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German Pages 280 Year 1980
Begriffsbildung und Definition von
Tadeusz Pawlowski aus dem Polnischen übersetzt von
Georg Grzyb
w DE
G 1980
Walter de Gruyter · Berlin · New York
SAMMLUNG GÖSCHEN 2213
Tadeusz Pawlowski Professor an der Universität Lodz
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Pawlowski, Tadeusz: Begriffsbildung und Definition / von Tadeusz Pawlowski. Aus d. Poln. übers, von Georg Grzyb. — Berlin, New York : de Gruyter, 1980. (Sammlung Göschen ; 2213) ISBN 3-11-006661 0
© Copyright 1980 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J . Göschen 'sehe Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., 1000 Berlin 3 0 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden — Printed in Germany — Satz und Druck: Walter de Gruyter, 1 Berlin 30 — Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe GmbH, Berlin.
Vorbemerkung Ich denke, als Einführung in die Probleme der Begriffsbildung in den Geistes- und Sozialwissenschaften eignet sich am besten die Beschreibung des eigenen Versuchs, einen bestimmten Begriff zu definieren — ich habe hier den Begriff des Happening im Sinn. Als ich diese Aufgabe in Angriff nahm, war es meine Absicht nicht, ein neues Verständnis des Terminus „Happening" vorzuschlagen und damit eine festsetzende Definition dieses Terminus aufzustellen. Ich wollte vielmehr seinen Gebrauch möglichst adäquat wiedergeben, d. h. seine feststellende Definition aufstellen. Feststellend bezüglich der Sprache der Kunstkritiker und -theoretiker, aber auch bezüglich der Sprache der Happeningveranstalter sowie der Verfasser programmatischer Manifeste. Es ging dabei nicht ohne die Analyse charakteristischer Eigenschaften bestimmter Veranstaltungen, die als Happening bezeichnet werden, mit dem Ziel, Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszufinden. Ich wollte auf einen Komplex spezifischer Eigenschaften hinweisen, d. h. auf solche, die allen Fällen von Happening und nur ihnen eigentümlich sind. Wäre diese Aufgabe zu lösen gewesen, hätte ich eine vollständige Äquivalenzdefinition des Terminus „Happening" aufstellen können. Als Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen und Analysen habe ich zwar einen bestimmten Komplex von Eigenschaften unterschieden, die den Happenings zugesprochen werden; es sind aber keine spezifischen Eigenschaften. Darüber hinaus zeigte sich aber, daß alle Veranstaltungen, die als Happening bezeichnet werden (sowohl die faktisch durchgeführten als auch die in künstlerischen Programmen angekündigten) einen solchen vom Standpunkt der Kunsttheorie interessierenden Komplex von Eigenschaften überhaupt nicht besitzen. Die Einschränkung „vom Standpunkt der Kunsttheorie interessierenden" ist wesentlich. Jede Menge von Gegenständen, die mit einem Terminus Τ bezeichnet wird, besitzt nämlich einen gewissen Komplex spezifischer Eigenschaften —
4
Vorbemerkung
eine davon ist die, daß sie mit dem Terminus Τ bezeichnet wird. Es ist aber nicht so, daß die Komplexe von Eigenschaften, die den Happenings zugeschrieben werden, diese in spezifischer Weise kennzeichnen. Daher können sie nicht als Grundlage für die Aufstellung einer vollständigen Äquivalenzdefinition dienen, denn nicht jede dieser Eigenschaften tritt in allen Realisierungen auf, die man als Happening bezeichnet. Außerdem sind dies graduierbare Eigenschaften; sie treten in den einzelnen Realisierungen mit unterschiedlicher Intensität auf — von der minimalen bis zur maximalen. Aus diesen Unterschieden im Intensitätsgrad resultieren Veranstaltungen unterschiedlichen Charakters. Fügen wir am Rande hinzu, daß die Graduierbarkeit der definitorischen Eigenschaften des Happening Ursache der Vagheit dieses Begriffs ist. Manchmal ist es so, daß eine der den Happenings zugeschriebenen Eigenschaften einer anderen entgegengesetzt ist. Die aufgezeigten Schwierigkeiten treten in ihrer ganzen Schärfe bezüglich der Beteiligung und der Rolle des Publikums beim Happening hervor. Das Happening sollte den Zuschauer aus der Rolle des passiven Konsumenten drängen und ihn zur aktiven Beteiligung an der Veranstaltung bewegen. Dieses Postulat sollte dazu beitragen, die — wie man sagt — künstliche Grenze zwischen den Produzenten und dem Konsumenten und sogar die Grenze zwischen Kunst und Leben zu überwinden. Das Problem der Beteiligung des Publikums wurde aber in unterschiedlichster Weise gelöst: von der zufälligen, zum Teil scheinbaren, über intensivere Formen der Beteiligung bis zum Stadium, in dem es kein Publikum mehr, sondern nur vollberechtigte Teilnehmer gibt. Die wirkliche Teilnahme des Publikums verlangt aber dessen vorherige Vorbereitung, Übungen, Proben, Regie. Das kollidiert aber mit der von den Happening-Künstlern gleichzeitig geforderten Freiheit und Spontaneität des Verhaltens. Im Happening sollte es keine Rollen geben, keine Personen, die man wie im Theater hätte spielen können. Jeder Teilnehmer sollte er selbst sein. Was sollte man in dieser Situation tun? Sollte man feststellen, daß in Anbetracht der Divergenz der Eigenschaften, die man dem Happening zuschreibt, der Terminus „Happening" selbst mehrdeutig ist? Eine derartige Lösung würde dem tatsächlichen Gebrauch dieses Terminus nicht entsprechen. Sie würde
Vorbemerkung
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auch die wesentlichen Ähnlichkeiten in den Hintergrund drängen, die zwischen den einzelnen Realisierungen bestehen. Vieles deutet darauf hin, daß wir es hier mit einem Terminus zu tun haben, der eine Familie von Bedeutungen hat. Die Extension eines solchen Terminus bildet nicht eine Menge von Gegenständen, die durch einen Komplex spezifischer Eigenschaften charakterisiert sind; es ist eher eine Reihe von Teilmengen, die lediglich durch teilweise Ähnlichkeiten verbunden werden, und die daher eine Familie von Teilmengen bilden. Diese Anmerkungen erklären, warum man nicht eine vollständige Äquivalenzdefinition des Happening aufstellen kann. Dieser Begriff läßt sich aber teilweise durch eine Reihe partieller Definitionen definieren. Ist nun „Happening" als eine Familie von Bedeutungen ein wissenschaftlich nützlicher Begriff? Die wissenschaftliche Nützlichkeit von Begriffen mit einer Familie von Bedeutungen ist im allgemeinen geringer als die Nützlichkeit der gewöhnlichen Begriffe, die durch Äquivalenzdefinitionen bestimmt werden. Begriffe mit einer Familie von Bedeutungen zerfallen manchmal im Zuge der Entwicklung in eine Reihe unabhängiger Begriffe; einige von ihnen erhalten dann die gewöhnliche Struktur eines durch Äquivalenzdefinition bestimmten Begriffs. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in dem Maß, in dem sich das wissenschaftliche Denken über das Happening entwickelt, auch der Begriff des Happening eine solche Wandlung erfahren wird. Man muß aber unterstreichen, daß eine derartige Explikation des Terminus „Happening", die aus der Familie der seinem gegenwärtigen Gebrauch entsprechenden Extensionen eine homogene Menge bestimmt, welche die Konstruktion einer vollständigen Äquivalenzdefinition erlaubt, nicht auf einer willkürlichen Entscheidung irgendeiner Person basieren kann. Diese Explikation muß von der Formulierung einer bestätigten Theorie, oder zumindest der Anfänge einer Theorie des Happenings begleitet werden, die darauf abzielt, seine ästhetische, künstlerische, soziale oder psychologische Funktion zu beschreiben und zu erklären. Die Rolle, die die vorgeschlagene Definition in einer solchen Theorie spielen wird, rechtfertigt dann die Wahl dieser und nicht anderer definitorischer Eigenschaften des Happening. Sie verleiht auch der Explikation den Wert der wissenschaftlichen Nützlichkeit.
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Vorbemerkung
Der hier skizzierte Versuch einer Begriffsbestimmung des Begriffs „ H a p p e n i n g " veranschaulicht Probleme, die Untersuchungsgegenstand dieses Buches sind. Durdi Hervorhebung im Druckbild habe ich die Probleme der einzelnen Kapitel signalisiert. Sie werden aber nicht isoliert diskutiert, sondern in Beziehung zu allgemeinen Problemen der geistes- und humanwissenschaftlichen Disziplinen. Das vorliegende Buch wendet sich vor allem an zwei Gruppen von Lesern: an Vertreter der einzelnen Geistes- und Sozialwissenschaften, die an Problemen der Begriffsbildung interessiert sind, sowie an Beziehungen, die zwischen der Wahl einer bestimmten Definition eines Begriffs und allgemeinen Problemen der Disziplin bestehen, zu der dieser Begriff gehört; es wendet sich auch an Studenten der verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Es w a r meine Absicht, ein Buch einführenden Charakters zu schreiben, was aber nicht bedeuten soll, daß hier kompliziertere und für die Geistes- und Sozialwissenschaften wichtige, mit der Definition zusammenhängende Fragestellungen ausgelassen wurden. Ich habe mich bemüht, möglichst alle Begriffe zu erläutern, die für das Verständnis der besprochenen Probleme unerläßlich sind, und sie in der Art und Weise einzuführen, daß der Leser zu weiteren selbständigen Reflexionen über Definitionen, denen er in seiner Forschungstätigkeit und bei seiner Lektüre begegnet, befähigt wird. Tadeusz PauAowski
Inhalt Vorbemerkung
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen Bedingungen des korrekten Definierens
und die
formalen 9
Form und Bestandteile der Definition Feststellende, festsetzende und regulierende Definitionen Real- und Nominaldefinitionen Fehler beim Definieren, Bedingungen des korrekten Definierens Konstruktionsmethoden feststellender Definitionen Kap. II: Definitionen
als Mittel zur Behebung sprachlicher
. .
9 18 28 31 43
Mängel
52
Mehrdeutigkeit Fehler und Mißverständnisse, die aus Mehrdeutigkeiten resultieren Vagheit
53 69 75
Kap. III: Bedingungen nitionen
82
der wissenschaftlichen
Nützlichkeit
von Defi-
Allgemeine Vorbemerkungen 82 Nützlichkeitsbedingungen in den nomologischen Wissenschaften . . 88 Nützlichkeitsbedingungen von Definitionen in den nicht-nomologischen Wissenschaften 99 Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften . . 106 — Typenbegriffe 106 - Definitionen mit Bezug auf ein Wertesystem 113 Kap. IV: Partielle Definitionen
125
Einleitende Bemerkungen. Vollständige und partielle Definitionen Die Argumentation Carnaps Arten von Partiellen Definitionen Die Anwendbarkeit partieller Definitionen in den Geistes- und Sozialwissenschaften
125 129 133 141
Kap. V: Explikationen
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Bestandteile der Explikation Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
160 166
8
Inhalt
Explikation und andere M e t h o d e n der Begriffsbestimmung Anwendungen Kap. VI:
Begriffe mit Bedeutungsfamilien
und ihre Definitionen
Die logische Struktur von Begriffen mit Bedeutungsfamilien - Die Definition auf der Basis der Ähnlichkeitsrelation - Die Explikation auf der Basis partieller Definitionen
183 185 . . . . . .
Ursprung und Entwicklung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien . — Eigenschaften, die graduelle A b s t u f u n g e n zulassen, u n d die Vagheit v o n Begriffen — Die Tendenz, die Mittel der K o m m u n i k a t i o n ö k o n o m i s c h zu halten - Die Berücksichtigung emotionaler Assoziationen existierender Wörter — Die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen — Sind Begriffe m i t Bedeutungsfamilien wissenschaftlich nützlich? - Treten Begriffe m i t Bedeutungsfamilien in allen Wissenschaften gleich o f t auf o d e r sind sie vielmehr charakteristisch f ü r die Geisteswissenschaften ? Kap. VII:
Persuasive
Definitionen
Die persuasive Funktion der Sprache Persuasive Definitionen, die auf eine V e r ä n d e r u n g der Extension des D e f i n i e n d u m zielen Auf eine Veränderung der mit dem Definiendum v e r k n ü p f t e n a m o t i o nalen Assoziationen zielende persuasive Definitionen Persuasive Definitionen, die darauf zielen, einen gebräuchlichen Terminus d u r c h einen a n d e r e n mit unterschiedlichem e m o t i o n a l e n Potential zu ersetzen Persuasive Argumentation Einige methodologische Probleme
199 203 204 211 223 225 228 233 235 236
240 243 243 248 251
257 259 261
Literaturverzeichnis
273
Namenindex
277
Sachindex
279
Kapitel I
Über verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens Form und Bestandteile der Definitionen Eine Definition — im weiteren Sinn dieses Wortes — gebrauchen wir immer dann, wenn die Bedeutung eines Ausdrucks erläutert werden soll. Zur Definition in diesem weiten Sinn gehören Ausdrücke verschiedener Form. Ich werde mich hier vor allem mit Definitionen befassen, die in weniger exakten Kontexten vorkommen — in der Alltagssprache sowie in den Geistes- und Sozialwissenschaften. 1 Sie unterscheiden sich von Definitionen im Rahmen einer exakten als ein deduktives System darstellbaren wissenschaftlichen Theorie. 2 In dieser werden die Form der Definition und die Bedingungen des korrekten Definierens auf andere Weise bestimmt. Meine Überlegungen zum Thema Definition beginne ich mit einer Darstellung der Probleme, die die übliche Äquivalenzdefinition betreffen. In ihr wird der definierte mit dem definierenden Aus1
2
Eine formalere Fassung des Begriffs der Definition findet man ζ. B. in folgenden Arbeiten: E. von Savigny: Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren. München 1971; W. K. Essler: Wissenschaftstheorie I. Definition und Reduktion. Freiburg, München 1970. In einer solchen Theorie werden bestimmte Behauptungen als Axiome herausgestellt. Alle anderen Behauptungen dieser Theorie lassen sich auf dem deduktiven Weg aus diesen Axiomen ableiten. Ähnlich werden bestimmte Termini der Theorie als Grundtennini eingeführt, alle anderen werden mit Hilfe der Grundtermini oder mit Hilfe bereits definierter Termini bestimmt. Die Form der Definirion und die Bedingungen des korrekten Definierens werden hier immer auf die Sprache der Theorie und auf ihre Grundbegriffe relativiert.
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
druck mit Hife einer Kopula verbunden, die den Charakter einer Äquivalenz hat. In den weiteren Kapiteln werde ich dann bestimmte speziellere Arten von Definitionen besprechen, darunter auch solche, die keine Äquivalenzen sind. Ich habe gesagt, das Ziel einer Definition sei die Erläuterung der Bedeutung der Ausdrücke. Zwischen den sprachlichen Formen einzelner Definitionen gibt es Unterschiede. Betrachten wir einige Beispiele. (1) Solfeggio nennen wir eine Gesangsübung, die auf Vokale oder Tonsilben gesungen wird. (2) „Avers" heißt soviel wie „die Haupt- oder Vorderseite einer Münze oder Medaille". 3 (3) Unter einer Lüge sollte man das bewußte Äußern der Unwahrheit verstehen. (4) Ein Leukozyt ist soviel wie ein weißes Blutkörperchen. (5) Der Goldene Schnitt ist die Teilung einer Strecke in zwei Abschnitte so, daß der kleinere Abschnitt sich zum größeren verhält, wie dieser zur ganzen Strecke. (6) Ein Pedant ist ein Mensch, der im übertriebenen Maß die von ihm anerkannte Ordnung befolgt. (7) Der Logarithmus der Zahl a mit der Basis b ist gleich der Zahl c genau dann, wenn die Zahl b in die Potenz c gehoben die Zahl a ergibt.4 Anhand dieser Beispiele will ich nun die Bestandteile einer Äquivalenzdefinition aufzeigen. Sie enthält vor allem den Ausdruck, dessen Sinn unbekannt oder nicht genügend klar ist, und der durch die aufgestellte Definition erläutert werden soll. In den Wissenschaftssprachen hat sich der Brauch eingebürgert, diesen Ausdruck mit Hilfe des lateinischen Namens Definiendum (= der zu definierende Ausdruck) zu bezeichnen. Er tritt immer auf der linken Seite der Definitionskopula auf — allein oder in einem für ihn charakteristischen Kontext. In den obigen Beispielen weiden folgende Ausdrücke de3 4
Im Unterschied zur Rückseite, die man Revers nennt. D. h. logba = c genau dann, wenn b c = a.
Form und Bestandteile der Definition
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finiert: Solfeggio, „Avers", Lüge, Leukozyt, Goldener Schnitt, Pedant, Logarithmus. Ein weiterer Bestandteil der Definition ist der Ausdruck, dessen Sinn bekannt ist, und mit dessen Hilfe der zu definierende Ausdruck bestimmt wird. Der definierende Ausdruck, lateinisch Definiens, befindet sich auf der rechten Seite der Definition. In den obigen Beispielen haben folgende Ausdrücke die Rolle des Definiens: eine Gesangübung, die auf Vokale oder Tonsilben gesungen wird — „die Haupt- oder Vorderseite einer Münze oder Medaille" — das bewußte Äußern der Unwahrheit — ein weißes Blutkörperchen — die Teilung einer Strecke in zwei Abschnitte so, daß der kleinere Abschnitt sich zum größeren verhält, wie dieser zur ganzen Strecke — ein Mensch, der im übertriebenen Maß die von ihm anerkannte Ordnung befolgt — die Zahl b in die Potenz c gehoben die Zahl a ergibt. Der letzte, dritte Bestandteil einer Definition ist die Definitionskopula, die den Charakter einer Äquivalenz hat, und die das Definiendum mit dem Definiens verbindet. Als Definitionskopula treten in den obigen Beispielen folgende Ausdrücke auf: nennen wir — heißt soviel wie — sollte man . . . verstehen — ist soviel wie — ist — genau dann, wenn. Das Einfügen der gleichsetzenden Kopula zwischen den definierten und den definierenden Ausdruck zeigt an, daß der erste Ausdruck dem zweiten sinn- oder zumindest extensionsgleich ist. 5 So kommt es, daß das unbekannte Definiendum mit Hilfe des bekannten Definiens bestimmt wird. Davon ausgehend läßt sich nun die allgemeine Form der in weniger exakten Kontexten vorkommenden Äquivalenzdefinition mit Hilfe des folgenden Schemas darstellen: Α = Β In diesem Schema repräsentiert die Variable A das Definiendum, die Variable Β das Definiens, und das zwischen beiden auftretende Symbol = die Definitionskopula mit Äquivalenzcharakter. 5
Vgl. die Anmerkungen über den Begriff der Extension im Kap.: Definitionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel.
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Kap. 1: Uber verschiedene Arten von Definitionen
Aufgrund der bisherigen Beispiele und Überlegungen läßt sich leicht feststellen, daß die Form der Sätze, die in der Alltagssprache sowie in den Geistes- und Sozialwissenschaften als Definitionen fungieren, nicht einheitlich ist. Ganz im Gegenteil, als Definitionen können Ausdrücke der unterschiedlichsten Formen auftreten. In der Wahl der äußeren Form einer Definition gibt es aber keine unbeschränkte Freiheit, obwohl keine klare und scharfe Grenze zwischen dem existiert, was eine Definition ist, und dem, was keine mehr ist. Die Unterschiede in der äußeren Form der Definitionen rühren vor allem daher, daß unterschiedliche Ausdrücke als Definitionskopula auftreten können. In den obigen Beispielen treten sechs verschiedene Ausdrücke als Definitionskopula auf, wobei damit noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft sind. Aus diesem Grund muß man feststellen, daß das obige allgemeine Schema der Definition Α = Β eine gewisse Vereinfachung darstellt, denn dem Symbol = entspricht in der Alltagssprache nicht nur ein, sondern eine Mehrzahl unterschiedlicher Ausdrücke, die als Definitionskopula auftreten können. Bezüglich der Vielfalt der Formen unterscheiden sich die Definitionen, die in weniger exakten Kontexten auftreten, kraß von denen innerhalb einer deduktiven Theorie, in der die Form einer Definition ganz eindeutig bestimmt wird. So lassen sich Mißverständnisse und Fehler vermeiden, zu denen die Mehrdeutigkeiten der Definitionsformen in der Alltagssprache führen können. Diesem Problem will ich nun einige Aufmerksamkeit schenken. Die Vielfalt der Definitionsformen und die unscharfe Grenze zwischen Definitionen und Ausdrücken, die keine Definitionen sind, hat manchmal zur Folge, daß wir bei einem gegebenen Ausdruck, auf den wir in einem Buch oder einer Zeitschrift gestoßen sind, schwer entscheiden können, ob er eine Definition ist oder nicht. Die äußere Form allein stellt in diesem Fall kein ausreichendes Kriterium dar — wie bei einer Definition innerhalb einer deduktiven Theorie, denn es hängt von der Intention des Autors ab, ob ein Ausdruck einer bestimmten Form eine Definition ist oder nicht. Es ist also ein zusätzlicher Kommentar erforderlich, der entweder unmittelbar vom Autor selbst gegeben wird, oder sich aber aus dem Kontext ergibt, in dem der gegebene Ausdruck
Form und Bestandteile der Definition
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auftritt. Enthält der Kontext keinen solchen Kommentar, und können wir uns an den Autor nicht wenden, muß die Frage, ob der betreffende Ausdruck eine Definition ist, unbeantwortet bleiben. Von der Beantwortung dieser Frage hängen aber manchmal Probleme von weitreichender wissenschaftlicher Bedeutung ab. Dies will ich mit einem Beispiel verdeutlichen. Nehmen wir an, wir finden in einer biologischen Monographie folgenden Satz: (8) Säugetiere sind Wirbeltiere, die sich nach der Geburt von Muttermilch ernähren. Nehmen wir weiter an, wir seien nicht in der Lage zu entscheiden, ob dieser Satz eine Definition der Terminus „Säugetier" darstellt, oder eine Verallgemeinerung, in der eine empirische Gesetzmäßigkeit behauptet wird. Wenn wir diesen Satz als eine Definition ansehen, wird es keinen Sinn haben, vom Autor zu verlangen, er solle uns Beobachtungen und empirische Fakten mitteilen, die diesen Satz rechtfertigen, und aufgrund derer er ihn als wahr akzeptiert. Dies deshalb, weil als Grund für die Annahme einer Definition im Prinzip nur die freie terminologische Entscheidung des Autors gelten kann, aus der heraus er den Terminus „Säugetier" eben so verstehen möchte, wie im Satz (8) ausgedrückt. Diese freie Entscheidung wird nur durch Gründe der wissenschaftlichen Nützlichkeit des definierten Terminus begrenzt. Anders verhält es sich, wenn wir den Satz (8) als eine empirische Verallgemeinerung auffassen. In diesem Fall ist die Frage nach den Tatsachen und Beobachtungen, aufgrund derer dieser Satz als wahr akzeptiert wird, zulässig und sinnvoll. Und dies deshalb, weil eine empirische Verallgemeinerung begründeterweise nur aufgrund bestimmter Daten akzeptiert werden kann. Die Verallgemeinerung (8) läßt sich zu Fall bringen, wenn wir mindestens ein Wesen nachweisen, das sich als Säugetier nach der Geburt nicht von Muttermilch ernährt. Ich möchte noch anmerken, daß wir Satz (8) auf diese Weise nicht zu Fall bringen können, sobald wir ihn als eine Definition des Terminus „Säugetier" auffassen, denn dann ernährt sich ja jedes Wesen, das ein Säugetier ist, ex definitione nach der Geburt von Muttermilch. 2
Pawlowski, Begnffsbildung
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
In dem Augenblick, in dem Satz (8) als eine empirische Verallgemeinerung akzeptiert wird, kann er als Grundlage für Prognosen und Erklärungen von Ereignissen dienen. Man muß aber sehen, d a ß in diesem Fall der Sinn des Terminus „Säugetier" nicht mehr mit Hilfe der Eigenschaft, ein Wirbeltier zu sein, das sich nach der Geburt von Muttermilch ernährt, erklärt werden kann. Z u r Erklärung seines Sinnes müssen dann irgendwelche andere Eigenschaften der Säugetiere benutzt werden. Besonders schwierig ist die Definition bei solchen Sätzen von empirischen Verallgemeinerungen zu unterscheiden, die mit der Kopula „ist" konstruiert sind. Diese Kopula tritt im obigen Beispielsatz (8) auf. Um die Quellen der hiermit zusammenhängenden Schwierigkeiten zu verdeutlichen, betrachten wir den folgenden Satz: (9) Der Hund ist ein Haustier. Das in diesem Satz auftretende Wort „ist" hat mehrere Bedeutungen, wobei uns hier die Unterscheidung zwischen seiner Funktion als Inklusionszeichen und als Zeichen für die Äquivalenz zweier Extensionen interessiert. Wenn wir einen Satz des Typs A ist Β äußern, indem wir das Wort „ist" als Inklusionszeichen gebrauchen, wollen wir den Gedanken zum Ausdruck bringen, daß jeder Gegenstand, der die Eigenschaft A besitzt, auch die Eigenschaft Β besitzt. Anders ausgedrückt: Jeder Gegenstand, der zur Extension von A gehört, gehört auch zur Extension von B. „Der Mensch ist ein Säugetier", „Das Quadrat ist ein Viereck" — das sind Beispiele wahrer Sätze des Typs A ist B, in denen dem Wort „ist" der Sinn eines Inklusionszeichens verliehen wird. Die Wahrheit des Satzes A ist Β verlangt in diesem Fall nur, d a ß die Extension von A in der von Β enthalten sei, sie muß sie aber nicht erschöpfen. Man läßt vielmehr die Existenz von Gegenständen der Klasse Β zu, die keine Gegenstände der Klasse A sind, ζ. B. die Existenz von Säugetieren, die keine Menschen sind, die Existenz von Vierecken, die keine Quadrate sind. Derselbe Satz A ist Β kann aber auch anders verstanden werden, und zwar als die Behauptung der Gleichheit der Extensionen von
F o r m und Bestandteile der Definition
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A und B. Damit ein so verstandener Satz A ist Β wahr ist, genügt die Feststellung nicht mehr, die Extension von A sei in der von Β enthalten. Die beiden Extensionen müssen gleich sein. „Das Quadrat ist ein gleichseitiges und rechtwinkliges Viereck" — das ist ein Beispiel eines Satzes des Typs A ist B, in dem das Wort „ist" zur Feststellung der Gleichheit der Mengen A und Β benutzt wurde. Die Kopula „ist" wird insbesondere in allen Definitionen der Form A ist Β als Äquivalenzzeichen benutzt. Kehren wir nun zum Satz (9) zurück. Nehmen wir an, wir haben Zweifel, ob der Autor des Buches, aus dem dieses Beispiel stammt, diesen Satz als eine Definition des Terminus „Hund", oder als eine empirische Verallgemeinerung betrachtet. Im ersten Fall müßten wir dem Autor den Vorwurf machen, seine Definition sei inadäquat, sie ist zu umfangreich im Verhältnis zum alltäglichen Verständnis des Wortes „Hund", denn das Definiens umfaßt nicht nur Hunde. Sehen wir dagegen (9) nicht als eine Definition an, sondern als eine empirische Verallgemeinerung, wird dieser Vorwurf grundlos, und Satz (9) drückt dann den allen gut bekannten und wahren Gedanken aus, daß Hunde zur Menge der Haustiere gehören. Ich habe hervorgehoben, daß infolge der Formenvielfalt der Definitionen in weniger exakten Kontexten es manchmal schwierig ist zu entscheiden, ob ein gegebener Satz eine Definition oder eine nichtdefinitorische empirische Feststellung darstellt. Es gibt auch Fälle, in denen der definitorische Charakter einer Aussage für uns unbestritten ist, in denen wir aber nicht entscheiden können, um welche Art von Definition es sich handelt. Auch in diesem Fall ist die Formenvielfalt der Definitionen eine Quelle von Schwierigkeiten, denn aufgrund der Form allein können wir noch nicht entscheiden, welcher Art von Definitionen ein gegebener Fall zuzurechnen sei. Ich will auf einige derartige Beispiele aufmerksam machen. Meta- und objektsprachliche Form der Definition. Die Definition des Terminus „Avers" (Beispiel 2) ist in metasprachlicher Form ausgedrückt. Dies wird dadurch gekennzeichnet, daß Definien-
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Kap. I: U b e r verschiedene Arten von Definitionen
dum und Definiens in Anführungszeichen stehen.6 Alle übrigen Beispiele der Definitionen haben objektsprachliche Form. Die Formulierung einer Definition in metasprachlicher Form soll manchmal ausdrücken, daß es sich um eine Nominaldefinition handelt — im Unterschied zur Realdefinition, die dann die objektsprachliche Form hat. 7 Das ist aber nicht immer so. Häufig ist die Benutzung der metasprachlichen oder der objektsprachlichen Form der Definition nur ein stilistisches Mittel. Die meta- oder objektsprachliche Form einer Definition stellt daher kein ausreichendes Kriterium dar, um sie als eine Nominal- oder eine Realdefinition anzusehen; es sind zusätzliche Daten notwendig, die die Intention des Autors einer Definition berücksichtigen. Festsetzender und feststellender Charakter einer Definition.8 Die Definition der Lüge (Beispiel 3) wurde in eine Form gekleidet („Unter einer Lüge sollte man . . . verstehen"), die man manchmal benutzt um anzuzeigen, daß eine so formulierte Definition zu den festsetzenden gehört, im Unterschied zu den feststellenden, die dann eine andere Form haben. Aber auch in diesem Fall ist die äußere Form einer Definition kein eindeutiges Indiz dafür, daß sie einen festsetzenden oder einen feststellenden Charakter hat, denn es kann sein, daß die äußere Form eine rein stilistische Bedeutung hat. In solchen Fällen kann die Entscheidung, um welche Art einer Definition es sich bei einem gegebenen Beispiel handelt, nicht unter Berufung auf die äußere Form einer Definition getroffen werden. Man muß auf entsprechende zusätzliche Angaben rekurieren. Explizite Definitionen und Kontextdefinitionen. Ich möchte nun auf diese beiden Arten der Form einer Definition aufmerksam machen, weil diese Unterscheidung einen tieferen methodo6
7
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Über die meta- und die objektsprachliche Funktion der Ausdrücke schreibe ich im Kap.: Definitionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel. Über die Nominal- und die Realdefinitionen schreibe ich weiter unten in diesem Kapitel. Uber feststellende und festsetzende Definitionen vgl. weiter unten in diesem Kapitel.
F o r m und Bestandteile der D e f i n i t i o n
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logischen Sinn hat. Beispiel einer Kontextdefinition sind die Definitionen des Logarithmus (Beispiel 7) und die des Goldenen Schnitts (Beispiel 5). In einer Kontextdefinition tritt der definierte Ausdruck nicht allein auf der linken Seite auf, sondern in einem für ihn charakteristischen Kontext. Anders ist es bei expliziten Definitionen, in denen der definierte Ausdruck allein die Stelle des Definiendum einnimmt. Beispiele expliziter Definitionen sind alle übrigen obigen Definitionen. Zwar tritt in der Definition der Lüge (Beispiel 3) das Wort „Lüge" neben dem Wort „Unter" auf, aber das Wort „Unter" gehört nicht zum Definiendum, sondern ist Bestandteil der Definitionskopula. Die Plazierung des Wortes „Unter" vor dem Wort „Lüge" wird hier durch rein stilistische Gründe bedingt. Aufgrund der Definition (7) ist die Wendung „ D e r Logarithmus der Zahl a mit der Basis b ist gleich der Zahl c " ein typischer Kontext des Wortes „Logarithmus". Nach der Definition (5) ist der Ausdruck „der Goldene Schnitt einer Strecke" ein typischer Kontext des Ausdrucks „Goldener Schnitt". Man muß unterstreichen, daß der Sinn eines durch eine Kontextdefinition definierten Ausdrucks nur für solche Kontexte bestimmt wird, die die Definition festsetzt. Seine Verwendung in anderen Kontexten ist in diesem Fall unzulässig, es sei denn, man behandelt sie als Abkürzungen für die durch die Definition festgesetzten Kontexte. Betrachten wir in diesem Zusammenhang folgendes Beispiel. Nehmen wir an, jemand habe den Terminus „Kitsch" mit Hilfe einer Kontextdefinition bestimmt, in der dieser Terminus in dem Kontext „der Gegenstand χ ist ein Kitsch für die Person P " vorkommt. Diese Definition determiniert also einen relationalen Begriff des Kitsches. Nehmen wir weiterhin an, daß sich der Autor dieser Definition anschließend des Wortes „Kitsch" in absoluten Kontexten bedient, die keine Relativierung enthalten. Er sagt ζ. B.: „Dieser Aschenbecher ist Kitsch, weil er prätentiös ist. Er hat nämlich aerodynamische Linien, obwohl er für Zwecke geschaffen wurde, die mit der Bewegung nichts zu tun h a b e n . " Wenn nun der Autor diesen Satz als Abkürzung für einen Satz behandelt, der eine entsprechende Relativierung auf eine Person enthält, die diesen Aschenbecher als Kitsch ansieht,
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
dann verfährt er korrekt. Im entgegengesetzten Fall, d. h. in dem Fall, in dem er den obigen Satz als eine endgültige und nicht als eine abgekürzte Behauptung betrachtet, müßten wir ihm in Anbetracht seiner Definition einen fehlerhaften Gebrauch des Terminus „Kitsch" vorwerfen. Fehlerhaft, weil er diesen Terminus in absoluten Kontexten gebraucht, obwohl die Definition seinen Sinn ausschließlich für Kontexte bestimmt, die eine Relativierung enthalten. Derartige Fehler kommen sehr oft in Diskussionen über philosophische, ethische oder ästhetische Themen vor.
Feststellende, festsetzende und regulierende Definition Nehmen wir an, wir wollen einen Ausdruck definieren, den wir mit A bezeichnen. Häufig ist es so, daß dieser Ausdruck bereits einer Sprache angehört, in der seine Verwendung nicht immer vollkommen, aber doch festgelegt ist. Diese Sprache kann die Alltagssprache sein, ζ. B. die deutsche oder die englische. Es kann aber auch eine Wissenschaftssprache sein, ζ. B. die Sprache der zeitgenössischen Mathematik oder der Theorie des Films, und es kann auch die Sprache eines Autors sein, ζ. B. die von M. Heidegger, B. Rüssel oder E. Fromm. Diese Sprache bezeichnen wir mit S. Bei der Aufstelllung der Definition des zur Sprache S gehörenden Ausdrucks A, stehen uns nun drei Vorgehensweisen zur Verfügung: 1. Wir können uns bemühen, den festgestellten (vorgefundenen) Sinn des Ausdrucks A zu erfassen. In diesem Fall werden wir von feststellenden Definitionen sprechen. 2. Wir können dem Ausdruck A einen neuen Sinn verleihen, wobei wir uns um dessen festgestellten Sinn nicht kümmern. In diesem Fall stellen wir eine festsetzende Definition auf. 3. Wir können uns schließlich teilweise an den festgestellten Sinn halten und ihn teilweise ändern. In diesem Fall erhalten wir eine regulierende Definition des Ausdrucks A. Ich werde jetzt auf diese drei Arten von Definitionen näher eingehen. Wir bilden eine feststellende Definition eines Ausdrucks A der Sprache S, wenn wir uns in dieser Definition bemühen, den Sinn, den dieser Ausdruck in der Sprache S besitzt, getreu wiederzugeben. Eine Definition des Ausdrucks A werden wir festsetzend in
Feststellende, festsetzende und regulierende Definitionen
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der Sprache S bezeichnen, wenn der Ausdruck A in der Sprache S vor der Einführung der Definition ungebräuchlich war, oder wenn sie für den Ausdruck A einen neuen Sinn festsetzt, ohne sich um den bereits festgestellten Sinn dieses Ausdrucks zu kümmern. Einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen — der getreuen Wiedergabe des Sinns des Ausdrucks A und der Festsetzung eines neuen Sinnes — schlägt die regulierende Definition ein. Eine Definition eines Ausdrucks A ist regulierend in der Sprache S, wenn wir uns mit dieser Definition teilweise an den Sinn halten, den dieser Ausdruck in der Sprache S bereits hatte, und teilweise von diesem Sinn abweichen, ζ. B. um die Extension des Ausdrucks A schärfer zu bestimmen und ihn so für bestimmte wissenschaftliche Zwecke brauchbar zu machen. Alle bisher gegebenen Bestimmungen haben relativen Charakter: eine gegebene Definition ist feststellend, festsetzend oder regulierend nicht an sich, sondern in einer bestimmten Sprache S. Es ist nämlich evident, daß eine gegebene Definition, die in einer Sprache S t feststellend (festsetzend, regulierend) ist, in einer anderen Sprache S 2 dies nicht mehr zu sein braucht. Die folgende Definition des Satzes: „Ein Satz ist eine wahre oder falsche Aussage" ist feststellend in der Sprache der zeitgenössischen Logik, sie ist dagegen festsetzend bezüglich der Alltagssprache, in der der Begriff des Satzes viel weiter gefaßt wird und nicht nur wahre oder falsche Aussagen umfaßt, sondern auch Äußerungen, die weder wahr noch falsch sind, ζ. B. Befehle oder Fragen. Hier ergibt sich die Frage, ob die Relativierung auf eine Sprache S ausreicht, oder ob man nicht eine genauere Relativierung auf eine bestimmte Entwicklungsstufe der Sprache S einführen sollte. In dem Augenblick nämlich, in dem wir den Ausdruck A erst in die Sprache S einführen, oder ihm einen neuen Sinn verleihen, hat seine Definition festsetzenden Charakter. Alle späteren Definitionen aber, die den Ausdruck A in Übereinstimmung mit dessen in der Sprache S bereits etablierten Bedeutung bestimmen, haben feststellenden Charakter. Als man ζ. B. in die Sprache der Technik den Ausdruck „Radar" einführte, hatte seine Definition (wenn man diesen Ausdruck überhaupt mittels einer Definition eingeführt hat) festsetzenden Charakter. Heute aber wäre eine
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
Definition dieses Terminus, die mit seinem damals festgesetzten Sinn übereinstimmt, bereits eine feststellende Definition. Das hier aufgeworfene Problem kann man auf zwei Wegen lösen. M a n kann erstens darauf bestehen, daß eine Relativierung auf eine Sprache S ausreicht, und der Bezug auf eine bestimmte Entwicklungsstufe dieser Sprache überflüssig ist. Wenn sich nämlich eines der Elemente ändert, die die Sprache konstituieren: die Zahl der Wörter oder deren Sinn, oder die grammatischen Regeln — ändert sich auch die Sprache selbst. Der Übergang zu einer anderen „Entwicklungsstufe" ist hier einfach der Übergang zu einer anderen Sprache. So sind ζ. B. nach dieser Auffassung die Sprache der Technik mit dem Terminus „ R a d a r " und die Sprache der Technik ohne diesen Terminus nicht zwei Entwicklungsstufen derselben Sprache, sondern zwei verschiedene Sprachen, die auch mit zwei unterschiedlichen Symbolen Sj und S2 bezeichnet werden sollten. Diese Lösung, für die bestimmte theoretische Gründe sprechen, wird jedoch von einigen Theoretikern als künstlich empfunden. Eine gegebene Sprache — so argumentieren sie — bleibt trotz aufeinanderfolgender allmählicher Veränderungen immer noch „dieselbe" Sprache. Es gibt keine grundsätzlichen Bedenken, die uns zur Verwerfung dieser Argumente zwingen würden, für die übrigens ebenfalls einiges spricht. Das Akzeptieren dieser Argumente zieht die Notwendigkeit nach sich, in die obigen Begriffsbestimmungen der feststellenden, der festsetzenden und der regulierenden Definition nicht einfach eine Relativierung auf eine Sprache S, sondern auf eine bestimmte Entwicklungsstufe dieser Sprache einzuführen. M a n muß hier aber anmerken, d a ß natürliche Sprachen, wie ζ. B. die Alltagssprachen und die Sprachen der einzelnen Wissenschaften, im Unterschied zu den künstlichen, für bestimmte Zwecke konstruierten Sprachen, sich in fast stetiger Weise ständig verändern, so daß es manchmal schwierig ist, die einzelnen Entwicklungsstufen zu unterscheiden. D a s kann Schwierigkeiten bei der Entscheidung verursachen, ob eine gegebene Definition feststellend, festsetzend oder regulierend ist. Die oben eingeführten Bestimmungen der behandelten Arten von Definitionen enthalten außer der Relativierung auf eine Sprache S
Feststellende, festsetzende und regulierende Definitionen
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auch den Bezug auf den Autor einer Definition, denn die Art der Definition hängt in diesem Fall von der Intention ihres Autors ab, und zwar davon, ob es sein Ziel war, die in der Sprache S festgestellte Bedeutung des zu definierenden Ausdrucks adäquat wiederzugeben, oder sie nur teilweise wiederzugeben und teilweise zu modifizieren, oder ob er sich schließlich von der festgestellten Bedeutung gar nicht beeinflussen ließ, und dem zu definierenden Terminus nur einen neuen Sinn geben wollte, wobei er sich von der Nützlichkeit dieses Terminus für bestimmte theoretische oder praktische Zielsetzungen leiten ließ. Dies wären dann die feststellende, die regulierende oder die festsetzende Definition im subjektiven Sinn. Beim Versuch, die Intentionen des Autors einer Definition zu rekonstruieren, um die Art dieser Definition zu bestimmen, können wir auf Schwierigkeiten stoßen. Die Sache ist in dem Fall einfach, in dem der Autor deutlich ausdrückt, was seine Intention war, oder wenn wir diese Intention aus dem Kontext der Definition erschließen können. Was kann man aber tun, wenn diese Informationsquellen fehlen? Die Frage nach der Art der Definition kann in diesem Fall unentscheidbar sein. Es ist nun festzustellen, daß ein objektives Verständnis der Definition von diesen Schwierigkeiten frei ist. Der feststellende, festsetzende oder regulierende Charakter der Definition hängt hier nicht von der Intention des Autors ab, sondern von der tatsächlichen Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit einer gegebenen Sprache S, bezüglich derer wir diese Definition analysieren. So ist die Definition eines Ausdrucks A feststellend im objektiven Sinn bezüglich einer Sprache S, wenn sie adäquat die Bedeutung wiedergibt, die A in S hat. Ähnlich lassen sich leicht die anderen vorher gegebenen Bestimmungen modifizieren, indem man den Bezug auf die Intention des Autors wegläßt. Wir erhalten dann eine Bestimmung der regulierenden und der festsetzenden Definition im objektiven Sinn. Fügen wir hinzu, daß sich diese beiden Auffassungen der Definition gegenseitig nicht ausschließen. So ist ζ. B. eine Definition, bei der der Autor die Bedeutung eines Ausdrucks, die er in einer Sprache S hat, wiedergeben wollte und in der Tat adäquat wiedergegeben hat, feststellend bezüglich der Sprache S sowohl im subjektiven als auch im objektiven Sinn. Bei dieser Gelegenheit lohnt es,
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Kap. 1: Uber verschiedene Arten von Definitionen
darauf aufmerksam zu machen, daß der Vorwurf der Inadäquatheit — auf die ich im Folgenden eingehen werde — nur bezüglich der feststellenden Definition im subjektiven Sinn erhoben werden kann. Im objektiven Sinn ist eine inadäquate Definition nicht eine schlechte feststellende Definition — sie ist überhaupt keine feststellende Definition. Überlegen wir nun, in welchen Situationen die soeben unterschiedenen Arten von Definitionen Anwendung finden. Wir bedienen uns der feststellenden Definition immer dann, wenn es darum geht, die festgestellte Bedeutung eines Terminus getreu wiederzugeben. Die Bedeutung kann in der Alltagssprache, in einer bestimmten Wissenschaftssprache oder bei einem bestimmten Autor festgestellt worden sein. Hier einige Beispiele für Problemstellungen, deren Lösung u. a. die Konstruktion einer feststellenden Definition des betreffenden Terminus verlangt: Wie wird in der Umgangssprache der Terminus „soziale Gerechtigkeit" verstanden? Was hat Max Weber unter „Bürokratie" verstanden? Stimmt der gegenwärtig geläufige Sinn des Terminus „Bürokratie" mit seinem Verständnis bei Weber überein? Wie versteht E. Fromm in seinem Buch „The Anatomy of Human Destructiveness" das Wort „Nekrophilie"? In welchem Sinn wird in der Sprache der Praxeologie der Terminus „Täter" gebraucht? Deckt sich dieser Sinn mit dem juristischen Verständnis dieses Terminus? Welchen Sinn hat Albert Schweitzer dem Ausdruck „Ehrfurcht vor dem Leben" gegeben? Treten ähnliche Begriffe bei anderen Ethikern auf? Es gelingt nicht immer, eine feststellende Definition zu konstruieren. In einigen Fällen sogar ist diese Aufgabe nicht zu bewältigen. Grund der Schwierigkeiten sind die Vagheit der Extensionen und die Unbestimmtheiten sowie Schwankungen im Sinn sehr vieler Audrücke, vor allem derjenigen, die in weniger exakten Kontexten auftreten — in der Alltagssprache, in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Eine getreue Rekonstruktion des Sinns dieser fehlerhaften Ausdrücke in einer feststellenden Definition ist nicht möglich, denn das, was rekonstruiert werden soll, ist zu unbestimmt und zu unklar. Instruktive Beispiele dafür liefern die mißlungenen Versuche, den geläufigen Sinn solcher
Feststellende, festsetzende und regulierende Definitionen
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Ausdrücke wie „Schönheit", „Kitsch", „Kunstwerk", „ethische N o r m " , „Kultur" zu erfasssen. Diese Beispiele zeigen, wie schwer es manchmal ist, eine feststellende Definition aufzustellen. Es gibt auch keine Methoden der Konstruktion dieser Art von Definitionen mit Erfolgsgarantie, und die besseren Methoden sind kostspielig in ihrer Anwendung. Auf dieses Problem werde ich noch zurückkommen. Die vorhergehenden Bemerkungen zeigen, daß es manchmal nicht möglich ist, eine feststellende Definition aufzustellen. Ebenso unmöglich wäre es aber, wenn man sich darauf beschränken wollte, ausschließlich feststellende Definitionen zu gebrauchen. Das würde nämlich alle Möglichkeiten der Entwicklung einer Sprache verhindern: durch die Einführung neuer Termini, die bisher unbekannte Gegenstände oder Phänomene bezeichnen, wofür man festsetzende Definitionen braucht; durch die Verbesserung der schon gebräuchlichen Ausdrücke mittels der Beseitigung ihrer semantischen Fehler, wie Vagheit und Vieldeutigkeit, wofür man regulierende Definitionen benötigt; 9 durch die Änderung des Sinns oder der Extension bereits vorhandener Termini mit dem Ziel, ihre wissenschaftliche Verwendbarkeit zu erhöhen, wofür ebenfalls regulierende Definitionen oder die sog. Explikationen notwendig sind. 10 Festsetzende Definitionen werden dann angewandt, wenn es notwendig ist, eine Sprache um neue Begriffe zu bereichern. Die neuen Begriffe können durch neue Wörter eingeführt werden, denen diese Begriffe zugeordnet werden. „Kubismus", „Libido", „ R a d a r " , „Kybernetik", „Computer" — das sind einige Beispiele aus der großen Masse von Begriffen, die auf diese Weise in den Bereich der Sprache eingeführt wurden. Der neue Begriff kann aber auch einem Wort zugeordnet werden, das es bereits in der Sprache gibt; er stellt dann die neue Bedeutung dieses Wortes dar. Als Beispiel kann das Wort „Spiel" dienen, das innerhalb 9
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Semantische Fehler der Ausdrücke bespreche ich ausführlich im weiteren Verlauf dieses Buches. Auf das Problem der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen und das Problem der Explikation gehe ich in gesonderten Kapiteln ein.
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
einer zeitgenössischen mathematischen Disziplin, der Spieltheorie auftritt, oder der Terminus „Arbeit" in seinem in der Physik verbindlichen Sinn, wo man unter „Arbeit" „das Produkt aus Kraft und Weg" versteht. Die Anwendung der festsetzenden Definition auf einen bereits vorhandenen Terminus hat manchmal zum Ziel, die wissenschaftliche Verwendbarkeit dieses Terminus wiederherzustellen, weil sich ein Netz unklarer Bedeutungen um ihn gesponnen hat, und er daher seinen Wert verloren hat. Ein fast sprichwörtliches Beispiel ist das Wort „Kultur", dessen hundertundfünfzig Bedeutungen die Autoren des Buches „The Concept of Culture" Α. L. Kroeber und Κ. Cluckhohn herausgearbeitet haben. Es kommt häufig vor, daß Ausdrücke der Alltagssprache, die in die Sprachen der Wissenschaften eingegangen sind, wie ζ. B. „Bürokratie", „Revolution", „Rassendiskriminierung", „Kunst", „Proletariat", „Staat", „soziale Klasse", „Kaste", „Religion" mit bewertenden emotionalen Assoziationen beladen sind. Dies erschwert deren Gebrauch bei einer neutralen Beschreibung von Phänomenen, die u. a. das Ziel der empirischen Wissenschaften ist. Durch Anwendung festsetzender Definitionen können wir versuchen, aus dem Sinn solcher Termini die bewertenden Elemente zu eliminieren, und so deren Wert als Instrumente reiner Beschreibungen wiederherzustellen. 11 In anderen Fällen wird man ganz im Gegenteil mit Hilfe einer festsetzenden Definition einigen Ausdrücken der Umgangssprache ein emotionales Potential verleihen oder es ändern, um diese Termini zum Zweck der Überredung und zur Formung emotionaler Einstellungen der Menschen benutzen zu können. 12 Manchmal ergibt sich die Notwendigkeit, den festgestellten Sinn eines Terminus zu ändern, aber so, daß diese Änderung nicht zu radikal wird, sondern bestimmte Elemente des früheren Sinns erhalten bleiben. Dies kann durch eine regulierende Definition 11 12
Vgl. hierzu die Erörterungen im Kap.: Persuasive Definitionen. Das Problem der persuasiven Funktion der Sprache hat eine enorme gesellschaftliche und psychologische Tragweite. Dieses Problem erörtere ich im Kap.: Persuasive Definitionen.
Feststellende, festsetzende und regulierende Definitionen
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erreicht werden. Sie hat zum Ziel, den definierten Terminus für bestimmte theoretische oder praktische Ziele brauchbar zu machen. 1 3 Ich will an einem einfachen Beispiel zu zeigen versuchen, worin die Anwendung einer regulierenden Definition besteht. Betrachten wir den in der Umgangssprache auftretenden Terminus „jugendlich". Die Extension dieses Terminus ist notorisch unscharf, d. h. wir können nur von einigen Leuten eindeutig feststellen, ob sie zu dieser Extension gehören. Nehmen wir an, daß wir aufgrund des geläufigen Verständnisses des Terminus „jugendlich" mit Bestimmtheit zu jugendlichen Leuten die rechnen, die noch nicht über sechzehn sind, zu den nicht-jugendlichen Menschen dagegen solche, die etwa zwanzig sind. Was die Menschen betrifft, die sich zwischen diesen beiden Altersgrenzen befinden, liefert uns das geläufige Verständnis dieses Terminus keine bestimmten Entscheidungskriterien. Wir sagen, daß diese Menschen zum Vagheitsbereich des Terminus „jugendlich" gehören. 14 Dieses vage Verständnis reicht für die Zwecke der Alltagsverständigung aus. Es reicht aber ζ. B. nicht im Bereich der Rechtsprechung aus, wo für ein und dieselbe Übertretung schärfere oder mildere Strafen verhängt werden, je nachdem, ob der Täter ein Jugendlicher ist oder nicht. Um Mißverständnisse und möglichen Mißbrauch zu vermeiden, mußte man für die Zwecke der Rechtsprechung den Bereich des diskutierten Terminus schärfer bestimmen, und zwar so, daß ein Gericht in jedem Fall eindeutig wissen kann, ob eine milde Strafe möglich ist. Das nun folgende Beispiel bezieht sich auf die Verhältnisse in der polnischen Rechtsprechung. Ich meine aber, daß die prinzipiellen Probleme für einen deutschen Richter dieselben sind, wenn er entscheiden muß, ob er einen Angeklagten nach dem Jugendstrafrecht oder bereits nach dem für Erwachsene geltenden Strafrecht verurteilen soll. Nehmen wir an, daß in der innerhalb der Rechtsprechung akzeptierten Definition als Jugendlicher ein Mensch
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14
3
Ein anderes Mittel vorwissenschaftliche unklare Begriffe in präzise, für wissenschaftliche Zwecke brauchbare umzuformen, stellt die Explikation dar, auf die ich im Kap. unter diesem Titel eingehe. Auf Probleme der Vagheit gehe ich ein im Kap.: Definitionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel. Pawlowski, Begnffsbildung
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
angesehen wird, der höchstens siebzehn ist. Dies ist eine regulierende Definition, weil sie sich teilweise an die festgestellte Bedeutung anlehnt, teilweise von ihr abweicht. Die Anlehnung besteht darin, daß alle im geläufigen Sinn jugendlichen Personen ebenfalls zur Extension dieses Terminus in seiner juristischen Verwendung gehören. Die Menge der Menschen, die höchstens sechzehn sind, ist nämlich in der Menge der Menschen, die höchstens siebzehn sind, enthalten. Ähnlich gehören alle Personen, die in der Alltagssprache als nicht jugendlich bezeichnet werden, auch nicht zu den Jugendlichen im juristischen Sinn: die Menge der Menschen über zwanzig ist Teilmenge der Menschen über siebzehn. Die juristische Definition weicht dagegen vom alltäglichen Verständnis darin ab, daß sie bestimmte Entscheidungskriterien dort liefert, wo die Alltagssprache keine hat, d. h. bezüglich der Personen, die zu dem Vagheitsbereich zwischen sechzehn und zwanzig Jahren gehören. Die erörterte Relation zwischen dem alltäglichen und dem juristischen Verständnis des Terminus „Jugendlicher" zeigt das folgende Schema: (10)
nonJ A || t
Jaii. 16
Jjur
Wobei:
Λ Λ Λ Λ Λ /
17
20
non Jj ur
Jaiii = Jugendlicher im alltagssprachlichen Sinn non Jaiii = kein Jugendlicher im alltagssprachlichen Sinn Jjur = Jugendlicher im juristischen Sinn non Jj ur = kein Jugendlicher im juristischen Sinn
Der mit ΛΛΛΛ bezeichnete Bereich repräsentiert den Vagheitsbereich. Das obige Beispiel illustriert genau die Anwendung einer regulierenden Definition zur schärferen Bestimmung der Extension eines Terminus. Selbstverständlich lassen sich die Auswirkungen einer schärferen Bestimmung der Extension nicht immer
Feststellende, festsetzende und regulierende Definitionen
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so genau darstellen, wie dies im Schema (10) der Fall ist. Die regulierende Definition dient auch nicht immer zur schärferen Bestimmung der Extension eines definierten Terminus. Sie führt häufig andere Veränderungen ein, die zum Ziel haben, ihn wissenschaftlich brauchbar zu machen. Auf dieses Problem gehe ich weiter unten ein, im Kapitel über die wissenschaftliche Nützlichkeit der Definitionen und im Kapitel über Explikation. Die Vagheit eines Terminus ist offensichtlich eine graduierbare Eigenschaft — das sieht man deutlich anhand des besprochenen Beispiels. Das Verfahren, durch das eine Extension schärfer bestimmt werden soll, beseitigt im allgemeinen diesen Mangel nicht vollständig, sondern lediglich in einem dem gegebenen wissenschaftlichen oder praktischen Ziel angemessenen Grad. Aus diesem Grund muß man sehen, daß das Schema (10) eine gewisse Vereinfachung enthält. In ihm wird nämlich die Grenze des Vagheitsbereichs mit einer gebrochenen Linie in eindeutiger Weise gekennzeichnet, während diese Grenze in Wirklichkeit einem abgerissenen Stoffetzen ähnelt. Sehr häufig wird auch die Künstlichkeit der Grenzen von Extensionen empfunden, die durch die regulierenden Definitionen festgesetzt sind. Dies betrifft auch unser Beispiel. Ist denn eine Person, die soeben achtzehn wurde, soviel reifer als eine Person, der zur Erreichung des achtzehnten Lebensjahres noch einige Tage fehlen, daß damit die Tatsache rechtfertigt wird, der zweiten Person eine mildere Strafe zu bemessen, während bei der ersten die Anwendung der ganzen Härte des Rechts gerechtfertigt erscheint? In Fällen, die dem hier besprochenen ähnlich sind, läßt sich dieser Nachteil leider nicht beseitigen. Dies ist der Preis, den wir dafür zahlen müssen, daß wir ein noch größeres Übel vermeiden können, nämlich die Mißverständnisse und Mißbräuche, die sich ergeben könnten, würde man in der Rechtsprechung den Terminus „jugendlich" in seinem geläufigen vagen Verständnis gebrauchen. Anders sieht die Sache im Bereich der empirischen Wissenschaften aus, wo man diese Künstlichkeit dadurch beseitigen kann, daß man klassifikatorische Begriffe (kalt, schwer) durch komparative (kälter als, schwerer als) oder metrische (Temperatur, Gewicht nach einer entsprechenden Skala) ersetzt, und indem man dazu über-
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
geht, quantitative Abhängigkeiten zu formulieren, in denen die Änderung der einen Größe die Änderung der anderen nach sich zieht. 15
Real- und
Nominaldefinitionen
Die Begriffe „Realdefinition" und „Nominaldefinition" werden in mehreren Bedeutungen verwendet. Ich beabsichtige nicht, eine erschöpfende Liste dieser Bedeutungen aufzustellen. Einige werden immer weniger gebraucht, andere sind eher für einen engeren Kreis von Spezialisten interessant. Ich will mich darauf beschränken, zwei Bedeutungen zu erörtern, die im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften eine Rolle spielen. A. Betrachten wir die folgende Feststellung: (11) Ein Kunstwerk ist eine organische Einheit, bestehend aus unterschiedlichen, jedoch untrennbaren, kausal miteinander verknüpften Bestandteilen, und präsentiert durch sinnlich wahrnehmbare Mittel. 16 Diese Behauptung läßt sich mit Hilfe einer Äquivalenz der Gestalt Kx = Ex 1 7 darstellen. Die Behauptung (11) kann als eine Realdefinition des Kunstwerks interpretiert werden. Ziel des Satzes (11) ist es in diesem Fall nicht, den Sinn des Terminus Κ (Kunstwerk) mit Hilfe des Ausdrucks E (der die Bedingungen repräsentiert, die ein Kunstwerk erfüllen sollte) zu bestimmen, sondern die Feststellung einer empirischen Beziehung zwischen den Eigenschaften von Κ und denen von E, die darauf beruht, daß die einen genau dann auftreten, wenn auch die anderen auftreten. Man ersieht hieraus, d a ß eine so verstandene Realdefinition überhaupt keine Defini15
16 17
Über die Vorteile der Ersetzung klässifikatorischer Begriffe durch komparative und metrische schreibe ich im Kap.: Explikationen. Das ist einer der organizistischen Begriffe des Kunstwerks. Lies: Der Gegenstand χ hat die Eigenschaft Κ (ist ein Kunstwerk) genau dann, wenn er die Eigenschaft E hat (erfüllt die in Satz (11) beschriebenen Bedingungen).
Real- und Nominaldefinitionen
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tion im üblichen Sinn des W o r t e s ist; denn eine n o r m a l e Definition ist i m m e r eine terminologische Festsetzung, während eine Realdefinition eine empirische Verallgemeinerung darstellt, die m a n aufgrund gegebener Erfahrungen akzeptiert oder verwirft. In unserem Beispiel werden w i r die Behauptung (11) als w a h r ansehen, wenn jeder Gegenstand, der die Bedingung Κ erfüllt (der ein K u n s t w e r k ist), ebenfalls die Bedingung E erfüllt und umgek e h r t : jeder G e g e n s t a n d , der die Bedingung E erfüllt, auch die Bedingung Κ erfüllt. D e r N a c h w e i s zumindest eines Gegenstandes, d e r bei der Erfüllung einer der beiden Bedingungen Κ oder E nicht gleichzeitig die andere der beiden erfüllt, führt zur Verwerfung der Behauptung ( 1 1 ) . M a n m u ß hervorheben, d a ß in dem Fall, in dem wir den Satz ( 1 1 ) als Realdefinition behandeln, der Sinn des T e r m i n u s Κ ( K u n s t w e r k ) u n a b h ä n g i g v o m Sinn des Terminus E bestimmt werden m u ß . M i t anderen W o r t e n : W i r müssen über Anwendungskriterien des T e r m i n u s Κ verfügen, die unabhängig vom T e r m i n u s E b e s t i m m t wurden. Im entgegengesetzten Fall, d. h. in dem Fall, in dem w i r den Satz (11) als eine terminologische Festsetzung b e t r a c h t e n , die den Sinn des Terminus Κ mit Hilfe des Ausdrucks E festsetzt, h ö r t dieser Satz auf, eine Realdefinition in d e m hier erörterten Sinn zu sein. Realdefinitionen im obigen Sinn stellen häufig einen knappen und zusammenfassenden Ausdruck unseres Wissens über irgendein P h ä n o m e n - oder O b j e k t b e r e i c h dar. Die fraglichen Gegenstände werden dabei m i t H i l f e der wesentlichen Eigenschaften charakterisiert, d. h. solcher, die es erlauben, aufgrund des entsprechenden W i s s e n s alle anderen v o m Standpunkt der betreffenden Wissenschaft aus wichtigen Eigenschaften zu e r k l ä r e n . 1 8 Anders verhält es sich, wenn wir im Satz ( 1 1 ) eine Nominaldefinition des T e r m i n u s „ K u n s t w e r k " sehen. D e r Satz ( 1 1 ) ist dann keine empirische Verallgemeinerung, sondern drückt eine bestimmte terminologische Festlegung aus, die den Sinn des T e r m i -
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Vgl. die Anmerkungen über die wesentlichen Eigenschaften im Kap.: Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen.
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
nus Κ mit Hilfe des Ausdrucks E festlegt. Den Satz (11) akzeptieren wir in diesem Fall nicht aufgrund empirischer Daten, sondern aufgrund einer expliziten terminologischen Konvention oder eines Sprachgebrauchs. Nominaldefinitionen in diesem Sinn sind alle vorher erörterten Arten von Definitionen: die feststellenden, die festsetzenden und die regulierenden. In diesem Zusammenhang lohnt es, darauf hinzuweisen, daß sich in den Wissenschaften eine Tendenz bemerkbar macht, den wissenschaftlichen Begriffsapparat immer mehr zu analytisieren. Dies beruht darauf, daß gut begründete Realdefinitionen sich mit der Zeit in Nominaldefinitionen verwandeln, die die Bedeutung der betreffenden Ausdrücke festsetzen. Ich habe die unpersönliche Form „verwandeln sich" gebraucht, um auszudrücken, daß diese Veränderung häufig nicht aufgrund einer bewußten Entscheidung eintritt, sondern sich darin manifestiert, daß mehr oder weniger unbewußt die bisherigen Definitionen anders behandelt werden, die nun unabhängig von Experimentaldaten als zutreffend betrachtet werden. Diese Tendenz zur Analytisierung, die K. Ajdukiewicz auch als die Tendenz zur Rationalisierung bezeichnet, führt zur Wahl eines solchen Begriffsapparats, der die Lösung einer größtmöglichen Zahl von Problemen ohne Rückgriff auf Experimentaldaten erlaubt. 19 Daher ist dies eine besondere Form der Tendenz zur ökonomisierung. B. Ich will jetzt den zweiten der hier interessierenden Sinne der Begriffe „Nominaldefinition" und „Realdefinition" betrachten. Den Unterschied zwischen der Nominal- und der Realdefinition im zweiten Sinn illustriert besonders deutlich das folgende Beispiel: (12) Eine Inkunabel ist soviel wie eine Paläotype. (13) Eine Inkunabel ist das Erzeugnis der Buchdruckerkunst, die vor dem Jahr 1501 entstand, und die durch die Gestalt der Buchstaben und die Form des Titelblattes handgeschriebene Werke nachahmt. 19
Vgl. K. Ajdukiewicz: nis 1 9 3 4 .
Das Weltbild und die Begriffsapparatur. Erkennt-
Fehler beim Definieren
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Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, daß die Nominaldefinition (12) den Sinn des definierten Terminus dadurch bestimmt, daß sie einfach einen anderen gleichwertigen Terminus angibt, als dessen wörtlicher Stellvertreter, ähnlich wie das in Wörterbüchern der Fall ist. Anders die Realdefinition, sie spezifiziert Eigenschaften, aufgrund derer man entscheiden kann, ob ein Gegenstand unter den definierten Terminus fällt oder nicht. Es lohnt an dieser Stelle hervorzuheben, daß die Logiker anstelle der Ausdrücke „Nominaldefinition" und „Realdefinition" in dem hier erörterten Sinn häufig die Ausdrücke „lexikale" und „semantische Definition" gebrauchen. 20 Es scheint, daß diese Ausdrucksweise besser dem Unterschied entspricht, um den es hier geht. Natürlich sind die Nominal- und die Realdefinitionen in dem hier erörterten Sinn Ausdrücke bestimmter terminologischer Festsetzungen. Sie definieren also Wörter und nicht Sachen.
Fehler beim Definieren Bedingungen des korrekten Definierens Ziel einer Definition ist die Erläuterung des Sinnes von Ausdrücken. Um dieses Ziel erfolgreich zu erreichen, darf eine Definition keine Fehler enthalten, d. h. sie muß so aufgebaut sein, daß sie die Bedingungen des korrekten Definierens erfüllt. Hier geht es um die sog. formalen Bedingungen des korrekten Definierens, die sich von den Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit der Definitionen unterscheiden, von denen später die Rede sein wird. Die hier angegebenen Bedingungen des korrekten Definierens beziehen sich auf Definitionen, die in weniger exakten Kontexten auftreten — in den Geistes- und Sozialwissenschaften, und in der Alltagssprache. Bezüglich der Definitionen, die in eine deduktive Theorie eingeführt werden, formuliert man etwas andere, präzisere und genauere Bedingungen. Aber eine Definition, die den Bedingungen genügt, die in exakten Kon20
Vgl. T.
Kotarbmski:
Gnosiology. London 1 9 6 6 .
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
texten formuliert werden, genügt auch den Bedingungen, die in weniger exakten Kontexten formuliert werden. Ich beginne mit Fehlern, die bei allen drei Arten von Definitionen, der feststellenden, der festsetzenden und der regulierenden auftreten können. Dies sind: Zirkularität, ignotum per ignotum sowie die Widersprüchlichkeit einer Definition. Anschließend gehe ich auf den Fehler der Inadäquatheit ein, der nur bei feststellenden Definitionen auftreten kann. Zirkularität. Ganz allgemein gesprochen besteht die Zirkularität darin, d a ß man einen Ausdruck mit Hilfe desselben Ausdrucks definiert, wie das ζ. B. in der folgenden Definition der Gattung der Fall ist: (14) Die Gattung ist jede Ansammlung von Formen, die einen gemeinsamen Ursprung haben, und die sich von anderen Gattungen unterscheidet. 21 Der Zirkel in einer Definition hat zur Folge, daß sie ihre Aufgabe, den Sinn eines bestimmten Terminus zu erläutern, nicht erfüllt, denn sie erklärt diesen Terminus durch diesen Terminus selbst. So m u ß man ζ. B. schon vorher wissen, was dieser Terminus bedeutet, um nach (14) zu erfahren, was eine Gattung ist, denn das Wort „Gattung" tritt sowohl im Definiendum als auch im Definiens auf. 22 Z u r Entschuldigung des Autors dieser Definition sollte man hinzufügen, daß „Gattung" ein sehr komplizierter Begriff ist, der sich nicht leicht definieren läßt. Der Zirkel in der Definition (14) beruht darin, daß der zu definierende Terminus sowohl im Definiendum als auch im Definiens derselben Definition auftritt. Dies ist der sog. unmittelbare Zirkel. Sein allgemeines Schema sieht folgendermaßen aus: 21 22
Vgl. W. Klecki: Gatunek i rasa (Gattung und Rasse). Warszawa 1924. Die Definition (14) erklärt das Wort „Gattung" insofern nicht, als sie keine Kriterien angibt, die seine Eliminierung und die Ersetzung durch sein Definiens erlauben würden. Die Definition gibt aber eine bestimmte Information über die Gattungen, und zwar die, daß Individuen, die nicht zur selben Gattung gehören, sich in ihrer Abstammung unterscheiden. Das ist aber zu wenig, um die Definition (14) als Äquivalenzdefinition für formal korrekt anzusehen.
Fehler beim Definieren
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(15) A = F(A) Wobei: A repräsentiert das Definiendum F(A) repräsentiert einen Ausdruck, dessen Teil das Definiendum — im Extremfall das Definiendum allein — ist. Die im Schema (15) gezeigte Form des unmittelbaren Zirkels gibt an, daß es ein leicht zu entdeckender Fehler ist. Viel schwieriger aber ist es, den mittelbaren Zirkel zu entdecken, der sich erst nach der Analyse einiger — zumindest zweier, manchmal aber sehr vieler Definitionen zeigt. Wenn diese Definitionen auf mehreren, nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Seiten eines Buches oder Artikels verstreut sind, erfordert die Feststellung eines Zirkels eine aufmerksame Lektüre und die Kenntnis der Sache selbst. Mit einem mittelbaren Zirkel endete der Versuch, einen der zentralen aber auch sehr schwer zu fassenden Begriffe der Ästhetik, den der ästhetischen Emotion zu definieren. Der Autor des Buches suchte nach einem Faktor, der verschiedenen Kunstwerken gemeinsam ist: den Fenstern der Kathedrale in Chartres, den mexikanischen Skulpturen, der persischen Vase, den chinesischen Teppichen, den Meisterwerken Cézannes. Im Ergebnis der durchgeführten Analysen und seiner Überlegungen kommt der Autor zu dem Schluß, dieser gemeinsame Faktor sei die Fähigkeit, eine ästhetische Emotion zu provozieren. Was aber ist die ästhetische Emotion? Wodurch unterscheidet sie sich von anderen Arten von Emotionen? Der Autor gibt folgende Definition: (16) Die ästhetische Emotion ist das Erleben der bedeutsamen Form eines Kunstwerks 23 . Aber der Begriff der bedeutsamen Form, mit dessen Hilfe hier die ästhetische Emotion erläutert werden soll, ist dabei so unklar, daß er wiederum einer Definition bedarf. Auf der Suche nach einer solchen Bestimmung, finden wir an einer anderen Stelle dieser Arbeit Formulierungen, die sich auf folgende Definition zurückführen lassen: (17) Die bedeutsame Form eines Kunstwerks ist die Form, die die ästhetische Emotion hervorruft. 23
Diese Definition w u r d e vom englischen Ästhetiker Clive Bell aufgestellt. Vgl. z. B. H. Read: The Meaning of Art.
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
Die Definitionen (16) und (17) zusammen stellen ein Beispiel eines mittelbaren Zirkels dar. Seine Form läßt sich in diesem Fall durch d a s folgende Schema darstellen: (18) A J F ( B ) Β = Η (A) Wobei:
A = ästhetische Emotion Β = bedeutsame F o r m F(B) = d a s Erlebnis der bedeutsamen F o r m eines Kunstwerks Η (A) = die Eigenschaft eines Werks, die die ästhetische Emotion hervorruft.
Es gibt natürlich kompliziertere Fälle des mittelbaren Zirkels, die sich erst nach der gemeinsamen Analyse einiger, manchmal sogar mehrerer Definitionen offenbaren. Ein scherzhaftes Beispiel eines gigantischen Zirkels entnehme ich d e m Buch von Stefan Themersott „ P r o f e s s o r M m a a ' s V o r l e s u n g " 2 4 . Die Erzählung Themersons ist eine Satire auf einen bestimmten T y p der totalitären Gesellschaft. Sie enthält ebenfalls boshafte Anspielungen auf zeitgenössische philosophische Richtungen, u. a. auf die philosophischen G r u n d l a g e n und Ansichten, die für den Wiener Kreis und für den logischen Positivismus insgesamt charakteristisch sind. Insbesondere m a c h t der Autor die seiner Meinung nach übertriebene Tendenz lächerlich, die benutzten Begriffe zu definieren, w a s — so scheint es der Gedanke des Autors zu sein — einen beschwerlichen Zeitverlust darstellt, und was o f t nur den Schein einer Erklärung erzeugt, denn es endet schließlich in einem Zirkel. In der von Bertrand Rüssel geschriebenen Einleitung zu diesem Buch lesen wir: „ D a s Buch parodiert so viele Lebenseinstellungen, d a ß der Leser a m Ende nicht weiß, welche der Autor bejaht. Vielleicht keine? Sicher ist es so. Auf der Welt gibt es zu viele Menschen, die an zu vieles glauben, und es kann sein, d a ß die größte Weisheit in dem Ausspruch steckt, der besagt, d a ß wir um so weniger Übel anrichten, je weniger Sachen wir ernst n e h m e n . " 24
Das englische Original erschien mit einem Vorwort von Bertrand Rüssel unter dem Titel: Professor Mmaa's Lecture.
Fehler beim Definieren
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In dem Abschnitt, den ich nun zitieren will, wird ein Gespräch über das instinktmäßige und das rationale Verhalten geschildert, in dessen Verlauf der Begriff „ L e b e n s k r a f t " fällt. Dies ist ein Begriff der programmatisch unklaren und komplizierten Philosophie Bergsons. Der unorthodoxe Begriff „ L e b e n s k r a f t " erregt M i ß trauen, weshalb zu D o k t o r Bergnos (eine Verdrehung des N a m e n s Bergson), der diesen Begriff gebrauchte, ein Agent geschickt w i r d , der ein Verhör anstellen soll. Das Verhör, das aus einer langen Reihe von Fragen und Definitionen besteht, soll erhellen, w a s Doktor Bergnos unter „ L e b e n s k r a f t " versteht. Die „ E r h e l l u n g " schließt mit einem schönen mittelbaren Zirkel. Charakteristisch ist die Bosheit, mit der Themerson den das Verhör führenden Agenten sein „ V e r s t e h e n " voller Erleichterung in einem Ausruf kundtun läßt, als nach einer langen Reihe von Fragen und Antworten im Definiens der letzten Definition, die den Zirkel schließt, der Ausdruck „ L e b e n s k r a f t " auftaucht. Hier der Verlauf des Verhörs: Der Detektiv wandte sich an Dr. Bergnos und fragte: „Was ist Lebenskraft?" „Es ist der ursprüngliche Impuls, von dem das Leben sich herleitet, und der sich im Lauf der Evolution in verschiedenen Richtungen entwickelt", erwiderte Dr. Bergnos. „Und was ist ,ein Impuls'?" „Es ist eine Tendenz, die unabhängig vom Willen funktioniert." „Und was ist .eine Tendenz'?" fragte der Detektiv Dr. Bergnos weiter aus, wobei er sich gleichzeitig notierte, daß er auch die Linie des Verhörs verfolgen müsse, die sich durch die Frage des ,Willens' abgezeichnet hatte. „Es ist eine spontane Form von Aktivität", antwortete Dr. Bergnos. „Und was ist eine .spontane Form'?" „Es ist eine auf natürliche Weise geschaffene Form." „Und was ist .natürlich'?" „Es bedeutet im Einklang mit der Natur." „Und was ist Natur?" fragte der Detektiv. „Natur ist dasjenige, was das Seiende zu dem macht, was es ist." „Und was ist das ,Seiende'?" „Die Tatsache des Existierens", entgegnete Dr. Bergnos. „Und das .Existieren'?" „Dasjenige existiert, was wir real oder darstellbar festsetzen." Der Detektiv notierte sich die Worte .darstellbar' und .real' für das weitere Verhör. „Was wir festsetzen", wiederholte er, „aber wer ist .wir'?"
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
,,,wir' sind alle lebendigen Wesen." „Was meinen sie mit ,lebendig'?" „Alles, was Leben besitzt." „Was aber ist ,Leben'?" „Leben?" Dr. Elenri Bergnos war verwundert. „Es ist eben das, was von der Lebenskraft kommt, nach der sie mich gefragt haben." „ A h a ! " sagte der Detektiv und wandte sich ab, um dem Professor der Gerichtsmedizin Arsen Bericht zu erstatten. 25
Wollte man ein allgemeines Schema des mittelbaren Zirkels aufstellen, und sich dabei möglicherweise von Themersoti den spöttischen Vorwurf der Pedanterie gefallen lassen, ein Schema, unter das alle einen Zirkel enthaltenden Definitionsketten mit beliebig vielen Gliedern fallen würden, dann würde dieses Schema folgendermaßen aussehen: (19)
A=F,(B,) B, = F 2 ( B 2 ) B 2 = F 3 (B 3 )
B„-, = F n ( A ) In diesem Schema bildet der erste definierte Terminus A den Ausgangspunkt. Er wird mit Hilfe des Terminus Bi definiert. Aber B ( selbst verlangt eine Erklärung mit Hilfe des Terminus B 2 usw., bis sich schließlich der Kreis in der letzten Definition schließt, in der der Terminus Bn_ ¡ mit Hilfe des ersten Terminus erklärt wird. Ignotum per ignotum. Mit dieser lateinischen Charakterisierung bezeichnet man gewöhnlich einen Fehler, der darauf beruht, daß ein Terminus, dessen Sinn unbekannt ist, mit Hilfe eines anderen Terminus mit ebenfalls unbekanntem Sinn definiert wird. Haben wir über diesen Fehler nicht bereits soeben gesprochen, als wir Überlegungen über den Zirkel anstellten? Natürlich, der Zirkel ist ein besonderer Fall des ignotum per ignotum, denn in ihm definieren wir einen unbekannten Ausdruck mit Hilfe desselben unbe25
Stefan Themerson: Professor Mmaas Vorlesung. Phantastischer Roman. München 1 9 7 2 . S. 62.
