vorwort

die Goldene Bulle 1356-1806'. 10 Speziellere Arbeiten und die Behandlung Karls IV. in übergreifenden Zusammenhängen sollen hier nicht eigens aufgezählt werden. Sie sind weiter gefassten, nicht allein karolinischen Themenkreisen wie Dynastie und Klientel, Residenz und Herrschaft, Regionalpolitik, Gerichtsbarkeit, Kunst und Kultur oder Mentalität und Frömmigkeit zugeordnet oder dem Genre der Kaiserviten11 ä la Sueton verpflichtet. Der Goldenen Bulle, die 1978 selbstverständlich mitbedacht wurde, widmete sich später nur ein kleinerer Kreis von Autoren. In alphabetischer Folge sind dies: Winfried Dotzauer, Bernd-Ulrich Hergemöller, Michael Lindner, Jürgen Miethke und Armin Wolf. 12

10

Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356-1806. Katalog, hg. von Evelyn BROCKHOFF / Jan GERCHOW / Raphael GROSS / August HEUSER. Aufsätze,

11

12

hg. von Evelyn BROCKHOFF / Michael MATTHÄUS (2006). Eckhard MÜLLER-MERTENS, Karl IV., 1346-1378, in: Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, hg. von Evamaria ENGEL / Eberhard HOLTZ (1989) S. 305-322; Martin KINTZINGER, Karl IV. (1346-1378) mit Günther von Schwarzburg (1349), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters, hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER / Stefan WEINFURTER (2003) S. 408-432. Winfried DOTZAUER, Überlegungen zur Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Hintergrundes, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte. FS Alois Gerlich zum 70. Geburtstag, hg. von Winfried DOTZAUER / Wolfgang KLEIBER / Michael MATHEUS / Karl-Heinz SPIEß (Geschichtliche LK42, 1995) S. 165-193; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV. (Städteforschung A 13, 1983); DERS., Der Abschluß der „Goldenen Bulle" zu Metz 1356/57, in: Studia Luxemburgensia. FS Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich Bernward FAHLBUSCH / Peter JOHANEK (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, 1989); Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1999); Michael LINDNER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. 29. Ausstellung des Europarates in Magdeburg und Berlin und Landesausstellung Sachsen-Anhalt 1: Katalog, hg. von Matthias PUHLE / Claus-Peter HASSE (2006) S. 310322; Jürgen MIETHKE, Die päpstliche Kurie des 14. Jahrhunderts und die „Goldene Bulle" Kaiser Karls IV. von 1356, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. FS Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim DAHLHAUS / Armin KOHNLE (AK Beih. 39, 1995) S. 437-450; Armin WOLF, Die Goldene Bulle von 1356, in: Höhepunkte des Mittelalters, hg. von Georg SCHEIBELREITER (2004) S. 188-201. - Zuletzt Jenny Rahel OESTERLE, Kodifizierte Zeiten und Erinnerungen in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV., ZHF 35 (2008) S. 1-29.

Vorwort

Die aus der Berliner Tagung resultierenden Bände sollen, ausgehend von einer Synthese des Erreichten, neue Impulse zur Beschäftigung mit Karl IV. und der Goldenen Bulle setzen. Ihr wissenschaftliches Profil folgt weniger den auf Personen, Institutionen, Regionen und Strömungen fokussierten Bahnen, auch nicht der textimmanenten oder isoliert kontextualisierenden Analyse, sondern sieht die Goldene Bulle bewusst in der Komplexität ihrer historischen Bezüge und nimmt sie in ihrer Ganzheit als Zugang zur Epoche Karls IV. Methodisch heißt das, den überlieferten Text nicht nur als vereinzelten Beleg heranzuziehen, sondern von ihm als historischem Phänomen ausgehend die expliziten und konnotierten Merkmale der karolinischen Zeit zu entschlüsseln. Weiterhin wird der Verbreitungs- und Bedeutungszuwachs der Goldenen Bulle im Spätmittelalter und ihr Weiterwirken als staatsrechtliches Dokument bis in die Neuzeit in den Blick genommen. Die 25 Tagungsreferate zu historischen und kunsthistorischen, juristischen und philologischen Themen, vom Auditorium aus insgesamt acht europäischen Ländern von Frankreich bis Russland diskutiert, bilden den Grundstock der beiden Bände. Zehn weitere Wissenschaftler - Lenka Bobkovä, Torsten Fried, Eberhard Holtz, Claudia Garnier, Slawomir Gawlas, Michel Margue, Richard Nemec, Michel Pauly, Flaminia Pichiorri und Wolfgang Schmid - steuerten darüber hinaus Texte für die Publikation bei. Die Gliederung der Beiträge in vier Gruppen folgt den sektional gestalteten Schwerpunkten der Tagung. Unser Dank gebührt neben den Autoren all denen, die sich von der Planung, Organisation, Moderation und Ausstattung der Tagung über die Manuskriptbetreuung bis hin zur Finanzierung und Drucklegung der Texte für die Goldene Bulle eingesetzt haben. An politischen Institutionen sind hier die Botschaften des Großherzogtums Luxemburg und der Tschechischen Republik in Berlin sowie die Vertretung des Freistaates Bayern beim Bund zu nennen, an wissenschaftsfördernden Einrichtungen und Amtsträgern besonders die Stiftung Preußische Seehandlung und die Hermann und Elise geborene Heckmann Wentzel-Stiftung, der Präsident der Monumenta Germaniae Historica, das Berliner Akademienvorhaben ,Regesta Imperii - Regesten Kaiser Friedrichs III.' sowie der Präsident und die Wissenschaftsadministration der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie haben auf großzügige Weise die Tagung, deren Begleitprogramm und das Zustandekommen der Bände unterstützt. Nicht unerwähnt bleiben soll die Mitarbeit der studentischen Helfer Stefanie Klinger und Gordon Lemm. Berlin im Juli 2008

14

| Vorwort

Die Herausgeber

I

Kaiser und Reich im 14. Jahrhundert

JEAN-MARIE MOEGLIN

Das Erbe Ludwigs des Bayern

Ludwig der Bayer als historische Figur ist für uns wie jede andere historische Figur ein Konstrukt, eine diskursive Figur geworden; zu dieser Einsicht zu gelangen fällt uns übrigens umso leichter, als wir nicht mehr, oder vielleicht fast nicht mehr, das emotionale Verhältnis zu den großen nationalen Helden der Vergangenheit haben, das früher sogar bei den gelehrtesten Historikern anzutreffen war. Die Frage nach dem Erbe Ludwigs des Bayern ist dementsprechend eine Frage, auf die wir ganz bewusst nicht die gleiche Antwort geben wie unsere Vorgänger, und höchst wahrscheinlich auch eine Frage, auf die unsere Nachfolger eine andere Antwort als wir geben werden. Eine zweite Vorbemerkung ist, dass es mindestens zwei Ludwig der Bayer gibt, nämlich den Ludwig aller Deutschen und den Ludwig allein der Bayern. Es ist hauptsächlich der erste, von dem ich heute sprechen werde. Noch vor drei Jahrzehnten hätte man wahrscheinlich die Frage nach dem Erbe Ludwigs des Bayern schematisch so beantwortet: Für den Bayern die Tatsache, dass er die Unabhängigkeit Deutschlands gegen das Papsttum hartnäckig verteidigt hat, gegen den Bayern die Tatsache, dass er den Trend zum Hausmachtkönigtum erheblich begünstigt und damit keine unwichtige Rolle in der verhinderten Verstaatlichung Deutschlands bis zum 19. Jahrhundert gespielt hat. Eine solche Antwort entspricht nicht mehr der gegenwärtigen historiografischen Perspektive, wie sie sich z. B. in den beiden anlässlich des 650. Jahrestags des Todes des Kaisers vor kurzem erschienenen Tagungsbänden findet: , Ludwig der Bayer als bayerischer Landesherr'1 und .Kaiser Ludwig der Bayer'. 2 Die Antwort der jetzigen Historiker ist es m. E.,

2

Ludwig der Bayer als bayerischer Landesherr. Probleme und Stand der Forschung. FS Walter Ziegler (= ZBLG 60/1, 1997). Kaiser Ludwig der Bayer - Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, hg. von Hermann NEHLSEN / Hans Georg HERMANN (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 22, 2002).

Das Erbe Ludwigs des Bayern |

17

die Rolle zu unterstreichen, die der bayerische Kaiser in der Errichtung eines politischen Systems, in dem die Königswahl durch die Kurfürsten sich als ein Angelpunkt der deutschen Verfassung etabliert hat, gespielt hat - eine Leistung, die entscheidend zu den politischen Voraussetzungen des Erhalts Deutschlands als politischer und nationaler Entität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gehört. In einer Welt, in der die politischen Strukturen sich immer mehr einer dynastischen Ordnung anpassten, die auf der Anerkennung eines unlösbaren Bandes zwischen einem Land und seiner erblichen Dynastie, der Anknüpfung der Identität des Landes an die Identität der Dynastie beruhte, war die Zukunft Deutschlands und des Reiches als politische Entität tatsächlich nicht gesichert. Der Untergang der Staufer hatte jede Möglichkeit der Verwandlung Deutschlands in ein Erbreich zum Scheitern verurteilt, obwohl das Erscheinen der falschen Friedriche noch am Ende des 13. Jahrhunderts zeigte, dass dieses Scheitern nicht von allen gutgeheißen und als legitim betrachtet wurde. Die Errichtung einer einigermaßen stabilen Wahlmonarchie war die politische Antwort, die das Überleben Deutschlands als politischer Einheit möglich machen sollte. Zu diesem Ergebnis zu kommen war aber kein leichter Weg. In diesem Prozess scheint es uns jetzt klar, dass die Rolle, die Ludwig der Bayer gespielt hat, insbesondere die Rolle der während der Hoftage des Jahres 1338 verkündeten Gesetze ,Licet iuris' und ,Fidem catholicam', entscheidend gewesen ist. Ein bisschen zugespitzt formuliert kann man diese Gesetze als das wirkliche Erbe Ludwigs des Bayern betrachten, wodurch das Reich, als der Kaiser am 11. Oktober 1347 starb, seine politische Existenz gesichert hatte.3 Die Goldene Bulle Karls IV. hat in gewisser Hinsicht nur das politische Erbe Ludwigs des Bayern weiterentwickelt. Indem ich das betone, nehme ich mehr oder weniger den Schluss meines Vortrags vorweg. Das Erbe Ludwigs des Bayern ist tatsächlich das Erbe des gesetzgebenden Kaisers, aber es ist ein Erbe, das ihm von seinem Rivalen und Nachfolger Karl IV. wegge-

3

18

Außer den zwei in Anm. 1 und 2 angegebenen Tagungsbänden vgl. z. B. Hans-Jürgen BECKER, Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil - historische Entwicklung und kanonistische Diskussion im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (1988); DERS., Der Einfluß des ius commune auf das deutsche Königswahlrecht, in: Pocta prof. JUDr. Karlu Malemu DrSc. k 65. narozeninäm [FS zum 65. Geburtstag von Prof. JUDr. Karel Maly], hg. von Ladislav SOUKOP (1995) S. 59-67; Heinz THOMAS, Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer (1993); Jürgen MIETHKE, Wirkungen politischer Theorie auf die Praxis der Politik im Römischen Reich des 14. Jahrhunderts. Gelehrte Politikberatung am Hofe Ludwigs des Bayern, in: Political Thought and the Realities of Power in the Middle Ages. Politisches Denken und die Wirklichkeit der Macht im Mittelalter, hg. von Joseph CANNING / Otto Gerhard OEXLE (VMPIG 147, 1998) S. 173-210; Politische Schriften des Lupoid von Bebenburg, hg. von Jürgen MIETHKE / Christoph FLÜELER (MGH Staatsschriften 4, 2004).

| Jean-Marie Moeglin

nommen worden ist. Karl, dem es nicht gelungen war, den Bayern bei Lebzeiten zu erledigen, hat ihn danach um sein politisches Erbe gebracht, indem er mit der Goldenen Bulle von 1356 für immer derjenige geworden ist, dem es gelungen ist, dem Reich ein solides verfassungspolitisches Fundament zu geben, was sein Vorgänger nicht geschafft hatte. Wie es dazu gekommen ist, möchte ich hier erläutern.

I

Die beiden Hof- bzw. Ständetage von Frankfurt und Koblenz im August und September 1338 stellen sicherlich den Höhepunkt der Herrschaft Ludwigs des Bayern dar; mit 31 bzw. 39 gesicherten aktiven Teilnehmern waren sie mit Abstand die am besten besuchten Hoftage des Bayern.4 Ludwig hat dort die uns beschäftigenden beiden Gesetze verkündet, und er hat sich um ihre Bekanntmachung und Verbreitung eifrig gekümmert,5 das heißt, er hat über das unmittelbare politische Ziel der Gesetze hinaus für seine Profilierung als gesetzgebender Kaiser nach dem Vorbild der römischen Kaiser gesorgt. Wir wissen nämlich dass die beiden Gesetze nicht nur während des Frankfurter Hoftags am 6. August 1338 verkündet, sondern auch an den Türen der Deutschordenskapelle und von St. Bartholomäus sieben Tage lang angeschlagen wurden. Die Wirkung der Verkündung der Gesetze wurde durch die Versendung von Briefen bekräftigt, in denen der Kaiser unter Berufung auf das Mandat ,Fidem catholicam' die Wiederaufnahme des göttlichen Dienstes verordnete, so in einem Brief an den Landvogt von Schwaben vom 12. August 1338: Wir haben nu ze Frankenfurt vor den fursten, grafen, herren und der stet botten ... bewiset mit der hailigen schrift, das die processe und urtail, die habest Iohannes wider uns geben hat, kein kraft niht habent. Es ist zu vermuten, dass ein Exemplar von ,Fidem catholicam' den Briefen beigefugt war. Die beiden Gesetze wurden wiederum, folgt man dem Zeugnis des unter dem Namen Nicolaus Minorita bekannten Autors, am 2. bzw. 3. Sep-

4

D a z u T h o m a s M i c h a e l MARTIN, A u f d e m W e g z u m R e i c h s t a g . 1 3 1 4 - 1 4 1 0 ( 1 9 9 3 ) ; A l o i s

SCHMID, Die Hoftage Kaiser Ludwigs des Bayern, in: Deutscher Königshof, Hoflag und R e i c h s t a g i m späteren Mittelalter, h g . v o n Peter MORAW ( V U F 4 8 , 2 0 0 2 ) S. 4 1 7 ^ 4 9 . 5

6

Zum Problem der Verbreitung der offiziellen Dokumente und der Öffentlichkeit siehe Martin KAUFHOLD, Öffentlichkeit im Politischen Konflikt. Die Publikation der Kurialen Prozesse gegen Ludwig den Bayern in Salzburg, ZHF 22 (1995) S. 435-454. Jakob SCHWALM, Reise nach Italien im Herbst 1898, NA 25 (1900), S. 719-766, der Text S. 763-765 Nr. 16, das Zitat S. 763 f.; vgl. auch Reg.LdB 6 S. 69 f. Nr. 94 Anm. 1 und Nr. 95 (Briefe, in denen der Rat von Zürich den göttlichen Dienst wieder aufzunehmen befiehlt und jede Beachtung der päpstlichen Mandate verbietet).

Das Erbe Ludwigs des Bayern |

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tember beim Hoftag von Koblenz in Anwesenheit von fünf Kurfürsten sowie des englischen Königs Eduards III. publiziert.7 Die päpstliche Kurie wurde informiert; der Chorherr und Chronist Mathias von Neuenburg reiste wahrscheinlich noch im August im Auftrag des Straßburger Bischofs nach Avignon, um dem Papst die kurfürstlichen Erklärungen von Rhens und die kaiserlichen Gesetze von Frankfurt zu überbringen. Nach dem Hoftag von Koblenz überbrachte eine offizielle Botschaft des Kaisers an die päpstliche Kurie ebenfalls alle wichtigen Dokumente des Jahres, darunter die beiden Gesetze. Am 10. März 1340 verordnete der Kaiser schließlich in München die Bekanntmachung von ,Fidem catholicam' überall im Reich und forderte in seinem Begleitbrief alle auf, die Beweise und Belege seines guten Rechts zu verbreiten, sie von Gelehrten prüfen zu lassen, um ihnen so eine allgemeine Anerkennung zu verschaffen. 8 Von 1338 bis 1340 hatte also Ludwig viel getan, um die Rezeption seiner Gesetze abzusichern, gewiss mit einem deutlicheren Akzent auf dem politisch unmittelbarer wirksamen Mandat ,Fidem catholicam' als auf dem mehr verfassungspolitisch wichtigen Reichsgesetz ,Licet iuris'. Inwiefern die Zeitgenossen Ludwigs und ihre mittelalterlichen Nachfahren sein Bild als gesetzgebender Kaiser akzeptiert, rezipiert und weitervermittelt haben, ist die eigentliche Frage dieses Vortrags. In der Chronistik wurde der Bedeutung der Hoftage von 1338 durchaus Rechnung getragen. Sie sind zwar nicht genau differenziert, dafür immerhin relativ häufig erwähnt. Eine Zusammenstellung der historiografisch bedeutenderen Texte ergibt eine Zahl von 14 Autoren, die bis 1370 geschrieben haben und die man als die eigentlichen Berichterstatter der Taten des Kaisers betrachten kann; ich rechne Nicolaus Minorita nicht dazu, da er eigentlich mehr der Archivar der Münchener Minoriten als ein Chronist war. Es handelt sich um Johann von Winterthur,9 Heinrich Taube von Selbach,10 Heinrich von Diessenhofen,11 Mathias

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Karl ZEUMER, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz ,Licet iuris' vom 6. August 1338, N A 30 (1905) S. 85-112 und Nachtrag S. 485^187. Acta imperii selecta. Urkunden deutscher Könige und Kaiser 928-1398 mit einem Anhang von Reichssachen, bearb. von Johann Friedrich BÖHMER, hg. von Julius FICKER (1870, N D 1967) S. 534 f. Nr. 793. Die Chronik Johanns von Winterthur, in Verbindung mit C. B R U N hg. von Friedrich BAETHGEN (MGH SS rer. Germ. NS 3, 1924). Die Chronik Heinrichs Taube von Selbach, hg. von Harry BRESSLAU (MGH SS rer. Germ. N S 1, 1922). Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hg. aus dem Nachlasse Johann Friedrich BÖHMERS von Alfons H U B E R (Fontes rerum Germanicarum 4, 1868) S. 16-126.

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von Neuenburg, 12 den Kärntner Chronisten Johann von Viktring,13 den anonymen Verfasser der ,Chronica Sancti Petri Erfordensis', 14 den Straßburger Fritsche Klosener, den westfälischen Dominikaner Heinrich von Herford,16 Konrad von Halberstadt,17 die zwei bayerischen anonymen Verfasser der ,Chronica Ludowici im18

peratoris quarti' und der sogenannten ,Chronica de ducibus Bavariae', die zwei anonymen Autoren der sogenannten ersten19 und zweiten 20 bayerischen Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik (die erste Fortsetzung ist vermutlich in Straßburg geschrieben worden) und den anonymen Fortsetzer, vermutlich ein Schwabe, der ,Flores Temporum'. 21 Nur in vier von diesen Texten findet man überhaupt keine Erwähnung der Hof- oder Ständetage der Jahre 1338/39, jedenfalls in Beziehung auf ihren gesetzgebenden Inhalt; es handelt sich um Johann von Viktring, Fritsche Klosener, die , Chronica Ludowici imperatoris quarti' und die Fortsetzung der ,Flores Temporum'; die zweite Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik22 erwähnt die Hoftage von 1338 nicht, dafür aber den Frankfurter Tag von 1339 mit der allgemeinen Zustimmung, die dort dem Kaiser erteilt worden ist, und der Verkündung eines allgemeinen Landfriedens, 12

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Die Chronik des Mathias von Neuenburg, hg. von Adolf HOFMEISTER (MGH SS rer. Germ. NS 4, 1924-1940). Iohannis Abbatis Victoriensis Liber certarum historiarum, hg. von Fedor SCHNEIDER, 2 Bde. (MGH SS rer. Germ. 36, 1909 f.). Cronica S. Petri Erfordensis moderna, in: Monumenta Erphesfurtensia saec. XII. XIII. XIV., hg. von Oswald HOLDER-EGGER (MGH SS rer. Germ. 42, 1899) S. 117-398. Fritsche (Friedrich) Closeners Chronik 1362, in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg 1, hg. von Carl HEGEL (Die Chroniken der deutschen Städte 8, 1870; ND 1961) S. 1-151. Liber de rebus memorabilioribus sive Chronicon Henrici de Hervordia, hg. von August POTTHAST ( 1 8 5 9 ) .

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Konrad von Halberstadt O. P., Chronographia Interminata 1277-1355/59, hg. von Rainer LENG (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg / Eichstätt 23, 1996). Bayerische Chroniken des XIV. Jahrhunderts, hg. von Georg LEIDINGER (MGH SS rer. Germ. 19, 1918) S. 105-138 (,Chronica Ludowici imperatoris quarti') und S. 139-175 (,Chronica de ducibus Bavariae'). August BERNOULLI, Die Basler Handschrift der Repgauischen Chronik, ASG 4 (1882) S. 25-30 und S. 41-52; auch als Separatabdruck. Zweite bayerische Fortsetzung der Sächsischen Weltchronik, in: Sächsische Weltchronik, hg. von Ludwig WEILAND (MGH DC 2, 1877) S. 336-340. Fortsetzung der ,Flores Temporum' als Martinus Minorità, in: Corpus historicum medii aevi, hg. von Johann Georg von ECKHART (ECCARD), 2 Bde. (1723), hier 1 Sp. 1551-1640. Sächsische Weltchronik (wie Anm. 20) S. 339.

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der den Frieden überall gestiftet hat (und ward darnach der pest frid in allen Dautschen landen, der pei manigen zeiten ie gewest ist). Die ,Chronographia' des Konrads von Halberstadt dürfte nur eine Kopie der ,Chronica Sancti Petri' gewesen sein. Bleiben also acht Texte, in denen der Kaiser während der Tage von 1338 mit mehr oder weniger Nachdruck als Gesetzgeber in der Nachfolge von Augustus dargestellt wird. Am eindrucksvollsten geschieht das in der Chronik des Dominikaners Heinrich von Herford. 23 In seiner Darstellung legt er die beiden Tage von Frankfurt und Koblenz zusammen (sollempnem curiam). Er betont, dass zahlreiche Fürsten und Herren, aber auch Gelehrte am Tag teilgenommen haben; mit dem Rat und der Hilfe aller Anwesenden hat Ludwig mehrere der Kirche und dem Reich nützliche capitula zustande gebracht. Er hat ihnen auctoritatem, robur et vim legum gegeben, und zwar de plenitudine potestatis imperialis, dann coram hiis omnibus, eis etiam acclamantibus et aggaudentibus hat er sie feierlich und öffentlich verkündet, damit sie ab sofort für die Ewigkeit in Kraft gesetzt sein sollten (publice et sollempniter perpetuis temporibus observanda promulgavit). Heinrich von Herford ist also hier Berichterstatter und Memorialist der Inszenierung und des Rituals, die einem Gesetz seine Kraft eigentlich verleihen. Dann gibt er den Inhalt dieser kaiserlichen Gesetzgebung wieder. Was er schreibt, ist, wenn nicht der genaue Text der beiden Gesetze, so immerhin eine ziemlich genaue Zusammenfassung derselben. Zuerst referiert er über den sozusagen verfassungsrechtlichen Inhalt der Gesetze, das heißt über die Frage, wie man einen Kaiser wählen soll; es handelt sich also mehr oder weniger um den Inhalt von ,Licet iuris'. Hier erinnert er daran, dass der Kaiser darauf aufmerksam gemacht hat, dass es sich um in alle Ewigkeit praktizierte Gesetze handelte und dass er, wenn es daran etwas Falsches oder Verbesserungsbedürftiges gab, es berichtigt hat, bevor er ihnen die Kraft des Gesetzes gegeben hat (et si quid dubii vel defectus esset in hiis, supplere se dicit, et vim legum omnibus hiis superimposuit de plenitudine potestatis). Dann, schreibt Heinrich, hat der Kaiser von seinem katholischen Glauben öffentlich Rechenschaft gegeben. Dabei gibt Heinrich den genauen Text der unter dem Namen

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Heinrich von Herford (wie Anm. 16) S. 260. Zu Heinrich von Herford siehe Klaus Peter Heinrich von Herford. Enzyklopädische Gelehrsamkeit und universalhistorische Konzeption im Dienste dominikanischer Studienbedürfnisse (Veröff. der Historischen Kommission für Westfalen XLIV. Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte 4, 1996). Heinrich war offensichtlich ein gebildeter Jurist. Schon anlässlich der Doppelwahl von 1314 hatte er darauf aufmerksam gemacht, dass consuetudo enim regni a temporibus antiquissimis habita docet, ut dictum est, quod, qui quatuor voces habet, electionem habet perfectam (S. 231); außerdem berichtet er regelmäßig über die Verkündung der päpstlichen Constitutiones und deren Inhalt. SCHUMANN,

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, Subscripta videntur' bekannten Abhandlung wieder.24 Es handelt sich bei diesem Manifest um eine komprimierte Fassung des Weistums, mit dem beim Frankfurter Tag von 1339 die Kurfürsten die Edikte des Bayern bekräftigt hatten. Bei Heinrich von Herford findet man also eine eindrucksvolle Darstellung Ludwigs des Bayern als Gesetzgeber; sowohl die Inszenierung der Inkraftsetzung als auch der Inhalt dieser Gesetze sind genau dokumentiert. Dieser Bericht ist in seiner Ausführlichkeit und Schärfe sicherlich eine Ausnahme. Heinrich Taube von Selbach fasst alles relativ kurz, aber immerhin ziemlich präzise zusammen.25 Er verweist darauf, dass die Fürsten - angespielt wird auf den Kurverein von Rhens - daran erinnert haben, dass derjenige, der in regem Romanorum von der Mehrheit der Kurfürsten erwählt worden ist, ipso facto über die gleiche Macht in der Regierung des Reiches verfügt wie der gekrönte Kaiser (imperator coronatus). Diese diffinicio principum wurde, schreibt er, feierlich im Monat August in Frankfurt veröffentlicht. Die Fürsten haben darüber hinaus verfügt, dass jemand, wer es auch wäre, der den Kaiser noch für exkommuniziert halten würde oder das Interdikt beachten sollte, sofort als in den Bann des Reiches gesetzt zu betrachten wäre. In einem eigenhändigen Zusatz zur Handschrift beruft sich Heinrich Taube auf das sogenannte Braunschweiger Weistum von 1252 zur Wahl des Königs in der Fassung des Hostiensis in den Clementinen. Die legitime Inkraftsetzung der Gesetze Ludwigs 1338 sowie ihr Inhalt sind also knapp, aber deutlich von Heinrich Taube von Selbach ins Licht gerückt. Bei den anderen Autoren kommt hingegen der Inhalt, insbesondere der verfassungsrelevante Inhalt der Gesetze, eindeutig zu kurz. Der Akzent wird auf das Problem des päpstlichen Interdikts, auf die Rechtfertigung des Kaisers, so wie man sie im Mandat ,Fidem catholicam' zu lesen bekommt, gesetzt. So berichten Mathias von Neuenburg26 und Heinrich von Diessenhofen27 darüber, dass der Kaiser einen Hoftag bestellt hat und dort decretum quoddam (Mathias) oder quandam appologiam (Heinrich) hat anschlagen lassen, worin er die päpstlichen Verurteilungen als illegitim und kraftlos bezeichnet, weil die beiden Gewalten des Kaisers und des Papstes strikt getrennt und unabhängig voneinander sind, indem sie sich beide direkt auf Gott berufen können. Johann von Winterthur28 gibt eine eindrucksvolle Darstellung des Kaisers als Gesetzgeber ohne sich besonders für den Inhalt der Gesetzgebung zu interessieren. 24 25 26 27 28

Dazu SCHUMANN, Heinrich von Herford (wie vorige Anm.) S. 129 und S. 246. Heinrich Taube von Selbach (wie Anm. 10) S. 48 f. Mathias von Neuenburg (wie Anm. 12) S. 157 und S. 381. Heinrich von Diessenhofen (wie Anm. 11) S. 27 und S. 29 f. Johann von Winterthur (wie Anm. 9) S. 156-158.

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Auch bei ihm sind die beiden Tage von Frankfurt und Koblenz zusammengelegt. Er belegt ausfuhrlich die Art und Weise, wie das Gesetz zustande gekommen ist und verkündet wurde. Der Kaiser bekannte sich im Herrscherornat zum rechten Glauben in der Tradition seiner Vorgänger und befragte die Teilnehmer, was er noch tun solle und was sie von dem päpstlichen Interdikt hielten. Nachdem die Fürsten darüber beraten hatten, erklärten sie alle Prozesse des Papstes gegen den Kaiser für ungültig. Nun übernahm Ludwig die Rolle des gesetzgebenden Augustus, was von Johann von Winterthur mit einer Abwandlung des berühmten Zitats aus dem Anfang des Lukasevangeliums (Lk 2,1) belegt wird: Exiit ergo edictum a cesare augusto Ludwico, ut universa pars orbis sibi subiecta vel subicienda ... Vom Inhalt der Gesetzgebung des Kaisers wird aber von Johann einzig und allein das Verbot, das päpstliche Interdikt zu beachten, referiert. Auch beim sogenannten ersten bayerischen - in der Tat wohl Straßburger - Fortsetzer der Sächsischen Weltchronik29 wird berichtet, dass der Kaiser, nachdem er von den vom Papst für eine Absolution gestellten unannehmbaren Bedingungen erfahren hatte - der Papst wollte selbst den Kaiser ernennen - alle Fürsten, Herren und Reichsstädte berufen hat; er ist auf einen sehr hohen Thron gestiegen (uf ein hoch gestuolle), hat sich feierlich über die Forderungen des Papstes beklagt und von den Fürsten verlangt, ihm bei ihrem Eid zu sagen, wie er sich im Namen des Reichs dazu stellen sollte. Die Fürsten haben geurteilt, dass der Papst schlecht handele und man ihm nicht folgen müsse; das haben sie bei ihrem Eid festgelegt. Also ist der Kaiser noch höher auf seinen Thron gestiegen (do drat der keisser hocher uf das gestuelle), und er hat dies alles den Herren und den Städten erläutert; alle haben ihm einmütig laut zugestimmt und zugesichert, dass sie ihm nicht einmal folgen würden, wenn er auf die Idee kommen sollte, sich dem Willen des Papstes zu unterwerfen. Dann hat der Kaiser das Reich in Frieden regiert. Auch in diesem Bericht, wie bei Johann von Winterthur, schenkt der Chronist einzig und allein der Inszenierung der Macht des Kaisers als Gesetzgeber Aufmerksamkeit. Beim anonymen Autor der ,Chronica S. Petri Erfordernsis' 30 wird allein die Wiederherstellung der von der päpstlichen Anschuldigung, der Kaiser wäre ein Ketzer, bedrohten kaiserlichen Majestät betont. Der Chronist weiß nur, dass der Kaiser 1338 einen Tag nach Frankfurt berufen hat und dort in Anwesenheit der weltlichen und kirchlichen Großen des Reiches, die Worte gesprochen und die Riten vollzogen hat, die beweisen, dass er ein guter Christ (verum christicolam) ist und dass der Papst ihn zu Unrecht als einen Ketzer gebrandmarkt hat.

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BERNOULLI, Baseler Handschrift (wie Anm. 19) S. 11 f. des Separatabdrucks. Cronica S. Petri Erfordensis moderna (wie Anm. 14) S. 373.

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Der Autor der ,Chronica de ducibus Bavariae' 31 schließlich gibt eine Zusammenfassung der wichtigsten die Wahl des römischen Königs betreffenden Punkte, wie sie von zwei Minoriten, Franz von Ascoli und Wilhelm von Ockham, in einer gegen die päpstlichen Prozesse in Frankfurt verkündeten Appellation - also möglicherweise ,Fidem catholicam' - und dazu noch in einem besonderen Traktat formuliert worden seien. Die Tage von Frankfurt und Koblenz werden nicht explizit erwähnt, und man kann wohl nicht ohne Weiteres behaupten, dass die Figur des Kaisers als Gesetzgeber besonders hervorgehoben wird. Da aber die mittelalterliche Historiografie allgemein gesehen kein großes Interesse an solchen politischen Ereignissen wie Hof- und Ständetagen entwickelt hat,32 ist die Bilanz dieser Revue der Chronisten nicht als negativ zu bewerten; gewiss gilt ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr dem Inhalt, vor allem nicht dem verfassungspolitischen Inhalt der Gesetze. Wie es vor Kurzem formuliert wurde, waren die Hoftage für den König vor allem „ein wichtiges Medium der Inszenierung von Königsherrschaft",33 der Ort, wo er seine Majestät sichtbar machen konnte. In den Berichten der Chronisten ist es auch das, worauf am nachdrücklichsten aufmerksam gemacht wird: es geht insbesondere um die feierliche Wiederherstellung der kaiserlichen Majestät, der die päpstlichen Sanktionen und Anschuldigungen geschadet hatten und die möglicherweise auch unter dem gescheiterten Versuch des Kaisers gelitten hatte, sich anhand wenigstens formell weitgehender Zugeständnisse mit dem Papst zu versöhnen. Symbolträchtige Handlungen, wie sie von den Chronisten erzählt werden, dienen dazu, die makellose Katholizität Ludwigs zu unterstreichen und seine unantastbare kaiserliche Majestät unter Beweis zu stellen. Dass auf diesen Hof- und Ständetagen auch etwas Wichtiges in Bezug auf den verfassungsrechtlichen Inhalt der Gesetzgebung gemacht worden ist, war nicht das, was die Chronisten speziell ins Licht rücken wollten. Um im Spiegel der historiografischen Überlieferung den Erfolg von Ludwigs Anstrengungen, sich 1338 als gesetzgebender Kaiser in der Tradition des Augustus zu profilieren, besser beurteilen zu können, kann man sich auf zwei parallele Fälle von Hof- bzw. Ständetagen berufen: den Mainzer Reichstag 1235, auf dem Kaiser Friedrich II. den Reichslandfrieden verkündet hat, und natürlich den Reichstag von Nürnberg / Metz 1356. Dieser Vergleich fallt eindeutig zugunsten Ludwigs des Bayern aus.

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Chronica de ducibus Bavariae (wie Anm. 18) S. 164.

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D a z u MARTIN, W e g ( w i e A n m . 4 ) S. 3 1 7 - 3 2 5 .

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SCHMID, H o f t a g e ( w i e A n m . 4 ) S. 4 4 8 .

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Was Mainz 1235 betrifft, wird die kaiserliche Gesetzgebung Friedrichs II. einzig und allein 34 in den Annalen von St. Pantaleon von Köln 35 und in der Sächsischen Weltchronik 36 wenigstens kurz angesprochen. Der Tag selbst wird noch von ein paar anderen Chronisten erwähnt, 37 immerhin waren dort sowohl die Absetzung König Heinrichs als auch die Gründung des Herzogtums Braunschweig zugunsten des Weifen Otto entschieden bzw. verkündet worden. Glaubt man dem Bericht des Annalisten von St. Pantaleon, hatte der Kaiser befohlen, die Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag in allen Annalen vermerken zu lassen. 38 Der Erfolg dieser Empfehlung ist nicht gerade als durchschlagend zu bezeichnen. Was den Reichstag von Nürnberg / Metz und die Goldene Bulle Karls IV. betrifft, so klagte schon 1895 Max Jansen darüber, dass die besten Chronisten dieser Zeit die Verkündung der Bulle einfach ignoriert hätten.39 Ausführlich scheint sie tatsächlich 34

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Vgl. Andrea SOMMERLECHNER, Stupor mundi? Kaiser Friedrich II. und die mittelalterliche Geschichtsschreibung (1999) S. 165 und S. 172 f. Chronica regia Coloniensis, hg. von Georg WAITZ (MGH SS rer. Germ. 18, 1880) S. 267. Sächsische Weltchronik (wie Anm. 20) S. 250 f.: Doselves hadde de keiser enen groten hof to Megenze to sente Marien missen der eren, dar he cronen droch, unde waren de vorsten vii na alle unde andere herren vile. ...He sai oc to gerichte; dar ward gesät dat recht, swelic sone oppenbare sie weder sinen vader satte, dat he al sin recht vorloren hadde an sinen vader gude unde an sinem erve. Oc worden dar andere recht gesät. Vgl. Braunschweigische Reimchronik, in: Sächsische Weltchronik (wie Anm. 20) S. 553; Annales Marbacenses qui dicuntur, hg. von Hermann BLOCH (MGH SS rer. Germ. 9, 1907) S. 97: Igitur adveniente festo assumptionis convenerunt prineipes ex diversis partibus Theutonie apud Moguntiam usque ad XII milia militum, ubi imperator in octava assumptionis coronatus incessit, Annales Erphordenses fratrum Praedicatorum, in: Monumenta Erphesfurtensia (wie Anm. 14) S. 90: Eodem anno imperator sollemnem curiam circa assumptionem Mogontie celebravit, ibidem coronatus incedendo. Chronica regia Coloniensis (wie Anm. 35) S. 267: Curia celeberrima in assumptione beate Marie apud Maguntiam indicitur; ubi fere omnibus principibus regni Teutonici convenientibus, pax iuratur, vetera iura stabiliuntur, nova statuuntur et Teutonico sermone in membrana scripta omnibus publicantur; excessus regis contra imperatorem cunctis aperiuntur. Otto de Luninburch, nepos magni ducis Henrici, novus dux et princeps effìcitur; quem diem rogavit imperator omnibus annalibus asscribi, eo quod tunc Romanum auxisset imperium novum principem creando, consensu omnium principum accedente. Fuit autem dies illa vigilia Thimothei. In die Thimothei, scilicet in octava assumptionis, imperator diademate imperiali insignitus in ecclesia Magunciensi, fere omnibus principibus astantibus, debito honore refulsit; post missarum sollempnia invitans principes omnes et omnem comitatum eorum ad festivas epulas, que in loco campestri magnis sumptibus fuerant preparate. Max JANSEN, Eine chronikalische Erwähnung der Goldenen Bulle, HJb 16 (1895) S. 587589: „Im 14. Jahrhundert war die Teilnahme des deutschen Volkes an den großen Ange-

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nur in der Chronik Levolds von Northof angesprochen gewesen zu sein; bei den meisten Chronisten findet man bestenfalls eine manchmal lange Erwähnung der beiden Reichstage (so bei Heinrich Taube von Selbach oder in der sogenannten Kölner Weltchronik), aber ohne Angabe der Goldenen Bulle und ihres Inhaltes. Dennoch hatte ein Fortsetzer des Mathias von Neuenburg zum Metzer Tag geschrieben, dass dieser die feierlichste curia gewesen wäre, die je ein Kaiser gehalten hatte {et alie plures sollempnitates fiebant ibi, de quibus longum esset scribere. Erat enim sollempnior curia, quam de aliquo imperatore scribitur temporibus retroactis multis).40 Die Frankfurter und Koblenzer Tage Ludwigs des Bayern im Jahre 1338 machen also in dieser Hinsicht eine bessere Figur als die entsprechenden Hoftage Friedrichs II. und Karls IV. Allerdings ist es klar, dass die Historiografie nicht imstande war, Ludwig oder seinen Vorgänger Friedrich bzw. seinen Nachfolger Karl in der Sicht der späteren Zeit als gesetzgebenden Kaiser in der Nachfolge des Augustus erscheinen zu lassen. Sucht man übrigens die Spuren, die die bedeutenden Tage von 1338 bei den späteren Chronisten gelassen haben, muss man feststellen, dass sie äußerst dünn sind. Allgemein gesehen ist die historiografische Rezeption Ludwigs des Bayern bis zum Ende des Mittelalters als arm zu bezeichnen. 41 Die grundlegenden, noch zur Zeit Ludwigs geschriebenen Chroniken sind später meistens nicht oder kaum abgeschrieben bzw. gelesen worden. Wenn sie weitergewirkt haben, dann meistens nur in ihrer begrenzten Ursprungsregion (die ,Chronica S. Petri' in Thüringen, die ,Chronica de ducibus Bavarie' in Bayern usw.). Das historiografische Bild des Kaisers im Spätmittelalter ist dementsprechend stark regionalisiert; es stützt sich bestenfalls auf eine in der eigenen Region zur Zeit Ludwigs geschriebene Chronik oder am häufigsten auf die wenigen lokalen, oft mündlichen und teilweise legendären Erinnerungen an die Wirkung des Kaisers am Ort selbst. Es gibt allein zwei Chroniken, die eine wirklich supraregionale Verbreitung erlebt haben und so möglicherweise das historiografische Bild des Kaisers wirklich zu prägen vermochten. Es handelt sich um die relativ späte straßburgische Papst- und Kaiserchronik des Jakob Twinger von Königshofen sowie in einem kleineren Maß um die Chronik des Heinrich von Herford.

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legenheiten des Gesamtvaterlandes nur gering. So wurde die Publikation der Goldenen Bulle, dieses wichtigsten mittelalterlichen Grundgesetzes, von den besten Chronisten jener Zeit gar nicht erwähnt." Mathias von Neuenburg (wie Anm. 12) S. 486. Zum folgenden siehe Jean-Marie MOEGLIN, Das Bild Ludwigs des Bayern in der deutschen Geschichtsschreibung des Spätmittelalters (ca. 1370-ca. 1500) in: Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 2) S. 199-260.

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Dies alles stellte keine günstigen Bedingungen dar für eine Rezeption des Bildes vom Kaiser als Gesetzgeber sowie für die Weitervermittlung des Inhalts der auf den Tagen von 1338 verkündeten Gesetze. Tatsächlich sind die in dieser Hinsicht wichtigen Berichte - Johann von Winterthur, Heinrich Taube von Selbach oder Heinrich von Diessenhofen - während des ganzen Spätmittelalters so gut wie nicht rezipiert worden; der aus der Feder des Mathias von Neuenburg stammende Bericht hätte mehr Glück haben können; seine Chronik wurde nämlich bis zu ihrem Druck durch Johannes Cuspinianus (f 1529) in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwar fast völlig vergessen; allerdings war sie von seinem Landsmann Jakob Twinger von Königshofen in Straßburg teilweise abgeschrieben worden. Es fiel aber Jakob Twinger schwer, den diffusen und chronologisch schlecht geordneten Bericht des Mathias von Neuenburg zu benutzen; er hielt sich also lieber an das klare chronologische Gerüst seines anderen Landmanns und Vorgängers Fritsche Klosener und begnügte sich damit, einige Stücke aus der Chronik des Mathias in seine Darstellung der Herrschaft Ludwigs des Bayern einzuschieben. Die Erwähnung der Hof- bzw. Ständetage von 1338 gehörte nicht dazu. Der ziemlich konturenlose Bericht der ,Chronica S. Petri Erfordensis' hat Eingang in einen Teil der spätmittelalterlichen thüringischen Geschichtsschreibung gefunden, so bei Johannes Rothe im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts. In Bayern hatte Andreas von Regensburg in den 1420er-Jahren den Bericht der ,Chronica de ducibus Bavarie' in seiner Papst- und Kaiserchronik wörtlich abgeschrieben,42 nicht aber in seiner Chronik der Herzöge von Bayern. Übernommen wurde der infrage kommende Bericht in die bayerische Geschichtsschreibung einzig von Veit Arnpeck am Ende des 15. Jahrhunderts. In der augsburgischen Historiografie, die Mitte des 15. Jahrhunderts anfängt, wusste man zum Jahre 1338 nur von einer katastrophalen Heuschreckenplage zu berichten (so bei Erhard Wahraus);43 andere Quellen hatte man sowieso nicht zur Verfügung. In Nürnberg hat die Universalchronik von Plattenberger und Truchsess die nicht sehr weit von Nürnberg geschriebene Chronik des Heinrich Taube von Selbach zwar weitgehend abgeschrieben, aber eben nicht den Bericht über die Tage von 1338. Für eine Weiterwirkung des Bildes Ludwigs als Gesetzgeber blieb also nur die Chronik des Heinrich von Herford übrig; deren Verbreitung hält sich zwar in Grenzen, aber immerhin hat sie von dem Dominikaner-Netzwerk profitiert. Es haben bei Wei43

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Chronik des Erhard Wahraus 1126-1445, in: Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg 1, hg. von Friedrich FRENSDORFF (Die Chroniken der deutschen Städte 4, 1865; ND 1965) S. 199-241, hier S. 220: 1338 an sant Laurentzen tag komen die howschrickel von osteren und flogen gen westen und waren groß und ausser maussen vil. Und daurnauch geleich yber zechen jaur an sant Pauls kör tag do kom ein erdpidem; der was als groß, das er an etlichen Stötten perg undpurg umbkört und nyder vielen.

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tem nicht alle, die Heinrich von Herford benutzt haben, den betreffenden Bericht übernommen.44 Dennoch ist es der Fall bei zweien von ihnen: bei der Universalchronik des Mönches Albert, die den Text Heinrichs vollständig abgeschrieben hat,45 und vor allem bei der in Lübeck geschriebenen Chronik des Hermann Korner.46 In seinem Bericht findet man sogar einen eindrucksvollen Beleg für die Weiterwirkung des Bildes Kaiser Ludwigs als Gesetzgeber. Nachdem er in der zweiten Fassung seiner Chronik, Heinrich von Herford folgend, von den Entscheidungen der Hoftage von 1338 berichtet hatte, fiigte er hinzu: et notanter dico, Lodowicum regem amplius nominari debere Imperatorem, et hoc virtute Constitutionis quartae immediate supra tactae, et per curiam Regiam de consensu principum electorum et omnium aliorum spiritualium et secularium ibidem congregato ordinatae et promulgatae, que in ipso antea completa fuit, et jam ratificata et approbata per principes.47 Dies stand nicht in der ersten Fassung der Chronik, und dementsprechend hat Hermann Korner den dortigen Passus, wonach man nicht das Recht hatte, Ludwig Kaiser zu nennen, in seiner zweiten Fassung gestrichen. Hier wird dagegen Ludwig durchgehend imperator genannt und nicht, wie noch bei Heinrich von Herford, nur rex Romanorum. Hermann Korner hatte also selbst entschieden, dass bei allen Vorbehalten gegenüber dem schismatischen Kaiser das Reichsrecht beachtet werden sollte, das heißt, Ludwig war gemäß dem Gesetz ,Licet iuris' als Kaiser zu titulieren. Sieht man von Hermann Körner ab, bleibt als Fazit dieser Analyse die Tatsache, dass die Profilierung Ludwigs des Bayern als Gesetzgeber nicht entscheidend über die Historiografie zu erwirken war; nicht anders war es immerhin mit Friedrich II. und Karl IV. gegangen.

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So z. B. bei Gobelinus Person, Cosmidromius, in: Rerum Germanicarum 1, hg. von H e i n r i c h MEIBOM j u n . ( 1 6 8 8 ) S. 5 3 - 3 6 9 .

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Die Weltchronik des Mönchs Albert 1273/77-1454/56, hg. von Rolf SPRANDEL (MGH SS rer. Germ. NS 17, 1994) S. 247-249, was aber den Chronisten nicht daran hindert, einen bösartigen Kommentar hinzuzufügen: Sed conscienciam largam imperatoris circa ea, que fidei sunt, et bonos mores declarat sequens historia, mit dem er seine Schilderung der Tiroler Affare einleitet. Hermann Korner, Chronica, in: Corpus historicum medii aevi (wie Anm. 21) 2 Sp. 4 3 1 1344; Die Chronica Novella des Hermann Korner, hg. von Jakob SCHWALM (1895). Chronica novella (wie vorige Anm.) S. 250.

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II Als Gesetzgeber für die Nachwelt zu erscheinen, hing in der Tat entscheidend, wenn nicht ausschließlich, von der Rezeption der vom Kaiser verkündeten Gesetze selbst ab. Da aber ist Ludwig, jedenfalls im Vergleich mit seinem Vorgänger Friedrich II. und seinem Nachfolger Karl IV., deutlich gescheitert. Der Mainzer Landfrieden Friedrichs II. wurde nämlich in zahlreichen Handschriften überliefert; das Repertorium der deutschen Rechtsbücher des Mittelalters von Ulrich-Dieter Oppitz verzeichnet etwa 30 juristische Handschriften, in denen der Mainzer Landfrieden zu finden ist. Die Goldene Bulle Karls IV. hat bekanntlich einen noch breiteren Erfolg gehabt; den gut 50 Handschriften im Repertorium von Oppitz lassen sich zahlreiche weitere hinzufügen. 48 Mit den beiden Gesetzen ,Licet iuris' und ,Fidem catholicam' Ludwigs des Bayern steht es aber ganz anders. Was ,Licet iuris' betrifft, so ist das Problem ziemlich schnell behandelt. 49 Das Gesetz wurde nur vom italienischen Juristen Alberigo da Rosate ( t 1354) in seinem Kommentar zum , Codex Iustinianus' sowie in der sogenannten Chronik des Nicolaus Minorita rezipiert und wiedergegeben. Zu der Rezeption bei Alberigo da Rosate hat Alois Schütz vor kurzem überzeugend dargestellt, wie der Jurist aus Bergamo dazu kam, das Gesetz in seinen Kommentar des ,Codex' zu übernehmen. 50 Alberigo hatte selbst mitten in dem Bericht über eine Disputatio an der päpstlichen Kurie über die Notwendigkeit einer päpstlichen Approbation der Wahl des römischen Königs, der er beigewohnt hatte, auf das Gesetz angespielt {De hoc [das heißt, ob die päpstliche Approbation notwendig ist oder nicht] fuit magna concertatio tempore Ioannis XXII.

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Ulrich-Dieter OPPITZ, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, 4 Bde. ( 1 9 9 0 ) . Die Rezeption des Landfriedens begrenzt sich natürlich nicht darauf; schon in der Edition des Dokuments in MGH Const. 2 werden andere Handschriften angegeben. Zur handschriftlichen Verbreitung der Goldenen Bulle vgl. den Beitrag von Marie-Luise H E C K M A N N in diesem Band. Dazu ZEUMER, Königswahlgesetz (wie Anm. 7). Der Text von ,Licet iuris' ist mehrfach wieder abgedruckt, u. a. in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, bearb. von Karl ZEUMER ( 2 1913) S. 184 Nr. 142; Quellen zur Verfassungsgeschichte des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250-1500), ausgew. und übers, von Lorenz WEINRICH (AusgQ A 33, 1983) S . 290-293 Nr. 89. Siehe auch die Bemerkungen von Hermann KRAUSE, Kaiserrecht und Rezeption (AAH 1952/1) S. 63, und Heinz LIEBERICH, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, ZRGGermAbt 76 (1959) S. 173-245, hier S. 173 f. Alois SCHÜTZ, Die Verhandlungen Ludwigs des Bayern mit Benedikt XII. Ein Beitrag zum päpstlichen Anspruch auf Approbation des Römischen Königs 1335-1337, in: FS Ziegler (wie Anm. 1) S. 253-315, hier S. 306 ff.

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et successoris sui Benedirti duodecimi inter eos et dominum Ludovicum de Bavaria electum in imperatorem, et me existente tunc in Romana curia audivi magnos prelatos et etiam laicos in utroque iure peritos in hanc opinionem inclinare tanquam veriorem, et super hoc idem dominus Lodovicus fecit legem, que sequitur: Licet iuris ...). Alberigo ist zu verschiedenen Malen Botschafter der Visconti an der päpstlichen Kurie gewesen. Die angesprochene Auseinandersetzung an der Kurie wird wohl die Disputatio gewesen sein, die 1335 stattfand, als eine vom Mainzer Erzbischof geleitete Botschaft an der Kurie verhandelte, in einer Zeit, als Alberigo auch zum ersten Mal da war, also in den letzten Tagen des September oder in den ersten Tagen des Oktober. Später wird Alberigo bei einem anderen Besuch an der Kurie die Dokumente, die der Kaiser 1338 hatte überbringen lassen, zur Hand gehabt haben. Alberigo selbst entscheidet sich, was das Problem der päpstlichen Approbation betrifft, anders als sein Lehrer Oldrado da Ponte für den dualistischen Standpunkt, das heißt, er geht davon aus, dass der in imperatorem gewählte Herrscher keine päpstliche Approbation braucht, um das Reich zu regieren, wie es eben durch das Gesetz ,Licet iuris' festgelegt ist. Über die handschriftliche Verbreitung des Kommentars des Alberigo weiß ich nicht viel zu sagen; immerhin spricht wenig dafür, dass er in Deutschland, jedenfalls vor dem Mailänder Druck von 1492,51 bekannt geworden sei. Was die Chronik des sogenannten Nicolaus Minorità betrifft, so handelt es sich um das Werk eines Münchener Minoriten (möglicherweise ein gewisser Nikolaus von Freising), der seit den 1340er-Jahren eine Art legitimierende Aktensammlung im Dienst der anlässlich des Problems der freiwilligen Armut in heftigen Streit mit dem 52

Papsttum geratenen Minoriten kompilierte. Das Gesetz ,Licet iuris' steht kurz vor dem Ende der Chronik innerhalb der Sammlung der Dokumente des Jahres 1338, die das Recht des Kaisers und die Ungültigkeit der gegen ihn gerichteten Sentenzen beweisen und erläutern sollen, Dokumente, die an den Papst nach Avignon weitervermittelt wurden. Die Verbreitung der Chronik des Nicolaus Minorità ist aber zum einen begrenzt, zum anderen scheint sie bald außerhalb von Deutschland stattgefunden zu haben. Die zwei vollständigen Handschriften, übrigens die ältesten Handschriften, die ,Licet iuris' enthalten, sind entweder Vorlage und Kopie (so die Meinung der Herausgeber) oder wurden von einer gemeinsamen Vorlage abgeschrieben. Es handelt sich jedenfalls um Pariser Handschriften vom Ende des 14. bzw. Anfang

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Gesamtkatalog der Wiegendrucke 1 (1925, 2 1968) Sp. 237 ff. Die Chronik wurde herausgegeben von Gedeon GAL / David FLOOD, Nicolaus Minorita. Chronica. Documentation on Pope John XXII, Michael von Cesena and the Poverty of Christ. With Summaries in English. A Source Book (1996).

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des 15. Jahrhunderts,53 ihre Entstehung entspricht wohl dem damaligen französischen Interesse für die Beziehungen zwischen den beiden Schwertern, zuerst im Kontext der Redaktion des ,Somnium Viridarii' / , Songe du Vergier', in dem Ockham benutzt wurde, und dann im Kontext der Debatten um die Lösung des großen Schismas (vgl. z. B. die Handschrift Bibliothèque Mazarine 3522 des ,Somnium', die drei Traktate Ockhams enthält, sowie die Bibliothek des Simon von Plumetot54). Die eine dieser beiden Handschriften ist in Paris geblieben (jetzt in der Bibliothèque Nationale de France), die andere ging anscheinend ziemlich früh nach Rom, da sie wohl mit einer Handschrift aus der Bibliothek des Papstes Eugen IV. zu identifizieren ist.55 Nun wurde auch aus der Chronik des Nicolaus Minorita ein Auszug aus ,Licet iuris' von Ockham in seinen gegen die Wahl Karls IV. geschriebenen Traktat übernommen. 56 Von diesem Traktat besitzen wir aber nur den Teil, zu dem Konrad von Megenberg ( t 1374) Zugang hatte (den ganzen Traktat konnte er nicht ausfindig machen) und den er an den Anfang seines eigenen dem Kaiser am 28. September 1354 gewidmeten ,Tractatus contra Wilhelmum Occam' setzte.57 Dieser Traktat des Konrad von Megenberg findet sich nur noch in drei vollständigen Handschriften. Eine davon (Eichstätt, Staats- und Seminarbibliothek, Codex 698 [früher 2° 269]) ist größtenteils in den Jahren 1410/20 in Regensburg geschrieben worden. Man findet in dieser Sammelhandschrift außer dem ,Tractatus' gegen Ockham auch den ebenfalls 1354 entstandenen ,Tractatus de translatione imperii' desselben Konrad von Megenberg, daneben eine ganze Serie von Dokumenten, die Ludwig den Bayern betreffen, darunter das Mandat ,Fidem catholicam' (fol. 484-488), sowie mehrere sich auf das Große Schisma und namentlich das Konzil von Pisa beziehende Texte.58 Die Handschrift muss also im Kontext der während der Konzilien über das Problem der Reform der Kirche geführten Debatte entstanden sein. Bekanntlich waren diese Konzilien der Anlass zur Wiederentdeckung früherer, mehr oder weniger 53

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Paris, BNF, ms. lat. 5154; Rom, BAV, Vat. lat. 4008; zu den Handschriften vgl. Nicolaus Minorita (wie vorige Anm.) S. 9; vgl. auch Hilary Seton OFFLER, Zum Verfasser der ,Allegaciones de potestate imperiali' (1338), DA 42 (1986) S. 555-619, speziell S. 564. Dazu Gilbert OUY, Les manuscrits de l'abbaye de Saint-Victor. Catalogue établi sur la base du répertoire de Claude de Grandrue (1999) S. 312-314. Hans-Jürgen BECKER, Zwei unbekannte kanonistische Schriften des Bonagratia von Bergamo in Cod. Vat. Lat. 4009, QFIAB 46 (1966) S. 219-276, hier S. 223 Anm. 23. Vgl. ZEUMER, Königswahlgesetz (wie Anm. 7) S. 87 ff. Vgl. Georg STEER, Konrad von Megenberg, in: Verf.-Lex. 2 5 (1985) Sp. 221-236, hier Sp. 225 f. Zu dieser Handschrift vgl. jetzt Karl Heinz KELLER, Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Eichstätt 3 (2004) S. 492-518.

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in Vergessenheit geratener Texte. Und so ist es wohl mit den beiden Traktaten Konrads von Megenberg und den dazu gehörenden Dokumenten bezüglich des Konflikts zwischen Ludwig dem Bayern und den Päpsten geschehen; dieser Teil der Sammlung könnte übrigens wohl auf Konrad von Megenberg selbst zurückzuführen sein. Eine zweite sich jetzt in Piacenza befindende Handschrift aus dem 15. Jahrhundert enthält in ihrem in Deutschland geschriebenen ersten Teil (fol. 1-240) eine Schriftensammlung, die der Sammlung der Eichstätter Handschrift ziemlich nahe steht;59 das Dossier über Ludwig den Bayern und die Päpste, das möglicherweise von Konrad von Megenberg selbst stammt, gehört dazu. Die letzte Handschrift (jetzt in Brno) stammt aus dem Ende des 14. bzw. Anfang des 15. Jahrhunderts und enthält nur Konrads Traktat.60 Alles in allem bleibt also festzustellen, dass die Verbreitung des Gesetzes ,Licet iuris' im 14. und 15. Jahrhundert sehr begrenzt gewesen sein muss, jedenfalls vor seinem Druck 1492 in dem Kommentar des Alberigo da Rosate. Allein die nicht sehr zahlreichen Besitzer einer Handschrift des ,Tractatus contra Wilhelmum Occam' Konrads von Megenberg konnten auf einen Teil des Gesetzes zurückgreifen. Die Diskrepanz zwischen der Verbreitung der Goldenen Bulle und der von ,Licet iuris' ist offensichtlich. Die Überlieferung des Mandates ,Fidem catholicam' wurde in dem 1970 erschienenen grundlegenden Aufsatz von Hans-Jürgen Becker so gut wie vollständig erfasst und kurz besprochen.61 Die Überlieferung ist hier eindeutig dichter als die von ,Licet iuris', was nicht erstaunen darf, da der Kaiser sich für die Bekanntmachung besonders im Reich eingesetzt hatte. Das Mandat gab nämlich zwar den Hauptinhalt von ,Licet iuris' wieder, sein eigentlicher Zweck war aber, die Ungültigkeit der päpstlichen Prozesse ausführlich zu beweisen, und daran hatte der Kaiser besonderes Interesse. Man kennt gegenwärtig elf mittelalterliche Handschriften von ,Fidem catholicam', was nicht unbedeutend ist und für eine relativ breite Nachwirkung des Mandates spricht. Bei näherer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass diese Verbreitung gewisse Interessentenkreise betrifft, bei denen allerdings das Interesse für das Mandat offensichtlich nicht prinzipiell dem verfassungsrechtlichen Inhalt galt.

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Vgl. Thomas KAEPPELI O P , Zur Überlieferung der Werke Konrads von Megenberg, in: FS Erich Kuphal (Veröff. des Kölnischen Geschichtsvereins 25, 1960) S. 175-182, speziell S. 179 f. Brno, Moravsky Zemsky Archiv, cod. G 11, 149 (348). Hans-Jürgen BECKER, Das Mandat „Fidem catholicam" Ludwigs des Bayern von 1338, DA 26 (1970) S. 454-512.

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,Fidem catholicam' ist zuerst in der von Rudolf Losse, dem langjährigen Mitarbeiter und Berater Erzbischof Balduins von Trier, als Arbeitsgrundlage hergestellten Aktensammlung zu finden.62 Zu einem ähnlichen Zweck wurde ,Fidem catholicam' in eine deutsche Handschrift (jetzt in Bremen) wahrscheinlich noch vor 1360 eingetragen, in der man auf eine eindrucksvolle Sammlung von Texten aus der Umgebung Ludwigs des Bayern (aber auch dem Traktat des Lupoid von Bebenburg) trifft; die Handschrift wurde möglicherweise noch von den Münchener Minoriten kompiliert.63 Zu erwähnen sind dann die beiden französischen Handschriften des Nicolaus Minorità, die auch ,Licet iuris' enthalten.64 Eine Handschrift aus der Vaticana stammt aus dem 14. Jahrhundert65 und enthält (fol. 2-106) das ,Compendium' (ein alphabetisches Register des ,Decretum' und der Dekretalen) des Pariser Dominikaners Nicolas de Ennezat (de Annesiaco), gefolgt von ,Fidem catholicam' (fol. 107r-110v) und von dem Traktat, den der Karmeliter Sybert von Beek (Sibert de Beka) im Auftrag Papst Johanns XXII. geschrieben hatte, um die Thesen des Marsilius von Padua zu widerlegen. Dann findet sich das Mandat in den beiden schon erwähnten Handschriften von Eichstätt und Piacenza in dem Dossier, das möglicherweise auf Konrad von Megenberg selbst zurückzuführen ist.66 Eine Handschrift (jetzt in der Bayerischen Staatsbibliothek München) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts war im Besitz des Augsburger Humanisten Sigismund Gossembrot ( | 1493), danach im Prämonstratenserstift Steingaden.67 Ihre Entstehung ist möglicherweise auf den Kampf zwischen dem Basler Konzil und dem Papst zurückzuführen; es handelt sich nämlich um eine Sammelhandschrift, die außer den bis zu Ludwig dem Bayern fortgesetzten , Flores Temporum' mehrere die Probleme der Kirche und die Stellung des Papstes innerhalb der Kirche betreffende Texte, darunter ein Dossier mit ,Fidem catholicam', zum Streit zwischen Ludwig dem Bayern und dem Papsttum (fol. 145-205) enthält. Ein jetzt in der Landesbibliothek Stuttgart aufbewahrter Codex ist eine Peutinger-Handschrifit von 1506, in der Konrad Peutinger (t 1547) verschiedene Diplome, Briefe und Chronikauszüge zur deutschen Geschichte selbst geschrieben hat oder hat schrei-

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Kassel, Murhardsche Bibliothek und LB, 2° Ms. iurid. 25; zur Handschrift siehe auch OFFLER, Verfasser (wie Anm. 53) S. 564-566. Bremen, StUB, lat. b 35, fol. 156r-159v; zum Codex vgl.: Marsile de Padoue, Oeuvres mineures, hg. und übers, von Colette JEUDY / Jeannine QUILLET (1979) S. 80-82. Paris, BNF, ms. lat. 5154; Rom, BAV, Vat. lat. 4008; vgl. Anm. 53. Rom, BAV, Vat. lat. 5709. Vgl. Anm. 58 f. München, BStB, clm 17833, fol. 175-178; zur Handschrift siehe Heike Johanna MLERAU / Antje SANDER-BERKE / Birgit STUDT, Studien zur Überlieferung der Flores Temporum (MGH Studien und Texte 14, 1996) S. 61; vgl. auch Reg.LdB 3 S. 173 Nr. 377.

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ben lassen.68 Eine weitere partielle Kopie des Mandats unter dem Titel ,Responsiones ad obiecta papae contra Romanum Imperium' (wie im Bremer Codex) findet sich in einer jetzt in Oxford aufbewahrten Handschrift, die am Ende des 15. Jahrhunderts (vor 1492) in Padua geschrieben wurde; die Handschrift enthält hauptsächlich drei Werke des Marsilius von Padua zu den Beziehungen zwischen dem Reich und dem Papsttum.69 Über eine letzte Handschrift bin ich nicht imstande, etwas Genaues zu 70

sagen. Man kann diese handschriftliche Überlieferung in verschiedene Gruppen einteilen. Eine erste Gruppe ist die der zwei direkt in Bezug zu den Ereignissen der Zeit stehenden Handschriften, der Losse-Handschrift in Kassel und der möglicherweise noch von den Münchener Minoriten kompilierten Bremer Handschrift. Ein Codex aus dem 14. Jahrhundert, jetzt in der Vaticana, war wahrscheinlich im Besitz eines dem päpstlichen Standpunkt zustimmenden Kanonisten. Eine andere Gruppe ist die der beiden französischen Handschriften des Nicolaus Minorita aus dem Ende des 14. bzw. dem Anfang des 15. Jahrhunderts, die im Kontext des Großen Schismas entstanden sind. Drei deutsche Handschriften des 15. Jahrhunderts (die Codices aus Eichstätt, Piacenza und München) dürften in eine Gruppe eingeordnet werden, in der ,Fidem catholicam' Teil eines Dossiers über die Reform der Kirche und über die Debatte zwischen dem Papst und dem Konzil war. Schließlich kommen die beiden ,humanistischen' Handschriften aus dem Ende des 15. bzw. dem Anfang des 16. Jahrhunderts dazu - die des Paduaners, der sich für seinen berühmten Landsmann Marsilius interessierte, und die Peutingers, in der zum ersten Mal das Interesse am Schicksal des Reichs wirklich den primären Anlass zur Übernahme von ,Fidem catholicam' gegeben hat. In breiterem Umfang als für ,Licet iuris' gibt es auch eine indirekte Überlieferung von ,Fidem catholicam', da das Mandat in andere Texte übernommen bzw. dort erläutert wurde. Hans-Jürgen Becker hat in seinem schon erwähnten Aufsatz diese Schriften aufgelistet. Nur zwei von ihnen sind aber bedeutendere Überlieferungen. Es handelt sich zuerst um die früher unter dem Namen ,Inferius describuntur alle-

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Stuttgart, WLB, Ms. hist. fol. 247, fol. 114r-121v; vgl. dazu Wilhelm von HEYD, Die historischen Handschriften der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart 1: Die Handschriften in Folio (1889 f.) S. 116; siehe auch Reg.LdB 1 S. 124 Nr. 291. Zur Goldenen Bulle in diesem Codex vgl. die Nr. 168 im Handschriftenkatalog des Beitrags von Marie-Luise HECKMANN in diesem Band. Oxford, Bodleian Library, Can. Mise. 188, fol. 70v-71v; vgl. Marsile de Padoue (wie Anm. 63) S. 6 1 - 6 3 und S. 118 f. Rom, Biblioteca Vallicelliana, cod. R 26, fol. 313v-317v.

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gaciones' 71 bekannte Schrift, die aber besser ,Allegaciones de potestate imperiali' zu nennen ist.72 Dieser wahrscheinlich hauptsächlich von Bonagratia von Bergamo und nur zum kleineren Teil von Ockham verfasste Traktat hat eine gewisse Verbreitung erlebt.73 Sieben Handschriften existieren noch, 74 unter ihnen vier, die uns schon begegnet sind: die Handschrift Rudolf Losses, die beiden Codices des Nicolaus Minorità und die Münchener Handschrift clm 17833, fol. 152v-174r. Hinzu kommt ein Codex der Vaticana (Pal. lat. 679), der zuerst verschiedene die Beziehungen zu den Griechen betreffende Texte enthält und dann die 1401 von dem Bischof von Verden vor dem Papst und der Kurie gehaltene Rede, um für die päpstliche Bestätigung König Ruprechts von der Pfalz zu werben. Eine Paraphrase der ,Allegationes' in der vatikanischen Handschrift Pal. lat. 606, ebenfalls 15. Jahrhundert, gehört zu einem Dossier über die Rechte des Reiches.75 In der letzten Handschrift aus Wien (cvp 4613, fol. 242r-263r), auch aus dem 15. Jahrhundert, findet man nur diesen Text. Der Traktat fand also einige Aufmerksamkeit, wenn es um die Beziehungen zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht ging. Die andere Schrift, die eine gewisse Verbreitung erfuhr, ist die schon erwähnte Schrift .Subscripta videntur',76 die die Hauptpunkte der Gesetze und vor allem von ,Fidem catholicam' zusammenfasst. Man findet diese Schrift in der Rudolf-LosseSammlung, aber auch, wie schon gesagt, bei Heinrich von Herford und von diesem abgeleitet bei Hermann Korner.77 Man sollte noch die Spuren verfolgen, die ,Fidem catholicam' in anderen Werken Ockhams hinterlassen hat, so in dem dritten Teil seines ,Dialogus de potestate imperiali et papali', zwischen 1338 und 1340 redigiert, dem ,Breviloquium de princi-

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Ediert von Richard SCHOLZ, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern (1327-1354) 2: Texte (1914) S. 417-431; zu den Handschriften dieses Traktats siehe Léon BAUDRY, Guillaume d'Occam, sa vie, ses oeuvres, ses idées sociales et politiques 1 (EPhM 39/1, 1949) S. 291. Zu dieser Schrift OFFLER, Verfasser (wie Anm. 53), sowie seine kritische Edition in: William Ockham, Opera Politica 4, hg. von Hilary Seton OFFLER (1997) S. 359-444. Die .Chronica de ducibus Bavariae' (wie Anm. 18), wahrscheinlich gegen 1372/73 von einem Oberaltaicher Mönch geschrieben, kennt diesen Traktat und gibt S. 164 f. einen Auszug aus ihm.

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OFFLER, V e r f a s s e r ( w i e A n m . 5 3 ) S. 5 6 4 .

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Vgl. Henry STEVENSON jun. / Giovanni Battista DE Rossi, Codices Palatini Latini 1 (Bibliothecae Apostolicae Vaticanae codices manu scripti 2/1, 1886) S. 211. Nova Alamanniae. Urkunden, Briefe und andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts, hg. von Edmund E. STENGEL, 2 Bde. (1921-1976), hier 1 S. 401—403 Nr. 584. Für die anderen Texte siehe BECKER, Mandat (wie Anm. 61) S. 483 ff.

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patu tyrannico' von 1341/42 und dem Traktat ,De imperatorum et pontificum potestate' von 1346/47 sowie in Konrad von Megenbergs Traktat ,De translatione Romani imperii' von 1354. Von diesen Werken besitzt man aber nur noch ein paar Handschriften (eine einzige vom ,Breviloquium', drei von ,De imperatorum et pontificum potestate', drei auch von Konrads ,De translatione Romani imperii'). Jürgen Miethke und Hilary Seton Offler haben schon mehrmals auf die begrenzte Verbreitung dieser Traktate aufmerksam gemacht. ,Fidem catholicam' hat also ganz bestimmt eine größere Verbreitung als ,Licet iuris' gehabt. Aber zum einen hält sich die Zahl der in Deutschland geschriebenen erhaltenen Handschriften in Grenzen, zum anderen ist dieses stärkere Interesse fast ausschließlich darauf zurückzufuhren, dass ,Fidem catholicam' einiges über das Verhältnis zwischen der geistlichen und der weltlichen Macht, über die Grenzen der päpstlichen Gewalt in der Zeit des Schismas und des Konziliarismus beizutragen hatte. Von einem verfassungspolitisch relevanten Interesse in Deutschland an ,Fidem catholicam' fehlt fast jede Spur. Erst seit der Übernahme des Mandattextes in die 1516 postum gedruckte Chronik des württembergischen Historikers Johannes Nauclerus ( t 1510) kann übrigens von einer echten Bekanntheit des Inhalts von ,Fidem catholicam' in Deutschland ausgegangen werden. Hinzufügen darf man noch - und das passt zu dem vorher Gesagten - dass weder Ludwig der Bayer noch seine Gesetze eine wirkliche Rolle in der Publizistik des 15. Jahrhunderts gespielt haben. Dietrich von Nieheim erwähnt ihn nur en passant und Nikolaus von Kues überhaupt nicht, obwohl er ein Kapitel seines Traktats ,De concordantia catholica' dem Problem quod rectum et iustum Imperium vim solam ex eorum electione absque papali confirmatione habet78 widmet und auf die Goldene Bulle Karls IV. hinweist. 79 Die Überlieferung der Goldenen Bulle ist in der Tat von einem ganz anderen Umfang. Warum dieser eklatante Unterschied? 80 Bei der als gering einzuschätzenden handschriftlichen Verbreitung der Gesetze Ludwigs steht natürlich die Tatsache im Hintergrund, dass es bekanntlich im Mittelalter überhaupt keinen Apparat gab, der die Bekanntmachung und vor allem die Aufbewahrung der

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De concordantia catholica, in: Nicolai de Cusa Opera omnia 14, hg. von Gerhard KALLEN (1964) S. 345-353 (Kap. III 4). Ebd. S. 425: Non insisto de illius conventus ordinatione ad longum dicendo, est enim quoad ordinem sedium electorum per piissimae memoriae Carolum quartum ac eins Auream Bullam provisum in Melensi conventu. Vgl. Jürgen MIETHKE, Die päpstliche Kurie des 14. Jahrhunderts und die „Goldene Bulle" Kaiser Karls IV. von 1356, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. FS Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim DAHLHAUS / Armin KOHNLE (AK Beih. 3 9 , 1 9 9 5 ) S. 4 3 7 — 4 5 0 .

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Reichsgesetzgebung geleistet bzw. gesichert hätte. Der Begriff,Reichsgesetz' war selbst nicht wirklich definiert, und es gab keinen eindeutig festgelegten Namen, um es zu bezeichnen.81 Die Erklärung greift aber in dem betreffenden Fall etwas zu kurz. Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass diese Gesetze auch vom Kaiser selbst als eng verbunden mit dem Kampf zwischen Kaiser und Papst betrachtet worden sind. Dass in ihnen auch unabhängig davon ein wichtiger verfassungsrechtlicher Kern stecken konnte, wurde nicht wirklich wahrgenommen, konnte wahrscheinlich auch nicht wahrgenommen werden. Weitergewirkt haben sie also nur, wenn überhaupt, als ein Beitrag zum Problem des Verhältnisses zwischen der weltlichen und der geistlichen Macht. Im 15. Jahrhundert war diese Debatte zwar noch aktuell, aber nur vor dem Hintergrund einer in der Sicht der Zeit viel wichtigeren Auseinandersetzung zwischen dem Konzil und dem Papst, wozu die Gesetze Ludwigs nicht gerade viel beizutragen hatten. Es könnte sein, dass später einige Leute gespürt haben, dass das Gesetz ,Licet iuris' Ludwigs des Bayern von gleichwertiger Bedeutung war wie die Goldene Bulle Karls IV. Davon zeugt die Art, wie ,Licet iuris' in einer in einem vor kurzem erschienenen Regestenheft zitierten Nürnberger Chronik aus dem 16. Jahrhundert erwähnt wird: Item Keyser Ludwig hielt auch in disem jähr einen reichstag zue Frankhfurth, darinnen er die gülden bull aufgericht wider deß pabst bann und gewalt, wie er rüemet, er habe keyser und könig macht zu setzen und zu entsetzen,82 Diese Anerkennung kam aber ziemlich spät. In einem lapidaren Satz seines vor einiger Zeit erschienenen Buches ,The Prince and the Law' hat Ken Pennington über die Nachwirkungen des heftigen Kampfes zwischen Ludwig dem Bayern und drei Päpsten auf folgende Weise geurteilt: „Although the conflict was the last major ,trial by invective' between the empire and the papacy during the Middle Ages, it did not have the same importance as earlier disputes for the history of the ius commune. No legislation arose from the controversy to memorialize it for fiiture generations of jurists."83 So ist es tatsächlich im Mittelalter mit der von uns jetzt als das wirkliche Erbe Ludwigs des Bayern angesehenen Tradition gewesen.

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Vgl. Peter JOHANEK, Methodisches zur Verbreitung und Bekanntmachung von Gesetzen im Spätmittelalter, in: Histoire comparée de l'administration (IV e -XVIH c siècles), hg. von Werner PARAVICINI / Karl Ferdinand WERNER (1980) S. 88-101. Vgl. Reg.LdB 7 S. 195 Nr. 455.

Kenneth PENNINGTON, The prince and the law. 1200-1600 (1993) S. 194 f.

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MICHAEL MENZEL

Feindliche Übernahme. Die ludovicianischen Züge der Goldenen Bulle

Überlegungen, ob Karl IV. sich in der Goldenen Bulle irgendwelcher Vorgaben seines verhassten Amtsvorgängers Ludwig des Bayern bedient habe, liegen auf den ersten Blick nicht nahe. Angesichts der Antipathie und der zur Schau gestellten Empörung über den Wittelsbacher ist nicht zu vermuten, dass Karl aus dessen Erbe Profit gezogen, es hier und da und ausgerechnet in der Goldenen Bulle auch nur angerührt habe. Sein öffentlicher Umgang mit allem, was an Ludwig erinnerte, deutet nicht auf rezeptive Beziehungen. Die damnatio memoriae, die mit der Tilgung aus Miniaturen Ludwigs Auftreten in der Geschichte zum Verschwinden bringen sollte,1 die abschätzige Bezeichnung als Fürst, „der sich Kaiser nannte",2 die eingangs der Autobiografle platzierte Warnung an die Nachkommen, sie sollten die Gemeinschaft und den Rat der Verderbten fliehen, was dann mit der Zurückweisung politischer Vorschläge und Angebote Ludwigs exemplifiziert wurde3 - überall ließ Karl

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Robert SUCKALE, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern (1993) S. 39, 41, 44, 46; vgl. auch S. 179 Anm. 146 die Entfernung des Wappens von einer Statue der Nürnberger Moritzkirche. MGH Const. 8 S. 312,26 f.: ... Ludowicus de Bavaria, qui se Romanorum imperatorem intitulaf, weitere Stellen im Index MGH Const. 8 S. 765 s. v. Ludovicus; Vita Karoli IV. imperatoris (Zivot cisare Karla IV.), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; ND 2004) S. 325-368, hier Kap. 8 S. 349A,30; Kap. 9 S. 351 f.; Kap. 14 S. 360-363: ... qui se gerebatpro imperatore-, siehe auch Kap. 4 S. 341A,5 ff. Vgl. Heinrich FRIEDJUNG, Kaiser Karl IV. und sein Antheil am geistigen Leben seiner Zeit (1876) S. 72. Vita Karoli IV. (wie vorige Anm.) Kap. 2 S. 338B,12: perversa consorcia atque consilia fugite, und Kap. 14 S. 360 f. die Miltenberger Szene, in der Karl die Einigung seines Vaters mit Ludwig ablehnte; dazu Heinz THOMAS, Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer (1993) S. 325 f. - Die Stelle Kap. 19 S. 367 f. stammt vom Fortsetzer und nicht von Karl selbst. Zur didaktischen Struktur des Textes Fidel RÄDLE, Karl IV. als lateinischer Autor, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand SEIBT (21978) S. 253-260, hier S. 254; Eva SCHLOTHEUBER, Die Autobiographie Karls IV. und die mittelalterlichen Vorstellungen vom Menschen am Scheideweg, HZ 281 (2005) S. 561-591, hier S. 564.

Feindliche Übernahme

seiner Aggression freien Lauf. Vermutungen, dass er gerade in der Goldenen Bulle ludovicianische Vorgaben aufgegriffen und die Anlehnung an den geschmähten Vorgänger gesucht habe, liegen da nicht auf der Hand. Die Rezeption lässt sich aber trotzdem konkret nachweisen und widerlegt die nach außen hin betonte Distanz. Im Kontext der Regelungen der Königswahl gibt es zwei markante Punkte, die Rede vom gewählten „König und künftigen Kaiser" und seiner Macht und die Beachtung des Mehrheitsprinzips bei der Wahl, wo sich bis in die Feinheiten der Wortwahl ludovicianische Prägungen niedergeschlagen haben.4 Die Diktion vom gewählten „König und künftigen Kaiser" samt der Spezifikation seiner Macht klingt zunächst problemloser, als sie ist. Die dahinter stehenden langen Traditionen und die noch längeren Nachwirkungen5 dieser berühmten Formulierung Karls sind in der Forschung breit behandelt worden. Dennoch lohnt es sich, speziell den ludovicianischen Schattenwurf auf die Lettern der Goldenen Bulle noch einmal genauer nachzuzeichnen. Die Sequenz vom gewählten rex Romanorum in imperatorem promovendus findet sich in überschaubarer Zahl und inhaltlich nicht weiter variierend verstreut über den Text. 6 An der wichtigsten dieser Stellen kommt die

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Vgl. Eugen HILLENBRAND, Die Autobiographie Karls IV., BDLG 114 (1978) S. 39-72, hier S. 50, und allgemein Barbara SCHMID, Schreiben für Status und Herrschaft. Deutsche Autobiographik in Spätmittelalter und früher Neuzeit (2006) S. 119-123. Vgl. Hans-Jürgen BECKER, Das Kaisertum Ludwigs des Bayern, in: Kaiser Ludwig der Bayer - Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, hg. von Hermann NEHLSEN / Hans Georg HERMANN (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 22, 2002) S. 119-138, hier S. 138. Dagegen Oscar HAHN, Ursprung und Bedeutung der Goldenen Bulle Karls IV. (Diss. Breslau 1902) S. 21. Seit dem 16. Jahrhundert beschränkten sich die deutschen Herrscher auf den Titel des gewählten Kaisers und gaben die Kaiserkrönung auf; vgl. Ernst SCHUBERT, König und Reich (VMPIG 63, 1979) S. 34; Karl-Friedrich KRIEGER, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 14, 1992) S. 7; Jürgen MIETHKE, Die päpstliche Kurie des 14. Jahrhunderts und die „Goldene Bulle" Kaiser Karls IV. von 1356, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. FS Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, h g . v o n J o a c h i m DAHLHAUS / A r m i n KOHNLE ( A K B e i h . 3 9 , 1995) S. 4 3 7 - 4 5 0 , h i e r

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S. 447; Jürgen MIETHKE, Der Kampf Ludwigs des Bayern mit Papst und avignonesischer Kurie in seiner Bedeutung für die deutsche Geschichte, in: Kaiser Ludwig der Bayer (wie vorige Anm.) S. 39-74, hier S. 67; BECKER, Kaisertum (wie vorige Anm.) S. 138. Erstmals Maximilian I. im Jahre 1508: Das teutsche Reichsarchiv 1/1, hg. von Johann C. LÜNIG (1711) S. 125 Nr. 56: erwählter römischer kaiser. MGH Const. 11 S. 564,17 ff.: ... quotienscumque et quandocumque futuris temporibus necessitas sive casus electionis regis Romanorum in imperatorem promovendi emerserit; die weiteren Stellen im Register S. 801 s. v. promovere sowie S. 610,4; Parallelformu-

Michae! Menzel

Machtausstattung ins Spiel. Es heißt dort, dem von den Fürsten Gewählten stehe es zu, die herrscherliche Administration in allen Angelegenheiten und in jeder Hinsicht virtute sacri imperii auszuüben.7 Das meiste daran ist alt und geht schon auf die über eineinhalb Jahrhunderte früher verfasste Dekretale ,Venerabilem' 8 Papst Innozenz' III. zurück, mit der dieser im Thronstreit zwischen Staufern und Weifen Stellung bezog. Innozenz schrieb im März 1202, er erkenne das Recht und die Macht der deutschen Fürsten an, den rex in imperatorem postmodum promovendus zu wählen, wobei er im gleichen Atemzug hinzusetzte, dass ihm die Prüfung dieses Gewählten und promovendus ad imperium zustehe, da er ihn salbe, weihe und kröne. 9 Der gewählte

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lierungen ebd. S. 574,3 f.: ... ad eligendum Romanorum regem futurum imperatorem; S. 574,6: ... rege Romanorum futuro cesare non electo; S. 576,1 f.: ... hominem iustum, bonum et utilem eligere valeant in regem Romanorum futurumque cesarem; S. 608,18 f.: in regem Romanorum, promovendum adsacrum imperium, eligendum; S. 628,1 f.: ... ut regis Romanorum futuri imperatoris in civitate Frankenfordie celebraretur electio; vgl. unten Anm. 39 und 45, ferner Erling L. PETERSEN, Studien zur goldenen Bulle von 1356, DA 22 (1966) S. 227-253, hier S. 243. MGH Const. 11 S. 578,1-8: ... quod is, qui modo premisso in regem fuerit Romanorum electus, peracta statim electione huiusmodi, priusquam in aliquibus causis aliis sive negociis virtute sacri imperii administret, universis et singulis principibus electoribus ecclesiasticis et secularibus, qui propinquiora sacri imperii membra esse noscuntur, omnia ipsorum privilegia, litteras, iura, libertates, concessiones, antiquas consuetudines et eciam dignitates et quitquid ipsi ab imperio usque in diem electionis sue obtinuerunt et possederunt, absque dilatione et contradictione confirmare et approbare debeat per suas litteras et sigilla; zur Fortsetzung des Satzes siehe unten Anm. 36. Vgl. Willy SCHEFFLER, Karl IV. und Innocenz VI. Beiträge zur Geschichte ihrer Beziehungen 1355— 1360 (Historische Studien 101, 1912) S. 95-101; PETERSEN, Studien (wie vorige Anm.) S. 250; Eckhard MÜLLER-MERTENS, Geschichtliche Würdigung der Goldenen Bulle, in: Die Goldene Bulle. Das Reichsgesetz Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356. Deutsche Übers, von Wolfgang D. FRITZ (1978) S. 9-24, hier S. 21. Regestum Innocentii III papae super negotio Romani imperii, hg. von Friedrich KEMPF (Miscellanea historiae pontificiae 12/21, 1947) S. 166 Nr. 62; Horst FUHRMANN, Zur Bulle Venerabilem, in: Historische Forschungen für Walter Schlesinger, hg. von Helmut BEUMANN (1974) S. 514-517. Regestum Innocentii (wie vorige Anm.) S. 168,4-169,2: Unde Ulis principibus ius et potestatem elegendi regem, in imperatorem postmodum promovendum, recognoscimus, ut debemus, ad quos de iure ac antiqua consuetudine noscitur pertinere ... Sed et principes recognoscere debent et utique recognoscunt ..., quod ius et auctoritas examinandi personam electam in regem et promovendam ad imperium ad nos spectat, qui eam inungimus, consecramus et coronamus. Emil ENGELMANN, Der Anspruch der Päpste auf Konfirmation und Approbation bei den deutschen Königswahlen (1077-1379) (1886) S. 31 f.; Karl G. HUGELMANN, Die deutsche Königswahl im corpus iuris canonici (Untersuchungen zur

Feindliche Ü b e r n a h m e |

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König war der Kandidat, der nach entsprechender Examination vom Papst zum Kaiser zu erheben war und das imperium erlangte. Karl IV. bediente sich in der Goldenen Bulle offensichtlich dieses Vokabulars. Die Formel vom rex Romanorum in imperatorem promovendus ist wörtlich übernommen, und dass dem von den Fürsten Gewählten die Ausübung der Administration virtute sacri imperii zustehe, rezipierte nahezu auch, was Innozenz III. über das imperium vorgab; nur dass es augenscheinlich nicht aus der Perspektive des Papstes, sondern aus der des Reiches formuliert war. Steckte hinter den scheinbar nur situativen syntaktischen Varianten aber nicht doch eine tiefer gehende historische Wandlung? Beim Vergleich der Dekretale ,Venerabilem' mit der Goldenen Bulle fallt zweierlei auf. Während Innozenz III. ganz konsistent beim gewählten „König und künftigen Kaiser" auch vom künftigen imperium sprach, zu dem der König nur durch die päpstliche Salbung, Weihe und Krönung gelange,10 fehlte dieser Zukunftsaspekt in der Goldenen Bulle. Hier wurde von der kaiserlichen Herrschaft nicht futurisch geredet und auch kein Wort darüber verloren, wer den König zum Kaiser mache. Der König herrschte schon virtute sacri imperii, und wie er vom promovendus zum imperator wurde, blieb offen. Das lag nicht an mangelnder Sprachlogik der Goldenen Bulle, nicht bei einem Autor wie Karl IV., sondern hinter diesen gedanklich nicht ganz geschlossenen Übergängen des Textes steckte ludovicianisches Erbe. Die scheinbaren Sprünge, die zwischen der innozentischen Vorgabe und der karolinischen Endformulierung deutlich werden, resultierten aus Friktionen der Ludwigszeit. Erst Ludwigs Schatten gab dem Ganzen eine gewachsene Kohärenz.

deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 98, 1909) S. 47 ff.; Wilhelm KÖLMEL, Regimen christianum (1970) S. 235; Dagmar UNVERHAU, Approbatio - Reprobatio. Studien zum päpstlichen Mitspracherecht bei Kaiserkrönung und Königswahl vom Investiturstreit bis zum ersten Prozeß Johanns XXII. gegen Ludwig IV. (Historische Studien 424, 1973) S. 248 f.; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 5) S. 31; DERS., Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (AAG III 267, 2005) S. 203; Ulrich SCHMIDT, A quo ergo habet, si a domno papa non habet imperium? Zu den Anfangen der „staufischen Kaiserwahlen", in: Von Schwaben bis Jerusalem, hg. von Ulrich SCHMIDT / Sönke LORENZ (Veröff. des Alemannischen Instituts 6 1 , 1 9 9 5 ) S. 6 1 - 8 8 ,

hier S. 63 f.; Alois SCHÜTZ, Die Verhandlungen Ludwigs des Bayern mit Benedikt XII. Ein Beitrag zum päpstlichen Anspruch auf Approbation des Römischen Königs 1335— 1337, in: Ludwig der Bayer als bayerischer Landesherr. Probleme und Stand der Forschung. FS Walter Ziegler (= ZBLG 60/1, 1997) S. 253-315, hier S. 261; MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 43 f. und S. 47. 10

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Vgl. dagegen Friedrich KEMPF, Papsttum und Kaisertum bei Innozenz III. (Miscellanea historiae pontificiae 19/58, 1957) S. 107-131.

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Bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts blieb das päpstliche Modell, so wie Innozenz es beschrieben hatte, im Wesentlichen unangefochten. 11 Nicht, dass es keine Auseinandersetzungen gegeben hätte, aber gestritten wurde bis zu Ludwigs Wahl 1314, abgesehen von Gelehrtenerwägungen,12 nicht um das entscheidende Segment des gewählten „Königs und künftigen Kaisers", der nach der Prüfung durch den Papst zum imperium kam. Sondern gestritten wurde von päpstlicher Seite um die Ausdehnung des Prüfungsrechtes schon auf die Königswahl, was unter dem Stichwort der Approbation Furore machte. Der Papst wollte bereits bei der Königswahl über die Eignung des Kandidaten mitreden, nicht erst bei der Kaisererhebung. Bis 1314 gab es ein aufwendiges Hin und Her in dieser Frage mit Höhepunkten bei Innozenz IV. und Wilhelm von Holland, Gregor X. und Rudolf von Habsburg sowie Bonifaz VIII. und Albrecht I.,13 ohne dass es zwischen den Päpsten, Königen und Wahlfiirsten zu

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Vgl. etwa Peter HERDE, Ein Pamphlet der päpstlichen Kurie gegen Kaiser Friedrich II. von 1245/46 (,Eger cui lenia'), DA 23 (1967) S. 468-538, hier S. 527: ... de imperatore Romano, qui per liberam Germanie principum electionem assumitur, in quos ius et potestas eligendi regem in imperatorem a nobis postmodum promovendum, sicut ipsi non abnuunt sedfatentur, ab apostolica sede pervenit. - In der Urkunde Urbans IV. für Richard von Cornwall vom August 1263 (MGH Const. 2 S. 522-531 Nr. 405) blieb trotz der Verkürzung Romani regis et imperatoris ... electio im Schlussteil des Textes (S. 529,6 f., 28 f.) kein Zweifel an der vorangestellten Formulierung electio novi regis Romanorum in imperatorem posteapromovendi (S. 525,17 f. und S. 526,13). Die Dekretale ,Venerabilem' gelangte in die offiziellen kirchenrechtlichen Sammlungen: Compilatio III 1,6,19, in: Quinque compilationes antiquae, hg. von Emil FRIEDBERG (1882, ND 1956) S. 107; Gregors IX. Liber Extra I 6,34, in: Corpus iuris canonici 2, hg. von Emil FRIEDBERG (1881, ND 2000) Sp. 79-82; vgl. allgemein Bemward CASTORPH, Die Ausbildung des römischen Königswahlrechtes. Studien zur Wirkungsgeschichte des Dekretale Venerabilem (1978). Siehe unten Anm. 27 f. Zur Vorgeschichte im 11. und 12. Jahrhundert vgl. ENGELMANN, A n s p r u c h ( w i e A n m . 9 ) S. 3 - 2 7 ; KEMPF, P a p s t t u m ( w i e A n m . 10) S. 9 1 - 1 0 1 ; UNVERHAU,

Approbatio (wie Anm. 9) S. 63-194; SCHMIDT, A quo ergo habet (wie Anm. 9). 13

M G H C o n s t . 2 S. 6 3 1 f. N r . 4 5 9 ; 3 S. 5 5 f. N r . 6 6 ; 4 / 1 S. 1 3 8 - 1 5 1 N r . 1 7 3 - 1 7 6 ; ENGEL-

MANN, Anspruch (wie Anm. 9) S. 50 f., 57-60, 64-76; Mario KRAMMER, Das Kurfursten-

kolleg von seinen Anfängen bis zum Zusammenschluß im Renser Kurverein des Jahres 1338 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 5/1, 1913) S. 139 ff.; Hans E. FEINE, Die Approbation der luxemburgischen Kaiser in ihren Rechtsformen an der Kurie, ZRGKanAbt 27 (1938) S. 364—397, h i e r S. 3 8 2 - 3 8 9 ; UNVERHAU, A p p r o b a t i o ( w i e A n m . 9 ) S. 2 9 7 - 3 2 2 ; J ü r g e n MIETHKE /

Arnold BÜHLER, Kaiser und Papst im Konflikt (Historisches Seminar 8, 1988) S. 36 ff.; Karl-Friedrich KRIEGER, Die Habsburger im Mittelalter (1994, 2 2004) S. 97 f.

Feindliche Übernahme

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einer dauerhaften Abklärung gekommen wäre. 14 Von königlicher Seite dagegen wurde darum gekämpft, die Königswahl möglichst untrennbar mit der folgenden Kaiserwürde zu verbinden. Der Aufstieg des Königs zum Kaiser sollte zwingend sein, weshalb etwa Heinrich VII. sich bei den Vorbereitungen zum Romzug schon Kaiser nennen ließ, um am Ergebnis nicht zweifeln zu lassen.15 Dennoch verhandelte er wie seine Vorgänger dann mit dem Papst und führte auch erst nach der Krönung den Kaisertitel. Die Grundkonstruktion, „König und künftiger Kaiser", der durch

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Nicht tangiert waren Differenzierungsversuche zwischen einem deutschen und einem römischen Königtum, gemeint war immer das römische als Vorstufe des Kaisertums, wie oben Anm. 6 f. zeigen. Vgl. SCHÜTZ, Verhandlungen (wie Anm. 9) S. 262 f.; Nova Alamanniae. Urkunden, Briefe und andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts, hg. von Edmund E. STENGEL, 2 Bde. (1921-1976), hier 1 S. 396,5-7: principibus predictis non est concessa potestas eligendi in speciali regem Alemanie sed solum regem Romanorum (in einer Denkschrift zur Königswahl von 1338 ebd. S. 390401 Nr. 583); SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 5) S. 231; allgemein Fritz KERN, Die Reichsgewalt des deutschen Königs nach dem Interregnum (Libelli 65, 1966), bes. S. 8-14, 22-26, 41 f. (Erstabdruck: HZ 106 (1911) S. 39-95). MGH Const. 4/1 S. 309-325 Nr. 362-378. Es handelte sich um Reichslegationen in Oberitalien. Ähnliche Formulierungen gab es schon 1275 von Rudolfs Gesandten in Italien: MGH Const. 3 S. 561-564 Nr. 601 f., hier S. 562,8 f., 15, 17, 21 und S. 563,27, 42, 46: Rodulfi Romanorum regis electi in imperatorem u. ä.; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 5) S. 30. Vgl. die früheren Stellen MGH Const. 2 S. 54 f. Nr. 43 f., hier S. 54,8 und S. 55,28, wo lediglich zur Distanzierung von anderen Königen vom imperator electus die Rede war, oder in der Wahlanzeige Philipps von Schwaben, Regestum Innocentii (wie Anm. 8) S. 33 ff. Nr. 14, hier S. 35,15 f. (mit Anm. 29), wo mit in imperaturam ... eligimus nicht das Kaisertum gemeint war. - Terminologische Inkonsequenzen wie in der Anm. 11 zitierten Urkunde Urbans IV. gab es innerhalb anderer kurialer Texte: Regestum Innocentii (wie Anm. 8) S. 74 ff. Nr. 29, hier S. 88,26: imperatoris electio (1200/1201); S. 145 ff. Nr. 55, hier S. 146,14 f.: ... regem Ottonem, in Romanorum imperatorem electum et a te [Coloniensi archiepiscopo] coronatum in regem (1201); MGH Const. 2 S. 520 f. Nr. 403, hier S. 521,13 f.: Conradus puer in regem vel imperatorem eligatur (1262); S. 500-504 Nr. 397, hier S. 504,29: ... quod nullus in imperatorem possit vel debeat eligi vel promoveri (1267); ebenso in fürstlichen Schreiben: MGH Const. 2 S. 621 f. Nr. 451, hier S. 621,29 f.: F. Romanorum imperatorem electum in vigilia beati Nicolai apud Frankenvort in dominum et regem Romanorum uniformiter elegimus (1212); S. 635 f. Nr. 463, hier S. 636,24 f.: in eleccione Romanorum imperatoris Alemanie regis (1261); oder im Sachsenspiegel. Landrecht, hg. von Karl August ECKHARDT (MGH Fontes iuris NS 1/1, 1955) III 57 § 2 S. 243: in des keiseres kore. - Rechtlich irrelevant waren die Wahlen Alfons' von Kastilien in Romanorum regem et in imperatorem Romani imperii durch Pisa und Marseille von 1256: MGH Const. 2 S. 490-499 Nr. 392-395, hier S. 491,29, 42; 493,9 f.; 494,24; 495,39 f.; 497,15 f.; 498,27-30.

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den Papst zum kaiserlichen imperium kam, blieb sowohl von der umstrittenen päpstlichen Königsapprobation als auch von der als kaiserlich interpretierten Königswahl an sich unberührt und unbestritten.16 Mit der Doppelwahl von 1314, die Ludwig den Bayern und Friedrich den Schönen als Gegenkönige auf den Thron brachte, kam dann die entscheidende Neuerung ins Spiel. Die Kurie nutzte die Situation, um nicht nur die Lösung der Approbationsfrage noch einmal zu forcieren, sondern um auch den neuen Aspekt des Reichsvikariats damit zu verknüpfen.17 Durch das Dasein zweier unapprobierter Könige sei das imperium mangels eines wirklichen Kandidaten für das Kaisertum auf unabsehbare Zeit vakant,18 zumal Ludwig und Friedrich bewusst ohne Approbation blieben. 19 Aus der 16

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Vgl. die Belegstellen des Jahres 1314: MGH Const. 5 S. 23,19 f., 24 f.; 40,4 f.; 45,6; 46,17; 86,5, 17 f.; 89,20 f., 27; 90,1, 7, 11 f., 35 f., 43 f.; 91,3 f., 30 f., 35 f.; 92,1-4, 12 f., 31 f., 35, 40 f., 43 f.; 93,14 f., 19; 94,13 f., 30; 101,35 ff.; 102,32 ff.; 111,39 f.; 116,12 ff.; 118,31 f.; 119,18 ff.; 120,4 ff.; weitere Belege unten Anm. 40; vgl. KERN, Reichsgewalt (wie Anm. 14) S. 46 f. Zur Vorgeschichte des Vikariatsanspruches vgl. KRAMMER, Kurfürstenkolleg (wie Anm. 13) S. 139 f.; Friedrich BAETHGEN, Der Anspruch des Papsttums auf das Reichsvikariat, in: DERS., Mediaevalia, 2 Bde. (MGH Schriften 17, 1960), hier 1 S. 110-185, bes. S. 110-168 (Erstabdruck: ZRGKanAbt 10 (1920) S. 168-268); Ludwig BUISSON, Potestas und Caritas. Die päpstliche Gewalt im Spätmittelalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 2, 1958; 21982) S. 65; UNVERHAU, Approbatio (wie Anm. 9) S. 336-346. Extrauagantes Iohannis XXII, hg. von Jacqueline TARRANT (MIC B 6, 1983) S. 156,9162,86; Otto HARNACK, Das Kurfürstencollegium bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts (1883) S. 130 f.; ENGELMANN, Anspruch (wie Anm. 9) S. 90; Albert WERMINGHOFF,

Zum fünften Kapitel der Goldenen Bulle von 1356, ZRGGermAbt 36 (1915) S. 275-290; BAETHGEN, Anspruch (wie vorige Anm.) S. 169 f.; UNVERHAU, Approbatio (wie Anm. 9) S. 3 2 ; Jürgen MlETHKE, Kaiser und Papst im Spätmittelalter, ZHF 10 ( 1 9 8 3 ) S. 4 2 1 ^ 4 6 , hier S. 433 f.; DERS., Kampf (wie Anm. 5) S. 54 f f ; KRIEGER, König (wie Anm. 5) S. 6; Marie-Luise HECKMANN, Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher. Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert, 2 Bde. (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 9, 2002) S. 431 und S. 438-442; Michael MENZEL, Ludwig der Bayer. Der letzte Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum, in: Die Herrscher Bayerns, hg. von Alois SCHMID / Katharina WEIGAND ( 2 0 0 1 , 2 2 0 0 6 ) S. 1 0 6 - 1 1 7 , h i e r S. 109. 19

Ludwig hatte auch nicht darum bitten lassen, Friedrich schon: MGH Const. 5 S. 91,1-9; 9 3 , 2 4 - 2 8 ; 1 0 3 , 7 - 1 7 . V g l . KRAMMER, K u r f ü r s t e n k o l l e g ( w i e A n m . 13) S. 2 5 5 f.; U N -

VERHAU, Approbatio (wie Anm. 9) S. 27; SCHÜTZ, Verhandlungen (wie Anm. 9) S. 264;

Jürgen MLETHKE, Die „Wahldekrete" bei der Wahl eines rex Romanorum im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. FS Peter Moraw, hg. von Paul-Joachim HEINIG / Sigrid JAHNS / Hans-Joachim SCHMIDT /

Feindliche Übernahme |

Sicht der Kurie stand es in einer solchen Situation dem Papst zu, das Reichsvikariat auszuüben, was konkret die kuriale Herrschaft zumindest über Oberitalien bedeuten sollte. Jetzt war sehr wohl das Modell der Dekretale ,Venerabilem' berührt. 20 Nicht nur der Aufstieg eines bestimmten Königs zum Kaiser wäre zu verhindern, was bislang nach der Dekretale auch möglich war, indem das Kaisertum eben unbesetzt blieb. Sondern mit der Selbstzuschreibung des Reichsvikariats bei einer Vakanz, die der Papst durch die Verweigerung der Approbation selbst steuern konnte, wäre die Kaiserherrschaft ständig im Vorfeld zu verhindern zugunsten einer Vikariatsherrschaft des Papstes. Der frühere Automatismus, dass der von den deutschen Fürsten zum König Gewählte nach der Prüfung durch den Papst zum Kaisertum gelangen konnte, wäre verschoben zu einer kaiserlichen Machtausübung durch den Papst selbst. Er konnte die imperiale Herrschaft nach der Approbation des Königs gewähren, sie aber im Prinzip auch für sich behalten, wenn er den Gewählten nicht approbierte und sich damit nicht unter Zugzwang setzte, ihn zu krönen. Der König wäre nicht mehr der einschlägige Kandidat für das künftige Kaisertum, die imperiale Herrschaftsausübung nicht unbedingt an ihn gebunden. Die Kombination aus Approbationsund Vikariatsanspruch holte die Verfügung über die Administration des imperium auf die päpstliche Seite. Die lange Regierungszeit Ludwigs des Bayern war nach seinem Sieg über den Gegenkönig im September 1322 immer wieder davon erfüllt, Antworten auf diese kurialen Herausforderungen zu finden. Sie bestanden zunächst in der Ignorierung der päpstlichen Ansprüche und der Ausübung des imperium vor allem in Oberitalien seit 1322.21 Darauf folgten 1324 der Kirchenbann aus Avignon und das Verbot der Reichsherrschaft. Darüber ging Ludwig wiederum hinweg und ließ sich 1328 in Rom ohne alles päpstliche Zutun zum Kaiser krönen. 22 Damit waren die entscheidenden Pfeiler, auf denen die Konstruktion seit der Dekretale ,Venerabilem' geruht hatte, R a i n e r C h r i s t o p h SCHWINGES / S a b i n e WEFERS ( H F 6 7 , 2 0 0 0 ) S. 8 9 - 1 1 3 , hier S. 1 0 9 ff.;

MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 50 f.; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 291. 20

Vgl. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 293.

