Prävention und Repression im Sicherheitsrecht: Grenzen juristischer Begriffsbildung [1 ed.] 9783428586943, 9783428186945

Die Rechtsbegriffe Prävention und Repression haben im tradierten Polizeirecht lange Tradition. Obwohl die mit den Begrif

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German Pages 318 [319] Year 2022

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Prävention und Repression im Sicherheitsrecht: Grenzen juristischer Begriffsbildung [1 ed.]
 9783428586943, 9783428186945

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Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit

Band 18

Prävention und Repression im Sicherheitsrecht Grenzen juristischer Begriffsbildung

Von

Marius Danne

Duncker & Humblot · Berlin

MARIUS DANNE

Prävention und Repression im Sicherheitsrecht

Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Markus Thiel, Münster

Band 18

Prävention und Repression im Sicherheitsrecht Grenzen juristischer Begriffsbildung

Von

Marius Danne

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 2199-3475 ISBN 978-3-428-18694-5 (Print) ISBN 978-3-428-58694-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen hat die Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen. Danken möchte ich meinem Doktorvater und Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Franz Reimer, an erster Stelle für das tiefe Verständnis, das er meinem Forschungsanliegen rund um die juristische Begriffsbildung entgegengebracht hat. Seine geduldigen Bestärkungen, seine zahlreichen konstruktiven Anregungen und seine stete verständnisvolle Gesprächsbereitschaft gingen weit über die bestehenden Pflichten im Rahmen einer Promotionbetreuung hinaus. Dafür und für die schönen Jahre an seinem Lehrstuhl bin ich ihm von Herzen dankbar. Herrn Professor Dr. Bernhard Kretschmer danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für die zügige und unkomplizierte Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Das Recht der inneren und äußeren Sicherheit“ danke ich Herrn Professor Dr. Dr. Markus Thiel und dem Verlag Duncker & Humblot. Dank gebührt daneben der Justus-Liebig-Universität Gießen für eine großzügige finanzielle Förderung meiner Forschungsarbeit durch ihr Graduiertenstipendium. Der unerschütterliche Rückhalt, die bedingungslose, großzügige und vielfältige Unterstützung sowie der unbeirrbare und grenzenlose Optimismus meiner Eltern haben mir bei weitem nicht nur, aber eben auch die Erstellung dieser Arbeit überhaupt erst ermöglicht. Hamburg, im Sommer 2022

Marius Danne

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkretisierung des Sicherheitsrechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relevanz der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ . . . . . . . . . . . . a) Inhaltliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sprachliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Praktische Relevanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Institutionelles Sicherheitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkretisierung der sicherheitsrechtlichen Sicherheitsarchitektur . . . 2. Relevanz der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ . . . . . . . . . . . . a) Entföderalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Institutionelle Verschränkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Europäisierungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kooperation und Koordination im Sicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Anschauungsgegenstand und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 19 19 22 23 24 25 26 28 28 30 31 33 35 38 39 42 43

A. Sprachliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Etymologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Prävention“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lateinischer Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rezeption durch die französische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutscher Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Prävenieren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Präventiv“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Prävention“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Abgrenzung zu Synonymen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Repression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lateinischer Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rezeption durch die französische Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Deutscher Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Reprimieren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 46 46 48 50 50 51 52 53 56 57 57 59 61 61

8 Inhaltsverzeichnis bb) „Repression“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Repressiv“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme . . . . . . . . . . . . 1. Alltagssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prä- und Re- als antonym angelegte Präfixe . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antonyme Verständnismöglichkeiten in der Alltagssprache . . . . . c) Performative politische Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Attributive Suggestivbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Prävention“ und „Repression“ als fachsprachliche Begriffe . . . . . . . 3. „Prävention“ und „Repression“ als juristische Fachbegriffe . . . . . . . . a) Sterilisationsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Prävention“ und „Repression“ als juristische Basisbegriffe . . . . . c) Phänomenologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 64 64 64 65 65 67 70 73 75 76 76 77 81 84

B. Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. Sprachtheoretische Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Differenzierung zwischen Begriff und Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Mögliche Anknüpfungspunkte für Kritik an Begriffen . . . . . . . . . . . . 91 3. Akzessorietät zwischen Alltagssprache und juristischer Fachsprache . 92 a) Perspektive der juristischen Methodenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Perspektive der juristischen Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Begriff vom Recht und Rechtsbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Apriorische Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Rechtsatzbegriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Rechtsatzbegriffe als Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 d) Maßstäbe für die Bildung von Rechtsatzbegriffen . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Rechtsstaatliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Sprachliche Maßstäbe für die Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . 105 4. Rechtsprechungsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Maßstäbe für die Bildung von Rechtsprechungsbegriffen . . . . . . . 113 5. Begriffe der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Terminologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Funktionen der Rechtswissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Maßstäbe für die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung . . . . . . 117 aa) Voraussetzungslose und rechtsfolgenfreie Begriffe . . . . . . . . . 122 bb) Falsifikation der Basissätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Inhaltsverzeichnis9 6. Begriffe der Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verwerfung der Kategorie für die juristische Begriffsbildung . . . . III. Methodische Folgerungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 128 129 130 132 135

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“ . . . . . . . . . . . I. Entwicklung des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung eines „präventiven“ Gefahrenabwehrrechts . . . . . . . . . . 2. Einführung der Staatsanwaltschaft und der Strafprozessordnung . . . . 3. Allgemeines Ordnungsrecht und Strafverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der Begriffe bei der Entwicklung der Strafzwecktheorien . . . 1. Absolute Strafzwecktheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Relative Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generalprävention als Modifikation der Vergeltungstheorie? . . . . b) Spezialprävention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Perspektivwechsel durch die Kriminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 137 137 142 144 150 151 152 154 154 155 156 157 159

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht . . . . . . . . I. Sicherheitsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dichotome Grundkonzeption des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . b) „Strafrecht“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG . . . . . . . c) „Das gerichtliche Verfahren“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Disparate Kriterien zur Bestimmung der Gesetzgebungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kriterien zur Ermittlung des Sachbereichs anhand des Gesetzeszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besonderheiten kompetenzieller Gesetzgebungskonkurrenz . dd) Temporale Irrelevanz bei der Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kompetenzwidrigkeiten im Bereich der Strafverfolgungsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Begriffs(um)bildung durch das Bundesverfassungsgericht . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielles Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bindungen des Rechtsetzers aus dem Bestimmtheitsgebot   . . . . . c) Inhaltliche Trennungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 165 165 166 169 172 174 175 177 181 186 188 191 192 192 198 203

10 Inhaltsverzeichnis aa) Trennungsgebote zwischen Verfassungsschutz und operativer Polizeiarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 bb) Trennungsgebote zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Verfassungsrechtliche Dimensionen einer Zweckbindung . . . 206 (1) Zweckbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (2) Zweckänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 d) Institutionelle Kooperationsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Materielles operatives Sicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. „Doppelfunktionales“ Eingriffsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Doppelfunktionalität strafprozessualer Eingriffsgrundlagen  . . . . . 220 aa) Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Beispiel: Erkennungsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 cc) Beispiel: Haftgrund der Wiederholungsgefahr . . . . . . . . . . . . 222 b) Doppelfunktionale Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Verfassungsrechtliche oder methodische Grundlagen . . . . . . . . . . 223 d) Differenzierungspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 aa) Abstrakt doppelfunktionale Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Maßnahmenbündel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 e) Rechtmäßigkeitsmaßstäbe für doppelfunktionale Maßnahmen . . . 227 aa) Überblick über materielle Bedenken und ihre Verortung . . . . 229 (1) Schwerpunkttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 (2) Vorranglösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 (3) Kumulation der Eingriffsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . 232 (4) Striktes Entscheidungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 (5) Kooperationsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Perspektiven eines multidimensionalen Sicherheitsrechtsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Beispiele  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (1) Öffentlichkeitsfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (2) „Legendierte Verkehrskontrolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Strukturelle Differenzierung zwischen Opportunität und Legalität . . . 241 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III. Rechtsschutz im Sicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Einfachrechtliche Maßstäbe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Differenzierungspotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Kriterien zur Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 4. Doppelte Rechtswegmöglichkeit bei doppelfunktionalen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   249 5. Reflexe institutioneller Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Inhaltsverzeichnis11 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar . . . . . . . 255 I. Semantische Irritationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Interferenz zwischen Alltagssprache und den juristischen Basisbegriffen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Interferenz zwischen Alltagssprache und sicherheitsrechtlicher Dichotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Interferenz zwischen den juristischen Basisbegriffen und der sicherheitsrechtlichen Dichotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 4. „Prävention“ und „Repression“ als Grenze juristischer Begriffsbildungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Inhaltliche Illusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Irrelevanz einer zeitlichen Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Überschneidende Teilausschnitte eines Sicherheitsrechts  . . . . . . . . . . 262 3. Teleologische Multidimensionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 4. Grundrechtliche Parallelität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 5. Gesetzgeberisches Kooperationsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 III. Systematische Konfusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Kein dichotomes Konzept zwischen „Prävention“ und „Repression“ . 266 2. Heuristischer Unwert eines dogmatischen Leitbildes und Argumentationsmusters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Dysfunktionales dogmatisches Leitbild und Lehrkonzept . . . . . . . . . . 270 a) Verschleierndes Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Untaugliches Schema in der juristischen Ausbildung . . . . . . . . . . 271 4. (Re-)Produktion einer illusionären Systematik/Systemillusion . . . . . . 273 5. Trivialisierung des Föderalismus   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 6. Perspektivwechsel durch das Sicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 F. Empfehlungen an das Sicherheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Sicherheitsarchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Abbildung 2: Stoßrichtung Alltagssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Abbildung 3: Antonyme zu Repression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abbildung 4: Gegenseitige Teilmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Abbildung 5: Überblick über die Verwendungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 71 Abbildung 6: Historische Überschneidung von „Prävention“ und „Repres­ sion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Abbildung 7: Strafverfolgungsvorsorge als „präventive“ Repression . . . . . . . . 185 Abbildung 8: „Prävention“ und „Repression“ als Bifurkation . . . . . . . . . . . . . 263

Einleitung I. Problemstellung „Prävention“ und „Repression“ – zwei Begriffe mit ungebrochener Hochkonjunktur. Nicht nur das tradierte Polizei- und Ordnungsrecht sowie das Straf- und Strafverfahrensrecht, sondern auch das sich formierende Sicherheitsrecht verwenden sie mit weitreichenden Konsequenzen. Bei der Begegnung mit neuen Verbrechensmustern spielen sie eine zentrale Rolle. Es sind schillernde Begriffe, ihr Gebrauch ist oft unscharf und vieldeutig: Schließen sich die Begriffe gegenseitig aus oder ist ein Begriff in dem anderen enthalten oder der eine Teilmenge des anderen oder sind sie zwei Seiten einer Medaille? Steht das Begriffspaar in einer derartigen wechselseitigen Bedeutungsbeziehung, so dass die Bedeutung des einen Begriffs die Kenntnis der Bedeutung des anderen Begriffs erfordert? Dann verböte sich, erst den einen und dann den anderen Begriff zu definieren; Zirkeldefinitionen wären unausweichlich. Man könnte dann die Bedeutung für beide Begriffe nur gleichzeitig oder eben gar nicht erkennen. Die Bedeutung des Begriffspaares „Prävention“ und „Repression“ könnte die kontradiktorische oder konträre Negation sein. Die Bedeutungsbeziehung könnte aber auch in einer Ganzheitsbeziehung liegen, so dass weniger die Unterschiede interessieren als die Definition des Bereichs, der von beiden Begriffen gemeinsam erfasst ist. Für die Bedeutungsannäherung kommt hinzu, dass die Bedeutung von Begriffen stets zeitlichen Veränderungen unterworfen ist. Das Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesrepublik unterliegt einem stetigen Wandel und hat in der Vergangenheit seine Paradigmen bei epochalen Veränderungen immer wieder verändern müssen.1 Nicht nur der Realbe1  Etwa die Entpolizeilichung, Rekommunalisierung und Dezentralisierung unter der Besatzungsherrschaft, die Reorganisierung und Verstaatlichung nach dem Vorbild der Weimarer Republik unter den Eindrücken des kalten Kriegs bis in die 60er Jahre oder die Aufgabenzentralisierung und Aufrüstung der Sicherheitsbehörden auf ­Bundesebene unter dem Eindruck des Terrors der RAF bis in die 90er Jahre, die sich mit den Anschlägen vom 11.09.2001 intensivierte; die Geschichte des Sicherheitsrechts in der Nachkriegszeit nachzeichnend Stolleis/Kremer, Die Geschichte der Polizei, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn. 67 ff.; zu den einzelnen Phasen ausführlich Kötter, Pfade des Sicherheitsrecht, 2008, S. 25 ff.; zum spiegelbildlichen Paradigmenwechsel des Strafrechts zum Sicherheitsrecht Sieber, Der Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht: Zur