Fehler beim Definieren
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kannten Ausdrucks. Es kann aber der Fall eintreten, daß ein unbekannter Ausdruck mit Hilfe eines anderen unbekannten Ausdrucks definiert wird. Nehmen wir an, ein Lehrer erklärt den mengentheoretischen Begriff des Modells Schülern, die weder die Mengentheorie noch die mathematische Logik kennen, und sich erst die Anfangsbegriffe dieser Wissenschaften aneignen. Nehmen wir weiter an, daß der Lehrer den Schülern die folgende Charakterisierung des Modells gegeben hat: (20) Ein Modell ist ein relationales System, das aus einer beliebigen nicht leeren Menge von Gegenständen besteht, dem Universum des Systems, und aus einer endlichen Menge von Relationen, die über dieser Menge definiert sind. In dieser Situation ist es höchst wahrscheinlich, daß der Lehrer den Fehler ignotum per ignotum begangen hat, denn seine Schüler, die dabei sind, sich mit den Begriffen der Mengentheorie erst vertraut zu machen, kennen sicher noch viele der im Definiens der Definition (20) vorkommenden Begriffe nicht, ζ. B. den Begriff eines relationalen Systems, den Begriff des Universums, den Begriff der Relation, und sie wissen sicher auch nicht, was es heißt, daß eine Relation über einer bestimmten Menge definiert ist. Man muß aber anmerken, daß dieselbe Definition (20) den Fehler ignotum per ignotum nicht mehr enthält, wenn der Lehrer sie schon etwas fortgeschritteneren Schülern geben würde, die mit den Begriffen in ihrem Definiens bereits vertraut sind. Dieses Beispiel zeigt zwei wichtige Eigenschaften des Fehlers ignotum per ignotum auf: 1. Dieser Fehler hat keinen absoluten, sondern einen relativen Charakter. Er ist nämlich relativiert auf die Menge der Begriffe, die eine Person oder eine Gruppe von Personen kennt: Dieselbe Definition, fehlerhaft in bezug auf die eine Person, kann in bezug auf die andere fehlerfrei sein. Mit anderen Worten, man kann nicht einfach feststellen, daß eine Definition den Fehler ignotum per ignotum enthält, man muß darüber hinaus noch sagen, in bezug auf wen dieser Fehler begangen wird. 2. Die zweite wichtige Eigenschaft des Fehlers ignotum per ignotum ist dessen didaktischer Charakter. Hierin unterscheidet er sich vom Zirkel, der ein didaktischer und ein logischer Fehler zugleich ist. 4 Pawlowski, Begnfísbildung
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
Es lohnt an dieser Stelle hervorzuheben, daß eine Definition, die den Fehler ignotum per ignotum enthält, sich bei einer näheren Analyse manchmal als eine Definition erweist, die zu einem mittelbaren Zirkel führt. Wenn wir nämlich nach dem Sinn der Ausdrücke fragen, die im Definiens einer solchen Definition vorkommen, erhalten wir als Antwort eine andere oder mehrere andere Definitionen, in denen das Definiendum der ersten Definition zur Erklärung irgendeines Ausdrucks verwandt wird. Einen solchen Fall stellt die obige Definition (16) der ästhetischen Emotion dar. Widersprüchlichkeit der Definition. Eine Definition ist widersprüchlich, wenn aus ihr ein widersprüchliches Paar von Sätzen folgt, d. h. Sätze, von denen der eine das bestreitet, was der andere behauptet. Hier einige Beispiele widersprüchlicher Satzpaare: 1. Jan ist blond - J a n ist nicht blond. 2. Frankfurt liegt am Main — Es ist nicht wahr, daß Frankfurt am Main liegt. 3. Alle Quadrate sind Rechtecke - Einige Quadrate sind keine Rechtecke. Ich habe vorher gesagt, daß aus einer widersprüchlichen Definition ein Paar sich widersprechender Sätze folgt. Normalerweise ist es aber so, daß der Widerspruch sich nicht aus der Definition allein ergibt, sondern aus der Definition zusammen mit einer bestimmten Menge von Behauptungen, die ein bestimmtes Wissensgebiet darstellen, wobei die Quelle des Widerspruchs diese Definition ist. Warum ist die Widersprüchlichkeit der Definition ein Fehler? Nun, die Einführung einer widerspruchsvollen Definition in eine bestimmte Wissenschaft hat zur Folge, daß auch diese Wissenschaft widersprüchlich wird. Die Widersprüchlichkeit beraubt aber die Wissenschaft ihres Erkenntniswertes, denn von einer widersprüchlichen Wissenschaft ausgehend lassen sich beliebige Behauptungen ableiten, sowohl wahre als auch falsche. So verliert aber die Wissenschaft ihre grundlegende Funktion, zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden. Betrachten wir ein einfaches Beispiel einer widersprüchlichen Definition. Den elementaren Begriff der Quadratwurzel einer Zahl beschreibt man in der Schule häufig folgendermaßen: Die Quadratwurzel einer Zahl χ ist eine solche Zahl y, deren Quadrat der Zahl χ gleicht. Ich will diese Definition symbolisch darstellen:
Fehler beim Definieren
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(21) \/x = y genau dann, wenn y 2 = χ Diese Definition bestimmt den Begriff der Quadratwurzel für beliebige Zahlen χ und y. Durch Einsetzen der Zahl 4 in die Variable χ in der Definition (21) und einmal der Zahl 2 und einmal der Zahl —2 an Stelle der Variablen y erhalten wir die beiden Sätze: (22) \¡4 = 2 genau dann, wenn 2Z = 4 (23) \/4 = —2 genau dann, wenn ( - 2 ) 2 = 4 Aus den Sätzen (22) und (23) folgen die beiden Gleichungen: (24) V ? = 2 und V ? =
-2
Da die beiden linken Seiten dieser Gleichungen gleich sind, müßten also auch ihre rechten Seiten gleich sein. Aus den Sätzen (24) erhalten wir also: (25) 2 =
-2
Der Satz (25) steht aber im Widerspruch zu dem in der Elementarmathematik als wahr akzeptierten Satz: 2 Φ—2. In dieser Weise haben wir gezeigt, daß die Einführung der Definition der Quadratwurzel in der Formulierung (21) in die Mathematik zu Widersprüchen führt. Wir müssen daher die Definition (21) als widersprüchlich ablehnen. Inadäquatheit einer Definition. Der Fehler der Inadäquatheit kann nur bei feststellenden Definitionen auftauchen. Eine korrekte feststellende Definition sollte adäquat sein. Das ist dann der Fall, wenn die Extension des Definiens dem des Definiendum gleicht. W i r erinnern uns, das es das Ziel der feststellenden Definition ist, den festgestellten Sinn und die festgestellte Extension des zu definierenden Terminus getreu wiederzugeben. Sie wurden in der Sprache festgestellt, zu der das Definiendum gehört. In einer adäquaten feststellenden Definition muß daher das Definiens so gewählt werden, daß seine Extension der festgestellten Extension des Definiendum gleicht. Im anderen Fall, wenn sich also die Extensionen nicht gleichen, ist die Definition inadäquat. Sie erfüllt dann nämlich ihre Aufgabe nicht, die doch darin besteht, den festgestellten Sinn oder zumindest die Ex-
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K a p . I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
tension des zu definierenden Terminus getreu wiederzugeben. Ich will jetzt die häufigsten Arten der Inadäquatheit besprechen: die zu enge und die zu weite Definition, sowie Definitionen, in denen sich die Extension des Definiendum mit der des Definiens kreuzt. Eine Definition ist zu eng, wenn die Extension des Definiens der des Definiendum untergeordnet ist. Wie wir wissen, ist das dann der Fall, wenn jeder Gegenstand, der zur Extension des Definiens gehört, auch zur Extension des Definiendum gehört, gleichzeitig aber nur einige Gegenstände der Extension des Definiendum zur Extension des Definiens gehören. So ist ζ. B. die folgende Definition des Säugetiers zu eng: Ein Säugetier ist ein lebend gebärendes Wirbeltier, daß sich nach der Geburt von Muttermilch ernährt. Diese Definition ist als eine feststellende Definition über die Sprache der gegenwärtigen Zoologie zu eng, nicht aber als feststellende Definition über die Sprache der Zoologie vor der Entdeckung der Monotremata (vor ungefähr 175 Jahren), die aus Eiern schlüpfen, die aber trotzdem nach einem langen wissenschaftlichen Streit als Säugetiere angesehen wurden. Bezüglich der früheren Sprache der Zoologie ist die obige Definition des Säugetiers a d ä q u a t . Aber bezogen auf die gegenwärtige Sprache der Zoologie ist die Extension des Definiens der des Definiendum untergeordnet: jedes Wirbeltier, das sich nach der Geburt von Muttermilch ernährt, ist ein Säugetier; es gibt aber gleichzeitig Säugetiere, die nicht lebend gebären, und daher nicht zur Extension des Definiens gehören. D a s sind die Monotremata. Hier noch ein Beispiel einer zu engen Definition, in der versucht wird, die Bedeutung des Terminus „ N a m e " in der Sprache der gegenwärtigen logischen Semantik zu erfassen: Ein N a m e werden.
ist ein Ausdruck, dem
Designate
zugeordnet
Die Definition ist zu eng, weil alle Ausdrücke, denen Designate zugeordnet werden, zwar N a m e n sind, aber nicht alle Namen Ausdrücke sind, denen Designate zugeordnet werden können. Es gibt nämlich leere Namen, die keine Designate haben, wie z. B.
Fehler beim Definieren
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der quadratische Kreis, der Sohn einer kinderlosen Mutter, Zeus, Bacchus, der gegenwärtige König Österreichs. Eine Definition ist zu weit, wenn die Extension des Definiens der des Definiendum übergeordnet ist. In diesem Fall liegt ein Gegenstand, der zur Extension des Definiendum gehört, auch innerhalb der Extension des Definiens, aber nur einige Gegenstände aus der Extension des Definiens innerhalb der des Definiendum. Hier eine Definition des Wortes „Quadrat", die bezüglich der Sprache der Elementargeometrie zu weit ist: Ein Quadrat ist eine flache, viereckige und gleichseitige Figur. Sie ist zu weit, weil es geometrische Figuren gibt, die zur Extension des Definiens gehören, die aber keine Quadrate sind, ζ. B. der Rhombus. Im Verhältnis zum üblichen Verständnis ist auch die folgende Definition der Novelle zu weit: Eine Novelle ist ein episches literarisches Werk. Dies ist für die Alltagssprache eine zu weite Definition, weil es Werke gibt, die unter das Definiens fallen, die aber keine Novellen sind, ζ. B. Romane. Definitionen, in denen sich das Definiendum mit dem Definiens kreuzen. Dieser Fehler tritt dann auf, wenn nur einige Gegenstände, die zur Extension des Definiendum gehören, auch zu der des Definiens gehören, und ebenso nur einige Gegenstände aus der Extension des Definiens zu der des Definiendum. Hier ein einfaches Beispiel: Ein Automobil ist ein elektrisch betriebenes Fahrzeug zur Beförderung von Menschen. In dieser Definition kreuzt sich die Extension des Definiens mit der des Definiendum, denn einige elektrisch angetriebene Fahrzeuge sind Automobile (ζ. B. Autos, die mit dem Strom aus einem Akkumulator angetrieben werden), einige aber nicht (ζ. B. die Straßenbahnen), umgekehrt sind einige Automobile elektrisch angetriebene Fahrzeuge (ζ. B. die oben erwähnten Autos mit einem Akku), aber einige sind es nicht (ζ. B. die normalen mit einem Verbrennungsmotor angetriebenen Autos).
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
Außer den besprochenen drei Arten der Inadäquatheit ist noch theoretisch eine vierte möglich, die darin besteht, daß die Extension des Definiendum die des Definiens ausschließt. Dies kommt dann vor, wenn kein Gegenstand, der einer der beiden Extensionen angehört, auch zur anderen gehört und umgekehrt. Hier einige Beispiele von Namenspaaren, die sich ausschließen: 1. ein goldener Gegenstand — ein gläserner Gegenstand, 2. Kreis — Q u a d r a t , 3. Fluß — Berg, 4. Mensch — Gliederfüßer. Man sieht, daß sich Extensionen dann ausschließen, wenn sie keine Elemente gemeinsam haben. Ich sagte, daß theoretisch ein Definitionsfehler möglich ist, der darin besteht, daß sich die Extensionen des Definiendum und des Definiens ausschließen. In der Praxis aber wird man kaum einem so offensichtlichen Fehler begegnen — es sei denn, es liegt ein vollkommenes Mißverständnis des Sinns des betreffenden Terminus vor. Im Anfang dieses Abschnitts sagte ich, daß der Fehler der Inadäquatheit nur bei feststellenden Definitionen vorkommen kann. Er kann weder bei den festsetzenden noch bei den regulierenden Definitionen auftreten. Wie soll man das erklären? Nun, um die Inadäquatheit einer Definition feststellen zu können, müssen wir die Extension des Definiens kennen und wir sollen auch über ein davon unabhängiges Wissen über die Extension des Definiendum verfügen. Dann erlaubt uns der Vergleich dieser Extensionen die Feststellung, ob sie übereinstimmen oder nicht. Die Möglichkeit eines solchen Vergleichs ist im Falle der feststellenden Definition gegeben. Hier ist nämlich die Quelle der unabhängigen Kenntnisse über die Extension des Definiendum die Sprache, zu der das Definiendum gehört. Wenn sich nun die Extension des Definiens nicht mit der durch diese Sprache bestimmten Extension des Definiendum deckt, ist die feststellende Definition inadäquat. Eine solche Vergleichsmöglichkeit haben wir dagegen im Falle der festsetzenden Definition nicht, denn wir verfügen in diesem Fall über kein unabhängiges Wissen über die Extension des Definiendum. In der festsetzenden Definition ist nämlich das Definiendum entweder ein ganz neuer Terminus, dem man bisher keine Extension zuordnete, oder ein zwar nicht mehr neuer Terminus, dafür aber ein neu definierter, wobei die mit diesem Terminus
Konstruktionsmethoden feststellender Definitionen
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früher verbundene Extension vollkommen unberücksichtigt bleibt. Mit anderen Worten: Die einzige Quelle unseres Wissens über die Extension des Definiendum ist im Falle der festsetzenden Definition diese Definition selbst. Sie bestimmt nämlich, daß die Extension des Definiendum diejenige ist, die — kraft der Definition — der uns bekannten Extension des Definiens gleicht. Die festsetzenden Definitionen sind also automatisch immer adäquat, ihre Inadäquatheit ist logisch ausgeschlossen. Und wie verhält es sich bei den regulierenden Definitionen? Hier haben wir zwar, wie im Falle der feststellenden Definition, ein unabhängiges Wissen über die festgestellte Extension des Definiendum, aber die regulierende Definition setzt sich nicht zum Ziel, die festgestellte Extension getreu wiederzugeben. Sie zielt lediglich auf eine teilweise Wiedergabe mit einer gleichzeitigen teilweisen Änderung. Aus diesem Grund kann man ihr Inadäquatheit ebenfalls nicht vorwerfen. Am Ende dieser Anmerkungen zur Inadäquatheit erinnere ich noch daran, daß der Vorwurf der Inadäquatheit nur gegenüber der feststellenden Definition im subjektiven Sinn erhoben werden kann. Im objektiven Sinn ist eine inadäquate Definition nicht eine schlechte feststellende Definition — sie ist überhaupt keine feststellende Definition.
Konstruktionsmethoden feststellender Definitionen Es gibt keine Methoden der Konstruktion festsetzender oder regulierender Definitionen. Bei der Auftstellung dieser Definitionen lassen wir uns von den Gesichtspunkten der Nützlichkeit des definierten Terminus für bestimmte wissenschaftliche oder praktische Zwecke leiten. Auf das Problem der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen gehe ich in einem späteren Kapitel ein. Jetzt möchte ich auf einige Verfahrensweisen eingehen, deren man sich bei der Aufstellung feststellender Definitionen bedienen kann. Ich habe bereits erwähnt, daß die Aufstellung einer feststellenden Definition keine leichte, manchmal sogar eine unerfüllbare Aufgabe ist. Ursache der Schwierigkeiten sind die
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
Vagheit und die Unklarheit der festgestellten Sinne der definierten Termini. Es ist nämlich schwer, einen Ausdruck zu definieren, dessen Sinn nebulos oder dessen Extension verwaschene Konturen hat. Eine andere Ursache der Schwierigkeiten bei der Konstruktion feststellender Definitionen ist die Vieldeutigkeit der definierten Termini. Damit werde ich mich noch beschäftigen. Die erwähnten Schwierigkeiten haben zur Folge, daß es keine unfehlbaren, erfolggarantierenden Methoden der Konstruktion feststellender Definitionen gibt. Die Methoden, auf die ich jetzt eingehen will: die etymologische, die induktive, die auch manchmal die sokratische genannt wird, weil angeblich Sokrates sie als erster in seinen Überlegungen über den Sinn verschiedener Wörter systematisch anwandte, und die intuitive Methode, sind daher unzuverlässig, d. h. auch wenn man sich getreu an ihre Anweisungen hält, kann man eine inadäquate feststellende Definition konstruieren. Die etymologische Methode. Zunächst einige Beispiele von Ausdrücken, deren feststellende Definitionen manchmal nach dieser Methode aufgestellt werden: Anthropomorphismus, Heliozentrismus, Mikrotom, Monolog, Redakteur. Die Anwendung dieser Methode verlangt ein Minimum an sprachhistorischem Wissen über den definierten Ausdruck. Sie empfiehlt nämlich folgendes Vorgehen: 1. Der definierte Ausdruck soll in seine Bestandteile zerlegt werden. 2. Feststellung des Sinns der einzelnen Bestandteile, den sie in der Herkunftssprache hatten. 3. Aus den Sinnen der Bestandteile soll schließlich der Sinn des ganzen definierten Ausdrucks konstruiert werden. Versuchen wir, die etymologische Methode anzuwenden, und die Definition eines der obigen Ausdrücke, ζ. B. die des Wortes „Anthropomorphismus" aufzustellen. Die Anweisungen befolgend beginnen wir mir der Zerlegung des definierten Wortes in seine Bestandteile. Wir erhalten folgende Aufteilung: Anthrop — o — morph — ismus
Konstruktionsmethoden feststellender Definitionen
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Und nun gehen wir daran, uns zu vergegenwärtigen, welchen Sinn jeder Bestandteil in der Sprache hatte, aus der er stammt. Die beiden ersten Bestandteile sind Abkürzungen der griechischen Wortformen anthropos (Mensch) und morphe (Gestalt). Der dritte Teil ismus ist ein Suffix lateinischen Ursprungs. Das Hinzufügen dieses Suffix an ein entsprechendes Wort zeigt an, daß dieses Wort mit seinem Suffix als Name einer künstlerischen, gesellschaftlichen, geistigen usw. Strömung, Richtung oder Anschauung fungiert. Wenn wir jetzt den Sinn des Ganzen aus den Sinnen der Bestandteile aufbauen, erhalten wir nun folgende Definition: Der Anthropomorphismus ist eine Anschauung, die in einem bestimmten Phänomenbereich (der mit dem Menschen nichts zu tun hat) Beziehungen und Abhängigkeiten erblickt, die für den menschlichen Bereich charakteristisch sind. So sind ζ. B. die Vorwürfe des Anthropomorphismus gegen bestimmte Erklärungsversuche von Mimikryphänomenen in der Natur bekannt. Die täuschende Ähnlichkeit einiger Insektengattungen mit dem Milieu, in dem sie leben, ζ. B. mit Ästen oder mit Baumblättern, versucht der Anthropomorphismus mit der Behauptung zu erklären, daß die Natur zielbewußt den Insekten ein solches Aussehen verliehen hat, um so die Gattung vor dem Aussterben zu bewahren. Hier beruht der Anthropomorphismus darin, daß der Begriff des zielgerichteten Verhaltens das für den Menschen charakteristisch ist, unberechtigterweise auf die ganze Natur ausgedehnt wird. Kehren wir aber zurück zu unserer Definition des Anthropomorphismus, die wir nach der etymologischen Methode aufgestellt haben. Dem Leser ist es sicher aufgefallen, daß die Information über die Bedeutung der Bestandteile nicht ausreicht, um diese Definition aufzustellen. So läßt sich ζ. B. die von mir in Klammern gesetzte unerläßliche Information „der mit dem Menschen nichts zu tun hat" nicht aus den Bedeutungen der Bestandteile „Anthrop", „morph" und „ismus" ableiten. Diese Information habe ich hinzugefügt, wobei ich mich von meinem aus anderen Quellen stammenden Wissen über den Anthropomorphismus leiten ließ. Schon dieses Beispiel zeigt, daß die etymologische Methode unzuverlässig ist, obwohl sich ihre Unzu-
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
verlässigkeit hier in einer milden Form zeigt, durch die diese Methode nicht unbrauchbar wird. Ganz kraß zeigt sich die Unzuverlässigkeit der etymologischen Methode beim Definitionsversuch des Wortes „Kanzler". Wenn wir die Bestandteile dieses Wortes trennen, erhalten wir: Kanzl er Der erste Teil stammt von dem lateinischen Wort cancelli. Cancelli, das waren Gitter, die in den Ämtern des alten Rom den Interessenten vom Beamten trennten. Der zweite Teil ist ein Suffix, das anzeigt, daß ein Ausdruck mit diesem Suffix als Name für einen Beruf, ein Handwerk, eine Funktion, eine Stellung fungiert. Wenn wir nun die Bedeutung des Ganzen aufgrund der Bedeutungen der Bestandteile zu rekonstruieren versuchen, erhalten wir etwa die folgende Definition: Ein Kanzler ist ein Gittermacher. Man sieht, daß der so bestimmte Sinn wenig gemeinsam mit dem heutigen gängigen Verständnis des Wortes „Kanzler" hat. Ich will noch ein Beispiel analysieren, daß die Unzuverlässigkeit der etymologischen Methode illustiert. Es wird der Versuch sein, das russische Wort „Mpanoßec" (mrakobjes) zu definieren. Man kann in ihm folgende Bestandteile unterscheiden: MpaK o 6ec Der erste Teil bedeutet auf russisch soviel wie Dunkelheit, der zweite soviel wie Teufel, Satan. Die zwischen den beiden Teilen auftretende Kopula „ o " hat eine rein wortbildende Funktion. In Anlehnung an die Bedeutungen der beiden Bestandteile erhalten wir die Definition: MpaKo6ec, das ist soviel wie Satan der Dunkelheit. Dieser durch die Definition bestimmte Sinn weicht kraß vom gängigen Verständnis dieses Wortes in der russischen Gegenwartssprache ab, in der MpaKo6ec soviel wie Obskurant heißt. Es lassen sich viele ähnliche Beispiele anführen, die die Unzulänglichkeiten der etymologischen Methode veranschaulichen. Allgemein gesprochen ist die Ursache dieser Unzulänglichkeit der Bedeutungswandel, dem die Ausdrücke in der Entwicklung einer Sprache unterliegen. Das hat zur Folge, daß die Bedeutung des
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ganzen definierten Terminus sich nicht immer aus den Bedeutungen rekonstruieren läßt, die seine Bestandteile einst hatten. Die induktive (sokratische) Methode. Die jetzt zu besprechende Methode trägt die Bezeichnung induktiv, weil wir mit ihrer Hilfe die Bedeutung eines Ausdrucks durch die Analyse vieler Anwendungsfälle dieses Ausdrucks erhalten. Wir gehen in diesem Fall also ähnlich vor wie bei einer verallgemeinernden Argumentation innerhalb der empirischen Wissenschaften, wo man ein allgemeines Gesetz aufgrund vieler Einzelfakten akzeptiert, die dieses Gesetz bestätigen. Über die Herkunft der zweiten Bezeichnung „sokratisch" habe ich bereits Auskunft gegeben. Um eine erste annähernde Charakteristik der induktiven Methode zu erhalten, stellen wir uns vor, daß wir die Gegenstände, die mit dem zu definierenden Ausdruck bezeichnet werden, der Reihe nach ansehen oder sie uns vorstellen, und daß wir uns dabei bemühen, ihnen gemeinsame Eigenschaften zu finden, nebst solchen, die diese Gegenstände von anderen unterscheiden. Nehmen wir an, wir beobachten bei einem solchen Vorgehen viele Menschen, die mit dem Ausdruck „Opportunist" bezeichnet werden. Wir suchen nach Eigenschaften, die diese Menschen von anderen unterscheiden, und wir kommen zu einer Definition des Opportunisten, die besagt, er sei ein Mensch, der aus Eigennutz die ethischen Maximen seiner Handlungen den sich ändernden Verhältnissen anpaßt. Nach dieser annähernden Charakterisierung können wir die induktive Methode etwas eingehender betrachten. Zunächst stellen wir fest, daß es zwei Formulierungen dieser Methode gibt, eine stärkere und eine schwächere. In der stärkeren Formulierung empfiehlt die induktive Methode: 1. alle Anwendungsfälle des zu definierenden Ausdrucks zu betrachten, 2. Eigenschaften zu finden, die ihnen gemeinsam sind, und die sie spezifisch von den Anwendungsfällen anderer Ausdrücke unterscheiden, 3. von diesen Eigenschaften ausgehend die Bedeutung des zu definierenden Ausdrucks zu bestimmen.
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Kap. I: Uber verschiedene Arten von Definitionen
M a n sieht, daß in der stärkeren Formulierung die induktive Methode ein Vorgehen empfiehlt, das nur dann durchgeführt werden kann, wenn die Zahl aller Anwendungsfälle des zu definierenden Ausdrucks nicht allzu groß ist. D a s ist ζ. B. dann der Fall, wenn man eine Definition eines Ausdrucks aufstellen will, die in bezug auf die Sprache eines Autors feststellend sein soll. Dieses Vorgehen ist aber undurchführbar, wenn diese Sprache ζ. B. die Alltagssprache ist. Die Zahl der Anwendungsfälle ist dann zu groß, als daß man sie alle berücksichtigen könnte. Man kann höchstens eine ausgewählte Probe der Anwendungsfälle in Betracht ziehen. Und dies empfiehlt nun die induktive Methode in der schwächeren Formulierung, die in den beiden übrigen Punkten mit der stärkeren Version identisch ist. Die induktive Methode in der schwächeren Version ist nun vom Vorwurf der Undurchführbarkeit befreit. Sie hat aber eine andere Schwäche. Es kann sein, daß die gemeinsamen Eigenschaften der von uns berücksichtigten Anwendungsfälle des zu definierenden Terminus nicht allen seiner Anwendungsfälle gemeinsam sein müssen, w a s zu einer unzutreffenden Definition führen kann. Hier ein Beispiel. Nehmen wir an, daß jemand, der das Wort „ Z u c k e r " nicht versteht, dessen alltägliches Verständnis durch die Aufstellung einer feststellenden Definition erfassen möchte. Er geht nun nach der induktiven Methode vor, betrachtet eine bestimmte Anzahl der Anwendungsfälle dieses Wortes in der Alltagssprache, und von diesen Fällen ausgehend stellt er folgende Definition a u f : Zucker ist eine weiße Substanz, die süß schmeckt und die man als Lebensmittel gebraucht. Wie man sieht, ist diese Definition unzutreffend, denn sie umfaßt nicht nur den Zucker, sondern auch andere Süßstoffe, wie ζ. B. Saccharin. Ein anderer Grund für die Unzuverlässigkeit der induktiven Methode, und d a s sowohl in ihrer starken als auch in ihrer schwachen Version, ist in der Mehrdeutigkeit der Ausdrücke zu sehen. Nehmen wir an, wir verstehen das Wort „ F l ü g e l " nicht und sind uns dessen Vieldeutigkeit ebenfalls nicht bewußt. Um d a s alltägliche Verständnis des Wortes „Flügel" zu erfassen, analysieren wir einige seiner Anwendungsfälle, um auf dieser Grundlage eine feststellende Definition aufzustellen. Ohne uns
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der Vieldeutigkeit des Wortes bewußt zu sein, berücksichtigen wir Anwendungsfälle in seinen verschiedenen Bedeutungen: 1. Flügel als ein Klavier, 2. Flügel als ein Körperteil. Es ist offensichtlich, daß die Eigenschaften, die Gegenständen gemeinsam sind, welche unter das Wort „Flügel" fallen, in Anbetracht zweier so weit auseinanderliegender Bedeutungen nicht als Grundlage einer adäquaten feststellenden Definition dienen können, und zwar für keine der beiden Bedeutungen.26 In wichtigen Fällen, in denen es in besonderem Maß auf die getreue Wiedergabe des Sinns eines Ausdrucks ankommt, können wir beim Sammeln der Fakten aus den einzelnen Anwendungsfällen raffiniertere Methoden anwenden, die in soziologischsemantischen Untersuchungen benutzt werden, also entsprechende Erhebungen oder Fragebögen, Interviews, statistische Berechnungen usw. Die Anwendung dieser Techniken muß aber gut durchdacht sein. Man kann ζ. B. die Menschen nicht einfach fragen, wie sie ein bestimmtes Wort verstehen. Es ist nämlich bekannt, daß die Menschen im allgemeinen die Ausdrücke — insbesondere die der Alltagssprache — unklar verstehen, d. h. sie können diese Ausdrücke anwenden, aber sie können keine Definitionen geben. Die Anwendung dieser Techniken sollte daher die Sammlung solcher Informationen ermöglichen, von denen ausgehend der Forscher, der die Untersuchung führt, selbst eine Definition des fraglichen Terminus aufstellen kann. Man muß kaum hinzufügen, daß eine solche Untersuchung nicht nur viel Mühe, sondern auch erhebliche finanzielle Mittel erfordern kann und daß sie daher auch durch die Wichtigkeit des zu lösenden Problems gerechtfertigt werden muß. Die intuitive Metkode. Die bisher besprochenen Nachteile der etymologischen und der induktiven Methode treten in solchen 26
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Hier liegt eine Vieldeutigkeit vor, in der sich die einzelnen Bedeutungen klar unterscheiden. Im Falle von vieldeutigen .Wörtern, deren verschiedene Bedeutungen nicht so leicht zu unterscheiden sind, ζ. B. „Gesellschaft", „möglich", „Zufall", ist die Wahrscheinlichkeit, bei der Aufstellung einer Definition einen Fehler zu machen, sehr groß. Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. I: Über verschiedene Arten von Definitionen
Fällen besonders kraß zutage, in denen die Person, die eine feststellende Definition eines Terminus mit Hilfe dieser Methoden aufzustellen versucht, diesen Terminus überhaupt nicht versteht. Diese Nachteile treten aber nicht so deutlich hervor, wenn diese Person den Sinn dieses Terminus irgendwie empfindet, ihn aber noch nicht ganz versteht. Die intuitive Methode, auf die ich nun eingehen will, findet vor allem in solchen Fällen Anwendung. Das Ziel der Person, die dann eine Definition aufzustellen versucht, ist es, den Sinn eines Terminus, den sie bisher nur unklar und undeutlich gespürt hat, nun klar zu verstehen. Nach der intuitiven Methode sollte man bei der Aufstellung der Definition eines Terminus, ζ. B. des Terminus „Materialist", die bezüglich der Alltagssprache feststellend sein soll, sich an einen oder höchstens einige alltagssprachliche Anwendungsfälle dieses Terminus erinnern. Bei der eingehenden Analyse dieser Fälle sollte man sich bemühen, auf die Eigenschaften zu reflektieren, aufgrund derer jemand als Materialist bezeichnet wird. Aus den so erhaltenen Eigenschaften sollte eine Definition des Wortes „Materialist" aufgestellt werden. Das vorgängige Wissen über die Bedeutung oder zumindest über die Verwendungsweise dieses Terminus — obwohl fragmentarisch und unklar — erleichtert hier die Aufgabe und erlaubt es, die Fehler zu mildern, die aus der Unzuverlässigkeit der intuitiven Methode resultieren. Läßt man sich durch dieses Wissen leiten, kann eine gemeinsame Betrachtung der Anwendungsfälle des Wortes „Materialist" vermieden werden, in denen seine beiden unterschiedlichen Bedeutungen hervortreten: die philosophische (ein Mensch, der nur die Existenz der Materie akzeptiert) und die ethische (ein Mensch, für den das Streben nach materiellen Werten den Hauptzweck des Lebens darstellt). Ein Herausarbeiten von gemeinsamen Eigenschaften der so unterschiedlich aufgefaßten Materialisten wäre ein Fehler, denn diese Menge von Eigenschaften würde sich als Definiens des Wortes „Materialist" nicht eignen, und das für keine der beiden Bedeutungen. Natürlich kann man sich bei der Anwendung der intuitiven Methode irren. Aber das Hineinwachsen in ein immer klareres Verständnis einer immer größeren Zahl von Begriffen, denen wir
Konstruktionsmethoden feststellender Definitionen
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im Alltag, bei unserer Lektüre und in der Wissenschaft begegnen, kann sich nicht in einem einmaligen Definitionsversuch erschöpfen. Das ist vielmehr ein langwieriger Prozeß, in dessen Verlauf wir durch immer neue Anstrengungen auf dem Pfade von Versuch und Irrtum zu einem immer besseren Verständnis der Begriffe gelangen, die uns bisher unklar und undeutlich waren. Eine wichtige Hilfe auf diesem Weg ist die Bildung, insbesondere die logisch-methodologische, denn sie schärft die Fähigkeit zur selbständigen, kritischen Analyse.
Kapitel II
Definitionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel Die Alltagssprache als Instrument der menschlichen Kommunikation hat in ihrer Wirkung — ähnlich wie eine Arznei — bestimmte Eigenschaften, die nützlich und schädlich zugleich sind. Die Vieldeutigkeit, der unbestimmte Sinn ihrer Ausdrücke sowie ihr metaphorischer Charakter sind Mängel, die eine eindeutige und präzise Faktenbeschreibung und damit auch eine erfolgreiche Verständigung, insbesondere im wissenschaftlichen Bereich, aber auch in Alltagsangelegenheiten erschweren. 1 Aber diese Eigenschaften können zu Vorteilen werden, wenn wir die Alltagssprache nicht zur möglichst genauen Faktenbeschreibung verwenden, sondern um Ideen und Empfindungen einen poetischen Ausdruck zu verleihen. Dank dieser Eigenschaften erhalten die sprachlichen Gebilde die Fähigkeit, von Empfänger zu Empfänger unterschiedliche und vielfach differenzierte Assoziationen hervorzurufen. Neben den rein beschreibenden Ausdrücken treten in der Alltagssprache auch emotional gefärbte Ausdrücke auf. Der emotionale Gehalt der Ausdrücke beeinträchtigt die rein deskriptive Sprachfunktion; er ermöglicht aber deren expressive und bewertende Funktion, und macht aus ihr ein fähiges Instrument der Überredung und der Beeinflussung von emotionalen Einstellungen. 2 1
2
Hier geht es um die logisch-sprachlichen Bedingungen der erfolgreichen Verständigung. Der Erfolg der Verständigung hängt aber auch von einer Reihe sozialer Bedingungen ab. Mit diesem Problem beschäftigt sich u. a.: R. Posner: Diskurs als Mittel der Aufklärung. In: M. Gerhard (Hrsg.): Linguistik und Sprachphilosophie. München 1974. Über die persuasive Funktion der Sprache schreibe ich im Kap.: Persuasive Definitionen.
Mehrdeutigkeit
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Gegenstand der Untersuchungen des vorliegenden Kapitels werden diese ambivalenten Eigenschaften der Alltagssprache sein, die in der Überschrift eindeutig als Mängel charakterisiert sind, weil ich vor allem auf diesen Aspekt aufmerksam machen will. Ich werde auch Fehler und Mißverständnisse, die aus den Mängeln der Alltagssprache resultieren, und die Rolle der Definitionen als Mittel zu deren Behebung erörtern.
Mehrdeutigkeit Zunächst einige sprachliche Differenzierungen, die nützlich sein werden. Direkt oder indirekt werde ich mich auf die Begriffe der Extension und der Intension (Sinn) eines Namens beziehen, sowie von extensions- und intensionsgleichen Namen sprechen. Es wird also gut sein, diese Begriffe zu erklären. Die Extension eines Namens ist die Menge aller seiner Designate, d. h. die Menge aller Gegenstände, die durch ihn bezeichnet werden. Die Extension des Namens „Tisch" ist die Menge aller Tische, die des Namens „Buch" die Menge aller Bücher, die des Namens „kubistisches Bild" die Menge aller kubistischen Bilder, u. ä. Und was ist die Intension eines Namens? Ich will an dieser Stelle keine Analyse des sehr komplexen und zugleich strittigen Begriffs vornehmen. 3 Ich werde mich mit einer einfachen Erklärung begnügen. Unter der Intension (Sinn) eines Namens werde ich die Gesamtheit der Eigenschaften verstehen, die dieser Name seinen Designaten zuschreibt, und durch welche diese Designate von allen anderen Gegenständen abgehoben werden. Die Intension des Namens „Quadrat" ist in der Sprache der elementaren Geometrie die Menge folgender Eigenschaften: flach, viereckig, gleichseitig, rechtwinklig. Die Intension des Namens „Lüge" ist in der Alltagssprache die Eigenschaft: bewußt die Unwahrheit 3
Hier einige wichtige Arbeiten, in denen das Bedeutungsproblem diskutiert wird: K. Ajdukiewicz: Jçzyk i poznanie (Sprache und Erkenntnis) Bd. 1 Warszawa 1965; R. Carnap: Testability and Meaning 1936; E. Husserl: Logische Untersuchungen Bd. 2 Tübingen 5. Aufl. 1968; G. Ryle: The Theory of Meaning; L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. 1963.
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
sagend. Wie man sieht, kann die Bestimmung der Intension eines Namens nur in bezug auf eine bestimmte Sprache vorgenommen werden, denn derselbe Name kann in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Intensionen haben. Ζ. B. ist die Intension des Namens „Mensch" in der Sprache der aristotelischen Philosophie die Eigenschaft, ein vernunftbegabtes Wesen zu sein. In der Klassifizierung von Cuvier ist die Intension desselben Namens die Eigenschaft, ein ungefiedertes Säugetier mit zwei Händen zu sein — das ist also eine andere Intension als in der Sprache des aristotelischen Systems. In der Alltagssprache hat der Name „Mensch" noch eine andere Intension. Namen, die dieselbe Extension haben, sind extensionsgleiche Namen. Ζ. B. die Namen „der Autor der Ansichten eines Clowns" und „der Autor der verlorenen Ehre der Katharina Blum" haben dieselbe Extension, die aus einem einzigen Element besteht: Heinrich Boll. Ähnlich verhält es sich bei den Namen „eine gerade Zahl" und „eine durch 2 teilbare Zahl", deren Extension ein und dieselbe Menge von Zahlen ist. Namen, die dieselbe Intension haben, sind intensionsgleiche Namen. Ein Beispiel ist das Namenpaar: „notwendige Bedingung" und „unerläßliche Bedingung", oder das Namenpaar: „Synonyme" und „gleichbedeutende Ausdrücke". Überlegen wir nun, welche Beziehung zwischen der Extensions- und der Intensionsgleichheit besteht. Aus den angegebenen Beispielen ersieht man, daß dies keine Identitätsbeziehung ist. So sind ζ. B. die beiden Namen, die sich auf Heinrich Boll beziehen, extensions-, aber nicht intensionsgleich, denn die Eigenschaft, der Autor von ,Ansichten eines Clowns' zu sein ist nicht identisch mit der, der Autor von ,Die verlorene Ehre der Katharina Blum' zu sein. Ein und dieselbe Extension kann also mit Hilfe vieler unterschiedlicher Mengen von Eigenschaften hervorgehoben werden, die diese Extension in eigentümlicher Weise bestimmen. In Anlehnung an jede dieser Mengen von Eigenschaften läßt sich ein besonderer Name bilden. Alle so entstandenen Namen werden extensionsgleich aber nicht intensionsgleich sein, denn die Menge der Eigenschaften, die die Intension des jeweiligen Namens ausmachen, ist jedes Mal eine andere. Extensionsgleichheit ist also
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nicht mit der Intensionsgleichheit identisch. Zwischen Extension und Intension bestehen folgende Beziehungen: 1. Wenn zwei N a m e n A und Β intensionsgleich sind, dann sind sie auch extensionsgleich, aber nicht umgekehrt. 2. Sind zwei N a m e n A und Β extensionsverschieden, dann sind sie auch intensionsverschieden, aber nicht umgekehrt. Diese Beziehungen erklären sich eindeutig aus den bisherigen Beispielen und Anmerkungen. Gehen wir nun zum Problem der Mehrdeutigkeit über. Ein Ausdruck ist in einer bestimmten Sprache mehrdeutig, wenn er in dieser Sprache mehr als eine Intension hat. Hier ein einfaches Beispiel: das Wort „Gerechtigkeit". Nehmen wir an, wir sind Zeugen einer Diskussion über die Gesellschaftsform der zukünftigen vereinigten Menschheit. Einer der Teilnehmer behauptet, d a ß diese zukünftige Gesellschaftsordnung gerecht sein sollte, sie sollte eine gleichmäßige Güterverteilung garantieren und allen Menschen gleiche Entwicklungschancen schaffen. Darauf entgegnet ein anderer Teilnehmer aufgeregt, d a ß dies ein völlig undurchführbares Programm sei, das in Widerspruch zur menschlichen N a t u r steht, und außerdem sei es extrem links und habe mit der wahren Gerechtigkeit gar nichts zu tun. Eine gut und gerecht funktionierende Gesellschaftsordnung sollte jedem je nach seinem Verdienst einen Anteil an den Gütern sichern. Es ist offensichtlich, d a ß jeder Sprecher ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit hat. Jedem das Gleiche und jedem nach seinem Verdienst — das sind die beiden Sinne, um die es hier geht, wobei damit noch nicht alle möglichen Sinne aufgezeigt sind. Jedem in Einklang mit geltenden Gesetzen, und jedem nach seinen Bedürfnissen — das sind zwei weitere Auffassungen des Wortes „Gerechtigkeit", denen man in der Alltagssprache und auch in wissenschaftlichen Diskussionen begegnet. Hier noch einige weitere Beispiele aus der sehr großen Zahl mehrdeutiger Ausdrücke: Stand, Materialist, Zufall, Recht, Empfang, Schloß, Satz, notwendig, möglich. 4 4
Ein interessantes Beispiel der Mehrdeutigkeit sind bestimmte seit Jahrhunderten akzeptierte und durch Tradition geheiligte Behauptungen
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
Es gibt Wörter, deren Mehrdeutigkeit offenkundig ist, und solche, deren Mehrdeutigkeit erst aufgedeckt werden muß. Im Alltag gebrauchen wir mehrdeutige Wörter, ohne uns bewußt zu sein, daß wir mit diesen in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Sinne (Intensionen) verbinden. W i e oft sagen wir, daß etwas möglich oder unmöglich ist. Eine Analyse des Wortes „ m ö g l i c h " zeigt aber, daß es sehr viele unterschiedliche Sinne hat. Ich werde mich nicht dazu verfuhren lassen, an dieser Stelle eine erschöpfende Liste aller Intensionen dieses Wortes zu erstellen, ich werde nur auf einige wichtigere hinweisen, um die jetzt diskutierte T h e s e zu veranschaulichen. 1. M ö g l i c h heißt soviel wie durchführbar. In diesem Sinn bezieht sich das W o r t „ m ö g l i c h " auf menschliche Tätigkeiten oder deren Ergebnisse. 2.^ M ö g l i c h ist aber auch soviel wie den Naturgesetzen nicht widersprechend. Die Annahme, daß ein in diesem Sinn mögliches Ereignis auch stattfindet, führt zu keinem Widerspruch mit den Naturgesetzen. So ist es ζ. B. in diesem Sinn des Wortes nicht möglich, sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortzubewegen, oder ein Perpetuum mobile zu konstruieren. Die Annahme, d a ß so etwas möglich ist, führt zum Widerspruch mit gültigen physikalischen Gesetzen. 3 . M ö g l i c h heißt auch soviel wie logisch widerspruchsfrei. In diesem Sinn ζ. B. ist eine Quadratur des Kreises nicht möglich, es ist auch nicht möglich, daß es einen Sohn einer kinderlosen Mutter gibt. Die Annahme, daß es so etwas gibt, würde den Gesetzen der Logik und der Mathematik widersprechen oder den oder Begriffe, die jede geschichtliche Epoche in ihrer Weise interpretiert. Um diese Begriffe, die mit vielfachen emotionalen Assoziationen befrachtet sind, werden Auseinandersetzungen philosophischen, gesellschaftlichen und politischen Charakters geführt. Eine Analyse solcher Begriffe in: E. Topitsch: Über Leerformeln. Zur Pragmatik des Sprachgebrauchs in Philosophie und politischer Theorie. In: Probleme der Wissenschaftstheorie. Festschrift für Victor Kraft. Wien 1960. Ders.: Das Problem des Naturrechts. Wiener Zeitschrift für Philosophie, Psychologie, Pädagogik. Bd. III, Heft 2, 1950.
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gültigen Definitionen der entsprechenden Begriffe. M a n muß anmerken, daß eine Sache, die logisch möglich ist (Sinn 3), dies nicht auch physisch sein muß (Sinn 2), ebenso zieht die physikalische Unmöglichkeit nicht die logische nach sich. 4 . M ö g l i c h ist auch soviel wie erlaubt in Hinsicht auf bestimmte Vorschriften oder Normen, ζ. B. juristische oder moralische. 5 . M ö g l i c h heißt auch soviel wie wahrscheinlich. In diesem Sinn wird das Eintreten eines Ereignisses, z. B. daß ein starker Raucher an Krebs erkrankt, dann als möglich bezeichnet, wenn dieses Eintreten nicht als sicher gilt, sondern wenn es nur eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für dieses Eintreten gibt. Der unvorsichtige Umgang mit mehrdeutigen Ausdrücken kann zu Mißverständnissen und Fehlern führen; auf wichtigere gehe ich noch ein. Unangenehm sind in dieser Beziehung vor allem die mehrdeutigen Ausdrücke, deren einzelne, einander ähnliche aber doch verschiedene Intensionen schwer zu unterscheiden sind. Solche Ausdrücke gibt es in der Alltagssprache und in den Wissenschaftssprachen. V o r allem sind die philosophischen Disziplinen an solchen Ausdrücken reich. Um diese Ausdrücke konzentrieren sich die seit Jahrhunderten geführten Grundlagendiskussionen der Philosophie. Es genügt, an solche Termini zu erinnern wie „ R a t i o n a l i s m u s " , „Realismus", „Idealismus", „Subjektivismus", „wesentliche Eigenschaft (Sache)", „Ursache", „ R e c h t " , „Universale", „ a b s o l u t " , „relativ", „Intuition", „evident", „ b e g r ü n d e t " . Häufig sind eingehende Analysen nötig, um die subtilen Sinnunterschiede, die mit einem Terminus verbunden werden, offenzulegen und zu unterscheiden. Ich will dies am Beispiel des Begriffs des Subjektivismus in der Ästhetik veranschaulichen. Es ist bekannt, daß sich in der Ästhetik und der Kunsttheorie seit langem zwei entgegengesetzte Auffassungen über den Charakter ästhetischer Wertungen gegenüberstehen: der Subjektivismus und der Objektivismus. Versuchen wir, es uns möglichst klar zu verdeutlichen, was man darunter versteht, daß ein ästhetisches Urteil subjektiv ist. Ich beschränke mich auf die Unterscheidung einiger grundlegender Bedeutungen dieses Terminus.
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1. In der ersten Version beruht das Subjektive eines ästhetischen Urteils, ζ. B. der Aussage „Diese Symphonie ist schön", darauf, daß dieser Satz sich nur scheinbar auf ein musikalisches Werk bezieht, in Wahrheit dagegen von den ästhetischen Erlebnissen der dieses Urteil abgebenden Person handelt. Das ästhetische Werturteil wird hier also mit einer bestimmten psychologischen Behauptung identifiziert. Es lohnt anzumerken, daß in dieser Version des Subjektivismus das Problem der Nichtübereinstimmung verschiedener ästhetischer Urteile verschwindet. Der Streit zweier Personen, die ein Kunstwerk unterschiedlich beurteilen, wird zu einem Scheingefecht 5 , denn eigentlich spricht jede von etwas anderem, nämlich von ihren eigenen Erlebnissen. 2 . Die Verfechter der zweiten Version des Subjektivismus sehen sein Wesen darin, daß ästhetische Urteile, im Gegensatz zu beschreibenden Feststellungen, sich nicht begründen lassen. Auf jeden Fall gibt es ihrer Meinung nach keine zu den in den Naturwissenschaften angewandte analoge Rechtfertigungsprozedur, die in der Lage wäre, Begründungen für ästhetische Urteile zu liefern, die jeden überzeugen, der die vorgebrachten Argumente und Belege analysieren will. Dieser Zweifel an der Möglichkeit, eine Rechtfertigungsprozedur zu finden, verbindet sich mit der Überzeugung, daß ästhetische Urteile überhaupt keine Sätze im logischen Sinn sind. Sie können weder wahr noch falsch sein, und daher weder begründet noch verworfen werden. 6 3. Nach der dritten Version des Subjektivismus gibt es keine empirisch feststellbaren Eigenschaften von Gegenständen, die über deren Schönheit entscheiden, und deren Vorhandensein in ästhetischen Urteilen über diese Gegenstände behauptet werden könnte. O b ein Gegenstand schön ist, wird nicht durch seine 5
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Über scheinbare Auseinandersetzungen, die nur "Wortgefechte sind, spreche ich im weiteren Verlauf dieses Kapitels. Das logische Verständnis des Begriffs „Satz" unterscheidet sich vom alltagssprachlichen und von dem in der Grammatik. Ein Satz im logischen Sinn ist ausschließlich eine wahre oder falsche Aussage. Daraus folgt, daß ζ. B. Fragesätze oder Befehlssätze, die Sätze im grammatischen Sinn sind, keine Sätze im logischen Sinn sind, weil sie weder wahr noch falsch sein können.
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Eigenschaften bestimmt, sondern ist von der Person abhängig, die diesen Gegenstand betrachtet. 4. Die letzte Variante des Subjektivismus, die ich hier betrachten will, behauptet, daß Urteile ohne Relativierungen, ζ. B. „Diese Komposition ist schön", „Dieses Bild hat eine raffinierte Farbabstimmung" u. ä., nur als abgekürzte Aussagen betrachtet werden können. Die volle und korrekte Formulierung sollte die Relativierung auf eine Person, oder eine Gruppe von Personen enthalten, deretwegen man dem beurteilten Gegenstand einen ästhetischen Wert zuschreibt. Der Subjektivismus in diesem Sinn stellt daher eine Variante des Relativismus dar. Ein Faktor, der die Unterscheidung der einzelnen Sinne des Wortes „Subjektivismus" in bezug auf ästhetische Urteile erschwert, sind — neben der komplizierten Natur des Problems der Subjektivität ästhetischer Urteile selbst — die Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Varianten. Die Versionen (1) und (3) rücken dadurch näher zusammen, daß beide die Existenz einer empirisch feststellbaren Eigenschaft leugnen, deren Vorhandensein über die Schönheit eines Gegenstandes entscheidet, und weiterhin dadurch, daß Schönheit nicht durch die Eigenschaften der Dinge determiniert wird, sondern irgendwie vom wahrnehmenden Subjekt abhängt. Aber in der Version (1) wird das ästhetische Urteil mit einem bestimmten Satz über die psychischen Erlebnisse des wahrnehmenden Subjekts identifiziert, worin die Subjektivität des Urteils beruht, während in der Version (3) dieses Problem offengelassen wird. Die Version (1) nähert sich der Version (4) dadurch, daß das ästhetische Urteil auf die wahrnehmende Person bezogen wird, worin die Subjektivität des Urteils gründet. Aber in der Version (1) ist es eine Bezugnahme auf die Erlebnisse des Wahrnehmenden, was die Version (4) nicht eindeutig entscheidet. Die Versionen (2) und (3) schließlich sind sich in der folgenden Schlußfolgerung ähnlich: Wenn es keine empirisch feststellbare Eigenschaft gibt, die über die Schönheit eines Gegenstandes entscheidet, dann kann es auch keine Prozedur zur Entdeckung einer derartigen Eigenschaft geben. Den einzelnen ähnlichen Intensionen eines Terminus, die in einer Analyse unterschieden wurden, werden häufig unterschiedliche
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Termini zugeordnet. Damit sollen Mißverständnisse und Fehler vermieden werden, die beim Gebrauch desselben Terminus in verschiedenen Bedeutungen entstehen könnten. So verfahren ζ. B. die Soziologen, die sich für unterschiedliche Aspekte sozialer Aggregate interessieren, und jede der unterschiedenen Bedeutungen des Terminus „soziales Aggregat" mit einem gesonderten Terminus versehen. In einem Sinn ist ein soziales Aggregat soviel wie ein Auflauf oder Zusammenlauf, verstanden als eine flüchtige Zusammenhäufung von einzelnen oder einigen -zig Menschen, die sich für ein Ereignis interessieren. Ein Auflauf entsteht bei etwas Ungewöhnlichem, das die Aufmerksamkeit der Passanten fesselt. Das kann ein Straßenverkäufer oder Gaukler sein, eine Autokarambolage, ein Betrunkener, der einen Skandal verursacht. Ein Auflauf entsteht aufgrund eines plötzlichen und starken Anreizes. Hier wirkt vor allem die Neugier, es kann aber auch der Wunsch sein, an einer für das Gemeinwesen wichtigen Sache teilzunehmen. 7 Eine andere, von Soziologen ebenfalls unterschiedene Bedeutung des Ausdrucks „soziales Aggregat" hat man mit dem Terminus „ M o b " bezeichnet. M o b nennt man eine vorübergehende Ansammlung von zumindest einigen -zig Menschen, auf einer Fläche, die einen unmittelbaren Kontakt erlaubt, die spontan auf dieselben Reize in gleicher oder ähnlicher Weise reagieren. Hier tritt eine ungewöhnlich starke psychische Verbundenheit auf, die zu einer sehr weiten Identifizierung des einzelnen mit dem Aggregat führt. Ein M o b sammelt und formt sich unter dem Einfluß starker emotionaler Reize (Wut, Gefühl des Unrechts, Rachsucht, Beutesucht u. ä.), und in dem Maße, in dem sich der M o b formt und wächst, kommen bei allen Beteiligten starke Antriebe zur Wirkung, die durch keine organisatorischen oder ethischen Normen gebremst werden. Daher ist der M o b zu unvorhergesehenen Verhaltensweisen, und die Beteiligten sind zu Taten fähig, die sie 7
Bei der Unterscheidung der verschiedenen Sinne des Wortes „Aggregat" in der Soziologie lehne ich mich u. a. an: ]. Szczepanski: Elementarne Pojçcia Socjologii (Elementare Begriffe der Soziologie) 1970 und an: Ernst M. Wallner: Soziologie. Einführung in Grundbegriffe und Probleme. Heidelberg 5. erw. Auflage 1975.
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in „normalen" stabilen Situationen nie begehen würden. In der dritten Bedeutung heißt „soziales Aggregat" soviel wie .„Menschenmenge". Dabei bezeichnet „Menschenmenge" ein „amorphes, nur oberflächlich als Einheit erscheinendes in Ruhe befindliches Aggregat von Personen, die zufällig oder durch ein Ereignis veranlaßt, räumlich zusammentreffen, die aber miteinander kaum oder nur in geringer Wechselbeziehung stehen. In der Menge orientieren sich die Menschen meist an den anderen, verhalten sich also « konform ». Solche Mengen bestehen aus Anhäufungen von Menschen, die sich ζ. B. als Einkäufer von Weihnachtsgeschenken in den Geschäften der « City » drängen, oder es sind die soeben auf dem Bahnhof eingetroffenen Reisenden, die die Ankunft des Zuges erwarten". 8 In der vierten Bedeutung schließlich heißt „soziales Aggregat" soviel wie Publikum, das heißt eine zielgerichtete Menschenversammlung, die Unterhaltung (ζ. B. im Kino, Theater, im Konzertsaal) oder Informationen sucht (ζ. B. in Vorlesungen, Vorführungen, Kundgebungen, politischen Veranstaltungen). Die gemeinsamen Eigenschaften, die die Ähnlichkeit der unterschiedenen Bedeutungen des Terminus „soziales Aggregat" determinieren, ist die Tatsache, daß ein Aggregat immer eine Ansammlung von Menschen ist, die räumlich verbunden sind. Die anderen Faktoren, die die Menschen eines Aggregats verbinden, sind informell und im allgemeinen von kurzer Dauer. Über die Besonderheiten der hervorgehobenen Sinne entscheiden dagegen solche Eigenschaften, wie Unterschiede in der Größe der Ansammlungen (Auflauf — Mob), die Stärke der emotionalen Bande und die Gewalttätigkeit im Verhalten (Menge — Mob), und auch der zielgerichtete oder zufällige Charakter der Ansammlung (Publikum - Auflauf). In der Alltagssprache und auch in den Wissenschaftssprachen gibt es viele mehrdeutige Ausdrücke, deren einzelne Sinne eng beieinander liegen. So hat man ζ. B. festgestellt, daß der Terminus „Naturgesetz" in etwa 16 unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. A. L. Kroeber hat sogar 150 Sinne des Wortes 8 6
Emst M. Wallner op. cit. S. 120f. Pawlowski, Begriffsbildung
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„ K u l t u r " unterschieden. 9 Die Unterschiede zwischen den einzelnen Sinnen dieser Termini sind häufig schwer zu fassen (obwohl sie groß genug sind, um eine Quelle hartnäckiger Fehler und Mißverständnisse zu sein) und es ist manchmal ein großes Wissen auf einem Gebiet und die Fähigkeit zum analytischen Denken erforderlich, um diese Unterschiede zu bemerken und herauszuarbeiten. Ein hilfreiches Instrument der Analyse stellt in diesem Fall die Definition dar. Sie erlaubt ein klares formales Erfassen dieser Unterschiede, die vorher nur dumpf empfunden wurden. Die bisher betrachteten Beispiele der Mehrdeutigkeit waren einfache, nicht zusammengesetzte mehrdeutige Ausdrücke. Mehrdeutigkeit kann aber auch bei zusammengesetzten Ausdrücken, insbesondere in Sätzen auftreten. Die Mehrdeutigkeit eines Satzes kann bedingt sein durch einen einfachen mehrdeutigen Ausdruck dieses Satzes. Ζ. B. kann der Satz, in dem festgestellt wird, daß eine Sache nicht möglich ist, einen der fünf Gedanken ausdrücken, die sich aus den oben unterschiedenen Intensionen des Wortes „möglich" ergeben. Häufig zeigt der weitere Kontext, in dem ein solcher Satz auftritt, um welchen der möglichen Sinne es sich handelt. Aber das ist nicht immer der Fall. Eine andere Ursache der Mehrdeutigkeit von Sätzen ist eine fehlerhafte Syntax. Einen solchen Fehler, den man Amphibolie oder Ambiquität nennt, werde ich weiter unten analysieren. Hier möchte ich auf die Mehrdeutigkeiten der Sätze eingehen, die durch die am häufigsten auftretenden Arten der Indétermination bedingt sind. Alle? Einige? Die Mehrheit? Betrachten wir als Beispiel folgenden Satz, der aus dem Bereich der Sozialpsychologie stammt. Menschen, die sich in ihrer Selbstbewertung gering einschätzen, sehen die Ursachen für ihre Mißerfolge in sich selbst, dagegen suchen Menschen, die sich hoch einschätzen, solche Ursachen in äußeren Gegebenheiten. 9
A. L. Kroeber, K. Cluckhohn: The Concept of Culture.
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Dieser Satz ist indeterminiert, wodurch es nicht klar wird, welchen Gedanken er eigentlich ausdrücken will. Indem wir die Indétermination auf verschiedene zulässige Weisen ergänzen, erhalten wir u. a. die folgenden Interpretationen: 1. Dieser Satz bezieht sich auf alle Menschen, die sich in ihrer Selbstbewertung gering einschätzen; 2. er bezieht sich nur auf einige dieser Menschen, oder 3. auf deren Mehrzahl; 4. er behauptet, daß eine höhere Prozentzahl dieser Personen unter den Menschen zu finden ist, die sich in ihrer Selbstbewertung gering einschätzen als unter den Menschen, die sich hoch einschätzen. Es ist auch unklar, ob Menschen, die sich in ihrer Selbstbewertung gering einschätzen, 5. die Ursache für jeden Mißerfolg in sich selbst sehen, oder ob 6. nur für die Mehrzahl solcher Mißerfolge (oder für eine bestimmte Prozentzahl). Es bleibt schließlich ungeklärt, ob die im analysierten Beispielsatz behauptete Beziehung 7. unabhängig vom sozialen System auftritt, in dem diese Menschen leben, oder ob sie 8. nur auf bestimmte gesellschaftliche Systeme oder historische Zeitabschnitte beschränkt ist. Es ist zu beachten, daß jede der hier unterschiedenen acht Interpretationen eine Behauptung mit einer anderen Intension konstituiert, die auch einen anderen Gedanken ausdrückt. Zur Begründung oder zur Verwerfung dieses Satzes werden dann in jedem dieser Fälle unterschiedliche empirische Daten notwendig sein. So reichen ζ. B. die empirischen Daten, mit denen man die Interpretation (2) (nur einige) begründen kann, nicht aus, um die Interpretation (1) (alle) zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite bringt das Aufzeigen auch nur einer Person mit einem geringen Selbstwertgefuhl, die die Ursachen für ihre Mißerfolge nicht in sich selbst sieht, die Interpretation (1) zu Fall, aber sie reicht noch nicht aus, um die Interpretation (2) zu verwerfen, deren Falschheit nur dann offenkundig wäre, wenn kein Mensch, der sich in seiner Selbstbewertung gering einschätzt, die Ursachen für seine Mißerfolge in sich selbst sieht.
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Für wen? In Anbetracht welcher Ziele? Eine andere, häufig anzutreffende Art der Indétermination, aus der Mehrdeutigkeiten resultieren, ist das Fehlen einer Relativierung auf eine Person oder ein Ziel. Man kann ζ. B. manchmal hören, daß irgend etwas nützlich, schädlich oder unangebracht ist. Solche Behauptungen sind unvollständige Aussagen, die die eine oder andere Bedeutung annehmen, in Abhängigkeit von dem Zweck, nach dem man die Nützlichkeit oder die Schädlichkeit der gegebenen Sache beurteilt. M a n c h m a l läßt sich aus dem Kontext erschließen, um welche fehlende Relativierung es geht. Dies ist aber bei weitem nicht immer der Fall. Eine besondere Hervorhebung verdient eine Mehrdeutigkeit, die die deiktischen oder indexikalischen Ausdrücke betrifft. Hier einige Beispiele indexikalischer Ausdrücke: „ i c h " , „ s i e " , „ h i e r " , „ h i e r h e r " , „links", „ r e c h t s " , „dieses B u c h " , „Gib mir diese A m p u l l e " , „Heute regnet's". W i e man sieht, können indexikalische Ausdrücke sowohl einfach, ζ. B. „ s i e " , „hierher", als auch zusammengesetzt sein: „dieses B u c h " , „Ich bitte hier durchzug e h e n " . W a s sind die Unterscheidungsmerkmale der indexikalischen Ausdrücke innerhalb der Gruppe der mehrdeutigen? Hier muß m a n auf folgende drei eigentümliche Eigenschaften hinweisen: 1. Der Sinn der indexikalischen Ausdrücke ist indeterminiert, unvollständig; ohne zusätzliche Daten weiß man nicht genau, w a s diese Ausdrücke bedeuten oder bezeichnen. 2. Die Äußerungssituation, in der man sich eines indexikalischen Ausdrucks bedient, bestimmt den Sinn dieses Ausdrucks näher. 3 . D e r Sinn der indexikalischen Ausdrücke ändert sich, so oft sich die Situation ändert, in der sie gebraucht werden. So ist ζ. B. der Sinn und die Extension des indexikalischen Namens „dieses B u c h " unvollständig, man weiß nicht, um welches Buch es sich handelt. Die Äußerung dieses Namens mit einer gleichzeitigen hinweisenden Geste auf ein bestimmtes Buch ergänzt seinen Sinn. Der Sinn dieses Namens und auch seine Extension werden sich ändern, so oft sich das Buch ändert, auf das hingewiesen wurde. Ein ungeheurer Vorteil der indexikalischen Ausdrücke ist die Tatsache, daß sie erlauben, den Prozeß der Kommunikation abzukürzen und zu vereinfachen, wodurch sie ihn ökonomischer
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gestalten. Man kann sich vorstellen, wie weitschweifig unsere Aussagen würden, müßten wir immer anstelle solcher kurzen indexikalischen Ausdrücke wie „ich", „der dort", „heute" volle Charakterisierungen gebrauchen, die komplette, zur Identifizierung einer Person, eines Gegenstandes oder eines Tages unerläßliche Daten enthielten. So genügt es ζ. B. zum eindeutigen Hinweis auf eine Person nicht, ihren Vor- und Nachnamen anzugeben. Es sind außerdem das Geburtsdatum, die Anschrift, die Namen der Eltern, erforderlich, und auch dann kann es vorkommen, daß so viele Angaben diese Person noch nicht eindeutig von allen anderen Menschen unterscheiden. Aber dieselbe Indétermination, die die indexikalischen Ausdrücke zu einem ökonomischen Mittel der Kommunikation macht, kann Quelle von Fehlern und Mißverständnissen sein. Sie kommen vor allem dann vor, wenn man gleichzeitig über mehrere Personen, Gegenstände, Orte, Zeitpunkte u. ä. spricht. Nehmen wir ζ. B. folgendes Textfragment, in dem die ökonomischen Theorien von Pareto und Keynes verglichen werden: „Pareto unterscheidet Rentner und Spekulanten; Keynes unterscheidet Sparer, Investoren und Spekulanten. Das hängt mit Prognosen über kollektives Verhalten zusammen." Es ergibt sich die Frage, was mit den Prognosen über kollektives Verhalten zusammenhängt. Die Klassifizierungen von Pareto und Keynesi Oder die Verhaltensweisen der von ihnen unterschiedenen Menschentypen? Beide Interpretationen sind möglich, und das Textfragment erschwert die Entscheidung durch den unvorsichtigen Gebrauch des indexikalischen Ausdrucks „das". Metasprachliche und objektsprachliche Funktion der Ausdrücke. Eine weitere Art der Mehrdeutigkeit, auf die ich nun aufmerksam machen will, hängt mit der doppelten Rolle zusammen, die sprachliche Ausdrücke haben können. Sie können dazu dienen, bestimmte Gedanken über Gegenstände oder Phänomene auszudrücken, auf die sie sich normalerweise beziehen. So ist z. B. das Wort „Wildschwein" in dem Satz: „Das Wildschwein sprang über den Bach und versteckte sich in dem Wäldchen" in seiner normalen objektsprachlichen Funktion, als der Name eines bestimmten Tieres gebraucht. Man kann es aber auch gebrauchen,
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
um etwas über dieses Wort selbst auszusagen. In diesem Fall ist nun nicht ein bestimmtes Tier, sondern das Wort selbst sein eigenes Designat. Diese zweite Funktion der Ausdrücke bezeichnet man als die metasprachliche. Die Unterscheidung der objektsprachlichen und der metasprachlichen Funktion der Ausdrücke hängt zusammen mit der Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache, wobei die letzte zur Beschreibung der Objektsprache dient. 1 0 Die Metasprache enthält also Namen der Ausdrücke der Objektsprache. Als Namen für Ausdrücke werden manchmal Inschriften benutzt, deren äußere Gestalt sich ganz von der der benannten Ausdrücke unterscheidet, wodurch man die optimale Sicherheit erreicht, daß diese zwei Arten der Ausdrücke nicht verwechselt werden. In anderen Fällen wird die meta- von der objektsprachlichen Funktion dadurch unterschieden, daß die Ausdrücke, die in metasprachlicher Funktion gebraucht werden, in Anführungszeichen stehen. Das Setzen der metasprachlich gebrauchten Ausdrücke in Anführungszeichen ist in der Alltags- und in den Wissenschaftssprachen das häufigste Mittel zur Unterscheidung dieser beiden Funktionen. Das erlaubt die Vermeidung von Fehlern und Mißverständnissen. So ist z. B. in dem Satz: — „Wildschwein" ist ein Substantiv - das W o r t „Wildschwein" in seiner metasprachlichen Funktion gebraucht, was durch die Anführungszeichen angedeutet wird. Natürlich können nicht nur Wörter in objekt- oder metasprachlicher Funktion gebraucht werden, sondern beliebige Ausdrücke, auch Sätze. Der Leser hat sicher gemerkt, daß ich an vielen Stellen dieses Buches die Ausdrücke in ihrer metasprachlichen Funktion gebrauche. Das deute ich dadurch an, daß ich diese Ausdrücke in Anführungszeichen setze. Auch diese Ausführungen über die objekt- und metasprachliche Rolle der Ausdrücke enthält viele Ausdrücke, die in ihrer metasprachlichen Funktion 10
Zur Unterscheidung von Objekt- und Metasprache vgl. z. B. R. Carnap: Symbolische Logik. Wien 1960. Vgl. auch die Anmerkungen zu diesem Problem bezüglich der Sprache der Ethik in: H. Albert: Ethik und Metaethik. In: H. Albert, E. Topitsch (Hrsg.): Werturteilsstreit. Darmstadt 1971.
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gebraucht werden. Eine unklare Trennung dieser beiden Funktionen sprachlicher Ausdrücke kann zu Mißverständnissen und Fehlern führen. M a n weiß dann nämlich nicht immer, o b mit der Verwendung eines bestimmten Ausdrucks etwas über diesen Ausdruck selbst, oder über Gegenstände und Phänomene ausgesagt werden soll, auf die sich dieser Ausdruck in seiner objektsprachlichen Funktion bezieht. M i t Hilfe der Unterscheidung der objektund metasprachlichen Funktion der Ausdrücke versucht man einige Arten von semantischen Antinomien aufzulösen. 11 Ein Beispiel ist die Antinomie des Lügners, die bereits in der Antike formuliert wurde und die man dem Eubulides zuschreibt, einem Schüler des Euklides, der die megarische Schule im IV. Jahrhundert v. Chr. gründete. Es gibt verschiedene Versionen dieser Eubulides Antinomie; eine einfache Version klingt wie folgt: äußert folgende Behauptung: „ D a s , was ich jetzt sage, ist eine Lüge." Wenn Eubulides die Wahrheit sagt, dann verhält es sich so, wie er es behauptet, d. h. er lügt. Wenn er aber lügt, dann verhält es sich nicht so, wie er es behauptet, d. h. er sagt die Wahrheit. M i t anderen Worten, aus der Tatsache, daß Eubulides die Wahrheit sagt, folgt, daß er lügt, aus der Tatsache, daß er lügt, folgt, daß er die Wahrheit sagt. Eine eingehende Analyse der Antinomie des Lügners unternimmt A. Tarski in seiner Arbeit: Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen. Er zeigt auch Wege zur Lösung dieser Antinomie. 1 2 Die Anführungszeichen haben aber neben der hier erwähnten noch einige andere Funktionen. S o ζ. B., wenn man über Bücher, Theaterstücke, Filme u. ä. schreibt, setzt man die Titel dieser 11
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Über die Rolle dieser Unterscheidung bei der Vermeidung von Antinomien, die in der Wissenschaftstheorie auftreten können, schreibt H. Poser: Zur Begründungsproblematik der Wissenschaftstheorie. In: Abhandlungen der braunschweigischen wissenschaftlichen Gesellschaft. Bd. XXIII, 1971/1972. Warszawa 1933. Deutsche Ausgabe: Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen. Studia Logica 1, 1936. Engl. Ubersetzung in A. Tarski: Logic, Semantics, Metamathematics. Oxford 1956. Vgl. auch R. Carnap: Die Antinomien und die Vollständigkeit der Mathematik. Monatsh. Phys. 41, 1934.
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Werke in Anführungszeichen um anzudeuten, daß es sich um Titel und nicht um die üblichen Bedeutungen der gebrauchten Ausdrücke handelt. Eine andere Funktion der Anführungszeichen ist es, den Ausdrücken einen ironischen Charakter zu verleihen. Z . B . in dem Satz: Aber er „arbeitet"! machen die Anführungszeichen aus dem Wort „arbeitet" eine negative, boshafte Bewertung und zeigen, daß der betreffende Mensch weit davon entfernt ist, fleißig zu sein. Die soeben aufgezählten Funktionen der Anführungszeichen beruhen alle darauf, daß der Sinn der Ausdrücke geändert wird; sie gehören also auch in den Bereich der Mehrdeutigkeiten. Amphibolie,13 d. h. syntaktische Mehrdeutigkeit (Ambiguität). Diese Art der Mehrdeutigkeit tritt in zusammengesetzten Ausdrücken auf, ζ. B. in Sätzen. Sie wird nicht durch die Mehrdeutigkeit eines Bestandteils bedingt, die sich auf den ganzen zusammengesetzten Ausdruck auswirken würde, sondern durch eine fehlerhafte Syntax. Betrachten wir einige Beispiele. Hans hat das Mädchen mit der Blume überrascht. Die fehlerhafte Konstruktion dieses Satzes bedingt, daß wir nicht wissen, ob es sich um ein Mädchen mit einer Blume, oder um ein Überraschen mittels einer Blume handelt. Alle Menschen sind nicht glücklich. Der Konstruktionsfehler ist die unklare Satzstellung der Negation. Dadurch bekommt der Satz einen doppelten Sinn: 1. Mit der Negation am Anfang: Nicht alle Menschen sind glücklich. 2. Mit der Negation beim Wort „glücklich": Alle Menschen sind unglücklich. Festhalten unmöglich freilassen. Dieser im Telegrammstil formulierte Befehl drückt zwei sich widersprechende Aufforderungen aus, je nachdem, wie man das fehlende Komma ersetzt: 13
V o m griechischen amphibolos — zweideutig.
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1. Festhalten, unmöglich freilassen. 2 . Festhalten unmöglich, freilassen. Nur die zweite Version bedeutet die Freiheit für die Person, auf die sich der Befehl bezieht. Ich kannte Sie als Kind. Hier besteht die Amphibolie darin, daß sich „als Kind" entweder auf „Sie" oder auf „ i c h " beziehen kann. Hans beschimpft Peter, Peter beschimpft Hans, er ist sehr wütend. Dieser fehlerhaft konstruierte Satz kann zwei Interpretationen haben, je nachdem, o b sich „ e r " auf „ H a n s " oder auf „Peter" bezieht. Die syntaktische Ambiguität erschwert einen präzisen Ausdruck der Gedanken und eine erfolgreiche Kommunikation. Sie kann aber beim poetischen Ausdruck ein Vorteil sein, obgleich die Verwendung solcher Ambiguitäten nicht ausreicht, um einen ästhetischen Effekt zu erzielen.
Fehler und Mißverständnisse die aus Mehrdeutigkeiten resultieren Auf Beispiele von Fehlern dieser Art bin ich bereits eingegangen. Hier will ich etwas mehr Platz dem Fehler der Äquivokation widmen und überlegen, worin ein sogenannter reiner Wortstreit beruht. Fangen wir mit einem einfachen Beispiel einer Äquivokation
an.
Alle Flußnamen sind Substantive. Das Substantiv besteht aus zehn Buchstaben. Also: Alle Flußnamen setzen sich aus zehn Buchstaben zusammen. Es läuft niemand ernsthaft Gefahr, diesen Fehler zu begehen, dagegen eignet er sich in seiner Kraßheit gut um zu erläutern, was eine Äquivokation ist. In den Prämissen dieser Argumentation
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tritt das Wort „Substantiv" auf, wobei es jedes Mal in einer anderen Bedeutung verwendet wird. In der ersten Prämisse in seiner üblichen, objektsprachlichen Funktion — seine Designate sind hier konkrete Substantive, insbesondere Flußnamen, wie ζ. B. „Donau", „Rhein", „Weichsel". In der zweiten Prämisse wird das Wort „Substantiv" in metasprachlicher Funktion gebraucht, um sich selbst zu bezeichnen. Aber es wurde versäumt, die metasprachliche Funktion dieses Wortes durch Anführungszeichen zu kennzeichnen, was das Einschmuggeln des Fehlers begünstigt. Der irreführende Eindruck, die paradoxe Konklusion folge aus den Prämissen, entsteht hier wegen der mehrdeutigen Verwendung des Wortes „Substantiv". In Wirklichkeit existiert eine solche Konklusion nicht. Die scheinbare Konklusion verschwindet, wenn man die metasprachliche Funktion des Wortes „Substantiv" in der zweiten Prämisse mit Hilfe der Anführungszeichen verdeutlicht. Nach diesen Erläuterungen können wir folgende Bestimmung der Äquivokation aufstellen. Eine Äquivokation ist ein Argumentationsfehler, der darin besteht, daß ein Ausdruck in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht wird, während es in einer korrekten Argumentation notwendig ist, diesen Ausdruck nur in ein und demselben Sinn zu verwenden. Betrachten wir noch zwei weitere Beispiele der Äquivokation. Das eine beinhaltet die Argumentation, mit der Sokrates angeblich die als ethischer Intellektualismus bezeichnete Anschauung begründen wollte. Das zweite betrifft den Streit um den idiographischen Charakter der historischen Wissenschaften. Der ethische Intellektualismus vertritt die Ansicht, daß es genügt zu wissen, was gut ist, um ein guter Mensch zu sein. Diese überraschende These soll Sokrates mit folgender Argumentation begründet haben. Niemand wird bewußt zum eigenen Nachteil handeln. Jeder also, der weiß, was gut und was schlecht ist, und der die Wahl zwischen dem Guten und dem Schlechten hat, wird sich immer für das Gute entscheiden, weil er sich sonst bewußt selbst schaden würde. Wer aber bei der Wahl zwischen dem Guten und dem
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Schlechten immer das Gute wählt, ist ein guter Mensch. Daher ist der, der weiß, was gut und was schlecht ist, ein guter Mensch. Die angeführte Argumentation begründet nur scheinbar die Konklusion, die die These des ethischen Intellektualismus repräsentiert. Die Konklusion folgt nämlich nicht aus den Prämissen. Der irreführende Eindruck, diese Folgerung sei gültig, wird durch die mehrdeutige Verwendung des Wortes „gut" hervorgerufen. In der zweiten Prämisse heißt gut soviel wie nützlich oder vorteilhaft für eine bestimmte Person; denn nur bei diesem Sinn ist es wahr, daß ein Mensch, der zwischen dem Guten und dem Schlechten wählen kann, immer das Gute wählen wird, weil er sich sonst selbst schaden würde. Dagegen ist die dritte Prämisse, die behauptet, daß jemand, der das Gute wählt, ein guter Mensch sei, nur unter der Voraussetzung wahr, daß das Wort „gut" eine moralische Eigenschaft und nicht den Nutzen bezeichnet. In der Einteilung der Wissenschaften in idiographische14 und nomothetische15, die mit dem Namen H. Rickerts, eines deutschen Philosophen und Wissenschaftstheoretikers, verbunden ist, wird als Ziel der idiographischen Wissenschaften die Beschreibung der Eigentümlichkeiten einzelner Gegenstände oder Ereignisse und ihre kausale oder genetische Erklärung angesehen, d. h. die Suche nach einer Antwort auf Fragen des Typs: Wie war das? Woher kam dieses Phänomen und warum? Hier konkrete Beispiele solcher Fragen: Wann begann der erste Weltkrieg? Was waren seine wichtigsten Phasen? Welche Faktoren sind als seine unmittelbare Ursache anzusehen? In Unterschied dazu, ist es Aufgabe der nomothetischen Wissenschaften, allgemeine Abhängigkeiten aufzudecken, die mit einem bestimmten Zeitabschnitt oder einem Ort nicht spezifisch verbunden sind. In der Argumentation, die ich nun anführen will und in der der Fehler der Äquivokation vorkommt, wird gegen den Standpunkt Rickerts polemisiert und zu zeigen versucht, daß, wenn der Objektbereich der historischen Wissenschaften sich nicht in allgemeinen Gesetzen 14
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Vom griechischen idion — das Eigene und grapho — ich schreibe, beschreibe. Vom griechischen nomos — Recht und tithemi — ich stelle fest.
