Über den Parteien. Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918-1933 9783666557026, 3525557027, 9783525557020


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German Pages [296] Year 1977

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Über den Parteien. Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918-1933
 9783666557026, 3525557027, 9783525557020

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A R B E I T E N ZUR KIRCHLICHEN Z E I T G E S C H I C H T E R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N · B A N D 2

ARBEITEN ZUR KIRCHLICHEN ZEITGESCHICHTE Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte von Georg Kretschmar und Klaus Scholder

R E I H E B: D A R S T E L L U N G E N Band 2 Jonathan R. C. Wright „Über den Parteien" Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918—1933

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1977

„Über den Parteien" Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer

1918-1933 von

Jonathan R. C. Wright

G Ö T T I N G E N · VANDENHOECK & RUPRECHT · 1977

Deutsche Fassung: Hannelore Braun und Birger Maiwald Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Hannelore Braun und Carsten Nicolaisen

Bereits erschienen Jörg Thierfelder · Das Kirchliche Einigungswerk des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm (Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe В: Darstellungen, Band 1)

CIP-Kurztiielaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Wright , Jonathan R. C. „Über den Parteien" : d. polit. Haltung d. evang. Kirchenführer 1918—1933. — 1. Aufl. — G ö t t i n g e n : Vandenhoeck & Ruprecht, 1977. (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte : Reihe B, Darst.; Bd. 2) ISBN 3-525-55702-7

© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1977. — Printed in Germany. — Alle Rechte des Nachdrucks, der Vervielfältigung und der Übersetzung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus auf photomechanichem (Fotokopie, Mikrokopie) oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. — Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

VII

Abkürzungen

XII

Einleitung

1

Kapitel 1 Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

11

1. Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der altpreußisdien Union 2. Die evangelischen Landeskirchen außerhalb der altpreußischen Union 3. Die Errichtung des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes . . .

12 36 38

Kapitel 2 Der preußische Kirchenvertrag

43

Kapitel 3 Das Verhältnis der evangelischen Kirche zur Weimarer Republik

66

1. Antirepublikanische Wurzeln 2. Die Annäherung an die Republik

67 83

Kapitel 4 Die Stellung der Kirchenführer zu außenpolitischen Fragen . . 103 Kapitel 5 Die Kirchenführer und die nationale Opposition 1. Der Königsberger Kirchentag von 1927 2. Der Tannenbergbund und die Vaterländischen Verbände . . . . 3. Die NSDAP 4. Die Deutschen Christen

121 122 123 125 146

VI

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 6 Die Republik in der Krise

165

Kapitel 7 Die „Nationale Revolution"

183

1. Der neue Staat 2. Die kirchliche Revolution 3. Die Opposition gegen Bodelschwingh im Kreise der Kirchenführer . 4. Bodelschwingh, Reichsbischof der dreißig Tage

186 197 215 220

Kapitel 8 Die Einsetzung des Staatskommissars

231

Zusammenfassung

235

Quellen- und Literaturverzeichnis

239

Index

259

VORWORT Die Forschung hat sich mit der Geschichte der evangelischen Kirche in der Zeit der Weimarer Republik bislang nur verhältnismäßig wenig beschäftigt. Dieser Periode wurde — was durchaus naheliegt — zunächst nicht das gleiche Maß an Aufmerksamkeit geschenkt wie den weitaus dramatischeren Jahren des Kirchenkampfes von 1933 bis 1945. Dennoch ist es als ein wichtiger Forschungsgegenstand erkannt worden, den politischen Einfluß der Kirche in der Zeit der Weimarer Republik zu untersuchen. So liegen wegweisende Vorarbeiten über die politische Haltung der Kirche während des Ersten Weltkriegs und der Revolution von 1918 vor, ebenso über die soziale Stellung und die politischen Ansichten der evangelischen Geistlichen in der Weimarer Zeit, über die politische Ausrichtung der evangelischen Presse und Literatur und über das Verhalten der Kirche in der Krisensituation von 1933 1 . Alle diese Arbeiten basieren auf gedrucktem Quellenmaterial und schildern die evangelische Kirche als monarchistisch, nationalistisch, autoritär, überwiegend republikfeindlich und in ihrer Einstellung zum Nationalsozialismus schwankend bis offen zustimmend. Im übrigen nimmt auch die Literatur über die evangelische Theologie in diesen Jahren zu; sie steht teilweise unter politischen Fragestellungen 2 . Das vorliegende Buch will die politische Haltung der Kirchenführer, also der amtlichen Kirche, detailliert nach den Akten und den gedruckten Quellen darstellen 3 . Das aus diesem Material gewonnene Bild deckt sich in vieler Beziehung mit dem, was in den bislang veröffentlichten Einzelstudien schon herausgearbeitet worden ist. Die evangelischen Kirchenführer waren konservativ und nationalistisch eingestellt. Und dennoch lassen sich aus den Dokumenten zwei bedeutsame Abweichungen von der bisherigen Forschungsmeinung belegen. Zum 1

G . MEHNERT, EV. Kirche; K . - W . DAHM, P f a r r e r ; H.CHRIST, P r o t e s t a n t i s m u s ;

G. VAN NORDEN, Kirche in der Kirche. 2

Z.B.

W . TILGNER, V o l k s n o m o s t h e o l o g i e ;

Т Н . STROHM, T h e o l o g i e ;

W . HUBER,

Theologie; R. BREIPOHL, Sozialismus. 3 Eine bemerkenswerte ältere Darstellung, die aus den Quellen erarbeitet ist, ist die Dissertation von E. VON RITTDERG, Kirchen vertrag; singulär als Quellenpublikation bislang G. SCHÄFER, Kirchenkampf Bd. 1. Zu der Arbeit von J. JACKE, Kirche zwischen Monarchie und Republik, die nach Drucklegung dieses Buches erschien, vgl. unten S. 24, Anm. 53 a.

VIII

Vorwort

einen waren die Kirchenführer trotz des vielgerühmten Bündnisses von Thron und Altar entschlossen, nach dem bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildeten Grundsatz zu handeln und dem Staat gegenüber die spezifischen Interessen der Kirche zu vertreten; zum andern gab es, teilweise als Folge dieser Konzeption, im altpreußischen Ev. Oberkirchenrat im Untersuchungszeitraum eine Strömung, deren Anhänger den sogenannten Vernunftrepublikanern zuzurechnen sind. Diese beiden Gesichtspunkte machen es schwieriger als bisher angenommen, die Haltung der Kirchenführer während der Weimarer Republik und in den Krisenmonaten des Jahres 1933 zu bewerten. Auf die Frage nach der Zusammensetzung und der Bedeutung der kirchenleitenden Organe sind besonders zwei prägende Züge hervorzuheben, die ihren Aufbau und Stellenwert bestimmten: das kollegiale System der Entscheidungsgremien und die unterschiedliche Herkunft der maßgeblichen Männer. Hier wiederum sind zwei Gruppen zu unterscheiden: auf deir einen Seite die kirchliche Bürokratie, zu der juristisch geschulte Verwaltungsbeamte wie auch höhere Geistliche gehörten, auf der anderen Seite die laizistischen und geistlichen Synodalen. Diese besondere Konstellation brachte es mit sich, daß die Kirchenführer nicht isoliert waren, sondern in einer für das Kirchenvolk repräsentativen Weise auftreten mußten; sie waren verpflichtet, die Meinungen der gewählten Synode zu registrieren und zu berücksichtigen, in denen sich wiederum die Auffassungen der aktiven Kirchenglieder widerspiegelten. Die nominelle Mitgliedschaft bei der evangelischen Kirche in Deutschland betrug 1925 fast 40 Millionen, was einem Bevölkerungsanteil von über 6 0 % entsprach; geht man von den Abendmahlsziffern aus, beteiligten sich etwa 11 Millionen, vorwiegend aus den Mittel- und Oberschichten, aktiv am kirchlichen Geschehen4. Die Position der Kirchenführer sollte deshalb durchaus als das Konzentrat evangelischer Stimmung im Lande ernstgenommen und in Betracht gezogen werden. Dabei gaben allerdings die Kirchenführer nicht nur die Meinung der Kirchengemeinden wieder. Sie hielten sich vielmehr auch zur Führung der Gesamtkirche berufen. Um ihren Uberzeugungen Gehör zu verschaffen, mußten sie auf die Synoden oder direkt auf die Gemeinden einwirken. Obwohl in diesem Bereich der tatsächliche Einfluß schwer abzuschätzen ist, bemüht sich die Studie, auch darüber etwas auszusagen. Das Buch geht aus von der Untersuchung zweier bedeutsamer Institutionen des damaligen deutschen Protestantismus. Es handelt sich dabei einmal um die Ev. Kirche dar altpreußischen Union, die die 4 KJ 54, 1927, S. 144—145, 223, mit Angaben zur Volkszählung von 1925 und zur Anzahl praktizierender Mitglieder der evangelischen Kirche.

Vorwort

IX

übrigen 27 Landeskirchen an Umfang und Bedeutung weit hinter sich ließ; ihren führenden Männern war es deshalb auch möglich, starken Einfluß auf die evangelischen Kirchenführer insgesamt auszuüben. Zum zweiten ist der föderativ gegliederte Deutsche Ev. Kirchenbund gemeint, in dem alle Landeskirchen vertreten waren. Wesentliche Meinungsverschiedenheiten wurden auf den Sitzungen seiner Exekutivorgane, dem Deutschen Ev. Kirchenausschuß und dem Kirchenbundesrat, ausgetragen. Aus den Akten der Ev. Kirche der altpreußischen Union und des Kirchenbundes zusammen läßt sich ein hinreichend plastisches Bild der Gesamtkirche gewinnen. Einzelheiten über regionale Abweichungen konnten darüber hinaus in den zugänglichen Archiven der Landeskirchen erarbeitet werden. In diese Untersuchung sind sie nur teilweise eingearbeitet, hauptsächlich bei der Darstellung des Konfliktes um die Einsetzung eines Reichsbischofs im Mai und Juni 1933, in dem die Haltung einiger kleinerer Landeskirchen entscheidende Bedeutung erlangte. Zu diesem Komplex wurden die Unterlagen aller maßgeblich beteiligten Landeskirchen durchgesehen. Die vorliegende Studie läßt sich in drei Abschnitte untergliedern. Die ersten beiden Kapitel beschreiben den Prozeß, in dem sich die Kirche aus ihrer engen Abhängigkeit vom Kaiserreich löste und ihre institutionelle Absicherung im republikanischen Machtgefüge erreichte. Trotz aller gefühlsmäßigen Vorbehalte gegen die Weimarer Republik waren die Kirchenführer bereit, sich mit ihr zu arrangieren, und tatsächlich läßt sich die Entwicklung ihrer politischen Vorstellungen nur auf dem Hintergrund der Verhandlungen verstehen, die die Kirche in eigener Sache mit den republikanischen Regierungen führte. Der zweite Teil des Buches zeichnet den Standort der Kirchenführer zu Fragen der Innen- und Außenpolitik nach sowie ihre Beziehung zu den Gegnern der Weimarer Republik, insbesondere zur NSDAP, und schließlich ihre Haltung in der kritischen Endphase der Republik. In den beiden letzten Kapiteln wird dann untersucht, wie sich die Kirche mit der Herausforderung durch den Nationalsozialismus im Jahre 1933 auseinandersetzte, an der sie schließlich zerbrach. Dieses Buch ist in überwiegendem Maße auf der Grundlage archivalischer Quellen erarbeitet worden. Als zentrale Bestände wurden die Akten des Deutschen Ev. Kirchenbundes herangezogen, die sich im Archiv der Ev. Kirche in Deutschland, jetzt in West-Berlin, befinden, sowie die Akten der Ev. Kirche der altpreußischen Union im Archiv der Ev. Kirche der Union 5 , ebenfalls in West-Berlin. Beide Archive sind im Kriege unzerstört geblieben und dokumentieren die kirchenpolitischen Vorgänge umfassend. Die Akten der anderen 5

Um die Zitierung der Signaturen dieses Archivs zu vereinfachen, sind in den Anmerkungen die Bandzahlen mit arabischen statt mit römischen Ziffern wieder-

χ

Vorwort

Landeskirchen und die Handakten Friedrich von Bodelschwinghs enthielten weiteres Material zur Reichsbischofsfrage. Weniger gut überliefert ist die Politik der republikanischen Regierungen gegenüber den Kirchen. Auf Reichsebene sind die einschlägigen Akten der Reichskanzlei im Bundesarchiv Koblenz von großem Nutzen; sie helfen zugleich, die Lücke zu füllen, die durch den Verlust der Akten des Reichsinnenministeriums entstanden ist. Darüber hinaus sind in ihnen wichtige Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche auf Länderebene belegt. Die Akten im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn ergänzen die Bestände im Archiv des Kirchlichen Außenamtes in Frankfurt/Main (jetzt im Archiv der E K D in West-Berlin), in denen sich die Auslandsbeziehungen des Kirchenbundes niedergeschlagen haben. Die für diese Arbeit wichtigsten staatlichen Archivalien sind jedoch die Akten der Geistlichen Abteilung des Preußischen Kultusministeriums (später aufgegangen in Hitlers Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten), die im Zentralen Staatsarchiv in Potsdam und Merseburg in der D D R verwahrt werden. Wertvoll waren daneben die Akten des Preußischen Staatsministeriums im Geheimen Staatsarchiv — Preußischer Kulturbesitz — in West-Berlin. Als Ergänzung der archivalischen Quellen dienten die Interviews, die mir freundlicherweise von zahlreichen an den damaligen Ereignissen beteiligten Persönlichkeiten gewährt wurden. Als weitere Quellen haben Zeitungen zu gelten. Die Zitate wurden aus Presseausschnittsammlungen entnommen, die sich vor allem in den kirchlichen Archiven befinden. Wo der genaue archivalische Fundort jeweils angegeben ist, wurden die Zeitungen nicht noch einmal in das Literaturverzeichnis aufgenommen. Das Quellen- und das Literaturverzeichnis enthält, wie es in dieser Reihe üblich ist, nur die Titel, aus denen zitiert wurde. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung der englischen Ausgabe, die 1974 bei Oxford University Press erschienen ist. Für die Möglichkeit, eine deutsche Übersetzung meines Buches zu veröffentlichen und es für die Aufnahme in ihre Reihe neu zu bearbeiten, bin ich der Ev. Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte sehr dankbar. Meine Schuld bei den Übersetzern und redaktionellen Betreuern, Frau Hannelore Braun, Herrn Birger Maiwald und Herrn Dr. Carsten Nicolaisen in München, werde ich wohl niemals abtragen können. Sie haben ihre unergegeben. Die korrekte Zitierung findet sich im Quellenverzeichnis auf S. 240—242. D a s gleiche gilt für die Signaturen des Zentralen Staatsarchivs Merseburg, wobei zu bemerken ist, daß die dortige Ardiivverwaltung bei hohen Bandzahlen selbst die arabische Bezifferung verwendet (vgl. S. 244).