14 Einleitung

reich – vor allem die zu bewältigende Kriminalität – ändert sein Antlitz, auch der Rechtsrahmen des Polizeirechts ist ständigen Anpassungen ausgesetzt. Die Polizei sieht sich als operative Sicherheitsbehörde einer besonders kritischen Evaluierung und Fortentwicklung ihrer rechtlichen Vorgaben durch das komplexe Zusammenspiel von Gesellschaft mit Politik, Gesetzgebern, Verwaltung und Gerichten ausgesetzt. In Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheitsgefühle und politischer (Un-)Sicherheitsnarrative stehen nicht nur technische Detailänderungen, sondern die Neuordnung der gesamten Sicherheitsarchitektur zur Debatte. Nicht selten werden einem „anachronistischen Rechtsrahmen“ die „modernen Sicherheitsherausforderungen“ semantisch gegenübergestellt. Die Gesetzgeber unterschiedlicher Ebenen können dabei mit ihren jeweiligen Kodifikationen, die in der Summe alle Sicherheitsbereiche erfassen können, nachsteuern. Gerade in Phasen einer tatsächlichen oder vermeintlichen Gefährdungslage für die öffentliche Sicherheit ist die Sicherheitsgesetzgebung besonders kritischen Bewertungen durch die Öffentlichkeit ausgesetzt.2 Die rhetorische Spannbreite der öffentlichen Bewertung der staatlichen Reaktionen ist groß: Sie reicht von der Beobachtung populistischer Gesetzgebungswut eines Überwachungsstaats3 bis hin zu der Forderung nach gesetzgeberischen Anpassungen wegen bisherigen sicherheitsrechtlichen Politikversagens.4 Die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist eine von vielen Aufgaben der Polizeibehörden. Sie sind als operative Sicherheitsbehörden aber nicht nur für die Abwehr und Beseitigung von Gefahren zuständig, sondern ermitteln vor allem auch innerhalb von Strafverfahren und sorgen für etwaige zukünftige Strafverfahren oder für etwaige zukünftige Gefahren vor. Die rechtlichen Vorgaben des polizei­ neuen Sicherheitsarchitektur der globalen Risikogesellschaft, in: Tiedemann/Sieber/ Satzger/Burchard/Brodowski (Hrsg.), Die Verfassung moderner Strafrechtspflege, 2016, S. 351 ff.; zu einem derzeit „schleichenden Paradigmenwechsel“ im Polizeirecht zuletzt Shirvani, DVBl. 2018, S. 1393 (1393). 2  Vor allem nach medienwirksamen „Unglücken“, vgl. die Forderungen des Deutschen Richterbundes nach dem Anschlag am Berliner Breitscheitplatz bei Dieter Wonka, Richterbund erwartet Reformen der Sicherheitsarchitektur, Hannoversche Zeitung Online, 01.03.2018, abrufbar unter: https://www.haz.de/Nachrichten/Politik/ Deutschland-Welt/Richterbund-erwartet-Reformen-der-Sicherheits-architektur (zuletzt abgerufen am 07.06.2019). 3  Im Zusammenhang mit der Einführung des Rechtsatzbegriffs einer „drohenden Gefahr“ als Voraussetzung für das polizeiliche Einschreiten in Bayern sprach etwa die SPD von einem Überwachungsstaat, vgl. nur Reiner Burger, Balanceakt zwischen Sicherheit und Freiheit, FAZ vom 22.06.2018, S. 10. 4  Wobei der Begriff durchaus auch in rechtswissenschaftlicher Literatur rezipiert wurde, vgl. im Zusammenhang mit Migration und Zuwanderung Papier, NJW 2016, S. 2391 (2393).



I. Problemstellung15

lichen Handelns stehen in besonderem Maße unter positivrechtlichen Anpassungsbestrebungen und Anpassungen, die sich innerhalb eines sicherheitsrechtlichen Diskurses ergeben können. Die Rechtsnormen und das sich aus ihnen ergebende Recht, das die Polizeibehörden betrifft, lassen sich als Polizeirecht zusammenfassen.5 Im tradierten Polizeirecht kulminieren Rechtsnormen unterschiedlicher Rechtsetzer, die darüber hinaus unterschiedliche Zwecke verfolgen: Das Polizeirecht in diesem Sinne hat nicht nur die allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder zum Gegenstand, sondern umfasst darüber hinaus auch besondere polizeirechtliche Normen des Bundes und der Länder.6 Ein Beispiel sind die strafverfolgenden Generalklauseln aus den §§ 161 Abs. 1, 163 StPO7. Sie bestimmen die Polizeibehörden als „verlänger­te[n] Arm der Staatsanwaltschaften“ im Rahmen strafverfahrens­ recht­licher Ermittlungen.8 Dieser strafverfolgenden Tätigkeit kommt eine derartig wichtige praktische Relevanz im polizeirechtlichen Koordinatensystem zu, dass die Strafverfolgung nach weit verbreiteter Meinung in der Literatur eine von „zwei Säulen“9 ausmacht, auf die sich das Polizeirecht insgesamt stütze.10 Um in diesem Normengeflecht von landesrechtlichen Gefah5  Zu diesem formellen Polizeibegriff und den weiteren Polizeibegriffen vgl. im Überblick Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, Rn. 1 ff. 6  Insbesondere das Informationsverwaltungsrecht, Datenschutzrecht, Zollrecht, besonderes Ordnungsrecht. Freilich finden viele Regelungen nur durch die Generalklauseln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts Anwendung. 7  Strafprozessordnung (StPO), in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.04.1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319), zuletzt geändert durch Art. 2 G über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2022, zur elektronischen Erhebung der Bankenabgabe und zur Änderung der StPO vom 25.03.2022 (BGBl. I S. 571). 8  Vgl. die missglückte – anthropologisch schwer vorstellbare – Metapher des BVerwG: „Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes und insbesondere die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft sind der Staatsanwaltschaft, die treffend als ‚Kopf ohne Hände‘ bezeichnet wurde, zur Unterstützung der Strafverfolgung zur Verfügung gestellt. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind als ‚verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft‘ nicht nur bei Ausführung einer Weisung dieser Behörde tätig, sondern auch dann, wenn sie nach § 163 Abs. 1 StPO von sich aus handeln, weil sie ‚bei der alltäglichen Kriminalität … mit der stillschweigenden Ermächtigung zur selbständigen Durchführung der Ermittlungen ohne Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft rechnen dürfen‘.“, BVerwGE 47, 255 (263). 9  Zu dieser Metapher m. w. N. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 12. 10  Zur aus historischen und rechtsstaatlichen Gründen zwingenden kategorialen Zweiteilung exemplarisch Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 93 ff.; Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 1 ff. sowie Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 157.

16 Einleitung

renabwehr- und bundesrechtlichen Strafverfolgungsvorschriften navigieren zu können, bedient sich die Rechtswissenschaft, aber auch der einzelne Rechtsanwender rechtsgebietsinterner polizeirechtlicher Begriffe: Man greift dabei auf das Begriffspaar von „Prävention“ und „Repression“ zurück, um die „zwei Säulen“ von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung abzubilden.11 Die begriffliche Gegenüberstellung dient dabei aber nicht nur der Navigation, sondern in der Gegenüberstellung zwischen „Prävention“ und „Repression“, die einen Sachverhalt zeitlich in zwei Teile einzuteilen vermag,12 wird ein essentieller rechtsstaatlicher Baustein erkannt,13 der sich gerade auch in 11  Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 171: „Ausgangspunkt aller Überlegungen zur rechtsstaatlichen Auslegung und Anwendung des Polizei- und Strafverfahrensrechts muss die klare Unterscheidung zwischen Prävention und Repression sein“, vgl. auch die Überschrift vor Rn. 166: „1. Gefahrenabwehr und Straftatenverfolgung: Prävention und Repression“; Frister, Polizeihandeln im Strafverfahren, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. F Rn. 2: „Die Grenze zwischen präventivem Polizeirecht und repressivem Straf- und damit auch Strafverfahrensrecht ist allerdings weniger scharf als es aufgrund dieses grundsätzlichen Unterschieds zu erwarten wäre.“; Knemeyer, Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datennutzung als Kernaufgabe polizeilicher Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr und Straftatenverfolgung, in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann/Meng/Schweitzer (Hrsg.), Völkerrecht und deutsches Recht, 2001, S. 483 (483): „Dem deutschen Polizeirechtssystem ist trotz Überschneidungen und Gemengelagen eine klare Unterscheidung zwischen präventivem und repressivem Handeln eigen“; Paeffgen, Problemskizze bei der Aufgabenbeschreibung von Europol, in: Wolter/Schenke/Hilger/Ruthig/Zöller (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz, 2008, S. 173 (174): „wenn man [wie ich es tue, vgl. Fn. 5] die Unterscheidung [zwischen Prävention und Repression für kruzial [sic!] hält“; Reimer, Polizeirecht, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 9. Aufl. 2019, § 5 Rn. 15 f.: „Damit stellt sich die Gefahrenabwehr als präventive Tätigkeit dar. Ihr kann man die repressive Tätigkeit gegenüberstellen. Zu dieser zählen die Strafverfolgung und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten […]“; Schenke bedient sich in seinem Lehrbuch zum Polizei- und Ordnungsrecht bemerkenswerter Weise nicht dieser Begriffe zur Gegenüberstellung von Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, vgl. vor allem die Rn. 11 ff., 29 ff., 465 ff. 12  Markus Möstl, in: Möstl/Bäuerle (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar zum Polizei- und Ordnungsrecht Hessen, 25. Edition, Stand: 01.04.2022, Systematische und begriffliche Vorbemerkungen zum Polizeirecht in Deutschland, Rn. 25. 13  Vgl. statt vieler Kniesel, Die Polizei 2018, S. 265; nach Denninger „muss die klare Unterscheidung zwischen Prävention und Repression“ „Ausgangspunkt aller Überlegungen zur rechtsstaatlichen Auslegung und Anwendung des Polizei- wie des Strafverfahrensrechts“ (Hervorhebung durch Verfasser) sein, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. D Rn. 169; zu dieser impliziten Normalitätsannahme vgl. nunmehr auch Bäcker, Polizeiaufgaben und Regelungsmuster des polizeilichen Eingriffsrechts, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. D Rn. 4 ff. einerseits und 28 ff. andererseits.