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
fassen läßt, dies im Falle des Objektbereichs der Sozialwissenschaften ebenfalls nicht möglich ist. Eine solche Folgerung wäre mit den Intentionen Rickerts vollkommen in Widerspruch, der die Geschichte zwar zu den idiographischen Wissenschaften zählte, der aber meinte, daß zumindest einige der Sozialwissenschaften einen nomothetischen Charakter haben und daß es ihre Zielsetzung ist, allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Die Argumentation, in der Rickert kritisiert wird, verläuft nun folgendermaßen: Jede soziale Erscheinung — ähnlich übrigens wie die Naturerscheinungen - ist gleichzeitig ein historisches Phänomen, denn sie ist in einer Entwicklung begriffen. Es gibt keine sozialen Erscheinungen, die nicht dynamisch, entwicklungsfähig wären, und daher sind sie auch historische Erscheinungen. Wenn man nun die historischen Erscheinungen nicht in Gesetze fassen kann, dann ebenfalls nicht die sozialen Phänomene. Um die Analyse dieser Argumentation zu erleichtern, will ich deren Inhalt im folgenden Syllogismus darstellen: Kein historisches Phänomen läßt sich in Gesetze fassen. Alle sozialen Phänomene sind historische Phänomene. Also: Es läßt sich kein soziales Phänomen in Gesetze fassen. Dem Schein zum Trotz folgt die Konklusion hier nicht aus den Prämissen, und zwar wegen der Mehrdeutigkeit des Terminus „historisches Phänomen", der in den beiden Prämissen in verschiedenem Sinn gebraucht wurde. In der ersten ist ein historisches Phänomen soviel wie ein Phänomen, das Untersuchungsgegenstand der historischen Wissenschaften ist, in der zweiten Prämisse dagegen bezeichnet der Terminus „historisches Phänomen" ein in Entwicklung begriffenes Phänomen, denn nur bei diesem Sinn ist diese Prämisse wahr. Der angeführte Syllogismus ist aber nur dann korrekt, wenn der Terminus „historisches Phänomen" in beiden Prämissen im selben Sinn auftritt. Wir haben hier also einen klassischen, obwohl vielleicht nicht leicht zu bemerkenden Fall einer Äquivokation vorliegen.
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Wortstreit. Die Teilnahme an einer Diskussion, in der unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen, kann für die Teilnehmer eine interessante und viel Befriedigung verschaffende Sache sein. Leider ist es nicht immer so. In manchen Fällen verursacht der unvorsichtige Gebrauch mehrdeutiger Ausdrücke, daß eine Diskussion aufhört, eine Auseinandersetzung über Sachen zu sein, und zu einem Streit über Worte wird, was eine Vergeudung der Zeit und der Kräfte der Teilnehmer ist. Uberlegen wir anhand eines konkreten Beispiels, was einen sachlichen von einem Streit um Worte unterscheidet. Ich wähle als Beispiel den jahrhundertealten, in Krisenzeiten häufig erneuerten, und wie es scheint, ewig aktuellen Streit um die Richtigkeit des Prinzips: Das Ziel heiligt die Mittel. Als ich einmal eine solche Diskussion verfolgte, ist mir plötzlich klar geworden, daß sie für einige Teilnehmer aufgehört hat, ein sachlicher Streit zu sein, und zu einem Streit um Worte wurde, in dem die Meinungsunterschiede zwischen den Parteien nur scheinbar bestehen, in Wirklichkeit jedoch jede Partei von etwas anderem redet, ohne sich dessen bewußt zu sein. Die Teilnehmer der Auseinandersetzung teilten sich in zwei Lager, von denen eines die Richtigkeit dieses Prinzips verteidigte, und das zweite es als unmoralisch hinstellte, wobei man dieses Prinzip in Hinblick auf die Struktur einer zukünftigen Gesellschaft erörterte. Nach einer genaueren Betrachtung der Sache wurde deutlich, daß jede Partei in diesem Streit den Begriff des Ziels anders versteht. Die Verteidiger des Prinzips verstanden „Ziel" so, daß bestimmte Mittel, deren Anwendung sie aus ethischen Gründen verwarfen, ex definitione zu zielwidrigen Mitteln wurden. Dagegen haben die Gegner dieses Prinzips den Begriff des Ziels keinerlei Einschränkungen unterworfen, die von vornherein manche Mittel als zur Erreichung des Ziels nicht dienlich ausschließen würden. Das Problem der Wahl eines Mittels zur Erreichung eines beliebigen Ziels war für sie ein rein empirisches, dessen Lösung sie vollkommen von dem tatsächlichen Wissen über die Wirksamkeit bestimmter Mittel bei bestimmten Zielsetzungen abhängig machten. Ein konkretes Beispiel einer derartigen Vieldeutigkeit des Begriffs des Ziels kann man in der Diskussion finden, die in Indien vor 7
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
der Erlangung der Unabhängigkeit geführt wurde. Gandhi, der sich aus moralischen Gründen der Verbreitung feindseliger Einstellungen widersetzte, hat das Ziel des Befreiungskampfes darin gesehen, eine freie Gesellschaft in dem Sinne zu erreichen, daß die Erzeugung des Hasses auf den Gegner ex definitione ein zielwidriges Mittel wurde. Selbst wenn das Schüren des Hasses auf den Gegner beim Erlangen der Unabhängigkeit hilfreich gewesen wäre, wäre eine so errungene freie Gesellschaft nicht die, deren Erreichung das Ziel Gandhis war. Kehren wir nun zum Leitfaden unserer Ausführungen zurück. Die Situation ist folgende. Auf die Frage, ob das Prinzip: Das Ziel heiligt die Mittel, moralisch vertretbar sei, antwortet die eine Seite bejahend, die andere verneinend. Es scheint daher, daß zwischen beiden Seiten eine wirkliche Meinungsverschiedenheit herrscht. Das ist aber ein irreführender Eindruck. Beide Seiten gebrauchen zwar denselben Ausdruck „das Ziel heiligt die Mittel", aber sie verstehen ihn unterschiedlich. Eine notwendige Bedingung dafür, daß eine echte Meinungsverschiedenheit vorliegt, ist aber, daß beide Kontrahenten widersprechende Antworten auf eine Frage geben, die sie beide im gleichen Sinn verstehen. Wir können nun allgemein bestimmen, was das Wesen eines Wortstreits ist. Nehmen wir an, daß eine Diskussion über ein Problem geführt wird, das sich z. B. mit Hilfe einer Frage der Form: ob p? ausdrücken läßt. Eine der Seiten antwortet bejahend: ja p. Die andere gibt eine negative Antwort: es ist nicht wahr, daß p. Bei einer genaueren Analyse zeigt sich, daß der Satz ρ einen Ausdruck A enthält, den beide Kontrahenten anders verstehen, wobei sie sich dessen nicht bewußt sind. Bezeichnen wir die beiden unterschiedlichen Sinne des Ausdrucks A mit den Symbolen Aj und A 2 . In dieser Situation ist die Frage: Ob pf, der Ausgangspunkt des Streits, eine mehrdeutige Frage. Nach dem Aufdecken dieser Mehrdeutigkeit müssen wir sie durch zwei unterschiedliche Fragen ersetzen, die den beiden Sinnen des Ausdrucks A entsprechen: Ob S (Ají Ob S (A-¡)} Auch die Antworten der beiden Parteien in diesem Streit, die vorher als ein sich widersprechendes Satzpaar bezeichnet wurden: p und es ist nicht
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wahr, daß p, müssen jetzt, nach der Aufdeckung der Mehrdeutigkeit des Ausdrucks A, ersetzt werden durch das Satzpaar: S f A J , und es ist nicht wahr, daß SfA^. Die beiden letzten sind aber kein widersprüchliches Satzpaar, jedes der beiden spricht nämlich von etwas anderem. Damit aber der Streit ein echter und kein Scheingefecht ist, muß zwischen beiden Parteien eine echte Meinungsverschiedenheit bestehen, die sich mit Hilfe eines widersprüchlichen Satzpaares ausdrücken läßt. Die Teilnehmer einer Diskussion, in der die Mehrdeutigkeit eines Ausdrucks diese zu einem Streit um Worte werden läßt, sind sich dieser Mehrdeutigkeit nicht bewußt. Ein Faktor, der die Diskussion als Scheingefecht zu entlarven hilft, ist die methodologische Kultur und Selbstdisziplin der Teilnehmer. Ein Hilfsmittel bei der Lösung der Schwierigkeiten, die sich aus den verschiedenen Arten von Mehrdeutigkeiten ergeben, ist die Definition. Sie erlaubt, die unterschiedlichen Sinne der mehrdeutigen Wörter klar zu erfassen, und trägt auf diese Weise zur Vermeidung von Fehlern und Mißverständnissen bei. Die Definition kann auch dazu beitragen, die Vagheit der Ausdrücke zu beseitigen, die ich nun besprechen will.
Vagheit Sowohl die Alltagssprache als auch die Wissenschaftssprachen sind reich an vagen Begriffen. Mit der Vagheit der Begriffe haben wir es vor allem innerhalb der Disziplinen zu tun, die nicht zu den sogenannten exakten Wissenschaften gehören, also in den Geisteswissenschaften, in der Psychologie, der Soziologie, der Biologie. Man kennt die Schwierigkeiten, auf die ein Wissenschaftler stößt, der den Bereich der Tiere und der Pflanzen systematisieren will, und zu entscheiden versucht, welcher Gattung oder Rasse ein untersuchtes Tier oder eine Pflanze angehört. Er hat nämlich oft so unscharfe Kriterien zur Verfügung, wie Farbnuancen, minimale Gestalt- oder Größenunterschiede u. ä. Auf ähnliche oder noch größere Schwierigkeiten stößt der Psychologe oder Psychiater, wenn er einen Intelligenz- und Persönlichkeitstypus, oder auch eine psychische Krankheit zu identifizieren versucht. Diese
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
Schwierigkeiten erfährt auch der Geisteswissenschaftler, wenn er ζ. B. den Versuch unternimmt, literarische Gattungen, Kunstrichtungen, ethische oder gesellschaftliche Strömungen zu bestimmen. Ursache der Schwierigkeiten ist in jedem Fall die Vagheit der betreffenden Termini, die Farbqualitäten und -nuancen, spezifische Eigenschaften der Gestalten, Intelligenztypen oder Persönlichkeitstypen, Arten psychischer Erkrankungen (ζ. B. Schizophrenie, Paranoia), literarische Gattungen (ζ. B. Erzählung, Essay, Lyrik), künstlerische oder gesellschaftliche Strömungen (ζ. B. Impressionismus, Idealismus) bezeichnen. Ich habe soeben einige Beispiele vager Begriffe gegeben. Worin beruht die Vagheit? Wie läßt sich die Vagheit allgemein charakterisieren? Nun, ein Terminus Τ hat eine vage Extension, wenn wir nicht bei jedem angetroffenen Gegenstand entscheiden können, ob er zu dessen Extension gehört oder nicht. Es geht hier also um folgenden Sachverhalt: 1. Es gibt Gegenstände, die wir aufgrund der Kriterien, die uns der Terminus Τ liefert, eindeutig zur Extension dieses Terminus rechnen können. 2. Es gibt Gegenstände, die wir aufgrund der Kriterien, die uns der Terminus Τ liefert, eindeutig aus der Extension dieses Terminus ausschließen können. 3. Es gibt aber auch Gegenstände, die wir aufgrund der Kriterien, die uns der Terminus Τ liefert, weder eindeutig zu seiner Extension rechnen, noch sie aus dieser Extension ausschließen können. Alle Sätze, die die Zugehörigkeit eines solchen Gegenstandes zur Extension des Terminus Τ behaupten, sind also unentscheidbar. Solche Gegenstände gehören zum Vagheitsbereich des Terminus T. Ein einfaches Beispiel, das diese Charakterisierung des Begriffs der Vagheit verdeutlicht, ist das Wort „gelb" — oder ein beliebig anderes Wort, das eine sinnlich unmittelbar wahrnehmbare Qualität bezeichnet. Es gibt zwar Gegenstände, die wir ohne jeden Zweifel als gelb klassifizieren (ζ. B. eine reife Zitrone), oder eindeutig als nicht gelb einstufen (ζ. B. eine reife Preiselbeere). Es gibt aber auch Gegenstände, die wir weder eindeutig als gelb
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noch eindeutig als nicht gelb, bezeichnen können, so ζ. B. alle Gegenstände mit einer Farbe, die im Sonnenspektrum zwischen gelb und orange oder zwischen gelb und grün liegt. Man muß hier betonen, daß die Vagheit eines Terminus Τ einen bestimmten Sinn in einer bestimmten Sprache betrifft. Es kann nämlich sein, daß ein mehrdeutiger Terminus vage in einem, aber scharf in einem anderen Sinn sein kann. So ζ. B. der Name „schweres Paket". Er hat, was seinen umgangssprachlichen Sinn betrifft, eine vage Extension. Die Post, die keine schweren Pakete befördern und zustellen kann, weil sie keine entsprechenden Einrichtungen besitzt, mußte zum Zweck des reibungslosen Funktionierens des eigenen Betriebes die Extension dieses Namens scharf umgrenzen. Zu diesem Zweck hat man festgesetzt, daß ein schweres Paket eines ist, dessen Gewicht 2 0 kg überschreitet. Daher ruft die Verordnung, daß keine schweren Pakete angenommen werden dürfen, keine unnötigen Mißverständnisse und Auseinandersetzungen hervor, die notwendigerweise entstehen müßten, wenn man mit dem vagen, umgangssprachlichen Verständnis des Namens „schweres Paket" operieren würde. Wir wollen nun fragen, was denn die Ursache der Vagheit ist. Ist es das sprachliche Verhalten der Sprachschöpfer und der Sprachbenutzer, wie bei Mehrdeutigkeiten, die daraus entstehen, daß manchen Ausdrücken nicht nur eine, sondern viele Bedeutungen zugeordnet werden? Nun, die Ursache der Vagheit ist nicht das sprachliche Verhalten der Menschen, auf jeden Fall nicht ausschließlich, sondern liegt in der Natur der Sachen, die durch die vagen Ausdrücke bezeichnet werden, in spezifischen Eigenschaften dieser Gegenstände. Es handelt sich nämlich um graduierbare Eigenschaften, wobei der Übergang von einem Zustand, in dem die betreffende Eigenschaft auftritt, bis zu dem Zustand, in dem sie nicht mehr auftritt, flüssig ist. Das bedeutet aber, daß man zwischen diesen beiden Zuständen keine scharfe Grenze ziehen kann. In stetiger Weise verändern sich nicht nur Farben, sondern viele andere Eigenschaften, ζ. B. auch solche, von denen es abhängt, ob eine bestimmte Person eine autoritäre Persönlichkeitsstruktur hat,
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
ob ein bestimmtes Bild zum Superrealismus gehört, oder ob ein bestimmtes Gedicht lyrisch ist. Außer den angeführten können als Beispiel vager Begriffe noch erwähnt werden: sauer, lang, jung, musikalisch, frustriert, aggressiv, tolerant, Messer, Tisch, Egoist und viele, viele andere. Man kann mit Recht behaupten, daß fast alle Termini, die sich auf empirische Gegenstände oder Erscheinungen beziehen — in Gegensatz zu den abstrakten Gebilden der Mathematik, so wie Zahlen, geometrische Figuren u. ä. — mehr oder weniger vage sind. Die Vagheit der Begriffe hat zur Folge, daß die Behauptungen, in denen sie vorkommen, unentscheidbar werden. Betrachten wir ζ. B. einen Satz, in dem der vage Begriff „aggressiv" auftritt: Hans ist aggressiv. Wenn nun Hans hinsichtlich des Grades seiner Aggressivität zum Vagheitsbereich des Terminus „aggressiv" gehört, ist der Satz „Hans ist aggressiv" unentscheidbar, d. h. wir werden weder zeigen können, daß er wahr, noch daß er falsch ist. Die Unentscheidbarkeit von Behauptungen, die durch die Vagheit der in diesen Behauptungen auftretenden Begriffe bedingt wird, ist eine häufige Erscheinung innerhalb der empirischen Wissenschaften, zu denen auch die Humanwissenschaften, Psychologie, Soziologie, Kulturanthropologie u. ä. gehören. Um solche Behauptungen entscheidbar zu machen, ist es notwendig, die Vagheit der Begriffe zu beseitigen oder zu mildern. Ein Mittel zur genauen Bestimmung der Begriffe ist die sogenannte regulierende Definition, die ich im Kapitel „Die verschiedenen Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens" vorgestellt habe. Ich habe dort auch gezeigt, worin die Anwendung der regulierenden Definition zur genaueren Bestimmung der Extension eines Terminus besteht, und es mit einem konkreten Beispiel veranschaulicht. Man kann die Extension eines Terminus auch schärfer bestimmen, indem man seine Explikation durchführt. Dies ist Gegenstand eigener Erörterungen im Kapitel „Explikation", wo ich auch einige Anwendungsbeispiele gebe. An dieser Stelle möchte ich nur darauf aufmerksam machen, wie man die Explikation benutzt, um einen Begriff schärfer zu bestimmen. Man kann die Vagheit eines Begriffs nicht immer ganz beseitigen, aber
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es ist sehr wichtig zumindest das Ausmaß der Vagheit zu verringern. Mit Hilfe der Explikation läßt sich die Extension eines Terminus in dem Grad scharf bestimmen, der für bestimmte praktische oder theoretische Zielsetzungen erforderlich ist. Unter dem Gesichtspunkt wissenschaftlicher Erfordernisse ist die Verschärfung der Begriffe durch Anwendung metrischer Bestimmungen besonders interessant und nützlich. Dies läßt sich auf drei verschiedene Weisen durchführen. 1. Man kann die Extension eines vagen Begriffs in irgendwelchen Maßeinheiten bestimmen, wie das ζ. B. die Post gemacht hat, die als schweres Paket eines mit einem Gewicht über 20 kg bestimmt hat. 2. Man kann einen vagen Begriff durch einen komparativen ersetzen, ζ. B. den vagen Begriff „intelligent" durch den komparativen Begriff „intelligenter als". Es ist nämlich im allgemeinen leichter, die Frage zu entscheiden, wann eine bestimmte Person intelligenter als eine andere Person ist, als die Frage, ob sie intelligent ist. Ähnlich ist es bei anderen graduierbaren Eigenschaften. Es verhält sich deshalb so, weil wir im allgemeinen die Unterschiede der Intensität irgendeiner schwer zu erkennenden Eigenschaft leichter bemerken, als die Tatsache, d a ß diese Eigenschaft überhaupt vorliegt. 3. M a n kann einen vagen Begriff durch eine Funktion der Gestalt Τ (χ) = y ersetzen. Sie weist jedem Gegenstand χ eine Zahl y zu, die auf eine bestimmte Skala bezogen den Intensitätsgrad der gemessenen Eigenschaft angibt. Ich will jetzt diese drei unterschiedenen Verfahrensweisen zum Verschärfen von Begriffen an Beispielen veranschaulichen. Als Ausgangspunkt soll der Terminus „hart" in seinem alltagssprachlichen Verständnis dienen. Seine Extension ist notorisch vage — von vielen Gegenständen können wir nicht mit Sicherheit entscheiden, ob sie zu dessen Extension gehören oder nicht. Nehmen wir an, wir seien Mineralogen, und daß wir den Terminus „ h a r t " in der Weise genauer bestimmen möchten, daß er präzise, metrische Kriterien der Anwendbarkeit auf Mineralien angibt. Nehmen wir weiter an, daß wir unter „hartes Mineral"
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Kap. II: Definitionen zur Behebung sprachlicher Mängel
ein Mineral zu verstehen vorschlagen, das nicht zerbröckelt, wenn wir auf ihn aus einer Höhe von einem Meter ein Gewicht von 5 0 Gramm fallen lassen. Das wäre ein Beispiel der Verschärfung des Begriffs „ h a r t " für Mineralien, durch die Formulierung eines metrischen Anwendbarkeitskriteriums. Stellen wir uns aber eine Situation vor, in der es uns darum geht, den Terminus „hartes Mineral" zu ersetzen, da er nur zwei Sachverhalte zu unterscheiden erlaubt: hart oder nicht-hart. Er soll durch einen anderen Terminus ersetzt werden, der die Unterscheidung von sehr vielen Härtegraden, und die Formulierung von quantitativen Abhängigkeiten zwischen der Härte eines Minerals und dem Intensitätsgrad irgendeiner anderen Eigenschaft erlaubt. Hier ein Beispiel einer solchen Beziehung: Wenn ein Mineral in einer bestimmten Flüssigkeit bei einer bestimmten Temperatur lösbar ist, dann ist die Zeitspanne bis zur Auflösung länger, je härter dieses Mineral ist. 1 6 Zu diesem Zweck führen wir anstelle — bzw. außer — des Terminus „ h a r t " , den Terminus „härter als" ein, dessen Intension wir folgendermaßen präzisieren: Ein bestimmtes Mineral χ ist härter als ein anderes Mineral y genau dann, wenn man mit einer scharfen Kante von χ die Oberfläche von y einritzen kann. 1 7 In diesem Fall führt das Präzisierungsverfahren von einerrr vagen Terminus zu einem komparativen, der die Unterscheidung einer unvergleichbar größeren Zahl von Härtegraden erlaubt. Wir haben es hier also mit einer Präzisierung zu tun, die eine subtilere Unterscheidung verschiedener Sachverhalte erlaubt. Der Terminus „härter als" gestattet den Vergleich der Mineralien hinsichtlich ihrer Härte. Eine noch genauere und subtilere Unterscheidung verschiedener Sachverhalte würde eine metrische Bestimmung der Gestalt Τ (χ) = y erlauben, die in Anlehnung an eine entsprechend starke Härteskala definiert ist. Die Funktion Τ (χ) = y ordnet jedem Mineral χ eine Zahl y zu, die dessen Härtegrad bezeichnet. Ein in dieser Weise metrisch bestimmter 16 17
Das ist ein fiktives Beispiel einer Beziehung. Beispiel nach C. Hempel: Fundamentals of Concept Formation in Empirical Science. Chicago 1960.
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Begriff der Härte erlaubt nicht nur die Formulierung allgemeiner komparativer Beziehungen, wie in dem obigen Beispiel, sondern auch von mathematisch anspruchsvolleren Beziehungen, die dadurch auch eine größere theoretische und praktische Tragweite haben. 18
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In dem analysierten Beispiel wurden der Reihe nach angewandt: ein klassifikatorischer, ein komparativer und ein metrischer Härtebegriff. Eine eingehendere Untersuchung dieser Arten von Begriffen unternehme ich in meinem Buch: Methodologische Probleme in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Vieweg Vlg., Braunschweig 1975. In diesem Buch gehe ich auch auf die verschiedenen Typen von Skalen ein, von der schwächsten, der Nominalskala bis zur stärksten, der absoluten. Zu den drei Arten von Begriffen vgl. auch weiter unten das Kap. „Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen." Es lohnt anzumerken, daß die quantitativen Methoden gegenwärtig nicht nur zur Verschärfung von Begriffen sondern auch zur Analyse des Begriffs der Vagheit selbst angewendet werden. Vgl. hierzu A. Kaufmann·. Introduction à la théorie des sousensembles flous. Applications à la linguistique, à la logique et à la sémantique. Paris 1975.
K a p i t e l III
Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen Allgemeine Vorbemerkungen Eine gute Definition muß formal korrekt sein, d. h., sie muß von solchen formalen Fehlern wie Widersprüchlichkeit oder Zirkularität frei sein. Die Tatsache, daß eine Definition den Kriterien der formalen Korrektheit genügt, ist aber nur eine notwendige und keine hinreichende Bedingung dafür, daß man sie f ü r eine gute Definition hält. G ä b e es keine zusätzlichen Anforderungen, von denen hier die Rede sein wird, müßte man alle konkurrierenden Definitionen eines Begriffs, insofern sie formal korrekt sind, als gleich gut ansehen. Ein Streit darüber, welche dieser formal korrekten Definitionen besser sei, wäre sinnlos. Eine solche Ansicht wird in der Tat von einigen Autoren geteilt. Dieser Ansicht nach gibt es weder gute noch schlechte Definitionen. Jeder Terminus lasse sich so oder auch anders definieren, es sei nur wichtig anzugeben, welche Definition angenommen worden ist, und sich konsequent an diese Definition zu halten. Alle Auseinandersetzungen darüber, ob eine bestimmte formal korrekte Definition gut oder schlecht sei, würden aus einem Mißverständnis entstehen, und daraus, daß man sich des konventionellen Charakters sprachlicher Zeichen nicht bewußt ist. 1 Der skizzierte Standpunkt, obwohl suggestiv vorgetragen, ist aber nicht richtig. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, die Geschichte einer beliebigen Disziplin zu verfolgen. Die Geschichte der Wissenschaften ist reich an Beispielen formal korrekter Definitionen, die trotzdem als nicht gut verworfen wurden. Diese historischen Fakten zeigen, daß die formale Korrektheit allein 1
Diese Ansicht vertritt ζ. B. McKay: The Logic of Language.
Allgemeine Vorbemerkungen
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noch nicht ausreicht, um eine Definition für gut zu halten und in eine Wissenschaft zu integrieren. Es ist dabei unerläßlich, daß noch bestimmte zusätzliche Bedingungen erfüllt werden, nach denen aus vielen möglichen, formal korrekten Definitionen eines Terminus eine bestimmte als gut ausgewählt werden kann. Diese Bedingungen werden immer häufiger als Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen bezeichnet. Während die Gesichtspunkte, von denen die formale Korrektheit einer Definition abhängt, bereits ziemlich gut erforscht und exakt formuliert worden sind, können die Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit der Definitionen gegenwärtig nur in einer weniger strengen Form beschrieben werden. Versuche einer präzisen Formulierung einiger dieser Bedingungen ζ. B. der von N. Goodman unternommene Versuch, metrische Kriterien der methodologischen Einfachheit einer Definition oder einer Theorie zu bestimmen, sind gescheitert (vgl. hierzu die entsprechenden Bemerkungen im Kap. Explikation). Der Nutzen aus der Reflexion auf die Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit einer Definition ist nicht so sehr praktischer (was dann der Fall wäre, wenn sie zeigen würde, wie Begriffe zum Zweck größerer Nützlichkeit bestimmt werden sollten) als vor allem kritisch erkenntnistheoretischer Natur. Sie beleuchtet den Entwicklungsgang der Wissenschaften, erlaubt, besser zu verstehen, warum bestimmte Definitionen trotz ihrer formalen Korrektheit durch andere ersetzt wurden. Worauf beziehen sich die Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen? In welcher Hinsicht determinieren sie die Formulierung einer Definition? Bei der Konstruktion der Definition eines Terminus müssen wir zwei methodologisch grundlegende Probleme lösen: 1. Welcher Gegenstands- oder Phänomenbereich ist dem definierten Terminus zuzuordnen? 2. Mit Hilfe welcher definitorischer Eigenschaften soll dieser Bereich bestimmt werden? Es ist ja bekannt, daß man einem definierten Terminus unterschiedliche Bereiche zuordnen kann, wobei jeder dieser Bereiche
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
aufgrund vieler unterschiedlicher Zusammenstellungen deflatorischer Eigenschaften hervorgehoben werden kann. 2 Die Lösung beider Probleme ist mit der zentralen Fragestellung einer jeden Wissenschaft verbunden: Wie sollen die Gegenstände und Erscheinungen der uns umgebenden Welt klassifiziert, und die entstandenen Klassen den wissenschaftlichen Termini so zugeordnet werden, daß sich Gesetzmäßigkeiten entdecken lassen, denen diese Erscheinungen unterliegen? Die Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit der Definitionen stellen nun die Verbalisierung derjenigen Gesichtspunkte dar, nach denen sich die Wissenschaftler in dieser Angelegenheit orientieren, wobei dies nicht immer ganz bewußt geschehen muß. Das Erfüllen dieser Bedingungen verleiht den Definitionen den Wert der wissenschaftlichen Nützlichkeit. Es ist offenkundig, daß die angesprochene doppelte Wahl: des Sinns und der Extension des definierten Terminus zu einem umfassenderen, die Disziplin, in die der definierte Terminus eingeführt werden soll, darstellenden Begriffssystem in Beziehung steht, und ebenfalls in Beziehung zu den Zielsetzungen dieser Disziplin. 3 Diesbezüglich gibt es bestimmte Unterschiede zwischen den einzelnen Disziplinen, obwohl einige Auswahlkriterien vielen Wissenschaften gemeinsam sind. Unter dem Gesichtspunkt des uns hier interessierenden Problems der Nützlichkeit der Definitionen lassen sich die Wissenschaften in zwei Gruppen einteilen, in nomologische und in nicht-nomologische Wissenschaften. Das Ziel der nomologischen Wissenschaften ist die Entdeckung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten, die die erforsch2
3
Vgl. zu diesem Problem die Anmerkungen zum Problem der Intension und der Extension eines Namens im Kap. „Definitionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel." Hier geht es um die Forschungsziele, die sich eine Wissenschaft setzt. Die wissenschaftlichen Aktivitäten werden auch von ethischen und praktischen Zielen gesteuert. Überlegungen über die Beziehungen zwischen den einzelnen Wissenschaften und der ethischen oder philosophischen Reflexion enthält der Artikel von K. Lorenz: La Science pour la Science. In: F. Kambartel, J. Mittelstrass (Hrsg.): Zum normativen Fundament der Wissenschaft. Frankfurt/M. 1973.
Allgemeine Vorbemerkungen
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ten Phänomene determinieren; viele der nicht-nomologischen Wissenschaften haben die Beschreibung individueller Fakten, sowie ihre kausale oder genetische Erklärung zum Ziel. 4 Diese Wissenschaften werden häufig auch als idiographische bezeichnet. Ein anderes Kriterium der Einteilung der Wissenschaften, das hier von Interesse ist, ist ihr theoretischer oder praktischer Charakter. Ziel der theoretischen Wissenschaften ist es, Wissen über die Wirklichkeit zu erwerben. Die praktischen Wissenschaften, ζ. B. verschiedene Bereiche der Medizin, die Ingenieurwissenschaften, versuchen bestimmte praktische Zielsetzungen zu verwirklichen: Menschen und Tiere heilen, verschiedene Konstruktionen entwerfen, u. ä. Die Formulierung der Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit der Definitionen wird nun unterschiedlich ausfallen, je nach Charakter der Wissenschaft, in die eine Definition eingeführt wird. Die Vertreter der einzelnen Disziplinen formulieren diese Bedingungen im allgemeinen nicht explizit. Häufig machen sie sich nicht einmal klar, daß sie stillschweigend solche Bedingungen akzeptieren. Erst die methodologische Reflexion über Veränderungsprozesse, denen der Begriffsapparat der Wissenschaften unterworfen ist, die Analyse der Gründe, aus denen eine Definition irgendeines Begriffs durch eine andere ersetzt wird, erlauben es, die Bedingungen der Nützlichkeit von Definitionen, die durch die Vertreter einzelner Disziplinen mehr oder weniger unbewußt akzeptiert werden, aufzuspüren und zu rekonstruieren. 4
Bei der Kausalerklärung von Ereignissen bedienen sich die nichtnomologischen Wissenschaften entsprechender wissenschaftlicher Gesetze. Aber die Entdeckung und die Formulierung dieser Gesetze gehört nicht zu deren Aufgaben, sondern zu den Aufgaben der verschiedenen nomologischen Wissenschaften wie Biologie, Physik, Soziologie, Psychologie. Eine Analyse verschiedener Arten von Erklärungen in den Sozialwissenschaften enthält die Arbeit: M. Bleguad: Competing and Complementary Pattems of Explanation in Social Science. Invited Address at the 5th International Congress of Logic, Methodology and Philosophy of Science, 1975. Vgl. auch: C. G. Hempel: Aspekte wissenschaftlicher Erklärung, De Gruyter, Berlin 1977. Herausgegeben von R. Posner.
8 Pawlowski, Begriffsbildung
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K a p . III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
Diese Rekonstruktion läßt sich am besten bezüglich der fortgeschrittenen nomologischen Wissenschaften, wie Physik oder Chemie, durchführen. Denn das, was wir eine wissenschaftliche Theorie im strengen Sinn des Wortes nennen, tritt in ihnen am deutlichsten und ausgeprägtesten auf. V o n der Theorie aber und ihren wissenschaftlichen Aufgaben hängen die Bedingungen der Nützlichkeit der in diese Theorie eingeführten Definitionen ab. Außerdem gibt es noch einen weiteren Grund: die fortgeschrittenen nomologischen Wissenschaften entwickeln sich kumulativ, d. h., die Errungenschaften späterer Phasen stellen einen Ausbau, eine Ergänzung und teilweise Modifikation des Wissens dar, das in früheren Phasen erworben wurde. Die genaue Erforschung der so entstandenen längeren Evolutionsreihen wissenschaftlicher Begriffe erlaubt eine bessere Rekonstruktion der Bedingungen der Nützlichkeit von Definitionen und eine bessere Begründung bestimmter gebräuchlicher Formulierungen dieser Bedingungen. Anders ist die Sachlage in vielen Geistes- und Sozialwissenschaften. Der kumulative Charakter ihrer Entwicklung wird angezweifelt. Auf jeden Fall ist er nicht so deutlich wie in den fortgeschrittenen nomologischen Wissenschaften. In den Geisteswissenschaften gibt es auch keine Theorien im strengen Sinn des Wortes. Diese Faktoren bedingen, daß die Rekonstruktion der Bedingungen der Nützlichkeit von Definitionen, die in diesen Wissenschaften akzeptiert werden, um vieles schwieriger ist. Gleichzeitig sind die Auseinandersetzungen darüber, wie die betreffenden Begriffe definiert werden sollen, welche der vielen konkurrierenden Definitionen zutreffend ist, welche gut, und welche m a n verwerfen soll, in diesen Wissenschaften heftiger, manchmal sogar verbissen. Dies hängt sicher mit dem nicht kumulativen Charakter ihrer Entwicklung zusammen sowie damit, d a ß in ihnen Theorien fehlen. Denn die Ziele einer wissenschaftlichen Theorie, ihre logische Struktur, der Sinn der bereits vorhandenen Begriffe und die logischen Beziehungen zwischen diesen — alle diese Faktoren determinieren, wie ein neuer Begriff definiert wird, der in diese Theorie eingeführt werden soll. Ich werde nun die Bedingungen der Nützlichkeit von Definitionen, die in den einzelnen Arten der Wissenschaften gelten,
Allgemeine Vorbemerkungen
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ausführlich besprechen. Ich beginne damit, daß ich in knapper Form Postulate vorstelle, die in allen Wissenschaften gelten. Sie beziehen sich auf Probleme der Vervollkommnung der Begriffsa p p a r a t u r . Es geht nämlich d a r u m , daß die Wissenschaften über Begriffe verfügen sollten, mit denen Sätze formuliert werden, die als Behauptungen über möglichst genau bestimmte Sachverhalte fungieren können, die also maximal entscheidbar sein sollten. Die Vervollkommnung der Begriffsapparatur umfaßt Fälle der Einführung von Definitionen f ü r Begriffe, die bisher in einer Wissenschaft ohne ein klares Verstehen ihres Sinnes gebraucht wurden. Die Notwendigkeit, den Sinn eines Begriffes, der bisher mehr o d e r weniger unklar verstanden wurde, durch Definition zu bestimmen, wird in den Situationen deutlich, in denen die Entdeckung neuer Tatsachen über die bisherige Verwendungsweise dieses Begriffs Zweifel a u f k o m m e n läßt. Als Beispiel kann die Lage dienen, die nach der Entdeckung des Kalium durch Davy entstand. 5 Z u r Zeit dieser Entdeckung gab es in der Wissenschaft noch keinen klar umrissenen und allgemein anerkannten Begriff des Metalls. M a n w a n d t e jedoch mehr oder weniger bewußt eine Menge von Kriterien dafür an, daß etwas ein Metall ist, und indem m a n sich auf das Wissen über bisher bekannte Metalle stützte, h a t man allgemein die Generalisierung angenommen, daß Metalle ein hohes spezifisches Gewicht haben. Währenddessen betrug jedoch das spezifische Gewicht der neu entdeckten Substanz, die unter mehreren Gesichtspunkten den Metallen glich, lediglich 0,865. Es ergab sich daher das Problem, wie die Definition des Metalls präziser gefaßt werden sollte: Sollte man die neu entdeckte Substanz zu den Metallen rechnen oder nicht? Ein anderes Anzeichen für die Vervollkommnung der begrifflichen A p p a r a t u r ist das Streben nach Erhöhung der empirischen Sensibilität der Wissenschaftssprache. In einer gewissen Vereinfachung kann man dies so charakterisieren, daß der Wissenschaftssprache Eigenschaften verliehen werden sollen, durch die eine ständige Erhöhung der Z a h l der möglichen Differenzierungen in den Versuchsdaten erreicht werden kann, aufgrund 5
Vgl. W. S. Jevons: The Principles of Science.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
derer die Sprache mit Bestätigung oder Verwerfung entsprechender Sätze reagiert. Hierzu wird man zweifellos alle Fälle der Eliminierung von Vagheiten der Begriffe zählen müssen, die Ersetzung vager Begriffe, die aufgrund irgendwelcher graduierbarer Eigenschaften bestimmte Gegenstände bezeichnen, wie ζ. B. Wärme, Länge, Gewicht, Intelligenz, moralische Normen sozialer Gruppen, u. ä., durch metrische Begriffe, die den verschiedenen Intensitätsgraden dieser Eigenschaften auf einer entsprechenden Skala Zahlen zuordnen. 6 Hier geht es nicht nur um die Verringerung der Zahl unentscheidbarer Behauptungen; wesentlich ist auch, daß erst nach der Einführung metrischer Begriffe quantitative Beziehungen zwischen den Erscheinungen formuliert werden können. Wichtig ist auch das Bestreben, aus dem Bereich der Wissenschaften solche Begriffe auszuschließen, die keinen empirischen Sinn haben, die also Ursache für die Unentscheidbarkeit der Behauptungen sind. 7 Zu einem bewußten und klar umrissenen Ausdruck dieser Bestrebungen wurden in neuerer Zeit die Postulate des Neopositivismus, mit ihrem Schlagwort „Der Sinn eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation"; die Postulate des Operationalismus, die fordern, daß in der Definition von Begriffen Operationen angegeben werden sollten, die festzustellen erlauben, ob ein Gegenstand unter den definierten Begriff fällt. Ähnlich der Behaviorismus, der fordert, daß psychologische Begriffe mit Hilfe von Beschreibungen des Verhaltens und damit mit Hilfe von Begriffen der Extrospektion definiert werden sollten.
Nützlichkeitsbedingungen in den nomologischen Wissenschaften Nach den Anmerkungen zu den Nützlichkeitsbedingungen, die alle Wissenschaften betreffen, gehe ich über zu den spezifischen Nützlichkeitsbedingungen in den nomologischen Wissenschaften, 6
U b e r dieses Problem schreibe ich ausführlicher im Kap. tionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel".
7
D a r ü b e r schreibe ich ausführlicher im Kap. „Explikationen".
„Defini-
Nützlichkeitsbedingungen in den nomologischen Wissenschaften
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die die Entdeckung von Gesetzmäßigkeiten anstreben, welche in der Natur und im gesellschaftlichen Bereich gelten. Diese Wissenschaften, für die man als Beispiel die Physik, die Chemie, einige Sparten der Biologie, manche Disziplinen der Psychologie und der Soziologie anführen kann, formulieren allgemeine Gesetze, die die Erklärung und Voraussage von Ereignissen erlauben. Die Nützlichkeit der eingeführten Begriffe hängt davon ab, in welchem Maße sie die Erfüllung dieser Aufgaben ermöglichen. Zu diesem Zweck sollten die Extensionen der Begriffe so unterschieden werden, daß sie unter dem Gesichtspunkt der Forschungsinteressen der betreffenden Wissenschaft einheitliche Mengen von Gegenständen darstellen. Gegenstände, die zu den so unterschiedenen Extensionen der Begriffe gehören, haben sehr viele gemeinsame Eigenschaften, die die betreffende Wissenschaft interessieren. Daher erlauben Begriffe, die solche Mengen von Gegenständen bezeichnen, die Formulierung einer maximal großen Zahl von Sätzen, und im Idealfall aller Sätze, die zur Beschreibung und Erklärung der durch die betreffende Wissenschaft erforschten Zusammenhänge benötigt werden. Dies will ich an einem einfachen Beispiel einer Verallgemeinerung erläutern, das aus der Botanik stammt: Alle Gräser sind anemogam (Windbestäuber) Die Nützlichkeit eines Begriffs, in diesem Falle der Begriffe „ G r a s " und „anemogam" wächst nun mit der Zahl der bestätigten Verallgemeinerungen, die man mit diesem Begriff formulieren kann. Beide Begriffe erfüllen diese Nützlichkeitsbedingung, denn sie treten in vielen botanischen Generalisierungen auf. Dagegen muß man den Begriff „tetramer" im System von Linné, der Pflanzen mit vier Staubblättern bezeichnet, als wenig brauchbar ansehen. Aus der Tatsache nämlich, daß eine Pflanze vier Staubblätter hat, ergeben sich fast gar keine Folgerungen, die zu allgemeinen Gesetzen führen, und die ζ. B. der oben formulierten Generalisierung bezüglich der Gräser ähnlich wären. Der Begriff „eine Pflanze mit vier Staubblättern" bezeichnet eine uneinheitliche Menge von Gegenständen, die wenige Eigenschaften gemeinsam haben, die vom Standpunkt der Botanik aus interessant wären. Viel brauchbarer ist dagegen ζ. B. der Begriff „einkeim-
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
blättrige Pflanze". Mit der Eigenschaft der Einkeimblättrigkeit verbinden sich nämlich kraft allgemeiner Behauptungen viele andere vom botanischen Standpunkt aus wichtige Eigenschaften. Die bisher besprochene Bedingung bezog sich auf die Bestimmung der Extension des definierten Terminus. Ich will jetzt zu den Bedingungen für die Wahl seiner Intension (seines Inhalts) übergehen. Es ist bekannt, daß man die Extension eines Begriffs mit Hilfe vieler unterschiedlicher Komplexe von Eigenschaften bestimmen kann. Jeder dieser Komplexe eignet sich als Intension dieses Terminus. Hier ist zu fragen, welche man wählen soll. Die Zielsetzungen der nomologischen Wissenschaften erfordern, daß dies ein Komplex der wesentlichen Eigenschaften sei. Als wesentliche Eigenschaften einer gegebenen Menge von Gegenständen versteht man hier die Eigenschaften, von denen viele andere Eigenschaften dieser Gegenstände abhängen. So verstandene wesentliche Eigenschaften eignen sich dafür, daß man in bezug auf sie Gesetze formuliert, die allgemeine Beziehungen ausdrücken, und daß man aufgrund dieser Eigenschaften und in Anlehnung an diese Gesetze viele andere Eigenschaften erklären und vorhersehen kann, die Forschungsobjekt der betreffenden Wissenschaft sind. In den Arbeiten der Wissenschaftstheoretiker wurden diese Vorzüge der Begriffe, die mit Hilfe wesentlicher Eigenschaften definiert wurden, aufgezeigt.8 In den physikalischen Disziplinen erweisen sich zumindest folgende Begriffe als sehr nützlich: die Begriffe des Atoms, des Elektrons, der Atommasse, des Moleküls, der Molekülstruktur u. ä. Sie treten in fast allen Formulierungen chemischer Gesetze auf, außerdem in Definitionen des größten Teils der Termini, die in der Chemie angewandt werden. Kennt man ζ. B. die Atommasse eines Elements, kann man davon ausgehend eine Reihe weiterer chemischer Eigenschaften dieses Elements vorhersagen — darauf gründet der große Wert des periodischen Systems von Mendelejev — ähnlich wie man aus der Kenntnis der Molekularstruktur einer chemisch zusammengesetzten Substanz Informationen über viele andere Eigenschaften dieser Substanz ableiten kann, die unter dem Gesichtspunkt der Forschungsinteressen der Chemie wichtig sind. In der Physiologie 8
Vgl.
J. Kotarbinska:
Definicja. Studia Logica III, 1 9 5 5 .
Nützlichkeitsbedingungen in den nomologischen Wissenschaften
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und in der Psychologie hat sich der Begriff des bedingten Reflexes als sehr nützlich erwiesen, mit dessen Hilfe man viele Regelmäßigkeiten in normalen und in pathologischen menschlichen sowie tierischen Reaktionen entdecken, erklären und vorhersagen konnte.9 Die bisher besprochenen zwei Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen betrafen die Wahl der Extension und der Intension des definierten Begriffs. Es ist nun eine dritte Nützlichkeitsbedingung hinzuzufügen, die verlangt, daß eine wissenschaftliche Theorie, in deren Behauptungen die definierten Begriffe vorkommen, optimal die anstehenden Aufgaben erfüllt: sie soll alle Erscheinungen, die zu ihrem Forschungsgegenstand gehören, erfassen und erklären; ebenfalls aus ihr sollen sich keine der Erfahrung widersprechenden Konsequenzen ergeben; ihre formal-begriffliche Struktur soll möglichst einfach sein. Uber den Wert einer Theorie und auch über die Nützlichkeit von Definitionen der zu dieser Theorie gehörenden Begriffe entscheidet also die Ubereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung sowie einige ihrer praxeologischen Vorzüge: Wirksamkeit, Ökonomie, Ergiebigkeit. Ein Beispiel aus der Chemie. Ich habe vorher festgestellt, daß die Gesichtspunkte, von denen die wissenschaftliche Nützlichkeit von Begriffen abhängt, vor allem dann deutlich hervortreten, wenn man die Entwicklung der Begriffe irgendeiner nomologischen Wissenschaft verfolgt. Dies will ich jetzt durch das konkrete Beispiel des chemischen Begriffs der Säure veranschaulichen. Die interessante und an Wechselfällen reiche wissenschaftliche Karriere des Terminus „Säure" begann äußerst bescheiden. Dieser Terminus, wie übrigens viele andere wissenschaftliche Termini (ζ. B. Wasser, Salz, Verbrennung, Arbeit, Kraft), spielte zunächst die Rolle eines alltagssprachlichen Ausdrucks. Er wurde im Alltag zur Bezeichnung des Essigs gebraucht.10 Mit der Zeit, 9
10
Op. cit. S. 4 9 f.
Pattison Muir: History of Chemical Theories and Laws. New York 1907.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
als man bemerkte, daß gewisse andere Substanzen, mit denen man täglich zu tun hatte, ähnliche Eigenschaften aufwiesen, hat man die Anwendung des Terminus „Säure" erweitert, indem man damit auch diese anderen Substanzen bezeichnete. In dem Maße, in dem neue Ähnlichkeiten und Verbindungen entdeckt wurden, weckten die Säuren die Aufmerksamkeit der Forscher. Schließlich formuliert Boyle die erste Begriffsbestimmung von „Säure", indem er eine Menge äußerer sinnlich wahrnehmbarer Eigenschaften angibt, die für Säuren charakteristisch sind. Nach Boyle ist eine Säure eine Substanz die 1. 2. 3. 4. 5.
säuerlich schmeckt viele Substanzen auflöst den in Alkalien gelösten Schwefel niederschlägt blaue pflanzliche Farbstoffe rot färbt alle ihre Eigenschaften in Verbindung mit Alkalien verliert.
In dem Augenblick, in dem die Kriterien von Boyle angenommen wurden, ging das Wort „Säure" von der Alltags- in die Wissenschaftssprache über. Um den historisch sich entwickelnden Begriff der Säure konzentrieren sich darüber hinaus viele wichtige theoretische Fragestellungen der Chemie. Von der Bedeutung des Problems der Säuren und Basen zeugt zumindest die Tatsache, daß es gegenwärtig zumindest neun Definitionen der Säure gibt, von denen sechs die Grundlagen eigenständiger Theorien bilden. In der Entwicklung des Begriffs der Säure läßt sich eine Reihe von Entwicklungsschritten unterscheiden. Hier die wichtigsten: 1. Die Boylesehe Definition, die eine Menge empirischer Kriterien dafür angibt, daß etwas eine Säure ist, d. h. äußere sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften, die für Säuren charakteristisch sind. 2. Die Sauerstoffdefinition der Säure von Lavoisier. 3. Die Ionendefinition von Arrhenius. 4. Die Protonendefinition von Brönsted. 5. Die Elektronendefinition von G. N. Lewis. Jede dieser Definitionen, mit Ausnahme der von Boyle, ist mit einer entsprechenden Theorie der Säuren verbunden, und sogar
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mit einer umfangreicheren Theorie chemischer Vorgänge. Im Zuge der Entwicklung der Chemie hat man die Kriterien von Boyle durch andere ergänzt, von denen man aufgrund des damaligen Wissens angenommen hat, daß sie unter dem Gesichtspunkt der Problemstellung einer Theorie der Säuren eine einheitliche Menge von Substanzen bestimmen. Von den eingeführten Definitionen der Säure forderte man, die Extension dieses Begriffs so zu bestimmen, daß sie auf jeden Fall die Substanzen umfaßt, auf die die empirischen Kriterien dafür, daß etwas eine Säure ist, zutreffen. Die Entdeckung einer Substanz, die die empirischen Merkmale einer Säure zeigte, aber von der damals geltenden Definition nicht erfaßt wurde, war ein Grund (obwohl ein noch nicht ausreichender) dafür, diese Definition zu verwerfen. Vom experimentellen Standpunkt — stellt einer der bedeutenden Schöpfer der Chemie, G. N. Lewis, fest — sollte eine Substanz, die empirische Eigenschaften einer Säure zeigt, als Säure bezeichnet werden, unabhängig davon, welchen Begriff von der Abhängigkeit der Säureeigenschaften von einem bestimmten Element man sich von vornherein gemacht hat. 11 Als Beispiel kann die Verwerfung der Sauerstoffdefinition der Säure von Lavoisier dienen, nach der eine Säure die Verbindung des Sauerstoffs mit einem Nichtmetall darstellt. Inzwischen haben weitere Forschungen den Nachweis von Substanzen mit empirischen Merkmalen der Säuren erlaubt, die aber keinen Sauerstoff enthalten. Zu solchen sauerstofflosen Säuren gehört die Salzsäure. Ihre Entdeckung führte zur Verwerfung der Sauerstoffdefinition von Lavoisier als wissenschaftlich unbrauchbar. Als Ergebnis der Entwicklung wurde der Begriff der Säure nach und nach erweitert. Jede neu eingeführte Definition schuf einen Begriff, dessen Extension umfangreicher war als die des durch die vorausgehende Definition geschaffenen Begriffs.12 So umfaßte die 11
12
Vgl. W. F. Luder, S. Zuffanti: Electronic Theory of Acids and Bases. London 1947, S. 3. Eine ähnliche Tendenz zur Verallgemeinerung von Begriffen und sogar von Theorien zeigt sich auch in anderen fortgeschrittenen nomologischen Wissenschaften.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
Ionendefinition von Arrhenius alle Säuren nach der Definition von Lavoisier und noch einige andere, die von der letzten nicht erfaßt wurden, wie z. B. die bereits erwähnte Salzsäure. Dieselbe Beziehung läßt sich zwischen den Definitionen von Brönsted und Arrhenius sowie denen von Lewis und Brönsted feststellen. Die Entwicklung des Begriffs der Säure zeigt auch, daß in den sich ändernden Intensionen dieses Begriffs ein Übergang von den unwesentlichen Eigenschaften (den empirischen Kriterien von Boyle) zu in immer größerem Maß wesentlichen Eigenschaften stattgefunden hat. Man hat nämlich die Substanzen, die zu der durch Boyle bestimmten Extension gehörten, einer Untersuchung unterworfen, um wesentliche, diesen Substanzen gemeinsame Eigenschaften zu finden. Anschließend wurden die so entdeckten wesentlichen Eigenschaften der Säuren als definitorische Eigenschaften des Begriffs „Säure" angesehen. Jede der sich jeweils durchsetzenden Theorie der Säuren hat einen anderen Komplex von Eigenschaften als wesentliche Eigenschaften der Säuren angesehen. Die in den aufeinanderfolgenden Definitionen auftretenden wesentlichen Eigenschaften der Säuren korrelierten aufgrund chemischer Gesetze mit einer immer größeren Anzahl anderer Eigenschaften der Säuren und konnten so eine immer größere Zahl der Säurereaktionen erklären. Ein Beispiel aus der Psychologie. Das Problem besteht darin, eine geeignete, wissenschaftlich nützliche Definition der Motivation zu finden, eines der zentralen Begriffe der gegenwärtigen Psychologie. Die Psychologen sind von einer Einigkeit in der Bestimmung von „Motivation" weit entfernt, es gibt viele Definitionen dieses Begriffs, von denen ich einige anführen will.13 13
Nach K. Obuchowski: Psychologie dgzen ludzkich (Psychologie des menschlichen Strebens), Warszawa 1965. Alle angeführten Definitionen der Motivation sind in der Sprache der traditionellen Psychologie formuliert. Es gibt auch Versuche, ein kybernetisches Modell der Vorgänge der Motivation zu konstruieren, vgl. H. Stachowiak: Ein kybernetisches Motivationsmodeil. In: H.Frank (Hrsg.): Lehrmaschinen in kybernetischer Sicht. Stuttgart 1964. Vgl. auch H. Stachowiak: Allgemeine Modelltheorie. Berlin, New York 1973.
Nützlichkeitsbedingungen in den nomologischen Wissenschaften
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1. Motivation ist das, was jemand bewußt als Grundlage seines Verhaltens bezeichnet. — H. R. English, 1934. 2. Motivation ist ein bewußtes Erlebnis oder ein unbewußter Zustand, die in einer gegebenen Situation einer der Faktoren sind, die eine individuelle oder gesellschaftliche Handlung determinieren. — H. C. Warren, 1934. 3. Als Motivation bezeichnen wir jeden beliebigen Faktor, von dem wir meinen, daß er eine besondere Bedeutung bei der Auslösung und der Aufrechterhaltung einer bestimmten Tätigkeit zur Befriedigung von Bedürfnissen, und bei der Bestimmung des Verlaufs und des Ergebnisses dieser Tätigkeit hat. — N. Cameron, 1947. 4. Motivation ist das, was den Menschen dazu bewegt, sich diese oder jene Ziele zu setzen (dies können Gefühle, Interessen, Überzeugungen, Weltanschauungen sein). — B. Tieplow, 1955. 5. Motivation ist jeder innere Faktor oder Zustand einer bestimmten Art, der dazu führt, daß eine Aktivität begonnen und aufrechterhalten wird. — J. P. Guilford, 1956. 6. Motivation ist jeder Zustand eines Organismus, der seine Bereitschaft beeinflußt, ein bestimmtes Verhalten zu beginnen oder aufrechtzuerhalten. — E. R. Hilgard, 1957. 7. Motivation, das ist ein psychischer Prozeß, der uns innerlich dazu antreibt, sich ein Ziel zu setzen und bestimmte Mittel seiner Verwirklichung zu wählen. — A. Lewicki, 1954. Die Auseinandersetzung um die Definition der Motivation, die ihren Ausdruck in so vielen miteinander unvereinbaren Formulierungen findet, zeugt davon, daß die Erforschung der Phänomene der Motivation noch keinen ausreichenden Entwicklungsstand erreicht hat. Wir haben zwar ein bestimmtes Wissen über diese Erscheinungen, es gibt aber noch keine Theorie der Motivation im strengen methodologischen Sinn des Wortes, nicht einmal ein ernsthafteres Fragment einer solchen Theorie in der Gestalt einer ausreichend reichen und systematisierten Menge von Behauptungen, die von der Gesamtheit der Psychologen akzeptiert wird. Um entscheiden zu können, welche der im Umlauf befindlichen Definitionen angemessen, zutreffend und
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
wissenschaftlich nützlich sind, muß die Rolle des durch diese Definition definierten Terminus in einer allgemein akzeptierten Theorie der Motivation berücksichtigt werden, sowie die Relationen dieses Begriffs zu anderen Begriffen der Theorie, die in den Behauptungen der Theorie vorkommen. Gegenwärtig haben einzelne Psychologen eigene Vorstellungen über eine derartige Theorie, und von diesen sowie von der Funktion des Begriffs der Motivation in einer zukünftigen Theorie ausgehend, argumentieren sie für die eine oder andere Definition dieses Begriffs. Die Argumentation bezieht sich auf die Bestimmung der Intension und der Extension dieses Begriffs. Ihre logische Rekonstruktion enthält folgende drei Punkte: Die Extension und die Intension eines Begriffs der Motivation sollten so bestimmt werden, daß erstens mit seiner und mit Hilfe anderer Begriffe der Theorie die Formulierung möglichst aller die Phänomene der Motivation betreffender Gesetze ermöglicht wird, und daß zweitens mit Hilfe der definitorischen Eigenschaften der Motivation möglichst viele seiner übrigen Aspekte erklärt werden. Dies ist also eine Bedingung, die fordert, daß die definitorischen Eigenschaften wesentliche Eigenschaften sein sollen. Und schließlich, daß drittens eine (zukünftige) Theorie der Motivation, in der der definierte Terminus auftreten soll, möglichst optimal ihre anstehenden Aufgaben lösen, d. h. mit den Tatsachen übereinstimmen und möglichst einfach sein sollte. Ich will jetzt eine Definition der Motivation erörtern sowie die Argumentation ihres Autors für die Annahme dieser Definition und gegen konkurrierende. 14 Eine Motivation stellt die Verbalisierung des Ziels und des Programms dar, das einer bestimmten Person die Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit erlaubt. 1 5 Im R a h m e n seiner eigenen Sicht einer Theorie der Motivation stellt der Autor der zitierten Definition die Behauptung auf, daß der eigentliche Faktor, der eine Handlung sowohl initiiert als 14 15
Die Definition stammt von K. Obuchowski, Op. cit. S. 33.
op. cit.
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auch aufrechterhält und steuert, der vom Menschen bewußt aufgestellte Beweggrund für diese Handlung ist. Daher wurde vom Autor der zitierten Definition die kontrollierende und steuernde Funktion der Motivation an die erste Stelle gestellt, also Faktoren, die über die Zielsetzung der Handlung entscheiden, und die kontrollieren, ob die gewählte Vorgehensweise zum Ziel führt. Vom Autor werden auch alle mit dieser Auffassung unvereinbaren Konzeptionen zurückgewiesen. Er schreibt: „Es wurde notwendig, bestimmte Illusionen zu brechen, die durch animalistische Konzeptionen der Persönlichkeit nahegelegt werden und die durch die immer noch dominierende Freudsche Richtung der Psychoanalyse, sogar durch die von der Lerntheorie gefärbte, bestärkt werden. Als besonders verführerisch erwies sich die Illusion, der Mensch sei eindeutig durch seine eigene Biographie bestimmt. Diese Illusion hat zwar die noch primitivere Auffassung ersetzt, der Mensch sei ein biologisch determiniertes Wesen, sie ist aber gleichermaßen fatalistisch und unrichtig. Die noch so differenzierten und ausgebauten Systeme bedingter Reflexe, die im Verlauf eines Menschenlebens erworben werden, erklären seine eigene aktive Rolle in der schöpferischen Gestaltung seines Selbst und seiner Umgebung nicht. Die Traumata und die Komplexe, die von der Tiefenpsychologie entdeckt wurden, können als Erklärung dafür dienen, warum ein Mensch seine eigenen schöpferischen Möglichkeiten nicht verwirklicht, warum er bestimmte Handlungsrichtungen meidet, aber sie erklären nicht, warum er bestimmte Handlungsrichtungen wählt, und vor allem nicht, warum er sein Leben gestaltet anstatt die Frustrationen seiner Jugendjahre zu vermehren. Die psychoanalytischen Hypothesen, auch wenn sie dieses Problem berühren, überzeugen am wenigsten." 16 Auf seine allgemeinen Voraussetzungen innerhalb der Konzeption einer Theorie der Motivation stützt der Autor seine ausführlichen Anmerkungen hinsichtlich der Wahl der Extension und der Intension des Begriffs „Motivation". Die Psychologen, die zur Extension des Begriffs „Motivation" auch unbewußte Motive 16
9
Op. cit. S. 34. Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
zählen, behaupten, daß die Einschränkung dieser Extension auf bewußt verbalisierte Motive einen zu schmalen Begriff ergibt, der zur Analyse des menschlichen Handelns nicht ausreicht. K. Obuchowski weist diese Argumentation zurück. Er behauptet, dieser Standpunkt vermenge die Motive mit anderen Faktoren, die das Handeln eines Menschen determinieren. Bestimmt man die Extension des Begriffs „Motivation" so weit, daß damit auch die sog. unbewußten Motive erfaßt werden, führt dies zu einem Begriff, der zu allgemein und zu uneinheitlich ist, denn damit werden sehr unterschiedliche, das Handeln determinierende Faktoren in einen Topf geworfen. Auf diese Weise werden die Antriebsfaktoren des Handelns und die Verbalisierung seiner Zielsetzung sowie seines Programms miteinander vermengt. Dies erschwert das Verständnis der Gesetzmäßigkeiten, die das Handeln determinieren, das Erfassen der unterschiedlichen Faktoren, die das Handeln steuern, die Erforschung des Einflusses, den jeder einzelne dieser Faktoren auf die endgültige Form der Handlung ausübt — mit einem Wort, dies erschwert eine optimale Lösung der anstehenden Probleme einer Theorie der Motivation. In gleicher Weise sind nach K. Obuchowski die Definitionen von Hilgard, Guilford und Cameron zu weit. Aufgrund dieser Definitionen nämlich können als Motive solche unterschiedlichen Faktoren angesehen werden wie: Haß auf einen Feind, Alkohol im Blut, ein verdrängter Komplex, der Schmerz nach einem Nadelstich und sogar die Hindernisse, denen man auf dem Weg zum Ziel begegnet. Nach der Definition von K. Obuchowski Eigenschaften der Motivation:
sind die wesentlichen
1. Die Verbalisierung des Ziels und 2. das Programm des Handelns. Ohne diese Bestandteile — stellt der Autor fest — könnte die Motivation nicht die Rolle eines das Handeln steuernden und kontrollierenden Faktors spielen. Ein Begriff der Motivation, der diese Elemente nicht beinhaltet, könnte daher das menschliche Handeln nicht erklären. Aus diesem Grund weist der Autor die Definitionen von Lewicki und Teplow zurück, in denen die
Nützlichkeitsbedingungen in nicht-nomologischen Wissenschaften
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Intension des Begriffs „Motivation" auf den Faktor eingeengt wurde, der das Handeln dynamisiert. Zur Erörterung des obigen Beispiels noch abschließend eine Anmerkung. Die Argumente des Autors zeigen lediglich eine Verteidigungslinie der von ihm vorgeschlagenen Definition der Motivation. Die Annahme dieser Definition kann erst dann vollständig begründet werden, wenn eine Theorie der Motivation konstruiert ist oder zumindest ein umfangreiches Fragment einer solchen Theorie, in deren Behauptungen der vom Autor definierte Begriff der Motivation auftritt. Es muß dabei gezeigt werden, daß diese Theorie das menschliche Handeln besser erklärt als die konkurrierenden Theorien. Nützlichkeitsbedingungen von Definitionen in den nicht-nomologiscben Wissenschaften Diese Bedingungen will ich am Beispiel der biologischen Systematik und am Beispiel der Geisteswissenschaften erläutern. Ein Beispiel aus der Biologie. Ich will versuchen, die Nützlichkeitsbedingungen von Begriffen aufzuzeigen, die bei der Klassifizierung von Pflanzen oder Tieren angewandt werden. Man kann nämlich die biologische Klassifikation als ein entwickeltes System von Begriffsdefinitionen ansehen, die unterschiedliche durch die Klassifikation konstituierte Gruppen von Organismen bezeichnen. Die biologische Systematik ist eine Disziplin, die bezüglich einiger ihrer Aspekte nomologischen, bezüglich anderer wiederum einen nichtnomologischen Charakter hat. Eines ihrer Ziele besteht darin, die bestehende Vielfalt der Formen von Organismen in der Weise einzuteilen, daß die Begriffe einheitliche Gruppen von Organismen bezeichnen und daß sie so die Formulierung einer möglichst großen Zahl von Generalisierungen erlauben, in denen Beziehungen zwischen biologischen Phänomenen behauptet werden. Die so formulierten Aufgaben der biologischen Systematik beziehen sich auf ihren nomologischen Charakter. Über die Bedingungen der Nützlichkeit von Begriffen in den nomologischen Wissenschaften habe
100
Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
ich vorher geschrieben. Hier will ich auf den nicht-nomologischen Aspekt der Systematik von Tieren und Pflanzen eingehen. Die aus der Wissenschaftsgeschichte bekannten biologischen Klassifizierungssysteme lassen sich in zwei große Grupppen einteilen: Systeme, denen eine statische, und solche denen eine dynamische, evolutionäre Theorie der Organismusformen zugrunde liegt. Die in einer bestimmten Epoche anerkannte Theorie der Organismusformen hat die Klassifizierung unter drei uns hier interessierenden Aspekten beeinflußt. 1. Bezüglich der Bestimmung der Extensionen derjenigen Begriffe, die die in der Klassifikation unterschiedenen taxonomischen Einheiten bezeichnen. In Abhängigkeit von der getroffenen Wahl entstanden innerhalb des Chaos der existierenden Organismusformen unterschiedliche Anordnungen in Gruppen, die als einheitlich, als „natürlich", angesehen wurden. Dabei haben sich Gruppen, die aufgrund einer Theorie der Organismusformen als einheitlich galten, in den meisten Fällen als uneinheitlich, als „unnatürlich", aufgrund einer anderen Theorie erwiesen. 2. Bezüglich der Bestimmung der Eigenschaften, die die Grundlage der Klassifizierung, und daher das Prinzip der Bestimmung der Extensionen bildeten. Wesentliche Eigenschaften bezüglich einer Theorie der Organismusformen wurden häufig aufgrund einer anderen Theorie als unwesentlich zurückgewiesen. Ob eine Eigenschaft wesentlich war, beruhte dabei darauf, ob man auf deren Grundlage die Herkunft der Organismen (dynamische Theorie), oder deren Zugehörigkeit zu einem gegebenen Archetyp (statische Theorie) begründen konnte. 3. Bezüglich der Hierarchisierung der unterschiedenen Organismusgruppen. Jede siegreiche Theorie hat die bisher unterschiedenen Gruppen in eine neue Hierarchie geordnet. Diese Hierarchie soll die auf der Welt existierende Ordnung der Organismen repräsentieren, die in verschiedenen Theorien unterschiedlich aufgefaßt wurde. In den statischen Systemen war dies eine unveränderliche Hierarchie, die den göttlichen Schöpfungsakt widerspiegelte. In den dynamischen Systemen war dies eine Ordnung, die die Entwicklungsstufen der organischen Formen widerspiegelte.
Nützlichkeitsbedingungen in nicht-nomologischen Wissenschaften 1 0 1
Diese allgemeinen Anmerkungen sollen jetzt durch einige Fakten und Beispiele aus der Geschichte der biologischen Klassifikationen veranschaulicht werden. Die grundlegenden Ideen der statischen Theorie der Formen lassen sich folgendermaßen darstellen. Die existierenden Formen der Organismen entstanden durch den göttlichen Schöpfungsakt. Diese Formen (Arten) sind unveränderlich, und ihre Zahl endlich. Jede der existierenden Formen zeichnet sich dadurch aus, daß sie einen „ursprünglichen Bauplan" besitzt, oder einen „Archetyp", oder „einen grundlegenden Plan der Symmetrie", nach dem sie erschaffen wurde. Diese Formen wurden nach einer bestimmten Hierarchie erschaffen, in der sich auf den unteren Stufen die einfacheren, „niedrigeren" und auf den oberen Stufen die komplizierteren, „vollkommeneren" Formen befinden. An der Spitze der Hierarchie steht der Mensch. 17 Aufgabe der Systematik ist die Entdeckung der „ursprünglichen Baupläne", das Herausschälen dieser Baupläne aus den „zufälligen" Abweichungen und eine Gruppierung der Organismen in der Weise, daß zu einer Gruppe solche Organismen zusammengefaßt werden, die denselben „ursprünglichen Bauplan" haben. Man nahm an, daß jede Gruppe des Systems ihr gleichbleibendes Modell, den ursprünglichen Typus, hat, der aus einer bestimmten Reihe morphologischer Eigenschaften bestand, und jeder Organismus, der bezüglich dieser Eigenschaften mit dem ursprünglichen Typus übereinstimmte, gehörte zu dieser Gruppe. Die so unterschiedenen Gruppen der Organismen, sollten nun hierarchisiert werden. An der untersten Stufe dieser Hierarchie befanden sich solche Organismen, die sich nur durch die Eigenschaft, lebend zu sein, auszeichneten. Je höher aber die Stufe der Hierarchie, desto mehr gemeinsame Eigenschaften sollten die Organismen haben, die sich auf dieser Stufe befanden. 18
17 18
Vgl. Ch. Singer: A History of Biology. New York 1951. Ich stütze mich hier u. a. auf: G. Simpson: The Principles of Classification and a Classification of Mammals. Bulletin of the American M u s e u m of Natural History, Vol 85, 1945; M. Möbius: Geschichte der Botanik, Jena 1937; E. W.Simtot·. Botany, N e w York 1946.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
Die auf der statischen Theorie der Formen basierende biologische Systematik sollte also die Organismen in der Weise gruppieren, daß die Anordnung der Gruppen in einem Klassifikationssystem die „ursprünglichen Baupläne" wiedergibt, die von den einfachsten bis zu den kompliziertesten angeordnet wurden. Diese Ordnung ist hier etwas, das ein für alle Male feststeht. Die Entwicklung der biologischen Wissenschaften führte mit der Zeit zur Verwerfung der statischen Theorie der Formen und deren Ersetzung durch eine dynamische Theorie, die eine Evolution der Organismusformen annahm. Es wurden immer mehr Fakten und Argumente angesammelt, die gegen die statische und für die Evolutionstheorie sprachen. Eine solche Tatsache war die Entdeckung von Übergängen zwischen den Formen, die bezüglich desselben „Symmetrieplans" unterschieden wurden. Die Existenz der Übergangsformen ließ sich nicht durch „zufällige" Abweichungen vom „ursprünglichen Bauplan" erklären. Weitere Argumente wurden durch paläontologische Forschungen geliefert. Man hat gemerkt, daß es in früheren geologischen Zeitabschnitten Organismusformen gegeben hat, die gegenwärtig überhaupt nicht repräsentiert sind. Eine weitere Tatsache, die man durch eine statische Theorie schwerlich erklären konnte, und die ebenfalls durch die Paläontologie entdeckt wurde, war die Existenz von Formen, die in früheren Zeitabschnitten nicht auftraten. Alle diese Fakten führten schließlich zur Verwerfung der statischen Theorie durch die siegreiche dynamische Theorie — die Evolutionstheorie. Mit dieser Veränderung trat auch eine stufenweise Änderung der Klassifikation ein. Sie wurde an die neuen Aufgaben angepaßt, die durch die Evolutionstheorie bestimmt wurden. Erste Spuren des Evolutionsgedankens lassen sich in der Wissenschaftsgeschichte schon seit langem feststellen. Die erste klare Formulierung einer Evolutionstheorie stammt aber von Lamarck (1744—1829). In der Biologie wurde die Evolutionstheorie allgemein dank der Arbeiten Darwins akzeptiert. Der Einfluß dieser Theorie auf die Systematisierung war enorm. In der Systematik, die vom evolutionären Standpunkt aufgestellt wurde, strebte man danach, Organismen der gleichen Abstammung in eine Gruppe zusammenzubringen. Die so unterschiedenen Gruppen waren in
Nützlichkeitsbedingungen in nicht-nomologischen Wissenschaften 1 0 3
philogenetischer Hinsicht einheitlich. Dabei hat man eine Gruppe von Organismen A als einheitlich angesehen, wenn ihre Untergruppen aus ein und derselben Gruppe entstanden sind. Zur Aufstellung einer Klassifikation, die eine Hierarchie darstellt, genügt aber die Bestimmung ihrer Einheitlichkeit allein nicht. Man muß auch noch den Verwandtschaftsgrad berücksichtigen. Man stellt also fest, daß zwischen zwei Gruppen A und Β eine engere philogenetische Verwandtschaft besteht als zwischen zwei anderen Gruppen C und D, wenn die beiden ersten ihrem gemeinsamen Vorfahren näher stehen als die beiden anderen ihrem Vorfahren. Der Einfluß der Evolutionstheorie beschränkte sich nicht nur auf die Systematisierung, sondern erfaßte auch andere biologische Disziplinen. Für die Systematik sind hier vor allem die Veränderungen wichtig, denen die Anatomie und die vergleichende Morphologie unterlag, in der man nun homologe Organe unterscheidet, d. h. solche, die unterschiedliche Funktionen erfüllen, obgleich sie eine gemeinsame Herkunft haben, ζ. B. die Flügel der Vögel und die Flossen der Fische, sowie analoge Organe, d. h. solche, die unterschiedlicher Herkunft sind, aber ähnliche Funktionen erfüllen, ζ. B. die Flügel der Vögel, die umgeformte vordere Extremitäten sind, und die Flügel der Insekten, die entwickelte Hautauswüchse sind. Eine von der Evolutionstheorie beeinflußte Systematik stellt sich zwei Ziele. Eines, ein uraltes, ist die klare Klassifizierung der organischen Formen, das zweite, und durch die Evolutionstheorie neu bestimmte, besteht darin, eine immer getreuere Darstellung des Prozesses der organischen Evolution zu geben. Der Einfluß der Evolutionstheorie auf die Systematik wird sichtbar sowohl in der Umschichtung der vorher unterschiedenen Gruppen, wie in der Änderung der Extensionen der Begriffe, die diese Gruppen bezeichnen, als auch in der Interpretation der Grundsätze, nach denen Individuen zu Gruppen vereint wurden, d. h. also auch in der Änderung der definitorischen Eigenschaften, die als wesentlich angesehen werden. Die Geschichte der biologischen Systematik ist reich an Veränderungen dieser Art. Einer breiten Öffentlichkeit sind namentlich die Veränderungen, denen das System von Linné unterworfen wurde, bekannt. Es wurde gezeigt,
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K a p . III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
daß viele Gruppen dieses Systems Organismen enthalten, die hinsichtlich ihrer Genese verschieden sind. Solche „unnatürlichen" Gruppen hat man im Fortgang der Untersuchungen durch „natürliche" ersetzt, die genetisch einheitliche Organismen enthalten. Auf ein Beispiel einer solchen* Veränderung, das sich auf die Gruppe der Pflanzen mit vier Staubblättern bezieht, habe ich vorher hingewiesen. Jeder Fall einer Ersetzung einer „unnatürlichen" durch eine „natürliche" Gruppe zog eine Änderung der Extension des Terminus nach sich, der diese Gruppe bezeichnet. Es haben sich auch die Eigenschaften geändert, die die Intension dieser Termini ausmachen: Eigenschaften, die vom Standpunkt der Evolutionstheorie unwesentlich waren, wurden durch wesentliche ersetzt. Die Analyse der Geschichte der biologischen Systematik verweist auf eine gewisse Zweigleisigkeit der Konzeption einer „guten", wissenschaftlich brauchbaren Klassifikation. Die erste Entwicklungslinie führt von den durch die aristotelische Lehre von der Materie und der Form beeinflußten Spekulationen über den „ursprünglichen Bautypus", den „grundlegenden Symmetrieplan" u. ä. zur philogenetischen Konzeption der Klassifizierung. Unter diesem Gesichtspunkt zerfällt die Geschichte der biologischen Klassifizierung in zwei Perioden: die Periode der statischen und die der dynamischen Theorie der Formen. Die zweite Entwicklungslinie zielt darauf, daß die Klassifizierung Bereiche unterscheiden soll, die immer mehr gemeinsame Eigenschaften haben, und die vom biologischen Standpunkt wichtig sind. Sie manifefestierte sich in den Veränderungen der in der Klassifikation unterschiedenen Bereiche, die so vorgenommen wurden, daß diese Bereiche die Formulierung einer immer größeren Zahl von Generalisierungen erlaubte, die unter dem Einfluß der neuen Entdeckungen eingeführt wurden. Gleichzeitig wurden die Eigenschaften, die man als Grundlage der Unterscheidung dieser Bereiche annahm, in immer größerem Maße zu wesentlichen Eigenschaften. In der Entwicklung der Klassifizierung verlaufen diese beiden Entwicklungslinien parallel. Das Kriterium dafür, daß bestimmte Individuen denselben Symmetrieplan hatten, war deren maximale Ähnlichkeit, vor allem das Vorhandensein einer
Nützlichkeitsbedingungen in nicht-nomologischen Wissenschaften 105 möglichst großen Zahl gemeinsamer anatomisch-morphologischer Eigenschaften. Ähnlich fungierte als Kriterium einer philogenetischen Abhängigkeit zwischen irgendwelchen Gruppen oder Individuen die maximale Anzahl ihrer gemeinsamen Eigenschaften, die vom biologischen Standpunkt wichtig waren. Gegenwärtig hat sich dagegen eine Tendenz zur Trennung der beiden besprochenen Entwicklungslinien bemerkbar gemacht. Die Klassifikation, die durch die gemeinsame Abstammung begründet wird, ist eine, und die Klassifikation, die durch das Vorhandensein einer maximalen Anzahl gemeinsamer biologisch interessanter Eigenschaften begründet wird, ist eine andere Sache. Man hat nämlich gemerkt, daß es Fälle gibt, in denen Formen, die durch eine genetische Beziehung verbunden sind, weniger gemeinsame Eigenschaften haben, sich selber weniger ähnlich sind als anderen Formen, mit denen sie keine genetische Verwandtschaft verbindet. 1 9 Ein zusätzlicher Faktor, der die Entwicklung der biologischen Systematik komplizierte, waren Veränderungen der Evolutionstheorie selbst, auf der sich die Systematik gründete. Die wichtigste Veränderung, die auch in der Systematik ihren Niederschlag gefunden hat, war der Übergang von einer monophyletischen zu einer polyphyletischen Auffassung der Evolution. Die monophyletische Konzeption stellt die Evolution in der Form eines Stammbaums dar, in dem alle Arten der Organismen auf eine einzige ursprüngliche Art zurückgeführt werden. Mit dem Fortschritt des biologischen Wissens mußte diese Auffassung der polyphyletischen Konzeption weichen, die die Existenz mehrerer unabhängiger Evolutionsreihen zuläßt, und die Phylogenese nicht mehr in der Form des Stammbaums, sondern in einer unendlich komplizierteren Weise darstellt. Das imposante Bild, das Darwin entworfen hat, entspricht nicht der Wirklichkeit. Die Organismen weichen voneinander zu stark ab, als daß man sie in einem einzigen Stammbaum piazieren könnte. Vielmehr wird der unwegsame tropische Wald, das Labyrinth verworrener und in alle Richtungen verwickelter Äste ein getreues Bild der Entstehungs19
Vgl. A. Remane: Die Grundlagen des natürlichen Systems der Vergleichenden Anatomie und der Phylogenetik. Leipzig 1965, S. 7.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
geschichte der Arten darstellen. 2 0 Diese große Veränderung in der Evolutionstheorie hat ihren Niederschlag in der biologischen Systematik gefunden: in den entsprechenden Umgruppierungen der Organismen sowie in der Art und Weise, wie die unterschiedenen Gruppen hierarchisiert wurden. Dies zog eine Änderung der Extensionen und der Intensionen der Termini nach sich, die diese Gruppen bezeichnen.