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Michael MENZEL, Ludwig der Bayer (1314-1347) und Friedrich der Schöne (1314-1330) in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters, hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER / Stefan WEINFURTER ( 2 0 0 3 ) S. 3 9 3 - 4 0 7 , hier S. 4 0 1 ; MENZEL, K a m p f ( w i e A n m . 18) S. 1 0 9 f. Z u r

Ausübung des päpstlichen Reichsvikariats bis dahin BAETHGEN, Anspruch (wie Anm. 17) S. 170 ff.; Fritz TRAUTZ, Die Reichsgewalt in Italien im Spätmittelalter, Heidelberger Jbb. 7 ( 1 9 6 3 ) S. 4 5 - 8 1 , hier S. 5 9 ; UNVERHAU, A p p r o b a t i o ( w i e A n m . 9 ) S. 3 2 9 - 3 3 4 . 22

MIETHKE / BÜHLER, K a i s e r ( w i e A n m . 1 3 ) S. 3 8 ^ 2 ; MENZEL, K a m p f ( w i e A n m . 1 8 )

S. 113; allgemein zur Entwicklung auch Hilary S. OFFLER, Empire and Papacy: The Last Struggle, Transactions of the Royal Historical Society V 6 (1956) S. 21-47.

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nun auch von der Seite des Reiches zum Einsturz gebracht. Dem kurialen Approbationsanspruch, der in seiner Verknüpfung mit dem Vikariat von der Dekretale nicht mehr gedeckt war, standen jetzt die Ausübung des imperium und die Annahme des Kaisertitels23 ohne päpstliche Krönung gegenüber, was ebenso die Grundlage der Dekretale verließ. 1338/39 wurde das in einer Reihe von Verlautbarungen,24 die die Entwicklung kulminieren ließen, grundsätzlich formuliert. Eine fürstliche Erklärung, das sogenannte ,Rhenser Weistum', vom Juli und Ludwigs ,Licet iuris' und ,Fidem catholicam' vom August 1338 waren die wichtigsten. 25 Ein kaiserliches Mandat, das anschließend auf dem Koblenzer Hoftag im September verkündet wurde, und ein Hoftagsbeschluss vom März 1339 in Frankfurt gaben den Aussagen dann noch einmal Nachdruck.26 Gelehrte Überlegungen über die vom Papst unabhängige Legitimation des Imperators und seiner Macht gab es schon länger, sie hatten aber bisher noch keinen Niederschlag in offiziellen Texten der Politik gefunden. Huguccio von Pisa ( t 1210), Johannes Teutonicus (f 1245), Wilhelm Durantis (f 1296) 27 und einige

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Einzig beim Titel zeigte Ludwig weiterhin Kompromissbereitschaft; vgl. die Verhandlungsinstruktion von 1331 bei Carlo PINCIN, Marsilio (Pubblicazioni dell'Istituto di scienze politiche dell'università di Torino 17, 1967) S. 260: vmb den titel sult ir also antwurten, daz wir den nicht ¡igen wellen lazzen, vntz der babst oder sein boten zü vns choment, die vns chronen sullent. Vor dem wellen wir offenlich sprechen, daz wir vns wol eruarn haben, daz ein Romischer chunig sein chronung nemen sulle von dem babst oder seinen sundern boten. ... wellen wir die selben chronung vnd titel lazzen ligen vnd vns sein vertzeihen vor den selben boten vnd wellen die weihe vnd chronung enphahen von dem babst oder von seinen sundern boten; MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 63. Die weniger zentralen Texte sind in Anm. 31 herangezogen; MIETHKE, Kampf (wie A n m . 5 ) S. 6 5 ; MENZEL, K a m p f ( w i e A n m . 18) S. 114 f.

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Karl ZEUMER, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz ,Licet iuris' vom 6. August 1338. Mit einer Beilage: Das Renser Weisthum vom 16. Juli 1338, NA 30 (1905) S. 85-112 und S. 485—487; Hans-Jürgen BECKER, Das Mandat Fidem catholicam Ludwigs des Bayern von 1338, DA 26 (1970) S. 454-512. Zum juristischen Charakter dieser Schriften vgl. Ernst SCHUBERT, Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung, Jb. für westdeutsche LG 1 (1975) S. 97-128, hier S. 111-116; DERS., Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 333. Nova Alamanniae (wie Anm. 14) 1 S. 370 Nr. 556 und 2 S. 421 Nr. 613; BECKER, Mandat (wie vorige Anm.) S. 465 ff.; DERS., Kaisertum (wie Anm. 4) S. 127; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 332. Huguccio: ego autem credo, quod Imperator potestatem gladii et dignitatem imperialem habet non ab apostolico set a principibus et populo per electionem, zitiert nach Alfons STICKLER, Der Schwerterbegriff bei Huguccio, EJean 3 (1947) S. 201-242, hier S. 211 Anm. 1; Decretum Gratiani cum glossis domini Johannis Theutonici (1512) D 93 g fol. 96r:

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weniger bedeutende Autoren aus dem Umfeld Heinrichs VII. und Ludwigs des Bayern 28 hatten sich der Thematik gewidmet und einiges vorausgedacht, aber noch ex sola enim electione principum dico eum verum imperatorem, antequam a papa confirmetur, Wilhelm Durantis, Speculum iudiciale 1 (1574, ND 1975) S. 422a: imperator enim ex sola principum electione, etiam ante confirmationem aliquam, uerus est imperator et consequitur ius administrandi. Auch der nahezu spurenlose sogenannte Braunschweiger Fürstenspruch ist nur in einem Dekretalenkommentar, dem des Henricus de Segusio (t 1271), überliefert: Karl ZEUMER, Ein Reichsweisthum über die Wirkungen der Königswahl aus dem Jahre 1252, NA 30 (1905) S. 403^415, hier S. 406: Rex autem Romanorum ex quo electus est in concordia, eandem potestatem habet quam et imperator, nec dat ei inunctio imperialis nisi nomen, sicut vidi in Alemaniaper principes iudicarr, siehe auch ebd. S. 414. Vgl. Richard MOELLER, Ludwig der Bayer und die Kurie im Kampf um das Reich (Historische Studien 116, 1914) S. 148; Heinrich MITTEIS, Die deutsche Königswahl. Ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle (21944, ND 1965) S. 187-191; Wilhelm BERGES, Kaiserrecht und Kaisertheorie der „Siete Partidas", in: FS Percy Ernst Schramm zu seinem 70. Geburtstag von Schülern und Freunden zugeeignet 1, hg. von Peter CLASSEN / Peter SCHEIBERT (1964) S. 143-156, hier S. 149 f.; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 5) S. 32; DERS., Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 336; Johannes FRIED, Der päpstliche Schutz für Laienfürsten (AAH 1980/1, 1980) S. 222; Winfried DOTZAUER, Überlegungen zur Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Hintergrundes, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte, hg. von Winfried DOTZAUER / Wolfgang KLEIBER / Michael MATHEUS / Karl-Heinz SPIEß (Geschichtliche LK 42, 1995) S. 165-193, hier S. 168; Reinhard SCHNEIDER, Der rex Romanorum als gubernator oder administrator imperii, ZRGGermAbt 114 (1997) S. 296317, hier S. 298; BECKER, Kaisertum (wie Anm. 4) S. 135 f. 28

Denkschrift des Johannes Branchazolus von Pavia vom November 1312, in: Nova Alamanniae (wie Anm. 14) 1 S. 44-52 Nr. 90, hier S. 50,35 f.: imperatoris potestati substancialiter pape coronacio nichil addit\ Memoriale imperatori porrectum, in: MGH Const. 4/2 S. 1308-1317 Nr. 1248, hier S. 1311,38-41: Quemadmodum enim sola pape electio ei omnem tribuit potestatem et amministractionem, quia nemo est eo superior in spiritualibus, ita quidem et Romano principi sola electio eius omnem tribuit potestatem, quia non est eo superior in temporalibus\ Ugolino von Celle im April 1323, in: Nova Alamanniae 1 S. 71-79 Nr. 123, hier S. 74,4 f., 28-31 : non videtur, quod aliqua differendo sit inter imperatorem et regem nisi nominis ...Et ideo, cum ad ipsum Romanorum regem spectet statim, quod electus est et coronatus Aquisgrani, piena iurisdictio et amministratio rerum temporalium, absurde dicitur, quod imperium vacet; Hans FOERSTER, Ein unbekannter Traktat aus dem Streite Ludwigs des Bayern mit Johann XXII., Miscellanea Francescana 37 (1937) S. 591-614, hier S. 599 f.: ex sola electione ille, qui est electus in regem Romanorum, est verus imperator et habet administracionem rerum temporalium imperii. ... Rex Romanorum sive imperator non habet suam potestatem et iurisdictionem in temporalibus a papa sed a deo immediate et principaliter; Quoniam scriptura testante divina, hg. von Carlo DOLCINI, Crisi di poteri e politologia in crisi (Il mondo medievale

Michael Menzel

keine Resonanz im urkundlichen und konstitutionellen Schrifttum gefunden, außer vielleicht in der ,Sachsenhausener Appellation', die an wenigen Stellen das königliche und kaiserliche regimen als Synonyme schon mal erprobt hatte.29 Diese Gleichsetzung der königlichen und kaiserlichen Herrschaftsbefugnisse wurde jetzt zum Kernpunkt.

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17, 1988) S. 415—426, hier S. 416: persona idonea in regem Romanorum legitime per principes electores imperatoris electa per Romanum pontificem est nullatenus confirmand[a ...], sedRomano pontifice irrequisito tanquam verus rex Romanorum auctoritatem optinet Romanum regendi imperium et disponendi omnia temporalia, que ad idem spectant imperium (nach 1331). Vgl. Rolf MOST, Der Reichsgedanke des Lupoid von Bebenburg, DA 4 (1941) S. 444-485, hier S. 467 Anm. 2, 468 Anm. 1 (mit Datierung des Branchazolus auf 1328); BECKER, Mandat (wie Anm. 25) S. 474 ff.; DERS., Kaisertum (wie Anm. 4) S. 136; Kenneth PENNINGTON, The prince and the law. 1200-1600 (1993) S. 172; Carl PF ÄFF, Die Münchner Minoriten - Ratgeber Ludwigs des Bayern, in: Zur geistigen Welt der Franziskaner im 14. und 15. Jahrhundert, hg. von Ruedi IMBACH / Ernst TREMP (Scrinium Friburgense 6, 1995) S. 45-57; MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 68 f. Zur späteren Nachwirkung bei Wilhelm von Ockham (t 1347) und Lupoid von Bebenburg ( | 1363) vgl. BECKER, Mandat (wie Anm. 25) S. 490 f.; DERS., Kaisertum (wie Anm. 4) S. 136 f.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Der Nürnberger Reichstag von 1355/56 und die „Goldene Bulle" Karls IV. (Diss. Münster 1978) S. 404-411; DOTZAUER, Überlegungen (wie Anm. 27) S. 170; Eva L. WLTTNEBEN, Lupoid von Bebenburg und Wilhelm von Ockham im Dialog über die Rechte am Römischen Reich des Spätmittelalters, DA 53 (1997) S. 567-586, hier S. 582 f.; MLETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 71 ff.; Christoph FLÜELER, Acht Fragen über die Herrschaft des Papstes. Lupoid von Bebenburg und Wilhelm von Ockham im Kontext, in: Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters - Political thought in the age of scholasticism, hg. von Martin KAUFHOLD (Studies in medieval and reformation traditions 103, 2004) S. 225-246; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 337. Sachsenhausener Appellation: Ludewici Appellatio tertia contra processum pontificis, in: MGH Const. 5 S. 722-754 Nr. 909 f., hier S. 726,29-31 bzw. S. 747,29 f.: est electus verus rex Romanorum et sibi ut vero regi debet a subditis et vasallis imperii obediri et eidem homagia et fidelitatis iuramenta prestari et iura imperii assignari; S. 727,2 f. bzw. S. 747,39 f.: alia multa, que fecimus et que ad eiusdem regni et imperii regimen spectare noscuntur; S. 732,23 bzw. S. 752,24: item nobis electis et amministrantibus iura regni et imperii; KRAMMER, Kurfürstenkolleg (wie Anm. 13) S. 264. Zu Anfang der Kanzleiversion der Appellation S. 745,15 bezeichnete sich Ludwig auch als in imperatorem electus-, BECKER, Mandat (wie Anm. 25) S. 474 Anm. 108; sehr vage der Anfang von MGH Const. 6/1 S. 344-350 Nr. 436 vom April 1328; vgl. dagegen BECKER, Kaisertum (wie Anm. 4) S. 123 und S. 132 f. Siehe auch in den vorangehenden Appellationen (unten Anm. 52) MGH Const. 5 S. 645,24 f.; 646,40; 657,39 f.; 658,38 f.

Feindliche Übernahme

Das , Rhenser Weistum', verfasst von den Kurfürsten aus Mainz, Köln und Trier, der Pfalz, Sachsen und Brandenburg, trat damit erstmals auf offizieller Ebene hervor. Es konzentrierte sich, ohne Ludwig namentlich zu nennen, auf die Rechte des gewählten Königs. Die Fürsten legten dar, dass für die Übernahme des Königtums nach der Wahl keinerlei Approbation durch den Papst erforderlich sei, was noch nicht neu, allenfalls in der Schärfe bislang so noch nicht gesagt worden war. Aber dann kamen sie ohne Umschweife zur Ausübung der imperialen Herrschaftsgewalt, zur Administration der bona et iura imperii. Sie stünde dem gewählten König zu ohne jedes Dazwischenkommen des Papstes, 30 womit die Fürsten den seit 1322 umstrittenen Zustand sanktionierten. Ludwig war ohne Approbation König und hatte die Rechte des Imperiums ausgeübt, was besonders in Oberitalien deutlich geworden war. Das ,Rhenser Weistum' wies die Attacken der Kurie ab und verwahrte sich gegen die Approbations- und implizit damit auch gegen die Vikariatsansprüche. Nach seiner Lesart gab es einen rechtmäßigen König, dem eo ipso imperiale Herrschaftsrechte im Reich zustanden. In ,Licet iuris' ging Ludwig nur wenig darüber hinaus. Übereinstimmend mit dem ,Rhenser Weistum' rekapitulierte er die Abweisung der Approbation und den Anspruch des Königs auf die kaiserlichen Herrschaftsrechte. Er sprach dabei aber nicht nur vom „König", wie die Fürsten, allerdings auch nicht vom „künftigen Kaiser", vom in imperatorem postmodum promovendus, sondern er erweiterte den rex stattdessen zum veras rex et imperator. Eindringlich bezeichnete er den Gewählten in 30

ZEUMER, K ö n i g s w a h l g e s e t z ( w i e A n m . 2 5 ) S. 1 1 1 , 2 2 - 2 8 ; 1 1 2 , 2 - 7 : ...

quodpostquam

aliquis a principibus electoribus imperii vel a maiori parte numéro eorundem principum etiam in discordia pro rege Romanorum est electus, non indiget nominatione, approbatione, confirmatione, assensu vel auctoritate sedis apostolice super administratione bonorum et iurium imperii sive titulo regio assumendis, ... quod electi a principibus electoribus imperii concorditer vel a maiori parte, ut supra, sibi titulum regium assumpserunt ac bona et iura imperii administrarunt, et quod de iure et consuetudine hoc licite facere potuerunt et poterunt, nulla approbatione vel licencia dicte sedis apostolice super hoc habita et obtenta. Carl MÜLLER, Der Kampf Ludwigs des Baiern mit der römischen Curie 2 ( 1 8 8 0 ) S. 6 8 ; ENGELMANN, A n s p r u c h ( w i e A n m . 9 ) S. 9 6 f.; K o n s t a n t i n HÖHLBAUM,

Der Kurverein von Rense i. J. 1338 (AGG NF 7/3, 1903) S. 19 f. und S. 34; MOELLER, L u d w i g ( w i e A n m . 2 7 ) S. 1 2 8 ; FEINE, A p p r o b a t i o n ( w i e A n m . 1 3 ) S. 3 9 3 ; PETERSEN,

Studien (wie Anm. 6) S. 250; SCHUBERT, Stellung (wie Anm. 25) S. 111 ; DERS., Die deutsche Königswahl zur Zeit Johanns von Böhmen, in: Johann der Blinde, Graf von Luxemburg, König von Böhmen, 1296-1346, hg. von Michel PAULY (Publications de la Section historique de l'Institut G.-D. de Luxembourg 115. Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d'Études médiévales 14, 1997) S. 135-166, hier S. 164; KRIEGER, König (wie Anm. 5) S. 6; MIETHKE, Kurie (wie Anm. 5) S. 440; DERS., Kampf (wie A n m . 5 ) S. 6 7 f.; SCHNEIDER, R e x R o m a n o r u m ( w i e A n m . 2 7 ) S. 2 9 8 f. u n d S. 3 1 7 .

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dieser dichotomen Form; er entspringe der Wahl ohne Approbation, habe alle imperialen Rechte und seine kaiserliche Würde sei unmittelbar von Gott.31 Ludwigs veras rex et imperator war eigentlich Kaiser, er war in imperatorem sive in regem gewählt mit Gott als rechtlichem Ursprung. Es bedurfte des Papstes nicht, König und Kaiser wurden ohne Zwischenschritte in eins gesetzt. Gab es im , Rhenser Weistum' den König mit kaiserlicher Macht, so gab es ihn jetzt mit derselben Macht als wahren König und Kaiser zugleich. Fast genauso provozierend äußerte sich Ludwig in dem

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ZEUMER, Königswahlgesetz (wie Anm. 25) S. 101,24—102,5: ... declaramus, quod imperialis dignitas et potestas est immediate a solo deo, et quod de iure et imperii consuetudine antiquitus approbata est, quodpostquam aliquis eligitur in imperatorem sive in regem ab electoribus imperii concorditer vel a maiori parte eorundem, statim ex sola electione est verus rex et imperator Romanorum censendus et nominandus, et eidem debet ab omnibus imperio subditis obediri, et administrandi bona et iura imperii et cetera faciendi, que ad imperatorem verum pertinent, habet plenariam potestatem, nec pape sive sedis apostolice aut alicuius alterius approbatione, confirmatione et auctoritate indiget vel consensu. MÜLLER, Kampf (wie vorige Anm.) S. 77; ENGELMANN, Anspruch (wie Anm. 9) S. 97 f.; KRAMMER, K u r f u r s t e n k o l l e g ( w i e A n m . 13) S. 2 9 3 ff.; MOELLER, L u d w i g ( w i e A n m . 2 7 )

S. 144 ff. und S. 148; Edmund E. STENGEL, Avignon und Rhens. Forschungen zur Geschichte des Kampfes um das Recht am Reich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 6/1, 1930) S. 157 ff.; Friedrich BOCK, Reichsidee und Nationalstaaten vom Untergang des alten Reiches bis zur Kündigung des deutsch-englischen Bündnisses im Jahre 1341 (1943) S. 434 f.; KÖLMEL, Regimen (wie Anm. 9) S. 560 f.; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 5) S. 34; Konrad FRITZE, Ludwig der Bayer 1314-1347, in: Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, hg. von Evamaria ENGEL / Eberhard HOLTZ (1989) S. 274-304, hier S. 302; Hans-Jürgen BECKER, Der Einfluß des ius commune auf das deutsche Königswahlrecht, in: Poeta prof. JUDr. Karlu Malému DrSc. k 65. narozeninäm [FS zum 65. Geburtstag von Prof. JUDr. Karel Maly], hg. von Ladislav SOUKOP (1995) S. 59-67, hier S. 65; BECKER, Kaisertum (wie Anm. 4) S. 134; SCHMIDT, A quo ergo habet (wie Anm. 9) S. 64; MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 66. Vgl. das Unterstützungsschreiben deutscher Reichsstädte für Ludwig vom Mai 1338, in: Nova Alamanniae (wie Anm. 14) 1 S. 339-341 Nr. 520, hier S. 340,13 f., wo die Könige nach Wahl und Krönung als extunc inmediate tamquam veri Romani imperii amministratores bezeichnet wurden; desgleichen von Vertretern des nichtfurstlichen Adels, ebd. S. 341-343 Nr. 521, hier S. 342,3-5: administracionem et omnem iurisdiccionem eiusdem regni et imperii libere iuxta dictam consuetudinem exercendo', der Traktat ,Subscripta' aus der zweiten Hälfte des Jahres 1338 fasste alles noch einmal zusammen, ebd. S. 401^403 Nr. 584. STENGEL, A v i g n o n S. 177 f.; MITTEIS, K ö n i g s w a h l ( w i e A n m . 2 7 ) S. 2 1 7 f.; KÖLMEL,

Regimen (wie Anm. 9) S. 561 f.; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 5) S. 32.

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gelehrt aufgemachten Mandat ,Fidem catholicam'. 32 Die Verlautbarungen der Koblenzer und Frankfurter Hoftage von September 1338 und März 1339 wiederholten das konzentriert auf die imperiale Gewalt noch einmal. 33 Damit war man aufseiten des Reiches endgültig genauso weit weg von der Dekretale ,Venerabilem' wie an der Kurie. 34 Der unapprobierte König übte die kaiserlichen Rechte aus, er war eigentlich Kaiser und besaß seinen Rang unmittelbar von Gott, alles ohne das Zutun des Papstes. 35 Die Goldene Bulle nahm einen großen Teil dieser ludovicianischen Zuspitzungen in sich auf. Wenn Karl die alte Formel vom „König und künftigen Kaiser" aus 32

BECKER, Mandat (wie Anm. 25) S. 499,11-16: Ex quibus et aliis pluribus, que brevitatis causa dimittuntur, clare patet, quod potestas et auctoritas imperialis est immediate a solo deo et non a papa, et quod electus in imperatorem ex sola electione est rex Romanorum et habet auctoritatem, iurisdictionem et potestatem imperialem, etiam antequam inungatur, consecretur vel coronetur a papa; vgl. ebd. S. 472; FRITZE, Ludwig (wie vorige Anm.)

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Nova Alamanniae (wie Anm. 14) 1 S. 370-375 Nr. 556, hier S. 372,12 f., 16-21: cum nuper principes predicti imperii electores protunc existentes in loco Rense ... declaraverint et pronunciaverint, quod quicumque electus per ipsos principes imperii electores in Romanorum regem in concordia vel per maiorem partem ipsorum principum numero eciam in discordia deberet et posset se de aministracione, gubernacione et pleno regimine bonorum et iurium regni et imperii Romanorum intromittere et eas sibi assumere; ebd. 2 S. 421—423 Nr. 613, hier S. 422,29-36: ... daz eyn erweiter Romischer konig eynmutlichen oder von dem meren teyle der kurfursten vollen gewolt hat unt ouch in allen landen üben mag und dar umb nicht hat zu vorderne an den pabist weder assumpcien, approbacien, confirmacien noch keynerleye ander sache, wie sie geheyszen ist, als wir ouch vore hure gesprochen und geouget han zu Rense, als man vindet an den brieven, die dar über gemachet sint, die in aller irer macht blieben sollen. Anderweitige Überlegungen wie etwa Ludwigs Instruktion für Verhandlungen mit Clemens VI. vom September 1343, in: Nova Alamanniae (wie Anm. 14) 2 S. 865 f. Nr. 1540, sind nicht mehr realisiert worden; vgl. Hermann O. SCHWÖBEL, Der diplomatische Kampf zwischen Ludwig dem Bayern und der Römischen Kurie im Rahmen des kanonischen Absolutionsprozesses 1330-1346 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 10, 1968) S. 119 f. und S. 339-345. Zu den gleichzeitigen künstlerischen Auswirkungen auf dem Grabmal Erzbischof Peters von Mainz (f 1320), der als Kurfürst Ludwig die Kaiserkrone aufsetzt, oder in Ludwigs Darstellung im Nürnberger Rathaussaal, wo Engel die von Gott verliehene Kaiserkrone halten, vgl. SUCKALE, Hofkunst (wie Anm. 1) S. 9,172 Anm. 2,257 ff. sowie die Abb. S. 9 Nr. 1 und S. 111 Nr. 93; Hubert GLASER, Schwierige Erinnerung - Über das „Kaisergrab" in der Münchner Frauenkirche und andere Denkmäler Ludwigs des Bayern, in: Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 4) S. 1-38, hier S. 12; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 336.

S. 301; MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 67; MENZEL, Kampf (wie Anm. 18) S. 115.

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,Venerabilem' stehen ließ und sie mit der königlichen Herrschafitsausübung virtute sacri imperu6 verknüpfte, passte das eigentlich überhaupt nicht zusammen. Es begann vom Ansatz her treu kurial mit dem päpstlichen Zitat, mündete aber mit dem imperium beim Standpunkt Ludwigs. Innozenz' III. Formulierung wurde ludovicianisch fortgesetzt, obwohl zwischen beiden Elementen anderthalb Jahrhunderte voller Brüche und Gegensätze lagen. Doch es war gerade der Clou, den päpstlichen Auftakt vom Anfang des 13. Jahrhunderts mit dem kaiserlichen Schlussstrich aus der Mitte des 14. Jahrhunderts zusammenzubringen. Die überholte, neutral gewordene innozentische Wendung wurde zitiert, als hätte es an der Kurie keine weitere Entwicklung gegeben, und die völlig entgegengesetzte Deutung des imperium wurde angehängt, als hätte auf kaiserlicher Seite auch keine Zuspitzung stattgefunden. Karl formulierte unverfängliche papale Positionen aus der Zeit vor dem Konflikt und extreme imperiale Positionen aus der Endzeit des Konfliktes in eins, er fügte an die päpstlichen Worte von 1202 die kaiserlichen Inhalte von 1338/39. Das war eine Verschleierungstaktik, bei der er Ludwig rezipierte, ohne mit dem vorangehenden Innozenzzitat den Boden der Kirche scheinbar zu verlassen. Aus seiner Sicht war das weniger ein logisches Problem als ein heimliches politisches Changieren. Die Kohärenz lag darin, unbemerkt beim ungenannten Ludwig landen zu wollen, ohne die Kurie zu brüskieren. Das gleiche geschah, wenn Karl den „König und künftigen Kaiser" mit Gottes Gunst zusammenbrachte. Er verlor kein Wort darüber, auf welche Weise der promovendus zum imperator werden sollte; die bei Innozenz zentrale Rolle des Papstes blieb in der Goldenen Bulle unerwähnt wie bei den Rhenser Fürsten, in ,Licet iuris' und in ,Fidem catholicam'. 3 7 Stattdessen kam an einer Stelle die Pointe von der Gott-

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Der an das Zitat in Anm. 7 anschließende Text MGH Const. 11 S. 578, 8-11: ... ipsisque premissa omnia innovare, postquam imperialibus fiierit infulis coronatus. Confirmationem autem huiusmodi electus ipse cuilibet principi electori in specie primo suo nomine regali faciet et deinde sub imperiali titulo innovabit, ändert nichts an der Ausübung des imperium schon durch den König; vgl. dagegen Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Bde. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2, 1908), hier 1 S. 191 und S. 193. Gottfried KENTENICH, Der päpstliche Approbationsanspruch und die goldene Bulle, HVj 9 (1908) S. 525 ff.; MITTEIS, Königswahl (wie Anm. 27) S. 221; KÖLMEL, Regimen (wie Anm. 9) S. 565; MÜLLER-MERTENS, Würdigung (wie Anm. 7) S. 21; DERS., Karl IV., 1346-1378, in: Deutsche Könige und Kaiser (wie Anm. 31) S. 305-322, hier S. 314; Ludwig SCHMUGGE, Kurie und Kirche in der Politik Karls IV., in: Kaiser Karl IV. (wie Anm. 3) S. 73-87, hier S. 76; Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346 bis 1 3 7 8 ( 1 9 7 8 , 5 1 9 8 5 ) S . 2 5 2 ; MLETHKE / BÜHLER, K a i s e r ( w i e A n m . 1 3 ) S . 4 1 u n d S. 4 7 ;

MIETHKE, Kurie (wie Anm. 5) S. 440; DERS., Kampf (wie Anm. 5) S. 73; Roland PAULER,

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Unmittelbarkeit ins Spiel. 38 Die innozentische Standardformulierung lautete plötzlich nicht mehr „König und künftiger Kaiser", sondern aus dem „künftigen Kaiser" war 39

ein postmodum favente domino promovendus geworden. Das war ludovicianisch, der Kaiser bekam seine Würde von Gott, nicht vom Papst. Die einzigen vergleichbaren Formulierungen vor 1338/39, die den Schritt vom König zum künftigen Kaiser schon einmal mit volente domino, favente divina clemencia und dante domino verknüpft hatten, stammten aus fürstlichen Urkunden des Jahres 1314, 40 die in die Sedisvakanz nach dem Tod Clemens' V. fielen. Gemeint war in ihnen das von Gott erhoffte Ende der papstlosen Zeit, wodurch der Weg für eine Kaisererhebung frei werden sollte, favente divina clemencia sollte ein neuer Papst kommen, um den König zum Kaiser zu krönen. Die Goldene Bulle lag mitten in der Pontifikatszeit Innozenz' VI.; hier fehlte kein Papst, sondern er wurde übergangen. Hinter der Erweiterung des innozentischen Zitats verbarg sich eine ludovicianische Position. Auch Die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Karl IV. und den Päpsten (Politik im Mittelalter 1 , 1 9 9 6 ) S. 1 5 0 - 1 5 5 ; SCHUBERT, K ö n i g s w a h l ( w i e A n m . 3 0 ) S. 164; J ö r g K . HOENSCH,

Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308— 1437 ( U r b a n - T a s c h e n b ü c h e r 4 0 7 , 2 0 0 0 ) S. 146; M a r t i n KINTZINGER, K a r l I V . ( 1 3 4 6 - 1 3 7 8 )

mit Günther von Schwarzburg (1349), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters, hg. v o n B e r n d SCHNEIDMÜLLER / S t e f a n WEINFURTER ( 2 0 0 3 ) S. 4 0 8 ^ 1 3 2 , h i e r S. 4 2 8 ; v g l . 38

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einschränkend ZEUMER, Goldene Bulle (wie vorige Anm.) 1 S. 195. Vgl. dagegen allgemein BECKER, Mandat (wie Anm. 25) S. 492; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 9) S. 333, zur Wirkungslosigkeit von ,Licet iuris' und ,Fidem catholicam'. MGH Const. I I S . 606,23 f.: de electione futuri regis Romanorum in imperatorem postmodum favente domino promovendi. - Noch in der Wahlaufforderung vom Mai 1346 für Karls eigene Erhebung stand die unangetastete Formulierung aus der Dekretale ,Venerabilem'; MGH Const. 8 S. 60-62 Nr. 38, hier S. 61,36-39; 62,13-17: ... principes tarn ecclesiastici quam seculares, ad quos regem Romanorum in imperatorem postmodum promovendum ius pertinet eligendi ...ad eligendum aliquem virum strennuum et catholicum in regem Romanorum et in imperatorem postmodum promovendum. In Urkunden Markgraf Heinrichs von Brandenburg (t 1318), Pfalzgraf Rudolfs I. bei Rhein (f 1319) und Erzbischof Heinrichs II. von Köln (t 1332) heißt es MGH Const. 5 S. 23,19 f.: ... eligemus in regem Romanorum in imperatorem successu temporis volente domino promovendum; S. 111,39 f.: ... in regem elegimus Romanorum favente divina clemencia promovendum in imperatorem; S. 116,12-14: ... Fredericum ... in Romanorum regem unximus et coronavimus in futurum imperatorem dante domino promovendum. Völlig anders gemeint war die Formulierung te ... in regem Romanorum assumimus in imperatorem auctore domino promovendum in Urkunden Bonifaz' VIII. (MGH Const. 4/1 S. 147,1-3,40 f.; 148,13 f.; 149,47; 150,13 f.), die auf den göttlichen Ursprung des Kaisertums innerhalb der Zweigewaltenlehre abhob, wobei die Vergabe der weltlichen Gewalt durch die geistliche der Kirche explizit betont wurde, vgl. ebd. S. 139,14-32.

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wenn sie sich mit dem „künftigen Kaiser" nicht ganz so extrem darstellte und den König und Kaiser nicht einfach schon in eins setzte, wie Ludwig es getan hatte, war die Verknüpfung der Kaiserpromotion mit Gottes Gunst eine Rezeption der Ludwigszeit. Sie verschob den Kern der kurialen Formel von 1202 hin zum Antipapalismus von 1338/39. Der Papst wurde nicht genannt, sondern nur Gott. Die Goldene Bulle eliminierte ihn genau so, wie Ludwig es vorgemacht hatte. Stillschweigen widerfuhr schließlich auch dem kurialen Vikariatsanspruch. Schon für die Rhenser Fürsten und Ludwig in ,Licet iuris' war er indiskutabel gewesen, genauso wenig kam Karl darauf zu sprechen. In der Goldenen Bulle erwähnte er nur den Pfalzgrafen bei Rhein und den Herzog von Sachsen als Reichsvikare bei Vakanz. 41 Von Rechten der Kurie auf das imperium war nirgends die Rede, der Papst blieb außen vor. Auch hier bezog Karl dieselbe Position wie sein Vorgänger und dessen fürstliche Entourage. Dennoch kann in diesem Punkt von einer Rezeption nur vage die Rede sein, weil Karl sich eben nur dem Schweigen über das päpstliche Reichsvikariat anschloss, aber nichts explizit dazu sagte. Die imperiale Macht des Königs und die Gottunmittelbarkeit des Kaisers waren direkte Übernahmen der ludovicianischen Sicht der Dinge, die Übergehung des päpstlichen Reichsvikariats lediglich eine stille Parallele. Dem „König und künftigen Kaiser" stand noch ein weiterer Komplex zur Seite, bei dem die Ludwigszeit Spuren hinterließ: das Mehrheitsprinzip als Entscheidungskriterium der Wahl. Es wurde als Anliegen der Goldenen Bulle an mehreren Stellen 41

MGH Const. 11 S. 582,22-25 und S. 584,3-5. Vgl. dazu schon die zwischen 1276 und 1281 zu datierende Urkunde König Rudolfs MGH Const. 3 S. 114-116 Nr. 121, hier S. 115,26-31, und in der ,Sachsenhausener Appellation' MGH Const. 5 S. 732,13-19 bzw. S. 752,15-20; Emil WERUNSKY, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit 3 (1892) S. 126; ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 36) 1 S. 192 f.; SCHEFFLER, Karl IV. (wie Anm. 7) S. 86; BAETHGEN, Anspruch (wie Anm. 17) S. 181 f.; Wiltrud W E N D E HORST, Das Reichsvikariat nach der Goldenen Bulle (Diss. Göttingen 1951) S. 2 - 6 ; Wolfgang HERMKES, Das Reichsvikariat in Deutschland (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts 2, 1968) S. 5-23; Heinz STOOB, Kaiser Karl IV. und seine Zeit (1990) S. 95; KRIEGER, König (wie Anm. 5) S. 7; DOTZAUER, Überlegungen (wie Anm. 27) S. 170; MIETHKE, Kurie (wie Anm. 5) S. 443; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 18) S. 512-517; Armin WOLF, Die Goldene Bulle von 1356, in: Höhepunkte des Mittelalters, hg. von Georg SCHEIBELREITER (2004) S . 188-201, hier S. 192; Michael LINDNER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. 29. Ausstellung des Europarates in Magdeburg und Berlin und Landesausstellung Sachsen-Anhalt 2: Essays, hg. von Matthias PUHLE / Claus-Peter HASSE (2006) S. 310-321, hier S. 314. Siehe auch oben Anm. 17.

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hervorgehoben. 42 Gleich zu Anfang des Textes stand, dass ein Ziel der Bulle darin liege, die Einmütigkeit der Wahl durchzusetzen gegen die verwünschenswerte Zwietracht.43 Etwas weiter, im Kapitel über die Königswahl, 44 hieß es dann, die Kurfürsten dürften Frankfurt nicht verlassen, bevor sie alle oder die Mehrheit von ihnen ein weltliches Oberhaupt gewählt hätten.45 Es wurde festgelegt, dass auch die Mehrheitswahl als einmütig gelte. 46 Das Votum nicht anwesender Kurfürsten, die keine Vertreter schickten, zähle nicht, gleichwohl definiere sich die Mehrheit auf der Grundlage des siebenköpfigen Gremiums. Vier positive Voten mussten also mindestens bei einer einmütigen Wahl abgegeben werden. 47 Wenn man das mit den uneinheitlichen Praktiken der Königswahl vor der Goldenen Bulle vergleicht, 42 43

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dann erscheint die Neuordnung Karls IV. als geradezu erlösend.

ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 36) 1 S. 18. MGH Const. 11 S. 564,4—10: infrascriptas leges ad unitatem inter electores fovendam et electionem unanimem inducendam ac detestande divisioni predicte variisque periculis ex ea sequentibus aditumprecludendum ... edidimus; vgl. HOENSCH, Luxemburger (wie Anm. 37) S. 145 f.; Johannes KUNISCH, Formen symbolischen Handelns in der Goldenen Bulle von 1356, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. von Barbara STOLLBERGRILINGER (ZHF Beih. 25, 2001) S. 263-280, hier S. 272 ff.; LINDNER, Goldene Bulle (wie Anm. 41) S. 312. Goldene Bulle Kap. 2 (MGH Const. 11 S. 574,32-578,19): De electione Romanorum regis-, WERUNSKY, Karl IV. (wie Anm. 41) S. 117-121. MGH Const. I I S . 576,21-23: nec amodo de iamdicta civitate Frankenford separentur [sc. electores], nisiprius maior pars ipsorum temporale caput mundo elegerit seu populo Christiano, regem videlicet Romanorum in cesarem promovendum; S. 576,26 f.: nullatenus civitatem exeant antedictam, nisiprius per ipsos vel maiorem partem ipsorum rector seu temporale caput fidelium electum fuerit. Vgl. HARNACK, Kurfiirstencollegium (wie Anm. 18) S. 147; PETERSEN, Studien (wie Anm. 6) S. 243.

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MGH Const. 11 S. 576,28 f f : Postquam autem in eodem loco ipsi vel pars eorum maior numero elegerit, talis electio perinde haberi et reputari debebit, ac siforet ab ipsis ómnibus nemine discrepante concorditer celebrata. HAHN, Ursprung (wie Anm. 4) S. 22 f.; ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 36) 1 S. 19 f f ; Armin WOLF, Das „Kaiserliche Rechtbuch" Karls IV. (sogenannte Goldene Bulle), Ius commune 2 (1969) S. 1-32, hier S. 5; DERS., Goldene Bulle (wie Anm. 41) S. 190 f.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV. (Städteforschung A 13, 1983) S. 122; Jan SCHMIDT, Die Rechte der Kurfürsten nach der goldenen Bulle Karls IV. von 1356 (1998) S. 3. Vgl. HARNACK, Kurfiirstencollegium (wie Anm. 18); KRAMMER, Kurfiirstenkolleg (wie

Anm. 13); MITTEIS, Königswahl (wie Anm. 27); Werner MALECZEK, Abstimmungsarten, in: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hg. von Reinhard SCHNEIDER / Harald ZIMMERMANN (VuF 37, 1990) S. 79-134; Ulrich REULING, Zur Entwicklung der Wahlformen

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Im Früh- und Hochmittelalter war bei den Wahlen designiert worden, mehr vererbt als gewählt, was mit dem Begriff der gelenkten Wahl nicht präzise umschrieben, sondern nur vage benannt werden kann. Seit dem Interregnum wurden zwar keine großdynastischen, aber dafür andere, ständig wechselnde Kompromisse zwischen den befugten Fürsten ausgehandelt mit entsprechend langen Vorlaufzeiten der einzelnen Königserhebungen. Die Kandidatenfindung war uneinheitlich gewesen und es bis zur Goldenen Bulle geblieben. Gravierender aber war der Umstand, dass auch auf der Wählerseite noch immer nicht definitiv klar war, wer und wie viele abstimmten. Frühestens seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatte sich ein engerer Kreis von Wahlfürsten herauszubilden begonnen, das Kurfürstenkolleg zeichnete sich ab. Nebulös war schließlich auch noch, was eine Wahl entschied und zur einmütigen Wahl machte.49 Einmütigkeit war keine numerische Größe, sondern ein Ritual, bei dem sich die Partei, die sich nicht durchsetzen konnte, der erfolgreicheren anschloss oder einfach verstummte. Dieses diffuse Prozedere formalisierte nun die Goldene Bulle, was den Zutritt zur Wahl und ihre Entscheidung anbelangte. Nicht beim Kandidatenkreis, wohl aber bei den sieben festgelegten Wählerstimmen und beim Mehrheitsprinzip gab es jetzt nach Jahrhunderten ein geregeltes Verfahren. Doch auch hier galt, dass Karl auf Ludwig zurückgriff. Zwar war die Siebenergruppe der Wähler, die sich Ende des 13. Jahrhunderts herauskristallisiert hatte,50 nicht ludovicianischen Ursprungs, aber das Mehrheitsprinzip war es. Karl führte es nicht neu ein, sondern rezipierte dafür direkt oder indirekt die ,Sachsenhausener Appellation',51 die dritte jener Appellationen, mit denen sich Ludwig 1323/24 gegen die

bei den hochmittelalterlichen Königserhebungen im Reich, in: ebd. S. 227-270; Armin WOLF, Seit wann spricht man von Kurfürsten? in: Papstgeschichte und Landesgeschichte (wie Anm. 5) S. 4 0 1 ^ 3 5 ; DERS., Die Entstehung des Kurfurstenkollegs 1198-1298 (Historisches Seminar NF 11, 1998); Franz-Reiner ERKENS, Multi oder pauci? Überlegungen zur fürstlichen Wahlbeteiligung an den Königswahlen der staufischen Epoche, in: Von Sacerdotium und Regnum, hg. von Franz-Reiner ERKENS / Hartmut WOLFF (Passauer historische Forschungen 12, 2002) S. 135-152. 49

50

Vgl. HERGEMÖLLER, Fürsten (wie Anm. 47) S. 122; MALECZEK, Abstimmungsarten (wie

vorige Anm.) S. 97; DOTZAUER, Überlegungen (wie Anm. 27) S. 167; siehe auch unten Anm. 55. Erstmals erwähnt schon in der oben Anm. 11 angeführten Urkunde Urbans IV. von 1263 M G H Const. 2 S. 525,19; BECKER, Einfluß (wie Anm. 31) S. 61 f.; WOLF, Kurffirsten

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(wie Anm. 48) S. 410 Anm. 42; DERS., Die Vereinigung des Kurffirstenkollegs, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual, hg. von Heinz DUCHARD / Gert MELVILLE (Norm und Struktur 7, 1997) S. 305-371; Franz-Reiner ERKENS, Kurffirsten und Königswahl (MGH Studien und Texte 30, 2002); vgl. auch unten Anm. 55. Siehe oben Anm. 29.

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päpstlichen Attacken auf seine umstrittene Wahl zur Wehr gesetzt hatte. 52 Schon die verwünschenswerte Zwietracht aus den Anfangszeilen der Goldenen Bulle spielte auf diese Doppelwahl von 1314 an und nahm Ludwig unausgesprochen als Aufhänger.53 Erst recht war dann das Einmütigkeit stiftende Mehrheitsprinzip von vier zu drei, das diese Zwietracht aus der Welt schaffen sollte, ludovicianisch. Der Bayer hatte damit in der ,Sachsenhausener Appellation' aus der Retrospektive die kritischen Punkte seiner Wahl vor dem Papst geglättet. Die Idee der abzählbaren Mehrheit war hier entstanden und eingesetzt worden. Ludwig behauptete, es sei bewährter Brauch und praktiziertes Recht im Reich, dass ein neuer König von allen Kurfürsten gewählt werde oder zumindest von der numerischen Mehrheit, puta a quatuor,5A was als ebenso einmütig gelte. Damit sollte seine Wahl als Mehrheitsentscheidung im Nach-

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Die anderen beiden Appellationen MGH Const. 5 S. 641-647 Nr. 824 und S. 655-659 Nr. 836. Vgl. allgemein Alois SCHÜTZ, Die Appellationen Ludwigs des Bayern aus den Jahren 1323/24, MIÖG 80 (1972) S. 71-112. Hans-Dieter HOMANN, Kurkolleg und Königtum im Thronstreit von 1314-1330 (Miscellanea Bavarica Monacensia 56, 1974) S. 294 f.; HERGEMOLLER, Fürsten (wie Anm. 47) S. 121. MGH Const. 5 S. 726,1 f., 8-13 bzw. S. 747,3 f., 10-15: Primo quia ille censetur in concordia electus ad imperium, qui a maiori parte electorum, puta a quatuor electus fuerit. ... Item cum consuetudo imperii approbata, que apud nospro iure servatur, habeat manifeste, quod electus in loco ad eligendum regem Romanorum in imperatorem postmodum promovendum, videlicet in opido de Franchenfurt, ab omnibus electoribus sive a maiori parte ipsorum sive etiam a minori, dummodo fìat electio a duobus electoribus ibidem presencium ad minus ... est habendus tamquam in vera concordia electus. Vgl. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 36) 1 S. 20; MITTEIS, Königswahl (wie Anm. 27) S. 2 1 5 f.; KÖLMEL, R e g i m e n ( w i e A n m . 9 ) S. 5 5 6 ; HERGEMOLLER, F ü r s t e n ( w i e A n m . 4 7 )

S. 122; MlETHKE in der Einleitung zur Edition: Politische Schriften des Lupoid von Bebenburg, hg. von Jürgen MlETHKE / Christoph FLOELER (MGH Staatsschriften 4, 2004) S. 73 Anm. 274. Die Variante mit der minor pars hat sich in der Goldenen Bulle nicht niedergeschlagen. MITTEIS, Königswahl (wie Anm. 27) S. 224, und BECKER, Einfluß (wie Anm. 31) S. 62 f., interpretieren die Vierzahl als Quorum, nicht als Mehrheitsprinzip, was aber der Möglichkeit der minor pars widersprechen würde; vgl. UNVERHAU, Approbatio (wie Anm. 9) S. 370, die die minor pars deshalb einer anderen Tradition, der unitas actus-Theorie zuordnen will. Dazu auch DOTZAUER, Überlegungen (wie Anm. 27) S. 169. In den vorangehenden Appellationen stand rex ... electus est aprincipibus electoribus ... omnibus vel maiori numero eorundem (MGH Const. 5 S. 644,42 f. und S. 657,16 f.); KÖLMEL, Regimen (wie Anm. 9) S. 554; HERGEMOLLER, Reichstag (wie Anm. 28) S. 412.

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hinein salviert werden. Was er dem Papst als angebliches Gewohnheitsrecht55 entgegenstellte, nahm die Goldene Bulle dann auf. Karl bezog den berühmten Abstimmungsmodus in Derivation aus dem Sachsenhausener Text. Ludwigs Darstellung war nicht korrekt, er half sowohl bei der Mehrheit selbst als auch bei der Tradition nach.56 So verschwieg er, dass die Stimmen umstritten gewesen und das sächsische und böhmische Votum jeweils von beiden gegnerischen Lagern beansprucht und gezählt worden waren. Ebenso verlautete nichts darüber, dass das Mehrheitsprinzip gar nicht gegolten hatte. Es hätte die Entscheidungsschlacht von Mühldorf 1322 zwischen den beiden Gegenkönigen nicht geben müssen, wenn nach Mehrheit entschieden worden wäre. An anderer Stelle führte Ludwig die Schlacht als alleiniges Argument seiner Rechtmäßigkeit an.57 Überhaupt konnte er vom Mehrheitsprinzip als bewährtem Brauch nicht reden, alle vorangehenden Könige seit dem Interregnum hatten nicht darauf zurückgegriffen. Rudolf von Habsburg, Adolf von Nassau, Albrecht von Habsburg (zumindest bei seiner Nachwahl) und Heinrich VII. waren ohne Gegenstimme ins Amt gekommen. Einmal war die böhmische Stimme ausgetauscht worden, zweimal nicht abgegeben worden, und das war ausschlaggebend dafür gewesen, dass die Wahlen jeweils auf ihre Weise als einmütig galten.58 Das Mehrheitsprinzip war nicht angewandt worden. Ludwig führte es trotzdem als alte Gewohnheit und gängige Praxis ins Feld, um der eigenen Wahl 55

Hinter Bemerkungen wie MGH Const. 3 S. 115,30 f.: ... quousque Romano imperio de principe sit provisum per eos vel maiorem partem eorum, ad quos provisio huiusmodi noscitur pertinere, aus der in Anm. 41 zitierten Rudolflirkunde steckte noch kein abzählbares Verfahren. Zur Urkunde HUGELMANN, Königswahl (wie Anm. 9) S. 185. Auch der Schwabenspiegel, Landrecht 130a, benannte keinen Mehrheitsmodus, sondern den Weg zur Einstimmigkeit; Schwabenspiegel. Kurzform I, hg. von Karl A. ECKHARDT (MGH Fontes iuris NS 4/1, 1960) S. 221 und S. 223: Den kunig sullen kiesen drey pfaffen fursten vnd vier laien fursten. ... Dar umb ist der forsten vngerad geseczt, die di chur do habent, ob drei an ainen vallent vnd uier an den andern, das die drey den Vierden uolgen sullen, vndye sol dye mynner volg der merern uolgen. Vgl. Eugen REIMANN, Untersuchung über die Vorlagen und die Abfassung der Goldenen Bulle (Diss. Halle-Wittenberg 1898) S. 19; ZEUMER, G o l d e n e B u l l e ( w i e A n m . 3 6 ) 1 S. 2 0 ; HERGEMÖLLER, R e i c h s t a g ( w i e A n m . 2 8 ) S. 4 1 2 ; DERS., Fürsten ( w i e A n m . 4 7 ) S. 1 2 2 ; DOTZAUER, Ü b e r l e g u n g e n ( w i e A n m . 2 7 )

S. 185. 56

57 58

V g l . WERUNSKY, K a r l I V . ( w i e A n m . 4 1 ) S. 1 1 1 ; MOELLER, L u d w i g ( w i e A n m . 2 7 )

S. 49 ff. In der Sachsenhausener Appellation MGH Const. 5 S. 730,18-22 bzw. S. 750,23-27. Bei Rudolf war die Stimme des widersprechenden Ottokar II. von Böhmen ( | 1278) gegen die des niederbayerischen Herzogs Heinrich XIII. (f 1290) ausgetauscht, bei Albrecht und Heinrich waren die böhmischen Stimmen nicht abgegeben worden; HOENSCH, Luxemburger (wie Anm. 37) S. 30 f.; KRIEGER, Habsburger (wie Anm. 13) S. 20 f. und S. 85 ff.

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ein passendes Kriterium zu geben. Aber auch wenn seine Argumentation nachträglich konstruiert und verfälschend war, wurde in der ,Sachsenhausener Appellation' das Mehrheitsprinzip politisch zum ersten Mal verwendet. Karl kannte es im Rückgriff auf diesen Text. 59 Geläufig musste es ihm auch aus dem ,Rhenser Weistum' sein, 60 obwohl er und sein Vater Johann von Böhmen aus Gründen der Opposition nicht daran beteiligt gewesen waren. 61 Das Weistum stammte ganz von ludovicianisch gesonnenen Fürsten. In Anlehnung an die ,Sachsenhausener Appellation' stand dort das Mehrheitsprinzip der Königswahl ein zweites Mal beschrieben. Gewählt war, wer von allen Kurfürsten oder a maiori parte numero eorundem erhoben wurde. 62 Ein drittes Mal fand sich die Regelung schließlich in ,Licet iuris', auch hier nahezu in gleichen Worten. 63 Die Texte von 1338 waren zeitlich noch dichter an der Goldenen Bulle als die Appellation von 1324, aber Karl hatte die Idee der Mehrheitswahl letztlich doch aus der Appellation. Sie bot den Kontext der Wahl von 1314, die er mit ihrer Zwietracht als Aufhänger nahm, und sie bot allein die charakteristische Verknüpfung der Majorität mit dem Stichwort der concordia. Auch wenn das Mehrheitsprinzip, durch das die alte Einmütigkeit neu definiert wurde, erst mit der Goldenen Bulle zum Durchbruch kam und davor nie eine Rolle gespielt hatte, war es ludovicianisch. Das nachträglich zur Rechtfertigung des Wahlergebnisses von 1314 konstruierte Prinzip eignete sich, die traditionell unpräzise Einmütigkeit in eine distinkte und adäquate Verfahrensweise für das spätmittelalterliche Kurfürstenreich umzuformen. In Ludwigs Lösung, aus der Doppelwahl von 1314 eine einmütige Mehrheitswahl zu machen, sah Karl die passende Manipulation,

59

Vgl. UNVERHAU, Approbatio (wie Anm. 9) S. 372 f.

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Vgl. WERUNSKY, Karl IV. (wie Anm. 4 1 ) S. 121 und S. 162.

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SCHUBERT, Königswahl (wie Anm. 30) S. 165.

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Siehe oben Anm. 30; KRAMMER, Kurfiirstenkolleg (wie Anm. 13) S. 275; FRITZE, Ludwig (wie Anm. 31) S. 302; BECKER, Kaisertum (wie Anm. 4) S. 134; MIETHKE, Kampf (wie Anm. 5) S. 70; MENZEL, Kampf (wie Anm. 18) S. 116; ferner oben Anm. 33 die Bekräftigung des ,Rhenser Weistums'.

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Wie oben Anm. 31: ... aliquis eligitur in imperatorem sive in regem ab electoribus imperii concorditer vel a maiori parte eorundem. BECKER, Einfluß (wie Anm. 3 1 ) S. 6 2 ; MENZEL, Kampf (wie Anm. 18) S. 116. - Einmütige Wahl und Mehrheitswahl unterschied auch Lupoid von Bebenburg vielfach: Politische Schriften (wie Anm. 54) S. 237,16 f., 26; 3 0 1 , 2 f . , 6 f.; 3 0 4 , 8 f., 2 0 f.; 3 0 5 , 4 f . , 1 0 f.; 3 0 6 , 1 7 f . , 2 3 f.; 3 1 0 , 2 f., 11 f.; 3 1 7 , 1 0 f.; 3 2 4 , 9 f., 2 3 f.; 3 2 7 , 1 4 f.; 3 3 0 , 8 f . , 17 f.; 3 3 2 , 1 5 f.; 3 3 9 , 1 9 ; 3 4 2 , 1 4 f.; 3 4 3 , 5 f f . ; 3 8 0 , 1 3 .

Er bot daneben aber auch S. 3 0 0 , 1 0 - 1 2 : Ergo electio, quefita maiori parte ipsorum, valet et proinde habenda est, ac si facta esset per omnes eos concorditer, vgl. S. 2 6 5 , 2 3 ff. und S. 3 4 6 , 1 9 - 2 3 . LINDNER, Goldene Bulle (wie Anm. 41) S. 312 ff.

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von den unklaren Wahlverfahren alter Zeiten zu festen kurfürstlichen Handlungsstrukturen zu kommen und gleichzeitig das schillernde Wort von der Einmütigkeit nicht fallen zu lassen. Er war der erfolgreiche Nutzer der Mehrheit als neue Einmütigkeit, nicht der Erfinder. Aber bekanntlich war er immer erfolgreicher als Ludwig, wenn es darum ging, Ideen von Wert für sich zu verbuchen. Von der Komposition her kamen wie beim „König und künftigen Kaiser" mit seiner Macht wieder ein alter Topos und ein ludovicianischer Inhalt zusammen, nur dass Karl diesmal „Einmütigkeit" und „Mehrheit" als die beiden Elemente erst gar nicht mehr zusammenbringen musste, sondern die Verknüpfung schon von Ludwig vorgegeben war. Am Ende einer rezeptionsgeschichtlichen Analyse ist nach dem Ergebnis zu fragen. Wird lediglich der Ehrgeiz des Editors befriedigt, indem ein paar Abschnitte der Goldenen Bulle ihre Quellennachweise bekommen?64 Oder ist es eher der Autor Karl, der, bloßgestellt als heimlicher Benutzer der Ideen Ludwigs, ein Aperçu zum Umgang historischer Rivalen untereinander abgibt? Das wären begrenzte Erträge. Was wirklich zählt an solchen Rezeptionssträngen, ist die Weitergabe der Inhalte, genauer gesagt ihre kontextüberschreitende Geschichtsfähigkeit. Die ,Sachsenhausener Appellation', das ,Rhenser Weistum', ,Licet iuris' und ,Fidem catholicam' sind in singulären Kampfsituationen zwischen Ludwig, Johann XXII. und Benedikt XII. entstanden, die Goldene Bulle in ganz anderen Zusammenhängen zwischen Karl und seinen Kurfürsten. Dass diese Texte in der Goldenen Bulle direkt oder indirekt benutzt wurden und Karl sich bei seinem angefeindeten Vorgänger bediente, sind die

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Infrage kämen etwa noch die architektonischen Vergleiche für die Kurfürsten in ihren Beziehungen zum Reich MGH Const. 11 S. 578,26-28: ... venerabilium et illustrium principum electorum ..., qui velut columpne proceres sacrum edificium circumspecte prudentie solerti pietate sustentant\ S. 596,5f.: ... prirtcipes electores ..., qui solide bases imperii et columpne immobiles; S. 620,6-9: principatus, dominia, honores et iura electorum principum debent illesa servari ..., ne columpnis ruentibus basis tocius edificii collidatur; S. 630,25 f.: electores principes, ipsius imperii columpne et latera. Das könnte von Ludwigsurkunden angeregt sein; vgl. die Belehnungen der Habsburger von 1331 (MGH Const. 6/2 S. 47 Nr. 74, hier S. 47,21 f.) und 1335 (ebd. S. 461-163 Nr. 667a, hier S. 461,36-38): per quos idem imperium tamquam bases egregias sustentatur. Zur Tradition vgl. MGH Const. 5 S. 134,13-17; 135,16; 6/1 S. 103,29 f. Gebraucht wurden solche Vergleiche aber auch schon früher, etwa MGH Const. 3 S. 173,27 f.; 321,23 f.; 356,16 f.; vgl. SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 37) S. 253 f.; KRIEGER, König (wie Anm. 5) S. 37 ff. Vgl. auch oben Anm. 41 andere mögliche Spuren. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 36) 1 S. 33 f.; Hubert RÖHRENBECK, Karl IV. und die Pfalzgrafen bei Rhein, BDLG 114 (1978) S. 613-643, hier S. 625; vgl. allgemein WERUNSKY, Karl IV. (wie Anm. 41) S. 162 zum Stellenwert der Vorlagen.

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konkreten, subjektiven Umstände gewesen. Viel wichtiger ist aber, dass die vorgegebenen ludovicianischen Inhalte und die karolinischen Übernahmen auf abgehobenerer Ebene die Stufen eines historischen Prozesses waren. Aus den Waffen der Vergangenheit wurden verfassungsmäßige Strukturen.65 Die Abwehr der päpstlichen Approbations- und Vikariatsansprüche, die Definition der imperialen Herrschaft des Königs, die Gottunmittelbarkeit des Kaisers, die Mehrheitswahl, um all das musste Karl bei seinem Werdegang nicht zentral kämpfen,66 geschweige denn, dass er davon blockiert wurde. Doch er hat diese umstrittenen Positionen des Vorgängers übernommen und in Formen dauerhaften Rechtes gegossen.67 Gegenüber Ludwig betrieb er damit durch und durch feindliche Übernahmen, er bezog stillschweigend dessen Standpunkte, obwohl er ihn offiziell aus der Geschichte tilgen wollte. Die Brisanz dieser Standpunkte ließ er auch nicht durchblicken; er präsentierte sie verknüpft mit anderen Rechtstraditionen als Zustandsbeschreibungen, so als wären sie nie problematisch gewesen. Über die Rezeption ging er „stillschweigend hinweg, als ob [er] nichts davon wüsste", um es mit typischen Worten seiner Autobiografie zu sagen.68 Inhaltlich aber, und darauf kommt es an, formte er ludovicianische Elemente zu Details der Verfassungsvorstellungen der Goldenen Bulle. Das sogenannte , Grundgesetz des Alten Reiches' fuhrt vor Augen, wie aus umstrittenen Vorgaben dauerhafte Instrumente von konstitutionellem Rang wurden oder, etwas allgemeiner formuliert, wie sich aus den Optionen69 der Vergangenheit eine Auswahl zu weiterer 65

V g l . SCHUBERT, K ö n i g s a b s e t z u n g ( w i e A n m . 9 ) S. 3 3 5 .

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Vgl. August MILAN, Karls IV. erster Römerzug, Erster Bericht der K. K. Deutschen Staatsunterrealschule in Karolinental (Prag) (1877) S. 3-46, hier S. 3 f.; ENGELMANN, Anspruch (wie Anm. 9) S. 100-103; FEINE, Approbation (wie Anm. 13) S. 369 f. und S. 3 7 2 f.; SCHMUGGE, Kurie ( w i e A n m . 3 7 ) S. 7 5 ; SEIBT, Karl IV. ( w i e A n m . 3 7 ) S. 2 5 2 ; MLETHKE, K u r i e ( w i e A n m . 5 ) S. 4 4 2 ; PAULER, A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n ( w i e A n m . 3 7 )

S. 8-11 und S. 19-22. 67

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V g l . MENZEL, L u d w i g ( w i e A n m . 2 1 ) S. 4 0 7 . PENNINGTON, Prince ( w i e A n m . 2 8 ) S. 1 9 4 f.,

sollte mit der Unterschätzung der Wirkung der ludovicianischen Vorgaben: „the conflict ... did not have the same importance as earlier disputes for the history of the ius commune. No legislation arose from the controversy to memorialize it for future generations of jurists", nicht das letzte Wort behalten. Vita Karoli IV. (wie Anm. 2) Kap. 5 S. 344B,15 f.: Ego autem sub silencio pertransivi, tamquam inde nichil stirem; Hans PATZE, Karl IV. Kaiser im Spätmittelalter, in: Ausgewählte Aufsätze von Hans Patze, hg. von Peter JOHANEK / Ernst SCHUBERT / Matthias WERNER ( V U F 5 0 , 2 0 0 2 ) S. 6 0 9 - 6 2 7 , hier S. 6 2 7 .

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Untergegangene Optionen wären etwa das Doppelkönigtum Ludwigs und Friedrichs des Schönen seit 1325 oder der Abtretungsplan des Königtums an Herzog Heinrich XIV. von Niederbayern (t 1339) aus den Jahren 1333/34; MGH Const. 6/1 S. 72 Nr. 105 und S. 96 f. Nr. 140 f.; Heinz THOMAS, Kaiser Ludwigs Verzicht auf das römische Königtum,

| Michael Menzel

Geschichte verdichtete. Die Texte und Akteure waren dabei die subjektiven Träger, die Rezeption der Inhalte dagegen markierte die Stufen einer qualitativen historischen Entwicklung.

ZHF 12 (1985) S. 1-10; Michael MENZEL, König Johann von Böhmen und die Wittelsbacher, in: Johann der Blinde (wie Anm. 30) S. 307-342, hier S. 330-333; DERS., Ludwig ( w i e A n m . 2 1 ) S. 3 9 7 ff.; DERS., K a m p f ( w i e A n m . 18) S. 112 f.; R o l a n d PAULER, F r i e d -

rich der Schöne als Garant der Herrschaft Ludwigs des Bayern in Deutschland, ZBLG 61 (1998) S. 645-662; Marie-Luise HECKMANN, Das Doppelkönigtum Friedrichs des Schönen und Ludwigs des Bayern (1325-1327), MIÖG 109 (2001) S. 53-81.

Feindliche Übernahme

PAUL-JOACHIM HEINIG

Solide bases imperii et columpne immobiles?

Die geistlichen Kurfürsten und der Reichsepiskopat um die Mitte des 14. Jahrhunderts

Der kürzlich leider verstorbene Ernst Schubert hat das sogenannte , Rhenser Weistum' und den sogenannten ,Rhenser Kurverein' vom 16. Juli 1338 aus deren ,Sitz im Leben' heraus als einen bündnispolitischen Versuch der Kurfürsten gedeutet, ihre seit der Jahrhundertwende erlangte bevorrechtigte Stellung gegenüber den anderen Fürsten zu behaupten und sich auch gegenüber einigen nichtfurstlichen »Ständen' als die eigentlichen Wahrer der Reichsinteressen zu rekonstituieren.1 Indem sie hier erstmals einen Bund geschlossen hätten, der nicht durch das Erfordernis einer Königs-Neuwahl, sondern durch die politischen Umstände im Verlauf einer königlichen Regierungszeit veranlasst worden sei, hätten sie ihre seit dem Beginn der 1330erJahre anhaltende Phase politischer Schwäche überwunden; ja, sie hätten geradezu einen Markstein gesetzt auf ihrem Weg zu einem eigenständigen Faktor zwischen dem Monarchen und den anderen Herrschaftsträgern im Reich, die sich erst weit über einhundert Jahre später als Stände organisiert hätten. Obwohl sie sich noch nicht als Vertreten und begründet hat Ernst SCHUBERT diese Auffassung nicht zuletzt in: DERS., Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung, Jb. für westdeutsche LG 1 (1975) S. 9 7 - 1 2 8 ; DERS., Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, ZHF 4 (1977) S. 2 5 7 - 3 3 7 , bes. S. 2 8 5 - 2 9 0 ; DERS., Kurfürsten und Wahlkönigtum. Die Wahlen v o n 1308, 1314 und 1346 und der Kurverein von Rhens, in: Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier - Kurfürst des Reiches 1 2 8 5 - 1 3 5 4 , hg. unter Mitwirkung von Johannes MÖTSCH von Franz-Josef HEYEN (Quellen und Abh. zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 53, 1985) S. 103-117. Prononciert referiert und kritisch übern o m m e n hat sie Heinz THOMAS, Deutsche Geschichte des Spätmittelalters 1 2 5 0 - 1 5 0 0 (1983) S. 2 0 2 - 2 0 5 . Die Texte immer noch bei Karl ZEUMER, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz ,Licet iuris' v o m 6. August 1338. Mit einer Beilage: Das Renser Weisthum v o m 16. Juli 1338, N A 3 0 (1905) S. 87-112, hier S. 1 1 0 - 1 1 2 ; Quellen zur Verfassungsgeschichte des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter ( 1 2 5 0 - 1 5 0 0 ) , bearb. von Lorenz WEINRICH ( A u s g Q A 33, 1983) S. 2 8 7 - 2 9 3 ; neueste deutsche Übersetzung in: Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung 2: Spätmittelalter 1 2 5 0 - 1 4 9 5 , hg. von Jean-Marie MOEGLIN / Rainer A. MÜLLER (2000) S. 149 f. Nr. 17.

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ein fest abgegrenztes Kollegium und auch nicht als , Schöffen' des Reiches verstanden hätten, wie man früher entsprechend der Weistums-Theorie gemeint habe,2 habe ihr Weg zwischen der Beanspruchung monarchischer Herrschaftsrechte für sich selbst und der Absorption ständischer Aufgaben mächtigen Auftrieb erhalten und in der Goldenen Bulle die verfassungsrechtliche Formalisierung erlangt. Dieser Variante einer nach dem Zweiten Weltkrieg - gegen die Dominanz einer streng monarchischen, untrennbar mit dem Namen Karl Zeumer3 verbundenen Interpretation des Wilhelminismus - Platz greifenden Deutung der Goldenen Bulle als eines Dokuments des dualistischen Ständestaates auf der Reichsebene 4 steht seit Längerem eine Richtung gegenüber, die in kritischer Rezeption Zeumers wieder die alleinige Federführung des Kaisers betont. Deren Anhänger verweisen mit Peter Moraw vor allem darauf, dass die Goldene Bulle erst viel später, in einer völlig veränderten Konstellation, jene Zukunft gewonnen habe, die allgemein bekannt geworden ist: „als Dokument des Dualismus am Anfang der Sammlungen der Fundamentalgesetze eines dualistisch gewordenen Reiches".5 Sie betonen, dass 1356 keinerlei ständisches Interesse der Gesamtheit der Fürsten festzustellen sei. Nicht einmal die Kurfürsten hätten - im Sinne eines Kollegs - vor oder auch nach der Goldenen Bulle gemeinsam gehandelt. Der in der Goldenen Bulle vorgesehene jährliche Kurfürstenrat sei nie zusammengetreten, weil der vorausgesetzte festere Zusammenhalt nicht einmal bei den geografisch benachbarten vier rheinischen Kurfürsten bestanden habe, geschweige denn bei allen sieben. Deshalb deutet diese Forschungs-

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Erheblich zu kurz greift deshalb die schon 1356 endende, gleichwohl bis heute verdienstvolle Sammlung: Quellen zur Geschichte der deutschen Königswahl und des Kurfurstenkollegs, hg. von Mario Krammer, 2 Bde. (Quellensammlung zur deutschen Geschichte, 1911 f.; ND 1972), hier bes. das S. 97-160 nachgedruckte zweite Heft (mit den Literaturangaben S. 4 f.). Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. 2: Text der Goldenen Bulle und Urkunden zu ihrer Geschichte und Erläuterung (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2, 1908). Vgl. etwa Erling Ladewig PETERSEN, Studien zur Goldenen Bulle von 1356, DA 22 (1966) S. 227-253. So Peter MORAW seit dem Karlsjubiläum von 1978, explizit etwa in: DERS., Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3, 1985) S. 247-249; aber auch in: DERS., Vom Raumgefuge einer spätmittelalterlichen Königsherrschaft. Karl IV. im nordalpinen Reich, in: Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. lahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Histórica, hg. von M i c h a e l LINDNER / E c k h a r d MÜLLER-MERTENS / O l a f B . RADER unter M i t a r b e i t v o n

Mathias LA w o (BBAW. Berichte und Abh. Sonderbd. 2, 1997) S. 61-81, hier S. 79.

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richtung die Goldene Bulle primär als ein Privileg des hegemonialen Königtums Karls IV., welcher die Kurfürsten an der „damals noch recht schlichten Mechanik des Reichsganzen" beteiligt habe. „Dualistische" Charakterzüge trage die Goldene Bulle nur im Sinne einer „vernünftigen" Interessenabgrenzung und einer Offenheit gegenüber der Zukunft. Erst durch die Tatsache, dass sie unter völlig veränderten Bedingungen - denen des institutionalisierten Dualismus, der Konfessionalisierung etc. - anwendbar blieb, also durch ihre in gewisser Weise nicht vorhersehbare Wirkungsgeschichte, habe sie den Rang des wichtigsten schriftlichen Denkmals der älteren deutschen Verfassungsgeschichte erlangen können.6 Gegenüber diesen beiden einander schroff entgegenstehenden Deutungen der Goldenen Bulle wird man die Überzeugungskraft einer dritten betonen, die ihre analytisch am besten begründete Plausibilität weniger als Kompromisslösung denn als plurales Verständnismodell gewinnt. Diesbezüglich kann es an dieser Stelle allenfalls gelingen, unter möglichstem Vermeiden der die radikalen Theorien bewusst oder unbewusst leitenden Vorannahmen sowie der Verstehensfallen, die der Text selbst uns stellt, einige Aspekte seiner Vorgeschichte im Fokus der geistlichen Kurfürsten herauszupräparieren.7 Denn die Goldene Bulle ist abseits der ihr unterstellten Konzeptualität und ungeachtet ihrer auf Ewigkeit zielenden Rhetorik zuallererst zu lesen und zu verstehen als eine von einer ganz konkreten historischen Situation und Konstellation abhängige Geschäftsordnung der Kurfürsten, die zwar mithilfe des Kaisers gefunden wurde, sich aber über das Verhältnis zwischen diesen Verfassungselementen des Reiches in der politischen Praxis fast vollkommen ausschweigt. Dazu seien sieben Grundgedanken vorgetragen:

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Helmut SLAPNICKA, Karl IV. als Gesetzgeber in der Legende des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand SEIBT (1978) S. 404-407 und S. 465 f. Auf die Anführung der maßgeblichen Textausgaben und Übersetzungen dieses Grundgesetzes' kann an dieser Stelle verzichtet werden. Winfried DOTZAUER, Überlegungen zur Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Hintergrundes, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte. FS Alois Gerlich zum 70. Geburtstag, hg. von Winfried DOTZAUER / Wolfgang KLEIBER / Michael MATHEUS / Karl-Heinz SPIEß (Geschichtliche LK 42, 1995) S. 165193; Peter JOHANEK, Goldene Bulle, in: Verf.-Lex. 2 3 (1981) Sp. 84-87; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV. (Städteforschung A 13, 1983); DERS., Der Abschluß der „Goldenen Bulle" zu Metz 1356/57, in: Studia Luxemburgensia. FS Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich Bernward FAHLBUSCH / Peter JOHANEK (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, 1989) S. 123-232; Johannes KUNISCH, Formen symbolischen Handelns in der Goldenen Bulle von 1356, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER (ZHF Beih. 25, 2001) S. 263-280.

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1. Die Frage nach der positiven, negativen oder wie immer abzustufenden Rolle der Kurfürsten in der deutschen Geschichte wird in den nachfolgenden Zeilen schon deshalb nicht beantwortet werden, weil vielmehr durch eine Betonung der flüchtigen Momente, der Zufälligkeiten und der Alternativen der Goldenen Bulle der Gefahr des aktuellen Jubiläums entgegengewirkt werden soll, dieser ab ovo den späteren grundgesetzlichen Charakter beizulegen. Aus einer weit über den in der konkreten politischen Situation agierenden Kurfürsten schwebenden Warte sei an dieser Stelle nur so viel gesagt, dass kaum einer der Nachfolger Karls IV. in die Kurfürstenschelte des Proömiums der Goldenen Bulle eingestimmt haben dürfte.8 Denn so sehr jeder von diesen die in und mit der Goldenen Bulle vollzogene Fixierung der Kurfürsten als Königswähler goutiert haben dürfte, dürfte er deren Stilisierung als „feste Basen und unverrückbare Säulen des Reiches"9 auf diese eine Verfassungsfunktion beschränkt haben wollen. Insofern jeder der spätmittelalterlichen Herrscher die politischen Agenden des Reiches selbst zu bestimmen und persönlich zu definieren trachtete, was denn der Nutzen, was das Beste für das Reich sei, waren Einigkeit und Eintracht unter den Kurfürsten gerade nicht bzw. nur dann gefragt, wenn diese die Ziele und den Kurs des Herrschers unterstützten. Dies war vor wie nach der Goldenen Bulle eher selten der Fall, sodass es geradezu zum politischen Einmaleins der meisten Herrscher gehörte, unter den Kurfürsten ganz im Widerspruch zur Goldenen Bulle Uneinigkeit und Zwietracht zu säen. Auch für die Kurfürsten selbst waren die individuelle wie die kollegiale Kooperation mit dem Herrscher ebenso wie die Herstellung kollegialer Eintracht untereinander nur jeweils eines von mehreren denkbaren Szenarien. Die unter anderen in temporären Kurvereinen realisierte Nützlichkeit des kollegialen Gedankens ist nach der Absetzung König Wenzels10 im Verlaufe des 15. Jahrhunderts vor allem den rheinischen Kurfürsten verbindlicher geworden, ohne dass sie gegen den auch diesbezüglich ,ignoranten' Friedrich III. namhafte Erfolge erzielt hätten. Gleichwohl kann kein Zweifel darüber herrschen, dass die Kurfürsten die einzige prominente politische Gruppe des deutschen Spätmittelalters gewesen sind (Peter Moraw). Aber in deren politischer Substanz wie in deren Selbst-

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Siehe im Einzelnen dazu Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die Eröffnung der „Goldenen Bulle". Vorgebet und Proklamationsdiplom von „Omne regnum" unter metaphorologischen und exegetischen Aspekten, in: DERS., Cogor adversum te. Drei Studien zum literarischtheologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1999) S. 126-220. Axel GOTTHARD, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, 2 Bde. (Historische Studien 457, 1999). Dazu zuletzt systematisch Ernst SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (AAG III 267, 2005).

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und Fremdbild ist das in der Goldenen Bulle strapazierte Säulen-Epitheton erst wieder im und seit dem 16. Jahrhundert realisiert worden, als die Widersprüche längst als Dichotomie zwischen ,Monarchie und Libertät'11 gedeutet und begriffen wurden. 2. In der zu starren Würdigung der sogenannten, von einem Straßburger Boten am 25. November 1355 kolportierten proposition' Karls IV., in der zu engen Fixierung der Verhandlungen auf die Tage zu Nürnberg und Metz sowie in einer zu formalen Auffassung vom Charakter der Goldenen Bulle als einem kaiserlichen Privileg könnte eine Reihe von Schwachpunkten ihrer ,monarchisch-monistischen' Interpretation und der Satzungstheorie liegen, der zufolge der Kaiser unvorbereitet und ohne Vorlagen nach Nürnberg gekommen sei und das Gesetz gleichsam als Sitzungsprotokoll oder Aide-Mémoire erlassen habe. Alle Erfahrungen mit fundamentalen, aber auch mit weniger grundsätzlichen mittelalterlichen Herrscherdiplomen sprechen dafür, dass auch die Goldene Bulle einen erheblich längerfristigen Kommunikationsprozess voraussetzt, als dies durch die vermeintliche Proposition und durch die Hoftage markiert wird. Man sollte sich durch den Zufall der Überlieferung, der zweifellos den Monarchen begünstigt, nicht in die Irre fuhren lassen, und schon gar nicht durch längst als anachronistisch erwiesene Reichstagstheoreme. Weil ich im Weiteren darauf zurückkommen werde, sei hier zunächst nur noch betont, dass die Goldene Bulle den Charakter eines (wenn man so will: additiven) kaiserlichen Privilegs jedenfalls insofern trug, als ihr einige der typbedingten Charakteristika anhafteten: sie lag in Face-to-face-Absprachen begründet und wurde nicht reichsweit publiziert, und sie verlieh den Begünstigten vorerst einen Anspruch, den diese gegenüber Konkurrenten erst in der Praxis durchsetzen mussten. Nicht zufallig ließ sich der Erzbischof von Köln einzelne Teile davon noch einmal gesondert beurkunden und zahlte dafür resp. für deren erwünschte Ausfertigung unter (ebenfalls) Goldbullen die entsprechenden Gebühren. In demselben Atemzug ist aber zu berücksichtigen, dass mittelalterliche Herrschaftsträger niemals wider ihren Willen vom König oder Kaiser privilegiert worden sind. Stattdessen lassen sich aber etliche Privilegierungen von Einzelnen oder von Gruppen nennen, die dualistische Intentionen befriedigten oder doch wenigstens dualistisch wirkten - man lasse nur die Reihe vom Wormser Konkordat (1122) bis zum Ewigen Landfrieden (1495) gedanklich Revue passieren. Die Geschichte der großen mittelalterlichen Kaisergesetze ist eine Geschichte dualistischer Einflussnahme, die in Privilegien- oder Vertragsform publiziert wurde. Somit ist

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So die Untersuchung von Carsten KRETSCHMANN, Monarchie oder Libertät. Die Kaiserwahl Ferdinands II. und der Versuch einer römischen Königswahl „vivente imperatore" auf dem Regensburger Kurflirstentag 1630, Bohemia41 (2000) S. 364-392.

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auch die Goldene Bulle denjenigen, die durch sie begünstigt wurden, keinesfalls hegemonial aufgedrängt, sondern von ihnen wohl in einem noch höheren Maße mitgestaltet worden, als dies Bernd-Ulrich Hergemöller in seinem Vorlage-KonfliktKompromiss-Modell gleichermaßen detailliert wie plausibel ausgeführt hat.12 Wenn die Begünstigten, wie dies die Regel herrscherlicher Diplome war und wie man dies den Kurfürsten unterstellen darf, die Goldene Bulle darüber hinaus als persönliches Privileg sogar angestrebt haben sollten, dann müsste man ihnen eine Beeinflussung bis in die Formulierungen hinein zutrauen. Warum sollte sich in der bis dahin gänzlich singulär belegten,13 nun aber geradezu überbordend traktierten Säulen-Metapher nicht schon dasjenige, von ihrem Kaiser und Mitkurfürsten akzeptierte Selbstverständnis artikulieren, welches der luziden Untersuchung von Axel Gotthard14 zufolge zu dem Hauptmotiv wurde, um welches sich dann die frühneuzeitliche Selbstund Fremdauskunft über die Kurfürsten abertausendfach sowie in hundertfachen Variationen ranken sollte? 3. Mein dritter Grundgedanke gilt der Konfrontation der soeben erwogenen Höherbewertung des Einflusses der - vor allem: geistlichen - Kurfürsten auf die Goldene Bulle mit der einleitend referierten Vorstellung von deren Schwächeperiode in den 1330er-Jahren.15 Sollten meine Erwägungen zutreffen, dann hätten die Kurfürsten diese Schwäche mit der Goldenen Bulle tatsächlich endgültig überwunden und ihre

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HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 7). Der von GOTTHARD, Säulen (wie Anm. 9) S. 11 Anm. 2, nach Vinzenz SAMANEK, Neue Beiträge zu den Regesten König Adolfs (SAW 214/2, 1932) S. 5 Anm. 1, zitierte Beleg König Adolfs von Nassau, welcher in einer Urkunde von 1295 von seinen Wählern als immobilibus columpnis imperii gesprochen hat, wird durch den Hinweis von Dr. Mathias Lawo auf Kaiser Friedrich I. ergänzt, welcher in einer Arenga des Jahres 1167 die Reichsfiirsten so tituliert; siehe MGH DD F I. Nr. 539. Über diesen ,Fund' hinaus bin ich Herrn Dr. Lawo fiir das ganz ungewöhnlich intensive Redigieren der vorliegenden Abhandlung einschließlich wichtiger Korrekturen und Ergänzungen außerordentlich dankbar. Nämlich GOTTHARD, Säulen (wie Anm. 9). Siehe außerdem DERS., „Als furnembsten gliedern des heiligen Reichs". Überlegungen zur Rolle der rheinischen Kurfurstengruppe in d e r R e i c h s p o l i t i k d e s 16. Jahrhunderts, R h V j b l l 5 9 ( 1 9 9 5 ) S. 3 1 - 7 8 , u n d DERS., D i e

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Inszenierung der kurfürstlichen Präeminenz. Eine Analyse unter Erprobung systemtheoretischer Kategorien, in: Vormoderne politische Verfahren (wie Anm. 7) S. 303-332. Überprüfen ließe sich dies z. B. anhand der Ergebnisse von Hans-Dieter HOMANN, Kurkolleg und Königtum im Thronstreit von 1314—1330 (Miscellanea Bavarica Monacensia. Dissertationen zur bayerischen Landes- und Münchner Stadtgeschichte 56, 1974), und Alexander HUBER, Das Verhältnis Ludwigs des Bayern zu den Erzkanzlern von Mainz, Köln und Trier (1314—1347) (Münchener Historische Studien, Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 21, 1983).

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Präeminenz und Exklusivität gegenüber wahl-funktionellen Konkurrenten auf einer verfassungsrechtlich höheren Ebene abgesichert. Dass ein solches Motiv der Unsicherheit bei den Aspiranten der weltlichen Kurstimmen eine Rolle spielte, ist evident, denn diese wurden ja durch die Entscheidungen im Umfeld der Goldenen Bulle und durch diese selbst neu fixiert (z. B. Pfalz), wenigstens aber befestigt (Böhmen). Für die Interessenkonfiguration der geistlichen Kurfürsten scheint es mir hingegen von eher marginaler Bedeutung. Jedenfalls gibt es im Vorfeld der Goldenen Bulle und während der Beratungen über diese keinerlei sichere Anzeichen dafür, dass die Position der rheinischen Erzbischöfe von Angehörigen des Reichsepiskopats, die z. T. ja deren Suffragane waren,16 bestritten worden wäre. Zwar ist zutreffend festgestellt worden, dass an den zehn Königswahlen zwischen 1198 und 1273 noch alle Bistümer im Reich wenigstens einmal beteiligt gewesen waren, einige sogar drei bis fünf Mal.17 Aber ausschließlich die rheinischen Erzbischöfe hatten in dieser Frist fast an jeder Wahl - präzise an acht von zehn - teilgenommen, und zwar zeitlich mit zunehmender Tendenz.18 Diese hat sich bis 1346 weiter verstärkt,19 und parallel dazu nahm gerade im Vorfeld der Goldenen Bulle die Zahl deijenigen zu, die die Zustimmung der geistlichen Kurfürsten - teils in Gemeinschaft mit dem König von Böhmen und anderen weltlichen Kurfürsten - zu ihren vom König erlangten Privilegien einholten (Willebriefe) oder die Kurfürsten um Konfliktvermittlung baten (wie etwa der Bamberger Bischof Lupoid von Bebenburg bei seinem Protest gegen den 20 Verkauf pfälzischer Lehen an die Böhmische Krone ). In diese Rolle, die sie be16

Siehe dazu z. B. Monika STORM, Die Metropolitangewalt der Kölner Erzbischöfe im Mittelalter bis zu Dietrich von Moers (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 29, 1995).

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Siehe Roswitha REISINGER, Die römisch-deutschen Könige und ihre Wähler 1198-1273 (Unters, zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte NF 21, 1977).

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Zu den Ursachen dieses Phänomens zuletzt Armin WOLF, Die Goldene Bulle und die Kurfürsten, in: Wahl und Krönung, hg. von Bernd HEIDENREICH / Frank-Lothar KROLL (2006) S. 57-77, bes. S. 63 f.; kontrovers dazu namentlich Franz-Reiner ERKENS, Vom historischen Deuten und Verstehen. Noch zweimal zu einer neueren Theorie über die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, ZRGGermAbt 122 (2005) S. 3 2 7 - 3 5 1 .

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Das Papsttum hat der Verengung des geistlichen Wählerkreises augenscheinlich nichts entgegengesetzt. Jedenfalls Papst Clemens VI. hat dem Reichsepiskopat nur eine helfende, keine aktiv-wählende Rolle bei der Wahl Karls IV. zugestanden: Den Erzbischöfen und Bischöfen in Alamannien und Germanien und namentlich denjenigen von Basel, Brandenburg, Cambrai, Lüttich, Metz, Minden, Münster, Straßburg, Utrecht und Verdun befahl er, denjenigen, die einen König wählen wollten, durch persönliche Präsenz sowohl bei der Wahl als auch bei der Krönung beizustehen, siehe RI 8 Päbste Nr. 159. Spezielle Schreiben gingen auch an etliche genannte weltliche Fürsten sowie an Grafen und Städte.

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REM 2/1 Nr. 6460; REK 6 Nr. 448. Zum Weiteren auch: Regesten der Erzbischöfe von Trier von Hetti bis Johann II. 814-1503, bearb. von Adam GOERZ (1859-1861, N D 1969).

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reits als das spätere , Scharnier' zwischen Kaiser und Reich zeigt, gelangten die Kurfürsten umso mehr, desto stärker sie sich um die allgemeinen Reichsbelange kümmerten und vom Herrscher darin auch praktisch-politisch anerkannt, ja erwünscht waren. Denn es ist ja auch zu berücksichtigen, dass der überwiegende Teil des Reichsepiskopats sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts entweder noch nicht für Karl IV. erwärmt hatte oder gar an zentralen, vom Königtum vermittelten Reichsbelangen uninteressiert war.21 Von alles in allem an die 60 nichtkurfürstlichen Erzbischöfen und Bischöfen des Reichsepiskopats (also ohne die rund 50 gefürsteten Äbte und Äbtissinnen) nahmen nur diejenigen 15 bzw. neun an den Beratungen der Goldenen Bulle in Nürnberg und/oder Metz teil, welche die Nähe des Luxemburgers aus wohlverstandenem eigenen Interesse auch abseits großer Hoftage suchten. Sie nahmen vorweg, was zur tatsächlichen Option des nichtkurfürstlichen Reichsepiskopats wurde: sich um den Herrscher zu scharen, der ihnen (noch) Schutz vor hegemonialen weltlichen Territorialfürsten bieten mochte. Sollte sich im Umfeld der Goldenen Bulle dennoch ein geistlicher Fürst in seinen Königswahl-Ambitionen ähnlich zurückgesetzt gefühlt haben wie Herzog Rudolf IV. von Österreich, welcher bekanntlich 1359 einen die Kurfürsten denunzierenden Skandal provozierte, dürfte er wie Bischof Johann von Straßburg durch eine reichhaltige Privilegierung außerhalb der Goldenen Bulle ruhiggestellt worden sein. 4. Wenn schon nicht durch Konkurrenten ihrer seit der Jahrhundertwende erlangten bevorrechtigten Stellung als Königswähler und tendenzielle Wahrer der Reichsinteressen,22 scheint mir die Position der Kurfürsten zur Zeit der Goldenen Bulle dennoch durch eine relative individuelle und kollegiale Schwäche gekennzeichnet. Von dieser waren die rheinischen Erzbischöfe nicht ausgenommen, in gewisser Weise nicht einmal der Kaiser selbst. Mithin ist mein vierter Grundgedanke: Ebenso sehr, vielleicht stärker als der monarchischen Ordnungsintention, die man aus Karls IV. vermeintlicher Proposition und dem imperialen Tenor der Goldenen Bulle deriviert, ist das spätere ,Reichsgrundgesetz' einer spezifischen, ja einmaligen Konstellation entwachsen, zu welcher unzweifelhaft ein ganz außergewöhnliches situatives Aufeinanderangewiesensein aller Protagonisten gehörte. Die Monate vor der Verkündung der Goldenen Bulle markieren das Ende der ersten Phase, in welcher die Folgen der konfliktreichen Regierungszeit Ludwigs des Bayern überwunden wurden.23 Dies 21

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Siehe allgemein Peter MORAW, Fürstentümer, Geistliche, I. Mittelalter, in: TRE 11 (1983) S.711-715 Hinsichtlich der kurkollegialen Ursprünge und Ursachen sei hier nur noch hingewiesen auf Günter HOHL WECK, Studien zur Entstehung des Kurkollegs (Diss. Bonn 2000, 2001). Siehe zu diesem die Beiträge des Sammelbandes: Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, hg. von Hermann NEHLSEN /

| Paul-Joachim Heinig

wurde nicht nur durch den gleichsam natürlichen' Wechsel der Beteiligten begünstigt, auf den man im Sinne einer vermeintlichen Schwächung Karls IV. immer wieder hingewiesen hat,24 sondern auch dadurch, dass Karl IV. noch keineswegs überall anerkannt und sämtliche rheinischen Kurfürsten vollkommen oder relativ ,neu' im Amt waren. Damit war aber die vormals erlangte Kollegialität perdu, war auch gemeinschaftlichen dualistischen Bestrebungen die Spitze abgebrochen, denn jede neue episkopale Amtsgeneration musste sich erst wieder zusammenfinden. Mit dem Zwischenschritt bilateraler Beziehungen, für welche der Hof des Herrschers bezeichnenderweise zum maßgeblichen Zentrum wurde, musste ein kurfürstlicher Gruppenkonsens erst wieder aufgebaut werden, der sich dann u. U. gegen den Kaiser richten mochte. So weit war es längst noch nicht. Stattdessen wird man den Nürnberger Hoftag von 1356 auch als den Abschluss einer Initiationsphase markieren, in welcher die Herrschaft aller von uns ins Auge gefassten Beteiligten noch mehr oder weniger fragil und/oder umstritten war. In dieser Phase, vor allem in den Jahren 1353/54, haben Karl IV. und die geistlichen Kurfürsten die in der Goldenen Bulle fixierte Mitregierung bereits praktiziert. Oder anders: Die Goldene Bulle schrieb gleichsam einen flüchtigen partizipatorischen Moment fest, der so nie wiederkehren sollte. Am weitesten etabliert hatte sich zu diesem Zeitpunkt fraglos Karl IV., welcher nun schon Einfluss auf die Besetzung und Konfliktbereinigung der Kurfürstentümer und der geistlichen Fürstentümer nahm. Allerdings hatte er die raschestmögliche Kaiserkrönung nicht zuletzt deshalb gesucht, um sich unanfechtbar zu machen. Jetzt ging es auch für ihn noch darum, die verbliebenen Widersacher zu überwinden resp. zu integrieren, die von seiner imperialen Würde keineswegs so beeindruckt sein mochten, als dass es klug gewesen wäre, sie mit ausgeprägt monarchischen Attitüden zu konfrontieren. Wie dem auch sei: Über den Status des Mitkurfursten, der ihm ganz offensichtlich viel bedeutete, hatte er sich nun gleich zweifach erhoben. Diesen Vorteil nutzte er, um mit den rheinischen Kurfürsten, die ihm aus der Zeit Ludwigs des Bayern als unabdingbar wichtig bewusst waren, auf dem Weg zur Goldenen

Hans-Georg HERMANN (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 22, 2002); ferner Michael MENZEL, Ludwig der Bayer (1314-1347) und Friedrich der Schöne (1314-1330), in: Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), hg. von Bernd SCHNEIDMÜLLER / Stefan WEINFURTER ( 2 0 0 3 ) S . 3 9 3 - 4 0 7 . 24

Gemeint sind vor allem das Ableben der Königin Anna von der Pfalz am 2. Februar 1353, ihres Vaters Pfalzgraf Rudolfs II. am 4. Oktober 1353 sowie Erzbischof Balduins von Trier am 21. Januar 1354, vielleicht auch der Papstwechsel zu Innozenz VI. im Jahr 1352.

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Bulle eine spezifische Kooperation zu begründen.25 Obwohl ihm seine Partner deren Grenzen vor der Goldenen Bulle z. B. dadurch aufzeigten, dass sie ihm ihre Gefolgschaft auf dem Romzug versagten, und hernach, dass sie auf dem abschließenden Metzer Tag möglicherweise nicht bereit waren, die vor allem dem Kölner missliebige Herzogserhebung des Markgrafen von Jülich und ähnliche Gunsterweise des Kaisers für andere Herrschaftsträger zu bezeugen,26 beförderte Karl IV. in seiner politischen Praxis eine seinen kaiserlichen Interessen objektiv zuwiderlaufende, der Position der Böhmischen Krone allerdings zugutekommende Etablierung und Abschichtung sowie Gruppenbildung der Kurfürsten. Interessanterweise verhielt er sich darin ganz ähnlich wie die zeitgenössischen Päpste, welche ihr damaliges Einflussbedürfnis auf den deutschen Episkopat entgegen den teils von ihren Vorgängern selbst beförderten Lockerungen des kirchenhierarchischen Verhältnisses zwischen den Metropoliten und deren Suffraganen wieder verstärkt über die Erzbischöfe ausübten. Dass auch und gerade den Päpsten an einer eindeutigen, beschränkenden Fixierung der (ihnen genehmen) geistlichen Königswähler gelegen war, hatte schon 1338 Benedikts XII. scharfes Verdikt der Intervention einer Mainzer Provinzialsynode zugunsten Ludwigs des Bayern impliziert, zu einer solchen seien außer dem Gebannten persönlich allein die Kurfürsten befugt,27 und Innozenz VI. ermahnte die geistlichen Kurfürsten im Mai 1354 ausdrücklich zur Pflege „besonderer Eintracht" untereinander.28 In der 25

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Diese bezweckte, die rheinischen Kurfürsten auf eine kaiserliche Interessenpolitik sowie einen (vordergründigen) Grundlagenvertrag zu verpflichten, welcher in weiten Teilen die verfassungsrechtliche Position der Böhmischen Krone bessern und festschreiben sollte. Die offenbar zwischen dem 17. und dem 21. Dezember 1356 verfügte Erhebung Markgraf Wilhelms V. ist ebenso wenig urkundlich überliefert wie die ebenfalls in Metz erfolgte Wiederbelehnung des französischen Thronfolgers mit der Dauphiné und die Belehnung sowie Rangerhöhung Wenzels von Luxemburg-Brabant. HERGEMÖLLER, Der Abschluß der „Goldenen Bulle" (wie Anm. 7) S. 182-184, bezweifelt zu Recht den dreifachen Verlust solch wichtiger Urkunden. Er sieht in diesem Fehlen ein Indiz für Metzer Handlungen, die bloß oral-zeremoniell vollzogen wurden. Möglicherweise war dies (und damit der Verzicht auf kurfürstliche Willebriefe) auch die gegebene Form, in welcher der Kaiser seinen politischen Alleingängen Rechtskraft verleihen konnte, ohne sein gutes Einvernehmen mit den anwesenden geistlichen Kurfürsten zu stark zu beanspruchen. Namentlich Erzbischof Wilhelm von Köln, von dem der Jülicher etliche Lehen trug (vgl. REK 6 Nr. 921), hatte an diesen damals noch eine Reihe von Forderungen, deren zeitgenössische Aufzeichnung die REK 6 Nr. 907 bringen. Auch Erzbischof Boemund von Trier war ein politischer Feind des Jülichers und hatte kein Interesse an dessen Aufwertung. THOMAS, Deutsche Geschichte (wie Anm. 1) S. 200. Papst Innozenz VI. hat dies wahrscheinlich jedem von ihnen ausdrücklich ans Herz gelegt; nachweislich geboten hat er es dem Erzbischof von Köln am 19. Mai 1354 (R: RI 8 Päbste Nr. 253, REK 6 Nr. 538), erwähnt von Luise von WINTERFELD, Die kurrheini-

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Verantwortung für das Reich und in der Anerkennung der historischen Entwicklung, aber auch aus der Kurzsichtigkeit eines kooperativen Moments heraus mag Karl IV. die Hierarchisierung des amorphen Reiches nach dem Vorbild der Kirche vorgeschwebt haben. Die drei geistlichen Kurfürsten erwiderten die Kooperationsbereitschaft des Herrschers in der letzten Lebensphase Balduins von Trier und erst recht in den ersten Monaten nach dessen Tod zunächst nicht als Gruppe, sondern individuell. Dabei ließen sie sich in erster Linie schwerlich von ihrem Präeminenzbewusstsein oder ihrer gefühlten Reichsverantwortung leiten als von der Funktion, die sie dem Herrscher aufgrund der Bedürfnisse ihrer jeweiligen territorialpolitischen Situation beimaßen.29 Namentlich Erzbischof Gerlach von Mainz, ein gebürtiger Graf von Nassau, hatte seit seiner Providierung 1346 die Unterstützung des ihm schicksalverbundenen Königs gesucht, weil er den zugleich abgesetzten, aber den Besitz der Temporalien behauptenden Erzbischof Heinrich aus dem Hause Virneburg erst einmal verdrängen musste.30 Obwohl sich dies mit der Wahl und Durchsetzung des (Gegen-) Königtums Karls IV. verband, für die er sich vereinbarungsgemäß mit seiner ganzen Verwandtschaft eingesetzt hatte, hatte seine , Kreatur' ihm zwar zum Besitz der Stadt Mainz verholfen, ihn aber ebenso wenig in dem erwarteten Maße unterstützt wie dessen Großonkel Balduin oder auch Erzbischof Wilhelm von Köln, welche beide mit dem das Mainzer Stift faktisch beherrschenden Kuno von Falkenstein liiert bzw. sogar verwandt waren. Aus Enttäuschung darüber hatte Gerlach in seiner Verzweiflung

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sehen Bündnisse bis zum Jahre 1386. Ein Beitrag zum Bündniswesen des ausgehenden Mittelalters (Diss. Göttingen 1912) S. 61. Deshalb möchte man allen ein größeres Interesse an eigener Territorialpolitik und Reichsinnenpolitik als an Außenpolitik unterstellen, also an der Ausweitung des eigenen Hochstiftsbesitzes, an regionaler Befriedung, Domestizierung von Gegnern und Untertanen etc. Diese Beschränkungen vorausgesetzt, war Kommunikation mit den Universalgewalten weniger durch das Bewusstsein von Verantwortung für das Ganze geprägt als durch deren primäre Deutung als Privilegienhorte, die den eigenen Interessen in Do-ut-des-Verfahren fungibel zu machen waren. Zum Erzstift allgemein mit ausführlichen Literaturangaben Paul-Joachim HEINIG, Die Mainzer Kirche am Ende des Hochmittelalters (1249-1305), in: Hb. der Mainzer Kirchengeschichte 1/1, hg. von Friedhelm JÜRGENSMEIER (Beitr. zur Mainzer Kirchengeschichte 6/1/1, 2000) S. 347-415; Paul-Joachim HEINIG, Die Mainzer Kirche im Spätmittelalter (1305-1484), in: ebd. S. 416-554, zu Gerlach S. 476-479, aber weiterhin auch noch Georg Wilhelm SANTE, Gerlach, Graf von Nassau (1346-1371), in: Nassauische Lebensbilder 1, hg. von Rudolf V A U P E L (Veröff. der Historischen Kommission für Nassau X 1, 1940) S. 33^19. Vgl. zum Haus Nassau auch Alois GERLICH, Nassau in den politischen Konstellationen am Mittelrhein von König Adolf bis Erzbischof Gerlach, Nassauische Annalen 95 (1984) S. 1-37.

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seine bündnispolitischen Fühler u. a. zu den pfälzischen Wittelsbachern ausgestreckt und sich dabei nicht gescheut, die dualistischen Zähne des Kurfürsten hervorblitzen lassen: Auf das bloße Gerücht einer lebensgefährlichen Erkrankung Karls IV. hin hatte er für den Fall der Erledigung des Reiches am 31. Januar und am 2. Februar 1351 mit Pfalzgraf Rudolf II., welcher als sein Großonkel zugleich der Schwiegervater Karls IV. war,31 ein allgemeines und ein speziell auf die Königswahl des Pfalzgrafen abgestelltes Kurbündnis geschlossen, denen beizutreten die anderen Kurfürsten bewogen werden sollten.32 Dieser Vertrag erwies sich aber als ein verhängnisvoller Fehler, weil er nicht verborgen blieb und statt des Königs der Pfalzgraf starb. So kann es nicht verwundern, dass Gerlach nachfolgend die Scharte durch eine betonte Nähe zu dem genesenen König auszuwetzen suchte, diesem auf dessen Reisen nachfolgte und beflissen zu Diensten war. Dennoch ließ der König ihn bis zum Tod des Virneburgers zappeln, ehe er ihm 1354 im Mainzer Schied endlich zur wenigstens förmlichen Inbesitznahme des Mainzer Stuhles verhalf. Allerdings war dieser Schiedsspruch für den Erzbischof und das Stift materiell derart unvorteilhaft, dass man Karl IV. außer der Vermeidung weiteren Krieges die Absicht unterstellen könnte, Gerlach schwach und abhängig zu halten sowie territorialpolitisch zu beschäftigen. Aus einer ungleich größeren Distanz, ja Souveränität', gegenüber dem Herrscher hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch Erzbischof Wilhelm von Köln aus dem Hause Gennep schon eine Zeit lang so kooperativ verhalten, wie dies die Anfänge des beiderseitigen Verhältnisses keineswegs nahegelegt hatten.33 Denn Wilhelm war aufgrund brabantischer und französischer Protektion im Dezember 1349 von Papst Clemens VI. gegen den ausdrücklichen Willen König Karls IV. ernannt worden, sodass dieser ihn persönlich und seine frühzeitigen Bitten um die Verleihung der Temporalien ein ganzes Jahr lang ignoriert hatte.34 Aber die recht erfolgreiche wirtschaftliche und politische Amtsführung Wilhelms auf der einen, die großen territorialpolitischen Herausforderungen auf der anderen Seite ließen bei beiden die Einsicht reifen, ihre Potentiale so gut es ging kooperativ zu nutzen. Nachdem Wilhelm 31

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Deshalb dürfte Karl den Erzbischof z. B. am 1. Januar 1356 in einem Schreiben an Graf Walram von Sponheim in den REM 2/1 Nr. 469 seinen mag genannt haben. WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 55 f. Siehe dazu den Überblick von Wilhelm JANSSEN, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter 1191-1515, 2 Bde. (Geschichte des Erzbistums Köln 2/1-2, 1995-2003), bes. 1 S. 227-241; speziell DERS., „Under dem volk verhast". Zum Episkopat des Kölner Erzbischofs Wilhelm von Gennep (1349-1362), Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 177 (1975) S. 41-61. Erst am 14. Oktober 1350 erfolgte in Prag die Gesandtenbelehnung (R: RI 8 Nr. 1336, REK 6 Nr. 88).