I. Problemstellung17

einem Vorrang14 der schützenden „Prävention“ vor der vergeltenden „Repression“ ausdrückt. Ein gegenständlich weiterreichende(re)s Koordinatensystem als das des Polizeirechts entwickelt sich durch ein – noch in der Entstehung begriffenes – Sicherheitsrecht.15 Dieses erfasst als einen wichtigen Teilbereich das tradierte Polizei- und Strafverfahrensrecht sowie das materielle Strafrecht.16 Es betrachtet damit schon der Konzeption nach gerade die „beiden Säulen“ des Polizeirechts, deren Trennendes im polizeirechtlichen Diskurs stets betont wurde, als etwas Zusammengehöriges. Das „tradierte“ Polizei- und Ord­ nungsrecht17 kann dem „modernen“ Sicherheitsrecht in diesem Sinne begrifflich18 und temporal19 gegenübergestellt werden. Das Strafverfahrensrecht wird in diesem Zusammenhang nicht nur dann mit einbezogen, wenn es die 14  Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S.  147 ff., 152 ff. 15  Mit Herausgabe der Zeitschrift für das gesamte Sicherheitsrecht (GSZ) und der Gründung von Forschungsinstituten im Sicherheitsrecht ist der Weg in ein eigenständiges (Teil-)Rechtsgebiet zu erwarten. Dem trägt das BVerfG bereits Rechnung, indem es die „Grundsätze des allgemeinen Sicherheitsrechts“ explizit in den Fokus rückt, vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 18. Dezember 2018 – 1 BvR 142/15 – Rn. 128, 131, 133; das BVerwG spricht dagegen schon zuvor in diesem Zusammenhang vom Sicherheitsrecht, vgl. BVerwGE 141, 329 (336); zum Sicherheitsrecht als (Teil-)Rechtsgebiet mit zahlreichen weiteren Nachweisen und kritisch zur Bezugnahme auf den „Sicherheits“begriff Reimer, Sicherheitsrecht?, in: Bartsch/ Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 387 ff.; gegen ein (Teil-)Rechtsgebiet Sicherheitsrecht Kniesel, Die Polizei 2018, S. 265 (266 ff.). 16  Vgl. nur Gärditz, GSZ 2017, 1 (1 ff.); Bäcker behandelt diese (Teil-)Rechtsgebiete unter dem Begriff „Kriminalpräventionsrecht“, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S. 6 ff.; entschieden gegen die Bildung eines Sicherheitsrechts unter Einbeziehung des Straf(verfahrens)rechts mit Blick auf zu befürchtende rechtsstaatliche Erosionen Kniesel, Die Polizei 2018, S. 265 (266 ff.); zu den weiteren Teilbereichen des Sicherheitsrechts vgl. Einleitung II. 1. 17  Das Polizei- und Ordnungsrecht wird in Bayern auch als Polizei- und Sicherheitsrecht etikettiert, vgl. etwa zu diesem Begriff nur den Kommentar von Möstl/ Schwabenbauer (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 18. Edition, Stand: 01.03.2022. 18  Das Sicherheitsrecht umfasst aber das tradierte Sicherheits- und Ordnungsrecht. 19  Vgl. etwa den Titel bei Benjamin Rustenberg, Zwischen modernem Sicherheitsrecht und klassischem Polizeirecht – Die Entscheidungen zur automatisierten Kennzeichenkontrolle, Verfassungsblog vom 07.02.2019, abrufbar unter: https:// ­ verfassungsblog.de/zwischen-modernem-sicherheitsrecht-und-klassischem-polizeirecht-die-entscheidungen-zur-automatisierten-kennzeichenkontrolle/ (zuletzt abgerufen am 13.03.2019); kritisch zur Behauptung des Sicherheitsrechts als historisches Gegenbild zum liberalen Rechtsstaat Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staats­ metaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/HoffmannHolland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, S. 43 (54 ff.).

18 Einleitung

Polizeibehörden adressiert, sondern das Strafverfahrensrecht wird insgesamt als gleichberechtigte Materie eines Sicherheitsrechts begriffen. Auch im sicherheitsrechtlichen Kontext werden die Begriffswörter „Prävention“ und „Repression“ ungebrochen weiterverwendet. Bildet sich – wie zu erwarten – aus dem sicherheitsrechtlichen Diskurs gar ein eigenständiges Rechtsgebiet heraus, stellt sich die Frage nach der normativen Bedeutung der begrifflichen Gegenüberstellung im Sicherheitsrecht: Setzt die Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ dem integrierenden Sicherheitsrecht Grenzen? Können die Begriffe überhaupt sinnvoll im Sicherheitsrecht weiterverwendet werden? Muss das Begriffspaar (inhaltlich) neu gebildet werden, so dass der Zweiteilung im Sicherheitsrecht eine neue Bedeutung zukommt? Obwohl die begriffliche Einteilung in „Prävention“ und „Repression“ schon im polizeirechtlichen Kontext ständiger Kritik ausgesetzt war bzw. ihre fortbestehende Funktionsfähigkeit insgesamt und grundsätzlich angezweifelt wurde,20 erfreut sich das Begriffspaar nun im sicherheitsrechtlichen Zusammenhang zumindest quantitativ weiterhin einer bemerkenswerten Beliebtheit. Die Ambivalenz im Umgang mit dem Begriffspaar zeigt sich in­ dessen darin, dass man einerseits die Begriffe fortwährend, ungebrochen und plakativ verwendet, andererseits den Begriffen „Prävention“ und „Repression“ inhaltlich äußerst kritisch gegenübersteht. Diese begriffstheoretische Beobachtung verdient näherer Untersuchung. Die ungebrochene Relevanz und Aktualität des Begriffspaars im entstehenden Sicherheitsrecht soll anhand aktueller rechtspolitischer Entwicklungen sowie anhand aktueller Gesetzgebung und Rechtsprechung veranschaulicht werden. Gleichzeitig wird das Referenzgebiet materiell (II.) und institutionell (III.) konkretisiert sowie das Bedürfnis nach Kooperation und Koordination dargestellt (IV.). Im Anschluss daran werden der Forschungsstand und das Erkenntnisinteresse (V.) sowie der Anschauungsgegenstand und die Methode (VI.) formuliert. Die Einleitung endet mit einer Skizze vom Gang der Untersuchung (VII.). 20  Zu einer „Grenzverwischung“, „Gemengelage“, „Entgrenzung“ oder einer „Osmose“ zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Polizeiecht Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 97 ff., 118 ff.; Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 7; Hofmann-Riem, JZ 1978, S. 335 ff.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, 2008, S.  157 ff.; Möstl, DVBl. 2007, S. 581 ff.; Schoch, Der Staat 43 (2004), S. 347 ff.; Trute, Die Erosion des klassischen Polizeirechts durch die polizeiliche Informationsvorsorge, in: Erbguth/Müller/Neumann (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch, 1999, S. 401 ff.; Volkmann, NVwZ 2009, S. 216 ff.; aber demgegenüber stellt etwa Stümper schon 1980 die These auf, dass „[d]ie Unterscheidung der polizeilichen Tätigkeit in präventive und repressive […] in wesentlichen Bereichen überholt [ist]“, Die Wandlung der Polizei in Begriff und Aufgaben, Kriminalistik 1980, S. 242 (242).



II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts 19

II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts 1. Konkretisierung des Sicherheitsrechtsbegriffs Sicherheit im Sinne eines Geschütztseins des Menschen vor anthropologischen Gefahren und allen Risiken ist eine Illusion. Die Sicherheit ist beliebig definierbar, beinhaltet unzählige Dimensionen und ist allein schon deshalb nicht zu verwirklichen.21 Sicherheitsoptimierung kann das Ergebnis vieler Prozesse sein. Komplexe gesellschaftliche Vorgänge und zwischenmensch­ liches Miteinander verhindern Beeinträchtigungen der Sicherheit effizienter und effektiver als jedes staatliche Handeln, werden jedoch nur selten sichtbar.22 Die Sicherheit ist damit Dach- und Sammelbegriff für verschiedene Einzelaufgaben des Staates.23 Dennoch bleibt die Sicherheit des Einzelnen ein zwar in besonderem Maße konkretisierungsbedürftiges, aber gleichwohl ein grundsätzlich zentrales, politisch nachvollziehbares und verfassungsrechtlich legitimierbares Handlungsziel.24 Aus den verschiedenen Teilbereichen des Sicherheitsrechts wird der Teilbereich25 der staatlichen Gewährleistung der inneren Sicherheit26 fokussiert. Damit bleibt von vornherein die Sicherheit des Rechts („Rechtssicherheit“)27 21  Im Überblick und zum Vergleich mit anderen Grundbefindlichkeiten (Vielfalt, Solidarität, Gerechtigkeit) des Menschen vgl. Denninger, Die Polizei im Verfassungsgefüge, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. B Rn. 9 ff.; paradigmatisch für die Subjektivität von Sicherheit und das Verhältnis zum „bloßen“ Sicherheitsgefühl vgl. Schewe, Das Sicherheitsgefühl und die Polizei. Darf die Polizei das Sicherheitsgefühl schützen?, 2009, S. 93. 22  So erkannte Franz von Liszt schon zum Ende des 19. Jahrhunderts, dass die beste Kriminalpolitik eine gute Sozialpolitik ist; dieser Gedanke lässt sich auf die Sicherheitspolitik übertragen, vgl. von Liszt, Das Verbrechen als sozial-pathologische Erscheinung (1898), in: von Liszt (Hrsg.), Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Band 2, 1905, S. 230 (246). 23  Götz, Innere Sicherheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 85 Rn. 1 ff.; grundlegend Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983 und Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987. 24  Zum vorverfassungsrechtlichen Staatszweck und dessen Relevanz im Geltungsbereich des Grundgesetzes m. w. N. Schöndorf-Haubold, Sicherheit und Freiheit im Polizeirecht (Manuskript), 2014, S. 49 ff.; zur Diskussion eines Grundrechts auf Sicherheit Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, 1983 und Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987. 25  Ohne Sonderbereiche wie etwa die Investitionssicherheit oder die soziale Sicherheit. 26  Damit soll von vornherein das äußere Sicherheitsrecht (insbesondere die Wehrverfassung und das Recht der Auslandsnachrichtendienste) von der Betrachtung ausgeschlossen bleiben. 27  Obwohl sich das Sicherheitsrecht und der Begriff der Rechtssicherheit historisch gegenseitige Impulse verdanken, vgl. Härter, Die Sicherheit des Rechts und die

20 Einleitung

außer Betracht. Der Untersuchungsgegenstand der „inneren Sicherheit“ lässt sich weiter dahingehend konkretisieren, dass er sich ausschließlich auf die öffentliche Sicherheit im Inland erstreckt und die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland außer bleibt. Als „öffentliche Sicherheit“ ist der Begriff der Sicherheit zentraler Rechtsatzbegriff des tradierten Polizei- und Ordnungsrechts. Versteht man unter der öffentlichen Sicherheit auch den Schutz und die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung und der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen28 als deren Teilbereich, beschreibt Sicherheit zugleich die Gefahrenfreiheit von und für Rechtsgüter, ohne selbst Rechtsgut zu sein.29 Das in diesem Sinne verstandene Sicherheitsrecht ist damit ein (klassisches) Instrument bei der staatlichen Gewährleistung von innerer Sicherheit,30 wird im polizeirechtlichen Zusammenhang allerdings allein durch den Begriff des Gefahrenabwehrrechts abgebildet.31 Öffentliche Sicherheit in diesem Sinne weist Übereinstimmungen mit dem sozialwissenschaftlichen Begriff der „inneren Sicherheit“ als staatlicher Aufgabe der Gewährleistung von Sicherheit innerhalb eines staatlichen Gemeinwesens auf. Sicherheit in diesem weiteren Sinne umfasst neben der polizei­ lichen Gefahrenabwehr auch die Strafverfolgung,32 vor allem aber auch den geheim- und nachrichtendienstlichen Staats- und Verfassungsschutz. Dieses Begriffsverständnis entspricht dem entstehenden Sicherheitsrecht als eigenständigem rechtswissenschaftlichen (Teil-)Rechtsgebiet.33 Damit wird das Produktion von Sicherheit im frühneuzeitlichen Strafrecht, in: Kampmann/Niggemann (Hrsg.), Sicherheit in der Frühen Neuzeit, 2013, S. 661 (661 f.); zum Verhältnis von Sicherheit und Rechtssicherheit instruktiv Bernhart, Regeln der Jurisprudenz, 2008, S.  51 ff. 28  Tradierte Einschränkung schon seit PrOVGE 9, 353 ff. – Kreuzbergurteil. 29  Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2017, Rn. 80. 30  Schöndorf-Haubold, Sicherheit und Freiheit im Polizeirecht (Manuskript), 2014, S. 21 Fn. 39. 31  Zur Forderung nach einem Sicherheitsrecht, weil schon das Gefahrenabwehrrecht die Vorsorgetätigkeit der Polizeibehörden nicht hinreichend abdeckt Prümm, VR 43 (1997), S. 253 (256 f.) sowie ausführlich Kremer, Vorsorge im allgemeinen Sicherheitsverwaltungsrecht (Manuskript), 2015, S. 137 ff. 32  „Da das moderne Strafrecht von dem Ziel der Verbrechensvorbeugung beherrscht wird (‚Prävention durch Repression‘), ist es unausweichlich, die Präventivfunktion von Strafgesetzen, Strafrechtspflege und Strafe dem Staatsziel der inneren Sicherheit zuzuordnen.“, Götz, Innere Sicherheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl. 2006, § 85 Rn. 14. 33  Ähnlich unter Einbezug der äußeren Sicherheit Sieber, Der Paradigmenwechsel vom Strafrecht zum Sicherheitsrecht, in: Tiedemann/Sieber/Satzger/Burchard/Brodowski (Hrsg.), Die Verfassung moderner Strafrechtpflege, 2016, S. 351 (352); vgl. auch prägnant Kugelmann, Die Verwaltung 47 (2014), S. 25 (26 f.) und jüngst Gärditz, GSZ 2017, S. 1 (2); zum sozialwissenschaftlichen Sicherheitsbegriff vgl. Glaeßner, Sicherheit in Freiheit, 2003, S. 145 ff.; zur weitgehenden Übereinstimmung mit