Beispiele aus dem Bereich der Geistesund Sozialwissenschaften A.
Typenbegriffe
In den Geistes- und Sozialwissenschaften, u. a. in den verschiedenen historischen Disziplinen, wie Geschichte der Politik, der Wissenschaften, der Kultur, der Moral, der Kunst usw., werden häufig Typenbegriffe angewandt. „Feudale Gesellschaftsordnung", „Renaissance", „säkularisierte Gesellschaft", „bürgerliche M o r a l " — das sind einige Beispiele dieser Art von Begriffen. Wovon ist die Nützlichkeit der Typenbegriffe abhängig? Um diese Frage beantworten zu können, muß man sich bewußt machen, welche Funktion diese Begriffe in der Wissenschaft haben sollen. Autoren, die in ihren Arbeiten Typenbegriffe anwenden, oder deren Unerläßlichkeit betonen, heben folgende Umstände hervor: 1. Die normalen Begriffe sind „ s t a r r " ; ein Gegenstand fällt unter einen Begriff oder nicht. Währenddessen hat die Wirklichkeit einen anderen Charakter; die Eigenschaften der Gegenstände sind graduierbar, wobei die Übergänge zwischen einem Zustand, in dem eine Eigenschaft vorliegt, und einem anderen, in dem sie nicht mehr vorliegt, fließend sind, was die Bestimmung einer scharfen Grenze erschwert, es sei denn, man entschließt sich, künstliche Zäsuren zu setzen. In Gegensatz dazu, können die Typenbegriffe dank ihrer „Elastizität" von Gegenständen ausge20
J. Dembowski: O istocie ewolucji (Über das Wesen der Evolution) Warszawa 1924.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 1 0 7
sagt w e r d e n , die die definitorischen Eigenschaften in größerer oder geringerer Intensität besitzen, wenn sie nur dem entsprechenden T y p hinreichend ähnlich sind. 2 . D a n k dieser Eigenschaften erlauben die Typenbegriffe, die G e g e n s t ä n d e bezüglich des Intensitätsgrades ihrer Eigenschaften zu vergleichen, sie erlauben auch, in d a s C h a o s der unterschiedlichsten Erscheinungen, mit denen ein Forscher konfrontiert ist, eine O r d n u n g hineinzubringen, sie irgendwie zu systematisieren. Insbesondere erlauben die Typenbegriffe Evolutionsreihen der untersuchten P h ä n o m e n e aufzustellen. Zwei extrem gegenübergestellte R a n d t y p e n markieren in diesem Fall den A n f a n g und das Ende der geordneten Reihe. Hier einige Beispiele von Extremtypen, die eine Evolutionsreihe markieren: sakrale Gesellschaft — säkularisierte Gesellschaft; ländliche Familie — urbane Familie; J ä g e r w i r t s c h a f t — Landwirtschaft. Der von M. Weber — dem wichtigsten Theoretiker der Typenbegriffe u n d dem Verfechter ihrer Anwendung in der Wissenschaft — definierte Begriff des K a m p f e s stellt eine Veranschaulichung der aufgezählten Funktionen der Typenbegriffe dar. Die Elemente eines K a m p f e s — s a g t er — findet m a n auch in jeder friedlichen Tätigkeit. Aber friedliche Elemente finden sich wiederum in jedem K a m p f . Wenn wir den Typenbegriff des K a m p f e s u n d den des Friedens konstruieren, dann wird es dank der besonderen Deutlichkeit der die Intension dieser Begriffe ausmachenden Eigenschaften möglich, die entsprechenden P h ä n o m e n e zu o r d n e n und abzugrenzen. Indem wir konkrete Erscheinungen mit einem T y p vergleichen, können wir bestimmte Unterschiede zwischen beiden feststellen, auf die Idee erklärender H y p o t h e s e n k o m m e n und s o zu einem besseren Verständnis der erforschten P h ä n o m e n e gelangen. 2 1 Die obigen Anmerkungen beschreiben die Rolle, die — nach M e i n u n g der Vertreter einzelner Disziplinen — Typenbegriffe in der Wissenschaft spielen sollten. Welche Folgerungen ergeben 21
Vgl. M. Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1922, vor allem das Kap.: Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
sich daraus für die Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit dieser Begriffe? Hier drängen sich vor allem Forderungen bezüglich zweier Punkte auf: 1. der logischen Struktur, die ein Typenbegriff haben sollte sowie 2. der Bestimmung der Eigenschaften, die seine Intension ausmachen. Beides werde ich der Reihe nach besprechen. Welche logische Struktur sollte ein Typenbegriff haben, damit er zu einem wissenschaftlich nützlichen Begriff wird? Um diese Frage beantworten zu können, muß ich zuerst die klassifikatorischen von den komparativen Begriffen unterscheiden. Die Struktur der klassifikatorischen Begriffe läßt sich mit Hilfe der Satzfunktion Fx darstellen. Das Prädikat F bezeichnet die Eigenschaft, die dem Gegenstand χ zugeschrieben wird. Die Extension des Begriffs F ist die Menge aller Gegenstände, die die Funktion Fx erfüllen. Hier einige Beispiele von klassifikatorischen Begriffen: Quadrat, Biologe, Materialist, Buch. Der klassifikatorische Begriff F erlaubt, die Menge der untersuchten Gegenstände in zwei Teilmengen einzuteilen: in solche, die die Eigenschaft F haben, und in solche, deren Elemente diese Eigenschaft nicht haben. Anders sieht die Struktur der komparativen Begriffe aus. Sie läßt sich mit Hilfe der Satzfunktion xWy darstellen — der Gegenstand χ geht dem Gegenstand y unter dem gegebenen Aspekt voran, ζ. B. er übertrifft ihn an Intelligenz, an Wuchs usw. 2 2 Hier einige Beispiele von komparativen Begriffen: höher, intelligenter, naturalistischer, feudaler. Im Gegensatz zu den klassifikatorischen, erlauben es die komparativen Begriffe nicht, die Menge der erforschten Gegenstände in zwei Untermengen einzuteilen. Sie erlauben aber, diese Menge nach dem Intensitätsgrad der gegebenen Eigenschaft zu ordnen. Nun, einen Typenbegriff kann man nicht einfach mit einem bestimmten klassifikatorischen Begriff identifizieren. Wäre es so, 22
Streng genommen besteht hier noch eine weitere Satzfunktion: xRy — der Gegenstand χ ist bezüglich der Eigenschaft R dem Gegenstand y gleich. In der Alltagssprache wird dieser zweite Teil des komparativen Begriffs gewöhnlich ausgelassen.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 1 0 9
könnte man mit dessen Hilfe keine Evolutionsreihen der erforschten Phänomene bilden, und auch keine Vergleiche mit dem Typus hinsichtlich des Ähnlichkeitsgrades bestimmter Eigenschaften vornehmen. Vergleiche lassen sich nämlich nur mit Hilfe entsprechender vergleichender Begriffe anstellen. Damit nun ein Typenbegriff die gestellten Aufgaben erfüllen kann, muß er ein Ganzes aus zwei Teilen darstellen: aus einem bestimmten klassifikatorischen Begriff und aus ihm entsprechenden komparativen Begriffen. 23 Betrachten wir den Typenbegriff der bürgerlichen Moral. Die Intension des klassifizierenden Bestandteils dieses Begriffs setzt sich u. a. aus folgenden Eigenschaften zusammen: 1. 2. 3. 4.
Fleiß, Umsicht, Sparsamkeit, finanzielle Solidität.
Der komparative Bestandteil wird in diesem Fall ein System aus vier komparativen Begriffen sein: 1. 2. 3. 4.
fleißiger als, umsichtiger als, sparsamer als, finanziell solider als.
Erst ein so konstruierter Typenbegriff kann die Aufgaben erfüllen, die an die Typenbegriffe in den Geistes- und Sozialwissenschaften gestellt werden. Der Gebrauch eines Typenbegriffs in dem hier geschilderten Sinn, als einer Einheit aus zwei Bestandteilen, aus einem klassifikatorischen und einem komparativen, kann zur Lösung der Schwie23
D a s Problem der Typenbegriffe und ihrer Anwendung erörtere ich ausführlich in meinem Buch: Methodologische Probleme in den Geistesund Sozialwissenschaften. Braunschweig 1 9 7 5 . Vgl. auch C. G . Hempel, P. Oppenheim: Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik. Leiden 1 9 3 6 ; sowie ¡ja Lazari-Pawhwska: O pojçciu typologicznym w humanistyce (Typenbegriffe in den Geistes- und Sozialwissenschaften). In: T. Pawlowski (Hrsg.): Logiczna teoria nauki (Logische Wissenschaftstheorie) Warszawa 1966.
10
Pawlowski, Begnffsbildung
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
rigkeiten beitragen, auf die die Sozialwissenschaftler bei ihren Versuchen, Begriffe zu definieren, stoßen. Auf eine solche Schwierigkeit weist E. O. Czempiel in seinem Aufsatz hin: Friede und Konflikt in der Gesellschaftslehre.24 Der Autor geht u. a. auch auf die Schwierigkeiten ein, auf die die Versuche, den Begriff des Konflikts zu definieren, stoßen. Diese Schwierigkeiten wurden durch die gegenwärtig zu beobachtende Tendenz zur Verallgemeinerung dieses Begriffs noch verschärft. So verleiht ζ. B. Rapoport dem Begriff „Konflikt" eine so weite Extension, daß man meinen muß, ein so verstandener Konflikt sei Bestandteil jeder sozialen Beziehung. Es ergibt sich dann — stellt E. O. Czempiel fest — das Problem der Abgrenzung zwischen einem Konflikt und einer Situation, die man mit diesem Namen nicht bezeichnen möchte; und ein weiteres, das Problem der Intensität eines Konflikts, die sich in dessen Definition niederschlagen sollte.25 Nun scheint es, daß man beide Schwierigkeiten lösen kann, wenn man einen Typenbegriff des Konflikts im oben bestimmten Sinn konstruiert. Insbesondere liefert dann der zweite, komparative Bestandteil des Typenbegriffs Vergleichskriterien, die die Intensitätsgrade eines Konflikts wiedergeben können. Die zweite Bedingung der wisseenschaftlichen Nützlichkeit der Typenbegriffe, die sich aus ihrer eingangs beschriebenen Rolle in der Wissenschaft ergibt, betrifft die Wahl der Eigenschaften, die die Intension dieser Begriffe ausmachen. Das sollten wesentliche Eigenschaften in dem hier bestimmten Sinn sein. In dem Fall, in dem wir mit Hilfe eines Typenbegriffs eine Evolutionsreihe eines Phänomens aufstellen, bedingt die Wesentlichkeit der definitorischen Eigenschaften, daß eine Änderung des Intensitätsgrades dieser Eigenschaften, die man in der Evolutionsreihe beobachtet, von der Änderung des Intensitätsgrades vieler anderer Eigenschaften dieser Evolutionsreihe begleitet wird, und zwar der Eigenschaften, die vom Standpunkt der Wissenschaft, zu der der betreffende Typenbegriff gehört, interessant sind. Dies erlaubt die Formulierung zahlreicher Beziehungen zwischen der Änderung des Intensitätsgrades der definitorischen Eigenschaften und der 24
25
In der Zeitschrift: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 20/1974.
Ε. O. Czempiel op. cit. S. 7, Fn.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 1 1 1
Änderung des Intensitätsgrades dieser anderen Eigenschaften. Dadurch kann man Änderungen des Intensitätsgrades dieser Eigenschaften aufgrund der Änderungen des Intensitätsgrades der definitorischen Eigenschaften erklären. Eine solche Erklärung setzt offensichtlich die Berufung auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten voraus, durch die Änderungen der Intensitätsgrade der definitorischen Eigenschaften mit den Änderungen jener anderen Eigenschaften verbunden werden. Solche Gesetze entlehnen die Geisteswissenschaften aus verschiedenen nomologischen Wissenschaften, ζ. B. der Psychologie, der Soziologie, der Physiologie u. ä. Als Beispiel der Anwendung von Typenbegriffen zur Bildung von Evolutionsreihen der untersuchten Phänomene mag eine soziologische Monographie über die Familie dienen. 2 6 Ihre Autoren begründen folgende Hypothese: Die Familie hat sich seit der Zeit, seit der sie historisch beobachtet werden kann, stetig von einem institutionalisierten in ein kollegiales Stadium verwandelt. In der Vergangenheit waren wichtige Faktoren, die die Familie zusammenhielten, äußerer, formaler Natur, so wie Recht, Sitte, öffentliche Meinung, Tradition, die Autorität des Familienoberhaupts, strenge Disziplin, ein hochentwickeltes Ritual. Gegenwärtig gründet sich der Zusammenhalt der Familie in immer höherem M a ß e auf solchen zwischenmenschlichen Beziehungen, wie gegenseitige Zuneigung, einfühlsames Verständnis sowie Kameradschaft. Der Veränderungsprozeß von einer institutionellen zu einer kameradschaftlichen Familie, ist ein allmählicher. Die Veränderungen fanden in kaum wahrnehmbarer Weise statt. Die Feststellung dieser Veränderungen, ihre Darstellung und Erforschung, sowie die Entdeckung der hauptsächlichen Gesichtspunkte, unter denen die Familie sich verändert hat, wurde ermöglicht durch gut konstruierte Typenbegriffe. Die Autoren konstruieren zwei grundlegende Begriffe: „institutionalisierte Familie" und „kameradschaftliche Familie". Dank der Einführung dieser Idealtypen und der Benutzung entsprechender komparativer Begriffe, war es möglich, eine Evolutionsreihe aufzustellen, in der sich auf zwei gegenüberliegenden Polen Familien befinden, die 26
E. W. Burges, H. ]. Locke·. The Family. New York 1945.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
besonders intensiv ausgeprägte charakteristische Eigenschaften der beiden Familientypen haben. Fragen wir nun, wie es sich mit den Nützlichkeitsbedingungen verhält, die die Bestimmung der Extensionen der Typenbegriffe determinieren. Nun, im Falle der Typenbegriffe spielt das Problem der Bestimmung der Extension eine wesentlich geringere Rolle. Natürlich denke ich jetzt an die Extension des klassifizierenden Bestandteils des Typenbegriffs, denn nur in bezug auf diesen Bestandteil kann man von einer Extension im üblichen Sinn des Wortes sprechen. Die Bestimmung der Extension hat hier deshalb eine geringere Bedeutung, weil viele Typenbegriffe sog. Idealtypen darstellen, unter die — streng genommen — gar keine Gegenstände fallen. Die Intension der Idealtypen enthält nämlich eine Menge von Eigenschaften, die so zusammengesetzt und so intensiv sind, daß keiner der wirklich existierenden Gegenstände eine solche Menge von Eigenschaften besitzt. Die konkreten Gegenstände nähern sich nur mehr oder weniger dem Idealtyp. Ein bekanntes Beispiel eines Idealtyps ist der Begriff des homo oecconomicus, d. h. eines Menschen, der sich nur von wirtschaftlichen Motiven leiten läßt. Idealtypen sind auch die Begriffe des Partikularisten (particularist) und des Universalisten (universalist). 2 7 Die Intension des Begriffs „Partikularist" ist die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, der in einem Konflikt zwischen einer Verpflichtung persönlicher Natur (aus einer Freundschaft resultierend) und einer Verpflichtung sozialer Natur, den Konflikt immer zugunsten der persönlichen Verpflichtungen entscheidet. Dagegen entscheidet der Universalist einen solchen Konflikt immer zugunsten der sozialen Verpflichtungen. Es ist offensichtlich, daß so verstandene Partikularisten und Universalisten nicht existieren. Einzelne Menschen sind in größerem oder geringerem M a ß einem der beiden Idealtypen ähnlich. Die wissenschaftliche Nützlichkeit der Typenbegriffe hängt also vor allem von ihrer logischen Struktur und von der Bestimmung der Eigenschaften ab, die deren Intension ausmachen. Die Bestim27
Vgl. S. A. Stouffer, J. Toby: Role Conflict and Personality. In: Parsons and Shils (Eds): Toward a general Theory of Action. Cambridge, Mass. 1951.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 113 m u n g der Extension spielt hier eine geringere Rolle. Aus diesen Anmerkungen folgt, daß die Forderung, Typenbegriffe sollten nicht leer sein, d. h. es sollte Gegenstände geben, die sie bezeichnen, keine notwendige Bedingung für die Nützlichkeit dieser Begriffe ist. Die Einteilung der Typenbegriffe in solche, die Designate haben, und solche, die keine haben, deckt sich nicht mit der Einteilung der Begriffe in wissenschaftlich nützliche und nutzlose. Wissenschaftlich nützlich, wie auch nutzlos, können sowohl die einen wie auch die anderen Typenbegriffe sein. B. Definitionen
mit Bezug auf ein
Wertesystem
Eine wichtige Rolle bei der Definition der Begriffe spielt in den Geistes- u n d Sozialwissenschaften der Bezug auf ein Wertesystem. Bekanntlich gibt es keine Einheitlichkeit in den Ansichten über die Rolle der Werte und der Bewertungen in der Wissenschaft. Die einst von M. Weber postulierte, und später von den Vertretern des logischen Empirismus übernommene Forderung nach der Wertneutralität der Wissenschaftssprachen findet heute weniger Anhänger. Es scheint, daß es keine überzeugenden Argumente d a f ü r gibt, alle emotional-bewertenden Ausdrücke aus den Wissenschaftssprachen zu elimieren. Es wird auch darauf aufmerksam gemacht, d a ß diese Forderung nicht zu verwirklichen sei, weil psychologisch-soziologische Gesetzmäßigkeiten, denen die Sprache unterliegt, häufig sogar aus rein deskriptiven Ausdrücken solche bewertenden Charakters machen. 2 8 Es ist eine Tatsache, daß die Bestimmung der Intension und der Extension vieler Ausdrücke innerhalb der Geistes- und Humanwissenschaften durch ein akzeptiertes Wertesystem determiniert wird. Es geht hier, wenn auch nicht ausschließlich, um Wissenschaften, die irgendwie mit Bewertungen verbunden sind, wie die Theorie u n d die Geschichte der Künste, die Ethik, die Rechtswissenschaft, die Wirtschaftswissenschaften und auch die Disziplinen, in denen eine kritisch-methodologische Reflexion über diese Wissenschaften stattfindet. Die Autoren stellen im allgemeinen d a s Postulat, man solle bei den Begriffsdefinitionen mit 28
Vgl. hierzu die Anmerkungen im Kap. „Persuasive Definitionen".
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
einem akzeptierten Wertesystem rechnen, nicht bewußt auf. Sie prägen aber die Begriffe und argumentieren für ihre Definitionen sowie gegen die zurückzuweisenden wie jemand, der solche Postulate akzeptiert. Die folgenden Erörterungen stellen eine logische Rekonstruktion dieser stillschweigend angenommenen Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit der Definitionen dar. Worin beruht jene Berufung auf Werte? Die Analyse vieler Begriffe sowie der Auseinandersetzungen um deren „richtige" Definition fuhrt mich zur Unterscheidung folgender drei Faktoren. 1. Die von einem Autor oder aufgrund einer Anschauung akzeptierten Werte sollten ihren Ausdruck in den Definitionen der Termini finden, die Gegenstände bezeichnen, in denen sich jene Werte manifestieren. Diese Werterepräsentation kann unmittelbaren oder mittelbaren Charakter haben. Im Falle der unmittelbaren Repräsentation treten im Definiens Termini auf, die Eigenschaften bezeichnen, an deren Auftreten jene Werte gebunden sind. Bei einer mittelbaren Repräsentation treten im Definiens Namen von Eigenschaften auf, mit denen solche Werte verbunden sind, die mit den durch den Autor anerkannten Werten kollidieren. Gleichzeitig geht dann aus dem Sinn des Definiens hervor, d a ß ein Gegenstand mit solchen Eigenschaften negativ bewertet wird. Ein Beispiel dafür sind die unten angeführten Definitionen der Anpassung und der autoritären Religion. 2. Eigenschaften, die mit den vom Urheber einer Definition akzeptierten Werten verbunden sind, sollten wesentliche Eigenschaften in dem eingangs dieses Kapitels festgesetzten Sinn sein, d. h. in Anlehnung an diese Eigenschaften sollte es möglich sein, zahlreiche andere Eigenschaften der Gegenstände zu erklären, die durch den betreffenden Terminus bezeichnet werden. Ein Beispiel liefern die unten angeführten Beispiele der Definition der Kunst. 3. Die akzeptierten Werte sollten in einer Definition in der Weise zum Ausdruck kommen, daß im Falle der Annahme dieser Definition die Verbreitung dieser Werte oder deren Verteidigung ermöglicht wird. Als Beispiel dient die Definition der Kunst,
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 1 1 5
deren Ziel in der Verbreitung der akzeptierten Werte liegt. Die Verteidigung von Werten ist dagegen das Ziel der Definition der Anpassung und der autoritären Religion. In den bisherigen Ausführungen ist von dem Bezug einer Definition auf ein Wertesystem die Rede. Häufig aber wird eine Definition auf der Grundlage eines umfangreicheren Systems von Behauptungen und Annahmen konstruiert, dessen Bestandteil ein bestimmtes Wertesystem ist. Auch auf diese umfangreicheren Annahmensysteme treffen die obigen Anmerkungen zu. Es wurde bisher von den durch den Urheber einer Definition anerkannten Werten gesprochen, aber damit soll nicht nur der Autor gemeint sein, sondern eine beliebige Person, die die Definition akzeptiert. Und nun einige Beispiele, die die oben unterschiedenen drei Arten des Bezugs auf ein Wertesystem illustrieren sollen. Eine Definition der Religion. Ich will die Argumente, die E. Fromm gegen eine sog. autoritäre Religion vorbringt, und seine eigene Definition der Religion erörtern. Der Autor stützt seine Argumente auf seiner Konzeption der Persönlichkeit eines Menschen und dessen Bedürfnisse. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch das von E. Fromm angenommene Wertesystem.29 Die Reflexion auf die Situation des Menschen im Universum — stellt E. Fromm fest — die Erfahrung des eigenen Lebens als ein Thema der Existenzsorge, das Erleben der Vereinsamung und der Bedrohung, das Bedürfnis, die daraus entstehenden psychischen Spannungen zu lösen und auch das Bedürfnis nach einem gemeinsamen System von Sinngehalten und Werten haben seit jeher das ausgemacht, was wir mit dem Namen religiöse Erfahrung bezeichnen. Dieser vielen Religionen gemeinsame Grundbestand der religiösen Erfahrung wird ergänzt und modifiziert durch zusätzliche Elemente, die zwei entgegengesetzten Arten der Überwin29
Dieses Vorgehen ist nicht nur für viele geisteswissenschaftliche Disziplinen charakteristisch, sondern auch für einige Teile der zeitgenössischen Psychologie und Psychiatrie, vor allem für die Richtungen, die dem sog. geisteswissenschafdichen Ansatz verpflichtet sind. Vgl. ζ. B. die Arbeiten solcher Autoren wie Α. H. Maslow, Ch. Bühler und C. R. Rogers.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
dung des Gefühls der Einsamkeit und der sie begleitenden psychischen Spannungen entspricht: durch den Verzicht auf die eigene Autonomie und die Unterordnung unter irgendeinen äußeren Faktor, oder aber durch eine die Autonomie des einzelnen bewahrende Vereinigung mit diesem Faktor, die auf Liebe und schöpferischem Engagement beruht. Die erste Lösung ergibt einen Religionstypus, den E. Fromm als autoritär bezeichnet. Seine Definition lautet: Die Religion ist die Anerkennung einer höheren Gewalt durch den Menschen, die seine Geschicke kontrolliert und die ein Anrecht auf Gehorsam, Verehrung und Kult hat. Hier wird die Einsicht betont, daß der Mensch durch die höhere, außerhalb des Menschen stehende Gewalt kontrolliert wird. Über den autoritären Charakter einer so verstandenen Religion entscheidet auch die Tatsache, daß der Grund für den Kult, die Verehrung und den Gehorsam nicht in den moralischen Eigenschaften der Gottheit zu suchen ist, in der Liebe oder der Gerechtigkeit, sondern darin, daß sie Macht über den Menschen hat. Ein wesentliches Element einer autoritären Religion ist die Unterwerfung unter eine den Menschen überragende Gewalt. Die Haupttugend dieser Religion ist Gehorsam — ihre Hauptsünde, der Ungehorsam. Der autoritären Religion stellt Fromm den Begriff der humanitären Religion gegenüber: Eine Religion ist ein jegliches Gedanken- und Handlungssystem, das einer Gruppe gemeinsam ist und das dem einzelnen ein System bewertender Orientierung und ein Objekt der Verehrung liefert. Die Hauptgründe, aus denen E. Fromm der autoritären Religion seine eigene Konzeption der Religion gegenüberstellt, lassen sich auf die folgenden zwei Punkte reduzieren: 1. Die autoritäre Religion befriedigt nicht die grundlegenden geistigen Bedürfnisse des Menschen. 2. Sie vernichtet oder erlaubt nicht die Entwicklung derjenigen Persönlichkeitseigenschaften und derjenigen Bedürfnisse des
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften
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Menschen, in denen sich die vom Autor geschätzten Werte manifestieren. Zu diesen Werten zählen vor allem Autonomie, die Unabhängigkeit der Einzelperson, die für sich selbst verantwortlich ist; die Garantie von günstigen Bedingungen für die Selbstverwirklichung der Einzelperson, und die volle Entfaltung aller in ihr steckenden kreativen Möglichkeiten; die Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Grundlage einer weit gefaßten Liebe, Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit. Die autoritäre Religion führt zur Verneinung dieser Werte. Sie zerstört die Autonomie des einzelnen, ordnet ihn unter eine Kraft unter, die den Menschen überragt und durch die Übernahme der Verantwortung für sein Geschick seine Selbstverwirklichung sowie die Entfaltung seiner schöpferischen Möglichkeiten verhindert; als Grundlage der zwischenmenschlichen Beziehungen nimmt sie eine starre, asymmetrische Hierarchie an, was einer Entfaltung von Beziehungen, die auf Liebe, Gleichheit und Brüderlichkeit gründen, nicht dienlich ist. Aus diesen Annahmen Fromms, die die Folgen einer autoritären Religion charakterisieren, folgt unmißverständlich, daß die Religion im autoritären Sinn etwas negativ zu Bewertendes ist. Hier liegt also ein Fall vor, in dem die akzeptierten Werte in mittelbarer Weise in der Definition repräsentiert werden. Das Ziel der Definition ist hier die Verteidigung dieser Werte durch Aufzeigen der negativen, mit diesen Werten unvereinbaren Folgen der autoritären Religion. Anders verhält es sich im Falle der Definition der Religion, die Fromm akzeptiert. Die Definition enthält vieles von dem, was oben als vielen Religionen gemeinsamer Grundbestand der religiösen Erfahrung charakterisiert wurde. Dies eröffnet die Möglichkeit, die Religion mit dem von Fromm akzeptierten menschlichen Wertesystem in Verbindung zu bringen. Deshalb kann eine so verstandene Religion zur Verbreitung und zur Festigung dieser Werte beitragen. Eine Definition der Anpassung. „Anpassung" ist ein Begriff, der eine wichtige Rolle in der gegenwärtigen Soziologie und Sozialpsychologie spielt. Es ist gleichzeitig ein überaus kontroverser
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
Begriff, was die mit ihm assoziierten unterschiedlichen Werthaltungen betrifft. Viele Soziologen betonen, daß die Anpassung unerläßlich dafür ist, daß die Einzelperson ein Mitglied der Gesellschaft wird. Jede Gesellschaft funktioniert nämlich aufgrund bestimmter Regeln und Wertesysteme. Ihre Annahme gibt der Einzelperson Muster bewertender Orientierungen an die Hand, nach denen sie sich in ihrem Denken und Handeln richtet, und so zu einem Mitglied der Gesellschaft wird. Es muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Anpassung eine graduierbare Eigenschaft ist, die sich in größerem oder schwächerem M a ß manifestieren kann. Die Anpassung kann auch selektiv stattfinden, indem bestimmte Normen und Werte betont, bestimmte andere dagegen ausgelassen oder in geringerem Maße berücksichtigt werden. Eine allzu große, unkritische Anpassung, oder eine übertriebene Anpassung in einer bestimmten Hinsicht unter Vernachlässigung anderer Aspekte, tritt mit solchen Werten in Konflikt wie Autonomie der Einzelperson, ihre Individualität, Reichtum und Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten sowie zwischen den kulturellen Produkten, und schließlich mit der Möglichkeit, Änderungen und Reformen der bestehenden Ordnung durchzuführen. Autoren, die diese Werte verteidigen, heben die Gefahren hervor, die diesen Werten durch die angepaßten Handlungsweisen drohen. Zu diesem Zweck definieren sie den Begriff der Anpassung in der Art und Weise, daß seine — von ihrem Standpunkt aus — negativen Aspekte hervorgehoben werden, was sie manchmal sehr kraß machen. Die von diesen Autoren verteidigten Werte finden also in den Definitionen der Anpassung, die sie aufstellen, eine mittelbare Repräsentation. Gleichzeitig hegen sie die Hoffnung, die Verbreitung derjenigen Begriffe der Anpassung, die mit negativen Eigenschaften belastet sind, werde zur Verteidigung der von ihnen geachteten Werte beitragen. Es gibt viele Definitionen der Anpassung, die mögliche negative Eigenschaften dieser Haltung verdeutlichen, um dadurch die Gesellschaft vor dieser Haltung zu warnen. Ich will zwei dieser Definitionen anführen. Jede betont verschiedene Aspekte der Anpassung.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 1 1 9
Eine Einzelperson ist an eine soziale Gruppe angepaßt, wenn sie in ihrem Verhalten die in dieser Gruppe gültigen Normen und Werte in der Art und Weise realisiert, daß ihr dadurch ein konfliktloses Leben ermöglicht wird. 3 0 Über eine in dieser Weise angepaßte Person stellt der Autor dieser Definition nach folgendes fest: „Sie hat Erfolg in der Arbeit und auch in politischen und gesellschaftlichen Kontakten, sie hat in allen Situationen Erfolgserlebnisse. Negative emotionale Zustände, wie Angst, Wut, Niedergeschlagenheit, treten bei ihr selten auf. Sie macht auf andere den Endruck eines glücklichen und zufriedenen Menschen, und sicherlich hält sie sich auch selbst für einen solchen. Wahrscheinlich würden nicht viele Soziologen einen solchen Zustand als ideal bezeichnen. In unserem zwanzigsten Jahrhundert gibt es nämlich zu viele Sachen, die Niedergeschlagenheit auslösen sollten." 3 1 Und hier die Definition von E.
Fromm:
Ein angepaßter Mensch ist einer, der sich zu „ W a r e " gemacht hat, der überhaupt nichts Standhaftes und Bestimmtes hat, außer dem Bedürfnis, anderen zu gefallen und der Bereitschaft zum Rollenwechsel. So lange, wie ihm dies gelingt — ergänzt Fromm weiter — genießt er ein gewisses Sicherheitsgefühl, aber die Tatsache, daß er sein höheres „ I c h " und die menschlichen Werte verraten hat, erzeugt in ihm eine innere Leere. 3 2 Eine Definition der Kunst. Die bisher analysierten Beispiele „Religion" und „ A n p a s s u n g " veranschaulichen den Einfluß, den ein bestimmtes angenommenes System ethischer Werte auf eine Definition ausübt. Jetzt will ich zeigen, wie besonders geschätzte ästhetische Werte die Definition der Kunst beeinflussen. „ K u n s t " gehört zu den äußerst schwer zu definierenden Begriffen; einige Theoretiker zweifeln sogar, ob es möglich sei, eine 30
31 32
Dies ist eine Rekonstruktion der Definition der Anpassung in Anlehnung an R. W. Cohan: The Optimal Personality. London 1947. R. W. Cohan op. cit. S. 11. E. Fromm: Psychoanalysis and Religion.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
korrekte und zufriedenstellende Definition dieses Begriffs aufzustellen. Es erheben sich auch oft Zweifel, die den methodologischen Status der angegebenen Bestimmungen betreffen. Nicht immer ist es klar, ob dies Nominaldefinitionen sein sollen, die terminologische Festsetzungen darstellen und die den Sinn des Terminus „Kunst" bestimmen sollen, oder eher Realdefinitionen, d. h. bestimmte empirische Feststellungen, die eine eindeutige Charakterisierung der Gegenstände angeben, die Kunstwerke sind. Eine Nominaldefinition wird aufgrund der Annahme akzeptiert, daß sie eine terminologische Festsetzung darstellt; eine Realdefinition darf man nur aufgrund entsprechender empirischer Untersuchungen annehmen. Eine eindeutige Zuordnung einer Definition zu einer der beiden Klassen wird durch die Tatsache erschwert, daß Realdefinitionen nach einer bestimmten Zeit häufig zu Nominaldefinitionen werden. Auf diese Weise wird der in empirischen Untersuchungen entdeckte Komplex von Eigenschaften, der für eine bestimmte Klasse von Gegenständen charakteristisch ist, in der Folge als die Intension des Terminus angesehen, der diese Klasse bezeichnet.33 Eine Reihe von Aspekten der Kunstwerke sind mit ihrer ästhetischen Wertschätzung verbunden, wie ζ. B. Form, Ausdruck, Thema, Abbildungstreue. Die einzelnen Ansichten über das Wesen der Kunst, die sich im Verlauf der Jahrhunderte herausgebildet haben, unterscheiden sich u. a. darin, daß sie den einen oder den anderen Aspekt als den wichtigsten, oder den wertvollsten ansehen. Formalismus, Voluntarismus, Emotionalismus, Intellektualismus, Intuitionismus, Organizismus - das sind die bekannteren Richtungen.34 In jeder dieser Richtungen wurde eine eigene Definition der Kunst aufgestellt, die in Konkurrenz zu Definitionen anderer Richtungen stand. Genauer gesehen, war es eine Reihe von Definitionen, die aber aus der Zugehörigkeit zu 33
34
Über Real- und Nominaldefinitionen sowie über den Ubergang der einen in die andere schreibe ich im Kap. „Uber verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens". Vgl. M . Weitz: The Role of Theory in Esthetics. In: M. Rader (Ed.): A M o d e m Book o f Esthetics. New York 1964.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozial Wissenschaften
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einer bestimmten Richtung resultierende wesentliche Ähnlichkeiten aufwiesen. Ich werde im folgenden zwei Definitionen der Kunst analysieren und vergleichen, und zwar die des Formalismus und die des Emotionalismus. Wir werden sehen, wie die ästhetischen Werte, die innerhalb dieser Richtungen als die obersten Werte angesehen werden, die Definition des Terminus „Kunst" beeinflussen. Die Vertreter des Formalismus, z. B. C. Bell oder R. Fry. behaupten, es sei nicht wichtig, was ein Kunstwerk darstellt, sondern wie es darstellt. Das gewählte Thema kann gewöhnlich sein, bedeutend sei nur die Form, in der das Thema dargestellt wird. 35 Manchmal behaupten sie sogar, das Ziel der Kunst sei überhaupt nicht die Darstellung von irgend etwas, die Kunst „sollte mit der Wirklichkeit überhaupt nichts gemeinsam haben". 36 Nur die Wahrnehmung der Form eines Kunstwerks verschafft wirklich tiefe Erlebnisse eigener Art, die von anderen Aspekten des Werkes unabhängig sind, wobei diese Erlebnisse intensiver und wertvoller werden, je komplexer die Form. Andere, z.B. die inhaltlichen Aspekte der Kunst, können nur die Quelle von Empfindungen sein, die das niedrigere, instinktmäßige Leben betreffen. Wer ein Kunstwerk wirklich und nicht nur zum Schein versteht, wer es richtig wahrnimmt, der weiß, daß nur die Form beim Kunstwerk wichtig ist, und er kann auf die Form ohne inhaltliche Assoziationen reagieren, die etwas Äußeres, die Aufnahme des Kunstwerks Störendes sind. Das ist aber eine schwierige, seltene und elitäre Fähigkeit. Deren Erwerb verlangt Anstrengung und häufigen Umgang mit Kunstwerken. Die Empfindungen, die durch die Form hervorgerufen werden, sind von Dauer, und die Berühmtheit formal vollendeter Kunstwerke überdauert Jahrhunderte. In Gegensatz dazu sind die Erlebnisse, die durch den Inhalt hervorgerufen werden, flüchtig, und das Ansehen von kurzer Dauer. 37 35 36 37 11
Vgl. R. Fry: Pure and Impure Art. In: A Modern Book of Esthetics, S. 307 Fn. Vgl. W. Tatarkiewicz: Dzieje szesciu pojçc. (Die Geschichte von sechs Begriffen) Warszawa 1975. R. Fry op. cit. Pawlowskí, Bcgnffsbildung
122
Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
Die obigen Aussagen der Formalisten enthalten Behauptungen über die ästhetischen Werte, in denen die Form als das Wertvollste eines Kunstwerks angesehen wird. Die Aussagen enthalten auch bestimmte Voraussetzungen, nach denen Erlebnisse, die durch die richtige Wahrnehmung der Form eines Kunstwerks hervorgerufen werden, an sich wertvoll, tief und von Dauer seien, und der lang anhaltende Ruhm bestimmter Kunstwerke erkläre sich nicht aus dem Inhalt, sondern aus der Vollkommenheit der Form. Diese Voraussetzungen und die akzeptierte Hierarchie der ästhetischen Werte haben die formalistische Definition der Kunst geprägt, die folgendermaßen lautet: Ein Kunstwerk ist eine nicht wiederholbare Vereinigung bestimmter Elemente, die eine signifikante Form bilden. 3 8 Dieser Definition wird die Bestimmung gegenübergestellt, die innerhalb des Emotionalismus aufgestellt wird: Ein Kunstwerk ist der äußere Ausdruck — mit Hilfe von Linien, Farben, Bewegung, Tönen oder Wörtern — von Gefühlen, die ein Mensch empfindet. 39 Auch die emotionalistische Definition wird durch ein bestimmtes System von Ansichten und Werten bestimmt. So betrachtet der Emotionalismus — im Gegensatz zum Formalismus — die formalen Aspekte eines Kunstwerks als etwas Sekundäres und Subsidiäres, als ein Mittel, welches nur so weit geschätzt wird, inwieweit es zum Erreichen des Zieles dient. Dieses Ziel, das Ziel der Kunst, ist der Ausdruck von Empfindungen. J e besser ein Kunstwerk die Empfindungen ausdrückt, desto größer ist sein Wert, und ebenso der Ruhm, den es dem Künstler bringen wird. 4 0 Daraus folgt, daß der am höchsten eingestufte Wert eines Kunstwerks seine Wahrhaftigkeit ist, die verstanden wird als die Richtigkeit des Ausdrucks, und die Übereinstimmung zwischen 38 39
40
Vgl. M. Weitz op. cit. S. 201. Vgl. E. Veron: Art as the Expression of Emotion, sowie L. Tolstoy : The Communication of Emotion. Beide in: A Modern Book of Esthetics. E. Veron op. cit. S. 35.
Beispiele aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 1 2 3
den Gefühlen sowie dem Charakter des Künstlers und dem, was in dem Kunstwerk zum Ausdruck kam. Die getreue Darstellung einer äußeren Realität wird dagegen nicht als Wert des Kunstwerks und überhaupt nicht als Ziel der Kunst angesehen. Eine photographische Nachbildung ist das Gegenteil von Kunst; ein richtiger Künstler formt die Züge der Natur um, um eigene Empfindungen auszudrücken. Daraus folgt aber nicht, daß die Wahl des dargestellten Gegenstandes beliebig sei, wie das im Formalismus der Fall war. Diese Wahl wird vielmehr von dem mehr oder weniger unbewußten Streben nach Ubereinstimmung zwischen dem Charakter des dargestellten Gegenstandes oder Naturausschnitts mit dem Charakter des Künstlers determiniert. 41 Faßt man die dargestellten wichtigsten Voraussetzungen und Werte des Formalismus und des Emotionalismus sowie die aufgrund dieser Grundanschauungen formulierten Definitionen des Kunstwerks zusammen, kann man feststellen: 1. In beiden Definitionen wird das akzeptierte Wertesystem unmittelbar repräsentiert — im jeweiligen Definiens treten Namen der Eigenschaften auf, mit denen die von der jeweiligen Richtung am höchsten eingestuften Werte zusammenhängen. 2. Die Eigenschaften, die mit diesen Werten zusammenhängen, und mit deren Hilfe in diesen Definitionen die Kunst bestimmt wird, sind in der Intention der Autoren dieser Definitionen wesentliche Eigenschaften. Sie meinen nämlich, man könne mit diesen Eigenschaften unterschiedliche psychische und gesellschaftliche Phänomene der Rezeption von Kunstwerken erklären, wie ζ. B. charakteristische Eigenschaften ästhetischer Erfahrungen, oder die Dauer der gesellschaftlichen Anerkennung der Künstler und der Kunstwerke. 3. Außerdem haben diese Definitionen zum Ziel, die ästhetischen Werte, die innerhalb der besprochenen Richtungen als die obersten angesehen werden, zu verbreiten.
41
E. Veron ibid.
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Kap. III: Wissenschaftliche Nützlichkeit von Definitionen
Die skizzierten Aussagen der Anhänger des Formalismus und des Emotionalismus sowie die von ihnen aufgestellten Definitionen der Kunst können Zweifel oder Vorwürfe hervorrufen. Es ist jedoch nicht mein Ziel, an dieser Stelle die Korrektheit und die Richtigkeit dieser Anschauungen zu analysieren. Es ging mir darum, den Einfluß einer akzeptierten Menge von Voraussetzungen oder eines Wertesystems auf die Definition von Begriffen nachzuweisen, in diesem Fall auf die Definition der Kunst.
Kapitel IV
Partielle Definitionen Einleitende Bemerkungen. Vollständige partielle Definitionen
und
Wenn man im Alltag oder in den Wissenschaften über Definitionen spricht, meint man meistens die normale Äquivalenzdefinition. Hier ein einfaches Beispiel einer solchen Definition: (1) Ein Student ist der Hörer an einer Hochschule. In der Äquivalenzdefinition ist die Intension und die Extension des definierten Terminus der Intension und der Extension des definierenden Terminus äquivalent. 1 Dadurch wird in einer Äquivalenzdefinition der definierende Ausdruck vollständig bestimmt, d. h. die Definition liefert Kriterien, die im Prinzip2 zu entscheiden erlauben, ob ein Gegenstand unter den definierten Ausdruck fällt oder nicht. So erlaubt ζ. B. die obige Definition, das Wort „Student" von jeder Person auszusagen, die Hörer an einer Hochschule ist. Gleichzeitig schließt diese Definition alle Menschen aus der Menge der Studenten aus, die keine Hörer an einer Hochschule sind. Wir wollen nun fragen, wie eine Definition aussehen würde, die die Extension des Wortes „Student" unvollständig, nur teilweise bestimmt. Hier ergeben sich nun einige Möglichkeiten. Dies kann 1
2
Mehr Beispiele der Äquivalenzdefinitionen im Kap. „Uber verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens." Dort werden auch die Begriffe erklärt, die zur Beschreibung der Bestandteile einer Definition erforderlich sind. Unter der Bedingung, daß dies nicht durch den besonderen Charakter des Definiens ausgeschlossen wird, wie ζ. B. seine Vagheit. In der partiellen Definition ist dies durch ihre logische Struktur ausgeschlossen.
126
Kap. IV: Partielle Definitionen
eine Definition sein, die nur eine hinreichende3 Bedingung dafür angibt, daß jemand ein Student ist, d. h. ein bestimmtes positives Kriterium für die Anwendung des Wortes „Student", ζ. B.: (2) Wenn sich jemand in Mathematik an einer Universität ausbildet, ist er ein Student. Die Definition (2) bestimmt nur einen Teil der Extension des Wortes „Student". Man kann sie durch andere partielle Definitionen ergänzen, die zusätzliche hinreichende Bedingungen dafür angeben, daß jemand ein Student ist, ζ. B. die Definition: (3) Wenn sich jemand in Kunstgeschichte an einer Hochschule ausbildet, dann ist er ein Student. Man kann noch andere Definitionen annehmen, die noch weitere hinreichende Bedingungen dafür angeben, wie der Terminus „Student" angewendet werden soll. Indem wir in dieser Weise das partielle Kriterium (2) ergänzen, würden wir schließlich zur Aufzählung aller hinreichenden Bedingungen kommen, was dann eine Formulierung der vollständigen Definition des Studenten erlauben würde. Die Ergänzung der partiellen Kriterien durch weitere partielle Kriterien führt aber nicht immer zur Aufstellung einer vollständigen Definition des betreffenden Begriffs. Darauf werde ich noch zurückkommen. Jetzt will ich zunächst darauf aufmerksam machen, daß eine teilweise Bestimmung der Art, wie sie die Beispiele (2) und (3) illustrieren, auch noch in einem weiteren Sinn eine partielle Definition darstellt. Sie liefert nämlich nur positive Kriterien der Anwendung des definierten Terminus. Sie erlaubt uns aber nicht zu entscheiden, wann ein bestimmter Gegenstand nicht unter den definierten Terminus fällt, sie liefert uns also keine negativen Kriterien. Solche negativen Kriterien lassen sich durch die Einführung partieller Definitionen erhalten, die eine notwendige Bedingung4 der Anwendung des definierten Terminus angeben. So 3
4
Bekanntlich ist der Faktor A eine hinreichende Bedingung für den Faktor B, wenn es der Fall ist, daß beim Auftreten von A auch Β auftritt. Der Faktor A ist eine notwendige Bedingung für den Faktor B, wenn es der Fall ist, daß beim Nichtauftreten des Faktors A auch Β nicht auf-
Einleitende Bemerkungen
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gibt ζ. B. die folgende partielle Definition ein negatives Kriterium für den Terminus „Student" an: (4) Wenn jemand nicht Hörer an einer Hochschule ist, ist er kein Student. Natürlich lassen sich hier ebenso wie bei den positiven Kriterien mehrere partielle Bestimmungen annehmen, die verschiedene negative Kriterien liefern. So geben ζ. B. die beiden folgenden Bestimmungen negative partielle Kriterien für den Terminus „Quadrat" an. (5) Wenn in einer geometrischen Figur nicht alle Winkel rechte sind, dann ist sie kein Quadrat. (6) Wenn sich die Diagonalen einer geometrischen Figur nicht halbieren, dann ist diese Figur kein Quadrat. Man muß hinzufügen, daß das negative Kriterium manchmal nicht in der Form einer notwendigen Bedingung formuliert wird, wie das bei den Definitionen (4), (5) und (6) der Fall ist, sondern in der Form einer für die Anwendung der Negation des definierten Terminus hinreichenden Bedingung, ζ. B. (7) Wenn die Summe der Winkel einer geometrischen Figur 180 Grad beträgt, dann ist diese Figur kein Quadrat. Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, daß im Vergleich mit den vollständigen Definitionen die partiellen Definitionen etwas „Schlechteres", Unvollständiges sind. Warum sollten wir daher die partiellen Definitionen überhaupt anwenden? Sollte man die Begriffe nicht ausschließlich vollständig bestimmen? Nun, dies ist nicht immer möglich. Ursache dafür ist oft der unzureichende Entwicklungsstand der Erforschung entsprechender Phänomene. Die Aufstellung einer vollständigen Definition der in Frage kommenden Begriffe wäre in dieser Situation wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Die verfrühten Versuche, diese Begriffe vollständig zu bestimmen, würden zu inadäquaten tritt. Bedingungen, die hinreichend und notwendig zugleich sind, stellen Äquivalenzen dar. Die vollständige Definition gibt eine äquivalente Bedingung für den definierten Terminus an.
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Kap. IV: Partielle Definitionen
oder wissenschaftlich unbrauchbaren Begriffen fuhren. In diesen Fällen trägt die Verwendung partieller Definitionen nicht nur zur Vermeidung dieser Fehler bei, sondern sie hilft auch häufig, ein vollständigeres Wissen über einen komplexen Bereich zu erwerben, indem sie ein Verfahren zur Unterscheidung einzelner Aspekte dieses Bereichs liefert, wodurch seine Erforschung erleichtert wird. Ich werde im folgenden auf einige solche Situationen in den Geisteswissenschaften eingehen. In anderen Fällen sind die Beweggründe für die Anwendung partieller Definitionen prinzipieller Art. 5 Man weiß nämlich heute, d a ß es eine große Klasse von Begriffen gibt, die man Dispositionsbegriffe nennt und die sich nur unvollständig bestimmen lassen. 6 Hierzu gehören Begriffe, die verschiedene physische oder psychische Dispositionen, Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen usw. bezeichnen, wie ζ. B.: sichtbar, fühlbar, zerbrechlich, löslich, magnetisch, elastisch, entfremdet, frustriert, fortschrittlich, tolerant, Reizschwelle. Viele der nur partiell definierten Termini gehören zu den theoretischen Begriffen der verschiedensten Wissenschaften. 7 Ich möchte diese einführenden Bemerkungen mit dem Hinweis abschließen, daß die vollständige Definition — im Gegensatz zur partiellen — dem sog. Kriterium der Eliminierbarkeit genügt, d. h. sie erlaubt jeden Satz, in dem der definierte Terminus auftritt, durch einen Satz zu ersetzen, in dem dieser nicht mehr vorkommt. Diesen neuen Satz erhält man, indem man im ersten für den definierten Terminus das Definiens einsetzt. Hier ein Beispiel dieser Operation. Gehen wir aus von der Behauptung: 5 6
7
Vgl. hierzu Anm. 15. Es gibt eine Klasse von sowohl in der Alltagssprache als auch in den Wissenschaftssprachen auftretenden Begriffen, deren Definitionen auf andere Schwierigkeiten stoßen. Auf solche Begriffe hat L. Wittgenstein aufmerksam gemacht. Vgl. hierzu das Kap.: Begriffe mit Bedeutungsfamilien und ihre Definitionen. Als Beispiel kann der Begriff des Genotyps dienen. Seine partielle Definierbarkeit zeigt M. Przeiqcki: On the Concept of Genotype. In: Form and Strategy in Science. Methodological Essays Honoring J. H. Woodger. Cambridge 1962.
Die Argumentation Catnaps
129
(8) Der vierte Satz des Forellenquintetts von Schubert besteht aus einer Variation, die einen mittleren Charakter zwischen einer Figurai-Variation und einer Charakter-Variation hat. Nehmen wir weiterhin die folgende Definition der FiguraiVariation an: (9) Eine Figurai-Variation ist eine Variation, in der die wesentliche melodisch-rhythmische Struktur unverändert bleibt. Aufgrund der Definition (9) läßt sich der Satz (8) durch den folgenden gleichwertigen Satz ersetzen, in dem der definierte Terminus nicht mehr vorkommt: (10) Der vierte Satz des Forellenquintetts von Schubert besteht aus einer Variation, die einen mittleren Charakter zwischen einer Variation hat, in der die wesentliche melodischrhythmische Struktur unverändert bleibt, und einer Charakter·Variation. Die Argumentation
Carnaps
Auf die Existenz von Begriffen, die nur partiell definierbar sind, hat als erster Rudolf Carnap in der heute allgemein bekannten Schrift „Testability and Meaning" hingewiesen.8 In dieser Arbeit analysiert er das konkrete Beispiel der Definition des Begriffs „wasserlöslich", und zeigt, daß die Versuche, ihn vollständig zu definieren, fehlschlagen müssen. Wenn wir fragen, worin die Wasserlöslichkeit beruht, können wir folgende Antwort erhalten: (11) Ein Gegenstand ist wasserlöslich genau dann, wenn er mit dem Wasser eine optisch homogene Lösung bildet. 8
In: Philosophy of Science 3, 1936 und 4, 1937. Dieser Artikel ist inzwischen in zahlreichen Nachdrucken zugänglich, so z. B. in: H. Feigl, M. Brodbeck (Eds): Readings in the Philosophy of Science. New York 1953. Uber partielle Definitionen schreiben u. a. auch W. K. Essler: Wissenschaftstheorie I. Definition und Reduktion. Freiburg, München 1970; E. vonSavigny: Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren. München 1970. Vgl. auch W. Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Bd. II: Theorie und Erfahrung. Berlin, New York 1970.
Kap. IV: Partielle Definitionen
130
Nun gibt es zwei Möglichkeiten, diese Definition zu verstehen. Um ihre Richtigkeit analysieren zu können, werde ich sie in symbolischer Schreibweise darstellen, wobei ich mich folgender Bezeichnungen bediene: Wx Ex,t Löx, t
— Der Gegenstand χ ist im Wasser löslich — Der Gegenstand χ wurde zum Zeitpunkt t ins Wasser eingetaucht — Der Gegenstand χ bildet zum Zeitpunkt t mit dem Wasser eine optisch homogene Lösung
Außerdem gebrauche ich die üblichen logischen Symbole für Äquivalenz: = (genau dann, wenn); die Implikation: —* (wenn . . ., dann . . . ) ; die Konjunktion: & (und) sowie den Allquantor: Λχ (für alle χ gilt, . . .). 9 M i t diesen Symbolen nimmt die erste Interpretation der Definition ( 1 1 ) , die durch das übliche Verständnis des dispositionellen Charakters eines Begriffs nahegelegt wird, folgende Form an: (12) W x = At [Ex, t —> L ö x , t ] 1 0 Die Definition (12) erweckt keine Einwände, wenn für den Nachweis, o b ein Gegenstand im Wasser löslich ist, der durch die Definition vorgesehene Test vorgenommen werden kann, d. h. wenn m a n den betreffenden Gegenstand ins Wasser legen kann. Es soll ζ. B. die Variable χ ein Kochsalzkristall repräsentieren, das wir ins Wasser gelegt haben. Aus der Definition (12) geht dann hervor, daß dieses Kristall im Wasser löslich ist, denn es bildet in der Tat mit dem Wasser eine optisch homogene Lösung. Das ist ein Ergebnis, das mit dem alltäglichen und dem wissenschaftlichen Verständnis des Terminus „wasserlöslich" vollkommen übereinstimmt. 9
10
Eine umfangreiche Erklärung der logischen Regeln und Begriffe findet man in P. Lorenzen·. Formale Logik. Berlin 1970. Wörtlich: der Gegenstand χ ist genau dann im Wasser löslich, wenn es der Fall ist, daß für jeden Zeitpunkt t gilt, wenn χ zum Zeitpunkt t ins Wasser getaucht wird, dann bildet χ zum Zeitpunkt t mit dem Wasser eine optisch homogene Lösung.
Die Argumentation Carnaps
131
Ein ähnlich übereinstimmendes Ergebnis erzielen wir dann, wenn wir annehmen, daß die Variable χ ein einfaches Streichholz repräsentiert, das wir tatsächlich ins Wasser getaucht haben. Weil es mit dem Wasser keine optisch homogene Lösung bildet, ist es — aufgrund der Definition (12) — nicht wasserlöslich. Schwierigkeiten tauchen dann auf, wenn wir den bestätigenden Test, der im Satz E x , t beschrieben ist, nicht durchführen können. Nehmen wir an, die Variable χ repräsentiert jetzt ein Streichholz, das abgebrannt ist, bevor man es ins Wasser gelegt hat. Aufgrund dieser Annahme ist der Satz E x , t immer (zu jedem Zeitpunkt t) falsch, und in Anbetracht dessen ist die Implikation E x , t —* L ö x , t immer wahr (zu jedem Zeitpunkt t). 1 1 Diese Implikation ist die rechte Seite der Äquivalenz (12). In diesem Fall aber muß man — entgegen der Evidenz — auch den Satz Wx als wahr akzeptieren, der jetzt behauptet, daß ein einfaches Streichholz im Wasser löslich ist. Wenn nämlich die rechte Seite der akzeptierten Äquivalenz (12) wahr ist, muß auch ihre linke Seite wahr sein. 1 2 Die Formulierung (12) taugt daher nicht als Definition des Begriffs der Wasserlöslichkeit, weil sie als wasserlöslich auch bestimmte Körper ansieht, deren Nichtlöslichkeit offenkundig ist. Es könnte jemand einwenden, daß die soeben analysierte Interpretation der Definition (11) deshalb zu Konsequenzen geführt 11
Eine Implikation ist wahr, wenn ihr Vordersatz falsch oder ihr Nachsatz wahr ist. Die Implikation ist nur dann falsch, wenn ihr Vordersatz wahr, der Nachsatz aber trotzdem falsch ist. Diese Zusammenhänge erfaßt die folgende Tabelle, in der 1 die Wahrheit und 0 die Falschheit bezeichnen:
12
In einer wahren Äquivalenz sind die Bestandteile entweder beide wahr oder beide falsch. Die Äquivalenz ist dagegen falsch, wenn ihre Bestandteile unterschiedliche logische Werte haben, d. h. wenn der eine wahr und der andere falsch ist.
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Kap. I V : Partielle Definitionen
hat, die dem gängigen Verständnis der Wasserlöslichkeit widersprechen, weil die Wasserlöslichkeit von der Durchführung des Tests E x , t , d.h. vom Eintauchen ins Wasser konditional abhängig gemacht wurde. Man müßte vielleicht die Durchführung des Tests bedingungslos garantieren, indem man auf der rechten Seite der Äquivalenz (12) statt der Implikation eine Konjunktion setzt. Die so entstandene zweite Interpretation der Definition (11) würde nun folgende Form annehmen: (13) W x = At [Ex, t & LÖx, t] 1 3 In der T a t , die Definition (13) hat diese absurde Konsequenz nicht mehr: jenes abgebrannte Streichholz ist aufgrund dieser Definition nicht wasserlöslich. Die Falschheit des Satzes Ex,t zieht nämlich die Falschheit der ganzen Konjunktion Ex,t & L Ö x , t nach sich. 14 Wenn also die rechte Seite der akzeptierten Äquivalenz (13) falsch ist, muß auch ihre linke Seite Wx falsch sein, was bedeutet, daß jenes abgebrannte Streichholz im Wasser nicht löslich ist. Trotzdem eignet sich der Ausdruck (13) nicht als eine zutreffende Definition des Begriffs „wasserlöslich", weil sich aus ihm bestimmte andere Konsequenzen ergeben, die dem allgemeinen Wissen widersprechen. Man müßte nämlich aufgrund der Definition (13) bestimmte Körper als im Wasser nicht löslich ansehen, die ganz offenkundig zu den wasserlöslichen gehören, ζ. B. Kochsalz. Nehmen wir an, die Variable χ repräsentiert ein Kochsalzkristall, das vernichtet wurde, bevor man es je ins Waser tauchte. Dieser Annahme entsprechend ist der Satz E x , t immer falsch (für jeden Zeitpunkt t). Ebenfalls ist die Konjunktion Ex, t & LÖx, t immer falsch, die die rechte Seite der Äquivalenz (13) darstellt. Entgegen aller Evidenz muß nun auch die linke Seite dieser Äquivalenz W x falsch sein. Das Kochsalzkristall würde dann aufgrund dieser Definition zu den Stoffen gehören, die im Wasser nicht löslich sind. 13
W ö r t l i c h : der Gegenstand χ ist im Wasser genau dann löslich, wenn χ ins W a s s e r getaucht wird und wenn er mit dem Wasser eine optisch h o m o g e n e Lösung bildet.
14
Bekanntlich ist die Konjunktion wahr, wenn alle ihre Bestandteile wahr sind, u n d falsch, wenn zumindest ein Bestandteil falsch ist.
Arten von Partiellen Definitionen
133
Wir haben gesehen, daß die erste Interpretation (12) und die jetzige (13) der nicht ganz exakten Formulierung (11) des Begriffs der Wasserlöslichkeit zu keiner zutreffenden Definition dieses Begriffs führen. Dies geschieht deshalb, weil dieser Begriff ein Dispositionsbegriff ist und sich als solcher mit einer Äquivalenzdefinition nicht vollständig definieren läßt. R. Carnap hat diese Schwierigkeit aufgezeigt und gleichzeitig eine Lösung vorgeschlagen in der Form der sog. Definition durch Reduktionssätze, die — wie noch zu zeigen sein wird — eine Gruppe der partiellen Definitionen sind.15 Arten von partiellen
Definitionen
In einer vollständigen Definition gibt es eine enge Verbindung zwischen dem definierten und dem definierenden Ausdruck: wie ich bereits sagte, ist der definierende dem definierten Ausdruck äquivalent, weshalb der definierte durch den definierenden Ausdruck ersetzt werden kann. In einer partiellen Definition ist diese Verbindung nicht so eng, wobei der Grad ihrer Auflockerung verschieden hoch sein kann, je nachdem, um welche Art einer partiellen Definition es sich handelt. Die Verbindung ist am engsten im Falle der sog. bilateralen Reduktionssätze von Carnap. Andere Arten der partiellen Definitionen stellen eine weniger enge Verbindung her, z. B. nur in der Form einer hinreichenden oder einer notwendigen Bedingung der Anwendbarkeit des definierten Terminus. Eine noch schwächere Verbindung wird in einer par15
12
Die oben erwähnten Schwierigkeiten, auf die Versuche einer Definition von Dispositionsbegriffen stoßen, entstehen in einer extensionalen Sprache. Bekanntlich hat ein komplexer Satz extensionalen Charakter, wenn sein logischer Wert ausschließlich von den logischen Werten seiner Bestandteile abhängt, und nicht von der Intension dieser Bestandteile. Die klassische Sprache des logischen Kalküls, auf die sich die Carnapsche Analyse stützt, ist eine extensionale Sprache. Kritische Überlegungen über die von Carnap vorgeschlagene Lösung des Problems der Dispositionsbegriffe sowie über eventuelle Lösungen in einer nicht-extensionalen Sprache enthält die Arbeit H. Poser: Das Scheitern des logischen Positivismus an modelltheoretischen Problemen. Studium Generale 2 4 , 1971. P a w l o w s k i , Begnffsbildung
134
Kap. IV: Partielle Definitionen
tiellen Definition hergestellt, in der die Beziehung zwischen dem definierten und dem definierenden Terminus probabilistischen Charakters ist. Im folgenden werde ich die wichtigsten Arten derjenigen partiellen Definitionen besprechen, die am häufigsten in der wissenschaftlichen Praxis angewendet werden. Der bilaterale Reduktionssatz hat folgende Form: (14) At {Ex,t
[Wx = Löx,t]}
Vom obigen Beispiel ausgehend, können wir diesen Satz folgendermaßen lesen: Wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt t der Gegenstand χ ins Wasser getaucht wird, dann ist dieser genau dann im Wasser löslich, wenn er zum Zeitpunkt t mit dem Wasser eine optisch homogene Lösung bildet. Aus der Definition (14) ergeben sich die oben besprochenen unerwünschten Konsequenzen nicht mehr. Im Unterschied zu den Definitionen (12) und (13) gestattet es der Satz (14) nicht, von Gegenständen, die die Bedingung Ex,t nicht erfüllen, zu behaupten, sie seien W oder sie seien nicht W. Mit anderen Worten: In bezug auf Gegenstände, die nicht ins Wasser getaucht werden, liefert der Satz (14) keinerlei Kriterien, die erlauben würden, diese Gegenstände zur Klasse der wasserlöslichen zu zählen, oder sie aus dieser Klasse auszuschließen. Dafür nämlich, daß ein Gegenstand unter den Terminus W fällt, ist es notwendig, daß die Bedingung Ex,t und die Bedingung L ö x , t erfüllt sind, d.h. daß er ins Wasser getaucht wird und mit dem Wasser eine optisch homogene Lösung bildet. Um anderseits diesen Gegenstand aus dem Bereich W auszuschließen, ist es erforderlich, daß er ins Wasser getaucht wird und trotzdem mit dem Wasser keine optisch homogene Lösung bildet. Die im obigen Beispiel betrachteten Gegenstände, das Kochsalzkristall und das Streichholz, erfüllen keine der beiden Bedingungen, weil sie vorher vernichtet, und aus diesem Grunde nie ins Wasser getaucht worden sind. Daher erlaubt der Satz (14) nicht, von diesen Gegenständen den Terminus „wasserlöslich" oder seine Verneinung zu prädizieren. Im Falle anderer Salzkristalle und anderer Streichhölzer, die die Testbedingung Ex, t erfüllen, d. h. die irgendwann ins Wasser getaucht wurden, führt der Satz (14) natürlich zu Lösungen, die mit unserem
Arten von Partiellen Definitionen
135
aktuellen Wissen und dem gängigen Verständnis des Terminus „wasserlöslich" übereinstimmen. Die bisherigen Ausführungen machen gleichzeitig klar, worin der partielle Charakter der Definition (14) besteht. Sie liefert nämlich keine Kriterien bezüglich aller Gegenstände, sondern nur für Gegenstände, die die Testbedingung Ex,t erfüllen. Für diese Gegenstände liefert sie aber ein Äquivalenzkriterium: Gegenstände, die die Bedingung L ö x , t erfüllen, gehören zur Extension von W, dagegen Gegenstände, die diese Bedingung nicht erfüllen, zur Extension von non-W. Das ist auch der Unterschied zwischen dem bilateralen Reduktionssatz und dem unilateralen, der folgende Form hat: (15) At {Ex,t —» [ L ö x , t —> Wx]} Aufgrund dieser Definition gilt: Wenn ein Gegenstand die Testbedingungen Ex,t erfüllt, dann gehört er, wenn er auch die Bedingung L ö x , t erfüllt, zur Extension von W. Die Definition (15) liefert ein Kriterium nur für Gegenstände, die die Bedingung Ex,t erfüllen, wobei es sich nur um ein positives Kriterium handelt, d. h. eines, das bestimmte Gegenstände aus dieser Gruppe, und zwar die, die auch die Bedingung L ö x , t erfüllen, zur Extension von W zu zählen erlaubt. Die Definition (15) informiert uns aber nicht darüber, woran man erkennen kann, daß ein bestimmter Gegenstand nicht zur Extension von W gehört — anders als der bilaterale Reduktionssatz, der auch ein solches negatives Kriterium angibt. Die Beziehung zwischen dem definierten und dem definierenden Ausdruck ist also im unilateralen Reduktionssatz schwächer als im bilateralen. Um ein negatives Kriterium zu erhalten, müssen wir eine zusätzliche Definition aufstellen, die bestimmt, unter welchen Umständen man von einem Gegenstand prädizieren kann, er sei non-W, ζ. B. die Definition: (16) At {Ax,t
[Dx,t
non-Wx]}
Die Definition (16) gibt nur ein negatives Kriterium an, und das nut. für Gegenstände, die die Bedingungen Ax,t und Dx,t erfüllen.
136
Kap. IV: Partielle Definitionen
Bestimmen die beiden Definitionen (15) und (16) zusammen die Extension des Begriffs W vollständig? Das wäre nur dann der Fall, wenn jeder Gegenstand gleichzeitig die Bedingungen Ex,t und L ö x , t erfüllen würde, oder gleichzeitig die Bedingungen Ax,t und Dx,t. Aber im Falle wissenschaftlicher Begriffe ist es in der Regel nicht so, d. h. es gibt Gegenstände, die keines der beiden Bedingungspaare erfüllen. Diese Schwierigkeit läßt sich auch nicht durch die Einführung weiterer partieller Definitionen für den Begriff W lösen. Das würde zwar zu einer vollständigeren Bestimmung der Extension dieses Begriffs führen, es würde aber weiterhin Gegenstände geben, die keine der bisher eingeführten partiellen Bedingungen erfüllen. Für diese Gegenstände wäre die Frage, ob sie zur Extension des Begriffs W gehören oder nicht, weiterhin unentscheidbar. Darin liegt eben der dispositionelle Charakter dieser Begriffe. Anders verhält es sich dagegen bei Begriffen, die nur aufgrund eines unvollständigen Wissens über einen Gegenstand partiell bestimmt sind, und nicht deshalb, weil sie sich grundsätzlich nicht vollständig definieren lassen. In diesem Fall kann man nur hoffen, daß der entsprechende Fortschritt der Wissenschaft es einmal erlauben wird, die Reihe der partiellen Bestimmungen durch eine vollständige Definition zu ersetzen. Auf solche Begriffe, die im Bereich der Geisteswissenschaften vorkommen, werde ich noch eingehen. Eine weitere Art von partiellen Definitionen stellen die einfachen Implikationen der folgenden Form dar: (17) Wx —» Px Sie geben für den definierten Terminus Ρ ein positives Kriterium W an, das eine hinreichende Bedingung für die Anwendung des Begriffs Ρ darstellt. Die Definition (17) gibt keine Auskunft darüber, wann ein Gegenstand nicht zur Extension des Begriffs Ρ gehört. 16 Man kann sie aber um ein solches negatives Kriterium bereichern: (18) Ex —> non-Px 16
M a n k a n n aufgrund der Definition (17) folgende Argumentation natürlich nicht führen: Wenn ein Gegenstand die Eigenschaft W
hat,
Arten von Partiellen Definitionen
137
Beide Definitionen zusammen bestimmen die Extension des Begriffs Ρ nur für solche Gegenstände, die entweder die Bedingung W oder die Bedingung E erfüllen. Für Gegenstände, die keine der beiden Bedingungen erfüllen, geben die Definitionen (17) und (18) überhaupt keine Anwendungskriterien an. Man kann natürlich weitere partielle Definitionen aufstellen, aber dies wird im allgemeinen nicht zu einer vollständigen Bestimmung der Extension des Begriffs Ρ führen. Diesbezüglich gelten die Anmerkungen, die oben über die Reduktionssätze gemacht wurden. Eine noch schwächere Verbindung zwischen dem definierenden und dem definierten Terminus stellt die partielle probabilistische Definition her. J e nach Situation kann die Form dieser Definition unterschiedlich sein. Im einfachsten Fall, auf den ich mich hier beschränken will, sieht die allgemeine Form einer probabilistischen Definition folgendermaßen aus: 1 7 (19) P(Z, W) = ρ P(non-Z, S) = q wobei 0 < p, q < 1 In allen bisher besprochenen Arten von partiellen Definitionen wurde die Extension des definierten Begriffs zwar unvollständig bestimmt, wir konnten aber aufgrund dieser Definitionen bestimmte Gegenstände eindeutig zu dieser Extension zählen, oder sie aus ihr ausschließen. Anders verhält es sich bei der probabi-
17
dann gehört er zur Extension des Begriffs P, daher, wenn der Gegenstand diese Eigenschaft nicht hat, gehört er nicht zur Extension von P. Diese Argumentation ist logisch falsch, sie verläuft nämlich nach dem Schema (p —» q) —• (non-p —> non-q), das nicht gültig ist. Davon, daß dieses Schema nicht gilt, kann man sich leicht überzeugen, wenn man für ρ den Satz ,Diese Figur ist ein Quadrat' und für q den Satz ,Diese Figur hat vier Ecken' einsetzt. Vgl. H. Mehlberg: Positivisme et Science. Studia Philosophica Bd. III, 1948; Ders.: The Reach of Science. Toronto 1958. Über probabilistische Definitionen schreiben auch M.Przelçcki·. Pojçcia teoretyczne i doswiadczenie (Theoretische Begriffe und Erfahrung), Studia Logica, Bd. XI, 1961; H. Mortimer·. Definicja probabilistyczna. Na przykladzie definicji genotypu. ( Probabilistische Definition. Am Beispiel einer Definition des Genotyps), Studia Logica, Bd. X V , 1964. In diesen Arbeiten findet man auch andere Formen der probabilistischen Definition.
138
Kap. IV: Partielle Definitionen
listischen Definition (19). Sie erlaubt von keinem Gegenstand die eindeutige Aussage, daß er unter den definierten Terminus Ζ fällt oder nicht. Man kann dies nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit behaupten. Wir können nämlich aufgrund der Tatsache, daß ein Gegenstand die Eigenschaft W besitzt, diesen mit der Wahrscheinlichkeit ρ zur Extension von Ζ rechnen; wenn dagegen irgendein Gegenstand die Bedingung S erfüllt, können wir ihn mit der Wahrscheinlichkeit q aus der Extension von Ζ ausschließen, oder zur Extension non-Z rechnen. Hier ist also die Verbindung zwischen dem definierten und dem definierenden Terminus noch lockerer. Es lohnt noch hervorzuheben, daß die Sätze in (19) keine empirischen Verallgemeinerungen darstellen, die durch Erfahrung bestätigt werden könnten, sondern daß es Bedeutungspostulate sind, die partiell die Intension des Terminus Ζ mit Hilfe der Termini W und S bestimmen. Die bisher besprochenen partiellen Definitionen sind deren hauptsächlichste Arten, denen man in den Wissenschaften begegnet. Es gibt noch weitere, die aber in den Geisteswissenschaften gar nicht angewandt werden; daher gehe ich auf sie nicht ein. Ich will nun auf einen bestimmten Unterschied zwischen der vollständigen und der partiellen Definition aufmerksam machen, der eine wesentliche methodologische Bedeutung hat. Eine übliche Äquivalenzdefinition wird im allgemeinen als ein analytischer Satz angesehen, der von Erfahrungsdaten unabhängig sei, 1 8 als eine terminologische Festsetzung, daß man den definierten Terminus eben so verstehen sollte, wie dies die Definition behauptet. Die Wahl der Bedeutung ist im Prinzip beliebig, und wird nur durch die wissenschaftliche Nützlichkeit des definierten Terminus 18
Analytische Sätze lassen sich grob gesprochen als solche bezeichnen, deren logischer Wert (Wahrheit oder Falschheit) von der Erfahrung unabhängig ist, und allein aus der Bedeutung ihrer Wörter folgt. Den analytischen werden die synthetischen Sätze gegenübergestellt, d. h. solche, deren logischer Wert von der Erfahrung abhängt. Ob sich diese Einteilung konsequent durchführen läßt und ob sie zufriedenstellend und erschöpfend sein kann, wird von manchen Autoren bestritten. Vgl. W. V. Orman Quine·. From a Logical Point of View. Cambridge, Mass. 1953.
Arten von Partiellen Definitionen
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begründet. Sie wird nicht durch experimentelle Daten bestimmt: eine Definition kann durch diese Daten weder bestätigt noch verworfen werden, im Unterschied zu den nicht-definitorischen empirischen Behauptungen, die einer solchen Kontrolle durch die Erfahrung unterliegen. Auch dann aber, wenn wir berücksichtigen, daß die üblichen Definitionen auch in einem gewissen Sinn von der Erfahrung abhängig sind, 19 müssen wir anerkennen, daß im Falle der partiellen Definitionen eine zusätzliche, für sie eigentümliche Abhängigkeit ins Spiel kommt. Betrachten wir dies am Beispiel zweier einfacher Definitionen, die ein partielles Anwendungskriterium für den Terminus Ρ und seine Negation angeben: (20) Wx —» Px Ex —» non-Px Aus diesen Definitionen folgt logisch der Satz: (21) Es ist nicht wahr, daß Wx & Ex Dieser Satz behauptet, daß kein Gegenstand die Eigenschaften W und E gleichzeitig haben kann. Der Satz (21) enthält den definierten Terminus Ρ nicht, er ist also keine Definition, sondern eine empirische Behauptung, die durch experimentelle Daten verworfen werden kann. Wir müßten ihn nämlich dann verwerfen, wenn wir zumindest einen Gegenstand finden würden, der gleichzeitig die Eigenschaften W und E hätte. Wenn sich aber der Satz (21) kraft der Erfahrung als falsch erweist, müßten wir auch die partiellen Definitionen (20) verwerfen, aus der dieser Satz logisch folgt. Diese Abhängigkeit der partiellen Definition von der Erfahrung steht im krassen Widerspruch zur allgemeinen methodologischen Intuition, die in den Definitionen analytische Sätze sieht, die terminologische Festsetzungen ausdrücken. Die Tatsache, daß eine Menge von zumindest zwei partiellen Definitionen bestimmte empirische Behauptungen nach sich zieht, ist auch mit dem Kriterium der Nichtkreativität unvereinbar, das für Definitionen normalerweise aufgestellt wird. Frei ausge19
Vgl. K. Ajdukiewicz: Le problème du fondement des propositions analytiques. Studia Logica, Bd. Vili, 1959.
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drückt, beruht der nichtkreative Charakter der Definitionen darin, daß keine Behauptungen bewiesen werden können, die den definierten Terminus nicht enthalten, und die man ohne diese Definition nicht beweisen könnte. Im Falle der partiellen Definition gibt es eine solche Behauptung. Im obigen Beispiel ist es der Satz: Es ist nicht wahr, daß Wx & E x . Daher erfüllt das Definitionspaar (20) das Kriterium der Nichtkreativität nicht. 2 0 Die soeben beschriebenen, mit der methodologischen Intuition unvereinbaren Eigenschaften der partiellen Definitionen, bedingen, daß diese Definitionen bestimmte hybride Gebilde darstellen, die in sich die Eigenschaften von Bedeutungspostulaten und von empirischen Behauptungen vereinigen. Um diese unerwünschten Eigenschaften zu vermeiden, wurde eine Methode der Zerlegung einer Reihe partieller Definitionen in zwei Bestandteile gefunden: den synthetischen (empirischen) und den zweiten, rein analytischen. Es gibt mehrere Verfahrensweisen, die überzeugendste scheint mir die von M. Przelqcki zu sein, die er in seiner Arbeit „Pojçcia teoretyczne a doswiadczenie" (Theoretische Begriffe und Erfahrung) vorgestellt hat. 2 1 Die Leser, die sich für dieses Problem näher interessieren, verweise ich auf diesen Artikel. Hier möchte ich nur an dem einfachen Beispiel der Definitionen (20) dieses Verfahren veranschaulichen. Die Reihe der Definitionen (20) begrenzt die Anwendbarkeit des definierten Terminus Ρ auf Gegenstände, die die Bedingung W x und non-Ex (erste Definition), sowie die Bedingung non-Wx und E x (zweite Definition) erfüllen. In diesen Definitionen wird vorausgesetzt, daß kein Gegenstand die beiden Eigenschaften W und E gleichzeitig besitzt. Würde ein solcher Gegenstand existieren, müßte man ihm aufgrund der Definitionen (20) gleichzeitig die Eigenschaft Ρ und deren Negation non-P zusprechen, was zu einem Widerspruch führen würde. Indem man diese Annahme in 20
21
Eine präzise Formulierung des Kriteriums der Nicht-Kreativität ist nur in bezug auf eine wissenschaftliche Theorie möglich, in die die Definition eingeführt wird und innerhalb derer der nicht-kreative Charakter der Definition festgestellt wird. Studia Logica, Bd. XI, 1961.