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im Unterschied zu seinen dem König ungleich stärker verpflichteten Kollegen von Mainz und Trier (damals noch Balduin) die weite Reise zum Wiener parlamentum maximum im März 1353 verständlicherweise nicht auf sich genommen hatte35, wird die eigentliche Zäsur durch das enge Zusammenwirken aller Genannten anlässlich des königlichen Tages zu Speyer im November/Dezember 1353 markiert, von dem aus Wilhelm dem königlichen Hof fast ein halbes Jahr lang gefolgt zu sein scheint. Damals erfolgte nicht nur die persönliche Regalienbelehnung,36 sondern setzte auch ein bis über die ,Goldbullentage' von Nürnberg und Metz hinausreichendes do ut des ein, in dessen Verlauf Wilhelm zu dem am reichsten privilegierten geistlichen Kurfürsten überhaupt avancierte und z. B. reichsrechtliche Befugnisse erlangte, die er territorialpolitisch nutzen konnte. Im Unterschied zu seinen Kollegen von Köln und Mainz kam der bereits hochbetagte Boemund von Saarbrücken just zu dieser Zeit als Letzter unserer Probanden aus der Entourage der Luxemburger, ja geradezu als Rat Karls IV., in sein Amt als •37

Erzbischof von Trier. An dem Metzer Tag Karls IV. im März 1354 hatte der vom Trierer Domkapitel soeben gewählte Boemund noch als Elekt teilgenommen - erst von dort reiste er nach Avignon weiter, wo er Anfang Mai 1354 zum Nachfolger seines vormaligen, am 21. Januar 1354 verstorbenen ,Chefs' Balduin von Luxemburg providiert und geweiht worden war.38 Das maßgebliche Moment seiner Schwä35

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Aufgrund eines schlecht informierten Chronisten zählt Ellen WIDDER, Itinerar und Politik. Studien zur Reiseherrschaft Karls IV. südlich der Alpen (RI Beih. 10, 1993) S. 150 ff., den Kölner Erzbischof zu den Wiener Teilnehmern. Dass sich Wilhelm und Karl bereits im März 1353 begegnet sind, ist nach REK 6 Nr. 353 mit Anm. 1 und dem seinerzeitigen Itinerar des Bischofs, das sich aus REK 6 Nr. 337, 356, 364 f. rekonstruieren lässt, zweifelsfrei auszuschließen. Am 28. November 1353 beurkundete der König dem Erzbischof, die vormals vorbehaltene persönliche Belehnung nun corporaliter nachgeholt zu haben (R: RI 8 Nr. 1666, REK 6 Nr. 4 5 4 ) . Siehe zu ihm Wolfgang SEIBRICH, Boemund von Saarbrücken, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448. Ein biographisches Lexikon, bearb. von Clemens BRODKORB, hg. von Erwin GATZ (2001) S. 802 f.; vgl. auch Rudolf HOLBACH, Die Be-

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setzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter. Konstellationen und Konflikte, Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 35 (1983) S. 11-48. Anlässlich seiner Weihe am 3. Mai 1354 versprach Boemund, für die Hinterlassenschaft seines Vorgängers eine konkrete Summe an die apostolische Kammer abzuführen. Als er sich später weigerte, die volle Summe zu entrichten, weil die Hinterlassenschaft sich als weniger wert herausgestellt habe, beauftragte Papst Innozenz VI. den Erzbischof von Köln mit einer Überprüfung (R: REK 6 Nr. 668). Der von Gerhard LOSHER, Königtum und Kirche zur Zeit Karls IV. Ein Beitrag zur Kirchenpolitik im Spätmittelalter (Veröff. des Collegium Carolinum 56, 1985) S. 19-21, betonte Einfluss Karls IV. auf die Bistumsbe-

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che dürfte weniger seine Anfeindung durch die Grafen von Sponheim als die Tatsache markieren, dass er sich in Avignon hatte verpflichten müssen, für die Hinterlassenschaft Erzbischof Balduins eine konkrete Summe an die apostolische Kammer abzuführen. Dass er sich dabei grob zu seinem Nachteil verschätzt hatte und seither mit der Kurie um eine Reduzierung der versprochenen Summe stritt, rief eine in Boemunds Exkommunikation gipfelnde Beziehungskrise hervor. Diese beizulegen, war Papst Innozenz' VI. Entscheidung, ausgerechnet Erzbischof Wilhelm von Köln mit der Überprüfung der Stichhaltigkeit der Boemundschen Ausflüchte zu beauftragen,39 wenig geeignet. Dass die Kurie aber dadurch die Beziehungen zwischen diesen beiden Kurfürsten intensiviert hat, fuhrt uns zu der Frage, welchen Beitrag Papst und Kurie zur Konstituierung des zeitgenössischen Kurkollegs im Allgemeinen sowie welche bewussten und welche unfreiwilligen Dienste sie speziell als Geburtshelfer der Goldenen Bulle geleistet haben. 5. Nicht nur der zuletzt providierte Boemund von Trier, sondern auch noch dessen einige Jahre zuvor installierte Kollegen in Mainz und Köln sahen sich dem regulären Abgabendruck der Kurie ausgesetzt, der mit dem Stichwort ,Servitien' kurz bezeichnet sei. Diese Verpflichtungen gehörten zu den vielfaltigen bilateralen Beziehungen, die jeder Erzbischof zur Kurie unterhielt und die diese Qualität üblicherweise auch nicht überschritten. Ausgerechnet im zeitlichen Vorfeld der Goldenen Bulle wurden nun aber alle drei geistlichen Kurfürsten mit höchst unliebsamen Entscheidungen konfrontiert. Diesen gilt mein fünfter Grundgedanke. Namentlich Gerlach von Mainz musste seine mithilfe des Königs und Wilhelms von Köln mühsam erlangte Souveränität' infrage gestellt sehen, als Papst Innozenz VI. am 26. Mai 1355 die Bestätigung des ihm namens des Königs überbrachten Schiedsvertrags mit Kuno von Falkenstein ablehnte, weil dieser angeblich mit dem kanonischen und dem göttlichen Recht unvereinbar sei.40 Damit nicht genug, wurde die negative Wirkung solch individueller' Sachentscheidungen der Kurie durch eine außerordentliche Zumutung auf die Ebene des gesamten deutschen Episkopats gehoben. Dass der Papst

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Setzungen in der Kirchenprovinz Trier sollte nicht dahingehend missverstanden werden, als sei Boemund von Saarbrücken geradezu dessen Marionette gewesen. REK 6 Nr. 668 f. REM 2/1 Nr. 335. Wohl mit dieser Auskunft reiste Pinchon zum König nach Prag, wo er am 26. August bezeugt ist (R: RI 8 Nr. 2233). Es ging fraglos auch um den Verzicht des Papstprovisen Pinchon auf die Propstei zugunsten Kunos von Falkenstein, den zu bewirken sich Karl IV. und Erzbischof Gerlach vertraglich verpflichtet hatten. Dass man dies auch mit hohen Unkosten zu erfüllen suchte, zeigt z. B. REM 2/1 Nr. 370 ebenso wie die Möglichkeit, dass Pinchon auf dem Weg nach Prag mit Erzbischof Gerlach zusammengetroffen ist.

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zu dieser Zeit der deutschen Geistlichkeit einen dreijährigen Zehnten zur Rückeroberung des Patrimonium sancti Petri sowie die Aufenthaltskosten eines zum Inquisitor für Deutschland bestellten Dominikaners 41 auferlegte, die rheinischen Erzbischöfe unter Androhung ihrer Exkommunikation unerbittlich zur Eintreibung dieser Gelder in ihren Kirchenprovinzen aufforderte42 und Karl IV. - vergeblich bestimmte, Druck auf die Widerstrebenden auszuüben, widersprach nicht nur deren eigenen finanziellen Bedürfnissen, sondern konfrontierte sie auch mit den Abwehrreaktionen ihrer Suffragane und des gesamten Klerus.43 Ebenso wie bei den Domkapiteln, von denen das Kölner am 17. Mai 1355 dasjenige von Mainz (und zweifellos auch dasjenige von Trier) zur Koordinierung des Widerstandes nach Koblenz einlud, haben die aktuellen Belastungen des Reichsepiskopats, hat speziell der Konflikt um die als unerhört empfundene Zehntforderung die seit 1353 in Gang gekommene Integration der rheinischen Kur-Erzbischöfe als Gruppe sowie ihre Anlehnungsbereitschaft an den Herrscher erheblich befördert und zweifellos zum

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R: REM 2/1 Nr. 356, REK 6 Nr. 676. Sie leisteten mancherlei Kompensationszahlung. So ließ Erzbischof Wilhelm von Köln am 30. Mai 1355 der apostolischen Kammer die Hälfte einer Schuldsumme von 20.000 Gulden aushändigen (R: REK 6 Nr. 655). Wenig später richtete er diverse Petitionen an den Papst und erhielt etliche Privilegien (R: REK 6 Nr. 656-659). Allerdings forderte der Papst ihn erneut auf, den dreijährigen Zehnten einzutreiben. Siehe die folgende Anm. 43 Im Oktober 1355 weilten der Mainzer Domdekan, der Dekan von St. Stephan und der Domherr Johannes Pincerna an der Kurie. Als Gesandte Erzbischof Gerlachs erlangten sie dort die diversen Besetzungsprivilegien vom 14. Oktober 1355 (R: REM 2/1 Nr. 405407). Als Vertreter des angeblich verarmten Mainzer Klerus, aber sicher nicht ohne Wissen des Erzbischofs, baten sie zugleich den Papst, von dem dreijährigen Zehnten abzusehen. Es handelte sich um eine konzertierte Aktion mit der Geistlichkeit der anderen betroffenen Diözesen, wie sich aus REK 6 Nr. 650 sowie Nr. 692-694 unzweifelhaft er. gibt. Denn am 17. Mai 1355 hatte das Domkapitel von Köln dasjenige von Mainz (und zweifellos auch dasjenige von Trier) mit Hinweis auf die entsprechenden Papstbriefe an den jeweiligen Erzbischof eingeladen, am 6. Juni in Koblenz über die unerhörten Steuerforderungen der Kurie zu beraten (R: REK 6 Nr. 650). Der Papst wies das Ansinnen der seines Erachtens nicht legitimierten Gesandten als unverschämt zurück und teilte dies in entrüsteten Schreiben vom 25./26. Oktober den Erzbischöfen von Köln, Mainz und Trier mit, denen er zugleich eine mangelnde Aufsichtsführung über ihren jeweiligen Klerus vorwarf. Dennoch und obwohl er die vorgetragene Armut für „erdichtet" hielt, ließ er seine Bereitschaft erkennen, sich ggf. mit geringeren Summen als den geforderten zufriedenzugeben. Dafür sorgen sollten die drei Metropoliten (wie auch diejenigen von Bremen, Magdeburg und Salzburg, deren Klerus nicht an der aktuellen Gesandtschaft beteiligt war). Dementsprechend bei den Genannten zu intervenieren, wurde zugleich Karl IV. ermahnt (R: REM 2/1 Nr. 411 f.; vgl. auch Nr. 409). 42

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Ignorieren des päpstlichen Approbationsanspruchs in der Goldenen Bulle beigetragen. Inwieweit andererseits die Goldene Bulle indirekt durch das auf den Ergebnissen einer wissenschaftlichen' Kommission beruhende Sachsenspiegel-Verdikt betroffen war, welches Papst Urban V. 1374 dem Kaiser und etlichen Metropoliten des Reiches übermittelte,44 muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. 6. Als meinen sechsten Grundgedanken möchte ich skizzieren, dass und wie unsere Probanden die ,Einheitsbestrebungen' ihrer kurfürstlichen Vorgängergeneration45 von 1338/39 längst vor der Beilegung des Mainzer Kirchenschismas wieder aufgenommen46 und 1354 zu einem vertraglichen Ziel geführt haben.47 Dass dieses zugleich den Übergang von lediglich bilateralen zu Gruppenbeziehungen markiert, ist Ausdruck der Tatsache, wie schwer und zeitraubend unter den gegebenen Umständen die Kollegbildung war. Namentlich für Gerlach von Mainz und Wilhelm von Köln war es keineswegs einfach, ein kooperatives Verhältnis zu konstituieren. Natürlich kannte man sich, denn Wilhelm war auch in Mainz Domherr gewesen. Indessen war Wilhelm ausgerechnet der Großneffe Kunos von Falkenstein, welcher als Stiftsverwalter Heinrichs von Virneburg um dessen Nachfolge gegen Gerlach von Nassau kämpfte und nicht zufallig später zum Kölner Administrator aufstieg, ehe er den Trierer Stuhl erklomm. Andererseits war Wilhelm von Gennep aber auch mit den Nassauern verwandt; Gerlachs Brüder waren seine Lehnsleute und Diener, ja, der an mehreren kurrheinischen Höfen ,akkreditierte' Graf Johann von Nassau-Merenberg fungierte u. a. als Beisitzer in seinem Hofgericht.48 Schon aus diesen Gründen war Erzbischof Wilhelm an einer Einigung der Konkurrenten im Mainzer Bistumsstreit fraglos stärker interessiert, als dies das erstmalige Auftauchen dieser Agenda auf seiner Tagesordnung im Februar 135249 anzuzeigen scheint. Im November/Dezember 1353 traf er in Speyer nicht nur mit Gerlach von Nassau, sondern auch mit dessen

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R: RI 8 Päbste Nr. 140. Jede neue erzbischöfliche , Amtsgeneration' musste ihre allgemein- und territorialpolitische Interessengemeinschaft neu begründen. Dabei gab es natürlich ein überkommenes Fundament, zu welchem die strukturelle Gleichförmigkeit der Bedingungen jedes einzelnen ebenso zählte wie die übernommene ,Beamtenschaft' und die gegenseitigen Verträge der Vorgänger, die mündlich oder schriftlich vermittelten Überzeugungen vom ,Wert' der eigenen Kirche (honor ecclesiae), vom kurfürstlichen Status etc. etc. WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 61, ist zu sehr auf den Koblenzer Bund fixiert. Siehe dazu HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 7) S. 4 2 ^ 4 . Siehe z. B. REK 6 Nr. 323 und vorher; vgl. das Register s. v. Nassau ebd. S. 489. REK 6 Nr. 248.

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königlichem Helfer zusammen, von dem er nun persönlich belehnt wurde50 und dem er anschließend bis zum Metzer Tag im März 1354 nicht mehr von der Seite gewichen zu sein scheint. Noch interessanter ist, dass die Konstituierung bilateraler Beziehungen gleichsam im Schöße des königlichen Hofes stattfand und die individuellen Kontakte zum König flankierte. Der kurfürstlichen Handlungsgemeinschaft, welche die Erzbischöfe von Köln und Mainz in Speyer fundiert hatten, gesellte sich bald nicht nur deren Trierer Kollege bei, sondern aufgrund eines entsprechenden Hinweises auch der König selbst in seiner Eigenschaft als Kurfürst und des Reiches Erzschenk.51 Gemeinschaftlich erließen sie Rechts- und Schiedssprüche52 und gewährten entsprechenden Interessenten, zu denen abermals Karl IV. als König von Böhmen zählte, kurfürstliche Willebriefe zur Befestigung herrscherlicher Verfügungen.53 Gemeinsam verhandelte man dort und auf dem folgenden Mainzer Tag mit Pfalzgraf Ruprecht d. Ä. über dessen Anerkennung als Kurfürst. 54 Dazu war der König als Schwager des Wittelsbachers sicher ebenso bereit wie der gleichfalls eng mit diesem verwandte Erzbischof Gerlach von Mainz, welcher Ruprecht während des Aufenthalts in Hagenau im Oktober 1353 unterstützte55 und wahrscheinlich das Kurbündnis in allgemeinerer Form auf diesen transferierte, welches er 1351 mit dessen inzwischen verstorbenem Bruder Rudolf II. geschlossen hatte. Aber letztlich war es weder der Mainzer noch der König, sondern Erzbischof Wilhelm von Köln,56 welcher den Pfalzgrafen schon zwei Monate später gänzlich eigenmächtig als Kurfürsten anerkannte und dadurch im regionalen Nahbereich die wichtigste Grundsatzentscheidung der Goldenen Bulle präjudizielle - die Fixierung der Laienkurfürsten: Lange bevor der König im Mai 1354 der pfälzischen Linie der Wittelsbacher die

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R: RI 8 Nr. 1666, REK 6 Nr. 454. Dies lassen v. a. die detaillierten REK gut erkennen. So z. B. auch RI 8 Nr. 1672. Siehe dazu Markus SCHEFFER, Die Gerichtsbarkeit auf Reichs-, Wahl- und Krönungstagen (1995), und Alexander BEGERT, Das Kurkolleg als Schiedsgremium, ZBLG 66 (2003) S. 399-434. Die Behandlung des Mainzer Streites wurde lt. URH 6 Nr. 459 einvernehmlich auf den darauffolgenden königlichen Tag in Mainz verschoben. R: RI 8 Nr. 6731, REM 2/1 Nr. 6460 und Nr. 6464, REK 6 Nr. 448 und Nr. 453. - Ruprecht I. (d. Ä., * 1309, |1390) war der vierte Sohn Pfalzgraf Rudolfs I. und Mechthilds von Nassau, einer Tochter König Adolfs. Er hatte 1338 am Kurverein von Rhens teilgenommen. Seit 1350 hatte er Karl IV. wertvolle Dienste geleistet, wobei sein gerade beendetes Vikariat am Rhein seine Ernennung zum Reichsvikar während des Romzugs präfigurierte; siehe URH 6 Nr. 215 ff., 412, 421. Ein Beleg dafür ist RI 8 Reichssachen Nr. 183. Dessen Name wird in den zeitgenössischen Zeugenlisten nicht zufallig an erster Stelle genannt.

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alleinige Kurwürde zusprach (und dies im August 1355 bestätigte) 57 , ja noch ehe er am 17. und 20. Dezember 1353 den darauf vorausweisenden, mit dem Rat der beiden Kurfürsten gefundenen Schiedsspruch im Pfalzer Konflikt beurkundete,58 hatte Erzbischof Wilhelm am 14. Dezember 1353 mit Ruprecht d. Ä. ein Freundschaftsbündnis geschlossen, welches nicht nur dessen Kurfürstenanspruch frank und frei anerkannte, sondern durch die Vereinbarung eines gemeinsamen Vorgehens bei einer künftigen Königswahl den Charakter eines Kurbündnisses erhielt. 59 Mit seinem Mainzer Kollegen einen inhaltlich identischen, die kurfürstlichen (Wahl-) Interessen ,in eigenartiger Weise' mit Landfriedensbestrebungen vermischenden Vertrag abzuschließen, zögerte Wilhelm damals noch fast einen ganzen Monat lang. Beider Einung vom 13. Januar 1354 60 setzte in seinen Augen offensichtlich den kurz zuvor vom König beurkundeten Abschluss des Mainzer Schismas voraus. Immerhin schritt die Gruppenkohäsion der rheinischen Kurfürsten voran. Wie nachgeordnet Erzbischof Gerlach von Mainz seinem Kölner Kollegen damals aber war, erweist die Tatsache, dass er die förmliche Anerkennung Pfalzgraf Ruprechts erst ein ganzes Jahr später, am 26./27. Februar 1355, nachvollzog und sich dabei ausdrücklich auf die ihm vorgelegte Anerkennungsurkunde des Kölners berief.61 Immerhin schloss er

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D: ZEUMER, Die Goldene Bulle (wie Anm. 1) 2 S. 64-66 Nr. 8-9; R: MGH Const. 11 N r . 178 f. ( U r k u n d e n v o n 1 3 5 4 ) ; R : M G H C o n s t . 11 N r . 4 9 3 , R I 8 N r . 2 2 1 8 = 6 8 3 7 (Bestätigung v o n 1355).

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R: RI 8 Nr. 1681 und Nr. 1693, URH 6 Nr. 451 und Nr. 457. Darauf, dass Ruprecht d. Ä. dort nur verhalten als des Reiches oberster Truchsess bezeichnet wird, weist WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 59 Anm. 6, hin. R: RI 8 Reichssachen Nr. 187, REK 6 Nr. 460; vgl. WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 59 f. R : R I 8 R e i c h s s a c h e n N r . 188, R E M 2 / 1 N r . 5 2 , R E K 6 N r . 4 8 6 ; v g l . WINTERFELD, D i e

kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 60; Gerhard STEIN, Die Einigungs- und Landfriedenspolitik der Mainzer Erzbischöfe zur Zeit Karls IV. (Diss. Mainz 1960) S. 54 f. Am 26. Februar 1355 beurkundete Erzbischof Gerlach bei Ruprechts Besuch in Wiesbaden: Einst habe sich König Johann von Böhmen gegenüber den Kurfürsten in offenen Briefen, die Gerlach gesehen habe [so wohl dessen Urkunde von 1339 März 18], erkieset, dass Pfalzgraf Rudolf [II.] Kurfürst gewesen sei und dass dieses Recht allein auf dem Besitz der Pfalz beruht habe. Nun [nach Rudolfs ,des Blinden' Tod am 4. Oktober 1353] habe König Karl mit Rat und Wissen der Kurfürsten wissentlich besunnen, dass dieses Recht Pfalzgraf Ruprecht d. Ä. zustehe, weil dieser von allen Erben der Pfalz der älteste sowie als Bruder des verstorbenen Kurfürsten dessen nächster Erbe sei und die ererbten Länder mit der Kur und der Mannschaft uf yn ordenliche verfallen seien. Im Anschluss an Erzbischof Wilhelm von Köln, dessen diesbezügliche Urkunde ihm [Gerlach] vorgelegen habe, stimme nun auch er als Erzbischof von Mainz dieser Auffassung zu und erkläre, dass diese königliche Erklärung mit Recht geschehen sei; von der Pfalz wegen sei

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eigenständig mit Ruprecht, den er als seinen Onkel 62 wenig später an der Klärung nassauischer Familienangelegenheiten beteiligte, 63 zugleich einen Landfrieden, der ebenfalls zu den Voraussetzungen des Erlasses der Goldenen Bulle gezählt worden ist. Unter diesen Umständen - einem nicht .souveränen' Gerlach von Mainz und einem durch seine Versprechungen gegenüber der Kurie finanziell nicht weniger gebeutelten Boemund von Trier, mit welchem Wilhelm von Gennep am 14. Juli 1354 in Andernach eine bemerkenswerte Folge bilateraler Gespräche eröffnete 6 4 - hat der Kölner Erzbischof damals unzweifelhaft am meisten dafür getan, seine neuen rheinischen Mitspieler auf „eine allgemeine, aber von kurfürstlichen Interessen bestimmte politische Linie fest(zu)legen". 65 Möglicherweise richtete sich dies tatsächlich unausgesprochen gegen den seinerseits als Kurfürst agierenden König, aus dessen allzu großer Abhängigkeit Wilhelm sich selbst und seine Mitkurfürsten emanzipieren' wollte. Ihm wird man deshalb auch am ehesten die Initiative zu dem zehnjährigen Bündnis (liga, confoederatio) zurechnen, welches die drei geistlichen Kurfürsten am 24. September 1354 in Koblenz zum gemeinen Nutzen und zur selikeid des Landes abgeschlossen haben. 66 Nachdem sie sich in der Frage der Laienkurfürsten entschieden hatten, organisierten sie nun als Gruppe eigenständig den Landfrieden entlang der rheinischen ,Pfaffengasse' des Reiches und verbannten den König/Kaiser aus ihren Kernterritorien. 67 Ihre in diesen Vertrag eingeflossenen ordnungspolitischen

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ausschließlich Ruprecht d. Ä. zusammen mit ihm und den anderen Kurfürsten zur Königswahl berechtigt: REK 6 Nr. 639, REM 2/1 Nr. 293 (sehr oberflächlich), RI 8 Reichssachen Nr. 227 (falschlich mit Februar 22); vgl. REM 2/1 Nr. 461. Das bilaterale Bündnis vom darauffolgenden Tag, in welchem Erzbischof Gerlach seine conepiscopi von Köln und Trier ausnahm, in den REK 6 Nr. 640 und REM 2/1 Nr. 295. Insofern Ruprechts I. Gemahlin Mechthild von Nassau eine Tante Erzbischof Gerlachs war, bezeichnete dieser Ruprecht wahrheitsgemäß als seinen Onkel. Am 4. Juli 1355 beurkundeten Erzbischof Gerlach, Pfalzgraf Ruprecht d. Ä. und Graf Gerlach von Nassau in Aschaffenburg eine Landesteilung zwischen Graf Gerlachs Söhnen und Erzbischof Gerlachs Brüdern Adolf und Johann einerseits, Kraft und Ruprecht andererseits (R: REM 2/1 Nr. 354). Der Pfalzgraf scheint schon am 20. Juni in Eltville mit Erzbischof Gerlach zusammengetroffen und dann nach Aschaffenburg weitergereist zu sein. REK 6 Nr. 562. STEIN, Einungs- und Landfriedenspolitik (wie Anm. 60) S. 54 f. Siehe WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 61-63, und die Belege in REK 6 Nr. 604 (sehr detailliert), RI 8 Reichssachen Nr. 212, Regesten der Erzbischöfe von Trier (wie Anm. 20) S. 91, REM 2/1 Nr. 198. Diese Bedeutung kommt dem Vertrag auch dann zu, wenn es sich im Wesentlichen um die Erneuerung eines ebenfalls auf zehn Jahre geschlossenen Geleit-, Zoll- und Landfrie-

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Grandvorstellungen haben die drei geistlichen Kurfürsten fraglos auch in die Verhandlungen über die Goldene Bulle und in diese selbst eingebracht. Dazu zählt die selbständige Ausübung des Schutz- und Geleitsrechts gegenüber jedermann in einem Gebiet, welches von der steinernen Rheinbrücke oberhalb von Mainz bis nach Rheinberg unterhalb von Neuss reichte und vier Meilen beiderseits des Rheins umfasste. Innerhalb dieses gemeinschaftlichen' Kerngebietes, welches gegenüber allen anderen Teilen der jeweiligen Herrschaftsbereiche als besonders schützenswert und als dessen gemeinsame ,Hauptstadt' das kurtrierische Koblenz fixiert wurde, 68 wollten sie jegliche Einrichtung neuer Zölle gemeinsam vereiteln und die Erhöhung bestehender Zölle nur aufgrund ihres gemeinsamen Beschlusses dulden sowie sich um eine Minderung der bestehenden überhöhten Zölle bemühen. Dazu und zur Abwehr neuer feindlicher Burgbauten sowie gegenüber jeglichem Angriff auf einen von ihnen versicherten sie sich gegenseitig der uneingeschränkten militärischen Hilfe, wohingegen in allen anderen Gebieten der drei dominien nur eine eingeschränkte Hilfspflicht gegeben war. Auch zwei Absichtserklärungen der Vertragspartner weisen als Agenden der geistlichen Kurfürsten auf die Goldene Bulle voraus: Zum einen einigten sich die drei in Koblenz, untereinander Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel einer gemeinsamen Gold- und Silbermünze zwecks Erleichterung der Zollerhebung. Denn diese Münzen sollten an ihren Zöllen genommen werden resp. fremde Münzen zu deren Kurswert. 69 Zum anderen wollten sie ebenfalls beraten darüber, wie einheitliche Waagmaße und Zolltarife geschaffen werden könnten. Daran, dass sie dem Kaiser Einfluss auf die konkrete Regelung dieser Agenden einräumten, konnten die geistlichen Kurfürsten nicht interessiert sein. Sie benötigten lediglich seine Regelungslegitimation, welche sie in die Goldene Bulle einbrachten und mit dieser erlangten.

densbündnisses ihrer Vorgänger aus dem Jahre 1339 handelte und sie sich auf einige der damaligen Durchführungsbestimmungen noch nicht diesmal, sondern erst zweieinhalb Jahre später einigen konnten. 68

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Dies zeigt sich besonders deutlich in der Bündnisergänzung von 1357 Januar 30 (siehe unten Anm. 86), war aber auch schon 1339 fixiert worden. Deshalb ist der Hinweis von WINTERFELD, Die kurrrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 63 f., Koblenz sei auch deshalb gewählt worden, weil dort turnusmäßig das auch als ,Landtag' bezeichnete ,Landgericht' des Wetterauer Landfriedens tagte, nicht recht überzeugend. Diese Vereinbarung knüpfte an eine Einung an, welche Kurköln, Kurtrier, Jülich und Luxemburg 1348 geschlossen hatten (R: REK 5 Nr. 1519). Damit war der Weg frei zur Zollunion der Kurfürsten von Mainz, Pfalz und Trier vom 8. September 1358 (R: REM 2/1 Nr. 1069), an welcher der Kölner dann aber interessanterweise nicht partizipierte, siehe dazu WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 67-69.

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Alles dies entsprach einem seit Jahrzehnten tradierten Grundsatzprogramm der geistlichen Kurfürsten, deren aktuelle Amtsgeneration damit den Stand von 1339 erreicht hatte. Der Herrscher, gegen den sich dies damals primär gerichtet hatte, hieß nun aber Karl IV. Mit dem Koblenzer Tag haben sich die drei rheinischen Erzbischöfe unter Führung Erzbischof Wilhelms von Köln als handlungsfähiger Kern des künftigen Kurkollegs konstituiert.70 Dies und seine eigene Leitungsfunktion erschien Wilhelm so wichtig, dass er nicht nur die territorialpolitischen Probleme seiner Kollegen in Mainz und Trier durch die Vermittlung massiver Finanzhilfen solidarisch lindern half, sondern zu diesem Zweck sogar den Kölner Domschatz indirekt nach Mainz verpfändete: Er streckte Erzbischof Gerlach von Mainz aus eigenen Mitteln 3.000 Gulden vor und verhalf darüber hinaus sowohl Gerlach als auch Erzbischof Boemund von Trier zu 71 Krediten zweier Kölner Bankiers über 7.000 bzw. 10.000 Gulden. Als diesen die 70

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Die weltlichen Kurfürsten wurden an dieser Schaffung eines gemein-kurfürstlichen Fundamentes nicht beteiligt. Nicht einmal auf den räumlich nächstliegenden Pfalzgrafen bei Rhein haben die Erzbischöfe bei der Ansetzung des Koblenzer Treffens Rücksicht genommen, ja dessen Absenz im kaiserlichen Heer (R: Regesten der Pfalzgrafen am Rhein 1: 1214—1400, bearb. von Adolf KOCH / Jakob WILLE (1894) Nr. 2813 f.) kam ihnen wegen seines Vikariatsstatus möglicherweise geradezu gelegen. Bei den bilateralen Vereinbarungen, mit denen er vorerst vorliebnehmen musste, fand er nicht zufallig am leichtesten Zugang zu Erzbischof Gerlach von Mainz, welchen er Ende Februar 1355 in Wiesbaden aufsuchte und zu etlichen nachbarschaftlichen Regelungen anregte, in deren Zentrum ein lebenslängliches Landfriedensbündnis stand. Dieser Vertrag vom 27. Februar 1355 lehnte sich durchaus an die Vereinbarungen des Koblenzer Bundes an, klammerte aber die Zollmaterie komplett aus, weil beide Seiten ihre diesbezüglichen divergenten Interessen nicht unter einen Hut zu bringen vermochten. Erst zwei Jahre später kam zwischen dem Pfalzgrafen und Erzbischof Boemund von Trier ein ähnlich gelagertes Landfriedensbündnis zustande; siehe auch oben Anm. 61 und zum Ganzen WINTERFELD, Die kurrheinischen Bündnisse (wie Anm. 28) S. 65-67. Zur Kreditierung des Trierers, die auf 1354 vor November 19 datiert wird, siehe Alfred HAVERKAMP, Studien zu den Beziehungen zwischen Erzbischof Balduin von Trier und König Karl IV., BDLG 114 (1978) S. 463-503, hier S. 470 nach Urkunde im LHA Koblenz. Der Schuldschein' Gerlachs wird 1354 vor Oktober 21 datiert, könnte also ebenso wie der fast gleichzeitige Boemunds von Trier (an dessen Kreditierung Wilhelm von Köln sich allerdings nicht beteiligt zu haben scheint) vom Koblenzer Treffen stammen. Dort heißt es: Erzbischof Gerlach entleiht von Erzbischof Wilhelm [3.000] sowie von den Kölner Bürgern Eberhard Hardevust und Arnold van dem Palas [7.000] alles in allem 10.000 Gulden. Er begründet das (in dem Schuldbrief von 1354 November 18) wie folgt: Die Mainzer Kirche ist schuldengedrückt und wird geschädigt dadurch, dass dem Domherrn Kuno von Falkenstein die besseren Burgen und Besitzungen verpfändet sind, ohne dass deren Erträge von der Pfandsumme abgezogen würden. Deshalb hat er sich mit dem

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gebotenen Sicherheiten zu fragil erschienen,72 musste Gerlach am 18. November 1354 mit Zustimmung des Domkapitels eine Nachjustierung beurkunden.73 Dort heißt es, die Bankiers hätten außerdem noch mobile Güter als zusätzliche Sicherheiten gefordert, und weil der Mainzer Kurfürst über solche nicht verfuge, habe sein Kölner Kollege ausgeholfen. Deshalb habe er seinen Gläubigern jetzt die detailliert beschriebenen Preziosen (des Kölner Domschatzes) überantwortet, die ihm Erzbischof Wilhelm geliehen habe. Der Material- und der künstlerische Wert der insgesamt 99 Stücke werden genau angegeben - allein eine perlenbesetzte Mitra besitzt einen Schätzwert von 3.200 Gulden. Zur Sicherheit setzt Gerlach dem Erzbischof Wilhelm (der Kölner Kirche) die Burg Lahneck sowie die Stadt Lahnstein und verschreibt ihr acht alte Königsturnosen am Zoll zu Lahnstein. 74 Auch über die Frage, welche Laienkurfursten außer dem Pfalzgrafen sie legitimieren sollten, sowie über andere Agenden der späteren Goldenen Bulle dürften sie beraten haben. Diese Kommunikation haben sie zweifellos perpetuiert,75 wobei aber die einzig aussagekräftige Quelle interessanterweise kaum Gruppen-, sondern ganz überwiegend bilaterale Gespräche der Kurfürsten mit einer klaren Sympathie zwischen Kurköln und Kurtrier bezeugt. Während ihr Mainzer Kollege schon längst auf dem Nürnberger ,Goldbullentag' präsent war, nahmen sich diese beiden auf der Reise

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Domkapitel geeinigt, die Pfänder auszulösen und dafür andere, dem Erzstift weniger nützliche Besitzungen zu verpfänden, deren Erträge dann die Pfandsumme mindern sollen. In diesem Schuldbrief verpfändet er dafür den Kreditgebern die Burg Lahneck sowie die Stadt Lahnstein (dies wird REK 6 Nr. 613 nicht regestiert, ergibt sich aber aus REK 6 Nr. 615) und verschreibt ihnen acht alte Königsturnosen am Zoll zu Lahnstein. Er setzt ihnen Geiseln und Bürgen (die in REK 6 Nr. 613 genannt werden). Detailliert REK 6 Nr. 613, dann auch REM 2/1 Nr. 207 und Nr. 232. Die Quittung einer Geldüberweisung Erzbischof Gerlachs an Erzbischof Wilhelm und Freunde von 1355 August 2 erweist, dass die Rückzahlung sukzessive (R: REM 2/1 Nr. 369) erfolgte. Es sei denn, dass die Kurfürsten ihnen die immobilen Güter und speziell die Zolleiraiahmen ungern überließen oder das Mainzer Domkapitel diese Transaktion als unmöglich ansah. Vom Mainzer Domkapitel mitbesiegelt (R: REK 6 Nr. 615, REM 2/1 Nr. 232). Der ursprüngliche Schuldbrief wurde auf dieses Pfandgeschäft ausgedehnt. Auch weiterhin nahm Erzbischof Wilhelm von Köln an den Verhältnissen in den Nachbardiözesen Mainz und Trier großen Anteil. Dabei hat man sicherlich auch ins Kalkül zu ziehen, dass das Erzstift Köln südlich von Mainz sowie in der nahen Umgebung von Frankfurt am Main Lehnsbesitz hatte, wozu z. B. (Frankfurt-) Seckbach und das rheinhessische Guntersblum gehörten; vgl. REK 6 Nr. 445 und Nr. 913. Die Fixierungen der Goldenen Bulle nahm Erzbischof Wilhelm sogleich zum Anlass, für den Fall Frankfurter Reichsversammlungen die Beheizung seiner dortigen eigenen Herberge durch kaiserliches Privileg sicherzustellen (R: RI 8 Nr. 2398, REK 6 Nr. 757).

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fast eine ganze Woche lang Zeit zu Gesprächen,76 und auch in Nürnberg trafen sie sich häufiger zu ,Arbeitsessen' als jeder von ihnen mit Kurmainz. Dass die drei geistlichen Kurfürsten dessen ungeachtet und trotz ihrer gelegentlichen Gruppenprivilegierung, 77 die sie sogar gegen die weltlichen Kurfürsten abschichtete, politische Individuen, ja, auf bestimmten Ebenen Konkurrenten blieben, bot Karl IV. und künftigen Herrschern reiche Möglichkeiten, ihre ,Kollegialität' durch bilaterale Tauschgeschäfte aufzubrechen. Davon künden nicht nur ihre zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Nürnberger Tages erbetenen Willebriefe zu Karls IV. Inkorporationen in die Krone Böhmens, 78 sondern vor allem die zahlreichen individuellen Privilegierungen. Von den territorialpolitisch nutzbaren über die (entgegen allen Intentionen zu Lasten der Rheinzölle gehenden) geldwerten und die statusbestärkenden Vergünstigungen bis hin zu den Privilegien für die eigene Familie, die unsere Protagonisten natürlich nicht vergessen haben, zählen sie alle, etwa als Kompensationen, genauso zu dem in der Goldenen Bulle zentrierten verfassungspolitischen Gesamt-

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Am 15. Dezember 1355 hielten sich die Erzbischöfe von Köln und von Trier auf der Reise zum Nürnberger Tag gemeinsam in Frankfurt am Main auf; zwei Tage später traf Erzbischof Boemund in Miltenberg ein, wo er vom Mainzer Erzbischof resp. - da dieser schon in Nürnberg weilte - von dessen Amtleuten bewirtet wurde (R: REK 6 Nr. 709, REM 2/1 Nr. 447). Wahrscheinlich trafen die Erzbischöfe von Köln und von Trier erst am 22. Dezember 1355 in Nürnberg ein, wie dies für Erzbischof Boemund und dessen großes Gefolge in RI 8 Nr. 2353a belegt ist; Boemund blieb dann 23 Tage an der Pegnitz. Auf die Zeugennennung in Karls IV. Privilegienbestätigung für Markgraf Friedrich von Meißen und dessen Brüder vom 4. Dezember 1355 (R: RI 8 Nr. 2311, genauer REM 2/1 Nr. 432 und MGH Const. 11 Nr. 586) lässt sich die erstmalige Anwesenheit der drei geistlichen Kurfürsten auf dem Nürnberger Tag nicht stützen, weil die Kurfürsten von Köln und von Trier sowie Pfalzgraf Ruprecht d. Ä. nachweislich erheblich später eingetroffen sind. Das fragliche Privileg muss somit rückdatiert worden sein. Auch die seinerzeitige Anwesenheit Erzbischof Gerlachs von Mainz, die gemeinhin zwischen dem 29. November und dem 4. Dezember datiert wird - siehe z. B. STEIN, Einungs- und Landfriedenspolitik (wie Anm. 60) S. 76 Anm. 2 mit Bezug auf ZEUMER - , ist sehr zweifelhaft. Möglicherweise war er am 6. Dezember noch nicht da, denn an diesem Tag wandte sich der Kaiser schriftlich an ihn (die Belege unten Anm. 81). Terminus ante quem ist folglich der 12. Dezember (R: RI 8 Reichssachen Nr. 251, genauer REM 2/1 Nr. 437). 1357 (ob in Metz?): Kaiser Karl IV. gewährt den drei geistlichen Kurfürsten das Privileg, Falschmünzer und Räuber bestrafen zu dürfen (R: REK 6 Nr. 908). Die frühzeitige Anwesenheit Erzbischof Gerlachs in Nürnberg nutzte Karl IV., um schon am 13. Dezember 1355 dessen Zustimmung zu erhalten (R: REM 2/1 Nr. 438 f., MGH Const. 11 Nr. 612a und Nr. 613a). Die entsprechenden Willebriefe Erzbischof Wilhelms von Köln wurden erst am 29. Dezember beurkundet (R: REK 6 Nr. 718-721, MGH Const. 11 Nr. 655b-657c).

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komplex wie einige ebenso schmerzliche wie konfliktträchtige Konzessionen, die z. B. Gerlach von Mainz 79 dem Kaiser möglicherweise deshalb machen musste, um seine Position als Organisator des Kurfürstenkollegs in der Goldenen Bulle zu sichern und u. a. ein präziseres Einfließen der kurkölnischen ,Krönungstheorie' zu verhindern. 80 7. Diese Zusammenhänge vermag ich heute im Detail nicht aufzuzeigen. Stattdessen möchte ich in meinem siebten und letzten Grundgedanken plausibel machen, wie stark die Goldene Bulle nicht nur durch strukturelle (Reform-) Anliegen des Kaisers und der (vor allem: geistlichen) Kurfürsten geprägt ist, die kompromisshaft eingeflossen sind oder auch ausgespart wurden (wie die Landfriedens- 81 oder die Münzfrage), sondern auch durch gänzlich tagespolitische Motive, die teils durch den gedanklichen Systemzwang gleichsam ins Radikal-Grundsätzliche gesteigert wurden. Ganz so, wie die Hauptinitiative zu der in Kapitel 13 verfügten revocatio privilegiorum wohl zu Recht Erzbischof Wilhelm von Köln zugeschrieben wird, welcher den Kaiser hinsichtlich eines der Stadt Köln erst kurz zuvor gewährten Sammelprivilegs auch sogleich zu deren konkreter Anwendung (unter Goldbulle!) nötigte, sprechen gute Gründe dafür, das in Metz erlassene 24. Kapitel, welches Attentate gegen Kurfürsten als Majestätsverbrechen einstuft, auf den Einfluss Erzbischof Gerlachs von Mainz zurückzufuhren. Denn bisher wurde übersehen, dass dieser bei seiner Rückkehr vom Nürnberger Tag im September 1356 nach Mainz wähnte, einem versuchten Mordanschlag auf sich auf die Spur gekommen zu sein. 82 Ehe nämlich

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Zu denken ist vor allem an den Verzicht auf die Pfandschaft Oppenheim etc., den Gerlach am 17. Dezember 1355 in Nürnberg beurkundete, ohne zuvor die Genehmigung seines Domkapitels eingeholt zu haben, wogegen dieses später heftigst protestierte (R: REM 2/1 Nr. 441 sowie Nr. 865, 867 passim). Dieser Fall zeigt, dass und wie sehr Karl IV. die Schwäche des Mainzer Erzbischofs ausgenutzt und diesen rücksichtslos gegen die finanzkräftige Stadt Mainz ausgespielt hat. Doch auch diese hat nicht dauerhaft davon profitiert, sodass der finanzielle Ertrag des Kaisers gleich zweimal ansehnlich war: Nachdem er 1355 die Pfandsumme der Mainzer Kirche durch die Stadt Mainz hatte vernichten lassen, machte er das Geschäft 1367 noch einmal, indem er Erzbischof Gerlach die Pfandschaft zumindest teilweise zurückkaufen ließ (R: REM 2/1 Nr. 2234-2237).

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Dazu zuletzt Franz-Reiner ERKENS, EX jure regni debitus coronator. Zum Krönungsrecht des Kölner Erzbischofs, Zs. des Aachener Geschichtsvereins 104—105 (2002 f.) S. 25^19. Noch am 6. Dezember 1355 plante Karl IV., demnächst einen rheinischen Landfrieden anzuordnen (R: RI 8 Nr. 2317, genauer REM 2/1 Nr. 436 und URH 7 Nr. 59). Dies berichtete Gerlach am 17. September 1356 dem gegenwärtig dem Wetterauer Landfrieden Vorsitzenden Rat der Stadt Frankfurt am Main voller Empörung und Abscheu (R: REM 2/1 Nr. 639). Der Attentatsversuch begegnet historiografisch zahlreich, so im ,Chronicon Moguntinum' und in den ,Gesta Trevirorum', aber auch Heinrich von Diessen-

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sein Gegenspieler, der Mainzer Domherr Kuno von Falkenstein, die diesem verpfändete Burg Klopp in Bingen an den Erzbischof habe zurückgeben müssen, habe Kuno noch rasch einen Gang zwischen dem Burggraben und der Schlafstube des Erzbischofs anlegen lassen, welcher in einem direkt vor dessen Bett stehenden Kamin ende. Weil Kuno dies bei dem Übergabetermin verschwiegen habe, sei er zu Recht verdächtig, den Erzbischof durch bis zu drei Bewaffnete ermorden lassen zu wollen. Obwohl der Erzbischof sofort die Fehde gegen den seines Erachtens überführten und nach Römischem Recht rechtlosen Missetäter eröffnete, lag ihm viel daran, auch den Kaiser von der Stichhaltigkeit seines Vorwurfs zu überzeugen. Denn es ging darum, dessen ihn bedrückenden Schiedsspruch von 1353 zu revidieren. Deshalb nötigte er 1356 den auf dem Weg zum Metzer Tag befindlichen Herrscher, erneut in Mainz Station zu machen, und zeigte ihm am 2. November 1356 in Bingen den von Kuno angelegten Gang. Dass er durchschlagenden Erfolg hatte, bezeugt nicht nur die Aussage des Chronisten Heinrich von Diessenhofen: imperator canonicum ipsum [d. h. Kuno] redarguit, quod speluncam ep(iscop)o non indicavit 83

[eumque] proscripsit. Die legitimatonsche Unterstützung, die Karl IV. dem Mainzer Kurfürsten gewährte, zeigt, welchen Nutzen dieser Kurfürst sogleich aus seiner eigenen Aufwertung in der Goldenen Bulle gezogen hat, noch ehe das entsprechende Kapitel überhaupt erlassen war. Oder anders: Bei ihrem nur vier Wochen späteren Zusammentreffen in Metz dürften der Erzbischof wie der Kaiser stark unter dem

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hofen erwähnt ihn. Der Vorwurf „diente Gerlach zur Rechtfertigung seines militärischen Vorgehens gegen Kuno, das erst 1358 völlig eingestellt wurde"; Winfried DOTZAUER, Vom frühen Mittelalter bis ins 15. Jahrhundert, in: Bingen. Geschichte einer Stadt am Mittelrhein. Vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, hg. von Helmut MATHY (1989) S. 1-71, hier S. 47 nach SANTE, Gerlach (wie Anm. 30) S. 39. Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hg. aus dem Nachlasse Johann Friedrich BÖHMERS von Alfons HUBER (Fontes rerum Germanicarum 4, 1868) S. 106 (R: RI 8 Nr. 2516a, siehe auch REM 2/1 Nr. 650 Anm.). - Nunmehr sah Gerlach sein sofortiges militärisches Vorgehen gegen Kuno, welches er unter Abstützung auf den Vorwurf des Majestätsverbrechens ungeachtet des Landfriedens ins Werk gesetzt hatte, vollends legitimiert. Vergeblich suchte Kuno sein Verschweigen des angeblich für ihn persönlich als Fluchtweg angelegten Ganges damit zu rechtfertigen, dass er dem Erzbischof keinen Anlass für die jetzige Unterstellung habe geben wollen (R: REM 2/1 Nr. 646), und ungehört blieben seine Interventionsaufrufe an die Landfriedensgenossen gegen die Belagerung seiner Burg Haßloch bei Rüsselsheim (R: REM 2/1 Nr. 649). Nach rund vier Wochen nahmen erzbischöfliche Truppen die Burg am 25. November ein. Diese Eroberung betrachtete Gerlach sogleich als endgültig, denn nur wenig später ließ er sich vom Kaiser das Recht zu einer Stadtgründung verbriefen (D: MGH Const. 11 Nr. 879; R: RI 8 Nr. 2554, REM 2/1 Nr. 688). Obwohl es zu dieser niemals kam, blieben die Erzbischöfe doch die unangefochtenen Besitzer.

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Eindruck des Binger Geschehens gestanden haben.84 Das dort erlassene Kapitel 24 der Goldenen Bulle mit seinen drakonischen, eine extreme Sippenhaftung inkludierenden Strafandrohungen, welches der Herausgeber voreilig als „ziemlich verständnislos aus zwei Abschnitten des Codex Justinianus" kompiliert und als dem „deutschen Recht" widersprechend klassifiziert,85 zeigt, in welch hohem Maße die Goldene Bulle auf die aktuelle Nutzanwendung eines geistlichen Kurfürsten reagiert. Statt weitere Punkte anzusprechen, die - wie die in der Goldenen Bulle vorgenommene Rangabstimmung und Funktionsverteilung unter den (geistlichen) Kurfürsten oder die sofort nach dem Metzer Tag abermals in Koblenz vorgenommene Vertiefung ihrer Kollegbildung86 - der Diskussion wert wären, fasse ich kurz zusammen: „Säulen des Reiches" zu sein, als welche die Kurfürsten in der Goldenen Bulle stilisiert werden (ohne dass übrigens der Status des Kaisers in diesem Bild fixiert würde) war kein rückwärtsgewandtes Lob, sondern ein zukunftsorientierter, durch eine verfahrensmäßige Objektivierung der bis dahin allein vorherrschenden individuellen Intentionen zu verwirklichender Anspruch. Die so merkwürdig zwischen monarchischem Privileg und dualistischem Vertrag changierende Goldene Bulle ist auch zu lesen als Selbstverpflichtung der Kurfürsten auf einige programmatische politische Ziele sowie vor allem darauf, ihr Wahlrecht nur als ein nach bestimmten Regeln gemeinschaftlich handelndes Gremium auszuüben. Von den Ursachen dafür, dass insbesondere die rheinischen, enger noch die geistlichen Kurfürsten als der handlungsfähige ,kollegiale' Kern zu diesem Tausch machtpolitischer Souveränität' gegen verbürgte, sorgfältig gegeneinander abgestimmte Exklusivität und Präeminenz sowie die partielle Anerkennung ihrer politischen Gruppeninteressen bereit waren, habe ich einige Elemente ihrer individuellen und gruppenspezifischen Interessenkonfiguration in den Blick genommen. Auf diese Weise kommt der Charakter der

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Von Mainz und Bingen aus reiste Karl IV. über Trier nach Metz weiter, wohin ihm Erzbischof Gerlach Anfang Dezember 1356 folgte. Die Goldene Bulle. Das Reichsgesetz Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356. Deutsche Übers, von Wolfgang D. FRITZ. Geschichtliche Würdigung von Eckhard M Ü L L E R - M E R T E N S (1978) S. 77 Anm. 59. Am 30. Januar 1357 erneuerten die drei rheinischen Erzbischöfe in Koblenz ihre ebenda am 24. September 1354 geschlossene Einung und verbesserten sie in etlichen Punkten. Vor allem setzten sie ein Gericht ein, zu welchem drei ihrer Räte zweimonatlich jeweils einen Tag lang (und bei Bedarf auch häufiger und länger) in Koblenz zusammentreten sollten. Dieses sollte nicht nur über Streitfragen entscheiden, die zwischen den Lehnsmannen, Dienstmannen und Untertanen der drei Kurfürstentümer auftraten, sondern auch zwischen solchen Subalternen und einem der Kurfürsten selbst. Die gerichtliche Mehrheitsentscheidung sollte rechtskräftig sein (R: RI 8 Reichssachen Nr. 280, genauer REM 2/1 Nr. 723 und REK 6 Nr. 923).

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Goldenen Bulle als eines tagespolitischen Kompromisses zur Geltung, der sich einer einzigartigen Konstellation außergewöhnlich aufeinander angewiesener Protagonisten verdankt und seine zukünftige Tragfähigkeit schon deshalb erst erweisen musste. Dass sich dies über eine Vielzahl von Konflikten hinweg tatsächlich ergeben hat,87 spiegelt der durchschlagende Erfolg des Säulen-Epithetons in der frühen Neuzeit.

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Siehe z. B. Henry J. COHN, The electors and imperial rule at the end of the fifteenth century, in: Representations of power in medieval Germany 800-1500, hg. von Björn K. U. WEILER / Simon MACLEAN (International medieval research 16, 2006) S. 295-318.

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MICHAEL LINDNER

Es waran derZeit. Die Goldene Bulle in der politischen Praxis Kaiser Karls IV.

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Omnia tempus habent

Alles hat seine Zeit (omnia tempus habent), lesen wir im Buche Kohelet (Koh 3,1). Diese Meinung teilte Karl IV. offensichtlich in Bezug auf den Erlass der Goldenen Bulle. Es war höchste Zeit dafür, erfahren wir aus einem bisher kaum beachteten, aber schon lange gedruckten Schreiben des Kaisers. Er fasste diesen Gedanken im Anschluss an die Mitteilung über die Verkündung seiner Gesetze in Metz und die Erhebung des Jülicher Markgrafen zum Herzog in die Worte: et peractis hiis, que temporum poscebat necessitas. Der nur abschriftlich überlieferte Brief wurde am 6. Januar 1357 - also einen Tag vor der Abreise des Kaisers aus Metz - an Empfänger im Umfeld der Stadt Regensburg abgeschickt. 1 Ernst Schubert, der den Text als einziger wiederholt als wichtige Quelle zur Goldenen Bulle herangezogen hat, hielt ihn für „ein allgemeines Ausschreiben im Reich", 2 worauf zurückzukommen sein wird. Die für unser Thema zentrale Aussage dieses Schriftstücks aus der kaiserlichen Kanzlei besteht in der Erwähnung der öffentlichen Bekanntmachung der Goldenen

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D: Regensburger UB 2: Urkunden der Stadt 1351-1378, bearb. von Franz BASTIAN / Josef WIDEMANN (Monumenta Boica 54, 1956) S. 93 Nr. 223; R: MGH Const. 11 S. 529 Nr. 9 3 5 , URH 7 S. 1 3 3 Nr. 2 0 6 . Ernst SCHUBERT, Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, ZHF 4 (1977) S. 257-338, hier S. 290. SCHUBERT benutzt den Brief auch in folgenden Arbeiten: Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung, Jb. für westdeutsche LG 1 (1975) S. 97-128; König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (VMPIG 63, 1979); Erz- und Erbämter am hoch- und spätmittelalterlichen Königshof, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter MORAW (VuF 48, 2002) S. 191-237, hier S. 223; Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (AAG III 267, 2005).

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Bulle: ubi [in Metz] plures leges editas promulgavimus. Dazu kommen jedoch noch weitere wichtige Informationen: (1) feierliche Aufnahme des Kaisers durch Edle und Bürger der Stadt,3 (2) gut besuchter, feierlicher Hoftag am Tag der Geburt des Herrn, wobei die vollzählig anwesenden Kurfürsten in Gegenwart Karls IV. ihre Erzämter ausübten,4 (3) Erlass zahlreicher Gesetze und Erhebung des Markgrafen [Wilhelm] von Jülich zum Herzog, der Markgrafschaft zum Herzogtum, (4) Abreise der Kurfürsten mit kaiserlicher Erlaubnis, (5) Betonung der Dienstbarkeit und des Gehorsams der Kurfürsten dem Kaiser gegenüber sowie einer einzigartigen Eintracht zwischen dem Reich und den Kurfürsten, (6) Anwesenheit seiner Neffen [aus dem französischen Königshaus der Valois], des Herzogs der Normandie [und Dauphins Karl] sowie dessen Bruders [Johann, späterer Herzog von Berry], (7) Plan einer Reise Karls IV. nach Brabant zur Untersuchung der Auseinandersetzungen seines Bruders [Wenzel], Herzog von Luxemburg und Brabant, mit dem Bischof [Engelbert] von Lüttich und den Grafen [Wilhelm] von Namur und [Ludwig] von Flandern,5 (8) direkte Rückkehr der Kaiserin Anna nach Böhmen, (9) Aufforderung der französischen Neffen [Karl und Johann] an den Grafen von Flandern zur Befolgung des kaiserlichen Willens, (10) Einverständnis des Bischofs [Engelbert] von Lüttich und des Grafen [Wilhelm] von Namur mit den kaiserlichen Vorschlägen, (11) Vermittlung Karls IV. zwischen dem englischen und französischen Herrscher über Boten, (12) Rückreise des Kaisers nach Böhmen und voraussichtliche Ankunft in Sulzbach vor dem 21. Februar 1357. Dieses Schreiben ergänzt das Wissen zum gesamten Metzer Geschehen nicht nur beiläufig,6 sondern bringt Belege für bislang nur Vermutetes und gänzlich Unbe-

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Vgl. dazu auch RI 8 Nr. 2519a und den Eintrag zum 17. November in Richard SALOMON, Ein Rechnungs- und Reisetagebuch vom Hofe Erzbischof Boemunds II. von Trier 1354— 1357, NA 33 (1908) S. 3 9 9 ^ 3 4 , hier S. 429. Vgl. dazu auch RI 8 Nr. 2555a-b; SALOMON, Rechnungs- und Reisetagebuch (wie vorige Anm.) S. 432. Aktuelle Informationen zu den brabantischen Entwicklungen erhielt Karl IV. von Frankfurter Gesandten, die auf dem Wege nach Metz zu ihm stießen und dabei Briefe aus Löwen und Brüssel mitbrachten: Nova Alamanniae. Urkunden, Briefe und andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts, hg. von Edmund E. STENGEL, 2 Bde. (1921-1976), hier 1/1 S. 630 Nr. 977; RI 8 Reichssachen Nr. 703. Vgl. zu den Metzer Ereignissen Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Der Abschluß der „Goldenen Bulle" zu Metz 1356/57, in: Studia Luxemburgensia. FS Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich Bernward FAHLBUSCH / Peter JOHANEK (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, 1989) S. 123-232; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die Entstehung der „Goldenen Bulle" zu Nürnberg und Metz 1355 bis 1357, in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356-1806. Aufsätze, hg. von Evelyn

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kanntes: Über die Rangerhöhung Wilhelms von Jülich samt seiner Markgrafschaft (3) erfahren wir hier aus erster, nämlich kaiserlicher Hand. Die Beförderung Markgraf Wilhelms zum Herzog wurde in der Literatur bisher aus der Führung des neuen Titels seit dem 25. Dezember 1356 erschlossen.7 Eine Erhebungsurkunde darüber ist nicht vorhanden, ihre textliche Gestalt jedoch zumindest fragmentarisch sehr wahrscheinlich in einem Formular der kaiserlichen Kanzlei bewahrt.8 Eine späte Notiz aus der Zeit um 1550 in der sogenannten ,Chronique de Praillon', die aus Metzer städtischer Tradition schöpfte, erweist sich damit als zutreffend. 9 Die Kurfürsten traten ihre Heimreise mit Erlaubnis des Herrschers an (4). Vom diplomatischen Einwirken der beiden Valois Karl und Johann mittels Briefen und Boten auf den Grafen von Flandern im kaiserlichen Interesse (9) war nichts bekannt. Die Vermutung, der Kaiser habe in Metz auch im englisch-französischen Krieg vermittelt,10 findet im behandelten Schreiben (11) seine Bestätigung. Zu den Streitigkeiten am Niederrhein erhalten wir zusätzliche Informationen (7, 10). Die Aussagen zur Planung und Terminierung des Reiseweges des Kaisers und seiner Frau (8, 12) sind für die Itinerarforschung von Interesse. Neben diesen konkreten Fakten ist die ausdrückliche Erwähnung der Gesetzespublikation (3) in Metz von Bedeutung, weil sie die im Falle der Goldenen Bulle auf Öffentlichkeit zielende legislative Praxis Karls IV. zeigt. In unmittelbarer zeitlicher Nähe (1357/58) berichtet der Westfale Levold von Northof: Ibi [in Metz] imperator

/ Michael M A T T H Ä U S ( 2 0 0 6 ) S . 2 6 - 3 9 ; immer noch nützlich Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Bde. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2 , 1 9 0 8 ) hier 1 S. 1 6 9 - 1 8 3 . HERGEMÖLLER, Abschluß (wie vorige Anm.) S. 181 f.; Steffen SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter (FDRG 1 8 , 1 9 9 9 ) S. 1 1 5 - 1 3 0 , hier S. 1 2 8 (beide mit weiterer Literatur); zur Einordnung in die territorialen Verhältnisse vgl. Wilhelm JANSSEN, Karl IV. und die Lande an Niederrhein und Untermaas, BDLG 1 1 4 ( 1 9 7 8 ) S. 2 0 3 - 2 4 1 . Collectarius perpetuarum formarum Johannis de Geylnhusen, hg. von Hans KAISER (1900) S. 44 Nr. 49 (richtig: 46). Zu weiteren in der Literatur bisher nicht beachteten Quellen für die Erhebung des Jülichers siehe MGH Const. 11 Nr. 887, unten Anm. 13 f., femer die Annales Agrippinenses, hg. von Georg Heinrich PERTZ (MGH SS 16, 1859) S. 736-738, hier S. 738,20 f.: Anno 1357 in die nativitatis Christi Wilhelmus marchio Iuliacensis electus est Metis in ducem per Karolum Romanorum imperatorem, sowie den in Maastricht, 1357 Januar 26 geschriebenen Brief Herzog Wilhelms an den Kölner Erzbischof (R: R E K 6 N r . 921). Les chroniques de la ville de Metz 900-1552, hg. von Jean François HUGUENIN (1838) S. 99 zum 25. Dezember 1356: Erhebung des Markgrafen von Jülich zum Herzog. BROCKHOFF

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HERGEMÖLLER, Abschluß ( w i e A n m . 6) S. 169 f.

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fecitpublicari

diversas

constitucionesper

ipsum editas, multum utiles ...11 Die Ge-

setze des Nürnberger Hoftages erwähnen zwei etwas spätere Quellen: Werner von Lüttich, der zwischen 1373 und 1383 schrieb (Carolus imperator condidit)

... multas leges

und eine Vita Innozenz' VI. (Karolus ... multas leges edidit et 12

constitutio-

"

nes fecit) aus der Zeit Papst Benedikts XIII. (seit 1394). Uber den Erlass und die Publikation von Gesetzen, die aus Nürnberger und Metzer Kapiteln bestanden, berichtet außerdem zur Zeit Kaiser Friedrichs III. der brabantische Chronist Edmond de Dynter.13 So könnte die häufig vorgebrachte Klage über den zu geringen Widerhall der gesetzgeberischen Tätigkeit des Luxemburgers vielleicht doch kein Problem der Quellen, sondern nicht ausreichender Suche und falscher Erwartungen sein. Schließlich ist hier auf weitere Quellen zu den Metzer Ereignissen hinzuweisen, deren Entstehungsgebiet am Rhein und in Thüringen lag. Sie erwähnen zwar die Gesetzgebung nicht, bringen aber andere wichtige, allerdings schon bekannte Details. Zum einen handelt es sich um eine gegen 1377 geschriebene Kölner Weltchronik, die den gut besuchten Weihnachtshoftag in Metz, die Anwesenheit aller Kurfürsten, des französischen Thronfolgers und des Kardinals Elias Talleyrand sowie die Beförderung des Markgrafen von Jülich zum Herzog erwähnt, zum anderen um eine 1429 erstellte Papst- und Kaiserchronik, in der noch einmal der Ausübung der Erzämter durch die Kurfürsten gedacht wurde.14 Noch einige Jahre später, um 1455, hielt ein Erfurter Autor ein weiteres Mal die kurfürstlichen Dienste am Kaiser auf dem großen Metzer

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Die Chronik der Grafen von der Mark von Levold von Northof, hg. von Fritz ZSCHAECK (MGH SS rer. Germ. NS 6, 1929) S. 93. Zu Werner von Lüttich vgl. Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV. (Städteforschung A 13, 1983) S. 29 f. mit dem Quellennachweis und der älteren Literatur; Prima vita Innocentii VI., in: Vitae paparum Avenionensium 1, neu hg. von Guillaume MOLLAT (1914) S. 3 1 5 . Chronica nobilissimorum ducum Lotharingiae et Brabantiae ac regum Francorum 3, hg. von Pierre François Xavier DE RAM (Collection de Chroniques belges inédites 8, 1857) S. 43: Qui quidem imperator in solempni sua curia Metensi ... nonnullas leges, XXIII capitula, alias per ipsum in solempni sua curia Neurembergensi anno predicto, necnon certas alias leges, quinque capitula continentes, in dicta sua solempni curia Metensi editas, promulgavit et publicavit; zum Autor vgl. Piet AVONDS, Dynter, Edmond de, in: L e x . M A 3 ( 1 9 8 6 ) Sp. 1 4 9 7 .

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Die Kölner Weltchronik 1273/88-1376, hg. von Rolf SPRANDEL (MGH SS rer. Germ. NS 15, 1991) S. 99; Chronicon pontificum et imperatorum Rhenense ab Innocentio III. usque ad annum 1429, hg. von Ludwig WEILAND, Beschreibung einiger Handschriften der U n i v e r s i t ä t s b i b l i o t h e k z u G i e s s e n , N A 4 ( 1 8 7 9 ) S. 7 4 - 8 5 , h i e r S. 81 z u 1 3 5 6 .

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Hoftag von 1356 fest, er verlegte sie nur irrig nach Mainz; ein Fehler, den schon Jakob Twinger von Königshofen um 1400 gemacht hatte. 15 Der eingehend behandelte Brief Karls IV. über die Metzer Ereignisse ist nur in einem Exemplar erhalten. Ist es deshalb gewagt - wie Schubert - von einem allgemeinen Ausschreiben zu sprechen? Es gibt Indizien, die eine solche Interpretation stützen: Die Überlieferungschance derartiger, nicht auf die dauerhafte Geltung eines Privilegs zielender Schreiben ist schlecht. 16 So ist es nicht verwunderlich, dass der Text bisher einzig durch eine zeitgenössische Kopie bekannt geworden ist. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass weitere Exemplare unerkannt in den Archiven ruhen. Eine weitere Beobachtung bestärkt den Verdacht auf einst existente Rundschreiben aus der Kanzlei des Luxemburgers, mit denen Empfanger im Reich über die Metzer Aktivitäten unterrichtet wurden. Die chronikalischen Berichte des Böhmen Benes Krabice von Weitmühl und des Florentiners Matteo Villani decken sich auffällig mit Teilen des Briefinhalts. Sie sind auch deutlich detaillierter als die anderen zeitgenössischen Geschichtsschreiber - Heinrich von Diessenhofen, Heinrich Taube von Selbach, Levold von Northof und Mathias von Neuenburg. 17 Bei Letzterem allerdings ist bemerkenswert, dass er in seinem kurzen Bericht genau zwischen den Kurfürsten (principes electores) und den Inhabern der Erbämter (officiales seu ministeriales imperii) beim Dienst an der Tafel des Kaisers unterscheidet, was auf nähere Kenntnis der Metzer Kapitel 27 und 30 der Goldenen Bulle schließen lässt. Benes Krabice schrieb erst in den 1370ern, hatte aber Zugang zu Informationen des Hofes, Matteo Villani könnte ein an italienische Empfanger gerichtetes Schreiben

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Rolf SPRANDEL, Eine Erfurter Martin von Troppau-Fortsetzung (mit Edition), in: Landesgeschichte als Herausforderung und Programm. Karlheinz Blaschke zum 70. Geburtstag, hg. von Uwe JOHN / Josef MATZERATH (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 15, 1997) S. 217-239, hier S. 229: Et veniens Magunciam tenuit curiam magnam cum electoribus imperii. Et omnes electores ministrant imperatori in officiis suis', Chronik des Jacob Twinger von Königshofen 1400 (1415), in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg 1, hg. von Carl HEGEL (Die Chroniken der deutschen Städte 8, 1870; ND 1961) S. 153-498, hier S. 482. Vgl. Peter M O R A W , Grundzüge einer Kanzleigeschichte Kaiser Karls IV. ( 1 3 4 6 - 1 3 7 8 ) , ZHF 1 2 ( 1 9 8 5 ) S. 1 1 ^ 2 , hier S. 1 6 . Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hg. aus dem Nachlasse Johann Friedrich BÖHMERS von Alfons HUBER (Fontes rerum Germanicarum 4, 1868) S. 16-126, hier S. 101 f. und S. 107; Die Chronik Heinrichs Taube von Selbach, hg. von Harry B R E S S L A U (MGH SS rer. Germ. NS 1, 1922) S. 110 f.; Levold von Northof (wie Anm. 11) S. 92 f.; Die Chronik des Mathias von Neuenburg, hg. von Adolf HOFMEISTER (MGH SS rer. Germ. NS 4,1924-1940) S. 486.

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Karls IV. benutzt haben. Benes Krabice stimmt in den Mitteilungen seiner Chronik18 mit den Punkten (1, 2, 5, 6) des Briefs vom 6. Januar 1357 überein: feierliche Aufnahme in Metz durch Edle und Bürger, Hoftag am 25. Dezember, Ausübung der Erzämter durch die vollzählig versammelten Kurfürsten, Heimreise in bester Stimmung und Anwesenheit seiner französischen Neffen. Matteo Villanis Schilderung19 geht auf den Weihnachtshoftag mit den kurfürstlichen Diensten (2) unter namentlicher Nennung des Brandenburger Markgrafen ein, erwähnt die Bemühungen im englisch-französischen Krieg (11), die Anwesenheit englischer Gesandter und der französischen Königssöhne (6), die Verhandlungen im flandrisch-brabantischen Streit (7, 10) und das gute Einvernehmen zwischen dem Kaiser und den Fürsten (5). Das Fehlen der Itinerarangaben des Briefes (8, 12) ließe sich daraus erklären, dass sie für einen Italiener uninteressant und für Benes Krabice zum Zeitpunkt der Niederschrift längst überholt und damit nutzlos waren.

II Goldene Bulle - Aurea bulla Leges und constitutiones hieß das Textcorpus von Nürnberg und Metz in den gerade erwähnten Quellen. Der deutschsprachige Kurztitel ,Goldene Bulle', der die Art der Besiegelung pars pro toto zur bis heute gängigen Gesamtbezeichnung der Gesetzessammlung macht, tauchte bekanntlich erst im Jahre 1400 auf - am Hofe des gerade gewählten Königs Ruprecht von der Pfalz und bald darauf als lateinische Antwort aurea bulla des prachthandschriftlich gegen seine Absetzung demonstrierenden bibliophilen Königs Wenzel.20 Bis zum Tode Karls IV. hatte die im kaiserlichen Namen sprechende Kanzlei die Termini verwendet, die schon im Text der karolinischen Gesetze von 1356 zur Eigenbezeichnung gebraucht wurden: Die spätere Goldene Bulle nennt sich selbst leges oder lex (15 Belege), zumeist allein stehend oder in den Wortverbindungen nostre leges bzw. lex nostra imperialis, die auf den

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Chronicon Benessii de Weitmil (Kronika Benese z Weitmile), hg. von Josef EMLER (FRB 4, 1884; ND 2004) S. 457-548, hier S. 525 f. Matteo Villani, Cronica. Con la continuazione di Filippo Villani, hg. von Giuseppe PORTA, 2 Bde. (Bibl. di scrittori italiani, 1995), hier 2 S. 66 f. (Kap. VII 46). Vgl. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 1 S. 229 f.; Armin WOLF, Die Goldene Bulle. König Wenzels Handschrift. Kommentar (1977) S. 45 ff.; Hermann HEIMPEL, Die Vener von Gmünd und Strassburg 1162-1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel, 3 Bde. (VMPIG 52, 1982), hier 2 S. 688 ff.; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 349, 354, 357, 417.

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Gesetzgeber Karl IV. verweisen. Einmal begegnet die Kombination imperiales nostre constitutiones et leges. Als constitutio / constitutiones allein bezeichnet sich der Text neunmal, dazu jeweils zweimal als nostra constitutio oder nostra constitutio imperialis. Bei den neun Nennungen als edictum wird die Betonung des kaiserlichen Charakters der Gesetzgebung mit acht Belegen für edictum imperiale und einen für edictum nostrum deutlich. Nur jeweils einmal finden sich die Termini nostra declaratio, nostra ordinatio und Uber. Die ganz überwiegende Verwendung von lex, constitutio und edictum zur Selbstbezeichnung der Goldenen Bulle weist den Text in seinem Selbstverständnis als Akt gesetzgeberischer Tätigkeit mit unmittelbarer Verfassungsrelevanz aus. In den kaiserlichen Urkunden, in denen bis 1378 der Gesetzessammlung von Nürnberg und Metz oder einzelner ihrer Teile gedacht wurde, kehren folgende dieser Benennungen und ihre deutschen Entsprechungen wieder: Als Karl IV. am 25. Januar und am 2. Februar 1356 den Kölner Erzbischof und die Kölner Kirche mit mehreren in Nürnberg erlassenen Kapiteln noch einmal gesondert privilegierte, hieß dieser Teil der Goldenen Bulle leges et constitutiones imperiales22 Das 16. Kapitel zu den Pfahlbürgern wird im Privileg für den Fuldaer Abt vom 6. Januar 1357 ein gesecze und keiserrecht genannt, der gesamte Text am 21. März 1360 in einem Gebot an die elsässischen Reichsstädte uns ir keiserliches gesez.23 Im Zusammenhang mit Klagen vor dem Hofgericht gegen Herzog Erich von Sachsen-Lauenburg bezeichnete der Kaiser sein Gesetz in zwei zusammengehörigen Urkunden vom 25. Mai und 29. August 1361 als unser keiserliches Rechtbuch / unser keyserliches recht buch.24 Am 17. März 1363 zitierte die Kanzlei Karls IV. die Goldene Bulle im Zusammenhang mit deren Kapitel 9 als lex imperialis seu statutum, was in der deutschen Fassung dieses Privilegs für die Nürnberger Burggrafen kurz mit geseczze wiedergegeben wurde. 25 Die Behauptung, dass mit diesem Zeitpunkt die Zitate der 21

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Die Belege sind aufzufinden über das Register zu: Bulla aurea Karoli IV. imperatoris anno MCCCLVI promulgata - Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356, bearb. von Wolfgang D. FRITZ (MGH Fontes iuris 11, 1972). D: ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 2 S. 103 Nr. 27 und S. 111 Nr. 29; R: MGH Const. 11 S. 418 Nr. 737, RI 8 Nr. 2427 = 6872. D: ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 2 S. 125 Nr. 33; R: MGH Const. 11 S. 530 Nr. 938, RI 8 Nr. 2590 (Urkunde für Fulda); das Zitat aus der Urkunde vom 21. März 1360 nach dem Original im StadtA Haguenau „AA 234 Nr. 1". Zitat nach den Originalen im LA Schleswig „210 Nr. 118, 119"; R: RI 8 Nr. 3699 und Nr. 3740, URH 8 S. 149 Nr. 196 und S. 167 Nr. 227 (jeweils mit altem Druck). D: Monumenta Zollerana. UB zur Geschichte des Hauses Hohenzollern 4: Urkunden der Fränkischen Linie (1363-1378), hg. von Rudolph Frh. von STILLFRIED / Traugott MAERCKER (1858) S. 1 Nr. 1 und S . 5 Nr. 2; R: RI 8 Nr. 3934.

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Goldenen Bulle enden, 26 ist irrig. In Urkunden für die Trierer Kirche vom 23. Dezember 1364 (unser gesetze und lex) wird sie mit Bezug auf das 13. Kapitel sowie zweimal vom 11. November 1374 (gesetze und ordenuenge, gesecze und ordenunge) Kapitel 1 betreffend erwähnt. 27 Im April 1365 urkundete Karl IV. in der Pfahlbürgerfrage für Hagenau und nannte dabei sein legislatives Werk von 1356 ein gemein 28

geseczze. Einzelne Verfügungen der Goldenen Bulle wurden bei der Ausstellung von Privilegien auch benutzt ohne Verweis auf das gesamte Gesetzeswerk. 29 Für Bischof Johann von Straßburg urkundete der Kaiser am 1. März 1358 unter Berufung auf eine von allen Kurfürsten mitgetragene Entscheidung der feierlichen Hoftage von Nürnberg und Metz bezüglich des Erbkämmereramtes der Straßburger Kirche, ohne auf die dort auch erlassene Goldene Bulle einzugehen. 30 Außerhalb der Kanzlei, aber aus dem engeren Umfeld des Hofes heraus benutzte Lamprecht von Brunn, damals Bischof von Speyer, Anfang 1366 die Wendungen dez richs und der curfürsten gemein gesetz und gebot sowie dez keysers und der curfürsten gemein gebott für die Goldene Bulle in einem Brief an Bürgermeister und Rat der Stadt Straßburg zum elsässischen Dauerthema der Pfahlbürger. 31 Bereits im Juni 1357 hatte sich Erzbischof Gerlach von Mainz bezüglich seiner Gerichtshoheit gegenüber dem kaiserlichen Hofgericht auf die Privilegien und ... briefen, die wir und unser stift von unserm herrn dem keiser und seinen vorfarn mit iren insigeln und gülden bullen dar ubir besigilt han, berufen. Unter diesen Privilegien war die Goldene Bulle mit Kapitel 11 De immunitate principum electorum der wichtigste und jüngste Rechtstitel. Dass sie hier neben älteren Herrscherurkunden zum Nachweis erzbischöflich-kurfürstlicher Freiheiten herangezogen wurde, zeigt der Hinweis auf die mydekorforsten, die über ebensolche Gnaden verfügten. 32 26 27

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So WOLF, Goldene Bulle (wie Anm. 20) S. 46. D: Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte C: Kurtrierische Städte 1, hg. von Friedrich R U D O L P H (Publikationen der Ges. für Rheinische Geschichtskunde 29 C 1, 1915) S. 343 Nr. 71; R: RI 8 Nr. 4100 = 7138, URH 8 S. 338 Nr. 458 (Urkunde von 1364); D: RTA 1 S. 11 Nr. 3 und S. 22 Nr. 5; R: RI 8 Nr. 5414 und Nr. 5422 (Urkunden von 1374). Zitat nach dem Original im StadtA Haguenau „AA 28 Nr. 1"; R: R] 8 Nr. 4149, URH 9 S. 34 Nr. 58. Privileg über die Gerichtshoheit des Straßburger Bischofs vom 3. März 1358; D: ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 2 S. 129 Nr. 35; nicht in RI 8. Abschrift des 18. Jahrhunderts in den Archives Départementales du Bas-Rhin, Strasbourg „G 5702"; R: RI 8 Nr. 2756 (mit altem Druck). UB der Stadt Straßburg 5/2: Politische Urkunden von 1365 bis 1380, bearb. von Hans W I T T E / Georg W O L F R A M (1896) S. 547 Nr. 701. Zitat nach der Abschrift im Hessischen StA Darmstadt „C 1 A Nr. 67, fol. 138v-139r"; R: URH 7 S. 176 Nr. 270.

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Was sagen uns diese aus gedrucktem und ungedrucktem Material stammenden Belege, die sich auf alle Jahrzehnte der Herrschaft Karls IV. nach 1356 verteilen? Die Goldene Bulle wurde weder in den chronikalischen noch den urkundlichen Quellen mit Schweigen übergangen. Sie war in der kaiserlichen Urkundenpraxis präsent, wurde vor dem Hofgericht (1361) verwendet und in politischen Auseinandersetzungen im Reich als Argument benutzt. Einzelne Fürsten bezogen sich auf Regelungen des Gesetzestextes. Ein einheitlicher Titel hatte sich dabei noch nicht gebildet. Die gern zitierte Bezeichnung keiserliches Rechtbuch / keyserliches recht buch von 1361 ist singulär. Sie sollte nicht allzu stark in den Vordergrund gestellt werden. Bei der Frage nach dem Wissen der Zeitgenossen über die Goldene Bulle, ihrer Wirkung und Wahrnehmung im Reich wurden die vom kaiserlichen Hof ausgehenden Texte, Urkunden und Briefe Karls IV. bisher zu wenig beachtet. Der Reflex der karolinischen Gesetzgebung in der zeitgenössischen Historiografie ist von Bedeutung. Aber auch die durch sieben Originale sowie zahlreiche Urkunden und mindestens ein Rundschreiben aus der Kanzlei im Namen des Kaisers verbreitete Kenntnis der Goldenen Bulle muss bei der Bewertung ihres Widerhalls stärker in Rechnung gestellt werden. Levold von Northof zeigt uns außerdem, dass man auch unabhängig von der Kanzlei Karls IV. über die kurfürstlichen Exemplare Kenntnis von Inhalt und genauem Wortlaut der Goldenen Bulle gewinnen konnte. Er zitierte zeitnah in seiner Chronik der Grafen von der Mark das Protokoll des feierlichen Diploms, das als Proömium den Gesetzestext eröffnet, mit verbaler Invocatio, Apprecatio, Intitulatio, Devotio und Perpetuitätsformel sowie das vollständige Kapitel 17 {De diffidationibus).

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Anders Armin WOLF, Das „Kaiserliche Rechtbuch" Karls IV. (sogenannte Goldene Bulle), Ius commune 2 (1969) S . 1-32, hier S . 2; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die Verfasserschaft der „Goldenen Bulle" Karls IV., Bohemia 22 (1981) S. 255-299, hier S. 255 mit Anm. 1 ; Hiram KÜMPER, Zwischen „kaiserlichem Recht-Buch" und „Reichsgrundgesetz". Beiträge zur Wirkungs- und Literaturgeschichte der Goldenen Bulle Karls IV. zwischen 1356 und 1806, Wolfenbütteler Beitr. 14 (2006) S. 155-191, hier S. 158. Levold von Northof (wie Anm. 11) S. 93 f.; vgl. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 1 S. 173 f.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die Eröffnung der „Goldenen Bulle". Vorgebet und Proklamationsdiplom von „Omne regnum" unter metaphorologischen und exegetischen Aspekten, in: DERS., Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1 9 9 9 ) S. 1 2 6 - 2 2 0 , hier S. 1 4 3 ff.

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III Kein Aufbau Ost Das Exemplar der Goldenen Bulle, das Levold von Northof benutzt haben dürfte, war das des Kölner Erzbischofs Wilhelm von Gennep.35 Der Kölner und seine drei rheinischen Kollegen, die Erzbischöfe Gerlach von Mainz und Boemund von Trier sowie Pfalzgraf Ruprecht I., erhielten ihre Originale in den Tagen nach der öffentlichen Verkündung am 25. Dezember 1356. Bei ihrer mit kaiserlicher Erlaubnis erfolgten Abreise von Metz um den Epiphaniastag 1357 hatten der Pfalzgraf, der Mainzer und der Kölner ihre vollständigen Exemplare der Goldenen Bulle genauso im Gepäck wie der am 7. Januar zusammen mit dem Kaiser abreisende Trierer Kurfürst.36 Mit der Herstellung der rheinischen Originale hatte die Hofkanzlei zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar alle Hände voll zu tun. Die Kölner Ausfertigung wurde deshalb von einem kanzleifremden „Lohnschreiber" produziert. Bei diesem Arbeitsanfall ist es auffällig, dass Johann von Neumarkt, der Kanzler Karls IV., die Hilfe eines erfahrenen Kanzlisten, Peter von Laun, ablehnte. Johann schrieb zum Jahreswechsel 1356/57 seinem allerliebsten Freund (amice Rarissime) nach Breslau: Er solle nicht nach Metz kommen. Dort gäbe es nichts mehr zu holen.37 Kaiser Karl IV. als böhmischer König und Kurfürst kam nach Metz bereits mit einem mit Goldbulle besiegelten Exemplar des Nürnberger Teils. Diesem wurde später, nach 1366, der Metzer Abschnitt angebunden. Letzterer hebt sich deutlich vom Nürnberger Text ab, von dem ihn drei leere Blätter trennen. Außerdem blieb dieser Metzer Teil des böhmischen Exemplars unbesiegelt und wurde auf anderem Pergament und kleineren Lagen von anderer Hand geschrieben.38 Hatte der böhmische Kurfürst wenigstens vom Nürnberger Teil ein ordentlich besiegeltes Original, so zogen die beiden anderen Kurfürsten aus dem Osten, Sachsen und Brandenburg, ohne 35

Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356. Faksimile der Ausfertigung für den Kurfürsten von Köln mit einer Einl. von Kurt Hans STAUB / Jörg-Ulrich FECHNER sowie einer Übers, von Konrad MÜLLER (1982); vgl. zum Kölner Exemplar FRITZ, Bulla aurea (wie Anm. 21) S. 17 f.; HERGEMÖLLER, Abschluß ( w i e Anm. 6) S. 197 ff.

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Zu den pfalzgräflichen, Mainzer und Trierer Originalen vgl. FRITZ, Bulla aurea (wie Anm. 21) S. 18 f f ; HERGEMÖLLER, Abschluß (wie Anm. 6) S. 192-202. Briefe Johanns von Neumarkt, ges., hg. und eri. von Paul PLUR (Vom Mittelalter zur Reformation 8, 1937) S. 130 f. Nr. 85: consulo quod non vadatis ad civitatem Metensem, ubi multas expensas opinor incumbere et nulla vel saltem valde modica lucra, cum de preterito tempore omnia, sicut scitis, Metensia negocia fuerint expedita. Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. Faksimiledruck nach der Original-Ausfertigung für Kaiser Karl IV., gefertigt in Nürnberg und Metz 1356 und heute im Österreichischen Staatsarchiv Wien (1973); vgl. zum böhmischen Exemplar FRITZ, Bulla aurea (wie Anm. 21) S. 16 f , 22, 25; HERGEMÖLLER, Abschluß (wie Anm. 6) S. 192, 194, 198 f.

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eigene Ausfertigung zurück an Elbe und Oder. Sie verfugten lediglich über Einzelbeurkundungen ihres Kurrechts. Markgraf Ludwig der Römer von Brandenburg erhielt kur und stymme an der wale eyns Romischen kunigs eins künftigen keisers für sich und seinen Bruder Otto innerhalb einer allgemeinen Privilegienbestätigung am 3. Dezember 1355 in Nürnberg in deutscher Sprache. 39 Den sächsischen Herzögen, Rudolf d. Ä. und dessen Sohn und Nachfolger Rudolf d. J., bestätigte der Luxemburger die Kurwürde gleich mehrfach: in Prag am 24. August (dt.) und am 6. Oktober (lat.), in Nürnberg am 29. Dezember 1355 (lat.) dem Vater sowie in Metz am 27. Dezember 1356 (lat.) und 2. Januar 1357 (dt.) dem Sohne. 40 Wie kam es dazu, dass zwei Kurfürsten ohne ein eigenes Exemplar der Goldenen Bulle nach Hause kamen? Die offenkundige Unbeliebtheit eines der beiden, des älteren Sachsenherzogs, die aus den Worten eines führenden Intellektuellen der Zeit, Konrad von Megenberg, spricht, kann es nicht gewesen sein. Konrad vermied es in seiner ,Yconomica\ den Wittenberger Herzog Rudolf d. Ä. beim Namen zu nennen. Er bezeichnete ihn um 1350 wenig schmeichelhaft als kurfürstlich-sächsische Glatze (Saxonica calvicies, calvicies electrix).41 Auch dass Geldmangel die Ursache für die Nichtexistenz vollständiger sächsischer und brandenburgischer Exemplare gewesen sein könnte, 42 ist wenig wahrscheinlich. Der Herzog von Sachsen-Wittenberg, bis 1422 aus askanischem und erst ab 1423 aus wettinischem Hause, war zwar in der Tat der ärmste der Kurfürsten. Ein kurz vor 1300 schreibender Colmarer Dominikaner berichtet in seiner ,Descriptio Theutoniae', 4 3 dass dessen Einkünfte - vermutlich pro Jahr - gerade mal 2.000 Mark Silber ausgemacht haben. Das entsprach genau der Summe, für die Karl IV. 1346 die Kurstimme des Sachsenherzogs kaufte, wie wir von einem anderen Dominikaner wissen. 44 Zum Vergleich der kurfürstlichen Einkünfte: Der Pfalzgraf, der auch Herzog von Bayern war, hatte nach derselben Quelle 20.000 Mark, davon 5.000 aus der Pfalzgrafschaft und 15.000 aus dem Herzogtum, der Brandenburger 50.000 und der Böhme 100.000 Mark an Einnahmen. 39 40

41

D: MGH Const. 11 S. 328 Nr. 579; R: RI 8 Nr. 2307. D: MGH Const. 11 S. 293 Nr. 516, S. 308 Nr. 537, S. 366 Nr. 653, S. 501 Nr. 895, S. 523 Nr. 928 (nicht in RI 8); R: RI 8 Nr. 6846, 2264, 6860, 2561. Konrad von Megenberg. Werke: Ökonomik 1, hg. von Sabine KRÜGER (MGH Staatsschriften 3/5, 1973) S. 153.

42

So die Vermutung von FRITZ, Bulla aurea (wie Anm. 21) S. 13.

43

Descriptio Theutoniae, hg. von Philipp JAFFÉ (MGH SS 17, 1861) S. 238 f. Es kommt mir bei den Angaben auf die Relation, nicht auf die absoluten Zahlen an. Liber de rebus memorabilioribus sive Chronicon Henrici de Hervordia, hg. von August POTTHAST (1859) S. 275,18 f.: vocem siquidem ducis [Herzog Rudolf von Sachsen] pro 2.000 marcarum argenti puri comparavit et emit\ wieder abgedruckt MGH Const. 8 S. 90 f. Nr. 63, das Zitat S. 90,28 f.

44

Es war an der Zeit

Bei den geistlichen Kurfürsten nahmen der Kölner 50.000, Mainz 7.000 und Trier 3.000 Mark Silber ein. Der unmittelbare Nachbar des Wittenberger Herzogs, der Erzbischof von Magdeburg, verfugte immerhin noch über 4.000 Mark, also das Doppelte des sächsischen Kurfürsten. Aber wenn das Geld der Sachsenherzöge für den Text der Goldenen Bulle im Ganzen nicht gereicht haben sollte, warum leisteten sie sich dann die fünf oben erwähnten Einzelurkunden zum Kurrecht, eine davon gar mit Goldbulle besiegelt? Wir müssen also weitere Überlegungen zur Frage der fehlenden Exemplare anstellen. Eine andere Erklärung geht davon aus, dass die Goldenen Bullen der Ostfürsten verloren gegangen sein könnten; Gelegenheit dazu hätte es bei den Dynastiewechseln 1373 in Brandenburg und 1422 in Sachsen gegeben.45 Dagegen spricht, dass sowohl die Luxemburger mit Brandenburg wie die Wettiner mit Sachsen auch die Privilegien ihrer wittelsbachischen und askanischen Vorgänger ohne größere Verluste übernommen haben. Die Bestätigung der brandenburgischen Kurwürde liegt heute in Prag, die erwähnten fünf Beurkundungen der sächsischen Askanier in Dresden. Für Verluste ist hier kein Raum. Außerdem lässt sich - wie die Forschungen von Marie-Luise Heckmann in diesem Bande zeigen - keine abschriftliche Überlieferung zur Goldenen Bulle brandenburgisch-wittelsbachischer oder sächsischaskanischer Herkunft auffinden. So bleibt am Schluss zu konstatieren: Nicht Unbeliebtheit oder Armut und auch nicht Urkundenverluste sind Ursachen für das Fehlen der sächsischen und brandenburgischen Ausfertigungen. Es muss nach Gründen verfassungsrelevanter Art und nach den Interessen seitens der Beteiligten gefragt werden. Entscheidend für die Gewährung eines Privilegs oder einer Privilegiensammlung wie der Goldenen Bulle war nach den notwendigen Vor- und Zuarbeiten innerhalb der Hofkanzlei und eventuellen Absprachen mit den wechselnden kaiserlichen Räten zuletzt der Wille des Herrschers.46 Karl IV. gewährte dem Herzogtum Sachsen und der Mark Brandenburg keine vollständigen Exemplare seiner Gesetzessammlung, weil er andere Pläne mit diesen beiden Kurfürstentümern hatte. Als Kaiser war er an den Kurstimmen, als König von Böhmen an den Territorien der im böhmischen Hegemonialbereich an Elbe und Oder liegenden Fürstentümer interessiert, nicht an deren Stärkung durch herausragende Privilegien. Schon 1349 hatte er sein Interesse

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WOLF, Goldene Bulle (wie Anm. 20) S. 21; ausweichend HERGEMÖLLER, Abschluß (wie Anm. 6) S. 195 mit Anm. 349, S. 201, S. 229; DERS., Entstehung (wie Anm. 6) S. 34. Vgl. Peter MORAW, Das „Privilegium maius" und die Reichsverfassung, in: Fälschungen im Mittelalter 3: Diplomatische Fälschungen 1 (MGH Schriften 33/3, 1988) S. 201-224, hier S. 219: „daß als deijeniger [!], der den Ausschlag gab, am Ende nur der Kaiser selbst gelten kann."

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gegenüber dem Markgrafen von Jülich unmissverständlich artikuliert: Brandenburg und Sachsen gehörten zu den landen und herscheften, die er - wie auch Österreich, die Steiermark, Kärnten, Bayern, Meißen und Tirol - bei Anfall nicht als Entgelt für geleistete Unterstützung wieder ausgeben wolle, andere Fürstentümer schon.47 In den Jahren 1373 und 1422 fielen die beiden Kurfürstentümer tatsächlich vorübergehend an die Luxemburger. Bei der prospektiv von Karl IV. sicher seit Ostern 1355 angestrebten Wahl eines Nachfolgers vivente imperatore waren die sächsische und brandenburgische Kurstimme von hohem Wert. Mit der eigenen böhmischen würde dann zur mehrheitlichen, dennoch für einmütig zu haltenden Wahl eines römischen Königs nach den Regeln der Goldenen Bulle nur noch eine Stimme fehlen. Karl IV. konnte sich bei seinen Plänen auf Gedanken stützen, die im Umkreis der rheinischen Kurfürsten, besonders Balduins von Trier, kursierten. Lupoid von Bebenburg formulierte es in seinem ,Tractatus' etwa so: Das Kaisertum, das noch immer den Franken gehört, steht den Franken unter den Deutschen grundsätzlich eher zu als den übrigen Deutschen. In Franken gibt es vier Kurfürsten, die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln sowie den Pfalzgrafen bei Rhein. Diese vier Fürsten könnten als zahlenmäßige Mehrheit der Wähler einen neuen König einmütig {in concordia) wählen. 48 Das heißt doch aber, dass die rheinisch-kurfürstliche Mehrheit {maior pars) durch ihre fränkische Herkunft zusätzlich auch eine sanior pars war gegenüber den deutschen Kurfürsten in Sachsen und Brandenburg, die für eine Wahl nach Mehrheitsprinzip nicht unbedingt gebraucht wurden. Praktische kurfürstliche Politik für das Reich war bis zum Ende des 14. Jahrhunderts rheinische Kurfurstenpolitik, die ohne das Mitwirken der Königswähler von der Elbe auskam, wenn es nötig war, wie noch das Jahr 1400 mit der Absetzung Wenzels und der Wahl Ruprechts allein

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Urkunde Karls IV. vom 10. Februar 1349 (D: MGH Const. 9 S. 128 Nr. 164; R: RI 8 Nr. 859); vgl. Michael LINDNER, Kaiser Karl IV. und Mitteldeutschland, in: Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Histórica, hg. von Michael LINDNER / Eckhard M Ü L L E R - M E R T E N S / Olaf B. R A D E R unter Mitarbeit von Mathias LA w o (BBAW. Berichte und Abh. Sonderbd. 2, 1997) S. 83-180, hier S. 102 mit weiterer Literatur. Tractatus de iuribus regni et imperii Kap. 3, in: Politische Schriften des Lupoid von Bebenburg, hg. von Jürgen MIETHKE / Christoph FLOELER ( M G H Staatsschriften 4 , 2 0 0 4 ) S. 265 f.: imperium adhuc esse Francorum, quia edam inter naciones Germanorum ... imperium principalius est Francorum quam aliorum Germanorum. Sunt enim quatuor principes electores imperii in hac Francia, scilicet Maguntinensis, Treverensis et Coloniensis archiepiscopi, item comes Palatinus Reni. Qui quatuor principes vacante regno et imperio tamquam maior pars numero electorum possent regem creare in concordia eligendo.

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durch die rheinischen Elektoren deutlich zeigt.49 Am Rhein lag mit Rhens nicht nur der Ort, wo dies seit 1308 immer wieder sichtbar wurde, sondern auch - wie wir aus den ,Gesta Friderici' Ottos von Freising wissen - die maxima vis regni. Im Jahre 1356 schrieb Francesco Petrarca, der sich im zeitlichen Vorfeld der Goldenen Bulle einen Monat beim Kaiser in Prag aufgehalten hatte, am Rhein befände sich jener Teil Deutschlands, que nobilior habetur.50 So gab es also offenbar Mitte des 14. Jahrhunderts eine kurfürstliche Zweiklassengesellschaft, die ihren Ausdruck darin fand, dass die rheinischen Elektoren jeweils eigene vollständige Ausfertigungen der Goldenen Bulle erhielten, Sachsen und Brandenburg jedoch fast leer ausgingen. Die nichtfränkische Herkunft der beiden, ein Mangel von verfassungsmäßigem Rang, und das aktuelle politische Interesse Karls IV. waren die Gründe dafür. Gab es in der Praxis also solche und solche Kurfürsten, so wurde in den zeremoniellen Regelungen der Goldenen Bulle Wert auf Gleichbehandlung der Königswähler gelegt: Für die Ausübung der Erzämter schreibt das 28. Kapitel deren weltlichen Inhabern gemeinsames Hinsetzen nach Verrichtung ihrer officio vor. Die Tische aller sieben sollen die gleiche Höhe haben, drei Fuß unterhalb der Kaiserin und sechs Fuß unterhalb des Herrschers.51

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Vgl. Peter MORAW, Fürstentum, Königtum und „Reichsreform" im deutschen Spätmittelalter, BDLG 122 (1986) S. 117-136, hier S. 125 f.; Winfried DOTZAUER, Überlegungen zur Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Hintergrundes, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte. FS Alois Gerlich zum 70. Geburtstag, hg. von Winfried DOTZAUER / Wolfgang KLEIBER / Michael MATHEUS / KarlHeinz SPIEß (Geschichtliche LK 42, 1995) S. 165-193, hier S. 175; Ernst SCHUBERT, Die deutsche Königswahl zur Zeit Johanns von Böhmen, in: Johann der Blinde, Graf von Luxemburg, König von Böhmen, 1296-1346, hg. von Michel PAULY (Publications de la Section historique de l'Institut G.-D. de Luxembourg 115. Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d'Études médiévales 14, 1997) S. 135-166, hier S. 140; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 284 f.

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Petrarcas Briefwechsel mit deutschen Zeitgenossen, unter Mitwirkung von Konrad BURDACH hg. von Paul PIUR (Vom Mittelalter zur Reformation 7,1933) S. 211 Nr. VII3. Petrarca hatte sich als Gesandter der Mailänder Visconti zu Friedensverhandlungen mit dem Kaiser nach Metz aufgemacht, bereits in Basel erfahren, dass der Hoftag verschoben worden war, und sich dann nach längerem Abwarten direkt zu Karl IV. nach Prag begeben, vgl. ebd. S. XXIV-XXX. HERGEMÖLLER, Abschluß (wie Anm. 6) S. 220; Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die Auffuhrung des Reiches. Zeremoniell, Ritual und Performanz in der Goldenen Bulle von 1356, in: Kaisermacher (wie Anm. 6) S. 76-92, hier S. 78 f.; zum Bemühen Karls IV., die Erzämter mittels der Goldenen Bulle wieder fest an den Königshof zu binden, vgl. SCHUBERT, E r z - u n d E r b ä m t e r ( w i e A n m . 2 ) S. 2 1 8 - 2 2 3 .

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Abbildung 1 Epitaph Siegfrieds zum Paradies (t1386). Frankfurt am Main, Alte Nikolaikirche (1410-1420)

Die erste Stadt, die ein Exemplar der Goldenen Bulle erhielt, war Frankfurt am Main. Wie selbstverständlich und eher beiläufig wird in den beiden Eingangskapiteln des Gesetzestextes die Mainmetropole als der rechte Ort der Königswahl behandelt. Aber erst Kapitel 29 erklärt ausdrücklich, gestützt auf Zeugnisse der Vergangenheit, auch für die Zukunft sei einzuhalten, ut regis Romanorum futuri imperatoris in civitate Frankenfordie celebraretur electio. Dass Frankfurt in den Besitz eines vollgültigen Exemplars kam - eine zehn Jahre jüngere Abschrift der böhmischen Ausfertigung von 1356 und mitnichten ein ,Reichsexemplar' - und damit zwei Kurfürsten aus-

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MGH Const. 11 S. 628,1 f.; zu Frankfürt und der Goldenen Bulle vgl.: Kaisermacher (wie Anm. 6), hier besonders auf S. 40-63 den Beitrag von Michael MATTHÄUS, Das Frankfurter Exemplar der Goldenen Bulle (Herrn Kollegen Matthäus möchte ich an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit danken.), und S. 200-215 Johannes FRIED, Das Haus der „Goldenen Bulle" oder - Der Römer, das Reich und die Welt. 650 Jahre „Goldene Bulle", 600 Jahre Frankfurter Rathaus.

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stach, hatte die Stadt ihrem ursprünglich aus Marburg stammenden Bürger Siegfried zum Paradies zu verdanken. Siegfried heiratete zweimal sehr vorteilhaft in die alteingesessene Frankfurter Führungsschicht hinein - erst Katharina Knoblauch, dann Katharina zum Wedel. Er war seit dem Ende der Fünfzigerjahre über lange Zeit der Mann des Kaisers in Frankfurt: Am 20. September 1360 nahm Karl IV. ihn zu seinem Diener und täglichen Hofgesinde an.53 In Frankfurt wurde er auf kaiserliche Intervention Schöffe, dann Schultheiß; erwarb 1366 wichtige an Ulrich von Hanau verpfändete Rechte und Besitzungen des Reiches in und um Frankfurt mit Karls IV. Unterstützung für sich und erhielt vom Luxemburger auch danach weitere Verschreibungen an Einkünften und Gütern. Seine Gegner wurden vom Kaiser unter Druck gesetzt, wie der Landvogt Ulrich von Hanau, oder ihrer Ämter enthoben, wie 1365 Heinz im Saal seines Frankfurter Schultheißenamtes.54 Im Oktober 1365 hatte sich Siegfried gemeinsam mit Bischof Rudolf von Verden zum Hanauer begeben, um ihm drängende kaiserliche Forderungen vorzutragen. Im Begleit- und Beglaubigungsschreiben für diese Mission ist Siegfried zum Paradies erstmals als Rat Karls IV. {unser heimelicher diener und rat) bezeichnet,55 eine Würde, die vor ihm bei keinem anderen reichsstädtischen Großbürger belegt ist. In dieser Episode wird zeitlich und personell unmittelbar fassbar, was mit einer Goldenen Bulle für Frankfurt endete: die durch die Autorität des Kaisers gedeckte Zusammenarbeit Siegfrieds und Bischof Rudolfs zum Ende des Jahres 1365 hin. Schon im nächsten Jahr zeigte sich der Erfolg dieser Verbindung, den ein Frankfurter Rechenbucheintrag zu 1366 festhielt: 800 Guldin Syfride dem schultheissen für koste czu unserm herren dem heiser und für briffe gnade frihode, wale zu achte malen

53

RI 8 Nr. 3311 (zum 19. September) nach dem Eintrag im Dresdener Registerfragment

der Kanzlei Karls IV.: Item dominus noster imperator Syfridum zu dem Paradyse, civem de Frankenfurt, in suum servitorem et famìliarempresentibus recepii cottidianum. 54

55

Vgl. Friedrich SCHUNDER, Das Reichsschultheißenamt in Frankfurt am Main bis 1372, Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 5/2 (1954) S . 7-99; Marianne SCHALLESFISCHER, Pfalz und Fiskus Frankfurt. Eine Untersuchung zur Verfassungsgeschichte des fränkisch-deutschen Königtums (VMPIG 20, 1969) S. 287 f., 373, 458, 463, 474, 490; MATTHÄUS, Frankfurter Exemplar (wie Anm. 52) S. 42 ff. Schreiben Karls IV. an Ulrich von Hanau, Landvogt der Wetterau, vom 21. Oktober 1365 (D: UB zur Geschichte der Herren von Hanau und der ehemaligen Provinz Hanau 3: 1350-1375, hg. von Heinrich REIMER (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 60. Hessisches UB 2/3, 1894) S. 561 Nr. 506, R: RI 8 Nr. 4217). Der Kaiser bedrängte seinen Landvogt wegen dessen Stadt und Burg Babenhausen, die er gern in ein königlich-böhmisches Lehen umgewandelt hätte, um es der Landbrücke von Prag nach

Frankfurt hinzuzufügen, und umb ... sache, die uns und daz riche und unser und des richs stete in der Wedereube antreffen.