Vorwort

XI

müdliche Ausdauer und ihre gute Laune auch angesichts einer Fülle von Texterweiterungen nicht verloren und großes sprachliches Geschick sowie ihre Fachkenntnisse als Historiker der Arbeit nutzbar gemacht. Kein Autor hätte sich mehr wünschen können. An dieser Stelle sei audi Frau Gertraud Grünzinger in München für die Zusammenstellung des Registers gedankt. Ich habe audi Schulden, die noch weiter zurückreichen und zu denen ich mich mit Freude bekenne. Als ich 1965/66 Material für meine Dissertation zu diesem Thema sammelte, wurde ich durch die Alexandervon-Humboldt-Stiftung, Bad Godesberg, außerordentlich großzügig unterstützt und von meinen beiden akademischen Betreuern, Prof. Dr. Richard Nürnberger, Göttingen, und Professor Dr. Friedrich Zipfel, West-Berlin, ungemein herzlich empfangen. Auch den Bibliothekaren und Archivaren all der im Quellenverzeichnis aufgeführten Institutionen möchte ich meine Dankbarkeit ausdrücken, vor allem Dr. Gerhard Fischer vom Archiv der Ev. Kirche der Union, der über all die Jahre geduldig und sachverständig viele Anfragen beantwortet hat. Den Herren D. Dr. Bernhard Karnatz + und Pfarrer i. R. Albrecht Kapler, West-Berlin, Dr. Helmut Baier, Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Dr. Albrecht Tyrell, Bonn, und Mr. Richard Bessel, St. Peter's College, Oxford, danke ich herzlich für ihre Hilfe bei der Aufklärung spezieller Probleme, Herrn Dr. Baier auch besonders dafür, daß ich in seine unveröffentlichte Arbeit „Um Reichsbisdiof und Verfassung 1933" Einsicht nehmen durfte. Die scharfsinnige und freundliche Kritik von Professor Dr. Konrad Repgen, Bonn, und Professor John S. Conway, Vancouver, hat mir sehr genützt. Verantwortlich für das, was ich geschrieben habe, bin natürlich ich allein. Schließlich möchte ich meinen Freunden in der „Krugsruh" in Schlüchtern danken, die mir dort seit meinen ersten Besuchen in Deutschland ein zweites Zuhause gegeben haben. Christ Church, Oxford, Oktober 1976

Jonathan Wright

ABKÜRZUNGEN AEKD AEKU AELKZ AGKZG AKA Anm. APU Art. Aufl. BA Bd. Beih. BVP D. DC DDP DEK ders. d.h. DNVP Dr. dsgl. Dt. DVFP DVP Ebd. EKD EOK Ev., ev. GStA HA Hg. KJ KGVB1 KPD LKA luth.

Archiv der Evangelischen Kirdie in Deutschland Archiv der Evangelischen Kirdie der Union Allgemeine Ev.-luth. Kirchenzeitung Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchliche Zeitgeschichte Archiv des Kirchlichen Außenamtes Anmerkung Altpreußische Union Artikel Auflage Bundesarchiv Band Beiheft Bayerische Volkspartei Dr. theol. (ehrenhalber) Deutsche Christen, deutsch-christlich Deutsche Demokratische Partei Deutsche Evangelische Kirdie derselbe das heißt Deutschnationale Volkspartei Doktor desgleichen Deutsdi(er) Deutschvölkische Freiheitspartei Deutsche Volkspartei ebenda Evangelische Kirche in Deutschland Evangelischer Oberkirchenrat evangelisch Geheimes Staatsarchiv Hauptarchiv Herausgeber Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt Kirchliches Jahrbuch Kommunistische Partei Deutschlands Landeskirchliches Archiv lutherisch

XIV MdL MdR NL Nr. NS NSDAP Pfr. PolA preuß. Prof. RMfdkA S. sog. SPD USPD V.

vgl. YMCA ZStA

Abkürzungen Mitglied des Landtages Mitglied des Reichstages Nadilaß Nummer Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Pfarrer Politisches Archiv preußisch Professor Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten Seite sogenannt Sozialdemokratische Partei Deutschlands Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands von vergleiche Young Men's Christian Association (Christlicher Verein Junger Männer) Zentrales Staatsarchiv

EINLEITUNG

Von den 28 evangelischen Landeskirchen in der Zeit der Weimarer Republik war die Evangelische Kirche der altpreußischen Union mit Abstand die bedeutendste; ihr gehörte nahezu die Hälfte aller evangelischen deutschen Staatsbürger an. Die Gründung dieser Landeskirche ging auf die Initiative König Friedrich Wilhelm III. von Preußen zurück, der 1817 anläßlich des 300. Jahrestages der Reformation die beiden getrennten protestantischen Kirchen seines Landes zur Vereinigung zu einer „evangelischchristlichen" Kirche aufrief, um auf diese Weise die neu hinzugekommenen zahlreichen Reformierten in den Provinzen Rheinland und Westfalen mit den Lutheranern des Landes in einer Kirche zusammenzufassen. Die Kabinettsordre des Königs vom 27. September 1817 stieß auf starken Widerstand sowohl bei den reformierten Gemeinden im Westen als auch bei den Lutheranern im östlichen Preußen, wo sich einige Gruppen abspalteten und eine altlutherische Freikirche begründeten. Der Versuch, die preußische Unionskirche zu einer Konsensusunion auszugestalten, wurde dann zwar aufgegeben, sie blieb aber eine Verwaltungsunion. Die lutherischen und reformierten Gemeinden in Preußen blieben ihren theologischen und kirchlichen Überlieferungen treu, sie wurden aber vom preußischen Staat einheitlich verwaltet. Das preußische Beispiel, dem schon die Unionsbildung in Nassau vorausgegangen war, wurde in anderen deutschen Territorien nachgeahmt, wie ζ. B. in Anhalt. In Baden und in der Pfalz kam es zur Bildung von Bekenntnisunionen, wie es die ursprüngliche Absicht Friedrich Wilhelm III. auch für Preußen gewesen war 1 . Als sich Preußen 1866 weitere norddeutsche Territorien einverleibt hatte, scheute Bismarck kirchenpolitische Auseinandersetzungen wie bei der Einführung der Union im Preußen von 1817, und so blieb der Bekenntnisstand der neuen Gebiete — Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen — unangetastet. Der Name der preußischen Unionskirche — bislang Evangelische Kirche in den preußischen Landen — wurde nun zur besseren Unterscheidung in Evangelische Landeskirche der älteren preußischen Provinzen geändert; 1922 kam dann mit der neuen 1

1

W. ELLIGER, Union, S. 23—65; K. KUPISCH, Landeskirchen, S. 53—54.

Wright, Parteien

2

Einleitung

Kirchenverfassung die Bezeichnung Evangelische Kirche der altpreußischen Union auf. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch wurde auch die Frage einer deutschen evangelischen Nationalkirche diskutiert; die anhaltenden starken konfessionellen und regionalen Bindungen der Landeskirchen verhinderten jedoch die praktische Verwirklichung dieses Gedankens. Erst im „Dritten Reich" kam es zu einem ernsthaften Versuch, eine einheitliche Reichskirche zu schaffen. Dennoch war es auch schon früher zu gewissen Fortschritten bei der Bildung einer Vertretung des deutschen Protestantismus zur Wahrung gemeinsamer kirchlicher Interessen gekommen. So hatten sich bereits 1848 Vertreter aus allen evangelischen Landeskirchen auf einem Kirchentag in Wittenberg getroifen und die Gründung eines Kirchenbundes erörtert. Diese Initiative versandete zwar, doch fanden mit Unterstützung König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen seit 1852 regelmäßige Zusammenkünfte von führenden Persönlichkeiten der Landeskirchen statt, die als Eisenacher Kirchenkonferenzen bekannt wurden. In die gleiche Zeit fiel die Gründung einer gesamtdeutschen evangelischen Kirchenzeitung, des „Allgemeinen Kirchenblattes für das evangelische Deutschland". Bis 1918 standen die Kirchenkonferenzen nur höheren Kirchenbeamten und Geistlichen offen, nicht aber automatisch allen Mitgliedern der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in den meisten Landeskirchen ins Leben gerufenen gewählten Synoden. Verantwortlich für diese Beschränkung waren einige opponierende lutherische Landeskirchen, die in der Kirchenkonferenz ein Instrument des preußischen Vormachtstrebens und des Unionsgedankens zu sehen glaubten. Trotzdem nahm die Kirchenkonferenz an Bedeutung zu. 1903 stellte sie den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß als ständiges geschäftsführendes Organ (15 Mitglieder) aus sich heraus, dessen ständiger Vorsitz 1908 dem höchsten Beamten der preußischen Kirche, dem Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin übertragen wurde. Damit war eine starke Verbindung zwischen der zentralen Vertretung aller Landeskirchen und der mächtigsten Landeskirche geschaffen, und die Doppelfunktion des Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats verlieh diesem, wenn er ein fähiger Mann war, eine große Autorität. Dennoch war der förderative Charakter der gesamtkirchlichen Vertretung wichtig: keine einzelne Landeskirche konnte zu konformem Verhalten gezwungen werden, wenn sie den Kurs der Mehrheit nicht teilen wollte 2 . Bis zum Jahre 1918 herrschten in ganz Deutschland die in christlichen Staaten üblichen Bedingungen 3 : Freiheit zur Abhaltung von 2

W. DELIUS, Altpreußische Kirdie; T . KARG, Kirchenkonferenz.

3

W . KAHL, Lehrsystem.

Einleitung

3

Gottesdiensten, Feiertagsschutz, staatliche Garantien für das kirchliche Eigentum, Erlaubnis zum Religionsunterricht an den Schulen, Zulassung staatlicher theologischer Fakultäten an den Universitäten, Anstellung von Geistlichen beim Heer, in Krankenhäusern und Gefängnissen und finanzieller Unterhalt der in diesen Bereichen von der Kirche beschäftigten Pfarrer und Dozenten durch den Staat. Trotz der theoretisch zugestandenen Glaubensfreiheit wurden Agnostiker in der Praxis bei der Vergabe öffentlicher Ämter diskriminiert. Die evangelischen Kirchen genossen wie die römisch-katholische Kirche den privilegierten Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Entsprechend seiner ungenauen Definition waren die damit verbundenen Rechte von Land zu Land verschieden; üblicherweise bedeutete er aber, daß die Landeskirchen sich einer Stellung erfreuten, die sie über private Vereine hinaushob und ihnen in mancher Beziehung die Rechte einer staatlichen Behörde verlieh 4 . Kirchenbeamte waren ihrem Status nach Staatsbeamte; die Kirchen hatten das Recht zur Steuererhebung bei ihren Mitgliedern und konnten sich dazu sogar der staatlichen Verwaltungen bedienen 5 . Indem der Staat den Landeskirchen seinen Schutz in dieser Form gewährte, gab er seiner Überzeugung von der nationalen Bedeutung der christlichen Kirchen Ausdruck. Um den Mißbrauch der Privilegien auszuschließen und die Wahrung nationaler Interessen sicherzustellen, hatten sich die Kirchen als Gegenleistung staatlicher Aufsicht zu unterwerfen. Auch diese vom Staat ausgeübten Hoheitsrechte unterschieden sich in den einzelnen Ländern voneinander. Sie umfaßten das Aufsichts- und Eingriffsrecht in Fragen kirchlicher Vermögens- und Besitzverwaltung, den Schutz der Kirchenglieder vor überhöhter kirchensteuerlicher Belastung, die Bestätigung wichtiger Ämterbesetzungen und die Uberprüfung der Vereinbarkeit kirchlicher Gesetze mit dem staatlichen Recht. In mancher Beziehung unterstanden die evangelischen Landeskirchen audi direkt dem Herrscherhaus; das sog. landesherrliche Kirchenregiment des Fürsten schloß das Recht zur Einberufung von Synoden, zur Billigung synodaler Gesetzgebung und zur Berufung und Ernennung führender Kirchenmänner ein 6 . Nach der Revolution von 1918 4 Als Friedrich Naumann 1919 im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung eine Definition des Begriffes Körperschaftsrecht erbat, wurde ihm geantwortet, ein Beamter des Justizministeriums habe eine Auskunft mit den Worten „Ich werde midi hüten" verweigert (VERHANDLUNGEN DER NATIONALVERSAMMLUNG Bd. 336, S. 198). 6

6

F. GIESE, Kirchensteuerredit.

Das traf in gleicher Weise für die evangelischen Landeskirchen in Ländern mit katholischen Landesherren wie etwa Sachsen zu, w o der König seine Befugnisse 1*