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der Formulierung der Definition selbst berücksichtigt, läßt sich die Definition (20) folgendermaßen umformen: (22) W x & non-Ex - > Px non-Wx & Ex —» non-Px Die Sätze in (22) stellen den rein analytischen Bestandteil der Definition (20) dar. Sie ziehen jetzt keine empirischen Konsequenzen mehr nach sich. Der synthetische Bestandteil der Definitionen (20) ist hingegen der Satz (21). Gleichzeitig ist die Konjunktion der Sätze (21) und (22) der Reihe der Definitionen (20) äquivalent. Die Methode der Herausarbeitung des rein analytischen und des rein synthetischen Bestandteils aus einer Reihe partieller Definitionen stellt den nichtkreativen Charakter dieser Definitionen (genauer: des analytischen Bestandteils dieser Definitionen) wieder her. Sie beseitigt aber nicht die vorher erwähnte Abhängigkeit dieser Definitionen von der Erfahrung. Die Bedingung für die Annahme eines Komplexes von partiellen Definitionen ist nämlich immer die Wahrheit einer bestimmten empirischen Behauptung. In unserem Beispiel ist dies der Satz (21). Aber die partiellen Definitionen stellen jetzt keine hybriden Gebilde mehr dar, in denen die beiden Bestandteile, der analytische und der synthetische, miteinander vermengt werden. Die veranschaulichte Methode erlaubt nämlich, diese beiden zu trennen.
Die Anwendbarkeit partieller Definitionen in den Geistes- und Sozialwissenschaften Ich werde jetzt einige Anwendungsbeispiele partieller Definitionen in der Ästhetik, der Kunsttheorie sowie in den Sozialwissenschaften anführen. Im Unterschied zur vollständigen Definition, in der die Intension und die Extension des definierten Terminus ein für alle Mal festgesetzt werden, macht die partielle Definition — wie wir jetzt wissen — die weitere genauere Bestimmung des definierten Terminus von der künftigen wissenschaftlichen Entwicklung abhängig. Diese Eigenschaft macht eben die partiellen Definitionen zu einem brauchbaren methodologischen
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Instrument in bestimmten geisteswissenschaftlichen Disziplinen, ζ. B. in der Ästhetik, der Kunsttheorie und Kunstgeschichte, in denen sich die Begriffe unter dem Einfluß neuer Strömungen oder Kunstrichtungen ändern, und zwar infolge der Propagierung neuer ästhetischer und künstlerischer Werte, oder der Entdeckung neuer Tatsachen, die auf bisher nicht vollständig erfaßte Phänomene ein neues Licht werfen. Verfrühte Versuche, vollständige Definitionen von Begriffen aufzustellen, die diese Phänomene bezeichnen, sind in der Regel nicht erfolgreich — sie führen nämlich zu inadäquaten oder wissenschaftlich unbrauchbaren Definitionen. Werden in diesen Fällen partielle Definitionen angewendet, lassen sich diese Fehler vermeiden. Noch mehr, ihre Anwendung zeigt manchmal einen Weg, ein schwieriges Problem zu lösen, indem es in eine Reihe von Teilproblemen zergliedert wird, deren Beherrschung leichter wird. Diese allgemeinen Anmerkungen will ich jetzt mit einigen Beispielen veranschaulichen. Jugendstil. Die gesellschaftliche Rezeption der Kunstrichtung, die mit diesem Namen bezeichnet wird, erfuhr besonders stürmische Veränderungen. Nach einer Periode anfänglicher Begeisterung hat sich danach die Bezeichnung „jugendstilmäßig" zu einem Synonym einer negativen ästhetischen Bewertung entwickelt, um gegenwärtig zumindest einen Teil des alten Glanzes wiederzuerlangen. Viele Bereiche der Kunst, insbesondere viele Arten der Gebrauchsgraphik schöpfen heute vollauf aus den Errungenschaften des Jugendstils. Es ist auch die Zeit für eine ruhige wissenschaftliche Analyse gekommen, die eine Ortsbestimmung und die Bestimmung der Bedeutung des Jugendstils in der Geschichte der Kunstrichtungen versucht, sowie die Entdeckung und die Bestimmung wesentlicher Eigenschaften, die den Jugendstil in spezifischer Weise charakterisieren. In einer dieser wissenschaftlichen Monographien,22 die sich durch ausnehmend hohe methodologische Kultur auszeichnet, findet man die beiden folgenden Formulierungen über die Eigenschaften, die den Jugendstil charakterisieren.
22
M. Wallis: Jugendstil. Warschau-Dresden, 1975.
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„Der Jugendstil war ein um vieles komplizierteres Phänomen, als gemeinhin angenommen wird. Neben dem Jugendstil der wellenförmigen Linie existierte der Jugendstil der geraden Linie, neben dem die Fläche betonenden Jugendstil ein eminent dreidimensionaler, neben dem eine Vorliebe für das organische Ornament zeigenden Jugendstil ein sich des geometrischen oder bandförmigen Ornaments bedienender. Es gab einen unruhigen, tollen, ekstatischen, «dionysischen» Jugendstil und einen voller Ebenmaß, einen harmonischen, «apollinischen», einen Jugendstil übersättigt mit Erotik, und einen kühlen, unsinnlichen, asketischen." 2 3 An einer anderen Stelle lesen wir: „Zwar existieren Kunstwerke mit geschwungenen Linien, die nicht zum Jugendstil gehören, und es gibt Jugendstilwerke, bei denen die geschwungene Linie nicht vorkommt, trotz all diesem jedoch ist die sich windende und sich vielmals krümmende Linie das am häufigsten auftretende und am meisten ins Auge fallende Kennzeichen des Jugendstils. Wir finden sie sowohl in der dekorativen Kunst, in Grafik und Malerei als auch in der Architektur des Jugendstils." 2 4 Versuchen wir, den Sinn dieser Charakterisierungen genauer zu erfassen, indem wir uns vor allem auf die erste konzentrieren, die die vollständigere Information enthält. Der Jugendstil wird hier mit Hilfe von Fünf Paaren entgegengesetzter Eigenschaften charakterisiert: wellenförmige Linie — gerade Linie, die Fläche betonend — dreidimensional, organisches Ornament — geometrisches oder bandförmiges Ornament, dionysisch — apollinisch, erotisch — asketisch. Ich will für diese Eigenschaften folgende Buchstaben einführen: WL - GL, F - D, O O - G O , D - A, ER - AS. Selbstverständlich ist jeder Name dieser Eigenschaften nur eine allgemeine Charakterisierung. Damit sich diese Charakterisierungen für eine genauere Definition des Begriffs ,Jugendstil" eignen würden, müßten sie etwas detaillierter erfaßt werden, durch 23 24
Op. cit. S. 10. Op. cit. S. 162.
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Hervorhebung besonderer Eigentümlichkeiten der Eigenschaften, die sie bezeichnen. So könnte man ζ. B. nicht dabei bleiben, die Bestimmung „wellenförmige Linie" zu verwenden; wir müßten die Qualität dieser Wellenförmigkeit herausarbeiten, die für bestimmte Abwandlungen des Jugendstils charakteristisch ist. Die Notwendigkeit einer solchen näheren Bestimmung suggeriert das zweite der obigen Zitate aus dem Buch von Wallis. In ihm wird festgestellt, daß es Werke mit wellenförmigen Linien gibt, die nicht zum Jugendstil gerechnet werden. Daher ist es nicht die Wellenförmigkeit allein, sondern eine ganz bestimmte Wellenförmigkeit, die für die Werke des Jugendstils charakteristisch ist. In dem Zitat wird festgestellt, d a ß es gerade diese eigentümliche Qualität der Wellenförmigkeit ist, die das häufigste Kennzeichen des Jugendstils ist. Wollten wir nun in Anlehnung an die unterschiedenen Eigenschaften eine vollständige Äquivalenzdefinition des Jugendstils aufstellen, würde sich diese Aufgabe als äußerst schwierig oder gar als unlösbar erweisen. Es ist vor allem klar, daß sich keine dieser Eigenschaften f ü r ein Äquivalenzkriterium für den Jugendstil eignet. Wollten wir ζ. B. eine Definition der Form: (23) Jx ξ
WLx
annehmen, in der behauptet wird, daß der Gegenstand χ ein Werk des Jugendstils genau dann ist, wenn in ihm die charakteristische wellenförmige Linie dominiert, dann wäre die Definition in offensichtlicher Weise inadäquat. 2 5 Es gibt nämlich Werke des Jugendstils, die sich nicht der wellenförmigen Linie bedienen. Ähnlich würde es sich bei den übrigen Eigenschaften verhalten. An dieser Stelle drängt sich die Möglichkeit auf, partielle Definitionen anzuwenden. Jede dieser Eigenschaften eignet sich — natürlich nach einer vorausgegangenen Präzisierung, worauf ich bereits hingewiesen habe — als ein Kriterium dafür, daß ein 25
Zur Adäquatheit einer Definition vgl. das Kap. „Über verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens".
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Kunstwerk jugendstil mäßig ist. Anstelle der gleichsetzenden Definition (23) nehmen wir daher eine ganze Reihe (in diesem Fall werden es zehn sein) partieller Definitionen an, von denen jede auf einer dieser Eigenschaften basiert. Welche Form werden diese Definitionen haben? Welcher Art soll die Beziehung sein, die sie zwischen dem definierten und dem definierenden Terminus bestimmen? Aus dem obigen Zitat und dem Kontext, in dem es auftritt, geht hervor, daß jede dieser Eigenschaften eine eigene hinreichende Bedingung dafür darstellt, daß ein Kunstwerk ein Jugendstilwerk ist. Unsere partiellen Definitionen werden daher die Form von Implikationen haben; der Vordersatz jeder Implikation wird eine der zehn hinreichenden Bedingungen enthalten. Hier eine Formulierung für den Fall, daß das Kriterium in der Anwendung einer bestimmten wellenförmigen Linie besteht: (24) WLx
Jx
Diese Definition erlaubt es, als ein Jugendstilwerk jedes Werk anzusehen, das mit einer eigentümlich charakterisierten wellenförmigen Linie operiert. Die gleiche Form werden alle anderen partiellen Definitionen haben, mit dem Unterschied, daß im Vordersatz jeder dieser Definitionen ein anderes hinreichendes Kriterium dafür vorkommen wird, daß ein Werk ein Jugendstilwerk ist. Diese Definitionen geben aber keine negativen Kriterien an, die die Behauptung erlauben würden, daß ein bestimmtes Kunstwerk kein Jugendstilwerk sei. 26 Es sei denn, wir nehmen an, daß jedes der Jugendstilwerke unter eines der zehn Kriterien fallen muß. In diesem Fall könnten wir die zehn partiellen Definitionen des Typs (24) durch eine einzige vollständige gleichsetzende Definition der Form: (25) J x
Ξ
WLx ν GLx ν Fx ν Dx ν OOx ν . . ν ASx
ersetzen, in der die Eigenschaft, ein Jugendstilwerk zu sein, der Alternative aus den zehn erwähnten Eigenschaften gleichgesetzt wird. Aufgrund der Definition (25) ist ein Kunstwerk genau dann 26
Diese Argumentation — ausgehend von der Definition (24) - in der festgestellt wird, daß ein Kunstwerk kein Jugendstilwerk sei, wenn es nicht mit der wellenförmigen Linie operiert, wäre falsch. Vgl. hierzu die Anm. 16.
13
Pawlowski, Bcgnffsbildung
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ein Jugendstilwerk, wenn es mindestens eine der zehn Eigenschaften aufweist. Diese Definition, als eine Äquivalenzdefinition, gibt auch ein negatives Kriterium an: keine Jugendstilwerke sind alle Kunstwerke, die keine der im Definiens aufgezählten Eigenschaften aufweisen. Gegen die Definition (25) sprechen die beiden folgenden wichtigen Argumente. Erstens werden die historische und die theoretische Erforschung des Jugendstils weiter vorangetrieben, 27 und es ist möglich, daß in Zukunft neue Eigenschaften hervortreten, die noch zusätzliche Unterströmungen des Jugendstils zu unterscheiden erlauben, welche man bisher noch nicht unterschieden hat. Eine solche Entdeckung würde die Inadäquatheit der Definition (25) aufzeigen. Zweitens, die Definition eines Begriffs mit Hilfe einer mehrgliedrigen Alternative von so divergenten Eigenschaften wie in unserem Beispiel, ist immer ein Symptom dafür, daß die Erforschung des Gegenstands, der durch diesen Begriff bezeichnet wird, sich noch im Anfangsstadium befindet, und sich auf die leichter zugänglichen, oberflächlichen Eigenschaften dieses Gegenstandes konzentriert. Man kann hoffen, daß die künftige Erforschung des Jugendstils zur Entdeckung einer kleinen Anzahl von Eigenschaften führen wird, die abstrakter und der unmittelbaren Beobachtung weniger zugänglich sind, die aber einheitlicher sind und die Kunstwerke des Jugendstils in spezifischer Weise charakterisieren. Kabarett der älteren Herren.26 In seiner Diplomarbeit, in der eine theoretische Analyse dieser Fernsehsendung unternommen wurde, 27
28
Die Erforschung kultureller und künstlerischer Phänomene ist natürlich in einem gewissen Sinn niemals abgeschlossen. Jede geschichtliche Epoche unternimmt nämlich von neuem eigene Versuche der Interpretation und der Bewertung dieser Phänomene. Hier geht es wohl um einen solchen Entwicklungsstand der Erforschung bestimmter Phänomene, der die Aufstellung vollständiger Äquivalenzdefinitionen dieser Phänomene erlauben würde. Wird ein solches Entwicklungsstadium erreicht, können die weiteren Auseinandersetzungen über die Natur dieser Phänomene, über deren kulturelle und künstlerische Bedeutung mit Hilfe bereits voll definierter Begriffe geführt werden. ( = Kabaret Starszych Panów) Das ist der Name für eine Sendefolge des polnischen Fernsehens. Die einzelnen Sendungen waren aber keine
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hat der Autor einen Komplex von Eigenschaften ausgearbeitet, der diese Sendung in spezifischer Weise charakterisieren sollte, und von anderen Sendungen dieser Art, vor allem aber vom traditionellen Kabarett unterscheiden sollte. Es handelt sich um die vier Eigenschaften: 1. 2. 3. 4.
Unmittelbarkeit, Intimität, Privatheit, Improvisation.
Natürlich sollte jede dieser Eigenschaften in ihrer Qualität näher bestimmt werden, und erst dann könnten sie zur Bestimmung des besonderen Unterscheidungsmerkmals der Sendungen des Kabaretts der älteren Herren dienen. Ich möchte aber an dieser Stelle auf ein anderes Problem hinweisen. Man hat nämlich dem Autor vorgeworfen, der von ihm unterschiedene Komplex von Eigenschaften stelle kein für die Sendungen des Kabaretts der älteren Herren spezifisches Kriterium dar. Diesen Vorwurf muß man akzeptieren. In der Tat, würden diese Eigenschaften einen spezifischen Komplex darstellen, könnte man auf deren Basis die folgende Äquivalenzbestimmung formulieren: (26) KdÄHx = Ux & INx & Px & IMPx Sie behauptet, daß irgendeine Sendung das Kabarett der älteren Herren genau dann sei, wenn diese Sendung durch die oben aufgezählten vier Eigenschaften gleichzeitig charakterisiert werden kann. Eine solche Bestimmung würde die Extension des definierten Begriffs vollständig bestimmen, und würde sowohl positive als auch negative Anwendungskriterien für diesen Begriff angeben. Nun muß man aber zugeben, daß unter die in der Definition (26) aufgezählten Eigenschaften auch andere Arten des Kabaretts fallen und auch Vorstellungen ganz anderer Art, ζ. B. Fortsetzungen, sondern in sich abgeschlossen. Sie hatten aber bestimmte gemeinsame spezifische Eigenschaften, die sie vom ästhetischen Standpunkt charakterisierten. Der Verfasser der Arbeit, an die ich hier anknüpfe, versuchte, diese Eigenschaften herauszuarbeiten.
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Kap. IV: Partielle Definitionen
manche Ballettvorführungen. Das Wissen, das der Autor bei der Analyse des Kabaretts der älteren Herren erworben hat, erlaubt es noch nicht, ein Äquivalenzkriterium zu formulieren. Das bedeutet aber nicht, daß dieses Wissen wertlos ist. Im Gegenteil, es erlaubt ein partielles Kriterium aufzustellen. Dieses Kriterium ist eine notwendige Anwendungsbedingung für den definierten Terminus. Auf dessen Grundlage können wir folgende partielle Definition des Kabaretts der älteren Herren annehmen: (27) Non-[Ux & INx & Px & IMPxJ - > non-KdÄHx Sie behauptet: Wenn eine Vorstellung nicht alle vier Eigenschaften gemeinsam hat, dann ist es keine Sendung des Kabaretts der älteren Herren. Die Definition (27) ist nun vom Fehler der Inadäquatheit frei. Der Preis, den wir dafür zahlten, ist ihr partieller Charakter. Aufgrund dieser Definition können wir eine bestimmte Vorstellung aus dem Bereich des Kabaretts der älteren Herren ausschließen. Die Definition zeigt uns aber nicht, wann eine Vorstellung zu diesem Bereich gehört; anders als es im Falle des Jugendstils war, wo die Definition eine hinreichende Bedingung formuliert hat, die es erlaubte, bestimmte Kunstwerke als Werke des Jugendstils anzusehen, uns aber kein negatives Kriterium angab, das erlaubt hätte, ein bestimmtes Kunstwerk aus diesem Bereich auszuschließen. Die Ergänzung des partiellen Kriteriums (27) macht weitere Untersuchungen erforderlich, die zur Konstruktion eines vollständigen Äquivalenzkriteriums führen können. Ähnlich wie im Falle des Jugendstils haben wir hier also ein Beispiel für einen Begriff, dessen partielle Definierbarkeit einen zeitlich begrenzten, keinen endgültigen Charakter hat. Schönheit und Kitsch.29 Ich werde mich nur auf einige der Probleme beschränken, die beim Versuch einer Definition dieser Begriffe auftreten. Diese Versuche wurden vielfach unternommen, aber keine der vorgeschlagenen Definitionen wurde allgemein 29
Diese Begriffe analysiere ich in folgenden Arbeiten: Beiträge zum Problem der Interpretation und Wertung des Ästhetischen, Paderborn, 1 9 7 7 ; Über Normen der Begriffsbildung, Paderborn, 1977.
Partielle Definitionen in den Geistes- und Sozialwissenschaften 149 akzeptiert, was bei der enormen Schwierigkeit dieser Aufgabe verständlich ist. Ich meine, daß die Anwendung partieller Definitionen, diese Aufgabe erleichtern kann. Diejenigen, die ein Kriterium für die Schönheit 3 0 in bestimmten Eigenschaften der Gegenstände suchten, waren mehr oder weniger bewußt der Überzeugung, daß der Begriff „Schönheit" in methodologischer Hinsicht, wenn schon nicht mit den Begriffen identisch, die sinnlich unmittelbar wahrnehmbare Eigenschaften bezeichnen, auf jeden Fall diesen Begriffen stark ähnlich ist. Ich meine, daß die Dinge aber anders liegen. In welcher Weise kommen wir zu der genügend begründeten Überzeugung, daß ein Kunstwerk schön sei? Hier reicht ein einfacher Wahrnehmungsakt nicht aus, wie ζ. B. dann, wenn wir feststellen, daß ein beobachteter Gegenstand rot, rund oder süß sei.. Die begründete Überzeugung von der Schönheit eines Kunstwerks erwerben wir uns auf der Grundlage der Wahrnehmung seiner Ganzheit, die sich u. a. aus vielen Wahrnehmungen seiner unterschiedlichen Qualitäten und der Beziehungen zwischen diesen zusammensetzt. Die Perzeption eines Werkes, das semantische Elemente enthält, besteht außerdem aus einem komplexen Prozeß der Interpretation. Die Erkennungsvorgänge, die als Grundlage der Beobachtungsurteile dienen, unterscheiden sich also in spezifischer Weise von den Erkennungsvorgängen, auf denen die begründete Überzeugung von der Schönheit eines Gegenstandes beruht. Schon zutreffender wäre der Vergleich dieser Vorgänge mit der Interpretation einer komplizierten Röntgenaufnahme. Infolgedessen unterscheidet sich der Begriff der Schönheit in methodologischer Hinsicht von den Begriffen, die unmittelbare Sinnesqualitäten bezeichnen. Er ist von der Schicht der unmittelbaren empirischen 30
Den Begriff „schön" verwende ich hier im Sinne einer postiven ästhetischen Bewertung. Dieser Begriff wird auch, vor allem von Autoren, die die Pluralität der ästhetischen Werte anerkennen, zur Bezeichnung bestimmter ästhetischer Werte gebraucht. Vgl. hierzu M. Wallis: Przezycie i wartosc (Erlebnis und Wert), Krakow 1968; W. Tatarkiewicz: History of Aesthetics. Warsaw 1974.
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Daten weiter entfernt, mit der ihn mittelbarere und verschwungenere Beziehungen verbinden. Würden wir über eine ausgebaute, empirische Theorie der ästhetischen Phänomene und Erlebnisse verfügen, würde der Begriff der Schönheit nicht zu den Grundbegriffen der Theorie gehören, sondern zu den theoretischen. 31 Mit dem theoretischen Charakter des Begriffs der Schönheit ist seine partielle Definierbarkeit verbunden. Die Frage, ob es sich dabei um eine grundsätzliche partielle Definierbarkeit oder nur um eine zeitlich begrenzte handelt, ist heute schwer eindeutig zu beantworten: Viele Gründe sprechen eher für die erste Möglichkeit. In den bisher unternommenen Anstrengungen mit dem Ziel, ein Kriterium der Schönheit zu finden, versuchte man einen solchen Komplex von Eigenschaften zu entdecken, der ein der Schönheit äquivalentes Kriterium sein könnte. Das ist m. E. einer der Gründe, warum sie gescheitert sind. Partielle Definitionen zielen dagegen auf die Entdeckung schwächerer Kriterien. Dies können entweder nur hinreichende oder nur notwendige Bedingungen sein. So erlaubt ζ. B. eine Definition, die eine hinreichende Bedingung angibt, bestimmte Gegenstände zur Klasse der schönen Gegenstände zu rechnen. Ähnlich erlaubt jede Definition, die ein notwendiges Kriterium angibt, bestimmte Gegenstände aus der Klasse der schönen Gegenstände auszuschließen. Die Vereinigung aller in einem bestimmten wissenschaftlichen Entwicklungsstadium akzeptierten partiellen Definitionen ergibt aber in der Summe keine vollständige Definition der Schönheit. Es werden immer bestimmte Gegenstände, faktisch oder potentiell existierende, übrigbleiben, ζ. B. zukünftige Kunstwerke, die auf der Grundlage der bisherigen Definitionen weder zur Klasse der schönen Gegenstände gezählt, noch aus dieser Klasse ausgeschlossen werden können. Ich meine, daß die Konzeption der partiellen Definierbarkeit der Schönheit mit den Fakten der Kunstgeschichte und mit den Phä31
Zur Unterscheidung zwischen Grundbegriffen und theoretischen Begriffen vgl. R. Carnap: The Methodological Character of Theoretical Concepts. In: Minnesota Studies in the Philosophy of Science. Vol. I, 1956. Auch: M. Przetçckt: The Logic of Empirical Theories. London 1969.
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nomenen der Bewertung von Kunstwerken übereinstimmt. Insbesondere läßt sich das Entstehen neuer Kunstwerke, die nach neuen, bisher unbekannten Prinzipien geschaffen werden, als die Ergänzung der existierenden Kriterien für die Schönheit interpretieren. Diese Konzeption ist auch mit der pluralistischen Theorie der ästhetischen Werte vereinbar. Aufgrund dieser Konzeption läßt sich jeder dieser Werte als ein eigenes, partielles Kriterium für die Schönheit interpretieren. Es gibt in dieser Konzeption natürlich nichts, was uns zu der Annahme zwingen würde, daß die bisher unterschiedenen ästhetischen Werte deren Gesamtheit bereits erschöpfen. Auf keinen Fall sollte uns die Konzeption der partiellen Definierbarkeit der Schönheit auf Irrwege leiten. Mit Sicherheit wird sie aber die Aufgabe, eine Definition der Schönheit aufzustellen, erleichtern, indem sie sie in eine Reihe von Teilaufgaben zergliedert, die darin bestehen, partielle Kriterien für die Schönheit zu konstruieren, die sich auf ihre unterschiedlichen Bereiche oder Gebiete beziehen. Und wie verhält es sich mit dem Begriff des Kitsches? Ist das auch ein nur partiell definierbarer Begriff? Stellen wir zunächst fest, daß in den vergangenen Jahrzehnten dieser Begriff Gegenstand eines lebhaften Interesses war. Innerhalb seiner definitorischen Eigenschaften sind solche aufgetaucht, die den Versuch ermöglichen, das Phänomen nicht nur zu beschreiben, sondern auch auf der Grundlage bestimmter psychologischer und soziologischer Theorien zu erklären. Es wurde die Rolle der Kitschphänomene in gesellschaftlichen Massenprozessen entdeckt. Einige sehen darin bedrohliche Erscheinungen, denen man entgegenwirken sollte. Andere — geben wir zu, daß es nicht viele sind — erblicken im Kitsch bestimmte Anzeichen der gesellschaftlichen und künstlerischen Avantgarde, die alte Gewohnheiten zu durchbrechen hilft. Alle aber sind sich darin einig, daß die Erscheinung selbst, sowie der ihr entsprechende Begriff, eine bedeutende und des Interesses würdige Angelegenheit darstellen. Mit dem Anwachsen des Interesses für den Kitsch wuchs auch die Zahl der Bedeutungen, die man mit diesem Terminus verbindet. Gegenwärtig werden also nicht nur ein, sondern viele Begriffe des Kitsches verwendet. Um diese Vielfalt zu erfassen, genügt es heute nicht
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Kap. IV: Partielle Definitionen
mehr, die einzelnen Bedeutungen zu analysieren. Man muß allgemeinere Klassifikationskriterien einführen, die einzelne Typen von Bedeutungen determinieren, unter die konkrete Bestimmungen fallen. Dieses Vorgehen erlaubte mir, die folgende Typologie des Kitsches aufzustellen. 1. Der Begriff des Kitsches als Name für menschliche Erzeugnisse und als Name für Menschen, ihre Einstellungen, Erlebnisse und Verhaltensweisen. 2. Kitsch intentional und nicht-intentional verstanden. 3. Kitsch extern und intern charakterisiert. 4. Kitsch als Naturgebilde und als menschliches Erzeugnis. 5. Der relative und der absolute Kitschbegriff. 6. Kitsch subjektiv und objektiv verstanden. 7. Kitsch als klassifikatorischer und als komparativer Begriff. 8. Kitsch als historischer und als universeller Begriff. Man muß anmerken, daß bestimmte Fälle von Kitsch gleichzeitig unter einige der unterschiedlichen Begriffe fallen können, obgleich jedes der acht Klassifizierungspaare als disjunkte Mengen gedacht sind. Die Disjunktion ist aber im allgemeinen nur in bezug auf reine Typen gegeben. Mischtypen, ζ. B. der Kitsch, der durch einen Komplex von Eigenschaften charakterisiert wird, die zum Teil intentionalen und zum Teil nicht-intentionalen Charakter haben, sind nicht disjunkt. Die Typen des Kitsches, die durch das obige Klassifikationssystem unterschieden werden, bespreche ich ausführlich an einer anderen Stelle. 32 Hier interessieren Probleme, die mit der Anwendbarkeit der partiellen Definition zur Bestimmung dieses Begriffs zusammenhängen. Vor allem muß man feststellen, daß in der obigen Klassifikation eigentlich sogar sechzehn verschiedene Begriffe des Kitsches unterschieden werden. Zwischen diesen Begriffen bestehen unter dem hier interessierenden methodologischen Gesichtspunkt wesentliche Unterschiede. So ist ζ. B. der Kitsch verstanden als eine bestimmte Einstellung (erster Typ) mit Sicherheit ein Dispo32
Vgl. Problem der Interpretation und W e r t u n g des Ästhetischen, Anm. 2 9 .
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sitionsbegriff und als solcher nur partiell definierbar. Anders verhält es sich bei einigen anderen Varianten des Kitsches. Betrachten wir ζ. B. das Oppositionspaar: Kitsch im intentionalen und im nicht-intentionalen Sinn (zweiter Typ). Grundlage der Einteilung ist hier der Bezug auf die Intention des Autors. Eine Definition, die diesen Bezug nicht enthält, definiert Kitsch ausschließlich mit Hilfe der Eigenschaften eines kitschigen Gegenstandes selbst, unter Vernachlässigung der Absichten seines Schöpfers. Als Beispiel kann eine solche Eigenschaft des Kitsches wie das Übermaß an dekorativen Effekten dienen. Beim Kitsch im intentionalen Sinne dagegen, ist der Bezug auf die Intention des Schöpfers eine wesentliche definitorische Eigenschaft. S o ist ζ. B. eine der Eigenschaften des Kitsches im intentionalen Sinn die Unehrlichkeit, die Unvollständigkcit, der Ersatz- oder der Scheincharakter der ausgedrückten Erlebnisse, oder die Tatsache, daß der Gegenstand auf ein dilettantisches Erlebnis abzielt, und für einen Konsumenten bestimmt ist, der kein Kunstverständnis hat, aber ein ergreifendes Bildchen erwerben möchte. Jede dieser Eigenschaften setzt den Bezug auf die Intention, auf eine bestimmte Einstellung des Schöpfers voraus. Nun wird aber häufig betont, daß Gegenstände, die unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht gelungen sind, kein Kitsch sein können (im intentionalen Sinn), wenn sie nicht pretentiös sind, und wenn sie nicht den Eindruck erwecken sollen, daß sie mehr und etwas anderes sind, als sie in Wirklichkeit sind. Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß Kitsch im intentionalen Sinn, ähnlich übrigens wie Kitsch als eine bestimmte Einstellung verstanden (erster Typ), ein nur partiell definierbarer Begriff ist. Dagegen läßt sich, wie ich meine, Kitsch im nichtintentionalen Sinn, vollständig mit einer Äquivalenzdefinition definieren. Das ist aber ein schwieriges Unternehmen. Leichter wird es sein, eine Reihe von partiellen Definitionen aufzustellen, in Anlehnung an die in der Literatur unterschiedenen Kennzeichen des Kitsches, wie ζ. B. Schundhaftigkeit, Zweitrangigkeit, übermäßige Dekorativität. Keine dieser Eigenschaften stellt m. E. ein hinreichendes oder auch ein notwendiges Kriterium dafür dar, daß etwas Kitsch ist. Erst eine gewisse Verbindung dieser Eigen-
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schaffen erlaubt es, bestimmte partielle Kriterien zu erhalten, die verschiedene Erscheinungsformen des Kitsches im nicht-intentionalen Sinn unterscheiden. Es kann sein, daß es im Zuge weiterer Untersuchungen möglich sein wird, die Reihe der so eingeführten partiellen Definitionen durch eine vollständige Äquivalenzdefinition zu ersetzen. Indikatoren psychosozialer Einstellungen. Einstellungen stellen gegenwärtig einen wichtigen Untersuchungsgegenstand der Sozialwissenschaften dar, denn sie determinieren mit eine ganze Reihe von Phänomenen im sozialen Mikro- und Makrobereich. Einstellungen sind aber Phänomene, die sich der unmittelbaren Untersuchung entziehen: sie sind der Beobachtung nur mittelbar zugänglich, durch die Beobachtung von Verhaltensweisen, die charakteristische Erscheinungsformen der Einstellungen darstellen. Daher ist es die eigentliche Aufgabe der Sozialwissenschaften, solche Eigenschaften zu entdecken, die beobachtbar sind, und durch die man irgendwie zu den in der Tiefe verborgenen Einstellungen gelangen kann. Eine solche Rolle spielen die Indikatoren. Als Beispiele für solche Eigenschaften, deren direkte Beobachtung nicht möglich ist, werden gewöhnlich irgendwelche Einstellungen, Begabungen oder Charaktereigenschaften angeführt, und auch Eigenschaften sozialer Gruppen. Hier einige: Frustration, autoritäre Persönlichkeit, Altruismus, politischer Konservatismus, Fortschrittlichkeit, Einfühlungsvermögen in die Psyche anderer Menschen, sozialer Status, die moralische Integration einer Gruppe. Als Beispiele für Eigenschaften, die der direkten Beobachtung zugänglich sind, und daher als Indikatoren für die soeben erwähnten dienen können, werden gewöhnlich äußere Eigenschaften von Personen oder deren Verhalten, sowie Gegenstände, die ihnen gehören, angeführt. Hier einige davon: die Antwort auf eine Umfrage, Art und Aussehen der getragenen Kleidung, die Größe der gemieteten Wohnung sowie deren Ausstattung, die Art der Ausbildung, die Zahl der Verbrechen, die in einer sozialen Gruppe in einer bestimmten Zeit begangen wurden, u. ä.
Partielle Definitionen in den Geistes- und Sozialwissenschaften
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Warum sprechen wir aber in einem Kapitel über die Definition von den Indikatoren? Welche Beziehung besteht zwischen diesen beiden Problemen? Nehmen wir an, wir haben einen Indikator konstruiert für die Toleranz gegenüber Verhaltensweisen und Überzeugungen, die von den in einem Milieu üblichen abweichen. Das Symbol E soll diese Einstellung bezeichnen, und das Symbol I ihren Indikator. Nehmen wir an, die Beziehung zwischen dem Indikator und der Einstellung läßt sich mit Hilfe der Implikation ausdrücken: (28) Ix —> Ex In ihr wird behauptet, wenn eine Person ein Verhalten zeigt, das durch den Indikator I beschrieben wird, dann hat diese Person die durch E bezeichnete Einstellung. Diese Information determiniert noch nicht vollständig den methodologischen Status des Satzes (28). Es sind nämlich zwei Interpretationen möglich. 1. Der Satz kann zur Prognose der Einstellung E aufgrund des Indikators I dienen. In diesem Fall ist der Satz (28) eine empirische Behauptung, die akzeptiert oder verworfen werden kann in Abhängigkeit von experimentellen Daten. So stellt jeder Fall, in dem festgestellt wurde, daß eine Person, die die durch den Indikator I bezeichnete Eigenschaft hat, auch die Einstellung E hat, eine Bestätigung des Satzes (28) dar. Dagegen stellt jeder Fall, in dem der Indikator I auftritt, gleichzeitig aber die Einstellung E nicht, eine Falsifizierung der Beziehung (28) dar. Man muß betonen, daß in dem Fall, in dem Satz (28) als eine empirische Behauptung interpretiert wird, ein vom Indikator I unabhängiges Anwendungskriterium für den Terminus E zur Verfügung stehen muß, d. h. ein Kriterium, das uns zeigt, woran man erkennen kann, daß eine Person die Einstellung E hat. 2. Den Satz (28) kann man aber auch als einen Ausdruck interpretieren, dessen Ziel es ist, den Sinn des Terminus E mit Hilfe des Terminus I zu bestimmen. Dann ist aber der Satz (28) keine empirische Behauptung mehr, sondern eine Definition, die eine terminologische Festsetzung zum Ausdruck bringt. Im ersten Fall werde ich von Sachindikatoren, im zweiten von definitorischen Indikatoren sprechen. Hier interessieren ausschließlich die defini-
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Kap. IV: Partielle Definitionen
torischen Indikatoren. Die definitorischen Indikatoren, als Bestimmungen von Begriffen, die vor allem verschiedene Arten von Einstellungen bezeichnen, und damit als Bestimmungen von Dispositionsbegriffen, werden also hauptsächlich partielle Definitionen sein. Die partiellen Definitionen, die die Indikatoren einführen, können jede der oben besprochenen Formen annehmen: vom Reduktionssatz über einfache Implikationen bis zu den probabilistischen Definitionen.33 Damit beende ich die Durchsicht der Anwendungsbeispiele partieller Definitionen zur Begriffsbestimmung in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Ich meine, daß sie über die Möglichkeiten der Anwendung partieller Definitionen in den Geistes- und Sozialwissenschaften und über die Vorteile, die daraus entwachsen, informieren kann.
11
Vgl. hierzu T. Pawiowski: Methodologische Probleme in den Geistesund Sozialwissenschaften. Braunschweig 1 9 7 5 .
Kapitel V
Explikation Einer der wesentlichen Aspekte des wissenschaftlichen Fortschritts besteht darin, daß das ungenaue Alltagswissen zu einem wissenschaftlich fundierten wird. Das Alltagswissen, das in der Alltagssprache ausgedrückt wird, die mit verschiedenen Mängeln behaftet ist, stellt ein kostbares Reservoir an Material dar, das die Wissenschaft benutzt, umformt und veredelt, und schließlich in die Gesamtheit der kritisch geprüften und anerkannten Lehrsätze einfügt. Dieser Vorgang spielt sich ständig ab, nur sind wir uns dessen nicht immer voll bewußt. Erst dann, wenn er sich beschleunigt und ausweitet, wie das gegenwärtig in den psychologischen und in den Sozialwissenschaften der Fall ist, oder dann, wenn wir unter diesem Aspekt weit auseinanderliegende Entwicklungsstufen einer Wissenschaft vergleichen - ζ. B. die Sprache der Chemie des siebzehnten Jahrhunderts und die Sprache der Chemie der Gegenwart — treten die Folgen dieser Vorgänge klar zutage. Die Sätze der Alltagssprache, die ein nicht systematisiertes Wissen enthalten, werden zu gründlich begründeten wissenschaftlichen Lehrsätzen; vage, mehrdeutige und schwankende Begriffe werden neu definiert, mit präziseren, operationalisierteren Anwendungskriterien versehen, und häufig werden sie durch metrische Begriffe ersetzt. Sie erlauben die Formulierung von Gesetzen, die quantitative Beziehungen zwischen den Phänomenen ausdrücken. In dieser Arbeit interessieren mich besonders die Auswirkungen dieses Prozesses in den gegenwärtigen Geisteswissenschaften, in sehr weitem Verständnis dieses Terminus. Die Tendenz zur Operationalisierung von Begriffen und zur Einführung von Skalen zur Messung der verschiedensten psychologischen und soziologischen Größen, die während des letzten Krieges begann, 14
Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. V: Explikationen
hat die gegenwärtige Sprache dieser Wissenschaften in beträchtlichem Ausmaß verändert. Manche Disziplinen, wie ζ. B. die Lerntheorie oder die Entscheidungstheorie, lassen sich jetzt als mathematisierte deduktive Systeme darstellen. Der Drang zur Präzisierung und zur Mathematisierung hat nicht einmal vor solchen, wie es scheint diesen Verfahren widersprechenden Disziplinen, haltgemacht, wie Ästhetik und Kunsttheorie. Die Arbeiten, die in den Vereinigten Staaten durch G. D. Birkhoff, in Deutschland durch M. Bense und in Frankreich durch A. Molles initiiert wurden, haben zur Entstehung einer eigenständigen Disziplin geführt, die unter dem Namen Informationsästhetik bekannt wurde. Ihre Zielsetzung und ihr Ehrgeiz ist es, quantitative Gesetzmäßigkeiten zu entdecken und zu formulieren, die alle drei Bereiche der ästhetischen Phänomene betreffen: Die Struktur und die Bedeutung des Kunstwerks selbst, den Produktions-, den Rezeptionsvorgang. Der skizzierte Vorgang des Übergangs ungenauer Alltagsbegriffe in bessere, häufig metrische, wissenschaftliche Begriffe spielt sich selbstverständlich seit Jahrhunderten ab. Die bewußte methodologische Reflexion über diesen Vorgang ist aber eine neue Errungenschaft. Ihre systematisierte Erscheinungsform, in der Gestalt von Regeln, die Begriffe präzisieren sowie wissenschaftlich nützlich machen, wird als Explikation bezeichnet. Die Regeln der Explikation beziehen sich aber nicht nur auf die Umformung vorwissenschaftlicher Alltagsbegriffe in wissenschaftliche. Sie beziehen sich auch auf Fälle der Vervollkommnung und Umformung von Begriffen, die bereits Bestandteil einer Wissenschaft sind, wie es im Zuge der Weiterentwicklung dieser Wissenschaft der Fall ist. Ich werde in diesem Kapitel die Regeln der Explikation besprechen und auf Versuche eingehen, sie in den Geisteswissenschaften anzuwenden. Die Methode der Explikation wurde zuerst durch R. Carnap1 formuliert, im Rahmen seines Versuchs, den Begriff der Bestätigung 1
In dem Buch: Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit. Bearbeitet von W. Stegmüller. Wien 1959. Uber die Bedeutung der Explikation für die
Kap. V: Explikationen
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zu präzisieren, der die Relation zwischen einer wissenschaftlichen Theorie und den empirischen Daten bezeichnet, die diese Theorie bestätigen. Im Gegensatz zum Begriff der logischen Folgerung, der präzise definiert worden ist, wird der Begriff der Bestätigung, der auch in der Wissenschaftstheorie eine wichtige Rolle spielt, in einer weniger präzisen, intuitiven Art und Weise verwendet. Es fehlen auch quantitative, metrische Kriterien, die es erlauben würden, den Bestätigungsgrad einer gegebenen Theorie durch bestimmte empirische Daten zu bestimmen. M a n weiß nämlich, daß die Bestätigung eine graduierbare Relation ist, und daß im allgemeinen der Grad, in dem empirische Daten eine bestimmte Theorie bestätigen, sich ändert, wenn die Daten geändert werden. R. Carnap hat nun den Versuch unternommen, ein solches präzises Kriterium zu formulieren, das erlauben würde, die bisher unpräzise verwendete Bestimmung zu ersetzen. Bei dieser Gelegenheit hat auch er die Methode der Umformung unpräziser, häufig aus dem Alltagswissen stammender Begriffe in präzise, metrische wissenschaftliche Begriffe einer kritischen Reflexion unterworfen. Die hier vorgestellte Konzeption der Explikation stützt sich im wesentlichen auf die Ausführungen Carnaps. Ich werde aber einige Ergänzungen und eine gewisse Modifizierung einführen, auf die ich aufmerksam machen möchte. Sie hängen mit den Versuchen zusammen, die Explikation in den Geisteswissenschaften anzuwenden. Die Bedingungen, die eine gute Explikation erfüllen sollte, sind in der Konzeption Carnaps hinsichtlich der Theorie aufgestellt, in die der explizierte Begriff eingeführt werden soll. Ich schlage hier eine Abschwächung dieses Postulats vor: eine wissenschaftliche Theorie ersetze ich hier durch ein weniger streng verstandenes System von Behauptungen und Begriffen. In den Geisteswissenschaften begegnen uns nämlich selten Theorien im präzisen methodologischen Sinn dieses Worts. Definition wissenschaftstheoretischer Begriffe schreibt H. Poser: Zur Begründung der Wissenschaftstheorie. In: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft. Band XXIII, 1971/ 1972.
160
Kap. V: Explikationen
Ich schlage ebenfalls vor, die Einführung des explizierten Begriffs in ein entsprechendes System von Aussagen und Begriffen als integralen Bestandteil der Explikation anzusehen, ohne den die Explikation noch nicht abgeschlossen ist. Aufgrund der Carnapschen Formulierungen läßt sich zwar dieses Problem nicht eindeutig entscheiden, ich meine aber, daß mein Vorschlag mit seiner Konzeption vereinbar ist. Außerdem sprechen folgende Gründe dafür: 1. Die Forderungen an eine gute Explikation können erst dann voll bestimmt werden, wenn das Begriffssystem berücksichtigt wird, in das der explizierte Begriff eingeführt werden soll. 2. Außerdem ändern sich diese Bedingungen in der Regel — zumindest unter einigen Aspekten — mit der Änderung jenes Begriffssystems, so daß die Explikation desselben Begriffs anders ausfallen wird, je nachdem, in welches Begriffssystem er eingeführt werden soll. 3. Ob ein explizierter Begriff wissenschaftlich nützlich ist, kann erst dann entschieden werden, wenn er Bestandteil eines kohärenten und geprüften Systems von Behauptungen und Begriffen geworden ist. Soweit die Anmerkunen zu meiner Modifikation der Konzeption Camaps. Was die Ergänzungen betrifft, so bestehen sie hauptsächlich in einer ausführlicheren Besprechung der Bedingungen, denen ein explizierter Begriff genügen sollte, sowie in der Darstellung und kritischen Analyse von Versuchen einer Explikation geisteswissenschaftlicher Begriffe. Bestandteile
der
Explikation
Ziel der Explikation ist es, unpräzise, häufig vorwissenschaftliche Bestimmungen in präzise Begriffe mit operationalen Anwendungskriterien umzuwandeln. Dies sollen außerdem Begriffe sein, die sich durch eine möglichst große wissenschaftliche Nützlichkeit auszeichnen. Wie läßt sich nun dieses Ziel erreichen? Eine Explikation besteht aus folgenden drei Phasen: 1. Die Wahl des Explikandum.
Bestandteile der Explikation
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2. Eine erste, einleitende Erläuterung des Explikandum. 3. Die Formulierung einer präzisen Bestimmung des Explikats und seine Einführung in ein umfangreicheres Begriffssystem, das ζ. B. eine wissenschaftliche Theorie ist. Betrachten wir nun die einzelnen Phasen der Explikation genauer. Die Wahl des Explikandum. Den Ausgangspunkt bildet ein Terminus, der entweder zu früheren Entwicklungsstadien der gegebenen Wissenschaft oder zur Alltagssprache gehört und dessen Wahl im Hinblick auf seine wissenschaftliche Anwendbarkeit vorgenommen wurde. Dieser Terminus wird als Explikandum bezeichnet, d. h. der zu erklärende Terminus, im Unterschied zum Explikat, d. h. der Ausdruck, der das Explikandum im Ergebnis der erfolgreich durchgeführten Explikation ersetzen wird. Zahlreiche Beispiele liefern Wörter der Alltagssprache, die verschiedenartige Gegenstände oder Phänomene bezeichnen, denen der Mensch in der Alltagssprache begegnet. Diese Wörter wurden nach der Explikation durch Fachausdrücke der entsprechenden Wissenschaften ersetzt. Hier einige Beispiele von Begriffspaaren, deren erstes Element ein aus der Alltagssprache stammendes Explikandum, und das zweite sein in einer Wissenschaft angenommenes Explikat darstellt: Salz — NaCl; Wasser — H 2 0 ; Fisch — piscis; Anerkennung (Achtung) — sozialer Status. In dem soeben beschriebenen Vorgehen führt die Explikation eines Terminus dazu, daß seine weitere Verwendung aufgegeben wird, und an seiner Stelle ein neuer Terminus, das Explikat, eingeführt wird, dessen Bedeutung aus verbesserten, ergänzten und entsprechend modifizierten Sinnelementen konstruiert wird, die die Bedeutung des Explikandum ausmachen. Mit anderen Worten, es wird hier nicht so sehr der zu explizierende Terminus selbst ausgenutzt, als vielmehr seine Bedeutung. Das ist der Idealfall: die Benutzung des neuen Terminus verhindert Mißverständnisse, die hervorgerufen werden können durch die Mehrdeutigkeit, die sich ergibt, wenn man den explizierten Terminus beibehält und ihm lediglich eine neue, verbesserte Bedeutung verleiht. Häufig wird aber durch die Explikation kein neuer Terminus eingeführt, und man begnügt sich mit einer neuen Defi-
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Kap. V: Explikationen
nition des alten Terminus. Hier einige Bespiele aus der sehr großen Z a h l der alltäglichen Termini, die in dieser Weise expliziert wurden: Information, Nützlichkeit (Wert), Intelligenz, Lernen, Religion, Bürokratie usw. Dieses Verfahren der Explikation wird vor allem in den Geisteswissenschaften, in der Soziologie und in der Psychologie angewendet. Es ist nämlich sehr wichtig, d a ß die Sprache dieser Wissenschaften nicht allzu stark von der Alltagssprache abweicht, die ein Mittel der Verständigung zwischen allen Menschen, und nicht nur zwischen den Spezialisten einer bestimmten Disziplin ist. Die einleitende Erläuterung des Explikandum. Der zweite Schritt der Explikation besteht in der ersten, einleitenden Erklärung des zu explizierenden Terminus. Dies ist in der Regel unerläßlich, denn dieser Terminus ist sehr häufig so unklar und mehrdeutig, daß es ohne eine erste Erläuterung schwer wäre, sich darüber zu verständigen, um welche Bedeutung dieses Terminus es ungefähr geht. Die Notwendigkeit einer ersten Erläuterung ist nicht immer hinreichend bewußt. Carnap wirft u. a. den Philosophen vor, daß sie diese Bedingung nicht sehen: „. . . insbesondere dann, wenn das Problem in der Gestalt einer ,Was-ist-Frage' gestellt wird: ,Was ist Kausalität?', ,Was ist Leben?', ,Was ist Erkenntnis?', ,Was ist Religion?' usw. M a n beginnt hier unmittelbar damit, nach einer Antwort Umschau zu halten, ohne die stillschweigend gemachte Voraussetzung zu prüfen, daß die fraglichen Ausdrücke zumindest praktisch hinreichend klar sind, um als Grundlage für eine Untersuchung oder Begriffsanalyse zu dienen." 2 Die erste Erläuterung kann erleichtert werden durch ein annäherndes Verständnis des zu explizierenden Terminus. Dieses wiederum wird dadurch erreicht, daß beispielhaft auf Situationen hingewiesen wird, in denen dieser Terminus gebraucht werden kann, und auf Situationen, in denen er nicht gebraucht werden kann. So könnte z. B. eine erste Erläuterung des Explikandum „Salz" folgendermaßen aussehen: Den Terminus „Salz" verstehe 2
R. Carnap op. cit. S. 13.
Bestandteile der Explikation
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ich in seinem engen Sinn, als Name eines Stoffes, der im Haushalt gebraucht wird, und nicht in seinem breiten Sinn, den er in der Chemie hat. Ein anderes Beispiel einer ersten Erläuterung. Hier geht es um die Unterscheidung zwischen dem sog. logischen Sinn des Terminus „wahr" und seinen übrigen Sinnen, ζ. B. dem ethischen. Man weiß auch, daß im logischen Sinn die Eigenschaft, wahr zu sein, nur Sätzen zukommt, und nicht ζ. B. Namen. Die erste Erläuterung lautet: Ich beabsichtige eine Explikation des Terminus „wahr" nicht in dem Sinn, in dem er ζ. B. in solchen Ausdrücken wie ,wahre Demokratie', ,wahrer Freund' gebraucht wird, sondern in dem Sinn, in dem er im Alltag, in den Einzelwissenschaften, in der Rechtsprechung gebraucht wird, wenn es um die Feststellung geht, daß eine Aussage richtig, zutreffend, nicht falsch, fehlerfrei und nicht gelogen ist.3 Die angeführten ersten Erläuterungen stellen noch keine Explikation der Termini „Salz" oder „wahr" dar. Die Rolle des Explikats für das Wort „Salz" hat in der Chemie der Ausdruck „Natriumchlorid" oder die ihm entsprechende Formel „NaCl", und ein in der Philosophie berühmtes Explikat für das Wort „wahr" hat A. Tarski in seiner Arbeit „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen" gegeben.4 Präzise Bestimmung des Explikats und seine Einführung in ein Begriffssystem. In der letzten Phase der Explikation wird eine präzise Charakterisierung des Explikats formuliert. Natürlich muß dies nicht seine vollständige Äquivalenzdefinition sein. Ganz im Gegenteil, hier sind alle korrekten methodologischen Verfahren zur Begriffsbestimmung zulässig, die in den Wissenschaften angewendet werden: von der bereits erwähnten vollständigen Definition, über die verschiedenen partiellen Definitionen bis zur Definition durch Postulate.5 3 4
5
Beide Beispiele stammen von Carnap. Studia Philosophica I, 1936. Wiederabgedruckt in K. Berka, L. Kreiser (Hrsg.): Logik-Texte. Berlin 1971. Uber partielle Definitionen schreibe ich im Kapitel unter diesem Titel. In einer Definition durch Postulate wird der Sinn eines oder mehrerer Ter-
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Kap. V :
Explikationen
Man muß hervorheben, daß durch die Formulierung einer präzisen Bestimmung des explizierten Terminus die Explikation noch nicht abgeschlossen ist. Das Explikat, auch wenn es noch so exakt bestimmt wurde, hat keinen vollen wissenschaftlichen Wert, wenn es nur ein einzelner Begriff bleibt, außerhalb eines Begriffssystems. Erst die Einführung des Explikats in ein bestimmtes Begriffssystem verleiht ihm den Wert der wissenschaftlichen Nützlichkeit, und bedingt, daß die Art und Weise, in der er präzisiert wurde, nicht nur eine arbiträre Entscheidung eines Autors ist, sondern sich aus der Rolle erklärt, die dieser Begriff in jenem System hat. 6 Im Idealfall, dem man nur in den sog. exakten Wissenschaften begegnet, ist das Begriffssystem eine wissenschaftliche Theorie im eigentlichen Sinn des Wortes. Zahlreiche Beispiele von Begriffen, die nach ihrer Explikation in so verstandene Theorien eingeführt worden sind, liefern u. a. die Physik und die Chemie. So ist ζ. B. der Terminus , , H 2 0 " , der das Explikat des Alltagsworts „Wasser" ist, Bestandteil einer chemischen Theorie. Ähnlich begegnet der Ausdruck „Kraft mal Weg", der das Explikat des umgangssprachlichen Wortes „Arbeit" ist, in den Behauptungen der Physik. Häufig aber ist das Begriffssystem, von dem hier die Rede ist, keine Theorie, sondern höchstens ein Theorienfragment, oder eine Theorienskizze, die aus den sog. Axiomen des Messens besteht, d. h. aus einem System von empirischen Behauptungen, aufgrund derer man Skalen zur Messung bestimmter Größen konstruieren und diesen Skalen entsprechende metrische Begriffe definieren kann. Diese Begriffe können dann zur Formulierung von Aussagen mini Τ ι , T 2 , . . , , T „ dadurch bestimmt, daß sie in Sätzen gebraucht werden, die man Postulate nennt. Die Termini T | , T 2 , . . T„ sind dann so zu interpretieren, daß diese Sätze bei der gegebenen Interpretation zu wahren Sätzen werden. Die logische Struktur der Postulate legt den möglichen Interpretationen Beschränkungen auf. Dies führt aber im allgemeinen nicht zur eindeutigen Bestimmung des Sinns der Termini
Ti, T 2 , . . ., T n . 6
Vgl. hierzu das K a p . : Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen.
Bestandteile der Explikation
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angewandt werden, in denen quantitative Abhängigkeiten zwischen diesen Größen behauptet werden. Diese Art des Vorgehens begegnet gegenwärtig ziemlich häufig in den verschiedenen psychologischen, soziologischen oder ökonomischen Disziplinen. Als Beispiel für Begriffe, die in ein so verstandenes System eingeführt worden sind, können verschiedene metrische Begriffe in der Psychologie dienen (ζ. B. Intelligenz, Begabung für einen Beruf, T o n höhe und -stärke, Helligkeit des Lichts — als psychologische Begriffe verstanden) sowie in der Soziologie (ζ. B. sozialer Status, verschiedene soziale Einstellungen). 7 In den Geisteswissenschaften verfügen wir im allgemeinen über keine Theorien im strengen Sinn des Wortes. Hier kann man nur von weniger streng verstandenen Begriffssystemen sprechen, die mehr oder weniger einer T h e o r i e ähnlich sind. Solche Begriffssysteme können künstlerische, geistige oder philosophische Strömungen darstellen. Es kann aber auch ein Wertesystem sein, ζ. B. der ästhetischen, der ethischen, der rechtlichen, der praxeologischen W e r t e —, und ein ihm entsprechendes Bewertungs- oder Normensystem. Dies kann schließlich eine methodologische Konzeption sein, die allgemeine Prinzipien zur Lösung bestimmter Probleme in einem wissenschaftlichen Bereich unterbreitet oder postuliert. Weiter unten werde ich ein Beispiel einer solchen Konzeption darstellen, das die Explikation des Begriffs des glaubwürdigen Informanten enthält, der bei der Beurteilung geschichtlicher Quellen oder in der Rechtsprechung eine große Rolle spielt. Dies ist natürlich keine erschöpfende Liste von Begriffssystemen innerhalb der Geisteswissenschaften, sondern lediglich eine Reihe von Beispielen. Es gibt viele geisteswissenschaftliche Begriffe, deren Explikation mit der Einführung in ein so verstandenes Begriffssystem abgeschlossen wurde. Hier einige Beispiele: Renaissance, Schönheit,
7
Über Messungen und metrische Begriffe im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften schreibe ich in meinem Buch: Methodologische Probleme in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Braunschweig 1 9 7 5 . Vgl. auch die Ausführungen über die Präzisierung von Begriffen im K a p . : Definitionen als Mittel zur Beseitigung sprachlicher M ä n g e l .
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Kap. V: Explikationen
philosophische Erzählung, bürgerliche Moral, Hippie-Ideologie, soziale Rolle, moralische Norm.
Bedingungen, denen das Explikat genügen
sollte
Ich habe gesagt, daß bei der Formulierung einer präzisen Bestimmung des Explikats alle methodologisch korrekten und in den Wissenschaften angewandten Verfahrensweisen der Begriffsbestimmung zulässig sind. Unabhängig jedoch davon, welches Verfahren wir wählen, muß das mit seiner Hilfe eingeführte Explikat bestimmten Bedingungen genügen, zu denen die folgenden vier Forderungen gehören: 1. 2. 3. 4.
die wissenschaftliche Nützlichkeit, Präzision, Ähnlichkeit mit dem Explikandum, Einfachheit.
Diese Bedingungen will ich nun ausführlicher besprechen. Man muß aber betonen, daß zwischen diesen Bedingungen logische Beziehungen bestehen; außerdem bilden sie eine Hierarchie, so daß im Konfliktfall die Bedingung die Priorität erhält, die in der Hierarchie eine höhere Stelle einnimmt. 1. Die wissenschaftliche Nützlichkeit. Die Einführung von Begriffen in eine Wissenschaft geschieht vor allem durch verschiedene Definitionen: die üblichen Äquivalenzdefinitionen, die verschiedenen partiellen Definitionen, die Definitionen durch Postulate usw. Auch wissenschaftliche Klassifizierungen — z. B. die Systematisierung der Pflanzen oder der Tiere, der literarischen Gattungen oder der Persönlichkeitstypen — können als Mittel zur Einführung von Begriffen angesehen werden, wobei sie nicht nur einen einzelnen Begriff, sondern ein ganzes System aufeinander bezogener Begriffe bestimmen. Die verschiedenen in den Wissenschaften angewandten Verfahren zur Einführung von Begriffen wurden einer methodologischen Reflexion unterworfen, in deren Ergebnis eine Reihe von Bedingungen formuliert wurde, die man
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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Bedingungen der formalen Korrektheit nennt. Das Erfüllen dieser Bedingungen, die für die einzelnen Verfahren der Begriffsbestimmung unterschiedlich lauten, garantiert die formale Korrektheit des angewandten Verfahrens. 8 Es ergibt sich die Frage, ob alle Begriffe, die formal korrekt bestimmt worden sind, eben dadurch geeignet sind, in eine Wissenschaft eingeführt zu werden. Die Wissenschaftsgeschichte gibt auf diese Frage eine verneinende Antwort. Sie ist reich an Beispielen für die Verwerfung von bisher anerkannten Definitionen oder Klassifikationen, obwohl sie formal makellos waren. So war ζ. B. die Klassifikation von Linné mit ihren Begriffen, die verschiedene Gruppen von Tieren und Pflanzen bezeichnen, formal korrekt. Sie wurde aus ganz anderen Gründen verworfen. Diese Tatsache zeigt, daß dafür, daß ein bestimmter Begriff in einer Wissenschaft akzeptiert wird, bestimmte zusätzliche Bedingungen erfüllt sein müssen, die sich von den Bedingungen der formalen Korrektheit unterscheiden. Gegenwärtig bezeichnet man sie als die transformalen Bedingungen der Korrektheit oder auch als Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen. Die Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen bespreche ich ausführlich in einem anderen Kapitel. 9 Hier begnüge ich mich mit der Feststellung, daß dafür, daß die Explikation eines Begriffs in einer Wissenschaft akzeptiert wird, sie nicht nur eine formal korrekte Bestimmung des Explikats liefern muß, sondern darüber hinaus noch die Eigenschaft der wissenschaftlichen Nützlichkeit haben sollte, d. h. sie muß die in dem erwähnten Kapitel besprochenen Bedingungen erfüllen. 2. Präzision. Die Termini, die durch eine Explikation in eine Wissenschaft eingeführt werden, kommen häufig aus der Alltags8
9
Bedingungen der formalen Korrektheit von Definitionen bespreche ich im Kap.: Uber verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens. Vgl. das Kapitel: Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen.
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Kap. V :
Explikationen
spräche. Sie sind also mit den verschiedenen Mängeln der Alltagssprache behaftet, wie wechselnder Sinn, Vagheit oder Fehlen genügend klarer empirischer Anwendungskriterien. Die Präzision einer Sprache ist nämlich eine Qualität, die zu erreichen eine hohe logische Kultur und häufig spezielle komplizierte Verfahrensweisen erfordert. Im Alltag erscheinen diese Verfahrensweisen o f t überflüssig, denn die Alltagssprache erfüllt trotz ihrer Mängel ihre Aufgabe als eines Mittels der Verständigung in den Angelegenheiten des Alltags im allgemeinen zufriedenstellend. Erst d a n n , wenn irgendein Terminus der Alltagssprache in die Sprache einer Wissenschaft eingeführt werden soll, wird es notwendig sein, ihn entsprechend den Anforderungen an die Präzision von Ausdrücken, die in dieser Wissenschaft gelten, zu vervollkommnen. Die Präzisierung von Begriffen verleiht der Sprache einer Wissenschaft Eigenschaften, dank derer die Zahl der Unterschiede in den empirischen Daten, in Anbetracht derer diese Sprache mit der Akzeptierung oder der Verwerfung entsprechender Sätze reagiert, vergrößert werden kann. Währenddessen sind in der Sprache des Alltags, die diese Diskriminationsfähigkeiten nicht besitzt, diese Unterschiede nicht zu bemerken. Die Verfügung über entsprechende metrische Begriffe erlaubt uns, das Auftreten auch der kleinsten Änderung der Intensität einer G r ö ß e , wie ζ. B. des Gewichts, des Drucks, der Intelligenz festzustellen und quantitativ zu beschreiben, was in der Sprache des Alltags nicht möglich wäre. Eine häufig vorkommende Art der Ungenauigkeit von Begriffen ist ihre Vagheit. Bekanntlich ist die Extension eines Terminus Τ vage, wenn es Gegenstände gibt, die wir nicht eindeutig zu dieser Extension rechnen, oder aus ihr ausschließen können. 1 0 Sowohl die Alltagssprache als auch die Sprachen der Wissenschaften sind reich an Ausdrücken mit einer vagen Extension. Die Vagheit ist die Quelle ernsthafter Schwierigkeiten, sie kann nämlich zur Unentscheidbarkeit von Behauptungen führen, in denen diese Begriffe vorkommen. Das bedeutet, daß wir uns nicht davon überzeugen können, o b diese Behauptungen wahr oder falsch sind. 10
Vagheit und andere Sprachmängel bespreche ich ausführlich im Kap.: Definitionen als Mittel zur Behebung sprachlicher Mängel.
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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Es genügt in diesem Zusammenhang, auf die Probleme aufmerksam zu machen, auf die ein Biologe trifft, der zu entscheiden versucht, zu welcher Gruppe er ein untersuchtes Exemplar einer Pflanze oder eines Tieres rechnen soll, wenn er so ungenaue Kriterien zur Verfügung hat wie ζ. B. Farbnuancen im Gefieder (zwei Tauben, die sich nur unmerklich in der Farbschattierung des Gefieders unterscheiden, und sonst identisch sind, können manchmal zu verschiedenen Rassen gehören), oder bestimmte Eigentümlichkeiten der Form oder eines Organs. Ein anderes Beispiel sind die Schwierigkeiten, die durch die Vagheit vieler Begriffe der Sozialpsychologie und der Soziologie verursacht werden. Betrachten wir ζ. B. den Begriff der autoritären Persönlichkeit. Das ist ein Begriff von großer gesellschaftlicher und theoretischer Tragweite. Er bezeichnet nämlich einen Persönlichkeitstyp, der unerwünscht ist vom Standpunkt eines Gesellschaftskonzepts, in dem die Herzlichkeit und das Verständnis in den Beziehungen innerhalb einer sozialen Gruppe, sowie das Gefühl der Geborgenheit der Mitglieder dieser Gruppe hoch eingestufte Werte darstellen. Leider ist es bisher nicht gelungen, die Extension des Begriffs der autoritären Persönlichkeit, trotz ernsthafter Anstrengungen in diese Richtung, genügend scharf zu bestimmen. 11 Das ist nämlich einer der sehr zahlreichen Begriffe der Sozialpsychologie, die sich äußerst schwer genau und scharf bestimmen lassen. Diese Vagheit bedingt, daß in bezug auf viele Personen, die Behauptung, sie seien autoritär, unentscheidbar bleibt. Es ist ein wichtiges Ziel der Wissenschaften, Verfahrensweisen zu finden, die die Vagheit der Begriffe in dem Maße zu beseitigen und zu mildern erlauben, in dem es für ein bestimmtes theoretisches oder praktisches Ziel erforderlich ist. Die verschiedenen Verfahren zur schärferen Bestimmung von Begriffen, die in den Wissenschaften angewendet werden, bespreche ich im Kapitel über sprachliche Mängel. Unter dem im jetzigen Kapitel interessierenden Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Nützlichkeit des 11
Vgl. T. W.Adorno
1950.
15
et al.: The Authoritarian Personality. New York
Pawlowski, Begnffsbildung
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Kap. V: Explikationen
Explikats ist besonders das Verfahren zur schärferen Begriffsbestimmung wichtig, daß darin besteht, vage Begriffe durch metrische zu ersetzen. Infolgedessen können wir, statt über die erforschten Phänomene mit Hilfe solcher vager Begriffe zu sprechen, wie schwer, schnell, kalt, sauer, diese Erscheinungen mit Hilfe quantitativer Größen und mit Hilfe der Gradeinteilung einer Skala beschreiben. Die Anwendung metrischer Begriffe erlaubt uns auch, allgemeine quantitative Abhängigkeiten zu formulieren, die zwischen den Erscheinungen bestehen. Das Bestreben, Begriffe mit Hilfe quantitativer Bestimmungen zu präzisieren, ist ein charakteristischer Zug der modernen Wissenschaften. In den exakten Wissenschaften werden metrische Begriffe schon ziemlich lange angewandt. Gegenwärtig werden auch in solchen Wissenschaften wie Psychologie, Soziologie und auch in einigen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, in denen bis vor kurzem an Messungen noch nicht einmal gedacht wurde, metrische Begriffe angewandt, die aufgrund verschiedener Tests, Umfragen oder anderer Meßverfahren definiert werden. Beispielsweise kann man hier die Skalen zur Messung sozialer Einstellungen, des sozialen Status, der Intelligenz und Begabungsprofile, die Wert-(Nützlichkeits-)Skalen, die Skalen der subjektiven Wahrscheinlichkeit angeben, und sogar Skalen für solche Größen wie ästhetische Information, die Untersuchungsgegenstand der mathematischen Ästhetik ist. 12 Man muß aber an dieser Stelle anmerken, daß die Skalen, die in der Psychologie, Soziologie oder in den Geisteswissenschaften angewandt werden, in der Regel einen anderen, schwächeren Skalentyp darstellen, als die, die in den chemisch-physikalischen Wissenschaften angewandt werden. Das bedeutet, daß es eine ziemlich beschränkte Anzahl quantitativer Beziehungen gibt, die zwischen den mit Hilfe dieser Skalen gemessenen Größen festgestellt werden können. Man muß auch hinzufügen, daß die Sozial- und Geisteswissenschaftler sich nicht immer dieser Einschränkungen und der sich daraus ergebenden Konsequenzen bewußt sind. Das führt manchmal dazu, daß sie 12
Den auf der Grundlage der mathematischen Ästhetik unternommenen Versuch einer Explikation traditioneller Begriffe der Ästhetik mit Hilfe metrischer Begriffe bespreche ich im weiteren Verlauf dieses Kapitels.
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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Sätze biligen, in denen quantitative Beziehungen behauptet werden, die aber in Wirklichkeit sinnlos sind. Auf der anderen Seite garantiert der metrische Charakter eines psychologischen oder soziologischen Begriffs allein noch keine wissenschaftliche Nützlichkeit. Es gibt nämlich viele von Soziologen und Psychologen korrekt konstruierte Skalen. Die metrischen Begriffe aber, die aufgrund dieser Skalen definiert werden, müssen als wissenschaftlich nutzlos verworfen werden. Das ist deshalb so, weil die Größen, die so definiert worden sind, mit keinen anderen die Soziologen oder Psychologen interessierenden Größen korrelieren. Das Problem der verschiedenen Arten von Skalen in den Geisteswissenschaften, der Psychologie und der Soziologie, und die Frage des Nutzens, den man aus den quantitativen Daten für die Formulierung quantitativer Aussagen ziehen kann, sind Gegenstand der aktuellen methodologischen Diskussion. 13 Die bisher besprochenen Fälle der Vervollkommnung wissenschaftlich akzeptierter Begriffe betreffen die Verschärfung der Extensionen und die Einführung metrischer Begriffe, die eine subtilere Unterscheidung verschiedener Zustände erlauben. Daneben spielen die Postulate eine wichtige Rolle, die fordern, daß die in den Wissenschaften akzeptierten Begriffe klare empirische Anwendungskriterien haben sollten, d. h. es sollte deutlich sein, welche empirisch zugänglichen Eigenschaften der Gegenstände oder der Sachverhalte einen bestimmten Begriff anzuwenden erlauben. Diese Postulate werden leider nicht immer erfüllt, was zur Folge hat, daß Behauptungen, in denen Begriffe ohne empirische Anwendungskriterien vorkommen, unentscheidbar bleiben, d. h. man kann sich nicht davon überzeugen, ob sie wahr oder falsch sind. Ein extremes, schon von Carnap am Anfang des Bestehens des Wiener Kreises14 angeprangertes Beispiel für Be13
14
Dieses Problem erörtere ich ausführlich in: Methodologische Probleme in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Braunschweig 1975. Vgl. R. Carnap: Überwindung der Metaphysik durch Logische Analyse der Sprache. Erkenntnis II, 1932. Die letzte Phase seiner Ansichten über das Problem des empirischen Sinnes von Begriffen und Sätzen hat
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Kap. V: Explikationen
griffe ohne empirische Anwendungskriterien stellen die verschiedenen metaphysischen Begriffe dar, wie ζ. B. die aristotelische Form, die Ideen Piatons, Entelechie, Reinkarnation usw. Weniger krasse Beispiele begegnen in den Einzelwissenschaften. So gehören z. B. zu den Begriffen der Psychoanalyse Ich, Uber-Ich, Lobido, die wiederholt wegen Mangel an empirischem Sinn kritisiert wurden. Ebenso wurden die Aussagen der Psychoanalyse, in denen sie vorkommen, als unentscheidbar angeprangert. Auch Begriffe, die in anderen Sparten der Psychologie auftreten, und die verschiedene Persönlichkeits- und Charaktertypen, Begabungen oder psychische Krankheiten bezeichnen, wurden von vielen als bar empirischer Anwendungskriterien bezeichnet. Die schärfste Kritik dieser Begriffe kam von den extremen Richtungen des Behaviorismus, z. B. in der Version von Watson oder Skinner.15 Sie verlangen, daß überhaupt alle psychologischen Begriffe durch die Beschreibung des physischen oder physiologischen Verhaltens von Organismen bestimmt werden sollten. Begriffe, die diese Bedingung nicht erfüllen, sind ihrer Meinung nach ohne jeden empirischen Sinn. 16 Die Postulate des Behaviorismus trafen auf eine scharfe Opposition der Anhänger einer „mentalistischen", d. h. traditionellen Psychologie. Man hat insbesondere und mit Recht kritisiert, daß die Anhänger des extremen Behaviorismus psychische Phänomene den sie begleitenden physiologischen und physischen Vorgängen (dem Verhalten) gleichsetzten. Man hat den Behavioristen die Geringschätzung oder sogar die Negierung der Errungenschaften der mentalistischen Psychologie vorgehalten, die
15
16
Carnap vorgestellt in: The Methodological Character of Theoretical Concepts. In: Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Vol. I, 1956. Vgl. ζ. Β. Β. F. Skinner·. Science and Human Behavior. New York 1953. Ders.: Critique of Psychoanalytic Concepts and Theories. In: Minnesota Studies in the Philosophy of Science. Vol. I, 1956. Zu rigoristisch verstandene Postulate des Behaviorismus und Operationalismus können auf die Entwicklung der psychologischen und soziologischen Wissenschaften hemmend wirken. Vgl. hierzu: H. Lenk, G. Luschen: Epistemological Problems and the Personality and Social System in Social Psychology. Theory and Decision 6 (1975).
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doch nicht ersetzt werden können, zumindest noch sehr lange nicht, durch die aus anderen Gründen wertvollen Verdienste der behavioristischen Psychologie. 17 Man muß aber darauf aufmerksam machen, daß die Kritik des Behaviorismus manchmal auf einem Mißverständnis beruht. So ein Mißverständnis liegt ζ. B. der folgenden polemischen Bemerkung E. Fromms an die Adresse des Behaviorismus zugrunde. Er schreibt: „Weil der Neobehaviorismus nicht über eine Theorie des Menschen verfügt, bemerkt er nur das Verhalten und nicht die sich verhaltende Person. Daß mich jemand anlacht, weil er so seine Feindschaft verbergen will, daß mich das Ladenmädchen (in besseren Kaufhäusern) anlacht, weil man es ihr beigebracht hat, daß mich ein Freund anlacht, weil er sich freut, mir zu begegnen — alle diese Situationen sind für den Neobehavioristen ohne Unterschied, weil ein Lächeln ein Lächeln ist." 1 8 Nun setzt der Behaviorismus — zumindest der Behaviorismus in seiner rationalen Variante — nicht jedes Lächeln gleich (und auch keine anderen Verhaltenselemente), das Ausdruck unterschiedlicher psychischer Zustände ist. Ein ehrgeiziges, und fügen wir hinzu, äußerst schwer zu realisierendes Ziel des Behaviorismus ist es u. a., eine Sprache zu konstruieren, in der man über psychische Phänomene mit Hilfe von Termini sprechen kann, die verhaltensmäßige und physiologische Korrelate dieser Phänomene bezeichnen. Eine so konstruierte Sprache würde die Sprache der traditionellen Psychologie an Präzision und Schärfe der Begriffe übertreffen; ihre Termini hätten genau bestimmte empirische Anwendungskriterien, und Sätze, in denen sie vorkommen, wären empirisch entscheidbar. Das sind enorme Vorteile, die wir erst dann voll erfassen können, wenn wir uns bewußt machen, wie schwierig es manchmal ist, den Sinn der Behauptungen der traditionellen Psychologie zu verstehen und sie einer empirischen Kontrolle zu unterwerfen. So also — um zum
17
18
Zur Kritik des Behaviorismus vgl. auch: ]. Ravnkilde: Transparency, Privacy, and Fallibilism. Philosophical Studies in the Explanation of Human Action and Social Process, Ed. by Mogens Blegvad. Institute of Organisation and Industrial Sociology, Copenhagen. Mimeograph. E. fromm: The Anatomy of Human Destructiveness. Greenwich, Connecticut 1975. S. 6 2 .
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Kap. V: Explikationen
Beispiel zu E. Fromm zurückzukehren — will der Behaviorist keineswegs alle unterschiedenen Akte des Lachens gleichsetzen, aber er will verhaltensmäßige und physiologische Unterschiede finden, die spezifisch jedes dieser Lächeln in Abhängigkeit von dem begleitenden psychischen Zustand unterscheiden, dessen Ausdruck das Lächeln ist. Die kritische Reflexion hat auch die Begriffe der Sozialwissenschaften nicht verschont, denen man ebenfalls das Fehlen hinreichend klarer empirischer Anwendungskriterien vorgeworfen hat. Dies betrifft vor allem Begriffe, die Einstellungen von Personen oder sozialen Gruppen bezeichnen, wie ζ. B. der Zusammenhang einer Gruppe, die moralische Integration einer Gruppe, der soziale Status, Toleranz gegenüber Verhaltensweisen, die von dem in einer Gruppe gültigen Verhaltensmuster abweichen. Indem die Soziologen diese Kritik akzeptierten, kamen sie den Postulaten des Operationalismus entgegen, die anfänglich durch Bridgmatt bezüglich physikalischer Begriffe formuliert wurden, und erst später auf Begriffe der Soziologie durch Lundberg ausgedehnt worden sind. 19 Der Operationalismus versucht den Begriffen einen empirischen Sinn zu verleihen, indem er vorschreibt, daß in der Begriffsdefinition Operationen angegeben werden sollten, deren Durchführung die Feststellung erlauben würde, ob ein gegebener Gegenstand unter den definierten Begriff fällt. Neopositivismus, Operationalismus, Behaviorismus, das sind Richtungen innerhalb der Wissenschaftstheorie des zwanzigsten Jahrhunderts, die trotz extremer, manchmal unzutreffender20 und übertrieben hoher Forderungen in beträchtlichem Maß dazu beigetragen haben, daß die Verfahren der Bildung wissenschaftlicher Begriffe und der Definition auf ein höheres methodologisches Niveau gehoben werden konnten.
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Vgl. P. W. Bridgman: The Logic of Modem Physics. New York 1927; G. Lundberg: Social Research sowie Operational Definitions in the Social Sciences. American Journal of Sociology X L VII, 1942. Eine kritische Analyse der Ansichten des Operationalismus unternimmt M. Przelqcki: Operationizm. In: T. Pawlowski (Ed): Logiczna teoria nauki. Warszawa 1966. (polnisch).