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oder me, und umb daz buch mit der gülden bullen, die he irwarb der stad von unserm herren dem keiser.56 Der Schultheiß Siegfried erhielt von der Stadt Frankfurt 800 Gulden Aufwandsentschädigung dafür, dass er der Stadt acht oder mehr Privilegien {briffe gnade frihode) und die Goldene Bulle beim Kaiser besorgt hatte. Wann dies im Jahre 1366 geschah, verraten uns die acht oder mehr Urkunden, die sich durch einen bisher nicht beachteten Kanzleivermerk genau identifizieren lassen. Dieser schwer lesbare Vermerk S(yfridus) de P(ar)adyso scult(etus) Frank(enfordensis) p(ro)cura(vi)t l(itte)ram befindet sich auf acht Originalen Karls IV. für Frankfurt vom 4. Dezember und auf einem vom 6. Dezember 1366.57 Er ist so platziert, dass er vor der Besiegelung des Pergaments mittig auf den Bug (Plica) der Urkunde geschrieben und dann bei der Anhängung des Majestätssiegels mittels eines Pergamentstreifens teilweise durch diesen Streifen verdeckt wurde. Eine solche Prozedur war nur in der Kanzlei möglich. Diese wiederum wird den Vermerk auf Wunsch des Schultheißen Siegfried produziert haben, der damit sicherstellen wollte, dass man sich auch später noch in Frankfurt daran erinnerte, wer der Stadt die Privilegien am Hofe besorgt hatte. Siegfried ahnte wohl schon, dass ihm die Herzen der Frankfurter verschlossen bleiben würden. Nimmt man das zusammen, was uns Rechenbucheintrag und Kanzleivermerk verraten, wird ersichtlich, dass Frankflirt in den ersten Dezembertagen 1366 auf Initiative Siegfrieds zum Paradies in den Besitz der Goldenen Bulle und weiterer neun Königsurkunden gelangte. Doch damit noch nicht genug. Wir erfahren aus weiteren 58

Kanzleivermerken auf den neun karolinischen Schriftstücken auch, wer die entscheidenden Männer am Hofe waren, die Frankfurt zu dieser Gnade verhalfen - es war eine Sache zwischen dem Kaiser, dem Bischof von Verden und Siegfried zum Paradies. Die Urkunden tragen in unwesentlichen Varianten die Notiz: per dominum imperatorem / Rudolphus Verdensis episcopus. Das heißt im Klartext: Der Kaiser hat die Ausstellung veranlasst und genehmigt, der Bischof von Verden die dazu nötigen Kanzleiangelegenheiten geregelt. Bischof von Verden war seit August 1365 der ge-

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Der Wortlaut folgt Otto HARNACK, Das Kurfürstencollegium bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts (1883) S. 176 Anm. 2, dessen Zitat das 1944 verbrannte Original ersetzen muss; vgl. dazu MATTHÄUS, Frankfurter Exemplar (wie Anm. 52) S. 57 Anm. 29. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main „Privilegien 157-165"; R: RI 8 Nr. 44454453. Das nicht in den RI verzeichnete Privileg 161 ist UB Herren von Hanau 3 (wie Anm. 55) S. 611 Nr. 547 gedruckt. Zu Platz und Funktion dieser Vermerke vgl. die mittlerweile klassische Arbeit von Ivan HLAVÄCEK, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376-1419 (MGH Schriften 23, 1970) S. 65 f. und S. 239 f.

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Abbildung 2 Bischof Rudolf Rule von Verden. Dresden, SLUB, cod.H 193,fol.40r (Chronicon episcoporum Verdensium, um 1370-1380)

lehrte Jurist und Magister Rudolf (Rule) von Friedberg. 59 Wir kennen ihn schon als Begleiter Siegfrieds bei der Reise zum Hanauer Landvogt im Herbst 1365. In der Kanzlei des Kaisers war er der meistbeschäftigte Notar. Karl IV. hatte ihn von seinem Großonkel Balduin von Trier übernommen und auch in diplomatischen Missionen im In- und Ausland, so nach Frankreich und England in Herbst und Winter 1355, eingesetzt. Mit den Verhältnissen in Frankfurt und in der Wetterau war Rudolf (Rule), der aus Friedberg stammte und Propst in Wetzlar war, wohl vertraut. Das Vertrauen, das er zum Frankfurter Schultheißen hatte, wird darin deutlich, dass er 59

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Waldemar KÜTHER, Rudolf Rule von Friedberg, Propst zu Wetzlar, Bischof von Verden und Notar Kaiser Karls IV., Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 37 (1979) S. 79-151.

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Siegfried am 29. Juni 1367 zu einem seiner Testamentsvollstrecker machte.60 Dieser Mann, den die Verdener Bischofschronik als vir utique maturus, providus et potens apud imperatorem et principes electores charakterisiert,61 half Siegfried bei dem, wozu der Kaiser seine Erlaubnis gegeben hatte und worauf Frankfurt am Main bis heute stolz ist: beim Erwerb der Goldenen Bulle. Für Siegfried zum Paradies sollten daz buch mit der gülden bullen und die anderen Privilegien die Eintrittsbilletts in die politische Führung der Stadt sein während und nach den schweren und anhaltenden innerstädtischen Wirren der sogenannten Zunftunruhen. Die Stadt hat ihm, dem Zugereisten, das Engagement wenig gedankt. Sie erwirkte beim Kaiser, dass Siegfried das Schultheißenamt und alle anderen Reichspfandschaften in seiner Hand im Juni 1372 an die Stadt abtreten musste.62 Das kaiserliche Wohlwollen allerdings blieb ihm erhalten: Karl IV. schenkte Siegfried zum Paradies und dessen Erben 1376 zwei Tage nach der Wahl Wenzels zum römischen König das Ross, das ein römischer König bei seiner Wahl in Frankfurt zur Kirche und von da zurück in seine Herberge reitet. Und auch das auf ca. 1370 datierte Kreuzreliquiar, das Siegfried noch als Schultheiß dem Frankfurter Liebfrauenstift schenkte, dürfte, zumindest was das Heiltum anbelangt, kaiserlicher Provenienz gewesen sein.63 Die gerade erwähnte Wahl Wenzels von 1376 zu Lebzeiten des kaiserlichen Vaters wäre für Frankfurt fast zur Katastrophe geworden: Als Karl IV. am 11. November 1374 dem Trierer Erzbischof und Kurfürsten Kuno gegenüber zahlreiche Versprechungen machen musste, um dessen Stimme für Wenzel zu gewinnen, war er gezwungen, gleich zweimal urkundlich zu widerrufen, dass die Wahl eines römischen Königs in Frankfurt am Main stattzufinden habe.64 Zwei Jahre später, am 1. Juni 1376, 60

Vgl. Richard SALOMON, Zur Geschichte der englischen Politik Karls IV., in: Historische Aufsätze. Karl Zeumer zum sechzigsten Geburtstag als Festgabe dargebracht von Freunden und Schülern (1909) S. 3 9 7 ^ 0 9 , hier S. 404 ff.; KÜTHER, Rudolf Rule (wie vorige Anm.) passim; MORAW, Grundzüge (wie Anm. 16) S. 37.

61

Chronicon episcoporum Verdensium. Die Chronik der Verdener Bischöfe, hg., komm, und übers, von Thomas VOGTHERR mit einem kunsthistorischen Beitr. von Stephan KEMPERDICK (1998) S. 120; zum politischen Hintergrund des kurzen Verdener Pontifikats Rudolfs vgl. Thomas VOGTHERR, Bistum und Hochstift Verden bis 1502, in: Geschichte des Landes zwischen Elbe und Weser 2: Mittelalter, hg. von Hans-Eckhard DANNENBERG / Heinz-Joachim SCHULZE (1995) S. 300.

62

SCHUNDER, Reichsschultheißenamt (wie Anm. 54) S. 60 ff.; FRIED, Haus (wie Anm. 52) S . 207.

63

Urkunde Karls IV. vom 12. Juni 1376 (D: RTA 1 S. 83 Nr. 56; R: RI 8 Nr. 5608); Abbildung und Beschreibung des Kreuzreliquiars zuletzt in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356-1806. Katalog, hg. von Evelyn BROCKHOFF / Jan GERCHOW / Raphael GROSS / A u g u s t HEUSER ( 2 0 0 6 ) S. 2 8 f. u n d S. 3 5 m i t weiterer Literatur.

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D: RTA 1 S. 11 Nr. 3 und S. 22 Nr. 5; R: RI 8 Nr. 5414 und Nr. 5422.

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Abbildung 3 Erzbischof Kuno von Trier. Trier, Domschatz (Evangelistar, um 1380)

kam es deshalb zum Streit zwischen dem Kaiser, der nun doch an Frankfurt festhielt trotz seiner Urkunden von 1374, und den Erzbischöfen von Köln und Trier, die in Rhens wählen wollten. Der Luxemburger setzte sich am Ende durch; Wenzels Wahl wurde in Frankfurt vollzogen. 65 Damit war ein wichtiger Präzedenzfall für Frankfurts Zukunft als Ort der Königswahl geschaffen zum Nachteil von Rhens, wo Karl 1346 selbst gewählt worden war und wo sich seit spätestens 1308 eine ausgeprägte Tradition kurfürstlicher Versammlungen, Wahlabsprachen und Beschlüsse herausgebildet hatte. 66 65

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Vom Streit um den Ort der Wahl berichtet der Straßburger Gesandte Johann Pfaffenlap (D: RTA 1 S. 80 Nr. 53; R: RI 8 Reichssachen Nr. 619); vgl. Wilhelm KLARE, Die Wahl Wenzels von Luxemburg zum römischen König 1376 (1990) S. 243 f f ; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 355 f. Vgl. SCHUBERT, Königswahl (wie Anm. 2) S. 333 ff.; DERS., Kurfürsten und Wahlkönigtum. Die Wahlen von 1308, 1314 und 1346 und der Kurverein von Rhens, in: Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier - Kurfürst des Reiches 1285 - 1354, hg. unter

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IV Das Imperium schlägt zurück Die Goldene Bulle wurde wiederholt als Souveränitätserklärung des mittelalterlichen römisch-deutschen Reiches gelesen,67 weil sie die Wahl des Königs und zukünftigen Kaisers regelt, ohne auf die von kurialer Seite vehement und nachdrücklich beanspruchte Mitwirkung der Päpste bei der Herrschererhebung Rücksicht zu nehmen: Nach ihr handeln die Königswähler unter unmittelbarer Anleitung des Heiligen Geistes (suo fulti presidio), von ihm erleuchtet und gestärkt mit dem Auftrag, pro salute populi christiani (Kap. 2 § 1) zu wirken. Der ausschließlich von ihnen mit Mehrheit Gewählte ist das weltliche Haupt des Erdkreises und des Christenvolkes (Kap. 2 § 2: temporale caput populi christiani; § 3: temporale caput mundi seu populi christiani). Die vier weltlichen Kurfürsten sind per totum orhem bekannt (Kap. 7). Später wird der Erwählte - so das Einladungsformular zur Wahl (Kap. 18) -favente domino zum Kaiser erhoben. Das Reich, welchem er vorsteht, ist ein chrisHanum Imperium ... a deo roboratum (Proömium). Gemeinsam mit seinen Wählern soll er jährlich über das Wohl des Reiches und der ganzen Welt beraten (Kap. 12: de ipsius imperii orbisque salute). Er handelt in nomine sancte et individue trinitatis, seine Herrschaft legitimiert sich durch göttlichen Auftrag (divina favente dementia), wie Invocatio und Devotio des Proömiums und jede einzelne seiner feierlichen Urkunden verkünden. Für den Papst bleibt bei der Wahl eines rex Romanorum futurusque cesar (Kap. 2 § 1) kein Platz, das Gemeinwesen erhält einen neuen Herrscher ohne päpstliches Zutun. Das Imperium erscheint nach der Goldenen Bulle als eine vom Papsttum unabhängige politische Ordnung. Sein Herrscher und der römische Pontifex sind gemeinsam, aber gleichberechtigt nebeneinander die supremi et singulares mundi monarche, wie Karl IV. einige Jahre später festhalten ließ.68 Einen letzten Hinweis auf die Univer-

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Mitwirkung von Johannes MÖTSCH von Franz-Josef HEYEN (Quellen und Abh. zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 53, 1985) S. 103-117; SCHUBERT, Deutsche Königswahl (wieAnm. 49) S. 135-166. So etwa Eckhard MÜLLER-MERTENS, Geschichtliche Würdigung der Goldenen Bulle, in: Die Goldene Bulle. Das Reichsgesetz Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356. Deutsche Übers, von Wolfgang D. FRITZ (1978) S. 9-24, hier S. 21; Michail A. BOJCOV, Zolotaja Bulla 1356 g. i korolevskaja vlast' v Germanii vo vtoroj polovine XIV v. [Die Goldene Bulle von 1356 und die königliche Macht in Deutschland in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts], Srednie Veka 52 (1989) S. 25-46, hier S. 36; DOTZAUER, Überlegungen (wie Anm. 49) S. 171; Eckhard MÜLLER-MERTENS, Imperium und Regnum im Verhältnis zwischen Wormser Konkordat und Goldener Bulle, HZ 284 (2007) S. 561-595. Im Jahre 1360 in seinem kritischen Kommentar zum Privilegium maius', den Samuel STEINHERZ, Karl IV. und die österreichischen Freiheitsbriefe, MIÖG 9 (1888) S. 63-81, hier S. 79 Nr. 22, abgedruckt hat.

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salität des Reiches in der Goldenen Bulle birgt das sogenannte Sprachenkapitel (Kap. 31), in dem den weltlichen Kurfürsten das Erlernen mehrerer Sprachen (Latein, Italienisch, Böhmisch) nahegelegt wird, ut plures intelligant et intelligantur a pluribus,69 Warum Karl IV. den Kurfürsten allerdings die lingua francigena ersparte, die er selbst neben Böhmisch, Deutsch, Latein, Lombardisch, Toskanisch und anderen sprach, 70 ist schwer zu beantworten - sicher nicht, weil er die französischsprachigen Reichsteile schon abgeschrieben hatte. Vielleicht machte sich hier der Einfluss Petrarcas geltend, der kein Freund der Franzosen war. Petrarca hatte sich zwischen Ende Juni und Ende Juli 1356 in der Zeit der Vorbereitung des Metzer Hofitages beim Kaiser in Prag aufgehalten. Seine eigentliche diplomatische Mission im Auftrage der Visconti scheiterte. Dennoch erhielt er vom Kaiser ein wertvolles mit Goldbulle besiegeltes Privileg über die Ernennung zum lateranensischen Pfalzgrafen. 71 Er muss in diesen vier Wochen etwas getan haben, was am Hofe des Luxemburgers als belohnenswert erachtet wurde: War es Hilfe bei der Erarbeitung der Metzer Kapitel? Über die am Hofe herrschende Vorstellung vom Verhältnis zwischen Kaiser und Papst gibt weiterhin ein Schreiben des Kanzlers Johann von Neumarkt an Karl IV. deutlich Auskunft. Darin empfiehlt Johann seinem Herrn einen Maler und dessen Werk, das die Beziehung von Kaisertum und Papsttum zueinander allegorisch darstellt. Auf dem Bilde sehe man, dass beide Gewalten, die königlich-kaiserliche und die päpstliche, einen gemeinsamen Ursprung haben. Sie werden beide im Auftrage Gottes von einem engelhaften Wesen gekrönt: der Cäsar als Haupt der Welt (caput orbis), der Papst als Inhaber der Löse- und Bindegewalt. Ein jeder von ihnen wird bei christlicher Amtsführung in das Königreich der Himmel geführt, so ergänze ein oberhalb des Gemäldes befindliches sprechendes Antlitz. 72 Die Botschaft ist ein69

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Arno BORST, Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker 2/2: Ausbau (1958) S. 847 f. So in der heutzutage dem gerade neu ins Amt gekommenen Erzbischof von Prag, Johann von Jenzenstein, zugeschriebenen Leichenpredigt auf den verstorbenen Kaiser: Sermones post mortem Karoli IV. imperatoris per Johannem, archiepiscopum Pragensem, ... facti (Ree areibiskupa Prazskeho Jana Ocka z Vlasimi), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; N D 2004) S. 423-432, hier S. 427B.12-18. Vgl. Petrarcas Briefwechsel (wie Anm. 50) S. XXXIX-XLI, das Ernennungsdiplom S. 221 Nr. VIII. Briefe Johanns von Neumarkt (wie Anm. 37) S. 56 Nr. 32: ambas potestates ... ab uno dependereprineipio, dum celestisparanymphus ... divineprovisionis clemencia coronat utrumque, Cesarem videlicet ut Caput orbis et Romanum pontificem, cui ligandi et solvendi potestas ab alto conceditur, et uterque ipsorum in regnum celorum provehitur ... si tarnen uterque ipsorum bene administraverit Christiane caritatis officio.

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deutig: Kaiser und Papst sind voneinander unabhängige und gleichberechtigte, gottunmittelbare Gewalten, in ihrer Amtsführung verpflichtet auf die Caritas christiana. Das durch den Kanzler Johann beschriebene Kunstwerk scheint verloren, doch konnten eine derartige bildliche Darstellung und ihr Urheber beim Luxemburger nur auf Anerkennung und Erfolg hoffen, wenn sie seinen Vorstellungen in dieser Frage entsprachen. Das Motiv einer die Gottunmittelbarkeit der Herrschaft darstellenden Engelskrönung findet sich unter Karls IV. Vorgänger Ludwig in einem Relief an 73

der Ostwand des Nürnberger Rathaussaales aus den Jahren kurz vor 1340, wo es dem Luxemburger und seinem Umfeld bei den zahlreichen Nürnbergbesuchen sicher ins Blickfeld geriet. Wie kommen in das Gesetz von 1356, wie in das politische Denken des von den Anhängern Kaiser Ludwigs IV. - namentlich von Wilhelm von Ockham - als rex, stipendiarius et cursor clericorum verspotteten Luxemburgers, des Eidbrechers und Verräters am Reich (rebellis imperio et periurus),74 der auf päpstlichen Befehl gewählt und als päpstlicher Kandidat gegen den Wittelsbacher erst nach päpstlicher Approbation zum König gekrönt wurde, derartige Positionen? Eine wichtige Grundlage dafür bildeten die Aussagen und Standpunkte, die in den Konflikten der Zeit Kaiser Ludwigs IV. um das Recht und gegebenenfalls die Art und das Ausmaß der päpstlichen Mitwirkung an der Königsnachfolge im römisch-deutschen Reich gewonnen und in den königlich-kaiserlichen und kurfürstlichen Texten, die dazu Stellung nahmen, niedergelegt wurden: in der ,Sachsenhausener Appellation' (1324), in der gemeinhin als ,Rhenser Weistum' bezeichneten Erklärung der nichtköniglichen Kurfürsten, im Gesetz ,Licet iuris', im Mandat ,Fidem catholicam', im Traktat ,Subscripta' (alle 1338) und in weiteren Schriftstücken der Jahre 1338/39, die sich bei allen Nuancen und subtilen Unterschieden zwischen kaiserlichen und kurfürstlichen Auffassungen in zwei wesentlichen Punkten einig waren: der vom Papst unabhängigen Königswahl durch die Kurfürsten und der vom Papst unabhängigen sofortigen 73 74

Robert SUCKALE, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern (1993) S. 111 und S. 257-259. Ockhams Angriffe auf Karl IV. gibt Konrad von Megenberg wieder in seinem ,Tractatus contra Wilhelmum Occam', ediert von Richard SCHOLZ, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern (1327-1354) 2: Texte (1914) S. 346-391, hier S. 358; dazu Jürgen MIETHKE, Die päpstliche Kurie des 14. Jahrhunderts und die „Goldene Bulle" Kaiser Karls IV. von 1356, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. FS Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim DAHLHAUS / Armin KOHNLE (AK Beih. 39, 1995) S. 437-450, hier S. 441 f. mit Anm. 17; außerdem Martin LENZ, Konsens und Dissens. Deutsche Königswahl (1273-1349) und zeitgenössische Geschichtsschreibung (Formen der Erinnerung 5, 2002) S. 237-249; Mathias WALLNER, Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan. Beiträge zu den Anfangen der kurfürstlichen Politik i m 14. Jahrhundert ( 1 2 9 8 - 1 3 5 6 ) ( H i s t o r i s c h e Studien 4 8 2 , 2 0 0 4 ) S. 2 6 2 - 2 7 9 u n d S. 2 8 1 f.

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legitimen Herrschaft des Gewählten im ganzen Imperium. 75 Diese beiden prinzipiellen Positionen ergaben sich nach der Erklärung von Rhens und ,Licet iuris' übereinstimmend aus Recht und altem Herkommen des Reiches und gingen unverkürzt in die Goldene Bulle ein. Sie gelangten dahin - und damit auch an Karl IV. - über Erzbischof Balduin von Trier, den Spiritus Rector von Rhens 1338. Aus dessen intellektuellen Umkreis finden wir in den Jahren der Goldenen Bulle gleich drei Personen bei Karl IV. wieder: Lupoid von Bebenburg, Heinrich (Gauer) von (Ober-)Wesel und Rudolf (Rule) von Friedberg. Lupoid war einer der führenden Theoretiker in Fragen der Rechte von Kaiser und Reich, seit 1353 durch karolinische Privilegien gestärkter Bischof von Bamberg und Teilnehmer des Hoftages von Nürnberg 1355/56.76 Er war der Autor eines zentralen, Erzbischof Balduin gewidmeten Textes, des bereits erwähnten ,Tractatus de iuribus regni et imperii', entstanden in der Zeit der Erklärung von Rhens und Ende 1339 abgeschlossen. Die in den Kapiteln 5 bis 9 des ,Tractatus' festgehaltenen Kernaussagen Lupolds entsprechen dem kurfürstlichen Standpunkt von Rhens 13 3 8.77 In die Goldene Bulle gingen davon die Positionen vom allein schon durch die kurfürstliche Wahl rechtmäßig in sein Amt gekommenen Herrscher, sei er einstimmig oder mehrheitlich gewählt, sowie vom sofortigen Beginn seiner Amtsführung nach erfolgter Wahl ein (Kap. 2 § 3-4). Päpstliche Approbationsansprüche und Versuche, den Eid des römischen Königs zum Schutz der Kirche als Ausdruck der Abhängigkeit 75

Vgl. Edmund E. STENGEL, Avignon und Rhens. Forschungen zur Geschichte des Kampfes um das Recht am Reich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 6/1, 1930) S. 85-224; Heinz THOMAS, Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer (1993) S. 159-167, 298-325; Hans-Jürgen BECKER, Das Kaisertum Ludwigs des Bayern, in: Kaiser Ludwig der Bayer - Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, hg. von Hermann NEHLSEN / Hans-Georg H E R M A N N (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 22, 2002) S. 119-138; Jürgen MIETHKE, Kaiser und Papst im 14. Jahrhundert: Die Debatte um die kuriale Approbationstheorie, in: Politische Schriften (wie Anm. 48) S. 61-97; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 329-338; siehe auch den Beitrag von Michael M E N Z E L in diesem Band.

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Jürgen MIETHKE, Lupolds Leben, in: Politische Schriften (wie Anm. 48) S . l - 6 1 , hier S. 45-61; zur Anwesenheit auf den Hoftagen vgl. HERGEMOLLER, Abschluß (wie Anm. 6) S. 210; Gabriele ANNAS, Hoftag - Gemeiner Tag - Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471) 2: Verzeichnis deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 68, 2004) S. 48. Dazu Jürgen MIETHKE, Z U Lupolds politischen Schriften, in: Politische Schriften (wie Anm. 48) S. 113 ff. mit Textvergleich.

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v o m Papst zu deuten, lehnt die Goldene Bulle anders als Lupoid nicht ausdrücklich ab, sondern übergeht sie diplomatisch geschickt mit Stillschweigen. Unterschiede bestehen vor allem in den Vorstellungen von Reichweite und Inhalt der universalen Herrschaft des Kaisers. 7 8 Wenige Tage nach dem Metzer Hoftag, am 25. Januar 1357, gewährte der Kaiser dem Bebenburger für merklich und nuczlich dinst eine Privilegienbestätigung. 7 9 Heinrich Gauer von Oberwesel {Heinricus

de Wesalia) und Ru-

dolf Rule von Friedberg, zwei gelehrte Juristen mit Magistertitel und enge Mitarbeiter Balduins, wechselten nach dem Tode ihres kurtrierischen Herrn A n f a n g 1354 in die Kanzlei Karls IV. über und wirkten dort bis weit in die Sechzigerjahre einflussreich. 8 0 Sie k o m m e n n e b e n d e m B e b e n b u r g e r f ü r den T r a n s f e r der beschriebenen Grundpositionen an den kaiserlichen Hof infrage. Ein erstes deutliches Zeichen dafür, dass Karl IV., der in seiner Autobiografie kein Interesse an derartigen Fragen erkennen lässt, mit der politischen Gedankenwelt aus d e m Umkreis Balduins von Trier in unmittelbaren Kontakt kam, findet sich bereits kurz nach seiner Wahl. A m 9. Dezember 1346 ernannte Karl IV. seinen Großonkel Balduin zu seinem Stellvertreter in Deutschland, Gallien mit den angrenzenden Ländern und in der Grafschaft Luxemburg. 8 1 Die längere Fassung (commissio

maior)

dieser Urkunde zeichnet sich durch eine ungewöhnlich elaborierte Arenga mit gewichtigen ,staatstheoretischen' A u s s a g e n aus: D a s Heilige R ö m i s c h e K ö n i g - und Kaiserreich sei von der göttlichen V o r s e h u n g mit d e m V o r r a n g vor den übrigen Königreichen der Welt ausgezeichnet. Dieser V o r r a n g h a b e unter a n d e r e m den Zweck, den unterstellten Völkern die Fülle des Rechts zukommen zu lassen. Dieselbe Vorsehung habe d e m Reich außerdem den Augustustitel gewährt, wodurch Karl n u n m e h r als neuer König Mehrer des Reiches und Augustus heiße. 8 2 Karl IV. pu-

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Vgl. HERGEMÖLLER, Verfasserschaft ( w i e A n m . 33) S. 2 7 5 ff.

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Abschrift des 15. Jahrhunderts im StA Bamberg „Liber privilegiorum Rep. B 21 Nr. 2/1, fol. 58v-59r" (R: URH 7 S. 138 Nr. 214). Ludwig Erich SCHMITT, Untersuchungen zu Entstehung und Struktur der »neuhochdeutschen Schriftsprache« (Mitteldeutsche Forschungen 36/1, 1982) S. 18, 80,210 f.; KÜTHER, Rudolf Rule (wie Anm. 59) S. 85 ff.; M O R A W , Grundzüge (wie Anm. 16) S. 32 und S. 37. D: MGH Const. 8, S. 223-226 Nr. 144; zur Einordnung der Urkunde in die Politik Karls ÍV. und Balduins von Trier nach der Wahl von 1346 vgl. Winfried REICHERT, Landesherrschaft zwischen Reich und Frankreich. Verfassung, Wirtschaft und Territorialpolitik in der Grafschaft Luxemburg von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, 2 Bde. (Trierer historische Forschungen 24, 1993), hier 1 S. 504 ff. und S. 520 ff. mit der älteren Literatur. MGH Const. 8 S. 224,1-7: Cum divine providencie altitudo sacrum Romanum regnum ei imperium pre ceteris mundi regnis quadam speciali prerogativa mirabiliter insignirit, subiciendo eisdem diversimodas nationes non ad hoc solum, ut eis imperando preessent,

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blizierte hier unter seinem Namen, was in der Kanzlei Balduins erdacht und von da dem neu gewählten König nahegebracht worden war. 83 Balduin erweist sich damit erneut als der sacri Romani regni et imperii precipuus zelator aus Lupolds Widmung des ,Tractatus de iuribus regni et imperii'. Der Gedanke des Vorrangs des Reiches in Verbindung mit einer Gesetzgebung für andere Völker klingt im Sprachenkapitel der Goldenen Bulle wieder an. 84 Das Balduin 1346 in der commissio maior gewährte Recht der Verfugung über niederes Kirchengut {potestas beneficia ecclesiastica conferendi et de ipsis providendi) kehrt ohne Zwischenbeleg in anderen Vikariatsurkunden im fünften Kapitel der Goldenen Bulle als potestas der Verweser Pfalz und Sachsen ad beneficia ecclesiastica presentandi wieder, dürfte also das Vorbild für diese Bestimmung gewesen sein. 85 Als Träger des Augustustitels und legitimer Nachfolger des Kaisers Augustus inszenierte sich Karl IV. bereits ein Jahr später in Basel, als er am 25. Dezember 1347 während der Messe mit gezogenem Schwert in der Hand aus dem Lukasevangelium Vers 2,1 las. Vor Karl IV. hatte das kein römisch-deutscher Herrscher getan. Bei der Verabschiedung der Goldenen Bulle zu Metz 1356 demonstrierte der Kaiser dem anwesenden Dauphin Karl aus dem französischen Königshaus der Valois am Weihnachtstag mit einer weiteren derartigen Vorführung den Vorrang des Heiligen Römischen Reiches. Dieser war davon so angetan, dass er 1377 als König Karl V. von Frankreich beim Besuch seines kaiserlich-luxemburgischen Onkels alles daran

sed ut ipsis prodessent pocius iusticie copiam ministrando, et concedendo etiam ipsi regno et imperio singulariter et celitus titulum augustalem, quo ... ipsius Romani regni et imperii amplificator dicimur et augustus. 83

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So schon STENGEL, Avignon und Rhens (wie Anm. 75) S. 204-215, hier S. 212 ff.; Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346 bis 1378 (1978, s 1985) S. 186; HansGünther LANGER, Die Sprache der kurtrierischen Kanzlei um die Mitte des 14. Jahrhunderts und die neuhochdeutsche Schriftsprache, in: Balduin von Luxemburg (wie Anm. 66) S. 263-277, hier S. 263 f.; Marie-Luise HECKMANN, Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher. Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert, 2 Bde. (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 9, 2002) S. 567 f. Lupoid: Politische Schriften (wie Anm. 48) S. 235,11 f.; MGH Const. 11 S. 630,23 f.:

Cum sacri Romani celsitudo imperii diversarum nacionum ... leges habeat et gubernacula moderari. 85

MGH Const. 8 S. 224,34-39 bzw. MGH Const. 11 S. 582,25 f.; vgl. Albert WERMINGHOFF, Zum fünften Kapitel der Goldenen Bulle von 1356, ZRGGermAbt 36 (1915) S. 275-290; Lotte HÜTTEBRÄUKER, Die Vikare Karls IV. in Deutschland, in: FS Albert Brackmann dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern (1931) S. 546-568, hier S. 562 f.; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 83) S. 549.

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Abbildung 4 Weihnachtliche Evangelienlesung Kaiser Karls IV. 1377 in Cambrai. Paris, BNF, ms. fr. 2813, fol. 467v (.Grandes Chroniques de France', wahrscheinlich 1370-1379)

setzte, diesem demonstrativen Schauspiel zu entgehen und vom Boden seines Königreiches fernzuhalten.86 Die Botschaft der mehrfach am Weihnachtstag vom Luxemburger wiederholten Handlung besteht nach Ernst Schubert in der indirekten Zurückweisung päpstlicher Approbationsansprüche. Wieder steht Erzbischof Balduin von Trier im Verdacht, der Ideengeber gewesen zu sein.87 Karl IV. hat sich jedoch nachweislich auch selbst darum bemüht, seinen Hof mit dem politischen Denken der Zeit vertraut zu machen. In diesem Bemühen findet sich eine weitere Quelle für die oben beschriebenen, der Goldenen Bulle zugrunde liegenden Auffassungen vom Charakter der Wahl des Königs und zukünftigen Kaisers, von der Rolle der Kurfürsten dabei, von der Gottunmittelbarkeit des Reiches sowie

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Zu den Lesungen von 1356 und 1377 und ihren Hintergründen vgl. Hermann HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, DA 39 (1983) S. 131-206, hier S. 159-169; Martin KINTZINGER, Der weiße Reiter. Formen internationaler Politik im Spätmittelalter, FMaSt 37 (2003) S. 315-353, hier S. 331-349. Zur Evangelienlesung vgl. SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 2) S. 37 f.; zu Balduin HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst (wie vorige Anm.) S. 148 ff. und S. 154.

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vom Verhältnis Kaiser und Papst. Es handelt sich um Dantes berühmten staatstheoretischen Traktat ,Monarchia', der im zeitlichen Vorfeld der Goldenen Bulle am Hofe Karls IV. rezipiert wurde. 88 Zwei Handschriften aus dem 15. Jahrhundert mit Marginalien zu dieser Schrift belegen dies: Sie entstammen einer gemeinsamen Vorlage des 14. Jahrhunderts und enthalten den vollständigen Text des Danteschen opus arduum (Monarchia I 1,6) samt Randbemerkungen und einer biografischen Notiz zum Autor. Die Kommentare wurden außerhalb Italiens auf Reichsgebiet angefertigt. Als Autor hat man Cola di Rienzo namhaft gemacht, den Karl IV. von Juli 1350 bis Juni 1352 in Prag und Raudnitz verwahren ließ. Cola hatte einige Jahre zuvor zu Pfingsten 1347 in Rom den Titel,Tribun' angenommen und sich zum Ritter schlagen lassen. Bei dieser Gelegenheit bestieg er eine antike Prunkwanne, von der man annahm, dass darin Kaiser Konstantin getauft worden war, und nahm ein von Sünden reinigendes Bad. Damit trat er symbolisch und praktisch-politisch das Erbe des ersten christlichen Imperators an. Nun waren es nach Heinrich von Diessenhofen schon drei, die sich 1347 als reges Romanorum gerierten: Ludwig, Karl und Cola. Der Konstanzer Domherr kommentierte diesen Vorgang mit einem Zitat aus Lukas 11,17: omne regnum in se divisum desolabitur,89 In der Goldenen Bulle eröffnen diese Worte mahnend das Proömium. Hielt der Geschichtsschreiber hier dem kaiserlichen Gesetzgeber mit Hinweis auf dessen Anfänge als Gegenkönig den Spiegel vor? Der Cola di Rienzo zugeschriebene reichs- und romfreundliche Kommentar bezieht sich auf alle drei Bücher der ,Monarchia' und ist das frühste Zeugnis einer umfassenden und intensiven Aneignung der Schrift des Florentiners nördlich der Alpen. 90 Ein Ausgangspunkt der erwähnten Handschriften dürften die in der Bibliothek des kaiserlichen Kanzlers Johann von Neumarkt bis 1368 vorhandenen zwei Bände Dantes gewesen sein, die Johann mit anderen Büchern vor Antritt des zweiten Italienzuges dem Thomaskloster der Augustinereremiten auf der Prager Kleinseite schenkte. 91 Dass es sich dabei - anders als der Herausgeber der Briefe des Kanzlers meinte - um die ,Monarchia' gehandelt hat, legen die dazugehörigen Glossen und der Rezeptionszusammenhang nahe.

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Zur Wirkungsgeschichte umfassend und mit der älteren Literatur Francis CHENEVAL, Die Rezeption der Monarchia Dantes bis zur Editio Princeps im Jahre 1559. Metamorphosen eines philosophischen Werkes (Humanistische Bibl. I 47, 1995), zu den beiden einschlägigen Handschriften S. 34 ff. und S. 47 ff. Heinricus de Diessenhofen (wie Anm. 17) S. 57,26 ff. Zur Autorschaft Cola di Rienzos CHENEVAL, Rezeption (wie Anm. 88) S. 249-257.

Briefe Johanns von Neumarkt (wie Anm. 37) S. 187 Nr. 124: Item librum Dantes Aligeri. Item glosam eiusdem Dantis.

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Abbildung 5 Antike Wanne aus Basalt, in der angeblich Kaiser Konstantin die Taufe empfangen haben soll. Rom, Baptisterium von S. Giovanni in Laterano

Karl IV. und seine Berater hatten also zusätzlich zu den Anregungen seitens des Trie-

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rer Erzbischofs Balduin und möglicherweise auch aus dem Umfeld Kaiser Ludwigs die Möglichkeit aus eigenem Bemühen, das politiktheoretische Gedankengut der ,Monarchia' für die Ausgestaltung ihrer Politik und ihrer legislativen Tätigkeit zu nutzen. Die Goldene Bulle teilt implizit die Vorstellungen der , Monarchia' über das Imperium als einer legitimen und zur Ordnung der Welt notwendigen Einrichtung, die unmittelbar von Gott stammt, sich einen Herrscher nach eigenen, weltlichen Re92

Boccaccio berichtet in seinem zwischen 1351 und 1355 entstanden ,Trattatello in laude di Dante', dass die Argumentation der ,Monarchia' von Ludwig IV. und seinen Anhängern gegen die Kurie verwendet worden sei; vgl. CHENEVAL, Rezeption (wie Anm. 88) S. 156-161. Jürgen MIETHKE, De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham (Spätmittelalter und Reformation NF 16, 2000) S. 160 f., hält „eine wirkliche Benutzung von Dantes Schrift" in Ludwigs Umkreis für wenig wahrscheinlich.

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geln gibt, unabhängig und gleichberechtigt neben dem geistlich-kirchlichen Bereich existiert und dennoch über eine eigene theokratische Fundierung verfügt. Die Gewaltenteilung zwischen weltlicher und geistlicher Macht, personifiziert in Papst und Kaiser, entspricht dem göttlichen Heilsplan. Eine zentrale politische Aufgabe des Kaisers wird in der Bewahrung des Friedens gesehen. 93 Diese sehr allgemeinen Übereinstimmungen besagen allerdings nicht allzu viel, das meiste findet sich auch in Schriften aus der Zeit Ludwigs IV. und war längst Gemeingut der Antihierokraten. 94 So ist es nicht verwunderlich, dass sich keine wirklich belastbaren textlichen Anklänge der ,Monarchia' in der Goldenen Bulle finden. Allenfalls stärkere inhaltliche Bezüge lassen sich an einigen Stellen ausmachen: So erscheinen die Kurfürsten sowohl in der ,Monarchia' (III 15,13) als auch in der Goldenen Bulle (Kap. 2 § 1) ausdrücklich als Ausführende des göttlichen Willens. 95 Von der Notwendigkeit einer Gesetzgebung, die den Besonderheiten der Völker Rechnung trägt, handelt Dantes Werk (I 14,5) genauso wie Karls Sprachenkapitel (Kap. 31). Die bereits kurz behandelte, wiederholt vom Luxemburger ausgeführte weihnachtliche Lesung aus dem Lukasevangelium wirkt wie eine symbolische Umsetzung von Kapitel III 12,3 der ,Monarchia' und dürfte aus II 10,6-8 ihre inhaltliche Anregung und Substanz bezogen haben. Mit der weihnachtlichen Lectio aus Lukas 2,1: exiit edictum a Caesare augusto, ut describeretur universus orbis stellte sich Karl IV. in die Nachfolge des altrömischen Augustus. Den Beinamen Augustus (,der Erhabene') führte C. Octavius, von seinen Gegnern Oktavian genannt, seit 27 v. Chr., nachdem ihn der Senat mit diesem Ehren-

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Zu Dantes Auffassungen vgl. Heinz LÖWE, Dante und das Kaisertum, HZ 190 (1960) S. 517-552; Bernhard TÖPFER, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschaft- und Staatstheorie (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 45, 1999) S. 381-386; Dirk LÜDDECKE, Das politische Denken Dantes. Überlegungen zur Argumentation der Monarchia Dante Alighieris (Reihe politisches Denken 3, 1 9 9 9 ) S. 1 7 3 - 1 8 9 ; MIETHKE, De potestate papae (wie vorige Anm.) S. 156-161; Roland PLETSCH, Dante Alighieri als politischer Denker, Politische Studien 394 (2004) S. 25-34. STENGEL, Avignon und Rhens (wie Anm. 75) S. 85-203; Otto BORNHAK, Staatskirchliche Anschauungen und Handlungen am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 7/1, 1933) S. 1-29 und S. 122-133; Dagmar UNVERHAU, Approbatio - Reprobatio. Studien zum päpstlichen Mitspracherecht bei Kaiserkrönung und Königswahl vom Investiturstreit bis zum ersten Prozeß Johanns XXII. gegen Ludwig IV. (Historische Studien 424, 1973) S. 373, sowie die neuere Literatur aus Anm. 74. Vgl. Zdenek KALISTA, Cisar Karel IV. a Dante Alighieri, in: DERS., Karel IV. a Itälie (2004) S. 189-228, hier S. 203 ff. Die hier zitierte Fassung des Aufsatzes des 1982 verstorbenen Autors stammt aus dem Jahre 1971.

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Abbildung 6 Reliquienübergabe des Dauphins an Kaiser Karl IV. Karlstein, Marienkapelle (um 1364)

Abbildung 7 Nachzeichnung der Reliquienübergabe des Dauphins an Kaiser Karl IV. in der Marienkapelle des Karlstein. Wien, ÖNB, cvp 8330 (Matthäus Ornys von Lindberg, 1569-1575)

titel ausgezeichnet hatte.96 Kontinuität des Romanum Imperium und seiner Herrscher, nicht Erneuerung war bei Karl IV. wie bei Dante der Leitgedanke: Die Weltmonarchie reichte vom römischen princeps Augustus bis zur jeweiligen mittelalterlichen Gegenwart. Dante hatte den Großvater Karls IV., Heinrich VII., als Nachfolger des Augustus (Caesaris et Augusti successor) angesprochen.97 Im Jahre 1356 amtierte Karl IV. selbst als Augustus. Das Verbindungsglied zwischen den beiden luxemburgischen Kaisern dürfte - wie oben bereits vermutet - Erzbischof Balduin gewesen sein. Das Gebot des Semper Augustus Karl IV. sollte wie das des altrömischen 96

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Octavius / Oktavian / Augustus berichtet in seinem Taten- und Rechenschaftsbericht (,Res gestae') in Kap. 34 über die Verleihung dieses Ehrennamens; vgl. Karl CHRIST, Geschichte der römischen Kaiserzeit ( s 2005) S. 49 f. und S. 88 ff.; Wolfgang KUHOFF, Antike Grundlagen. Der römische Princeps, in: Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hg. von Wolfgang E. J. WEBER (1998) S. 27-66, hier S. 2 8 ^ 8 . Ernst H. KANTOROWICZ, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters (1990, Titel der Originalausgabel957: The King's Two Bodies) S. 458 Anm. 42.

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Imperators für den universus orbis gelten. Der Luxemburger verfügte aktuell über 98

den höchsten Rang der Christenheit. Den altrömischen Vorbildern, besonders Augustus Caesar, hatte Karolus quartus als Imperator nachzueifern, forderte Petrarca 1354 in Mantua vom nach Italien gekommenen Nachfolger der Cäsaren (successor Cesarum) bei der Überreichung antiker Gold- und Silbermünzen mit Bildnissen und Umschriften antiker römischer Herrscher." Bereits im Vorgebet der Goldenen Bulle wurde der Cesar Karolus angesprochen. Die weihnachtliche Lesung als Augustus war eine Absage an jegliche päpstlichen Suprematieansprüche und propagierte den Vorrang des heilsgeschichtlich verankerten Reiches in der lateinisch-christlichen Welt. Diesem Reich stand der monarcha mundi vor. Dante hatte in Kapitel III 1,5 der ,Monarchia' den Kaiser als rechtmäßigen Herrn der Welt (monarcha mundi) bezeichnet. Der hochangesehene Jurist Bartolus de Saxoferrato, mit dem Karl IV. Mitte Mai 1355 in Pisa zusammengetroffen war, vertrat die Auffassung: Wer behauptet, der Kaiser sei nicht dominus et monarcha totius orbis, ist ein Häretiker, weil er damit der Aussage des Evangeliums (Lk 2,1) widerspricht.100 Kaiser Karl IV. hat die Rolle eines Weltmonarchen - viel stärker als bisher bemerkt - angenommen. Neben der weihnachtlichen Lectio und ihrer deutlichen Aussage geben davon in seinem Namen produzierte Texte Auskunft. Bekannt, und immer wieder als einziger Beleg für universales Gedankengut bei Karl IV. angeführt, ist sein Schreiben an die Litauerfürsten vom 21. April 1358, in dem er als mundi monarcha

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Seit Konrad III. führten die römisch-deutschen Herrscher den Augustustitel; vgl. Eckhard MÜLLER-MERTENS, Römisches Reich im Besitz der Deutschen, der König an Stelle des Augustus. Recherche zur Frage: seit wann wird das mittelalterlich-frühneuzeitliche Reich von den Zeitgenossen als römisch und deutsch begriffen?, HZ 282 (2006) S. 1-58, hier S. 54 f.; zur Kontinuität des Reiches seit der römischen Antike im Geschichtsbild des Spätmittelalters vgl. Heike Johanna MIERAU, Die Einheit des imperium Romanum in den Papst-Kaiser-Chroniken des Spätmittelalters, ebd. S. 281-312. Petrarcas Briefwechsel (wie Anm. 50) S. 182 Nr. V 2; vgl. den Beitrag von Torsten FRIED in diesem Band. KANTOROWICZ, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 97) S. 458 Anm. 42; SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 2) S. 208; Helmut G. WALTHER, „Verbis Aristotelis non utar, quia ea iuristiae non saperent." Legistische und aristotelische Herrschaftstheorie bei Bartolus und Baldus, in: Das Publikum politischer Theorie im 14. Jahrhundert, hg. von Jürgen MIETHKE (Schriften des historischen Kollegs 21, 1992) S. 111-126, hier S. 117 f.; zu Karl IV. und Bartolus vgl. Ivo PFAFF, Kaiser Karl IV. und Bartolus, MVGDB 56 (1918) S. 59-66; Friedrich MERZBACHER, Bartolo de Sassoferrato, in: Lebensbilder zur Geschichte der böhmischen Länder 3: Karl IV. und sein Kreis, hg. von Ferdinand SEIBT ( 1 9 7 8 ) S. 1 4 5 - 1 5 8 .

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mit Berufung auf die augusta potentia des Heiligen Römischen Reiches auftrat.101 Der Luxemburger sah sich als temporale caput mundi seu populi christiani (Goldene Bulle Kap. 2 § 3) in der Verantwortung für die Bekehrung der heidnischen Litauer. Bischof Thomas von Toul sprach den römischen König Karl jedoch schon 1349 als weltliches Haupt der Christenheit (totius orthodoxe fidei monarcha) an. 102 Ein weiteres Mal erscheint Karl IV. als ein Haupt der Welt in seinem kritischen Kommentar von 1360 zum Privilegium maius, wo er sich selbst, den Kaiser, und den Papst die höchsten und einzigen mundi monarche nennt.103 Die Erhebung der Mecklenburger Herzöge zu Reichsfürsten im Jahre 1348 hatte Karl - selbst noch Romanorum rex - bereits aus seiner augustalis potencie monarchia 104 heraus vollzogen, und 1350 unterstrich er in der Arenga einer Urkunde für die Markgrafen von Meißen den Vorrang der von Gott eingesetzten kaiserlichen Macht vor allen Königen und Königreichen der Welt. Er benutzte da allerdings fast wörtlich ein Privileg Kaiser Ludwigs IV. von 1337. 105 Nach seiner Krönung in Mailand schrieb der Luxemburger Ende Januar 1355 von Pisa aus nach Prag, was es für Böhmen doch für ein Glück sei, dass sich an dessen Königshof jetzt das imperium orbis terre befände, an dessen Spitze ihn der Herr gestellt habe. 106 Ebenfalls in Pisa 101

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Vgl. Herbert GRUNDMANN, Das Schreiben Kaiser Karls IV. an die heidnischen LitauerFürsten 1358, Folia diplomática 1 (1971) S. 89-103, der die Urkunde auch ebd. S. 91 ff. zuerst vollständig gedruckt hat; Udo ARNOLD, Karls Ostpolitik in neuer Sicht: Hausmacht und Kaiserpolitik, ZHF 8 (1981) S. 5-13, hier S. 11 mit weiterer Literatur. Die Singularität des Belegs betonen (neben ARNOLD S. 12) unter anderen Reinhard SCHNEIDER, Kaiser und Reich im höfischen Programm, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand SEIBT (21978) S. 305-308, hier S. 306; HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst (wie Anm. 86) S. 156 Anm. 92. MGH Const. 9 S. 214 f. Nr. 277, hier S. 214,35. Vgl. oben bei Anm. 68. MGH Const. 8 S. 627-629 Nr. 615, hier S. 627,31. Urkunde Karls IV.: MGH Const. 10 S. 25 f. Nr. 35, hier S. 25,35: imperialis potestatis monarchiam super omnes mundi reges et regna extollere censuit. Ludwigs IV. Privileg hatte formuliert: imperialis potentatus monarchiam super omnes mundi reges et regna extollere censuit (D: Michael LINDNER, Nähe und Distanz: Die Markgrafen von Meißen und Kaiser Karl IV. im dynastischen Wettstreit, in: Akkulturation und Selbstbehauptung. Studien zur Entwicklungsgeschichte der Lande zwischen Elbe / Saale und Oder im späten Mittelalter, in Verbindung mit Eberhard HOLTZ und Michael LINDNER hg. von Peter MORAW (BBAW. Berichte und Abh. Sonderbd. 6,2001) S. 173-255, hier S. 243 Nr. 41). RI 8 Nr. 1974. Der Text des Schreibens ist als Formular der karolinischen Kanzlei erhalten; D: Collectarius (wie Anm. 8) S. 164-166 Nr. 177, hier S. 164,26-29: Bohemia ... felix utique, in cuius aula regali magnificam sedem sibi elegit excellens imperium orbis terre, ad cuius nos apicem ... celesti providencia sublimad ... meditamur.

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privilegierte Karl IV. im Mai 1355 das Studium generale in Perugia und den dortigen Bischof. Unter den Petenten befand sich der bereits erwähnte Rechtsgelehrte Bartolus de Saxoferrato als Mitglied der städtischen Gesandtschaft. In diesem Stück erklärt die Arenga, dass dem Aussteller Karl die totius orbis monarchia vom Himmel anvertraut wurde.107 Als Weltmonarch und allen Fürsten der Welt übergeordnet sah dieser sich dank der himmlischen Vorsehung auch im November 1356 und im März 1357.108 Einen letzten Beleg liefern die Altzellaer Annalen aus der Mark Meißen, die in einem Nachtrag zum Todesjahr Karls 1378 berichten, dass sich oberhalb seines Grabes im Prager Veitsdom folgendes Epitaph befand: Karrolus augustus ... princeps mundique monarcha.109 Die Planung und Gestaltung seines Grabes samt den Inschriften dürfte unter der entscheidenden Mitwirkung des Kaisers stattgefunden haben. Karl IV. starb nicht überraschend an Altersschwäche, sondern an den Folgen eines Sturzes, bei dem er sich den Oberschenkelhals brach.110 Danach lebte er noch einige Wochen, sodass genügend Zeit für ihn war, zusammen mit seinen Getreuen ausreichend Vorkehrungen für sein Nachleben zu treffen. 111 In einem Schreiben des Kanzlers Johann von Neumarkt an den Kaiser begegnete uns der Cäsar schon als caput orbis,112 und Herzog Rudolf von Sachsen beurkundete in Metz im Dezember 1356 dem König von Böhmen das Kurrecht, das Erzschenkenamt und das Recht, auf Hoftagen seine Krone zu tragen, ohne verpflichtet zu sein, sein Erzamt gekrönt zu verrichten. Dabei wurde der von den Kurfürsten zu Wählende bezeichnet

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D: MGH Const. 11 S. 243 Nr. 429. MGH Const. I I S . 466 f. Nr. 835, hier S. 466,16: nostrum pre ceteris mundi principibus solium magnificencius erexit celestis providencia conditionis (Urkunde von 1356); RBM 6 S. 306-310 Nr. 550, hier S. 306,23-25: pre cunctisper orbem regnantibus ... admundialis monarchiae ... apicem (Urkunde von 1357). Annales Veterocellenses, hg. von Georg Heinrich PERTZ (MGH SS 16, 1859) S. 4 1 - 4 7 , hier S. 45 f. Anm. g. Vgl. Emanuel VLCEK, Aussehen, gesundheitlicher Zustand und Todesursache Kaiser Karls IV., Hémecht 32/4 (1980) S. 4 2 5 ^ 4 7 , hier S. 438. Zu Karls Begräbnis vgl. Frantisek SMAHEL, Spectaculum et pompa fiinebris: Das Leichenzeremoniell bei der Bestattung Kaiser Karls IV., in: Zur politischen Präsentation und Allegorie im 14. und 15. Jahrhundert (Otto-von-Freising-Vorlesungen der katholischen Universität Eichstätt 9, 1994) S. 1-37; Marie BLÁHOVÁ, Die königlichen Begräbniszeremonien im spätmittelalterlichen Böhmen, in: Der Tod des Mächtigen. Kult und Kultur des Todes spätmittelalterlicher Herrscher, hg. von Lothar KOLMER (1997) S. 89-111, hier S. 94 ff. Vgl. oben Anm. 72.

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als derjenige, cuius potencia tocius mundialis machine regitur monarchia.n3 Die Urkunde wurde zwar im Namen des sächsisch-wittenbergischen Herzogs ausgestellt, ist aber tatsächlich ein Produkt der kaiserlichen Kanzlei. Doch nicht nur in Texten, die vom Hofe kommen, finden wir derartige Äußerungen. Auch in Schreiben aus Städten des Reiches taucht der Herrscher, in diesem Fall Karl IV., als Herr der Welt auf: Im März 1355 bereitete Florenz eine Gesandtschaft an den Luxemburger vor, der dabei in zwei Schriftstücken totius mundi dominus genannt wurde.114 Bei den zeitgenössischen Geschichtsschreibern und Intellektuellen ist dieses Denken ebenfalls präsent: Der Böhme Benes nennt seinen Herrn beim Einzug in Rom anlässlich der Kaiserkrönung zu Ostern 1355 princeps mundi.U5 Heinrich von Herford sieht die Notwendigkeit eines Kaisers unter anderem für zwei Aufgaben: salus et protectio totius orbis terrarum, ewangelii quoque et fidei cristiane dilatatio und benutzt dabei Formulierungen, die der rheinische Pfalzgraf bereits 1346 in einem Brief an den polnischen Herrscher gebraucht hatte.116 Lupoid von Bebenburg ergänzte in einer späteren Randbemerkung sein 1340/41 entstandenes ,Ritmaticum querulosum' mit der Erklärung: Imperator enim est dominus mundi.ul Konrad von Megenberg markierte die Ausgangposition seines Werkes ,De translacione Romani imperii', das er 1354 beendete und Karl IV. als orbis monarcha Romanus augustus widmete, ganz eindeutig im ersten Kapitel: Imperator Romanorum est super omnes reges, et omnes naciones sub eo sunt. Ipse namque est princeps mundi et dominus. Vornehmste Aufgabe des Weltmonarchen sei die Verteidigung der Kirche Gottes.118 Die zahlreichen Quellenstellen zur kaiserlichen Weltherrschaft und dem Vorrang des Reiches Kaiser Karls IV. dürften ausreichen, um eine am Hofe des Luxemburgers vorhandene entsprechende Theorie zu belegen. Im Kern gruppiert sich dieses politische Denken, das auch der Goldenen Bulle zugrunde liegt,

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D: ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 2 S. 114 Nr. 30. Die gleichlautenden Urkunden der anderen Kurfürsten in dieser Sache als Auszug oder Regest in RBM 6 S. 271 ff. Nr. 4 8 8 ^ 9 3 mit Angaben zu Drucken. Acta Karoli IV. imperatoris inedita. Ein Beitrag zu den Urkunden Kaiser Karls IV. Aus i t a l i e n i s c h e n A r c h i v e n g e s . u n d h g . v o n F r a n z ZIMMERMANN ( 1 8 9 1 ) S. 1 6 2 N r . 7 9 u n d

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S. 1 6 6 Nr. 8 1 . Chronicon Benessii (wie Anm. 18) S. 522. Henricus de Hervordia (wie Anm. 44) S. 275,13 (das Zitat) und S. 276,8 f. (Hinweis auf die Quelle), wieder abgedruckt MGH Const. 8 S. 90 f. Nr. 63, hier S. 90,21 f. und S. 919 f. Ritmaticum querulosum et lamentosum dictamen de modemis cursibus et defectibus regni ac imperii Romani, in: Politische Schriften (wie Anm. 48) S. 507-524, hier S. 518,20 f. (Glosse 18 zu V. 95). Konrad von Megenberg, De translacione Romani imperii, ediert bei SCHOLZ, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften 2 (wie Anm. 74) S. 249-345, hier S. 252 f.

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um folgende Haltepunkte: Gottunmittelbarkeit des Heiligen Römischen Reiches und Vorrang desselben innerhalb der Christenheit, Fortsetzung des antiken römischen Reiches durch das mittelalterliche sacrum imperium Romanum, Augustusnachfolge seines Inhabers, des Kaisers, der zugleich das weltliche Haupt der christlichen Gemeinschaft ist. Das römische Reich war das vierte Weltreich der Danielsprophetie des Alten Testaments und damit heilsgeschichtlich fundiert. Durch eine Translatio Imperii gelangte es von den Römern über die fränkischen Karolinger (800) und die sächsischen Ottonen (962) zu den hoch- und spätmittelalterlichen Deutschen. Sein Inhaber, der Kaiser, war der monarcha mundi, der Weltenherrscher - so verkürzt die seit dem 12. Jahrhundert verbreitete und akzeptierte Theorie. Dass dies in der Praxis nicht tatsächliche Herrschaft über den Erdkreis bedeutete, dass es neben dem Imperator andere legitime Monarchen gab, war Gemeingut. Den Kaisern eignete eine dignitas imperandi, zu verstehen als eine auf die Person bezogene Würde, nicht aber als Herrschaft über ein flächenhaftes Superreich. 119 Auch Karl IV. wusste natürlich, dass die Reichweite seines imperialen Handelns Grenzen hatte. Er herrschte nicht realiter über die ganze Welt und hatte auch nicht die Aufgabe, dies etwa durch Eroberungen zu erreichen. Sein eigentlicher Herrschaftsbereich war das sacrum imperium, das aus italienischen, gallischen, germanischen und anderen Gebieten bestand, wie er kurz nach seiner Kaiserkrönung am 5. April 1355 seinem byzantinischen Amtskollegen Kaiser Johannes V. Palaiologos mitteilte. 120 Er hätte ebenso auf seine vier Königreiche verweisen können: Italien, Arelat / Burgund, Deutschland, Böhmen. Mit Gallien waren selbstverständlich nicht das königliche Frankreich, sondern die romanischen Gebiete des Reiches gemeint. Zu Letzteren gehörten auch - wie Karl 1365 nach dem Erwerb der arelatensischen Krone noch einmal ausdrücklich festhielt - die Provence, die Dauphine und Savoyen als unmittelbar seiner und der Herrschaft des Hei-

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SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 2) S. 207 ff.; Peter MORAW, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3, 1985) S. 149 ff.; zuletzt Tilman STRUVE, Das mittelalterliche Kaisertum als Gestaltungselement des werdenden Europa. Grenzen und Perspektiven, Majestas 12 (2004) S. 5—42; zur mittelalterlichen Wortgeschichte von monarchia / monarcha vgl. Hans K. SCHULZE, Monarchie III, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 4, hg. von O t t o BRUNNER / W e r n e r CONZE / R e i n h a r t KOSELLECK ( 1 9 7 8 ) S. 1 4 1 - 1 6 8 .

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Collectarius (wie Anm. 8) S. 169 f. Nr. 180, hier S. 169,29-32: reductis ad obedienciam nostram Italie, Gallie, Germanie partibus et aliis terris, que sacro subsunt imperio, quibus ... absolutapotencia dominamur; vgl. zu diesem Schreiben Michael LINDNER, Eine Kiste voller Knochen - Kaiser Karl IV. erwirbt Reliquien in Byzanz. Zugleich ein Beitrag zur Datierung zweier Karlsteiner Reliquienszenen (erscheint 2008) mit der älteren Literatur.

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Abbildung 8 Reliquienübergabe des byzantinischen Kaisers Johannes V. Palaiologos an Kaiser Karl IV. Karlstein, Marienkapelle (um 1364)

Abbildung 9 Nachzeichnung der Reliquienübergabe des byzantinischen Kaisers Johannes V. Palaiologos an Kaiser Karl IV. in der Marienkapelle Karlstein. Wien, ÖNB, cvp 8330 (Matthäus Ornys von Lindberg, 1569-1575)

ligen Reiches unterstehende Gebiete. 121 Aus der Goldenen Bulle allerdings, in der häufig vom Reich die Rede ist, erfahrt man zu dessen Ausdehnung oder seiner geografisch-politischen Struktur nichts. Dort schrumpft das Imperium, wenn es um kon-

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Collectarius (wie Anm. 8) S. 159-162 Nr. 175, hier S. 159,26-29: in partibus imperii, videlicet Provincia, Delphinatu Wiennensi et Sabaudie comitatu, que ad nos et eiusdem sacri imperii directo vel inmediato dominio pertinere et subesse noscuntur (R: RI 8 Nr. 4176); zur Krönung in Arles und ihrem politischen Umfeld vgl. Marie BLAHOVA, Prijezd Karla IV. do Avignonu v kvetnu 1365 v podäni soudobe historiografie [Die Ankunft Karls IV. in Avignon im Mai 1365 in der Überlieferung der zeitgenössischen Historiografie], in: Ve znameni zemi Koruny ceske. Sbornik k sedesatym narozeninäm prof. PhDr. Lenky Bobkove, CSc. [Im Zeichen der böhmischen Kronländer. Sammelband zum 60. Geburtstag von Prof. PhDr. Lenka Bobkovä], hg. von Ludek BREZINA / Jana KONVICNA / Jan ZDICHYNEC (2006) S. 559-577; Stefan WEIB, Onkel und Neffe. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich unter Kaiser Karl IV. und König

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krete politische Regelungen geht, auf das Gebiet des deutschen Regnum zusam122

men, denn nur für dieses werden Verfügungen getroffen: zum Beispiel in den auch über Deutschland hinaus interessierenden Fragen der Verweserschaften in herrscherloser Zeit oder der Gerichtsbarkeit über den König in Kapitel 5. Gelegentlich griff der Kaiser auch in der praktischen Politik über seinen unmittelbaren Machtbereich hinaus. Dabei werden universale Züge123 im kaiserlichen Vorgehen deutlich: So, wenn er 1377 gleich mehrfach als Romanorum imperator, ad quem pertinet cunctis iusticiam facere, dänische Adelige vor sein Hofgericht lädt und damit eine Schiedsrichterrolle im dänischen Thronstreit beansprucht,124 oder wenn er sich 1358, wie oben erwähnt, gemäß Auftrag der Evangelien der Missionierung der Heiden in Litauen annimmt. Als Haupt der Christenheit wurde der Luxemburger außerdem am 19. Februar 1355 tätig, als er Stephan Dusan von Serbien (Rascia), seit 1346 selbsternannter Kaiser (Zar) der Griechen und Serben, brieflich ermunterte, in den Schoß der Römischen Kirche zurückzukehren.125 Kaiserliche Kreuzzugspläne gegen die Türken waren zwar mehrmals im Gespräch - 1359 mit Venedig, 1365 mit Papst Urban V. sind aber nicht in die Tat umgesetzt worden.126 Ein um 1360 gesandtschaftlich vorgebrachtes Hilfegesuch des Königs Konstantin von (Klein-)Armenien an den Kaiser mit der Bitte um Unterstützung gegen die Ungläubigen lehnte

Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas. Eine Studie über mittelalterliche Außenpolitik 1: Vom Reichstag zu Metz bis zum Ausbruch des Großen Schismas, in: Regnum et Imperium. Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. J a h r h u n d e r t , h g . v o n S t e f a n WEIß ( 2 0 0 8 ) S . 1 0 1 - 1 6 4 . 122

Vgl. Erling Ladewig PETERSEN, Studien zur Goldenen Bulle von 1356, DA 22 (1966) S. 227-253, hier S. 242 f.; Peter MORAW, Politische Sprache und Verfassungsdenken bei ausgewählten Geschichtsschreibern des deutschen 14. Jahrhunderts, in: DERS., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, hg. von Rainer Christoph SCHWINGES (1995) S. 175-205, hier S. 186; DOTZAUER, Überlegungen

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(wie Anm. 4 9 ) S. 1 7 7 . Zu diesen im allgemeinen SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 2) S. 211 ff.; Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart ( 3 2002) S. 43 f. Urkunden von 1377 September 12 (D: Diplomatarium Danicum 4/1, hg. von Herluf NIELSEN (1984) S. 292 ff. Nr. 293-295; R: MGH eConst. 2 (2005) Nr. 770912a und Nr. 770912b mit weiteren Angaben; nicht in RI 8). Collectarius (wie Anm. 8) S. 167-169 Nr. 179; zum Brief LINDNER, Kiste (wie Anm. 120) mit der älteren Literatur. Vgl. dazu LINDNER, Kiste (wie Anm. 120), und den Beitrag von Uwe LUDWIG in diesem Band.

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Karl IV. freundlich und wortreich unter Hinweis auf die Nutzlosigkeit früherer Kreuzzüge ab.127 Das universale Gedankengut, das der Goldenen Bulle zugrunde liegt und an einigen Stellen auch expressis verbis formuliert wurde, ist insgesamt in Theorie und Praxis der karolinischen Politik präsent. Dieser „nach außen gewandte[n] universal-weltherrschaftliche[n] Komponente" misst die Forschung zu Karl IV. wenig bis keine Bedeutung bei,128 zu Unrecht, wie das vorstehend Angeführte zeigen sollte. Ihre Funktion nach innen als einheitsstifitende, Zusammenhalt erzeugende und legitimierende Idee dagegen wird hoch eingeschätzt.129 Die Vorstellung vom Vorrang des eigenen Reiches innerhalb seiner fürstlichen Führungsschicht trug maßgeblich zur Formierung eines Selbstbildes und zur Stiftung einer Gruppenidentität der Herrschaftsinhaber bei. Diese Ideen wirkten politisch handlungsleitend und integrierend im beständigen Ringen um Konsens und Kohärenz. Damit haben derartige Gedanken als verinnerlichte Geschichte mythomotorischen Charakter im Sinne Jan Assmanns.130 Die Goldene Bulle legt dort, wo sie die gemeinsame Trägerschaft des Heiligen Reiches durch Herrscher und Kurfürsten und deren Verantwortung für das Wohl der Welt betont, Zeugnis für die Wirksamkeit dieser Ideen ab.

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Summa cancellariae (Cancellaria Caroli IV.), hg. von Ferdinand TADRA (Historicky Archiv 6, 1895) S. 26 Nr. 40; dazu Hans KAISER, Der Collectarius perpetuarum formarum des Johann von Gelnhausen (1898) S. 112 Nr. 255. Im Collectarius (wie Anm. 8) S. 223 f. Nr. 264 fehlt die Nennung des Adressaten. Siehe die Urteile bei Peter MORAW, Kaiser Karl IV. 1378-1978. Ertrag und Konsequenzen eines Gedenkjahres, in: Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für Frantisek Graus zum 60. Geburtstag, hg. von Herbert LUDAT / Rainer Christoph SCHWINGES (AK Beih. 18, 1982) S. 248 f.; Peter MORAW, Vom deutschen Zusammenhalt in älterer Zeit, in: Identität und Geschichte, hg. von Matthias WERNER (Jenaer Beitr. zur Geschichte 1, 1997) S. 27-59, hier S. 38 f. mit dem Zitat. MORAW, Z u s a m m e n h a l t ( w i e v o r i g e A n m . ) S. 34—44; DERS., Z u r s t a a t l i c h - o r g a n i s a t o r i -

schen Integration des Reiches im Mittelalter, in: Staatliche Vereinigung: Förderliche und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte, hg. von Wilhelm BRAUNEDER (Der Staat. Beih. 12, 1998) S. 7-36, hier S. 11 ff. Jan ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (1992, 3 1999) S. 78 f f , 142, 168 f.; außerdem Peter SLOTERDIJK, Falls Europa erwacht. Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des Zeitalters ihrer politischen Absence (1994) Kap. 4: ,Translatio Imperii: Machtübertragung als europ ä i s c h e M y t h o m o t o r i k ' ( S . 3 2 ^ 1 ) , hier S. 3 4 - 3 9 .

Es war an der Zeit

V

Der Kaiser, sein Gesetz und die politische Wirklichkeit des Reiches

Zum Schluss kehren wir von Karl IV., dem Alleinherrscher (monarcha), der sein Reich mit absoluta potencia zu regieren meinte131 und Gesetze aus der Vollgewalt seiner kaiserlichen Macht (de imperialis potestatis plenitudine) erließ, zurück zur Realität des Reiches mit den kurfürstlichen und fürstlichen Teilhabern an der Herrschaft und der Goldenen Bulle. Der Luxemburger betonte natürlich seine alleinige kaiserliche Gesetzgebungskompetenz132 und bezeichnete das Produkt als sein Werk (lex nostra imperialis, nostra constitutio imperialis, edictum imperiale, unser keiserliches Rechtbuch u. ä.), wie oben im zweiten Kapitel gezeigt wurde. Aber schon die Erwähnungen der Goldenen Bulle bei Bischof Lamprecht von Speyer zu Anfang des Jahres 1366 (dez richs und der curfürsten gemein gesetz und gebot, dez keysers und der curfiirsten gemein gebott)13 zeigen, dass es noch andere im Reich wahrgenommene Mitwirkende gab: die Kurfürsten. Nur über einen kaiserlich-kurfürstlichen Konsens134 konnte der legislative Vorstoß gelingen. Wie sich dabei die jeweiligen Anteile der beiden Seiten, Kaiser und Kurfürsten, verteilen, ist umstritten: Die Initiative zum Erlass der Bulle und die Endredaktion des Textes lagen beim Kaiser und seiner Kanzlei. Die realen Machtverhältnisse im Reich jedoch erforderten die Mitwirkung der Kurfürsten und damit die Aufnahme des Erbes von 1338. Das bedeutet aber nicht, dass die Goldene Bulle eine kurfürstliche Reaktion gegen Karl IV. gewesen wäre, wie Petersen meinte.135 Was und wer hätte den Herrscher dazu veranlassen sollen, einen Text wider seine Intentionen als Gesetz unter seinem Siegel zu publizieren? Die Goldene Bulle wurde im Namen eines Kaisers veröffentlicht, der in ihr seine und seines Reiches Stellung in Abgrenzung zur zweiten universalen Macht der Christenheit, dem Papsttum, bestimmte. Hierin liegt der erste Grund für den Luxemburger, auf die zukünftige Effektivität des Textes zu achten. Die kaiserliche

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So Karl IV. im oben Anm. 120 zitierten Brief an Kaiser Johannes V. von Byzanz. Nach dem Proömium der Goldenen Bulle wurde er gesetzgeberisch tätig ex officio, quo

cesarea dignitatepotimur, und ex imperio (MGH Const. 11 S. 564,1 bzw. 3). 133 134

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Siehe Anm. 31. Zur Bedeutung des Konsens für das Herrschaftsgefuge im Reich vgl. Bernd SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. FS Peter Moraw, hg. von Paul-Joachim HEINIG / Sigrid JAHNS / Hans-Joachim SCHMIDT / Rainer Christoph SCHWINGES / Sabine WEFERS (HF 6 7 , 2 0 0 0 ) S . 5 3 - 8 7 . PETERSEN, Studien (wie Anm. 122) S. 253.

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Gesetzgebung an sich als Ausweis seiner alleinigen, römisch-rechtlich begründeten, legislativen Kompetenz wurde von der gleichzeitigen, zweimaligen weihnachtlichen Evangelienlesung in Nürnberg 1355 und Metz 1356 symbolisch begleitet und in ihrer Aussage verstärkt. Karl IV. bediente sich als legum conditor grundlegender Gedanken aus der Zeit seines Amtsvorgängers. Das betrifft vor allem die Modalitäten der Königswahl mit dem Mehrheitsprinzip sowie die Auffassung von der sofortigen reichsweiten Herrschaft des rex Romanorum, die keiner irgendwie gearteten Bestätigung bedurften, und geschah im Konsens vornehmlich mit den rheinischen Kurfürsten. Das Prinzip der Wahlentscheidung schon durch einfache Mehrheit übernahm die Goldene Bulle aus der Rhenser Erklärung, unterdrückte dabei jedoch im Unterschied zu 1338 jeden Gedanken an einen eventuellen Zwiespalt,136 indem die Wahl mit einfacher Mehrheit für einmütig erklärt wurde. Mit dem Sprachgebrauch vom neu Gewählten als Romanorum rex futurus Imperator / cesar mied die Goldene Bulle die verkürzende Zuspitzung vom verus rex et imperator / verus imperator seu rex Romanorum aus Ludwigs IV. ,Licet iuris' und dem Traktat ,Subscripta'. Karl IV. nahm damit die durch Balduin von Trier geprägte Position der Elektoren von 1338 in Rhens wieder auf, nicht die über die Rhenser Erklärung hinausgehende Neuerung des Wittelsbachers.137 Getragen wurde diese geschickte, die jeweiligen Absichten austarierende Übereinstimmung vom gemeinsamen Interesse Karls IV. und der Kurfürsten an der Abwehr der päpstlichen Ansprüche, die eine deutliche Entwertung ihrer Kurrechte bedeutet hätten, sowie an der Behauptung des Reiches und von dem einigenden Band der sonstigen kurfürstlichen Sonderrechte. Hier liegt die besondere Leistung des Luxemburgers: Er war in der Lage, die Handlungsträger unter seinem Gebot zu versammeln, dann zum Konsens zu führen und am Ende ein allseits anerkanntes, nachhaltiges Produkt vorzulegen.138 Ein aufmerksamer französischer Chronist beschrieb die dazu nötigen Fähigkeiten des Kaisers treffend so: „Und es war dieser Kaiser ein sehr kluger Mann, und er gewann die Herrschaft mehr durch Überzeugungskraft als durch 136

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Das etiam in discordia der Rhenser Erklärung spart sich die Goldene Bulle. Zu Einmütigkeit schon bei mehrheitlicher, nicht erst bei einstimmiger Wahl vgl. Reinhard SCHNEIDER, Wechselwirkungen von kanonischer und weltlicher Wahl, in: Wahlen und Wählen im Mittelalter, hg. von Reinhard SCHNEIDER / Harald ZIMMERMANN (VuF 37, 1990) S. 135-171, hier S. 170 f. Vgl. Karl ZEUMER, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz ,Licet iuris' vom 6. August 1338, NA 30 (1905) S . 87-112, hier S. 105; STENGEL, Avignon und Rhens (wie Anm. 75) S . 160 f. und S . 221; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S . 332-338; zuletzt BECKER, Kaisertum Ludwigs des Bayern (wie Anm. 75) S . 134 f. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2 ) S . 3 5 1 - 3 5 4 ; MORAW, Von offener Verfassung ( w i e A n m . 1 1 9 ) S. 2 4 7 - 2 4 9 .

Es w a r a n d e r Zeit |

133

Waffen." 139 Dabei vermied der Luxemburger jede Provokation der Kurie. Er klammerte die strittigen Fragen der päpstlichen Approbation des von den Kurfürsten bereits bei einer Mehrheit von vier Stimmen einmütig Gewählten und des päpstlichen Vikariats in herrscherloser Zeit aus, die in der Zeit vor 1356 heftige Reaktionen auf beiden Seiten ausgelöst hatten. Damit mussten diese heiklen Punkte schon einmal nicht zurückgewiesen werden. Dazu mied Karl IV. geschickt - dort, wo er Klärungen nicht umgehen konnte - anspruchsbelastete Termini: Dem päpstlichen Vikar in herrscherloser Zeit wurde der Raum in Deutschland genommen durch die Einsetzung zweier kurfürstlicher P r o v i s o r e n . Auf Reichsitalien und das Arelat wurde in diesem Zusammenhang in der Goldenen Bulle nicht eingegangen. In der politischen Praxis setzte der Luxemburger dort schon in seiner Königszeit Vikare ein.140 Das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst blieb dennoch gut. Eine der Viten Papst Innozenz' VI. fasste den Effekt des gesetzgeberischen Wirkens Karls IV. in Nürnberg so zusammen: tendentes adpacem et concordiam inter ipsum et Ecclesiam conservandas. Ins Bild gesetzt wurden diese stabil guten Beziehungen in einem Diptychon mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige und dem Marientod aus der zweiten Hälfte der 1350er-Jahre, genau der Zeit während und unmittelbar nach der Goldenen Bulle. In der Anbetungsszene erkennen wir im zweiten König Karl IV. wieder, in der Marienszene erscheint Innozenz VI. als der heilige Petrus mit dreistufiger Tiara auf dem Kopfe - eine gemeinsame Darstellung Kaiser Karls IV. und Papst Innozenz' VI. in Identifikationsporträts als sichtbares Zeichen intakter Beziehungen.142

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Übersetzung des Zitats aus der ,Chronique des quatre premiers Valois' (1327-1393) nach Eugen HILLENBRAND, Die Autobiographie Karls IV. Entstehung und Funktion, BDLG 114 (1978) S. 39-72, hier S. 72. Marie-Luise FAVREAU-LILIE, Reichsherrschaft im spätmittelalterlichen Italien. Zur Handhabung des Reichsvikariats im 14./15. Jahrhundert, QFIAB 80 (2000) S. 53-116; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 83) S. 511-540 und S. 828 f. Prima vita Innocentii VI. (wie Anm. 12) S. 315; zum Verhältnis zwischen Kaiser und Papst nach Erlass der Goldenen Bulle vgl. Willy SCHEFFLER, Karl IV. und Innocenz VI. Beiträge zur Geschichte ihrer Beziehungen 1355-1360 (Historische Studien 101, 1912) S. 85-107; MIETHKE, Die päpstliche Kurie (wie Anm. 74) S. 439-445. Vgl. zum Diptychon Jifi FAJT, Karl IV., 1316-1378. Von der Nachahmung zu einem neuen kaiserlichen Stil. Entwicklung und Charakter der herrscherlichen Repräsentation Karls IV. von Luxemburg, in: Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310-1437, hg. von Jiri FAJT unter Mitwirkung von Markus HÖRSCH u n d A n d r e a LANGER m i t U n t e r s t ü t z u n g v o n B a r b a r a DRAKE BOEHM ( 2 0 0 6 )

S. 41-135, hier S. 98-101; zum Bildnistypus des Identifikationsporträts Robert SUCKALE, Die Porträts Kaiser Karls IV. als Bedeutungsträger, in: Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, hg. von Martin BÜCHSEL / Peter SCHMIDT (2003) S. 191-204.

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Keine Vorbilder in ludovicianischer Zeit hatten die eingehenden Vorschriften zur Ordnung der zeremoniellen Präsentation des Reiches in Gestalt des Kaisers und der Kurfürsten sowie die Verbriefung der kurfürstlichen Sonderrechte mit den für die dynastische und territoriale Stabilität und Entwicklung der weltlichen Kurlande 143 wichtigen Regelungen: Primogeniturerbfolge (Kap. 7, 25) einschließlich der Frage der Regierungsunfähigkeit des Erstgeborenen (Kap. 25), Bindung der Kurstimme, des Erzamtes und der anderen Vorrechte an das kurfürstliche Territorium (Kap. 20), Unteilbarkeit der Kurfürstentümer (Kap. 20,25) sowie Ausbildung des kurfürstlichen Nachwuchses (Kap. 31). Als böhmischer König war der Kaiser selbst weltlicher Kurfürst und landesherrlicher Dynast mit Hausmachtinteressen und damit an der Sicherung der umstrittenen böhmischen Kur mit den daran hängenden Rechten sowie zusätzlichen Privilegien wie der Gerichtsfreiheit und den lukrativen Regalien einschließlich des Rechts auf freien Landerwerb (Kap. 8-10) interessiert. 144 Die Sonderstellung Böhmens als membrum nobilius145 des Reiches brachte der Luxemburger auch in seiner Titulatur zum Ausdruck, wo er der römischen Königs-, später Kaiserwürde ein et Boemie rex zugesellte. 146 Die ausufernde Sorge Karls IV. für die Länder der corona regni Boemie, von Heinrich von Wildenstein in einer Leichenpredigt auf Karl noch besonders gewürdigt, 147 rief bei einem anderen Kurfürsten, Pfalzgraf Ruprecht, Argwohn hervor. Ruprecht befürchtete, der keiser welle das rieh ziehen an die crune gen Behen, und bot deshalb 1365/66 den Reichsstädten Mainz, Straßburg, Worms und Speyer ein vierjähriges gegenseitiges Schutzbündnis an. 148 Die königlich-böhmischen Interessen waren für den Luxemburger der zweite Grund, auf Geltung und Publizität der Goldenen Bulle zu achten. Nur vom Nürnberger Teil, in dem die kurfürstlich-böhmischen Sonderrechte festgehalten waren, hatte der rex Boemie - wie bereits erwähnt - ein besiegeltes Exemplar des Gesetzestextes.

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Vgl. Wolfgang E. J. WEBER, Einleitung, in: Der Fürst (wie Anm. 96) S. 1-26, hier S. 17 f.; DERS., Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaates, in: ebd. S. 91-136, hier S. 102-105. Vgl. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 6) 1 S. 51-58; HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte ( w i e A n m . 12) S. 1 4 4 - 1 5 5 .

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MGH Const. 8 S. 562 ff. Nr. 555-565.

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Vgl. SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 2) S. 91-95; Wolfgang EGGERT, Bemer-

kungen zur Intitulado in den Urkunden Karls IV., in: Kaiser, Reich und Region (wie A n m . 4 7 ) S. 2 9 5 - 3 1 1 . 147

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Helmut BANSA, Heinrich von Wildenstein und seine Leichenpredigten auf Kaiser Karl IV., DA 24 (1968) S. 187-223, hier S. 219: Ipse namque adauxit rem publicam et términos regni Boemie longe lateque defixit. UB Straßburg 5/2 (wie Anm. 31) S. 551-553 Nr. 706 und S. 560 f. Nr. 723, das Zitat S. 560,30 f.

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Die feierliche, aber einmalige Verkündung in Metz und das wiederholte Zitieren in den Urkunden trugen einiges bei zur Bekanntmachung und Verbreitung der Karoli quarti constitucio, wie die Goldene Bulle bei Peter von Andlau häufig heißt.149 Dennoch kam die Rezeption des Textes als Gesetz zu Lebzeiten des Kaisers nicht voran. Publizität war zwar wichtig für das Wirksamwerden eines Gesetzes, aber genauso notwendig war die Anwendung des Verfügten in exemplarischen Situationen.150 Der Weg der Goldenen Bulle von einem zunächst an einzelne Empfanger gerichteten Text, dessen Verfallsdatum seines Privilegiencharakters wegen an die Lebenszeit des Ausstellers gebunden war, zum unbeschränkten Reichsgrundgesetz musste über Dauerhaftigkeit und reichsweite Geltung gehen. Anlässlich der Königswahl Wenzels und ihrer langen Vorbereitungszeit wäre Gelegenheit gewesen, die Anordnungen der Goldenen Bulle in die Praxis umzusetzen, sie exemplarisch zu vergegenwärtigen, ihnen eine dauerhafte und reichsweite Bedeutung und damit einen kräftigen Rezeptionsschub zu verleihen. Aus wahltaktischen Gründen kam es nicht dazu.151 Karl IV. verletzte aus dynastischem Interesse, um die Wahl seines Sohnes durchzusetzen, mehrere Vorschriften der Goldenen Bulle:152 Er ging seit 1374 Wahlabsprachen mit den Kurfürsten ein und verstieß so gegen Kapitel 2 § 2. Dem Trierer Erzbischof gegenüber verzichtete er 1374 urkundlich auf Frankfurt am Main als den Ort der wale und kür, verlegte beides in den baümgarten zu Rense uff dem Rine, weil Kur und Wahl frij sin müge,153 und widerrief damit wichtige Verfügungen von 1356. Mit dem Wittelsbacher Otto, einst Markgraf von Brandenburg, und dem Wettiner Ludwig als Erzbischof von Mainz ließ der Kaiser 1376 Fürsten zur Wahl zu, die kein Kurterritorium innehatten, was dem 20. Kapitel widersprach.154 In den

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Peter von Andlau, Kaiser und Reich. Libellus de Cesarea Monarchia. Lat.-dt., hg. von Rainer A. MÜLLER (Bibl. des deutschen Staatsdenkens 8, 1998) Kap. II 2 S. 178, II 3 S. 188, I I 1 0 S . 236, II 15 S. 278. Kriterien fur die Effektivität von Gesetzen entwickelt Peter JOHANEK, Methodisches zur Verbreitung und Bekanntmachung von Gesetzen im Spätmittelalter, in: Histoire Comparée de l'Administration (IVC-XVIHC siècles), hg. von Werner PARAVICINI / Karl Ferdinand WERNER (Francia Beih. 9, 1980) S. 88-101; außerdem allgemein Achim BARSCH, Rezeptionsforschung, empirische, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, hg. von A n s g a r NÜNNING ( 2 2 0 0 1 ) S. 5 5 1 - 5 5 3 .

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SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 3 5 0 - 3 5 7 ; MORAW, „Privilegium maius"

(wie Anm. 4 6 ) S. 2 0 6 f. Dazu und zum Folgenden KLARE, Wahl Wenzels (wie Anm. 65) S. 47-76; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 355. RTA 1 S. 11-21 Nr. 3, hier S. 19, und S. 22 Nr. 5. Von Otto liegt eine Wahlurkunde vor (D: RTA 1 S. 75 Nr. 48), obwohl Karls Sohn Sigmund als Markgraf von Brandenburg wählte; vgl. KLARE, Wahl Wenzels (wie Anm. 65)

I Michael Lindner

brandenburgischen Angelegenheiten ignorierte Karl die Bestimmungen der Kapitel 20 und 25 seines Wahlgesetzes über die Unteilbarkeit der Kurterritorien aus eigenen territorialpolitischen Interessen: Zuerst stimmte er im April 1364 der Teilung der Markgrafschaften Brandenburg und Lausitz durch die Markgrafen Ludwig (,den Römer') und Otto zu.155 Dann trennte er im Dezember 1376 - eine Erneuerung fand im Oktober 1377 statt - die Neumark vom Kurfürstentum Brandenburg ab, um das für seinen 1370 geborenen Sohn Johann geschaffene Herzogtum Görlitz auszustatten.156 So konnte die Goldene Bulle in der Regierungszeit Karls IV. keine normative Kraft entfalten, weil keine aktiv betriebene, gesetzeskonforme Aneignung und Anwendung des Textes stattfand. Sie blieb vorerst ein Privileg, das zusätzlicher Sicherung bedurfte. Karl IV. wusste das auch: In den Jahren 1358 und 1372 - also nach Nürnberg und Metz - ließ er sich in zweiseitigen Bündnissen mit den Markgrafen von Meißen jeweils ausdrücklich deren Hilfe bei der Bewahrung der böhmischen Kurstimme zusagen.157 Bei einer reichsweiten, verfassungsrelevanten Wirksamkeit der Goldenen Bulle wäre diese zusätzliche Sicherung der böhmischen Kur wohl nicht nötig gewesen. Die Nichtrezeption fand auch darin ihren Ausdruck, dass sich im 14. Jahrhundert - wie oben behandelt - kein einheitlicher Titel für die constitutio imperialis von 1356 ausbildete. Wie die Goldene Bulle in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch keine lex fundamentalis, so waren die Kurfürsten in der politischen Praxis noch kein Kolle-

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S. 51 f. und S. 258-260; zu Erzbischof Ludwig, der sich gegen das Mainzer Domkapitel und den von diesem postulierten Adolf von Nassau im Erzstift nicht durchsetzen konnte, ebd. S. 52-60 und S. 242 f., außerdem Fritz VIGENER, Kaiser Karl IV. und der Mainzer Bistumsstreit (1908) S. 82-101; Paul-Joachim HEINIG, Die Mainzer Kirche im Spätmittelalter (1305-1484), in: Hb. der Mainzer Kirchengeschichte 1/1, hg. von Friedhelm JÜRGENSMEIER (Beitr. zur Mainzer Kirchengeschichte 6/1/1, 2000) S. 416-554, hier S. 483—486. RI 8 Nr. 4027; zum Hintergrund der nicht wirksam gewordenen Teilung vgl. Johannes SCHULTZE, Die Mark Brandenburg 2: Die Mark unter Herrschaft der Wittelsbacher und Luxemburger (1319-1415) (1961) S. 138-140. Ulrike HOHENSEE, Zur Erwerbung der Lausitz und Brandenburgs durch Kaiser Karl IV., in: Kaiser, Reich und Region (wie Anm. 47) S. 213-243, hier S. 241 f. Die beiden Erbteilungsurkunden aus den Jahren 1376 und 1377 bei L. SCHLESINGER, Eine Erbtheilungsund Erbfolgeordnungsurkunde Kaiser Karls IV., MVGDB 31/1 (1892 f.) S. 1-13; Fritz QUICKE, Un testament inédit de l'empereur Charles IV, RBPH 6 (1927) S. 256-277. Zur Urkunde von 1358 März 1 siehe MGH eConst. 2 (2005) Nr. 580301b Anm. 2, zur Urkunde von 1372 November 26 ebd. Nr. 721125a Anm. 2, beide mit zusätzlichen Angaben; zu weiteren Bündnissen vgl. LINDNER, Nähe und Distanz (wie Anm. 105) S. 191.

Es war an der Zeit

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gium, kein gemeinschaftlich-korporativ handelndes Gremium. 158 Das zeigt schon die Überlieferung der Goldenen Bulle mit nur vier vollständigen Exemplaren für die rheinischen Fürsten und das Schicksal der jährlichen Zusammenkünfte nach Kapitel 12. Die Kurfürsten agierten zumeist nebeneinander: Willebriefe wurden nicht gemeinsam, sondern im Namen eines jeden Einzelnen ausgestellt. Die Absetzung König Wenzels und die Wahl Ruprechts von der Pfalz waren allein das Werk der Rheinländer. Die politischen Hauptakteure saßen am Ende des Jahrhunderts wie schon 1338 am Rhein und nicht an der Elbe. Von Karl IV. wurden die Königswähler in politischen Fragen vereinzelt - sichtbar erneut in den Wahlabsprachen zur Wahl Wenzels. Wahlkapitulationen für die Kurfürsten als Angehörige einer Verfassungskörperschaft sollte es erst 1519 geben. 159 Der Weg zum Kollegium wurde in der Politik der Zeit Karls IV. noch nicht beschritten. Ein korporatives Element allerdings war durchaus in den Bestimmungen der Goldenen Bulle angelegt: Das Einmütigkeit der Wahl auch bei Enthaltungen oder Gegenstimmen verordnende Majoritätsprinzip betonte die gemeinsame, gesamtverantwortliche Entscheidung der Wähler und entwertete die Einzelstimme. 160 Durch gemeinsame Aktionen - Wahl, Versammlungen nach Kapitel 12, andere Auftritte (publici actus imperiales nach Kap. 3) in der ,Reichsöffentlichkeit' - entsprechend den zeremoniellen Regelungen der Goldenen Bulle sollten sich die sieben Elektoren mit oder um den Herrscher als corpus in ihrer Verantwortung für das Reich präsentieren. Doch solange die Regelungen von Nürnberg und Metz nicht allgemeingültiges Gesetz geworden waren, konnte es kein Kollegium geben: Karl IV. gewann 1376 alle sieben Kurfürsten nach mühevoller, das Reich schädigender ,Überzeugungsarbeit' für die Wahl seines Sohnes. Jeder Einzelne gab seine Stimme ab, 161 wo doch die einfache Mehrheit von vier Voten gereicht hätte. Der Majoritätsgedanke spielte bei Wenzels Wahl keine Rolle, die einzelnen Stimmen wurden einfach zusammengezählt. Um sich als Körperschaft zu zeigen, hätten sich die Kurfürsten überdies, wenn schon nicht jährlich, wie geplant, so doch wenigstens gelegentlich vollzählig zusammenfinden müssen. Das aber fand nur ausgesprochen selten statt: 162 Ganze drei Gelegenheiten lassen 158

SCHUBERT, K u r f ü r s t e n ( w i e A n m . 2 ) S. 9 9 - 1 1 0 ; MORAW, V o n o f f e n e r V e r f a s s u n g ( w i e A n m . 1 1 9 ) S . 2 4 9 ; SCHUBERT, K ö n i g s a b s e t z u n g ( w i e A n m . 2 ) S. 2 7 9 - 2 8 9 .

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KLARE, Wahl Wenzels (wie Anm. 65) S. 47-76 und S. 237-247; SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 2) S. 281. Dazu und zum Folgenden Hasso HOFMANN, Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und d i e Z e i c h e n , h g . v o n H e d d a RAGOTZKY / H o r s t WENZEL ( 1 9 9 0 ) S. 1 7 - 4 2 , h i e r S. 2 4 - 2 8 .

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KLARE, Wahl Wenzels (wie Anm. 65) S. 47. Das Folgende nach den leicht differierenden Zusammenstellungen bei Thomas Michael MARTIN, Auf dem Weg zum Reichstag. Studien zum Wandel der deutschen Zentralgewalt

| Michael Lindner

sich ausmachen, bei denen sich alle Kurfürsten um Karl IV. versammelten - zwei Hoftage in Frankfurt am Main im September 1366 bzw. Anfang 1368 sowie anlässlich von Wahl und Krönung Wenzels im Juni und Juli 1376 in Frankfurt am Main und in Aachen. Auf weiteren drei Hoftagen fehlte jeweils ein Kurfürst: September / Oktober 1360 in Mainz war es der Brandenburger, im April 1361 ließ sich der Trierer bei der Taufe Wenzels durch eine Gesandtschaft vertreten, im März 1362 in Nürnberg war der Kölner abwesend.163 In Prag, das Rom und Konstantinopel als sedes imperii abgelöst hatte, wie ein Zeitgenosse meinte,164 kamen niemals alle Kurfürsten zusammen. Allenfalls 1365 und 1366 versammelte sich wenigstens eine Mehrheit der Elektoren an der Moldau.165 Erst mit fortschreitender Rezeption nach 1400 kam die Bildung eines Kollegiums voran und damit der Gedanke der Corpws-Repräsentation weniger Personen für das ganze Reich. Eine längere Wirkungsgeschichte machte die Goldene Bulle zu dem, was sie uns heute ist: das mittelalterliche Reichsgrundgesetz. Zu ihrer Entstehungszeit war sie ein Privileg für nur wenige Empfänger mit zeitlich begrenzter Geltung, dessen weitere Zukunft mit dem steilen Aufstieg zur lex fundamentalis des Reiches nicht vorausgesehen werden konnte. Dies hatte sie mit anderen Privilegien und Texten aus der karolinischen Zeit gemeinsam, die erst durch ihre Rezeption auf dem Wege der Anwendung und Verbreitung den Rang von Verfassungsdokumenten erlangten: die ,Karolina de ecclesiastica libertate', die Kirchenfreiheitsprivilegien

1314—1410 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 44, 1993) S. 354 Nr. 31 (1366), S. 355 Nr. 32 (1368); Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die „solempnis curia" als Element der Herrschaftsausübung in der Spätphase Karls IV. (1360 bis 1376), in: Deutscher Königshof (wie Anm. 2) S. 4 5 1 ^ 7 6 , hier S. 463 f. (1366), S. 464 f. (1368), S. 469 (1376); ANNAS, Hoftag (wie Anm. 76) S. 97 (1366), S. 101 (1368), S. 111 (1376). 163

MARTIN, A u f d e m W e g ( w i e v o r i g e A n m . ) S . 3 5 0 N r . 2 8 ( 1 3 6 0 ) , S . 3 5 1 N r . 2 9 ( 1 3 6 1 ) , S. 3 5 3 N r . 3 0 ( 1 3 6 2 ) ; HERGEMÖLLER, „ s o l e m p n i s c u r i a " ( w i e A n m . 1 6 1 ) S . 4 5 9 - 4 6 1

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(1360), S. 461 (1361), S. 462 f. (1362); ANNAS, Hoftag (wie Anm. 76) S. 75 (1360), S. 81 (1361), S. 89(1362). Heinricus de Diessenhofen (wie Anm. 17) S. 116; dazu Peter MORAW, Zur Mittelpunktsfunktion Prags im Zeitalter Karls IV., in: Europa Slavica - Europa Orientalis. FS Herbert Ludat zum 70. Geburtstag, hg. von Klaus-Detlev GROTHUSEN / Klaus ZERNACK (Giessener Abh. zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 100, 1980) S. 445^189, hier S. 457 f. MORAW, Mittelpunktsfunktion (wie vorige Anm.) S. 463-466.

Es war an der Zeit |

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Karls IV., die ,Maiestas Carolina', Karls gescheitertes böhmisches Gesetzeswerk, oder auch das habsburgische Privilegium Maius'. 166 Karl IV. sah sich als Nachfolger der antiken Cäsaren. Zu deren Zeiten war Metz unter dem Namen Divodurum als Hauptstadt der keltischen Mediomatriker bereits ein bedeutender Ort. 167 Die traditionsreiche Vergangenheit wie die großartige Gegenwart der Moselstadt klingt auch bei Benes Krabice von Weitmühl an, wenn er Metz als civitas magna et famosa nimis vorstellt. 168 Im Gedicht eines italienischen

Zeitgenossen der Goldenen Bulle wird Metz in seiner Bedeutung für Lothringen mit Rom verglichen: Mes, ch'e di lä una Roma.169 Und auch über Bullen

(bullae)

wurden schon früh tiefschürfende Betrachtungen angestellt. Petronius, ein römischer Erzspötter, der unter Kaiser Nero als elegantiae arbiter die oberste Instanz in Fragen des feinen Geschmacks war, gab diesbezüglich zu bedenken: nos non pluris sumus quam bullae.™ Ganz so vergänglich war die bulla aurea Kaiser Karls IV. dann

doch nicht.

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Vgl. Michael LINDNER, Weitere Textzeugnisse zur Constitucio Karolina super liberiate ecclesiastica, DA 51 (1995) S. 515-538; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Maiestas Carolina. Der Kodifikationsentwurf Karls IV. für das Königreich Böhmen von 1355 (Veröff. des Collegium Carolinum 74, 1995) S. XLIX LIV; Günther HÖDL, Die Bestätigung und Erweiterung der österreichischen Freiheitsbriefe durch Kaiser Friedrich III., in: Fälschungen im Mittelalter 3 (wie Anm. 46) S. 225-246, jeweils mit weiterer Literatur. Caesar, Der Gallische Krieg. De bello gallico. Lat.-dt., hg. und übers, von Otto SCHÖN5 BERGER ( 2004) Kap. IV 10,3 S. 157, VII 75,3 S. 403. Chronicon Benessii (wie Anm. 18) S. 526. Fazio degli Uberti, Il Dittamondo e le Rime, hg. von Giuseppe CORSI, 2 Bde. (Scrittori d'Italia 206 f., 1952), hier 1 S. 295 (Dittamondo IV 14 V. 105). Petronius, Satyrica. Schelmenszenen. Lat.-dt., hg. von Konrad MÜLLER / Wilhelm EHLERS ( 5 2004) S. 76.

| Michael Lindner

EVA SCHLOTHEUBER

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV.

In düsterer Stimmung verfasste Karl IV. im Herbst 1360 einen Brief an den italienischen Humanisten Francesco Petrarca - epistola tua odio dictata, erinnert sich Petrarca später.1 Anlass zum Zorn waren die angeblich alten österreichischen Privilegien, die ihm sein Schwiegersohn, der Habsburger Rudolf IV., im Jahr zuvor zur Kenntnis gebracht hatte.2 Die hier verbrieften Vorrechte waren an sich schon merkwürdig genug, doch boten die inserierten ,antiken' Briefe Caesars und Neros besonderen Grund zur Skepsis. Zu diesen Stücken bat der Kaiser Francesco Petrarca, den seinerzeit besten Kenner der Antike, um ein Gutachten. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass Karl an der Echtheit der ihm vorgelegten Privilegien grundsätzlich nicht zweifelte. 3 Doch ganz so ahnungslos war der Herrscher nicht. Er muss

2

Petrarca an Karl IV. (Mailand, 21. März 1361): Francesco Petrarca, Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises. Ausgewählte Briefe. Lat.-dt., hg., übers, und eingeleitet von Berthe WIDMER (2001) S. 508-519, hier S. 518; vgl. unten Anm. 43. Zu Karls personellen Bindungen nach Italien zuletzt Ivan HLAVACEK, Italiener am luxemburgischen Hof unter Karl IV. Nach dem Ausweis urkundlicher Zeugenreihen, in: Tirol - Österreich - Italien: FS Josef Riedmann zum 65. Geburtstag, hg. von Klaus BRANDSTÄTTER (Veröff. zur LK von Südtirol 330, 2005) S. 347-357. Eva SCHLOTHEUBER, Das Privilegium maius - eine habsburgische Fälschung im Ringen um Rang und Einfluss, in: Die Geburt Österreichs. 850 Jahre Privilegium minus, hg. von Peter SCHMID / Heinrich WANDERWITZ (Regensburger Kulturleben 4, 2007) S. 143-165; vgl. weiter Jürgen von UNGERN-STERNBERG, Cäsar und Nero in der Vorstellungswelt des 14. Jahrhunderts. Zu den Privilegien Herzog Rudolfs IV. von Österreich, JbffL 36 (1976)

S. 103-115.

3

Zuletzt Karl-Friedrich KRIEGER, Das Heilige Römische Reich und die Habsburger im Spätmittelalter, in: Schatz und Schicksal. Steirische Landesausstellung 1996, hg. von Otto FRAYDENEGG-MONZELLO (1996) S. 37^8, hier S. 40. Vgl. allgemein Alois NIEDERSTÄTTER, Die Herrschaft Österreich. Fürst und Land im Spätmittelalter 1278-1411 (Österreichische Geschichte 6, 2001); Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV. | 141

Petrarca gegenüber vielmehr den konkreten Verdacht auf Fälschung geäußert haben, wenn der Humanist Karl für das Vertrauen dankt, das ihn zum Mitwisser eines so großen Geheimnisses (tanti secreti conscium) werden ließ. Gern, so Petrarca, komme er der Bitte nach, die Betrügereien aufdecken zu helfen.4 Sein berühmtes Antwortschreiben eröffnet der Humanist mit einer Charakterisierung Karls als profunden Rechtsgelehrten: Die Tatsache, dass Karl die Verfugungen seiner Vorgänger nach Kaiserrecht (Digesten IV 8,4) auch dann nicht zu bestätigen brauche, wenn sie echt seien, habe der Erzhaiunke bei der Fälschung offenbar übersehen. „Doch diese Teilfrage", so Petrarca, „überlasse ich Deinen Juristen oder besser Dir selber, in dessen wohlverschlossener Brust (in scrinio pectoris) — wie ich schon als Kind in den Schulen des Zivilrechts gehört habe - alle Rechte wohl verwahrt sind."5 Petrarca verweist auf die Digesten I 4,1 (in scrinio pectoris

iura sunt omnia), u m auf das exklusive,

den beiden höchsten Gewalten - Kaiser und Papst - vorbehaltene Recht hinzuweisen, Privilegien und Konstitutionen der Vorgänger (auch ohne explizite Nennung) außer Kraft setzen zu können.6 Mit der in Humanistenkreisen üblichen Form des verdeckten Zitats gab er Karl zugleich in eleganter Weise zu verstehen, für wie tief vertraut mit Kaiserrecht er ihn hielt. Petrarcas freundliche Worte sind sicher als captatio benevolentiae der Brieferöffhung zu verstehen, damit sich der Kaiser durch die folgenden Ausfuhrungen nicht belehrt fühlen musste. Dennoch konnte er

Hauses Luxemburg 1310-1437, hg. von Jiri FAJT unter Mitwirkung von Markus HÖRSCH u n d A n d r e a LANGER m i t U n t e r s t ü t z u n g v o n Barbara DRAKE BOEHM ( 2 0 0 6 ) . 4

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Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 508: non hoc ultimum tue clementiepignus habens, quod me tanti secreti conscium atque participem voluisti quodque his fraudibus detegendis ydoneum censuisti. Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 510: Omitto autem, quodpar in parem non habet Imperium [Dig. IV 8,4] neque aliquid Iulius Cesar statuit aut Nero, cuius tu contrarium statuere tuo iure non valeas. ... Hanc tarnen litigiiparticulam iurisconsultis tuis linquo, seu potius tibi, cuius in scrinio pectoris, ut puer in scolis civilibus audiebam, iura sunt omnia. Dieses Zitat greift auch Papst Bonifaz VIII. im Zusammenhang mit dem Recht der Päpste auf, Konstitutionen außer Kraft setzen zu können, auf die nicht ausdrücklich verwiesen wird; Liber Sextus Decretalium D. Bonifacii papae VIII. suae integritati restitutus, in: Corpus iuris canonici 2, hg. von Emil FRIEDBERG (1879, ND 1959), hier Sp. 937 (Kap. I 2,1): Licet Romanus pontifex, qui iura omnia in scrinio pectoris sui censetur habere, constitutionem condendo posteriorem, priorem, quamvis de ipsa mentionem non faciat, revocare noscatur. Für den Hinweis danke ich Frau Prof. Claudia Märtl (München). Vgl. dazu Franz GILLMANN, Romanus pontifex iura omnia in scrinio pectoris sui censetur habere, AKKR 92 (1912) S. 3-17 und 106 (1926) S. 156-179.