Einleitung

4

kam es zu Auseinandersetzungen darüber, ob diese fürstlichen Rechte dem Landesherrn in seiner Eigenschaft als Haupt der evangelischen Kirche d. h. als summus episcopus oder als Staatsoberhaupt zugestanden hatten. Aber schließlich wurde von Seiten des Staates anerkannt, daß es sich hierbei um von den staatlichen Hoheitsrechten völlig getrennte eigenständige kirchliche Rechte gehandelt hatte. Trotz dieser engen Bindungen an Thron und Staat taten die evangelischen Landeskirchen vor 1918 manchen erfolgreichen Schritt in Richtung auf ein System kirchlicher Selbstverwaltung. In Preußen vertraten Friedrich Wilhelm III. und auch Friedrich Wilhelm IV. die Auffassung, daß die evangelische Kirche als religiöse Institution eines eigenen Verwaltungskörpers bedürfe. Von 1815 an wurden innerkirchliche Angelegenheiten in den preußischen Provinzen deshalb an Konsistorien delegiert 7 ; jede Provinzialkirche verfügte über eine eigene solche Kirchenbehörde und beschäftigte dort staatliche Verwaltungsbeamte und Geistliche. 1829 wurde in Preußen das Amt der Generalsuperintendenten wiederbelebt und seinen Trägern die Verantwortung für das geistliche Leben in den Provinzen anvertraut. An der Spitze einer jeden Provinz stand, dem Status nach einem Bischof vergleichbar, ein Generalsuperintendent. Im Jahre 1848 errichtete man auf Anregung der Generalsuperintendenten ein zentrales, vom Kultusministerium getrenntes Oberkonsistorium, das allerdings weiterhin dem Kultusminister unterstand. Als die preußische Verfassung von 1850 die Selbstverwaltung kirchlicher Angelegenheiten festlegte, entstand in der Folge der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin als eine kirchliche Zentralbehörde, die zumindest theoretisch nicht mehr dem Kultusminister unterstellt, sondern nur noch der Krone direkt verantwortlich war. Es blieb zunächst fraglich, ob mit der Schaffung dieser Behörde die Umorganisation der Kirche ihren Abschluß gefunden hatte oder ob gerade durch ihre Existenz der Auftakt zu weiteren Veränderungen gegeben war. Tatsächlich aber kam es zu einem Stillstand in der Entwicklung. Erst zwischen 1874 und 1876 wurden unter Kultusminister Falk Synoden, die es in der Rheinprovinz und in Westfalen bereits gab, in allen Provinzen gebildet, und als Gesamtkirchenvertretung entstand die Generalsynode 8 . Ihr stand das Recht zu, allen Kirchengesetzen ihre Zustimmung zu geben und von sich aus Gesetzesinitiativen zu unterbreiten. Solange Kirchengesetze nicht im Wideran drei evangelische Mitglieder der Regierung delegierte. In den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Lübeck übten die Senate diese Rechte aus (W. KAHL, Lehrsystem, S. 1 6 9 — 2 3 5 ) . 7 W . ELLIGER, U n i o n , S. 3 7 — 3 9 , 5 8 — 5 9 , 7 2 — 8 4 , 8

E . FÖRSTER, F a l k , S. 1 7 4 — 2 0 9 , 3 0 2 — 3 3 6 .

96—99.

Einleitung

5

spruch zu den staatlichen Gesetzen standen oder die Hoheitsrechte des Staates berührten, wurden sie von der Krone erlassen; andernfalls bedurfte es neben dem Kirchengesetz eines zusätzlichen Staatsgesetzes. In der altpreußischen Union blieben die Verhältnisse in dieser Form bis zum Jahre 1918 unverändert. In den meisten der anderen größeren Landeskirchen teilten sich Kirchenbehörden und Synoden unter Berücksichtigung der Rechte von Krone und Kultusministerium auf ähnliche Weise in die Administration kirchlicher Angelegenheiten 9 . Trotz des allmählichen Fortschrittes in Richtung Selbstverwaltung blieben die Landeskirchen aber im entscheidenden Punkt an Fürst und Staat gebunden: sie erhielten keine finanzielle Unabhängigkeit. Der Staat übernahm alle nicht von der Kirchensteuer abgedeckten wichtigen Ausgaben einschließlich der Gehälter für die Kirchenbeamten 10 . In vielen Kirchen war den Geistlichen als Staatsbeamten die Schulaufsichtspflicht übertragen, eine Aufgabe, die zu der Anschuldigung führte, die Kirche fungiere als Sittenpolizei der Regierungen, was sie bei vielen Lehrern natürlich unbeliebt machte 11 . Die Kirche erweckte nicht den Eindruck, einen eigenständigen Kurs zu steuern. In einer so wichtigen Frage wie der nach möglichen sozialen Reformen schien der Ev. Oberkirchenrat in seinen Erlassen von 1879, 1890 und 1895 ausschließlich den wechselnden Vorstellungen seiner jeweiligen politischen Herren zu folgen. Tatsächlich war die 1895 erfolgte Rücknahme der Aufforderung an die Geistlichkeit vom Jahre 1890, sich mit dem sozialen Problem auseinanderzusetzen, nicht so unmittelbar vom Sinneswandel des Kaisers beeinflußt, wie es scheinen mochte12. Aber immerhin gab der Ev. Oberkirchenrat klar zu erkennen, daß er nun keine Geistlichen dulden würde, die sich Zweifel an der bestehenden Gesellschaftsordnung erlaubten. Dieses Diktum zerstörte die Hoffnung vieler junger Pfarrer, die unter dem Einfluß des Evangelisch-Sozialen Kongresses von Adolf Stoecker und Friedrich Naumann eine evangelische Antwort auf die soziale Frage erhofft hatten. Es war sicher nicht das geeignete Mittel, um sich beim Landesherrn oder beim Ev. Oberkirchenrat beliebt zu machen, wenn Stoecker als Reaktion auf die Neuorientierung der offiziellen Mei8 W. KAHL, Lehrsystem, S. 169. — Der Ev. Oberkirchenrat der altpreußischen Union war allerdings die Ausnahme; die anderen Landeskirdien in Preußen verfügten nicht über vergleichbare Einrichtungen und unterstanden weiterhin dem Kultusministerium. Dies galt audi für die meisten übrigen Länder, mit Ausnahme Badens, w o nach 1860 ein unabhängiger Oberkirdienrat bestand (ebd., S. 215—217). 10

11

J. NIEDNER, A u s g a b e n . E. VON BREMEN, Volksschule, S. 1 9 0 ; O . DIBELIUS, Jahrhundert, S. 67.

12 Vgl. dazu die aufschlußreidie Untersuchung von К. E. POLLMANN, Kirdienregiment.

6

Einleitung

nung mehr Unabhängigkeit der Kirche vom Monarchen forderte. Die Christlich-Soziale Bewegung verlor an Schwung, und die Initiative in sozialen Fragen ging auf caritative Institutionen wie etwa die Innere Mission über. Meinungsverschiedenheiten, die älter als die soziale Frage waren, unterschiedliche Glaubensüberlieferungen und die mit ihnen zusammenhängenden politischen Einstellungen führten zur Bildung mehrerer Kirchenparteien. Innerhalb der altpreußischen Generalsynode traten beispielsweise vier maßgebliche kirchliche Fraktionen auf 1 3 . Auf dem äußersten rechten Flügel standen die konfessionellen Lutheraner, die sich niemals, auch nicht pro forma mit der Existenz einer preußischen Unionskirche abgefunden hatten und eifersüchtig über ihre besondere lutherische Tradition wachten. Etwas weiter links davon schloß sich als wichtigste konservative Gruppe die Positive Union an; sie ließ die Kirche Preußens in ihrer bestehenden Organisation als Verwaltungsunion zwar gelten, blieb aber in theologischen Fragen auf einem streng orthodoxen Kurs und widersetzte sich dem zunehmenden Vordringen des Liberalismus in Staat und Kirche. Insbesondere stemmte sich diese Fraktion gegen die Einführung von Synoden, obwohl sie selbst in den Synoden später zur dominierenden Gruppierung wurde. Die Mitte wurde durch die Evangelische Vereinigung verkörpert; sie befürwortete mit allem Nachdruck die Unionskirche und hatte orthodoxe wie liberale Mitglieder in ihren Reihen. Die kleine Gruppe der Liberalen auf der Linken schließlich, deren Vertreter nach 1918 unter dem Namen Freie Volkskirche auftraten, verdankte ihre Stärke hauptsächlich der Anhängerschaft unter den Intellektuellen; in der von Martin Rade herausgegebenen Zeitschrift „Die Christliche Welt" verfügte sie über ein einflußreiches Sprachrohr 14 . Es war das Hauptanliegen der Gruppe, Pastoren, die in einer der Schulen „moderner" Theologie ausgebildet waren, in Schutz zu nehmen vor dem Zorn ihrer Gemeindeglieder, gelegentlich auch vor der Krone und den Kirchenbehörden 15 . Dem Landeskirchensystem, das sie als staatskirchlich bezeichneten, standen diese Liberalen kritisch gegenüber. Allerdings bestand wenig Klarheit darüber, welcher Alternative sie selbst den Vorrang geben würden; ein Teil von ihnen wollte die Trennung von Staat und Kirche, ein anderer bevorzugte die Idee einer Fusionierung zwischen Kirche und Staat, wobei sie die Kirche als selbständige Institution aufgeben wollten. Das Schlagwort H . G. OXENIUS, Entstehung, S. 32—87. J . RATHJE, Welt. 15 Die aufsehenerregendsten Konflikte beschreibt J . RATHJE, Welt, S. 64—74, 179, 194, 201—210. 13

14

Einleitung

7

von der Volkskirche statt der sog. Staatskirche deckte immerhin beide Konzeptionen ab. Auch nach 1918, als die bis dahin geltenden Wahlrechtsbeschränkungen fielen, behielten die konservativen Fraktionen in den Synoden eine klare Mehrheit. Ihr Ideal war stets ein christlicher Staat gewesen, in dem unter Ausschluß von Liberalismus und Unglauben das Herrscherhaus, die Regierung und das Volk demselben, vorzugsweise lutherischen Glauben anhingen. Unter dieser Bedingung wäre ihnen die enge Verbindung von Kirche und Staat willkommen gewesen. Als aber die politische Entwicklung auf die Errichtung einer verfassungsmäßig gebildeten Regierung und die gleichberechtigte Stellung und Behandlung der römisch-katholischen Kirche und der evangelischen Landeskirchen in Glaubensfragen hinauslief und des weiteren auf einen „neutralen" Staat, der auch religionslose Staatsbürger beschützte, setzte allmählich ein Prozeß der Entfremdung ein. Trotz ihrer unbezweifelbaren Treue zu Krone und Reich begannen die Konservativen einzusehen, daß die Kirche angesichts der zunehmenden Entfernung des Staates von ihren Idealvorstellungen mehr Selbständigkeit anstreben sollte. Während des Kulturkampfes in Preußen vertraten manche evangelische Kreise die Meinung, daß auch ihre Kirche von dem Gang der Ereignisse betroffen sei16. In dem Antrag Kleist-Retzow-Hammerstein, der 1886 im Preußischen Landtag eingebracht wurde und in dem mehr Unabhängigkeit für die Kirche gefordert wurde 17 , kamen diese Bestrebungen öffentlich zum Ausdruck. Die Inhaber leitender Ämter in den Landeskirchen, höhere Kirchenbeamte wie Geistliche, die für gewöhnlich die Grundüberzeugung der konservativen Synodalen teilten, zeigten in der Praxis, etwa bei der Einführung von Synoden, mehr Bereitschaft, mit der staatlichen Verwaltung zusammenzuarbeiten. Der enge Kontakt zum Kultusministerium war vor allen Dingen für die Laien unter den Kirchenbeamten, wie die Präsidenten des Ev. Oberkirchenrats, selbstverständlich; nach Herkunft und Ausbildung den Mitarbeitern des Ministeriums durchaus vergleichbar18, pflegten sie auch in den Kategorien von Beamten zu denken und zu urteilen. 16

O. DIBELIUS, Jahrhundert, S. 68. Das war allerdings ein entschiedenerer Schritt, als die meisten Evangelischen vor 1918 mitzugehen bereit waren; der Antrag erhielt nur 43 Stimmen von den 123 Konservativen, und Bismarck wies ihn verächtlich zurück (W. FRANK, Stoecker, 17

2. A u f l a g e , S. 1 5 8 — 1 5 9 ) . 18 Es gab keine offizielle Regelung, wonach ein Geistlicher von diesem Amt hätte ausgeschlossen werden können, und gelegentlich stellte sich einer zur Wahl. Einer der beiden Vizepräsidenten gehörte immer dem geistlichen Stand an und fungierte unter der Bezeichnung Geistlicher Vizepräsident; neben ihm stand der Weltliche Vizepräsident.

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Einleitung

Dies forderte Kritik in verschiedenen kirchlichen Lagern heraus: die Liberalen sahen im Ev. Oberkirchenrat ein Symbol des nach ihrem Dafürhalten bestehenden Staatskirchentums, und die Konservativen nahmen ihm die Bereitschaft übel, mit der er die Reformen des Kultusministeriums verwirklichte. Tatsächlich hatten die maßgeblichen Männer der Kirchenbehörde durchaus ihre eigenen Vorstellungen hinsichtlich der kirchlichen Interessen und vertraten sie gleichermaßen gegen die partikularistischen Forderungen der Kirchenparteien, des Ministeriums und gelegentlich auch der Krone 19 . In den Jahren nach 1891 unter Präsident Barkhausen und dem Geistlichen Vizepräsidenten von der Goltz stand der Ev. Oberkirchenrat in seinen theologischen und kirchenpolitischen Auffassungen der Mittelgruppe der Synode am nächsten und stellte sich damit auf den Standpunkt einer Institution, der es oblag, Interessenunterschiede auszugleichen und die Einheit der Kirche aufrechtzuerhalten. In der Praxis hielt ihn diese Position allerdings nicht davon ab, Anhängern der liberalen theologischen Richtung und politischen Dissidenten wie der Christlich-Sozialen Partei Widerstand zu leisten. Grundsätzlich verstanden sich die Kirchenführer als Vertreter gesamtkirchlicher Interessen, und diesem Verständnis entsprang die Vorstellung einer allen kirchlichen und außerkirchlichen Sonderinteressen übergeordneten unabhängigen „Sache der Kirche", die der Ev. Oberkirchenrat zu verteidigen berufen war. Der Ev. Oberkirchenrat stimmte jedoch mit der konservativen Mehrheit der Synode überein, daß die Kirche hauptsächlich wegen der zunehmenden Säkularisierung nach mehr Unabhängigkeit trachten mußte. Aus leicht verständlichen Gründen unterschied er dabei allerdings zwischen Institutionen wie dem Landtag und dem Kultusministerium, von denen er unabhängig zu sein wünschte, und der Krone als dem Landesherrn, mit dem er enge Beziehungen beizubehalten wünschte. Während das Kultusministerium auch katholischen und antiklerikalen Einflüssen des Landtags ausgesetzt war, bestand für den Fürsten die Verpflichtung, die evangelischen Interessen zu schützen. Außerdem war der Ev. Oberkirchenrat entsprechend dem königlichen Einsetzungsdekret vom 28. Juni 1850 eng an den Landesherrn gebunden, und jede Veränderung der bestehenden Verhältnisse hätte wahrscheinlich eine Neuverteilung der Macht zugunsten der Synoden und auf Kosten des Ev. Oberkirchenrats nach sich gezogen. Auch war Wilhelm II. persönlich sehr an der Wahrnehmung seiner Aufgaben als summus episcopus interessiert. Aus allen diesen Gründen fand sich der Ev. Oberkirchenrat bereit, die wenig freundliche Ein19

Er konnte z.B. im Jahre 1899 den Kaiser davon abbringen, Stoecker wegen Majestätsbeleidigung anklagen und disziplinarrechtlich belangen zu lassen (К. E. POLLMANN, K i r d i e n r e g i m e n t , S. 2 8 8 ) .