II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts 21

Strafrecht zum Fluchtpunkt des „Sicherheitsrecht“ erhoben, obwohl sich die eigentlich zu verhindernde Unsicherheit (Schaden) der Konzeption nach bereits vor seiner Anwendbarkeit verwirklicht hat und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Eine Studie, die das Verhältnis von Strafrecht, Strafprozessrecht und Gefahrenabwehrrecht und deren begriffliche Konzeptionen erfassen und fortentwickeln will, muss zunächst einen umfassenden Oberbegriff finden, um sich mit allen denkbaren Argumenten auseinandersetzen zu können, die eine gemeinsame Betrachtung gebieten oder verhindern könnten.34 Begreift man „Kriminalprävention“ oder „Verbrechensbekämpfung“ als jeweiligen für die Untersuchung in Betracht kommenden Oberbegriff von Verbrechensverhütung und Strafverfolgung durch Polizei und Justiz,35 könnte sich diese Terminologie ebenso gut für eine Untersuchung des Rechts der inneren Sicherheit und damit für die Untersuchung der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ eignen. Der Begriff der Verbrechensbekämpfung scheidet als Oberbegriff allerdings schon aufgrund seiner zwei Teilworte aus: Das polizeiliche Gefahrenabwehrrecht betrifft mehr als die bloße Begegnung mit dem strafrechtlich geprägten Begriff des Verbrechens (in Abgrenzung zum „bloßen“ Vergehen im Sinne von § 12 StGB36; auch ist das Strafrecht insgesamt nur einer von vielen Fluchtpunkte des Gefahrenabwehrrechts); zudem ist der Begriff der Bekämpfung für wissenschaftliche Zwecke zu programmatisch.37 Der Bedem polizeilichen Schutzgut der öffentlichen Sicherheit m. w. N. Schöndorf-Haubold, Sicherheit und Freiheit im Polizeirecht (Manuskript), 2014, S. 21 ff.; zur Frage der Eigenständigkeit eines (Teil-)Rechtsgebiets „Sicherheitsrecht“ vgl. bereits Fn. 15. 34  Entschieden gegen ein Sicherheitsrecht, unter das sich das Recht der Strafverfolgung subsumieren lässt („Sandkastenspiele“), Kniesel, Die Polizei 2018, S. 265 (265 f. und 273); dafür BVerwGE 141, 329 (336); Gärditz, GSZ 2017, S. 1 (1 ff.) und Kremer, der auch deshalb das Allgemeine Sicherheitsverwaltungsrecht sowie das Straf- und Strafverfahrensrecht für seine Untersuchung abgrenzt, Vorsorge im allgemeinen Sicherheitsverwaltungsrecht (Manuskript), 2015, S. 138 ff. 35  Götz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 85 Rn. 6 und 14. 36  Strafgesetzbuch (StGB), in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Art. 2 G zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.11.2021 (BGBl. I S. 4906). 37  Obwohl oder gerade weil der Gesetzgeber den Begriff der Bekämpfung regelmäßig zur Etikettierung strafrechtlicher Änderungsgesetze gebraucht, vgl. nur die entsprechenden Einträge von Martin Kastner und Martin H. W. Möllers, in: Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, sub „Gesetz zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe“, „Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG)“, „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden“, „Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstof-

22 Einleitung

griff der Kriminalprävention38 wäre eine für die Untersuchung eine passendere deskriptive Beschreibung des Untersuchungsgegenstands, er scheidet allerdings schon aus sprachlichen Gründen aus.39 Kriminalprävention erfasst als umfassender Begriff zwar das gesamte Straf- und Strafverfahrensrecht und damit auch die „präventive“ Wirkung des Strafrechts, welche mit den Schlagworten „Prävention durch Repression“40 umschrieben wird. Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ sind Ausgangspunkt und Gegenstand der Untersuchung, so dass es sich verbietet, den Untersuchungsgenstand mit einem Begriff zu begrenzen, der selbst eines der Begriffsworte aufgreift. Dennoch liegt der Fokus der Untersuchung auf dem Kriminalpräventionsrecht nach Bäcker als Teilbereich des Sicherheitsrechts. In diesem ist die Begriffsverwendung im Vergleich zu den anderen Teilbereichen des Sicherheitsrechts quantitativ besonders virulent und daher gut zu veranschaulichen. Dass mit dem hier verstandenen Sicherheitsrecht zugleich das Recht der Nachrichtendienste, das des Verfassungsschutzes sowie die gefahrenabwehrrechtlichen Randbereiche mitumfasst sind, gilt es an den maßgeblichen Stellen punktuell zu berücksichtigen. 2. Relevanz der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ Die Bedeutung der Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ zeigt sich in dem vorstehend verstandenen Sicherheitsrecht an unterschiedlichsten Stellen. Die Begriffe können implizit als materielles Vorverständnis, aber auch explizit in Erscheinung treten, wenn die entsprechenden Begriffsworte in all ihren Facetten genutzt werden. Eine Konjunktur des Begriffspaars ist dort zu beobachten, wo Ermächtigungen der Polizeibehörden diskutiert werden, deren Anwendung neben dem Gefahrenabwehrrecht auch ein etwaiges Strafverfahren berühren. Anhand von Beispielen soll die inhaltliche Relevanz (a)), sprachliche Relevanz (b)), systematische Relevanz (c)) und praktische Relevanz (d)) des Begriffspaars veranschaulicht werden. fen – Grundstoffüberwachungsgesetz (GÜG)“, „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OKVBG)“. 38  Und zwar der Begriff nach Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015. 39  Darüber hinaus ist „Kriminalprävention“ selbst Rechtsatzbegriff (vgl. etwa § 1 Abs. 6 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung [HSOG] in der Fassung vom 14.01.2005 [GVBl. I S. 14], zuletzt geändert durch Art. 3 Gesetz zur Gründung der Hessischen Hochschule für öffentl. Management und Sicherheit vom 30.09.2021 [GVBl. S. 622]) und bedeutet in diesem Zusammenhang „vorbeugende Straftatenbekämpfung“ (vgl. LT-Drs. 15/848 S. 4). 40  Vgl. zur Begriffsbildung des Kriminalpräventionsrechts und dem damit einhergehenden Einbezug des Straf- und Strafverfahrensrechts nur Götz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 85 Rn. 14 und Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S. 6 ff.



II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts 23

a) Inhaltliche Relevanz Ein prägnantes Beispiel für die inhaltliche, aber auch sprachliche Relevanz des Begriffspaars ist die Diskussion um die gesetzliche Regelung so genannter bodycams.41 Diese ermöglichen eine (audio-)visuelle Dokumentation der polizeilichen Tätigkeit.42 Obwohl die Voraussetzungen für die Nutzung einer bodycam in vielen Bundes- und Landespolizeigesetzen43 gesetzlich geregelt sind, stellen sich gerade für die Bundesländer in der Pilotphase nicht nur kriminalpolitische, sondern auch verfassungsrechtliche Fragen. Im rechts­ politischen Zusammenhang ist vor allem die (tatsächliche) Wirkung strittig, die einen Einsatz dieses Instruments nach sich zieht. Ein „präventiver Effekt“ im Sinne einer Verhinderung von Gewalt hängt dabei maßgeblich von der in den Blick genommenen Art von Gewalt (Polizeigewalt oder Gewalt gegen Polizei oder Gewalt ohne Beteiligung der Polizei) ab und wird insgesamt bestritten.44 Zur Beantwortung der kriminalpolitischen Frage nach der Wirkung und damit der Sinnhaftigkeit von bodycams wird dem „präventiven“ Effekt nicht der Begriff des „repressiven“ Effekts gegenübergestellt. Der Begriff der „Repression“ wird jedoch bei den sich anschließenden kompetenzrechtlichen und materiell-rechtlichen Fragen relevant.45 So findet zur Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz für die Regelung von bodycams eine Gewichtung von „präventiven und repressiven Zwecken“ statt, um sie dem Strafverfahrensrecht und damit einer konkurrierenden Gesetzgebungs41  Umfassend zu bodycams Schmidt, Polizeiliche Videoüberwachung durch den Einsatz von Bodycams, 2018; Starnecker, Videoüberwachung zur Vorsorge, 2017; aus kriminologischer Perspektive Donaubauer, Der polizeiliche Einsatz von Bodycams, 2017. 42  Martini/Nink/Wenzel, Bodycams zwischen Bodyguard und Big Brother, NVwZExtra 2016, S. 1 (1), zu den technischen Einzelheiten Müller, Deutsche Polizei – Landesjournal Hessen, 2014, S. 2 ff. 43  § 27a BPolG, § 29 V BremPolG; § 44 PolG BaWü; § 8 Abs. 5 PolDVG HH, § 14 Abs. 6 S. 1 HSOG, § 32 Abs. 4 S. 2 Nds. SOG, § 27 Abs. 3 SPolG, § 184 Abs. 3 LVwG. 44  „Der präventive Effekt dürfte gleich null sein“, vgl. Ferdinand Otto, Gesucht: ein Wundermittel gegen Gewalt, Zeit Online vom 11.10.2016, abrufbar unter: http:// www.zeit.de/politik/2016-10/koerperkameras-polizei-deutschland-polizeigewalt-usasicherheit/komplettansicht (zuletzt abgerufen am 13.10.2016); ausführlich m. w. N. Parma, DÖV 2016, S. 809 (810). 45  Zur politischen Dimension der Frage nach der Gesetzgebungskompetenz vgl. im Überblick Christian Rath, Auf Knopfdruck Speicherung, in: taz vom 12.10.2016, S. 7, abrufbar unter: http://www.taz.de/!5343903/ (zuletzt abgerufen am 13.10.2016); dazu und zur grundrechtlichen Problematik prägnant Dennis-Kenji Kipker, Datenschutz und „Body-Cams“: Nicht nachvollziehbare Bedenken?!, abrufbar unter: http:// community.beck.de/2016/10/12/datenschutz-und-body-cams-nicht-nachvollziehbarebedenken (zuletzt abgerufen am 13.10.2016).