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Karl IV. offenbar glaubwürdig als in besonderer Weise rechtskundig ansprechen.7 Es stellt sich die Frage, inwieweit die Zeitgenossen diese Charakterisierung Karls bestätigen und ob diese Fähigkeiten auch seine Herrschaftspraxis prägten? In unserem Zusammenhang sind ferner insbesondere das Selbstverständnis des Luxemburgers als Gesetzgeber sowie die Rolle interessant, die Karl der Rechtssetzung und der Verschriftlichung von Recht zuwies.

I

Die kaiserliche Richterrolle im Urteil der Zeitgenossen

Im Rahmen des Herrscherlobs wird die gesetzgebende und friedenswahrende Aufgabe Karls IV. vor allem an den großen Wendepunkten, zu Beginn und am Ende seiner Regentschaft betont. So rief die Konsistorialrede Papst Clemens VI. 1346 bei der päpstlichen Prüfung und , Approbation des Königskandidaten mit vorher bekanntem Ausgang' den weise richtenden Salomon als Maßstab für eine kluge und gerechte Regentschaft auf.8 Wie Salomon die parabolae veröffentlichte (edidit), um die Weisheit und die Regeltreue (disciplina) der Untertanen zu fordern, so rühmt der Papst den Sohn Johanns von Luxemburg für seine Klugheit und Unterscheidungskraft (discretio). Der Vergleich mit Salomon erschien dem Prager Erzbischof Johann von Jenzenstein auch noch im Rückblick auf mehr als 30 Jahre Regierungszeit als angemessen. Der einst zum Maßstab gewählte alttestamentarische Prototyp taugte in hofnahen Kreisen noch immer als Identifikationsmodell und hat, wie die ,Vita Caroli' zeigt, auch das Selbstbild des Herrschers beeinflusst.9 Der Prager Erzbischof 7

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Den feinen Unterschied zwischen Lob und adulatio thematisierte Petrarca in besonderer Weise und mied im Umgang mit den Mächtigen offenbar bewusst die Schmeichelei, die die eigene libertas bedrohe; Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 432. ,Collatio papae cum approbatione' vom 6. November 1346: MGH Const. 8 S. 142-163 Nr. 100, hier S. 146,25 f., 41-147,1: Ad litteram enim, sicut Salomon fitit prudentissimus, sie iste [d. h. Karl IV.] est valdeprudens et discretus. ... Unde ipse Salomon parabolas edidit adfaciendam sapientiam et diseiplinam, ad intelligenda verba prudentie et suscipiendam eruditionem doctrine, ... sie iste dicitur esse valde iustus et inpunitione malorum et in premiatione bonorum et distributione honorum. Dazu die treffende Analyse von Hans PATZE, ,Salomon sedebit super solium meum'. Die Konsistorialrede Papst Clemens' VI. anläßlich der Wahl Karls IV., BDLG 114 (1978) S. 1-37. Clemens VI. galt als ausgezeichneter Redner; vgl. dazu allgemein Marie BLÄHOVÄ, Karl IV. Zäkonodärce a zakladatel [Karl IV. Gesetzgeber und Stifter], in: Karel IV. Stätnicke dilo [Karl IV. Das staatsmännische Werk], hg. von Marie BLÄHOVÄ / Richard MASEK (2003) S. 9-51. Für die zahlreichen Hinweise danke ich Herrn Prof. Ivan Hlaväcek (Prag). Vita Caroli Quarti. Die Autobiographie Karls IV. Einf., Übers, und Komm, von Eugen HILLENBRAND ( 1 9 7 9 ) S. 2 7 u n d S. 7 7 . V g l . E v a SCHLOTHEUBER, D i e A u t o b i o g r a p h i e

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV. | 143

urteilte jetzt jedoch selbstbewusst, Karls Herrschaft sei noch weiser als die Salomons gewesen, denn „dieser kämpfte mit Weisheit, jener aber [d. h. Karl] befestigte den Frieden mit Weisheit ohne Krieg."10 Damit hatte der böhmische Primas einen Grundzug karolinischer Politik angesprochen, die auf die Vermeidung von Krieg und eine friedliche Konfliktlösung auf dem Verhandlungs- oder Gerichtsweg zielte. Was der Erzbischof hier entschieden als Fortschritt würdigte, rief freilich bei vielen Zeitgenossen Unverständnis oder Kritik hervor. Auch Petrarca wusste aus eigener Erfahrung um Karls geringe Neigung, Krieg zu fuhren. Als alle seine Überredungskünste, den Kaiser zum bewaffneten Eingreifen in Italien zu bewegen, auf taube Ohren stießen, urteilte er resignierend: Dem Kaiser fehle ganz einfach der Wille zum Kampf.11 Doch nicht nur das Herrscherlob im engeren Sinne, das der Ausübung der Gerechtigkeit von jeher einen festen Platz einräumte, thematisierte Karls besondere Urteilsfähigkeit. Auch der italienische Chronist Matteo Villani (f 1363), der aus eigener Anschauung Aussehen und Habitus des Kaisers in eindrücklicher Weise beschrieb, hob diesen Zug als charakteristisch hervor. Bei den Audienzen mit den italienischen Großen, so Villani, bedurfte der Herrscher keineswegs der Hilfe seiner Ratgeber. Er urteilte vielmehr rasch und selbständig - „die Entschlüsse waren mehr die seinen als die seines Rates, weil sein Urteil, gefunden mit Sorgfalt und Mäßigung, den Rat der

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Karls IV. und die mittelalterlichen Vorstellungen vom Menschen am Scheideweg, HZ 281 (2005) S. 561-591; zur Überlieferung zuletzt Anke PARAVICINI-EBEL, Die Vita Karls IV., ein ,Ego-Dokument'?, DA 63 (2007) S. 101-110. Sermones post mortem Karoli IV. imperatoris per Johannem, archiepiscopum Pragensem, ... facti (Ree areibiskupa Prazského Jana Ocka z Vlasimi), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; ND 2004) S. 4 2 3 ^ 3 2 , hier S. 427A,37-39: Ille [d. h. Salomon] sapiencia bellabat, iste [d. h. Karl] sapiencia sine bellis pacem firmabat. Brief Petrarcas an Karl IV. von 1355; Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 460-463, hier S. 460 und S. 462: Ergo tu, Cesar, quod avus tuus innumerique alii tanto sanguine quesierunt tantisque laboribus, sine labore adeptus et sanguine, complanatam apertamque Italiam ... Quamvis ego tibi nec imperandi scientiam deesse crediderim nec bellandi, fons actionum omnium voluntas deest. Die militärischen Aufgaben des Kaisers betont auch der Humanist Niccolò de Beccari als unmissverständliche (aber vergebliche) Aufforderung gegenüber Karl; vgl. Karel HRDINA, Niccolò Beccari, Ital na dvore Karla IV. [Niccolò Beccari, ein Italiener am Hof Karls IV.], in: K déjinám ceskoslovenskym v období humanismu. Sborník prací vénovanych Janu Bedrichu Novákovi k sedesátym narozeninám [Zur tschechoslowakischen Geschichte zur Zeit des Humanismus. Gesammelte Arbeiten gewidmet Jan Bedrich Novák zum 60. Geburtstag], hg. von Bedrich JENSOVSKY / B e d r i c h MENDL ( 1 9 3 2 ) S. 1 5 9 - 1 7 7 . R o b e r t FOLZ, D e r B r i e f d e s i t a l i e n i s c h e n

Humanisten Niccolò dei Beccari an Karl IV. Ein Beitrag zur Kaiseridee im 14. Jahrhund e r t , H J b 8 2 ( 1 9 6 3 ) S. 1 4 8 - 1 6 2 , h i e r S. 1 6 1 .

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anderen überragte."

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Vermutlich hielt sich Karl nicht an die herrscherliche Kon13 vention, bei offiziellen Anlässen selbst nicht oder nur wenig zu reden. Das für italienische Beobachter ungewöhnlich souveräne kaiserliche Auftreten hing sicherlich mit Karls Beherrschung der Landessprache zusammen, aber den Chronisten beeindruckte offenbar auch sein unabhängiges Urteil in machtpolitischen und rechtlichen Fragen. So betont Villani an anderer Stelle (angesichts der Verschwörungen sichtlich übertreibend) die ausgleichenden und integrativen Fähigkeiten des Luxemburgers: Niemand in Italien stehe Karl misstrauisch gegenüber, man schätze ihn vielmehr als einen klug agierenden Mann, der bescheiden auftrete und nicht einseitig dem Rat der Ghibelinen folge, wie es seine Vorgänger taten. „Eine wunderbare Sache, die man lange nicht mehr erlebt hat."14 Villani registrierte freilich auch Karls Gering-

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Matteo Villani, Cronica. Con la continuazione di Filippo Villani, hg. von Giuseppe PORTA, 2 Bde. (Bibl. di scrittori italiani, 1995), hier 1 S. 581 (Kap. IV 74): Il suo Consiglio ristrìgnea con pochi suoi baroni e del suo patriarca, ma Ila diliberazione era più sua che del suo Consiglio: però che 7 suo senno con sottile e temperata industria valicava il consiglio degli altri. Vgl. allgemein Hubert HERKOMMER, Kritik und Panegyrik. Zum literarischen Bild Karls IV. (1346-1378), RhVjbll 44 (1980) S. 68-116, hier S. 73. Am englischen Hof war es beispielsweise üblich, dass der König nicht selbst mit den Gesandten verhandelte, sondern andere für sich reden ließ. Eine Reihe instruktiver Beispiele zu den ,Redeanteilen des Herrschers' ist zusammengestellt bei Christine REINLE, Herrschaft durch Performanz? Zum Einsatz und zur Beurteilung performativer Akte im Verhältnis zwischen Fürsten und Untertanen im Spätmittelalter, HJb 126 (2006) S. 25-64, hier S. 55-58. Auch die Fürstenspiegel rieten zu solcher Zurückhaltung, um die herrscherliche Autorität zu wahren. Doch konnte das Schweigen des Herrschers bei offiziellen Anlässen, wie bei Friedrich III., auch als Schwäche ausgelegt werden. Matteo Villani (wie Anm. 12) 1 S. 610 (Kap. V 2): E niuno contrario o sospetto a llui si trovò in Italia, per la umile venuta e savia pratica che tenne, di non essere partefice e di non seguire il consiglio de ' Ghibelini come i suoi anticessori, cosa maravigliosa e non udita addietro per molti tempi. Zu Karls Auftreten in Italien zuletzt Martin B A U C H , Öffentliche Frömmigkeit und Demut des Herrschers als Form politischer Kommunikation. Karl IV. und seine Italienaufenthalte als Beispiel, QFIAB 87 (2007) S. 109-138. Dem Verfasser danke ich für die Überlassung des Manuskripts. Petrarca bestätigt Matteo Villanis Einschätzung, indem er 1356 in einem Brief an Erzbischof Ernst von Prag Karl IV. vor allem als humanus charakterisiert, womit er vermutlich die persönliche Umgänglichkeit des Herrschers meinte; Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 474-477, hier S. 476: Ego vero nichil barbarum minus, nichil humanuni magis profiteor me vidisse quam Cesarem.

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV. | 145

Schätzung seiner ritterlichen Mannen: Die, die ihm in Waffen dienten, entlohne der Herrscher schlecht!15 Zahlreiche andere Chronisten nördlich der Alpen bestätigen die skizzierten Grundzüge. In der Limburger Chronik hebt Tilemann Elhen von Wolfhagen besonders die Gelehrsamkeit des Luxemburgers hervor: Derselbe Carolus was wise unde wol geleret, also daz he der meister zu Präge disputacien suchte unde konnte sich wol darinne richten}6 Und Jakob Twinger von Königshofen bemerkte scharfsichtig, dass Karl mit friedlichen Mitteln leicht erreichte, was seine Vorfahren hatten hart erkämpfen müssen: Er [d. h. Karl] was gar fridesam: was er mit gute möhte zubringen, do erlies er sich krieges. Darumb ging im lihtekliche zuhanden gros lant und lüte, das sine 17

vordem hertekliche ervehten müstent. Karls umfassende Richterrolle thematisiert in 18besonderer Weise Heinrichs von Mügelns lop für den Kaiser, ,Der Meide Kranz'. Karl wird hier zum Gerichtsherr im Rangstreit der Künste um den Ehrenvorrang. Um das rechte Urteil zu finden, wendet sich der Kaiser in dieser schwierigen Angelegenheit an seinen rat. ab ich der eren wirdig si. / darumb mir19rat, ir fürsten, fri. / ab ich das urteil fände nicht, /so würd geswechet min gericht. Doch die Fürsten wollen keinen Rat erteilen: Die Urteilsfindung gebühre allein der höheren 20

Einsicht des Herrschers. Unmissverständlich formuliert Heinrich von Mügeln hier ein Ideal herrscherlicher Urteilsfähigkeit, dem Karl in seiner literarischen Reflexion 15

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Bei Matteo Villani (wie Anm. 12) 1 S. 581 (Kap. IV 74) heißt es im Zusammenhang mit Karls Hang, sorgsam auf die königlichen Einnahmen zu achten: e non proveda bene chi llo serviva in arme. Die Limburger Chronik des Tilemann Elhen von Wolfhagen, hg. von Arthur WYSS (MGH DC 4/1, 1883) S. 30. Chronik des Jacob Twinger von Königshofen 1400 (1415), in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg 1, hg. von Carl HEGEL (Die Chroniken der deutschen Städte 8, 1870; ND 1961) S. 153^198, hier S. 491 f. Heinrich von Mügeln, Der Meide Kranz, in: Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln 2. Mit Beitr. von Michael STOLZ hg. von Karl STACKMANN (DTM 84, 2003) 2 S. 47-203. Zum Dichter vgl. Karl STACKMANN, Heinrich von Mügeln, in: Verf.-Lex. 3 (1981) Sp. 815-827. Heinrich von Mügeln, Der Meide Kranz (wie vorige Anm.) V. 735-738. Heinrich von Mügeln, Der Meide Kranz (wie Anm. 18) V. 757-759, 765-767: Du geben salt, nicht nemen rat. /sint dich got undNature hat /gebut der werlde höchstes ding /... / künig ane sin gelichet ist / dem blinden, den eins hundes list / muß leiten. Michael STOLZ, Heinrichs von Mügeln Fürstenpreis auf Karl IV. Panegyrik, Herrschaftslegitimation, Sprachbewußtsein, Wolfram-Studien 13 (1994) S. 106-114, sieht den Fürstenpreis in einem direkten Zusammenhang mit der Promulgation von Karls böhmischer Gesetzessammlung, der ,Maiestas Carolina'. Dazu Christoph HUBER, Karl IV. im Instanzensystem von Heinrichs von Mügeln ,Der Meide Kranz', PBB 103 (1981) S. 63-91.

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offenbar nachkommen wollte und konnte. Einen „Liebhaber von Recht und Frieden" (iusticie et pacis amator) nennt ihn der Prager Hofchronist Benes von Weitmühl und berichtet, dass der Kaiser oft in eigener Person dem böhmischen Königsgericht vor21 *• saß. Uber die Klagen des Volkes war er deshalb gut unterrichtet, und auch die Hof22

gerichtsbescheide unterzeichnete Karl zunehmend eigenhändig. Das kaiserliche Vorgehen in diffizilen Rechtsfragen können wir gut anhand der vielschichtigen Auseinandersetzungen mit dem Habsburger Rudolf IV. um die österreichischen Privilegien verfolgen. Die im Winter 1358/59 vielleicht in der Kanzlei des Habsburgers entstandene Fälschung sollte die Stellung der österreichischen Herzöge stärken, die erst wenige Jahre zuvor durch 23 die Goldene Bulle aus dem Kreis der Kurfürsten ausgeschlossen worden waren. Rudolf IV., der keinesfalls bereit war, diesen Ausschluss aus der Spitzengruppe der Reichsfursten hinzunehmen, trug seinen Machtkampf mit dem Luxemburger auf jede erdenkliche Weise aus. Und auch für den Kaiser stand in diesem Ringen mit dem Schwiegersohn viel auf dem Spiel - nun musste sich entscheiden, ob er die in Nürnberg und Metz gesetzte Ordnung gegen die konkurrierenden Ansprüche des Habsburgers durchsetzen konnte.

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Chronicon Benessii de Weitmil (Kronika Benese z Weitmile), hg. von Josef EMLER (FRB 4, 1884; ND 2004) S. 457-548, hier S. 525A,41 ff.: Eodem tempore dominus Karolus imperator, iusticie et pacis amator, quia frequencius presidebat proprio in persona iudiciis, concitatus clamore pauperum furorem indignacionis sue exacuit contra fures et latrones et precipue contra eos, qui huiusmodi malos homines servabant et promovebant. Benes fahrt ebd. S. 525B,10-13 fort: Et facta est talis pax in regno Boemie et in omnibus terris adiacentibus, qualem nulla etas meminit, nec in cronicis fuisse reperitur. Friedrich BATTENBERG, Die Hofgerichtsbriefe Karls IV. von Luxemburg. Vorstudien zu einer kanzlei- und personengeschichtlichen Beurteilung, ADipl 40 (1994) S. 123-169, hier 5. 131; vgl. DERS., Die königlichen Hofrichter vom 13. bis 15. Jahrhundert, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter MORAW (VuF 48, 2002) S. 239-290, hier S. 248; Bernhard DIESTELKAMP, Das Königliche Hofgericht unter Karl IV., Wenzel und Ruprecht und die Verne, in: Rechtsgeschichte und Interdisziplinarität. FS Clausdieter Schott zum 65. Geburtstag, hg. von Marcel SENN / Claudio SOLIVA ( 2 0 0 1 ) S. 3 - 1 4 .

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Alexander SAUTER, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (Mittelalter-Forschungen 12, 2003) S. 157-164; SCHLOTHEUBER, Privilegium (wie Anm. 2) S. 106 f. Vgl. zur Stellung der Kurfürsten in der Goldenen Bulle zuletzt Armin WOLF, Die goldene Bulle und die Kurfürsten, in: Wahl und Krönung, hg. von Gerd HEIDENREICH / F r a n k - L o t h a r KROLL ( 2 0 0 6 ) S. 5 7 - 7 7 .

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV. | 147

II

Der Kampf um die gefälschten österreichischen Privilegien

Der Streit zwischen dem Kaiser und seinem Schwiegersohn eskalierte im Laufe des Jahres 1360, als sich Rudolf mit den luxemburgischen Gegnern verbündete.24 Eine öffentliche Klärung der fraglichen Anerkennung der österreichischen Privilegien wurde unumgänglich, denn der Kaiser hatte bei der Belehnung des jungen Herzogs im Mai desselben Jahres ihre Bestätigung vermieden.25 Im Dezember 1360 kam es auf dem Hofitag zu Nürnberg zu den entscheidenden Verhandlungen, ob oder vielmehr in welcher Form die angeblich alten österreichischen Privilegien anzuerkennen seien. In der Zwischenzeit blieb der Habsburger aber nicht untätig und versuchte auf anderem Wege, seiner Fälschung Geltung zu verschaffen. Im Juli 1360 ließ er den gesamten Urkundenkomplex von dem päpstlichen Legaten Bischof Aegidius von Vicenza (f 1363) und einer Reihe seiner Vertrauten vidimieren.26 Damit hatten die österreichischen Privilegien und unter ihnen das Privilegium maius' päpstliche Bestätigung erlangt.27 Dieses Vidimus legte Rudolf nun dem Kaiser und seinem Rat in Nürnberg vor. In einer zunehmend kritischen Situation reagierte der Luxemburger mit einer für eine Privilegienbestätigung recht ungewöhnlichen Maßnahme. Karl entschied sich, die ,alten' habsburgischen Rechte einzeln zu überprüfen. Das Protokoll dieser Privilegienprüfung, oder zutreffender den kaiserlichen Rechtsentscheid, hat Samuel Steinherz bereits 1888 veröffentlicht.28 Das Rechtsgutachten lässt Karls Vorgehensweise in diesem weitreichenden und vielschichtigen Konflikt gut erkennen. Die dem Kaiser vorgelegten Urkunden wurden ihrem angeblichen Alter folgend abgehandelt, wobei man in der linken Spalte zunächst den Rechtsinhalt der einzelnen Verfügungen zusammenfasste. Dann wurde korrespondierend dazu in der

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Am 2. August 1359 schloss Rudolf in Pressburg einen Vertrag mit König Ludwig von Ungarn gegen Karl IV., und 1360 tat er sich mit den württembergischen Brüdern Ulrich und Eberhard zusammen; Samuel STEINHERZ, Die Beziehungen Ludwigs I. von Ungarn zu Karl IV., MIÖG 8 (1887) S. 219-257 und 9 (1888) S. 529-637, hier S. 533 f. SCHLOTHEUBER, Privilegium (wie Anm. 2) S. 147-149. Josef CHMEL, Vidimus der österreichischen Freiheitsbriefe, vom 11. Juni 1360, Notizenblatt. Beilage für Kunde österreichischer Geschichtsquellen (1858) S. 99-109, hier S. 99; zu diesen Vorgängen SCHLOTHEUBER, Privilegium (wie Anm. 2) S. 149 f. Zu dem im 12. und 13. Jahrhundert entwickelten Verfahren der Echtheitsprüfung und Anerkennung von Urkunden vgl. Jörg W. BUSCH, Certi et veri cupidus. Geschichtliche Zweifelsfälle und ihre Behandlung um 1100, um 1300 und um 1475. Drei Fallstudien (MMS 80, 2001) S. 101-125. Samuel STEINHERZ, Karl IV. und die österreichischen Freiheitsbriefe, MIÖG 9 (1888) S. 63-81. Ein ausfuhrliches Regest in URH 8 S. 83-86 Nr. 104.

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rechten Spalte der kaiserliche Rechtsentscheid eingetragen. 29 Fraglosen Sachverhalten, wie der Erhebung Österreichs zum Herzogtum, stimmte Karl ohne Einschränkung zu: Istud admisit dominus Imperator simpliciter. Anderes dagegen verwarf er bedingungslos: so das von Rudolf geforderte neuartige Belehnungszeremoniell und den Belehnungsort Österreich. Rundweg abgelehnt hat der Kaiser auch den bis zur knappen Unkenntlichkeit verminderten Reichsdienst sowie die Forderungen, dass das Reich in Österreich keine Lehen besitzen dürfe und es dem Herzog frei stehe, sich bei Anklagen vor dem kaiserlichen Gericht zu verantworten oder nicht. Viele der hier aufgeführten habsburgischen Ansinnen beurteilte der Kaiser jedoch differenziert und akzeptierte sie in eingeschränkter Form. In diesen Fällen änderte Karl den Wortlaut selbstständig ab: Dominus Imperator hac forma modificat, leitet er seinen Rechtskommentar zu der ausschließlichen Rechtsgewalt der Habsburger in ihrem Herzogtum ein (,Privilegium maius' § 5): Die Rechte des Reichs und aller übrigen Lehnsinhaber dürften jedenfalls nicht beeinträchtigt werden. 30 Zu dem habsburgischen Anspruch, dass das Reich dem Herzog gegen alles Unrecht beistehen müsse (,Privilegium maius' § 12), lautet der kaiserliche Kommentar: „So klänge es besser (Sic melius sonaret): Der Kaiser geruht, den österreichischen Herzögen gegen Rechtsverletzungen in einer der kaiserlichen Ehre geziemenden Weise zur Erlangung des Rechts behilflich zu sein." 31 Durchaus berechnend im Sinne seiner politischen Absichten fällt Karls Bemerkung zu Primogenitur und Unteilbarkeit des Herzogtums (,Privilegium maius' § 10) aus: „Die herzoglichen Brüder", so gibt der Kaiser zu Protokoll, „mögen zusehen, ob sie unter einer solchen Gefahr der Enterbung leben wollten (Videant fratres duces si velint sub tali exhereditacionis sue periculo remanere), und auch die Bewohner des Landes (terrigene) sollten prüfen, ob ein solcher Artikel im Interesse ihres Landes liegen könne." 32 Damit benannte der Kaiser nicht nur den Schwachpunkt der herzoglichen Erbverfügung, sondern forderte gleichzeitig unmissverständlich Rudolfs Brüder und die Stände des Landes zum Widerstand auf. Abgelehnt hatte er diese zentrale Forderung, die deutlich auf die Privilegien der Kurfürsten in der Goldenen Bulle verweist, damit aber nicht. Vielmehr verteilte er möglichen Widerstand auf die Schultern, die seiner Meinung nach dafür zuständig waren. Auch bei anderen Artikeln verfuhr der Kaiser in dieser Weise: Bei dem Paragrafen, dass bei Widerstand gegen den Landesherrn oder Schädigung seines Besitzes die betreffende Person mit Leben und Besitz ohne Gnade dem Herzog ver-

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Unikale Überlieferung im Registerband II (1359-1362) Ruprechts d. Ä. von der Pfalz: GLA Karlsruhe, „67/805, fol. 77r-79r". Ebd.fol.77r. Ebd. Ebd.; dazu KRIEGER, Reich (wie Anm. 3) S. 40.

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV. |

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falle, forderte der Kaiser eine ordentliche Gerichtsverhandlung und beurteilte den zwangsläufigen Huldentzug als unchristlich (impius). Doch bedeutete der kaiserliche Kommentar auch in diesem Fall keine kategorische Ablehnung, obwohl Karl nicht daran gelegen sein konnte, dass der Herzog sich seiner Gegner auf diese Weise kurzerhand entledigte. Karl und sein Rat verfuhren offenbar rechtlich versiert und klug differenzierend nach dem Prinzip der Zuständigkeit: Bei Angelegenheiten, die ausschließlich oder überwiegend die Herrschaft über Österreich betrafen, beschränkte sich der Kaiser auf einen Kommentar und versagte seine Zustimmung nur, wenn das Verhältnis zum Reich betroffen war. So hat er jegliche Änderung der in der Goldenen Bulle verfugten Sitzordnung der Fürsten auf Hof- und Reichsversammlungen entschieden abgelehnt. Da diese Ordnung zugleich die politische Stellung der Habsburger im Beziehungsgefuge des Reichs zum Ausdruck brachte und im öffentlichen Raum symbolisch manifestierte, maßen alle Beteiligten ihr große Bedeutung bei. Wünschte der Habsburger auf Hoftagen zur Rechten des Herrschers direkt hinter den Kurfürsten (post electores principes) zu sitzen (,Privilegium maius' § 15), so beschied Karl, der Ehrenvorrang gebühre den Geistlichen und den hohen Würdenträgern. Nur die Gruppe der Kurfürsten war davon ausgenommen und blieb dem Kaiser als Berater und Repräsentanten des Reichs unmittelbar zugeordnet. In der Frage der Sitzordnung wich der Luxemburger keinen Zoll zurück. Das in Nürnberg und Metz ausgehandelte Machtgleichgewicht der Fürsten sollte nicht angetastet werden. Im Gegenzug zeigte sich Karl bei Vorrechten, die die habsburgische Territorialherrschaft betrafen, kompromissbereit und suchte lediglich eine Beeinträchtigung der Reichsrechte sowie der kaiserlichen Ehre zu verhindern. Die hier ausgehandelte politische Linie erwies sich als tragfähig, und im Anschluss an die Prüfung, am 17. Dezember 1360, wurden die österreichischen Privilegien noch in Nürnberg vom Kaiser bestätigt. 33 Als Rechtsgrundlage für die kaiserliche Privilegienprüfung hat die Forschung auf den berühmten Satz Digesten IV 8,4 aus der justinianischen Gesetzessammlung verwiesen, dass der Kaiser nicht an die Rechtsetzung seiner Vorgänger gebunden sei. Darauf verwies auch Petrarca in seinem Gutachten als mögliche kaiserliche Reaktion auf die ihm vorgelegte Fälschung. 34 Doch bedurfte es für die herrscherliche

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RI 8 Nr. 3491: Der Kaiser „bestätigt dem herzöge Rudolf von Oesterreich und seinen brüdern alle rechte, freiheiten und guten gewohnheiten, die sie und ihre vordem in ihren gebieten und Städten bis auf seine wähl gehabt, und ausserdem die Juden, die unter ihrer gewalt sitzen oder sitzen werden"; vgl. Alphons LHOTSKY, Privilegium maius. Die Geschichte einer Urkunde (1957) S. 30. Vgl. oben Anm. 5. Alphons LHOTSKY, Epilegomena zu den österreichischen Freiheitsbriefen, in: DERS., Aufsätze und Vorträge 1: Europäisches Mittelalter. Das Land Österreich,

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Urkundenprüiung in Nürnberg im Grunde genommen nicht des Rückgriffs auf das Kaiserrecht. Denn Karl hat offenbar die in den österreichischen Privilegien untergebrachten Forderungen als das behandelt, was sie waren - als eine groß angelegte Verfälschung, deren als gültig zu beurteilende Rechtsbestandteile im Einzelnen zu prüfen waren. Als Vorbild für die kaiserliche Rechtsprüfung könnte vielmehr die zeitgenössische päpstliche Supplikenpraxis gedient haben. Bei der Behandlung der Suppliken überprüfte die päpstliche Kanzlei die Petitionen ebenfalls in ihren Einzelpunkten, und insbesondere Urban V. (1362-1370) fugte - nicht selten eigenhändig - zustimmende, ablehnende oder modifizierende Kommentare hinzu.35 Karl IV. hat selbst zahlreiche Suppliken an die Kurie gerichtet und war über die päpstliche Vorgehensweise somit gut informiert.36 Dem Bereich der kirchlichen Rechtsprechung und der kurialen Verwaltungspraxis entlehnte der Kaiser somit möglicherweise professionelle Wege und Methoden, um die Durchsetzung kaiserlicher Positionen ohne Gewaltanwendung zu ermöglichen. Und dieser Weg erwies sich im sensiblen Geflecht konkurrierender fürstlicher Machtansprüche als durchaus vielversprechend. Wenngleich der kaiserliche Anteil und der seines Rates nicht mehr voneinander zu trennen sind, wird man den Luxemburger wohl als spiritus rector der ungewöhnlichen Privilegienprüfung bezeichnen können. Seine Behandlung der habsburgischen Fälschung bestätigt das Urteil der Zeitgenossen, dass Karl in Rechtsfragen eine er-

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hg. von Hans W A G N E R / Heinrich KOLLER (1970) S . 265-282, hier S . 270, verweist darauf, dass diese Sentenz weit verbreitet war und auch in einer Dekretale Innozenz' III. (Liber Extra XX 10,1,6) zitiert wird. Anne-Marie HAYEZ, La personnalité d'Urbain V d'après ses réponses aux suppliques, in: Aux origines de l'état moderne. Le fonctionnement administratif de la papauté d'Avignon (Collection de l'École française de Rome 138, 1990) S. 7-31. Auch die päpstlichen Bemerkungen sind nicht selten überraschend kritisch; so stimmt ebd. S. 15 Urban V. einer Petition mit den Worten zu: Fiat sed cave ne immediate post magisterium petas episcopatum. Zur Quellenlage vgl. Ludwig VONES, Urban V. (1362-1370). Kirchenreform zwischen Kardinalkollegium, Kurie und Klientel (Päpste und Papsttum 28, 1998) S. 31 mit Anm. 96. Für die Hinweise danke ich Claudia Märtl (München) und Brigitte Hotz (Marburg). Vgl. beispielsweise MVB 1 S. 337 f. Nr. 557 (Sammelsupplik Karls IV. für seine familiares vom 5. November 1345); auch RI 8 Nr. 7045 (Nürnberg, 1361 Februar 13): Karl bittet Innozenz VI. für seinen Leibarzt, Magister Reimbotus, um Provision mit der Kirche zu Oberehnheim (D: Paul Fridolin KEHR, Bemerkungen zu den päpstlichen Supplikenregistern des 14. Jahrhunderts, MIÖG 8 (1887) S. 84-102, hier S. 93 f. mit weiteren Beispielen); vgl. Wolfgang HÖLSCHER, Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument. Personelle und funktionale Aspekte der Bistumspolitik Karls IV. (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 1, 1985) S. 43^47 sowie Anhang C S. 215 f. (päpstliche Provisionen zugunsten Karls IV.).

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staunliche gedankliche Präzision an den Tag legte und von einem klar definierten Standpunkt aus zu urteilen imstande war. Der Kaiser verstand sehr wohl, dass sein Schwiegersohn ihn bewusst zu täuschen und die habsburgische Position im Reich mit gefälschten Urkunden zu verbessern suchte. Diese Erkenntnis vertraute er offenbar auch Petrarca an, denn der italienische Humanist konnte es wagen, den Habsburger unverblümt als Lügner und Fälscher zu bezeichnen und als einen unfähigen zudem - als einen Rebellen, der mehr erstrebte, als seine Möglichkeiten zuließen. 37 Karl sah in Rudolfs vielfaltigen Aktivitäten und Kriegsbündnissen durchaus einen Angriff auf seine kaiserliche Ehre und hatte deshalb offenbar zunächst einen Akt der Rache erwogen. 38 Letztlich entschloss er sich jedoch, den Konflikt auf der diplomatisch-rechtlichen Ebene zu lösen, obwohl der Herzog immer wieder auf ein persönliches Kräftemessen drängte. Diese Linie hat er dann in den nächsten Jahren konsequent verfolgt. Dabei war dem Herrscher bewusst, dass der Habsburger die Degradierung keinesfalls hinnehmen konnte, ohne die Stellung der Familie langfristig zu beschädigen. 39 Doch was sich den Zeitgenossen als persönlicher Macht- und Konkurrenzkampf darbot, lag eher in der offenen, durch Partikularrechte vielfach

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Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 518: Tibi vero ridendum, Cesar, et gaudendum est, quod rebelies tui plura cupiant, quam possint, atque imperium tuum detractare seque mendacio in libertatem asserere velint potius quam sciant. Petrarca beendet sein Gutachten mit dem vielsagenden Satz: Tu vale, Cesar, nostri memor et imperii, et sie vive, ut mentiri tibi tui nolint, hostes metuant. Karl IV. schrieb am 8. September 1360 an König Ludwig von Ungarn, angesichts des ihm angetanen großen Unrechts sei er hin- und hergerissen gewesen zwischen der ersehnten Milde des gütigen Vaters und der furchterregenden Gerechtigkeit des strengen Richters; Sächsisches HStA Dresden „Copial 1314b, fol. 83v" (Eintrag im Registerfragment der Kanzlei Karls IV; R: RI 8 Nr. 3295): puta quod nosmet ipsos in tantis nobis illatis iniuriis et in tarn dubia ac dissidenti sentencia sie inter clementis patris pietatem optandam et severi iudicis tremendam iusticiam dispensacionis pie et iusti rigoris auspieiis tarn modieo deliberacionis spacio partiremur. Für einen Vorabdruck der Edition danke ich Dr. Michael Lindner. Vgl. SCHLOTHEUBER, Privilegium (wie Anm. 2) S. 163 f. Aufschlussreiche Parallelen beschreibt Barbara STOLLBERG-RILINGER, Rang vor Gericht. Zur Verrechtlichung sozialer Rangkonflikte in der frühen Neuzeit, ZHF 28 (2001) S. 385— 418, insbes. S. 417 f. Sie betont den performativen Charakter derartiger öffentlichen Akte und die Notwendigkeit der Beteiligten, ihren Platz zu behaupten. Wurde ,ihr Platz' infrage gestellt, mussten sie ihn nicht nur mit Rücksicht auf ihre persönliche Stellung verteidigen, sondern auch mit Blick auf ihre Nachfahren, denn ein Nachgeben hätte ihre Stellung als Präzedenzfall insgesamt gemindert. Vgl. weiter DIES., Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hg. von Johannes KUNISCH (ZHF Beih. 19, 1997) S. 91-132, insbes. S. 99.

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widersprüchlichen Verfassung des Reichs begründet. Die Goldene Bulle hatte jetzt das fürstliche Machtgleichgewicht in neuer Weise festgeschrieben, ohne dass die Habsburger an diesem Prozess beteiligt gewesen waren. Karl muss die kommenden Auseinandersetzungen mit den österreichischen Herzögen geradezu erwartet haben. Indem er den Konflikt jedoch auf der Basis der zuvor ausgeloteten Rechtspositionen auszutragen suchte, objektivierte er gleichsam den habsburgisch-luxemburgischen Konkurrenzkampf. Dadurch verschob er seine eigene Rolle in bedeutsamer Weise — nicht der fürstliche Konkurrent, sondern der übergeordnete Richter trat dem Habsburger entgegen, so wie es Karls imperialem Herrschaftsverständnis entsprach. Das beweist nicht nur eindrucksvoll Karls Fähigkeit, seine Herrschaftskonzeption in dem von konkurrierenden Ansprüchen geprägten adeligen Beziehungsgefüge erfolgreich durchzusetzen, sondern auch seine Fähigkeit zur Abstraktion und seinen im Rechtsdenken geschulten Blick. Karl wählte selten die kriegerische Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, vermutlich ebenso aus Überzeugung als auch, weil er sich nicht sicher war, auf diesem Feld die Oberhand zu behalten. Draufgängerisches Heldentum lag dem Kaiser insgesamt fern. Die von Turnieren, Fehden und höfischen Festen geprägte Welt des Ritteradels, von dessen Idealen Leben und Herrschaft seines Vaters Johann durchdrungen waren, blieb ihm eher fremd, vielleicht suspekt.40 Vielfach klingt Karls tiefes Misstrauen gegenüber den Adeligen durch, die sich ihr Recht oder das, was sie dafür hielten, mit Gewalt nahmen und sich eigene, praktisch autonome Machtbereiche schufen. Die Folgen dieser Politik für die böhmische Königsherrschaft umreißt er eindrucksvoll im Proömium seiner letztlich gescheiterten Gesetzessammlung, der ,Maiestas Carolina': Raub und Fehden ließen die Bevölkerung verarmen, unsichere Wege brächten den Handel zum Erliegen, und die Selbsthilfe der Barone verurteile die Königsgerichte zur Machtlosigkeit.41 40

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SCHLOTHEUBER, Autobiographie (wie Anm. 9) S. 561-591. Heinz THOMAS, Vater und Sohn. König Johann und Karl IV., in: Johann der Blinde, Graf von Luxemburg, König von Böhmen, 1296-1346, hg. von Michel PAULY (Publications de la Section historique de l'Institut G.-D. de Luxembourg 115. Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d'Études médiévales 14, 1997) S. 445^182. Bezeichnend fiir die unterschiedliche herrscherliche Identität von Vater und Sohn ist, dass Guillaume de Mauchaut in seinem Preislied auf Johann von Böhmen ,Le Jugement dou Roy de Behaigne' diesem die Richterrolle in einem Minnestreit zuweist, die in Johanns Vorbildlichkeit in seiner praktischen theoretischen Kompetenz in Liebesangelegenheiten gipfelt; HUBER, Karl IV. (wie Anm. 20) S. 65. Dagegen erscheint Heinrich von Mügelns ,Der Meide kränz' wie ein Gegenentwurf. Maiestas Carolina. Der Kodifikationsentwurf Karls IV. für das Königreich Böhmen von 1355. Auf der Grundlage der lateinischen Handschriften hg., eingeleitet und ins Deutsche

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Doch musste es aus Sicht der böhmischen Adeligen, vor allem nach den Jahren König Johanns, nicht ebenso befremdlich sein, wenn man im König kein ritterliches Vorbild fand und der Herrscher seine Autorität nur äußerst selten mit der Waffe zur Geltung brachte? Der adelige Waffendienst war dadurch weniger gefragt und wurde zudem offenbar schlecht belohnt, wie Villani anmerkt. Hat der Ritteradel vielleicht seinerseits Misstrauen gegenüber Karls Stärken entwickelt, die in einer geschickten, bisweilen fast hinterlistigen Verhandlungsfuhrung lagen?42 Nicht nur sein Kanzler Johann von Neumarkt bescheinigte dem Kaiser eine persönliche Überzeugungskraft der Rede,43 auch Petrarca äußert sich mehrfach bewundernd über Karls Argumentationskunst.44 Aber zu der Redegabe traten, wie ich meine, gute Rechtskenntnisse und vor allem ein in rechtlicher Hinsicht tief durchdachter Standpunkt, den Karl als legitimen Anspruch königlicher oder kaiserlicher Autorität formulierte. Den schriftlich formulierten Anspruch galt es dann vor allem auf dem Verhandlungswege durchzusetzen. An Karls Kirchengesetzgebung lässt sich diese Vorgehensweise deutlich ablesen. Aber eben in dem Kampf um Durchsetzung eines von der Rechtsordnung legitimierten Anspruchs, so Wolfgang Hölscher, lag die treibende Dynamik mittelalterlichen Verfassungslebens.45 Diese Vorgehensweise lässt sich in Karls Regierungszeit vielfach beobachten. So bestand Karls herrscherlicher Zugriff auf Böhmen in der Verschriftlichung des böhmischen Landrechts, des tschechischen ,Räd präva zemskeho' und des lateinischen

übertr. von Bernd-Ulrich Proömium S. 34—36.

(Veröff. des Collegium Carolinum 74,

1995)

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HERKOMMER, K r i t i k ( w i e A n m . 1 2 ) S . 6 9 .

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Briefe Johanns von Neumarkt, ges., hg. und eri. von Paul PlUR (Vom Mittelalter zur Reformation 8, 1937) S. 79 f. Nr. 48: Vivus est sermo tuus [Hebr 4,12], Cesar inviate. Etenim e beato quodam divinitatis fonte scaturiens ... aures dulcorat et lenit, voluntatem dirigit, inflammat affectum ... Weiter heißt es: Nam tui sermonis facundapariter et fecundaprogressio ... sic penetrai, ut... Dieses Urteil bestätigt Petrarca eindrucksvoll in seiner Charakterisierung des Kaisers in einem Brief an Lello di Pietro Stefano dei Tosetti aus dem Jahre 1355: Francesco Petrarca (wie Anm. 1) S. 426-441, hier S. 436. Am Ende ihres Wortgefechts über den fraglichen Vorzug der vita solitaria gegenüber der vita adiva heißt es über Karl, er habe niemanden gegen die einsame Lebensweise überzeugender argumentieren hören als den Herrscher: Ita longis iocosisque sermonibus protracta altercatio est, ut fatear ex omnibus, quos oppugnatores solitarie vite sum expertus, nullum audisse contra id vite genus efficacius disputantem. Diese Fähigkeit bescheinigt er dem Kaiser auch persönlich im Gutachten über die habsburgische Fälschung von 1361 (ebd. S. 518): Tua autem epistola, quam illorum odio dictatam ad me misisti, magnum te michi approbat oratorem.

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HERGEMOLLER

HÖLSCHER, K i r c h e n s c h u t z ( w i e A n m . 3 6 ) S . 1 8 0 .

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,Ordo iudicii terrae',46 ebenso wie er später in der Mark Brandenburg als ersten Schritt die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der neu erworbenen Territorien erfasste. Noch im Jahr 1373 ließ der Kaiser hier eine Übersicht der Marken erstellen, und bereits zwei Jahre später war das ,Landbuch der Mark Brandenburg', eine bedeutsame Rechtsquelle, fertiggestellt. 47 Karls Stärken formten somit seine Herrschaftspraxis und, wie wir sehen werden, auch seine Herrschaftskonzeption.

III Karls Selbstverständnis als Gesetzgeber Karls Legitimation herrscherlicher Gesetzgebung und seine Begründung für die Verschriftlichung von Recht, wie sie die Proömien seiner Rechtssammlungen zum Ausdruck bringen, sind in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse.48 Gesetzgeberische Tätigkeit entfaltete der Luxemburger für Böhmen (1355), 49 Schlesien (1356), 50 für das Reich (1356) 51 und die Mark Brandenburg (1375). 52 Da es sich 46 47

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Maiestas Carolina (wie Anm. 41) S. XXVI-XXXI. Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375, hg. von Johannes SCHULTZE (Brandenburgische Landbücher. Veröff. der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 1940); Hans K. SCHULZE, Karl IV. als Landesherr der Mark Brandenburg, JGMODtl 27 (1978) S. 138-168. Zur Begrifflichkeit von constitutio, lex, edictum, gesetz in den Urkunden Karls IV. vgl. Harriet M. HARNISCH, Gesetzgebung und Rechtsetzung in den Urkunden Karls IV. Entwicklung neuer Auswahlkriterien für die Edition der Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, ADipl 38 (1992) S. 193-216; ferner Friedrich MERZBACHER, Karl IV. und das Recht, in: Kaiser Karl IV., Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand Seibt (21978) S. 146-151. Zur Herrschaftsauffassung allgemein sehr aufschlussreich Franz MACHILEK, Karl IV. und Karl der Große, Zs. des Aachener Geschichtsvereins 104-105 (2002 f.) S. 113-145; Reinhard SCHNEIDER, Karls IV. Auffassung vom Herrscheramt, in: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen deutschen Königtums, hg. von Theodor SCHIEDER ( H Z B e i h . 2, 1 9 7 3 ) S. 1 2 2 - 1 5 0 .

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Maiestas Carolina (wie Anm. 41). Das Schlesische (auch Breslauer) Landrecht ist auf der Basis des Sachsenspiegel-Landrechts entstanden; Edition: Ernst Theodor GAUPP, Das schlesische Landrecht oder eigentlich Landrecht des Fürstentums von Breslau von 1356, an sich und in seinem Verhältnis zum Sachsenspiegel dargestellt (1828, N D 1966).

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Die Goldene Bulle vom 10. Januar und 25. Dezember 1356, hg. von Wolfgang D. FRITZ ( M G H Const. 11, 1978-1992) S. 5 3 7 - 6 3 3 . Vgl. Horst KUNTSCHKE, Zur historischen

Charakterisierung der Gesetzgebung Karls IV. in der Goldenen Bulle von 1356, in: Mezinärodni vedeckä konference doba Karla IV. v dejinäch närodü CSSR, porädanä Universitou Karlovou v Praze k 600. vyroci ümrti Karla IV. 29.11.-1.12.1978 [Internationale wissenschaftliche Konferenz ,Die Zeit Karls IV. in der Geschichte der Völker

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hierbei um die Verschriftlichung v o n weltlichem Recht handelte, warfen seine Vorstöße gleichzeitig die Frage nach der Akzeptanz schriftlichen Rechts seitens des Adels auf. Diese Frage freilich war letztlich die entscheidende, und sie scheint für Karl nicht zuletzt eine Frage adeliger Bildung g e w e s e n zu sein. 5 3 Seiner Ansicht nach bedurfte es für eine baronale oder fürstliche Herrschaft mehr als einer guten Ausbildung im K a m p f zu Pferd oder der Einweisung in die Gesellschaftsformen europäischer Adelshöfe. 5 4 Aber der böhmische Adel und seine Standesgenossen im Reich brachten für dieses Ansinnen offenbar nur sehr begrenzt Verständnis auf. 55

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der CSSR', veranstaltet von der Karlsuniversität Prag zum 600. Todestag Karls IV. 29.11.-1.12.1978], 3 Bde. (1981), hier 3: Materiâly ze sekce dëjin statu a prâva [Materialien der Sektion ,Geschichte von Staat und Recht'] S. 6-23. ObenAnm. 47. Vgl. dazu Jiri KEJR, Prâvni uzdëlanost v Cechâch v dobë Karlové [Die juristische Bildung in Böhmen im karolinischen Zeitalter], in: Karolus Quartus. Piae memoriae fundatoris sui Universitas Carolina D.D.D., hg. von Vaclav VANËCEK / Jaroslav PRÎBRAMSKY (1984) S. 127-134, der auf drei Arten von Recht in Böhmen eingeht: das Gewohnheitsrecht, das in dem Landesrecht mündete, das mit kleinen Modifikationen übernommene ,deutsche Recht' und das gelehrte (römische bzw. kanonische) Recht. Allgemein Jean RICHARD, La culture juridique de la noblesse aux XI e , XII e et XIII e siècles, in: Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, hg. von Otto Gerhard OEXLE / Werner PARAVICINI ( V M P I G 1 3 3 , 1 9 9 7 ) S. 5 3 - 6 6 .

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Ein gutes Beispiel für einen solchen ritterlichen ,Ausbildungsweg' und das damit verbundene adelige Selbstverständnis ist die Autobiografie Georgs von Ehingen: Georg von Ehingen. Reisen nach der Ritterschaft. Edition, Untersuchung, Kommentar, hg. von Gabriele EHRMANN, 2 Bde. (1979). Dazu Susanna SCHMIDT, Georg von Ehingen, „Reisen nach der Ritterschaft": Stil und Darstellungsmuster einer Ritterbiographie am Übergang vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit (1997) S. 7-9. Aufschlussreich für die Thematik ist auch die Studie von Anja Russ, Kindheit und Adoleszenz in den deutschen Parzival- und Lancelot-Romanen: hohes und spätes Mittelalter (2000) S. 234-241, S. 2 6 9 275. Insgesamt Arnd REITEMEIER, Adels- und Prinzenerziehung im England des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Erziehung und Bildung bei Hofe, hg. von Werner PARAVICINI / Jörg WETTLAUFER (Residenzenforschung 13, 2002) S. 55-69; hier S. 58. Umfassender Nicolas ORME, The Education of the Courtier, in: English Court Culture in the Later Middle Ages, hg. von Vincent John SCATTERGOOD / J a m e s W . SHERBORNE (1983) S. 6 3 - 8 5 , hier S. 6 3

und 72; immer noch grundlegend Lutz FENSKE, Der Knappe. Erziehung und Funktion, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hg. von Josef FLECKENSTEIN ( V M P I G 1 0 0 , 1 9 9 0 ) S. 5 5 - 1 2 7 . 55

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Ivan HLAVACEK, Geistlich und weltlich am Hofe der letzten Premysliden und der Luxemburger, in: Erziehung und Bildung bei Hofe (wie vorige Anm.) S. 157-166, bes. S. 164. Hlavacek betont die Distanz des böhmischen Laienadels zum karolinischen Hof in Prag,

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In der Mitte des 14. Jahrhunderts beklagt sich Konrad von Megenberg bitter über den deutschen Adel und seine Bücherverachtung. Auch seine Kinder lehre er nur, die Waffe zu fuhren, ohne zu bedenken, dass die Klugheit die Körperkräfte besiegt.56 Der Kaiser jedoch, der dem Rechtsweg selbst große Bedeutung beimaß, versuchte, auch den Adel von den Vorteilen der Schriftkundigkeit und friedlicher Konfliktlösung zu überzeugen. Bezüglich Karls Haltung zur Ausbildung der Kurfurstensöhne wird zumeist auf das berühmte 31. Kapitel der Goldenen Bulle verwiesen, das ihnen den Erwerb von Fremdsprachen nahelegte.57 Doch der Geleitbrief zu der Chronik seines Kaplans und Tischgenossen, des weitgereisten Franziskaners Johannes von Marignola (Giovanni da Marignolli), konkretisiert die Bildungsfrage im Rahmen staatstheoretischer Anschauungen eigentlich noch deutlicher.58 Der im Namen des Kaisers publizierte Brief, dessen konkrete Formulierung wohl auf Marignola zurückgeht, autorisierte ein Werk, das Karl selbst in Auftrag gegeben hatte. Eine kaiserliche Urkundentitulatur zu Beginn des Geleitbriefes erhöhte noch dessen offizielle Bedeutung. Kenntnisreicher Führer (prudentes rectores), so heißt es hier, bedürfe das Volk, um in Frieden zu leben.59 Nach dem Beispiel Davids, des gerechtesten Königs, denke er, Karl, Tag und Nacht darüber nach und wälze beständig die Frage in sorgenvollen Gedanken, wie er die Führer seines Staatswesens und seiner Heere zum Buchstudium {ad literarum studio) anregen könne.60 Intendierte Karl IV. eine

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wohingegen die Geistlichkeit eine wichtige Rolle spielte. Offenbar versuchte der Herrscher diese Spannungen durch ein Hinzuziehen schlesischer Fürsten auszugleichen. Konrad von Megenberg, Ökonomik (Yconomica), hg. von Sabine KRÜGER, 3 Bde. (MGH Staatsschriften 3, 1973-1984), hier 2 S. 170,24 ff. (Kap. II 13 Depaedagogis principum): Sed Teutonici milites speculativos viros librimordes quasi libros mordentes appellant ... Nutriunt pueros in armis corporalibus et inermes providenciis ad bella destinant eos nescientes, quod prudencia vires corporeas debellat. MGH Const. 11 S. 630-633. Johannis de Marignola Chronicon (Kronika Jana z Marignoly), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; ND 2004) S. 485-604, hier S. 492 f. Dazu Norbert KERSKEN, Geschichtsschreibung im Europa der „nationes". Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter (1995) S. 587-603 (Werke aus der Zeit Karls IV.), hier S. 589 f. Die Chronik muss in den Jahren 1355-1358 in Prag entstanden sein. Johannis de Marignola Chronicon (wie vorige Anm.) S. 492A,5-9: Ad dandam scientiam plebi eius et dirigendos pedes morum in viam pacis et felicitatis eterne. Tunc enim rem publicam constat esse felicem, quando rectores ipsius prudentes esse constituit vel vacare prudencie. Die Formulierung constat felicem esse rem publicam stammt ursprünglich von Cassiodor, Variae Kap. VI 1 (Formula illustratus vacantis), aber das seltene Zitat wurde vermutlich einer Spruchsammlung entnommen. Johannis de Marignola Chronicon (wie Anm. 58) S. 492A, 14-24: Nos igitur divina prudencia super speculum imperialis culminis ac rex Boemie constitutus ab eo exemplo

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tiefer gehende Alphabetisierung des böhmischen Adels? Vielleicht, damit sie als Richter oder Schöffen im Königsgericht die geschriebenen Gesetze leichter zur Kenntnis nähmen und als Maßstab ihrer Urteile akzeptierten? Der Geleitbrief erscheint durchdrungen von der Idee, der kriegerischen Identität der Ritterschaft eine neue, von literarischer Bildung geprägte Seite adeligen oder fürstlichen Selbstverständnisses nahezubringen. Karl zitiert den Kriegstheoretiker Vegetius, um dem Gedanken zu Autorität zu verhelfen, dass erprobte Klugheit vielfach den größeren Triumph bringe, als die bewaffnete Hand, weshalb vor allem die jungen Fürsten gut unterwiesen werden müssten.61 Die Marignola-Chronik richtete sich somit an eben jene böhmischen Adelskreise, die 1355 mit der ,Maiestas Carolina' ein geschriebenes Gesetz erhalten sollten. Karl muss selbst bezweifelt haben, dass der böhmische Ritteradel seine Anschauungen teilte, denn der Grundgedanke wird im Sinne von Überzeugungsarbeit ständig wiederholt: „Der gute Rat (sanum consilium) macht den großen Fürsten aus, nicht die Tapferkeit seiner Waffen", heißt es hier, um dann gelehrt mit Sallusts eindringlichen Worten fortzufahren: „Glaubt bloß nicht, dass unsere Eltern den Staat nur mit Waffen von einem kleinen zu einem großen gemacht haben." Wenn dies zuträfe, müsste der eigene Staat schließlich noch größer sein als der der Eltern, da man diese an Rittern, Pferden und Reichtum deutlich übertreffe. Aber die Wirklichkeit sehe anders aus: Es herrsche allenthalben Raubsucht und Gewalt und keinerlei Unterscheidung zwischen Guten und Bösen.62

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David, iustissimi regis, die noctuque in lege domini meditantes vigilamus attencius et sollicita mente revolvimus, qualiter nostre reipublice utriusque milicie rectores ad literarum studia provocemus, ut ipsam pacis tempore ac edam bellorum non solum armis bellicis decoratam, verum eciam prudencia et bonis moribus exemplo maiorum studeamus esse armatam. Zum Topos des schlaflos für sein Volk tätigen Herrschers allgemein REINLE, Herrschaft (wie Anm. 13) S. 47 f.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Schlaflose Nächte. Der Schlaf als metaphorische, moralische und metaphysische Größe im Mittelalter (2002) S. 105-121. Johannis de Marignola Chronicon (wie Anm. 58) S. 492A,29-33: Plures enim fecit triumphare experta prudencia quam armata milicia, ut ostendit Vegecius De re militari. Expedit ergo rei publice informari maxime iuvenes principes ad imitationem proborum, ne degeneres flant. Johannis de Marignola Chronicon (wie Anm. 58) S. 492B, 18-30: Non enim armorum fortitudine tantum gloriosa bella geruntur, sed eciam magis sano Consilio cum fidelitate adprincipem prudencia directiva, ut ait Salustius et beatus Augustinus libro De civitate Dei sic dicens: ,Nolite putare parentes nostros rem publicam armis tantum ex parva magnam fecisse. Nam si hoc esset, nos multo Ulis maiorem haberemus, maior enim est nobis armorum, equorum et amicorum copia; sed alia fuere eis, que nobis nulla sunt, domi industria, foris iustum imperium, animus in consulendo liber, nulli voluptati vel cupiditati obnoxius. Pro hiis nos habemus domi inerciam, foris rapacitatem, inter bonos

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Das Vorbild für eine gebildete herrschernahe Elite bot dem Luxemburger möglicherweise der Pariser Hof unter dem letzten Kapetinger Karl IV., der einst dem jungen Luxemburger den Erwerb literater Bildung ermöglicht hatte.63 Der Valois Karl V. (Charles le Sage, 1364—1380) etablierte dann erfolgreich ein spezifisches herrscherliches Selbstverständnis als gebildeter, als „weiser" Fürst.64 Von ihm hieß es ebenfalls, er besiege seine Gegner eher mit List denn mit Gewalt.65 Bezüglich der Rolle des Rechts, der zahlreich in Auftrag gegebenen Übersetzungen und der Förderung von Literatur ließen sich deutliche Parallelen zwischen dem Luxemburger und dem Valois herausarbeiten. In der Bildungsfrage spiegelt sich die große Bedeutung, die Karl IV. wie auch sein Kollege auf dem französischen Thron den intellektuellen Fähigkeiten und nicht zuletzt den Rechtskenntnissen ihrer Adeligen beimaßen. Vielleicht erkannte der Luxemburger hier auch gewisse Defizite, denn der hofnahe französische Adel scheint dem deutschen darin spürbar überlegen gewesen zu sein.66 Der Rat Graf Wilhelms V. von Holland, Philipp von Leyden (1320/251383), der in Orléans und Paris kanonisches Recht studiert hatte, findet jedenfalls deutliche Worte für den Unterschied zwischen der französischen und der deutschen Ritterschaft. In seinem Fürstenspiegel ,De cura reipublicae et sorte principantis' formuliert er den Vorteil des französischen Adels als Vorsprung an urbanitas, an

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et malos discrimen nullum. ' Das Zitat aus Sallust (Catilinae coniuratio Kap. 52,19) fand in Augustinus, De civitate Dei Kap. V 12 Eingang. Vita Caroli Quarti (wie Anm. 9) S. 82; vgl. Wolfgang KLEIN, Kaiser Karls IV. Jugendaufenthalt in Frankreich und dessen Einfluß auf seine Entwicklung (1926). - Benes von Weitmühl betont, dass Karl bei seinem siebenjährigen Aufenthalt (1323-1330) am Pariser Hof König Karls IV. gute Sprach- und Landeskenntnisse erwarb; Chronicon Benessii de Weitmil (wie Anm. 21) S. 479A,10-13: Ibidem Wertceslaus, primogenitus filius regis Boemie, moram per VII annos trahens linguam illius patrie et litteras atque mores ipsius regionis perfecte didicit. Auch die hofnahen französischen Fürstenspiegel, wie des Vinzenz von Beauvais ( | 1264) ,De morali principis institutione' oder der des Aegidius Romanus (t 1316) propagieren eindringlich die Notwendigkeit literarischer Bildung; vgl. Jacques LEMAIRE, Les visions de la vie de cour dans la littérature française de la fin du Moyen Âge (1994) S. 87-111; Gabriela SIGNORI, Schädliche Geschichte(n)? Bücher, Macht und Moral aus dem Blickwinkel spätmittelalterlicher Fürstenspiegel, HZ 275 (2002) S. 593-624. Die englischen Könige hatten für den hofnahen Adel gleichfalls bereits eigene Institutionen geschaffen; vgl. Nicholas ORME, Médiéval Schools: from Roman Britain to Tudor England (2006) S. 201-204. Bernd CARQUÉ, Stil und Erinnerung. Französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung (VMPIG 192, 2004) S. 156-173. LEMAIRE, Visions (wie vorige Anm.) S. 86-92.

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LEMAIRE, V i s i o n s ( w i e A n m . 6 3 ) S. 8 8 f.

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RICHARD, C u l t u r e ( w i e A n m . 5 3 ) S. 6 3 - 6 6 .

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fürstlicher Bildung und Rechtskenntnissen. Philipp von Leyden betont, es nütze einem Staat sehr, gebildete Männer zur Verfügung zu haben, die die Gesetze und die Rechte ihrer Vorfahren kennen. Das, so Philipp, hilft Frankreich gegen die Deutschen, die das Studium der Bücher (studio literarum) weniger pflegen, zu ihrem großen Schaden und zum Ruin ihrer respublica. „Dort wird die öffentliche Lebensart (publica urbanitas) durch große Gewaltsamkeit entstellt, es herrscht die Raubgier der Wölfe, und die Fürsten setzen sich selbst der Schande aus, nicht Ehre noch Stand kennen sie in der Herrschaft über sich selbst oder über ihre Untergebenen." 67 Philipps Grundgedanke der utilitas reipublicae, der adelige Partikularinteressen unterzuordnen waren, entspricht in wesentlichen Zügen der Herrschaftsauffassung Karls IV., und beide betonen den Zusammenhang zwischen friedlichen Verhältnissen und der Bildung bzw. den Rechtskenntnissen des Laienadels. Den moralisch-ethischen Normen der Fürstenspiegelliteratur entnahm Karl seine Konzeptionen von Herrschaft. Sie prägen, wie vor allem Bernd-Ulrich Hergemöller herausgearbeitet hat, auch vielfach die in Karls Umkreis entstandene Literatur. 68 Aber der Kaiser hat die theoretischen Erwägungen von ,guter' Herrschaft nicht allein seinen Ratgebern überlassen, sondern daraus einen selbst-begriffenen, charakteristischen Zugriff für seine Regierungspraxis entwickelt. „Damit unser Staat durch friedvolle Ruhe sowohl des Geistes als auch der Zeitläufe aufblühe", erklärt Karls Geleitbrief Ziel und Absicht der Chronik Marignolas, soll-

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Philippus de Leyden. De cura reipublicae et Sorte principantis, hg. von Philip Christiaan MOLHUYSEN (1915) S. 39: Hinc sumas argumentum, multum expedire reipublicae viros habere literatos, qui leges noverint et iura maiorum. Et facit pro regno Frartciae et contra Allemannos, qui studio literarum minus frequentant, in ipsius reipublicae magnum incommodum, ruinam et iacturam. Hic violentia magna publica deformatur urbanitas, praesidet luporum rapacitas, et ipsi principes ignominiae subiacent, nec honorem et statum cognoscunt sibi ipsis et subditis suis imperandi; dazu Hans WLLFERT, Philipp von Leyden. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des modernen Staates (1923) S. 7 f. - Der Gedanke kundiger Ratgeber war fiir den Kanonisten zentral; Philippus de Leyden S. 59: Illi, qui erunt circa expeditionem et executionem parliamentorum principis, debent esse personae et viri litterati, qui leges noverint et iura maiorum. Der Ernst seiner Überzeugungen geht aus seiner testamentarischen Verfügung bezüglich seiner Bibliothek (Dispositio librorum magistri Philippi de Leyden) ebd. S. 475 hervor: Porro quoniam propter librorum defectum illos comparare non valentes multi habiles et ydonei se a studiis retraxerint in grave reipublicae preiudicium, que ad sui regimen viris literatis permaxime dinoscitur indigere, volens cupientibus proficere in scientia iuris canonici et civilis ... utiliter providere. Seine bedeutende Bibliothek verdiente eine eigene Untersuchung.

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Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1999) S. 312-339.

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ten die Heutigen zu guten Sitten angeregt werden. Dazu habe er geeignete Vorbilder und Beispiele der Historie zusammenstellen lassen, die nun in klares Latein gefasst seien, weil sie in den alten Chroniken und Geschichten nur verstreut und verborgen zu finden waren.69 Ganz ähnlich begründet auch das Proömium der ,Maiestas Carolina' den Anlass der Kodifizierung, um klare Richtlinien und Handlungsanweisungen zu bieten: Er habe die geschriebenen Gesetze ungeordnet und sinnwidrig zusammengestellt vorgefunden, vieles beruhe allein auf dem Gewohnheitsrecht. Nun aber sollten die Gesetze in einsichtiger Ordnung und klarem Stil neu zusammengestellt werden, damit den großen und kleinen Richtern des Landes durch die schriftliche Grundlage die Möglichkeit genommen werde, in vergleichbaren Fällen ungleiche Urteile zu fällen.70 Da die Marignolachronik explizit der Geschichtsdeutung im Sinne einer Vorbildfunktion verpflichtet war, erstaunt es nicht, dass der legendäre , Staatsgründer' Premysl hier vor allem als Gesetzgeber stilisiert wird: Premysl habe das ,ungezähmte' Volk „gezügelt" und alle Gesetze des Landes erlassen.71 Johannes von Marignola präzisiert, der Herzog habe alles Recht des Landes allein gesetzt (omnia iura, quibus hec terra regitur, solus ipse dictavit) und eine „vernunftgemäße" Ordnung (rationabiles consuetudines) eingeführt. Karl konnte sich in der Geschichts-

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Johannis de Marignola Chronicon (wie Anm. 58) S. 492B,31~43: Ut ergo tranquillitate pacis tarn mentis quam temporis nostra respublica perfhiatur, operariis viciorum penitus expurgatis, et delicatos nobilium ánimos ad probos mores exemplis delectabilibus provocemus, cronicarum antiquas et novas hystorias maxime Boemorum obscure conscriptas per venerabilem patrem, fratrem Iohannem dictum de Marignolis ... transcurri mandavimus, amputatis obscuris verborum ambagibus et superfluis resecatis ac interpositis quibusdam utilibus, incipiendo a primo Adam usque adfelicia tempora nostra. Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 38,15-31: constituciones et leges ... antiquas plurimas, quas partim in scriptis licet incomposite et confuse redactis, partim vero sola consuetudine et utencium moribus approbatas ... invenimus ...; per quas [d. h. die schriftlich fixierten und wohlgeordneten Gesetze] edam cunctis iudicibus aut officialibus nostris maioribus et minoribus recte iudicandi - secundum quod scriptum invenerint - materia prebeatur et variandi iudicia in causis eisdem vel similibus ... facultas quelibet adimatur. Johannis de Marignola Chronicon (wie Anm. 58) S. 525B,25-30: Premysl ergo ... hanc feram gentem virtute et prudencia frenavit legibus et indomitum populum iusto imperio domuit et racionabilibus consuetudinibus subiugavit cum Libussa; omnia iura, quibus hec terra regitur, solus ipse dictavit. Vgl. KERSKEN, Geschichtsschreibung (wie Anm. 58) S. 627. Diese Geschichte tradiert auch die zeitgenössische Chronik des Johannes Neplach: Johannis Neplachonis, abbatis Opatovicensis, Chronicon (Neplacha, opata Opatovského, krátká kronika Rimská a Ceská), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; ND 2004) S. 445484, hier S. 461A,36-39: Demum succedente tempore eferam gentem legibus frenavit et iura omnia, quibus hec terra utitur et regitur, solus cum sola Lybossa dictavit.

Die Rolle des Rechts in der Herrschaftsauffassung Kaiser Karls IV. | 161

deutung seines Hofes somit auf ein autorisiertes Vorbild für seine gesetzgebende Tätigkeit berufen. Und diese wurde durchaus im Sinne der reformatio, einer Wiederaufrichtung der ursprünglich richtigen Ordnung begriffen, denn Marignola stilisiert Premysls Gesetze als das Vermächtnis des Herzogs an ,sein Volk'. 72 Geschichtsschreibung und Gesetzgebung sollten sich gegenseitig stützen und folgen deshalb derselben Intention. Karl hatte mit der Chronik die Erwartung verbunden, dass Marignola die Universalgeschichte mit der böhmischen Geschichte konzeptionell im Sinne von Karls Herrschaftsverständnis vereine. 73 Diesem hohen Anspruch vermochte Marignola freilich nicht gerecht zu werden, weshalb der Herrscher einen neuen Chronisten mit einer Gesamtdarstellung der böhmischen Geschichte beauftragte. 74 Der gelehrte Rektor des Prager Ägidienstifts, Pribik mit Beinamen Pulkava (f 1380), nahm dieses Vorhaben schließlich in Angriff. Auch er stilisiert den ersten legendären Herzog Premysl als Gesetzgeber. Pulkava wählte dabei jedoch interessanterweise den rechtlich relevanten Ausdruck leges condere: condiderunt [sc. Priemisl et Lybussa] leges et statuta, quibus hodierna die Boemia regitur.15 Er greift damit ein Zitat des ,Codex Iustinianus' (I 14,12,3) auf: leges condere soli imperatori concessum est, das die Theorie des imperialen Reservatrechts in Gesetzgebungsfragen tradierte. Die Wendung leges condere für die herrscherliche Gesetzgebungstätigkeit findet sich gleich zweimal auch im Proömium der ,Maiestas Carolina'. 76 Da Pulkava in seinem Epilog berichtet, dass Karl die Konzeption und Umsetzung der in seinem Auftrag entstandenen Geschichtswerke persönlich überwachte, wird diese Formulierung nicht 72

Der Gesetzgebung galt Premysls letzte Sorge, bevor er starb; Johannis de Marignola Chronicon (wie Anm. 58) S. 526B,3-5: post quam [d. h. nach dem Tod der Libusa] eciam

plenus dierum constitutis legibus Boemorum defunctus est primus dux Premysl in senectute bona. 73

Norbert KERSKEN, Auf dem Weg zum Hofhistoriographen. Historiker an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen, in: Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen, hg. v o n C a r o l a FEY / S t e f f e n KRIEB / W e r n e r RÖSENER ( F o r m e n der E r i n n e r u n g 2 7 , 2 0 0 7 )

S. 107-140, hier S. 109 f. Einen Versuch mit ganz ähnlicher Intention, nämlich der Ausdeutung des eigenen Lebens im größeren Zusammenhang christlich-moralischer Geschichtsdeutung, hatte Karl mit seiner Autobiografie unternommen; SCHLOTHEUBER, Autobiographie (wie Anm. 9) S. 589 f. 74

KERSKEN, W e g ( w i e v o r i g e A n m . ) S. 1 1 0 f.

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Przibiconis de Radenin dicti Pulkavae Chronicon Bohemiae (Kronika Pulkavova), hg. von Josef EMLER (FRB 5, 1893; N D 2004) S. 1-207, hier S. 8B,28 f.; vgl. auch KERSKEN, Geschichtsschreibung (wie Anm. 58) S. 601. Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 32,17-19 (principes gentium ... qui leges et iura conderent) und S. 38,15 f. Nicht nachvollziehbar ist für mich die Entscheidung des Editors für die Lesart leges concedere, da die handschriftliche Überlieferung in beiden Fällen die Formulierung leges condere nahelegt; vgl. die Begründung ebd. S. XXIII f.

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als zufällig oder nur als gelehrte Reminiszenz des Autors zu werten sein.77 Ganz offensichtlich wurden die Fragen der Legitimation und Kodifizierung von Recht am Prager Hof intensiv diskutiert. Das Vorwort zur Marignola-Chronik entstand in den Jahren nach 1355, eben als der Adel den großen Versuch der verschriftlichten Neuordnung des böhmischen Landrechts, die ,Maiestas Carolina', zu Fall gebracht hatte. Die Chronik erweist sich als ein neuer Anlauf, um dem herrscherlichen Anliegen auf einem anderen Weg, mithilfe einer anderen literarischen Gattung mehr Akzeptanz zu verschaffen. Offensichtlich wollte der Luxemburger dem Ritteradel einen erweiterten historischen Horizont vermitteln, damit sich ihm die maßgeblichen Ziele seiner Herrschaft leichter erschlossen. Denn Karl stellte seine Rechtskodifizierungen bewusst in den größeren Zusammenhang der Heilsgeschichte. Hier fand er die Legitimation und den Maßstab, um eine neue, schriftlich fixierte Ordnung zu setzen. Das Proömium der ,Maiestas Carolina', dessen Konzeption dem Herrscher selbst zugeschrieben wird, spannt deshalb die Vorstellungen des Luxemburgers von der Aufgabe herrscherlicher Gesetzgebung in den großen Rahmen der Erschaffung der Menschheit ein. Nach dem Sündenfall habe Gott die Herrscher über das Volk gesetzt, damit sie in einer von Habsucht (avaritia) und anderen Lastern heimgesuchten Welt Frieden und Recht erwirkten, Raub und Krieg aber unterbänden.78 Gegen die anwachsenden Gebrechen der Gesellschaft, so das Proömium, bietet allein die Gesetzgebung ein „geeignetes Heilmittel" (oportuna remedia). Dabei autorisierte und legitimierte der göttliche 77

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Pulkava schreibt im Epilog seines ,Chronicon Bohemiae' (wie Anm. 75) S. 207B,8-15: Nam illas omnes res certas et veras ac gesta seu facta sue terre Boemie idem imperator, quam pervalide super omnes alias suas terras dilexit, solus omnibus cronicis monasteriorum et baronum visis et cum summa diligencia perlectis memorato Przibiconi demandavit ex eis unam cronicam veram et rectam conscribere et in unum volumen redigere, quod et, prout cernis, fecit. Der Vorstoß zur Neuordnung der Gesetze und zur ,Neuordnung' der Geschichte entsprangen offensichtlich demselben Grundgedanken: Ebenso wie die rechtliche Grundlage sollte auch die Geschichtsschreibung von Karl autorisiert und vereinheitlicht werden. Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 32. Legitime Herrschergewalt entspringt deshalb der gottgewollten Ordnung. Diese dem Proömium der Konstitutionen von Melfi (1231) entnommene Passage geht zurück auf Augustins ,De civitate dei' bzw. Isidor von Sevilla, Sententiae, hg. von Pierre CAZIER (CCL 111, 1998) S. 295 (Kap. III 47); dazu Peter LANDAU, Der biblische Sündenfall und die Legitimität des Rechts, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hg. von Dietmar WILLOWEIT unter Mitarbeit von Elisabeth MOLLER-LUCKNER (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 45, 2000) S. 203-214; insgesamt aufschlussreich Wolfgang STÜRNER, Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken. (Beitr. zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11, 1987) S. 67-85.

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Wille die gesetzgeberische Tätigkeit als wichtigste Herrscheraufgabe, die als Recht und Verpflichtung zugleich aufgefasst wird: „Damit wir die königliche Macht, die uns von Gott verliehen ist, nicht zu missbrauchen scheinen, wollen wir die Sorge um den Staat und die Untergebenen nicht in nachlässiger Untätigkeit aufgeben", 79

heißt es hier. Als Maßstab für gerechte Gesetze diente die lex dei, die gemäß der Vernunft (ratio) und unter Beachtung der christlichen Ethik (mores) zu formulieren war. In poetisch vereinfachter Form entfaltet auch das Proömium der Goldenen Bulle diese Gedanken im historischen Kontext als Begründung und Legitimierung für die Notwendigkeit kaiserlicher Rechtsetzung. Wurden diese Grundsätze - die lex dei zusammen mit der Vernunft und der christlichen Ethik - von den Herrschern jedoch 80missachtet, so zerstörten unweigerlich die Laster selbst die mächtigsten Weltreiche. Karls Rechtskodifizierungen mit ihrer umfassenden Legitimierung sind deshalb zu Recht als ein besonderes Signum der karolinischen Regierung anzusehen. Charakteristisch für Karls Herrschafitsauffassung ist auch die Instrumentalisierung dieser Gedanken für seine Herrschaftspraxis. Auf dieser Basis vermag er alles, was der vom König bzw. Kaiser repräsentierten Ordnung widerstrebt, entschieden zu bekämpfen: So ist die Häresie in der ,Maiestas Carolina' wie in den Konstitutionen von Melfi als Unrecht gegen die Allgemeinheit aufgefasst, das damit zur Majestätsbeleidigung (crimen lese maiestatis) wird und letztlich die gottgewollte Ordnung verletzt; 81 die tägliche Gewalt, die die böhmischen Barone zur Durchsetzung ihrer Interessen ausüben, wird zum Unrecht gegenüber der res publica, der Böhmischen Krone, und auf dieser Grundlage entschieden zurückgewiesen. Karl beschreibt im Proömium seine politische Praxis als Folge von Kompromissen, um das höhere Ziel zu erreichen: Die königliche Autorität sei unter Herabwürdigung ihrer Ehre gezwungen gewesen, viel Geld an die Barone zu verschleudern, damit sie Frieden gaben, weil dem König der Zugriff auf die königlichen Burgen und damit die Einfluss79

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Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 32,26-28: Ne potestate regia nobis attributo divinitus videamur abuti et rei publice curam subditorumque mentem pacificam, que nobis incumbunt, negliencie ocio resignari. MGH Const. 11 S. 562,15-20: Die, Superbia, quomodo in Lucifero regnasses, si divisionem auxiliatricem non habuisses? Die, Sathan invide, quomodo Adam de paradiso eiecisses, nisi eum ab obedientia divisisses? Die, Luxuria, quomodo Troyam destruxisses, nisi Helenam a viro suo divisisses? Die, Ira, quomodo Romanam rempublicam destruxisses, nisi in divisione Pompeum et Iulium sevientibus gladiis ad intestina prelia concitasses? Vgl. zum Proömium der Goldenen Bulle zuletzt Jenny Rahel OESTERLE, Kodifizierte Zeiten und Erinnerungen in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV., ZHF 35 (2008) S. 1-29. Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Kap. 3 S. 2 4 - 2 9 , der Verweis auf das crimen maiestatis dort S. 26,21.

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lese

nähme auf Gerichtsurteile unmöglich war. Eine schlechte, der eigenen Autorität höchst abträgliche Politik, zumal weil das dafür benötigte Geld von den Königsgütern kaum zu erwirtschaften war. Gegen die von Gewalt geprägten Zustände - tarn gravem pestem - habe er weder die Zuchtrute der Gerechtigkeit ungehindert schwingen noch den Geschädigten mit angemessener Hilfe beistehen können.82 Alles Weitere, die wirtschaftliche Prosperität und das Ansehen des Königsreichs, hinge von der Durchsetzung friedlicher und gerechter Verhältnisse ab. Viele schlaflose Nächte und freiwillig arbeitsame Tage habe er, setzt Karl wie im Geleitbrief zu Marignolas Chronik hinzu, mit dem Ringen um Lösungen zugebracht.83 Als Ergebnis präsentiert er die ,Maiestas Carolina' und somit allgemeingültige, verschrifitlichte und vom Herrscher autorisierte Rechtsnormen. Wie in der Forschung schon vielfach dargelegt wurde, greift das Proömium der ,Maiestas Carolina' Formulierungen und Gedankengut des staufischen Kaiserrechts bzw. des ,Codex Iustinianus' auf.84 Aber diese Vorstellungen werden in der bereits verarbeiteten, synthetisierten Form entfaltet, nämlich in der Form des ,Rechtsanwendungsmodells' oder der sogenannten , Statutentheorie' der mittelalterlichen Juristen, die Gerhard Dilcher prägnant zusammengefasst hat: Hier werden die Bibel, kirchliches und römisches Recht sowie Partikularrecht in Übereinstimmung, in ein System gebracht. Das ,Rechtsanwendungsmodell', so Dilcher, ermöglichte es dem ius commune mit einer allgemeinen ratio - beleuchtet von den Prinzipien des göttlichen 85

und des Naturrechts - das sonst vorrangige Partikularrecht zu durchdringen. Alle diese Bestandteile der Rechtsetzungsbegründung ruft das Proömium der .Maiestas Carolina' auf. Diese Vorstellungen, die letztlich zu einer Verwissenschaftlichung und Rationalisierung des Rechtslebens führten, hatte man in der Stauferzeit intensiv diskutiert, inzwischen waren sie jedoch anerkannt und zum Allgemeingut geworden. Der Luxemburger bediente sich einer erprobten Tradition, so wie er auch sonst eher konservativ war. Aber Karl eignete sich auch diese rechtlich relevanten Vorstellungen in spezifischer Weise an und formte aus ihnen seinen herrscherlichen Zugriff. Daraus entstand dann eine rechtliche Legitimierung von Herrschaft, die in der fokussierten Form und der konkreten Anwendung in der Tat etwas Neues darstellte: 82 83 84

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Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 34. Ebd. S. 36,24 f. Vgl. zum Topos der ,schlaflosen Nächte' oben Anm. 60. Hermann KRAUSE, Kaiserrecht in der Reichskanzlei nach dem Interregnum (1952) S. 6 4 67; zuletzt: Maiestas Carolina (wie Anm. 41) S. XXI-XXVI. Insgesamt greift Karl IV. im Sprachgebrauch seiner Urkunden auf Friedrich II. zurück. Gerhard DILCHER, Der mittelalterliche Kaisergedanke als Rechtslegitimation, in: Die Begründung des Rechts (wie Anm. 78) S. 153-170, hier S. 160 f.

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Die herrscherliche Autorität und Macht verdichtete sich gleichsam in der richterlichen Friedenswahrung und autonomen Rechtsetzung, die mit ihrer Verschriftlichung, also mit ihrer Verstetigung und Durchsetzung zur maßgeblichen Herrscheraufgabe, ja zur Pflicht wurde, für die Karl von Gott berufen war. Entscheidend war die Zurückweisung adeliger Gewalt anhand von objektivierten, nachvollziehbaren Kriterien, nämlich auf der Grundlage des geschriebenen Rechts. So verbietet Karl den Baronen in Kapitel 35 die Selbsthilfe, „die sie das göttliche Urteil und die Würde unserer Rechtsprechung verachten lasse."86 Immer wieder wird die gedachte Identität von herrscherlicher Autorität und königlicher Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht. Jeder Adelige, heißt es in diesem Kapitel, müsse gezwungen werden, den friedlichen Weg des Rechts zu wählen, nicht den des Hochmuts, der superbia, der sie veranlasse, sich mit ihren bewaffneten Banden kurzerhand Recht zu verschaffen. „Nehmt die so heilbringenden und nützlichen Gesetze freudig entgegen", wendet sich Karl im Proömium selbstbewusst an die Adresse des Adels, „und sagt Gott Dank, dass er Euch durch uns ermöglicht hat, nach geschriebenem Gesetz zu leben." Lange sei die Rechtsprechung nun schon nicht mehr der 87

Vernunft, sondern vielmehr der Willkür des Richters gefolgt. Mit dieser Konzeption ist Karl gescheitert. Seinen in die Zukunft weisenden Gedanken vermochten sich die böhmischen Barone nicht anzuschließen,88 sie fürchteten die ,Maiestas Carolina' als Eingriff in ihre autonome Rechtsprechungspraxis noch, als diese - längst abgelehnt und widerrufen - eingeschlossen auf dem Karlstein auf bessere Zeiten wartete. Eben das auf schriftlicher Grundlage kontrollierbare und damit rational nachvollziehbare Urteil lehnten sie ab, das der Kaiser zu seiner Maxime erhob: „Die Herrscher", 86

Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Kap. 35 S. 106: Presentí itaque edicto iubemus, quodsi quis Baro ita divinum contempnens iudicium nostreque iusticie non reverens dignitatem cum bandería manu armata in alterius Baronis terram currerit.

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Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 40,4-9: Has igitur constituciones nostras, tarn salubérrimas et útiles, fldeles carissimi, letanter accipite et deo gracias agite, qui per nos ... dedit vobis vivere scripta lege, quos tarn longis temporibus contigit incerto iudicio multorum opprimencium iugo feroci colla submittere et litigorum [!] sentencias sepe non racionis tramite, sed iudicantis arbitrio reportare. Vgl. Ernst PITZ, Verfassungslehre und Einführung in die deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters (Schriften zur Verfassungsgeschichte 75, 2006) S. 1138: „Die Depositare des Volksrechts - und das waren nicht nur die schöffenbaren und fürstlichen, sondern alle gerichtsfolgepflichtigen Freien - müssen eine Rechtsordnung, die auf Niederschriften und deren Registratur und gelehrte Interpretation angewiesen gewesen wäre, um neugeschaffenes Recht zur Geltung zu bringen, verachtet haben, weil sie den Freien die Kenntnis des eigenen Rechtes vorenthielt und sie entmündigte und letzten Endes ihrer Freiheit beraubte."

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sagt Karl, „begründen Recht und Gesetz (leges et iura conderent) und richten alles nach der schriftlich gesetzten Ordnung aus {ad regulam), um die kommenden Strei89

tigkeiten vernunftgemäß (rationabiliter) zu entscheiden." Die von Gott übertragene Rechtsgewalt ist bei Karl als dementsprechend umfassend gedacht und hat ein imperiales Reservatsrecht in Gesetzgebungsfragen zur Folge. Folgerichtig greift er mit dem Ausdruck princeps legibus solutus („der Herrscher ist von den Gesetzen befreit") 90 wie die Konstitutionen von Melfi römisches Kaiserrecht auf. Die kaiserliche Rechtsetzung findet Maßstab und Begrenzung durch die selbstverpflichtende Bindung an die göttlichen Gesetze und ist, römischer Rechtsauffassung folgend, keineswegs als überzeitlich und unveränderbar gedacht. Wie es die Arenga der Rehabilitationsurkunde Giacomos da Carrara aus dem Jahr 1348 zum Ausdruck bringt, müsse der Fürst als Vater des Rechts (legis pater) die Gesetze (statuta generis humani) notfalls revidieren oder den Anforderungen der Zeit anpassen.91 Seine Formulierungen entlehnte Karl vielfach dem kirchlichen Bereich. In der kirchlichen Jurisdiktionspraxis konnte er ein Vorbild für seinen Entwurf einer Rechtsprechung auf der Basis verschriftlichter Normen finden, und so hat er in Böhmen den Diözesangerichten auch ein weitgehend ungestörtes Arbeiten ermöglicht. In dieser Interpretation unterscheiden sich die königliche Würde und die Kaiserherrschaft qualitativ von der Adelsherrschaft und erwachsen nicht aus dieser, etwa aus gestiegener Machtfulle. Vermutlich in dem Bewusstsein, auf dem Feld ritterlicher Tugenden - anders als der Vater und später sein Sohn Sigmund - nicht wirklich reüssieren zu können, entwickelte Karl aus den tradierten und anerkannten Vorstellungen des Kaisers als oberstem Gesetzgeber und Friedenswahrer eine Herrschaftskonzeption, die in der Tiefe der Erfassung und durch den Willen ihrer konkreten Umsetzung in der Tat einen Neuansatz darstellte. Das Defizit, das seine wenig bitterliche' Art in den Augen der Zeitgenossen vermutlich darstellte, wandelte er erfolgreich zur Stärke. Dabei eröffneten ihm seine Sprach- und insbesondere seine Lateinkenntnisse die Welt des gelehrten Rechts in einer Weise, wie sie sich seinen Vorgängern und Nachfolgern nicht erschloss. Während man in Prag zu Kaiser Karls Zeiten die richtige Rechtsordnung, zutiefst geistliche Themen der Übersetzungsarbeit Johanns von Neumarkt oder die ratio der Geschichte diskutierte, verfolgten seine Nachfolger, Wenzel IV., Ruprecht von der Pfalz oder Sigmund, andere Interessen und entwickelten eine andere Herrscheridentität. Zwar lag die Verschriftlichung von 89 90 91

Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Proömium S. 32,19 f. Maiestas Carolina (wie Anm. 41) Kap. 42 S. 122 und Kap. 77 S. 170; vgl. ebd. S. XXIII. Urkunde vom 9. Juni 1348: MGH Const. 8 S. 606-610 Nr. 600, hier S. 607,10-13 (R: RI 8 Nr. 697).

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Recht im Zug der Zeit, und auch Karls Vorgänger Ludwig der Bayer hatte 1346 ein oberbayerisches Landrecht von gelehrten Juristen zusammenstellen lassen.92 Doch weder der Wittelsbacher noch die eigenen Söhne entwickelten eine so elaborierte Konzeption von Herrschaft, und sie haben der Rechtsetzung und Rechtsprechung als Herrschaftsaufgabe dementsprechend auch keinen so zentralen Platz zugewiesen. So ist es letztlich nicht erstaunlich, dass Karl IV. auf den großen Stauferkaiser Friedrich II. zurückgriff und mit ihm an Vorstellungen des römischen Rechts anknüpfte - und es ist gewiss kein Zufall, dass unter Karl mit der Goldenen Bulle ein „kaiserliches Gesetzbuch" entstand, dem eine so lange historische Dauer gegeben war.

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Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346. Ed., Übers, und juristischer Komm., hg. von Hans SCHLOSSER / Ingo SCHWAB (2000); Franz-Reiner ERKENS, „Sol iusticie" und „regis regum vicarius". Ludwig der Bayer als „Priester der Gerechtigkeit", ZBLG 66 (2003) S. 795-818.

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MICHAEL LINDNER

,'Theatrum praeeminentiae'. Kaiser und Reich zur Zeit der Goldenen Bulle

Das Proömium des Nürnberger Teils der Goldenen Bulle wie ein Brief Karls IV. vom 6. Januar 1357 aus Metz weisen ausdrücklich daraufhin, dass neben dem Herrscher und seinen kurfürstlichen Kollegen auch zahlreiche Fürsten und andere Große beim Erlass der Gesetze anwesend waren. In Nürnberg waren außerdem viele Städtegesandte, in Metz eine Menge Volkes dabei.1 Den sehr guten Besuch der kaiserlichen Hofitage in Nürnberg und Metz betonen auch mehrere der bekannten chronikalischen Quellen. Neben den sieben Kurfürsten sind nachgewiesen: in Nürnberg zehn Bischöfe einschließlich der nichtreichsfürstlichen, der Deutschmeister mit weiteren Vertretern des Deutschen Ordens und der Abt von Fulda, mindestens vier weltliche Fürsten plus vier der nicht als Reichsfursten geltenden schlesischen Herzöge aus dem engeren Umkreis Karls IV., zahlreiche Grafen, Herren und Städte sowie auswärtige Besucher;2 in Metz acht Bischöfe und Vertreter des Deutschen Ordens, drei Reichsäbte, sechs weltliche Fürsten plus zwei schlesische Herzöge aus dem engeren Umkreis Karls IV., zahlreiche Grafen und Herren, einige Städte sowie hochrangige auswärtige Gäste, darunter zwei Kardinäle, zwei weitere päpstliche Gesandte, der französische Thronfolger mit seinem Bruder und einem Gefolge von

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Proömium des Nürnberger Teils: MGH Const. 11 S. 562-564, hier S. 564,6-8. Druck des kaiserlichen Briefes: Regensburger UB 2: Urkunden der Stadt 1351-1378, bearb. von Franz BASTIAN / Josef WLDEMANN (Monumenta Boica 54, 1956) S. 93 Nr. 223 (R: MGH Const. 11 S. 529 Nr. 935, URH 7 S. 133 Nr. 206). Detaillierte Aufstellung mit Nachweisen bei Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV. (Städteforschung A 13, 1983) S. 228-232; Gabriele ANNAS, Hoftag - Gemeiner Tag - Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471) 2: Verzeichnis deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (Schriftenreihe der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 68, 2004) S. 43-55.

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Abbildung 1 Kaiser und Kurfürsten. Wien, ÖNB, cvp 8330 (Zeichnung des Matthäus Ornys von Lindberg, 1569-1575)

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ca. 2.000 Rittern.3 Das war viel und wenig zugleich: viel, gemessen an der Zahl der sonst üblicherweise im Spätmittelalter auf Hoftagen anzutreffenden Teilnehmer, wenig, gemessen an der Zahl der Reichsfürsten, die hätten kommen können. Es gab im Reich zur Zeit Karls IV. mehr als 130 Reichsfursten, ca. 90 geistliche und 44 weltliche; etwa 80 davon nach Peter Moraw handlungsfähig und -willig.4 Aus der Sicht der außerordentlich großen Zahl der in Nürnberg und Metz fehlenden Reichsfursten waren die Versammlungen, auf denen die Goldene Bulle erlassen wurde, Veranstaltungen des Herrschers und der Kurfürsten oder, anders gesagt, des Königs und seiner Wähler. Die kurfürstliche Stellung im Reich war lange vor der Goldenen Bulle durch das Recht der Königswahl gekennzeichnet. Dieses Privileg wurde 1356 mit dem kaiserlichen Gesetz endgültig festgeschrieben, nachdem bereits im Vorfeld darüber entschieden worden war, welche der umstrittenen Linien der Askanier und Wittelsbacher die Kurwürde führen dürften, und nachdem in Metz noch einmal alle Zweifel am böhmischen Kurrecht zurückgewiesen wurden.5 Darüber hinaus tat die Goldene Bulle aber noch einiges mehr für die Königswähler: Zu Beginn des Proömiums eindringlich vor spalterischem Fehlverhalten gewarnt (principes ... facti sunt socii furum), wurden die Kurfürsten fortan mit metaphorischem Schmuck versehen. Die kaiserliche Kanzlei nannte sie im Namen Karls IV. septem candelabra lucentia (Proömium), propinquiora sacri imperii membra (Kap. 2), columpneproceres (Kap. 3), solide bases imperii et columpne immobiles (Kap. 12) oder columpne et latera (Kap. 31).6 In der zeitgenössischen Chronistik finden wir dazu keine Parallelen,

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ANNAS, Hoftag (wie vorige Anm.) S. 55-66; ergänzend Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Der Abschluß der „Goldenen Bulle" zu Metz 1356/57, in: Studia Luxemburgensia. FS Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich Bernward FAHLBUSCH / Peter JOHANEK (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, 1989) S. 166. Vgl. Karl-Friedrich KRIEGER, Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter (ca. 1 2 0 0 - 1 4 3 7 ) (Unters, zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte NF 2 3 , 1 9 7 9 ) S. 1 8 5 - 2 1 6 ; Peter M O R A W , Fürstentum, Königtum und „Reichsreform" im deutschen Spätmittelalter, BDLG 1 2 2 ( 1 9 8 6 ) S. 1 1 7 - 1 3 6 , hier S. 1 2 1 ff. Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Bde. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2, 1908), hier 1 S. 170 f. und 2 S. 114 Nr. 30; Ernst PERELS, Zur Geschichte der böhmischen Kur im 14. und 15. Jahrhundert, ZRGGermAbt 45 (1925) S. 83-143, hier S. 94 ff.; HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 19 ff., 45-52, 73 f.; DERS., Abschluß (wie Anm. 3) S. 157 ff. Vgl. Ernst SCHUBERT, Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung, Jb. für westdeutsche LG 1 (1975) S. 97-128, hier S. 98 f.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die Eröffnung der „Goldenen Bulle". Vorgebet und Proklamationsdiplom

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obwohl die Kurfürsten auch dort als tragendes Verfassungselement des Reiches neben dem König meist sogar in positiver Sicht akzeptiert waren.7 Die ehrenden Epitheta der Goldenen Bulle für die Kurfürsten sind kein leeres Wortgeklingel, sie fassen deren besondere Position innerhalb der Reichsfürsten in Worte. Dieser hervorgehobene Rang resultierte aus dem Vorrecht der Königswahl, aus dem wiederum ihre gegenüber den übrigen Fürsten gesteigerte Mitverantwortung für das Reich erwuchs und begründet wurde. Als Inhaber von Erzämtern des heiligen Reiches werden die Elektoren in der Goldenen Bulle wie folgt erwähnt: der Erzbischof von Köln als Erzkanzler für Italien (Kap. 1 § 9), der Erzbischof von Trier als Erzkanzler für Gallien und das Königreich Arelat (Kap. 1 § 10), der Erzbischof von Mainz als Erzkanzler für Deutschland (Kap. 2 § 2), der König von Böhmen als Erzmundschenk (Kap. 1 § 8), der Pfalzgraf als Erztruchsess (Kap. 1 § 11), der Herzog von Sachsen als Erzmarschall und der Markgraf von Brandenburg als Erzkämmerer (Kap. 1 § 12). In diesen Ämtern sollten die Kurfürsten dem Herrscher dienen. Wie das genau auszusehen hatte, regelten die in Vorbereitung des Metzer Hoftages entstandenen Kapitel 27 und 28, mit denen die Vorschriften für die vier weltlichen Königswähler aus Kapitel 4 § 3 vertieft und um Regelungen für die drei geistlichen ergänzt wurden.8 Der große Eindruck, den die an der kaiserlichen Tafel in Metz vor aller Augen von den Kurfürsten geleisteten Ehrendienste hinterlassen haben, ist an ihrem Widerhall in der Chronistik abzulesen. Allerdings verblieben die Erzämter den Kurfürsten nicht exklusiv. Einigen Fürsten

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von „Omne regnum" unter metaphorologischen und exegetischen Aspekten, in: DERS., Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1999) S. 126-220, hier S. 143 ff., 151 ff., 160 ff., 214 ff. Zur Sicht der Geschichtsschreibung des 14. Jahrhunderts auf die Kurfürsten Peter MORAW, Politische Sprache und Verfassungsdenken bei ausgewählten Geschichtsschreibern des deutschen 14. Jahrhunderts, in: DERS., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, hg. von Rainer Christoph SCHWINGES (1995) S. 175-205, hier S. 192 ff.; außerdem Peter MORAW, Die Kurfürsten, der Hofitag und die Entstehung des Reichstages, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hg. von Kurt G. A. JESERICH / Hans POHL / GeorgChristoph von UNRUH (1983) S. 54 f. HERGEMÖLLER, Abschluß (wie Anm. 3) S. 176-184 und S. 215-220; Ernst SCHUBERT, Erz- und Erbämter am hoch- und spätmittelalterlichen Königshof, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter MORAW (VUF 48, 2002) S. 191-237, hier S. 218-223; Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die Aufführung des Reichs. Zeremoniell, Ritual und Performanz in der Goldenen Bulle von 1356, in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356-1806. Aufsätze, hg. von Evelyn BROCKHOFF / Michael MATTHÄUS (2006) S. 76-92, hier S. 82 ff.

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gelang es im Umfeld der Goldenen Bulle, auch für sich bestimmte Erzämter zu reklamieren - dazu weiter unten. Zusätzlich zur schriftlichen Fixierung von Wahlrecht und Erzamt erhielten die sieben Königswähler noch ein Paket an Regalien, vom Herrscher abgeleitete Hoheitsrechte an Bergwerken, Juden, Zöllen und Münzen, an denen erhebliche finanzielle Einkünfte hingen, und das Recht zu unbeschränktem Erwerb von Gütern (Kap. 9-10). Eingerahmt wurden diese Verfügungen durch Gerichtsstandsprivilegien für den König von Böhmen (Kap. 8) und in leichter Abwandlung für die übrigen Kurfürsten (Kap. 11). Abgesichert wurde dieser Komplex durch die Erklärung, dass die kurfürstlichen Freiheiten und Rechte Vorrang und Geltung vor den Privilegien aller anderen Personen oder Gemeinschaften haben sollten (Kap. 13).9 Die gleichzeitige Privilegierung aller Kurfürsten mit gemeinsamen Vorrechten in einem herausragenden Text stärkte deren Interessengemeinschaft und betonte indirekt die Distanz zu den Nichtkurfürsten. Der Plan Karls IV. (Kap. 12: De congregatione principum), alljährlich Zusammenkünfte der Kurfürsten vier Wochen nach Ostern auf Initiative und mit Beteiligung des Herrschers abzuhalten, sollte in dieselbe Richtung wirken. Er zeigt auch, dass der Luxemburger bereit war, die gewachsene Teilhabe der Königswähler an der Reichsherrschaft in regelmäßigen Beratungen zu institutionalisieren. Bekanntlich wurde aus diesem Vorhaben erst einmal mit einer Ausnahme nichts: Die in Kapitel 12 für vier Wochen nach Ostern 1356 nach Metz angesetzte Veranstaltung fand statt, allerdings ein halbes Jahr später, und gipfelte dann, wie ursprünglich in Nürnberg nicht vorgesehen, in der Fortsetzung, Vollendung und Publikation der Goldenen Bulle in der Moselmetropole am Weihnachtstag.10 Weitere exklusive Rechte kleineren Zuschnitts erhielten die Kurfürsten in den Kapiteln 29 (§ 2: Kein Gesandter darf stellvertretend den Platz seines kurfürstlichen Herrn an der Tafel einnehmen) und 30 (§ 1: Befreiung der Kurfürsten von den Lehnstaxen).11 9

ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 5) 1 S. 51-61 und S. 68-72; Erling Ladewig PETERSEN, Studien zur Goldenen Bulle von 1356, DA 22 (1966) S. 227-253, hier S. 236 f.; HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 144 f.; knapp Michael LINDNER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. 29. Ausstellung des Europarates in Magdeburg und Berlin und Landesausstellung Sachsen-Anhalt 2: Essays, hg. von Matthias PUHLE / Claus-Peter HASSE ( 2 0 0 6 ) S. 3 1 0 - 3 2 1 , hier S. 3 1 4 ff.

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ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 5) 1 S. 61-68; PETERSEN, Studien (wie vorige Anm.) S. 249; SCHUBERT, Kurfürsten (wie Anm. 6) S. 106 f.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die

„solempnis curia" als Element der Herrschaftsausübung in der Spätphase Karls IV. (1360 bis 1376), in: Deutscher Königshof (wie Anm. 8) S. 451^176, hier S. 4 5 4 - 4 5 7 . 11

ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 5) 1 S. 9 3 , 9 9 ff.; KRIEGER, Lehnshoheit (wie Anm. 4) S. 4 6 0 ff.; HERGEMÖLLER, Abschluß (wie Anm. 3) S. 2 2 0 ff.

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Nur für die weltlichen Kurfürsten von Bedeutung waren die Regelungen über die Erbfolge in den Kurlanden mit dem Problem der Regierungsfähigkeit des Nachfolgers, zur Unteilbarkeit der Kurfürstentümer, über den untrennbaren Zusammenhang von Kurstimme, Erzamt, Würden und Rechten mit dem Kurterritorium sowie die kaiserliche Sorge um das Bildungsniveau der Erben (Kap. 7, 20, 25, 31). Die so insgesamt sehr komfortabel ausgestatteten Kurfürsten repräsentierten gemeinsam mit dem Herrscher das Reich. Auch diesem Aspekt trug die Goldene Bulle Rechnung in mehreren Kapiteln (Kap. 3-4, 6, 21-23, 26-28) zur Ordnung des Zeremoniells auf Hoftagen und den dabei stattfindenden Prozessionen, Messen, Belehnungen und Festmahlen. Eine derartig ausgearbeitete, schriftlich festgehaltene ,Reichszeremonialordnung' hatte es bis dahin nicht gegeben; neben der gesetzgeberischen Leistung der Goldenen Bulle steht somit ihr Beitrag zur Ordnung des Zeremoniells.12 Die Sonderbehandlung der Kurfürsten in der öffentlichen Repräsentation des Reiches war der sichtbare Ausdruck ihres allgemeinen Vorranges gegenüber den übrigen Reichsfürsten. Dieser eigenständigen Position der Elektoren wuchsen aus zweierlei Richtung Kompetenzen zu:13 einmal vom Herrscher, der ihnen einen Anteil an der Reichsregierung zugestand (Kap. 12), sie unter den Schutz der kaiserlichen Majestät stellte (Kap. 24) und ihnen einen deutlich sichtbaren Platz bei der Repräsentation des Reiches einräumte (Kap. 3 ^ , 6, 21-23, 26-28); zum anderen von den Fürsten, deren Teilhabe am Reich, die seit den Zeiten des Investiturstreites die Herrschaft des Königs ergänzt hatte, durch die kurfürstliche Sonderstellung eingeschränkt wurde. So ließ Karl IV. wiederholt wichtige politische Fragen ausschließlich durch die Kurfürsten entscheiden,14 was zu Lasten der fürstlichen Mitwirkung

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Vgl. Johannes KUNISCH, Formen symbolischen Handelns in der Goldenen Bulle von 1356, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER (ZHF B e i h . 2 5 , 2 0 0 1 ) S. 2 6 3 - 2 8 0 ; SCHUBERT, Erz- u n d Erbämter ( w i e A n m . 8 ) S. 2 1 8 ; SCHNEID-

MÜLLER, Auffuhrung (wie Anm. 8) S. 76-92; Barbara STOLLBERG-RILINGER, Verfassungs-

akt oder Fest. Die „solemnis curia" der Goldenen Bulle und ihr Fortleben in der Frühen Neuzeit, in: Kaisermacher (wie Anm. 8) S. 94-104, hier S. 94-97. 13

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V g l . SCHUBERT, Kurfürsten ( w i e Anm. 6) S. 1 0 3 - 1 1 0 und S. 119 ff.; Karl-Friedrich

KRIEGER, Fürstliche Standesvorrechte im Spätmittelalter, BDLG 122 (1986) S. 91-116, hier S. 111 f f ; KUNISCH, Formen (wie vorige Anm.) S. 276 ff. Vorladung Herzog Rudolfs von Österreich vor das Gericht des Kaisers und der Kurfürsten von 1361 März 5 (R: URH 8 S. 117 Nr. 147); kurfürstliches Urteil gegen Bernabò Visconti von 1361 Mai 29 (R: RI 8 Nr. 3701); kurfürstliche Zustimmung zur Belehnung Philipps von Valois mit der Grafschaft Burgund von 1362 Januar 15 (R: URH 8 Nr. 273); kurfürstliche Zustimmung zur Aufhebung des Pfahlbürgerverbots an elsässische Städte von 1365 August 10 (R: URH 9 Nr. 69); kurfürstliche Erlaubnis für den Kaiser, auf dem Boden des Reiches zu bauen, von 1368 Januar (R: REM 2/1 Nr. 2368) und Februar.