Einleitung

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Stellung hinzunehmen, die ihm manche kirchliche Kreise wegen seiner engen Bindung an den Herrscher entgegenbrachten. Trotz seiner guten Kontakte zu Beamten des Kultusministeriums forderte der Ev. Oberkirchenrat aus dieser Einstellung heraus folgerichtig in den neunziger Jahren eine größere Unabhängigkeit der Kirchenverwaltung vom Staat, blieb aber gleichzeitig dem landesherrlichen Kirchenregiment fest verpflichtet 20 . Seine Befürchtungen hinsichtlich einer fortschreitenden Säkularisierung erhielten neuen Auftrieb, als der Kaiser im Jahre 1917 für Preußen direkte allgemeine Wahlen zusagte; die kirchliche Behörde zeigte sich besorgt, welche Stellung eine mögliche kirchenfeindliche parlamentarische Mehrheit in der Frage der Privilegien, des kirchlichen Eigentums und der Staatsleistungen einnehmen würde. Der Ev. Oberkirchenrat wollte deshalb in diesen Punkten eine verfassungsrechtliche Garantie, die nur von einer Zweidrittelmehrheit des Landtags aufgehoben werden dürfe 21 . Auf der anderen Seite war er sich aber wohl auch im klaren darüber, daß der Trend zur Demokratisierung des öffentlichen Lebens unaufhaltbar sei und die Trennung von Kirche und Staat die Kirche zumindest von der Verwaltung durch weltliche Behörden befreien würde. Er mag außerdem daran gezweifelt haben, ob der Landesherr auf die Dauer in der Lage sein würde, in einem derartig umgestalteten Staat die evangelischen Interessen wirksam zu garantieren. Als der Kaiser im Oktober 1917 die Ansicht des Ev. Oberkirchenrats zur Frage des Bischofsamtes erbat, Schloß dieser in seiner Antwort eine Entwicklung nicht aus, die zur Trennung von Staat und Kirche führen konnte und als deren Abschluß die Institution des Ev. Oberkirchenrats wie die des Landesherrn durch einen Bischof ersetzt würde. Er argumentierte, dies sei möglicherweise die Richtung, in der die Kirche zu gehen hätte; wenn der Staat Anstalten mache, die Trennung zu verwirklichen, werde die Kirche entsprechend darauf zu reagieren haben. Er, der Ev. Oberkirchenrat, sei allerdings der Uberzeugung, daß es nicht richtig sei, wenn er selbst diesen Prozeß beschleunige22. Weniger als ein Jahr später wurde in Preußen die Trennung von Staat und Kirche verkündet. Der Schock über Deutschlands Niederlage und über die Revolution drängte die evangelischen Kirchenführer zunächst in die Defensive; sie sahen jedoch später ein, daß der republikanische Staat nur jene Veränderungen weiterführte, die schon im 19. Jahrhundert eingeleitet worden waren. 20

Ebd., S.26—27, 133—135. Sitzungsprotokoll des Generalsynodalvorstands und des EOK vom 4. 6. 1918 (AEKU, Gen. Synode I 18). 22 Schreiben des EOK an Kaiser Wilhelm II. vom 8. 12. 1917 (O. SÖHNGEN, Oberkirchenrat, S. 196—208). 21

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Einleitung

Der frühere Präsident des Ev. Oberkirchenrats, Reinhard Moeller 23 , bezeichnete es im Jahre 1926 als den entscheidenden Schritt der Weimarer Reichsverfassung, daß sie die Kirche in die Unabhängigkeit entlassen habe: „Er war zugleich im gewissen Sinn der Abschluß eines langsam, aber unaufhaltsam sich vollziehenden Prozesses seit der Umwandlung des preußischen Staates zunächst in einen konstitutionellen, dann paritätischen Staat mit immer stärkerem und entscheidenderem Einschlag des interkonfessionellen, kirchlich und religiös grundsätzlich neutralen, um nicht zu sagen indifferenten Landtags. Nach dem Wegfall des Hemmnisses, welches früher noch im landesherrlichen Kirchenregiment vorlag, war die ,sogenannte Trennung von Kirche und Staat' die einzige Lösung." 24 Die evangelischen Kirdbenführer konnten in dieser Entwicklung mithin nur ein notwendiges Übel sehen. Aber da sie ihr nun einmal zugestimmt hatten, war damit der Weg zu einem Arrangement mit der Weimarer Republik frei geworden. 23 Reinhard Moeller (1885—1927), 1888 Regierungsrat im preußisdien Kultusministerium, 1891 von Präsident Barkhausen als Hilfsarbeiter in den E O K gerufen, 1904 Weltlicher Vizepräsident, 1 9 1 9 — 1 9 2 5 Präsident (vgl. O. SÖHNGEN, Oberkirchenrat, S. 185—186). 2 4 Denkschrift Moeliers vom 22. 12. 1926 (AEKU, Gen. X I I 63 Beiheft, vertrauliches Material).

Kapitel 1 DAS ARRANGEMENT MIT DEM REPUBLIKANISCHEN STAAT 1918—1924

Die Revolution vom 9. November 1918 zerstörte das Kaiserreich, mit dem die evangelische Kirche eng verbunden gewesen war, und verhalf den Sozialdemokraten zur Macht, deren Parteiprogramm Religion zur Privatsache erklärte und die Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen und religiösen Zwecken forderte 1 . Die Kirchenführer befürchteten deshalb einen abrupten, am Vorbild der Dritten Französischen Republik orientierten Vollzug der Trennung von Staat und Kirche zum Schaden der Kirche. Mit der Abdankung der regierenden Herrscherhäuser geriet die evangelische Kirche in eine ungünstige rechtliche Lage, aus der der republikanische Staat hätte Nutzen ziehen und die bislang landesherrliche Gewalt über die Kirche für sich hätte beanspruchen können. Es mußte darüber hinaus mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß liberale Kirchenglieder die Revolution dazu nutzen würden, ohne Rücksicht auf die bisherigen Kirchenführer eine Reform der Landeskirchen durchzuführen. Jede dieser Befürchtungen war in gewisser Weise berechtigt; im Endergebnis freilich überstanden die Landeskirchen die prekäre Situation völlig unversehrt, ja sie gingen aus ihr in mancher Beziehung gefestigter hervor, als sie es vor 1918 gewesen waren. Die evangelische Kirche ist in dieser Hinsicht nur ein Beispiel für den allgemeinen Verlauf der deutschen Revolution von 1918, in der eine Reform der Gesellschaft über Ansätze nicht hinausgekommen ist 2 . Wäre die Revolutionsregierung entschlossener gewesen und hätte sie sich nicht anderen gewaltigen und unaufschiebbaren Problemen gegenübergesehen, so hätte sie vielleicht mit Hilfe von Gesetzen und Ernennungen ein republikanisches Heer und eine ebensolche Staatsverwaltung schaffen 1 Vgl. Paragraph 6 des Erfurter Programms von 1891 (W. TREUE, Parteiprogramme, 4. Auflage, S. 86). 2 Vgl. dazu W. ELBEN, Kontinuität; S. MILLER, Regierung der Volksbeauftragten.

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Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1 9 1 8 — 1 9 2 4

können. Schwieriger ist zu beurteilen, wie sich die evangelische Kirche in ihrer Grundeinstellung durch Regierungsakte hätte verändern lassen. Die evangelische Kirche war eine zu weitreichende und zu sehr von individuellen, mehrheitlich streng konservativen Kirchengliedern abhängige Institution, als daß eine von der Regierung auferlegte Reform große Wirkungen gezeitigt hätte, es sei denn über einen längeren Zeitraum hinweg. Das Arrangement, das schließlich mit dem neuen Staate zustandekam, war für die Republik alles andere als eine Ideallösung, aber audi nicht ohne Zukunftsaussichten. Und audi eine stärkere Regierung hätte damals wahrscheinlich keine für sich vorteilhaftere Abmachung durchsetzen können.

1. Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der altpreußischen Union Die vorläufige Regierung Am 12. November 1918 gab der von SPD und U S P D gebildete Rat der Volksbeauftragten, der bis zu den Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung als Reichsregierung fungierte, eine Erklärung ab, in der er die Freiheit der Religionsausübung gewährleistete und jeden Zwang zu religiösen Handlungen untersagte 3 . Die einen Tag später veröffentlichte Verlautbarung der parteipolitisch ähnlich zusammengesetzten vorläufigen preußischen Regierung war in schärferem Ton gehalten und enthielt Wendungen wie „Befreiung der Schule von jeglicher kirchlichen Bevormundung" und „Trennung von Staat und Kirche" 4 . Für das preußische Kultusministerium waren mit Adolph Hoffmann von der U S P D und Konrad Haenisch von der SPD zwei Chefs ernannt worden 5 . Der für seine kirchenfeindliche Einstellung wohlbekannte Hoffmann versuchte unverzüglich mit Hilfe von Verwaltungserlassen Reformen durchzuführen und setzte sich dabei über 3

DEUTSCHER REICHSANZEIGER N r . 2 6 9 v o m 1 3 . 1 1 . 1 9 1 8 ( A E K U , G e n . I I

32/1),

vgl. audi G. KÖHLER, Novemberrevolution, S. 34. 4

D E U T S C H E R REICHSANZEIGER N r . 2 7 0 v o m 1 4 . 1 1 . 1 9 1 8 ( A E K U , G e n . I I

32/1);

jetzt abgedruckt bei G. A. RITTER/S. MILLER, Revolution, 2. Auflage, S. 104 f. 5 Zu Adolph Hoffmann vgl. F. THIMME, Verhältnis, S. 15—16, 25. — Zu Konrad Haenischs Rechenschaftsbericht über seine Amtszeit als Kultusminister vgl. KULTURPOLITISCHE A U F G A B E N ; Κ . HAENISCH, N e u e

Bahnen.



Eine

Dokumentenauswahl

zur Kirchenpolitik der vorläufigen Regierung bei G. A. RITTER/S. MILLER, Revolution, 2. Auflage, S. 2 7 7 — 2 8 9 .

Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der APU

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seinen Kollegen Haenisch hinweg, der zwar auch reformfreundlich eingestellt war, jedoch nicht gewaltsam vorgehen wollte. Hoffmann selbst hinterließ keine Aufzeichnungen über seine endgültigen Absichten, doch ähnelten sie wohl den Vorstellungen des im Kultusministerium beschäftigten Sozialisten Alfred Dieterich 8 . Dieterich schwebte ein Programm 7 vor, dessen Verwirklichung er sich in zwei Stufen dachte. Gestützt auf die alte preußische Verfassung, die die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Staatsbürger garantierte, hatte das Ministerium zunächst unverzüglich eine Reihe von Reformmaßnahmen auf dem ministeriellen Verfügungsweg durchzuführen: Der Religionsunterricht sollte als Pflichtfach verschwinden, und die Zahlung staatlicher Zuschüsse an die Kirchen sollte eingestellt werden. In einer zweiten Etappe sah Dieterich dann auf der Grundlage neuer Verfassungen im Reich und in Preußen die vollständige Unterwerfung der Kirchen unter den Staat vor. Kirchen waren als „private Religionsgesellschaften" unter unmittelbare staatliche Aufsicht zu stellen, und ihr Besitz sollte enteignet oder besteuert werden. Am 16. November 1918 teilte Hoffmann den Beamten des Kultusministeriums mit, daß die Trennung von Staat und Kirche ohne Verzug durchzuführen sei und die Auszahlung von Subventionen an die Kirche spätestens ab 1. April 1919 zu unterbleiben habe 8 . Einen Tag zuvor hatte er für Kinder dissidentischer Eltern die Befreiung vom Religionsunterricht verfügt, und am 27. November hob er die geistliche Ortsschulaufsicht in Preußen auf 9 . Der einschneidendste Erlaß β

Biographische Einzelheiten zur Person Alfred Dieteridis haben sich leider nicht ermitteln lassen. THIMME bezeichnet ihn als „sozialistischen Schriftsteller" und „Beirat für die gesamten Trennungsfragen" im preußischen Kultusministerium, verwechselt ihn aber möglicherweise mit dem sozialistischen Schriftsteller Franz Diederich (vgl. F. THIMME, Verhältnis, S. 30). Im Protokoll der Besprechungen zwischen Vertretern der Kirchen und des Staates (vgl. Anmerkung 26) erscheint er als „Privatgelehrter" und „Regierungsbeauftragter". 7 ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. XVII/212 Beiheft 1. — Die Denkschrift ist i n d e r NEUEN PREUSSISCHEN ZEITUNG (KREUZZEITUNG) N r . 6 5 8 v o m 2 7 . 1 2 .