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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3. Die Ähnlichkeit mit dem Explikandum. Die Ähnlichkeit zwischen dem explizierten Terminus und dem Explikat soll in der Entwicklung der Wissenschaftssprachen Kontinuität gewährleisten. Dadurch sollen die wertvollen und weiterhin aktuellen Bestandteile des früheren Wissens, die in den vorhandenen Begriffen enthalten sind, auch weiterhin erhalten bleiben. Die Tendenz zur Wahrung dieser Kontinuität zeigt sich sehr deutlich, wenn wir die aufeinanderfolgenden Entwicklungsabschnitte einer Wissenschaft verfolgen. Als Beispiel kann die Geschichte des chemischen Begriffs der Säure dienen. Die Definitionen, die den wichtigsten Entwicklungsstadien dieses Begriffe entsprechen, habe ich im Kapitel „Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen" dargestellt. Hier will ich auf Probleme aufmerksam machen, die mit der Ähnlichkeit zwischen Explikandum und Explikat zusammenhängen. Jede der aufeinanderfolgenden Definitionen der Säure, mit Ausnahme der Definition von Boyle, war mit einer entsprechenden chemischen Theorie der Säure und sogar mit einer umfassenderen Theorie chemischer Prozesse verbunden. Die Verdrängung der einen Theorie durch die andere hat bewirkt, daß die Definition der Säure, die in Anlehnung an die siegreiche Theorie formuliert worden ist, die frühere Definition ersetzte. Man kann gleichzeitig beobachten, daß die Extension des Begriffs der Säure nach und nach erweitert wird. Das bedeutet, daß Stoffe, die aufgrund einer früheren Definition als Säuren angesehen wurden, dies auch in den späteren Definitionen waren. Zu ihnen traten aber neue Stoffe, deren Aufnahme in den Bereich des Terminus „Säure" durch die siegreiche Theorie diktiert wurde. In dieser Weise wurden die weiterhin aktuellen Bestandteile des Wissens beibehalten, die in den Begriffen der früheren Entwicklungsstadien der Theorie der Säuren enthalten waren. Ein anderer Aspekt der Kontinuität in der Entwicklung der Wissenschaftssprachen zeigt sich in den Situationen, besonders häufig im Bereich der Geisteswissenschaften, in denen Begriffe der Alltagssprache nach ihrer Vervollkommnung und entsprechenden Anpassung in eine Wissenschaft eingeführt worden sind. Die Ähnlichkeit des in der Wissenschaft akzeptierten Explikats
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K a p . V: Explikationen
mit seiner Entsprechung in der Alltagssprache bewahrt nicht nur die wertvollen Bestandteile des Alltagswissens, sondern erlaubt auch, zwischen den Wissenschaftssprachen und der Sprache des Alltags eine gewisse Verbindung aufrecht zu erhalten. Das ist besonders in den Geisteswissenschaften wichtig, deren Errungenschaften so einem breiteren Kreis von Interessierten zugänglich werden. Die weit gefaßten Geisteswissenschaften sind auch das eigentliche Forum, auf dem die Errungenschaften aller Wissenschaften unter dem Gesichtspunkt der Folgen analysiert werden können, die sich für die einzelne Person und für die Gesellschaft ergeben. Beipielhaft lassen sich hier die Folgen aufzählen, die sich aus der Entdeckung von thermonuklearen Reaktionen ergeben, aus den Errungenschaften der Genetik, die die Möglichkeiten eröffnen, auf die Zusammensetzung der vererbbaren Eigenschaften des Menschen einen Einfluß zu nehmen. Es ist daher wichtig, daß diese Analyse und Bewertung in einer Sprache formuliert wird, die allgemein verständlich ist. Ein richtig bestimmtes Explikat soll seinem Explikandum ähnlich sein — d a s ist das grundlegende Postulat dieses Abschnittes. Eine maximale Ähnlichkeit läge bei einer Identität der Bedeutungen oder zumindest der Extensionen der beiden Termini vor. In diesem Fall wäre die Beziehung zwischen Explikandum und Explikat der Beziehung gleich, die zwischen dem Definiendum und dem Definiens einer feststellenden Definition besteht. Bekanntlich ist eine Definition in bezug auf eine bestimmte Sprache feststellend, wenn derjenige, der die Definition aufstellt, die in dieser Sprache festgestellte Bedeutung des entsprechenden Terminus wiedergeben will. Eine solche Definition ist adäquat, wenn sie den festgestellten Sinn oder zumindest die Extension korrekt wiedergibt, andernfalls ist sie inadäquat. 2 1 In einer guten feststellenden Definition ist daher der definierende Ausdruck bezüglich seines Sinnes oder zumindest seiner Exten-
21
Breitere Informationen über feststellende Definitionen sowie über andere Definitionsarten im K a p . : Uber verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens.
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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sion dem definierten Terminus gleich. Anders verhält es sich bei der Explikation. Z w a r soll die Explikation die Ähnlichkeit zwischen Explikandum und Explikat erhalten, aber im Konfliktfall muß dieser Gesichtspunkt hinter dem der wissenschaftlichen Nützlichkeit des Explikats zurücktreten. Ein solcher Konflikt tritt sehr häufig auf, in der Regel dann, wenn das Explikandum der Alltagssprache angehört. Grund für diesen Konflikt ist die Tatsache, d a ß der Sinn und die Extension des Explikandums sehr häufig unklar und vage bestimmt werden, das Explikat dagegen von diesen Mängeln in möglichst hohem Maße befreit werden sollte. Ziel der Explikation ist nämlich nicht die getreue Wiedergabe, sondern eine teilweise Änderung der Intension und der Extension des Terminus unter Explikation, seine Verbesserung und Adaptation an wissenschaftliche Zwecke. Aus mehreren möglichen Versionen des Explikats werden wir nicht die wählen, die die identische Entsprechung des Terminus unter Explikation darstellt, sondern die, die sich durch möglichst maximale Präzision und wissenschaftliche Brauchbarkeit auszeichnet. Das Explikat soll also kein Äquivalent des Explikandum sein, sondern seine verbesserte und für wissenschaftliche Ziele geeignete Entsprechung. Häufig ist es nämlich so, daß je mehr ein neu eingeführtes Explikat dem zu explizierenden Terminus ähnlich ist, es um so weniger f ü r wissenschaftliche Zwecke geeignet ist. Betrachten wir nun einige Beispiele. Kehren wir in Gedanken in die Zeiten zurück, in denen der im Alltag gebrauchte Terminus „Fisch" soviel wie „im Wasser lebendes Tier" bedeutete. 22 Die Extension dieses Terminus war damals viel umfangreicher als heute und umfaßte auch solche Wesen wie Walfische und Seehunde. Als sich im Zuge der Entwicklung des biologischen Wissens die Notwendigkeit ergab, diesen Terminus für wissenschaftliche Zwecke einer kritischen Revision zu unterziehen, hätte seine Explikation in zwei Richtungen vorgenommen werden können: 1. dem Explikat eine Extension verleihen, die mit der in der Alltagssprache festgestellten identisch ist; 22
Beispiel nach R. Carnap·. Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit.
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Kap. V: Explikationen
2. von der festgestellten Extension abweichen, sie verändern und für Zwecke der Systematisierung des Tierreichs und für allgemeine biologische Zwecke nützlich machen. Wie man weiß, hatte man die zweite Alternative gewählt. Zur wissenschaftlichen Entsprechung des Alltagsausdrucks „Fisch" wurde der lateinische „Piscis". Es ging nicht nur darum, eine internationale Terminologie zu schaffen, die den Biologen die gegenseitige Kommunikation erleichtert, sondern auch um die Vermeidung von Mißverständnissen, die zumindest am Anfang entstehen könnten, hätte man dem bereits vorhandenen Terminus „Fisch" eine zweite, von der festgestellten abweichende Bedeutung verliehen. Die Extension des Terminus „piscis" war enger als die des alltagssprachlichen „Fisch" — man hat aus ihr Tiere ausgeschlossen, die nicht durch Kiemen atmen, u. a. die vorher erwähnten Walfische und Seehunde. Bei der Abweichung von der Extension dieses Terminus in der Alltagssprache ließen sich die Biologen von dem Gesichtspunkt der wissenschaftlichen Nützlichkeit des Explikats leiten. Die alltagssprachliche Extension umfaßte nämlich Tiere, die unter biologischen Gesichtspunkten eine uneinheitliche Gruppe bildeten. Die zu dieser Extension gehörenden Tiere mit Kiemenatmung und auch einige durch Lungen atmende Säugetiere (Walfische, Seehunde) hatten wenige biologisch wichtige gemeinsame Eigenschaften. Mit Hilfe des alltagssprachlichen Begriffs „Fisch" ließen sich also nur wenige Verallgemeinerungen formulieren, die Beziehungen zwischen der Eigenschaft, ein Fisch zu sein, und anderen biologischen Eigenschaften enthielten. Anders ist es im Falle des Terminus „piscis", dessen Extension — zumindest im Hinblick auf den gegenwärtigen Wissensstand — biologisch einheitlich ist. Im Konflikt zwischen, dem Aspekt der Ähnlichkeit mit der festgestellten Bedeutung und der wissenschaftlichen Nützlichkeit hat also die letzte gesiegt. In Zusammenhang mit dem obigen Beispiel drängt sich hier noch eine methodologische Anmerkung auf, die auch in bezug auf andere analoge Beispiele der Revision wissenschaftlicher Begriffe wichtig ist. Manchmal wird dieses Beispiel auch so interpretiert,
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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daß die von den Biologen entdeckten Tatsachen zur Verwerfung der Behauptung „Der Walfisch ist ein Fisch" geführt hätten. Diese Interpretation ist nicht zutreffend. Sie verwischt außerdem den Unterschied zwischen zwei methodologisch unterschiedlichen Operationen: 1. eine Behauptung aufgrund der Entdeckung ihr widersprechender Tatsachen als falsch verwerfen; 2. die Verwerfung dieser Behauptung aufgrund einer terminologischen Festsetzung, die den Sinn einiger in dieser Behauptung vorkommender Begriffe ändert. Der erste Fall kommt in diesem Beispiel nicht vor, weil aufgrund der damaligen Bedeutung des Terminus „Fisch" — Fische waren im Wasser lebende Tiere — die Behauptung „Der Walfisch ist ein Fisch" vollkommen korrekt und wahr war. Man hat sie aber aufgrund einer terminologischen Entscheidung verworfen, die die Extension des Terminus „Fisch" änderte, was der zweite Fall vorsieht. Einfachheit. Einleitend muß man feststellen, daß die Einfachheit ein Wert ist, der — was die Einstufung seiner Wichtigkeit betrifft — unter der soeben besprochenen wissenschaftlidien Nützlichkeit steht. Das bedeutet, daß im Falle eines Konflikts zwischen Einfachheit und wissenschaftlicher Nützlichkeit, die Nützlichkeit den Vorrang hat. Die Einfachheit kann als ein Wahlkriterium in den Fällen auftreten, in denen mehrere verschiedene Explikationen desselben Begriffs, die sich in den übrigen Aspekten nicht unterscheiden, miteinander konkurrieren. Dann gewinnt im allgemeinen die einfachste. Die Einfachheit einer Explikation kann in zwei Formen auftreten: 1. der Einfachheit der Definition des explizierten Begriffs und 2. der Einfachheit der wissenschaftlichen Behauptungen oder Theorie, die diesen Begriff mit anderen Begriffen verbindet. Das Streben nach Einfachheit der Behauptungen und der Theorie zeigt sich in der Geschichte der Wissenschaften. Worin besteht dieses Bestreben, mit dessen Analyse die wissenschaftlich berühmten
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Kap. V: Explikationen
Namen des Avenarius, Machs und Poincarés verbunden sind? Es ist schwer, auf diese Frage eine genügend präzise und allgemeine Antwort zu geben. Ein bestimmter wesentlicher Aspekt dieses Strebens manifestiert sich in der Herabsetzung der Zahl der Behauptungen und der Begriffe, die zur Erklärung einer bestimmten Art von Phänomenen benötigt werden. A. Einstein beschreibt dieses Bestreben folgendermaßen: „Wir verstehen darunter . . . das Bestreben, die Zahl aller Begriffe und Beziehungen herabzusetzen auf die möglichst kleine Zahl grundlegender, logisch unabhängiger Begriffe und Axiome." 23 Diese Reduzierung kann erreicht werden ζ. B. durch die Einführung von Gesetzen und Begriffen von allgemeinerer Tragweite, deren Spezialfälle die eliminierten Gesetze und Begriffe sind. Eine Erscheinungsform dieses Bestrebens ist die im Zuge einer schrittweisen Verallgemeinerung eintretende Verschmelzung ehemals getrennter Teile oder Teiltheorien einer Wissenschaft in einen Komplex von Behauptungen, der die Gesamtheit der Erscheinungen, die Forschungsgegenstand dieser Wissenschaft sind, mit Hilfe einheitlicher Prinzipien und Begriffe erklärt. Diese Vorgänge lassen sich am besten feststellen, wenn man die Geschichte der am meisten entwickelten exakten Wissenschaften betrachtet. Die Einfachheit der wissenschaftlichen Begriffe, Gesetze und Theorien ist natürlich eine graduierbare Eigenschaft, die diesen Bestandteilen der Wissenschaften im unterschiedlichen Maß zukommen kann. Das erlaubt, sie unter diesem Aspekt zu vergleichen. Es wäre eine interessante und äußerst verlockende Sache, sich um eine präzise Bestimmung des Begriffs der Einfachheit zu bemühen. Einen ehrgeizigen Versuch einer solchen Bestimmung hat Nelson Goodman unternommen.24 Er begegnete aber zahlreicher Kritik, die man u. a. vom Standpunkt der Grundlagen einer allgemeinen Meßtheorie erhob.25 Man hat 23
24
25
A. Einstein: The Fundamentals of Theoretical Physics. In: Readings in the Philosophy of Science. New York 1953. Den Begriff der Einfachheit hat Ν. Goodman in mehreren Arbeiten analysiert. Eine zusammenfassende Darstellung in: The Structure of Appearance. Cambridge, Mass. 1951. Eine Kritik der Konzeption N. Goodmans führt durch P. Suppes:
Bedingungen, denen das Explikat genügen sollte
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nämlich darauf aufmerksam gemacht, daß Goodmans Begriff nicht den an metrische Begriffe gestellten Anforderungen genügt. Eine präzise und unter methodologischen Gesichtspunkten korrekte Bestimmung eines metrischen Begriffs der Einfachheit in bezug auf wissenschaftliche Begriffe und Theorien ist eine überaus schwierige Aufgabe, wenn sie überhaupt zufriedenstellend gelöst werden kann. Gegenwärtig wenden die Forscher, die wissenschaftliche Begriffsbildungen und Theorien hinsichtlich ihrer Einfachheit vergleichen, lediglich intuitive Kriterien an. Adäquatheitsbedingungen. Die besprochenen vier Bedingungen determinieren allgemein Anforderungen, denen ein Explikat genügen sollte, das in eine Wissenschaft eingeführt wird. Es kommt häufig vor, daß ein Autor, der die Explikation eines Begriffs durchfuhrt, ausdrücklich bestimmte speziellere Empfehlungen geben möchte, die sich auf diese allgemeinen Formulierungen stützen, und deren Erfüllung er als besonders wichtig ansieht. Diese Empfehlungen werden manchmal als Adäquatheitsbedingungen bezeichnet. Sie beziehen sich auf verschiedene Aspekte des eingeführten Explikats, deren wichtigste ich nun anführen will. 1. Sie können bestimmte Elemente des alltäglichen Verständnisses des Terminus unter Explikation bezeichnen, die im Sinn des Explikats enthalten, oder aus ihm ausgeschlossen sein sollten. In dieser Weise modelliert der Autor der Explikation die Art und den Grad der Ähnlichkeit mit der Alltagssprache. Das ist besonders bei der Explikation geisteswissenschaftlicher Begriffe wichtig. 2. Sie können sich auf bestimmte konkrete Gegenstände oder Klassen von Gegenständen beziehen, die auf jeden Fall in der Extension des Explikats enthalten, oder aus ihr ausgeschlossen sein sollten. 3. Sie können fordern, daß die zur Extension des Explikats gehörenden Gegenstände bestimmte Eigenschaften haben, Nelson Goodman on the Concept of Simplicity. Philosophy of Science, Vol. 23, No. 2, 1956. 16
Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. V: Explikationen
oder mit anderen Gegenständen in bestimmte Beziehungen treten sollten. 4. Sie können als Extension des Explikats eine Klasse von Gegenständen bestimmen, die — nach Meinung des Autors der Explikation — vom Standpunkt der Aufgabenstellung der betreffenden Wissenschaft, in die das Explikat eingeführt werden soll, eine homogene Klasse von Gegenständen darstellt. 5. Sie können auf bestimmte methodologische oder erkenntnismäßige Aufgaben hinweisen, deren Erfüllung durch die Annahme des Explikats ermöglicht werden soll. Und hier einige Beispiele, die diese Adäquatheitsbedingungen veranschaulichen: Der Terminus „Piscis" hat in der wissenschaftlichen Terminologie das Wort „Fisch" ersetzt, weil er — in Gegensatz zu diesem Wort — eine vom Standpunkt der Erkenntnisinteressen der Biologie homogene Klasse von Organismen bezeichnet (4. Adäquatheitsbedingung). Gleichzeitig wurde dieser Terminus so bestimmt, daß zu seiner Extension nicht mehr die durch Lungen atmenden Tiere gehörten (2. Adäquatheitsbedingung). Der Terminus „Information", der in der mathematischen Informationstheorie auftritt, wurde der Alltagssprache entnommen. In der Informationstheorie wurde in bezug auf diesen Terminus die Bedingung formuliert, daß die Menge der neuen Informationen, die aus bereits bekannten Daten logisch folgt, gleich Null sein soll (3. Adäquatheitsbedingung). Wie man weiß, erfüllt das alltagssprachliche Wort „Information" diese Bedingung nicht. R. Carnap unternahm den Versuch, den Begriff der Bestätigung zu explizieren, der in der Wissenschaftstheorie eine wichtige Rolle spielt (ich spreche darüber am Anfang dieses Kapitels). Carnap ging es darum, das weniger exakte, alltägliche Verständnis durch einen metrischen Begriff zu ersetzen, der es erlauben würde, den Bestätigungsgrad eines Satzes durch einen anderen anzugeben (5. Adäquatheitsbedingung). Viele Begriffe der Sozialwissenschaften entstammen der Alltagssprache. Bei der Aufstellung von Definitionen dieser Begriffe für
Explikation und andere Methoden der Begriffsbestimmung
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wissenschaftliche Zwecke, bemühen sich die Soziologen häufig bewußt darum, nicht zu stark vom Verständnis in der Alltagssprache abzuweichen (1. Adäquatheitsbedingung).
Explikation und andere Methoden der Begriffsbestimmung Ich möchte jetzt Überlegungen darüber anstellen, welche Beziehungen zwischen der Explikation und der feststellenden, der festsetzenden und der regulierenden Definition bestehen. 26 Die Explikation und die feststellende Definition haben das gemeinsam, daß beide die festgestellte Bedeutung des definierten Terminus berücksichtigen. Am häufigsten ist dies eine in der Alltagssprache oder in früheren, vor der Explikation liegenden Entwicklungsstadien der betreffenden Wissenschaft festgestellte Bedeutung. Das Ziel der feststellenden Definition besteht aber darin, die festgestellte Bedeutung genau zu rekonstruieren, die Explikation dagegen zielt darauf ab, diese Bedeutung zu präzisieren und teilweise zu ändern, und so den Terminus unter Explikation für bestimmte wissenschaftliche Aufgabenstellungen verwendbar zu machen. Das gemeinsame Ziel der festsetzenden Definition und der Explikation ist es, dem definierten Terminus eine neue Bestimmung zu verleihen. Die festsetzende Definition berücksichtigt aber die festgestellte Bedeutung dieses Terminus überhaupt nicht, während es die Explikation teilweise tut. Sowohl die festsetzende Definition als auch die Explikation berücksichtigen bei der Bedeutungsfestsetzung für den definierten Terminus die Zielsetzung, bei der dieser Terminus verwendet werden soll. Die einem Terminus im Ergebnis der Explikation verliehene Bedeutung wird aber in hohem Maße durch die Aufgabenstellungen der wissenschaftlichen Theorie oder des Begriffssystems determiniert, in die dieser Terminus eingeführt werden soll. Dagegen wird bei der festsetzenden Definition, das Ziel, dem der definierte Terminus 26
Diese Arten von Definitionen bespreche ich im Kap.: Über verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens.
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Kap. V: Explikationen
dienen soll, allgemeiner und weniger exakt aufgefaßt. Außerdem ist die Explikation erst dann abgeschlossen, wenn der zu definierende Terminus tatsächlich in ein bestimmtes Begriffssystem eingeführt worden ist, was keine unumgängliche Bedingung für die festsetzende Definition ist. Die teilweise Berücksichtigung der festgestellten Bedeutung des zu definierenden Terminus sowie deren teilweise Änderung, die darin besteht, daß er präzisiert und für bestimmte praktische oder theoretische Zielsetzungen anwendbar gemacht wird, das sind Ähnlichkeiten zwischen der regulierenden Definition und der Explikation. Unterschiede bestehen in zwei Punkten: 1. Die Richtung, die Qualität und der Umfang der Änderung der festgestellten Bedeutung werden bei der Explikation in hohem M a ß determiniert durch die Zielsetzungen der wissenschaftlichen Theorie, in die das Explikat eingeführt werden soll, und auch durch die vier Bedingungen und die Adäquatheitsforderungen, denen ein Explikat genügen sollte. Für eine regulierende Definition gibt es keine so klar formulierte Kriterien für die vorgenommenen Modifikationen. 2. Die Explikation wird erst durch die Einführung des Explikats in ein bestimmtes Begriffssystem beendet, was für die regulierende Definition nicht gilt. M a n kann außerdem feststellen, daß die Beziehung zwischen Explikandum und Explikat, sowohl was ihren Sinn als auch was ihre logische Struktur betrifft, nicht so streng ist, und eine größere Vielfalt von Lösungsmöglichkeiten zuläßt, als die Beziehung zwischen Definiendum und Definiens in einer feststellenden oder in einer regulierenden Definition. So kann ζ. B. das Explikandum die Struktur eines klassifikatorischen Begriffs haben, das ihm entsprechende Explikat hingegen die eines komparativen oder eines metrischen Begriffs, was bei den erwähnten Definitionsarten nicht der Fall ist. 27 27
Vgl. die Bemerkungen über klassifikatorische und komparative Begriffe im Kap.: Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen.
Anwendungen
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Eine feststellende Definition kann als gut oder schlecht beurteilt werden, je nach dem, ob sie adäquat ist, ob sie getreu die festgestellte Bedeutung des Definiendum rekonstruiert oder nicht. Es ergibt sich die Frage, ob man auch eine Explikation in ähnlicher Weise als gut oder schlecht beurteilen kann. Diese Frage muß verneint werden. Die Forderungen an ein Explikat erlauben es nicht, eine Explikation eindeutig als gut oder schlecht einzustufen, in Abhängigkeit davon, ob sie diese Bedingungen erfüllt oder nicht. Diese Forderungen werden nämlich für die Explikation in einer weniger exakten Art und Weise formuliert und können besser oder schlechter erfüllt werden. Dies erlaubt den Vergleich zwischen konkurrierenden Explikationen desselben Begriffs in Hinblick auf ihre Richtigkeit und Nützlichkeit für ein bestimmtes wissenschaftliches Ziel, und die Feststellung, daß die eine besser als die andere sei, oder daß beide gleich gut seien.
Anwendungen Die Begriffsexplikation wird häufig in den gut entwickelten exakten Wissenschaften angewandt. „Kraft", „Wasser", „Salz", „Säure" — das sind einige einfache Beispiele für Begriffe, die in diesen Wissenschaften expliziert werden. In der Geschichte der zeitgenössischen Physik wurde die Explikation des Begriffs der Gleichzeitigkeit von Ereignissen berühmt, die von Albert Einstein im Rahmen seiner Relativitätstheorie vorgenommen wurde. Im Ergebnis dieser Explikation wurde der Begriff der Gleichzeitigkeit, der bisher für einen absoluten gehalten wurde, zu einem relativen Begriff, so daß man zwei Ereignisse nur in bezug auf ein drittes Ereignis als gleichzeitig bezeichnen kann. Daraus folgt, daß zwei Ereignisse, die in bezug auf ein bestimmtes drittes Ereignis als gleichzeitig angesehen werden, in bezug auf ein weiteres Ereignis nicht mehr gleichzeitig sind. Fügen wir noch hinzu, daß dies eine Bedeutungsänderung ist, die für einen breiten Kreis von Menschen, die an das absolute Verständnis des Begriffs der Gleichzeitigkeit gewöhnt waren, schwer zu verstehen und zu akzeptieren war.
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Kap. V:
Explikationen
Viele Beispiele der Begriffsexplikation findet man in den biologischen Wissenschaften. Besonders instruktiv sind die Explikationen, die notwendig wurden, weil man neue organische Formen entdeckt hat, die als Grenzfälle der bisher bekannten Formen angesehen wurden. Als Beispiel kann die Explikation des Begriffs „lebender Organismus" dienen, die durch die Entdeckung der Viren verursacht wurde. 28 Eine andere Ursache für die Explikation biologischer Begriffe, die manchmal mehrere Male für denselben Begriff vorgenommen wurde, und aufeinanderfolgende Änderungen seiner Extension und seiner Intension bewirkte, waren die Änderungen der Ansichten über die Systematik des Pflanzen- und Tierbereichs. 29 Interessante Beispiele der Explikation findet man auch in den exakten logisch-mathematischen Wissenschaften und in der Wissenschaftstheorie. 30 Eine enorme Bedeutung hatte die Explikation des Begriffs der logischen Folgerung, die es erlaubte, die geläufigen, intuitiven Kriterien der logischen Folgerung durch präzise, in Anlehnung an den logischen Kalkül oder an die Modelltheorie formulierte Kriterien zu ersetzen. In der Grundlagentheorie der Mathematik hat eine große Rolle die Explikation des Mengenbegriffs gespielt — des grundlegenden Begriffs der Mengentheorie — die durch die berühmte Kritik an der intuitiven Verwendung dieses Begriffs verursacht wurde, die Bertrand Rüssel geäußert hat. Rüssel hat nämlich gezeigt, daß das bisherige intuitive Verständnis des Begriffs „Menge" zu Widersprüchen führt - daher 28
Ein anderes Beispiel ist die Entdeckung der Monotremata, die eine Änderung des Begriffs „Säugetier" erforderlich machte. Namentlich hat m a n aus den definitorischen Eigenschaften, die des LebendGeboren-Seins entfernt, denn die Monotremata legen Eier. Auch ein Schnabel, der mit der bisherigen Vorstellung von einem Säugetier unvereinbar war, hörte jetzt auf, ein Hindernis zu sein, denn das Schnabeltier, das im Ergebnis der durchgeführten Revision zu den Säugetieren gehört, hat einen Schnabel.
29
Vgl. zu diesem Problem das Kap.: Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Definitionen. Beispiele für die Anwendung der Explikation bei der Erläuterung der Begriffe der allgemeinen Modelltheorie findet man in H. Stachowiak : Allgemeine Modelltheorie. Berlin, New York, Wien 1 9 7 3 , Kap. 3.
30
Anwendungen
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die Bezeichnung „Russeische Antinomie" - und hat gleichzeitig eine bestimmte Lösung für diese Schwierigkeiten in der Form seiner logischen Typentheorie vorgeschlagen. 31 Explikationen mit Hilfe exakter mathematischer Begriffe werden gegenwärtig auch außerhalb des Bereichs der Wissenschaften vorgenommen, die man traditionell als die exakten bezeichnet. Beispiele solcher Explikationen kann man in der mathematischen Psychologie und Soziologie finden, die man auch Psychometrie und Soziometrie nennt; in der Ökonometrie, in der Informationstheorie, der Spieltheorie, der Entscheidungstheorie, der Praxeologie; aber auch bei vielen Anwendungen dieser Disziplinen in verschiedenen wissenschaftlichen und praktischen Bereichen. In dieser Arbeit interessiert mich vor allem die Anwendung der Explikation in den Geisteswissenschaften im weiten Sinn dieses Worts. Gewöhnlich werden geisteswissenschaftliche Begriffe am Anfang im Alltag, in Rezensionen, in Diskussionen über Kunst, über Moral, über den Sinn des Lebens oder über bestimmte literarische oder gesellschaftliche Phänomene usw. weniger exakt, ohne systematische Analyse gebraucht. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, wenn die Situation dafür reif geworden ist, nimmt jemand so einen Begriff auf den Prüfstand, unterwirft ihn einer kritischen Analyse und formuliert anschließend eine Explikation und eine „ T h e o r i e " des betreffenden Phänomens — in der Form eines bestimmten Begriffssystems. Hier nur einige Beispiele für Begriffe, die auf diese Weise, aus freieren Diskussionen in geordnetere Systeme von Behauptungen und Begriffen übergegangen sind: Renaissance, Impressionismus, Kubismus, Schönheit, Kitsch, philosophische Erzählung, didaktisches Märchen, Religion, bürgerliche Moral, Glück, Hippie-Ideologie, soziale Rolle, soziale Klasse, ästhetische Bewertung, moralische Norm, Täter, Kampf. Die in den Geisteswissenschaften durchgeführten Begriffsexplikationen sind häufig unvollständig, sie stellen eher Explikationsversuche dar. Die Unvollständigkeit besteht hier darin, daß eine 31
Vgl. B. Rüssel: Principia Mathematica 1925, 1927.
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Kap. V: Explikationen
der vorher diskutierten Bedingungen nicht erfüllt, oder nur in einem ungenügenden Grad erfüllt worden ist. Es geht hier hauptsächlich um folgende Punkte: 1. Es fehlt die erste einleitende Erklärung des Sinns des Explikandum, was folglich das Verstehen des an seiner Stelle eingeführten Explikats erschwert, vor allem in solchen Fällen, in denen das Explikat selbst nicht genügend klar erklärt worden ist. 2. Das Explikat hängt gleichsam in der Luft, d. h. es fehlt die wissenschaftliche Theorie, oder zumindest ein weniger streng aufgefaßtes, aber hinreichend konsequentes Begriffssystem, dem das Explikat angehört und das dem Explikat die wissenschaftliche Nützlichkeit verleihen würde. 3. Die Intension und die Extension des Explikats werden nicht in genügend klarer und scharfer Weise bestimmt. 4. Das Explikat ist kein metrischer oder zumindest komparativer Begriff, obwohl dies durch die wissenschaftliche Aufgabenstellung des Begriffssystems, in das das Explikat eingeführt werden soll, gefordert wird. 5. Das Explikat wurde als metrischer Begriff ohne ausreichende Begründung bestimmt. Dies stellt die wissenschaftliche Nützlichkeit dieses Begriffs in Frage oder den Sinn der quantitativen Aussagen, die mit seiner Hilfe formuliert werden. 3 2 Ich habe in diesem Kapitel zahlreiche Beispiele von Begriffen angeführt, die einer Explikation unterworfen wurden. Diese Beispiele stellen jedoch eher die Ergebnisse als den Vorgang der Explikation selbst dar. Jetzt möchte ich etwas genauer den Versuch einer Explikation zweier ausgewählter Begriffe vorstellen, um so den Verlauf einer Explikation zu veranschaulichen und um auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die hier entstehen können. Einer der Begriffe gehört zur Ästhetik, der andere zur Methodologie. 32
Zum Problem der Begründung der Anwendung metrischer Begriffe und zum Sinnproblem der quantitativen Sätze vgl. T. PauAowski: Methodologische Probleme in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Braunschweig 1975.
Anwendungen
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Der glaubwürdige Informant. Der Vorteil dieses Beispiels liegt in seiner Einfachheit, gleichzeitig ist der Begriff selbst unter praktischen und theoretischen Gesichtspunkten sehr wichtig, was ihn zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand macht. Auf die Berichte eines Informanten müssen wir uns sehr häufig stützen, vor allem dann, wenn wir selbst ein Wissen über die Tatsachen, über die der Bericht spricht, nicht erlangen können. Solche Situationen begegnen sehr häufig. Beispielsweise kann man hier die Rechtsprechung anführen (Zeugenaussagen), die historischen Wissenschaften (Informationen, die in den Quellen enthalten sind), die Sozialwissenschaften, die Ethnographie, die Anthropologie (die Benutzung von Interviews, Gesprächen und Umfragen). Der Begriff des glaubwürdigen Informanten ist unklar und unscharf, vor allem aber liefert er keine metrischen Kriterien, die es erlauben würden, den Grad der Glaubwürdigkeit abzuschätzen. Um so wertvoller ist der Versuch der Explikation, den ich jetzt vorstellen will, und in dem solche metrischen Kriterien enthalten sind 33 . Bei der Explikation bedient sich der Verfasser einer Reihe von Hilfsbegriffen, die ich kurz besprechen werde. Vor allem wird der Begriff der Glaubwürdigkeit auf einen Kritiker Κ relativiert (d. h. eine Person, die die Glaubwürdigkeit des Informanten bewertet), und auf eine durch den Kritiker bestimmte Interessendomäne Dk, d. h. eine Menge von Fragen, auf die der Kritiker vom Informanten Antworten haben möchte. Das Gesetz des Verhaltens eines idealen Informanten in der Domäne D k beschreibt, wie sich ein — nach Meinung des Kritikers — guter Informant angesichts der vom Kritiker formulierten Fragen zu verhalten hat, wobei das Zeichen a, das als Index unter den Satz gesetzt wird, bezeichnet, daß der Kritiker vom Informanten die Behauptung dieses Satzes erwartet, falls dieser wahr ist, und das Zeichen ν erlaubt, diesen zu verschweigen. Die Folge der durch den Kritiker interpretierten Aussagen des Informanten setzt sich aus Sätzen zusammen, die mit bestimmten 33
Vgl. ]. Giedymin: Wiarogodnosc informatora (Die Glaubwürdigkeit des Informanten). Das ist ein Kap. in dem Buch: Problemy, zalozenia, rozstrzygniçcia (Probleme, Hypothesen, Lösungen) Poznañ 1964.
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Kap. V: Explikationen
Sätzen in der Domäne D|< identisch sind, wobei dies auch Sätze sein können, die der Informant nicht geäußert hat, die der Kritiker aber als gleichwertig mit den vom Informanten tatsächlich geäußerten Sätzen angesehen hat. Der Kritiker konstruiert eine Verhaltenslinie des Informanten, indem er dessen Antworten mit dem Gesetz des idealen Verhaltens des Informanten und mit dem eigenen Wissen über die Sätze, die in der Domäne Di, sind, vergleicht, wobei er eine 1 setzt, wenn diese drei Folgen übereinstimmen, und eine 0, wenn sie nicht übereinstimmen. Die Null bezeichnet einen Fehler des Informanten, der darin beruht, daß er einen wahren Satz verneint, oder einen Fehler, der darin besteht, daß der Informant einen wahren Satz verschwieg, dessen Behauptung der Kritiker erwartete. Die Fehlerhäufigkeit des Informanten kann natürlich unterschiedlich sein, wobei der Kritiker eine bestimmte Zahl α festsetzt, die die obere Grenze bezeichnet, bei deren Überschreitung der Informant seine Glaubwürdigkeit verliert. Ein anderer Faktor, von dem die Glaubwürdigkeit des Informanten abhängt, ist die Zufälligkeit seiner Fehler. Der Kritiker stellt diese so fest, daß er aus der Domäne Dt bestimmte Untermengen von Sätzen auswählt, die verschiedene Probleme betreffen, ζ. B. wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche u. ä. Wenn die Häufigkeit der Fehler in jeder der so unterschiedenen Teilmengen die Zahl α nicht überschreitet, sind die Fehler des Informanten zufällig. Der nicht zufällige, systematische Charakter der Fehler bedeutet, daß der Informant auf bestimmten Gebieten eine Tendenz zur Übermittlung falscher Informationen oder zum Verschweigen wahrer zeigt. In Anlehnung an die eingeführten Begriffe, konstruiert der Verfasser die Begriffsbestimmung des glaubwürdigen Informanten in der folgenden Explikation, die eine partielle Definition des Begriffs darstellt: 34 Wenn eine lange Verhaltenslinie des Informanten I in der Domäne Dk gegeben ist, dann ist der Informant in D^ genau dann glaubwürdig, wenn: 34
Nach der Terminologie, die im Kapitel über partielle Definitionen vorgestellt wurde, hat die angeführte Bestimmung des glaubwürdigen Informanten die Form eines bilateralen Reduktionssatzes.
Anwendungen
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1. Die Fehlerquote die Zahl α nicht übersteigt 2. die Fehler und die Fälle von Verschweigen zufällig sind. Uberlegen wir nun, in welchem M a ß die vom Verfasser formulierte Explikation überzeugt. Man muß vor allem feststellen, daß dies eine Explikation ist, die auf einem ausnehmend hohem methodologischem Niveau vorgenommen wurde, und die einen Begriff betrifft, der sehr schwer zu definieren ist. Trotzdem entstehen Zweifel darüber, ob der in dieser Weise explizierte Begriff des glaubwürdigen Informanten in genügendem M a ß für wissenschaftliche Zwecke geeignet ist, und ob er in ausreichendem Maß seiner alltagssprachlichen Entsprechung ähnlich ist. Vor allem sollten wir uns fragen, ob ein glaubwürdiger Informant im Sinne dieser Explikation ein Mensch ist, auf dessen Informationen man sich verlassen kann. Nun ist es offenkundig, daß ein Mensch ein glaubwürdiger Informant in dem vom Verfasser festgesetzten Sinn sein kann, und trotzdem wird man sich auf seine Informationen nicht verlassen können. Die Ursache hierfür ist darin zu sehen, daß es keine Beschränkungen über die Wahl der Parameter gibt, die den Begriff der Glaubwürdigkeit relativieren. Sowohl die Domäne Dk als auch die Höhe der Fehlerquote α oder das Gesetz des Verhaltens eines idealen Informanten, können durch den Kritiker Κ beliebig gewählt werden. Ein gewisses M a ß an Beliebigkeit gibt es auch bei der Interpretation der Aussagen des Informanten durch den Kritiker als solche, die den Sätzen der Domäne D|< äquivalent sind. Es ist offenkundig, daß man in bezug auf jeden Informanten I diese Parameter so wählen kann, daß der Informant hinsichtlich dieser Parameter als glaubwürdig erscheint. Man muß betonen, daß sich der Autor dieser Konsequenzen seiner Definition bewußt ist und die Notwendigkeit sieht, weitere Ergänzungen einzuführen, die es erlauben würden, einen solchen Begriff der Glaubwürdigkeit zu erhalten, daß man sich tatsächlich auf die Informationen eines glaubwürdigen Informanten verlassen kann. Erst die Einführung dieser Änderungen würde den Begriff „glaubwürdiger Informant" wissenschaftlich nützlich machen. Die obige Explikation muß man daher als eine erste Annäherung ansehen, die im Ergebnis weiterer Forschungen vielleicht durch einen vollkommen nützlichen Begriff ersetzt werden kann.
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Kap. V: Explikationen
Informationsästhetik. Die Autoren, die in ihren Überlegungen über Probleme der Ästhetik informationstheoretische Begriffe verwenden, knüpfen in ihren Arbeiten an die Ergebnisse des amerikanischen Mathematikers und Ästhetikers G. D. Birkhoff an 3 5 . Die Ergebnisse Birkhoffs wurden weiterentwickelt und in der Sprache der mathematischen Informationstheorie dargestellt. Dies wurde in hohem Maße in den Arbeiten deutscher Autoren aus der Schule M. Benses vorgenommen 3 6 . Eine wichtige Rolle spielten auch die Arbeiten von A. Moles37. Die Informationsästhetik stellt den Versuch dar, eine Theorie zu konstruieren, die es erlauben würde, quantitative Beziehungen zwischen Phänomenen zu formulieren, über die man bisher ausschließlich in einer unpräzisen Sprache gesprochen hat, welche nur über qualitative Begriffe verfügt. Mit Hilfe der Sprache der Mathematik wird in dieser Theorie die Explikation einer Reihe traditioneller Begriffe der Ästhetik vorgenommen, wie „ästhetischer W e r t " , „Gestalthöhe", „auffällige Eigenschaft eines Kunstwerks". Im weiteren Verlauf werde ich die Explikation des letzten Begriffs genauer besprechen 3 8 . Die Informationsästhetik sieht in einem Kunstwerk (oder allgemeiner in einem ästhetischen Objekt) eine bestimmte komplexe 35
36
37
38
A Mathematical Theory of Aesthetics and its Applications to Poetry and Music. Rice Institute Pamphlet, Vol. 19, July 1932. Reprinted in Collected Mathematical Papers. Vol. 3. New York 1958. M. Bense: Aesthetica I, II, III, IV. Stuttgart, Krefeld, Baden-Baden 1954, 1956, 1958, 1960; H. Frank: Informationsästhetik. Grundlagenprobleme und erste Anwendung auf die mime pure. Waiblingen 1959. Wiederabgedruckt in: B. S. Meder, W. F. Schmid (Hrsg): Kybernetische Pädagogik. Schriften 1 9 5 8 - 1 9 7 2 . Bd. 1 - 5 , Stuttgart 1973, 1974: R. Gunzenhäuser: Ästhetisches Maß und ästhetische Information. Quickborn 1962; S. Maser: Numerische Ästhetik, Stuttgart 1970. Neue Ausg. 1971. A. Moles: Theorie de l'information et preception esthétique. Paris 1958. Indem ich die Bestimmung dieses Begriffs, die auf der Grundlage der Informationsästhetik vorgenommen wurde, als eine Explikation behandle, will ich nicht behaupten, daß der Verfasser bewußt eine Explikation geben wollte, sondern lediglich, daß sich diese Begriffsbestimmung als eine Explikation betrachten läßt.
Anwendungen
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Einheit, die sich aus einfacheren Elementen zusammensetzt 3 9 . Als Beispiel einer solchen Einheit, das von den Vertretern der Informationsästhetik häufig angeführt wird, kann ein beliebiges Bild dienen. Stellen wir uns vor, daß durch die aufeinanderfolgende Auflegung von immer feineren Rastern ein Bild in immer kleinere Teilchen geteilt wird, die man Zeichen nennt. Die „Zeichen" bilden eine Hierarchie. An der untersten Stufe dieser Hierarchie stehen die Wahrnehmungselemente, aus denen sich die „Superzeichen" immer höherer Stufen aufbauen. In dieser Weise gelangen wir von den sehr kleinen Elementen eines Bildes, die nichts darstellen, schrittweise zu größeren Elementen (Superzeichen), die ein Objekt (ζ. B. einen Menschen), oder einen erkennbaren Teil dieses Objekts (ζ. B. den Kopf) darstellen. Bei der Beschreibung und der Analyse von ästhetischen Objekten, die in der vorgestellten Weise zerlegt wurden 4 0 , werden die Begriffe und Theoreme der mathematischen Informationstheorie angewandt. Mit Hilfe der Begriffe dieser Theorie werden auch Auffälligkeitsgrade bestimmt, die das Explikat des alltagssprachlichen Begriffs einer besonders hervorgehobenen Eigenschaft eines Kunstwerks ist. Die Auffälligkeit ist eine graduierbare Eigenschaft, die in verschiedenen Kunstwerken mit unterschiedlicher Intensität auftreten kann. Die Alltagssprache verfügt aber nicht über genügend klare und scharfe Vergleichskriterien, und noch weniger über metrische Kriterien. Dieses unexakte, alltagssprachliche Verständnis ersetzt H. Frank durch ein Explikat, das den Charakter eines metrischen Begriffs hat, der durch die folgende Gleichung determiniert wird 4 1 : ΔΓ7 Χ
A ( Z k ) = 39
40
41
'ι2*) ïiizj
Umfassendere Angaben über die Informationsästhetik kann man in den Arbeiten der Autoren finden, die in Anm. 36 und 37 erwähnt wurden. Dies muß man nicht als die Beschreibung des Vorgangs der faktischen Zergliederung eines Kunstwerks ansehen, obwohl auch solche extreme Interpretationen anzutreffen sind, sondern eher als die Beschreibung der theoretischen Analyse des Werks. H. Frank: Überraschungswert und Auffälligkeit. In: Kybernetische Pädagogik. Bd. I, S. 232.
17 Pawlowski, Begnffsbildung
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Kap. V: Explikationen
In dieser Gleichung wird behauptet, daß der Auffälligkeitsgrad einer Eigenschaft (eines Zeichens oder Ereignisses) Z^ dem Verhältnis zwischen der Informationsmenge I (Z^), deren Träger diese Eigenschaft ist, und der Summe der Information ΣΙ(Ζ,) gleicht, deren Träger alle Eigenschaften „ i " sind, die in dem gegebenen Kunstwerk auftreten. Eine so definierte Funktion der Auffälligkeit erreicht ihr Maximum, wenn A(ZiJ = — , was ungefähr 3 7 Proe zent beträgt. H. Frank bezeichnet diesen Grad der Auffälligkeit als den maximalen Effekt. Er versucht zu zeigen, daß die Eigenschaft, die den maximalen Effekt hat, gleichzeitig die am meisten betonte, die auffälligste ist — im alltäglichen Verständnis dieses Wortes. Die Übereinstimmung zwischen der maximalen Intensität des Explikandum und des Explikats würde bedeuten, daß zwischen diesen eine Ähnlichkeit besteht, was eine der Forderungen an eine gute Explikation ist. Es scheint auch, daß der Verfasser die Ubereinstimmung der Punkte der maximalen Intensität als eine Adäquatheitsbedingung seiner Explikation annimmt. 4 2 Hier Beispiele, die die Anwendung des Begriffs des maximalen Effekts auf die Beschreibung von Kunstwerken veranschaulichen. „Nehmen wir an, gewissen Farbtönen könnten gewisse Bedeutungen zukommen, etwa weise Gold auf majestätische Pracht hin. Ein Maler möchte ein Bild möglichst intensiv auf diese Bedeutung hinweisen lassen. Er muß dann etwa 4 0 % der Fläche vergolden — vergoldet er mehr, dann nimmt der Effekt ab. — Bei Claude Monets „Felder im Frühling" sind in diesem Sinne sowohl die Bäume wie auch die Felder grob überschlagen maximal betont — während der im Schnittpunkt von Bäumen, Feld und Himmel stehende Mensch stark zurücktritt, wie es wohl die Absicht war. — Eine Flächenbestimmung in Anselm Feuerbachs „Iphigenie" (Württembergische Staatsgalerie) ergab, daß dort gerade 4 0 % der Fläche weiß sind, diese Farbe also maximal betont ist. Auch das könnte Absicht des Malers gewesen sein. Bei 42
H. Frank op. cit. S. 238. Vgl. auch R. Gunzenhäuser: Informationstheorie und Ästhetik. Die Umschau in Wissenschaft und Technik Heft 20, 1963. S. Maser: Numerische Ästhetik. Stuttgart 1970.
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Franz Marcs „Gelben Pferden" dagegen herrscht ein kleiner Überschuß der gelben Farbe (44%); dies könnte dadurch gerechtfertigt werden, daß das Bild nicht als in sich abgeschlossen angesehen, sondern als zur Serie der Pferdebilder Marcs gehörig gewertet werden soll. Soll in einem Stück Lyrik lautmalend ein Vokal hervorgehoben werden, jedoch nicht so stark, daß man sich an ihn gewöhnt, sobald die informationelle Akkomodation erreicht ist (wenn man diese Verse also auswendig beherrscht), dann muß der Vokal in 37—40% der Silben auftauchen. Damit ist ein Problem Birkhoffs (1932) gelöst. Birkhoff bemerkt, daß in den beiden folgenden Versen von Poe („The Beils") der in 8 von 23 Silben auftauchende, lautmalende Ε-Laut sehr häufig, aber noch nicht „überschüssig" auftritt, ohne daß Birkhoff ein Kriterium für Üborschüssigkeit anangeben konnte: Hear the slEdgEs with the bElls, silver bElls! What a world of mErrimEnt their mElody foretElls! Bei 8,45-fachem Auftreten wäre (wenn man die Shannorimformation dem Kalkül zugrundelegt) das flache E maximal betont gewesen — bei 9-facher Wiederholung hätte also die „Oberschüssigkeit" begonnen. Sollen in einem Musikstück die Synkopen besonders auffallen, dann müssen diese etwa ein Drittel der Takte beherrschen, sind es wesentlich mehr (wie etwa beim Jazz), dann fallen sie nicht mehr auf (und werden beim Jazz geradezu zum Grundmuster, von dem gar nicht als von einem Stilprinzip gesprochen wird). Maximal betont scheinen die Synkopen beispielsweise im 3. Satz des 5. Brandenburgischen Konzerts von Johann Sebastian Bach zu sein. Eine Nachzählung (der Verfasser dankt Fräulein Ingeborg Rawolle, Paris, für die Erledigung dieser Arbeit und für die im nächsten Abschnitt zu besprechenden, ergänzenden Hinweise) ergibt, daß von den 310 Takten 124 Takte Synkopen enthalten. Das sind 40%."43 43
H. Frank: Informationsästhetik, S. 5 3 - 5 4 (vgl. Fn. 36).
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Kap. V :
Explikationen
Machen wir uns nun einige Gedanken über die Bewertung der Richtigkeit der vorgestellten Explikation. Im Unterschied zu seiner alltagssprachlichen Entsprechung ist das Explikat ein metrischer Begriff, was die Formulierung quantitativer Abhängigkeiten zwischen den Phänomenen erlaubt, die Forschungsgegenstand der Ästhetik sind. Das ist der große Vorteil dieses Begriffs. Es ergeben sich aber Zweifel, ob er in seiner jetzigen Form in ausreichendem Maß für wissenschaftliche Zwecke brauchbar ist, und ob er seiner traditionellen, alltäglichen Entsprechung ausreichend ähnlich ist. 1st es wirklich so, daß eine bestimmte Eigenschaft eines Kunstwerks, ζ. B. die Farbe eines Bildes, auf den Betrachter eine maximale Wirkung genau dann ausübt, wenn diese Farbe etwa 37 Prozent der gesamten Bildfläche ausmacht? Man kann doch auf Beispiele von Werken der Malkunst hinweisen, die ζ. B. zur geometrischen Richtung der abstrakten Kunst gehören, in denen eine einsame gerade Linie, ein kleines Dreieck oder ein kleiner Kreis, die nur einen unbedeutenden Teil der im übrigen leeren, in Kontrastfarben gehaltenen Bildfläche einnehmen, und die trotzdem oder gerade deshalb auf den Betrachter eine maximale Wirkung ausüben, und seine Fähigkeit der ästhetischen Wahrnehmung und des ästhetischen Erlebens sehr stark beanspruchen. Was für ein gewaltiger Schauder des ästhetischen Entzückens durchfährt den Hörer des reinen Dur-Akkords, mit dem „Stabat Mater" von Penderecki endet, und dies gerade deshalb, weil dies der einzige Akkord dieser Art in der ganzen Komposition ist. Der maximale Effekt ist in der hier diskutierten Konzeption nur von einem Aspekt des Kunstwerks abhängig, von der Größe jenes Teiles des Werkes, in dem dieser Aspekt auftritt. Es ist aber bekannt, daß diese Wirkung auch von anderen Aspekten des Kunstwerks abhängt, und zwar von solchen wie die Beziehungen zwischen den Farbflecken in einem Bild in Hinsicht auf den Sättigungsgrad der Farbe, auf die Größe, die Form, den Kontrast, die Komplementarität usw. So verlangt also der Begriff des maximalen Effekts einer weiteren Reflexion, der Einführung zusätzlicher Ergänzungen, Beschränkungen und Relativierungen. In seiner jetzigen Form kann er bestenfalls als der Name für nur eine der
Anwendungen
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vielen verschiedenen Bedingungen angesehen werden, die den maximalen Effekt hervorrufen. M a n kann aber hoffen, daß die zukünftige Forschung eine Eigenschaft entdecken wird, die allen diesen Bedingungen gemeinsam ist, und auf diese Weise erlauben wird, wirklich ein Kriterium mit der allgemeinsten Reichweite aufzustellen. Ich habe vorher festgestellt, daß ein großer Vorzug der Begriffe der Informationsästhetik und auch des Begriffs des maximalen Effekts in ihrem metrischen Charakter zu sehen ist. Diese Begriffe sind natürlich kein Ziel an sich, sondern sollen dazu dienen, quantitative Aussagen zu bilden, in denen quantitative Beziehungen zwischen den Größen ausgedrückt werden können, die diesen Begriffen entsprechen. Man muß aber daran denken, daß die Tatsache, daß ein Begriff äußerlich in eine mathematische Form gefaßt wurde, allein noch keinen metrischen Begriff konstituiert. Dieser Begriff muß in Anlehnung an eine Skala zur Messung der durch diesen Begriff bezeichneten Größen definiert werden. Bezüglich der Begriffe der Informationsästhetik wurde dieses Problem noch nicht in ausreichend klarer Form gestellt. Von einer zufriedenstellenden Lösung dieses Problems hängt eine begründete Anerkennung des metrischen Charakters der Begriffe dieser jungen Wissenschaft, und die Bestimmung des Nutzens, den man aus ihnen bei der Formulierung quantitativer Abhängigkeiten ziehen kann, ab. 4 4 In Ubereinstimmung mit den Anmerkungen in früheren Abschnitten dieses Kapitels kann die Explikation eines Begriffs erst dann als abgeschlossen gelten, wenn dieser Begriff in eine entsprechende wissenschaftliche Theorie eingeführt worden ist, oder wenn er Teil eines bestimmten Begriffssystems wurde. Die Begriffe der Informationsästhetik sind Bestandteil einer Disziplin, die diesen N a m e n trägt, und diese wiederum ist die Anwendung einer allgemeineren Disziplin, der Informationstheorie. Die erwähnte Bedingung, daß eine Explikation erst abgeschlossen sei, wenn das Explikat in ein bestimmtes Begriffssystem eingeführt worden ist, ist 44
Uber d a s Problem der Skalen und der metrischen Begriffe schreibe ich in: Methodologische Probleme in den Geistes- und Sozialwissenschaften, Braunschweig 1975.
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Kap. V: Explikationen
hier also im Prinzip erfüllt. Im Prinzip, weil bezüglich der Informationsästhetik eine Reihe grundlegender methodologischer Probleme entstehen, von deren zufriedenstellenden Lösung die weitere Entwicklung und die Bewertung der wissenschaftlichen Werte dieser Disziplin abhängen. 4S
4S
Diese und andere Probleme der Informationsästhetik besprecheich in: Beiträge zum Problem der Interpretation und Wertung des Ästhetischen. Paderborn, 1 9 7 7 .
Kapitel VI
Begriffe mit Bedeutungsfamilien und ihre Definitionen * Neben den besprochenen gibt es eine weitere Art von Begriffen, deren Existenz von einem hervorragenden Denker unserer Zeit, Ludwig Wittgenstein, nachgewiesen worden ist. Bei Versuchen, diese Begriffe zu definieren, treten Schwierigkeiten besonderer Art auf, auf die ich jetzt eingehen will. Die Quelle dieser Schwierigkeiten liegt in gewissen Merkmalen der logischen Struktur solcher Begriffe. Die Extension eines solchen Begriffes besteht nicht aus einer Menge von Objekten, für die eine Konjunktion der all diesen Objekten und nur diesen Objekten zukommenden Eigenschaften gilt. Sie besteht vielmehr aus einer Anzahl von Teilmengen, die lediglich durch partielle Ähnlichkeiten miteinander verbunden sind, aufgrund derer sie eine Teilmengenfamilie bilden. Dieser Teilmengenfamilie entspricht eine Bedeutungsfamilie, die den Sinn dieses Begriffes ausmacht. Diese Extension kann aufgrund der Entwicklung des Begriffes durch neue Teilmengen angereichert werden, sie kann aber auch in mehrere voneinander getrennte Extensionen aufgespalten werden, deren jede sodann eine eigene Bezeichnung erhält. Ein derartiger Entwicklungsprozeß wird durch eine Reihe von praxeologischen und psychosozialen Faktoren gesteuert, die in einem komplizierten Wechsel* Dieses Kapitel ist eine für die Zielsetzung dieses Buches geänderte Fassung meiner Arbeit „Concepts with family meanings in the humanities", deren Abfassung von der DFG unterstützt worden ist. Das Stipendium wurde durch die Initiative von Herrn Prof. Dr. Herbert Stachowiak ermöglicht. Ich möchte ihm an dieser Stelle nicht nur dafür, sondern auch für die angenehme Arbeitsatmosphäre in seinem Institut herzlich danken. Herr Dr. W. K. Köck hat sich bereit erklärt, das englische Manuskript ins Deutsche zu übersetzen.
200
Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Verhältnis zueinander stehen. Worin liegen die besonderen Kennzeichen solcher W ö r t e r ? Auf welche A r t von Schwierigkeiten treffen Versuche ihrer Definition? Zu diesen Fragen finden wir bei "Wittgenstein die folgenden Bemerkungen: Betrachte ζ. B. einmal die Vorgänge, die wir „Spiele" nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw. Was ist allen diesen gemeinsam? — Sag nicht: „Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ,Spiele' — sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. - Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau ! - Schau z.B. die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. — . . . Wie würden wir denn jemandem erklären, was ein Spiel ist? Ich glaube, wir werden ihm Spiele beschreiben, und wir könnten der Beschreibung hinzufügen: „das, und Ähnliches, nennt man ,Spiele'". Und wissen wir selbst denn mehr? Können wir etwa nur dem Anderen nicht genau sagen, was ein Spiel ist? — Aber das ist nicht Unwissenheit. Wir kennen die Grenzen nicht, weil keine gezogen sind. . . . Und gerade so erklärt man etwa, was ein Spiel ist. Man gibt Beispiele und will, daß sie in einem gewissen Sinn verstanden werden. — Aber mit diesem Ausdruck meine ich nicht: er solle nun in diesen Beispielen das Gemeinsame sehen, welches ich — aus irgend einem Grunde — nicht aussprechen konnte. Sondern er solle diese Beispiele nun in bestimmter Weise verwenden. Das Exemplifizieren ist hier nicht ein indirektes Mittel der Erklärung, — in Ermanglung eines Bessern. Denn, mißverstanden kann auch jede allgemeine Erklärung werden. So spielen wir eben das Spiel. (Ich meine das Sprachspiel mit dem Wort „Spiel".) 1 „ S p i e l " ist ein Beispiel für einen Begriff mit einer Bedeutungsfamilie, das Wittgenstein selbst anführt. Es lassen sich ohne 1
L. Wittgenstein·. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. 1969, S. 324—327. Im weiteren beziehe ich mich auf folgende Arbeiten: L. Koj: On Defining Meaning Families. In: Studia Logica, Vol. X X V , 1969. G. Hallet: A Companion to Wittgenstein's „Philosophical Investigations", Ithaca 1977. Hinweise und Kritik von Professor G. Hallet, der so freundlich war „Concepts with family meanings in the humanities" zu lesen, waren für mich hilfreich.
Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
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Mühe weitere Beispiele angeben: Kunst, Avantgarde, Roman, Tragödie, Skulptur, künstlerisches Gewebe, Zeichen, Satz, Frage, Subjektivismus, Anarchie, Geisteskrankheit, seelische Gesundheit, Ideal, Tier, Pflanze. Derartige Begriffe treten in allen Lebensbereichen auf: in der Alltagssprache wie in der Wissenschaft, in den Geistes- und Sozialwissenschaften ebenso wie in der Biologie, der Psychologie, der Chemie usw., — ja auch die Wissenschaften des logisch-mathematischen Typs sind nicht frei davon. Es scheint daher interessant, solche Begriffe zum Gegenstand methodologischer Analyse zu machen. Im folgenden werde ich mich bemühen, Antworten auf die nachstehenden Fragen zu finden, wobei ich mich vor allem mit Beispielen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften beschäftigen werde. 1. Welche logische Struktur und welche Funktion haben Begriffe mit Bedeutungsfamilien? 2. Ist es möglich, solche Begriffe zu definieren? 3. Welche Faktoren determinieren die besonderen Merkmale solcher Begriffe? 4. Treten solche Begriffe in allen Wissenschaften gleich häufig auf oder sind sie charakteristisch für die Geisteswissenschaften? Warum? 5. Sind Begriffe mit Bedeutungsfamilien nützlich für die Wissenschaft? 6. Verändert sich die Struktur solcher Begriffe im Laufe ihrer Entwicklung, und wenn ja, wie? Ich nehme die von Wittgenstein gemachten Bemerkungen zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen über Begriffe mit Bedeutungsfamilien. Mein Ziel besteht allerdings nicht darin, seine Auffassungen oder seine vermutlichen Intentionen im einzelnen zu rekonstruieren. Ich werde mich zwar in meinen Analysen sicherlich auf verschiedene Formulierungen Wittgensteins beziehen, ich beabsichtige allerdings, meine eigene Auffassung über Begriffe mit Bedeutungsfamilien darzulegen. Bevor ich dazu übergehe, diese Begriffe im einzelnen zu analysieren, möchte ich in vorbereitender Weise ihre charakteristischen Verhaltensweisen skizzieren. Ein Begriff mit einer Bedeutungsfamilie ist durch die folgenden Attribute gekennzeichnet:
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
1. Es gibt keinen Komplex von Eigenschaften, der all den durch einen solchen Begriff benannten Objekten und nur diesen gemeinsam ist, — ein Komplex, der eine äquivalente Bedingung für die Anwendbarkeit dieses Begriffes bilden w ü r d e . 2 2 . Die Extension eines solchen Begriffes besteht aus mehreren unterschiedlichen Teilmengen von Objekten. 3 . Jede dieser Teilmengen hat jedoch gewisse Eigenschaften mit einigen anderen Teilmengen gemeinsam, die auch zu dieser Extension gehören. Die Denotata dieses Begriffes zerfallen daher nicht in eine lose Ansammlung von Objekten, sondern bilden eine Familie von Teilmengen. 4 . Die Begriffe mit Bedeutungsfamilien gehören zur Kategorie der offenen Begriffe, d . h . es gibt keine Grenze, die Objekte, die unter einen bestimmten Begriff dieser A r t fallen, von den übrigen Objekten trennt.
2
Die Äquivalenz Cx = S sei eine akzeptierte Definition des Wortes C mit Hilfe des Ausdruckes S. Bekanntlich ist eine Äquivalenz dann wahr, wenn beide ihrer Satzbestandteile den gleichen Wahrheitswert haben, d. h. beide wahr oder beide falsch sind. Daraus folgt, dal? wir auf der Basis der oben gegebenen Äquivalenzdefinition den Begriff C von jedem beliebigen Objekt χ prädizieren können, das die durch S beschriebene Bedingung erfüllt. Andererseits kann die Negation des Begriffes C, nicht-C, von jedem beliebigen Objekt χ prädiziert werden, das die Bedingung S nicht erfüllt. Eine Äquivalenzdefinition bietet somit vollständige Kriterien für die Anwendung des durch sie definierten Begriffes. Wittgenstein spricht in zweideutiger Weise von dem Fehlen von Eigenschaften, die einer gegebenen Menge von Objekten gemeinsam ist. Manchmal meint er damit, daß es keine Eigenschaften gibt, die allen diesen Objekten angehören. Manchmal jedoch meint er, daß es keine Eigenschaften gibt, die all diesen Objekten, und nur diesen, gemeinsam sind. In beiden Fällen wird die Möglichkeit der Formulierung einer Definition ausgeschlossen ( Wittgenstein dachte dabei an eine gewöhnliche Äquivalenzdefinition). Man tut jedoch gut daran, sich zu erinnern, daß zur Herstellung einer Äquivalenzdefinition eines Begriffes, der eine gegebene Menge von Objekten bezeichnet, die Feststellung von Eigenschaften, die all diesen Objekten gemeinsam sind, nicht ausreicht; man muß vielmehr Merkmale feststellen, die all diesen Objekten, und nur diesen, gemeinsam sind.
Ihre logische Struktur
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Die logische Struktur von Begriffen mit Bedeutungsfamilien Zur Erhellung der logischen Struktur der besprochenen Begriffe wollen wir untersuchen, wie sie entstehen und wie sie sich entwickeln. Ihre Quelle ist in den meisten Fällen die Alltagssprache. Ein bestimmtes Wort wird zunächst zur Bezeichnung einiger Objekte oder Situationen verwendet. Danach wird sein Gebrauch so erweitert, daß er auch Objekte umfaßt, die den ursprünglichen Objekten in bestimmter Hinsicht ähnlich sind. Im Verlauf dieser Entwicklung findet eine derartige Ausweitung des ursprünglichen Gebrauches mehrfach statt. In jedem Falle hat die neu hinzugefügte Objektmenge bestimmte Eigenschaften mit einigen der früher subsumierten Objekte gemeinsam, allerdings nicht mit allen. Als Ergebnis bildet sich eine Extension, deren Elemente keine Eigenschaften aufweisen, die ihnen allen, und nur ihnen, gemeinsam sind. Es gibt jedoch Eigenschaften, die einzelnen Paaren von Teilmengen gemeinsam sind, aus denen sich die Extension zusammensetzt. Einem auf diese Weise gebildeten Begriff entspricht eine zusammengesetzte Bedeutung, die nach Wittgenstein als Bedeutungsfamilie bezeichnet werden kann. Ich werde im folgenden mehrere Beispiele für Begriffe mit Bedeutungsfamilien untersuchen, um den eben skizzierten Prozeß der Begriffsbildung zu illustrieren. Es ist zu betonen, daß die Faktoren, die Ursprung und Entwicklung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien determinieren, kompliziert und unterschiedlich sind. Ob bestimmte neue Objekte, die den bereits zur Extension eines bestimmten Ausdrucks gehörigen Objekten partiell ähnlich sind, schließlich auch in diese Extension einbezogen werden, hängt von einer spezifischen Konfiguration dieser Faktoren ab, vor allem davon, welcher dieser Faktoren sich in einer gegebenen Situation als der wichtigste erweist. Es ist bereits früher festgestellt worden, daß die Extension eines Begriffes mit einer Bedeuturigsfamilie aus Objekten besteht, die keine gemeinsamen Eigenschaften aufweisen. Diese Bemerkung bedarf der genaueren Klärung. Es gibt nämlich immer gewisse
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Eigenschaften, die all den durch ein bestimmtes Wort bezeichneten Objekten gemeinsam sind. Eine dieser Eigenschaften besteht gerade darin, durch dieses Wort benannt zu werden. Was jedoch hier gemeint ist, und woran offenbar Ludwig Wittgenstein dachte, sind nicht irgendwelche gemeinsamen Eigenschaften, sondern Eigenschaften, die mit Bezug auf einen gegebenen praktischen oder wissenschaftlichen Zweck von hinreichender „Interessantheit" oder „Wichtigkeit" sind. Wir wollen uns nun der Frage der Definierbarkeit von Begriffen mit Bedeutungsfamilien zuwenden. Ist es möglich, solche Begriffe zu definieren? Die Antwort Ludwig Wittgensteins auf diese Frage war eine negative. Er hat diese Antwort durch den Hinweis darauf bekräftigt, daß es keine Eigenschaften gibt, die all den durch solche Begriffe bezeichneten Objekten gemeinsam sind. Wittgensteins Argument zur Stützung seiner allgemeinen Aussage ist jedoch inadäquat. Das Fehlen gemeinsamer Eigenschaften beweist nicht, daß Begriffe mit Bedeutungsfamilien undefinierbar sind, es schließt lediglich einen bestimmten Definitionstyp, nämlich jenen der gewöhnlichen Äquivalenzdefinition, aus, der ein Merkmal angibt, das allen Denotata, und nur diesen, des definierten Begriffs gemeinsam ist.3 Wie wir sehen werden, können Begriffe mit Bedeutungsfamilien mit Hilfe partieller Definitionen definiert werden. Im folgenden will ich zwei Versuche vorstellen, ein allgemeines Definitionsschema für Begriffe mit Bedeutungsfamilien aufzustellen — den des Logikers L. Koj und einen eigenen. Die Definition auf der Basis der
Ähnlichkeitsrelation
L. Koj greift auf die Schwierigkeiten zurück, die in den Versuchen der biologischen Systematik auftraten, für „Pflanze" und „Tier" adäquate Definitionen zu geben.4 Es wurde angenommen, daß die Menge der Tiere unter anderen die folgenden Klassen von Organismen enthielt: Flagellatae, Rhizopodae, Amoebosporidiae, 3
4
Vgl. die in der Anmerkung 2 formulierten Bemerkungen über diesen Definitionstyp. Weitere Ausführungen finden sich in Kap. I. L. Koj, On Defining Meaning Families, Studia Logica vol. X X V .
Ihre logische Struktur
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Ciliatae, Anthozoae, Spongiae. Es gab eine Reihe von Versuchen, den Begriff des Tieres durch folgende Eigenschaften zu definieren: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Bewegungsfähigkeit Vorhandensein mindestens eines Sinnesorgans Unfähigkeit zur Nahrungserzeugung durch Fotosynthese Unfähigkeit, während der gesamten Lebensspanne zu wachsen Vorhandensein von Zellen mit dünnen Membranen Vorhandensein von Hämoglobin oder Chitin im Organismus.
Alle Versuche ergaben jedoch eine Definition, die entweder zu weit oder zu eng war, die beide Fehler gleichzeitig aufwies oder in irgendeiner anderen Hinsicht inadäquat war. So bedeutet z.B. Bewegungsfähigkeit kein adäquates Kriterium, da es Organismen gibt (gewisse Korallen oder Schwämme), die sich nicht bewegen, und nichtsdestoweniger zum Tierreich gehören. Das Gleiche gilt auch für das Vorhandensein von Hämoglobin oder Chitin, da nicht alle Tiere über diese Substanzen verfügen, und da es Organismen gibt, die diese Substanzen produzieren, und die als Pflanzen gelten.5 L. Koj verlegt die Quelle dieser Schwierigkeiten in den spezifischen methodologischen Charakter des zu definierenden Begriffes. Er hält sowohl „Pflanze" als auch „Tier" für Begriffe mit Bedeutungsfamilien, und sieht hierin den Grund dafür, daß jeder Versuch einer gewöhnlichen Äquivalenzdefinition, der nach Eigenschaften sucht, die allen Tieren (oder Pflanzen), und nur diesen, gemeinsam sind, scheitern muß. Das von ihm vorgeschlagene Definitionsschema stützt sich auf die Relation der Ähnlichkeit, die alle Objekte verbindet, die durch einen Begriff mit einer Bedeutungsfamilie bezeichnet werden. Er expliziert diese Relation auf folgende Weise. Zuerst wählt er eine Reihe von Eigenschaften aus, z. B. pi, p 2 , . . . pm, die für eine bestimmte zugrundegelegte typische Menge von Objekten Τ charakteristisch sind (dies entspricht Wittgensteins Beispielliste für typische Spiele.) Er wendet sich darauf einer anderen Menge D T zu, die eine Erweiterung der 5
18
Disjunktionen der oben erwähnten Merkmale können hierfür nicht verwendet werden, da der Autor „ M e r k m a l " im aristotelischen Sinne als nicht konstruiertes M e r k m a l auffaßt. Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. V I : Begriffe mit Bedeutungsfamilien
ursprünglichen Menge Τ darstellt. Darauf definiert er ein Element von D T als jedes beliebige Objekt, das mehr als die Hälfte der für den Ausgangstyp Τ charakteristischen Eigenschaften besitzt. Das von L. Koj vorgeschlagene Definitionsschema beseitigt die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn Objekte, die unter einen Begriff mit einer Bedeutungsfamilie fallen, von den verbleibenden Objekten unterschieden werden sollen. So können z.B. Schwämme und Korallen, deren Einschluß in die Menge der Pflanzen oder der Tiere auf Schwierigkeiten stieß, nun zu den Tieren gezählt werden, da beide mehr als die Hälfte der für typische Tiere charakteristischen Eigenschaften besitzen. Koj erörtert mehrere Möglichkeiten der Generalisierung seines Schemas und führt noch zusätzliche Definitionsschemata ein. Ich werde jedoch auf deren Darstellung verzichten, da sie keine für die hier erörterten Probleme relevanten neuen Elemente erbringen. Ich will mich stattdessen mit den inhaltlichen Aspekten der dargestellten Definition befassen. Am Beginn dieses Kapitels ist eine Reihe von Merkmalen unterschieden worden, die Begriffe mit Bedeutungsfamilien charakterisieren. Ich möchte einige davon in Erinnerung rufen: 1. Das Fehlen von Eigenschaften, die den durch einen derartigen Begriff bezeichneten Objekten gleichzeitig gemeinsam und eigentümlich sind; 2 . jedes Objekt, das zur Extension eines solchen Begriffs gehört, hat bestimmte Eigenschaften mit gewissen Objekten innerhalb dieser Extension gemeinsam; 3. diese Begriffe gehören zur Kategorie der offenen Begriffe. Ist Kojs Definition hinsichtlich dieser Bedingungen adäquat? Die erste Bedingung ist im Prinzip erfüllt. Im Prinzip, da Kojs Definition den Spezialfall zuläßt, daß alle Objekte, die durch den Begriff D T bezeichnet werden, alle typischen Eigenschaften pi, p 2 , P3,. . ., pm besitzen. Daraus folgt, daß ein gewöhnlicher Begriff auf der Grundlage der Definition Kojs einen Grenzfall eines Begriffes mit einer Bedeutungsfamilie darstellt. Genauer: gewöhnliche Begriffe sind in der Menge der Begriffe mit Bedeutungsfamilien ent-
Ihre logische Struktur
halten. In dieser Hinsicht weicht seine Definition von steins Intuition ab.
207 Wittgen-
Wie steht es mit der zweiten Bedingung? Ich muß darauf die Antwort geben, daß diese Bedingung in ihrer allgemeinsten Form nicht erfüllt ist. Sicherlich trifft es zu, daß jedes Element der Menge D t zumindest eine Eigenschaft mit typischen Objekten Τ gemeinsam hat. Dies ist jedoch nur ein Spezialfall der zweiten Bedingung, da Koj in seiner Definition nur eine Menge typischer Objekte zuläßt, während Begriffe mit Bedeutungsfamilien tatsächlich oft mehrere derartige Mengen benennen. So gibt es ζ. B. mehrere typische Spiele (das von Wittgenstein selbst gegebene Beispiel), eine ganze Reihe typischer Strömungen, die zusammen eine Avantgarde darstellen, mehrere Prosatypen, die unter den Begriff „ R o m a n " fallen. Man muß Ähnlichkeit nicht einfach als eine Relation auffassen zwischen nur einer Menge von als typisch bezeichneten Gegenständen und den übrigen, die zur Extension eines gegebenen Begriffs gehören. Im allgemeinen Fall bezeichnet Ähnlichkeit die Tatsache, daß es ein kompliziertes Netz von Verbindungen zwischen mehreren Mengen von typischen Gegenständen gibt, und solchen Gegenständen die in einem bestimmten Ausmaß den typischen ähnlich sind. 6 Die dritte Bedingung erfordert, daß Begriffe mit Bedeutungsfamilien offen sein sollen. Nach Kojs Definition sind diese Begriffe aber nicht offen, sondern geschlossen. Auf der Basis seiner Definition ist es nämlich möglich, hinsichtlich jedes Ob-
6
Man könnte hier einwenden, daß L. Koj auch mehrere typische Mengen von Objekten zuläßt, wenn er eine ganze Reihe von Begriffen, die den Teilmengen einer Klassifikation entsprechen, gemeinsam definiert. Dies ist in der Tat der Fall. Jeder dieser Typen wird jedoch sodann einem separaten Begriff zugeordnet, so daß keiner dieser Begriffe mehr als einen T y p hat. In dieser Hinsicht paßt L. Kojs Explikation gut zu den Naturwissenschaften, insbesondere zur biologischen Systematik. Sie ist jedoch nicht für alle Situationen adäquat, in denen Begriffe mit Bedeutungsfamilien auftreten. Besonders in den Geisteswissenschaften und in der Alltagsprache gibt es Begriffe dieser Art, die nicht nur einen Typ, sondern mehrere Typen bezeichnen.
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
jektes 7 zu entscheiden, ob es zur Extension des definierten Begriffes gehören soll. Ein Objekt fällt nämlich dann unter den definierten Begriff, wenn es eines der typischen Objekte ist, oder ansonsten mehr als die Hälfte der allen typischen Objekten zugehörigen Eigenschaften besitzt. Kojs Definition drückt somit ein wichtiges Merkmal der Begriffe mit Bedeutungsfamilien nicht aus. Die Tatsache, daß Kojs Explikation die Begriffe mit Bedeutungsfamilien ihres offenen Charakters beraubt, hängt zweifellos mit der logischen Form seiner Definition zusammen. Obwohl seine Definition kein Merkmal (im aristotelischen Sinne) angibt, das allen durch den definierten Begriff bezeichneten Objekten, und nur diesen, gemeinsam ist, bietet sie nichtsdestoweniger ein äquivalentes Kriterium für die Anwendung dieses Begriffs und schließt somit seine Extension.8 Wir wollen uns nun Kojs Explikation der Ähnlichkeitsrelation zuwenden. Das wird uns Gelegenheit bieten, mehrere Probleme, die sich in diesem Zusammenhang stellen, zu erörtern. Der Autor expliziert die Relation der Ähnlichkeit zwischen zwei Objekten dadurch, daß er die Anzahl der Eigenschaften, die diesen Objekten gemeinsam sind, heranzieht. Ein derartiges Verständnis der Ähnlichkeit entspricht gut den Beispieltypen, die er analysiert. Es gibt jedoch sowohl in der Wissenschaft als auch im Alltag eine Unzahl von Fällen, in denen Ähnlichkeit ausdrücken soll, daß die Intensitätsgrade von Eigenschaften, die verschiedene Objekte gemeinsam haben, in ihren Werten sich annähern. Der Anwendungsbereich von Kojs Definition könnte erweitert, und ihre Nützlichkeit somit erhöht werden, wenn sie dahin modifiziert oder ergänzt würde, daß sie auch Ähnlichkeit im Sinne des Intensitätsgrades umfaßt. Im übrigen scheint es, daß die durch das Ausmaß gemeinsamer Eigenschaften gemessene Ähnlichkeit als ein Spezialfall der Approximation in den Intensitätsgraden konstruiert werden kann. 7
8
W e n n das nicht durch die extreme Vagheit von Begriffen ausgeschlossen wird, die typische Eigenschaften benennen. Ich werde später auf dieses Problem zurückkommen, wenn ich einen V e r s u c h erörtere, mit Hilfe partieller Definitionen eine Rekonstruktion zu geben.