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(iconsilium principum) und der auf Anfrage des Herrschers ergangenen Fürstensprüche {sentenciae principum) ging. Ganz verschwanden allerdings weder die Mitwirkung noch die Urteile der Fürsten. Es stand letztendlich in Karls IV. Belieben, ob er nur die Kurfürsten oder auch andere Reichsfürsten an seinen Entscheidungen beteiligte. Die Regelungen zum Geleit der Kurfürsten jedenfalls kamen nicht ohne Berücksichtigung der Fürsten wie auch der anderen die politische Realität des Reiches mitprägenden Herrschaftsträger von den Grafen bis zu verschiedenen Gemeinschaften (communitates) aus (Kap. 1 § 2-3, § 5-12). Die Präeminenz der Königswähler hatte bis zum Ende des Alten Reiches Bestand und wurde am deutlichsten im frühneuzeitlichen Reichstag sichtbar. Sie bildete einen fortwährenden Anreiz für die durch die Goldene Bulle Ausgeschlossenen, sich um Aufnahme in das Kurkolleg zu bemühen, wie die Beispiele der bayerischen Wittelsbacher und der Weifen im 17. Jahrhundert und der 1803 neu geschaffenen Kurfürstentümer Regensburg, Salzburg (ab 1805 Würzburg), Baden, Hessen-Kassel und Württemberg zeigen.15 Ihre Bedeutung für die Entwicklung der Staatlichkeit des Reiches im späten Mittelalter ist umstritten: Peter Moraw gewinnt der besonderen Rolle des Kurfürstentums positive Aspekte ab, während Ernst Schubert vor allem die zentrifugalen Wirkungen sieht.16 Der Vorrang, der den Kurfürsten mit der Goldenen Bulle endgültig zugeschrieben wurde, minderte die Macht, den Rang und das Ansehen der übrigen Reichsfürsten. Bei öffentlichen Auftritten, vor allem auf Hoftagen samt den dabei vollzogenen Prozessionen, Festmahlen, Messen, Gerichtsverhandlungen und den Regelungen der Sitzordnung, erfuhren sie eine publikumswirksame sichtbare Nachordnung: Es darf den Kurfürsten beim Gehen, Sitzen oder Stehen kein anderer Fürst vorgezogen werden.17 In den Zeugenlisten der feierlichen Privilegien Karls IV. fallen die Fürsten hinter die Elektoren zurück, die jetzt an erster Stelle noch vor den Geistlichen rangieren. Rat und Urteil der Fürsten sind weniger gefragt und in ihrer Bedeutung dem 15

Eingehend dazu Axel GOTTHARD, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, 2 Bde. (Historische Studien 457, 1999); DERS., Cardo Imperii - Das Kurfürstenkollegium im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reichsverband, in: Kaisermacher (wie Anm. 8) S. 130-139 mit weiterer Literatur; Wolfgang E. J. WEBER, Einleitung, in: Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, hg. von Wolfgang E. J. WEBER (1998) S. 1-26, hier S. 16 ff.; Hans-Jürgen BECKER, Umbruch in Europa. Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, in: 1803 - Wende in Europas Mitte. Vom feudalen zum bürgerlichen Zeitalter, hg. von Peter SCHMID / Klemens UNGER

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MORAW, Fürstentum (wie Anm. 4) S. 125 f.; SCHUBERT, Kurfürsten (wie Anm. 6) S. 120 f.

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M G H C o n s t . 11 S. 5 8 4 , 1 6 - 1 9 ( K a p . 6 ) ; v g l . SCHNEIDMÜLLER, A u f f ü h r u n g ( w i e A n m . 8 )

( 2 0 0 3 ) S. 1 7 - 3 4 .

S. 7 6 - 9 2 .

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kurfürstlichen nachgeordnet - die vielzitierten alljährlichen Beratungen nach Kapitel 12 wären ohne sie ausgekommen. Während einer Wahl in Frankfurt wurde ihnen laut Goldener Bulle (Kap. 1 § 20) sogar der Zutritt zur Stadt verwehrt. Konnte eine solche, zu Lasten der Fürsten gehende Politik gutgehen? In der Beantwortung dieser Frage mit seiner praktischen Politik zeigt sich das diplomatische Geschick des Luxemburgers. Er konnte davon ausgehen, dass es unter den zahlreichen, von den Bestimmungen der Goldenen Bulle nur mittelbar tangierten und an den Hoftagen von Nürnberg und Metz nicht beteiligten Fürsten wenig Interesse an einem gemeinsamen, auf das ganze Reich bezogenen ständischen Handeln gab. Sie wirkten fast ausschließlich in ihrer Region und waren da mit Sicherung und Ausbau ihrer fürstlichen Herrschaft sowie mit der Abwehr von Konkurrenten beschäftigt. Dort allerdings kam der Kaiser ihnen auf verschiedene Weise entgegen. Besonders im Auge behalten musste Karl IV. dabei die beiden anderen mit den Luxemburgern um die Krone streitenden Großdynastien der Habsburger und Wittelsbacher,18 wie deren noch zu behandelnde Reaktionen zeigen. Um die Zahl möglicher fürstlicher Gegner von vornherein klein zu halten, gewährte der Kaiser im unmittelbaren zeitlichen Umfeld von 1356 einigen wichtigen principes imperii Privilegien, Rangerhöhungen, neue Titel und Insignien sowie finanzielle Zuwendungen. Er belohnte damit ihr Wohlverhalten, versuchte eventuelle Benachteiligungen auszugleichen oder investierte einfach in zukünftige Zusammenarbeit. Zugleich ebnete er den Graben, der sich zwischen Kur- und übrigen Reichsfürsten aufgetan hatte, sofort wieder ein wenig ein mit den gängigen Mitteln herrscherlicher Politik. Bischof Johann von Straßburg hatte sich im Umfeld der Hoftage von Nürnberg und Metz um Kaiser und Reich verdient gemacht und war dafür zwischen Dezember 1355 und Januar 1357 vom Kaiser mit wertvollen Privilegien - eine finanzielle Zuwendung in Form einer Pfandverschreibung von 5.000 Gulden und kurfürstliche Willebriefe inbegriffen - geradezu überschüttet worden.19 Zu den 15 Diplomen erhielt der Bischof im Nachklang der Goldenen Bulle 1358 die Gerichtsstandsprivilegien de non evocando und de non appellando sowie einen Text über das Erbkäm18

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Vgl. Peter MORAW, Die Entfaltung der deutschen Territorien im 14. und 15. Jahrhundert, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter, hg. von Gabriel SILAGI (Münchener Beitr. zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 35/1, 1984) S. 61-108, hier S. 95 ff.; MORAW, Fürstentum (wie Anm. 4) S. 121 ff.; DERS., Regionen und Reich im späten Mittelalter, in: Regionen und Förderalismus, hg. von Michael MATHEUS (Mainzer Vorträge 2, 1997) S. 9-29, hier S. 18 ff.; Emst SCHUBERT, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35, 1996) passim. MGH Const. 11 Nr. 622, 685, 692 f., 702 (Willebriefe), 719, 720 (Willebriefe), 872 (neun Urkunden), 936 mit weiteren Angaben; zu Bischof Johann außerdem HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 204; DERS., Abschluß (wie Anm. 3) S. 164 ff.

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mereramt seiner Kirche.20 Außerdem nahm er im Auftrage des Kaisers wichtige 21

Aufgaben im Elsass (Kloster Murbach) und in Freiburg war. Ein weiterer vom Herrscher für sein Engagement belohnter geistlicher Reichsfurst war der Abt von Fulda, Heinrich von Kranlucken. Von Februar 1354, als er in Trier von Karl IV. mit den Regalien seines Stifts belehnt wurde, bis in das Jahr 1361 finden wir ihn regelmäßig über längere Zeit am kaiserlichen Hofe, so auch in Nürnberg und Metz. Innerhalb eines reichlichen halben Jahres, von Mai 1356 bis Januar 1357, erhielt er zwölf kaiserliche Urkunden.22 Unter diesen Begnadungen ragte die Verleihung des Amtes eines Erzkanzlers der Kaiserin oder Königin an Abt Heinrich und seine Nachfolger heraus. Am 1. Juni 1356 wurde dies dem Abt in einer feierlichen Urkunde, die mit einer Goldbulle besiegelt war, in Prag gewährt. Die Originalurkunde zu diesem Akt ist verloren. Nur eine notariell beglaubigte Abschrift vom 16. Juli 1358, welche im Schriftbild das Original imitiert, gibt Kenntnis davon. Am 9. Juni 1356 wurde Heinrich von Fulda die Erzkanzlerwürde innerhalb einer allgemeinen 23

Privilegienbestätigung noch einmal ausdrücklich zugesprochen. In der Goldenen Bulle Karls IV. ist von diesem Vorrecht des Fuldaer Abtes keine Rede. Ob es jemals in der Praxis ausgeübt wurde, ist in den Quellen nicht überliefert. Abt Heinrich verfugte mit diesem officium archicancellariatus jedenfalls über ein Erzamt, ohne Kurfürst zu sein. Als eine Gegenleistung musste er dafür auf kaiserlichen Wunsch dem Thomaskloster auf der Prager Kleinseite eine umfangreiche Reliquienschenkung machen, die am 5. Juli 1356 in Fulda beurkundet wurde. Unter den heiligen Gebeinen befanden sich Teile vom Arm des hl. Bonifatius, vom Kiefer des hl. Quirin, der Rippen der Heiligen Cyriacus und Laurentius, vom Kiefer des heiligen Papstes Urban, der Rippe und des Schädels des hl. Felix, vom Schädel des heiligen Papstes Fabian, ein Finger des hl. Sturmi und anderes mehr.24 Zuletzt ist noch auf ein Privileg für

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Privileg über die Gerichtshoheit vom 3. März 1358: ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 5) 2 S. 129 Nr. 35 (nicht in RI). Privileg über das Erbkämmereramt vom 1. März 1358: Abschrift des 18. Jahrhunderts in den Archives Départementales du Bas-Rhin, Strasbourg „G 5702" (R: RI 8 Nr. 2756 mit altem Druck).

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MGH Const. 11 Nr. 629 und Nr. 853. MGH Const. 11 Nr. 769, 770, 772, 773, 787, 901, 937, 938, 940, 941, 942 mit weiteren Angaben; dazu (dort und in RI 8 nicht erfasst): UB zur Geschichte der Herren von Hanau und der ehemaligen Provinz Hanau 3: 1350-1375, hg. von Heinrich REIMER (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 60. Hessisches UB 2/3,1894) S. 231 Nr. 205. MGH Const. 11 Nr. 772 mit Anm. 3. D: RBM 6 S. 207 Nr. 384; vgl. zu Fulda HERGEMOLLER, Abschluß (wie Anm. 3) S. 143 f.; Michael LINDNER, Äbte in Not. Das Stift Fulda und die Markgrafen von Meißen zur Zeit Kaiser Karls IV., in: Coburg 1353. Stadt und Land im Spätmittelalter, hg. von Reinhardt

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den Fuldaer zu verweisen, das er am 24. Juli 1360 vom Kaiser erhielt: die Erlaubnis, im Kampf gegen Räuber und andere Friedensstörer unter dem Reichsbanner ausziehen zu dürfen. Damit konnte der Abt seine zahlreichen kriegerischen Aktionen gegen seine ebenso zahlreichen Feinde im Namen und unter dem Schutz des Reiches ausfuhren. Das Vorbild für Heinrich von Kranlucken war in dieser Hinsicht ein kurfürstliches, nämlich Erzbischof Wilhelm von Köln, der dasselbe Recht am 14. und 20. Februar 1354 in Trier vom Herrscher erhalten hatte, gerade zu dem Zeitpunkt, als Abt Heinrich am Hofe war, um seine Regalien zu empfangen.25 Herzog Wilhelms I. von Jülich rasanter Aufstieg - innerhalb von zwanzig Jahren wurde er erst Markgraf (1336) und damit Reichsfürst, dann Herzog (1356) - gipfelte in dieser Erhebung zum Herzog und der Umwandlung seiner Mark in ein Herzogtum {marchionem Juliacum [!] in ducem suumque marchionatum sublimavimus in ducatum)26 durch den Kaiser am Weihnachtstag 1356 in Metz. Karl IV., der dem Jülicher nach dem Tod Kaiser Ludwigs IV. 1347 seine Durchsetzung am Niederrhein verdankte, belohnte Wilhelm, obwohl das nicht im Interesse seines Bruders Wenzel, des neuen Herzogs von Brabant, sein konnte. Bereits 1349 war Wilhelm von Jülich zum Rat und Freund sowie zum Gesellen des Königs ernannt worden, mit dem Privileg, daz er unsir cleyder in gleicher gestalt als wir si haben ze unserm leibe mit uns tragen und haben sol; auch nach dem Metzer Hoftag blieb er noch eine Zeit27

lang im Gefolge des Kaisers. Wenige Wochen nach dem Ende des Metzer Hoftages erschien Anfang März 1357 Herzog Barnim III. von Pommern-Stettin vor dem Kaiser in Nürnberg. Er war im Umfeld der Goldenen Bulle nicht in Erscheinung getreten und wurde dennoch auffallig privilegiert. Der Zusammenhang zum kaiserlichen Königswahlgesetz stellt sich nur indirekt her über das Verhältais des Luxemburgers zu den Kurfürsten und Markgrafen von Brandenburg. Der Greifenherzog stellte als deren nordöstlicher Nachbar einen wichtigen Verbündeten für Karl IV. dar. Herzog Barnims Interesse an einer BUTZ

/ Gert

MELVILLE

(Schriftenreihe der historischen Ges. Coburg e.

V.

17,

2003)

S. 9 7 - 1 2 8 . 25

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Urkunde von 1360 Juli 24 (R: RI 8 Nr. 3245); Urkunden von 1354 Februar 14 und 20 (D: MGH Const. 11 Nr. 68 und Nr. 75). Brief des Kaisers von 1357 Januar 6 (wie Anm. 1); zu Jülich vgl. Wilhelm JANSSEN, Die niederrheinischen Territorien im Spätmittelalter. Politische Geschichte und Verfassungsentwicklung 1300-1500, RhVjbll 64 (2000) S. 45-167, hier S. 77 ff., sowie LINDNER, Es war an der Zeit (in diesem Band) Anm. 7 f. mit weiterer Literatur und Quellen. Privileg von 1349 Februar 10: MGH Const. 9 S. 128 f. Nr. 164, das Zitat S. 128,27 f.; dazu Reinhard SCHNEIDER, Probleme der Reichspolitik Karls IV., BDLG 114 (1978) S. 73-101, hier S. 84 ff. - Der Aufenthalt des Jülichers nach dem Metzer Hoftag im kaiserlichen Umfeld geht aus REK 6 Nr. 921 von Maastricht, 1357 Januar 26 hervor.

| Michael Lindner

erneuten Zurückweisung der brandenburgischen Lehnshoheit und an der wiederholten Aufhebung der Eventualnachfolge der Markgrafen in Pommern-Stettin kam der Kaiser gern entgegen, um den wittelsbachischen Markgrafen zu schaden.28 Am 4. März 1357 erhielt Barnim mehrere wichtige Urkunden: Zuerst widerrief der Kaiser zugunsten des Empfängers in einem feierlichen Diplom mit Goldbulle in lateinischer Sprache und mit Majestätssiegel in deutscher Ausfertigung alle Veräußerungen, Entfremdungen und Teilungen von reichslehnbaren Rechten und Gütern des Stettiner Herzogtums, die ohne königliche oder kaiserliche Zustimmung vorgenommen worden waren.29 Dann gestattete er ihm die Einrichtung von Hofämtern und deren Besetzung mit zehn Männern eigener Wahl, die als Edelleute nur dem Gericht des Königs bzw. Kaisers, seines Hofrichters oder des Herzogs von Stettin unterworfen sein sollen. 30 Zuletzt erneuerte er in einem weiteren feierlichen Diplom mit Goldbulle die Belehnung Barnims mit seinem Herzogtum und allem, was er noch vom Reiche zu Lehen habe, nahm ihn in seinen Schutz und bestätigte ihm die Zugehörigkeit zum Reich und seine reichsunmittelbare Stellung, wie es schon 1348 und 1355 beurkundet worden war.31 Zusätzlich erhielt Herzog Barnim von Pommern-Stettin mit diesem Text ein Recht, das neu war: Er und seine Erben durften in Zukunft eine besondere herzogliche Kopfbedeckung in Form eines Baretts (ducale byrretum) tragen, wodurch ihre fürstliche Stellung auch äußerlich sichtbar betont wurde. Unter Kaiser Ludwig, der die Greifen 1338 zu Herzögen gemacht hatte, war ihnen äußerer Schmuck zur Demonstration ihrer neuen Würde noch verwehrt geblieben: Die Titelinitiale der Erhebungsurkunde zeigt sie barhäuptig ohne Herzogshut in auffallig schlichter Kleidung.32 In einer weiteren, heute verlorenen Urkunde vom 4. März 1357 übernahm Karl IV. außerdem noch die Vormundschaft über die Gemahlin und die Kinder Herzog Barnims, falls dieser stürbe.33 Vom Amte eines Jägermeisters des Reiches (magistratus venationis imperii), das er den Greifenherzögen der beiden pommerschen Linien, Stettin und Wolgast, am 12. Juni 1348 gemeinsam verliehen 28

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Vgl. Klaus CONRAD, Die Belehnung der Herzöge von Pommern durch Karl IV. im Jahre 1348, BDLG 114 (1978) S. 391^106; Rudolf BENL, Pommern bis zur Teilung von 1368/72, in: Pommern, hg. von Werner BUCHHOLZ (Deutsche Geschichte im Osten Europas, 1999) S. 107-115. D: MGH eConst 2 (2005) Nr. 570304ad (mit weiteren Hinweisen); R: RI 8 Nr. 2621. D: MGH eConst 2 (2005) Nr. 570304b (mit weiteren Hinweisen); R: RI 8 Nr. 2623. D: MGH eConst 2 (2005) Nr. 570304e (mit weiteren Hinweisen); R: RI 8 Nr. 2622. Urkunde von 1348 (D: MGH Const. 8 Nr. 607AB); Urkunde von 1355 (D: Otto von HEINEMANN, Die kaiserlichen Lehnsurkunden für die Herzöge von Pommern, BSt NF 3 (1899) S. 171 Nr. 5; R: MGH Const. 11. Nr. 536). Robert SUCKALE, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern (1993) S. 36 f. und S. 236. Vgl. Anm. 2 zu MGH eConst 2 (2005) Nr. 570304e.

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hatte,34 war im März 1357 keine Rede mehr. Das dürfte mit dem im Folgenden behandelten Fürsten zusammenhängen. Beim Empfang des Kaisers 1365 in Avignon allerdings wurde Barnim von Pommern-Stettin noch einmal eine herausragende Ehre zuteil: In der Prozession trug er, zusammen mit zwei weiteren Fürsten dem Kaiser 35

vorangehend, das Zepter des Reiches. Markgraf Friedrich III. von Meißen, zugleich Landgraf von Thüringen, nahm sowohl am Nürnberger wie auch am Metzer Hoftag der Goldenen Bulle teil. Nach Nürnberg 1355/56 hatte er seinen jüngeren Bruder Balthasar mitgebracht. Im unmittelbaren Vorfeld des Nürnberger Tages erhielt Markgraf Friedrich am 22. November 1355 in Sulzbach für sich und seine Brüder Balthasar, Ludwig und Wilhelm, die beiden letztgenannten zu diesem Zeitpunkt noch unmündig, eine kaiserliche Pfandverschreibung zur Schuldenbegleichung und ein Münzprivileg.36 Am selben Tag erhielten die Wettiner noch eine allgemeine Bestätigung aller ihrer Königs- und Kaiserurkunden über Herrschaftsrechte, Besitzungen und Freiheiten in deutscher Fassung, der am 22. Dezember 1355 in Nürnberg eine lateinische Variante in Form eines feierlichen Diploms mit Goldbulle folgte. 37 Als Zeugen treten in dem feierlichen Stück alle Kurfürsten mit ihren Erzämtern auf - außer dem böhmischen König, der als Kaiser die Urkunde ausstellt. Diesen wertvollen Gnadenerweisen wurde zu Weihnachten 1356 in Metz am Tag der Publikation der Goldenen Bulle ein weiterer hinzugefügt: Da trat Markgraf Friedrich als Erzjägermeister des Reiches und einer der sacri 34 35

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D: MGH Const. 8 Nr. 606; vgl. CONRAD, Belehnung (wie Anm. 28) S. 391 ff. Johannis Neplachonis, abbatis Opatovicensis, Chronicon (Neplacha, opata Opatovskeho, Krätka Kronika Rimskä a Ceskä), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; N D 2004) S. 4 4 5 484, hier S. 483; vgl. dazu Achim Thomas HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen (RI Beih. 18, 1999) S. 549-563; Marie BLÄHOVÄ, Pfijezd Karla IV. do Avignonu v kvetnu 1365 v podäni soudobe historiografie [Die Ankunft Karls IV. in Avignon im Mai 1365 in der Überlieferung der zeitgenössischen Historiografie], in: Ve znameni zemi Koruny ceske. Sbornik k sedesätym narozeninäm prof. PhDr. Lenky Bobkove, CSc. [Im Zeichen der böhmischen Kronländer. Sammelband zum 60. Geburtstag von Prof. PhDr. Lenka Bobkovä], hg. von Ludek BREZINA / Jana KONVICNÄ / Jan ZDICHYNEC (2006) S. 559-577.

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D: MGH Const. 11 S. 316 Nr. 554 (R: RI 8 Nr. 6161) und S. 317 Nr. 556 (nicht in RI 8); vgl. dazu Michael LINDNER, Nähe und Distanz: Die Markgrafen von Meißen und Kaiser Karl IV. im dynastischen Wettstreit, in: Akkulturation und Selbstbehauptung. Studien zur Entwicklungsgeschichte der Lande zwischen Elbe / Saale und Oder im späten Mittelalter, in Verbindung mit Eberhard HOLTZ und Michael LINDNER hg. von Peter M O R A W (BBAW. Berichte und Abh. Sonderbd. 6, 2001) S. 173-255, hier S. 230 Nr. 26 und S. 240 Nr. 35 mit jeweils weiteren Erläuterungen.

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D: LINDNER, Nähe und Distanz (wie vorige Anm.) S. 232 Nr. 30/1 (lat.) und Nr. 30/2 (dt.) mit weiteren Angaben zu Abbildungen und Regesten.

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imperii offìciales unter allerlei Getöse an der kaiserlichen Tafel auf, nachdem die 38

Kurfürsten dort beim Mahl ihre Erzämter verrichtet hatten. Mit der Würde eines Erzjägermeisters verfugte der wettinische Markgraf über ein Erzamt, das - wie das des Fuldaer Abtes Heinrich - nicht an eine Kurwürde gebunden war. In einem herausragenden Moment der Repräsentation des Reiches auf dem feierlichen Metzer Hoftag nahm Friedrich von Meißen dieses Amt in der Öffentlichkeit wahr. Dieser Praxistest fand in unmittelbarem Zusammenhang mit den kurfürstlichen Erzdiensten nach Kapitel 27 der Goldenen Bulle statt und rückte den Markgrafen für einen Augenblick in die Nähe der vielfach privilegierten Königswähler. Mit dieser spektakulären Aktion verschwindet der meißnische Jägermeister des Reiches aber auch schon wieder von der politischen Bühne, um - noch eine Parallele zu Fulda - erst in der Neuzeit gelegentlich wieder in der Überlieferung aufzutauchen. Markgraf Friedrich konnte sich 1356 bei seinem vehementen Auftritt als Reichsjägermeister nicht auf eine lange Vorgeschichte berufen. Er hatte seinen Anspruch erst wenige Jahre zuvor, am Anfang des Jahres 1350 in den wettinisch-luxemburgischen Ausgleichsgesprächen von Bautzen, durch seine Kanzlei formulieren und von Karl IV. beurkunden lassen.39 Was der Meißner daraus in Abstimmung mit dem Kaiser - die man hier voraussetzen kann - machte, wurde, wie bereits beschrieben, am 25. Dezember 1356 beim Festmahl in Metz sichtbar. Warum diese auffalligen Gunst- und Ehrerweise für die meißnischen Fürsten im Umfeld der Ereignisse von Nürnberg und Metz? Karl IV. stand während seiner gesamten Herrschaftszeit zu den Wettinern in einem spannungsreichen Verhältnis, das beständig zwischen gefährdeter Nähe und lauernder Distanz pendelte.40 Der mittel-

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Chronicon Benessii de Weitmil (Kronika Benese z Weitmile), hg. von Josef EMLER (FRB 4, 1884; N D 2004) S. 457-548, hier S. 526A,34 f.: ... Item marchio Misnensis archivenator, sacri imperii officiales; weiter S. 526B,29-33: Ultimo veniuntprincipes: marchio Misnensis archivenator et comes de Swarzburg subvenator cum canibus venaticis et tubis multis et magnum facientes strepitum, cervum et aprum portant ad mensam principis cum omni alacritate. Vgl. Winfried LEIST, Zwei Reichsämter der Markgrafen von Meißen, BDLG 114 (1978) S. 433-440, hier S. 437 ff.; Eckhart LEISERING, Die Rechte der Wettiner als Reichsfürsten. Eine Aufzeichnung von 1350, NASG 69 (1998) S. 233-243 mit Edition der beiden einschlägigen Texte. Dazu und zum Folgenden in Auswertung bekannten und unbekannten Quellenmaterials Michael LINDNER, Kaiser Karl IV. und Mitteldeutschland, in: Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Histórica, hg. von Michael LINDNER / Eckhard MÜLLER-MERTENS / Olaf B. RADER unter Mitarbeit von Mathias L A W O (BBAW. Berichte

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deutsche Raum, in dem die wettinischen Mark- und Landgrafen die stärkste einheimische Macht waren, lag im Hegemonialbereich der südlich und östlich angrenzenden Länder der Böhmischen Krone, denen Kaiser Karl IV. als König vorstand. Böhmens Größe lag dem Luxemburger sehr am Herzen. Ein neuer Stamm- und Gründervater des Landes, ein zweiter Bohemus (ut alter Boemus), wollte er sein, offenbart seine Autobiografie. 41 So erwarb Karl an Elbe, Saale und Oder, was er bekommen konnte, und war in der Wahl seiner Mittel nicht wählerisch oder, wie ein hofnaher, zeitgenössischer böhmischer Chronist stolz und offenherzig sagte: et dilatatum est regnum et ampliatum ad omnes partes vehementer,42 Enge Verbündete waren ihm die Nachbarn und dynastischen Konkurrenten der Wettiner, die wittenbergischen Askanier, Herzöge von Sachsen, Kurfürsten und Erzmarschälle des Reiches. Mit der Goldenen Bulle wurden die askanischen Herzöge von Sachsen-Wittenberg von Karl noch einmal aufgewertet, wenn sie auch von ihm kein Original des Gesetzestextes erhielten: Ihnen wurde gegen die Ansprüche der älteren askanischen Linie Sachsen-Lauenburg die Kurwürde mit einem Erzamt zugesprochen, und sie wurden während einer Thronvakanz zu Verwesern des Reiches auf dem Gebiet des sächsischen Rechts (Kap. 5). Um diesen neuen, nicht durch ältere Gewohnheit be-

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und Abh. Sonderbd. 2, 1997) S. 83-180, hier S. 103-112, 122-127, 133-136; LINDNER, Nähe und Distanz (wie Anm. 36) passim. Vita Karoli IV. imperatoris (Zivot cisare Karla IV.), hg. von Josef EMLER (FRB 3, 1882; ND 2004) S. 325-368, hier Kap. 8 S. 348, wo Karl IV. berichtet, dass er nach jahrelanger Abwesenheit von Böhmen die böhmische Sprache, die er völlig vergessen hatte, neu erlernte, um danach ut alter Boemus zu sprechen und zu denken. Dieses ut alter Boemus wird immer wieder übersehen oder missverständlich übersetzt: „wie jeder andere Böhme". Das wollte Karl IV. sicher nicht sein, sondern in herausragender Position ein neuer Gründervater Böhmens, ein zweiter Bohemus. Bereits Reinhard SCHNEIDER, Karls IV. Auffassung vom Herrscheramt, in: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen deutschen Königtums, hg. von Theodor SCHIEDER (HZ Beih. 2,1973) S. 122-150, hier S. 127, machte auf die Bedeutung dieser Selbstaussage aufmerksam. Zu Bohemus als Heros eponymos und Urvater der Böhmen vgl. Frantisek GRAUS, Lebendige Vergangenheit, Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter (1975) S. 89 f f ; DERS., Die Nationenbildung der Westslaven im Mittelalter (Nationes 3, 1980) S. 33 ff., 134, 169 f. Chronicon Benessii (wie Anm. 38) S. 540; zu Territorialpolitik und Vorgehensweise Karls IV. in Mitteldeutschland vgl. Ulrike HOHENSEE, Zur Erwerbung der Lausitz und Brandenburgs durch Kaiser Karl IV., in: Kaiser, Reich und Region (wie Anm. 40) S. 213— 243; DIES., Die Inkorporationsurkunde Karls IV. für die Niederlausitz - Echtheitsfragen, in: Akkulturation und Selbstbehauptung (wie Anm. 36) S. 257-286; LINDNER, Mitteldeutschland (wie Anm. 40) S. 87 und S. 101-127; DERS., Nähe und Distanz (wie Anm. 36) S. 180-192; Olaf B. RADER, Kaiser Karl IV. und der mittlere Elbe-Saale-Raum, SaAn 20 (1997) S. 267-318.

Michael Lindner

gründeten Rechtstitel zu stützen, erhielten sie von Karl IV. in der sogenannten ,Goldenen Bulle für Sachsen' am 27. Dezember 1356 in Metz noch zusätzlich die sächsische Pfalzgrafenwürde und die Anwartschaft auf das weifische Herzogtum Lüneburg.43 Zu den Rechten eines Provisors gehörte nach Kapitel 5 der Goldenen Bulle das Einsammeln von Einkünften in Stellvertretung des Herrschers. Unter dem Titel eines vicedominus et capitaneus gestattete Karl IV. genau dies dem Sachsenherzog Rudolf am 30. August 1361 in den Reichsstädten Goslar, Dortmund, Herford und Quedlinburg44 und verschaffte damit seinem wittenbergischen Günstling auch einen unmittelbar praktischen Nutzen der neuen Würde. Die Teilung der Verweserschaft des Reiches vacante imperio unter zwei weltliche Kurfürsten, den Pfalzgrafen bei Rhein und den sächsischen Herzog, diente dem Herrscher einerseits zur Schwächung der pfalzgräflichen Position, zum anderen zur Belohnung seiner Anhänger.45 Diese offensichtliche Bevorzugung der kurfürstlichen Askanier und die vehement vorgetragenen böhmischen Interessen im Elbe-Saale-Raum stellten für die Wettiner Zumutungen dar, die nach Kompensation verlangten. Ein Teil davon bestand in den geschilderten Privilegien für die wettinischen Mark- und Landgrafen und in der Möglichkeit zum öffentlichen Auftritt Markgraf Friedrichs als Erzjägermeister des Reiches. Die Begünstigung der Herzöge von Sachsen-Wittenberg durch Karl IV. rief den mannhaften Protest eines weiteren ehrwürdigen Geschlechts Sachsens hervor, das allerdings nach dem Interregnum an keiner Königswahl mehr aktiv teilgenommen hatte und auch sonst in der Reichspolitik eher passiv war. Einst selbst Sachsenherzöge, drohte den Weifen jetzt die völlige Marginalisierung und durch die Eventualbelehnung der Wittenberger mit Lüneburg ein einschneidender territorialer Verlust. Um dies alles zu verhindern und um den askanischen Kurfürsten, Erzmarschällen, Herzögen, Pfalzgrafen und Reichsverwesern auf dem Gebiet des sächsischen Rechts, ein deutliches Zeichen entgegenzusetzen, rafften sich die weifischen Fürsten zu einem eindrucksvollen heraldischen Schritt auf: Sie ersetzten zwischen 1361 und 1369 den Löwen in ihrem Wappen durch ein Pferd, um ihren besonderen Status in Sachsen

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D: MGH Const. 11 S. 501 Nr. 895; R: RI 8 Nr. 2561. Vgl. zur Goldenen Bulle und den wittenbergischen Kurfürsten HERGEMOLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 47 ff.; DERS., Eröffnung (wie Anm. 6) S. 177 ff.; LINDNER, Goldene Bulle (wie Anm. 9) S. 314; allgemein Lorenz Friedrich BECK, Herrschaft und Territorium der Herzöge von Sachsen-Wittenberg (1212-1422) (2000). D: MGH eConst 2 (2005) Nr. 610830a mit weiteren Hinweisen; R: RI 8 Nr. 3742. Zu Thronvakanz und Reichsverweserschaft im Zusammenhang mit der Goldenen Bulle vgl. Jörg W. BUSCH, Thronvakanzen als Spiegel der Entwicklung des Deutschen Reiches zwischen dem 10. und dem 14. Jahrhundert, Majestas 3 (1995) S. 3-33, hier S. 29 ff.

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zu betonen.46 Man kann erahnen, wie diese beherzte altsächsische Tat - wenn sie denn überhaupt bemerkt wurde - die benachbarten Fürstenhöfe und die kaiserliche Aula erzittern ließ. Mit Graf Albrecht II. von Anhalt nahm ein weiterer fürstlicher Dynast aus dem mitteldeutschen Gebiet an den Hoftagen von Nürnberg und Metz im Jahre 1356 teil. Besondere Privilegien oder herausragende Ehrungen hat Graf Albrecht vom Kaiser in dieser Zeit nicht erhalten.47 Im Jahr der Goldenen Bulle 1356 starb allerdings der sogenannte ,falsche Waldemar', der als Markgraf von 1348 an die Herrschaft in Brandenburg beansprucht hatte. Er wurde in Dessau in der Schlosskirche, einer der Grablegen der anhaltischen Askanier, beigesetzt, nachdem er seine letzten Jahre unter dem Schutz und der Gastfreundschaft der einheimischen Fürsten verbracht hatte. Die Bestattung Waldemars in der askanisch-anhaltischen Familiengruft zeigt, dass die Grafen bis zum Schluss an seiner Echtheit und Legitimität festhielten, und damit auch an den daran hängenden Ansprüchen. Liegt in der Episode um den PseudoMarkgrafen der Schlüssel für die Erklärung der Teilnahme Graf Albrechts an den Hoftagen der Goldenen Bulle? Die Grafen von Anhalt hatten mit ihren wittenbergischen Verwandten zu den Hauptstützen des falschen Waldemar gehört. Wäre der antiwittelsbachische Coup, von dem auch Karl IV. profitieren sollte, gelungen, hätten sie - die Brüder Albrecht II. und Waldemar I. von Anhalt - bei Einhaltung der geschlossenen Verträge die Mark Brandenburg mit der Kurwürde erhalten.48 Im Umfeld der Goldenen Bulle und durch sie letztendlich festgeschrieben, kamen Kurbrandenburg an die märkischen Wittelsbacher und Kursachsen an die askanischen Vettern in Wittenberg. Die Grafen von Anhalt gingen leer aus. Das Interesse des

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Vgl. Ernst SCHUBERT, Krisen und die Gewöhnung an politische Fragilität - Niedersachsen 1371 bis 1500, in: Geschichte Niedersachsens 2/1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom ausgehenden 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, hg. von Ernst SCHUBERT (Veröff. der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 36, 1997) S. 755 ff. mit der älteren Literatur. Dass Graf Albrecht am Hofe Karls IV. dennoch wohlgelitten war, zeigt neben der Beteiligung an den Hoftagen von 1356 die Beurkundung einer Eheabmachung durch Karl IV. zwischen Albrecht von Anhalt und dem kaiserliche Günstling Graf Burchard von Retz bezüglich einer Tochter des Askaniers am 11. März 1358 in Prag (D: CD Anhaltinus 4: 1351-1380, hg. von Otto von HEINEMANN (1879) S. 132 Nr. 203; R: RI 8 Nr. 6950). Vgl. Hermann WÄSCHKE, Anhaltische Geschichte 1: Geschichte Anhalts von den Anfangen bis zum Ausgang des Mittelalters (1912) S. 325-332 und S. 369 f.; zuletzt mit der älteren Literatur Alexander SCHUBERT, Echte Macht und falsche Herrschaft. Vom Einfluss falscher Herrscher auf die Reichsgeschichte, in: Heiliges Römisches Reich (wie Anm. 9) S. 349-357.

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Grafen Albrecht an den Entscheidungen und den Vorgängen des Jahres 1356 liegt sicher in diesen Zusammenhängen begründet. Die guten Beziehungen zwischen Kaiser Karl IV. und seinem französischen Neffen Karl, damals Dauphin, später als Karl V. König von Frankreich, die im Treffen beider im Dezember 1356 auf dem Metzer Hoftag gipfelten, und deren politische Auswirkungen konnten nicht ohne Folgen für Graf Amadeus von Savoyen bleiben.49 Der Luxemburger privilegierte, um ein Gleichgewicht zwischen Savoyen und der Dauphiné zu halten, den Grafen Amadeus zwischen den Hoftagen von Nürnberg und Metz im Juli 1356. Die Gesandten des Savoyarden, Wilhelm von Baume, Herr von Albagamento, und der Doktor beider Rechte Hugo Bernardi, erwarben in Prag einen Geleitbrief zu ihrer sicheren Heimkehr sowie drei Kaiserurkunden - einschließlich eines feierlichen Diploms mit Goldbulle - für Graf Amadeus.50 Nach der Abreise des Dauphin aus Metz verspürte Karl IV. sofort ein starkes Bedürfnis zu Gesprächen mit dem Grafen von Savoyen, um ihm - wie ein kaiserliches Schreiben vom 4. Januar 1357 belegt - seine Intentionen zu erläutern.51 Herzog Albrecht II. von Österreich und sein Sohn Rudolf IV., der mit Karls Tochter Katharina verheiratet war, hielten sich von den beiden Hoftagen der Goldenen Bulle fern. Dennoch hatten sie im Vorfeld von Nürnberg, dann zwischen Nürnberg und Metz und bald nach Metz bei drei Treffen in Regensburg im Juli 1355 sowie zweimal in Wien im Mai 1356 und im Juli 1357 unmittelbaren persönlichen Kontakt 49

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Zur Entwicklung in der Dauphine und in Savoyen Marie-Luise HECKMANN, Das Reichsvikariat des Dauphins im Arelat 1378. Vier Diplome zur Westpolitik Kaiser Karls IV., in: Manipulus florum. Aus Mittelalter, Landesgeschichte, Literatur und Historiographie. FS Peter Johanek zum 60. Geburtstag, hg. von Ellen W I D D E R / Mark MERSIOWSKY / Maria-Theresia LEUKER (2000) S. 63-97, hier S. 67-76; Marie-Luise HECKMANN, Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher. Regenten, Generalstatthalter, Kurfiirsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 9, 2002) S. 124 f.; außerdem HERGEMOLLER, Abschluß (wieAnm. 3) S. 144 f. und S. 166-171. RI 8 Nr. 2471, 2481, 4282; detaillierte und weiterfuhrende Nachweise zu den Urkunden bei H E C K M A N N , Reichsvikariat (wie vorige Anm.) S. 74; außerdem HERGEMOLLER, Abschluß (wie Anm. 3) S. 144 f. und S. 166-171; Stefan WEIß, Onkel und Neffe. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich unter Kaiser Karl IV. und König Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas. Eine Studie über mittelalterliche Außenpolitik 1: Vom Reichstag zu Metz bis zum Ausbruch des Großen Schismas, in: Regnum et Imperium. Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert, hg. von Stefan WEIß (2008) S. 101-164. D: Acta imperii inedita saeculi XIII et XIV. Urkunden und Briefe zur Geschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sizilien 2: In den Jahren 1200 bis 1400, hg. von Eduard WINKELMANN (1885, ND 1964) S. 529 Nr. 836; R: RI 8 Nr. 2586 = 6915.

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zum Kaiser.52 Bei diesen Gelegenheiten dürften auch Fragen rund um die kaiserliche Gesetzgebung besprochen worden sein.53 Obwohl die Habsburger nicht an den Privilegien der Goldenen Bulle teilhatten und im Rang hinter die Kurfürsten zurückfielen, denen sie, bis auf den König von Böhmen, an Macht überlegen waren, blieb das Verhältnis zwischen Herzog Albrecht und dem Kaiser stabil. Konflikte wurden wiederholt durch beiderseitige Ausgleichsbemühungen und wechselseitiges Entgegenkommen beigelegt. Es existieren deutliche Signale für das Interesse beider Seiten an weiterhin guten Beziehungen: Karl IV. urkundete am 24. und 26. Juli 1357 in Wien für die Habsburger, am 27. Juli ernannte er dort Herzog Rudolf von Österreich zum Landvogt im Elsass und teilte dies mit der Forderung nach Gehorsam den Elsässern mit. Am selben Tage bestätigte er zusätzlich noch auf Bitten Rudolfs die von diesem neu gestiftete Allerheiligenkapelle im großen Turm der Wiener Hofburg.54 Rudolfs Vater wurde Mitte des Jahres vom Kaiser zum Vermittler im Streit des Luxemburgers mit den Wittelsbachern in Niederbayern bestellt, über den noch zu sprechen sein wird. Albrecht von Österreich revanchierte sich noch wenige Monate vor seinem Tode: Am 2. April 1358 schickte er zwei Urkunden Kaiser Friedrichs II. für die Könige Ottokar und Wenzel von Böhmen aus den Jahren 1212 und 1231, die sich in seinem Geheimarchiv angefunden hatten, an Karl IV., der sie wenig später transsumieren ließ.55 Das Stück von 1212, eine Schenkung des Staufers über Besitzungen in der Oberpfalz (Floß, Schwarzenburg, Lichtenstein, Mantel, Luhe), im Vogtland (Mylau mit Reichenbach) und an der meißnisch-böhmischen Grenze südlich von Dresden (Dohna), hatte großen aktuellen Wert für Karl IV. zur Sicherung

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RI 8 Nr. 2185a, 2662a, 2679b; Wilhelm BAUM, Rudolf IV. der Stifter. Seine Welt und seine Zeit (1996) S. 47 f.; Alexander SAUTER, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (Mittelalter-Forschungen 12, 2003) S. 157 mit Anm. 2 und der älteren Literatur.

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Vgl. Peter MORAW, Das „Privilegium maius" und die Reichsverfassung, in: Fälschungen im Mittelalter 3: Diplomatische Fälschungen 1 (MGH Schriften 33/3, 1988) S. 201-224, hier S. 212; HERGEMOLLER, Abschluß (wie Anm. 3) S. 139 ff.; SAUTER, Herrschaftsrepräsentation (wie vorige Anm.) S. 164 ff. Das Original der bisher ungedruckten Urkunde vom 24. Juli 1357 auf Bitten Herzog Albrechts II. für das Zisterzienserkloster St. Maria in Neuberg an der Mürz befindet sich im Steiermärkischen LA Graz „AUR 2614". Druck der Urkunde vom 26. Juli 1357: R B M 6 S. 346 Nr. 621 (R: RI 8 Nr. 2680); Druck der Ernennung zum Landvogt: Acta imperii inedita (wie Anm. 51) S. 578 Nr. 858; Bestätigung der Allerheiligenkapelle nach dem Original im ÖHHStA Wien „Urkunden der Hofburgpfarre" (R: RI 8 Nr. 2681).

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Das Schreiben Herzog Albrechts, in dem die Begleitumstände geschildert sind, ist RBM 6 S. 472 Nr. 784 gedruckt, das Transsumpt Karls IV. vom 30. Juni 1358 ebd. S. 533 Nr. 855.

I Michael Lindner

Abbildung 2 Porträt Herzog Rudolfs IV. von Österreich. Wien, Dom- und Diözesanmuseum (um 1365)

Abbildung 3 Herzog Rudolf IV. von Österreich. Wien, Bartholomäuskapelle in St. Stephan (,Zweites Habsburgerfenster', um 1380-1390)

gerade erworbener Orte (Oberpfalz, Vogtland) sowie zur Stabilisierung neuralgischer Punkte (Dohna).56 Mit dem Ableben des Habsburgers am 20. Juli 1358, das schnell im Reich bekannt wurde, nachdem demme keisir kunt ist getan, daz der aide 56

Neueste Edition dieses Diploms: MGH DD F II. Nr. 173 mit weiteren Angaben; zu den Besitzungen vgl. Lenka BOBKOVÄ, Uzemni politika prvnich Lucemburkü na ceskem trüne [Die territoriale Politik der ersten Luxemburger auf dem böhmischen Thron] (1993) S. 94 f. und S. 146; Identifikation der Burg Schwarzenburg, heute Schwarzwöhrberg bei

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hirzauge von Ostirich dot ist,51 wandelte sich das Bild grundlegend. Herzog Albrechts Nachfolger Rudolf der Stifter - charakterlich gänzlich anders als sein Vater disponiert - vollzog einen radikalen politischen Kurswechsel, der für alle sichtbar darin seinen Ausdruck fand, dass Rudolf, nachdem er sich als neuer Herr in Österreich etabliert hatte, die Vertrauten seines Vaters vom Hofe wegschickte und sich neue Ratgeber zulegte.58 Es folgten heftige Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Herzog, zwischen Luxemburger und Habsburger, zwischen Kurfürst und Fürst, zwischen Schwiegervater und -söhn, die in den Geschehnissen um die Urkundenfälschungen des Privilegium maius' zwischen 1359 und 1361 einen Höhepunkt fanden.59 In der Sache der ausgetauschten Ratgeber sah Karl IV. eine Wurzel allen Übels, wie seine Forderung vom September 1360 an Herzog Rudolf zeigt: der hertzog sol ratlüt nehmen zu im nach rat dez keisers.60 Herzog Rudolf von Österreich reagierte mit den Fälschungen zeitverzögert auf die durch die Goldene Bulle festgeschriebene und in einzelnen Punkten neu geschaffene verfassungsrechtliche Situation: Das Privilegium maius' steht zwar nicht, wie ein Teil der älteren Forschung glaubte, in unmittelbarer textlicher Abhängigkeit vom

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Rötz (Landkreis Waldmünchen in der Oberpfalz), nach: UB zur Geschichte der Babenberger in Österreich 4/1: Ergänzende Quellen 976-1194, unter Mitwirkung von Heide DIENST bearb. von Heinrich FICHTENAU (Publikationen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung III 4/1, 1968) S. 178 Nr. 843; zu Mylau Gerhard BILLIG, Pleißenland - Vogtland. Das Reich und die Vögte (2002) S. 203-205. Brief der Frankfurter Boten vom kaiserlichen Hof in Rothenburg ob der Tauber Anfang August 1358 nach Frankfurt am Main: Acta imperii inedita (wie Anm. 51) S. 858 Nr. 1200. Continuatio Zwetlensis quarta, hg. von Wilhelm WATTENBACH (MGH SS 9,1851) S. 684689, hier S. 688,3-5 zum Jahre 1359: Rudolfus ... videns se confirmatum in ducatum Austrie, amovit omnes, qui astiterant patri suo in curia, et novos officiales instituit. Ursula BEGRICH, Die fürstliche „Majestät" Herzog Rudolfs IV. von Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte der fürstlichen Herrschaftszeichen im späten Mittelalter (1965) S. 7 82; BAUM, Rudolf IV. (wie Anm. 52) S. 65-154; Peter MORAW, Das Reich und Österreich im Spätmittelalter, in: Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996-1806, hg. v o n W i l h e l m BRAUNEDER / L o t h a r HÖBELT ( 1 9 9 6 ) S . 9 2 - 1 3 0 , h i e r S . 1 1 1 - 1 2 0 ; A l o i s

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NIEDERSTATTER, Die Herrschaft Österreich. Fürst und Land im Spätmittelalter 1278-1411 (Österreichische Geschichte 6, 2001) S. 151-154; SAUTER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 5 2 ) S. 1 5 9 ff. Druck der Übereinkunft zwischen Kaiser und Herzog von 1360 September 2: Die Urkunden und Akten der oberdeutschen Städtebünde 2: Städte- und Landfriedensbündnisse von 1347 bis 1380, bearb. von Konrad RUSER, 2 Bde. (1988) S. 1054-1056 Nr. 1088, das Zitat S. 1056 § 14 (R: URH 8 S. 43 Nr. 53).

Michael Lindner

kaiserlichen Erlass des Jahres 1356,61 es weist aber zu diesem sehr aussagekräftige inhaltliche Bezüge auf, 62 die hier kurz berührt werden sollen: Das Privilegium maius' folgt unmittelbar dem Vorbild der Goldenen Bulle, wenn es versucht, die urkundlich erworbenen Rechte weniger an die jeweiligen habsburgischen Empfanger als vielmehr an das Land zu binden. Das Land Österreich sollte dadurch eine den Kurfürstentümern vergleichbare Position erhalten, für die 1356, wie oben erwähnt, ein untrennbarer Zusammenhang von Stimme, Erzamt, Würden, Rechten und Territorium postuliert worden war. Das Interesse des Habsburgers an den Rechten eines Verwesers vacante imperio, die in der Goldenen Bulle dem Pfalzgrafen und dem Sachsenherzog zugesprochen wurden, scheint im Titel eines Pfalzerzherzog (palatinus archidux) auf. Seine Ambitionen als Pfalzerzherzog in Kombination mit der schwäbischen Herzogswürde zielten auf die Verweserschaft im Schwabenlande.63 Als Pfalzerzherzog reklamierte er außerdem auf Hoftagen den ersten Platz zur Rechten des Reiches hinter den Kurfürsten (ad latus dextrum imperii post electores principes obtineat primum locum). Diese Anerkennung des Vorrangs der Kurfürsten in der Sitzordnung auf Hoftagen durch Rudolf den Stifter im Privilegium Maius' ist erst nach Festlegung derselben in der Goldenen Bulle möglich. Sie zeigt ganz unmittelbar, dass der Habsburger mit seinen Fälschungen auf Verfugungen aus dem Gesetz von 1356 antwortete, ja sogar in realistischer Einschätzung der neuen Verfassungslage seinen Platz hinter den privilegierten Kurfürsten akzeptierte.64 Herzog Rudolf hätte gern auch, wie die Kurfürsten, ein Erzamt innegehabt. So führte er, zwar nicht im Privilegium Maius', aber in seinen Urkunden seit Juni 1359, den Titel eines obersten Jägermeisters des Reiches (sacri Romani imperii supremus magister venatorum).65 Dieses Erzamt, das Rudolf aus der Tradition des Herzogs von Kärnten ableiten ließ, war in kurzer Zeit das dritte Reichsjägermeisteramt eines nichtkurfürstlichen princeps nach dem der Pommernherzöge von 1348 und dem der Meißner Markgrafen 1350/55. Rudolf beanspruchte zudem in seinen Fälschungen denselben Anteil an der kaiserlichen Majestät, den Karl IV. den Kurfürsten, die nach Kapitel 24 seines Gesetzeswerks pars corporis nostri sunt, gewährt hatte, indem er sie unter

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„Privilegium maius" (wie Anm. 53) S. 206 ff.; im Anschluss daran N I E D E R Herrschaft Österreich (wie Anm. 59) S. 146-151. Überzeugender Nachweis der inhaltlichen Anklänge bei SAUTER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 52) S. 164-186. Eingehend SAUTER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 52) S. 178 ff. mit der älteren Literatur; zuletzt Christian LACKNER, Vom Herzogtum zum Erzherzogtum Österreich, MIÖG 112 (2004) S. 290-305, hier S. 295 mit Anm. 26. MORAW,

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SAUTER, Herrschaftsrepräsentation ( w i e Anm. 52) S. 181 f.

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Ebd. S. 188 ff.

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Majestätsschutz stellte.66 Herzog Rudolf reagierte außerdem noch direkt auf Kapitel 12 der Goldenen Bulle: Die dort geplanten jährlichen Versammlungen des Herrschers und der Kurfürsten hätten ohne Beteiligung des Habsburgers stattgefunden. Da war es gut, dass sich unter den Fälschungen des ,Privilegium Maius' eine Urkunde Iulius Caesars befand, in der der österreichische Herzog zum Ratgeber in den geheimsten Angelegenheiten des Reiches (consiliarius in secretissimum consilium Romanum) gemacht wurde). 7 So hätte Rudolf als Nichtkurfürst, genau wie seine elektoralen Konkurrenten und Bezugspunkte, an Beratungen und Entscheidungen auf höchster politischer Ebene des Reiches teilhaben können. Der Kaiser kommentierte diese Forderung seines Schwiegersohnes mit den Worten: „Kann und darf auf keinen Fall zugelassen werden!"68 Diese spezifischen inhaltlichen Bezüge zur Goldenen Bulle zeigen, dass der Habsburger Rudolf mit seinem Privilegium Maius' auf Karls IV. legislative Initiative von Nürnberg und Metz antwortete und in Wien darüber mehr als nur vage Kenntnis vom Hörensagen herrschte.69 Schon die Idee, mit einer umfangreichen Privilegiensammlung dem Luxemburger und den anderen mit der Goldenen Bulle begünstigten dynastischen Konkurrenten entgegenzutreten, dürfte von deren Beispiel inspiriert worden sein. Der Text oder zumindest wichtige Passagen des ,Reichsgrundgesetzes' konnten durchaus am Herzogshof bekannt sein: Levold von Northof hatte schon 1357/58 genaue Kenntnis der Goldenen Bulle; zahlreiche Texte, Briefe und Urkunden, aus der Kanzlei Karls IV. belegen, dass um sie kein Geheimnis gemacht wurde. Es war nicht unmöglich, über die Kurfürsten, wie Levold, oder über die kaiserliche Kanzlei an interessierende Texte heranzukommen. Frankfurt am Main verfügte seit Dezember 1366 über ein Exemplar des Gesetzes. Die pfalzgräfliche Kanzlei war in der Lage, sich vom Ende des Jahres 1360 verfassten kritischen Kom70

mentar Karls IV. zum Privilegium Maius', von seinem Editor ,Protokoll' genannt, eine Abschrift zu besorgen. Warum sollte der habsburgische Hof weniger fähig gewesen sein? Kaiserliche Kanzlisten, die als Informanten infrage kämen - Heinrich (Gauer) von (Ober-)Wesel, ein Schreiber Karls IV. und zugleich Kaplan des Pfalz66 67

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SAUTER, Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 52) S. 182 ff. Vgl. Eugen DOSTAL, Die Goldene Bulle Karls IV. als Vorlage der unechten Privilegien des Herzogtums Österreich, Monatsblatt des Vereins für LK von Niederösterreich 10(1911) S. 225-236, hier S. 226 f. Zu den Privilegien Caesars und Neros entschied Karl IV.: quod infrasc(ri)pte res nulla r(aci)o(n)ep(ossu)nt n(ec) d(ebent) admitti. So NIEDERSTÄTTER, Herrschaft Österreich (wie Anm. 59) S. 149, im Anschluss an MORAW, „Privilegium maius" (wie Anm. 53) S. 208. Samuel STEINHERZ, Karl IV. und die österreichischen Freiheitsbriefe, MIÖG 9 (1888) S. 63-81, hier S. 75 ff.; MORAW, „Privilegium maius" (wie Anm. 53) S. 207 Anm. 14.

Michael Lindner

grafen Ruprecht, 71 sowie Heinricus Australis, das habsburgische Ohr am Kaiserhofe - , nennt Moraw selbst. 72 Schon die erwähnten drei persönlichen Begegnungen des Kaisers und des Herzogs von Österreich hätten eine günstige Gelegenheit zum mündlichen und schriftlichen Informationsaustausch geboten und wären nicht einmal der einzige Weg dafür gewesen, wie die oben behandelte Urkundensendung Albrechts von Österreich an den Kaiser von April 1358 zeigt. Die Fälschungen des Privilegium maius' zielten darauf ab, sich im Wettstreit der Dynastien innerhalb des Reiches „nach oben zu fälschen" mit legitimierender Zustimmung des Herrschers, die von Karl IV. aber nicht zu erhalten war. Es war nicht beabsichtigt, „die Kurfürstenverfassung beiseite zu schieben". 73 Herzog Rudolf und seine Helfer erkannten bei aller Anmaßung die verfassungsrechtliche Stellung der Kurfürsten an. Das zeigt die bereits erwähnte Akzeptanz des Vorrangs der Elektoren in der Sitzordnung der Goldenen Bulle durch den Habsburger. Das belegt aber auch die Posse um die vermeintlichen Pläne einiger Kurfürsten zur Absetzung Karls IV. und zu der Erhebung König Ludwigs I. von Ungarn an seiner statt zum Kaiser vom Ende des Jahres 1359. 74 Urheber dieser Geschichte war - wer sonst? - Rudolf von Österreich, engster Verbündeter des Ungarn. Die zuständigen Ansprechpartner und Ausführenden für den Sturz des Luxemburgers sah Herzog Rudolf wie selbstverständlich in den Kurfürsten, die seit der Goldenen Bulle endgültig die alleinige Kompetenz in derartigen Fragen hatten. Rudolf der Stifter betrieb seine der kaiserlichen Vorgehensweise gegenüber unflexible und letztendlich, bis auf den Erwerb Tirols, erfolglose Politik weiter. Am Hofe Karls IV. war er als Rebell verschrien; Benes Krabice von Weitmühl schrieb über ihn aus der Rückschau: Sed gener iste nunquam fuit fidelis socero suo usque in diem mortis sue.75 Dem Kaiser gelang es

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Acta imperii inédita (wie Anm. 51) S. 858 Nr. 1199. MORAW, „Privilegium maius" (wie Anm. 53) S. 217. Beide Zitate nach MORAW, Reich und Österreich (wie Anm. 59) S. 118. R: RI 8 Reichssachen Nr. 321a-327, URH 7 Nr. 508-513; vgl. Emst SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (AAG III 267, 2005) S. 358 ff. Chronicon Benessii (wie Anm. 38) S. 521. - Rudolfs Aktivitäten wurden 1362 vom kaiserlichen Kanzler Johann von Neumarkt in einem Brief als conspiraciones und machinamenta rebellium bezeichnet: Briefe Johanns von Neumarkt, hg. von Paul PlUR (Vom Mittelalter zur Reformation 8, 1937) S. 12 f. Nr. 7, hier Z. 8 und Z. 12. Karl IV. charakterisierte seinen Schwiegersohn Rudolf 1363 als rebellis notorius: Austro-Friulana. Sammlung von Actenstücken zur Geschichte des Conflictes Herzog Rudolfs IV. von Österreich mit dem Patriarchate von Aquileja, 1358-1365 (Mit Einschluss der vorbereitenden Documente von 1250 an), hg. von Josef von ZAHN (Fontes rerum Austriacarum II 40, 1877) S. 193 f. Nr. 154, das Zitat S. 194,3 (R: URH 8 S. 266 Nr. 366). - Eine gänzlich andere Einschät-

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immer wieder, den notorischen Unruhestifter unter Hinzuziehung weiterer Kurfürsten zu isolieren. Im Jahre 1362 griff er zu einer bisher nicht dagewesenen Maßnahme: Am 13. März gelobten sich fünf Kurfürsten - Böhmen, Mainz, Trier, Pfalz und Sachsen - in Nürnberg wechselseitig, keinen der vier herzoglich-habsburgischen Brüder (Rudolf, Friedrich, Albrecht, Leopold) jemals zum römischen König zu wählen. Fünf Königswähler waren in diesem Fall zu erklärten NichtWählern in futuro geworden. Am 11. Januar 1364 versprachen fünf der bayerischen Wittelsbacher Karl IV. ihre Unterstützung bei der Verhinderung eines habsburgischen Königs. 76 Der Erwerb Tirols durch Herzog Rudolf von Österreich hatte sie auf die Seite des Kaisers getrieben. Nach Rudolfs Tod ließ der Kaiser bei der endgültigen Beseitigung des Scherbenhaufens, den der Stifter zurückgelassen hatte, festhalten, wo er den Platz der Habsburger in seinem Reich sah: das die egenanten herczogen zu Osterrich mit iren landen und leuten des heiligen Romischen reiches fursten und Untertanen seint.

Deshalb seien auch alle Bündnisse und Eide, die sie ohne seine und des Reiches Erlaubnis (on unser und des reiches laube) getätigt hätten, ungültig. 77 Mit diesen Aussagen machte Karl IV. noch einmal deutlich, wovon er bei aller diplomatischen Elastizität gegenüber Rudolf IV. nie abgegangen war: Er, der Kaiser, war der Herr des Rechts und damit der letztendlich allein rechtmäßigen Entscheidung. Den dynastischen Ehrgeiz des Habsburgers konnte und wollte er nicht unterbinden; ihm jedoch nach dem Herkommen des Reiches Grenzen zu setzen, sah er als seine herrscherliche Aufgabe an. Die Reaktion Herzog Rudolfs von Österreich auf die Goldene Bulle erfolgte zeitverzögert, weil er vor dem Tod seines Vaters nicht losschlagen konnte. Schneller und elementarer antworteten die Herzöge Stephan II. und Albrecht I. von Bayern. Sie griffen Mitte März 1357 zu den Waffen. 78 Karl IV., der, wie im eingangs behandel-

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zung des Verhältnisses Karls IV. zu Herzog Rudolf bei Mathias WALLNER, Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan. Beiträge zu den Anfangen der kurfürstlichen Politik im 14. Jahrhundert (1298-1356) (Historische Studien 482, 2004) S. 288-298. Urkunde von 1362 März 13 (D: RBM 7 Nr. 1134-1138; R: RI 8 Nr. 3836) bzw. 1364 Januar 11 (R: RI 8 Reichssachen Nr. 396). Zitate aus der Urkunde Karls IV. für die Herzöge Albrecht III. und Leopold III. von Österreich von 1366 März 28 nach dem Original im ÖHHStA Wien „AUR 1366 März 28" (R: RI 8 Nr. 4291). Bereits in der Übereinkunft von 1360 September 2 (wie Anm. 60) war vom Kaiser festgehalten worden: der hertzog ... sol dem rych gehorsam und undertenig sin gelich sinen eitern. Folgende Quellen berichten ausfuhrlicher über die Kämpfe: Chronica de ducibus Bavariae, in: Bayerische Chroniken des XIV. Jahrhunderts, hg. von Georg LEIDINGER (MGH SS rer. Germ. 19, 1918) S. 139-175, hier S. 171 f.; Annales Matseenses, hg. von Wilhelm WATTENBACH (MGH SS 9, 1851) S. 823-837, hier S. 830 f.; Die Chronik Heinrichs

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ten Brief aus Metz vom 6. Januar 1357 angekündigt, von Lothringen über den Niederrhein nach Sulzbach gereist war, hatte die Oberpfalz gerade wieder in Richtung Prag verlassen, da belagerten die beiden Bayernherzöge die Burg Natternberg bei Deggendorf und den darin sitzenden Ritter Peter Ecker, der in ihren Diensten gestanden, dann aber dem Kaiser bei der Erwerbung der Burg Donaustauf geholfen hatte. Herrschaft und Feste Donaustauf hatte der Regensburger Bischof Friedrich im Juli 1355 an Karl IV. als König von Böhmen übergeben, was beim übergangenen Domkapitel und in Niederbayern große Beunruhigung sowie bei den Herzögen Stephan und Albrecht Feindschaft ausgelöst hatte, aber noch keine militärischen Aktionen.79 Das geschah 20 Monate später, nachdem sich Karl IV. in Kapitel 10 der Goldenen Bulle ausdrücklich seine ausgreifende böhmische Erwerbspolitik innerhalb der Kurfiirstenprivilegien hatte legitimieren lassen und in Nürnberg im Dezember 1355 zusätzlich noch kurfürstliche Willebriefe zum Erwerb von Donaustauf eingeholt hatte.80 Herzog Albrecht, der 1356 in Gefangenschaft des Markgrafen Wilhelm von Jülich geraten war,81 konnte von diesem in Metz zum Herzog beförderten Fürsten noch aktuelle Informationen mit nach Hause mitbringen. Herzog Stephan dürfte inzwischen seine Ambitionen auf eine Kurstimme, die ihn 1355 als einzigen Wittelsbacher mit Karl nach Rom zur Kaiserkrönung geführt hatten,82 endgültig begraben haben. Erst nachdem die niederbayerischen Herzöge durch die Goldene Bulle von der Kurfurstenwürde ausgeschlossenen und ihren wittelsbachischen Verwandten in der Rheinpfalz und in Brandenburg nachgeordnet worden waren, nahmen sie die schon etwas zurückliegenden Geschehnisse um Donaustauf zum Anlass für offenen Widerstand gegen die karolinische Politik. In der zweiten Aprilhälfte 1357 rückte Karl IV. zur Unterstützung seines Helfers Peter Ecker mit einem böhmischen Heer heran. Bevor es jedoch zur Schlacht kam, wurde mit der Einsetzung Herzog Albrechts von Österreich als Schiedsmann ein erster Versuch unternommen, den Kon-

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Taube von Selbach, hg. von Harry BRESSLAU (MGH SS rer. Germ. NS 1, 1922) S. 111 f.; vgl. dazu auch RI 8 Nr. 2641a. Vgl. zu den Quellen in der vorhergehenden Anm. noch die Darstellungen bei Siegfried GROTEFEND, Die Erwerbungspolitik Kaiser Karls IV. Zugleich ein Beitrag zur politischen Geographie des deutschen Reiches im 14. Jahrhundert (Historische Studien 66, 1909) S. 49 f.; Willy SCHEFFLER, Karl IV. und Innocenz VI. Beiträge zur Geschichte ihrer Beziehungen 1355-1360 (Historische Studien 101, 1912) S. 30-41; Lenka BOBKOVÄ, Velke dejiny zemi Koruny ceske 4a: 1310-1402 [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone 4a: 1310-1402] (2003) S. 341 f. Vgl. HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 144, 150 ff., 190. Annales Matseenses (wie Anm. 78) S. 830; vgl. Emil WERUNSKY, Geschichte Kaiser Karls IV. und seinerzeit 3 (1892) S. 189 f. HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 46.

Theatrum p r a e e m i n e n t i a e |

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flikt beizulegen.83 Der Kaiser sorgte - wie oben erwähnt - gerade zu dieser Zeit besonders auffällig für ein gutes Verhältnis zu den Habsburgern. Als die Schlichtung am 25. August in Wien am kaiserlichen Unwillen scheiterte, ließ Karl IV. in Spätsommer und Herbst 1357 neuerliche Einfalle nach Bayern unter der Führung seines engen Vertrauten, Rates und Sekretars Dietrich von Portitz, damals Bischof von Minden und Verweser des Königreiches Böhmen (provisor tocius regni Bohe-

mie), unternehmen. Zermürbt und von anderen wichtigen, familiären Angelegenheiten in Anspruch genommen, lenkte Herzog Albrecht von Bayern wenig später ein, schloss mit Bischof Dietrich am 29. November einen Waffenstillstand, mit dem Kaiser zum Jahreswechsel 1357/58 Frieden und ein Bündnis und verzichtete auf alle Ansprüche.84 Noch früher und um einiges subtiler reagierte die Stadt Köln auf die kaiserliche Gesetzgebung von 1356: Als der Kaiser nur wenige Wochen nach seinem triumphalen Auftritt in Metz Mitte Februar 1357 nach Köln kam, unterließ es die Stadt, ihn feierlich und ehrenvoll zu empfangen. Wutentbrannt ritt Karl IV. zu Erzbischof Wilhelm nach Brühl, um am nächsten Tag nach Köln zurückzukehren, wo die Bürger ihr , Versäumnis' vom Vortage korrigierten.85 Die Stadt zeigte mit ihrem Verhalten, dass sie von der Städtepolitik der Goldenen Bulle (Kap. 9, 13, 15-16) und der einseitigen Bevorzugung des Kölner Erzbischofs durch den Kaiser mit seiner hinterhältigen Privilegienpolitik zu ihrem Schaden tief enttäuscht war.86 83

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Annales Matseenses (wie Anm. 78) S. 830; Chronica de ducibus Bavariae (wie Anm. 78) S. 171 f.; Continuatio Zwetlensis quarta (wie Anm. 58) S. 687; R] 8 Nr. 2645. Annales Matseenses (wie Anm. 78) S. 830 f.; Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hg. aus dem Nachlasse Johann Friedrich BÖHMERS von Alfons HUBER (Fontes rerum Germanicarum 4, 1868) S. 16-126, hier S. 110; RI 8 Nr. 2679b, 2730-2732, Reichssachen Nr. 287-289; vgl. WERUNSKY, Karl IV. (wie Anm. 81) S. 190 ff.; zur Bedeutung des Bischofs Dietrich von Minden vgl. Peter MORAW, Dietrich von Portitz, in: Lex. MA 3 (1986) Sp. 1029. Die Chroniken der niederrheinischen Städte. Cöln 2, hg. von Hermann CARDAUNS (Die Chroniken der deutschen Städte 13, 1876), hier S. 37 (zu 1357): do quam keiser Karl swigende zo Collen, do man in niet groseclichen intfienk, do reit hei van zorne zo deim Brole. irtddes anderen dages, do wart hei irlichen intfangen; ebd. S. 205, 14—16: MC ter L Septem Karolus rex cesar Agrippe Adveniens tacite, quia non veneratus honeste, Irascens ahnt, donec honore redit; vgl. Anna-Dorothee VON DEN BRINCKEN, Karl IV. und die Stadt Köln, in: Die Parier und der Schöne Stil 1350-1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern 1, hg. von Anton LEGNER(1978) S. 143-145, hier S. 143 f. Kap. II. Allgemein HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 2) S. 122-144; zu Köln Hans FÖRSTER, Kurköln und Stadt Köln in der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356, RhVjbll 19 (1954) S. 45-68; Anna-Dorothee VON DEN BRINCKEN, Privilegium falsitatis vitio depravatum. Diplomatik im Dienst der Diplomatie Karls IV. (1375), ADipl

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Um dem Reich einen neuen König zu geben, waren endgültig seit 1356 sieben Kurfürsten nötig. Aus eigener kaiserlicher Machtvollkommenheit ohne kurfürstliches Zutun war die Nachfolgefrage seit der Goldenen Bulle nicht mehr zu beantworten. Einen Kulminationspunkt innerhalb dieser Verfassungsentwicklung stellte bereits die Rhenser Erklärung der Kurfürsten von 1338 dar. Das Reich wurde seitdem in der politischen Praxis durch den im Namen des und für das Reich handelnden König / Kaiser und die für das Reich Verantwortung mittragenden Kurfürsten repräsentiert, wobei die übrigen Fürsten, Herren und Reichsstädte von dieser Verantwortung nicht gänzlich ausgeschlossen waren, sondern nur geringeres politisches Gewicht hatten. Die traditionelle Auffassung vom König, der allein das Reich war, lebte parallel dazu zwar weiter fort, trat aber angesichts des sich stärker ausprägenden dualistischen Charakters der Verfassung des Reiches immer mehr in den Hintergrund.87

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23 (1978) S. 405-424, hier S. 412^115; DIES., Privilegien Karls IV. für die Stadt Köln, BDLG 114 (1978) S. 243-264, hier S. 252-256. Edmund E. STENGEL, Avignon und Rhens. Forschungen zur Geschichte des Kampfes um das Recht am Reich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 6/1, 1930) S. 1 2 8 - 1 5 3 , 2 1 2 - 2 1 5 , 2 2 3 - 2 2 5 ; Ernst SCHUBERT, K ö n i g u n d R e i c h . S t u d i e n z u r spät-

mittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (VMPIG 63, 1979) S. 254-276; Peter MORAW, Reichsstadt, Reich und Königtum im späten Mittelalter, ZHF 4 (1979) S. 385424, hier S. 388-391; DERS., Reich III 4, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 5, hg. von Otto BRUNNER / Werner CONZE / R e i n h a r t KOSELLECK. ( 1 9 8 4 ) S. 4 4 6 ^ 5 3 ; SCHUBERT, K ö n i g s a b s e t z u n g ( w i e A n m . 7 4 ) S. 3 2 5 - 3 2 7 u n d S. 3 3 3 - 3 3 8 .

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CLAUDIA GARNIER

Die Ordnung des Reiches. Die Position des Herrschers in der Goldenen Bulle in der Wahrnehmung bis 1400

Die Historiografen des 14. Jahrhunderts sind sich einig. Die Pracht, die den Besuchern des Hoftages von Metz am Weihnachtsfest des Jahres 1356 geboten wurde, war kaum zu überbieten. Die Zusammenkunft von Kaiser und Fürsten, die über die Grenzen der Region hinaus Bekanntheit erlangte, war eine der eindrucksvollsten Feierlichkeiten, die man je erlebt hatte: Erat enim sollempnior curia, quam de aliquo imperatore scribitur temporibus retroactis multis - mit diesen Worten bringt die Fortsetzung des Mathias von Neuenburg die Wahrnehmung der Zeitgenossen auf den Punkt.1 Der ausführlichste Bericht über den Metzer Hoftag stammt aus der Feder des Prager Historiografen Benes Krabice von Weitmühl, der den Ablauf der Feierlichkeiten minutiös, ja in fast ermüdender Kleinteiligkeit schildert.2 Dass auch die lokale Chronistik den überwältigenden Eindrücken von Prunk und Pracht erlag, verwundert aus dieser Perspektive kaum noch.3 Beinahe am Rande erfahrt der Leser, dass auch politische Verhandlungen über Recht und Frieden erfolgten. So lässt die

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Die Chronik des Mathias von Neuenburg, hg. von Adolf HOFMEISTER (MGH SS rer. Germ. NS 4, 1924-1940), hier Continuatio S. 486. In ähnlicher Form äußert sich die Chronik des Jacob Twinger von Königshofen 1400 (1415), in: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Straßburg 1, hg. von Carl HEGEL (Die Chroniken der deutschen Städte 8, 1870; ND 1961) S. 153-498, hier S. 483, wenn die Zusammenkunft in Metz als der herlicheste hof und ymbes und hofieren do das men ie von keysern geschriben vindet, beschrieben wird. Chronicon Benessii de Weitmil (Kronika Benese z Weitmile), hg. von Josef EMLER (FRB 4, 1884; ND 2004) S. 457-548, hier S. 526. Der Leiter der Prager Domhütte und Kanoniker des dortigen Domkapitels verfasste seine Chronik im Auftrag Karls IV. in der ersten Hälfte der 1370er-Jahre. Dazu Ivan HLAVACEK, Benes Krabice v. Weitmühl, in: Lex. MA 1 (1980) Sp. 1907. Die Metzer Chronik des Jaique Dex (Jacques d'Esch) über die Kaiser und Könige aus dem Luxemburger Hause, hg. von Georg WOLFRAM (Quellen zur lothringischen Geschichte 4, 1906) S. 304; Philippe de Vigneulle, Chroniques de la noble ville et cité de Metz, in: Les Chroniques de la ville de Metz, hg. von S. LAMORT (1838) S. 97 ff.

Die Ordnung des Reiches | 197

Lektüre der zeitgenössischen Geschichtsschreibung zunächst kaum erahnen, dass in Metz und ein Jahr zuvor in Nürnberg „das wichtigste schriftliche Denkmal der älteren deutschen Verfassungsgeschichte" kodifiziert wurde, dem später wegen seiner Beglaubigung mit einer Goldbulle jene eingängige Bezeichnung zuteilwurde. 4 Die Liste derer, die den inhaltlichen Ertrag der Hoftage in den Vordergrund rücken, ist indes deutlich kürzer. So macht nur der märkische Chronist Levold von Northof genauere Angaben über die in Nürnberg und Metz getroffenen Maßnahmen und richtet dabei sein Interesse vor allem auf die Fehdepraxis und deren Eindämmung. 5 Heinrich Taube von Selbach hingegen geht es in seinem Bericht zum Metzer Hoftag ausschließlich um die Beziehungen zu Frankreich, sodass auch hier die Goldene Bulle übergangen wird.6 Der außerordentlichen verfassungsgeschichtlichen Relevanz der Goldenen Bulle steht auf den ersten Blick also ein ebenso großes Desinteresse der zeitgenössischen Historiografie entgegen, und dieser Befund ist so alt und be-

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Peter MORAW, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3, 1985) S. 248. Die Chronik der Grafen von der Mark von Levold von Northof, hg. von Fritz ZSCHAECK (MGH SS rer. Germ. NS 6, 1929) S. 93: Ibi [idem] imperator fecit publican diversas constituciones per ipsum editas, multum utiles, inter quas erat una, que ponit remedium contra difidaciones fraudulentas, que, quia in Westphaliis partibus videtur esse necessaria, ipsam duxi in hoc opere inserendam, sub hoc tenore. Danach folgen die Ausfuhrungen über das Kapitel der Fehdeführung. Die Friedenssicherung steht zwar auch im Bericht des Heinrich von Diessenhofen im Vordergrund, doch eine entsprechende Kodifikation erwähnt er mit keinem Wort: Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hg. aus dem Nachlasse Johann Friedrich BÖHMERS von Alfons HUBER (Fontes rerum Germanicarum 4, 1868) S. 16-126, hier S. 101: Item predicto anno IV. mense novembris Karolus imperator electores et civitatenses in regno Alamannie convocavit ad se in Norenberg tractans ea que sunt pacis, volens et mandans ut pacem per regnum servarent et contra facientes punirent. Quod promiserunt, postulantes in singulis dyocesibus capitaneos qui eos assistèrent. In Metz rückt der Chronist vor allem die feierlichen Belehnungen der Reichsfursten in den Vordergrund (ebd. S. 107): Et ibi plures sua feoda ab imperatore receperunt et in suo ordine servierunt. Der Brabanter Edmond de Dynter weiß allgemein von Gesetzen, die Karl in Nürnberg und Metz verkündet habe, ohne darauf jedoch im Einzelnen einzugehen: Chronica nobilissimorum ducum Lotharingiae et Brabantiae ac regum Francorum 3, hg. von Pierre François Xavier DE RAM (Collection de chroniques belges inédites 8, 1857) S. 43: ... nonnullas leges, XXIII capitula, alias per ipsum in solempni sua curia Neurembergens i anno predicto, necnon certas alias leges, quinqué capitula continentes, in dicta sua solempni curia Melensi editas, promulgavit et publicavit. Die Chronik Heinrichs Taube von Selbach, hg. von Harry BRESSLAU (MGH SS rer. Germ. NS 1, 1922) S. 110 f.

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kannt wie die historischen Studien zur Goldenen Bulle selbst. So hat Karl Zeumer in seiner Darstellung, die noch heute als eine der ertragreichsten Analysen des Dokuments gilt, beinahe resigniert festgestellt: „Die feierliche Verkündigung der ganzen Goldenen Bulle am Weihnachtstage 1356 zu Metz, welche das Gesetzgebungswerk zum Abschluß brachte, und die im Urteil der Nachwelt als das Ereignis galt, welches dem Metzer Reichstag seine eigentliche Bedeutung verlieh, wurde ... von den Zeitgenossen kaum beachtet, jedenfalls weniger als die übrigen feierlichen Handlungen jenes festlichen Tages."7 Daraus zog man in der Regel den Schluss, dass „der Mitwelt ... die verfassungsmäßige Tragweite der Bulle nicht klar gewesen" sei und ihre „große Bedeutung von den Zeitgenossen nicht erkannt" wurde.8 Zwischen zeitgenössischer Rezeption und langfristiger Wirkung klafft offenbar eine schwer zu schließende Lücke, die die Forschung zur Erklärung veranlasste, dass der Wert der Goldenen Bulle weniger in der zeitgenössischen Adaption zu suchen, sondern dass ihre Bedeutung erst das Produkt längerfristiger verfassungsrechtlicher Entwicklungen sei. Erst die politischen Ereignisse des frühen 15. Jahrhunderts führten dazu, dass ihr gestalterisches Potential ausgeschöpft wurde und sich ihre Regelungen als Element der Verfassung manifestierten, sodass sie zumindest in einigen Teilen die Struktur des Alten Reichs bis zu seinem Ende bestimmte. Dem entspricht die Tatsache, dass sich ein wirkliches Interesse an den Verfügungen der Goldenen Bulle erst zu dem Zeitpunkt entwickelte, als die Genese der dualistischen Reichsverfassung weiter fortgeschritten war als in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Dies ist vor allem durch den Umstand zu belegen, dass die Abschriften der insgesamt sieben zeitgenössischen Exemplare erst nach 1400 deutlich zunahmen. Zunächst waren nur diejenigen im Besitz entsprechender Urkunden, die unmittelbar von den Verfügungen über die Königswahlen betroffen waren - nämlich Karl IV. selbst, die rheinischen Kurfürsten sowie die Reichsstädte Frankfurt und Nürnberg. Von den Markgrafen von Brandenburg und Herzögen von Sachsen sind keine Exemplare überliefert und auch keine Hinweise auf ihre Existenz greifbar. Ob die beiden weltlichen Kurfürsten von Anfang an auf ein Exemplar verzichtet haben oder ob das Fehlen der Handschriften Überlieferungsverlusten geschuldet ist, ist in der Forschung umstritten. Ebenso unklar ist, ob es ursprünglich ein Aachener Exemplar gab, denn auch in diesem Fall

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Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Bde. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2, 1908), hier 1 S. 181. Erling Ladewig PETERSEN, Studien zur Goldenen Bulle von 1356, DA 22 (1966) S. 227253, hier S. 227; MGH Const. 11 S. 540.

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fehlen jegliche Hinweise.9 Eine erste volkssprachliche Übersetzung, und zwar ins Mitteldeutsche, entstand in den 13 70er-Jahren im Auftrag der Stadt Frankfurt, die übrigen wurden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angefertigt.10 Die prachtvollste Kopie des Gesetzbuches gab König Wenzel im Jahr 1400 in Auftrag. Über die Beweggründe, die den Luxemburger dazu veranlassten, ausgerechnet im Jahr seiner Absetzung durch die Kurfürsten eine Prunkhandschrift der Goldenen Bulle anfertigen zu lassen, wird noch einzugehen sein. Diese Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferungssituation ist aus dem Grund wichtig, weil sie zeigt, dass das inhaltliche Interesse am Text der Goldenen Bulle zunächst überaus mäßig war. Dieser Befund sollte jedoch nicht einfach durch den Hinweis kompensiert werden, dass erst die politische Dynamik des 15. Jahrhundert die Goldene Bulle zum zentralen Verfassungsdokument des Alten Reichs machte; eine derartige Erklärung befriedigt nur dann, wenn die Goldene Bulle retrospektiv und in Kenntnis ihrer langfristigen Wirkung und Rezeption untersucht wird. Dass diese Betrachtung im Sinne eines linear konzipierten verfassungsgeschichtlichen Erkenntnisinteresses ein zweckmäßiger Zugriff ist, steht außer Zweifel. Doch schließt sich daran beinahe zwingend die Frage an, welche Aussagen die Kodifikation in der Anfangszeit ihrer Existenz transportierte. Mit anderen Worten: Was war die Goldene Bulle, bevor sie zur Goldenen Bulle wurde? Um 1400 wandelte sich nämlich nicht nur das Interesse an diesem Text, sondern in diesem Jahr begegnet auch erstmals die heute gängige Bezeichnung." Der im Folgenden vorgenommene Perspektivenwechsel geht der Frage nach, welches Bild von König und Reich im Abfassungszeitraum geboten wurde, und zwar ohne diesen Befund im Brennglas der späteren verfassungsgeschichtlichen Entwicklung zu brechen. Ob sich aus diesem Ergebnis auch eine Antwort auf die Diskrepanz zwischen vermeintlichem zeitgenössischem Desinteresse und späterer Bedeutung finden lässt, wird ebenfalls zu klären sein.

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Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Der Abschluß der „Goldenen Bulle" zu Metz 1356/57, in: Studia Luxemburgensia. FS Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich Bemward FAHLBUSCH / Peter JOHANEK (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, 1989) S. 123-232, hier S. 195. Vgl. dazu in diesem Band die Überlegungen von Michael LlNDNER, Es war an der Zeit. MGH Const. 11 S. 550 f. So bezieht sich ein am 20. August 1400 in Oberlahnstein ausgestelltes Versprechen Ruprechts von der Pfalz an die drei anderen rheinischen Kurfürsten auf das Dokument. Hier sagte er zu, dass er ihnen als König alle Rechte und Privilegien na ynhalde der golden bullen bestätigen wolle: RTA 3 S. 248 f. Nr. 200, das Zitat S. 248,26 f.

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I

Die Ordnungsvorstellungen in Nürnberg und Metz

Die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts kann aus verfassungsgeschichtlicher Perspektive ohne Zweifel als eine Zeit divergierender politischer Konzepte bezeichnet werden. Dem hegemonialen Herrschaftszuschnitt Karls IV. stand das kurfürstliche Selbstbewusstsein entgegen, das sich seit dem 13. Jahrhundert in zunehmendem Maße artikulierte. Während der kurfürstliche Einfluss stetig wuchs und seinen Ausdruck nicht nur in Königswahlen, sondern auch in Herrscherabsetzungen fand, setzten die 12

Ordnungsvisionen des Luxemburgers zunächst andere Akzente. In seinen östlichen Erblanden schuf Karl IV. einen Herrschaftskomplex, der mit dem Ausbau des Zentrums Prag eines der beeindruckendsten Territorialgebilde des Reichs darstellte. Seine Bautätigkeit in Prag und der Umgebung setzte nachhaltige Akzente, in denen Herrschaftsrepräsentation wie persönliche Religiosität des Luxemburgers gleichermaßen zum Ausdruck kamen. Indem sich Karl IV. als Förderer von Kunst, Literatur und Wissenschaft präsentierte, schuf er an der Moldau einen Hof, der im Reich seinesgleichen suchte.13 Obwohl er mit der Kodifikation der ,Maiestas Carolina' die böhmischen Gebiete auch verfassungspolitisch zu einen versuchte, blieben diese Ansätze Vision, die letzten Endes am Widerstand des Adels scheiterten.14 Weitaus erfolgreicher gestalteten sich jedoch die Bemühungen, das Verhältnis zwischen dem Herrscher und den Angehörigen des Reichs dauerhaft zu regeln: So spiegeln sich in 12

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Zum hegemonialen Herrschaftskonzept Karls IV. vgl. MORAW, Von offener Verfassung (wie Anm. 4) S. 247 ff.; zu Karl IV. vgl. Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346 bis 1378 (1978, 5 1985); Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand SEIBT ( 2 1978); Kaiser Karl IV. 1316-1378. Forschungen über Kaiser und Reich, hg. von Hans PATZE, zugleich BDLG 114 (1978); Heinz STOOB, Kaiser Karl IV. und seine Zeit (1990); zum kurfürstlichen Verständnis vgl. unten Anm. 20. Dazu vor allem Frantisek KAVKA, Am Hofe Karls IV. (1990); Peter MORAW, Über den Hof Kaiser Karls IV., in: Deutscher Königshof, Hofitag und Reichstag im späteren Mittelalter, h g . v o n Peter MORAW (VUF 4 8 , 2 0 0 2 ) S. 7 7 - 1 0 3 ; B e r n d - U l r i c h HERGEMÖLLER,

Die „solempnis curia" als Element der Herrschaftsausübung in der Spätphase Karls IV. (1360 bis 1376), in: ebd. S. 4 5 1 ^ 7 6 ; Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310-1437, hg. von Jin FAJT unter Mitwirkung v o n M a r k u s HÖRSCH u n d A n d r e a LANGER m i t U n t e r s t ü t z u n g v o n Barbara DRAKE BOEHM (2006). 14

Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Maiestas Carolina. Der Kodifikationsentwurf Karls IV. für das Königreich Böhmen von 1355 (VeröfF. des Collegium Carolinum 74, 1995); Reinhard SCHNEIDER, Karls IV. Auffassung vom Herrscheramt, in: Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen deutschen Königtums, hg. von Theodor SCHIEDER (HZ Beih. 2, 1973) S. 122-150; Friedrich MERZBACHER, Karl IV. und das Recht, in: Staatsmann und Mäzen ( w i e A n m . 1 2 ) S. 1 4 6 - 1 5 1 .

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der Goldenen Bulle die unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen von König und Kurfürsten wider. Über ihren Inhalt herrscht in der Forschung weitestgehender Konsens, dass sie weder ein alleiniges Produkt kaiserlichen Willens noch ein Ausweis fürstlichen Erfolges war, sondern eine Übereinkunft verschiedenster Parteien, deren Interessen auf einen Nenner gebracht werden mussten: des Königs, der Kurfürsten und der Städte, wobei Letztere am Ende die größten Abstriche an ihren ursprünglichen Zielen machen mussten.15 Verdikte wie etwa das Erwin Ladewig Petersens, dass Karl IV. seine Pläne dem Machtwillen der „Kurfürstenoligarchie" preisgeben musste, können heute als weitgehend überholt gelten.16 Die moderne Forschung unterstreicht vielmehr die Tatsache, dass die kaiserliche Konzeption zwar mit den kurfürstlichen Zielen in Einklang gebracht werden musste, dass jedoch letzten Endes die Initiative Karls IV. das wichtigste Stimulans darstellte, die Interaktion von König und Fürsten für die Zukunft festzuschreiben. So hat Ernst Schubert jüngst betont, „daß die Goldene Bulle ein Kompromiß, aber eben ein vom Kaiser gewollter Kompromiß war".17 Mit diesem Befund korrespondiert die Tatsache, dass Karl IV. selbst den Text als „kaiserliches Rechtbuch" bezeichnete.18 Der Verlauf der Zusammenkünfte von Kaiser und Fürsten in Nürnberg und Metz in den Jahren 1355/56 sowie die wichtigsten inhaltlichen Aspekte der Goldenen Bulle können an dieser Stelle stichpunktartig zusammengefasst werden, da sich bereits zahlreiche einschlägige Studien mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Nachdem sich die Teilnehmer des ersten großen Hofitags nach der Kaiserkrönung Karls IV. im November in Nürnberg versammelt hatten, bildete das Weihnachtsfest den ersten Höhepunkt der Zusammenkunft. 19 Im Anschluss an die umfangreichen

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Bemd-Ulrich HERGEMÖLLER, Die Goldene Bulle - Karl IV. und die Kunst des Möglichen, in: Staatsmann und Mäzen (wie Anm. 12) S. 143-146, hier S. 146; MORAW, Von offener Verfassung (wie Anm. 4) S. 247 ff.

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PETERSEN, Studien (wie Anm. 8) S. 253.

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Ernst SCHUBERT, Königsabsetzung im deutschen Mittelalter. Eine Studie zum Werden der Reichsverfassung (AAG III 267, 2005) S. 352. Karl IV. selbst bezog sich in einem Schreiben an Herzog Erich von Sachsen-Lauenburg vom 25. Mai 1361 (R: URH 8 S. 149 Nr. 196) auf die Verfügungen über die Unteilbarkeit der Kurwürde in der Goldenen Bulle: ... mit gemeinem rat und eintrechtigem willen aller kurfursten czu einem ewigen rechten gemachet ist, als in unserm keiserlichen rechtbuch geschriben stet, das die wirde undfurstentüm der kür an dem reiche nicht sullen geteilt werden. Dazu Armin WOLF, Das „Kaiserliche Rechtbuch" Karls IV. (sogenannte Goldene Bulle), Ius commune 2 (1969) S. 1-32. RI 8 Nr. 2284a ff.; vgl. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7); PETERSEN, Studien (wie Anm. 8); SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 12) S. 250 ff.; Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV.

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Verhandlungen verabschiedete die Versammlung gut zwei Wochen später, am 10. Januar 1356, die ersten 23 Kapitel der Goldenen Bulle. Das Ende der inhaltlichen Absprachen brachte eine umfangreiche Festschreibung der kurfürstlichen Rechte im Reich, vor allem bei der Königswahl, und in ihren jeweiligen Territorien, wobei der König von Böhmen die meisten Zugeständnisse erhielt. Dies ist denn auch der Grund für den Vorwurf, Karl IV. habe seine Position als römisch-deutscher König zugunsten seiner Stellung als König von Böhmen weitestgehend preisgegeben. Letzten Endes jedoch wurden den Kurfürsten in der Goldenen Bulle diejenigen Rechte schriftlich verbrieft, die sie de facto ohnehin bereits in den Händen hielten. Sie stellten bereits seit dem 13. Jahrhundert die aktivste Gruppe der politischen Entscheidungsträger dar, die ihren Einfluss im Reich und ihre Territorialherrschaft spätestens seit den Privilegien Friedrichs II. sukzessive auszubauen wussten. Ihr politischer Handlungsspielraum hatte sich durch die Goldene Bulle also nicht nennenswert vergrößert.20 Neben der reichspolitischen Stellung der Kurfürsten nahm sich die Goldene

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(Städteforschung A 13, 1983); DERS., Die Goldene Bulle (wie Anm. 15); DERS., Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1999) S. 127 ff.; Winfried DOTZAUER, Überlegungen zur Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Hintergrundes, in: Landesgeschichte und Reichsgeschichte. FS Alois Gerlich zum 70. Geburtstag, hg. von Winfried DOTZAUER / Wolfgang KLEIBER / Michael MATHEUS / Karl-Heinz SPIEß (Geschichtliche LK 42, 1995) S. 165-193; Johannes KUNISCH, Formen symbolischen Handelns in der Goldenen Bulle von 1356, in: Vormodeme politische Verfahren, hg. von Barbara STOLLBERG-RJLINGER (ZHF Beih. 25, 2001) S. 263-280; Armin WOLF, Die Goldene Bulle von 1356, in: Höhepunkte des Mittelalters, hg. von Georg SCHEIBELREITER (2004) S. 188-201; Armin WOLF, Die Goldene Bulle und die Kurfürsten, in: Wahl und Krönung, hg. von Bernd HEIDENREICH (2006) S. 57-77. Franz-Reiner ERKENS, Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über den Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums (MGH Studien und Texte 30, 2002); Königliche Tochterstämme, Königswähler und Kurfürsten, hg. von Armin WOLF (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 152, 2002); DERS., Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198-1298. Zur 700-jährigen Wiederkehr der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten (Historisches Seminar 11, 1998). Dazu die Zusammenfassung von Thomas ERTL, Alte Thesen und neue Theorien zur Entstehung des Kurfürstenkollegiums, ZHF 30 (2003) S. 619-642; Mathias WALLNER, Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan. Beiträge zu den Anfangen der kurfürstlichen Politik im 14. Jahrhundert (1298-1356) (Historische Studien 482, 2004). Vgl. ferner die einschlägigen Arbeiten von Emst SCHUBERT, Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung, Jb. für westdeutsche LG 1 (1975) S. 97-128; DERS., Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, ZHF 4 (1977) S. 257-338; DERS., König und

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Bulle jedoch auch wichtiger politischer und ökonomischer Probleme an, die Territorialherren wie Städte gleichermaßen tangierten: Es ging um Bündnis- und Fehderecht, um den Status der Pfahlbürger sowie um die Nutzungsrechte an verschiedenen Regalien. In einigen Kapiteln widmet sich der Text schließlich auch der zeremoniellen Praxis am Königshof wie etwa der Sitz- und Prozessionsordnung.21 Hier bestand offensichtlich Handlungsbedarf, denn an einer Stelle findet sich der explizite Hinweis, dass sich vor allem an der zeremoniellen Präsentation der geistlichen Kurfürsten in der Vergangenheit häufiger Streitigkeiten entfacht hätten.22

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Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (VMPIG 63, 1979). Dazu ausfuhrlich Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die Auffuhrung des Reiches. Zeremoniell, Ritual und Performanz in der Goldenen Bulle von 1356, in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356-1806. Aufsätze, hg. von Evelyn BROCKHOFF / Michael MATTHÄUS (2006) S. 76-92, sowie SCHNEIDMÜLLERS Beitrag in diesem Band. MGH Const. I I S . 610,27-32 (Kap. 21): Quoniam autem superius in principio constitutionum nostrarum presentium circa ordinem sessionis ecclesiasticorum principum electorum in consilio et in mensa et alias, quotiens imperialem curiam celebrari seu principes electores deinceps cum imperatore vel rege Romanorum congregari contigerit, sufficienter duximus providendum, super qua priscis audivimus temporibus pluries disceptatum, expedire credimus eciam processionis et deambulationis inter eos ordinem diffinire. Hier spielt die Formulierung wohl auf die beinahe traditionellen Streitigkeiten zwischen den Erzbischöfen von Köln und Mainz an, die sich an der Frage entfachten, wem der Platz zur Rechten des Herrschers gebühre. Dazu SCHUBERT, Königswahl und Königtum (wie Anm. 20) S. 274 f.; Karl-Heinz SPIEß, Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter, in: Zeremoniell und Raum, hg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung 6, 1997) S. 40-61. Allgemein zum Ehrenplatz zur Rechten des Herrschers Heinrich FICHTENAU, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts. Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich 1 (Monographien zur Geschichte des MA 30/1, 1984) S. 45 f.; HansWerner GOETZ, Der ,rechte' Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter, in: Symbole des Alltags - Alltag der Symbole. FS Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, hg. von Gertrud BLASCHITZ / Helmut HUNDSBICHLER / Gerhard JARITZ / Elisabeth VAVRA (1992) S. 11-47; zu entsprechenden Konflikten in den späteren Jahrhunderten vgl. Johannes HELMRATH, Sitz und Geschichte. Köln im Rangstreit mit Aachen auf den Reichstagen des 15. Jahrhundert, in: Köln. Stadt und Bistum. FS Odilo Engels, hg. von Hanna VOLLRATH / Stefan WEINFURTER (Kölner historische Abh. 39, 1993) S. 719-760; Barbara STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hg. von Johannes KUNISCH (ZHF Beih. 19, 1997) S. 91-132, hier S. 132; Helmut NEUHAUS, Der Streit um den richtigen Platz. Ein Beitrag zu reichsständischen Verfahrensformen in der Frühen Neuzeit, in: Vormoderne politische

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Obwohl man in Nürnberg ins Auge gefasst hatte, sich bereits vier Wochen nach Ostern in Metz zu treffen, wurde der avisierte Hofitag immer wieder verschoben, sodass die Teilnehmer erst im November 1356 nach Lothringen reisten. Hier erfolgte am Weihnachtsfest die Kodifikation der Kapitel 24-31. Unterzieht man diesen Teil der Goldenen Bulle einer kurzen Analyse, so fällt schnell auf, dass sein inhaltlicher Schwerpunkt auf der zeremoniellen Praxis liegt. Im Zentrum stehen vor allem Feierlichkeiten am Hof und die Regelung der Zuständigkeiten der Kurfürsten als Inhaber der einzelnen Erzämter, die in Kapitel 27 festgelegt werden. Aufgrund des Gewichts, das den Aspekten der Herrschafitsrepräsentation in den Metzer Verfugungen zukam, ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Verfügungen eine Art Regieanweisungen für den Hoftag in Lothringen darstellen und möglicherweise direkt mit Blick auf dieses Treffen zusammengetragen wurden. Dafür spräche, dass man sich bei den Metzer Feierlichkeiten nahezu sklavisch an diese Regelungen hielt.24 Stellt man nun in Rechnung, dass nur recht wenige Exemplare der Goldenen Bulle angefertigt wurden, drängt sich die Frage auf, in welcher Form der Inhalt des umfangreichen Textes ursprünglich in die politische Öffentlichkeit transportiert wurde. Die Einleitung der Goldenen Bulle selbst beschreibt, dass Karl in Nürnberg in Anwesenheit der geistlichen wie weltlichen Kurfürsten und vieler anderer weltlicher Herrschaftsträger und Städteboten auf dem Kaiserthron sitzend, im Herrscherornat und geschmückt mit den Insignien die Verfügungen erlassen, beschlossen und festgesetzt habe.25 Nach dieser Beschreibung wird man zunächst von einer feierlichen

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Verfahren (wie Anm. 19) S. 281-302; Johannes HELMRATH, Rangstreite auf Generalkonzilien des 15. Jahrhunderts als Verfahren, in: ebd. S. 139-173. RI 8 Nr. 2414; vgl. HERGEMOLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 19) S. 214. Ernst SCHUBERT, Erz- und Erbämter am hoch- und spätmittelalterlichen Königshof, in: Deutscher Königshof (wie Anm. 13) S. 191-237, hier S. 222; bereits ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 171, hat vermutet, dass die letzten Artikel nicht lange vor dem Hoftag konzipiert wurden. Allgemein zu den Hofamtern vgl. Peter SCHUBERT, Die Reichshofamter und ihre Inhaber bis um die Wende des 12. Jahrhunderts, MIÖG 34 (1913) S. 427-501; Irmgard LATZKE, Hofamt, Erzamt und Erbamt im mittelalterlichen deutschen Reich (Diss. Frankfurt a. M. 1970); Werner ROSENER, Hofämter an mittelalterlichen Fürstenhöfen, DA 45 (1989) S. 485-550. MGH Const. I I S . 564,6-11: infrascriptas leges ... in solempni curia nostra Nurembergensi, assedentibus nobis omnibus principibus electoribus ecclesiasticis et secularibus ac aliorum principum, comitum, baronum, procerum, nobilium et civitatum multitudine numerosa, in solio maiestatis cesaree, imperialibus infiilis, insigniis et dyademate decorati, matura deliberatione previa de imperialis potestatis plenitudine edidimus, statuimus et duximus sancciendas.

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Verkündung oder Verlesung des Textes ausgehen können.26 Doch an diesem Prozedere hat bereits Karl Zeumer ernsthafte Zweifel angemeldet, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen hätte die Verlesung des Gesamttextes eine recht lange Zeit beansprucht, zum anderen erfolgte die Kodifikation in lateinischer Sprache, derer nur die wenigsten in Nürnberg Anwesenden so mächtig gewesen sein dürften, dass sie den Inhalt des Verlesenen hätten adäquat erfassen können.27 Entsprechende volkssprachliche Übertragungen erfolgten erst später, und eine mögliche deutsche Kurzversion, die zur mündlichen Verlautbarung gedient haben könnte, ist nicht überliefert.28 Berücksichtigt man diese Einwände, so ist eine Verlesung des Textes wohl eher unwahrscheinlich. Ähnlich verhält es sich mit den Ereignissen in Metz, denn auch über die Verkündung der dort beschlossenen Artikel lässt die Überlieferung wenig verlauten.29 Allein Levold von Northof berichtet, dass Karl IV. zahlreiche Erlasse verkünden ließ, und inseriert in seine Chronik die Verfügungen zur Fehdeführung. Daraus eine öffentliche Verlesung des Gesamttextes abzuleiten ist nicht abwegig; Levolds Worte sind jedoch kein eindeutiger Beweis für ein solches Verfahren.30 Möglicherweise wurde die Handschrift den Versammelten in einem 31

feierlichen Rahmen präsentiert, ohne sie wörtlich vortragen zu lassen. Wenn aber eine wie auch immer geartete Verkündung des Rechtsinhalts nicht erfolgte und zudem nur recht wenige zeitgenössische Exemplare überliefert sind, so ist die Unkenntnis der Zeitgenossen über die inhaltlichen Ergebnisse der beiden Versammlungen alles andere als überraschend. Doch befindet sich der Beobachter hier nicht in einer Sackgasse, sondern gerade an dieser Stelle bietet die historiografische Wahr-

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So schließt HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 19) S. 210, nach seinen Ausführungen über die Verhandlungen in Nürnberg mit dem Fazit: „Somit lagen die Nürnberger Gesetze am 10.1. 1356 vor und konnten feierlich verkündet werden. Nachdem der Hofkanzler dem Ganzen ein einleitendes Gebet vorangestellt hatte, das wohl eine adhoc-Dichtung darstellt, wurde das Gesetz feierlich promulgiert." ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 144 f. Die älteste Übersetzung, und zwar ins Mitteldeutsche, stammt aus Frankfurt aus den 1370er-Jahren (MGH Const. 11 S. 550 f.), andere wurden erst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angefertigt. Um eine lateinische Ausfertigung hatte sich die Stadt Frankfurt bereits 1366 bemüht, weil der Kommune weitreichende Verpflichtungen aus den Verfugungen zur Königswahl erwuchsen. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 172; seinen Einschätzungen folgend auch HERGEMÖLLER, A b s c h l u ß ( w i e A n m . 9 ) S. 1 8 4 .