1918 nicht abgedruckt (so G.KÖHLER, Novemberrevolution, S. 121), sondern lediglich inhaltlich wiedergegeben (vgl. auch KJ 46, 1919, S. 355). Entgegen offizieller Dementi verdeutlicht eine Bemerkung Haenischs in einem Brief an den preußischen Innenminister Heine vom 27. 9. 1919, daß Dieteridis Programm der Politik der Regierungsparteien zugrundelag. Der Kultusminister sdirieb: „Die ursprünglich von der Sozialdemokratie vertretene Politik, wie sie in der Denkschrift von Dieterich ihren Niederschlag findet, ist undurchführbar geworden" (ZStA MERSEBURG, Rep. 77 T i t . 1 2 3 1 5 7 / 1 ) . — V g l . d a z u a u d i F. THIMME, V e r h ä l t n i s , S. 3 0 — 3 3 . 8 Vgl. Schreiben der Geistlichen Abteilung des preuß. Kultusministeriums an die preuß. Staatsregierung vom 21. 12. 1918 (ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1

Abt. X V I I 214/1). 9 ZENTRALBLATT 1 9 1 8 , S. 7 0 8 — 7 0 9 ,

757—758;

S. MILLER, Revolution, 2. Auflage, S. 278—279.

a b g e d r u c k t bei

G.A.RITTER/

14

Das A r r a n g e m e n t mit dem republikanischen S t a a t 1 9 1 8 — 1 9 2 4

wurde am 29. November herausgegeben; er verbot gemeinsame religiöse Feiern in den Schulen und erklärte den Religionsunterricht generell zum Wahlfach 1 0 . Am 18. November wurde auf einer gemeinsamen Sitzung des Generalsynodalvorstands mit Vertretern des Ev. Oberkirchenrats beschlossen, eine Reihe führender evangelischer Persönlichkeiten aufzufordern, sich an der Bildung eines Vertrauensrates zu beteiligen; dieses Gremium sollte die Interessen der Kirche wahrnehmen u . Dabei betonte der Geheime Justizrat Wilhelm Kahl 1 2 , der diese Initiative unterstützte: „In echt christlich-demokratischem Geiste müsse man die Arme ausstrecken nach allen in der Kirche vorhandenen, zur A r beit fähigen und willigen Kräften." Kahl hob warnend hervor, daß andernfalls Radikale die Führung an sich reißen würden, und fügte hinzu, Martin Rade habe in Marburg bereits zur Bildung von Volkskirchenräten aufgerufen 13 . Vermutlich übertrieb Kahl bewußt die Gefahr dieses radikalen Druckes, um damit die konservativen Kirchenführer, die als Mehrheit das Votum der Generalsynode bestimmten, zur Annahme gemäßigter Reformen zu bewegen. Zu den Männern, die zur Mitarbeit im Vertrauensrat aufgefordert wurden, gehörten Adolf von Harnack, Reinhard Mumm, Gottfried Traub und Emil Hallensieben u . 10 ZENTRALBLATT 1918, S. 7 1 9 — 7 2 1 ; R e v o l u t i o n , 2. A u f l a g e , S . 2 7 9 — 2 8 0 .

abgedruckt

bei

G.A.RITTER/S.MILLER,

Sitzungsprotokoll (AEKU, Gen. II 27/1). Wilhelm Kahl (1849—1932), Professor für Kirchenrecht, DVP-Politiker, in der altpreußischen Generalsynode führend in der Evangelischen Vereinigung (MitteGruppierung) tätig, 1919 Mitglied in der Nationalversammlung und im Verfassungsausschuß, 1919—1932 MdR und Mitglied des Reichstagsausschusses für die Strafrechtsreform, außerdem besonders aktiv auf dem Gebiet der Erziehungspolitik. Kahl war ein herausragender Vertreter der sog. Vernunftrepublikaner; vgl. dazu unten S. 87—88. 11 12

13

V g l . G.MEHNERT, EV. K i r d i e , S . 1 1 5 — 1 2 9 ; J . RATHJE, W e l t , S. 2 6 0 — 2 6 3 .

Adolf von Harnack (1851—1930), Prof. für Kirdiengesdiithte, 1903—1912 Präsident des Ev.-Sozialen Kongresses; nahm sdion in der wilhelminischen Zeit Einfluß auf die preuß. Unterrichtsverwaltung. Reinhard Mumm (1873—1932), 1912—1918 MdR für die Christlich-Soziale Partei, 1918—1929 für die DNVP, 1929—1932 für den Christlich-Sozialen Volksdienst, 1921 Begründer des Ev. Reichsausschusses der DNVP. Gottfried Traub (1869—1956), 1912 als Anhänger der liberalen theologischen Richtung vom Pfarramt suspendiert, wiedereingesetzt 1918, 1913—1917 preuß. MdL für die Fortschrittliche Volkspartei, 1917—1918 für die Vaterlandspartei, 1919 MdR der DNVP, 1920 bereit, als Kultusminister der Kapp-Regierung zu fungieren, 1921—1934 Herausgeber der einen Hugenberg-Kurs verfolgenden „München-Augsburger Abendzeitung", dazu 1914—1939 der „Eisernen Blätter". — Das vollständige Manuskript seiner Autobiographie befindet sich im BA KOBLENZ, Nachlaß Traub 5; die ersten beiden Kapitel erschienen 1949 in München als G. TRAUB, Erinnerungen. Emil Hallensleben geb. 1867, Justizrat, Rechtsanwalt und Notar in Berlin, MdL 14

Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der A P U

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Die Einbeziehung von Adolf Stoeckers Schwiegersohn Mumm, einem bedeutenden Mitglied der Christlich-Sozialen Bewegung, und von Traub, der auf Betreiben des Ev. Oberkirchenrats 1912 wegen seines Eintretens für die liberale Theologie seines Amtes enthoben worden war, verdeutlichte den Wunsch der Kirchenführung, alte Wunden zu heilen. Es bleibt allerdings festzustellen, daß sich Traub durch seinen aggressiven Nationalismus während des Krieges rehabilitiert hatte und daß die Meinungsunterschiede der verschiedenen theologischen Richtungen für ihn nicht mehr sehr bedeutsam waren. Er wie auch Mumm vertraten 1919 die D N V P in der Nationalversammlung. Am 29. November trat der Vertrauensrat zum ersten Male zusammen. Vizepräsident Moeller legte vor dem Gremium dar, daß eine Trennung von Kirche und Staat die bisherigen Grundlagen der Kirche erschüttere, insbesondere ihre Stellung im Erziehungswesen gefährde und die Zahlung von Staatsleistungen, von der sie abhänge, in Frage stelle 15 . Der Vertrauensrat erhob daraufhin bei der preußischen Regierung formellen Protest gegen die Abänderung gesetzlicher Zustände auf dem Verwaltungswege und verlangte, daß sich der Staat der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Kirche enthalten solle 1β . Gleichzeitig wandte er sich in einem Aufruf an die Pfarrer und Gemeindevertreter und ermahnte sie zur Einigkeit und zur einmütigen Unterstützung seiner Bestrebungen. In der diesem Aufruf beigefügten Verwahrung gegenüber der preußischen Regierung wurde versichert, daß die Trennung von Staat und Kirche zwar nicht zu fürchten sei, daß die Regierung aber kein Recht habe, sie durchzuführen 17 . Die angestrebte Einigkeit der Kirche war jedoch schon am 18. November 1918 zerbrochen, als Ludwig Wessel, ein liberaler Pfarrer 1 8 , vor einer Versammlung von 250 Berliner Amtsbrüdern die Trennung von Kirche und Staat für wünschenswert erklärte, weil eine freie für die D V P in Preußen 1926—1928, Mitglied des Staatsrats 1921—1926, in der altpreußischen Generalsynode führend in der Freien Volkskirche-Gruppierung. Eine vollständige Liste der Mitglieder des Vertrauensrats bei G. MEHNERT, EV. Kirche, S. 2 3 6 — 2 3 7 . 1 5 Sitzungsprotokoll ( A E K U , Gen. II 27/1). 1 6 Der Präsident des E O K übersandte der preuß. Regierung die Rechtsverwahrung vom 30. 11. am 2. 12. 1918 (GStA BERLIN, Rep. 90/2380). Textabdruck in der nützlichen Auswahl gedruckter Quellen bei M. GRESCHAT, Protestantismus, S. 48. 17

VERHANDLUNGEN

DER

GENERALSYNODE

1920

II,

S. 7 9 — 8 0

(abgedruckt

bei

M. GRESCHAT, Protestantismus, S. 4 7 — 4 8 ) ; vgl. auch G.KÖHLER, Novemberrevolution, S. 41 f. 1 8 Wilhelm Ludwig Georg Wessel ( 1 8 7 9 — 1 9 2 2 ) , 1905 Ordination, zuletzt 2. Diakonus an St. Nikolai in Berlin. Wessel war der Vater der nationalsozialistischen Symbolfigur Horst Wessel (Einzelheiten bei G. KÖHLER, Novemberrevolution, S. 4 4 — 5 3 ) .

16

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

Kirche weitaus vertrauenswürdiger sei. Er umriß in seiner Rede das Programm einer demokratischen Kirchenreform mit geringeren Machtbefugnissen für die Kirchenbürokratie zugunsten der Synode und forderte die Geistlichen auf, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Eine Resolution in diesem Sinn wurde von der überwältigenden Mehrheit der Anwesenden angenommen und dem Kultusministerium übersandt 19 . Das Ministerium ernannte Wessel in diesem Zusammenhang am 5. Dezember 1918 zum Regierungsvertreter für die evangelischkirchlichen Behörden in Preußen und ermächtigte ihn, Verordnungen und Beschlüsse des Ev. Oberkirchenrats gegenzuzeichnen; auch sollte Wessel das Recht haben, auf Sitzungen den Vorsitz zu übernehmen. In einer gesondert veröffentlichten Erklärung zu dieser Berufung wurde ausgeführt, Wessel sei zum Vermittler zwischen dem Kultusministerium und der Kirche ernannt worden 20 . Der Ev. Oberkirchenrat wies diese Ernennung als gesetzwidrig zurück 21 . Eines der Motive für die Nominierung Wessels war das Bestreben der Regierung, den Arbeiter- und Soldatenräten, die während der Revolution entstanden waren und Machtbefugnisse forderten, zu beweisen, daß sie selbst die Entwicklung durchaus in der Hand hatte und daß somit für ein Eingreifen der Räte kein Anlaß bestand 22 . Tatsächlich kam es nicht zu ernsthaften Zusammenstößen zwischen der Kirche und den Räten 23 . Einige Zwischenfälle, die dem Ev. Oberkirchenrat gemeldet wurden, schlossen so nichtige Vorkommnisse wie öffentliche Kritik an einem höheren Geistlichen ein, der die Leute auf der Straße nicht grüßte. In einem Ort hatte der Rat das Läuten der Kirchenglocken zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angeordnet. In ein paar Fällen wurde über grobe Behandlung von Geistlichen berichtet, und ein Superintendent war für kurze Zeit seines 19 ZStA POTSDAM, RMfdkirchl. A. 22166. — Vgl. audi G. KÖHLER, Novemberrevolution, S. 43—53. 20 Schreiben des preuß. Kultusministeriums an den EOK vom 5. 12. 1918 (AEKU, Gen. II 27/1). — Entwurf der öffentlichen Erklärung ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. X V I I 212 Beiheft 1; veröffentlichte Fassung DEUTSCHER REICHS-

ANZEIGER N r . 2 9 0 v o m 9 . 1 2 . 1 9 1 8 . 21

Schreiben des EOK an das preuß. Kultusministerium vom 13. 12. 1918 (AEKU, Gen. II 27/1; KGVBl 1918, S. 61—65). 22 Wessel selbst hielt dies für einen der Hauptgründe zu seiner Beauftragung (Schreiben Wessels an Haenisch vom 10. 1. 1919; ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. X V I I 212 Beiheft 1). 23 Schreiben des brandenburgischen Konsistoriums an den EOK vom 12. 12. 1918 und 7. 1. 1919; Abschrift eines Schreibens des Konsistoriums der Provinz Sachsen an das Kultusministerium vom 15. 3. 1919; Schreiben des westfälischen Konsistoriums an den EOK vom 8. 4. 1919 (AEKU, Gen. II 30/1). — Die im preußischen Kultusministerium geführte Akte über Eingriffe der Räte in innerkirchliche Angelegenheiten ist nicht mehr vorhanden.

Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der A P U

17

Amtes enthoben worden. Insgesamt gesehen scheinen die Regierungsanordnungen zur Verhinderung örtlicher Unruhen im kirchlichen Bereich durchaus wirksam gewesen zu sein 24 . Wessels Ernennung war wahrscheinlich auch in der Absicht ausgesprochen worden, Druck auf den Ev. Oberkirchenrat auszuüben und den Liberalen den Rücken zu stärken. Insbesondere Haenisch dürfte gleichzeitig noch das Ziel verfolgt haben, die evangelische Bevölkerung zu beruhigen und klarzustellen, daß die Regierung nicht beabsichtige, radikale Maßnahmen mit Gewalt durchzusetzen. Angesichts dieser widersprüchlichen Zielsetzungen konnte es nicht überraschen, daß Wessel nur sehr wenig erreichte. Er betrat nicht ein einziges Mal das Gebäude des Ev. Oberkirchenrats und hatte keinerlei Einfluß auf dessen Politik. Am 13. Januar 1 9 1 9 nahm Haenisch seinen Rücktritt auf eigenen Wunsch an 25 . Wessels einzige Tat hatte darin bestanden, eine mehrtägige Besprechung zwischen Vertretern der Kirchen und des preußischen Kultusministeriums zustandezubringen, die Minister Haenisch selbst mit einer Ansprache eröffnete. Er hob darin die Trennung von Kirche und Staat im Sinne einer Entkirchlichung des Staates und einer Entstaatlichung der Kirche als eine geschichtliche Notwendigkeit hervor; — die endgültige Entscheidung würde darüber allerdings erst die Nationalversammlung treffen. Im weiteren Verlauf der Ansprache wurde die Sorge des Ministers vor weiterer Unruhe in der Kirche deutlich, die als Folge der Novemberverordnungen und der Berufung Wessels entstanden war. Haenisch bat die Kirchenführer, das ihre zu tun, um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu zerstören, im Kultusministerium herrsche ein „pfaffenfresserischer, seicht aufklärerischer, bilderstürmender Sektierergeist" 26 . Er fügte hinzu, daß sich die Regierung angesichts ihrer ungewöhnlich großen außen- und wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten eine weitere Beunruhigung der Bevölkerung nicht leisten könne. Wessel und Dieterich gaben im Verlauf der Aussprache nähere Erläuterungen zu den Ausführungen Haenischs. Sie hielten Abstriche an den Staatszuschüssen für die Kirchen für unvermeidlich, versicherten jedoch, daß dieser Prozeß schrittweise und ohne besondere Härten ablaufen solle. Wessel hob die Vorteile einer Trennung von Staat und Kirche hervor und zitierte dazu auch eine Bemerkung Hoffmanns: „Wenn die Kirche vom Staat getrennt ist, haben wir parteiseitig gar Vgl. E.KOLB, Arbeiterräte, S. 2 6 2 — 2 8 1 ; K J 46, 1919, S. 334—335. Schreiben Haenischs an den E O K vom 13. 1. 1 9 1 9 (AEKU, Gen. II 27/1). 2 9 Dieses und die folgenden Zitate aus den Sitzungsprotokollen über die Besprechungen vom 12. bis 14. 12. 1 9 1 8 (ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. X V I I 2 1 2 Beiheft 1). 24

25

2

Wright, Parteien

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

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keine Veranlassung mehr, sie zu bekämpfen." Die Aufsichtsr echte des Staates über die Kirche würden nur da aufrechterhalten werden, wo die Interessen des Staates betroffen seien; allerdings könne keine Garantie dafür gegeben werden, daß die Kirche ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechtes behalte. Wessel drängte die Vertreter der Kirche, auch ihrerseits dem Wunsch der Regierung nadi mehr Freiheit in der Kirche nachzukommen, wie z.B. den Kirchenaustritt zu erleichtern, auch Minderheiten ein Maß an Mitbestimmung und den Frauen das Wahlrecht zu gewähren. Dieterich sprach noch einmal die Aufhebung des zwangsweisen Besuchs des Religionsunterrichts an und erklärte, daß die Nationalversammlung „die Grundsätze in Bezug auf religiöse Dinge festsetzen" werde. Die Grundsätze der kirchlichen Verfassung müßten natürlich mit der neuen Reichsverfassung übereinstimmen. In seiner Entgegnung zu den Erklärungen der Regierungsvertreter warnte der Geistliche Vizepräsident des Ev. Oberkirchenrats, Friedrich Lahusen 27 , die Regierung davor, das kirchliche Eigentum anzutasten. Er gab zu, daß Staat und Kirche nicht mehr so eng wie früher zusammengehörten, „aber immerhin sind wir doch im großen und ganzen ein Christenvolk". Wenn die Kirche jedoch ihrer Möglichkeiten beraubt würde, die Massen des Volkes anzusprechen, wäre „ein religionsloses deutsches Volk" die Folge, und eine solche Entwicklung müsse die Kirche im nationalen Interesse bekämpfen. Die auf Zusammenarbeit mit dem Staat eingestellten kirchlichen Kräfte könnten sich schnell in Opposition zur Regierung stellen, wenn diese in der Frage des kirchlichen Eigentums keine Sicherheit anbiete. Lahusen führte aus: „Ich glaube, die Regierung wird es auch anerkennen, daß alle kirchlichen Kreise, auch die Kirchenregimente in Deutschland, soviel schweres sie naturgemäß durchgemacht haben und immer durchzumachen haben werden, doch voll und loyal für die Ordnung in unserem Volke wirken wollen. Wir wollen nur aufbauend arbeiten, und wenn nun alle diese kirchlichen Kreise miteinander arbeiten, um unsere Staatsordnung zu stützen, so ist das ein gewaltiges Moment. Und wenn diese Millionen und aber Millionen tief beunruhigt empfinden: die Regierung, die jetzt unser Vaterland leitet, ist nicht mehr eine christentumsfreundliche, sondern eine christentumsfeindliche Regierung, so ist das ein sehr beunruhigendes Moment, das niemand wünschen kann, dem daran gelegen ist, daß Deutschland besteht." Dieterich bemühte sich eilig, den mit seiner Bemerkung über die mögliche Enteignung kirchlichen Besitzes angerichteten Schaden wie27

Friedrich Lahusen (1851—1927), 1910 Oberkonsistorialrat im EOK, 1912 Generalsuperintendent von Berlin, 1918—1921 Geistlicher Vizepräsident des EOK.

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Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der APU

dergutzumachen und sagte, er habe nicht auf die Politik der jetzt amtierenden Regierung angespielt, sondern nur hypothetisch erwogen, daß die Regierung eine solche Politik zu unterstützen habe, wenn eine Mehrheit der preußischen Landesversammlung dafür stimme. Allerdings machte er die Angelegenheit noch schlimmer, als er die augenblickliche Stimmung im Ministerium nur als „die Richtung eines Ministers, der morgen verschwinden kann" bezeichnete; wenn etwa Liebknecht die Nachfolge antrete, würden die Kirchen Hoffmann geradezu „als ein rechts gerichtetes Element ansehen". Angesichts dieser Erwägungen gab Lahusen unverzüglich zur Antwort: „ . . . dann müssen wir unser Volk um so mehr bearbeiten, für die Sache der Kirche einzustehen." E r schloß die Sitzung jedoch mit dem versöhnlichen Wort, daß er nach den abgegebenen Erklärungen über die Absichten der Regierung beruhigt sei. Sein Optimismus war berechtigt. In den folgenden Wochen gab die vorläufige Regierung ihr Reformprogramm durch neue Ministerialerlasse wieder preis. Am 18. Dezember wurde der Erlaß über den Religionsunterricht entschärft und am 28. Dezember seine Durchführung dort aufgehoben, wo er auf „ernste Schwierigkeiten" stieß 28 . Am 9. Januar 1919 verkündete die Regierung offiziell ihre politische Linie, wonach sie Reformen zurückstellen und der Verfassunggebenden Nationalversammlung überlassen wollte 29 . Für diesen Kurswechsel gab es zwei maßgebliche Gründe. Zunächst war Haenisch immer zurückhaltender als Hoffmann gewesen und hatte, um seiner Auffassung Nachdruck zu verleihen, im November sogar mit Rücktritt gedroht 30 . Danach erkrankte Hoffmann im Dezember, noch bevor er am 3. Januar 1919 mit den übrigen Unabhängigen Sozialdemokraten die Regierung verließ. Damit waren radikale Einflüsse im Kultusministerium ausgeschaltet. Darüber hinaus befürchtete Haenisch aber auch die Reaktion der Kirchen und deren mögliche Auswirkungen auf die separatistischen Bewegungen sowie die vor der Tür stehenden Wahlen zur Nationalversammlung 31 . Massiver Widerstand gegen die Hoffmannsche Politik kam auch von den Beamten der Geistlichen Abteilung im Kultusministerium selbst. Sie hielten an den Staatsleistungen für die Kirchen fest, ver2 8 ZENTRALBLATT 1918, S. 721—722; abgedruckt G.A.RITTER/S.MILLER, Revolution, 2. Auflage, S. 286. 2 9 Schreiben Hirsdis an den E O K vom 9. 1. 1919 (AEKU, Gen. II 27/1). 3 0 F.THIMME, Verhältnis, S. 36—37. 31 Er war insbesondere beunruhigt über die möglichen Auswirkungen der Hoffmannschen Politik in den katholischen Grenzprovinzen Rheinland, Oberschlesien und Posen (vgl. seinen Brief an Hoffmann vom 31. 12. 1918; E. KOLB, Zentralrat,

S. 1 3 9 — 1 4 1 ; S. 2 8 7 ) .

V

wiederabgedruckt

G. A.

RITTER/S. MILLER, R e v o l u t i o n ,

2.

Auflage,

20

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

urteilten die Ernennung Wessels und protestierten deswegen beim preußischen Ministerpräsidenten 32 . Eine Abschrift ihrer Protestnote ließ Oberregierungsrat Brugger durch Wilhelm Kahl dem Ev. Oberkirchenrat zukommen, — ein bemerkenswertes Beipsiel dafür, wie solidarisch sich die alten Kirchen- und Staatsbeamten gegen die neuen Machthaber stellten 33 . Vier Beamte des Kultusministeriums verlangten sogar vom Vorsitzenden des Zentralrats der Deutschen Sozialistischen Republik die Entlassung Hoffmanns und beriefen sich bei diesem Schritt auf Haenischs Billigung 34 . Nach Hoffmanns Rücktritt erkannte Haenisch die Kritik der Beamtenschaft als stichhaltig an und sagte zu, sie in Zukunft zu konsultieren 35 . Die Weimarer Verfassung Dem Wunsch Haenischs, beruhigend auf die Kirchengemeinden einzuwirken, kamen die Kirchenführer nicht nach. Seitdem der Minister klargestellt hatte, daß die Entscheidungen über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat erst in den neuen verfassunggebenden Versammlungen des Reiches und des Landes Preußen fallen würden, versuchten sie im Gegenteil, den Schock der Gemeindeglieder3® über die ersten Regierungsmaßnahmen auszunützen, um damit die politischen Parteien auf das Gewicht der evangelischen Wählerschaft hinzuweisen. Die Leitung der Kampagne in der altpreußischen Kirche lag in den Händen eines Unterausschusses des Vertrauensrats. E r veröffentlichte ein von Otto Dibelius herausgegebenes Nachrichtenblatt 37 , worin es 32 Denksdirift über die Wirkung der Einstellung der Staatszusdiüsse an die Kirche in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung vom 25. 11. 1918, unterzeichnet von Ministerialdirektor Dr. Gerlach von der Geistlichen Abteilung des Kultusministeriums. Dieses Schriftstück erhielten außer Minister Hoffmann und Haenisch audi andere Ministerialbeamte (ZStA POTSDAM, RMfdkirchl. A. 22166); Schreiben der Geistlichen Abteilung des Kultusministeriums an die preußische Staatsregierung

v o m 2 1 . 1 2 . 1 9 1 8 ( G S t A BERLIN, R e p . 9 0 / 2 3 8 0 ) . 3 3 Schreiben Kahls an Voigts vom 15. 12. 1918 und Vermerk Voigts vom 28. 12. 1918 (AEKU, Gen. II 27/1). 3 4 Aufzeichnung über die Zusammenkunft vom 30. 12. 1918 (Nadilaß Becker 81). — Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß die Beamten mit Zustimmung Haenischs verhandelten, weil dieser am 31. 12. an Hoffmann schrieb, einer von ihnen beiden müsse zurücktreten, und seiner Ansicht nach solle Hoffmann es tun (vgl. Anm. 31). 35 Schreiben Haenischs an die preuß. Staatsregierung vom 25. 1. 1919 (GStA BERLIN, Rep. 90/2380). 8 8 Die Beunruhigung im katholischen und evangelischen Lager belegen über 800 Protestschreiben von Gemeinden, Lehrern und verschiedenen Organisationen an die preußische Regierung (ebd.); vgl. auch F. THIMME, Verhältnis, S. 40; R. MORSEY, Zentrumspartei, S. 115 Anm. 35).

37 MITTEILUNGEN AUS DER ARBEIT d e r d e m E v . O b e r k i r c h e n r a t u n d d e m G e n e r a l -

synodalvorstand beigeordneten Vertrauensmänner der Evangelischen Landeskirche,

Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der A P U

21

hieß, daß die evangelische Kirche zwar über den Parteien stehe, aber doch nur solche Parteien unterstützt werden sollten, die evangelische Interessen verträten 38 . Der Erlaß zum Religionsunterricht wurde erbittert angegriffen und seine Aufhebung als ein großer Triumph gefeiert 39 . Trotz Haenischs Zusicherungen erschienen auch noch am 20. Januar Auszüge aus dem Dieterichsdien Programm zur Trennung von Kirche und Staat 4 0 . Besondere Aufmerksamkeit ließ man der weiblichen Wählerschaft angedeihen. Am 8. Januar veröffentlichte das Blatt die Ergebnisse einer Studie über die Einstellung der politischen Parteien zur Kirche 41 . Die religiösen Programme von D N V P , D V P und Zentrum wurden als brauchbar erachtet, aber das Zentrum verfiel wegen seiner Katholizität der Ablehnung. Dibelius empfahl den einzelnen Pfarrern, ihre Gemeinden zu belehren, wen sie wählen sollten, und schlug für den Wahltag nach dem Gottesdienst einen gemeinsamen Gang zur Urne vor. Anfang Februar rief das Mitteilungsblatt auch zu einer beim Vertrauensrat koordinierten „Massen-Eingabe an die National-Versammlung" auf, in der die Unterzeichner verlangten, „daß unsere Jugend nach wie vor in den öffentlichen Schulen eine Erziehung erhält, die auf der Grundlage des Christentums ruht und christliche Bildung und Gesittung zum Ziel hat" 4 2 . Es kann kaum bezweifelt werden, daß die Forderung dieser Petition, zu der bis Ende April fast 6V2 Millionen Unterschriften zusammenkamen 43 , Zustimmung in weiten Kreisen der Wählerschaft, auch in den Reihen der Sozialdemokraten fand 4 4 . Am 6. Februar 1919 trat in Weimar die Nationalversammlung zusammen. Trotz des unzureichenden Wahlerfolgs der von der evangelischen Kirche unterstützten Parteien waren die in dem zur Beragedruckt vom Ev. Preßverband für Deutschland. 12 Ausgaben, erschienen zwischen dem 17. 12. 1918 und dem 15. 9. 1919, sind in der Bibliothek des Archivs der E v . Kirche der Union in Berlin vorhanden. Ähnliche Kampagnen wurden auch in anderen Landeskirchen durchgeführt, insbesondere von Gruppen, die sich während der Revolution gebildet hatten, wie etwa dem Volkskirchenbund in Hannover, der im Dezember 1919 300 000 Mitglieder zu haben vorgab ( L K A HANNOVER, Zeitungsarchiv). Otto Dibelius (1880—1967), 1915 Pastor in Berlin, 1921 Mitglied des E O K , 1925 Generalsuperintendent der Kurmark, 1933 zum Rücktritt gezwungen, 1945 —1966 Bischof von Berlin, 1949—1961 Ratsvorsitzender der E K D . 38

M I T T E I L U N G E N AUS DER A R B E I T N r . 1 v o m

17. 12.