Ihre logische Struktur
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Nach der Definition des Autors ist ein Objekt dann anderen als typisch ausgewählten Objekten ähnlich, und somit in die Extension des definierten Begriffs eingeschlossen, wenn es mehr als die Hälfte der Eigenschaften der typischen Objekte besitzt. In der allgemeineren Version wird eine liberaler definierte nicht festgelegte Proportion r/p zugelassen. Die Feststellung der Extension eines Begriffs ist nun eine wichtige Operation von fundamentaler methodologischer Bedeutung. Es stellt sich dann aber die Frage, warum diese Operation auf der Basis der Annahme, dai? die Anzahl der gemeinsamen Eigenschaften größer als die Hälfte ist oder aufgrund irgend einer anderen Zahl durchgeführt werden sollte. Ist es denn überhaupt zulässig, Ähnlichkeit lediglich von der Anzahl der Eigenschaften abhängig zu machen? Ist es nicht notwendig, auch andere Aspekte der Eigenschaften zu berücksichtigen? Sicherlich gibt der Autor zu, daß es nützlich sein kann, die Eigenschaften z. B. dadurch unterschiedlich zu gewichten, daß man bestimmten davon Punktwerte zuteilt, die größer sind als die anderer Objekte. Dabei bleibt aber noch die Frage offen, welche Eigenschaften größere Punktwerte erhalten sollten, um wieviel größere, und warum? Diese Fragen determinieren die Extensionen von Begriffen mit Bedeutungsfamilien; es ist jedoch nicht leicht, zufriedenstellende Antworten dafür zu finden. All diese Fragen könnten nun nur dann beantwortet werden, wenn die theoretische oder systematische Bedeutung der Eigenschaften und wenn die Rolle, die ein bestimmter unter Bezugnahme auf gegebene Eigenschaften definierter Begriff innerhalb eines größeren begrifflichen Rahmens spielt, berücksichtigt werden. Ich werde später auf dieses Problem zurückkommen, dann nämlich, wenn die wissenschaftliche Nützlichkeit von Begriffen mit Bedeutungsfamilien erörtert wird. Es genügt an dieser Stelle zu erwähnen, daß unser Wissen um die Geschichte der Wissenschaften und die Entwicklung wissenschaftlicher Begriffe genügend Beispiele bietet, die für diese Probleme relevant sind. So habe ich bereits darauf hingewiesen, daß im Bereich der biologischen Klassifikation eine große Anzahl von Eigenschaften, wie sie gewisse Organismen besaßen, lange Zeit für ein Kriterium des gemeinsamen Ursprungs dieser Organismen gehalten wurde.
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Daraus ergab sich, daß diese Organismen zur gleichen taxonomischen Einheit (Extension) gerechnet wurden. Eine eingehendere Untersuchung der systematischen Bedeutung besonderer organischer Merkmale hat jedoch zur Entdeckung von Fällen geführt, die zeigen, daß Organismen, die phylogenetisch homogen waren, weniger Eigenschaften miteinander gemeinsam hatten, als mit anderen Organismen verschiedener Herkunft. 9 Die Anzahl der gemeinsamen Eigenschaften allein ist folglich nicht entscheidend, es ist auch ihre systematische Bedeutung zu untersuchen. Nun noch zu einem weiteren Problem, das mit der Anzahl von Eigenschaften und ihrer Auffassung als Ähnlichkeitskriterium zu tun hat. "Wir wollen 3 Objekte x, y und ζ betrachten; χ fällt unter den Begriff A, y unter den Begriff N, und wir möchten nun entscheiden, unter welchen dieser beiden Begriffe ζ subsumiert werden sollte. Wir müssen also zählen, wieviele Eigenschaften χ und ζ gemeinsam haben und unser Ergebnis mit der Anzahl der Eigenschaften vergleichen, die y und ζ gemeinsam sind. So definiert, ist die Aufgabe sehr schwierig, wenn nicht undurchführbar. Die Ursache dieser Schwierigkeit liegt in der großen Anzahl der Eigenschaften, die jedes Objekt besitzt. Um die Aufgabe überhaupt durchführbar zu machen, muß man eine bestimmte Liste von Eigenschaften auswählen, die unter den gegebenen Umständen als wichtig oder relevant gelten können. Der Vergleich der Objekte x, y und ζ wird nun ausschließlich hinsichtlich der in der Liste enthaltenen Eigenschaften durchgeführt. In der vorausgegangenen Analyse der Begriffe mit Bedeutungsfamilien wurde eine derartige Eigenschaftsliste explizit oder stillschweigend vorausgesetzt. L. Kojs Liste typischer Eigenschaften stellt ein Beispiel dafür dar. Ganz offensichtlich kann das Objekt ζ den Objekten χ oder y ähnlicher sein, je nachdem auf welche Liste von Eigenschaften der Vergleich bezogen wird. Die Aufstellung einer solchen Eigenschaftsliste bringt wichtige methodologische Probleme der Begriffsbildung mit sich. Die Lösung dieser Probleme wird sich entweder auf die herrschenden ter9
Vgl. A. Remane, Die Grundlagen des natürlichen Systems der vergleichenden Anatomie und der Phylogenetik, Leipzig 1965.
Ihre logische Struktur
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minologischen Gebräuche oder auf die Bedingungen wissenschaftlicher Nützlichkeit der definierten Begriffe stützen müssen. Wir stützen uns auf etablierte terminologische Gebräuche dann, wenn eine feststellende Definition eines Begriffes erreicht werden soll, d.h. eine Definition, die die herrschende Bedeutung des definierten Begriffes zu rekonstruieren sucht. Die Bezugnahme auf die Bedingungen wissenschaftlicher Nützlichkeit beansprucht andererseits dann Priorität, wenn die Definition nicht auf eine adäquate Rekonstruktion des herrschenden Sprachgebrauchs zielt, sondern einen Begriff liefern soll, der für gegebene wissenschaftliche Aufgaben nützlich ist. Die Explikation auf der Basis partieller
Definitionen
Die oben dargestellte Rekonstruktion von Begriffen mit Bedeutungsfamilien traf auf einige Schwierigkeiten. Ich glaube, daß die Explikation, die ich nun vorlegen möchte, diese Probleme löst — zumindest einige davon, und somit die eben erwähnten Schwierigkeiten überwindet. Bei der Konstruktion dieser Explikation verwende ich partielle Definitionen, die dabei eine grundlegende Rolle spielen. Daher erinnere ich den Leser daran, daß partielle Definitionen nur zum Teil die Anwendungskriterien der definierten Begriffe determinieren. Der zu definierende Begriff sei durch den Buchstaben Ρ repräsentiert; die Formeln Wenn Ax, dann Px Wenn nicht Bx, dann nicht Px 1 0 formulieren entsprechend eine hinreichende und eine notwendige Bedingung für die Anwendung von P. Manchmal wird statt der 10
Zu lesen: Wenn das Objekt χ die Eigenschaft Β nicht besitzt, dann hat es auch nicht die Eigenschaft P. Die übrigen Formeln sind in ähnlicher Weise zu lesen. Ich verzichte in diesen Formeln auf die Quantoren, da diese Vereinfachung auf die hier erörterten methodologischen Probleme nicht von Einfluß ist.
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Kap. V I : Begriffe mit Bedeutungsfamilien
notwendigen Bedingung (oder zusätzlich zu dieser) eine hinreichende Bedingung für die Anwendung der Negation von Ρ gegeben. Wenn Cx, dann nicht Px. Die eben gegebenen partiellen Definitionen entscheiden über die Anwendbarkeit von Ρ hinsichtlich der Objekte, die eine der folgenden Eigenschaften aufweisen: A, nicht-B oder C. Die Anwendbarkeit des Begriffes Ρ bleibt unbestimmt für alle jene Objekte, die keine dieser Eigenschaften besitzen. Zur Herstellung einer vollständigeren Definition von Ρ können wir weitere partielle Definitionen einführen. Es ist jedoch ein charakteristisches Merkmal eines nur partiell definierbaren Begriffes, daß es keine Menge partieller Definitionen gibt, die insgesamt eine volle Definition des Begriffes ergeben können. Die Extension eines solchen Begriffes bleibt offen. Dies bedeutet, daß es immer wieder Objekte geben wird, mit Bezug auf welche die Frage unentscheidbar bleibt, ob sie in die Extension eines offenen Begriffes einbezogen oder aus dieser ausgeschlossen werden sollten. Aufgrund dieser Merkmale stellen partielle Definitionen ein besonders nützliches Werkzeug für die adäquate Explikation von Begriffen mit Bedeutungsfamilien dar. Um dies nachzuweisen, wollen wir uns kurz vor Augen führen, wie die Verwendungsweise eines derartigen Begriffes erklärt wird. Zunächst wird auf eine oder auf mehrere Arten von Objekten hingewiesen, die mit Sicherheit zur Extension des fraglichen Begriffes gehören. Darauf folgt eine weiterführende Erklärung darüber, daß die Extension des Begriffes durch die aufgewiesenen Objekte nicht erschöpft wird, sondern auch Objekte umfaßt, die in bestimmter Hinsicht den bereits herangezogen ähnlich sind. Auf die charakteristischerweise vage und unbestimmte Formulierung dieser Erklärung sollte geachtet werden. Die genauere Angabe der Faktoren, von denen die Relation der Ähnlichkeit abhängen sollte, wird nicht geliefert: weder die Qualität noch die Anzahl der gemeinsamen Eigenschaften noch auch der Grad ihrer Intensität werden ausdrücklich angegeben. Alles, was daraus gefolgert werden kann, läuft auf die folgende Feststellung hinaus: um in die Extension des Begriffes
Ihre logische Struktur
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einbezogen werden zu können, müssen die zusätzlichen Objekte den bereits herangezogenen ähnlich sein. Natürlich ist dieses Fehlen der Angaben kein Zufall, sondern hat seine tieferen Gründe. Diese wiederum hängen mit den vielfältigen Gründen zusammen, die Ursprung und Entwicklung der Begriffe mit Bedeutungsfamilien determinieren. Diese Gründe sollen noch im einzelnen erörtert werden. An dieser Stelle genügt es, die wichtigeren zu erwähnen. 1. Viele Eigenschaften von Objekten lassen eine Abstufung zu, und es gibt keine scharfe Grenze, die die Situation ihres Vorhandenseins von der Situation ihres Fehlens trennt. Es bedarf m a n c h m a l einer besonderen Entscheidung, um festzustellen, o b ein gegebener Fall der einen extremen Situation ähnlicher ist als der anderen. 2 . D e r Aspekt der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen determiniert oft, o b bestimmte Objekte als hinreichend ähnlich gelten können und somit in die Extension eines bestimmten Begriffes einbezogen werden können. 3 . Die Absicht, sich die emotive Bedeutung eines bestimmten W o r t e s zunutze zu machen, ist von Einfluß auf die Entscheidung darüber, welche Objekte durch dieses W o r t bezeichnet werden sollen. 4 . D a s Prinzip der Ö k o n o m i e ist oft von Wichtigkeit für die Bildung von Begriffen, ζ. B. um die Einführung eines neuen Begriffes für bestimmte Objekte zu vermeiden, werden diese Objekte unter einen bereits existierenden Begriff subsumiert, dessen D e n o t a t a diesen Objekten ähnlich sind. Diese Vielfältigkeit der Gründe, die unsere Entscheidung darüber beeinflussen, ob wir bestimmte Objekte als anderen Objekten ähnlich akzeptieren und beide somit zur gleichen Extension rechnen, m a c h t es unmöglich, die Ähnlichkeitsrelation durch eine definite Kennzeichnung darzustellen. Daraus folgt, daß die Extensionen der Begriffe mit Bedeutungsfamilien offen bleiben. Genau auf diese Weise funktionieren sie allerdings in allen Kontexten, in denen sie auftreten. Jeder Versuch einer präzisen Definition der Ähnlichkeitsrelation schließt die Extensionen solcher Begriffe und
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
ist daher ungeeignet, eine adäquate Explikation für sie zu liefern. Offensichtlich verändern und entwickeln sich Begriffe mit Bedeutungsfamilien im Laufe der Zeit. Daraus folgt, daß ihre Extensionen geschlossen oder in mehrere Extensionen aufgeteilt werden können, deren jede durch einen verschiedenen Begriff benannt werden kann. Natürlich wandelt sich in diesem Falle ihr Charakter und sie hören auf, Begriffe mit Bedeutungsfamilien zu sein. Ich werde Beispiele für solche Veränderungen später erörtern. Nach den vorausgegangenen Erklärungen können wir dazu übergehen, die logische Struktur von Begriffen mit Bedeutungsfamilien zu beschreiben. Die Definition eines solchen Begriffes C sollte die folgenden Bedingungen erfüllen. 1. Sie besteht aus einer partiellen Definition oder mehreren partiellen Definitionen, deren jede Kriterien für die Anwendung von C oder seiner Negation nicht-C angibt. 2. Alle unter (1) aufgeführten Definitionen zusammen können nicht zu einer vollen Äquivalenzdefinition von C summiert werden. Daraus folgt, daß die Extension von C offen bleibt, d. h. daß es eine Möglichkeit gibt — die manchmal vom Autor der Definition ausdrücklich angegeben wird —, unter C einige andere Objekte zu subsumieren, die durch die in (1) aufgezählten Kriterien nicht erfaßt werden. Natürlich erfordert die Einbeziehung derartiger neuer Objekte die — ausdrückliche oder stillschweigende — Voraussetzung zusätzlicher Kriterien für die Anwendung von C. Die Einführung solcher Kriterien bezeichnet stets einen Schritt der Entwicklung von C. 3. Jedes der in (1) erwähnten Kriterien besteht aus einem Komplex von Eigenschaften, die für gewisse Objekte, die als unzweifelhaft zu C gehörig betrachtet werden, charakteristisch sind; wir wollen derartige Objekte als typische bezeichnen. 4. Jeder Typ hat irgendeine Eigenschaft mit einem anderen Typ gemeinsam. Die Existenz von allen Typen gemeinsamen Eigenschaften wird weder vorausgesetzt noch ausgeschlossen. Wenn jedoch derartige allen Typen gemeinsame Eigenschaften in der Tat existieren sollten, dann sind sie nicht nur diesen Typen gemeinsam und bieten somit keine Grundlage für eine
Ihre logische Struktur
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volle Äquivalenzdefinition von C — dies ergibt sich aus der A n n a h m e (2). 5. Ein neues Objekt oder ein neuer Objekttyp, der durch die unter (1) aufgezählten Kriterien nicht erfaßt wird, kann unter C nur dann subsumiert werden, wenn es bzw. er bestimmte Eigenschaften mit einigen der bereits in C einbezogenen Typen gemeinsam hat. Dies ist nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den Einschluß zusätzlicher Objekte in die Extension C. Die bereits erwähnten praxeologischen und psychosozialen Faktoren, die den Ursprung und die Entwicklung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien beeinflussen, spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Ob ein neuer Objekttyp als den bereits zur Extension C gehörigen Objekten hinreichend ähnlich betrachtet wird und folglich in diese Extension einbezogen wird, oder ob er eher als so sehr verschieden aufgefaßt wird, daß die Einführung eines neuen N a m e n s für ihn gerechtfertigt ist, hängt von einer spezifischen Konfiguration dieser Faktoren ab bzw. davon, welcher dieser Faktoren sich in einer gegebenen Situation als der gewichtigste erweist. Ich werde jetzt anhand einiger Beispiele von Begriffen mit Bedeutungsfamilien zeigen, wie die Definitionen solcher Begriffe konstruiert werden können. Zuerst der Begriff des Spiels: Wittgensteins Bemerkungen (vgl. S. 200) liefern hierfür den Ausgangspunkt. U m die gegebene Struktur des Begriffs „Spiel" adäquat wiederzugeben, müssen wir auf das obige Schema und nicht auf die gewöhnliche Äquivalenzdefinition zurückgreifen. Dies deshalb, weil es keine Eigenschaftsmenge gibt, die allen Spielen, und nur diesen gemeinsam ist, deren Existenz aber zur Konstruktion einer Äquivalenzdefinition notwendig ist. Es gibt lediglich partielle Ähnlichkeiten und partielle Unterschiede. So sind ζ. B. nicht alle Spiele unterhaltend, manche Spiele erfordern kämpferischen Einsatz (z.B. Fußball), andere wiederum nicht (z.B. Patiencen); es gibt Spiele, die Gewinner und Verlierer kennen (ζ. B. Bridge) und wiederum solche, bei denen dies nicht der Fall ist (ζ. B. Patiencen); in manchen Spielen ist Glück von großer Bedeutung (ζ. B. in
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Würfelspielen oder Glücksspielen), in anderen spielt Glück nur eine minimale oder gar keine Rolle (z.B. im Schachspiel); bestimmte Spiele erfordern als Grundvoraussetzung hohe Kenntnisse oder Fertigkeiten (ζ. B. Schach oder Tennis), andere wiederum erfordern keinerlei besonderer Kenntnisse oder Fertigkeiten ( z . B . manche Kartenspiele, Lotto); manche Spiele brauchen Geduld (ζ. B. Schach), in anderen wiederum ist Geduld nicht von Bedeutung (ζ. B. in Ballspielen für ein allein spielendes Kind). D e r erste Schritt bei der Konstruktion einer Definition von „Spiel" erfordert eine Aufzählung aller Mengen (Typen) von Objekten, die ohne Zweifel unter den Begriff „Spiel" fallen. Dazu gehören u. a. die folgenden Spieltypen: Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Reigenspiele, Kampfspiele, Sprachspiele. 11 Jeder dieser Typen besitzt eine bestimmte Menge charakteristischer Eigenschaften, auf deren Basis eine partielle Definition formuliert werden kann, die eine hinreichende (aber keine äquivalente) Bedingung der Anwendung des Begriffes „Spiel" angibt. Wir wollen ζ. B. annehmen, daß die Eigenschaftsmenge A, B, C, D, E Kartenspiele charakterisiert. Eine entsprechende partielle Definition, die anhand dieser Eigenschaften eine hinreichende Bedingung für „Spiel" angibt, würde die Form der folgenden Implikation erhalten: Wenn das Objekt χ die Eigenschaften A, B, C, D, E hat, dann ist χ ein Spiel. Es lassen sich ähnliche Implikationen formulieren, die als hinreichende Kriterien Mengen von Eigenschaften verwenden, die für andere Objekttypen charakteristisch sind, die unzweifelhaft als Spiele gelten. Einer Menge solcher partieller Definitionen wird ein Kommentar hinzugefügt, der besagt, daß sie zusammen die Extension „Spiel" nicht erschöpfen — diese Extension bleibt offen, denn es gibt Objekte, gegenwärtige oder zukünftige, die mit keinem der unzweifelhaft als Spiele geltenden Objekte iden11
Diese Beispiele für Spiele wurden von L. Wittgenstein zusammengestellt. Natürlich ist dies keine vollständige Liste aller Objekte, die eindeutig zu den Spielen gerechnet werden.
Ihre logische Struktur
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tisch sind, sondern einigen davon lediglich ähnlich sind, die aber nichtsdestoweniger unter „Spiel" subsumiert werden können. Die Entscheidung oder der Brauch, solche zusätzlichen Objekte zu den Spielen zu rechnen, würde uns weitere partielle Kriterien für den Begriff „Spiel" liefern und würde somit seine Extension noch weiter bestimmen. Welche neuen Objekte als typischen Spielen hinreichend ähnlich aufgefaßt werden und somit in die Extension „Spiel" einbezogen werden, dies hängt von den bereits erwähnten praxeologischen Überlegungen ab. Das Beispiel, das ich als nächstes analysieren werde, ist der Begriff des Gewebes, wie er in den Künsten verwendet wird. Die Extension dieses Begriffes und auch seine Bedeutung haben eine lange Entwicklung durchgemacht, die den Veränderungen der künstlerischen Produktionsweisen parallel gelaufen ist. Die Menge der Objekte, die in früheren Perioden als Gewebe galten, wurde im Laufe der Zeit immer wieder durch neue Objekte bereichert, die ihren Vorgängern in verschiedener Hinsicht ähnelten und von ihnen in anderen Hinsichten abwichen. Zu den Merkmalen, die Gewebe in früheren Perioden charakterisieren, gehören die folgenden: 1. Zweidimensionalität — das Gewebe erstreckte sich nur in zwei Dimensionen; 2. Kontinuität — es gab keine Zwischenräume zwischen den Bestandteilen der Gewebe, jeder Teil Schloß unmittelbar an die benachbarten Teile an; 3. die Form des Gewebes war vorherrschend rechteckig, oval oder kreisförmig; 4. die Fäden wurden mit Hilfe traditionell überlieferter einfacher Webmuster dicht gewoben; 5. die Fäden wurden zum größten Teil aus Wolle, Seide oder Leder hergestellt, denen manchmal einige wenige andere Materialien beigegeben wurden, ζ. B. Gold. Im Laufe der Veränderungen des künstlerischen Webens verschwanden verschiedene für die früheren Gewebe charakteristische Eigenschaften und neue Merkmale traten an ihre Stelle. 19
Pawlowskt, Begnffsbildung
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
1. Zweidimensionalität ist nicht länger die Regel in der künstlerischen Weberei. Zunächst wurden Fäden variierender Dicke verwendet, um Reliefwirkungen zu erzielen; gegenwärtig gibt es voll dreidimensionale Gewebeschöpfungen, die manchmal als Webskulpturen bezeichnet werden, — ein herausragendes Beispiel dafür sind die Abakans der polnischen Künstlerin M. Abakanowicz. Auf diese Weise wurde die Grenzlinie zwischen den beiden künstlerischen Disziplinen der Weberei und der Skulptur verwischt. 2. Viele der zeitgenössischen Gewebe sind nicht-kontinuierlicher Art: die Oberfläche des Gewebes ist durch Löcher unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Form unterbrochen; es gibt sogar Werke, die aus mehreren Teilen bestehen, die räumlich völlig voneinander getrennt sind. 3. Auch die Form der Gewebe hat weitreichende Veränderungen erfahren. Die traditionell bekannten Formen — Rechteck, Oval, Kreis - sind durch eine grenzenlose Formenvielfalt ergänzt worden, für die alle Bezeichnungen fehlen. 4. Die weitreichendsten Veränderungen haben sich vielleicht hinsichtlich des grundlegenden Merkmals der Weberei ereignet — hinsichtlich der Technik nämlich, in der Garne (oder andere Elemente) miteinander verknüpft werden. Die Vielfalt der verwendeten Muster ist heute unvergleichlich größer, außerdem ist das Prinzip der Wiederholung — der regulären Wiederholung einer oder mehrerer Knüpfarten im gesamten Werk — infrage gestellt. In manchen Werken werden alle benachbarten Maschen nach unterschiedlichen Prinzipien geknüpft, was die Wirkung großer struktureller Vielfalt hervorruft Es gibt Werke, die zu den Geweben gerechnet werden, obwohl sie kaum noch geknüpft werden: Knäuel von Seilen und Schnüren unterschiedlicher Dicke und Oberflächenstruktur, die hier und da verknotet sind, fießen von Haltepunkten herab und formen ein kompliziertes Netzwerk von Kurven und Linien; oder bildähnliche Strukturen, in denen der Künstler Fetzen verschiedener vorgefertigter Gewebe verwendet, diese zusammennäht, zusammenklebt oder auf andere Art zusammenfügt; das sich so ergebende Ganze wird dann bemalt und mit anderen Elementen wie etwa Glas, Metall, Holz oder Ähnlichem ange-
Ihre logische Struktur
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reichert, um eine Art Collage zu bilden. Auch hier wird die Grenzlinie zwischen Weberei-, Malerei- und Collagetechnik verwischt. 5. Auch die bei der Gewebeanfertigung verwendeten Materialien haben sich stark geändert. Zusätzlich zu den traditionellen Materialien Wolle, Leinen, Baumwolle, Seide und Leder, u. a. werden alle nur denkbaren Arten natürlicher und künstlicher Materialien eingesetzt: Glas, Metall, Holz, synthetische Fasern, Papier, Gummi, Zähne, Knochen usw. Aus den eben skizzierten Veränderungen ergibt sich, daß die Extension des Begriffes „künstlerisches Gewebe" z. Zt. aus einer Familie von Teilmengen besteht, die einander teilweise ähnlich sind. Es gibt jedoch keine Menge kunsthistorisch oder kunstgeschichtlich relevanter Merkmale, die allen als künstlerisch bezeichneten Geweben gemeinsam ist, ganz zu schweigen von einer Menge, die allen Geweben, und nur diesen, gemeinsam wäre. Die Definition des Begriffs „Gewebe" würde folglich aus einer Anzahl von Definitionen bestehen, deren jede eine hinreichende Bedingung dafür angibt, daß ein Objekt ein Gewebe ist. Jeder existierenden Gewebvariante entspricht zumindest eine derartige partielle Definition, ζ. B. von der Form der einfachen Implikation: Wenn das Objekt χ die Eigenschaften A, B, C, D hat, dann ist χ ein Gewebe. Die Konjunktion all dieser Definitionen summiert sich jedoch nicht zu einer vollen Äquivalenzdefinition, da es keine Menge von Eigenschaften gibt, die allen Geweben, und nur diesen gemeinsam ist. Neue Typen von Werken, gegenwärtige oder zukünftige, die den bekannten ähnlich sind, können somit in die Extension „Gewebe" einbezogen werden; jede derartige Entscheidung liefert zusätzliche Kriterien für den Begriff „Gewebe" und vergrößert auf diese Weise seine Extension. Der Begriff „Sprache", dessen Untersuchung ich mich jetzt zuwenden will, hat im Laufe seiner Entwicklung beträchtliche Veränderungen erfahren. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Modifikationen gewesen, die sich in den letzten Jahrzehnten ereignet haben. Sie hängen zusammen mit Bemühungen — Be-
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
mühungen, die heute modischen Anklang finden —, linguistische Begriffe und Methoden in der Erforschung kultureller und künstlerischer Sachverhalte anzuwenden. Diese Forschungen werden oft als semiotische Theorie der Kultur bzw. semiotische Kunsttheorie bezeichnet. Die frühere Verwendungsweise des Ausdrucks „Sprache", die ζ. B. in Kontexten die „englische Sprache", „französische S p r a c h e " , „Alltagsprache" auftrat, ist durch neue Verwendungsweisen ständig erweitert worden: man denke z.B. an Kunstsprachen, natürliche Sprachen, Wissenschaftssprachen, an die Sprache der Physik, die Sprache der Logik, die Metasprache. Dazu kamen weiterhin: die Sprache der Musik, die Sprache der Malerei, die Sprache des Films, die Sprache der Kochgewohnheiten, die Sprache der Familienbeziehungen in einer konkreten Gesellschaft usw. Die Extension des Ausdrucks „Sprache" wurde so immer wieder mit neuen Objekttypen angereichert, die den früher vorhandenen nur partiell ähnlich waren. Die Merkmale, durch die der Terminus „Sprache" in vorausgegangenen Perioden charakterisiert wurde, enthielten die folgenden Elemente: 1. Eine Menge einfacher Ausdrücke (Vokabular); 2 . Regeln zur Bildung zusammengesetzter Ausdrücke aus einfacheren Ausdrücken (Syntax); 3 . die Regeln der semantischen Interpretation, oft in der Form von Sprachgebräuchen, die jedem der korrekt gebildeten Ausdrücke seine semantischen Entsprechungen zuweisen. In der weiteren Entwicklung wurden unter dem Ausdruck „Sprac h e " Typen von Strukturen subsumiert, in denen bestimmte der oben genannten Eigenschaften nur in modifizierter, generalisierter oder liberalisierter Form auftraten, oder in denen diese völlig fehlten. So zählen ζ. B. Autoren, die von der Sprache der bildenden Künste sprechen, Linien, Formen, Körper, Räume, Farben usw. zu deren Vokabular. 1 2 Es ist jedoch offensichtlich, daß diese Elemente im besten Falle nur dann als Vokabular aufge12
Vgl. z.B. G. Gollwitzer,
Die Kunst als Zeichen, München 1963, S. 21.
Ihre logische Struktur
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faßt werden k ö n n e n , wenn der Ausdruck „ V o k a b u l a r " dabei in einem sehr allgemeinen Sinne verstanden wird. Ähnliches gilt mit Bezug auf die Elemente, die die V o k a b u l a r e der Sprachen bestimmter anderer Kunstgattungen, wie ζ. B. jener der M u s i k , des Films, usw., ausmachen sollen. In den meisten Fällen fehlt das zweite Element, nämlich jenes der syntaktischen Regeln, im besonderen der Regeln des Satzbaus. Besitzen die Sprachen der M u s i k und der Malerei solche Regeln? W i e steht es mit der Sprache der K o c h g e w o h n h e i t e n ? 1 3 Allen an diesen P r o b l e m e n interessierten Theoretikern fällt es allerdings leichter, Ü b e r e i n s t i m m u n g darüber zu erzielen, d a ß syntaktische Regeln zur Bildung einfacher Ausdrücke unterhalb der Satzgrenze existieren. A b e r die A n n a h m e von Regeln zur Bildung von Sätzen in den S p r a c h e n der einzelnen Künste provozierte ernsthafte Auseinandersetzungen. So leugnen ζ. B. viele Autoren die E x i s t e n z s o l c h e r Regeln in den Sprachen der bildenden Künste und in der S p r a c h e der M u s i k . In den gegenwärtig als Sprachen aufgefaßten unterschiedlichen S t r u k t u r e n sind es oft die semantischen Regeln, die fehlen, oder die lediglich a u f fragmentarische oder indirekte Art angegeben w e r d e n . In diesen Fällen müssen solche Regeln auf komplizierte und u m s t ä n d l i c h e Art rekonstruiert werden. So verhält es sich ζ. B . mit der Malerei der Avantgarde. Wird ein Bild, das eine neue künstlerische Bewegung einleitet, zum erstenmal in einer Ausstellung gezeigt, m u ß der B e o b a c h t e r seinen Geist ganz besonders a n s t r e n g e n , um die in diesem Bild enthaltene Botschaft zu verstehen. Diese Aufgabe ist deshalb so schwierig (und auch so interessant), weil keine Regeln der semantischen Interpretation vorliegen. D e r B e t r a c h t e r m u ß diese Regeln selbst auf der Basis seiner B e o b a c h t u n g e n des Bildes rekonstruieren. Derartige B e o b a c h t u n g e n reichen jedoch nicht aus, er m u ß zusätzlich sein W i s s e n um verschiedene externe Faktoren heranziehen, etwa W i s s e n um aktuelle P r o b l e m e sozialer, psychologischer oder künstlerischer A r t , Wissen kunstgeschichtlicher Art usw. Er 13
Ich beziehe mich hier auf den Aufsatz über Kochgewohnheiten von C. Lévi-Strauss.
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müßte außerdem die sehr schwierig zu beschreibende, aber nichtsdestoweniger grundlegende Fähigkeit besitzen, sich in den Geist seiner Zeit einzufühlen. Man tut aber dennoch gut daran, nicht zu vergessen, daß auch ein Betrachter, der alle diese Faktoren berücksichtigt und wirklich ernsthafte Anstrengungen unternimmt, die semantischen Regeln zu rekonstruieren, nichtsdestoweniger erfolglos bleiben kann. So sind ζ. B. die Regeln der Interpretation der Gemälde von Picasso, die Kunsttheoretiker formuliert haben und die unter dem Namen „Kubismus" bekannt geworden sind, von Picasso nie als korrekt anerkannt worden. Die Situation eines Betrachters, der sich bemüht, ein Stück avantgardistischer Malerei zu verstehen, stellt keine Parallele zur Situation einer Person dar, die einen Text liest, der in einer Sprache verfaßt ist, deren Regeln ihr bekannt sind. Sie ist eher der Situation eines Forschers ähnlich, der einen antiken Text in einer ihm unbekannten Sprache zu entziffern versucht. Die Extension des Begriffes „Sprache" im Sinne der gegenwärtigen Sprachverwendung ist das Ergebnis von Veränderungen der oben erörterten Merkmale von Sprachen. Z. Zt. besteht diese Extension aus einer Reihe von Teilmengen, die durch partielle Ähnlichkeiten verbunden sind. Es gibt keine Merkmale, die allen Sprachen, und nur diesen gemeinsam sind. Eine Definition des Begriffes würde aus einer Reihe von partiellen Definitionen bestehen, deren jede eine hinreichende Bedingung angibt, die für eine besondere Teilmenge von Sprachen charakteristisch ist. Soweit besteht eine Parallele zwischen dem Begriff der Sprache und den oben erörterten Begriffen des Spieles und des Gewebes. Es sind allerdings auch Unterschiede zu bemerken. Wir haben bereits gesehen, daß der Begriff der Sprache zur Zeit Gegenstand lebhafter Kontroversen ist. Als ein Ergebnis dieser Kontroverse kann Übereinstimmung über bestimmte negative Kriterien für den Begriff „Sprache" erzielt werden. (Ähnliche negative Kriterien lassen sich auch für die Begriffe „Spiel" und „Webstück" entwickeln.) Diese können ζ. B. in Form eines der folgenden zwei Sätze formuliert werden: Wenn eine Struktur χ die Eigenschaft Ρ nicht aufweist, dann ist χ keine Sprache.
Ursprung und Entwicklung
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Wenn eine Struktur χ eine bestimmte Eigenschaft Η aufweist, dann ist χ keine Sprache. Die erste partielle Definition gibt eine notwendige Bedingung für „Sprache" an, die zweite gibt eine hinreichende Bedingung für die Negation von „Sprache" an. In der vorausgegangenen Analyse habe ich mich bemüht, die logische Struktur von Begriffen mit Bedeutungsfamilien, wie sie in der Alltagssprache und in der Wissenschaft verwendet werden, festzustellen. Es ist an dieser Stelle angebracht, auf die Tatsache hinzuweisen, daß meine Bemühungen um eine adäquate Rekonstruktion nicht zur Folgerung berechtigen, daß ich diese Begriffe stets und uneingeschränkt für wissenschaftlich nützlich halte. Im Gegenteil, ihre wissenschaftliche Nützlichkeit scheint oft fragwürdiger Art zu sein. Ich werde auf dieses Problem nochmals zurückkommen, um es in seinen Teilaspekten zu behandeln.
Ursprung und Entwicklung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien Ein gewöhnlicher mit Hilfe einer Äquivalenzdefinition definierbarer Begriff hat eine bestimmte Objektmenge zur Extension, obwohl diese Menge nicht immer in hinreichend scharfer Weise eingegrenzt werden kann. Mit fortschreitendem Wissen kann sich die Notwendigkeit einstellen, die gegebene Extension des Begriffes zu ändern, und den neu entdeckten Tatsachen oder neu akzeptierten Theorien anzupassen. Historische und methodologische Untersuchungen haben gezeigt, daß viele wissenschaftliche Begriffe die Tendenz aufweisen, im Laufe ihrer Entwicklung immer allgemeiner zu werden. Natürlich finden auch andere Veränderungen statt. Die Extension kann kleiner werden als die frühere, sie kann die frühere auch zum Teil überlappen. Welcher Art auch immer nun die Veränderungen sein mögen, die letztlich akzeptierte Extension besteht immer aus Objekten, die bestimmte eigentümliche Merkmale gemeinsam haben. Was in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, sind nicht irgendwelche Merkmale — denn jede beliebige Extension hat derartige Merkmale —,
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
sondern Merkmale, die in einem konkreten Wissenschaftsbereich oder in einem Bereich praktischer Aktivität von Interesse sind. Begriffe mit Bedeutungsfamilien entstehen und entwickeln sich anders. Wenn der gegebenen Extension eines derartigen Begriffes im Laufe seiner Entwicklung neue Objekte hinzugefügt werden, können diese den ursprünglichen Objekten nur teilweise ähnlich sein. Daraus ergibt sich ein Begriff, dessen Extension aus einer Reihe von Teilmengen besteht, die nur durch partielle Ähnlichkeiten miteinander verbunden sind. Zur Beschreibung einer derartigen Entwicklungsweise bietet sich der Ausdruck „knospenartige Entwicklung" an, da er bestimmten gut bekannten organischen Prozessen bei Pflanzen analog ist. Warum ist dies der Fall? Welche Faktoren tragen zu dieser Art der Entwicklung bei? Begriffe mit Bedeutungsfamilien entstehen und entwickeln sich als das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels einiger Faktoren, wobei die folgenden die wichtigste Rolle zu spielen scheinen: 1. Bestimmte Merkmale, die den Inhalt derartiger Begriffe bilden, lassen eine Abstufung zu, woraus sich die Unmöglichkeit ergibt, ihre Extensionen scharf abzugrenzen. In der Bildung und im Gebrauch dieser Begriffe manifestieren sich folgende Tendenzen: 2. der ökonomisierung der Kommunikationsmittel, 3. der Nutzung der mit existierenden Wörtern verbundenen emotionalen Assoziationen zum Zweck der Persuasion. 4. Die wissenschaftliche oder praktische Nützlichkeit solcher Begriffe ist auf ihre Entwicklung von Einfluß. Bestimmte Konfigurationen dieser Faktoren, der Grad ihrer Intensität, die Priorität, die dem einen eher als dem anderen verliehen wird, tragen zur Entstehung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien bei. Eine andere Konfiguration der gleichen Faktoren kann jedoch den gegenteiligen Effekt herbeiführen, jenen nämlich, einen Begriff mit einer Bedeutungsfamilie in mehrere voneinander getrennte Begriffe aufzuspalten. Je nach der gegebenen Situation erhält der eine oder andere besondere Faktor
Ursprung und Entwicklung
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oder die eine oder andere Tendenz Priorität. So ist es z.B. im Alltagsleben oft die überredende Wirkung, die den Prozeß der Begriffsbildung dominiert, in der Wissenschaft andererseits spielt die wissenschaftliche Nützlichkeit eine wichtige Rolle. An dieser Stelle ist noch eine zusätzliche Bemerkung von Belang. Mit der Formulierung der oben aufgezählten Faktoren und Tendenzen wollte ich nicht zum Ausdruck bringen, daß diese in den Prozessen der Begriffsbildung stets bewußt berücksichtigt werden. Natürlich kann eine entsprechende bewußte Einstellung dahinter stehen, insbesondere in den Fällen, in denen wissenschaftliche Begriffe gebildet werden. In der Regel verlaufen jedoch diese Prozesse in dieser Hinsicht mehr oder minder unbewußt. Erst durch methodologische Analyse von begrifflichen Entwicklungsreihen können die oben aufgezählten Faktoren aufgedeckt und formuliert werden. Wir wollen nun dazu übergehen, die oben unterschiedenen Faktoren und ihren Einfluß auf die Bildung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien im einzelnen zu untersuchen. Eigenschaften, die graduelle Abstufungen zulassen, und die Vagheit von Begriffen Viele Eigenschaften von Objekten lassen graduelle Abstufungen zu. Beispiele für solche Eigenschaften sind z.B.: rot, süß, lang, paranoid, intelligent, naturalistisch. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Eigenschaften, deren Intensität kontinuierlich wechseln kann, so daß zwischen der Situation ihres Vorhandenseins und der Situation ihres Fehlens ein ungebrochener Übergang vorliegt. Es ist in solchen Fällen unmöglich, zwischen diesen beiden Extremen eine nicht willkürliche, aber vertretbare Demarkationslinie zu ziehen. Dieses Gegebensein kontinuierlich wechselnder Merkmale ist eine Quelle ernsthafter Schwierigkeiten. In der Wissenschaft wie auch im Alltagsleben treten diese Schwierigkeiten dann auf, wenn wir Begriffe, deren Inhalt sich auf solche Eigenschaften bezieht, definieren oder verwenden. Ein wichtiges Charakteristikum vager Begriffe besteht darin, daß es Objekte gibt, für die es unmöglich ist zu
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
entscheiden, ob sie unter einen bestimmten vagen Begriff subsumiert werden sollen, oder o b sie eher aus dessen Extension ausgeschlossen bleiben sollten. Daraus ergibt sich ein Zustand der Unsicherheit, ja der Gespanntheit. Der Zustand der Unsicherheit schafft den allgemeinen Hintergrund dafür, daß Begriffe mit Bedeutungsfamilien entstehen und sich entwickeln. Angenommen, wir haben einen Begriff C; seine Extension besteht aus Objekten, deren Merkmale graduelle Abstufungen zulassen. W i r wollen weiter annehmen, daß wir auf einige neue Objekte gestoßen sind, die zwar nicht mit den durch C bezeichneten identisch, diesen aber nichtsdestoweniger in wesentlichen Hinsichten ähnlich sind. Diese Ähnlichkeit ist jedoch weder stark genug, um uns zu veranlassen, diese neuen Objekte zur Extension C zu rechnen, noch auch gering genug, um in entschiedener Weise gegen ihren Einschluß in die Extension C zu entscheiden. Um diesen Zustand der Unsicherheit zu beheben, müssen wir einige zusätzliche Faktoren aus der Menge der bereits unterschiedenen heranziehen. Dabei kann es geschehen, daß diese Faktoren so überzeugende und eindeutige Gründe liefern, daß eine klare Entscheidung möglich wird. Daraus ergibt sich, daß die neuen Objekte entweder aus der Extension C ausgeschlossen werden können und diese folglich unverändert lassen, oder daß sie unter C subsumiert werden und die Extension somit erweitern. Aufgrund der Klarheit der beigebrachten Gründe wird jedoch die Subsumtion so durchgeführt, daß die frühere Bedeutung von C geändert wird, so daß sie nun aus Eigenschaften besteht, die sowohl den alten als auch den neuen Objekten und nur diesen gemeinsam sind. Die neue Extension besteht nicht aus zwei ähnlichen Teilmengen, der ursprünglichen und der neuen, sondern aus einer homogenen Menge, die auf der Basis der neuen Bedeutung abgegrenzt ist. Im Rahmen dieses Typs der Inklusion bleibt der methodologische Charakter des Begriffes C unverändert. W e n n also ζ. B. der Begriff C vor dieser Inklusion kein Begriff mit einer Bedeutungsfamilie war, bleibt er dies auch nach der Inklusion.
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Die durch die Berücksichtigung der zusätzlichen Faktoren gelieferten Gründe sind jedoch nicht immer so klar und eindeutig. Auch wenn sie für die Einbeziehung neuer Objekte in die Extension C sprechen mögen, geschieht dies nicht so, daß C eine neue Bedeutung erhält, die aus Eigenschaften besteht, die sowohl den alten und den neuen Objekten und nur diesen gemeinsam sind — denn derartige Eigenschaften waren nicht gefunden worden. Vielmehr besteht die Extension C nunmehr aus zwei unterschiedlichen, wenn auch ähnlichen Teilmengen: aus neu eingegliederten Objekten und aus Objekten, die schon früher zur Extension C gehörten. Der somit neu gebildete Begriff besitzt eine Familie von Extensionen. Natürlich kann diese Familie aus mehr als zwei Teilmengen bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn die Extension C auch vor der neuerlichen Eingliederung bereits mehr als eine Teilmenge enthalten hat. „Gewebe", „Sprache", „Kunst", „ R o m a n " sind Beispiele für derartige Begriffe. Wir haben bereits gesehen, daß viele als künstlerische Webstücke aufgefaßte Objekte im Grenzbereich zwischen Weberei und Malerei oder zwischen Weberei und Collage liegen. Ein weiteres aus einer Vielzahl anderer ausgewähltes Beispiel ist das des Happening, dessen Charakteristika es in einen Bereich zwischen Drama, Psychodrama und religiöse Zeremonie setzen. All dies wird durch den graduellen Charakter der Merkmale verursacht, die das Kriterium für Gewebe und Happening abgeben. Die weitere Forschung kann zur Entdeckung neuer interessanter M e r k m a l e führen, die allen Teilmengen von Objekten und nur diesen gemeinsam sind, die nun die Extension C bilden. Diese M e r k m a l e können eher von der Ebene direkt beobachteter Eigenschaften weiter abgerückt sein. Wenn derartige Merkmale tatsächlich entdeckt werden, können sie zur Bildung einer neuen Bedeutung von C verwendet werden. Mit Bezug auf diese neue Bedeutung besteht die Extension C nun nicht länger aus einer Familie einander ähnlicher Teilmengen, sondern sie wird stattdessen in eine homogene Menge von Objekten verwandelt. Alle, die Begriffe mit Bedeutungsfamilien bilden oder voraussetzen, hoffen mehr oder minder bewußt auf die zukünftige Entdeckung derartiger neuer Merkmale, die allen Teilmengen und nur ihnen
228
Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
gemeinsam sind und gleichzeitig für konkrete wissenschaftliche oder praktische Zwecke relevant sind. Sollen wir daraus den Schluß ziehen, daß Begriffe mit Bedeutungsfamilien für die Übergangsperioden in der Evolution unserer Vorstellungen und unseres Wissens im allgemeinen symptomatisch sind? Eine derartige Schlußfolgerung möchte ich hier in der Tat vertreten. Zumindest was wissenschaftliche Begriffe dieser Art angeht. Der Übergangscharakter dieser Begriffe, ihre „Bereitschaft" zu weiterer Veränderung, zur Inklusion neuer Objektmengen in ihre Extensionen, sind eng mit ihrem offenen Charakter und ihrer nur partiellen Definierbarkeit verbunden. W i r wollen anfügen, daß der Übergangscharakter der Begriffe mit Bedeutungsfamilien sich leichter klarlegen läßt, wenn wir eine Entwicklungsreihe wissenschaftlicher Begriffe betrachten. Das Phänomen ist an Begriffen der Umgangssprache nur schwer zu beobachten. W i r wollen nun dazu übergehen, weitere Faktoren zu erörtern, die in der Bildung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien von Einfluß sind. Dies wird zeigen, wie der Zustand der Unsicherheit, der durch die kontinuierliche Veränderbarkeit von Merkmalen und die sich daraus ergebende Vagheit von Begriffen verursacht ist, behoben werden kann. Die Tendenz, zu halten
die Mittel der Kommunikation
ökonomisch
Es handelt sich hierbei um ein besonderes Beispiel für die allgemeine alles menschliche Handeln steuernde Tendenz, jeden Energieaufwand möglichst gering zu halten. Für uns ist hierbei die Tatsache von Interesse, daß der Aufwand an Wörtern, der zum Ausdruck einer bestimmten Botschaft erforderlich ist, möglichst gering gehalten werden soll. Durch eine Paraphrase des bekannten Occamschen Rasiermessers könnten wir dafür die folgende Formulierung geben: es sollten nicht mehr Wörter verwendet werden, als unbedingt notwendig ist. Es ist leicht festzustellen, daß diese Formulierung relativer Art ist. Sie enthält eine implizite Relativierung auf den Zweck, für den die Wörter
Ursprung und Entwicklung
229
eingesetzt werden sollen. Allgemein gesagt, besteht das Ziel menschlicher Wissenschaft und das Ziel eines Großteils der Alltagstätigkeit darin, die gegebene Vielfalt von Objekten und Phänomenen so in Gruppen zusammenzuordnen, daß uns die Entdeckung jener Regularitäten möglich wird, die für diese O b j e k t e und Phänomene gelten. Die Sprache soll uns helfen, diese Aufgabe durchzuführen und unsere Ergebnisse mit Hilfe geeigneter Aussagen oder Aussagenkomplexe auszudrücken. Natürlich lassen sich die gegebenen Objekte und Phänomene auf viele verschiedene Arten in Gruppen zusammenordnen, je nachdem, welchen besonderen wissenschaftlichen oder praktischen Z w e c k wir verfolgen. Für bestimmte Zwecke kann es notwendig sein, zwischen Objekten höchst feine Unterscheidungen zu treffen, indem man auch noch subtilste Unterschiede zwischen ihren Eigenschaften und den Abstufungen ihrer Intensität berücksichtigt. In anderen Fällen genügt eine viel weniger feine oder auch eine sehr grobe Differenzierung. Unsere Sprache muß entsprechend eingerichtet werden. Sie kann zu einem äußerst empfindlichen Werkzeug ausgestaltet werden, mit dem subtilste Unterschiede und Beziehungen zwischen Tatsachen beschrieben werden können. Der Aufbau und die Verwendung einer derartigen Sprache sind jedoch schwierig und aufwendig, dies ist außerdem nur auf der Basis höchst entwickelter Wissenschaften und Meßtechniken durchführbar. In den Fällen, in denen derartig hoch entwickelte Techniken nicht notwendig sind oder auch einfach nicht existieren, müssen wir uns mit einer Sprache zufrieden geben, deren Ausdrucksmittel weit weniger raffiniert sind. Konkrete Beispiele für Sprachen von derart unterschiedlichen Ebenen der Raffiniertheit lassen sich dann feststellen, wenn man ζ. B. einen T e x t über bestimmte Probleme der gegenwärtigen Humangenetik, der in einem populärwissenschaftlichen Magazin veröffentlicht ist, mit dem entsprechenden T e x t für Spezialisten vergleicht. Ähnlich unterschiedliche Ebenen der Verfeinerung lassen sich durch vergleichende Untersuchungen der Sprachen verschiedener Nationen entdecken. Um nur ein Beispiel aus einer großen Fülle ähnlicher zu geben: manche natürlichen Sprachen besitzen keine Wörter oder höchstens ein Wort zur Bezeichnung gefrorenen atmosphärischen Nie-
20 Pawlowski, Begnffsbildung
230
Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
derschlags, ζ. B. ein Äquivalent für das W o r t „ S c h n e e " . Gleichzeitig verfügen aber andere Sprachen über viele derartige Wörter, die zur Differenzierung zwischen verschiedenen Arten gefrorenen atmosphärischen Niederschlags dienen. Dieser sprachliche Unterschied hängt natürlich mit der praktischen Wichtigkeit der Fähigkeit einer bestimmten ethnischen Gruppe zusammen, zwischen verschiedenen Arten gefrorenen Niederschlags zu unterscheiden und die entsprechenden Ergebnisse mit Hilfe ihrer Sprache auszudrücken. Eine Region mit geringem oder keinem Niederschlag dieser Art befindet sich in einer völlig verschiedenen Situation von einer Region, in der die Vielfalt und das Ausmaß dieses Niederschlags groß ist, und in der viele wesentliche Aspekte des Lebens davon abhängen. Die Sprache paßt sich derartigen Verhältnissen an und dieser Prozeß der Anpassung wird durch das Prinzip der ö k o nomisierung beeinflußt. W i e wirkt sich nun dieses Prinzip auf die Bildung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien aus? Unser Ausgangspunkt ist die oben beschriebene Situation der Unsicherheit, die durch die kontinuierliche Veränderbarkeit der Merkmale von Objekten verursacht wird. Sollten die neuen Objekte, die den bereits in der Extension C eingeschlossenen ähnlich sind, auch zu C gerechnet werden, oder sollten sie lieber als verschiedene Objekte aufgefaßt und mit einem neuen Namen versehen werden? Die Tendenz zur Ökonomisierung bewirkt hier eine Art Bremseffekt. Sie stützt den Einschluß der neuen Objekte in die Extension C und verhindert so die Vermehrung von Wörtern. Dieses Prinzip wirkt jedoch nicht isoliert, es operiert vielmehr zusammen mit Prinzipien der wissenschaftlichen oder praktischen Nützlichkeit von Begriffen, ja überläßt der letzten im Falle eines Konfliktes sogar die Priorität. Wenn uns die Berücksichtigung der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen nahelegt, den Unterschied zwischen den alten und den neuen Objekten als hinreichend groß und wichtig zu betrachten, verliert das Ökonomieprinzip sein Gewicht, die neuen O b j e k t e werden mit einem eigenen Namen versehen und als eine distinkte Objektklasse betrachtet. U m ein noch vollständigeres Bild der oben skizzierten Prozesse zu geben, werde ich Faktoren vorstellen, die einen der ö k o n o m i -
Ursprung und Entwicklung
231
sierungstendenz entgegenwirkenden Einfluß ausüben. Manchmal werden neue Begriffe ohne hinreichende Rechtfertigung eingeführt, etwa in solchen Fällen, in denen die bereits existierenden Begriffe hinreichende Ausdrucksmittel bereitstellen: etwa, um die zweifelhafte Eigenständigkeit der eigenen Leistung in Kunst oder Wissenschaft zu betonen, um die eigene Auffassung von der scheinbar identischen Position des Gegners abzusetzen, um durch den Gebrauch neuer Wörter den Eindruck neuer Leistungen zu erzeugen. W i r wollen unsere Bemerkungen zur Ökonomisierung mit der Betrachtung einiger Beispiele zusammenfassen. „Roman", „Skulptur", „ K u n s t " und viele andere bereits früher zitierte Wörter sind Beispiele, hinsichtlich welcher die Tendenz zur ökonomisierung ihre Wirkung gezeigt hat. Neue Objekte, die in bestimmten Hinsichten anders waren als die ihnen vorausgegangenen, wurden nichtsdestoweniger als Romane, Skulpturen und Kunstwerke aufgefaßt. Die übrigen Faktoren, die Berücksichtigung der Nützlichkeit von Begriffen oder ihrer persuasiven Funktion haben in die gleiche Richtung gewirkt oder Gründe geliefert, die nicht schwerwiegend genug waren, um die Tendenz zur ökonomisierung zu überwinden. So hat der Begriff des Romans ζ. B. eine vielfältige Entwicklung durchlaufen: vom klassischen Roman des 18. Jahrhunderst hin zu Proust, Joyce oder Butor. Die früheren Romane waren von erzählender Art, fiktiv, enthielten genau gezeichnete Charaktere, Dialoge und eine regelmäßige Zeitstruktur. Einige dieser Merkmale, ζ. B. die regelmäßige Zeitstruktur, fehlen in bestimmten Romanen des 20. Jahrhunderts. An ihre Stelle traten andere Merkmale, die in früheren Romanen nicht existierten, so ζ. B. die Einstreuung echter Zeitungsberichte in den T e x t . 1 4 Die neuen Prosawerke wurden unter den gleichen Begriff „ R o m a n " subsumiert. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, daß die Extension „ R o m a n " heute aus einer Familie von Teilmengen besteht, die einander teilweise ähnlich sind. Auch der Begriff Skulptur hat große Veränderungen
14
Vgl. Morris Weitz, The Role of Theory in Esthetics, The Journal of Aesthetics and Art Criticism, vol. XV.
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Kap. V I : Begriffe mit Bedeutungsfamilien
erfahren. Eines der Grundmerkmale der frühen Skulpturen, ein kompakter zusammenhängender Körper zu sein, ist in Frage gestellt worden. Die zeitgenössische Skulptur ist oft durchlöchert und zeigt Öffnungen unterschiedlicher Größe und Gestalt: der ehemals kompakte Block wurde luftig, leicht; durch die Öffnungen dringt Licht, das ihn mit einem Reichtum an HelldunkelEffekten belebt. Auch die reiche Materialvielfalt, die zur Erzeugung von Skulpturen verwendet wird, Farbe, Wasser, Geräusche oder Bewegungseffekte, tragen zu jener Vielfalt ästhetischer Wirkungen bei, die die zeitgenössische Skulptur von der früheren trennt. Trotz dieses Unterschiedes wurden die alten und zeitgenössischen Werke unter das gleiche Wort „Skulptur" subsumiert. Heute benennt der Begriff „Skulptur" eine Reihe von Teilmengen, die nur durch partielle Ähnlichkeiten zusammengehalten werden. „Mobile", „Happening", „Collage" sind Beispiele dafür, daß die Tendenz zur Ökonomisierung anderen Faktoren, die den Prozeß der Begriffsbildung gestalten, nachgab, insbesondere hinsichtlich der wissenschaftlichen oder praktischen Nützlichkeit von Begriffen. Alle oben gegebenen Begriffe bezeichnen Objekte, die bestimmten anderen Objekten in wesentlicher Hinsicht ähnlich sind. Calders Mobiles haben viele Merkmale mit bestimmten zeitgenössischen Skulpturen gemeinsam. Das Happening wiederum grenzt an Drama, an Psychodrama und religiöse Zeremonie. Die Collage steht in der Nähe der Malerei. Die Unterschiede erwiesen sich jedoch als durchaus wichtiger als die Ähnlichkeiten. Die Konsequenz davon war, daß die neuen Kunstobjekte nicht in die bereits existierenden Extensionen eingeschlossen, sondern mit Hilfe neuer Begriffe davon abgesetzt wurden. Überlegungen der Nützlichkeit von Begriffen in der theoretischen und historischen Erforschung der Kunst und zu Zwecken der Systematisierung künstlerischer Phänomene waren von Einfluß auf diese Einführung neuer Begriffe. Es ist jedoch möglich, daß auch noch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben, so ζ. B. die Absicht, sich das emotionale Gewicht existierender Wörter zunutzezumachen oder sich von derartigen emotiven Konnotationen zu distanzieren, oder auch das Streben nach Prestige usw.
Ursprung und Entwicklung
Die Berücksichtigung Wörter
emotionaler
Assoziationen
233 existierender
Sprachliche Ausdrücke rufen emotionale Reaktionen in uns hervor. Diese Eigenschaft der Sprache kann dazu verwendet werden, Wert- und Gefühlshaltungen von Menschen zu formen. Wir können derartige überredende Wirkungen dadurch erzielen, daß wir uns die mit existierenden Wörtern jeweils verbundenen emotionalen Assoziationen zunutze machen. Mit Hilfe geeigneter Verfahren können wir diese Assoziationen von einem Wort auf ein anderes oder von einer Extension auf eine andere Extension des gleichen Wortes übertragen. Wir können auch die Intensität des mit einem gegebenen Wort verbundenen Emotionspotentials verändern, seine Art oder auch seine Richtung, ζ. B. dadurch, daß wir ästhetische emotionale Assoziationen durch ethische ersetzen, oder negative durch positive und umgekehrt. 15 Jede dieser Veränderungen kann Wert- und Gefühlseinstellungen von Menschen hinsichtlich der Objekte oder Phänomene verändern, die durch den der Veränderung unterworfenen Ausdruck bezeichnet wurden. Von besonderem Interesse ist hier für uns der Einfluß, den die Berücksichtigung der emotiven Funktion der Sprache auf die Bildung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien ausübt. Allgemein gesprochen, müßten sowohl diese Rücksichtnahme wie auch die bereits früher erörterte Tendenz zur ökonomisierung im Falle eines Konfliktes den Überlegungen über die Nützlichkeit von Begriffen Priorität einräumen. Diese Priorität läßt sich am klarsten und entschiedensten im Bereich der am weitesten entwickelten empirischen Wissenschaften feststellen. In anderen Wissenschaftszweigen, in denen Werte und mit Werten besetzte Begriffe eine wichtige Rolle spielen wie ζ. B. in den Geisteswissenschaften oder auch in der Alltagssprache, ist diese Priorität nicht in so klarer Weise gegeben; manchmal wird sie sogar umgekehrt, d.h. die Rücksichtnahme auf den Gefühlsgehalt von Begriffen gewinnt die Oberhand. Wir werden zwei Grundtypen von Situationen untersuchen, in denen die emotive Funktion der Sprache die Bildung von Be15
Vgl. Kapitel: Persuasive Definitionen.
234
Kap. V I : Begriffe mit Bedeutungsfamilien
griffen mit Bedeutungsfamilien beeinflußt. Im ersten Typ bleibt der Ausdruck, der einen Begriff mit einer Bedeutungsfamilie benennt, unverändert, im zweiten Typ wird dieser Ausdruck durch einen anderen mit unterschiedlichem emotionalen Potential übersetzt. Typ 1. Wir wollen annehmen, daß ein bestimmter Ausdruck Τ wertgeladen ist, d.h. positive oder negative Assoziationen bestimmter Art evoziert. Wir wollen weiter annehmen, daß wir auf Objekte gestoßen sind, die den durch Τ bezeichneten Objekten in wesentlicher Hinsicht ähnlich, mit ihnen aber nicht identisch sind. Es stellt sich die Frage, ob die neuen Objekte als eine Teilmenge in die Extension Τ eingegliedert werden sollten, um eine Familie von Extensionen zu bilden, oder nicht. In dieser Situation sprechen sich alle für eine Inklusion aus, für die es wichtig ist, daß die emotionale Einstellung gegenüber früher durch Τ bezeichneten Objekten auch auf die neuen Objekte übertragen werden soll. Wer aber gegen eine derartige Übertragung der Einstellung ist, wird sich auch gegen eine solche Inklusion aussprechen. Aus dieser allgemeinen Beschreibung lassen sich vier unterschiedliche Fälle ableiten, je nach Richtung des Emotionspotentials des Begriffes T: Α. Τ hat neuen Β . Τ hat neuen
ein positives Emotionspotential, und dieses sollte auch auf die O b j e k t e ausgedehnt werden. ein positives Emotionspotential, und dieses sollte nicht auf die O b j e k t e ausgedehnt werden.
C . Τ hat neuen D . Τ hat neuen
ein negatives Emotionspotential, und dieses sollte auch auf die O b j e k t e ausgedehnt werden. ein negatives Emotionspotential, und dieses sollte nicht auf die O b j e k t e ausgedehnt werden.
Typ 2. Hier ist der Ausgangspunkt ein bestimmter Begriff T, der zu einer Umgangssprache oder zur Sprache der Wissenschaft gehört; dieser Begriff kann ein Emotionspotential bestimmter Art besitzen oder emotional neutral sein. Wir wollen annehmen, daß wir auf einige Objekte stoßen, die den durch Τ bezeichneten teilweise ähnlich sind. Die Frage besteht dann darin, ob sie unter Τ subsumiert werden sollten oder nicht. Auf der Basis der Ergeb-
235
Ursprung und Entwicklung
nisse unserer Überlegungen zur emotiven Funktion der Sprache sind wir geneigt, die neuen Objekte in die Extension Τ einzuschließen, um eine Familie von Extensionen zu bilden, allerdings nur unter der Bedingung, daß der Ausdruck Τ durch einen anderen Ausdruck, N, ersetzt werde, der ein Emotionspotential der von uns gewünschten Art besitzt. Aus einer solchen Operation ergibt sich, daß die Extension von Ν aus Objekten besteht, die zur Extension Τ gehörten, welche durch die neu hinzugezogenen Objekte ergänzt worden ist. Die damit beschriebene Situation umfaßt eine große Anzahl möglicher Varianten, je nachdem, ob und welche Emotionspotentiale mit Τ und Ν verbunden sind. 16 Die Berücksichtigung Begriffen
der wissenschaftlichen
Nützlichkeit
von
Eine gute Definition eines Begriffes muß formal korrekt sein, d.h. sie darf keine solche Fehler enhalten, wie Widerspruch oder Zirkularität. Die formale Korrektheit ist jedoch nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für eine gute Definition. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt unzählige Beispiele für Definitionen, die formal korrekt waren und nichtsdestoweniger verworfen werden mußten. Die zusätzlichen Bedingungen, die eine Definition erfüllen muß, um wissenschaftlich akzeptiert werden zu können, werden oft Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit einer Definition genannt; man kann in äquivalenter Weise von der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen sprechen, die durch diese Definition eingeführt werden. Was ist mit Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen gemeint? Wenn ein Begriff definiert wird, müssen wir eine Entscheidung hinsichtlich der folgenden beiden Aspekte treffen, die von grundlegender methodologischer Wichtigkeit sind: Welche Mengen von Objekten oder Phänomenen sollte diesem Begriff als seine Extension zugeordnet werden? Welche Menge definitorischer Eigenschaften sollte zur Abgrenzung dieser Menge von Objekten verwendet werden? 16
Für Beispiele der oben erwähnten persuasiven Operationen vgl. Kapitel: Persuasive Definitionen.
236
Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Offensichtlich können nämlich viele verschiedene Objektmengen einem gegebenen Begriff als dessen Extension zugeordnet werden. Außerdem kann jede dieser Objektmengen mit Hilfe vieler verschiedener Mengen definitorischer Eigenschaften abgegrenzt werden. Die Entscheidung hinsichtlich dieser beiden Aspekte ist eng mit dem Zentralproblem jeder Wissenschaft verbunden: wie sollen die Objekte und Phänomene der uns umgebenden Welt so in Gruppen geordnet werden, daß wir die diese Phänomene steuernden Regularitäten entdecken können? Die von den Wissenschaftlern in diesem Gruppierungsprozeß berücksichtigten Faktoren — und dies geschieht nicht notwendigerweise vollbewußt —, werden in den Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen verbalisiert. 1 7 Sind Begriffe
mit Bedeutungsfamilien
wissenschaftlich
nützlich?
Eine allgemeine Antwort auf diese Frage scheint nicht möglich zu sein, sie kann unterschiedlich, positiv oder negativ ausfallen, je nachdem, welcher besondere Begriff herangezogen wird. Im folgenden werde ich Sachverhalte beider Arten untersuchen. Die Aufgabe der Wissenschaften, im besonderen der nomologischen, besteht darin, Regularitäten zwischen Phänomenen aufzudecken und allgemeine Aussagen zu formulieren, die diese Regularitäten ausdrücken. Ähnliche allgemeine Aussagen treten auch, wenn auch in geringerem Ausmaße, in nicht-nomologischen Wissenschaften auf, wie etwa in der politischen Geschichte und in der Kunstgeschichte. Kein historisches Phänomen kann ohne Rückgriff auf allgemeine Aussagen dieser Art erklärt werden. Historische Disziplinen formulieren jedoch im allgemeinen solche Generalisierungen nicht selbst, sie übernehmen diese vielmehr aus nomologischen Wissenschaften oder auch aus dem allgemeinen Wissensbestand. Können Begriffe mit Bedeutungsfamilien zur Formulierung derartiger Aussagen verwendet werden? Sei Β ein Begriff mit einer Bedeutungsfamilie, und betrachten wir einen sehr einfachen Typ der allgemeinen Aussagen von der 17
F ü r eine ausführliche Diskussion der Bedingungen wissenschaftlicher Nützlichkeit von Begriffen vgl. Kapitel III.
Ursprung und Entwicklung
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Form: Jedes X ist Y . Kann Β als Subjekt eines Satzes dieses Typs verwendet werden, d. h. in einer Aussage: Jedes Β ist H ? Die Aussage weist die Eigenschaft Η jedem Objekt zu, das zur Extension Β gehört. Wir haben jedoch angenommen, daß Β ein Begriff mit einer Bedeutungsfamilie ist. D a r a u s folgt, daß es keine allen unter Β subsumierten Objekten und nur diesen gemeinsamen Eigenschaften gibt. 1 8 Diese Tatsache aber schließt noch nicht die Möglichkeit aus, wahre Aussagen des T y p s „jedes Β ist H " zu formulieren, die Η als eine allen Elementen von Β gemeinsame Eigenschaft festsetzen. Eine derartige Möglichkeit wäre nur dann ausgeschlossen, wenn den Elementen von Β alle gemeinsamen Eigenschaften schlechthin abgingen, aber nicht Eigenschaften, die ihnen allen und nur ihnen gemeinsam sind. Entsprechend den Verhaltenscharakteristika eines Begriffs mit einer Bedeutungsfamilie, wie sie zu Beginn dieses Kapitels formuliert wurden, wird die Existenz von Eigenschaften, die allen durch einen derartigen Begriff bezeichneten Objekten gemeinsam sind, weder ausgeschlossen noch angenommen. Die Existenz derartiger gemeinsamer Eigenschaften bleibt ein empirisches Problem, das mit Bezug auf jeden Begriff dieser Art separat gelöst werden muß. Die Analyse vieler derartiger Begriffe zeigt allerdings, daß ihren Extensionen sehr häufig nicht nur Eigenschaften abgehen, die allen Elementen der Extension und nur diesen gemeinsam sind, sondern auch jede gemeinsame Eigenschaft schlechthin. Daraus folgt, daß die Nützlichkeit von Begriffen mit Bedeutungsfamilien für die Z w e c k e der Formulierung allgemeiner Aussagen des Typs „Jedes X ist Y " sehr beschränkt ist. In Sätzen dieser Art können nur diejenigen — wie es scheint wenig zahlreichen — als Subjekte verwendet werden, deren Extensionen gemeinsame Eigenschaften besitzen. Wir wollen uns nun umgekehrt fragen, ob Β als Prädikat eines Satzes folgender Art verwendet werden kann: Jedes F ist B. 18
Hier sind die wissenschaftlich interessanten Eigenschaften gemeint; Elemente jeder Menge haben nämlich einige Eigenschaften gemeinsam, ζ. B. die Eigenschaft, Element dieser Menge zu sein.
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Dieser eben formulierte Satz ist natürlich wahr unter der Voraussetzung, das F eine der Teilmengen darstellt, die zusammen die Familie Β bilden. Wir könnten ebenso viele wahre Aussagen der Form Jedes F ist Β bilden, wie viele verschiedene Teilmengen F in der Familie von Teilmengen Β enthalten sind. Generell gesprochen, reicht dies nicht aus, um Β wissenschaftlich nützlich zu machen. Die wissenschaftliche Nützlichkeit des Begriffes würde größer, wenn weitere Mengen gefunden würden, von denen Β in wahrer Weise prädiziert werden könnte, oder neue Mengen, die durch eine allgemeine Beziehung mit den Teilmengen von Β verbunden sind. Die Nützlichkeit von Β würde außerdem auch dadurch erhöht, daß gewisse statistische Zusammenhänge zwischen Β und bestimmten anderen Objektmengen entdeckt würden. Sind keine der oben erwähnten Umstände gegeben, beschränkt sich die Nützlichkeit von Β auf seinen Gebrauch als ein Subjekt in einem Satz des Typs „Jedes X ist Y " und auch auf eine Systematisierungs- und Ordnungsfunktion, die der Begriff vielleicht noch erfüllen kann. Wenn also z.B. keinerlei allgemeine Beziehungen zwischen Skulpturen oder Geweben oder Romanen einerseits und bestimmten anderen wissenschaftlich interessanten Variablen oder Eigenschaften aufgefunden werden, so können diese Begriffe dennoch in dem Maße nützlich sein, in dem sie die entsprechenden künstlerischen Phänomene ordnen und klassifizieren helfen. Wie wir aus den vorausgegangenen Abschnitten wissen, besteht die Extension von Begriffen mit Bedeutungsfamilien aus einer Reihe von Teilmengen. Es gibt keine allen Objekten und nur ihnen gemeinsamen Eigenschaften, die die Extension eines derartigen Begriffes bilden; sie sind lediglich durch partielle Ähnlichkeiten miteinander verbunden. Nichtsdestoweniger werden diese Objekte unter einen Begriff subsumiert und bilden dessen Extension. Dies geschieht mehr oder minder bewußt in der Hoffnung, daß die zukünftige Forschung derartige gemeinsame und zugleich spezifische Eigenschaften aufdecken wird und die so gebildeten Begriffe dadurch rechtfertigen wird. Dieser Prozeß läßt sich am deutlichsten in den Naturwissenschaften beobachten; man kann allerdings annehmen, daß er auch in der Umgangs-
Ursprung und Entwicklung
239
spräche, wenngleich weniger bewußt, stattfindet. Die Hoffnung, derartige gemeinsame und eigentümliche Eigenschaften zu entdecken, ruht auf rationalen Gründen. Objekte, die hinsichtlich ihrer in direkter Weise zugänglichen Eigenschaften nur teilweise ähnlich sind, können nichtsdestoweniger hinsichtlich bestimmter verborgener Eigenschaften abstrakter Art identisch sein. Die Wissenschaftsgeschichte bietet zahlreiche Entdeckungen derartiger verborgener Uniformitäten von Objekten, deren äußere, direkt zugängliche Merkmale unterschiedlich sind. Sobald solche verborgenen Uniformitäten festgestellt werden, kann der entsprechende Begriff mit einer Bedeutungsfamilie in einen gewöhnlichen Begriff transformiert werden, dessen Extension eine homogene Menge von Objekten bildet. Die entdeckten Uniformitäten werden dann dazu verwendet, die Bedeutung dieses neu eingeführten Begriffes zu bilden. Die Entwicklung von Begriffen mit Bedeutungsfamilien endet jedoch nicht immer auf derart glückliche Weise. Die Forschung ergibt oft, das ihre Extensionen inhomogene Objektmengen bilden und als solche von keinem wissenschaftlichen Interesse sind. Es geschieht manchmal, daß derartige inhomogene Extensionen in zwei oder mehr Mengen aufgeteilt werden können, die homogen sind und sodann als Extension mehrerer neuer Begriffe festgelegt werden. Transformationen dieser Art finden sich auch in der Wissenschaftsgeschichte. Ich möchte zwei Beispiele betrachten. Der Begriff des Satzes in seiner grammatischen und umgangssprachlichen Bedeutung hat zur Extension eine Teilmengenfamilie, die zusammen eine inhomogene Menge bilden. Diese M e n g e umfaßt Aussagesätze, Fragen, Aufforderungen und Wünsche und deren verkürzte Äquivalente. Aus dieser inhomogenen M e n g e ist durch logische Analyse eine Menge von Ausdrücken herausdifferenziert worden, die hinsichtlich der Interessen der Logik und der Wissenschaftstheorie homogen ist. Diese Menge von Ausdrücken hat einen neuen Namen erhalten: „Satz im logischen Sinne". Sie enthält alle, und nur solche Ausdrücke, die als wahr oder falsch qualifiziert werden können. Ein weiteres Beispiel hat mit Fragen im umgangssprachlichen und grammatischen Sinne dieses Wortes zu tun. Die Extension dieses
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Wortes ist eine Familie von Teilmengen, die sich als inhomogen erwies. Sie enthält sowohl geschlossene als auch offene Fragen; 19 Ausdrücke, die die grammatische Form einer Frage und die eines Aussagesatzes haben; didaktische Fragen, deren Ziel lediglich darin besteht, die im Gefragten verfügbare Information zu überprüfen, und Fragen, die in der Absicht gestellt werden, Informationen über Sachverhalte zu bekommen, auf die sich die Fragen beziehen. Aus dieser Menge ist eine Teilmenge von Ausdrücken herausdifferenziert und mit einem neuen Namen versehen worden: „Frage im logischen Sinne". Die Extension dieses neuen Begriffes ist homogen und hinsichtlich der Interessen der Logik und der Wissenschaftstheorie nützlich. Dieser Typ der Transformation, für den eben zwei Beispiele erörtert worden sind, läßt sich oft beobachten. Er tritt in deutlich erkennbarer Weise in Fällen auf, in denen Begriffe der Alltagssprache in die Sprache der Wissenschaft übertragen werden. „Spiel", „Definition", „Bestätigung", „Beweis", „wahrscheinlich", „Geisteskrankheit", „folgt logisch" sind einige Beispiele. Jeder dieser Ausdrücke bezeichnet in seiner umgangssprachlichen Bedeutung eine Familie von Mengen. Mit ihrer Überträgung aus der Alltagssprache in die Sprache der Wissenschaft wurden ihnen gleichzeitig kleinere Extensionen verliehen, die hinsichtlich der Ziele der Wissenschaften, in die sie einbezogen wurden, homogen sind. Treten Begriffe mit Bedeutungsfamilien gleich oft auf oder sind sie vielmehr Geisteswissenschaften?
in allen Wissenschaften charakteristisch für die
Die zweite der in dieser Frage angebotenen Alternativen scheint mir die richtige zu sein. Sowohl die Häufigkeit des Auftretens als auch die Rolle der Begriffe mit Bedeutungsfamilien sind in den Geisteswissenschaften größer als in anderen Wissenschaftszweigen; sie sind auch in der Alltagssprache größer. Wie läßt sich dies erklären? Ist dies durch die bekannten Sprachunzuläng19
Die Begriffe der geschlossenen und der offenen Fragen werden in m e i n e m Buch „Methodologische Probleme in den Geistes- und Sozialw i s s e n s c h a f t e n " erklärt.
Ursprung und Entwicklung
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lichkeiten und das Fehlen scharfer empirischer Kriterien für die Anwendung von Begriffen in den Geisteswissenschaften und in der Umgangssprache zu begründen? Natürlich spielt dieser Faktor eine Rolle. Die Hauptursache scheint mir aber tiefer, nämlich in den grundlegenden methodologischen Merkmalen der Geisteswissenschaften zu liegen, und mit dem Grundmuster ihrer Entwicklung zusammenzuhängen. Dieses Muster ist nämlich von nicht-kumulativen Typ, im Gegensatz zu den weit fortgeschrittenen Naturwissenschaften, die sich kumulativ entwickeln. In einer Wissenschaft vom kumulativen Entwicklungstyp stellt jedes Stadium eine Fortsetzung und teilweise Transformation früherer Stadien dar. Die Leistungen der vorausgegangenen Stadien müssen natürlich überprüft werden, wenn sich Zweifel an ihrer Richtigkeit ergeben. Bestimmte grundlegende Wahrheiten und Forschungsmethoden werden jedoch in entsprechender Anpassung and die neuen Entdeckungen in die nächste Phase übernommen. Die Existenz wissenschaftlicher Theorien im strengen Sinne des Wortes ist ein weiteres Merkmal, das die fortgeschrittenen Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften unterscheidet. Die letzteren verfügen über keine derartigen Theorien. Dies hängt eng mit dem nicht-kumulativen Typ ihrer Entwicklung zusammen, und ist in einem großen Maße dadurch bedingt. Wissenschaftliche Theorien sind jedoch die wichtigsten Faktoren, die den Prozeß der Begriffsbildung beeinflussen. Gerade mit Bezug auf eine wissenschaftliche Theorie nämlich können Bedingungen der wissenschaftlichen Nützlichkeit von Begriffen am deutlichsten beschrieben werden. Die Struktur einer Theorie und ihre Aufgabe determinieren die beiden Faktoren, von denen die wissenschaftliche Nützlichkeit von Begriffen abhängt: die Auswahl der Extension und die Auswahl des Inhalts eines bestimmten Begriffes. Wenn keine Theorie vorhanden ist, sind die Kriterien der Selektion viel weniger genau bestimmt. Wir wollen in diesem Zusammenhang nun den früher beschriebenen Zustand der Unsicherheit in Erinnerung rufen, der mit dem abstufbaren Charakter vieler Objektmerkmale zusammenhängt. 21
Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. VI: Begriffe mit Bedeutungsfamilien
Er bietet den allgemeinen Hintergrund, vor dem Begriffe mit Bedeutungsfamilien entstehen und sich entwickeln. Wenn wir auf neue Objekte treffen, die den durch einen Begriff C bezeichneten Objekten teilweise ähnlich sind, müssen wir über bestimmte Kriterien verfügen, um entscheiden zu können, ob die neuen Objekte unter C subsumiert werden sollten oder nicht. Solche Kriterien werden von der wissenschaftlichen Theorie geliefert, zu welcher der Begriff C gehört, oder in die er eingeführt werden soll. Wenn es keine Theorie gibt, fehlen derartige hinreichend klare Kriterien. Es geschieht oft, daß der Grad der Ähnlichkeit der neuen Objekte mit bereits unter C subsumierten Objekten nicht klein genug ist, um uns zu veranlassen, die neuen Objekte ganz entschieden aus der Extension C auszuschließen. Wenn außerdem noch andere Faktoren, ζ. B. die Berücksichtigung der emotiven Assoziationen von C, für eine Inklusion sprechen, so wird der so gebildete Begriff eine Familie von Extensionen erhalten. Eben dies ist genau die Situation, die in den Geisteswissenschaften oft eintritt, die sich aber in den fortgeschritteneren Naturwissenschaften immer seltener findet. Aus diesem Grunde treten Begriffe mit Bedeutungsfamilien öfter in den Geisteswissenschaften auf. Ich möchte diese Bemerkungen über Begriffe mit Bedeutungsfamilien gerne mit dem Hinweis auf die Tatsache beenden, daß es nicht immer leicht ist zu entscheiden, ob ein gegebener Begriff auf eine Bedeutungsfamilie verweist oder schlicht mehrdeutig ist. Eine derartige Entscheidung wäre leichter, wenn Begriffe stets durch klare Definitionen eingeführt würden. In den Geisteswissenschaften wie auch in der Alltagssprache ist es jedoch meist der Gebrauch, der die Verwendung von Begriffen determiniert.