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Levold von Northof (wie Anm. 5) S. 93. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 173 ff.

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nehmung hilfreiche Informationen zu der Frage, welche Botschaften aus Nürnberg und Metz an die politische Öffentlichkeit gelangten. 32 Zunächst ist es bemerkenswert, dass im Gegensatz zum Nürnberger Tag über die Zusammenkunft in Metz wesentlich ausfuhrlichere historiografische Berichte vor33 liegen, die eine relativ genaue Rekonstruktion erlauben. In Metz ging es um sehr

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Zur Frage der Öffentlichkeit vgl. Bernd THUM, Öffentlichkeit und Kommunikation im Mittelalter. Zur Herstellung von Öffentlichkeit im Bezugsfeld elementarer Kommunikationsformen im 13. Jahrhundert, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hg. von Hedda RAGOTZKY / Horst WENZEL (1990) S. 65-87; Peter von Moos, Das Öffentliche und das Private im Mittelalter. Für einen kontrollierten Anachronismus, in: Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, hg. von Gert MELVILLE / Peter von Moos (Norm und Struktur 10, 1998) S. 3-83. Mathias von Neuenburg (wie Anm. 1) S. 486 (Continuatio Kap. 161): Eodem anno venit Karolus Imperator ad civitatem Metensem in adventu Domini, célébrons ibidem natalem Domini; fueruntque ibi principes electores et officiales seu ministeriales imperii, quorum quilibet ministrabat imperatori sedenti in mensa in officio seu ministerio suo proprio. Quilibet autem veniebat super equo usque ad mensam; descendente vero de equo coram mensa hystrionibus et mimis dabatur equus. Et alie plures sollempnitates fiebant ibi, de quibus longum esset scribere; Jacob Twinger von Königshofen (wie Anm. 1) S. 482 f.: und die kurfiXrsten reit ir ieglicher uf eime rosse untz fiir den disch, und wenne einre abe sas, so gap men das ros den spillüten und varenden lüten die vor des keysers dische worent. und die zessetragebret mit den spisen drügent grosse roße fiir den disch. und vil ander hofieren und erbieten geschach do, dovon vil were zu sagende; Levold von Northof (wie Anm. 5) S. 92: Item eodem anno ante festum nativitatis Domini venit Karolus imperator cum impératrice Métis et in festo nativitatis Domini solemnem ibi curiam celebravit cum omnibus imperii principibus. Ibi principes, quilibet secundum suum ordinem officii [sw/], servicium debitum exhibebant; Jaique Dex (wie Anm. 3) S. 304: En l'an mil IIf LV1 tint le dit empereur Charle son siege imperial on Champ as Saille a Metz et la y fist pluxours ducs, marquis et barons. ... Ci après sont et doient estre les princes, seigneurs et barons que jurent en Metz auvec l'empereur, quant il tint son siege imperial on Champ as Saille et qu 'il chantait l'ewangile la nuit de Noiel en la Grant Esglise de Metz; Philippe de Vigneulle (wie Anm. 3) S. 98 f.: L'empereur estoit vestu comme empereur, la haulte couronne d'or en la teste, et chanta la septiesme leçon de matines, l'espée nue en la main. Ledit jour de noel, l'empereur tint court plainiere au parc de pallis fait au Champaissaille, et les esliseurs, et mist en lieu de luy pour roy de Boheme, son frere Wanchellin, duc de Braban et de Lucembourg, ung chascun faisant son office, comme ilz sont tenus de faire. Et fut ledit empereur assis au chief du parc à une table, tout seul, en habits et estât d'empereur, et là disna. Et les sept esliseurs, assavoir: l'archevesque de Mayance, l'archevesque de Collogne et l'archevesque de Trieve, ledit duc de Braban, faissant l'office pour le roy de Boheme, le duc de Baviere, comte pallatin du Rhin, le duc de Saxe et le marquis de Brandebourg, ung chascun d'eulx chevaulchant

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viel mehr als nur um die Verabschiedung der Goldenen Bulle, wie die Tatsache zeigt, dass auch der französische Dauphin Karl von Vienne und der päpstliche Kardinallegat Talleyrand von Perigord, Kardinalbischof von Albano, nach Lothringen gereist waren. Wenn die Einleitung der Metzer Verfugungen mit dem Hinweis beginnt, sie seien nicht nur mit Unterstützung der Kurfürsten, sondern auch in Anwesenheit der beiden genannten Persönlichkeiten erlassen worden, so belegt das die Bedeutung, die Karl IV. ihrer Anwesenheit beimaß.34 Daher sollten diese Bezugspunkte bei einer Analyse des Metzer Treffens nicht übergangen werden, denn erst in der Gesamtschau ergibt sich eine schlüssige Bewertung. Im Zentrum der Zusammenkunft stand zunächst das Weihnachtsfest, das der Kaiser im Kreis seiner Fürsten und der anwesenden Gäste beging und das in den historiografischen Quellen ausgiebig gewürdigt wird. Der päpstliche Kardinallegat zelebrierte die Messe, während Karl IV., geschmückt mit den imperialen Insignien, angetan mit den kaiserlichen Gewändern, den ersten Satz der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums verlas: Exiit edictum a Caesare Augusto35 Er tat dies überdies mit entblößtem Schwert - Zeichen der irdischen Macht und Symbol seiner Herrschaft. 36 Damit, so hat es Peter Moraw treffend auf den Punkt gebracht, haben bereits seine Zeitgenossen „verstanden und anerkannt, was dies bedeutete: Augustus regierte schon, als Christus geboren wurde; das Reich war älter als die Kirche. Das Reich war nicht nur römisch und christlich;

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à grani estrier, et portant les mets, et le servant comme à empereur appartient, faisant chascun son office. So die Vorbemerkungen MGH Const. 11 S. 616 zum Metzer Teil der Goldenen Bulle; Levold von Northof (wie Anm. 5) S. 92 f.: Ibi aderat cardinalis sedis apostolice legatus et dominus Delphinus, filius regis Francie, nepos imperatoris, ibique aderant multi archiepiscopi et episcopi et abbates et alii principes, comités et magnates et nobiles infiniti. Heinrich Taube von Selbach (wie Anm. 6) S. 110 f. berichtet, der Papst habe den Kardinallegaten nach Metz geschickt. RI 8 Nr. 2555a; Chronicon Benessii (wie Anm. 2) S. 526: In festo igitur Nativitatis Domini in matutinis dominus imperator indutus imperialibus insigniis coram principibus supradictis legit ewangelium: Exiit edictum a cesare Augusto, et dominus cardinalis coram imperatore cantavitprimam missam, de cuius manibus dominus imperator sumpsit sacram eukaristiam humiliter et devote. Auch die Feier des Weihnachtsfestes in Nürnberg war auf diese Weise gestaltet: RI 8 Nr. 2356a; Heinrich von Diessenhofen (wie Anm. 5) S. 102: Et sie predictus imperator omnes electores imperii secum habuit una cum imperatrice Anna. Et ipse imperator astantibus principibus et imperatrice coronata legit in matutino septimam lectionem gladio evaginato ut est moris. Zum Quellenwert Heinrichs von Diessenhofen fur die Nürnberger Zusammenkunft vgl. HERGEMOLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 19) S. 26 ff.

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es war auch das Weltreich."37 Da sich Ehre und Bedeutung in der mittelalterlichen Vorstellungswelt zum großen Teil im Altersvorrang manifestierten, sandte der Weihnachtsdienst unmissverständliche Signale aus. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Karl IV. nach dem Ende des Metzer Hoftages auf seinem Weg nach Maastricht Mitte Januar in Aachen Station machte, um dort den Thron Karls des Großen zu besteigen, und zwar indutus imperialibus signis, et coronam Karoli magni habens in capite, wie Heinrich von Diessenhofen berichtet.38 Vor dem Hintergrund des königlichen Weihnachtsdienstes gewinnt dieser Akt der Herrschaftsrepräsentation zusätzliche Ausdruckskraft, denn mit der Inanspruchnahme des Karlsthrons stellte sich der Luxemburger in die direkte Tradition des karolingischen Kaisertums. Dass er damit auf die Translationstheorie anspielte, so wiederum an das römische Kaisertum anknüpfte und den Vorherrschaftsanspruch in der Christenheit unterstrich, war eine deutliche Botschaft.39 Ob die Aachener Thronsetzung bewusst strategisch geplant war oder ob Karl nach der Metzer curia auf seinem Reiseweg die günstige Gelegenheit zu einer weiteren Präsentation seines Anspruchs ergriff, ist sicherlich nicht zu entscheiden. In jedem Fall sind Weihnachtsdienst und die Positionierung auf dem Karlsthron in einem inhaltlichen Kontext zu interpretieren und zeugen eindrucksvoll vom imperialen Geltungswillen des Luxemburgers. Doch zurück zum Metzer Hoftag: Nach dem Hochamt folgte ein Hoffest, dessen Pracht seinesgleichen suchte. Das kaiserliche Paar nahm an einer erhöhten Tafel Platz, und die Kurfürsten des Reiches versahen in festgelegter Reihenfolge ihre Ehrendienste: zunächst die Erzbischöfe mit den Siegeln als Zeichen ihrer Erzkanzlerämter, im Anschluss die weltlichen Kurfürsten.40 Der Herzog von Sachsen als Marschall

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38 39

MORAW, Von offener Verfassung (wie Anm. 4) S. 149; Hermann HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, DA 39 (1983) S. 131-206, bes. S. 159 ff.; Achim Thomas HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen (RI Beih. 18, 1999) S. 567 f. Heinrich von Diessenhofen (wie Anm. 5) S. 107. Vgl. hierzu Marie BLÀHOVÀ, Nachleben Karls des Großen in der Propaganda Karls IV., Das Mittelalter 4/2 (1999) S. 11-25; Frantisek KAVKA, Karl IV. ( 1 3 4 9 - 1 3 7 8 ) und Aachen,

in: Krönungen. Könige in Aachen - Geschichte und Mythos. Katalog der Ausstellung, hg. von Mario KRAMP, 2 Bde. (2000) S. 4 7 7 - 4 8 4 ; Jiri FAJT, Karl IV. - Herrscher zwi-

schen Prag und Aachen. Der Kult Karls des Großen und die karolinische Kunst, in: ebd. S. 4 8 9 - 5 0 0 . 40

Chronicon Benessii (wie Anm. 2) S. 526: Deinde summam missam illius diei cantavit archiepiscopus Coloniensis, qua solempniter peracta, omnes archiepiscopi, episcopi et prelati nec non principes seculares dominum imperatorem et dominam imperatricem, indutos vestibus et insigniis imperialibus, conducunt solempniter ad domum convivii in medio civitatis in placza preparatam et pulcre nimis adornatam, ubi posite sunt tabule

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versorgte die Pferde des Luxemburgers mit Hafer, der Markgraf von Brandenburg brachte als Kämmerer kostbare Silberbecken mit Wasser, der Pfalzgraf bei Rhein bediente seinen Herrn als Truchsess mit Speisen, und Karls Halbbruder Wenzel vertrat den Kaiser als König von Böhmen bei den Ehrendiensten als Mundschenk. 41 Hier manifestierte sich, für alle sichtbar, einerseits die Exklusivität der Kurfürsten, indem sie durch die Verrichtung ihrer Ehrenämter an der herrscherlichen Tafel ihren Partizipationswillen und -anspruch am Reich demonstrierten. Andererseits präsentierten sich die Kurfürsten in dienender Funktion und nahmen ihren Platz in einem hierarchischen Ordnungsgefüge ein, das auf die Person des Herrschers ausgerichtet war. In den Ehrendiensten waren sämtliche Zeremonialhandlungen auf den König zugeschnitten, sodass er als Zentrum des politischen Gefüges erschien. Metz war in jenen Tagen jedoch nicht nur Schauplatz der Weihnachtsfeierlichkeiten, auf dem alten Marktplatz, dem Champ-ä-Saille, fanden zudem zahlreiche Lehnsinvestituren statt.42 Sie wurden feierlich in Szene gesetzt, wie die Urkunde über die Belehnung Rudolfs d. J. mit dem Herzogtum Sachsen, der Kurwürde sowie dem dazugehörigen Amt des Erzmarschalls verlauten lässt: ... adhibitis cerimoniis debitis et consuetis in civitate Metensi in omnium electorum ac aliorum plurimorum principum, comitum, baronum, procerum et nobilium presencia in feudum nobile et

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atque mense plurime pro invìtatis. Sedente itaque domino imperatore ad tabulam in loco eminenciori veniunt officiates imperii sua, prout moris est, obsequia exhibentes. Chronicon Benessii (wie Anm. 2) S. 526: Et primo archiepiscopi supradicti cum sigillis imperialibus, quia cancellarii sunt, singuli in suis locis. Item venit dux Saxonie archimarschalcus in magno dextrario ante mensam, portons avenam in vase argenteo pro equis imperialibus, et fecit sedere principes singulos ad mensam, quemlibet in loco sibi preparato. Item post hunc venit marchio Brandenburgens is, archicamerarius in dextrario, portons pelvim auream et manutergia pulchra, et dedit aquam imperatori sedenti in throno. Item post hunc venit comes palatinus, portons escas in scutellis aureis, et facta credendo posuit ante imperatorem. Item post hunc venit Wenceslans, dux Luczemburgensis et Brabancie, frater domini imperatoris, représentons personam domini regis Boemie, qui est archipincerna, portons in ciffis aureis vinum, et facta credencia dedit imperatori ad bibendum. Ultimo veniunt principes: marchio Misnensis archivenator et comes de Swarzburg subvenator cum canibus venaticis et tubis multis et magnum facientes strepitum, cervum et aprum portant ad mensam principis cum omni alacritate. Et factum est convivium maximum in die ilia, cui simile nullus recordatur. Zu den Einzelverfiigungen über die Erzämter, die in der Goldenen Bulle getroffen werden, vgl. unten Anm. 95 f. RI 8 Nr. 2546a; Heinrich von Diessenhofen (wie Anm. 5) S. 107 weiß, dass hier auch feierliche Belehnungen stattgefunden haben: Et ibi plures sua feoda ab imperatore receperunt et in suo ordine servierunt.

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insigne contulimus et ipsum solempniter investivimus43 Über den Verlauf der feierlichen Lehnsinvestituren gibt die Goldene Bulle wiederum genaue Auskunft, wenn auch nur bei einer genaueren Durchsicht. In Kapitel 29 werden ein Gerüst bzw. Holzaufbauten erwähnt, auf denen der Kaiser / König bei festlichen Belehnungen Platz nahm.44 Auch hier vermochte sich der Herrscher in einer zentralen Stellung zu positionieren, sodass aus dieser Perspektive kurfürstliche Macht als eine von der herrscherlichen Majestät abgeleitete erschien.45 Zu den Belehnten am Weihnachtstag zählte ebenfalls der französische Dauphin Karl von Vienne.46 Seine Investitur verdient insofern eine genauere Betrachtung, da sie ein zähes Ringen um Herrschaftsansprüche zwischen Karl IV. und dem Haus Valois entschied. Noch im Voijahr hatte der Luxemburger vom französischen König Johann dem Guten die Lehnshuldigung für die Grafschaften Vienne und Burgund gefordert sowie die Restituierung der dem Reich zustehenden Besitzungen. Sein französischer Schwager ging auf dieses Anliegen zunächst nicht ein, war jedoch nach einer militärischen Niederlage gegen England im September 1356 und seiner anschließenden Gefangennahme zum Einlenken gezwungen.47 So musste der Dauphin im Dezember nach Metz reisen, um dort den Kaiser um Unterstützung zu bitten. Während die 43

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45

46 47

Belehnung Rudolfs d. J. vom 27. Dezember 1356: MGH Const. 11 S. 501 ff. Nr. 895, das Zitat S. 503,23-26 (R: RI 8 Nr. 2561). MGH Const. 11 S. 628,11-15: Preterea consummatis hiis, que in imperiali qualibet curia sive regali fuerint pro tempore disponenda, recipiet magister curie pro se totum edificium sive ligneum apparatum imperialis sive regie sessionis, ubi sederit imperator vel rex Romanorum cum principibus electoribus ad celebrandas solempnes curias vel feuda, sicut premittitur, principibus conferenda. Vgl. dazu Julius BRUCKAUF, Fahnlehn und Fahnenbelehnung im alten deutschen Reiche (Leipziger historische Abh. 3, 1907) S. 62; Robert BOERGER, Die Belehnungen der deutschen geistlichen Fürsten (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 8/1, 1901) S. 57; Karl-Heinz SPIEß, Kommunikationsformen im Hochadel am Königshof im Spätmittelalter, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. von Gerd ALTHOFF (VuF 51,2001) S. 261-290, hier S. 279 f. Vgl. dazu auch die Miniatur im Prachtcodex Wenzels: Die Goldene Bulle. König Wenzels Handschrift. Codex Vindobonensis 338 der Österreichischen Nationalbibliothek (Glanzlichter der Buchkunst 11, 2002) fol. 43v. SPIEB, Kommunikationsformen (wie vorige Anm.) S. 282: „Die wichtigste Funktion der Inszenierung bestand aus der Sicht des Königs darin, der Öffentlichkeit den hierarchischen Charakter der Reichsverfassung zu demonstrieren und damit zu signalisieren, daß die Fürsten ihre Herrschaft und Dignität allein dem König verdankten." MGH Const. 11 S. 495 Nr. 885. Ausfuhrlich Heinz THOMAS, Zwischen Regnum und Imperium. Die Fürstentümer Bar und Lothringen zur Zeit Kaiser Karls IV. (BHF 40, 1973) S. 130 ff.; DERS., Frankreich, in: Staatsmann und Mäzen (wie Anm. 12) S. 152-156, hier S. 155.

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Quellen aus dem Reich lediglich Notiz von seiner Anwesenheit und dem feierlichen Belehnungsakt nehmen, gewähren die historiografischen Texte französischer Provenienz einen tieferen Einblick in die Ziele, die er mit seiner Reise nach Metz verfolgte. Von Interesse war für ihn die Hilfe des Kaisers bei den Verhandlungen um die Freilassung Johanns des Guten ebenso wie die Rückendeckung Karls IV. bei innenpolitischen Problemen.48 Angesichts der überaus prunkvoll aufgeladenen Atmosphäre des Metzer Hoftages verwundert es kaum, wenn der Luxemburger seine Dominanz gegenüber dem Haus Valois aufwendig in Szene setzte: Karl von Vienne betrat nicht erst während seiner Belehnung die Bühne, sondern erreichte die Stadt kurz vor dem Weihnachtsfest am 22. Dezember.49 Die Lesung aus dem Lukasevangelium verfolgte er nach Auskunft des böhmischen Chronisten Benes Krabice von Weitmühl in unmittelbarer Umgebung des Kaisers, gewissermaßen auf den vordersten Rängen. Auch die Tatsache, dass Karl IV. ausgerechnet den Weihnachtstag als Datum der feierlichen Investitur bestimmte, verweist auf die wohlkalkulierte Wirkung des Vorgangs. Der Dauphin musste sich nicht nur durch seine Investitur den Ansprüchen Karls IV. beugen, sondern war gleichzeitig Zeuge der imperialen Machtbekundungen des Luxemburgers. Man wird die Eindrücke, welche der Metzer Weihnachtstag bei ihm hinterlassen 48

Das Hilfeersuchen an Karl IV. betont die Chronographia regum Francorum 2: 13281380, hg. von Henri MORANVILLE (1893) S. 263: Karolus autem, dux Normannie, abiens Parisius, ibidem /actus est regens Francie. Deinde abiit Metis ad videndum Karolum imperatorem, avunculum suum et quesivit ab eo consilium et iuvamen ad liberandum patrem suum de manibus Anglicorum. Die Fortsetzung des Richard Lescot überdeckt die bittende und inferiore Position des Dauphin dadurch, dass sie sein prächtiges Auftreten hervorhebt. Sein Auftritt sei allerdings so pompös gewesen, dass er Kritik hervorrief: Chronique de Richard Lescot religieux de Saint-Denis (1328-1344) suivie de la contin u a t i o n d e c e t t e c h r o n i q u e ( 1 3 4 4 - 1 3 6 4 ) , h g . v o n J e a n LEMOINE ( S H F , 1896) S. 106 f.

(Continuatio Kap. 247): Paucis dehinc evolutis diebus, relicto regimine regnifratri sui comitti Andegavie, Ludovico, ad auxilium pro patre implorandum in pomposo habitu et nobili comittiva avunculum suum imperatorem adiit qui tunc Metis residebat, a quo effabiliter et honorifice susceptus. Videns Imperator statum eius superßuum in vestimentis auro et gemmis contextis, ipsum valde redarguit maxime cum hoc sibi non liceret, rege patre captivato, succursum tarnen rediret sicut recedens iusserat. In der Chronique des règnes de Jean II et de Charles V, hg. von Roland DELACHENAL, 4 Bde. (SHF, 19101920), hier 1 S. 91, wird betont, der Dauphin habe sich nach Metz begeben pour parler à luy et avoir son conseil, tant sur le gouvernement du royaume de France et de la prise du Roy, son pere, comme de pluseurs autres choses. Dazu Heinrich NEUREITHER, Das Bild Kaiser Karls IV. in der Zeitgenössischen Französischen Geschichtsschreibung (Diss. Heidelberg 1964) S. 102 ff. 49

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RI 8 Nr. 2553a.

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hat, kaum nachhaltig genug veranschlagen dürfen, denn als Karl von Vienne rund zwei Jahrzehnte später, im Winter 1377/78, nunmehr als König von Frankreich Karl IV. in Paris empfing, zögerte er den Grenzübertritt des Kaisers mit allen Mitteln bis nach dem Weihnachtsfest hinaus.50 Seine Gesandten bedienten sich dabei einer unmissverständlichen Argumentation. Sie werteten den kaiserlichen Weihnachtsdienst als Herrschaftsrecht, das auf sein eigenes Reich beschränkt sei, nicht aber auf auswärtigem Boden praktiziert werden dürfe. Karl IV. akzeptierte den Einwand und feierte das Weihnachtsfest in Cambrai. Der Akt von Metz hatte sich offensichtlich tief in das Gedächtnis des französischen Königs eingebrannt, und einen weiteren Triumph dieser Art mochte er dem Kaiser nicht vergönnen. Langfristig gesehen, blieb Karls Sieg auf dem Metzer Hoftag zwar Episode, denn am Ende seiner Herrschaft gab der Luxemburger seine Stellung wieder weitgehend preis. Doch für den Augenblick hatte er seine Rechte gegenüber Frankreich behauptet und prachtvoll in Szene gesetzt. Eine synthetisierende Analyse der einzelnen Handlungsstränge zeigt, dass der Metzer Hoftag nicht ausschließlich aus der textimmanenten Perspektive der Goldenen Bulle interpretiert werden kann, sondern dass sich seine Bedeutung nur im Gesamtkontext erschließt. An dieser Stelle ist daher die eingangs formulierte Frage zu beantworten, warum sich eine so große Diskrepanz zwischen zeitgenössischer Wahrnehmung und der späteren verfassungsgeschichtlichen Bedeutung abzeichnet. Nach den Erkenntnissen der neueren Forschungen zur Kommunikationsgeschichte zählte die Veröffentlichung und Visualisierung der Inhalte zum integrativen Bestandteil mittelalterlicher Urkundenproduktion, in vielen Fällen bildete erst die performative Präsentation der schriftlichen Verfügungen den Abschluss des Verfahrens.51 Wenn etwa nach einem

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51

Chronique des règnes (wie vorige Anm.) 2 S. 199: Et, combien que les dites gens du Roy eussent sceu, qu ' il avoit entencion de estre à Noël à Saint-Quentin, ilz firent, que il demoura à Noël au dit lieu de Cambray, qui est sa ville et cité, et on quel il povoit faire ses magnificences et estaz impériaulz, et que on royaume de France n ' eust point souffert le roy que aucunement en eust usé. Et, pour ce que de coustume l ' Empereur dit la VIIe leçon à matines, revestus de ses habiz et enseignes impériaulz, il fut advisé par les gens du roy, que, ou royaume, ne le pourroit il faire, ne souffert ne li seroit. Si se consenti de bonne volonté de demourer au dit Cambray, pour faire son ordenance acoustumée en son empire. Dazu NEUREITHER, Bild (wie Anm. 48) S. 118 ff. und S. 170 f.; HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst (wie Anm. 37) S. 162 f.; Martin KLNTZLNGER, Der weiße Reiter. Formen internationaler Politik im Spätmittelalter, FMASt 37 (2003) S. 315-353, hier S. 338. Hagen KELLER, Hulderweis durch Privilegien: symbolische Kommunikation innerhalb und jenseits des Textes, FMASt 3 8 ( 2 0 0 4 ) S. 3 0 9 - 3 2 1 ; Christoph D A R T M A N N , Friedensschlüsse im kommunalen Italien: öffentliche Interaktion und schriftliche Fixierung, ebd.

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Konflikt der Frieden wiederhergestellt wurde, konnten seine Modalitäten zum einen durch inhaltliche Verfügungen einer Urkunde, zum anderen aber auch durch einen demonstrativen Akt des Einvernehmens - etwa durch einen Friedenskuss - symbolisiert werden. 52 Interpretiert man nun die historiografischen Berichte zum Nürnberger und Metzer Hoftag nicht als Nachweis inhaltlichen Desinteresses oder mangelnder Sachkenntnis, sondern bezieht man ihre Informationen als eine neben dem Urkundentext gleichberechtigte Quelle mit ein, liefert auch hier die Interdependenz von Zeichen und Schrift wichtige Erkenntnisse. In den Versammlungen von Nürnberg und Metz nahmen die Zeitgenossen weniger die Maßnahmen wahr, die in Schriftform gegossen wurden, sondern vor allem die Dinge, die anschließend in die sichtbare Sphäre politischer Interaktion transferiert wurden. Fehlende Hinweise auf die Verabschiedung der Goldenen Bulle sind also nicht der Ignoranz der Zeitgenossen gegenüber dem wichtigsten Verfassungsdokument des Alten Reichs geschuldet. Die Art und Weise, wie die erzählenden Quellen die Metzer Versammlung darstellten, ist vielmehr ihr Reflex auf die Goldene Bulle. Doch welches Bild bot sich dem Betrachter, der allein Zeuge des Hoftages war und dessen Kenntnis sich der Wortlaut der Goldenen Bulle entzog? Es ist bemerkenswert, dass in der visuellen Wahrnehmung der Kaiser das Zentrum der Feierlichkeiten bildete. Die kurfürstliche Partizipation an der Herrschaft kam zwar in den Ehren-

52

S. 355-369; Hartmut BEYER, Urkundenübergabe am Altar. Zur liturgischen Dimension des Beurkundungsaktes bei Schenkungen der Ottonen und Salier an Kirchen, ebd. S. 323-346; Hagen KELLER, Schriftgebrauch und Symbolhandeln in der öffentlichen Kommunikation. Aspekte des gesellschaftlich-kulturellen Wandels vom 5. bis zum 13. Jahrhundert, FMASt 37 (2003) S. 1-24; Claudia GARNIER, Zeichen und Schrift. Symbolische Handlungen und literale Fixierung am Beispiel von Friedensschlüssen des 13. Jahrhunderts, FMASt 32 (1998) S. 263-287. Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Heinz ÜUCHARDT / Gert MELVILLE (Norm und Struktur 7, 1997); Geschichtswissenschaft und „Performative Turn". Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hg. von Jürgen MARTSCHUKAT / Steffen PATZOLD (Norm und Struktur 19, 2003); Zeichen - Rituale - Werte, hg. von Gerd ALTHOFF (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496/3, 2004); Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, hg. von S t e f a n WEINFURTER / C l a u s AMBOS / S t e p h a n HOTZ / G e r a l d SCHWEDLER ( 2 0 0 5 ) . F ü r

das Mittelalter vgl. Jean-Claude SCHMITT, Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter (1992, Titel der Originalausgabe 1990: La raison des gestes dans l'occident médiéval); Gerd ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde (1997); Formen und Funktionen (wie Anm. 44); DERS. Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter (2003); Philippe Buc, The Dangers of Ritual. Between Early Médiéval Texts and Social Scientific Theory (2001).

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diensten in adäquater Weise zum Ausdruck, doch erschien sie eher als eine von der Person des Herrschers abgeleitete. Die ,tautologische' Reichsauffassung, die von der kurfürstlichen Verantwortung für das Reich immer wieder konterkariert wurde, präsentierte sich in Metz so eindrucksvoll wie selten. Ernst Schubert hat darauf hingewiesen, dass sich im Verlauf des 13. und frühen 14. Jahrhunderts eine Emanzipation der Erzämter vom Königshof vollzogen habe, da sie nicht mehr als vom König abgeleitete Rechte, sondern als ,Reichsdignität' interpretiert wurden. Nicht die Person des Herrschers, sondern die Verantwortung für das Reich sei aus der Perspektive der Kurfürsten der eigentliche Legitimationsfaktor gewesen. Die Goldene Bulle sei schließlich als Versuch Karls IV. zu werten, die Erzämter nachhaltig in die curia regalis zu integrieren, um so „seinem Hof die Legitimation als Verfassungsmitte zu verschaffen". 53 Die Metzer Feierlichkeiten setzten dieses Bestreben farbenprächtig um. Daher ist es nur folgerichtig, wenn Karl in der Visualisierung des Verhältnisses von König und Fürsten den Herrscher als Emanation des Reichs präsentierte und fürstliche Macht aus dieser Perspektive als eine von königlichem Willen abhängige erschien. Mit anderen Worten: In der Sphäre der sichtbaren politischen Aktivitäten dominierte das Herrschaftskonzept Karls IV. und weniger die kurfürstliche Ordnung. Der König bildete in diesem System das Gravitationszentrum des Herrschaftsverbundes, von ihm leiteten sich die Rechte und Vorrechte der einzelnen Kurfürsten ab. Aus dieser Perspektive sind an älteren Urteilen, wie etwa dem Heinz Stoobs, durchaus Zweifel anzumelden: „ A u f s Ganze gesehen, war der Ertrag des abschließenden Textteils mager; für den Herrscher enthielt er nichts Nennenswertes, wenn man nicht einräumen will, daß ein ausgefeiltes Zeremoniell vor allem Würde und Ansehen des Reichsoberhaupts zu steigern geeignet war." 54 Stellt man in Rechnung, dass es genau dieses „ausgefeilte Zeremoniell" war, das die Wahrnehmung des 14. Jahrhunderts bestimmte, so stellte der Metzer Teil der Goldenen Bulle einen nahezu genialen Akt der Herrschaftsrepräsentation dar. Während ihr Text sämtliche Rechte der Kurfürsten im Reich festschrieb und somit ihren bisher erlangten Partizipationsanspruch dauerhaft fixierte, repräsentierte das Herrschaftszeremoniell in der Goldenen Bulle eine ,tautologische' Reichsauffassung. In den repräsentativen Akten behielt sich Karl IV. die zentrale Rolle vor und vermochte dies auch langfristig in der Goldenen Bulle zu verankern. Wenn der Luxemburger diese Aussage in Metz in einen größeren Rahmen integrierte und auch das Papsttum und den französischen König einbezog, mag dies den Eindruck noch gesteigert haben. Was blieb, war eine eindeutige Botschaft, die den König in das Zentrum des Reiches und den Kaiser in das Zentrum der Christenheit rückte. 53

SCHUBERT, Erz- u n d E r b ä m t e r ( w i e A n m . 2 4 ) S. 2 1 9 .

54

STOOB, Karl IV. (wie Anm. 12) S. 103.

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II

Das Mahl als Projektionsfläche der politischen Ordnung

Einen wichtigen Teil der Herrschaftsrepräsentation am königlichen Hof bildete unbestritten das Mahl, das einen festen Bezugspunkt in der Interaktion zwischen Herrscher und Kurfürsten bildete. Wenn in Metz das in der Goldenen Bulle verankerte Ordnungskonzept zu großen Teilen im Festmahl visualisiert wurde, so unterstreicht dies seine Funktion in der aristokratischen Welt der gesamten Vormoderne. Von dieser Warte aus betrachtet, sticht eine Detailverfügung der Goldenen Bulle ins Auge, die dieser Bedeutung des Mahles auf den ersten Blick widerspricht. Es handelt sich dabei um Kapitel 12, in dem Karl IV. eine jährliche Zusammenkunft der Kurfürsten avisierte, damit diese sich regelmäßig über anstehende Probleme verständigen sollten. Diese Versammlung sollte im Jahr 1356 vier Wochen nach Ostern in Metz erfolgen und fand dort nach zahlreichen Terminaufschüben erst am Jahresende statt. In Metz sollte das Reichsoberhaupt auch den Ort festlegen, an dem sich das Kurkolleg im Folgejahr versammeln sollte. Diese Verfügungen, die eine Konstanz der Zusammenarbeit zu sichern versuchten und kurfürstliche Aktivitäten in einen vom Herrscher gesteckten Rahmen integrierten, wurden von den bisherigen Forschungen zur Goldenen Bulle ausführlich gewürdigt. Recht geringes Interesse hat jedoch ein Gebot am Ende dieses Kapitels gefunden, das während der Kurfürstenversammlungen gemeinsame Mähler untersagte und nur Einzeleinladungen mäßigen Charakters erlaubte. Die im Kodifikationstext ins Feld geführte Argumentation erscheint zunächst einleuchtend und ist bisher ohne Widerspruch akzeptiert worden:55 Feiern und Zerstreuungen würden den Gang der Verhandlungen behindern und die zügige Abwicklung der Geschäfte verzögern. Möglicherweise - so die weiterführende Vermutung Karl Zeumers - schützte die Verfügung die Königswähler auch vor allzu hohen Kosten, da ihnen Einladungen und Gegeneinladungen einen immensen Repräsentationszwang auferlegten und mit entsprechend hohen Ausgaben verbunden waren. In diesem Zusammenhang ist das dank einem glücklichen Überlieferungszufall erhaltene Rechnungs- und Reisetagebuch des Trierer Erzbischofs Boemund II. von Saarbrücken aufschlussreich, in dem die Ausgaben des Metropoliten für die Jahre zwischen 1354 und 1357 verbucht sind. Die Aufzeichnungen dokumentieren,

55

216

MGH Const. 11 S. 596,24-28: Preterea ne tractatus communis salutis etpacis per tractum et moram solacii seu excessivam frequentationem convivii retardetur, ut aliquando fieri est consuetum, concordi volúntate duximus ordinandum, ut deinceps curia seu congregatione prefata durante generales omnium prìncipum celebrare alicui non liceat invitatas, particulares vero, que agendorum expeditionem non impediant, cum moderamine sint permisse. Vgl. HERGEMOLLER, Fürsten, Herren und Städte (wie Anm. 19) S. 193 f.; ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 66 f.; PETERSEN, Studien (wie Anm. 8) S. 249.

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dass in Nürnberg in der Tat zahlreiche Zusammenkünfte erfolgten, die die Kasse des Erzbischofs erheblich belasteten. Boemund traf am 22. Dezember in Nürnberg ein, speiste am Folgetag mit seinem Mainzer Amtsbruder und am Christabend mit dem Kölner Metropoliten.56 Den Weihnachtstag begingen alle Anwesenden gemeinsam, und die letzten Dezembertage wurden in lockerer Abfolge mit Einzeleinladungen der Kurfürsten gestaltet. Den Höhepunkt erreichten die Einladungen aus der Perspektive des Trierer Hofes am 30. Dezember, als man den Kaiser, die übrigen Kurfürsten, einige Bischöfe sowie viele hertzogen,

graven, freihern

und edelen

bewirtete. Die Festgesellschaft verzehrte Fleisch von vier Ochsen und 13 Kälbern, von sieben Schweinen und zwölf Ferkeln, dazu Unmengen von Geflügel und verbrauchte insgesamt 700 Eier. In den ersten Januartagen verzeichnet das Rechnungsbuch wiederum kleinere Mähler mit einzelnen Kurfürsten; das nächste größere Fest cum principibus fand am 3. Januar beim sächsischen Herzog statt. Die Gastgeberfunktion ging also offensichtlich im Kreise der Anwesenden reihum, sodass die Belastungen des Einzelnen durch Gegenbesuche zwar nicht völlig kompensiert, jedoch deutlich reduziert wurden. Doch am 6. Januar brechen die Geselligkeiten mit einer Notiz im Trierer Rechnungsb u c h unvermittelt ab: Deinceps

noluit imperator,

quodprincipes

festivarent.57

Offen-

sichtlich handelte es sich um eine Reaktion auf die entsprechenden Verfugungen in der Goldenen Bulle, denen man sich sofort fügte. Danach nämlich weisen die Einträge im Rechnungsbuch in der Tat eine betonte Bescheidenheit auf: So speiste der Trierer Erzbischof am Folgetag mit dem Kanzler des Luxemburgers in kleinem Rahmen (private), zwei Tage später findet sich sogar der Hinweis, dass der Metropolit das Essen alleine mit seinem Gefolge (cum suis) zu sich genommen habe. Die deutliche Zurückhaltung wird lediglich am 10. Januar, dem Tag der Verkündung der Goldenen Bulle, unterbrochen. Als sich die Fürsten ein knappes Jahr später zum Metzer Hoftag zusammenfanden, sind ausschweifende Mähler ebenfalls nicht zu rekonstruieren.58 Ausführlichere Einträge finden sich bezeichnenderweise dann, wenn mit dem Kaiser verbundene Ereignisse dokumentiert wurden: so sein Adventus in Metz, der Empfang des französischen Dauphin am 22. Dezember mit anschließendem Festmahl und die Feierlichkeiten am Weihnachtstag.59

56

57 58 59

Hierzu und zu den folgenden Aufzeichnungen Richard SALOMON, Ein Rechnungs- und Reisetagebuch vom Hofe Erzbischof Boemunds II. von Trier. 1354—1357, NA 33 (1908) S. 399-434, hier S. 423 ff. Ebd. S. 425. Ebd. S. 429 ff. Ebd. S. 431: Feria quinta 22. Decembris mane comedit dominus cum delphino, cum imperatore et aliis principibus. Ebd. S. 432: Dominica die nativitatis Christi festivavit

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Stellt man in Rechnung, dass in nahezu allen sozialen Gruppen des Mittelalters dem gemeinsamen Mahl eine wichtige konstituierende und stabilisierende Funktion zukommt, so waren die Beweggründe, die Karl IV. zum Verbot der kurfürstlichen Festmähler veranlassten, wohl kaum in der Sorge um effiziente Arbeitsabläufe begründet. Dies widerspräche ohnehin der Konzeption des Mahls in vormodernen Gesellschaften, bei dem es weniger um die Nahrungsaufnahme oder bloßes Vergnügen ging, sondern vielmehr um die Visualisierung von Rechten und Ansprüchen, von Verpflichtungen und Abhängigkeiten.60 Im Zentrum stand nichts Geringeres als die Positionierung des Einzelnen innerhalb einer Gruppe und schließlich die Präsentation des gesamten Verbundes nach außen. Dass dem Mahl als dynamischem Indikator innerhalb der Gesellschaft des Spätmittelalters eine wichtige Funktion zukam, belegen schließlich auch die entsprechenden Kapitel der Goldenen Bulle, in denen die Sitzordnung der Kurfürsten bei entsprechenden Zusammenkünften geregelt wird. Interessanterweise werden hier die Festmähler als , öffentliche Reichshandlungen' interpretiert, und zwar im Verbund mit Belehnungen, Beratungen und Gerichtssitzungen.61 Wie sehr diese Zuordnung dem Denken Karls IV. entsprach, belegt auch die Tatsache, dass er der erste Herrscher im Reich war, der verdiente Funktionsträger mit

imperator in habitaculo facto Champasailhe curiam suam solempniter exercendo. Ubi comedit cum eo imperatrix, cardinalis, delphinus, Septem principes electores et aliiprincipes, barones et nobiles multi valde. Ubi principes electores eorum quilibet officium suum, quod habet ab imperio, exercuit illa die. Cancellano pro rata domini pro baculo argenteo 12 mar(carum) argenti, in quo portavit dominus Boemundus sigilla imperatoris ad curiam imperialem, de curia Herum ad hospicium domini \4 marcas\ Dominus Treverensis celebravit ilio die in maiori ecclesìa Melensi missam. 60

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Zur Bedeutung des Mahls in der Vormoderne vgl. Gerd ALTHOFF, Der frieden-, bündnisund gemeinschaftsstiftende Charakter des Mahles im früheren Mittelalter, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Irmgard BITSCH / Trade EHLERT / Xenja von ERTZDORFF (1987) S. 13-25; Gerhard FOUQUET, Das Festmahl in den oberdeutschen Städten des Spätmittelalters. Zu Form, Funktion und Bedeutung öffentlichen Konsums, AK 74 (1992) S. 83-123; Die öffentliche Tafel. Tafelzeremoniell in Europa 1300-1900, hg. von Evelyn PETERS (2002). Kap. 3 der Goldenen Bulle regelte das Verhalten in omnibus publicis actibus imperialibus, puta iudiciis, collationibus feudorum et in refectionibus mensarum ac eciam in consiliis et omnibus aliis agendis, propter que contingit seu continget eosdem pro honore seu utilitate imperiali tractandis mutuo convenire (MGH Const. 11 S. 580,10-13). Vgl. auch Kap. 4, das sich ebenfalls mit der Sitzordnung auseinandersetzt in qualibet sessione, videlicet tarn Consilio quam in mensa et locis aliis quibuscumque, ubi imperatorem vel regem Romanorum cumprincipibus electores sedere contigerit (ebd. S. 580,20-22).

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dem Titel eines ,Tischgenossen' auszeichnete. 62 Bereits Frantisek Kavka hat in seiner Studie über den Hof Karls IV. darauf hingewiesen, dass eine graduelle Abstufung zwischen dem einfachen familiaris und dem Tischgenossen (commensalis domesticus bzw. commensalis domesticus cottidianus) existiert habe. 63 Auch hier stand nicht das Schmausen an der königlichen Tafel im Vordergrund, sondern vielmehr die Visualisierung der Tatsache, dass dem so Ausgezeichneten die besondere Wertschätzung des Herrschers zukam. Diese kam in der Regel auch dadurch zum Ausdruck, dass mit der zeremoniellen Statuserhöhung die Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen einherging. So war die Einsetzung als Tischgenosse in der Regel mit der Funktion des consiliarius verbunden. 64 Wenn Karl IV. etwa den Markgrafen von Soragna, Raimundinus de Lupis, mit diesen Titeln bedachte und ihm gleichzeitig das Recht erteilte, in seinem Namen Bündnisse in Oberitalien abzuschließen, dann ist die Kohärenz von politischem Einfluss und der Auszeichnung als Tischgenosse überdeutlich. 65 Nun sollte der moderne Beobachter nicht dem Trugschluss unterliegen, dass der commensalis domesticus bzw. der commensalis domesticus cottidianus tatsächlich permanent Gast der kaiserlichen Tafel war: Bei den so Geehrten handelte es sich um ranghohe Funktionsträger, die aufgrund eigener Verpflichtungen selten am Herrscherhof weilten. Vielmehr wird man die Auszeichnung als Ehrentitel zu verstehen haben, der zumindest das Recht und den Vorrang, an der Tafel des Königs speisen zu dürfen, zum Ausdruck brachte. Vor diesem Hintergrund werden die Widersprüche zwischen gängiger Repräsentationspraxis und dem Verbot der invitatae generales bei den geplanten Jahrestreffen der Kurfürsten immer größer. Die Frage drängt sich nahezu auf, welche Beweggründe den Kaiser tatsächlich zu dieser Verfugung veranlassten. Unterzieht man die Artikel der Goldenen Bulle über die Sitz- und Prozessionsordnung einer genaueren Analyse, so sticht die Tatsache ins Auge, dass es sich bei den dort angesprochenen Feierlichkeiten ausschließlich um Zusammenkünfte mit dem Herrscher handelte. Gemeinsame Festmähler der Kurfürsten ohne das Reichsoberhaupt, die ihren Status 62

So ernannte Karl etwa mit Urkunde vom 14. November 1374 den Kölner Erzbischof

Friedrich III. von Saarwerden zum commensalis domesticus cottidianus (D: RTA 1 S. 34 63

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Nr. 11; R: RI 8 Nr. 5429). Vgl. SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 12) S. 343 f. KAVKA, Am Hofe Karls IV. (wie Anm. 13) S. 35 f.

So die Auszeichnung des Rudolf von Wart als familiaris, consiliarius, domesticus et commensalis fldelis (MGH Const. 10 S. 358 f. Nr. 471) und des Venezianers Marino

Faliero als consiliarius, secretarius, familiaris commensalis domesticus (ebd. S. 389 f.

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Nr. 516). Vgl. auch die Stücke aus der Formelsammlung des Kanzlers Johann von Neumarkt: Summa cancellariae (Cancellaria Caroli IV.), hg. von Ferdinand TADRA (Historicky Archiv 6, 1895) S. 52 f. Nr. 80 f., S. 59 f. Nr. 86 f., S. 61 Nr. 89, S. 71 Nr. 99. MGH Const. 10 S. 513 f. Nr. 684 f.

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als eigenständig handelnde Gruppe dokumentierten, passten kaum in ein so strukturiertes Ordnungsgefüge. Die Kurfürsten als politische Einheit mit autonomer Repräsentation, wie sie im gemeinsamen Mahl visualisiert wird, wurden bewusst in einen größeren, vom König abgesteckten Rahmen integriert.66 Dies dürfte kaum als zufalliger Befund zu deuten sein, sondern erweist sich als ein weiterer wichtiger Baustein der Herrschaftsinszenierung Karls IV. Die jährlichen Treffen waren bekanntermaßen eine Ordnungsvision und wurden niemals konsequent verwirklicht. Die Zusammenkünfte der Kurfürsten blieben situativ geprägt, waren auf bestimmte Fragen zugeschnitten und wurden von denjenigen besucht, deren Interessen von den verhandelten Problemen berührt wurden. So erwiesen sich langfristig nicht die vom Herrscher angeordneten, sondern die königslosen Tage als dynamischer Faktor des institutionalisierten Dualismus.67 Trotz der fehlenden Umsetzung belegen auch diese Verfügungen die Ordnungskonzeption Karls IV., die auch hier ein vom Herrscher abgeleitetes und nicht ein selbständiges Repräsentationszeremoniell einzelner politischer Akteure als Element der Reichsverfassung begriff. Gewissermaßen durch die Hintertür war diese Verfügung ebenso geeignet, die Kurfürsten an die curia regalis zu binden, wie die in Metz kodifizierten Verfügungen über die Erzämter an der kaiserlichen Tafel.

III Der Streit um das Schwert - der Streit um die Ordnung? Die Goldene Bulle sah jedoch nicht nur an der kaiserlichen Tafel Ehrendienste für die Kurfürsten vor, sondern bei jeglichen öffentlichen Rechtshandlungen. Nach eigener Aussage reagierten ihre Regelungen auf Streitigkeiten, die bisher um derartige Verfahrensformen entstanden seien, sodass aus dieser Perspektive einige Verfügungen als Drehbuch künftiger Treffen erscheinen, das Rechte und Pflichten genau festlegte und derartigen Dissens verhindern sollte. Entsprechend wertete Ferdinand Seibt das Metzer Weihnachtsfest als Bekundung des Konsenses zwischen dem Kaiser und

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SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 20) S. 343. Peter MORAW, Versuch über die Entstehung des Reichstags, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, hg. von Hermann WEBER (VIEG Beih. 8. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reichs 2, 1980) S. 1-36; Thomas Michael MARTIN, Auf dem Weg zum Reichstag. Studien zum Wandel der deutschen Zentralgewalt 1314—1410 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 44, 1993) S. 214 ff.; Gabriele ANNAS, Hoftag - Gemeiner Tag Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471) (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 68, 2004).

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der aristokratischen Spitze des Reiches: „Die fürstliche Beteiligung in seltener Vollzähligkeit an dem Zeremoniell zeigt glaubhaft an, daß Karl mit den Reichsgesetzen, wie sie schließlich und endlich ausgehandelt waren, das Rechte getroffen hatte vor dem Establishment der Zeit."68 Ausgerechnet während der Metzer Zusammenkunft erhob sich jedoch in der Frage des Herrschaftszeremoniells ein erbitterter Streit. Er entbrannte während der Weihnachtsfeierlichkeiten zwischen Herzog Rudolf von Sachsen und Karls Halbbruder Wenzel um die Frage, wer von beiden dem Kaiser das Schwert halten dürfe.69 Wenzel nahm wohl die Ereignisse der späten 1330er-Jahre zum Anlass, dieses Recht zu beanspruchen: Auf dem Koblenzer Hoftag Ludwigs des Bayern im Jahr 1338 hatte der Herr von Kuyk stellvertretend für den Herzog von Brabant als Schwertträger gedient.70 Obwohl der Herzog von Sachsen anwesend war, hatte der zunächst nicht interveniert, sondern sich erst zwei Jahre später an den Kaiser gewandt. Dies geht aus einer Urkunde Ludwigs des Bayern aus dem Jahr 1340 hervor, die den vom Sachsenherzog erhobenen Anspruch dokumentiert. Der Sachse bediente sich dabei der Argumentation, dass der Dienst des Schwertträgers mit dem Marschallamt verknüpft sei und ihm aus diesem Grund zustehe. Seine verspätete Intervention begründete er damit, daz er ze den selben zeiten nicht weste, daz er das tragen solt,71 Unabhängig von der Überzeugungskraft der sächsischen Position wird deutlich, dass künftiger Dissens zu erwarten war. Als Herzog Johann III. von Brabant im Jahr 1355 söhnelos verstarb, meldete der Luxemburger Wenzel als Gemahl Johannas von Brabant nicht nur Ansprüche auf das territoriale Erbe, sondern auch auf das ihm vermeintlich zustehende Ehrenrecht an. Der Konflikt um den Schwertträgerdienst ist vor allem darin begründet, dass die Tradition dieses Amtes zwar recht lang ist, eine eindeutige Zuschreibung, wem dieses Recht gebührte, jedoch offensichtlich bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts nicht existierte. Erstmals bei der Kaiserkrönung Ottos des Großen durch den Grafen Ansfried bezeugt, wurde der Dienst in der Folgezeit von den unterschiedlichsten Herr-

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SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 12) S. 259; so auch KUNISCH, Formen symbolischen Handels (wieAnm. 19) S. 271. Festlegung der Ausübung des Schwertträgeramtes durch Herzog Rudolf von Sachsen vom 27. Dezember 1356 (D: MGH Const. 11 S. 505 Nr. 896; ZEUMER, Goldene Bulle (wie A n m . 7 ) 2 S. 1 2 4 f. Nr. 3 2 ; R: RI 8 Nr. 2 5 6 2 ) .

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Vgl. den Auszug aus der Flandrischen Chronik, hg. von Johann Friedrich BÖHMER (Fontes rerum Germanicarum 1, 1843) S. 191: Et deseure l'empereur estoit le sire de Kuck ou lieu du duc de Brabant en son estant, deux pieds plus hault que l'empereur ou environ, et là tenoit-il une espée toute nue en sa main. ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 2 S. 56 f. Nr. 3.

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schaftsträgern wahrgenommen.72 Die Eskalation des Streits am Weihnachtstag in Metz ist jedoch insofern recht pikant, als in der Goldenen Bulle dieses Anrecht thematisiert und bei feierlichen Prozessionen dem Herzog von Sachsen zugeschrieben ist.73 Leider ist nicht überliefert, ob der Dissens zwischen Wenzel und Rudolf im Vorfeld in kleiner Runde ausgetragen wurde oder erst im offiziellen Rahmen. Viel spricht jedoch für erstere Annahme, da dieses Ereignis andernfalls sicherlich historiografischen Niederschlag gefunden hätte. Auch war es Karl offensichtlich zu einem recht frühen Zeitpunkt gelungen, die Streitparteien zumindest soweit miteinander zu versöhnen, dass sie an der kaiserlichen Tafel gemeinsam ihre Erzämter versahen: Rudolf als Erzmarschall und Wenzel in Vertretung Karls IV. als König von Böhmen. Vielleicht war diese Auszeichnung Wenzels auch ein zusätzliches Stimulans, in der strittigen Schwertfrage zunächst zu verzichten. Noch aufschlussreicher als der Streit ist jedoch die Argumentationsführung, derer sich Karl bei seiner Schlichtung bediente. Sie ist aus einer Urkunde rekonstruierbar, die der Kaiser kurze Zeit später, am 27. Dezember, ausstellte. Nach reiflicher Beratung mit den Kurfürsten riet er seinem Halbbruder an, seine Ambitionen zurückzustellen. Da Wenzel noch nicht mit seinen Rechten in Lothringen, Brabant und Luxemburg belehnt worden sei - so begründet Karl seine Entscheidung - könne er für dieses Mal verzichten, ohne dadurch einen Präzedenzfall zu schaffen.74 Wie wichtig diese Verfügungen waren, zeigt die Tatsache, dass auch die Kurfürsten am selben Tag entsprechende Urkunden ausstellten.75 Mit diesen Maßnahmen war die Angelegenheit jedoch noch nicht geklärt, denn eine Woche später, am 5. Januar, bekräftigte Karl IV. in einer neuen Urkunde, dass seinem Halbbruder keine dauerhaften Nachteile aus dem Verzicht erwachsen sollten.76 Damit noch nicht genug: Auch Rudolf von Sachsen erhielt weitere zwei Tage später, am 7. Januar, eine Urkunde, in der ihm verbrieft wurde, dass ihm die getroffenen Regelungen in Zukunft

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Zur Entwicklung des Schwertträgeramts vgl. Max BUCHNER, Die Entstehung der Erzämter und ihre Beziehung zum Werden des Kurkollegs (Görres-Ges. zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Sektion Rechts- und Sozialwissenschaft 10, 1911) S. 134 ff.; ZEUMER, Goldene Bulle (wie A N M . 7) 1 S. 239 ff.; Gerd ALTHOFF / Christiane WITTHÖFT, Les services symboliques entre dignité et contrainte, Annales 58 (2003) S. 1293-1318. MGH Const. 11 S. 612,18 f. (Kap. 22): dux Sœconie imperialem seu regalem ensem deferens imperatorem seu regem immediate précédât. Siehe Anm. 69. Aufzählung der Willebriefe vom 27. Dezember 1356: MGH Const. 11 S. 505 f. Nr. 897a-e. Erneute Regelung über die Ausübung des Schwertträgeramts vom 5. Januar 1357 (R: MGH Const. 11 S. 528 Nr. 934, RI 8 Nr. 2587). Auch hier agierte der König im Verbund mit seinen Kurfürsten, die das Dokument besiegelten.

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nicht zum Nachteil gereichen würden. Es entspricht der zunächst nicht leicht einsehbaren Logik des Systems, wenn sich auch hier kein Verweis auf die Goldene Bulle findet. Zwar wird ganz allgemein von Rechten gesprochen, auf die beide Parteien verweisen könnten, doch lässt dies kaum auf das nur wenige Tage zuvor verkündete Reichsrecht schließen. Entsprechend bleiben die Verfugungen, wie in Zukunft in derartigen Streitfällen verfahren werden solle, relativ offen: ... wezyetlicher den andern anczesprechen hat, daz sullen und mu(e)gen sie bedensiten tun für dem heiligen reiche und do tun und nemen, daz recht ist.11 Diese ausweichende Formulierung ist umso problematischer, wenn diese Regelung am erklärten Ziel der Aktivitäten gemessen wird, denn als Begründung für die kaiserlichen und kurfürstlichen Maßnahmen hatten die Urkunden vom 27. Dezember angegeben, dass künftig ähnliche 78

Konflikte vermieden werden sollten. Die wiederholten schriftlichen Versicherungen zeigen, dass die Klärung der Angelegenheit für alle Beteiligten einen hohen Stellenwert einnahm. Für den modernen Betrachter sind der Konflikt und seine Beilegung nur schwer verständlich, denn er entfachte sich an einer Situation, für die die Goldene Bulle entsprechende Normen vorgibt. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit, mit der Karls Halbbruder seine Ansprüche erhob, erstaunt noch mehr die Argumentation des Kaisers und der Kurfürsten, die die Regeln der Goldenen Bulle mit keinem Wort erwähnten. Karl Zeumer hat den Konflikt auf die Tatsache zurückgeführt, dass das sächsische Schwertträgeramt zwar im Rahmen von feierlichen Prozessionen in der Goldenen Bulle kodifiziert war, jedoch nicht in den Verfügungen über die Ehrenämter an der herrscherlichen Tafel: „Diese Lücke mochte von Wenzel benutzt werden, um den Hebel für seine ehrgeizigen Pläne einzusetzen."79 Da der Konflikt sich jedoch nicht ausschließlich an der Ausübung dieses Rechts während des Festmahls entfachte, ist es fraglich, ob eine solche Differenzierung die Grundlage für Wenzels Argumentation war.80 Andere Stimmen interpretieren das Verhalten des Kaisers als berechnendes Taktieren: „Ein bezeichnendes Beispiel für seine Art, unbequeme Versprechen und Rechtssatzungen usw. zu umgehen", so das Urteil von Wolfgang D. Fritz.81 In der Tat stellte die Behandlung dieses Streites nicht den einzigen und auch nicht den gravierendsten 77

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Erklärung fiir Rudolf von Sachsen vom 7. Januar 1357 (D: ZEUMER, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 2 S. 128 Nr. 34; R: MGH Const. 11 S. 534 Nr. 944). Neben der Anm. 69 genannten Urkunde vgl. den Bericht bei Edmond de Dynter: Chronica nobilissimorum ducum (wie Anm. 5) S. 45. ZEUMER, Die Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 243. Siehe Anm. 69. MGH Const. 11 S. 505 Nr. 896 Anm. 1 folgt dem Verdikt ZEUMERS, Goldene Bulle (wie Anm. 7) 1 S. 241, über die „dilatorische Behandlung, welche man in jenen Zeiten staatsrechtlichen Streitfragen angedeihen zu lassen liebte".

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Verstoß Karls IV. gegen sein eigenes ,Rechtbuch' dar. Die auffalligste Missachtung brachte er der Goldenen Bulle wohl bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl seines Sohnes Wenzel im Jahr 1376 entgegen, die gleich mehreren Verfügungen der Kodifikation zuwiderlief.82 So bleibt die Feststellung, dass die Goldene Bulle im Krisenfall offenbar zunächst nicht über die notwendige Autorität und Überzeugungskraft verfugte. Dass bei aller Formgebundenheit eben doch die Realität und situative Ansprüche das Drehbuch für die Zusammenkünfte schrieben, zeigt das Metzer Weihnachtsfest überdeutlich. Bei der Königserhebung Wenzels fand auch der Streit um den Schwertträgerdienst im metaphorischen Sinne seinen ,krönenden Abschluss': Als Wenzel zwei Jahrzehnte nach der Abfassung der Goldenen Bulle am 6. Juli 1376 in Aachen gekrönt wurde, entbrannte wiederum der Streit zwischen dem Sachsenherzog und Wenzel von Luxemburg und Brabant. Dass die Rechtskodifikation auch hier nicht zur Argumentationsführung herangezogen wurde, spricht für sich. Dies ist umso brisanter, als es in diesem Fall tatsächlich allgemein um den Schwertträgerdienst ging und nicht um die Frage, wer beim Festmahl für diese Tätigkeit verantwortlich sein sollte. Verständlicherweise stieß dieser Streit vor allem in der brabantischen Historiografie auf lebhaftes Interesse; der ausführlichste Bericht stammt von Edmond de Dynter. Seiner Schilderung zufolge wurde der Streit so erbittert ausgetragen, dass er in Waffengänge zu eskalieren drohte, was allein durch schlichtendes Eingreifen verhindert wurde. Während der moderne Beobachter nun eine inhaltliche Diskussion um Ansprüche auf der Grundlage der Goldenen Bulle erwarten würde, verfolgte der Kaiser eine völlig andere Strategie. Obwohl zwischen den Konfliktparteien, denen jeweils ihre Rechte zugesichert werden sollten, noch vermittelt wurde, schritt Karl IV. kurzerhand zur Krönung seines Sohnes. Das strittige Amt versah nun Sigmund von Brandenburg, der zweitgeborene Kaisersohn, dessen Alter von zehn Jahren die Frage aufwirft, wie er der physischen Belastung des Schwertträgeramtes überhaupt standhalten konnte. Dieser königliche Schachzug, den Edmond de Dynter mit dem Verweis auf den Scharfsinn des Kaisers durchaus positiv konnotierte, erzeugt jedoch ein gewisses Unbehagen.83 In Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier nicht um eine neben82 83

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SCHUBERT, Königswahl und Königtum (wie Anm. 20) S. 282 ff. Chronica nobilissimorum ducum (wie Anm. 5) S. 72: Cuius coronacionis tempore oriebaturpermaxima discordia sive dissencio inter illustrem dominum Wenceslaum de Bohemia, ducem Lucemburgis, Lotharingie, Brabancie et Lymburgis, dicti imperatoris germanum, ex una, et illustrem ducem Saxonie, partibus ex altera, utroque silicei, Lucemburgensi occasione ducatus Brabancie et marchionatus sacri imperii, et Saxonie ducibus sui racione officii sacri marescallatus imperii, pretendente sibi ius competere deferendi ensem regalem sive imperialem coram rege, tarn in sua coronacione quam in aliis solempnibus actis. Et devenit ad tantum, quod uterque ipsorum pro sui iuris conservacene

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sächliche Zusammenkunft handelte, sondern immerhin um Krönungsfeierlichkeiten, würde man spätestens jetzt die Konsultation der Goldenen Bulle erwarten - sie unterblieb jedoch. Der fehlende Rekurs auf die Goldene Bulle ist in diesem Fall wohl kein Nachweis von Ignoranz oder Unwissen des Kaisers, sondern erscheint in letzter Konsequenz als Teil seines Ordnungsverständnisses. Dass er inmitten der Streitigkeiten in Aachen die verschiedenen Ansprüche überging und seinen Sohn Sigmund mit dieser Ehre auszeichnete, ist weniger als beherztes Eingreifen zu interpretieren, um die Krönung Wenzels nicht im Eklat enden zu lassen. Vielmehr bleibt die Feststellung, dass sich Karl IV. nicht nur im Herrschaftszeremoniell als Gravitationszentrum des Reiches darstellte, sondern auch dann, wenn Streitigkeiten entstanden und er über Ansprüche zu entscheiden hatte. Nicht nur in der Visualisierung der Ordnung, sondern auch im Konflikt bildete kaiserlicher Wille den Nukleus der Repräsentation.

IV Die gestörte Ordnung im Jahr 1400: Wenzel und sein Prachtcodex Die Herrschaft Wenzels oder vielmehr seine Absetzung beendete gleichzeitig auch das ,Schattendasein' der Goldenen Bulle: Bei der Deposition des Luxemburgers durch die rheinischen Kurfürsten und der darauf folgenden Königserhebung Ruprechts von der Pfalz bedienten sich beide Seiten des Textes, um die Rechtmäßigkeit der eigenen Partei und das Fehlverhalten der Gegner argumentativ zu untermauern, wenngleich das zur Verfügung stehende Legitimationspotential überaus ungleich verteilt war.84 et manutencione paravit se ad arma: ubi dux Albertus de Bavaria, vexillo explicato, et Wilhelmus dux Iuliacensis dicto duci Brabancie in sui iuris conservacione totis viribus assistere conabantur contra ducem Saxonie predictum. Quod imperator percipiens mandavit predicto duci Iuliacensi ut ad se veniret: quem necnon villicum, burgimagistros et rectores imperialis sedis urbis Aquensis misit adpredictos contendentes adpacificandum eosdem, iure cuiuslibet semper salvo. Et medio tempore, huiusmodi tumultu durante, imperator, qui sagax fiiit, fecit tempore coronacionis in ecclesia sua sive capello imperiali Beate Marie ibidem, ut moris est, celebrate, illustrem Sigismundum marchionem Brandenburgensem, filium suum secundogenitum, tunc iuvenem et nonnisi decern annos habentem, ensem imperialem portare. Edmond de Dynters Darstellung der brabantischen Geschichte endet im Jahr 1442, er selbst fungierte seit 1406 als Sekretär der dortigen Herzöge; vgl. Piet AVONDS, Dynter, Edmond de, in: Lex. MA 3 (1986) Sp. 1497. 84

Zur Absetzung Wenzels und zur Wahl Ruprechts vgl. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 17) S. 277 ff.; Alois GERLICH, Habsburg - Luxemburg - Wittelsbach im Kampf um die deutsche Königskrone. Studien zur Vorgeschichte des Königtums Ruprechts von der Pfalz (1960). Allgemeine Überlegungen zu Herrscherabsetzungen bei Karl SCHNITH,

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Nüchtern betrachtet und an den Regularien der Kodifikation orientiert, befand sich die kurfürstliche Partei in einer eindeutig schlechteren Ausgangssituation, denn die Goldene Bulle kennt zwar das Wahl- nicht aber ein Depositionsrecht der Kurfürsten. Außerdem entsprachen Wahl und Krönung Ruprechts weder den formalen Regeln noch erfolgten sie an den dafür bestimmten Orten: Nachdem der Luxemburger am 20. August 1400 vor den Toren Oberlahnsteins von den rheinischen Kurfürsten abgesetzt wurde, zogen die Königswähler am folgenden Tag nach Rhens und hielten dort am Königsstuhl zunächst eine feierliche Messe ab. Danach bestimmten die rheinischen Kurfürsten, von denen Ruprecht von der Pfalz dem Mainzer seine Wahlstimme übertragen hatte, den Pfalzgrafen zum neuen König und demonstrierten ihre Einigkeit somit an einem Ort, der als Kristallisationspunkt kurrheinischer Aktivitäten galt. Frank Rexroth hat darauf hingewiesen, dass der vorhergehende Akt der Absetzung in Oberlahnstein, bei dem der Mainzer Erzbischof einen Vorwurfskatalog verlas, als Inversionsritual zu einer Königserhebung zu deuten ist, das die problematische Rechtssituation zu kompensieren versuchte.85 Die offensichtlichen Widersprüche zur Goldenen Bulle hinderten die pfälzische Kanzlei jedoch keineswegs daran, den eigenen Standpunkt mit ihren Verfügungen zu untermauern. Ruprechts Wortführer, sein Notar Matthias Voltz von Sobernheim, berief sich in seiner Darstellung der Ereignisse explizit auf das Gesetzeswerk. Das Problem des Alleingangs der rheinischen Kurfürsten versuchte er durch die Erklärung aufzulösen, dass es nur auf die rechtmäßige Ladung aller Königswähler ankäme und selbst dann ein neuer König bestimmt werden könne, wenn sich nur zwei aus dem Gremium einfänden.86 Da die pfälzische Kanzlei nachweislich über ein Exemplar der Goldenen Bulle verfügte, hat Sobernheim hier den Text wohl bewusst auf sein Argumentationsziel hin zugeschnitten, sodass - Julius Weizsäcker folgend Ernst Schubert festgestellt hat, dass „die Goldene Bulle noch so wenig bekannt" gewesen sei, „daß die dreiste Fälschung Sobernheims Aussicht auf einen Überzeugungserfolg hatte".87 Andererseits ist der Kommentar aus der kurpfälzischen Kanz-

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Gedanken zu den Königsabsetzungen im Spätmittelalter, HJb 91 (1971) S. 309-326; Frantisek GRAUS, Das Scheitern von Königen: Karl IV., Richard II., Wenzel IV., in: Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, hg. von Reinhard SCHNEIDER (VuF 32, 1987) S. 17-39; Helmut G. WALTHER, Das Problem des untauglichen Herrschers in der Theorie und Praxis des europäischen Spätmittelalters, ZHF 23 (1996) S. 1-28. Frank REXROTH, Tyrannen und Taugenichtse. Beobachtungen zur Ritualität europäischer Königsabsetzungen im späten Mittelalter, ZHF 31 (2004) S. 27-53, hier S. 44. RTA3S.289Nr.231. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 17) S. 402, nach Julius WEIZSÄCKER, Der Pfalzgraf als Richter über den König (AGG 33, 1886) S. 48 f.

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lei jedoch Nachweis der wachsenden Autorität des Rechtsbuchs, auch wenn seine Details offenbar noch weitgehend unbekannt waren. Weitaus prunkhafter und gewissermaßen näher am Original ist der Standpunkt Wenzels gestaltet, der im Jahr seiner Absetzung die prachtvollste überlieferte Abschrift der Goldenen Bulle anfertigen ließ. Durch die in der Handschrift vorgenommene Datierung ist leider nur das Jahr 1400 zu rekonstruieren, eine präzisere chronologische Eingrenzung ist jedoch aufgrund der Herrscherabsetzung im Sommer des Jahres überaus wichtig.88 Wenn die Anfertigung oder doch zumindest der Auftrag dazu noch vor der Deposition erfolgte, mag man es als traurigen Zufall betrachten, dass ausgerechnet jener König die beeindruckendste Abschrift der Goldenen Bulle anfertigen ließ, der im Widerspruch zu ihren Regularien abgesetzt wurde. Als Beweis, dass die Handschrift noch vor seiner Absetzung fertiggestellt wurde, diente vor allem die Tatsache, dass Wenzel als König bezeichnet wird. Doch da er seine Deposition bis zu seinem Tod im Jahr 1419 nie anerkannt hat, ist eine andere Titulatur gar nicht zu erwarten. Armin Wolf hat daraus abgeleitet, dass der Auftrag Wenzels zur Abschrift nicht vor, sondern im Kontext oder nach seiner Absetzung erfolgte und somit nicht von den aktuellen politischen Vorgängen losgelöst werden könne.89 Die These, dass die Handschrift eine unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse des Sommers darstellte, ist jedoch in letzter Konsequenz weder zu verifizieren noch zu falsifizieren. Zudem gilt es zu bedenken, dass neben der Erstellung des Textes die nachweislich von einer Person vorgenommene Illumination so viel Zeit beanspruchte, dass der Codex sicherlich über einen recht ausgedehnten Zeitraum und kaum im Verlauf weniger Monate entstanden ist. Doch auch wenn der Auftrag noch vor der Absetzung erfolgte, so sprechen keine Argumente gegen eine inhaltliche Verbindung von Deposition und Anfertigung der Handschrift, denn die Opposition der rheinischen Kurfürsten gegen Wenzels Königtum zeichnete sich nicht erst im Jahr 1400 ab, sondern war bereits seit dem ausgehenden 1390er-Jahren spürbar.90 Auch wenn die Handschrift daher möglicherweise noch vor der Absetzung in Auftrag gegeben oder gar fertiggestellt wurde, geschah dies in jedem Fall im Bewusstsein, dass von den rheinischen Königwählern ernsthafte Bedrohungen für das luxemburgische Königtum ausgingen. Alle Argumente sprechen daher für eine Kontextualisierung von Abschrift und kurfürstlicher Opposition, und aus dieser Perspektive gewinnt die Interpretation der Wenzel-Handschrift eine besondere Dynamik. So gesehen ist der Codex nicht als ironische Fügung des Schicksals, sondern als wohlkalkuliertes Programm

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Zur Datierung vgl.: Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 46v. Allgemein zur Prunkhandschrift Armin WOLF, Kommentar, in: ebd. S. 1-123. WOLF, Kommentar (wie vorige Anm.) S. 78 f. Zur Vorgeschichte der Absetzung vgl. SCHUBERT, Königsabsetzung (wie Anm. 17) S. 362 ff.

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zu verstehen, die eigene Position mit den Verfügungen der Goldenen Bulle zu legitimieren. Von besonderem Wert sind die insgesamt 46 Miniaturen, die den Text der Goldenen Bulle schmücken. Am Rand finden sich schriftliche Vorgaben für ihren Inhalt, die dem Illuminator dezidierte Anweisungen machten und überaus hilfreiche Informationen liefern,91 denn die Aussagen der einzelnen Darstellungen erschließen sich in einigen Fällen nicht unbedingt von selbst. Bei einer ersten Übersicht der Miniaturen fällt auf, dass das Bildprogramm zwei wichtige Schwerpunkte umfasst. Zum einen stellen die Abbildungen die Positionierung der Kurfürsten und ihre Interaktion mit dem König dar; zum anderen zeigen sie Strafen, die bei Verstößen gegen einzelne, ausgewählte Artikel der Goldenen Bulle drohten. Dass eine Prachthandschrift der Goldenen Bulle das Verhältnis zwischen dem König und seinen Wählern zum Inhalt der ikonografischen Darstellung macht, verwundert zunächst kaum. Vor dem Hintergrund der Entstehungssituation scheinen sich jedoch insofern gewisse Widersprüche zu ergeben, als die Betonung der kurfürstlichen Dignität nicht unbedingt dem aktuellen Argumentationsinteresse der luxemburgischen Partei entsprochen haben dürfte. Ein zweiter Blick auf diese Bildgruppe zeigt jedoch, dass es sich dabei um Miniaturen handelt, die entweder den König im wohlgeordneten Kreis seiner Kurfürsten zeigen, wie etwa in Kapitel 3 und 4, oder deren dienende Funktion hervorheben, wie Kapitel 27. So wird in Kapitel 3 die Sitzordnung der drei geistlichen Kurfürsten festgelegt. Neben dem Kaiser sitzen die Erzbischöfe von Köln und Mainz, dem Herrscher gegenüber der Trierer Erzbischof. Diese Choreografie war in der Miniatur offenbar schwierig darzustellen, sodass der Illuminator den Trierer Erzbischof hinter dem Herrscher platzierte.92 Zum Kapitel 4, das unter anderem die Sitzordnung der Kurfürsten regelt, zählen allein acht Miniaturen. Im Zentrum steht dabei eine Darstellung des Kaisers, der von sechs seiner Kurfürsten umgeben ist: Zu seiner Rechten sitzen drei geistliche, zu seiner linken drei weltliche Kurfürsten. Da diese Anordnung nicht den Regelungen entsprach, die die Goldene Bulle getroffen hatte, vermutet Armin Wolf, dass der Illuminator „ohne eine richtige Anweisung ... mit der Sitzordnung in Konflikt" kam. 93 Man wird diese Darstellungen gewiss nicht überinterpretieren, wenn man sie als vom König gedachtes Ideal einer Rechtsordnung begreift, die Wenzel in seiner Handschrift ins Bild setzen ließ - und diese Ordnung bewegte sich ganz in den Bahnen, die sein Vater beschritten hatte. Dass Text und Bild in manchen Fällen voneinander abweichen, ist zum einen den be-

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WOLF, Kommentar (wie Anm. 88) S. 43 f. Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 13vb (siehe Abb. 1). Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 15va (siehe Abb. 2); WOLF, Kommentar (wie Anm. 88) S. 47.

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Abbildung 1 und 2 Die Sitzordnung der drei geistlichen (links) und aller sieben Kurfürsten (rechts). Wien, ÖNB, cvp 338, fol. 13vb und fol. 15va (König Wenzels Handschrift der Goldenen Bulle, 1400)

schränkten perspektivischen Darstellungsmöglichkeiten geschuldet, zum anderen der Tatsache, dass das komplizierte Repräsentationszeremoniell offenbar auch bei den Zeitgenossen auf Verständnisschwierigkeiten stieß. Diese aus luxemburgischer Sicht wohlgeordnete Interaktion zwischen Kaiser und Kurfürsten wird durch die Illuminationen des Kapitels 27 ergänzt, dessen insgesamt fünf Miniaturen die kurfürstlichen Ehrenämter an der herrscherlichen Tafel darstellen. Sie verdienen besonderes Interesse, da sie eine eindeutige Zuschreibung des Verhältnisses von König und Fürsten vornehmen, denn das in den Ehrendiensten ausgedrückte Repräsentationszeremoniell visualisierte einerseits die Ranggleichheit der Kurfürsten untereinander, andererseits die Unterordnung unter die Person des Königs. Ersteres wurde etwa darin sichtbar, dass die weltlichen Kurfürsten solange nicht ihren Platz an ihrer Tafel einnehmen durften, bis jeder Einzelne seinen Ehrendienst an der königlichen Tafel verrichtet hatte. Sie mussten neben ihren Tischen stehend warten und durften sich nur gemeinsam zum selben Zeitpunkt setzen. 94 Im

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MGH Const. 11 S. 626,23-28 (Kap. 28): Non liceat autem alicui predictorum secularium principum electorum peracto officii sui debito se locare ad mensam sibi paratam, donec alicui suorum conprincipum electorum eius officium restai agendum, sed cum aliquis eorum ve/ aliqui ministerium suum expleverint, ad preparólas sibi mensas transeant et

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Abbildung 3 Der Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg trifft seinen Neffen König Johann von Böhmen. Koblenz, LHA, 1 C Nr. 1, fol. 6r (,Balduineum I' /,Kaiser Heinrichs Romfahrt', um 1330-1340)

Verhältnis zum Herrscher hingegen nahmen sie im Herrschaftszeremoniell eine nachgeordnete Position ein. So sieht das Kapitel 27 der Goldenen Bulle vor, dass die weltlichen Kurfürsten ihre Erzämter zunächst zu Pferd versehen dürfen und nur am Ende absteigen müssen, um dem König an seiner erhöhten Tafel den Ehrendienst zu erweisen. 95 Allein der Herzog von Sachsen konnte als Marschall im Sattel

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iuxta illas stando expectent, donec ceteri ministeria sua expleverint supradicta, et tunc demum omnes et singulì pariter ad mensas sibipositas se locabunt. MGH Const. 11S. 624,21-24: Deinde marchio Brandemburgensis archicamerarius accédai super equo, habens argenteas pelves cum aqua in manibus ...et descendens ab equo dabit aquam imperatori vel regi Romanorum manibus abluendis; ebd. S. 624,25-28: Comes palatinus Reni archidapifer intrabit similiter super equo, habens in manibus quatuor scutellas argenteas cibis impletas ...et descendens ab equo portabit et ponet ante imperatorem vel regem in mensa; ebd. S. 624,29-32: Post hec rex Boemie archipincerna veniet similiter super equo, portons in manibus cuppam seu cyphum argenteum ...et descendens de equo cyphum ipsum imperatori vel regi Romanorum porriget ad bibendum.

Claudia Garnier

Abbildung 4 Die Ehrendienste des Markgrafen von Brandenburg als Kämmerer (links) und des rheinischen Pfalzgrafen als Truchsess (rechts). Wien, ÖNB, cvp 338, fol. 41 r (König Wenzels Handschrift der Goldenen Bulle, 1400)

bleiben.96 Während das Reiten die standesgemäße Fortbewegung symbolisierte, brachte das Absteigen vom Pferd und das Überreichen von Schüsseln und Bechern an die erhöhte Tafel des Königs Unterordnung zum Ausdruck. Wie anstelle der Unterordnung Gleichrangigkeit ausgedrückt werden konnte, zeigt einer der bekanntesten Bilderzyklen des 14. Jahrhunderts - die vom Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg in Auftrag gegebene Bilderchronik über die Romfahrt Kaiser Heinrichs VII.: Bei der Darstellung eines Treffens des Trierer Metropoliten mit seinem Neffen König Johann von Böhmen im Jahr 1310 schließen sich beide zu Pferd sitzend in die Arme. Keiner der Akteure musste zur Begrüßung vom Pferd absteigen, sie be97

gegneten sich gewissermaßen auf gleicher Augenhöhe. Bei der Darstellung des Ehrendienstes in der Wenzel-Handschrift hingegen liegt der Akzent eindeutig auf der untergeordneten Position der Kurfürsten, sodass die Augenblicke ins Bild gesetzt sind, bei denen die weltlichen Kurfürsten vom Pferd zu steigen und zu Fuß ihrem Herrn den schuldigen Dienst zu erweisen hatten: Der König 96

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MGH Const. 11 S. 622,27 wird betont, dass der Sachsenherzog als Marschall seinen Dienst sedens super equo zu versehen habe. Franz-Josef HEYEN, Kaiser Heinrichs Romfahrt. Die Bilderchronik von Kaiser Heinrich VII. und Kurfürst Balduin von Luxemburg (1308-1313) (1965) S. 64 Abb. 6a (siehe Abb. 3).

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Abbildung 5 Der Ehrendienst des Königs von Böhmen als Mundschenk. Wien, ÖNB, cvp 338, fol. 41 va (König Wenzels Handschrift der Goldenen Bulle, 1400)

ist auf den Miniaturen jeweils erhöht plaziert, während zunächst der Markgraf von Brandenburg als Kämmerer eine mit Wasser gefüllte Schale zum Händewaschen reicht, der rheinische Pfalzgraf als Truchsess mit Speisen gefüllte Schüsseln darbietet und anschließend der König von Böhmen als Mundschenk einen Weinpokal übergibt. 98 In allen Miniaturen sind die Kurfürsten deutlich niedriger als der König positioniert. Auffälligerweise suchen sowohl der Markgraf von Brandenburg als auch der König von Böhmen den Blickkontakt zum Kaiser, allein der Pfalzgraf hält den Kopf deutlich gesenkt und richtet den Blick beinahe demütig nach unten. Dies könnte einerseits den künstlerischen Variationsbestrebungen des Illuminators geschuldet sein und besäße keine inhaltliche Aussagekraft. Bezieht man jedoch die politischen Ereignisse des Jahres 1400 in die Darstellung ein, bietet die im Bild fixierte Haltung des Pfalzgrafen eine zweite Interpretationsmöglichkeit: Schließlich war es Ruprecht von der Pfalz, der zum Gegenkönig gewählt wurde und Wenzels Herrschaft den Boden entzogen hatte. Wenn im Prachtcodex des Luxemburgers ausgerechnet sein pfälzischer Rivale in einer defensiven Haltung erscheint, kann dies auch als Hinweis auf sein Vergehen am König interpretiert werden. Dies führt zum zweiten inhaltlichen Schwerpunkt der Miniaturen: den Darstellungen von Strafen, die bei Zuwiderhandlung gegen die Bestimmungen der Goldenen Bulle vorgesehen sind. Es handelt sich dabei um Kapitel 15, das Einungen ohne Geneh-

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Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 41 r (siehe Abb. 4) und fol. 4Iva (siehe Abb. 5).

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migung der Herren verbietet," um Kapitel 17, das die Fehdefuhrung thematisiert100 und um Kapitel 24, in dem verfugt wird, dass die Ermordung eines Kurfürsten mit einem Majestätsverbrechen gleichzusetzen ist, und die entsprechenden Strafen festgelegt werden.101 Was auf den ersten Blick als zufällige Auswahl erscheint, erweist sich bei einer kurzen Einbettung in die ereignisgeschichtlichen Abläufe der Absetzung Wenzels als durchaus schlüssiges Argumentationskonzept. Aus Wenzels Perspektive hatten die rheinischen Königswähler zunächst gegen Kapitel 15 der Goldenen Bulle verstoßen, da hier Bündnisse und Einungen absque auctoritate dominorum verboten wurden. Im Vorfeld der Absetzung des Luxemburgers hatten die rheinischen Königswähler ihren Konsens vor allem durch wechselseitige Allianzen hergestellt, selbstverständlich ohne Genehmigung des Königs. Bereits im April 1399 vereinigten sich die Erzbischöfe von Mainz und Köln mit dem Pfalzgrafen in einem Bündnis auf Lebenszeit und vereinbarten gemeinsames Handeln in Bezug auf Kirche und Reich.102 Dieser Allianz folgten zahlreiche weitere Bündnisse, die sich im Sommer 1400 unmittelbar vor der Absetzung verdichteten.103 Einungen insbesondere der rheinischen Königswähler waren seit dem 13. Jahrhundert dann an der Tagesordnung, wenn sie sich auf Reichsebene auf ein gemeinsames Vorgehen verständigten: entweder bei Königswahlen oder auch bei Absetzungen. Waren die Allianzen nicht gegen die Person des Königs gerichtet, so formulierte man in der Regel einen entsprechenden Treuvorbehalt: Die Übereinkunft richte sich gegen jedermann außer gegen den Herrscher.104 Entsprechende Formulierungen fehlen in den kurrheinischen Abkommen der Jahre 1399/1400, sodass es sich im Sinne des Kapitels 15 der Goldenen Bulle durchaus um Bündnisse ohne Genehmigung ihres Herrn und ohne den geforderten Treuvorbehalt handelte.105 Wenn im Prachtcodex die Miniatur zum Kapitel 15

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Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 27rb (siehe Abb. 6). Ebd. fol. 29va (siehe Abb. 7). Ebd. fol. 37rb (siehe Abb. 8). RTA 3 S. 81 ff. Nr. 41. Zudem wurden in diesem Zusammenhang Probleme im Münzund Zollwesen thematisiert; vgl. ebd. S. 83-87 Nr. A2-A6. RTA 3 S. 94 f. Nr. 51, S. 101-104 Nr. 56-58, S. 108-116 Nr. 61-68, S. 246 f. Nr. 198 f., S. 250 f. Nr. 201 f. SCHUBERT, König und Reich (wie Anm. 20) S . 254 ff. und S . 272 f.; Claudia GARNIER, Amicus amicis - inimieus inimicis. Politische Freundschaft und fürstliche Netzwerke im 13. Jahrhundert (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 46, 2000) S. 123 ff. MGH Const. 11 S. 600,8-18: Detestandas preterea et sacris legibus repróbalas conspirationes et conventículas seu colligationes illicitas in civitatibus et extra vel inter civitatem et civitatem, inter personam et personam sive inter personam et civitatem pretextu párentele seu receptionis in cives vel alterius cuiuscumque colorís, coniurationes insuper et confederationes et pacta necnon et consuetudinem circa huiusmodi introductam, quam

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Abbildung 6 und 7 Darstellung zu Kapitel 15 (links), das Einungen ohne Genehmigungen der Herren verbietet, und zu Kapitel 17 (rechts), das die Fehdeführung thematisiert. Wien, ÖNB, cvp 338, fol. 27rb und fol. 29va (König Wenzels Handschrift der Goldenen Bulle, 1400)

De conspiratoribus den Herrscher zeigt, der die entsprechende Kompensationsleistung in Form einer Geldstrafe entgegennimmt, so könnte dies auf die eigentlich verdiente Strafe der rheinischen Königswähler im Jahr 1400 anspielen. Einen ähnlich aktuellen Bezug weist die Miniatur zu Kapitel 17 auf, das die Fehdefuhrung zwar nicht untersagt, ihr aber dezidierte formale Regeln auferlegt wie etwa die Verpflichtung, die Waffengänge drei Tage zuvor anzukündigen. Im Sommer 1400 erregte im Reich eine Fehde Aufsehen, in der der Weife Friedrich von Braunschweig den Tod fand. Der Fall stieß insofern auf rege Anteilnahme, als er sich im unmittelbaren Umfeld der Verhandlungen um die Absetzung Wenzels und Neuwahlen abspielte. Friedrich von Braunschweig war mit seinen Brüdern auf dem Weg von Frankfurt in seine Heimat in der Nähe des nordhessischen Fritzlar ahnungslos in censemus potius corruptelam, reprobamus, dampnamus et ex certa scientia irritamus, quas civitates seu persone cuiuscumque dignitatis, conditionis aut status sive inter se sive cum aliis absque auctoritate dominorum, quorum subditi vel ministeriales seu in quorum districtu consistunt, eisdem dominis nominatim non exceptis fecerunt hactenus et facere presumpserint in futuro, sicut eas per sacras divorum augustorum predecessorum nostrorum leges prohibitas non ambigitur et cassatas. Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 27rb (siehe Abb. 6).

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I Claudia Gamier

bewaffnete Auseinandersetzungen geraten.106 Bei den Angreifern handelte es sich um kurmainzische Lehnsleute und den kurmainzischen Amtmann in Hessen, den Grafen Heinrich von Waldeck. Die Auslöser, die zum Überfall führten, sind vielschichtig und in regionalen Konflikten begründet. Was im Grunde ein lokal begrenzter Konflikt war und eine Fehde, wie sie sich in vielen anderen Fällen ebenfalls ereignete, erhielt durch die Einbettung in den Kontext der Herrscherabsetzung neue Dimensionen, denn die Weifen hatten in der Mainmetropole eine Versammlung der Königsgegner besucht, waren jedoch vorzeitig abgereist. Da die Täter aus seinem Umfeld stammten, erschien der Mainzer Erzbischof Johann II. von Nassau schnell in einem zwiespältigen Licht. Besonders problematisch war die Tatsache, dass ausgerechnet diejenigen zu Schaden kamen, die die Verhandlungen zur Wahl eines Gegenkönigs vorzeitig verlassen hatten, sodass der Verdacht entstand, „als ob die rheinische Opposition Fürsten, welche nicht mit ihren reichspolitischen Plänen einverstanden waren, mit brutaler Gewalt beseitigen wollte".107 Der Mainzer Metropolit beteuerte zwar sofort seine Unschuld,108 doch wie tief sich dieser Verdacht trotz aller gegenteiliger Behauptungen ins Gedächtnis der Zeitgenossen eingeprägt hat, belegt das Gedicht eines unbekannten Verfassers, der das Vergehen eindeutig der Initiative des Mainzers zuschreibt.109 Auch Heinrich von Waldeck bezog in der Angelegenheit Stellung, indem er immer wieder beteuerte, in der Auseinandersetzung mit Recht und Ehre gehandelt zu haben, und damit zum Ausdruck brachte, dass sich seine Konfliktführung innerhalb der Regeln der spätmittelalterlichen Fehde bewegte. 110 Der Tod des Weifenherzogs, verbunden mit dem Verdacht gegen den Mainzer Erzbischof, war im ereignisreichen Sommer des Jahres 1400 den Aktivitäten der rheinischen Kurfürsten in der Königsfrage kaum zuträglich. Dass sie dieses

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Zum chronologischen Ablauf des Konflikts Udo TEWES, Zum Fehdewesen zwischen Weser und Elbe. Fehde - Sühne - Urfehde, Lüneburger Bll. 21-22 (1970 f.) S. 121-200, hier S. 129 ff.; Friedrich BATTENBERG, Herrschaft und Verfahren. Politische Prozesse im mittelalterlichen römisch-deutschen Reich (1995) S. 85-99. GERLICH, Habsburg - Luxemburg - Wittelsbach (wie Anm. 84) S. 332. RTA 3 S. 243 f. Nr. 195. Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert 1, ges. und erl. v o n R o c h u s v o n LILIENCRON ( 1 8 6 5 ) S. 2 0 8 N r . 4 3 .

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RTA 3 (wie Anm. 11) S. 241 Nr. 193: und waz wir an en unde den iren gethan haben, dacz han wir mit iren unde mit rechte gethan. So hatte er nach eigener Auskunft bei der Vorbereitung der Tat seinen Gegnern Fehdebriefe zukommen lassen, in denen er sein Vorgehen angekündigt habe. Da sich diese jedoch nicht in ihrer Heimat, sondern auf dem Tag in Frankfurt aufhielten, besaßen sie von diesem Schritt keine Kenntnis. Dazu Anton Ph. BRÜCK, Zur Geschichte des Mainzer Kurfürsten Johann II. von Nassau bis zum Jahre 1405 (1942) S. 85 f.

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Problem durchaus erkannten, belegt die Tatsache, dass sie sich unmittelbar vor der Absetzung und Neuwahl gezwungen sahen, in der Angelegenheit nochmals eindeutig Position zu beziehen und nachdrücklich ihre Unschuld zu beteuern.111 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Miniatur des Kapitels 17 der Prunkhandschrift Wenzels eine besondere Aussage, wenn sie den König darstellt, der Strafzahlungen von denjenigen entgegennimmt, die gegen die Regularien der Fehdeführung verstoßen haben.112 Dass sein Gegner Johann von Mainz im Jahr 1400 in Verdacht geraten war, diese Gebote zu missachten, ja sogar seine Gegner töten zu lassen, ist ein Wissen, das den Zeitgenossen zum Abfassungszeitpunkt der Handschrift lebhaft präsent gewesen sein dürfte. Der strafende Herrscher begegnet jedoch nicht nur in den Verfügungen über Bündnisse und Fehdeiuhrung, sondern auch in Kapitel 24, das die Kurfürsten im Sinne eines organologischen Herrschaftsmodells als Teil des königlichen Körpers interpretiert. Wie beim Majestätsverbrechen wurden daher auch diejenigen bestraft, die sich am Leben der Kurfürsten vergehen sollten. Den Inhalt des Kapitels bildet ein umfangreicher Strafkatalog, der von der Hinrichtung der Missetäter bis hin zum Eigentums- und Ämterentzug gegen ihre Nachkommen reicht. Die dieses Kapitel eröffnende Miniatur präsentiert den Herrscher, wie er sich ostentativ von den um Gnade Bittenden abwendet.113 Wenn Straftaten gegen die Glieder des Reichs wie Majestätsverbrechen verfolgt wurden, so musste dies umso mehr für diejenigen gelten, die sich nicht nur an den Kurfürsten, sondern auch am Herrscher selbst vergangen hatten. Somit war auch der in dieser Miniatur dargestellte demonstrative Huld- und Gnadenentzug ein Signal, das vor dem Hintergrund der Ereignisse des Jahres 1400 eine neue Aktualität gewann. In ihrer Gesamtkomposition stehen die Darstellungen des strafenden, Kompensationen einfordernden Herrschers in der Wenzel-Handschrift durchaus in engem Bezug zu diesen Ereignissen. Die so vorgenommene Kontextualisierung ist ein Interpretationsangebot, das seine Grundlagen allein in der Handschrift und ihren Miniaturen findet und durch keine andere Quelle ergänzt werden kann. Obwohl ein solcher Zugriff sicherlich die Gefahr in sich birgt, allein aus Gründen der Plausibilität zu überzeugen, würde er jedoch erklären, warum ausgerechnet Wenzel die Verfugungen der Goldenen Bulle erstmals ins Bild setzen und dabei dem Status der Kurfürsten eine besondere Aufmerksamkeit zukommen ließ. In ihrer Konzeption wäre die Hand111 112 113

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RTA 3 (wie Anm. 11) S. 24 ff. Nr. 195 f. Die Goldene Bulle (wie Anm. 44) fol. 29va (siehe Abb. 7). Ebd. fol. 37rb (siehe Abb. 8). Dies formuliert auch die dazugehörige Anweisung W O L F , Kommentar (wie Anm. 88) S. 55:1(m)p(er)at(or) / et q(ui)da(m) ve(n)ia(m) postula(n)tes s(ed) ip(s)e vultu(m) c(on)v(er)tit ab eis.

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Abbildung 8 Darstellung zu Kapitel 24, das die Ermordung eines Kurfürsten mit einem Majestätsverbrechen gleichsetzt und entsprechend ahndet. Wien, ÖNB, cvp 338, fol. 37rb (König Wenzels Handschrift der Goldenen Bulle, 1400)

schrift dann eine Darstellung des Idealzustandes aus der Perspektive des Königs einerseits, ein ins Bild gesetzter Vorwurf, eine ikonografische Anklage gegen seine Feinde andererseits. Dass ausgerechnet Wenzel die erste und zugleich aufwendigste Kopie der Goldenen Bulle anfertigen ließ, ist nur dann als Ironie des Schicksals zu interpretieren, wenn man in der Goldenen Bulle ein Verfassungsdokument der dualistischen Reichsstruktur sieht. Dazu hat sie sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts zweifelsohne entwickelt, doch noch um 1400 transportierte sie andere Signale. Hier war sie noch Teil einer ,tautologischen' Ordnungsvision, die zwar in der harten Realität des politische Alltags nicht mehr verwirklicht werden konnte, im Herrschaftszeremoniell aber umso intensiver zelebriert wurde. Die argumentative Adaption der Goldenen Bulle durch Wenzel ist ein Beweis für die Langlebigkeit des von Karl IV. geschaffenen Repräsentationskonzepts, auch wenn es im Jahr 1400 längst überholt war.

V

Die Ordnung des Reichs in der Goldenen Bulle eine Bestandsaufnahme bis 1400

Ein Schweigen der Zeitgenossen zur Goldenen Bulle ist nur dann zu konstatieren, wenn man gelehrte Adaptionen ihrer Rechtsverfügungen oder Ähnliches erwartet. Nimmt man aber den zeitgenössischen Reflex auf die Hofitage von Nürnberg und Metz ernst, so stellen die historiografischen Darstellungen keine bloß bewundernde Beschreibung eines imposanten höfischen Festes dar, sondern sie sind die zentrale Die O r d n u n g des Reiches | 237

Quelle für die Aussagen, die an die Teilnehmer der Hoftage ausgesandt wurden. Es erfolgte offenbar zu keinem Zeitpunkt eine ausführliche Verlesung des Inhalts der Goldenen Bulle, die aufgrund der Länge des Textes und der lateinischen Sprache ohnehin keine besondere Resonanz erzielt hätte. Vielmehr stellte das Metzer Weihnachtsfest, die Integration der Kurfürsten, des Kardinallegaten und des französischen Dauphin in die zeremoniellen Akte die Veröffentlichung des Textes dar: Er wurde nicht gelesen, sondern eben gezeigt. Aus dieser Perspektive sind die zeremoniellen Handlungen des Metzer Hoftages nicht als von der Goldenen Bulle losgelöste Feierlichkeit zu interpretieren, sondern waren Element eines Kommunikationsvorganges, in dem zunächst der Text kodifiziert und anschließend in symbolischen Handlungen an die politische Öffentlichkeit transferiert wurde. Dass die Akte der nonverbalen Kommunikation gegenüber der Rechtskodifikation keine untergeordnete Rolle spielen, belegt auch die Tatsache, dass einige verfassungsrechtlich relevante Entscheidungen in Metz ausschließlich durch entsprechende symbolische Handlungen und nicht durch Urkundentexte fixiert wurden: so die Belehnungen des Dauphin und Wenzels von Luxemburg-Brabant und die Rangerhöhung Wilhelms V. von Jülich zum Herzog.114 Wie sehr Karl IV. auf die äußere Sichtbarkeit derartiger Entscheidungen Wert legte, zeigt bereits die Ernennung Wilhelms zu seinem besonderen Freund und Rat im Februar 1349. Als Kennzeichen seiner exklusiven Stellung durfte sich der Jülicher künftig in der gleichen Kleidung wie der König präsentieren.115 Entsprechend hat bereits Bernd-Ulrich Hergemöller konstatiert, „daß zahlreiche Rechtsakte zu Metz in nichtschriftlicher, das heißt zeremonieller und mündlicher Form, vollzogen wurden".116 Wenn in einigen wichtigen Angelegenheiten ganz auf die Verschriftlichung verzichtet wurde, so liegt der Schluss nah, dass auch die Interaktion von König und Kurfürsten auf dem Metzer Hoftag als die entsprechende ,Publikationsmaßnahme' der Goldenen Bulle zu interpretieren ist. Sie ist jedoch nicht nur auf das Verhältnis von König und Reich zu beschränken, sondern bezog gleichermaßen das Papsttum und die französischen Nachbarn mit ein.

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Philippe de Vigneulle (wie Anm. 3) S. 99: Apres le disné, ledit daulphin de Vienne fist le debvoir et reprinse dudit empereur de son daulphiné, mouvant en fied de l'empire, et plusieurs aultres gros princes seigneurs (R: MGH Const. 11 S. 495 Nr. 885 und Nr. 887). Erhebung des Markgrafen Wilhelm von Jülich zum königlichen Rat und Freund vom 10. Februar 1349 (D: MGH Const. 9 S. 128 Nr. 164; R: RI 8 Nr. 859): Und dorumb nemen und empfahen wir in ze eyme besundirn frvnde und ze eyme unserm sundirlichen heymelichen und innewendige rate und wellen von unsirn kunglichen gnaden, daz er unsir cleyder in gleicher gestalt als wir si haben ze unserm leibe mit uns tragen und haben soi die wile wir leben und unsir geselle sein und heizzen soi. HERGEMÖLLER, Abschluß ( w i e A n m . 9) S. 183.

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Doch welche Signale sandte die Metzer curia aus, welche Schwerpunkte und Akzente setzte sie? Hier kann man es mit Fug und Recht als Meisterleistung Karls IV. bezeichnen, wenn er im Herrschaftszeremoniell seinen imperialen Anspruch zum Ausdruck brachte und kurfürstliche Dignität in Abhängigkeit vom Herrscher präsentierte, obwohl die Verfügungen zur Königswahl das genaue Gegenteil fixierten. Am Anfang war das Kaisertum, und im Zentrum steht der König - mit diesen wenigen Worten können zugespitzt seine Botschaften zusammengefasst werden. Im Weihnachtsdienst positionierte er sich gegenüber dem Papsttum ebenso eindeutig wie gegenüber dem Königshaus Valois. Unmissverständlich war auch das Signal, das durch die Ehrendienste der Kurfürsten während des Festmahls ausgesandt wurde. Dieser im Zeremoniell ausgedrückte Anspruch ließ zunächst wenig Raum für ein dualistisches Reichskonzept. Obwohl die Exklusivität des kurfürstlichen Ranges im Bereich der Herrschaftsrepräsentation unterstrichen wurde, erschien ihre Stellung letzten Endes als eine auf die Person des Königs hin ausgerichtete und nicht als Position, die aus der Verantwortung für das Reich erwuchs. Dies kam nicht nur in den Kapiteln der Goldenen Bulle zum Tragen, die das Repräsentationszeremoniell regeln; derartige Vorstellungen setzte Karl auch zwischen den Zeilen durch, wenn er den Kurfürsten bei den geplanten jährlichen Versammlungen Festmähler untersagte. Indem sämtliche zeremoniellen Handlungen auf den König hin ausgerichtet sein sollten, erschien kurfürstliche Herrschaft als Ableitung der königlichen Macht und nicht als eigenständige Größe. Verstärkt wurde diese Wahrnehmung in Metz zusätzlich durch die prachtvollen Belehnungen auf dem Champ-ä-Saille, die ebenfalls Eingang in die zeitgenössische Historiografie fanden. Auf dieser Grundlage bot sich im Jahr 1400 die Goldene Bulle als Argumentationsbasis an, um das luxemburgische Königtum gegen die rheinischen Kurfürsten zu behaupten. Verständlich wird diese Maßnahme dann, wenn man sie als Betonung des hegemonialen Machtanspruchs der Luxemburger begreift; andernfalls wäre sie als eine recht einfaltige Reaktion des abgesetzten Königs zu interpretieren, die man Wenzel wohl kaum unterstellen darf. Die politische Ereignisgeschichte des 15. Jahrhunderts zeigt zwar, dass der in den Symbolhandlungen zelebrierte Anspruch in der Praxis nicht umsetzbar war und dass das verfassungsgeschichtliche Potential der Goldenen Bulle in der Entwicklung einer dualistischen Reichsstruktur lag. Doch in der direkten Rezeption des 14. Jahrhunderts stellte die Goldene Bulle gewiss noch kein Dokument der so gestalteten Verfassung dar, sondern zelebrierte in erster Linie den König. Dies ist zumindest die Wahrnehmung der Zeitgenossen, die somit die Goldene Bulle nicht ignorierten, sondern lediglich andere Schwerpunkte setzten, als die verfassungsgeschichtlich dominierte Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts von ihnen erwartete. Diese Akzente sind in Metz effektvoll in Szene gesetzt worden: Bestimmte Verfügungen der Goldenen Bulle wurden durch symbolische Kommunikationsakte an die Öffentlichkeit getragen, andere wurden übergangen. Die so getroffene Auswahl trug zweifelsohne die HandDie Ordnung des Reiches | 239

schrift Karls IV. und ergab in ihrer Gesamtwirkung wohl nicht zufällig ein breit angelegtes Panorama imperialer Machtdemonstration. Die vermeintliche Lücke zwischen fehlender zeitgenössischer Rezeption und späterer Bedeutung schließt sich damit, die mangelnde Erkenntnisfähigkeit des 14. Jahrhunderts gegenüber verfassungsrechtlichen Maßnahmen löst sich vor diesem Hintergrund auf.