24 Einleitung

kompetenz des Bundes zuordnen zu können.46 Wenn bodycams mangels „prä­ ventiver“ Wirkungen als „repressives“ Instrument einzuordnen sind, hängt von dieser Einordnung nicht nur die jeweilige Gesetzgebungszuständigkeit ab, sondern es können davon auch Anforderungen an die Bestimmtheit hinsichtlich des Zwecks der Regelung abhängen.47 b) Sprachliche Relevanz Ein Beispiel für die Notwendigkeit sprachlicher Klarheit bietet die Debatte um die so genannte Vorbeugehaft, die sich stets an terroristische Anschläge anzuschließen scheint.48 Eine solche – so die Forderung – könnte als eigenständiger strafverfahrensrechtlicher Haftgrund ausgestaltet werden: Neben den tradierten, eng gefassten gefahrenabwehrrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Gewahrsams- bzw. Haftgründen könnte ein Tatbestand treten, der eine Ingewahrsamnahme einer bislang strafunauffälligen Person erlaubt, ohne dass es eines Anfangsverdachts oder einer qualifizierten Gefahr bedürfe.49 Bei diesem Instrument kulminieren damit der Zweck der Sanktion für gefahrenträchtiges Verhalten so genannter Gefährder einerseits50 und der 46  Anschaulich hinsichtlich der Begriffswörter und inhaltlich ausführlich Martini/ Nink/Wenzel, NVwZ-Extra 2016, S. 1 (8 f.), vgl. auch Kipker/Gärtner, NJW 2015, S. 296 (297); Lachenmann, NVwZ 2017, S. 1424 (1426); Ruthig, GSZ 2018, S. 12 (15); für die Videoüberwachung insgesamt sowie sprachlich explizit das Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“ in den Blick nehmend Ogorek, DÖV 2018, S. 688 (693 ff.). 47  Lachenmann, NVwZ 2017, S. 1424 (1426); Martini/Nink/Wenzel, NVwZ-Extra 2016, S. 1 (9 ff.). 48  Exemplarisch am Fall al-Bakr, bei dem die Forderung nach einer „präventiven und frühzeitigen“ Vorbeugehaft einer „überhitzten Debatte“ geschuldet war, Stefan Braun, Politiker diskutieren, wie man potenzielle Terroristen besser erkennen kann, SZ Online vom 13.10.2016, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/ sicherheit-politiker-diskutieren-wie-man-potenzielle-terroristen-besser-erkennenkann-1.3202925 (zuletzt abgerufen am 21.06.2018); ebenso differenzierend Wolfgang Janisch, Lehren aus dem Fall al-Bakr, SZ Online vom 22.10.2016, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/terrorabwehr-was-denn-noch-1.3216351 (zuletzt abgerufen am 21.06.2018); vgl. dagegen zur Notwendigkeit einer Präventivhaft in Anlehnung an § 20p BKAG Kubiciel, ZRP 2017, S. 57 (57). 49  Zur Forderung eines Haftgrundes mit der Voraussetzung „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ vgl. die Meldung der dpa, abrufbar unter: http://www. zeit.de/politik/deutschland/2016-10/sicherheit-fluechtlinge-ueberpruefung-unionchemnitz-terrorverdacht (abgerufen am. 12.10.2016); Diese Forderung wurde mit § 17 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG umgesetzt, vgl. § 1 des Gesetzes zur Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017, Bay. GVBl. Nr. 13/2017, S. 389. 50  Zum „gefahrenträchtigen Gefährderrecht“ und zum Befund, dass die Vorbeugehaft Ergebnis eines auf das Sicherheitsparadigma ausgerichteten Strafrechts ist, Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2018, S. 7 (11).



II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts 25

Gefahrenvorsorge andererseits. Die Vorbeugehaft in diesem Sinne wird auch als „Präventivhaft“ bezeichnet,51 die sich systematisch zwischen den „präventiven“ Gewahrsam und die „repressive“ Haft auch normativ einordnen ließe, ohne dass sich aus dieser begrifflichen Zuordnung eine konkrete normative Ableitung für die Gesetzgebungskompetenz und die inhaltliche Verfassungs- bzw. Rechtmäßigkeit ergäbe.52 c) Systematische Relevanz Mit Wirkung zum 24.08.2017 ist im Anwendungsbereich der StPO die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (§ 100a Abs. 1 StPO) und die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) bundesgesetzlich normiert worden.53 Kritisiert wird an dieser neu geschaffenen strafverfahrensrechtlichen Ermittlungsbefugnis – wie regelmäßig im Bereich der verdeckten technischen Ermittlungsmaßnahmen54 –, dass die „Grenze zwischen Prävention und Repression weiter verwischt“55: Parallel dazu ermächtigen nämlich vor allem die Landesgesetzgeber die Polizeibehörden zu derselben Maßnahme, jedoch zum 51  In Abgrenzung zur „faktischen Präventivhaft“, die sich aus dem Zusammen­ wirken der Tatbestände der Untersuchungshaft mit den Vorbereitungsstraftatbe­ ständen (insbesondere § 89a StGB) ergeben, vgl. prägnant Wolfgang Janisch, Lehren aus dem Fall al-Bakr, SZ Online vom 22.10.2016, abrufbar unter: http://www. sueddeutsche.de/politik/terrorabwehr-was-denn-noch-1.3216351 (zuletzt abgerufen am 21.06.2018). 52  Zur Systematik der präventiven Freiheitsentziehungen umfassend Müller, Präventive Freiheitsentziehung als Instrument der Terrorismusbekämpfung, 2011; vergleichbare sprachliche Relevanz bei der Ausweitung der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung (sog. „Fußfessel“) auf gefahrenabwehrrechtliche (präventive) Sachverhalte vgl. Guckelberger, DVBl. 2017, S. 1121 (1121 ff.); Lindner/Bast, DVBl. 2017, S.  290 (290 ff.). 53  Gesetz vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3202); Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Kritik überblicksartig bereits während des bemerkenswerten Gesetzgebungsverfahrens im Interview mit Tobias Singelnstein, abrufbar unter: https://netzpolitik. org/2017/interview-ueber-staatstrojaner-der-intensivste-grundrechtseingriff-in-derstrafprozessordnung/ (abgerufen am 23.06.2017) sowie im Anschluss an die Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag Tobias Singelnstein, Hacken zur Strafverfolgung? Gefahren und Grenzen der strafprozessualen Online-Durchsuchung, Verfassungsblog vom 02.07.2017, abrufbar unter: http://verfassungsblog.de/hacken-zurstrafverfolgung-gefahren-und-grenzen-der-strafprozessualen-online-durchsuchung/ (zuletzt abgerufen am 21.06.2018). 54  Dazu im Überblick Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S. 319  ff. sowie Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 14 ff. 55  Beukelmann, NJW-Spezial 2017, S. 440 (440); weniger systematische Bedenken Soiné, NStZ 2018, S. 497 (497 ff.).

26 Einleitung

Zweck der Gefahrenabwehr (vgl. beispielsweise §§ 53 ff. PolG BaWü56, Art. 45 Bay. PAG57, §§ 30 f. POG RP58, aber auch § 49 BKAG59). Verstärkt werde die „Grenzverwischung“ mit Hilfe und in den Grenzen der informa­ tionsverwaltungsrechtlichen Vorgaben aus der StPO und den Landespolizeigesetzen, die nach Datenerhebung einen Datenaustausch ermöglichen, vgl. vor allem § 100e Abs. 6 Nr. 3 StPO. Eine strikte Zweckbindung der Daten, wie man sie bei einem grenzfestem Sicherheitsrecht erwarten könnte, werde damit umgangen. d) Praktische Relevanz Nicht nur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft operieren unter Zuhilfenahme der Begriffe „Prävention“ und „Repression“, ein expandierendes Sicherheitsrecht beschäftigt immer wieder auch die Bundesgerichte. Sie bedienen sich des Begriffspaars insbesondere zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Ermächtigungsgrundlagen und der Rechtmäßigkeit von Eingriffsmaßnahmen. Am 20.04.2016 erklärte das Bundesverfassungsgericht Eingriffsgrundlagen aus dem BKAG 2009 (etwa Wohnraumüberwachungen, Online-Durchsuchungen und Überwachung der Telekommunikation) für teilweise unverhältnismäßig und damit nichtig. Das Urteil hat aufgrund seiner Maßstäbe auch Auswirkungen auf die Polizeigesetze der Länder und deren Reform­ bemühungen.60 Obwohl in den Entscheidungsgründen das Wort „präventiv“ lediglich drei Mal61, das Wort „repressiv“ in der Wendung „repressiven 56  Polizeigesetz (PolG BaWü) vom 06.10.2020, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 für die Polizei in Baden-Württemberg und zur Änderung weiterer polizeirechtlicher Vorschriften vom 06.10.2020 (GBl. S. 735), zuletzt geändert durch eine Berichtigung (GBl. 2020 S. 1092). 57  Polizeiaufgabengesetz (Bay. PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.09.1990 (GVBl. S. 397, BayRS 2012-1-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 23.07.2021 (GVBl. S. 418) geändert worden ist. 58  Polizei- und Ordnungsbehördengesetz des Landes Rheinland-Pfalz (POG RP) in der Fassung vom 10.11.1993 (GVBl. S. 595), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23.09.2020 (GVBl. S. 516). 59  Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz BKAG vom 01.06.2017, BGBl. I S. 1354, berichtigt 2019 S. 400), zuletzt geändert durch Art. 2 G zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 (BGBl. I S. 2099). 60  Zu dieser Einschätzung auch diss. op. Schluckebier, BVerfGE 141, 220 (366). 61  BVerfG 141, 220: „präventive Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ (S. 262), „Für Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen und damit präventiven Charakter haben […]“ (S. 270), „Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist weiterhin,



II. Dynamik des materiellen Sicherheitsrechts 27

Charakter“62 gar nur einmal erwähnt wird, hat das Urteil erhebliche Bedeutung für das Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung insgesamt; ob und ggf. wie weit umgekehrt die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ Bedeutung für das Urteil haben können und dürfen, soll durch diese Untersuchung geklärt werden. Gleiches zeigt sich auf einfachrechtlicher Ebene: Der Bundesgerichtshof hatte im Rahmen einer strafgerichtlichen Revision über die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Ermittlungspraxis zu entscheiden. Es hat eine so genannte „legendierte Kontrolle“ für grundsätzlich rechtmäßig und die daraus gewonnenen Erkenntnisse im sich anschließenden Strafverfahren für verwertbar erklärt.63 In der Entscheidung wurde dabei ausdrücklich zum Verhältnis gefahrenabwehr- und strafverfahrensrechtlicher Ermittlungsbefugnisse Stellung bezogen, wenn die Polizei „mit jeweils selbständiger präventiver und repressiver Zielsetzung tätig“64 wird (so genannte doppelfunktionale Maßnahme). Der Bundesgerichtshof konnte keinen Vorrang strafprozessualer Vorschriften gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht erkennen.65 Die Literatur hat das inhaltliche Ergebnis dieser Verhältnisbestimmung der polizeilichen Aufgaben im Rahmen von Entscheidungsbesprechungen in der Mehrzahl vehement dass Daten aus optischen Wohnraumüberwachungen von einer Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden nicht ausgeschlossen sind. Art. 13 Abs. 3 GG erlaubt für die Strafverfolgung nur den Einsatz der akustischen Wohnraumüberwachung. Dies darf durch eine Übermittlung von Daten aus einer präventiv angeordneten optischen Wohnraumüberwachung nicht unterlaufen werden.“ (S. 338 f.); darüber hinaus zwei Mal in der diss. op. Schluckebier: „Diese präventiv-polizeilich geprägten Sachverhalte […]“ (S. 366) sowie „Die hier in Rede stehenden präventivpolizeilichen Maßnahmen der Straftatenverhütung im Vorfeld und der Gefahrenabwehr unterscheiden sich von strafprozessrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen. Letztere erfolgen unter der Sachleitung eines Justizorgans (Staatsanwaltschaft), bewegen sich im weiteren Verlauf in den schützenden Formen eines differenziert ausgestalteten Verfahrens (Strafprozessordnung) und münden ohnehin regelmäßig in eine richterliche Befassung. Das gilt auch dann, wenn das Verfahren nicht zur Anklage führt, aber andere richterliche Anordnungen im Zuge der Ermittlungen erforderlich werden oder die Maßnahmen nach Verfahrenseinstellung zu einem späteren Zeitpunkt offengelegt werden.“ (S.  368 f.). 62  BVerfGE 141, 220 (270): „Für Maßnahmen, die der Strafverfolgung dienen und damit repressiven Charakter haben […]“. 63  BGHSt 62, 123 ff.; umfassend Schefer, Die Vortäuschung eines Zufallsfundes im Ermittlungsverfahren: zur Zulässigkeit so genannter „legendierter Kontrollen“, 2019; das Urteil war Gegenstand zahlreicher Urteilsbesprechungen und -anmerkungen, etwa Brodowski, JZ 2017, S. 1124 ff.; Danne, Die Polizei 2018, S. 210 ff.; Lenk, StV 2017, S. 692 ff.; Lenk, NVwZ 2018, 38 ff.; Löffelmann, JR 2017, S. 596 ff.; Mitsch, NJW 2017, S. 3124 ff.; Roggan, GSZ 2018, S. 52 ff.; Schiemann, NStZ 2017, S.  657 ff. 64  BGHSt 62, 123 (130). 65  BGHSt 62, 123 (133).