Kapitel VII
Persuasive Definitionen1 Die persuasive Funktion der Sprache S p r a c h l i c h e Ausdrücke lösen in uns emotionale Reaktionen aus. D i e s e Eigenschaft der Sprache ist m a n c h m a l ein Hindernis bei der w ö r t l i c h e n Übermittlung der G e d a n k e n , vor allem dann, wenn es u m eine genaue und eindeutige Information über bestimmte Sachv e r h a l t e geht. Für praktische Z w e c k e aber kann diese Eigenschaft der S p r a c h e nützlich sein. M a n kann sich ihrer bewußt in der persuasiven R e d e und bei der F o r m u n g emotionaler Einstellungen b e d i e n e n . Dies h a t eine große soziale Bedeutung: Einstellungen determinieren das V e r h a l t e n ; indem man Einstellungen beeinf l u ß t , k a n n m a n das Verhalten beeinflussen. D e r persuasiven F u n k t i o n der S p r a c h e kann m a n sich natürlich zu beliebigen Z w e c k e n bedienen — nicht nur zu solchen, die gutgeheißen w e r d e n . Die persuasive Funktion ist ein Werkzeug — ein W e r k zeug, mit dessen Hilfe sich die emotionalen Einstellungen der M e n s c h e n f o r m e n lassen — und als ein solches ist sie ethisch n e u t r a l . U m so wichtiger wird es aber für uns, unterschiedliche A r t e n des persuasiven Sprachgebrauchs kennenzulernen. M a n c h m a l ist es gut zu wissen, d a ß man O b j e k t einer Persuasion ist. Ä n d e r u n g e n der emotionalen Einstellungen können durch unterschiedliche M i t t e l bewirkt werden, sowohl durch sprachliche als a u c h durch nicht-sprachliche. Gegenstand meiner Überlegungen sind ausschließlich sprachliche Mittel. Aber sogar hier gibt es eine Fülle unterschiedlicher Möglichkeiten. Eine erschöpfende A n a l y s e der sprachlichen M i t t e l der Persuasion, sowie eine T y p o logie dieser M i t t e l sprengt den hier gesteckten R a h m e n , sie 1
Das vorliegende Kapitel ist eine erweiterte und geänderte Fassung eines Kapitels aus meinem Buch: Methodologische Probleme in den Geistesund Sozialwissenschaften. Braunschweig 1975.
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
würden eine eigene umfangreiche Behandlung erfordern. Ich werde mich hier hauptsächlich mit verschiedenen Definitionsarten beschäftigen. Es werden auch Äußerungen einer bestimmten Art diskutiert, die — obwohl es keine Definitionen sind — eine ähnliche Funktion erfüllen. Auch diese Äußerungen, die ich als persuasive Argumentationen bezeichnen werde, zielen auf eine Veränderung der emotionalen Einstellungen der Menschen. Die persuasive Definition tritt häufig mit der persuasiven Argumentation auf, deren Bestandteil sie bildet. Manchmal ist sie eine Art Zusammenfassung, in der in prägnanter Form das Wesentliche der betreffenden Argumentation ausgedrückt wird. Worin besteht nun allgemein gesehen der Mechanismus der sprachlichen Persuasion? In ihr werden die mit bestimmten sprachlichen Ausdrücken verbundenen emotionalen Assoziationen ausgenützt und auf andere Ausdrücke oder auf andere Extensionen derselben Ausdrücke übertragen. Dabei werden auch Intensität, Art und Richtung des emotionalen Potentials geändert, das in der Umgangssprache mit einem bestimmten Ausdruck verbunden wird. Als Beispiel können die allgemein bekannten Auseinandersetzungen um die Definition des Wortes „Pornographie" dienen. Ihre unterschiedlichen Formulierungen bestimmen eine engere oder breitere Extension dieses Wortes. Darunter fallen Gegenstände der einen oder anderen Art in Abhängigkeit von der Intention und den Zielen der Person oder der politischen Gruppe, die die betreffende Formulierung propagiert. Natürlich könnte man annehmen, daß die eine oder andere Bestimmung der Pornographie eine Frage der Konvention sei. Wichtig ist dabei nur, daß diese Konvention ausreichend klar und operational bestimmt ist, und daß sie ab da, wo sie akzeptiert wird, strikt befolgt wird. Wer aber eine solche Lösung annimmt, gerät in eine ungünstige Position, und das unter den beiden folgenden Gesichtspunkten. Der Streit um den Sinn des Wortes „Pornographie" ist eng verbunden mit dem Streit über praktische Schritte gegen eine Verbreitung der Pornographie. Es ist aber nicht egal, was nicht mehr verbreitet werden darf. Der Befürworter der hier diskutierten Lösung könnte nun entgegnen: In dem Fall, in dem durch Konvention eine Extension des Wortes
Die persuasive Funktion der Sprache
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„ P o r n o g r a p h i e " festgesetzt wird, die sich mit meinen Vorstellungen einer angemessenen Festsetzung nicht deckt, die also ζ. B. zu weit ist, werde ich gegen das Verbot der betreffenden Werke stimmen. Durch dieses Vorgehen läßt er aber zu, daß die Auseinandersetzung von einer eher indirekten Ebene — dem Streit um die Definition des Wortes „Pornographie" — in eine direkte Ebene — die Auseinandersetzung über ein Verbot — getragen wird, was taktisch ungünstig wäre. Außerdem muß er damit rechnen, daß die negativen emotionalen Assoziationen, die mit dem Wort „ P o r n o g r a p h i e " verbunden sind, durch die Wirkung sprachlicher Mechanismen auf die Gegenstände übertragen werden, die er selbst schätzt, und auch bisher in den Augen einer breiten Öffentlichkeit nicht negativ bewertet wurden. A n a l o g e Probleme sind mit den bekannten Auseinandersetzungen um die „richtige" Definition solcher emotional geladener Termini wie „ K u n s t " , „ K i t s c h " , „Geisteskrankheit" oder „ A g g r e s s o r " verbunden. Ich habe vorher eine Reihe von Änderungen erwähnt, denen sprachliche Ausdrücke bezüglich der mit ihnen verbundenen emotionalen Assoziationen unterliegen können. Die wichtigeren Arten dieser Änderungen werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels erörtert. Einer genaueren Untersuchung will ich ein Fragment aus A. Huxleys Buch „Geblendet in G a s a " voranschicken. Hier ist der Charakter persuasiver Techniken treffend erfaßt, obwohl ihre Zielsetzungen nicht immer so wie in diesem Beispiel bewertet werden. „Aber wenn du f-frei sein willst, m-must du ein G-Gefangener sein. Es ist die V-vorbedingung der F-freiheit-w-wahrer F-freiheit". „Wahre Freiheit!" wiederholte Anthony, eine priesterliche Stimme parodierend. „Diese Art von Argument, die hab' ich besonders gem. Das Gegenteil einer Sache ist nicht das Gegenteil; o du meine Güte, nein! Es ist die Sache selbst, aber wie sie wahrlich ist. Frag einen Erzkonservativen, was Konservatismus ist; er wird dir sagen, es ist wahrer Sozialismus. Und die Fachzeitungen der Brauereien; sie sind voll von Artikeln darüber, wie schön wahre Mäßigkeit sei. Gewöhnliche Mäßigkeit ist einfach ein stures Sichweigern zu trinken; aber wahre Mäßigkeit ist etwas viel Verfeinerteres. Wahre Mäßigkeit ist eine Flasche Bordeaux zu jeder Mahlzeit und drei Doppel-
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
whisky nach dem Dinner. Ich persönlich bin ganz für wahre Mäßigkeit, denn ich hasse Mäßigkeit. Aber ich bin gern frei, also will ich nichts mit wahrer Freiheit zu tun haben." W-was nicht hindert, daß sie w-wahre F-freiheit ist", dabei beharrte der andere eigensinnig. „ W a s ist ein Name?" fuhr Anthony fort. „Die Antwort darauf ist: So gut wie alles, wenn der Name ein guter Name ist. Freiheit ist ein wundervoller Name. Darum bist du so darauf erpicht, Gebrauch von ihm zu machen. Du glaubst, wenn du Gefangensein wahre Freiheit nennst, werden sich die Menschen zum Gefängnis hingezogen fühlen. Und das Schlimmste daran ist, daß du ganz recht hast." 2
Ich habe vorhin festgestellt, daß sprachliche Ausdrücke emotionale Reaktionen auslösen können. Unter dem Einfluß unterschiedlicher Faktoren können die emotionalen Assoziationen, die mit einem Ausdruck verbunden werden, auf andere, bisher emotional neutrale Ausdrücke übertragen werden. So vergrößert sich der Vorrat emotional aktiver Ausdrücke. Das ist nur eine Art einer ganzen Reihe von Veränderungen, denen sprachliche Ausdrücke bezüglich der mit ihnen verbundenen emotionalen Assoziationen unterworfen werden können. Eine andere Art dieser Veränderungen beruht darin, daß Assoziationen gelöscht, eine weitere darin, daß positive Assoziationen durch negative Assoziationen ersetzt werden, oder umgekehrt. Es kann auch sein, daß emotionale Assoziationen einer bestimmten Art, z. B. moralische, durch Assoziationen einer anderen Art, z. B. durch ästhetische verdrängt werden. Ich will im folgenden eine Typologie dieser Veränderungen aufstellen und einige Verfahren analysieren, die solche Veränderungen bewirken können. Emotionale Einstellungen werden durch emotional aktive Ausdrücke ausgedrückt, denen man emotional neutrale Ausdrücke gegenüberstellt. Bei den emotional aktiven Ausdrücken lassen sich reine Wertungen und beschreibend wertende Ausdrücke unterscheiden. Die folgende Klassifikation zeigt diese Zusammenhänge auf:
2
A. Huxley: Eyeless in Gaza. Ich zitiere nach der deutschen Übers.: Geblendet in Gaza. München 1953. S. 108f.
Die persuasive Funktion der Sprache
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sprachliche Ausdrücke
reine Wertungen
beschreibend wertende Ausdrücke
Die Schwierigkeiten, auf die alle Versuche einer genauen Charakterisierung und Differenzierung der Ausdrucksarten in der obigen Klassifikation stoßen, sind hinlänglich bekannt. Sie resultieren daraus, daß in der Alltagssprache die Bedeutung der Wörter im allgemeinen nicht hinreichend klar und eindeutig festgelegt ist. Häufig weiß man nicht, ob das wertend-emotionale Element als Bestandteil der Bedeutung eines gegebenen Wortes anzusehen ist, oder ob es vielmehr mit diesem Wort nur aufgrund empirischer Koinzidenzen verbunden wird, die durch wiederholte Gebrauchssituationen determiniert sind. Theoretikern der natürlichen Sprache ist die Tatsache bekannt, daß die Ausdrücke einer Sprache eine breite Aura emotional-beschreibender Assoziationen hervorrufen. Nur einige dieser Assoziationen sind Bestandteile der sog. intralingualen Bedeutung der Ausdrücke. Die übrigen sind in einer loseren Art und Weise mit den Ausdrücken verbunden, die Verbindungen sind veränderlich und haben eher den Charakter empirischer Koinzidenzen denn terminologischer Festsetzungen. Außerdem gibt es keine bestimmte Grenze zwischen den beiden Arten. Dies bedingt nun, daß wir häufig nicht eindeutig entscheiden können, welcher Klasse, die in der obigen Klassifikation unterschieden wurden, ein bestimmter Ausdruck zuzurechnen sei. Man muß auch auf die Notwendigkeit hinweisen, die Ausdrücke auf ihren Kontext hin zu relativieren. In der Alltagssprache nämlich — und in ihr werden die persuasiven Aussagen gemacht — kann derselbe Ausdruck in einem Kontext emotional aktiv, und in einem anderen emotional neutral sein. In den folgenden Ausführungen wird diese Relativierung vorausgesetzt, obgleich ich sie im allgemeinen nicht explizit formulieren werde.
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
Persuasive Definitionen wurden seit jeher mit dem Ziel der Veränderung emotionaler Einstellungen angewandt. Ihre Funktion und ihre logische Struktur wurden aber erst neulich einer theoretischen Analyse unterworfen. Die erste Begriffsbestimmung der persuasi ven Definition stammt von C. L. Stevenson,3 Obwohl ich die Anregungen aufgreife, die in Stevensons Ausführungen enthalten sind, werde ich doch eine eigene Begriffsbestimmung der persuasiven Definition geben. Stevenson beschränkt sich eigentlich auf die Erörterung nur eines Typs dieser Definitionen, die ich hier als eine auf Veränderung der Extension des Definiendum zielende persuasive Definition bezeichne. In meine Überlegungen will ich noch zwei weitere Arten einbeziehen. Das Ziel der ersten ist eine Veränderung des emotionalen Potentials des Definiendum; die zweite zielt darauf, einen bisher gebrauchten Ausdruck durch einen neuen zu ersetzen, dessen emotionales Potential den Vorstellungen des Urhebers der Definition entspricht. Außerdem werde ich neben den vollständigen Äquivalenzdefinitionen auch partielle Definitionen berücksichtigen.4 Diese geben häufig nur die notwendige oder nur die hinreichende Bedingung für die Anwendbarkeit eines Terminus an.
Persuasive Definitionen, die auf eine der Extension des Definiendum
Veränderung zielen
Bei dieser Gruppe handelt es sich beim Definiendum um einen emotional aktiven Terminus, der in der Alltagssprache bereits funktioniert, wo sein Sinn oder zumindest seine Extension feststeht. Ziel der Definition ist eine Neufestlegung der Extension des definierten Terminus. Gleichzeitig soll eine Übertragung der emotionalen Assoziationen vom Definiendum mit der vorgefundenen Extension auf das Definiendum mit der neu festgesetzten Extension stattfinden. Mit anderen Worten: Es geht um die Übertragung der emotionalen Assoziationen von einer Extension auf eine andere desselben Terminus. Das Definiens ist in diesem Fall ausschließlich aus emotional neutralen Termini konstruiert, oder 3 4
C. L. Stevenson·. Facts and Values. New Haven 1963. Vgl. hierzu das Kap.: Partielle Definitionen.
Persuasive Definitionen
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auch aus Termini, mit denen emotionale Assoziationen derselben Richtung — positiv oder negativ — verbunden werden, wie diejenigen, die mit dem Definiendum verbunden werden. Weiter unten wird sich zeigen, daß bei den übrigen Arten persuasiver Definitionen die Verhältnisse anders liegen. Und nun einige Beispiele. Das erste stammt von Gandhi. Er hat jede Gelegenheit wahrgenommen, etwas zur Verwirklichung der ethischen und politischen Ziele zu tun, für die er sich engagierte. Unter anderem hat er sich häufig der persuasiven Funktion der Sprache bedient, um so die emotionalen Einstellungen der Menschen zu beeinflussen. Im folgenden Beispiel nützt er die positiven emotionalen Assoziationen, die mit dem Wort „Musik" verbunden werden, um die Grundhaltung des gegenseitigen Wohlwollens zu verstärken. Während einer Pressekonferenz wurde Gandhi von Journalisten gefragt, ob er Musik mag und ob er sie popularisieren möchte. Gandhi antwortete: „Wenn unter Musik Einigkeit, Harmonie und gegenseitige Unterstützung gemeint ist, dann muß man feststellen, daß man in keinem Lebensbereich ohne Musik auskommen kann." 5 In einem anderen Fall, den man ebenfalls Gandhi zuschreibt, heißt es, ein Sieg bestehe darin, daß der Besiegte keinen Haß auf den Sieger entwickelt. Mit dieser überraschenden Definition des Sieges wollte Gandhi auf die Verminderung der Rolle des Hasses als Handlungsmotiv Einfluß nehmen. Gandhi hat wie keine andere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens die ethischen, gesellschaftlichen und psychologischen Schäden gesehen, die durch Haß verursacht werden. Die folgende Definition eines Paria wird Buddha zugeschrieben. Parias sind Menschen ohne Kastenzugehörigkeit, die sog. Unberührbaren, die auf der untersten Stufe der sozialen Rangordnung stehen, die in Elend und Diskriminierung leben. Hervorragende s
Vgl. I. Lazari-Pawiowska:
Etyka Gandhiego. Warszawa 1 9 6 5 .
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
demokratisch gesinnte Persönlichkeiten, die über einen breiten geistigen Horizont verfügten, haben sich bemüht, das Los der Parias zu mildern, indem sie gegen die Kasteneinteilung gewirkt, oder sich zumindest bemüht haben, das aus der Kasteneinteilung resultierende Unrecht zu mildern. Ihr Ziel bestand unter anderem darin, die negative emotionale Einstellung der einzelnen Kasten gegenüber den Parias zu ändern. Ein Bestandteil war die persuasive Sinnänderung des Wortes „Paria", sowie das Bemühen um deren Verankerung im sozialen Bewußtsein. In der folgenden Definition des Paria, zu deren Stützung man sich auf die Autorität Buddhas berief, ist das negative emotionale Potential, das mit dem Wort verbunden wird, erhalten. Dennoch wird die Extension dieses Wortes so verändert, daß dazu nicht mehr die früheren Parias, die Unberührbaren, gehören, sondern einfach schlechte, moralisch zu verurteilende Menschen. Die Urheber der Definition hegten die Hoffnung, daß auf diese Weise die mit dem Wort verbundenen negativen emotionalen Assoziationen auf die neue Extension übertragen werden. „Paria ist ein Mensch, der sich von der Wut und vom Haß hinreißen läßt; ein heuchlerischer Mensch, voller Betrug und Fehler; gierig, neidisch, schamlos und völlig skrupellos, eines jeglichen Verbrechens fähig." 6 Es ist offensichtlich, daß die Wirksamkeit des hier intendierten persuasiven Verfahrens begrenzt ist, und daß es begleitet werden muß vom Streben nach weiteren Veränderungen sowohl der sozialen Struktur als auch im Bewußtsein der Menschen. Große Anstrengungen zur Änderung der emotionalen Einstellung gegenüber den Parias hat u. a. Gandhi unternommen. Er hat sich aber eines anderen persuasiven Verfahrens bedient, das zur dritten der hier unterschiedenen Arten persuasiver Definition zu rechnen ist. Die bisherigen Beispiele enthalten volle Äquivalenzdefinitionen, d. h. solche, in denen Bedingungen der Anwendbarkeit der definierten Termini angegeben werden, die zugleich notwendig 6
Vgl. Paul Cams: The Gospel of Buddha. New Delhi 1961. S. 162.
Änderung emotionaler Assoziationen
251
und hinreichend sind. 7 Für Zwecke der Persuasion bestimmen sie die Bedeutung dieser Termini in einer Weise, die kraß von ihrem geläufigen Verständnis abweicht. Das nun folgende Beispiel enthält eine partielle Definition des Künstlers: Nur der ist ein Künstler, der die Menschen durch Kunstwerke moralisch vervollkommnet. Diese Definition gibt die notwendige Bedingung der Anwendbarkeit des Terminus „Künstler" an. Auch sie weicht vom üblichen Sinn ab. Auf eine Veränderung der mit dem Definiendum verknüpften emotionalen Assoziationen zielende persuasive Definitionen Ähnlich wie bei der vorhergehenden Definitionsart ist hier das Definiendum ein Terminus, der in der Alltagssprache bereits funktioniert, in der seine Bedeutung oder zumindest seine Extension festgelegt ist. Es muß aber kein emotional aktiver Terminus sein. Ebenso braucht das Definiens nicht ausschließlich aus emotional neutralen Termini, oder aus Termini bestehen, mit denen dieselben emotionalen Assoziationen — positiver oder negativer Art - verbunden sind, wie mit dem Definiendum. Ganz im Gegenteil. Diese Gruppe persuasiver Definitionen läßt eine Reihe unterschiedlicher Relationen zwischen dem emotionalen Potential des Definiendum und dem des Definiens zu. Diese Relationen werden in der folgenden Tabelle dargestellt, die möglicherweise nicht alle Veränderungen erfaßt, denen man in der Alltagssprache begegnet. Mit Sicherheit erfaßt sie nicht alle theoretisch möglichen Kombinationen. Wie ich bereits erwähnte, zielt diese Art persuasiver Definitionen auf eine Veränderung des emotionalen Potentials des Definiendum, wobei es durch das Potential des Definiens verdrängt werden soll. Diese Änderung kann, muß aber nicht, von einer Änderung der angetroffenen Extension des Definiens begleitet werden. 7
Vgl. hierzu das Kap.: Partielle Definitionen.
252
Kap. V I I : Persuasive Definitionen
Definiendum
Definiens
1. emotional neutral 2. emotional aktiv 3. mit positivem emotionalen Potential 4 . mit negativem emotionalen Potential 5. mit einem gegebenen emotionalen Potential 6. mit emotionalem Potential
emotional aktiv emotinonal neutral mit negativem emotionalen Potential
7. mit einem uneinheitlichen emotionalen Potential
mit einem einheitlichen nalen Potential
8. mit einem einheitlichen emotionalen Potential
mit einem uneinheitlichen tionalen Potential
mit positivem emotionalen Potential mit einem anderen emotionalen Potential mit verstärktem emotionalen Potential emotioemo-
Es erhebt sich die Frage, wie man garantieren kann, daß die Änderung der emotionalen Assoziationen im Einklang mit den Absichten desjenigen steht, der die fragliche Definition aufstellt. H a t das emotionale Potential des Definiens das des Definiendum tatsächlich verdrängt, dann liegt eine Änderung vor, die mit seiner Absicht im Einklang steht. Es ist aber auch möglich, daß im Gegensatz zu den Intentionen des Urhebers einer Definition eine umgekehrte Veränderung eintritt: das emotionale Potential des Definiendum verdrängt das des Definiens. Es kann aber auch sein, daß keine der beiden Veränderungen eintritt, und die einzige Folge der Verbreitung einer bestimmten Definition eine Verwirrung bei den Adressaten ist, deren Ergebnis manchmal sogar eine Neurose sein kann. In diesem Fall hätten wir es mit einer Erscheinung zu tun, wie sie bei manchen Tierversuchen auftritt. M a n beeinflußt ein Tier mit zwei leicht unterscheidbaren Stimuli. Richtige Reaktionen werden belohnt, falsche dagegen bestraft. Im weiteren Verlauf des Experiments werden beide Stimuli allmählich geändert, so daß sie sich immer mehr gleichen. Als Folgeerscheinung treten beim Tier immer mehr Fehlreaktionen, dann eine Verwirrung auf, bis das Tier schließlich eine Neurose b e k o m m t . Es ist nicht auszuschließen, daß es manchmal das Ziel und nicht nur eine unerwünschte Konsequenz der persuasiven Definition sein kann, eine solche Verwirrung hervorzurufen.
Änderung emotionaler Assoziationen
253
O b eine Änderung der emotionalen Assoziationen gemäß den Absichten des Urhebers einer Definition eintritt, hängt natürlich von verschiedenen außersprachlichen Faktoren ab, wie z.B. Stimmlage, Gestik und Mimik des Redners, Wissenstand der Zuhörer, Konstellation der emotionalen Haltungen und Einstellungen bei den Zuhörern, ihre Bedürfnisse und der Grad deren Befriedigung, die Stimmung der Zuhörer u . ä . Von der Möglichkeit und der Fähigkeit, diese Faktoren zu beeinflussen, hängt daher die Wirksamkeit einer persuasiven Verfahrensweise ebenfalls ab. Ich will nun einige Beispiele anführen, die die oben aufgelisteten möglichen Änderungen des emotionalen Potentials des Definiendum illustrieren. „Zivilisation im eigentlichen Sinn des Wortes besteht nicht in der Multiplizierung sondern in der überlegten und freiwilligen Einschränkung von Bedürfnissen. Dies allein fördert das wahre Glück und die Zufriedenheit und entwickelt die Fähigkeit, anderen zu dienen." 8 Dieses Beispiel kann in zweifacher Weise interpretiert werden, je nachdem, welche der beiden Bedeutungen bzw. Bedeutungsklassen dieses Terminus in der Alltagssprache berücksichtigt wird: die emotional gefärbte oder die neutrale. Ein emotional gefärbtes Verständnis des Wortes „Zivilisation" wird z . B . in der folgenden Definition festgesetzt: Die Zivilisation ist eine durch technische und wissenschaftliche Höherentwicklung bestimmte und verfeinerte Lebensweise. Der bewertende Charakter dieser Definition manifestiert sich besonders klar in den Ausdrücken „ H ö h e r e n t w i c k l u n g " und „verfeinerte Lebensweise". In anderen Fällen, denen man in der Alltagssprache sowie in der Wissenschaft begegnet, hat das Wort „Zivilisation" eine emotional neutrale Bedeutung. In der beschreibenden Anthropologie z . B . gebrauchen die Forscher einen rein neutralen Terminus „Zivilisation". N a c h diesen Erklärungen kehren wir zu unserem Beispiel zurück. In der ersten Interpretation wird dem emotional neutralen Termi8
22
Vgl. Ν. K. Bose:
Selections from Gandhi. Ahmedabad 1948. S. 39.
Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
nus „Zivilisation" ein ethisches emotionales Potential verliehen. In der zweiten wird das emotionale Potential, das in der Umgangssprache mit dem Begriff „Zivilisation" assoziiert wird, durch ein ethisches Emotionspotential ersetzt. In beiden Fällen wird die Änderung des Emotionspotentials von einer deutlichen Änderung der Extension des Definiendum begleitet. Ein anderes Beispiel: Ein Patriot ist vor allem ein tapferer Mensch, stark und geschickt, mit einer Reihe moralischer Tugenden begabt, unter denen Ehrlichkeit an erster Stelle steht. Er liebt sein Vaterland inbrünstig, ist immer bereit, ihm Opfer zu bringen und es vor Feinden zu verteidigen. Er kämpft für eine Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen, ist ein ehrlicher und selbstloser Arbeiter, der sich durch eine Reihe intellektueller Tugenden auszeichnet, allen voran Wissen und Können. Schließlich widmet er sich besonders dem Ringen um eine ökonomische Entwicklung des Vaterlandes. Dieses Fragment beinhaltet eine Charakteristik des Terminus „Patriot". Mit diesem Terminus werden in der Alltagssprache positive emotionale Assoziationen verknüpft. In dem Fragment aber ist dieser Terminus durch eine Verbindung von Eigenschaften gekennzeichnet, die eine beträchtliche Verstärkung dieser Assoziationen bewirken. Gleichzeitig erfolgt eine Verengung der Extension des Terminus. Ich will jetzt ein Beispiel betrachten, in dem die Änderung des Emotionspotentials darauf beruht, daß ein uneinheitliches Emotionspotential durch ein einheitliches ersetzt wird. Seinerzeit wurde in Veröffentlichungen über soziale Probleme, u. a. in den Schriften Lenins, der Terminus „Patriotismus" pejorativ gebraucht. Gleichzeitig war die Tatsache, keine Heimat zu besitzen, eine definitorische Eigenschaft des Terminus „Internationalismus", wobei der Terminus ein positives Emotionspotential besaß. Infolge der politischen und sozialen Veränderungen der folgenden Jahre haben sich die emotionalen Assoziationen, die mit dem Terminus „Patriotismus" verbunden waren, geändert. Die pejorativen Assoziationen wurden durch positive
Änderung emotionaler Assoziationen
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ersetzt. Folgerichtig wurde die Eigenschaft, heimatlos zu sein, zu einer negativen Eigenschaft. Diese Veränderungen zogen eine Uneinheitlichkeit des Emotionspotentials des Terminus „Internationalismus" und seiner Ableitungen nach sich. Die Beseitigung dieser Uneinheitlichkeit erforderte eine derartige Umdefinierung dieses Terminus, daß alle definitorischen Charakteristika, die emotional aktiv waren, ein Potential derselben Richtung erhielten. Weil das positive emotionale Potential des Terminus „Internationalismus" erhalten bleiben sollte, war es notwendig, die Eigenschaft, heimatlos zu sein, aus den definitorischen Eigenschaften auszuschließen. Es lohnt anzumerken, daß das besprochene Definitionsbeispiel ein Ausdruck der allgemeinen Tendenz zur Ausrottung emotionaler Vieldeutigkeit und Uneinheitlichkeit aus einer bestimmten Bewegung, einer Richtung oder Ideologie ist. 9 Das Beispiel, das ich jetzt anführen will, stellt eine zu den bisher besprochen umgekehrte Änderung dar: Ein einheitliches Emotionspotential wird durch ein uneinheitliches ersetzt. Schwitters, ein bedeutender deutscher Vertreter des Dadaismus, hat die Frage „Was ist Kunst?" scherzhaft so beantwortet: Alles, was der Künstler ausspuckt, ist Kunst. 1 0 Unter der scherzhaften Form dieser Begriffsbestimmung verbergen sich ernsthafte Probleme. Es ging darum, die Extension des Begriffs „Kunst" so zu erweitern, daß unter diesen Begriff auch Gegenstände fallen, die aus bisher verpönten Materialien hergestellt wurden, wie ζ. B. aus verschiedenartigen Abfällen: verbrauchten Fahrkarten, Reklame- oder Zeitungsfetzen, Schnurstückchen, Holz, altem Eisen, weggeworfenen Kleidungsstücken oder Schuhen, morschen Stoffetzen, u. ä. Alles, was in das Blickfeld des Künstlers gerät, stellt nach Schwitters ein potentielles 9
10
Vgl. J. Lutyñski: O wartosciowaniu i manichejskiej postawie w naukach spolecznych (Über Bewertungen und die manichäische Haltung in den Sozialwissenschaften). Kultura i spofeczenstwo 1958, Nr. 4 .
Vgl. Kenneth Coutts-Smith: Dada. London 1970.
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
Kunstwerk dar. Schwitters hat mehr als alle anderen in den bisher verpönten und weggeworfenen Gegenständen mögliche ästhetische Werte erblickt. Daher hat man auf ihn auch die charakteristische Bezeichnung „Archäologe der Gegenwart" angewandt. Indem er die Extension des Kunstbegriffs erweiterte, zielte er auch darauf ab, die Kunst von ihrem aufgeblasenen hohen Sockel herabzuziehen, auf den man sie häufig stellte. Alle diese Intentionen haben in der zitierten scherzhaften Definition der Kunst ihren Ausdruck gefunden und beeinflußten so die Änderung des Emotionspotentials des Terminus „Kunst". Zu den eindeutig positiven emotionalen Assoziationen, die in der Alltagssprache mit diesem Terminus verbunden werden, gesellen sich jetzt negative. Infolgedessen erhält der Terminus „Kunst" ein uneinheitliches, ambivalentes emotionales Potential. In der folgenden Definition wird ein negatives Emotionspotential einem in seiner geläufigen Bedeutung emotional neutralen Terminus verliehen: Logistik ist eine inhalts- und gegenstandslose Logik, die mit der Wirklichkeit, der Erfahrung, der Praxis oder mit der objektiven Wahrheit nichts zu tun hat. Man betrachte die folgende Definition der Bürokratie: „Die Bürokratie ist ein durchrationalisierter und entpersonalisierter Apparat zur geschickten Abwicklung von Verwaltungsvorgängen." 11 Der Autor dieser Definition stellt fest, daß es ihm um die Konstruktion eines Begriffs der Bürokratie ging, der sich für wissenschaftliche Zwecke eignet, und zwar ohne die pejorativen Assoziationen, die gegenwärtig in der Alltagssprache mit diesem Terminus verbunden werden. In der geläufigen Bedeutung werden mit dem Terminus „Bürokratie" — wie mir scheint — zwei Arten negativer emotionaler Assoziationen verbunden: eine negative praxeologische Bewertung (die Bürokratie ist ein schwerfälliges, ineffektives System) sowie eine negative moralische Be11
J. Szczepanski: Socjologiczne zagadnienia wyzszego wyksztakenia (Soziologische Probleme der höheren Bildung) Warszawa 1963, S. 2 3 4 .
Ersetzung gebräuchlicher Termini
257
Wertung (die Bürokratie ist ein System, das — u. a. infolge seiner praxeologischen Nachteile — in seelenloser und daher den Menschen schädigenden Weise arbeitet). Die obige Definition führt nun zwei verschiedene Änderungen ein: Erstens: Sie neutralisiert die negativen ethischen emotionalen Assoziationen. Zweitens: Sie ersetzt die negative praxeologische Bewertung (die Bürokratie ist ein ineffektives System) durch eine positive (die Bürokratie ist ein geschicktes System).
Persuasive Definitionen, die darauf zielen, einen gebräuchlichen Terminus durch einen anderen mit unterschiedlichem emotionalem Potential zu ersetzen Den Ausgangspunkt bildet hier ein bestimmter emotional belasteter Terminus T , der in der Alltagssprache bereits funktioniert. Der Urheber der Definition will die emotionale Einstellung seiner Adressaten zu den Gegenständen ändern, die zur Extension dieses Terminus gehören. Zu diesem Zweck ersetzt er den Terminus Τ durch einen anderen Terminus A, der ein seinen Intentionen entsprechendes Emotionspotential hat, wobei er A so definiert, daß die Extension von A diejenige von Τ enthält oder mit ihr identisch ist. Hat das persuasive Verfahren Erfolg, werden die emotionalen Assoziationen, die den Intentionen des Urhebers dieser Definition entsprechen und die bisher mit dem Wort A verbunden wurden, auf die neue Extension dieses Wortes übertragen, in der ja die Extension des Terminus Τ enthalten ist. Manchmal ist es so, daß die neue Extension von A nicht explizit definitorisch bestimmt wird, sondern durch die Einführung neuer Gebrauchsweisen dieses Terminus. Das soeben beschriebene Verfahren hat Gandhi angewandt, als er zur Änderung der emotionalen Einstellung der Hindu-Gesellschaft gegenüber den Parias etwas beitragen wollte. Ich habe oben den Versuch einer Umdefinierung des Wortes „Paria" erwähnt, die Buddha zugeschrieben wird. Gandhi zielte auf eine Ausrottung des Wortes „Paria" selbst sowie anderer Bezeichnungen mit negativem emotionalem Beiklang, wie ζ. B. „die Unberührbaren", mit denen die Parias charakterisiert wurden.
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
„Menschen, die wir als unberiihrbar uns zu bezeichnen vermessen — sagte er von denen, deren Sache er verteidigte — die sogenannten Unberiihrbaren, unsere Brüder — die Parias, die wir für unrein halten, die Menschen außerhalb der Kastenordnung, die aus der fünften Kaste — mit solchen Worten hat er sie in den ersten J a h r e n bezeichnet — und man sieht, daß ihm ein entsprechendes Wort fehlt, denn solche Namen wie „Paria" und „Unberührbarer" haben einen entwertenden Charakter; seine emotionalen Bedürfnisse aber wären erst dann befriedigt gewesen, wenn er einen Namen gebrauchen könnte, der insbesondere positive Assoziationen hervorruft. Und da hat Gandhi zur Bezeichnung der Unberührbaren den Namen Haridschan erfunden, und er begann ihn zu propagieren, einen Namen, der „die Menschen G o t t e s " heißt . . . Gandhi hat im Jahre 1 9 3 3 den Namen seiner Zeitschrift geändert — anstelle von „Young India" wurde „ H a r i j a n " gesetzt. Der Name „Haridschans" wurde in großem Ausmaß angenommen und wird gegenwärtig sogar in wissenschaftlichen Abhandlungen benutzt." 1 2 Gandhi hat also den mit negativen emotionalen Assoziationen belasteten Terminus „Paria" (sowie andere neben ihm gebräuchliche, negativ belastete Termini) durch den positive emotionale Assoziationen hervorrufenden Terminus „Haridschans" ersetzt. Dabei bestimmte er eine neue Extension des Terminus „Haridschan", aber nicht durch explizite Definition, sondern indem er eine neue Verwendungsweise dieses Terminus einführte. Hier ergibt sich die Frage, welches der beiden bisher geschilderten Verfahren zur Änderung der negativen emotionalen Einstellung gegenüber den Parias effektiver ist und in welchen sozialen Verhältnissen, die Umdefinierung des Terminus „ P a r i a " , wie sie Buddha zugeschrieben wird, oder die Ersetzung dieses Terminus durch einen anderen mit positiven emotionalen Assoziationen, wie es Gandhi machte? Allgemein: Welche der beiden Methoden ist effektiver bei einem beliebigen Terminus und bei einer beliebigen der acht oben angeführten Veränderungen emotionaler Assoziationen? Eine fundierte Antwort auf diese Fragen können nur empirische Untersuchungen geben. Man darf auch nicht ver12
1. Lazari-Pawiowska:
Etylca Gandhiego. Warszawa
1 9 6 5 . S.
120f.
Persuasive Argumentation
gessen, daß der Einfluß persuasiver Techniken auf emotionaler Einstellungen gegenüber bestimmten oder Phänomenen begrenzt ist. Die emotionalen werden nämlich auch noch von vielen anderen psychologischen Faktoren beeinflußt.
Persuasive
259 die Änderung Gegenständen Einstellungen sozialen und
Argumentationen
Persuasive Definitionen bilden häufig den Teil eines breiteren Kontexts, der eine persuasive Argumentation beinhaltet. Unter „persuasive Argumentation" werde ich eine Folge sprachlicher Aussagen verstehen, die folgenden Bedingungen genügt: 1. In ihr tritt ein bestimmter Terminus auf (es können auch mehrere sein), der zur Alltagssprache gehört, in der sein Sinn oder zumindest seine Extension festgelegt ist; im weiteren werde ich ihn den Argumentationsterminus nennen. 1 3 2. Das Ziel dieser Aussagenkette ist eine Änderung der emotionalen Assoziationen, die bisher mit diesem Terminus verknüpft wurden. 3. Diese Änderung beruht auf einer der acht Veränderungen, die ich in der obigen Tabelle aufgelistet habe. Eine Aussagenkette, die sich zu einer persuasiven Argumentation zusammenfügt, stellt manchmal eine Beweisführung dar, deren Elemente in der Relation der logischen Folgerung stehen. Ein andermal enthält diese Kette einzelne Aussagen, die nicht in einer bestimmten logischen Relation stehen. Um die Wirkung der Persuasion zu erhöhen, erweckt der Autor manchmal den Eindruck, zwischen den Aussagen würde eine solche Relation bestehen, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Man muß den Unterschied zwischen der persuasiven Definition und der persuasiven Argumentation hervorheben. In der ersten bedient sich die persuasive Verfahrensweise eines ganz bestimmten Mittels, nämlich der Definition. In der zweiten dagegen 13
Manchmal kann der Argumentationsterminus ein komplexer Ausdruck sein, z. B. ein Ausdruck, der sich als Definiens einer Definition eignet.
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
kann die Persuasion in der Gestalt eines beliebigen Ausdrucks auftreten. Zwar ist in der Alltagssprache die Form einer Definition nicht eindeutig festgelegt, aber die Freiheit in der Wahl von Ausdrücken, die die Rolle einer Definition spielen sollen, ist begrenzt, obwohl auch diese Grenzen nicht exakt festgelegt sind. Auch die Prinzipien, auf denen die Änderung des emotionalen Potentials beruht, sind in beiden Fällen verschieden. In der Definition vollzieht sich diese Änderung durch die Zusammenstellung des Definiendum mit dem Definiens kraft der definitorischen Festsetzung. In der Argumentation dagegen soll der Kontext, in dem der Argumentationsterminus situiert ist, eine Änderung der emotionalen Assoziationen bewirken, die mit diesem Terminus verbunden werden. Hier zwei Beispiele einer persuasiven Argumentation: „Sklaverei ist nicht das Gegenteil von Freiheit im wahren Sinn des Wortes . . . Die Einführung der Sklaverei für die Schwarzen . . . bedeutet Freiheit. Die Sklaverei wird für die Neger selbst eingeführt, denn sie haben ein natürliches Anrecht auf diejenige Regierung, Überwachung und Beaufsichtigung, die für sie im ganzen genommen die besten sind, und das ist die Sklaverei. Daher bringt die Sklaverei sie in den Genuß ihrer natürlichen Rechte und schenkt ihnen in dem Ausmaß, in dem sie sie anzunehmen imstande sind, die wahre Freiheit." 14 Diese Argumentation stammt von A. T. Bledsoe, Professor der Mathematik an der Virginia Universität in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Ihr Ziel ist die Änderung des Emotionspotentials des Terminus „Sklaverei". Die negativen emotionalen Assoziationen, die sich mit diesem Terminus verbinden, sollen neutralisiert oder sogar durch positive ersetzt werden. Das nächste Fragment stammt aus der Dokumentensammlung des Nationalsozialismus. Es enthält einige Punkte des politischen Programms: 14
Ph. Frank: Wahrheit - relative oder absolut. Zürich 1952. S. 35. Ich zitiere nach E. Topitsch: Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft. Neuwied, Berlin 1966, S. 86.
Einige methodologische Probleme
261
„ E r s t e n s m u ß unser V o l k von dem hoffnungslos wirren Internationalismus befreit und bewußt und systematisch zum fanatischen N a t i o n a l i s m u s erzogen werden. . . . Zweitens werden wir u n s e r V o l k , indem wir es dazu erziehen, gegen den Irrsinn der D e m o k r a t i e zu kämpfen und wieder die Notwendigkeit von A u t o r i t ä t und Fiihrertum einzusehen, von dem Unsinn des P a r l a m e n t a r i s m u s fortreißen. Drittens werden wir, indem wir das V o l k von d e m jämmerlichen G l a u b e n an eine Hilfe von d r a u ß e n , das heißt von dem Glauben an Völkerversöhnung, Weltfrieden, V ö l k e r b u n d und internationale Solidarität befreien, diese Ideen z e r s t ö r e n . " 1 5 In dieser persuasiven Argumentation tritt eine Reihe von Termini a u f wie Internationalismus, fanatischer Nationalismus, Parlamentarismus, Völkerversöhnung, Weltfriede, internationale Solidarität. In der Alltagssprache erwecken diese Termini bestimmte e m o t i o n a l e Assoziationen m i t einer ziemlich starken Wirkung. Es ist das Z i e l der A r g u m e n t a t i o n , jedes emotionale Potential durch ein entgegengesetztes zu ersetzen, die positiven durch negative und u m g e k e h r t . D e r letzte Satz der Rede manifestiert auf charakteristische Weise sein auf Persuasion ausgerichtetes Ziel. Durch die „ Z e r s t ö r u n g " dieser Vorstellungen beabsichtigt sie, deren Einfluß a u f die Verhaltensweisen der M e n s c h e n und die daraus resultierenden sozialen Konsequenzen zu beseitigen.
Einige methodologische Probleme Alle hier besprochenen Verfahrensweisen der Persuasion können einen subjektiven und einen objektiven C h a r a k t e r haben. D a s erste ist der Fall, w e n n der persuasive Effekt bewußt von ihrem Urheber beabsichtigt wurde. W e n n dieser Effekt dagegen unabhängig d a v o n erreicht wurde, o b es der Urheber gewollt hat oder n i c h t , liegt eine persuasive Verfahrensweise im objektiven Sinn vor. D i e s e beiden schließen sich aber keinesfalls aus. Wenn narrílich ein A u t o r eine persuasive W i r k u n g beabsichtigte und wenn e r sie auch tatsächlich erreicht hat, dann sind sowohl die
,s
Der Nationalsozialismus. Dokumente. Frankfurt/M. 1957. S. 37.
262
Kap. VII: Persuasive Definitionen
Kriterien eines subjektiven als auch eines objektiven Vorgehens erfüllt. Alle A r t e n der persuasiven Definition entfernen sich vom alltäglichen Sprachgebrauch, weil sie die vorgefundene Extension o d e r d a s vorgefundene Emotionspotential der definierten Termini ändern. D a h e r haben diese Definitionen nicht den C h a r a k t e r von feststellenden D e f i n i t i o n e n . 1 6 D i e s erfordert eine zusätzliche Erläuterung, weil der T e r m i n u s „feststellende D e f i n i t i o n " drei verschiedene Bedeutungen hat. Eine Definition ist feststellend im subjektiven Sinn, wenn ihr U r h e b e r die vorgefundene Bedeutung des definierten T e r m i n u s wiedergeben will. Eine Definition ist feststellend im o b j e k t i v e n Sinn, wenn sie eine zutreffende R e k o n struktion der vorgefundenen Bedeutung des Definiendum ist, u n a b h ä n g i g davon, o b dies das Ziel des Urhebers dieser Definition w a r . Schließlich ist eine Definition feststellend im subjektiven u n d im objektiven Sinn zugleich, wenn ihr Urheber die vorgefundene Bedeutung des Definiendum wiedergeben wollte und dieses Z i e l auch erreicht h a t . In dieser Arbeit gebrauche ich die B e z e i c h n u n g „feststellende D e f i n i t i o n " vor allem in dem doppelten subjektiv-objektiven Sinn. Es ist klar, daß eine persuasive D e f i n i t i o n im subjektiven wie auch im objektiven Sinn nicht gleichzeitig eine feststellende Definition im dritten der o b e n angeführten S i n n e dieses T e r m i n u s sein kann. Es bestehen aber noch folgende Beziehungen: Eine persuasive Definition im subjektiven Sinn k a n n nicht gleichzeitig eine feststellende Definition im subjektiven Sinn sein; ähnlich k a n n eine persuasive Definition im o b j e k t i v e n Sinn nicht gleichzeitig eine feststellende Definition im o b j e k t i v e n Sinn sein. Bezüglich des nicht-feststellenden C h a r a k t e r s der persuasiven D e f i n i t i o n ergibt sich die Frage, o b ihre Wirksamkeit es nicht zumindest in einigen Situationen erfordert, daß ihr Urheber die A u f m e r k s a m k e i t der Adressaten von der Tatsache abzulenken versucht, d a ß die definitorisch festgesetzte Extension des definier16
Zur feststellenden Definition vgl. das Kap.: Über verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens.
Einige methodologische Probleme
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ten T e r m i n u s von seiner bisherigen E x t e n s i o n abweicht, oder o b er es nicht wenigstens unterlassen sollte, a u f diese T a t s a c h e die A u f m e r k s a m k e i t der Adressaten hinzulenken. Wenn nämlich der Adressat diesen Unterschied m e r k t , kann die Folge sein, daß er diese Definition vollkommen ablehnt, oder aber, d a ß bei ihm eine Ü b e r t r a g u n g der emotionalen Assoziationen, die mit der früheren E x t e n s i o n verbunden waren, a u f die neue Extension nicht stattfindet. A u f der anderen Seite erfordert dieselbe Rücksicht auf die W i r k s a m k e i t der persuasiven Definition, d a ß der Z u h ö r e r seine e m o t i o n a l e n Assoziationen genau mit der Extension verbindet, die durch die D e f i n i t i o n festgesetzt wurde. Die Definition sollte daher so konstruiert und präsentiert werden, daß der Adressat d a r ü b e r im klaren sein kann, welche Extension des definierten T e r m i n u s als Ergebnis der Definition bestimmt wird. J e d o c h , je m e h r sich der Adressat darüber im klaren ist, um so größer die G e f a h r , d a ß er den Unterschied zwischen der vorgefundenen und der durch die Definition festgesetzten Extension bemerken wird. So entsteht ein Konflikt zwischen den beiden F a k t o r e n , von denen die W i r k s a m k e i t einer persuasiven Definition abhängig ist. E s ist zu fragen, o b eine Situation überhaupt möglich ist, in der der A d r e s s a t einer Definition genau w e i ß , welche Extension des D e f i n i e n d u m durch diese Definition festgelegt wird, gleichzeitig a b e r nicht merkt, d a ß sie sich von der bereits etablierten Extension unterscheidet. S o eine Situation ist möglich. Sie kann vorliegen, w e n n ζ. B . aufgrund dieser oder jener Machenschaften des Urhebers einer Definition, der Adressat gar nicht dazu k o m m t , über die Beziehungen zwischen der durch die Definition festgesetzten E x t e n s i o n u n d der bereits vorhandenen Extension des D e f i n i e n d u m zu reflektieren. D i e s kann auch dann der Fall sein, wenn sich der Adressat nicht ganz d a r ü b e r im klaren ist, was eigentlich die bereits vorhandene Extension des Definiendum ist. Persuasive Definitionen werden häufig in einer Form präsentiert, deren S c h e m a so angegeben werden k a n n : „ E i n wahres A ist ein B " , „ E i n echtes A ist ein B " o d e r „Ein wirkliches A ist ein B " . H i e r einige Beispiele: D a s w a h r e G l ü c k beruht d a r i n , d a ß der Mensch die Vollk o m m e n h e i t erreicht.
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
Ein wirklich kluger Mensch ist einer, der edel handelt. Die echte Schönheit ist nicht die äußere Schönheit, sondern die Rechtschaffenheit des Herzens. Welche Rolle spielen die Charakterisierungen „wahr", „wirklich", „echt"? Zunächst muß man anmerken, daß sie hauptsächlich in Kontexten vorkommen, in denen gegen einen bestimmten Standpunkt polemisiert wird. Manchmal wird der bekämpfte Standpunkt in der Definition selbst charakterisiert, wie im dritten der obigen Beispiele. In anderen Fällen kann man den bekämpften Standpunkt aus dem Kontext erschließen. Sehr häufig aber wird der bekämpfte Standpunkt gar nicht erwähnt, und die Aufgabe der Definition wie der Argumentation, in der sie auftritt, ist es, eine Einstellung zu bewirken, die dem nicht näher präzisierten Standpunkt abgeneigt ist. Diese negative Einstellung kann später, nach dem Wunsch des Urhebers, gegen den einen oder den anderen Standpunkt mobilisiert werden. Die Strategie der Persuasion, die auf der Verwendung von „ w a h r " oder verwandter Bezeichnung basiert, kann darauf abzielen, den Adressaten der Definition zu der Uberzeugung zu bringen, d a ß es sich um eine zutreffende feststellende Definition handelt, und daß die Menschen den definierten Terminus ebenso verwenden, wie es die Definition bestimmt. Als Motiv einer so verstandenen Persuasion muß wohl — da sich die Definition von der vorgefundenen Bedeutung des definierten Terminus entfernt — entweder ein Mißverständnis oder die Absicht zur Irreführung angenommen werden. Der Gebrauch des Wortes „ w a h r " ist in den erwähnten Kontexten so charakteristisch geworden, daß allein sein Auftreten als Signal für ein persuasives Verfahren gelten k a n n , durch das ein bestehender Sprachgebrauch geändert werden soll. Es ist noch eine andere Interpretation möglich. Die Verwendung der Bezeichnung „ w a h r " kann darauf abzielen, beim Adressaten einer Definition die Überzeugung hervorzurufen, daß ein tieferes, und nicht nur oberflächliches Verständnis des definierten Terminus, ein Verständnis, das das „Wesen der Sache" erfaßt, eben das Verständnis ist, das durch die Definition bestimmt wird.
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W o r a u f soll aber jenes tiefere Verständnis beruhen, das das Wesen der Sache e r f a ß t ? Dieses Problem wird in den Kontexten, in denen eine persuasive Definition auftritt, nicht analysiert. Es scheint, d a ß die Funktion des Prädikats „ w a h r " — eines Prädikats, d a s positive e m o t i o n a l e Assoziationen hervorruft — am häufigsten die ist, im Adressaten eine positive Einstellung zu dieser Definition zu b e w i r k e n , ihn zum Akzeptieren dieser Definition und zur eventuellen Ablehnung des bekämpften Standpunktes zu bewegen. Eine a n a l o g e persuasive Funktion haben die der Definition eines T e r m i n u s beigefügten Zusatzbestimmungen „ f a l s c h " , „scheinb a r " u. ä. Anstelle dieser Zusatzbestimmungen wird manchmal ein Anführungszeichen verwendet, in dem der definierte Ausdruck enthalten ist. In diesem Fall soll die Definition eine negative Einstellung bewirken und den Adressaten zu ihrer Ablehnung bewegen. H i e r ein Beispiel einer solchen Definition: „ P a t r i o t i s m u s " in Anführungszeichen, ein falscher Patriotism u s , das ist eine Einstellung, die die N a t i o n über die Menschheit stellt, über die Ideale der Wahrheit und Gerechtigkeit — und n i c h t das liebevolle Interesse für die Angelegenheiten der eigenen N a t i o n , d a s ihrem geistigen und materiellen Wohlergehen dient, a b e r niemals der Herrschaft über andere N a tionen.17 M a n c h m a l wird die Hypothese aufgestellt, daß die Bereitschaft m i t der definierende Aussagen akzeptiert werden, im Falle von Realdefinitionen g r ö ß e r sei als im Falle von Nominaldefinitionen. D a s betrifft vor allem bestimmte Arten von Nominaldefinitionen, in denen an der Stelle der Definitionskopula Ausdrücke wie „wir n e n n e n " , „ w i r b e z e i c h n e n " u. ä. stehen. W e n n diese Hypothese zutreffend ist, m ü ß t e von den zwei folgenden Versionen einer Definition
der Freiheit die erste leichter zu akzeptieren
sein:
Freiheit ist: sich selbst Beschränkungen auferlegen. Freiheit nennen w i r : sich selbst Beschränkungen Wie kann
auferlegen.
dieser Sachverhalt erklärt werden? Die Gestalt der
Definition selbst k a n n hier zweifellos eine R o l l e spielen. Im Falle 17
23
E. Fromm:
Der moderne Mensch und seine Zukunft. S. 55.
Pawlowski, Begnffsbildung
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
einer N o m i n a l d e f i n i t i o n wird ein bestimmtes arbiträres M o m e n t suggeriert: Eine S a c h e , die m a n so nennt, k a n n man auch anders nennen. I m Unterschied dazu kann eine Realdefinition für den Adressaten den B e i g e s c h m a c k einer kategorischen Tatsachenfeststellung h a b e n . Dieser Suggestion kann a b e r ein kritischer Adressat nicht unterliegen. Die Begriffe „ R e a l d e f i n i t i o n " und „ N o m i n a l d e f i n i t i o n " h a b e n nämlich mehrere verschiedene Bedeutungen und n u r bei einer dieser Bedeutungen liegt der Unterschied zwischen beiden d a r i n , daß die Realdefinition die Feststellung einer empirischen T a t s a c h e ist, und die Nominaldefinition eine Aussage, die b e s t i m m t e terminologische Konventionen ausd r ü c k t . 1 8 In anderen Bedeutungen sind s o w o h l die Real- als auch die N o m i n a l d e f i n i t i o n terminologische Festsetzungen und der Unterschied zwischen beiden liegt lediglich im Unterschied der äußeren sprachlichen Gestalt. Daraus, daß eine bestimmte Definition die äußere Gestalt einer Realdefinition hat, folgt daher ü b e r h a u p t nicht, d a ß sie die Feststellung einer empirischen T a t sache ist. Um dies folgern zu können, m u ß man über bestimmte Z u s a t z i n f o r m a t i o n e n verfügen. Im Falle persuasiver Definitionen ist diese M ö g l i c h k e i t von vornherein ausgeschlossen, denn sie sind keine empirischen Feststellungen, sondern Formulierungen, die b e s t i m m t e terminologische Festsetzungen ausdrücken. J e t z t will ich die F r a g e erörtern, o b der Begriff der persuasiven D e f i n i t i o n hier nicht zu weit gefaßt wurde. Ich werde zunächst a n g e b e n , welche Definitionen nicht in den Bereich persuasiver D e f i n i t i o n e n im subjektiven Sinn fallen. Das werden zunächst D e f i n i t i o n e n solcher T e r m i n i sein, die nicht der Alltagssprache a n g e h ö r e n , also aller bisher unbekannter Termini, der Fachtermini d e r Wissenschaften usw. Keine persuasiven Definitionen sind die Feststellungsdefinitionen. 1 9 Ebenfalls gehören nicht zu den persuasiven alle festsetzenden Definitionen, deren Urheber 18
19
Zu den Begriffen „Nominal-" und „Realdefinition" vgl. das Kap.: Uber verschiedene Arten von Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens. Die Begriffe der feststellenden, festsetzenden und der regulierenden Definition wurden erläutert im Kap.: Über verschiedene Arten der Definitionen und die formalen Bedingungen des korrekten Definierens.
Einige methodologische Probleme
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sich nicht das Ziel gesetzt haben, mit diesen Definitionen die emotionalen Einstellungen der Adressaten zu ändern. Die restlichen Definitionen, die in den Bereich meiner Begriffsbestimmung „persuasive Definitionen im subjektiven Sinn" fallen, sind wohl ausschließlich Definitionen, die den charakteristischen Bedingungen der Persuasion mit Hilfe von Definitionen geniigen. Etwas anders verhält es sich im Falle der persuasiven Definitionen im objektiven Sinn. Der persuasive Charakter dieser Definition ist nicht an eine Intention zur Änderung einer emotionalen Einstellung gebunden, sondern an die unter dem Einfluß dieser Definition faktisch eingetretene Veränderung. Weil die Möglichkeit einer solchen Veränderung immer gegeben ist, erhebt sich die Frage, ob der Begriffsumfang der überredenden Definition im objektiven Sinn nicht zu weit wird. Ich will zunächst angeben, welche Definitionen zu diesem Bereich nicht gehören. Es sind Definitionen nicht-alltagssprachlicher Termini und feststellende Definitionen. Unter diesen Begriff fallen aber alle festsetzenden und regulierenden Definitionen, unter deren Einfluß bei einer Person (einer sozialen Gruppe) eine Veränderung der emotionalen Assoziationen eingetreten ist, die die betreffende Person (soziale Gruppe) mit der bisherigen Bedeutung des Definiendum verband. Die Extension des Begriffs „überredende Definition im objektiven Sinn" ist jedoch nicht größer als die des Begriffs „überredende Definition im subjektiven Sinn". Sie überschneiden sich. Der erste Begriff ist deshalb nützlich, weil er die Klasse der Fälle unbewußter Persuasion deckt, in denen der persuasive Effekt ohne eine Absicht des Urhebers der Definition erfolgt. M a n kann manchmal dem Vorwurf begegnen, daß die persuasive Definition ein Verfahren von zweifelhaftem moralischen Wert sei. Ist dieser Vorwurf berechtigt? Die Frage muß verneint werden. Aus den hier gegebenen Charakteristika der persuasiven Definition und Argumentation geht überhaupt nicht hervor, daß diese Verfahren der Persuasion als solche irgendwelche negativen moralischen Eigenschaften aufweisen. Es sind bestimmte Handlungsinstrumente und als solche moralisch neutral. Anders ist es bei der Beurteilung des Ziels, zu dessen Erreichung ein Instrument angewendet wird: Es kann moralische Zustimmung und
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
auch Ablehnung hervorrufen. Auch die Gebrauchsweise eines Instruments wird bewertet. Es ist m. E. negativ zu bewerten, wenn z. B. der Urheber einer persuasiven Definition eines Terminus, um eine persuasive Wirkung zu erreichen, bewußt beim Adressaten den Eindruck zu erwecken versucht, daß seine Definition eine feststellende Definition ist, daß die Menschen den fraglichen Terminus eben so gebrauchen, wie es die durch ihn propagierte Definition festlegt. Ebenso negativ ist m. E. ein Verfahren zu beurteilen, bei dem man sich zur Erreichung einer persuasiven Wirkung bewußt falscher Behauptungen innerhalb einer Argumentation bedient, und sie als richtig hinstellt, oder den Eindruck erweckt, daß aus bestimmten Prämissen der Argumentation bestimmte logische Folgerungen sich ergeben, während sich der Argumentierende dessen bewußt ist, daß dies nicht der Fall ist. Die persuasive Definition und Argumentation sind Instrumente der Beeinflussung von Einstellungen und Werthaltungen. Ist es erlaubt, und in welchem Maße ist es erlaubt, diese Instrumente in der Wissenschaft anzuwenden? D a s Ziel der Wissenschaft wird allgemein in der Beschreibung von Phänomenen, deren Erklärung und Voraussage angesehen. Es scheint daher, daß es hier keinen Platz für persuasive Techniken gibt. Auf der anderen Seite trifft es zweifellos zu, daß gerade die Wissenschaft eines der mächtigsten Instrumente zur Beeinflussung von Einstellungen und Werthaltungen, u. a. auch der emotionalen, ist. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß unter dem Einfluß der Wissenschaft zwar Änderungen der emotionalen Einstellungen in der T a t eintreten, daß dies aber anders erreicht wird, als bei den durch Persuasion bewirkten Veränderungen. Die Wissenschaft bewirkt eine Veränderung der Einstellungen durch die Vermittlung von Wissen über Gesetzmäßigkeiten und über bestimmte Phänomene, die in uns emotionale Reaktionen hervorrufen. Dafür ein Beispiel: „ I m England des achtzehnten Jahrhunderts wurden Geisteskranke noch an die Wand gekettet, und dem Publikum war es bei einem Eintrittspreis von zwei Pence erlaubt, sie zu reizen. Im Z u g e der Entwicklung unseres Wissens über Geisteskrankheiten, und nachdem man nicht mehr an eine Intervention des Teufels
Einige methodologische Probleme glaubt, ist diese Einstellung zu den Geisteskranken geworden."20
269 unmöglich
Dagegen beeinflussen die verbalen Verfahrensweisen der Persuasion Veränderungen emotionaler Einstellungen auf eine andere Weise. Sie nutzen die mit bestimmten Termini verknüpften Assoziationen aus, und übertragen sie auf andere Termini oder andere Geltungsbereiche derselben Termini. Soll man nun sagen, daß es für persuasive Definitionen und Argumentationen in den Wissenschaften keinen Platz gibt? Die Techniken der Persuasion sind nur ein Spezialfall der Anwendung emotional beladener und wertender T e r m i n i . Ich will die Frage allgemein stellen: Gibt es in der Wissenschaft einen Platz für Bewertungen oder soll man sie aus der Wissenschaft eliminieren? 2 1 Alle Argumente für die zweite Alternative schließen jeden Versuch einer Persuasion aus dem Bereich der Wissenschaft aus. Nun muß man aber zunächst feststellen, daß es häufig schwierig ist zu entscheiden, ob ein Ausdruck, dem wir begegnen, einen beschreibenden oder einen bewertenden C h a r a k t e r hat. Außerdem ist die Mehrzahl der bewertenden Ausdrücke nicht rein bewertend (ζ. B. gut, böse) — es gibt derer nur ganz wenige in den einzelnen Sprachen — sondern beschreibend-wertend (ζ. B. zänkisch, pedantisch, sadistisch, hilfsbereit, farbenmäßig raffiniert). Die Schwierigkeiten, die bei dem Versuch auftreten, einen bestimmten Ausdruck als rein wertend, als beschreibend-wertend oder als rein beschreibend zu klassifizieren, werden durch die Tatsache verursacht, daß der Sinn und die Extension der Ausdrücke durch den Sprachgebrauch nicht i m m e r hinreichend klar determiniert werden. Außerdem ist es nicht immer klar, ob die wertenden emotionalen Elemente mit einem bestimmten Ausdruck aufgrund des Sprachgebrauchs verbunden werden, und daher als Bestandteil des Inhalts eines Ausdrucks anzusehen sind, oder ob sie vielmehr aufgrund 20
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24
Vgl. M. Ossowska: Mysl moralna Oswiecenia angielskiego. (Das moralische Denken der englischen Aufklärung) Warszawa 1966. S. 71. Zur Rolle von Werten und Bewertungen in der Wissenschaft vgl. M. Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1922. Vgl. auch H. Albert: Traktat über kritische Vernunft. Vor allem das dritte Kap.: Erkenntnis und Entscheidung. Tübingen 1968. Pawlowski, Begriffsbildung
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
weniger stabiler, schwächerer, häufig auch flüchtiger Beziehungen mit dem Ausdruck verbunden werden, die den Charakter empirischer Koinzidenzen haben. In dieser Situation verhindert die Eliminierung des emotional-wertenden Bedeutungselements eines gegebenen Wortes noch nicht, daß emotionale Assoziationen entstehen, die durch empirische Koinzidenzen mit diesem Wort verbunden werden. Befürwortet man trotz dieser Schwierigkeiten das Postulat, das die Eliminierung aller wertenden Ausdrücke aus dem Bereich der Wissenschaften verlangt, und zwar der rein wertenden wie auch der beschreibend-wertenden, wird sich herausstellen, daß infolge ihrer riesigen Zahl eine beträchtliche Verarmung des uns zur Verfügung stehenden Ausdrucksvorrats eintritt. Man kann natürlich — zumindest theoretisch — die eliminierten wertenden Ausdrücke durch neue ersetzen, die rein beschreibend sind. Jedoch — und dies ist eine weitere, ernsthafte Schwierigkeit — nehmen rein beschreibende Ausdrücke häufig unbemerkt einen wertenden Charakter an; ähnlich können wertende Ausdrücke nach und nach die Fähigkeit verlieren, emotionale Assoziationen hervorzurufen. Diese Veränderungen haben in den natürlichen Sprachen fließende Ubergänge, die sich nicht genau registrieren, geschweige denn kontrollieren lassen. Es scheint daher, daß das Postulat der Eliminierung der wertenden Ausdrücke aus dem Bereich der Wissenschaften, wobei die wertenden Urteile eingeschlossen sind, ein unrealistisches Postulat ist. Man muß sich wohl mit der bescheideneren Empfehlung begnügen, die lediglich verlangt, daß ein Wissenschaftler, der eine Bewertung formuliert, sich dessen auch bewußt ist, und daß er in seinen Arbeiten möglichst deutlich Beschreibungen von Wertungen unterscheidet. Manchmal wird empfohlen, ein Autor, der nicht mehr als Wissenschaftler sondern als Anhänger und Verfechter eines bestimmten Wertesystems seine Stimme erheben will, solle dies in einer besonderen Publikation machen, und nicht im selben Werk beide Rollen vereinigen. Es hat aber nicht den Anschein, daß diese Empfehlung berechtigt ist. „Der Ausdruck der eigenen Einstellung zu den Phänomenen, die Forschungsobjekt der Geistes- und Humanwissenschaften sind — zu sozialen Institutionen, zu Sitten,
Einige methodologische Probleme
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zu Kunstwerken u. ä. — verlangt häufig eine umfangreiche Beschreibung und erklärende Analyse dieser Phänomene, damit deren Beurteilung genügend fundiert ist, und nicht im luftleeren Raum bleibt. Eine solche in ihrer Zielsetzung eigenständige Publikation, würde im Endeffekt doch eine Vereinigung beschreibender und axiologischer Inhalte darstellen." 2 2 Es scheint also keine überzeugenden Argumente für die Eliminierung aller emotional-wertenden Ausdrücke aus dem Bereich der Wissenschaften zu geben. Welche Folgerungen bezüglich der persuasiven Verfahren ergeben sich daraus? Auch hier scheinen allgemeine Empfehlungen zur ihrer Eliminierung unbegründet. Es gibt kaum Platz für die Persuasion in den exakten mathematischphysikalischen Wissenschaften. Ihr Vorhandensein ist eher in den Sozial- und Humanwissenschaften gerechtfertigt, in manchen Zweigen der Psychologie, der Ökonomie und der Biologie. Um hier persuasive Definitionen nachzuweisen, genügt die Feststellung der Tatsache, daß Vertreter dieser Disziplinen manchmal gezwungen sind, einen bereits übermäßig mit emotionalen Assoziationen beladenen Terminus zu neutralisieren, um ihn dadurch für wissenschaftliche Zwecke brauchbar zu machen. Das Verfahren der Neutralisierung des Emotionspotentials eines Terminus ist immer ein persuasives Verfahren. Als Beispiel habe ich die obige Definition der Bürokratie angeführt. Neben der Neutralisierung treten auch andere der hier unterschiedenen Veränderungen durch Persuasion auf, die auf wissenschaftliche Termini angewandt werden. Das manifestiert sich deutlich in den häufigen Auseinandersetzungen über die „richtige" Definition eines Begriffs. Bekannt sind die Auseinandersetzungen um eine Definition der psychischen Gesundheit. Es hängt vom akzeptierten Wertesystem ab, das im Modell des psychisch Gesunden realisierbar sein soll, ob die psychische Gesundheit so oder anders definiert wird. 2 3 Der Bezug auf ein Wertesystem ist auch in Vgl. I. Lazari-PauAowska: Maria Ossowska jako badacz moralnosci (M. Ossowska als Erforscher der Moral) Studia Filozoficzne Nr. 12 (1975). 2 3 Vgl. hierzu J. Sowa: Niektóre definicje zdrowia psychicznego. Analiza krytyczna pogl?dow E. Fromma i Κ. Horney. (Einige Definitionen der 22
24'
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Kap. VII: Persuasive Definitionen
anscheinend rein methodologischen Auseinandersetzungen sichtbar, und zwar um solche Fragen wie: 24 Was ist eine ethische Wertung? Eine ästhetische? Welche Eigenschaften spezifizieren eine ethische Norm? Kann man ethische Normen — vor allem die obersten — begründen? Kann man davon sprechen, daß zwischen Rechtsnormen oder zwischen ethischen Normen logische Folgerungsbeziehungen bestehen?25 Sind Normen den Bewertungen äquivalent? Mit anderen Worten: Kann das, was in der Ethik mit Hilfe der Normen ausgedrückt wird, in gleicher Weise mit Hilfe von Bewertungen ausgedrückt werden? Definitionen der entsprechenden Begriffe, die in solchen Auseinandersetzungen geprägt werden — des Begriffs der ethischen Norm oder Bewertung, der ästhetischen Bewertung, der Begründung einer Norm, der Folgerungsbeziehungen zwischen Normen — repräsentieren eine der hier unterschiedenen Arten der Veränderung einer Extension oder eines Emotionspotentials des definierten Terminus durch Persuasion. Dai? man sich für Werte engagiert, scheint eine unausweichliche Konsequenz aus der Natur der hier besprochenen Probleme zu sein.
24
25
geistigen Gesundheit. Kritische Analyse der Ansichten E. Fromms und K. Horneys). Kap. im Buch: Moralnosc i spoleczeñstwo. Ksiçga Jubileuszowa dia Marii Ossowskiej (Moral und Gesellschaft, Festgabe für Maria Ossowska) Warszawa 1969. Vgl. hierzu H. Lenk·. Kann die sprachanalytische Moralphilosophie neutral sein? In: H. Albert und E. Topitsch (Hrsg.). Wissenschaftslehre und Gesellschaft. Darmstadt 1971. Die logische Folgerung ist ein Begriff, dessen Sinn als eine Relation über die Menge der Sätze definiert wird, d. h. der Menge von wahren oder falschen Ausdrücken. Ethische und rechtliche Normen werden in diesem Sinn nicht als Sätze betrachtet. Es ergibt sich also das Problem der Berechtigung der Anwendung des Begriffs der Folgerung auf Normen oder heterogene Prämissen, die aus Normen und Sätzen bestehen.
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Namenindex Ajdukiewicz Κ., 30, 53, 139, 273 Albert Η., 66, 269, 111, 273, 274 Asperen van G. M., 273 Bense M., 192, 273 Berka Κ., 163, 273 Birkhoff G. D „ 192, 195 Breitkopf Α., 274 Biischges G., 273 Blegvad M., 85, 173, 273 Carnap R., 53, 66, 129, 133, 150, 158, 273 Czempiel E. O., 110, 273 Detel W., 273 Eco U., 273 Essler W. K., 9, 129, 273 Frank H., 94, 192 ff, 273 Fromm E., 119, 173, 265, 272 Gerhard M., 52 Giedymin J., 189 Goodman N., 83, 180ff Grzyb G., 273 Gunzenhäuser R., 192, 194
Koj L., 200, 204, 207, 210 Kotarbinska J., 90 Kotarbiñski T., 31, 273 Kreiser L., 163, 273 Kuipers T., 273 Kutschera F., 274 Lazari-Pawíowska I., 109, 249, 258, 271, 274 Lenk H., 172, 272, 274 Lorenz Κ., 84, 274 Lorenzen P., 130, 274 Lütke-Bornefeld I., 273 Maser S., 192, 194, 274 Meder Β. S., 192, 273 Mittelstrass J., 84, 274 Mooij J. j., 274 Oelmiiller W., 274 Ossowska M., 269, 272 Ossowski S., 274 Pawtowski T., 109, 156, 174, 188, 274 Poser H., 67, .133, 159, 274 Posner-Landsch M., 274 Posner R., 52, 85, 274 Przelçcki M., 128, 150, 174, 274
Hallett G., 200, 273 Hempel C., 80, 85, 109 Hoerster N., 273 Hubbeling H. G., 273
Quine W. ν. O., 138, 274
Kambartel F., 84, 274 Köck W. Κ., 199
Savigny E., 9, 129, 274 Schmid W. F., 192, 274
Rapp F., 274 Rüssel Β., 187
278
Namenindex
Schmidt S. J., 274 Schweizer T., 274 Stachowiak H., 94, 199, 274 Stegmüller W „ 129, 158, 274 Stevenson C. L., 248 Suppes P., 180 Tarski Α., 67, 163, 275 Tatarkiewicz W., 121, 149 Themerson S., 34, 36, 275
Tieisch E., 275 Topitsch E., 56, 66, 260, 272, 275 Wallis M., 142, 149, 275 Wallner E., 60, 61, 275 Walther E., 275 Weber M., 107, 275 Wiehl R., 275 Wittgenstein L., 53, 200, 204, 216, 275
Sachindex Amphibolie 68 Äquivalenzdefinition 3, 9f, 11, 28, 131, 166, 202 Äquivokation 6 9 - 7 1 Argumentation, persuasive 259 ff
Bedeutungsfamilien 199 ff — Definierbarkeit von 204 ff, 211 ff — logische Struktur von 203 ff, 211, 214 — typische Merkmale von 201 ff — und Ähnlichkeitsrelation 204 ff, 235, 2 3 7 — Ursprung und Entwicklung von 223 ff — wissenschaftliche Nützlichkeit von 235, 237ff Bedingungen — einer korrekten Explikation 166 ff — hinreichende 126 ff — notwendige 126 ff Begriffe (s. a. Typenbegriff) — behavioristische Anwendungskriterien von 172f — empirische Anwendungskriterien von 171 — klassifikatorische 108 f — komparative 79 ff, 108 — Mehrdeutigkeit von 53 ff, 56, 62, 64, 65 — metrische 79, 80 f, 83, 170 — Vagheit von 75, 79, 168 — wissenschaftliche Nützlichkeit von 82 ff
Definiendum 10 ff, 248, 251 Definiens 11 ff, 251 Definitionen - durch Postulate 163 ff - explizite 16 ff - festsetzende 3, 18 ff, 21, 24, 183 ff -feststellende 3, 18ff, 21, 39f, 176, 183 ff Konstruktionsmethoden von 43-51 - formale Korrektheit von 31 ff, 82 ff - partielle 125 ff analytischer Bestandteil von 140f Anwendungen von 141 ff, 146, 148, 154 Arten von 133 ff als bilateraler Reduktionssatz 134 als unilateraler Reduktionssatz 135 negatives Anwendungskriterium von 126, 135 positives Anwendungskriterium von 126, 135 probabilistischen Typs 137f synthetischer Bestandteil von 141 und die Bedingung der NichtKreativität 139 ff und vollständige Definitionen 3, 125 ff - persuasive 243 ff Arten von 248, 251, 257
280
Sachindex im subjektiven Sinn 2 6 1 ff im objektiven Sinn 2 6 1 ff
und das Postulat der Wertfreiheit 2 7 0 ff — regulierende 18, 19, 2 4 - 2 6 , 1 8 3 ff — wissenschaftliche Nützlichkeit von 8 2 ff, 166 in den nicht-nomologischen Wissenschaften 9 9 , 1 0 6 in den nomologischen Wissenschaften 88, 9 9
Messen 81, 1 7 0 M e t a s p r a c h e 1 5 ff, 1 7 0 Namen — extensionsgleiche 5 4 ff — intensionsgleiche 5 4 ff Nominaldefinitionen 2 8 ff, 2 6 5 f O b j e k t s p r a c h e 15 ff, 6 5 Realdefinitionen 2 8 ff
— und Wertsysteme 1 1 3 ff, 1 2 3 Definitionskopula 11 ff, 2 6 5
Satz — analytischer 1 3 8
— Formenvielfalt der 12 ff Dispositionsbegriffe 1 2 8 ff
— im logischen Sinn 2 3 9 — synthetischer (empirischer) 1 3 8 Skalentypen (s. a. M e s s e n ) 8 1 ,
Eigenschaften 3 — definitorische 3, 8 3 ff — graduierbare (abstufbare) 3 , 2 2 5 — spezifische 3, 2 3 7 — wesentliche 90, 1 0 0 , 1 2 3 Entwicklung, kumulative u. nichtkumulative von Wissenschaften 2 4 1 ff
1 7 0 ff System, deduktives 9
E x p l i k a n d u m 161 ff E x p l i k a t 1 6 3 ff E x p l i k a t i o n 1 5 7 ff — Adäquatheitsbedingungen von 181 ff — Anwendungen von 1 8 5 — 1 9 8 — Bestandteile von 1 6 0 ff — und andere Methoden der Begriffsbildung 183 ff Fehler beim Definieren 3 1 - 4 3 Ignotum per ignotum 3 6 ff Inadäquatheit der Definition 3 9 ff Kontextdefinitionen 1 6 , 17 ff
Terminus — behavioristische Anwendungskriterien des 1 7 2 ff — emotional aktiver 2 4 7 , 2 6 9 — emotional neutraler 2 4 7 , 2 6 9 — empirische Anwendungskriterien des 1 6 8 ff, 1 7 1 f — Extension des 5 3 ff, 8 9 ff, 1 2 5 — Intension des 5 3 ff, 1 2 5 — operationalistische Anwendungskriterien des 1 7 4 ff — Wertfreiheit des 2 7 0 Typenbegriffe 1 0 6 ff Widersprüchlichkeit einer Definition 3 8 ff Wissenschaften, nomologische u. nicht-nomologische 8 4 f, 8 8 ff, 9 9 ff Wortstreit 7 3 ff Zirkularität einer Definition 3 2 ff