1918.

Ebd., N r . 3 vom 3 0 . 1 2 . 1 9 1 8 . 40 Ebd., N r . 5 vom 2 0 . 1 . 1 9 1 9 . 4 1 Ebd., N r . 4 vom 8 . 1 . 1 9 1 9 . 4 2 Ebd., N r . 6 vom 1 . 2 . 1919. 4 3 Schreiben des Kirchenausschusses an die Dt. Ev. Kirchenkonferenz vom 26. 4. 1919 ( A E K D , A 2/238). 39

44 M I T T E I L U N G E N AUS DER A R B E I T N r . 8 v o m 1 2 . 3 . 1 9 1 9 .

22

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

tung anstehenden Verfassungstext vorgesehenen Bestimmungen für die Kirchen durchaus vorteilhaft. Die starke Stellung des Zentrums innerhalb der Regierungskoalition machte die SPD notwendigerweise zum Ausgleich bereit 43 . Außerdem wünschte audi die linksliberale D D P die Verständigung mit den Kirchen 4e . Vier Mitglieder des Vertrauensrates der altpreußischen Kirche vertraten die Interessen der evangelischen Kirche im Verfassungsausschuß: Wilhelm Kahl (DVP), Reinhard Mumm und Gottfried Traub (DNVP) sowie Adolf von Harnack als Sachverständiger der Regierung in Schulfragen 47 . Am 13. März 1919 übergab der Kirchenausschuß eine Aufstellung seiner Forderungen 48 . Diese zielten darauf ab, der Kirche ihre überkommene privilegierte Stellung zu erhalten und ihr gleichzeitig die Unabhängigkeit vom Staat zu sichern. Die Nationalversammlung wurde gewarnt, die religiösen Gefühle des Volkes, wie sie in der Petition für die christliche Erziehung zum Ausdruck kamen, zu verletzen. Von der früheren Reichsgesetzgebung unterschied sich die Weimarer Verfassung durch den Umfang der für kirchliche Belange relevanten Bestimmungen 49 . Das entsprach dem Wunsch der Kirche, „radikale" Länder durch die Reichsgewalt in ihrer Handlungsfreiheit zu beschneiden. Artikel 137 erklärte: „Es gibt keine Staatskirche", und diese Formulierung zur Frage der Trennung von Kirche und Staat konnte allerseits angenommen werden. Den Kirchen wurde das Recht zugestanden, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln und ihre Beamten zu ernennen; den privilegierten Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts behielten sie bei. Die Kehrseite dieser großzügigen Regelung war freilich, daß auch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machten, d. h. agnostische Gruppen, dieselben Rechte erwerben konnten wie die Kirchen (Art. 137), wovon allerdings nur selten Gebrauch gemacht wurde 50 . Vorgesehen war auch die Einstellung der Staatsleistungen an die Kirchen (Art. 138 und 173); sie unterblieb jedoch schließlich, da eine Ablösung für den Staat zu kostspielig geworden wäre. Weniger zufriedenstellend für die Kirchen erwiesen sich die Bestimmungen auf 45

R . MORSEY, Z e n t r u m s p a r t e i , S . 2 0 8 — 2 2 0 .

46

TH. HEUSS, Naumann, S. 477—483.

47

VERHANDLUNGEN DER NATIONALVERSAMMLUNG B d . 3 3 6 , S . 7 6 — 7 8 ,

187—230,

515—537. 48

ALLGEMEINES KIRCHENBLATT FÜR DAS EV. DEUTSCHLAND

Heft

7 vom

1.

4.

1919, S. 1 5 4 — 1 5 7 . 49 Vgl. die Abschnitte III (Religion und Gesellschaft) und IV (Bildung und Schule) sowie Art. 173 der Weimarer Verfassung (abgedruckt bei E. R. HUBER,

D o k u m e n t e I I I , S. 1 4 8 — 1 5 0 , 155). 50 Vgl. die Begründung zu Art. 137 bzw. Art. 134 im Verfassungsentwurf durch den Berichterstatter des Verfassungsausschusses vor dem Plenum der National-

23

Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der A P U

dem Gebiet des Schulwesens. In einem nicht ganz klar formulierten Paragraphen (Art. 146) wurde der Gemeinschaftsschule ein gewisser Vorrang vor der Bekenntnisschule oder Weltanschauungsschule eingeräumt. Einzelheiten blieben einem Reichsschulgesetz vorbehalten, das allerdings wegen fehlender Mehrheiten niemals zustandekam. Die Artikel über den Religionsunterricht jedoch entsprachen den Wünschen der Kirche; überraschend sprach sich der Liberale Harnack energisch für die Beibehaltung eines eng an die Kirchen gebundenen, nach den einzelnen Bekenntnissen ausgerichteten Religionsunterrichtes aus 51 . Die evangelische Kirche hatte allen Grund, mit der Weimarer Verfassung zufrieden zu sein. Die Novemberängste vor einem feindselig auf Trennung abzielenden staatlichen Programm waren zerstreut. Während die Staatsaufsicht über die Kirche sich vermindert hatte, waren ihre Privilegien bestätigt worden. Die kritischen Einwände der SPD, in dem neu gestalteten Verhältnis sei zwar die Kirche vom Staat, nicht aber der Staat von der Kirche befreit 52 , hatten ihre Berechtigung.

Die Kirchenverfassung In Preußen trat die Verfassunggebende Versammlung am 13. März 1919 zusammen; SPD, Zentrum und D D P bildeten dort in derselben Zusammensetzung wie im Reich eine Koalitionsregierung. Die Beziehungen des Staates zur Kirche waren durch eine Verfügung der neuen preußischen Regierung belastet, mit der sie drei Minister evangelischen Glaubens, bekannt als die „heiligen drei Könige", zur Wahrnehmung der ehemals landesherrlichen Rechte über die evangelische Landeskirche eingesetzt hatte 53 . Damit war neben dem Kultusministerium eine zusätzliche staatliche Behörde für Kirchenangelegenheiten ins Leben gerufen worden. Das Hauptproblem, mit dem sich die amtlichen kirchlichen und staatlichen Stellen zu befassen hatten, war die Frage, nach welchem Verfahren eine durch die Abdankung des Herrscherhauses notwendig gewordene neue Kirchenverfassung zu schaffen sei. Die republikaniversammlung

( V E R H A N D L U N G E N DER N A T I O N A L V E R S A M M L U N G

Bd. 328, S. 1 6 4 — 1 6 5

und Wilhelm Kahls Rede ebd., S. 1646—1649). 51 Ebd., Bd. 336, S. 216—218. — Zum Sdiulkompromiß vgl. L. ALBERTIN, Liberalismus, S. 287—293. 52

VERHANDLUNGEN

DER

NATIONALVERSAMMLUNG

Bd. 336,

S. 188

(Meerfeld);

Bd. 328, S. 1650 (Quarck). 53 Vgl. Art. 5 des Gesetzes zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt in Preußen (PREUSSISCHE

GESETZSAMMLUNG

1919,

S. 53).

Ε ν. RITTBERG, Kirchenvertrag, S. 26—28.



Zur

Entstehungsgeschichte

vgl.

24

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

sehe Regierung erwartete von der Kirche gewisse Zugeständnisse an die Demokratie, weil die preußische Verfassunggebende Versammlung sonst möglicherweise die Ratifikation der Verfassung hätte verweigern können. Auf der anderen Seite beachtete die Regierung die Grenzen ihrer Zuständigkeit, wenn es sich um Eingriffe in kirchliche Angelegenheiten handelte, insbesondere im Hinblick auf die voraussichtlich in der neuen Reichsverfassung enthaltenen Bestimmungen über die Unabhängigkeit der Kirchen. Der Ev. Oberkirchenrat wollte seinerseits ebenfalls einen Bruch mit der Regierung vermeiden. Er bejahte das Recht des Staates auf Bestätigung neuer Kirchengesetze und war an der mit einer derartigen Bestätigung verbundenen Sicherheit und Dauerhaftigkeit der kirchlichen Rechtssetzung wirklich interessiert. Ebenso mußte er aber darauf bedacht sein, die Einigkeit in der Kirche nicht zu gefährden. Obwohl er die Notwendigkeit einer demokratischen Reform anerkannte, hatte er zu berücksichtigen, daß jede neue Verfassung noch von der alten Generalsynode verabschiedet werden mußte, die weiterbestand, da in der Kirche keine Revolution stattgefunden hatte. Da der Ev. Oberkirchenrat an den ihr angehörenden — überwiegend konservativen — Männern in keiner Weise vorbeigehen konnte, war eine radikale Reform unmöglich. Er verfolgte deshalb den politischen Kurs einer Kompromiß-Reform und kalkulierte dabei die äußersten Zugeständnisse der Generalsynode ebenso ein wie eine geringe Konzessionsbereitschaft auf Seiten der preußischen Verfassunggebenden Versammlung 53 ". Es war typisch f ü r die Haltung des Ev. Oberkirchenrats, daß er das Gesetz über die Einsetzung der drei Minister als rechtswidrig betrachtete, es aber dennoch beachtete 54 . Als Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner verlangte, die Kirche sollte es im Falle staatlicher Vorschriften f ü r die Gestaltung der neuen Kirchenverfassung auf einen Konflikt ankommen lassen, hielt ihm Vizepräsident Moeller die kata53a Die ausführliche neue Darstellung der Zeit von 1918—1924 von J.JACKE, Kirche zwischen Monarchie und Republik, war dem Verfasser erst nach der Drucklegung dieses Budies zugänglich. JACKE verweist darauf, daß der EOK sich audi mit den finanziellen Auswirkungen einer Trennung von Kirche und Staat befaßte, und streicht diese Tatsache als den entscheidenden Faktor für die Bereitwilligkeit des EOK heraus, ein Abkommen mit dem Staat anzustreben. Zur Untermauerung seiner Auffassung zitiert JACKE bestimmte Aussagen Präsident Moellers (S. 236, 280) und verweist auf den Niederschlag, den derartige Überlegungen in der Korrespondenz Julius Kaftans (S. 229, 283; vgl. auch unten S. 68) sowie in einem Zeitungsartikel Dibelius' (S. 177) gefunden haben. Der Kontext legt jedoch nahe, daß Moeller das finanzielle Argument aus dem Grunde betonte, weil es für die Gegner seiner Politik auf dem rediten Flügel das meiste Gewicht hatte. 54 Schreiben des EOK an die preuß. Staatsregierung vom 26. 3. 1919 (AEKU Gen. II 27/2).

Das Land Preußen und die Evangelische Kirche der A P U

25

strophalen Wirkungen eines solchen Verhaltens vor: Da die Kirche in sich nicht einig sei, würde die Regierung in einer solchen Situation deren Schwäche ausnützen 55 . Vorab mußte die Frage nach der Zusammensetzung der verfassunggebenden Kirchenversammlung geklärt werden, die eine neue Verfassung beschließen konnte. Der Ev. Oberkirchenrat und der Vertrauensrat 56 befürworteten ein demokratisches, aus unmittelbaren allgemeinen Wahlen hervorgegangenes Gremium. Zur Erhärtung dieser Vorstellungen führte Oberkonsistorialrat Hermann Kapler 57 vor dem Verfassungsausschuß des Vertrauensrats aus: „Bei Beurteilung der Frage wird man das Vollgewicht der Tatsache — gleichviel ob diese als bedauerlich oder erfreulich bewertet wird — würdigen müssen, daß die geistige Atmosphäre in Deutschland eine weitgehende Umwandlung erfahren hat, und daß von der großen demokratischen Welle, die durch unsere Zeit geht, auch die kirchliche Welt erfaßt ist. Will man die Kirche als Volkskirche erhalten, so muß man ihr eine Verfassung schaffen, die von dem Vertrauen und der freudigen Teilnahme der Gesamtheit des Kirchenvolkes getragen ist." Kapler wies insbesondere auf die Notwendigkeit hin, daß die Frauen, der linke Flügel der Kirche und die Arbeiterklasse der Vertretung bedürften. Viele Evangelische hätten das Gefühl, bei der derzeit amtierenden Generalsynode handle es sich um eine „künstlich gebildete Notabeinversammlung". Als Antwort auf die Warnung des Vorsitzenden des Generalsynodalvorstands, Landrat Winckler, vor den Gefahren einer Radikalisierung sagte er: „Ein gewisses Vertrauen in den gesunden Sinn des Kirchenvolkes muß man allerdings überhaupt haben, wenn man die Volkskirche will; hat man das nicht, so wird man folgerichtig auf die Volkskirche verzichten und sich auf die Bildung von freien Gemeinden und Konventikeln beschränken müssen." 58 Dennoch rief der Vorschlag für Urwahlen die heftige Opposition konservativer Gruppen hervor; alle damals gerade tagenden Provinzialsynoden verwarfen ihn 5e . Die „Kreuzzeitung" sprach von einer 55 Sitzungsprotokoll des Verfassungsausschusses des Vertrauenrats vom 20. 3. 1919 (AEKU Gen. II 31/1). 56 Vgl. oben S. 14—15. 57 Hermann Kapler (1867—1941), 1901 Konsistorialrat in Berlin und Hilfsarbeiter im EOK, 1904 Oberkonsistorialrat, 1919 Weltlicher Vizepräsident, 1925— 1933 Präsident des EOK und des Deutschen Ev. Kirchenausschusses. 58 Abschrift der Kaplersdien Erklärung vor dem Verfassungsaussdiuß des Vertrauenrats vom 9. 1. 1919 (AEKU, Gen. II 31/1). 59 Ζ. B. Rheinland, Westfalen, Brandenburg, Pommern und Schlesien (vgl.