28 Einleitung

bestritten, da die Gefahr bestünde, rechtsstaatliche Standards zu unterlaufen.66

III. Institutionelles Sicherheitsrecht 1. Konkretisierung der sicherheitsrechtlichen Sicherheitsarchitektur Das materielle Sicherheitsrecht und insbesondere die hiervon erfassten Ermittlungsbefugnisse sind ein Instrument sicherheitspolitischer Steuerung. Wenn aber die Befugnisse als ausreichend empfunden und Defizite beim Vollzug identifiziert werden, kann die institutionelle Grob- und Feinjustierung in den Blick rücken.67 Das institutionelle Zusammenspiel der unterschiedlichen Sicherheitsbehörden wird regelmäßig unter dem Begriff der ­Sicherheitsarchitektur diskutiert.68 Sicherheitsbehörde ist jede öffentliche Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit wahrnimmt;69 die Sicherheitsarchitektur beschreibt die Gesamtschau von Aufbau und Organisation aller Sicherheitsbehörden, die materiell-rechtliche Sicherheitsaufgaben und Sicherheitsbefugnisse wahrnehmen dürfen. Sicherheitsarchitektur in diesem Sinne ist damit die institutionelle Organisation, die der Gewährleistung von Sicherheit insgesamt dient. Wie der „Organisation“-Begriff ist der Begriff der Sicherheitsarchitektur folglich zuvörderst soziologischer Begriff.70 Unter 66  Vor allem Lenk, StV 2017, S. 692 ff.; entschieden anderer Ansicht Danne, Die Polizei 2018, S. 210 ff. 67  Vgl. die Forderung nach der Unterscheidung zwischen dem Sicherheitsrecht als (materielle) Querschnittsmaterie und der Sicherheitsarchitektur als institutionelles Sicherheitsrecht bei Gärditz, GSZ 2017, S. 1 (2); „Die deutsche Sicherheitsarchitektur soll auf der Grundlage der bestehenden Strukturen und ihrer historischen Wurzeln fortentwickelt und an neue Herausforderungen angepasst werden“, Kugelmann, Die Verwaltung 47 (2014), 25 (25). 68  Zu dieser Einschätzung exemplarisch Müller, Präventive Freiheitsentziehungen als Instrument der Terrorismusbekämpfung, 2011, S. 22; zur Herkunft des Begriffs der Sicherheitsarchitektur aus der Informationstechnik Hofmann, Flucht, Migration und die neue europäische Sicherheitsarchitektur, 2017, S. 50 und mit zahlreichen weiteren Nachweisen vor allem zur Beliebtheit des Begriffs im Sicherheitsdiskurs Rachor/Roggan, Organisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, in: Lisken/ Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. C Rn. 12 Fn. 39. 69  Damit in dieser funktionalen Bedeutung denkbar weit, vgl. zu dem Begriff der Sicherheitsbehörde als (zum Teil restriktiver) Rechtsatzbegriff Rachor/Roggan, Organisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. C Rn. 20. 70  Zur soziologischen Dimension des Organisationsbegriffs Groß, Die Verwaltungsorganisation als Teil organisierter Staatlichkeit, in: Hoffmann-Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2012, § 13 Rn. 4; entsprechend zum Begriff der Sicherheitsarchitektur Rachor/Roggan, Or-



III. Institutionelles Sicherheitsrecht 29

der Metapher der Sicherheitsarchitektur wird entgegen diesem Begriffsverständnis aber auch über Regelungen diskutiert, die die Kooperation im Sinne der tatsächlichen Zusammenarbeit zwischen den Institutionen betreffen.71 Die Sicherheitsarchitektur im inneren Sicherheitsrecht des Bundes und der Länder lässt sich als auf drei wesentlichen Säulen fußend beschreiben: Die Strafverfolgungsbehörden, die Gefahrenabwehrbehörden und die Nachrichtendienste/Verfassungsschutzämter. Diese vertikalen Pfeiler gliedern sich darüber hinaus horizontal, nämlich föderal und supranational. Der institutionelle Zugriff allein vermag den Forschungsgegenstand damit nicht einzugrenzen. Umgekehrt erweitert sich die Perspektive, wenn die Europa-, Bundes- und Landesebene als Teil der Sicherheitsarchitektur verstanden wird. Das Sicherheitsrecht des Bundes etwa ist in vielen unterschied­ lichen nationalen Gesetzen verstreut kodifiziert.72 Es ist nicht möglich, alle Rechtsnormen zu identifizieren, die die Sicherheitsarchitektur betreffen, zumal bei einem weiten Begriffsverständnis auch nationale Sicherheitsvorschriften in Fachgesetzen (etwa aus dem Sozialrecht oder dem Bevölkerungsschutz des Umweltrechts) miterfasst werden müssten. Da die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ im Sinne einer systematischen Zweiteilung des Sicherheitsrechts untersucht werden sollen, beschränkt sich die Untersuchung auf die Grundstrukturen des Sicherheitsrechts im engeren Sinne als Referenzgebiet (dazu siehe Abbildung 1). Damit bleibt ein disparater Anschauungsgegenstand. Unterschiedliche Lebenssachverhalte werden auf unterschiedlichen Ebenen geregelt. Es gilt, die methodischen Grundzüge der Begriffsbildungen und ihren Auswirkungen zu analysieren und damit für die derzeitige und zukünftige Rechtsetzung sowie Rechtsdogmatik und Rechtsanwendung nutzbar zu machen.

ganisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. C Rn. 12. 71  Zum Teil wird auch das materielle Sicherheitsrecht unter den Begriff der Sicherheitsarchitektur subsumiert, vgl. exemplarisch Kugelmann, Die Verwaltung 47 (2014), S. 25 (25); Würtenberger, Sicherheitsarchitektur im Wandel, in: Kugelmann (Hrsg.), Polizei unter dem Grundgesetz, 2010, S. 73. 72  Vgl. nur das Inhaltsverzeichnis bei Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, S. XI ff.; dieses fokussiert darüber hinaus „nur“ das nationale Sicherheitsverwaltungsrecht und klammert damit die Strafverfolgung im Wesentlichen aus.

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Abbildung 1: Sicherheitsarchitektur

2. Relevanz der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ Der Paradigmenwechsel des Sicherheitsrechts mit den Terroranschlägen vom 11.09.200173 in den Vereinigten Staaten hat sich auch auf die deutsche Sicherheitsarchitektur unmittelbar ausgewirkt. Neben den beschriebenen inhaltlichen Expansionstendenzen74 sind institutionelle Veränderungen zu beobachten. Sie lassen sich in drei Kategorien veranschaulichen: Neben den Entföderalisierungstendenzen (a)) zeigen sich institutionelle Verschränkungen durch eine „Vernachrichtendienstlichung“ des Polizeirechts und eine „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrensrechts (b)). Darüber hinaus sind Europäisierungstendenzen zu beobachten (c)).75 73  Überblick bei Petri/Kremer, Geschichte der Polizei in Deutschland, in: Lisken/ Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn. 129 ff.; vgl. zu den weiteren Paradigmenwechseln des Sicherheitsrecht auch Fußnote 1. 74  Siehe oben unter Einleitung II.; inhaltliche Expansion und institutionelle Verschränkung bedingen sich freilich gegenseitig. 75  Ähnliche Entwicklungslinien im Überblick bei Wolff, Prävention durch Verwaltungsrecht, in: VVDStRL 81 (2022), S. 445 ff.



III. Institutionelles Sicherheitsrecht 31

a) Entföderalisierung Die Entföderalisierungstendenzen des Sicherheitsrechts sind auf unterschiedlichen Ebenen zu beobachten.76 Diese haben sich auch bis auf die Ebene der Verfassung durchgeschlagen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 dem Bund die Gesetz­ gebungskompetenz zur „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG77) und damit auf dem Gebiet der terroristischen Gefahrenabwehr zugestanden,78 die bislang in die originäre gefahrenabwehrrechtliche Zuständigkeit der Länder fiel. Daraus entstand ein gefahrenabwehrendes BKAG, das eingehend verfassungsgerichtlich kontrolliert (BVerfG 141, 220 ff.) und in Folge dessen gesetzgeberisch novelliert wurde.79 In diesem wurden dem Bundeskriminalamt vor allem technische Überwachungsbefugnisse übertragen und konturiert, die nicht nur für den Zweck der Strafverfolgung, sondern auch zum Zweck der Verhütung terroristischer Straftaten zulässig sind. Der politische Wille dieser Form der Zentralisierung lässt sich damit zunächst verfassungsrechtlich, sodann einfachrechtlich nachzeichnen.80 Neben diesen augenscheinlichen kompetenzrechtlichen Zentralisierungsfolgen ist es in vermeintlichen Gefährdungszeiten für die innere Sicherheit politisch gewollt, eine Gleichschaltung der Landespolizeigesetze durch ein so genanntes Musterpolizeigesetz der Innenministerkonferenz umzusetzen.81 76  Zu diesem Gesamteindruck seit dem 11.09.2001 umfassend Petri/Kremer, Geschichte der Polizei in Deutschland, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn. 139 ff.; Kutscha, Innere Sicherheit und Verfassung, in: Roggan/Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, 2. Aufl. 2006, S. 24 (84 f.); Thiel, Die „Entgrenzung“ der Gefahrenabwehr, 2011, S. 333; vgl. zu dieser Einschätzung auch Roggan: „[G]rundlegende[r] Umbau der deutschen Sicherheitsarchitektur, der von Zentralisierungstendenzen ebenso gezeichnet ist wie von der Vorverlagerung von Eingriffskompetenzen“, NJW 2009, S. 257 (262); Gärditz spricht von „Auflösungserscheinungen der Bundesstaatlichkeit“, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 18 ff., 219 ff.; vgl. zur materiellen Entgrenzung des Sicherheitsrecht Baldus, Die Verwaltung 47 (2014), S. 1 (1 ff.). 77  Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23.05.1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 und 2 ÄndG (Art. 104a, 143h) vom 29.09.2020 (BGBl. I S. 2048). 78  Mit Wirkung vom 1.9.2006 durch Gesetz vom 28.8.2006, BGBl. I S. 2034; zur Entstehung Abbühl, Der Aufgabenwandel des Bundeskriminalamts, 2010, S. 291 ff. 79  BKAG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neustrukturierung des BKAG vom 1.7.2017, BGBl. I 2017, S. 1354. 80  Zur „Zentralisierung der Sicherheitsarchitektur“ durch das BKAG ausführlich Roggan, NJW 2009, S. 257 (257 ff.). 81  Durch die Innenministerkonferenz verabschiedet wurde ein Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes 1976 (MEPolG) als Reaktion auf den Terror der R.A.F.,