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| Claudia Garnier

DIETMAR WILLOWEIT

Römisches Recht, Gewohnheitsrecht und Politik im Reich und in den Territorien (12.-15. Jahrhundert). Eine Skizze zur Verortung der Goldenen Bulle

Das hier in den Blick genommene Thema verträgt eine Beschränkung auf das 14. Jahrhundert, also gerade auf die Zeit, in der die Goldene Bulle entstand, nicht. Worüber hier nachzudenken ist, sind langgezogene Prozesse von erheblicher Dauer, in deren Verlauf auch das Verfassungswerk Karls IV. entstand. Dessen Einordnung in unser Thema ist nicht einfach, weil wir auf der Grundlage des heutigen Forschungsstandes über den Beginn der Rezeption römischer Rechtsvorstellungen im 12. und 13. Jahrhundert und andererseits über deren Ergebnisse im ausgehenden 15. Jahrhundert besser informiert sind als über die dazwischen liegende Zeit. Denn im 14. Jahrhundert haben wir es mit einer allmählichen Intensivierung des juristischen Diskurses in den europäischen Herrschaftszentren und an den deutschen Fürstenhöfen zu tun, die nur selten in handfesten Zeugnissen greifbar ist. Mit anderen Worten und konkreter: Die Ursprünge der vom römischen Herrschaftsdenken beeinflussten Verfassungspolitik sind in der Stauferzeit aufzusuchen, und ihre Fernwirkungen reichen über das Ende des Mittelalters hinaus. Daher müssen wir zunächst etwas weiter ausholen. Das Thema erfordert auch einige allgemeinere Überlegungen zur Geschichte des römischen Rechts im Reich nördlich der Alpen. Ein kurzer Rückblick auf die gemeinhin so genannte ,Rezeption' und die zugehörige Forschungsgeschichte lässt sich nicht vermeiden. Welches waren die Bedingungen, unter denen römisches Recht auf die Politik und damit auf das Verfassungswesen des Reiches Einfluss nehmen konnte? Daraus ergibt sich die folgende Gliederung: I II III

Die Rezeption des gelehrten Rechts als Problem der Forschung; Staufische Verfassungspolitik unter dem Einfluss römischen Rechtsdenken; Wandlungen der Reichs- und Territorialverfassung zwischen der Stauferzeit und der habsburgischen Ära.

Römisches Recht, Gewohnheitsrecht und Politik im Reich und in den Territorien

I

Die Rezeption des gelehrten Rechts als Problem der Forschung

Warum sind diese Fragen für unser Bild von der europäischen Geschichte überhaupt von Bedeutung? Niemand wird behaupten können, dass im Bewusstsein der Europäer das Mittelalter als eine herausragende Epoche unserer Geschichte präsent ist. Man geht kaum fehl mit der Vermutung, dass sich für die meisten unserer Mitbürger negative Assoziationen einstellen: Kreuzzüge, Fehden, Folter, Ketzer- und Hexenverfolgungen. Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass im 12. Jahrhundert mit der Scholastik der Weg in den europäischen Rationalismus begann, der schließlich in die Naturwissenschaft, in die Aufklärung, in die moderne Welt einmündete. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis und Frage, die uns Max Weber hinterlassen hat, lautet: Wie war es möglich, dass Europa im Rahmen des jüdisch-christlichen Glaubens begann, der Kraft der Vernunft zu vertrauen, um die Welt zu verstehen? Diese im Vergleich zu anderen Kulturen einzigartige Begegnung von religio und ratio können wir uns nur durch die spätantike Prägung des Christentums verständlich machen, die den Zugang auch zur Philosophie, Literatur und Jurisprudenz der Griechen und Römer erschloss. Die Rezeption des römischen Rechts ist ein Element dieses Prozesses, dem man welthistorische Dimensionen schwerlich absprechen kann. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Rezeption hat mehrere Stufen durchlaufen, an die hier einleitend und natürlich in äußerster Vergröberung zu erinnern ist.1 Weitgehend verabschiedet hat sich die Forschung von der nicht zufällig im 19. Jahrhundert, im Zeitalter eines strikten Gesetzespositivismus, entstandenen Idee, die Rezeption bestehe im Wesentlichen in der Übernahme eines fremden Rechtsstoffes, also in der Ersetzung einheimischer deutscher Rechtsnormen durch solche des römischen Rechts. Obwohl dieser Effekt am Ende in nicht geringem Umfang tatsächlich eingetreten ist, verfehlt eine derartige Verengung der Fragestellung auf den Vergleich von Rechtsnormen das entscheidende Charakteristikum der Rezeption. Das ist der völlig veränderte methodische Zugriff, mit dem Rechtspro-

Die umfassendste Information über den Forschungsstand bietet Wolfgang SELLERT, Zur Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in Deutschland von den Anfangen bis zum Beginn der frühen Neuzeit: Überblick, Diskussionsstand und Ergebnisse, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit 1, hg. von Hartmut BOOCKMANN / Ludger GRENZMANN / Bernd MOELLER / Martin STAEHELIN (AAG III 2 2 8 , 1 9 9 8 ) S. 115-166. Vgl. auch zu unserem Thema Karl KROESCHELL, Die Rezeption der gelehrten Rechte und ihre Bedeutung für die Bildung des Territorialstaates, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte 1 : Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hg. von Kurt G. A. JESERICH / Hans POHL / Georg-Christoph von U N R U H ( 1 9 8 3 ) S. 2 7 9 - 2 8 8 .

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bleme nun behandelt werden. Franz Wieacker hat daher die von ihm ausdrücklich so genannte „Verwissenschaftlichung" des Rechts als das entscheidende Faktum der Rezeption bezeichnet.2 In der Tat trafen im Zuge der Rezeption zwei ganz unterschiedliche Rechtswelten aufeinander: Rechtsbildung aufgrund Herkommens und pragmatischer Einsicht in mündlichen Verfahren durch die Honoratioren der Gesellschaft einerseits, Problemlösung nach erlernten methodischen Regeln gemäß schriftlich vorliegenden Rechtscodices durch gelehrte Juristen andererseits. Doch Wieacker dachte weiterhin strikt antithetisch. Die einheimische Rechtsübung hielt er für schlicht irrational,3 und das im Spätmittelalter schon breit entfaltete gelehrte Rechtswesen der Kirche betrachtete er nicht als eigentliches' Element des Rezeptionsprozesses, weil eben nur die Kirche betreffend. 4 Er vernachlässigte dabei die führende gesellschaftliche Rolle der Kirche, die sich ja nicht zufallig als erste Institution dem antiken Rechtsdenken geöffnet hatte. So war der Blick verstellt für Brückenschläge und Übergänge zwischen dem gelehrten Recht der Kirche und dem weltlichen Rechtswesen, die es aber doch gegeben haben muss, wenn es richtig ist, dass das römische Recht im Zuge der Rezeption allmählich in die politische und gerichtliche Praxis eingedrungen ist. Wie dies geschehen sein könnte, vermag auch die längst festzustellende, berechtigte Konzentration großer Forschungsenergien auf das kanonische Recht selbst bisher nicht zu beantworten. Als weiterführend hat sich ein anderer Forschungsansatz erwiesen, der nach dem Aufkommen und der Verbreitung gelehrter Juristen nördlich der Alpen fragt.5 Denn die folgende Hypothese erscheint nach allem, was wir bisher wissen, gut begründet: kein römisches Recht ohne Jurisprudenz, keine Jurisprudenz ohne Juristen. Fachliche und persönliche Grenzen darf man allerdings nicht zu eng ziehen. Schon bevor es in Deutschland Universitäten gab, vermittelten auch Domschulen gelehrte Rechtskenntnisse. Und vergessen sollten wir die früher verbreitete Redeweise, das juristische 2 3

Franz WIEACKER, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit ( 2 1967) S. 131 f. WIEACKER, Privatrechtsgeschichte (wie vorige Anm.) S. 131: „Austrag politischer und privater Konflikte ... durch Gewalt, Emotionen oder unreflektierte Lebenstradition".

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WIEACKER, Privatrechtsgeschichte ( w i e A n m . 2 ) S. 116.

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Vgl. Peter MORAW, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273-1493), in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hg. von Roman SCHNUR (1986) S. 77-147; die Beiträge in: Gelehrte im Reich. Zur Sozialund Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hg. von Rainer Christoph SCHWINGES (ZHF Beih. 18, 1996); ferner mehrere Beiträge in: Recht und Verfassung (wie Anm. 1). In diesen Zusammenhang gehören auch eine Reihe von Studien zu einzelnen Stiftskirchen und Universitäten, die hier nicht einzeln aufgeführt werden können. Vgl. jetzt auch das große Forschungsprojekt des ,Repertorium Academicum Germanicum' (http://www.rag-online.org).

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Studium habe im ausgehenden Mittelalter vor allem Halbgebildete hervorgebracht. Solche modernen Maßstäbe sind deshalb fehl am Platz, weil es zunächst ja nur auf die ersten Veränderungen des Rechtsdenkens ankommt, nicht auf seine Perfektion im Sinne neuzeitlicher Rechtssysteme. Die Kenntnis juristischer Grundbegriffe von hohem Abstraktionsniveau und ihre Handhabung in der Urkundenpraxis und in Verhandlungen erforderte nicht unbedingt den Erwerb eines akademischen Grades. Graduierte Juristen freilich sind in der Quellenüberlieferung viel besser zu erkennen als nichtgraduierte. Hält man also zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert in Deutschland nach Doktoren, Lizenziaten und Bakkalaurei der Jurisprudenz Ausschau, dann sind sie fast ausschließlich und nicht zufällig als Angehörige des Klerus in den Dom- und Stiftskirchen anzutreffen. 6 Von dort aus vermögen sie die vom Papsttum um der Sicherheit des Seelenheiles willen vorangetriebene Juridifizierung der Kirche in der Praxis umzusetzen. Die hierarchisch gegliederte Rechtskirche ist bei der Beobachtung des politischen Herrschaftswesens stets als eine parallele, in mancher Hinsicht vorbildhafte Vergegenständlichung des gelehrten Rechtsverständnisses mitzudenken. Es gab mit dem Blick auf die Kirche also seit dem 12. Jahrhundert eine ununterbrochene Erfahrung mit hierarchisierter Herrschaft, durchgehend verschriftlichtem Recht und rationaler Anwendung vorgegebener Rechtsnormen. Das führte, wie seit Langem bekannt, zur Übernahme einzelner Rechtsinstitute, etwa des Testaments oder der Appellation. 7 Subtilere Einwirkungen des kanonischen Rechts auf das Ius civile können nur mit aufwendigen Einzelstudien erfasst werden. Sie sind am ehesten dann zu erwarten, wenn moralisch eingefärbte Rechtssätze der Kirche vom weltlichen Rechtswesen nicht vernachlässigt werden konnten. Dies ist in jüngster Zeit zum Beispiel für das Erfordernis ununterbrochener Gutgläubigkeit bei der Ersitzung einer fremden Sache nachgewiesen worden. 8 Die in den Dom- und Stiftskirchen gut versorgten Klerikerjuristen finden sich seit dem 13. Jahrhundert an den Königs- und Fürstenhöfen als Räte, in den Kanzleien, in 6

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Dietmar WlLLOWElT, Das juristische Studium in Heidelberg und die Lizentiaten der Juristenfakultät von 1386 bis 1436, in: Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg 1386-1986, 6 Bde. (1985), hier 1 S. 85-135. W. OGRIS, Testament, in: HRG 5 (1998) Sp. 152-165; Jürgen WEITZEL, Appellation, in: HRG 1/2 ( 2 2005) Sp. 268-271. Inhaltliche Aspekte der Rezeption, also der allmähliche Einfluss gelehrten Rechtsdenkens auf die Kanzleipraxis, standen bisher nicht im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses. Zu den Ergebnissen juristischer Reflexion im gelehrten Schrifttum vgl. aber exemplarisch Gerhard WESENBERG / Gunter WESENER, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung ( 4 1985) S. 40 ff. Christiane BlRR, Rechte im Strom der Zeit - Die Entstehung der unvordenklichen Verjährung (Habil. Würzburg 2006).

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diplomatischen Missionen, in Schiedsgerichten, also auch in der Umgebung weltlicher Herren9 - aber noch lange nicht in den weltlichen Gerichten. In diesen sitzen weiterhin ungelehrte Honoratioren, Schöffen und Ratsangehörige, die dem Rechtsherkommen und Gerichtsbrauch ihres Ortes verpflichtet sind. Selbst in den Reichsstädten treten Juristen überwiegend erst relativ spät in Erscheinung.10 Die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" prägt über Jahrhunderte hinweg das Verhältnis der ungelehrten und der gelehrten Rechtskultur,11 wobei ich jetzt mittelbare Rückwirkungen dieses Nebeneinanders - zum Beispiel Aufzeichnungen einheimischen Rechtswissens in .Spiegeln' und Schöffensprüchen - außer Betracht lasse. Doch das an den Fürstenhöfen anzutreffende juristisch geschulte Personal, das in doppelter Funktion sowohl für sein Stift wie auch für weltliche Herrschaftsinteressen tätig war, zwingt zu der Frage, ob diese Ratgeber nicht ihre Spuren auch im weltlichen Rechtswesen hinterlassen haben. Anders gewendet: Da wir von solchen Juristen in der Umgebung von Kaisern, Königen und Fürsten seit dem 12. Jahrhundert zunächst noch selten, später aber immer häufiger hören, ist die Vermutung geradezu zwingend, dass Zeugnisse römischen Rechtsdenkens in der weltlichen Herrschaftspraxis auch auf diese Juristen zurückzuführen sind. Unser Ziel, die Rezeption im Reich nördlich der Alpen zu verstehen, ist also nicht auf dem flachen Lande und auch nicht in erster Linie in den Städten zu erreichen, sondern vor allem in den Herrschaftszentren: am Kaiserhof und in den fürstlichen Residenzen. Dort tritt juristische Gelehrsamkeit am frühesten zu Tage. Die Quellen, auf die sich die Forschung hier stützen kann, fließen in Gestalt zahlloser Urkunden

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Heinz LIEBERICH, Die gelehrten Räte. Staat und Juristen in Baiern in der Frühzeit der Rezeption, ZBLG 27 (1964) S. 120-189; Hartmut BOOCKMANN, Die Rechtsstudenten des Deutschen Ordens, in: FS Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag (1972) S. 313-375; MORAW, Gelehrte Juristen (wie Anm. 5); Ingrid MÄNNL, Die gelehrten Juristen im Dienste der TeiTitorialherren im Norden und Nordosten des Reiches von 1250 bis 1440, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 5) S. 269-290; DIES., Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250-1440), in: Recht und Verfassung (wie Anm. 1) S. 185-198; Paul-Joachim HEINIG, Gelehrte Juristen im Dienst der römischdeutschen Könige des 15. Jahrhunderts, in: ebd. S. 167-184. Karl S. BADER / Gerhard DILCHER, Deutsche Rechtsgeschichte. Land und Stadt - Bürger und Bauer im Alten Europa (1999) S. 775 ff. Zu den wenigen Reichsstädten, die sich frühzeitig juristischen Rates bedienten, vgl. Hartmut BOOCKMANN, Juristen im spätmittelalterlichen Nürnberg, in: Recht und Verfassung (wie Anm. 1) S. 199-214. Dietmar WILLOWEIT, Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Rationales und traditionales Rechtsdenken im ausgehenden Mittelalter, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit 2, hg. von Hartmut BOOCKMANN / Ludger GRENZMANN / Bernd MOELLER / Martin STAEHELIN (AAG III 239,2001) S. 369-385.

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reichlich. Denn gerade in den Kanzleien war der juristische Sachverstand gefragt. Aber wie soll die Wissenschaft angesichts dieser erdrückenden Quellenüberlieferung belanglose, nur sprachliche Übereinstimmungen mittelalterlicher und antiker Texte von der Rezeption der durch die sprachliche Form vermittelten Inhalte unterscheiden? Da schon die gemeinsame lateinische Sprache eine Brücke von der damaligen Gegenwart zur römischen Rechtsüberlieferung bildet, besteht durchaus die Gefahr einer Überinterpretation mittelalterlicher Urkunden, wenn dort irgendwo ein römischer Rechtsbegriff auftaucht. Es müssen also weitere Indizien hinzukommen, die auf eine gedankliche Rezeption des durch den römischen Rechtsbegriff vermittelten Inhalts schließen lassen. Soweit sich aber auf diese Weise im mittelalterlichen Kontext ein Sinnzusammenhang herstellen lässt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher von den mittelalterlichen Kanzlisten auch gemeint war, größer als das Gegenteil. Meine grundlegende These zum Gesamtthema lautet nun: Dieser Sinnzusammenhang, der auf die inhaltliche Rezeption eines römischen Rechtsgedankens in mittelalterlichen Texten schließen lässt, wird durch das Vorhandensein eines verwandten Rechtsherkommens im Umkreis der Rezipienten hergestellt. Mit anderen Worten: Es wurden vorzugsweise solche Rechtsbegriffe, Rechtsvorstellungen und institutionellen Formen in das weltliche Herrschaftswesen des Mittelalters integriert, denen in den schon bestehenden Herrschaftsstrukturen verwandte Rechtsgedanken entsprachen. Auf diese konnten die normativen Inhalte des römischen Rechts unmittelbar einwirken. Diese These sei zunächst an einem der Verfassungspolitik ganz fernliegenden, allerdings etwas schwierigen Beispiel dargelegt. Die Rezeption der römischen litis contestatio oder in deutschen Quellen so genannten „Kriegs-" oder „Streitbefestigung" im Parteiprozess konnte die Forschung trotz intensiver Bemühungen bisher kaum verstehen, weil diese Rechtsfigur vor dem Hintergrund unseres modernen Rechtsdenkens schlicht überflüssig ist.12 Eine noch ungedruckte Würzburger Habilitationsschrift kann nun eine plausible Erklärung anbieten: 13 Entstand im alten Rom zwischen zwei Bürgern ein Streit, den sie gerichtlich entscheiden lassen wollten, so führte der erste Weg zum Prätor. Er legte für den Fall, dass alle formellen Voraussetzungen gegeben waren, das Streitprogramm fest und bestimmte den Richter. Mittelalterliche Gerichtsverfahren kannten einen solchen Prätor nicht. Was sollte also die „Streitbefestigung", die in deutschen Prozessordnungen bis an die Schwelle des

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Wolfgang S E L L E R T , Litis contestatio, in: HRG 3 (1984) Sp. 14-20. Steffen S C H L I N K E R , Litis Contestatio. Eine Untersuchung über die Grundlagen des Zivilprozesses in der Zeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Habil. Würzburg 2007).

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19. Jahrhunderts mitgeschleppt wurde? Sie hatte sich im Mittelalter aus anderen Gründen als eine vernünftige Zäsur des Verfahrens erwiesen. Es konnte geschehen, dass der Beklagte das vom Kläger angerufene Gericht eines vielleicht fremden Herrn nicht akzeptierte oder gar eine Fehde zur Lösung des Konflikts bevorzugte. So merkwürdig es in unseren Ohren klingt, die wir an die Allgegenwart des staatlichen Gewaltmonopols gewöhnt sind: Abgesehen vom gemeinen Mann, mussten sich die Parteien oft erst darauf einigen, den Prozess vor diesem und keinem anderen Gericht zu fuhren und somit das Urteil zu akzeptieren. Um diesen Zeitpunkt exakt festzuhalten, an dem der Prozess erst wirklich beginnen konnte, bediente man sich der litis contestatio aus dem römischen Recht. Das eigentlich fremdartige Rechtsinstitut erhielt in der mittelalterlichen Gesellschaft einen neuen Sinn, den die Juristen jener Epoche darin sahen, dass eine vertragliche Einigung über das von beiden Seiten akzeptierte Gericht zustande gekommen war. Mit der Rezeption der litis contentatio war zugleich die Übernahme der zugehörigen Regeln des römischen Rechts verbunden, was Gelegenheit zu Differenzierungen und zur Verfeinerung des Verfahrens bot. Das mittelalterliche Verständnis des Prozesses war dem der Römer insofern verwandt, als es gleichfalls , aktionenrechtlicher' Art war, also den materiellen Anspruch nicht unabhängig von seiner prozessualen Durchsetzung zu denken vermochte und daher seine Entstehung im Gang des Verfahrens vorbereiten musste. Und weil dabei eine Zäsur im Rechtsstreit - aus ganz anderen Gründen als bei den Römern für sinnvoll erachtet wurde, hielt man sich an das alte Kaiserrecht, das ein geeignetes Instrument zur Steuerung des Prozesses bereithielt. Als sich im 19. Jahrhundert die Unterscheidung von formellem Prozessrecht und materiellem Recht durchsetzte, verschwand auch die litis contestatio.

II

Staufische Verfassungspolitik unter dem Einfluss römischen Rechtsdenkens

Vielleicht wären die angedeuteten Vorgänge der Rezeption ein intellektuelles Spiel gelehrter Kreise geblieben, vergleichbar etwa den theoretischen Entwürfen scholastischer Theologen über das Ius naturale, wenn sich die Politik uninteressiert gezeigt hätte. Denn man lebte in einer gewachsenen, vorgegebenen Ordnung nach überlieferten Rechtsgewohnheiten unter Königen, deren Aufgabe die Wahrung von Frieden und Recht gewesen ist, wie es oft ausdrücklich heißt. Auch diese Rechtsordnung hatte sich als entwicklungsfähig erwiesen, wie zum Beispiel Studien zum lübischen Recht zeigen 14 und im Übrigen vergleichend an der englischen Rechts14

Wilhelm EBEL, Lübisches Recht, in: HRG 3 (1984) Sp. 77-84 mit weiteren Nachweisen; Albrecht CORDES, Spätmittelalterlicher Gesellschaftshandel im Hanseraum (1998).

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Ordnung demonstriert werden könnte.15 Eine politische Notwendigkeit für die Rezeption römischer Rechtsvorstellungen bestand also nicht. Aber dem deutschen König war - aufgrund eines stillschweigenden Konsenses der okzidentalen Mächte - das römische Kaisertum anvertraut. Der Rückblick und Rückgriff auf das antike Recht entsprang daher nicht einem beliebigen Bildungsinteresse, sondern galt den historischen und zugleich normativen Grundlagen des Reiches. Die in der älteren Literatur viel beschworene ,Romidee'16 begriffen die Zeitgenossen nicht als eine aufgepfropfte Ideologie, sondern als die grundlegende Bedingung ihrer politischen Existenz. Daher sahen sich die mittelalterlichen Kaiser ermächtigt, dem Vorbild der spätantiken Vorgänger im Kaiseramte folgend, durch politische Eingriffe in das herkömmliche Herrschaftsgefüge den Prinzipien des römischen Herrschaftsverständnisses Anerkennung zu verschaffen - soweit dies realistischerweise möglich war. Das ist der Ursprung der staufischen und noch nachstaufischen Verfassungspolitik, die seit Kaiser Friedrich I. mehrere Phasen durchläuft. In erster Linie ist die Wahrnehmung einer kaiserlichen Gesetzgebungshoheit zu nennen, damals begriffen als die Reaktivierung eines dem Kaiser ohnehin zustehenden Rechts. Sie war dem an mündliche Rechtsüberlieferungen gebundenen mittelalterlichen Rechtsdenken nicht leicht zu vermitteln. Daher äußert sich der Wille zur Gestaltung der politischen Verhältnisse durch kaiserliche Rechtsakte auch überwiegend in der gewohnten Form von Privilegien, zum Teil in Einungen und anderen Vertragsschlüssen, dagegen eher selten, vor allem unter Kaiser Friedrich II., durch Gesetzesbefehle. ,Mischformen' zwischen diesen Typen der Rechtsbildung, an denen sich der moderne Beobachter orientiert, sind jederzeit möglich und eher die Regel als eine Ausnahme.17 Entscheidend für die seit dem 12. Jahrhundert festzustellende Veränderung im Verhältnis von Reichsoberhaupt und Recht ist nicht die Frage, ob schon angeblich ,moderne' Reichsgesetze erlassen wurden, sondern dass sich der Kaiser aufgrund seiner auctoritas überhaupt ermächtigt sah, verfassungsgestaltende Normen in verschiedenen Formen in die Welt zu setzen.18 Dieser im 14. Jahrhundert wohl schon selbstverständliche Umstand ist Voraussetzung auch einer so tief greifenden Verfassungsreform, wie sie die Goldene Bulle vorsah und

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René DAVID, Einfuhrung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, übers, von Günther GRASMANN ( Z 1 9 8 8 ) S . 4 3 6 f f .

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Heinrich MITTEIS / Heinz LIEBERICH, Deutsche Rechtsgeschichte ( 19 1992) S. 156 ff. mit weiteren Nachweisen. Wilhelm EBEL, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, ( 2 1958, erw. N D 1988) S. 42 ff. Hermann KRAUSE, Gesetzgebung, in: HRG 1 (1971) Sp. 1606-1620, hier Sp. 1611: „Die Hohenstaufenzeit bringt die große Wandlung ...".

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realisierte. Freilich darf die Handhabung der kaiserlichen Gesetzgebungshoheit im späten Mittelalter weiterhin nicht mit der positivistischen Freiheit eines modernen Gesetzgebers verwechselt werden, was sich bekanntlich auch am Beispiel der Goldenen Bulle zeigen lässt. Rechtsgestaltende Hoheitsakte sind bis in das 16. Jahrhundert hinein während ihrer Entstehung am Rechtsherkommen orientiert, also eher Zeugnisse der Rechtsbesserung und damit einer allmählichen Evolution des Rechts als Niederschlag eines entschiedenen Veränderungswillens. Wir lassen dieses schwierige und weite Forschungsfeld, das Thema eines eigenen Referates sein müsste, hier auf sich beruhen, weil die Geschichte der Rechtsbildung einen formalen Aspekt der Rezeption betrifft, der die zur Goldenen Bulle führenden sachlichen Veränderungen nicht erfasst. Die verfassungspolitischen Impulse Kaiser Friedrichs I. sind bekannt und hier nur kurz in Erinnerung zu rufen. Mit der auf der Reichsversammlung von Roncaglia 1158 verkündeten lex omnis, die sich an ein Gesetz Kaiser Justinians anlehnt, erhob auch Friedrich I. den Anspruch, dass alle Gerichtsgewalt im kaiserlichen Amt verankert sei und sich die administratio der Richter daher von ihm herleiten müsse. 19 Die ältere Forschung erkannte in der administratio dieses viel erörterten Textes eine Regelung des sogenannten ,deutschrechtlichen' Königsbanns, dessen Bedeutung für den örtlichen Richter man dem - viel späteren - Sachsenspiegel entnahm. 20 Seitdem haben wir gelernt, die Aufnahme und Handhabung antiker Rechtsbegriffe besser zu verstehen; gerade die - abgebrochene - Rezeption des Wortes administratio ist in jüngster Zeit Gegenstand einer gründlichen Studie gewesen. 21 Die Interpretation des Textes mithilfe der Idee des Königsbanns ist verfehlt, weil Übertragungen des königlichen Banns vor Friedrich I. nur an kirchliche Institutionen erfolgt sind, 22 die ganze Rechtsfigur also überhaupt erst in dieser Zeit Gestalt gewinnt. Die Zeitgenossen waren aber immerhin schon mit einer Rechtsvorstellung vertraut, die ihnen die Akzeptanz des viel weiter ausgreifenden, das gesamte weltliche Herrschaftswesen erfassenden Rechtssatzes der lex omnis erleichterte. Die antike Norm konnte begrif-

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MGH DD F I. Nr. 238; Karl JORDAN, Ronkalische Reichstage, in: HRG 4 (1990) Sp. 1138-1140. Paul W. FINSTERWALDER, Die Gesetze des Reichstags von Roncaglia vom 11. November 1158, ZRGGermAbt 51 (1931) S. 1-69, hier S. 40; ebenso Heinrich APPELT, Friedrich Barbarossa und das römische Recht, RHMitt 5 (1961 f.) S. 18-34, bes. S. 29. Jörg W. BUSCH, Administratio in der frühen Stauferzeit - Ein abgebrochener Versuch politischer Begriffsbildung, ZRGGermAbt 122 (2005) S. 42-86. Robert SCHEYHING, Eide, Amtsgewalt und Bannleihe (1960) S. 213; Dietmar WLLLOWELT, Rezeption und Staatsbildung im Mittelalter, in: Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, hg. von Dieter SIMON (IUS commune. Sonderheft 30,1987) S. 19-44, hier S. 22 ff.

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fen und rezipiert werden, weil es eine Rechtsgewohnheit verwandter Art schon gab. Wie seit der kritischen Edition der Urkunden Friedrichs I. und der damit möglichen Ausklammerung der Empfangerdiktate klar zu erkennen ist, hat die kaiserliche Kanzlei seit Roncaglia die Idee der Begründung aller Gerichtsgewalt im Reichsoberhaupt konsequent weiterverfolgt und mit den Mitteln des Lehnrechts einem neuen Verständnis der fürstlichen Gewalt den Weg bereitet: Die Herrschaftsgewalt des Fürsten wird durch den Kaiser legitimiert, darf damit aber umso sicherer als eigenes Recht ausgeübt werden.23 Mit der lehnrechtlichen Konstruktion des Verhältnisses von Reichsoberhaupt und hochadeligen Dynasten ist als weiteres Element des Verfassungswandels ein eigentumsrechtliches Verständnis adeliger Herrschaft verbunden, wie es in dieser ausgeprägten Form den vorangegangenen Jahrhunderten fremd gewesen war. Ablesbar ist diese Veränderung des politischen Denkens an Verschiebungen innerhalb des dem Rechtswort dominium zuzuordnenden Bedeutungsfeldes. Während für die Zeit vor dem 12. Jahrhundert eine begriffliche Fixierung des Wortes auf „Eigentum" oder „Herrschaft" oder beides zugleich kaum möglich ist, sondern eher diffuse Herrschaftsvorstellungen ausgedrückt werden sollen, beginnt sich das Bild spätestens um die Wende zum 13. Jahrhundert zu ändern. Dominium bedeutet jetzt Eigentum im Sinne einer Eigentumsherrschaft mit dem Recht an Grund und Boden, aber auch Rechten gegenüber den darauf siedelnden Leuten, die Gerichtsbarkeit eingeschlossen.24 Das ist ein politisches Herrschaftssubstrat, das von der nur ,privat-' oder besser individualrechtlichen proprietas klar unterschieden werden kann. Dieses dominium kann großen oder kleinen Herren zustehen oder auch einem Kloster, vielleicht auch einer Stadt. Die Forschung hat sich einen Bärendienst erwiesen, als sie glaubte, in den domini terrae bekannter Quellen „Landesherren" im Sinne der Wissenschaft erkennen zu können.25 Es handelt sich um „Landherren", um adelige Dynasten verschiedenen Ranges, die vielleicht etwas aufbauen konnten, was die Forschung post festum als ,Landesherrschaft' zu identifizieren vermag. Aber notwendiges Merkmal eines dominus terrae ist nicht ein herausgehobener politischer Rang, sondern die eigentumsrechtliche Qualität seiner Herrschaft.26 Um es an Beispielen aus Franken

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WILLOWEIT, Rezeption (wie vorige Anm.) S. 24; DERS., Fürst und Fürstentum in Quellen der Stauferzeit, RhVjbll 63 (1999) S. 7-25, hier S. 13 ff. Dietmar WILLOWEIT, Dominium und Proprietas, HJb 9 4 ( 1 9 7 4 ) S. 1 3 1 - 1 5 6 ; DERS., Rezeption (wie Anm. 22) S. 34 ff. So richtig Emst SCHUBERT, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35, 1996) S. 105: „falsch übersetzt". Dietmar WILLOWEIT, Grundherrschaft und Territorienbildung. Landherren und Landesherren in deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts, in: Strukturen und Wand-

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zu exemplifizieren: domini terrae heißen hier Herren wie die von Hohenlohe oder die Grafen von Wertheim. Der Fürstbischof von Würzburg nennt sich niemals so, weil ihm persönlich das von ihm regierte Land nicht gehört. Er ist dominus nur im Sinne eines geistlichen Herrn, im Übrigen aber viel mehr als ein bloßer dominus terrae, nämlich Reichsfurst. 27 In der Person eines weltlichen Dynasten kann beides vereinigt sein, Eigentumsherrschaft und die vom Kaiser übertragene Reichsfiirstenwürde. Es ist zu vermuten, dass sich aus eben diesem Grunde die weltlichen Herren sowohl in der Reformationszeit wie auch am Ende des Reiches als stärkste politische Kraft durchzusetzen vermochten. Die altertümliche und missverständliche Redeweise vom ,Patrimonialstaat' hat in diesem eigentumsrechtlichen Herrschaftsverständnis seinen Sitz im Leben. Es scheint mir jedenfalls ausgeschlossen, die Geschichte der spätmittelalterlichen Herrschaftsgebilde im Reich ohne diesen Eigentumsgedanken angemessen zu würdigen. Dabei ist in dem entscheidenden 13. Jahrhundert die Gleichzeitigkeit dieses neuen Verständnisses von dominium mit der Verbreitung römischen Rechtsdenkens auch in einfacheren Beziehungen offensichtlich - zum Beispiel in Gestalt der jetzt klaren Unterscheidung von Eigentum und Besitz oder von Eigentum und beschränkt dinglichen Rechten, wie etwa Grunddienstbarkeiten. In vielen Kanzleien ist in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein gelehrtes Umfeld entstanden, in dem auch das dominium terrae nicht mehr, gleichsam ,naiv', voijuristisch gedeutet werden konnte.

III Wandlungen der Reichs- und Territorialverfassung zwischen der Stauferzeit und der habsburgischen Ära Wir kehren zunächst zu dem Impuls der lex omnis zurück. Folge der Verfassungspolitik des kaiserlichen Hofes war schon in der Zeit Friedrichs I. die Konstituierung eines Kreises von Reichsfursten und auch ,Reichs'-Grafen, deren gemeinsames Merkmal der Besitz von Reichslehen mit Gerichtsbarkeit, Regalien und Land gewesen ist. Der Sachsenspiegel spiegelt in der Tat diese Verhältnisse ziemlich genau wider. 28 Von nun an blieb es das wohl vornehmste politische Ziel nichtfurstlicher Grafen, in den Kreis der Reichslehenträger aufgenommen zu werden. Das zeigt die

lungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert. Deutschland und Italien i m V e r g l e i c h , h g . v o n Gerhard DLLCHER / C i n z i o VIOLANTE ( 2 0 0 0 ) S. 2 1 5 - 2 3 3 . 27 28

WLLLOWELT, Grundherrschaft und Territorienbildung (wie vorige Anm.) S. 224. Sachsenspiegel. Quedlinburger Handschrift, hg. von Karl August ECKHARDT (MGH Fontes iuris 8, 1966) S. 76 (Landrecht III 62 § 2) und S. 121 (Lehnrecht 71 § 21); WLLLOWELT, Fürst und Fürstentum (wie Anm. 23) S. 19 f.

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lange Reihe der Erhebungen in den Reichsfürstenstand in den folgenden Jahrhun29

derten. Denn die Belehnung durch den Kaiser beinhaltete im Reich eine höchste Legitimation der politischen Gewalt, die auch erweiterte und zunehmend genutzte Herrschaftsmöglichkeiten bot, wie zum Beispiel die territoriale Gesetzgebung noch der frisch gebackene Herzog von Württemberg erlässt sogleich nach der Erhebung zum Fürsten eine Landesordnung. Wie nachhaltig die mit der lex omnis begonnene Politik das Verfassungswesen des Reiches auch in den folgenden Jahrhunderten geprägt hat, zeigt nicht zuletzt auch die besonders im 14. Jahrhundert fortschreitende Territorialisierung der Blutgerichtsbarkeit mit Blutbannverleihungen durch den Kaiser auch an Grafen, an Mediatstädte und selbst Ritter.30 Das eigentumsrechtliche Verständnis der Herrschaft über Land und Leute dürfte verschiedenartige Auswirkungen verursacht haben, die wir zur Zeit wahrscheinlich noch gar nicht ganz überblicken. Das auffälligste Phänomen ist wohl, dass seit der Mitte des 13. Jahrhunderts Landesteilungen unter kleinen und großen Dynasten in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß zunahmen. Politischer Druck in dieser Richtung ist schon im 12. Jahrhundert am kaiserlichen Verbot, Reichsfurstentümer zu teilen, abzulesen.31 Nach dem Untergang der Staufer konnten sich familiäre Teilungsinteressen ungehindert durchsetzen.32 Da die einheimischen Rechtsgewohnheiten im Allgemeinen einen Vorrang des Erstgeborenen nicht kannten, war es naheliegend, die Herrschaftsnachfolge in Land und Leuten nach dem Prinzip der gleichen Erbberechtigung der männlichen Nachkommen zu regeln - sofern man diese Herrschaft als etwas dem Eigentum Ähnliches ansah. Aber das war offensichtlich der Fall. Besonders schön lässt sich dieses eigentumsrechtliche Herrschaftsverständnis des 13. bis 15. Jahrhunderts dort studieren, wo ein ganz neues Staatswesen begründet wurde, wie im Preußenland. Das ist schon an der Kulmer Handfeste von 1233 abzulesen33 und danach kontinuierlich an den vom Deutschen Orden ausgestellten Handfesten. Reinhard Wenskus hat aus seiner umfassenden Kenntnis der Ordensquellen die Schlussfolgerung gezogen: „Der Orden beanspruchte und behauptete

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Steffen SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfurstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter (FDRG 18, 1999). Dietmar WILLOWEIT, Die Territorialiserung der Blutgerichtsbarkeit im späten Mittelalter, in: Wirtschaft - Gesellschaft - Mentalitäten im späten Mittelalter. FS zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel, hg. von Hans-Peter B A U M / Rainer LENG / Joachim SCHNEIDER (2006) S. 247-270. MGH D D F I. Nr. 242. SCHUBERT, Fürstliche Herrschaft (wie Anm. 25) S. 22 ff. Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, ausgew. und übers, von Lorenz WEINRICH (AusgQ A 32, 1977) Nr. 115.

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das Obereigentum am gesamten Boden."34 So erklären sich auch die von der Ordensleitung aus verschiedenen Gründen praktizierten Einziehungen von Gütern, die zu den Ursachen für den schweren Zusammenstoß mit den preußischen Ständen im 15. Jahrhundert gehörten. Der Orden hielt sein Vorgehen auf der Grundlage seiner Rechtsüberzeugungen zweifellos für rechtmäßig, während die Betroffenen die Verletzung des Rechtsherkommens beklagten. Die Vorstellung einer auf Eigentum beruhenden und daher in einem wörtlichen Sinne , landesherrschaftlichen' Gewalt schien politische Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, die sich mit der traditionalen Rechtspraxis der Vergangenheit nicht vertrugen.35 Unter diesem Aspekt würde es sich lohnen, auch andere politische Phänomene dieses Zeitalters einer näheren Prüfung zu unterziehen - die viel beschworene Hausmachtpolitik zum Beispiel, die den Gedanken einer rechtlichen Beziehung zwischen dem Herrschaftsobjekt und dem Landesherrn in seiner Eigenschaft als Angehörigem einer Erbdynastie voraussetzt. Aber auch die Revindikationspolitik König Rudolfs verdient in diesem Zusammenhang überdacht zu werden. Modernem Denken erscheint diese Politik nur recht und billig. Aber der Begriff - wenn er denn so in den Quellen überhaupt vorkommen sollte - macht stutzig. Die revindicatio, der abstrakte, von sonstigen Umständen unabhängige Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer, ist eine Erfindung des römischen Rechts. Nach mittelalterlichem Rechtsherkommen konnte man seine Sache von einem beliebigen Dritten nur mit dem Vorwurf des Diebstahls herausverlangen. Im Übrigen musste sich der Eigentümer an den halten, dem er seine Sache überlassen hatte.36 Hier dürfte ein Grund für die Probleme liegen, auf die König Rudolf bei der Realisierung seiner Revindikationspolitik stieß. Denn die verschiedenen Nachrichten über die von ihm angeordneten und selbst durchgeführten Maßnahmen deuten darauf hin, dass entfremdetes Reichsgut ohne Rücksicht auf die gewohnten Anspruchsvoraussetzungen von jedermann zurückgefordert werden sollte. Da die Güter und Rechte des Reiches, iam multis dimenbrata temporibus, in ihren rechtmäßigen Status zurückgeführt werden sollten, erhielten die Amtsträger des Reiches - advocati, officiales,

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Reinhard WENSKUS, Das Ordensland Preußen als Territorialstaat des 14. Jahrhunderts, in: Der deutsche Territorial Staat im 14. Jahrhundert 1, hg. von Hans PATZE (VUF 13, 1970)

35

Dietmar WILLOWEIT, Recht, Landesherrschaft und Obrigkeit in Altpreußen. Vom Ordensstaat zum Herzogtum, in: Preußens erstes Provinzialarchiv. Zur Erinnerung an die Gründung des Staatsarchivs Königsberg vor 200 Jahren, hg. von Bernhart JÄHNIG / Jürgen KLOOSTERHUIS (Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung 20, 2006) S. 11-26, hier S. 18 ff. Rudolf HÜBNER, Grundzüge des Deutschen Privatrechts ( 5 1930) S. 433 ff.

S. 3 4 7 - 3 8 2 , das Zitat S. 3 4 9 .

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Römisches Recht, Gewohnheitsrecht und Politik im Reich und in den Territorien | 253

procuratores - 1273 eine generalis commissio de bonis imperialibus a quibuscunque detentis hactenus ad nostre dicionis dominium revocandis. 1 Wer auch immer Reichsgut innehabe, auch seit langer Zeit, solle es herausgeben. Das war sicher nur möglich, wenn sich der König und seine Beauftragten über die bisher üblichen Regeln des mittelalterlichen Prozesses hinwegsetzten. Eine chronikalische Nachricht weiß davon zu berichten, dass sich mancher Betroffene mit rehte, also vor Gericht, gegen den Entzug des vom König in Anspruch genommenen Gutes wehrte. 38 Die im Hintergrund stehende Vorstellung, auch das Reich habe Eigentum, das der königlichen Gewalt unterworfen sei, spiegelt die Formel nostre dicionis dominium exakt wider. Es ist zu vermuten, dass schon die hier von der Kanzlei hergestellte Beziehung zwischen dem Reich und dem Rechtswort dominium bei den Adressaten auf Verständnisschwierigkeiten stieß. Denn der König war ja gerade kein gewöhnlicher dominus und nicht Eigentümer des Reichsgutes. Wie sich dagegen ein Reichsfurst in der Mitte des 14. Jahrhunderts seine Herrschaft optimal vorstellte und ausmalte, kann man dem gefälschten Privilegium maius' des Herzogs Rudolf von Österreich entnehmen. Auf seine Position als Reichsfürst legt er großen Wert: sowohl den Förmlichkeiten der Belehnung wie einer symbolischen Lehnspflicht lassen die Fälscher besondere Sorgfalt angedeihen - gewiss aus keinem anderen Grunde als dem der Legitimation des fürstlichen Herrschaftsrechts. Aber im Übrigen werden in diesem Dokument die Rechte des Fürsten so weit wie nur irgend möglich ausgedehnt, bis hin zu der schon abwegigen Regelung, der Herzog dürfe für den Fall des gänzlich erbenlosen Aussterbens seiner Dynastie seine Länder geben, wem er wolle. 39 Das Reich hat nur zuzuschauen. Der Heimfall des Reichslehens ist ausgeschlossen, der letzte Herr des Landes darf wie ein freier Eigentümer verfahren. Das Privilegium maius' zeigt vielleicht am deutlichsten, wie schwierig es für die Zeitgenossen gewesen sein muss, ein in sich schlüssiges Herrschaftsverständnis zu entwickeln. Einerseits mussten die fürstlichen Herren das Kaisertum als Ursprung und Legitimation ihrer in vieler Hinsicht königsgleichen Stellung anerkennen, die kleineren Landesherren brauchten den Schutz des Reichsoberhauptes ohnehin. Andererseits begriff man sein Herrschaftsrecht als eigentumsartig, also immanent nicht begrenzt, sondern allenfalls durch Rechte anderer.

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MGH Const. 3 S. 29 f. Nr. 28 (R: RI 6/1 Nr. 105); zum Datum vgl. RI 6/1 Nr. 48a. Zitiert nach RI 6/1 Nr. 48a: ... nu wil ich iu ouch des verjehen, wie im daz kaeme in sînen muot, daz im übral des riches guot wider wurde in sin gewalt, des maneger sît mit rehte engalt, der dâ von geschaiden wart, ie der man nâch sîner art, mit willen oder âne danc. Nû was dar nâch vil unlanc, biz er sin doch gewaltic wart in der selben ûfvart. Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-Deutschen Reiches im Spätmittelalter ( 1 2 5 0 - 1 5 0 0 ) , a u s g e w . u n d übers, v o n L o r e n z WEINRICH ( A u s g Q A 3 3 , 1 9 8 3 ) N r . 9 5 .

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Vor diesem Hintergrund liest sich Kapitel 20 der Goldenen Bulle über die Rechtsverhältnisse der Kurfürstentümer wie ein fein ziseliertes Kunstwerk.40 Wie schon das Rubrum sagt, geht es um die Einheit der den Königswählern zustehenden Fürstentümer mit den zugehörigen Rechten. Ämter, Würden und Rechte eines solchen Fürstentums sollen mit diesem so untrennbar verbunden sein, dass auch - im Singular - das Recht, die Stimme, das Amt und die Würde, die zu dem Fürstentum gehören, niemand anders zustehen als jenem, der dasselbe Fürstentum mit Land, Vasallendiensten, Lehen und Eigentum - dominium - mit allem Zubehör besitzt.41 Was sich wie eine Tautologie anhört, erhält einen recht präzisen Sinn, wenn man das vom Kaiser herrührende Fürstentum von der Landesherrschaft gedanklich unterscheidet. Zuerst ist von den mit einem Fürstentum verbundenen officio, dignitates und iura die Rede, wozu insbesondere Regalien und Gerichtsgewalt gehören, dann von dem davon nicht zu trennenden Stimmrecht samt zugehörigem Amt etc.; endlich ist dann vom Lande die Rede und dessen lehnrechtlichen und eigentumsrechtlichen Bestandteilen. Diese Regelung bindet zusammen, was bis dahin getrennte Wege gehen konnte: das auch persönlich zu verstehende Fürstenamt und das dem Erbrecht unterworfene dominium über Land und Leute. Da die Belehnung allein Sache des Kaisers war, in dessen Hand es lag, nur einen Angehörigen eines kurfürstlichen Hauses als Reichsvasallen anzunehmen, hätte die zwingend vorgeschriebene Verbindung von Fürstenamt, Stimmrecht und Landbesitz vielleicht schon ausgereicht, um Zweifelsfalle für die Zukunft auszuschließen. Aber der Kaiser griff mit der Anordnung der Primogenitur42 und bald darauf im Metzer Gesetz mit dem Teilungsverbot für die kurfürstlichen Lande43 auch tief in das dynastische Erbrecht ein. Den

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MGH Const. 11 S. 610,1-24. MGH Const. 11 S. 610,1-15: De unioneprincipatuum electorum et iurium eis cormexorum. Cum universi et singuli principatus, quorum virtute seculares principes electores ius et vocem in electione regis Romanorum in cesarem promovendi obtinere noscuntur, cum iure huiusmodi necnon officiis, dignitatibus et iuribus aliis eis et cuilibet eorum annexis et dependentibus ab eisdem adeo coniuncti et inseparabiliter sint uniti, quod ius, vox, officium et dignitas, alia quoque iura ad quemlibet principatuum eorundem spectantia cadere non possint in alium prefer ilium, qui principatum ipsum cum terra, vasallagiis, feudis et dominio ac eius pertinentiis universis dinoscitur possidere, presenti edicto imperiali perpetuo valituro sanccimus, unumquemque principatuum predictorum cum iure et voce electionis ... ita perseverare et esse debere unitum perpetuis temporibus indivisibiliter et coniunctum, quod possessor principatus cuiuslibet edam iuris, vocis, officii, dignitatis et pertinentiarum omnium ad illum spectantium quieta debeat et libera possessione gaudere. MGH Const. 11 S. 586,11 ff. (Kap. 7 § 1). MGH Const. 11 S. 620,5 ff. (Kap. 25).

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Interessen der Kurfürsten, die hinter dem König von Böhmen nicht zurückstehen wollten, mag das entgegengekommen sein, und die Idee der Primogenitur war ja in der Mitte des 14. Jahrhunderts nicht mehr unbekannt. Das ändert aber nichts daran, dass es sich für die nach fränkischem und sächsischem Rechte lebenden kurfürstlichen Familien um einen schmerzlichen Eingriff in das Rechtsherkommen gehandelt hat, das nur kraft kaiserlicher Autorität möglich gewesen ist. Damit stellt sich endlich die Frage, in welchem Maße das ,Kaiserliche Rechtsbuch' Karls IV. schon von römischem Rechtsdenken geprägt ist. Auch wenn man die Texte als Verhandlungsergebnis liest und daher Kompromisse zwangsläufig eingeflossen sein müssen, ist zunächst nicht an der Tatsache eines kaiserlichen Rechtsaktes vorbeizukommen, ohne den die Regelungen nicht ihre auffallende Verbindlichkeit für viele Generationen gewonnen hätten. Dem kaiserlichen Gesetzgebungsrecht, wenn auch zeittypisch mit dem Rat der Großen des Reiches ausgeübt, hatte Karl IV. endgültig Anerkennung verschafft. Im Übrigen enthalten die Texte so zahlreiche Entlehnungen aus den gelehrten Rechten und bekanntlich auch aus dem Schwabenspiegel, der selbst unter den Händen rechtsgelehrter Kleriker entstanden ist, dass eine genauere Analyse dieser Einflüsse eine eigene, umfassender angelegte Untersuchung erfordern würde. Exemplarisch hingewiesen sei nur auf die Unterscheidung von Strafsachen, Zivilsachen und causae mixtae,44 auf die dem römisch-kanonischen Prozess eigentümliche Unterscheidung von gerichtlichen Interlokuten und Endurteilen,45 auf die Regelungen über den Widerruf von Privilegien,46 auf die schöne juristische Erkenntnis, dass eine Rechtswirkung eo ipso eintreten könne.47 Die Liste ließe sich fortsetzen und würde ein recht buntes Bild unterschiedlicher Bausteine ergeben, die aus der gelehrten Literatur übernommen worden sind. Aber das Bauwerk selbst ist nicht irgendwo abgeschaut. Die politischen Entscheidungsträger und ihre gebildeten Helfer aus der kaiserlichen Kanzlei haben aus den zur Verfügung stehenden reichhaltigen Materialien mit bewundernswerter Kreativität ein ganz eigenständiges Werk geschaffen. Dabei haben sie die Rezeption brauchbarer Rechtsfiguren aus dem römischen, kanonischen und Schwabenspiegelrecht im Wesentlichen so bewerkstelligt, wie es unsere einleitende Hypothese vermutete: Das Interesse galt solchen Rechtsvorstellungen, die sich in die bekannten oder etwa zeitgleich sich entwickelnden Rechtsgewohnheiten einfügen ließen.

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MGH MGH MGH MGH

Const. Const. Const. Const.

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S. S. S. S.

588,21 f. (Kap. 8) und S. 592,28 f. (Kap. 11). 590,4 f. (Kap. 8) und S. 594,9 f. (Kap. 11). 596,30 ff. (Kap. 13). 574,9 ff. (Kap. 1 § 19).

Abschließend sei noch eine Frage in den Raum gestellt, die im Zusammenhang mit der Formierung des Kurfiirstenkollegiums bisher vielleicht zu wenig Beachtung gefunden hat. Wie es auch immer entstanden sein mag,48 niemand bezweifelt, dass aus einem noch unscharf abgegrenzten Kreis von Königswählern ein Kollegium mit fixierter Mitgliederzahl geworden ist. Dieses Kollegium aber soll nach der Goldenen Bulle selbst einen Rat bilden und - in Einklang mit den königlichen Interessen einmal jährlich zusammentreten, um Fragen des Gemeinwohls und Friedens zu erörtern.49 Nun gibt es solche Ratskollegien auch auf der politischen Ebene des Fürstentums. Und hier ist merkwürdigerweise ein ähnlicher Prozess zu beobachten: Aus einem im 13. Jahrhundert noch ganz diffusen Kreis von Ratgebern schält sich im Allgemeinen erst in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Ratskollegium mit schärferen Konturen heraus, mit bestimmten Amtsinhabern als ständigen Räten, schließlich auch mit einer festen Mitgliederzahl.50 Dass diese Parallele auf Zufall beruht, ist nicht sehr wahrscheinlich. Es dürften dieselben Ursachen sein, die hier wie dort zu einer neuartigen Formalisierung politischer Verfahren geführt haben. Wenn wir den Reichstag des frühen 16. Jahrhunderts mit seinen Kollegien als vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung zu neuen Formen und Förmlichkeiten des Verfassungslebens annehmen, dann erscheint die Goldene Bulle als ein großer, zukunftsweisender Schritt auf dem Wege dorthin. Als Hintergrund dieses sich abzeichnenden frühmodernen Szenariums aber wird man das gelehrte Recht nicht hinwegdenken können. Es gestattete den Zeitgenossen, aus den langen Schatten der Rechtsgewohnheiten herauszutreten und unter den gegebenen Bedingungen eine rationale Verfassungsgestaltung zu organisieren. Daher ist es auch verständlich, dass das ,Kaiserliche Rechtsbuch' Karls IV. die maximilianeischen Reformen überdauerte und bis zum Ende des Reiches in Kraft blieb.

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Dietmar WILLOWEIT, Deutsche Verfassungsgeschichte ( s 2005) S. 93 ff. MGH Const. 11 S. 580,17 ff. (Kap. 4) und S. 596,14-17 (Kap. 12). Dietmar WlLLOWElT, Die Entwicklung und Verwaltung der spätmittelalterlichen Landesherrschaft, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte 1 (wie Anm. 1) S. 109 ff.

Römisches Recht, Gewohnheitsrecht und Politik im Reich und in den Territorien

257

II

Inszenierung und Repräsentation

BERND SCHNEIDMÜLLER

Inszenierungen und Rituale des spätmittelalterlichen Reichs. Die Goldene Bulle von 1356 in westeuropäischen Vergleichen1

Normative Texte fixierten im 14. Jahrhundert die politische Ordnung des römischen Imperiums und des französischen Königreichs: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. und der Kurfürsten von 1356 2 und drei Ordonnanzen König Karls V. von Frankreich von 1374. 3 Im Kern behielten die Bestimmungen zu Königswahl und Thronfolge ihre Gültigkeit bis zum Ende des Ancien Régime und des Alten Reichs im frühen 19. Jahrhundert. Schon diese Dauerhaftigkeit über 450 Jahre ist erstaunlich genug und bezeugt die Kraft politischer Regulierung in zwei verschiedenen Monarchien. Die Goldene Bulle legte die Wahl der römischen Könige durch sieben Kurfürsten fest, die zentralen Orte des Reichs, die Rechte der Kurfürsten und die ritualisierte Ausgestaltung des politischen Miteinanders.4 Die französischen Ordonnanzen sicher-

Erweiterter Text des Berliner Vortrags vom 10. Oktober 2006. In einzelnen Partien greife ich einen Katalogartikel von 2006 auf, der hier um die europäischen Vergleiche erweitert wird: Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die Auffuhrung des Reichs. Zeremoniell, Ritual und Performanz in der Goldenen Bulle von 1356, in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die G o l d e n e Bulle. 1 3 5 6 - 1 8 0 6 . Aufsätze, hg. v o n E v e l y n BROCKHOFF / M i c h a e l MATTHÄUS ( 2 0 0 6 ) S. 7 6 - 9 2 . 2

Benutzte Übersetzung: Quellen zur Verfassungsgeschichte des römisch-deutschen Reiches i m S p ä t m i t t e l a l t e r ( 1 2 5 0 - 1 5 0 0 ) , hg. v o n L o r e n z WEINRICH ( A u s g Q A 3 3 , 1983) S. 3 1 5 -

3

395; vom Wortlaut dieser Ausgabe wird bei eigenen deutschen Übersetzungen gelegentlich abgewichen. Druck bei Marie-Luise HECKMANN, Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher. Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert, 2 Bde. (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 9, 2 0 0 2 ) S. 7 5 8 - 7 7 8 N r . 1 9 - 2 3 .

4

Zur Goldenen Bulle Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Bde. (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 2, 1908); Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Die Entstehung der „Goldenen Bulle" Karls IV. (Städteforschung A 13, 1983); Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356-1806. Katalog, hg.

Inszenierungen und Rituale des spätmittelalterlichen Reichs |

261

ten dagegen die Blutsverwandtschaft als Prinzip der Thronfolge, den Ausschluss der Frauen vom Erbrecht am französischen Thron und die vormundschaftliche Regierung für minderjährige Herrscher. Das Krönungsbuch und politische Traktate aus dem Umkreis Karls V. ergänzten diese dynastische Konfiguration.5 Innerhalb weniger Jahre wurden also zwei seit Langem praktizierte Herrschaftsmodellierungen für die Zukunft festgeschrieben, die Königswahl im Imperium und die Blutsverwandtschaft in Frankreich. Beide Prinzipien spiegelten die Spannweite monarchischer Ordnung im vormodernen Europa und begleiteten die verschiedenen Entwicklungswege deutscher und französischer Geschichte. Ihre Formen und Folgen wurden in der Forschung immer wieder beschrieben und bewertet. Erst in jüngerer Zeit erkannte man die zeitliche Nähe und die Abhängigkeiten beider Gesetzeswerke deutlicher.6 Bonne, die Mutter König Karls V. von Frankreich, war eine Schwester Kaiser Karls IV., der am französischen Hof erzogen worden war. Als Thronfolger nahm Karl V. an der Verkündung der Goldenen Bulle zu Weihnachten 1356 in Metz teil. Geringe Beachtung fand bisher die zeitliche Nähe zur großen europäischen Pest in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Dabei könnten die neuen Verbindlichkeiten auch als Antworten auf diese gigantische Erschütterung gelesen werden. Nicht nur Königin Bonne starb 1349 an der Pest. Gegen tiefe Verunsicherung schufen das kaiserliche Rechtsbuch wie die französischen Krönungsordnungen und Ordonnanzen mit ihren sakralen Fundierungen und den Präsentationen kollegialer Körperlichkeiten neue Gewissheiten. Die Aussagen zu Wahl, Erbfolge und Krönung gehören zu den Klassikern von Geschichte und Rechtsgeschichte. Dieser Beitrag will sich auf anderes konzentrieren und dabei eher Perspektiven als abgeschlossene Forschungen vorstellen. Es geht um die Ritualisierung politischer Willensbildung und um die Inszenierung des erzielten Konsenses. Das Imperium steht hier im Zentrum; Blicke auf die französische Monar-

v o n E v e l y n BROCKHOFF / Jan GERCHOW / R a p h a e l GROSS / A u g u s t HEUSER ( 2 0 0 6 ) . Z u

Kaiser Karl IV. vgl. Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa 1346 bis 1378 (1978, 5 1985); Heinz STOOB, Kaiser Karl IV. und seine Zeit (1990); Jörg K. HOENSCH, Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308-1437 (Urban-Taschenbücher 407, 2000). 5

6

262

Zu Karl V. von Frankreich vgl. Raymond CAZELLES, Société politique, noblesse et couronne sous Jean le Bon et Charles V (Mémoires et documents publiés par la société de l'École des chartes 28, 1982); Françoise AUTRAND, Charles V le Sage (1994); Bernd CARQUÉ, Stil und Erinnerung. Französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung (VMPIG 192, 2004). AUTRAND, Charles V (wie vorige Anm.) S. 627-629; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 3) S. 209 f.

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chie und das englische Parlament wollen die Chancen europäischen Vergleichens7 andeuten. Das Thema ,Inszenierung des Reichs' könnte modernistisch anmuten. Das ist nicht der Fall. Vielmehr geht es um Wiederentdeckungen alter Selbstverständlichkeiten. Unsere normativen Texte widmeten dem zeremoniellen Miteinander, der Einfügung der Handelnden in einen politisch-sakralen Raum und der Aufführung des Reichs allergrößte Aufmerksamkeit. Die Forschung folgte solchen Vorlieben der Alten über lange Zeit nur unwillig. Vielmehr ging sie vom unvermittelten Nebeneinander der harten politischen Realität und ihrer eitlen Zurschaustellung aus und erlag dabei modernen Unterscheidungen von Factum und Fictum, von Sein und Schein, von Basis und Überbau. Die Macht der Wörter überstrahlte die Suggestion der Bilder und die Imagination der Zeichen. Unsere spätmittelalterlichen Texte fügten die Dinge dagegen noch viel deutlicher zusammen, begriffen Königswahl und Sitz- oder Prozessionsordnungen nicht als unterschiedliche Qualitäten von Politik, sondern als integrale Formen der Willensbildung und ihrer Präsentation. So goss man das Reich nicht nur in abstrakte Worte und Begriffe, sondern ließ es in Bildern und Vorstellungen erstehen. Man sah es, fühlte es, ahnte es: beim Sitzen, beim Laufen und beim Dienen.8 Dieser Kunst der Inszenierung als performativer Ritualisierung9 gilt in fünf Schritten unser Interesse.

I

Zweierlei Bühnen der Macht

Der Titel dieses Beitrags entstammt nicht erst dem ,performative turn' der Kulturwissenschaften im ausgehenden 20. Jahrhundert.10 Schon die mittelalterlichen Quellen bauten sich ihre Bühnen der Macht auf Brettern, die das Reich bedeuteten. Im Kapitel 29 regelte die Goldene Bulle die Entlohnung der Amtleute beim Lehns7 8

Vgl. dazu den Beitrag von Michael BORGOLTE in diesem Band. Zeremoniell und Raum, hg. von Werner PARAVICINI (Residenzenforschung 6 , 1 9 9 7 ) ; Christoph WULF, Der performative Körper: Sprache - Macht - Handlung, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, hg. von Hans BELTING / Dietmar KAMPER / Martin SCHULZ ( 2 0 0 2 ) S. 2 0 7 - 2 1 8 ; Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Susanne R A U / Gerd SCHWERHOFF (Norm und Struktur 2 1 , 2 0 0 4 ) .

9

10

Stanley J. TAMBIAH, Eine performative Theorie des Rituals, in: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, hg. von Uwe WLRTH (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 1 5 7 5 , 2 0 0 2 ) S. 2 1 0 - 2 4 2 . Geschichtswissenschaft und „Performative Turn". Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, hg. von Jürgen MARTSCHUKAT / Steffen PATZOLD (Norm und Struktur 1 9 , 2 0 0 3 ) ; Gerrit Jasper SCHENK, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich (RI Beih. 2 1 , 2 0 0 3 ) .

Inszenierungen und Rituale des spätmittelalterlichen Reichs | 263

empfang der Fürsten vom Kaiser oder römischen König: „Nachdem all das ausgeführt ist, was auf einem kaiserlichen oder königlichen Hoftag jeweils auszurichten ist, soll der Hofmeister {magister curie) das ganze Gerüst oder die Holzaufbauten des kaiserlichen oder königlichen Sitzes (totum edificium sive ligneus apparatus imperialis sive regie sessionis) für sich erhalten, wo der Kaiser oder römische König mit den Kurfürsten zur Durchführung feierlicher Hoftage oder zur Vergabe von Lehen an Fürsten, wie oben ausgeführt, gesessen hat." 11 Für ihr öffentliches Miteinander ließen sich Kaiser und Kurfürsten also aufwendige Bühnen zimmern. Seit 1348 sind Lehnsvergaben durch den König auf solchen Gerüsten bekannt. Die kostbaren Gewänder, die symbolischen Handlungen, das huldvolle Gewähren wie das demütige Knien - all diese personalen Bindekräfte der mittelalterlichen Gesellschaft sollten richtig gesehen werden. Der sitzende König mit offenen Händen und der kniende Vasall mit gefalteten Händen zeigten seit dem 13. Jahrhundert in immer ausgefeilteren Formen das Gefüge des Reichs vor aller Öffentlichkeit. 12 Beim Metzer Hoftag zu Weihnachten 1356, wo der zweite Teil der Goldenen Bulle verkündet wurde, errichtete man ein Podest für etwa 200 Personen. 13 Ein europäisches Forum bot dann das Konstanzer Konzil. Seine politische Öffentlichkeit gerann in den Miniaturen der Konzilschronik Ulrich Richentals. Zur feierlichen Belehnung des Hohenzollern Friedrich mit der Mark Brandenburg ließ König Sigmund 1417 auf dem Marktplatz ein hohes, überdachtes Podest für etwa 30 Personen zimmern. Es war mit goldenen Tüchern ausgeschlagen, sodass es für den Betrachter geradezu von Gold brannte {es brunn von gold).14 König und Kurfürsten schritten aus einem Fenster direkt zu ihren Plätzen, während der neue Kurfürst von Brandenburg für alle sichtbar erst mühsam die Treppe emporsteigen musste. Solche Differenzierungen erhielten sich im monarchischen Zeremoniell bis ins 20. Jahr11

MGH Const. 11 S. 628,11-15. Zur Positionierung dieser Bestimmung (von der Übersetzung WEINRICHS an den Schluss von Kap. 30 geordnet: Quellen zur Verfassungsgeschichte (wie Anm. 2) S. 393) vgl. Bernd-Ulrich HERGEMÖLLER, Der Abschluß der „Goldenen Bulle" zu Metz 1356/57, in: Studia Luxemburgensia. FS Heinz Stoob zum 70. Geburtstag, hg. von Friedrich Bemward FAHLBUSCH / Peter JOHANEK (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 3, 1989) S. 123-232, hier S. 221 f.

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Karl-Heinz SPIEß, Kommunikationsformen im Hochadel und am Königshof im Spätmittelalter, in: Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, hg. v o n G e r d ALTHOFF ( V u F 5 1 , 2 0 0 1 ) S . 2 6 1 - 2 9 0 , v o r a l l e m S . 2 7 7 - 2 9 0 .

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Julius BRUCKAUF, Fahnlehn und Fahnenbelehnung im alten deutschen Reiche (Leipziger historische Abh. 3, 1907) S. 62 (ohne mittelalterlichen Beleg). Ulrich von Richental, Chronik des Constanzer Concils 1414 bis 1418, hg. von Michael R i c h a r d BUCK ( 1 8 8 2 ) S . 1 0 4 .

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hundert. Die Aufführung von König und Kurfürsten auf Bühnen gehörte im 15. Jahrhundert längst zum festen Repertoire des Imperiums. Im Kreis seiner Kurfürsten kam dem Kaiser ein erhöhter Sessel zu: Vorrang in der Gleichrangigkeit, Spiegel eines Reichs mit Haupt und Gliedern, mit Dach und Säulen. Eine andere Bühne betrat der französische König bei seiner Krönung und Salbung im Reimser Weihezeremoniell. Auch hier wurde die Monarchie im Bund mit den Großen Frankreichs, den ,pairs de France' inszeniert, wenn auch in anderen, sakralen Bezügen. Das reich illuminierte Buch von der Krönung Karls V. im Jahr 1364 zeigt, wie zwölf Pairs gemeinsam die Krone stützten und damit ihren Konsens demonstrierten. 15 Dann geleiteten sie in wohlbedachter Reihenfolge den König über einige Stufen auf eine Bühne. 16 Die Krönungsordnung erläuterte die Zubereitung dieser Bühne, ihre Auskleidung mit Seide und die Aufstellung eines rundum sichtbaren Throns. Das symbolische Verständnis beschrieb Jean Golein, der Beichtvater der Königin, im ,Traité du sacre', vom König 1374 eigenhändig seiner Bibliothek einverleibt (heute Paris, BNF, ms. fr. 437): Die Zwölfzahl der Pairs ergebe sich aus biblischem Vorbild. Alle zwölf müssten mit dem König und anderen auf der Bühne, dem eschaufaut (Schafott), Platz finden. Die räumliche Erhöhung symbolisiere die Erhebung des Königs im Sacre, der von der Bühne die Großen wie die Kleinen gleichermaßen sehe und ihnen Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person gewähre. Die Bühne sei zum Himmel erhoben und von der Erde entfernt, auf dass der Herrscher und seine Pairs als Verkörperung des Reichs zwischen Gott und ihren Getreuen schwebten. Zudem zeige die Bühne, dass der König von Frankreich auf Erden niemanden über sich anerkenne. 17 Die Krönungsordnung verband die Präsentation auf erhöhter Bühne mit erneuter Thronsetzung, dem Kuss des Reimser Erzbischofs unter Akklamation des Vivat Rex in Eternum und dem wiederholten Handanlegen der Pairs an die Krone des Königs. 18 Auch die Erbmonarchie verschränkte also die Erhöhung des Herrschers und den Konsens der Getreuen. Den symbolischen Übergang der Herrschaftsinsignien sowie die körperliche Verbindung in Berührung wie Kuss erklärte erneut Jean Golein in seinem Traktat. Der Erzbischof setze dem König die Krone auf, damit alle Pairs, Prälaten wie Ritter (tous

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Carra Ferguson O'MEARA, Monarchy and Consent. The Coronation Book of Charles V of France. British Library MS Cotton Tiberius B. VIII (2001) Taf. 24 (fol. 59v). Ebd. Taf. 25 (fol. 63r). Benutzte Edition: Richard A. JACKSON, The Traité du sacre of Jean Golein, Proceedings of the American Philosophical Society 113 (1969) S. 305-324, Edition S. 308-324, hier S. 310 f. O'MEARA, M o n a r c h y ( w i e A n m . 15) Taf. 2 6 ( f o l . 64r).

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Abbildung 1 König Karl V. und die Akklamatoren im Aufzug zur Tribüne in der Kathedrale von Reims. London, BL, MS Cotton Tiberius B. VIII, fol. 63r (,Livre du sacre', 1365)

Abbildung 2 König Karl V. und die Akklamatoren auf der Tribüne in der Kathedrale von Reims. London, BL, M S Cotton Tiberius B. VIII, fol. 64r (,Livre du sacre', 1365)

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les pers tant prelaz comme Chevaliers), ihre Hände an die Insignie anlegten und damit ihre Dienste öffentlich vollführten. Der König säße dabei auf einem allgemein sichtbaren erhöhten Stuhl (chaere haute). Karl V. fugte der Handschrift selbst hinzu: „und ist dort inthronisiert" (et la est entronise). Hier spendeten der Erzbischof sowie die anderen geistlichen und weltlichen Pairs den Kuss, um damit Lehnsabhängigkeit (hommage) und Verbundenheit (union paisible et amiable) auszudrücken.19 Jean Golein beschrieb im französischen Krönungszeremoniell eine Sitzordnung der weltlichen und geistlichen Pairs um den König, die sich signifikant vom Modell der Goldenen Bulle von 1356 unterschied. Auch in Frankreich saßen die Pairs beim Weihezeremoniell in einer festen Ordnung (en leurs ordres) um den König, bis die Königin gesalbt war: die Laien zur Rechten, die Prälaten zur Linken. Im Vergleich von Imperium und Regnum waren bei geistlichen wie weltlichen Großen rechts und links in charakteristischer Weise vertauscht. Den ersten Platz der Prälaten zur Linken nahm der Erzbischof von Reims ein, danach der Bischof von Laon.20 Leider verzichtete Jean Golein in seinem Traktat auf die Platzierung der weiteren Pairs. Bühnen auf kaiserlichen Hoftagen oder bei französischen Königsweihen fügten Herrscher und Fürsten also in öffentlicher Schau zusammen. Hier wurde nicht bloß abgebildet, was abstrakt in den Köpfen vorhanden war. Vielmehr entstand das Reich in seiner Inszenierung wie in den Imaginationen seiner Betrachter. Die kulturwissenschaftliche Forschung unterstrich das in neuerer Zeit zwar immer wieder, versäumte aber weitgehend den Brückenschlag zur Repräsentationstheorie des Spätmittelalters. Thomas von Aquin lehrte, dass die Darstellung der Ordnung das Gemeinwesen abbilde: Politeuma civitatis, id est positio ordinis in civitate, tota consistit in eo, qui dominatur civitati; et talis impositio ordinis est ipsa politia. Die Korporationslehre setzte im 14. Jahrhundert den Willen von Repräsentanten mit dem Willen der Gemeinschaft in eins.22 Johannes von Segovia unterschied in seiner Reichstagsrede von 19 20 21

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JACKSON, Jean Golein (wie Anm. 17) S. 317. Ebd. S. 318. Thomas von Aquin, Sententia libri politicorum III 5, in: Sancti Thomae Aquinatis doctoris angelici Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII. P. M. edita 48 (1971) S. A 201. Vgl. Hasso HOFMANN, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (Schriften zur Verfassungsgeschichte 22, 4 2003). Zur multiperspektivischen Verwendung von Repräsentation vgl. nur die drei völlig unterschiedlichen Lexikonartikel von Adalbert PODLECH, Repräsentation, in: Geschichtliche Grundbegriffe 5 (1984) S. 509-547 (zum Mittelalter S. 509-514); I. REITER, Repräsentation, in: HRG 4 (1990) Sp. 904-911; Horst WENZEL, Repräsentation, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft 3 (2003) S. 268-271. Vgl. weiter: Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter, hg. von Albert ZIMMERMANN (Miscellanea Mediaevalia 8,

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1441 vier Formen der Repräsentation: Ähnlichkeit, Natur, Macht und Identität. Im vierten Typ, der Identitätsrepräsentation, bilde sich die Bürgergemeinde im Rat ab.23 Wenn man der neueren kulturalistischen Repräsentationsforschung vorwerfen könnte, sie habe diese Debatte unter Theologen und Kanonisten nicht angemessen rezipiert, so wird man ebenso einräumen, dass traditionelle Arbeiten zum politischen Denken der Kraft von Imaginationen und Inszenierungen skeptisch gegenüberstanden. Aus der Integration beider Denkmuster könnten neue Deutungsansätze erwachsen. Auch die Macht der Vorstellungen ist keineswegs ein neues Thema. Um 1500 widmete Gianfrancesco Pico della Mirandola dem römischen König Maximilian I., einem Meister der Herrschaftsinszenierung, den Traktat De imaginatione. Der humanistische Autor beschrieb die Vorstellung (imaginatio) „an der Grenze zwischen Intellekt und Sinneswahrnehmung; ihr Platz ist genau zwischen diesen beiden: Sie folgt auf die Sinneswahrnehmung, aus deren Aktualität sie entspringt, und geht der Tätigkeit des Intellekts voraus. Mit der Sinneswahrnehmung stimmt sie insofern überein, als sie - genau wie diese auch - Einzelnes, Körperliches und Gegenwärtiges aufnimmt; sie geht aber über die Sinneswahrnehmung hinaus, insofern sie ohne äußeren Anlaß Bilder produziert, die nicht nur Gegenwärtiges, sondern auch Vergangenes und Zukünftiges, ja sogar etwas, das von der Natur nicht geschaffen werden kann, zum Inhalt haben. Weiterhin stimmt sie mit der Sinneswahrnehmung überein, daß ihre Objekte sinnliche Abbilder sind. Insofern sie aber das von der Sinneswahrnehmung hinterlassene Material an Eindrücken noch nach dem Aufhören des Wahr1971); Roger CHARTIER, Le monde comme représentation, Annales 44 (1989) S. 15051520; Jürgen HABERMAS, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 891, 1990); Carlo GINZBURG, Repräsentation - das Wort, die Vorstellung, der Gegenstand, Freibeuter 53 (1992) S. 2 - 2 3 ; Die Repräsentation der Gruppen. Texte - Bilder - Objekte, hg. von Otto Gerhard OEXLE / Andrea von HÜLSEN-ESCH (VMPIG 141, 1998); Quel Corps? (wie Anm. 8). 23

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RTA 15 S. 6 4 8 - 7 5 9 Nr. 349, hier S. 681: Ceterum cum representado sit quadruplex (similitudinis, quomodo in nummo aut in pariete imago regís impresso eum representat, nature item, qua filius representat patrem, potestatis quoque, sicut procurator dominum constituentem eum, idemptitatis eciam, ut consulatus representat civitatem eodem utens nomine et potes täte). Eine ausführlichere Fassung seines Repräsentationskonzepts legte Johannes von Segovia, Liber de magna auctoritate episcoporum in concilio generali, hg. von Rolf DE KEGEL (Spicilegium Friburgense 34, 1995), hier Buch 1, bes. S. 141 ff., vor; vgl. Wolfgang MAGER, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16./17. Jahrhunderts. Politische Theologie - Res Publica-Verständnis - konsensgestützte Herrschaft, hg. von Luise SCHORN-SCHÜTTE (HZ Beih. 39, 2004) S. 13-122.

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nehmungsprozesses nach Belieben verknüpft und trennt, ist sie der Sinneswahrnehmung überlegen; denn das könnte die Sinneswahrnehmung niemals leisten."24 Die Inszenierung des Reichs sollte man in der Kombination dieser später geschiedenen Perspektivierungen studieren. Dabei sind die spätmittelalterliche Stellvertretungs- oder Identitätsrepräsentation der Kanonisten und die Bilder- und Imaginationslehre der Humanisten miteinander zu verknüpfen.

II

Der rechte und der linke Sitz des Fürsten

Programmatisch griff die Goldene Bulle das Wissen von der Herrschaftsordnung auf und unterstrich die heilsgeschichtliche Sonderstellung des Heiligen Römischen Reichs. Karl IV. definierte in dreifacher Weise die Ziele der Ordnungsstiftung, nämlich die „Förderung der Einigkeit unter den Kurfürsten", die „Herbeiführung einer einstimmigen Wahl" und die „Behebung der vorgenannten abscheulichen Spaltung".25 Grundlage dieser konsensualen Herrschaft war die Überzeugung, dass die Kurfürsten nicht nur Säulen des Reichs, sondern Teil des kaiserlichen Körpers seien.26 Zur Konfliktvermeidung fixierte die Goldene Bulle Regeln: für die Sitzordnung der Kurfürsten, für die Reihenfolge ihrer Stimmabgabe, für den Vorrang der Kurfürsten vor allen anderen, für die Prozessionsordnung der Erzbischöfe wie aller Kurfürsten, für das Erscheinen der Kurfürsten auf feierlichen Hoftagen, für ihre Dienste und Hofämter und für die Ordnung der kaiserlichen Tafel. In der personalen Gesellschaft des Spätmittelalters bedeutete die Zurücksetzung einer Person im Raum einen unerträglichen Ehrverlust. Die historische Forschung tat sich lange schwer, die Pergament verschwendenden Passagen zur Sitzordnung der Kurfürsten und zu Prozessionsordnungen des Reichs angemessen zu würdigen. Symptomatisch ist ein 1968 formuliertes Urteil: „Ausdrücklich zur Vermeidung künftiger

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Gianfrancesco Pico della Mirandola, Über die Vorstellung. De imaginatione, hg. von Eckhard KESSLER (Humanistische Bibl. II 13, 3 1997) S. 98 f. (Kap. 3). MGH Const. 11 S. 564,4 f. Zur Eröffnung der Goldenen Bulle Bemd-Ulrich HERGEMÖLLER, Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7, 1999) S. 126-220; vgl. ferner Hans HATTENHAUER, Bibel und Recht in der Goldenen Bulle von 1356, in: FS Louis Carlen zum 60. Geburtstag, hg. von Louis C. MORSAK / Markus ESCHER (1989) S. 6 2 7 637. MGH Const. 11 S. 616,14 f.: „Denn sie sind Teil unseres Körpers" (nam et ipsi pars corporis nostri sunt). Der Text folgt hier dem Codex Iustinianus IX 8,5. Zum crimen laesae maiestatis vgl. Ernst SCHUBERT, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (VMPIG 63, 1979) S. 139-146.

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Streitigkeiten (III, XXI) werden Sitz-, Stimm- und Prozessionsordnung sowie Verteilung der Erzämter unter den Kurfürsten im Kaiserlichen Rechtsbuch endgültig geregelt. Man mag dergleichen für lächerlich erachten; rein mittelalterlich sind diese Probleme indessen nicht; selbst in unserer Zeit wird die Aufstellung führender Persönlichkeiten bei bestimmten öffentlichen Feiern auch von ernsthaften Leuten gelegentlich politisch gedeutet."27 Die ernsthaften Leute vermehren sich derzeit. Sie betrachten die Positionierung des Individuums im Raumgefuge als Zeichen seiner Bedeutung. Darum sollen die Regelungen der Goldenen Bulle zum Sitzen, zum Laufen und zum Dienen als Konfigurationen des Reichs im Handlungsverband seiner Träger vorgestellt werden. Weltliche Fürsten akzeptierten im Mittelalter nur den Vorrang der Geistlichkeit als Mittler zum Heil. Darum traten die drei Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier unstrittig vor die vier weltlichen Königswähler. Doch innerhalb der beiden Gruppen wurden über die Jahrhunderte heftige Rangkonflikte ausgetragen, die sich aus historisch begründeten Ansprüchen und mittelalterlichen Ehrkonzepten speisten.28 Die Festlegung der Sitzordnung (sessio) der drei Erzbischöfe in Kapitel 3 zielte darum auf den einmütigen Willen der Königswähler, denn dieser förderte den Schmuck und Ruhm des hochheiligen römischen Reichs (decor et gloria sacrosancti Romani imperii), die kaiserliche Ehre (honor cesareus) und den willkommenen Vorteil des Gemeinwesens {reipublice grata compendia). Je mehr die Kurfürsten „durch die weitherzige Güte gegenseitiger Gewohnheit verbunden sind, desto reicher ergießt sich der Segen des Friedens und der Ruhe heilbringend über das christliche Volk".29 Frieden und Ruhe (pax et tranquillitas) unter den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier, bisher durch Hader und Argwohn über Vorrang und Würde ihrer Sitz-

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Die güldin bulle und künigclich reformación, Straßburg 1485. Der erste illustrierte Druck des Kaiserlichen Rechtbuches Karls IV. aus dem Jahre 1356. Faksimiledruck mit einer Einl. von Armin WOLF, 2 Bde. (Mittelalterliche Gesetzbücher Europäischer Länder in Faksimiledrucken 1, 1968), hier Kommentarbd. S. 15 f. Wiederholung in Armin WOLF, Das „Kaiserliche Rechtbuch" Karls IV. (sogenannte Goldene Bulle), Ius commune 2 (1969) S. 1-32, hier S. 14. Zu Ehrkonzepten: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. von Klaus SCHREINER / Gerd SCHWERHOFF (Norm und Struktur 5, 1995); Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, hg. von Sibylle BACKMANN / H a n s - J ö r g KÜNAST / B e v e r l y A n n TLUSTY / S a b i n e ULLMANN ( C o l l o q u i a

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Augustana 8, 1998); Matthias LENTZ, Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (ca. 1350 bis 1600). Mit einem illustrierten Katalog der Überlieferung (Veröff. der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 217, 2004). MGH Const. 11 S. 578,25-30.

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Erzbischof

Kaiser

von Mainz/Köln

Erzbischof von Köln/Mainz

Erzbischof v o n Trier Abbildung 3 Die Sitzordnung der Goldenen Bulle

Ordnung (prioritas seu dignitas sessionum suarutri) bedroht, wurden nun für die Zukunft gesichert. Ziel war der ruhige Zustand des Herzens und der Sinne, das Nachdenken „über die Belange des heiligen Reichs in einträchtiger Liebe und im Eifer kraftvoller Zuneigung", also Konfliktbeilegung durch rationalisierte Übereinkunft. 30

Am begehrtesten war der rechte Platz neben dem Kaiser. Um ihn war es seit 1273 zu heftigen Kämpfen zwischen dem Mainzer und dem Kölner Erzbischof gekommen. Beim Krönungsmahl König Rudolfs 1273 in Aachen musste der Mainzer dem Kölner den Vorrang einräumen.31 Doch beim neuerlichen Ringen auf dem ersten Hofitag Albrechts I. 1298 in Nürnberg setzte sich der Mainzer durch, was seinen Rivalen zum Verlassen der Versammlung nötigte. Allmählich zeichnete sich der Ehrenvorrang des Metropoliten in seiner eigenen Kirchenprovinz ab. Das schrieb man in die Goldene Bulle: Im deutschen Reich gehörte der rechte Platz im Prinzip dem Erzbischof von Mainz. Nur in der Erzdiözese Köln sowie in Italien und Gallien fiel er dem Kölner Erzbischof zu, da ihm eine Minderung in seinem Sprengel nicht zumutbar war. Dem Erzbischof von Trier mach30

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Reinhard ELZE, Rechts und Links. Bemerkungen zu einem banalen Problem, in: Das Andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, hg. von Martin KINTZINGER / Wolfgang STÜRNER / Johannes ZAHLTEN (1991) S. 75-82; Hans-Werner GOETZ, Der „rechte" Sitz. Die Symbolik von Rang und Herrschaft im Hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Symbole des Alltags Alltag der Symbole. FS Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, hg. von Gertrud BLASCHITZ / Helmut HUNDSBICHLER / Gerhard JARITZ / Elisabeth VAVRA (1992) S. 11-47. MGH Const. 3 S. 15 f. Nr. 12 f.; Sächsische Weltchronik, hg. von Ludwig WEILAND (MGH DC 2, 1877) S. 286 (Sächsische Fortsetzung). Ottokars Österreichische Reimchronik, hg. von Joseph SEEMÜLLER, 2 Bde. (MGH DC 5, 1890-1893) S. 969 V. 73401 ff.

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te man den Vorzug seiner Amtskollegen erträglich, indem er grundsätzlich dem Kaiser gegenüber saß. Das galt für die lebenden Erzbischöfe wie ihre Nachfolger bei „allen öffentlichen kaiserlichen Handlungen, also Gerichtssitzungen, Lehnsverleihungen und Festmählern und auch bei Beratungen wie allen anderen Handlungen".33 Dieses Grundkonzept regelte auch die kaiserliche Tischordnung für feierliche Hoftage (Kap. 28). Sie berücksichtigte sogar, wenn auch abgestuft, die Kaiserin, die in einem Wahlreich unwichtiger als jede europäische Königin in den Erbmonarchien war. Der Kaiser oder römische König und seine Gemahlin speisten jeweils für sich an zwei Tischen, die deutlich über den Tischen der Kurfürsten erhaben im Raum positioniert wurden. Die kaiserliche mensa erhob sich mindestens sechs Fuß, die seiner Gemahlin seitwärts wenigstens drei Fuß über den Tischen der Kurfürsten. Die Hofdienste aller Kurfürsten mussten von allen stehend abgewartet werden. Erst danach setzte man sich im gleichen Moment zu Tisch. Die sitzende Gegenwart beim Dienst eines anderen Kurfürsten hätte unerträgliche Überlegenheit geschaffen.34 Erzählende Quellen geben uns wichtige Hinweise für die rituelle Umsetzung solch normativer Bestimmungen. Bei der Publikation der Goldenen Bulle zu Weihnachten 1356 in Metz überführten Kaiser, Kurfürsten und Fürsten das Verabredete in zeremonielle Praxis. Chronisten beschrieben die fortgesetzte prachtvolle Repräsentation von Kaiser und Reich in seiner heilsgeschichtlichen Verankerung. Zur Weihnachtsmesse las Kaiser Karl IV. das Lukasevangelium (Kap. 2) vom Gebot des Kaisers Augustus, dass alle Welt geschätzt würde. Damit betonte er seit 1347 in wiederholten Ritualakten den zeitlichen Vorrang des Kaisertums vor der Entstehung der christlichen Kirche.35

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MGH Const. 11 S. 580,10-12. Vgl. Johannes KUNISCH, Formen symbolischen Handelns in der Goldenen Bulle von 1356, in: Vormoderne politische Verfahren, hg. von Barbara STOLLBERG-RILINGER (ZHF Beih. 25, 2001) S. 263-280; außerdem: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Irmgard BITSCH / Trude EHLERT / Xenja von ERTZDORFF (1987); Uta LÖWENSTEIN, Vor-

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aussetzungen und Grundlagen von Tafelzeremoniell und Zeremonientafel, in: Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jörg Jochen BERNS / Thomas RAHN (Frühe Neuzeit 25, 1995) S. 266-279; Die öffentliche Tafel. Tafelzeremoniell in Europa 1300-1900, hg. von Hans OTTOMEYER / Michaela VÖLKEL (2002). Zur Wirkung der Goldenen Bulle auf frühneuzeitliche Krönungen Bernd Herbert WANGER, Kaiserwahl und Krönung im Frankfurt des 17. Jahrhunderts. Darstellung anhand der zeitgenössischen Bild- und Schriftquellen unter besonderer Berücksichtigung der Erhebung des Jahres 1612 (Studien zur Frankfurter Geschichte 34, 1994) S. 125-130. Vgl. z. B. den Bericht vom Weihnachtsgottesdienst 1355 in Nürnberg mit der Evangelienlesung Karls IV. bei Heinrich von Diessenhofen: Et ipse imperator astantibus principibus

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Es schlössen sich die erste Messe eines Kardinallegaten und das vom Kölner Erzbischof zelebrierte feierliche Hochamt an. Dann geleiteten alle Erzbischöfe, Bischöfe, Prälaten und weltlichen Fürsten den Kaiser und die Kaiserin im vollen imperialen Ornat feierlich zum Speisehaus, mitten in der Stadt auf einem Platz bereitet und wunderschön geschmückt, wo Tafeln für die Eingeladenen aufgestellt waren. Hier führten die Hofamtsträger des Reichs vor dem erhöht speisenden Kaiser ihre Dienste auf, die Erzbischöfe mit den Siegeln, dann der Herzog von Sachsen als Erzmarschall, der Markgraf von Brandenburg als Erzkämmerer, der Pfalzgraf bei Rhein als Erztruchsess und schließlich Herzog Wenzel von Luxemburg und Brabant, der Bruder des Kaisers, als Stellvertreter des Königs von Böhmen als Erzschenk. Keiner konnte sich an ein solch prächtiges convivium erinnern.36 Am Schluss gab der Kaiser den verschiedenen Fürsten freigebig verschiedene wunderbare Geschenke, und ein jeder kehrte fröhlich nach Hause zurück: „Denn dieser Hoftag war feierlicher, als von ir37

gendeinem Kaiser in langen vergangenen Zeiten geschrieben ist." Mit 32 Fürsten hielt der Kaiser Hof, 38„und dort nahmen viele ihre Lehen vom Kaiser und dienten nach ihrer Ordnung."

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et imperatrice coronata legit in matutino septimam lectionem gladio evaginato ut est moris; Heinricus de Diessenhofen und andere Geschichtsquellen Deutschlands im späteren Mittelalter, hg. aus dem Nachlasse Johann Friedrich BÖHMERS von Alfons HUBER (Fontes rerum Germanicarum 4, 1868) S. 16-126, hier S. 101 f. Zur Sache Hermann HEIMPEL, Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, in: Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. FS Friedrich Kempf, hg. von Hubert MORDEK (1983) S. 447-459; Hermann HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, DA 39 (1983) S. 131-206; Martin KINTZINGER, Der weiße Reiter. Formen internationaler Politik im Spätmittelalter, FMASt 37 (2003) S. 315-353. Chronicon Benessii de Weitmil (Kronika Benese z Weitmile), hg. von Josef EMLER (FRB 4, 1884; ND 2004) S. 457-548, hier S. 526. Ein weiterer ausfuhrlicher Bericht mit Nennung der hochadeligen Teilnehmer: Die Metzer Chronik des Jaique Dex (Jacques d'Esch) über die Kaiser und Könige aus dem Luxemburger Hause, hg. von Georg WOLFRAM (Quellen zur lothringischen Geschichte 4, 1906) S. 303-307 (Kap. 37). Die Chronik des Mathias von Neuenburg, hg. von Adolf HOFMEISTER (MGH SS rer. Germ. NS 4, 1924-1940) S. 486. Heinricus de Diessenhofen (wie Anm. 35) S. 107. Weitere Zeugnisse zum Metzer Hoftag 1356/57 in RI 8 Nr. 2555a; Gabriele ANNAS, Hoftag - Gemeiner Tag - Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471) 2: Verzeichnis deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 68, 2004) S. 55-66.

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Der Metzer Hoftag brachte also nicht nur normative Bestimmungen zur Festkultur mittelalterlicher Hoftage hervor. Durch ihren Glanz und durch die wirkungsvolle Inszenierung des kaiserlichen Treffens mit dem Kardinallegaten wie dem französischen Thronfolger Karl (V.) zählte die Versammlung zu den Höhepunkten der imperialen Repräsentationskultur Karls IV. 39 In der normativen Speisegemeinschaft der Goldenen Bulle (Kap. 28) formten sich Hierarchie und Gleichrangigkeit miteinander aus. 350 Jahre früher hatte Bischof Thietmar von Merseburg noch mit erkennbarer Verwunderung von Erneuerungen römischer Sitten durch Kaiser Otto III. (983-1002) erzählt: „So pflegte er ganz allein an einem halbkreisförmigen, erhöhten Tische zu tafeln." In der Kriegergemeinschaft des frühen 11. Jahrhunderts löste das noch größtes Erstaunen aus, sodass „Verschiedene verschieden darüber dachten" (diversi diverse sentiebant)40 Die Bestimmungen der Goldenen Bulle erweisen, dass sich die Einsamkeit des Herrscherpaars im Tischzeremoniell mittlerweile durchgesetzt hatte. Die dichtere Quellenüberlieferung belegt für das Spätmittelalter mit seiner zunehmenden Internationalisierung 41 europäischer Zusammenkünfte sowohl heftige Friktionen um den vornehmeren Platz 42 als auch die zunehmende Bedeutung rechtzeitiger Aushandlung der Sitzordnung 43 zur Konfliktvermeidung.

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Peter MORAW, Über den Hof Kaiser Karls IV., in: Deutscher Königshof, Hoftag und R e i c h s t a g i m s p ä t e r e n Mittelalter, h g . v o n P e t e r MORAW ( V U F 4 8 , 2 0 0 2 ) S. 7 7 - 1 0 3 .

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Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, hg. von Robert HOLTZMANN (MGH

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Zu den spätmittelalterlichen Herrschertreffen vgl. Gerald SCHWEDLER, Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen, Rituale, Wirkungen (Mittelalter-Forschungen 21, 2008). Johannes HELMRATH, Rangstreite auf Generalkonzilien des 15. Jahrhunderts als Verfahren, in: Vormoderne politische Verfahren (wie Anm. 34) S. 139-173. Zum Verhältnis Kaiser Friedrichs III. und Herzog Karls des Kühnen von Burgund vgl. Petra EHM, Burgund und das Reich. Spätmittelalterliche Außenpolitik am Beispiel der Regierung Karls

S S rer. G e r m . N S 9 , 1 9 3 5 ) S. 1 8 4 , 3 1 - 3 3 ( K a p . I V 4 7 ) .

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d e s K ü h n e n ( 1 4 6 5 - 1 4 7 7 ) ( P H S 6 1 , 2 0 0 2 ) ; K l a u s OSCHEMA, F r e u n d s c h a f t u n d N ä h e i m

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spätmittelalterlichen Burgund. Studien zum Spannungsfeld von Emotion und Institution (Norm und Struktur 26, 2006); Heribert MÜLLER, Théâtre de la préséance. Les ducs de Bourgogne face aux grandes assemblées dans le Saint-Empire (Conférences annuelles de l'Institut historique allemand 13, 2007). Der Reichserbmarschall Wilhelm von Pappenheim ließ fur den Wormser Reichstag von 1495 eine detaillierte Sitzordnung anfertigen: RTA Mittlere Reihe 5 S. 1172 f. Nr. 1598.

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III Der Aufzug des Reichs Das fein gesponnene Einigungswerk unter den drei Erzbischöfen wurde auf die Aufzüge von König und Kurfürsten übertragen. Wieder ging es um die Definition von Ordnung (ordinem diffinire). Dem Sitzkonzept (Kap. 3, 28) entsprachen die Ordnungen der Prozessionen und feierlichen Aufzüge (Kap. 21-22). Wenn bei einer Versammlung von Kaiser und Erzbischöfen die Herrscherinsignien vor dem Antlitz des Kaisers oder Königs getragen wurden, dann sollte der Trierer „in gerader Linie unmittelbar vor dem Kaiser oder König gehen, und zwischen ihnen sollen allein diejenigen gehen, welche die kaiserlichen oder königlichen Herrschaftszeichen tragen." 44 Den rechten und den linken Platz auf dem Marsch nahmen nach der fixierten Ordnung ihrer Diözesen der Mainzer und der Kölner ein. Diesem Kernensemble konnte man schließlich noch die vier weltlichen Kurfürsten hinzufugen. Dafür schuf die Goldene Bulle eine neue Eindeutigkeit an der Spitze. Unmissverständlich präzisierten Kaiser und Kurfürsten den Vorrang des Böhmen vor dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg. Der erste Platz falle dem König von Böhmen zu, „da er ein gekrönter und gesalbter Fürst ist" (cum sit princeps coronatus et unctus).45 Damit entschied der Kaiser, der gleichzeitig Böhmenkönig war, einen mehr als hundert Jahre schwelenden Streit. 46 Im 13. Jahrhundert hatte der Sachsenspiegel den Böhmenkönig noch aus der Reihe der Königswähler eliminiert, weil er kein Deutscher sei. 47 Immerhin hob die Königskrone den Böhmen über die anderen Reichsfürsten hinaus. Auch wenn der böhmische König vom römischen König sein Reich empfing, warf das rituelle Miteinander zweier gekrönter Könige in mittelalterliche Über- und Unterordnung beträchtliche Rangprobleme auf. Die Sonderstellung des Böhmen als gekrönter und gesalbter König im Miteinander mit dem römischen König und Kaiser erfuhr unter Karl IV., der ja selbst die römische wie die böhmische Krone trug, be-

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MGH Const. 11 S. 612,1-5 (Kap. 21). Ebd. S. 580,25 f. (Kap. 4). Zur Stellung des böhmischen Königs in der Reichsordnung vgl. Alexander BEGERT, Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Studien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens (Historische Studien 475, 2003). Sachsenspiegel. Landrecht, hg. von Karl August ECKHARDT (MGH Fontes iuris NS 1/1, 1955) S. 243 (Kap. III 57 § 2): De scenke des rikes, de koning van Behemen, de ne hevet nenen kore, umme dat he nicht dudisch n 'is.

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reits am 7. April 1348 eine präzise Ausgestaltung.48 Er bestätigte damals eine Urkunde König Albrechts I. Am 17. November 1298 hatte der Habsburger verkündet, dass die böhmischen Könige auf einem Hoftag des gekrönten römischen Königs ihre eigene Krone tragen dürften. Doch ein Hofamt unter der Krone war ihnen nicht zuzumuten. Den Dienst als Mundschenk müssten sie darum nicht bekrönt verrichten (non tarnen in Corona regia debent predicti reges Boemie predictis regi vel imperatori ministrare in officio pincernatus). König Wenzel II. hatte auf dem Nürnberger Hoftag vom 16. November 1298 gleichwohl das Erzschenkenamt unter der Krone ausgeübt. Also verfugte König Albrecht, dass dies nicht aufgrund eines Rechtsanspruchs {de iure), sondern aus reiner Zuneigung Wenzels zur Person des römischen Königs geschehen sei (sed ex mera dileccione, quam ad nostram gerit personam), woraus kein Anspruch (preiudicium) an die künftigen böhmischen Könige erwachsen dürfe.49 In dieser Traditionslinie, fußend auf der karolinischen Bestätigung von 1348, fiel dem gekrönten Böhmenkönig in der Goldenen Bulle der Vorrang unter den weltlichen Reichsfursten zu. Damit beendete Karl IV. die bisherige Sonderstellung des Pfalzgrafen bei Rhein. Rudolf von Habsburg und die Fürsten hatten 1274 im Kampf gegen König Ottokar von Böhmen den Pfalzgrafen bei Rhein zum Richter zwischen dem König und einem Fürsten werden lassen. Wiederholt übten die rheinischen Pfalzgrafen bei den nächsten Königswahlen ihre besondere Gestaltungskraft aus.50 Das Erinnerungsbild von der Königswahl Heinrichs VII. (1308-1313), des Großvaters Karls IV., im Codex Balduineus (nach 1330) zeigte den Pfalzgrafen bei Rhein in der Mitte der sieben Königswähler.51

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Bestätigung Karls IV. von 1348 April 7: MGH Const. 8 S. 570 f. Nr. 562. Vgl. BEGERT, Böhmen (wie Anm. 46) S. 121-125, und den Beitrag von Lenka BOBKOVÄ in diesem Band. MGH Const. 4 S. 31 f. Nr. 35. Das Weistum König Rudolfs und der Reichsfursten MGH Const. 3 S. 59-61 Nr. 72. Zum Vorrang der rheinischen Pfalzgrafen im 13./14. Jahrhundert vgl. Peter MORAW, Die kurfürstliche Politik der Pfalzgrafschaft im Spätmittelalter, vornehmlich im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert, Jb. für westdeutsche LG 9 (1983) S. 75-97; Meinrad SCHAAB, Geschichte der Kurpfalz 1 (21999); Mittelalter. Der Griff nach der Krone. Die Pfalzgrafschafit bei Rhein im Mittelalter (Schätze aus unseren Schlössern. Eine Reihe der staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg 4, 2000); Volker RÖDEL, Die Geburt der Kurpfalz, Mitt. des Historischen Vereins der Pfalz 100 (2002) S. 217-238. Wolfgang SCHMID, Kaiser Heinrichs Romfahrt. Zur Inszenierung von Politik in einer Trierer Bilderhandschrift des 14. Jahrhunderts (Mittelrheinische Hefte 21, 2000) S. 135.

| Bernd Schneidmüller

Die Stellung der wittelsbachischen Dynastie wurde freilich durch das umstrittene König- und Kaisertum Ludwigs IV. (1314-1347) erschüttert. Gegen ihn setzte sich 1346/47 Karl IV. durch und spaltete alsbald die Einheit seiner einstigen wittelsbachischen Feinde. Nach den Bestimmungen des Hausvertrags von Pavia 1329 hätte die Wahlstimme des Pfalzgrafen bei Rhein zwischen den wittelsbachischen Linien in der Pfalz und in Bayern alternieren müssen. 52 Aber Karl IV. zog den rheinischen Pfalzgrafen Rudolf II. (1329-1353) auf seine Seite und heiratete dessen Tochter Anna. Mit Rudolfs Nachfolger Ruprecht I. (1353-1390) vereinbarte der neue Kaiser am 27. Dezember 1355, wenige Tage vor der Verkündung des ersten Teils der Goldenen Bulle, die alleinige Kurwürde der pfälzischen Linie. 53 Das ,Reichsrecht' des Kaisers brach im Selbstverständnis der pfälzischen Kurfürsten das ,Hausrecht' der Wittelsbacher. In der prekären Situation des Jahres 1356 konnte Pfalzgraf Ruprecht I. aber den zeremoniellen Vorrang unter den weltlichen Königswählern nicht mehr verteidigen. Diesen ersten Rang musste er seinem kaiserlichen Gönner überlassen, der in der Goldenen Bulle bleibend die Stellung der böhmischen Könige im zeremoniellen Gefüge des Reichs festschrieb. Damit war die Reihenfolge unter den weltlichen Kurfürsten entschieden. Die Goldene Bulle setzte den ersten Platz des Böhmen wiederholt in Szene: Bei gemeinsamer Anwesenheit geistlicher und weltlicher Kurfürsten auf dem Hoftag (Kap. 4) durfte der Böhme gleich neben dem Erzbischof zur Rechten des Königs sitzen, vor dem rheinischen Pfalzgrafen. Zur Linken schlössen sich nach dem Erzbischof der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg an. Dem nicht eigens genannten (gegenübersitzenden) Trierer Erzbischof wuchs zum Ausgleich das Recht der ersten Stimmabgabe bei der Königswahl zu. Dort folgten ihm der Erzbischof von Köln, „dem Würde und Amt zukommen, dem römischen König die erste Königskrone aufzusetzen", der König von Böhmen, „der unter den Laienwählern auf Grund der Hoheit seiner Königswürde mit Recht den ersten Rang (primaria) einnimmt", der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und schließlich der Erzbischof von Mainz als Verhandlungsfuhrer mit der bei strittiger Abstimmung unter Umständen entscheidenden siebten Stimme. 54

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Wittelsbacher Hausverträge des späten Mittelalters. Die haus- und staatsrechtlichen Urkunden der Wittelsbacher von 1310, 1329, 1392/93, 1410 und 1472, bearb. von Rudolf HEINRICH U. a., hg. von Hans RALL (Schriftenreihe zur Bayerischen LG 71, 1987) S. 6 4 174, hierS. 93. MGH Const. 11 S. 363 Nr. 649. Vgl. dort auch die Urkunden von 1354 und 1355, Nr. 178 f., 184,370. Vgl. Ulrich STUTZ, Die Abstimmungsordnung der Goldenen Bulle, ZRGGermAbt 43 (1922) S. 217-266.

Inszenierungen u n d Rituale des spätmittelalterlichen Reichs | 277

Erzbischof von Mainz/Köln

König von Böhmen

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Erzbischof von Trier

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Zeitnahe Wahrnehmung und internationale Ausstrahlung | 955

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