VERHANDLUNGEN DER GENERALSYNODE 1 9 2 0 I I , S. 1 2 7 — 1 3 3 ,

G. KÖHLER, Novemberrevolution, S. 86 ff.).

1 3 6 — 1 4 0 ; vgl.

auch

26

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

kirchlichen Spartakistengruppe, die mit brutalem Zwang gegen die Konservativen vorzugehen beabsichtige80. Angesichts dieses Widerstandes stimmte der Ev. Oberkirchenrat schließlich einem Kompromiß zu: Die verfassunggebende Kirchenversammlung sollte in einem zweiten Wahlgang von den ihrerseits direkt gewählten Gemeindekörperschaften gewählt werden (Siebsystem)β1. Am 30. Mai 1919 ersuchte der Ev. Oberkirchenrat die Regierung um ihre Zustimmung zu diesem Modus 62 . Kultusminister Haenisch, von seinem liberalen Staatssekretär Ernst Troeltsch und den konservativen Abteilungschefs des Ministeriums mit sich widersprechenden Ratschlägen versehen, verweigerte eine bindende Entscheidung63. Er machte deutlich, daß er die Konzeption der Kirche für nicht hinreichend demokratisch erachtete, aber nicht sicher war, welche rechtlichen Möglichkeiten dem Staat in dieser Angelegenheit zustanden, wenn erst die Reichsverfassung ratifiziert sein würde. Als der Ev. Oberkirchenrat sich entschloß, die Sache voranzutreiben, und der Generalsynode seine Vorschläge zuleitete 64 , brachte die DDP in der preußischen Verfassunggebenden Versammlung eine förmliche Anfrage ein, in der die Kirche der illegalen Handlungsweise und des Mißbrauchs demokratischer Rechte des preußischen Volkes bezichtigt wurde 65 . Diesem Schritt lag die Absicht zugrunde, der Kirche eine demokratisch gewählte verfassunggebende Versammlung aufzuzwingen und damit den Liberalen in der Kirche die bestmöglichen Chancen in dem neuen Gremium zu sichern. Einflußreich war diese Partei durch die Tatsache, daß die Kirche für die Zustimmung zum Kirchenwahlgesetz in der preußischen Landesversammlung der Stimmen der demokratischen Fraktion bedurfte ββ . Nach dieser DDP-Initiative weigerM

KREUZZEITUNG v o m 2 8 .

1. 1 9 1 9 ( A E K U , G e n . I I

27/1).

61

Die alte Generalsynode war dagegen erst nach zwei weiteren Zwischenwahlen durdi die Kreis- und Provinzialsynoden gewählt worden. 62 Schreiben des EOK an das preuß. Kultusministerium (ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. X V I I 214/1). 63 Vgl. Troeltschs Entwurf vom 6. 6. 1919 und Stalmanns Antwort vom 16. 7. 1919 mit Randbemerkungen von Troeltsch (ebd.), Schreiben Haenisdis an den EOK vom 21. 7. 1919 (AEKU, Gen. II 27/3); vgl. auch G. KÖHLER, Novemberrevolution, S. 91. *4 Schreiben des EOK an die drei Minister und Kultusminister Haenisch vom 30. 10. 1919 (ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. X V I I 214/1). 65

SITZUNGSBERICHTE DER LANDESVERSAMMLUNG, D r u c k s a c h e n B d . 4 , S . 1 6 1 1 ; v g l .

auch G. KÖHLER, Novemberrevolution, S. 97 ff. ββ Die Sitze in der Landesversammlung verteilten sich wie folgt: D N V P 48, D V P 23, Z e n t r u m 94, D D P 65, S P D 145, U S P D 24, Ü b r i g e 3 (STATISTISCHES JAHRBUCH FÜR D E N FRETSTAAT P R E U S S E N B d . 1 6 , S . 4 2 4 ) .

Das Land Preußen und die Evangelische Kirdie der A P U

27

ten sich die drei Minister, die Genehmigung zur Einberufung der Generalsynode zu erteilen 67 . Die Aussprache in der preußischen Verfassunggebenden Landesversammlung über den Antrag der Demokraten fand am 3. Dezember 1919 statt. Dr. Berndt wies in der Begründung für die Deutsche Demokratische Partei darauf hin, daß die große Masse des Kirchenvolks — wie ursprünglich auch der Vertrauensrat — hinter dem Grundsatz allgemeiner unmittelbarer Wahlen stehe; der Ev. Oberkirchenrat hätte nicht nachgeben sollen. „Wir fordern die Freiheit der Kirche vom Staate; aber wir fordern auch die Freiheit der Kirche von der Alleinherrschaft einzelner kirchlicher Richtungen." Der rechte Flügel der Kirche verfolge ein politisches Ziel: Er beabsichtige unter Mißbrauch der kirchlichen Macht die Republik zu stürzen. Seine Feindschaft sei verständlich gewesen, solange Hoffmann das Amt des Kultusministers bekleidet habe; jetzt aber, wo die Reichsverfassung und auch die Mehrheitsparteien kirchenfreundlich seien, müßten die Demokraten ihrerseits von der Kirdie fordern, „ . . .daß sie sich dem Staate fügt, der heute die rechtmäßige Obrigkeit im Lande ist" 68 . Auch sein Parteifreund Martin Rade warnte vor der Gefahr, daß die Kirche zu einem „Hort der Reaktion" werde. Er gab zu, daß die verfassunggebende Kirchenversammlung über das Wahlsystem für ihre künftigen Synoden frei entscheiden können sollte, hielt es aber für wesentlich, daß diese verfassunggebende Versammlung selbst demokratisch gewählt werde. Jedes andere System sei „unevangelisch, unprotestantisch, unkirchlich und unchristlich" e9 . Der DDP-Antrag wurde von der SPD unterstützt, von DNVP, Zentrum und DVP abgelehnt. Der deutschnationale Generalsuperintendent Reinhard hob hervor, daß dort, wo wie in Baden und Württemberg bei den Kirchenwahlen das unmittelbare allgemeine Wahlrecht eingeführt worden sei, die liberale Kirchenpartei im Ergebnis an Boden verloren habe 70 . Generalsuperintendent Klingemann sprach ebenfalls für die D N V P und verwies darauf, daß die D D P noch immer Züge jenes „Vulgärliberalismus" der Vergangenheit trage, der wenig Verständnis für Kirchenfragen aufbringe. Er gab jedoch zu, daß die Kirche vor der Revolution zu eng an den Staat gebunden gewesen sei, und ließ durchblicken, daß er die neue Obrigkeit als legi67 Der Text des Briefes vom 13. 11. 1919 ist abgedruckt in: VERHANDLUNGEN DER GENERALSYNODE 1920 II, S. 113—114; vgl. auch G.KÖHLER, Novemberrevolution, S. 101 ff. 68 SITZUNGSBERICHTE DER LANDESVERSAMMLUNG B d . 6, S. 7 0 6 0 — 7 0 6 8 ; v g l . auch G . KÖHLER, N o v e m b e r r e v o l u t i o n , S. 9 9 f .

··

SITZUNGSBERICHTE

70

Ebd., S. 7072.

DER LANDESVERSAMMLUNG

Bd. 6, S. 7 1 0 5 — 7 1 1 6 .

28

Das Arrangement mit dem republikanischen Staat 1918—1924

tim anerkenne 71 . Der Abgeordnete Richert von der Deutschen Volkspartei erklärte, seine Partei sei mit dem vorgeschlagenen Wohlmodus ebenfalls nicht einverstanden, halte die Entscheidung darüber aber für eine innerkirchliche Angelegenheit: „Man darf die Staatskirche nicht unter der Hand fortführen, nachdem man sie öffentlich aufgegeben hat." 7 2 Kultusminister Haenisch vertrat eine mittlere Position. Nach dem Gesetz, so stimmte er zu, sei es an der Kirche, über ihr Wahlsystem zu entscheiden; trotzdem habe er sie aufgefordert, es demokratischer auszugestalten. Die Landesversammlung könne dem Kirchengesetz, wenn die Kirchenbehörden es nicht verbesserten, die staatliche Bestätigung verweigern 73 . Gegenüber einem solchen politischen Druck nahm der Ev. Oberkirchenrat einen sehr entschlossenen Standpunkt ein. Er behauptete, die Weigerung der drei Minister, die Synode einberufen zu lassen, stelle eine Verletzung der Reichsverfassung dar. Zur politischen Seite des Fragenkomplexes erklärte er, die Kirche sei, obwohl sie die politischen Grundsätze des Staates berücksichtige, nicht gezwungen, sich ihnen anzupassen. Über ihren Grad der Annäherung an den Staat habe allein die Kirche zu befinden. Er warnte davor, daß unabhängig vom Vorgehen des Ev. Oberkirchenrats selbst die wenig entgegenkommende Einstellung der drei Minister gegenüber kirchlichen Wünschen einen Konflikt auslösen müsse, weil die Kirchenglieder ein staatliches Diktat nicht hinnehmen würden 74 . Die Lösung wurde auf dem Verhandlungswege gesucht75, und die Kirche konnte dabei mühelos eine günstige Regelung erzielen. Als Gegenleistung für kleinere Zugeständnisse, wie etwa die Einführung von Zusatzstimmen in städtischen Gemeinden und die Begrenzung der für die Geistlichen vorgesehenen Sitze in der verfassunggebenden Versammlung, waren die Minister damit einverstanden, angesichts der ablehnenden Haltung der Provinzsynoden den Grundsatz unmittelbarer Wahlen aufzugeben. Damit das Gesicht gewahrt bliebe, sollte Kahl, so wurde vereinbart, in der Generalsynode einen Abänderungsantrag zugunsten unmittelbarer Wahlen einbringen, der selbstverständlich von einer großen Mehrheit abgelehnt wurde 76 . Man traf außerdem die Ab71

E b d . , S . 7118, 7120—7121. E b d . , S. 7 1 6 5 — 7 1 6 9 . 73 E b d . , S. 7 1 4 0 — 7 1 4 3 . 74 Brief v o m 15. 12. 1 9 1 9 (VERHANDLUNGEN DER GENERALSYNODE S. 1 1 4 — 1 2 1 ) ; v g l . a u d i G.KÖHLER, N o v e m b e r r e v o l u t i o n , S. 1 0 4 f f . 72

75

1920

II,

Sitzungsprotokolle vom 27. 1. 1920 und 21. 2. 1920 (ZStA MERSEBURG, Rep.

76 I I I S e k t . 1 A b t . X V I I 2 1 4 / 1 ) . 76 VERHANDLUNGEN DER GENERALSYNODE 1 9 2 0 I, S. 4 7 6 ; v g l . a u d i G . KÖHLER,

Novemberrevolution, S. 111 ff.

Das Land Preußen und die Evangelische Kirdie der A P U

29

machung, die Machtbefugnisse der drei Minister an die Kirdie abzutreten, sobald die verfassunggebende Kirchenversammlung zusammengetreten sei. Es ist bei einer ersten Beurteilung überraschend festzustellen, wie leicht die Regierung in einer Angelegenheit nachgab, in der ihr Prestige auf dem Spiele stand, nachdem sie doch mit einer möglichen Mehrheit für ihre Auffassung in der Landesversammlung rechnen konnte 77 . Für diese augenscheinliche Schwäche lassen sich einige Gründe anführen. Zunächst einmal widersetzte sich innerhalb der Regierungskoalition selbst die Zentrumspartei in diesem Punkt dem politischen Kurs 78 . Des weiteren aber war auch die Rechtsgrundlage äußerst unsicher, von der aus das Kabinett argumentieren konnte. Angenommen, die Landesversammlung verweigerte die Bestätigung des Kirchenwahlgesetzes, dann blieb nach wie vor das ältere und weitaus rückständigere Gesetz in Kraft 79 . Die Regierung hatte nicht das Recht, der Kirche eine demokratische Verfassung zu diktieren; hier handelte es sich um eine in Artikel 137 der Reichsverfassung abgesicherte und im Fall Braunschweig von den Gerichten bestätigte innerkirchliche Angelegenheit 80 . Auch auf politischer Ebene konnte sich die Regierung, insbesondere im Rückblick auf die erst unlängst durch Hoffmann hervorgerufene Opposition, das Risiko eines „Kulturkampfes" nicht leisten81. Als die Generalsynode im April 1920 zum letzten Mal in ihrer alten Zusammensetzung tagte, nahm sie das vorliegende Kirchenwahlgesetz an; die preußische Landesversammlung bestätigte es am 8. Juli 1920 82 . 77 E. VON RITTBERG, die eine sehr ausführliche Darstellung der Verhandlungen zwischen Kirdie und Staat gibt, verweist darauf, daß die Kirche mit Unterstützung des Zentrums im Reich wie in Preußen über eine ihr freundlich gesonnene Mehrheit verfügte, was aber tatsächlich nur den Verhältnissen entsprach, wenn die D D P ihre Unterstützung gab. Dies traf im vorliegenden Fall nicht zu (Kirchenvertrag, S. 53). 78

Vgl. den Meinungswechsel zwischen Haenisch und dem Zentrumsabgeordneten Lauscher (SITZUNGSBERICHTE DER LANDESVERSAMMLUNG Bd. 6, S. 7089—7104, 7130— 7139, 7156—7161). 79 Das war einer der überzeugendsten Einwände der Abteilungsleiter des Kultusministeriums und des Staatsministeriums gegen die von Troeltsch vertretene Politik, Druck auf die Kirche auszuüben (vgl. das Memorandum Stalmanns vom 16. 7. 1919; ZStA MERSEBURG, Rep. 76 III Sekt. 1 Abt. X V I I 214/1; Memorandum Dryanders vom 28. 8. 1919; ebd., Rep. 77 Tit. 123 157/1). 80

Vgl. unten S. 37. Das preußische Kabinett befaßte sich am 19. 12. 1919 mit den gegen die drei Minister gerichteten Angriffen der Rechtspresse und dem Gebrauch, den die hannoverschen Separatisten der Weifenbewegung davon machten (ZStA MERSEBURG, Rep. 90 a Tit. III 2 b 6/168). 81

82

V E R H A N D L U N G E N DER G E N E R A L S Y N O D E 1 9 2 0 I , S . 5 1 — 5 8 ,

528.

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