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Der Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG) setzt naturgemäß gerade keine Kompetenzverschiebung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber im Grundgesetz voraus. Nachdem ein zunächst unverbind­ liches Mustergesetz durch die Innenministerkonferenz verabschiedet werden soll, entfaltet es seine zentralisierende Wirkung erst durch eine freiwillige Gleichschaltung im Sinne einer föderalen Selbstbeschränkung durch die Landesgesetzgeber, indem diese ihre Polizeigesetze dem MEPolG angleichen.82 Schließlich befinden sich die Landesämter für Verfassungsschutz aufgrund von Koordinationsschwierigkeiten in einer derartigen Legitimationskrise83, dass vereinzelt deren – zumindest institutionelle – Abschaffung diskutiert und eine Zentralisierung der Befugnisse beim Bundesamt für Verfassungsschutz gefordert wird.84 Flankiert werden diese innerstaatlichen Entföderalisierungstendenzen durch europarechtliche Determination und Integration sicherheitsrechtlicher Teilbereiche.85 Sicherheitsrechtliche Kompetenzfragen berühren das Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“ ebenso wie umgekehrt das Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“ sicherheitsrechtliche Kompetenzfragen berühren. vgl. dazu Die Polizei 1976, Heft 3 (Anhang), S. II; vgl. jüngst den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode vom 12.03.2018, Z. 5949 ff., 5972  f., 5990  ff.; vgl. zum aktuellen Stand: Innenministerkonferenz, Musterpolizeigesetz (MPolG) – Sachstandsbericht des UA RV zur Vorlage an die IMK – (Stand: 17.03.2021), abrufbar unter: https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/ter mine/to-beschluesse/20210616-18/anlage-zu-top-17.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 06.04.2022). Kritisch zur Behauptung einer „oft als Flickenteppich beschriebenen Sicherheitsarchitektur“ und zur eingeschränkten Bedeutung eines (neuen) Musterpolizeigesetzes im Jahre 2018 Alexander Haneke, Alle an einem Strang, F.A.Z. vom 12.07.2018, S. 8; kritisch auch Graulich, GSZ 2019, S. 9 (9 ff.); vgl. zum Musterpolizeigesetz als wiederholt reaktiv-staatliches Anti-Terror-Instrument im Überblick Esposito, ZRP 2017, S. 129 sowie ausführlich Anke Borsdorff, in: Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, sub „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes (MEPolG)“. 82  Zu den beschränkten Erfolgsaussichten hinsichtlich einer Angleichung aller Bundesländer bei einem neuen MEPolG Alexander Haneke, Alle an einem Strang, F.A.Z. vom 12.07.2018, S. 8. 83  Zu dieser Einschätzung im Zuge des NSU-Skandals Kutscha, NVwZ 2013, S. 324 (324). 84  Etwa Christian Bommarius, Der Verdacht der Kumpanei, in: Berliner Zeitung vom 23.12.2011: „Er hat nichts gehört und nichts gesehen? Dann ist er überflüssig. Er hat nichts hören und nichts sehen wollen? Dann ist er eine Gefahr für die Verfassung.“; parallel dazu ist die stärkere Bündelung von Strafverfolgungskompetenzen beim Generalbundesanwalt diskutiert worden, vgl. Wolfgang Janisch, Lehren aus dem Fall al-Bakr, SZ Online vom 22.10.2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche. de/politik/terrorabwehr-was-denn-noch-1.3216351 (zuletzt abgerufen am 08.06.2019). 85  Überblick bei von Arnauld, JA 2008, S. 327 (327 ff.); zu den Auswirkungen für das Begriffspaar „Prävention“ und „Repression“ vgl. unten Einführung III. 2. c).



III. Institutionelles Sicherheitsrecht 33

Das sicherheitsrechtliche Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern könnte sich mit Hilfe des Begriffspaars abbilden, systematisieren und bewerten lassen. Es überrascht daher nicht, wenn etwa der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur automatischen Kfz-Kennzeichenerfassung aus dem Frühjahr 2019 innerhalb der Frage der Gesetzgebungskompetenzen die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ 22 Mal verwendet.86 b) Institutionelle Verschränkungen Die institutionellen Zentralisierungstendenzen zielen auch darauf ab, Informationsverluste im Wege von Zuständigkeitsbündelungen zu minimieren. Neben dem Bestreben hin zur Zentralisierung durch Anpassung der Kompetenzen ist insgesamt ein Trend weg von einer Aufgabendifferenzierung hin zu einer gemeinsamen Aufgabenerfüllung zu beobachten.87 Dieser Trend zeigt sich in einer verstärkten institutionellen Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung. Diese Form der Zusammenarbeit zeichnet sich durch interbehördliche Kooperation ohne institutionelle Verschiebungen aus. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) etwa versucht durch die Zusammenarbeit von 40 Behörden (32 Landes- und acht Bundesbehörden) Lösungen auf Bundesebene zu koordinieren, obwohl oder gerade weil es keine eigene Bundesbehörde darstellt und sich auf Informationsaustausch und Koordination beschränkt. Da in diesem Zentrum die Sicherheitsbehörden mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und aus unterschiedlichen Ebenen koordinierend zusammenarbeiten, hat das Zusammenwirken keine kompetenziell-verfassungsrechtliche Dimension, solange das GTAZ selbst nicht operativ tätig wird. Dennoch ergeben sich Fragen hinsichtlich der informationellen Trennung zwischen polizeilichen und nachrichtdienstlichen Informationsbeständen.88 Da aber darüber hinaus die Generalbundesanwaltschaft Teil des 86  13

Mal „präventiv“ und neun Mal „repressiv“, vgl. BVerfGE 150, 244 (271 ff.). beteiligte Sicherheitsinstitution [soll] ihre besonderen Kompetenzen und Fähigkeiten nicht allein auf ihrem jeweiligen Fach- und Aufgabengebiet, sondern auf allen sicherheitsrelevanten Gebieten einbringen […]. Das alte System der Aufgabendifferenzierung soll daher abgelöst werden durch ein neues System gemeinsamer Erfüllung gemeinsamer Aufgaben. Im Zentrum steht dabei nicht die Aufklärung und Aburteilung begangener Straftaten, sondern die Gefahrenprävention.“, Gusy, Vom „Neuen Sicherheitsbegriff“ zur „Neuen Sicherheitsarchitektur“, in: Würtenberger/ Gusy/Lange (Hrsg.), Innere Sicherheit im europäischen Vergleich, S. 71 (92 f.), zu den kleinen verbliebenen Spielräumen zur Zentralisierung auf Grundlage der geltenden Verfassung im Überblick Bäcker, GSZ 2018, S. 213 (213 ff.). 88  Rachor/Roggan, Organisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7.  Aufl. 2021, Kap.  C Rn. 142 ff.; zu Bedenken hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Trennungsgebot Kutscha, NVwZ, S. 324 (325). 87  „Jede

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Zusammenschlusses ist, ergeben sich nicht nur föderale Abgrenzungsfragen, sondern auch Fragen hinsichtlich der Grenzen der Zusammenarbeit zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden. Grundrechtlich brisanter als bei bloß koordinierenden informellen Sicherheitsstrukturen wie dem GTAZ wird die institutionelle Zusammenarbeit mittels gemeinsamer Dateien. Sie führen zu informationeller Verschränkung, die nicht nur das Verhältnis zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten, sondern auch das Verhältnis von Gefahrenabwehrbehörden und Strafverfolgungsbehörden betreffen.89 Die rechtlichen Grundlagen der Anti-Terror-Datei, die auf Grundlage des ATDG90 errichtet wurde, ist vom Bundesverfassungsgericht teilweise für nichtig erklärt worden.91 Im Urteil „Antiterror­ dateigesetz I“ werden Maßstäbe formuliert, die der institutionellen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden Grenzen setzen.92 Im Anschluss an das Urteil und dem vorangegangenen Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts, dass das Rechtsstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und der Schutz der Grundrechte es verbieten können, bestimmte Behörden miteinander zu verschmelzen oder sie mit Aufgaben zu betrauen, die mit ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung nicht vereinbar sind,93 wurde diskutiert, ob ein Trennungsgebot auch zwischen Gefahrenabwehrbehörden und Strafverfolgungsbehörden existiert,94 das der „Verpolizeilichung des Strafverfahrens“ Grenzen zu setzen vermag.95 Der Weg hin zu dieser Form der informationel89  Näher dazu Sommerfeld, Verwaltungsnetzwerke am Beispiel des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums des Bundes und der Länder (GTAZ), 2015, S. 154 ff. 90  Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern vom 22.12.2006 (BGBl. I S. 3409), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 1 Gesetz zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes vom 30.03.2021 (BGBl. I S. 402). 91  BVerfGE 133, 277; 156, 11. 92  BVerfGE 133, 277 (316 ff.); wobei diese Grenzen nicht bei der gemeinsamen Nutzung zu präventiven und repressiven Zwecken liegt und die Gemengelage auch keine Bundeskompetenz ausschließt: „Die Kompetenz für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Polizeibehörden beschränkt sich dabei nicht auf die Strafverfolgung. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG soll die Möglichkeit schaffen, föderale Zuständigkeitsgrenzen bei der Erfüllung repressiver und präventiver Aufgaben zu lockern. Der Begriff „Kriminalpolizei“ in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe a GG schließt nicht aus, dass der Bund eine Zusammenarbeit auch zur Verhinderung von Straftaten regeln kann, sondern dient lediglich der Beschränkung auf Regelungen, die sich auf bedeutsame Straftaten von Gewicht beziehen“ (vgl. BVerfGE 133, 277 [318]; 156, 11 [41 f.]). 93  BVerfGE 97, 198 (217); zur Vernachrichtendienstlichung der polizeilichen Ermittlungstätigkeit im Überblick Schünemann, ZStW 119 (2007), S. 945 (949 f.). 94  M. w. N. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 566 ff. 95  M. w. N. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen, 2016, S. 4 ff., 486 ff.; so auch schon Paeffgen, „Verpolizeilichung“ des Strafprozesses – Chi-



III. Institutionelles Sicherheitsrecht 35

len Zusammenarbeit der unterschiedlichen Sicherheitsbehörden wurde als der Weg hin zu einer „neuen Sicherheitsarchitektur“ bewertet.96 Den institutionellen Justierungen, die sich unter den pejorativen Stichworten „Vernachrichtendienstlichung des Polizeirechts“ und „Verpolizeilichung des Strafverfahrensrechts“ zusammenfassen lassen,97 ist gemein, dass sie Auswirkungen auf das grundsätzliche Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht insgesamt haben könnten.98 Das Recht der Nachrichten- und Geheimdienste ist in dieser Untersuchung auszuklammern, obwohl die Überschneidung von Ermittlungsbefugnissen gerade im Vorfeldbereich polizeilicher Tätigkeit das Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“ insgesamt ins Wanken gebracht hat.99 Diese Einschränkung folgt dem verfassungsgerichtlich bestätigten institutionellen und materiellen Trennungsgebot.100 Die materiellen Maßstäbe für einen Umbau der Sicherheitsarchitektur, die sich insoweit aus der begrifflichen Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ ergeben könnten, sind dagegen zu ermitteln, da sie Rückschlüsse auf den Untersuchungsgegenstand zulassen können. c) Europäisierungstendenzen Die föderale Zentralisierung und die institutionellen Verschränkungstendenzen auf Bundes- und Landesebene werden mit der fortschreitenden europäischen Integration ergänzt und verstärkt. Die innere Sicherheit in den einzelnen Mitgliedstaaten wie auch die innere Sicherheit aller Mitgliedstaaten insgesamt ist ein primärrechtlich vorgegebenes Ziel der Union. Dies ergibt sich aus den Art. 3 Abs. 2 EUV101 und den Art. 67 ff. AEUV102, wonach die märe oder Gefahr?, in: Wolter (Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, 1995, S. 13 (13 ff.); Schünemann, ZStW 119 (2007), S. 945 (945 ff.). 96  So schon Roggan/Bergemann, NJW 2007, S. 876 (876 ff.). 97  Dazu im Überblick Schünemann, ZStW 119 (2007), S. 945 (945 ff.). 98  „Die Herausforderungen, denen sich die grundgesetzliche Kompetenzverteilung – insbesondere durch die einfachrechtliche Entwicklung – ausgesetzt sieht, sind bekannt: Es ist dies sowohl die Tendenz zur Zentralisierung der Sicherheitsarchitektur als auch zur vorgelagerten oder ‚vorbeugenden Straftatenbekämpfung‘, die sich nur sperrig in die Fundamentalunterscheidung deutscher Sicherheitsarchitektur von Prävention und Repression fügen will.“, Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 277. 99  Thiel, Die „Entgrenzung“ der Gefahrenabwehr, 2011, S. 368 ff. 100  Auf ein etwaiges Trennungsgebot zwischen Strafverfahrensbehörden und Gefahrenabwehrbehörden wird allerdings zurück zu kommen sein, vgl. D. I. 2. c) bb), vgl. in diesem Zusammenhang auch im Überblick das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendienst und Polizeibehörden unter D. I. 2. c). 101  Vertrag über die Europäische Union (EUV) in der Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (ABl. EG Nr. C 115 vom

36 Einleitung

EU ihren Bürgerinnen und Bürgern neben dem Raum der Freiheit und des Rechts einen Raum der Sicherheit bietet. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union greift den Rechtsanspruch auf „Sicherheit“ dabei flankierend in Art. 6 GRCh103 auf. Dabei hat die EU nach Art. 4 Abs. 2 S. 3 EUV die grundlegenden Funktionen der Mitgliedstaaten zu achten, worunter insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der nationalen Sicherheit fallen. Art. 4 Abs. 2 S. 4 EUV macht nachdrücklich deutlich, dass die nationale Sicherheit (weiterhin) in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt.104 Trotz dieser zunächst „nur“ auf freiwilliger Kooperation der Mitgliedstaaten angelegten primärrechtlichen Grundkonzeption im Bereich der inneren Sicherheit ist ein „unterschwelliger Trend“ zur Harmonisierung des Sicherheitsrechts zu beobachten.105 Erste Harmonisierungstendenzen lassen sich im Bereich des Datenschutzrechtes beobachten.106 Darüber hinaus

9.5.2008, S. 13), zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112/21 vom 24.04.2012 mit Wirkung vom 01.07.2013). 102  Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der Fassung aufgrund des am 01.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (ABl. EG Nr. C 115 vom 09.05.2008, S. 47), zuletzt geändert durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EU L 112/21 vom 24.4.2012 mit Wirkung vom 1.7.2013). 103  Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391). 104  Die sicherheitsrechtliche Kompetenzgarantie für die Mitgliedstaaten ist Ausdruck des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und wird in Art. 72 AEUV wiederholt, vgl. dazu m. w. N. Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, 2010, S. 26 ff.; siehe auch das Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag: „im Grundsatz integrationsfeste mitgliedstaatliche Strafkompetenz“, BVerfGE 123, 267 (413) und jüngst Karpenstein/Sangi, GSZ 2020, 162 ff. 105  Zu diesem Befund von Arnauld, JA 2008, S. 327 (334 f.), vgl. dazu und zu den „Vergemeinschaftungstendenzen“ Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, 2010, S. 46, aber auch im Überblick Schöndorf-Haubold, Europäisches Polizei- und Sicherheitsrecht, in: Terhechte, Jörg (Hrsg.), Verwaltungsrecht in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2021, § 35. 106  Vgl. insbesondere die Richtline (EU) 2016/680 vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates („JI-Richtlinie“); zu den Sicherheitskooperationen auf unionaler Ebene Schöndorf-Haubold, Auf dem Weg



III. Institutionelles Sicherheitsrecht 37

plant die Europäische Kommission, politisch die Weichen zu einer „echten und wirksamen Sicherheitsunion“ zu stellen.107 Unionale Abgrenzungsfragen der „Prävention“ und „Repression“ können daher aus zwei zentralen Gründen bei der weiteren Untersuchung ausgeblendet werden: Zum einen ist das EU-Recht schon in Art. 3 Abs. 2 EUV („Raum […] der Sicherheit […] mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf […] die Verhütung und die Bekämpfung der Kriminalität“) i. V. m. Art. 82 ff. AEUV weder auf eine kompetenzielle noch auf eine inhaltliche Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ angelegt. Dies wird dadurch deutlich, dass die europäischen Verträge sowie das Sekundärrecht die Rechtsfolgen nicht davon abhängig machen, ob es sich um die Verhütung oder die Bekämpfung von Straftaten handelt, sondern stets eine der beiden Aufgaben gleichermaßen genügen lässt.108 Auch Art. 84 AEUV sollte schon der Konzeption nach eine einseitige Ausrichtung der justiziellen Zusammenarbeit auf die („repressive“) Strafverfolgung (vgl. Art. 82 f. AEUV) vermeiden.109 Zum anderen ist auch in der Rechtswissenschaft anerkannt, dass sich das europäische Sicherheitsverwaltungsrecht in Abgrenzung zur „Europäisierung des Strafrechts“ „auf die Gewährleistung innerer Sicherheit in Europa durch Behörden aller Ebenen des europäischen Verwaltungsverbundes [bezieht], ohne im Ansatz zwischen präventiven und repressiven Maßnahmen zu unterscheiden“110, so dass allein der handelnde Akteur (etwa Europol) ent-

zum Sicherheitskooperationsrecht?, in: Dietrich/Gärditz/Graulich/Gusy/Warg (Hrsg.), Nachrichtendienste in vernetzter Sicherheitsarchitektur, 2020, S. 3 ff. 107  KOM (2016), 230 endg. vom 20.04.2016. 108  Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 Abs. 3 („durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität […], zur Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege […] ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten“), 75 Abs. 1, 87 Abs. 1 („anderer auf die Verhütung oder die Aufdeckung von Straftaten sowie entsprechende Ermittlungen spezialisierter Strafverfolgungsbehörden.“), 88 Abs. 1, 325 Abs. 4 AEUV; eine Trennung sehen demgegenüber die Art. 83 f. AEUV vor, in denen die unionale Rechtsetzungskompetenz hinsichtlich des grenzüberschreitende Strafrechts und des Rechts der Kriminalprävention variieren. 109  Schlussbericht der Gruppe X „Freiheit, Sicherheit und Recht“, CONV 426/02, S. 12. 110  Schöndorf-Haubold, Europäisches Sicherheitsverwaltungsrecht, 2010, S. 30 f. und auch S. 43 f.; vgl. auch Gärditz, Prävention und Repression als Kategorien im Recht der Europäischen Union, in: Wolter/Schenke/Hilger/Ruthig/Zöller (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz, 2008, S. 192 (208 ff.); Möstl, EuR 2009, Beiheft 3, S. 33 (50 f.); Paeffgen, in: Wolter/Schenke/Hilger/Ruthig/Zöller (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz, 2008, S. 173 (173 ff.); zur Abgrenzung von der Kriminalprävention i. S. d. Art. 84 Kugelmann, Europäische Polizeiliche Kooperation, in: Böse (Hrsg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 9, § 17 Rn. 56.

38 Einleitung

scheidend ist.111 Freilich ist die begriffstheoretische Kritik am Begriffspaar „Prävention“ und „Repression“ aus nationaler Perspektive für das Verständnis, die Einordnung und die Bewertung des europäischen Sicherheits­ (verwaltungs)rechts nicht uninteressant: Die kategoriale Zweiteilung im natio­nalen Recht wird nämlich in Deutschland auch bei der wissenschaft­ lichen Durchdringung des positiven Unionrechts „als Folie genutzt“, so dass aus dieser Gegenüberstellung etwa der Schluss gezogen wird, dass das Unionsrecht „zu einer nicht unerheblichen Nivellierung der Unterschiede zwischen Prävention und Repression“ führt, die „[f]unktionale Trennlinien zerfasern“ und (auch) deshalb die alternativ gewählten Rechtsatzbegriffe „allenfalls geringe Beiträge zur Gewaltenteilung und formalen Freiheitssicherung erwarten lassen“.112 Dies führt zu der Frage, ob das gegenübergestellte natio­nale Recht begrifflich ausreichend konturiert ist, ob die Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ materielle Funktionen erfüllt und ob die Gegenüberstellung sinnvoller Bezugspunkt zur Erfassung, Bewertung und Fortentwicklung supranationaler Rechtsordnungen ist. Es bleibt daher allein das nationale allgemeine innere Sicherheitsrecht begriffstheoretischer Untersuchungsgegenstand.

IV. Kooperation und Koordination im Sicherheitsrecht Die Fortentwicklung des materiellen Sicherheitsrechts und der institutionellen Sicherheitsarchitektur wird flankiert von der Entstehung eines eigenständigen Teilrechtsgebiets „Sicherheitsrecht“.113 Das Sicherheitsrecht bedient sich als Querschnittsmaterie114 begrifflich bei den von ihm erfassten Teilrechtsgebieten. Teil dieser Querschnittsmaterie sind unter anderem das Polizei-, das Strafverfahrens- und das Strafrecht. Die tradierte Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ stellt ein eigenes, vor allem aus der Perspektive des Polizeirechts vermeintlich systematisierendes Koordinatensystem dar. Im Sicherheitsrecht wird die begriffliche Gegenüberstellung dem ersten Anschein nach genutzt, um das Verhältnis der drei Teilrechtsgebiete zueinander innerhalb des Sicherheitsrechts zu beschreiben. Die dränEuR 2001, S. 826 (827). Prävention und Repression als Kategorien im Recht der Europäischen Union, in: Wolter/Schenke/Hilger/Ruthig/Zöller (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz, 2008, S. 192 (230). 113  Vgl. nur die Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht (GSZ), den Titel des Kommentars Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg sowie den Sonderforschungsbereich „Dynamiken der Sicherheit“ in Marburg. 114  Zu diesem Befund Gärditz, GSZ 2017, S. 1 (1). 111  Hecker,

112  Gärditz,



V. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse39

genden Fragen des Sicherheitsrechts nach übergreifender Kooperation und Koordination sollen durch die gemeinsame Betrachtung der drei Teilrechtsgebiete in einem neuen Rechtsgebiet und auch unter Bezugnahme des Begriffspaars einer Lösung zugeführt werden. Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ haben hohe semantische Relevanz; sie könnten daneben kompetenzielle und materielle Grenze für die Rechtsetzer des Sicherheitsrechts markieren. Da die Reichweite der inhaltlichen Bedeutung beim ersten semantischen Zugriff oft unklar bleibt, ist für einen sinnvollen Umgang mit den Begriffen im (neuen) Sicherheitsrecht Grundvoraussetzung, die deskriptiven und die normativen Bedeutungen und die darüberhinausgehenden Besonderheiten des Begriffspaars im tradierten Polizeirecht zu erkennen und zu beschreiben.

V. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse In Zeiten politischer Aufgeregtheit und progressiven Aktionismus’ dient das Recht der dringenden Warnung zur Weitsicht und Differenziertheit. Der Gesetzgeber hat die Vorgaben seiner Verfassungen zu achten, die Sicherheitsbehörden haben innerhalb des gesetzlichen Rahmens zu handeln. Das lesbare und leicht zugängliche positive Recht bindet die Sicherheitsgewalten rechtlich. Daneben, konkretisierend und ergänzend, existieren Vorverständnis und Dogmatik, die für die Anwendung des Rechts unerlässlich sind. Fehlverständnisse offen zu legen und Tradiertes zu reflektieren, ist zusammen mit der Systembildung gleichberechtigte Aufgabe der Rechtswissenschaft. Die polizeirechtlichen Begriffe „Prävention“ und „Repression“ suggerieren im Polizeirecht normative und systematisierende Funktion. An Abhandlungen, die sich mit der Abgrenzung von „Prävention“ und „Repression“ befassen, mangelt es nicht: Sie lassen sich in Arbeiten über die Einordnung einzelner Ermittlungsmaßnahmen in das dichotome System115 115  Etwa Bodenbenner, Präventive und repressive Datenverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung des Zweckbindungsgedankens, 2017; Büllesfeld, Polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze zur Kriminalitätsvorsorge, 2002; Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000; Graf, Verdachtsund ereignisunabhängige Personenkontrollen, 2006; Jahn, KritV 2004, S. 24 ff.: Jahn, Der Verdachtsbegriff im präventiv orientierten Strafprozess, Initiativ-, Vor-, Strukturermittlungen der Staatsanwaltschaft und ihre rechtsstaatliche Kontrolle, in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaat­ lichen Strafrechts, 2007, S. 545 ff.; Kopp, Das Platzverweisverfahren des Polizeivollzugsdienstes, 2012; Maximini, Polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze zur Kriminalitätsprävention, 2011; Paeffgen, Kompetenzen zur (präven­ tiven und repressiven) Datenübermittlung, in: Wolter/Schenke/Rieß/Zöller (Hrsg.), Datenübermittlungen und Vorfeldermittlungen, 2003, S. 153 ff.; Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, 1992; Schefer, Die Vortäuschung

40 Einleitung

und in Arbeiten, die sich mit der grundsätzlichen Bedeutung der Dichotomie für das Polizeirecht und/oder das Strafrecht auseinandersetzen,116 unterteilen. Gemein ist diesen Arbeiten, dass sie nicht das dichotome Vorverständnis von „Prävention“ und „Repression“ in Frage stellen. Im Gegenteil: Sie bemächtigen sich der Unterscheidung, sie kritisieren sie und ordnen sie neu. Aber letztlich sichern sie damit ihren Fortbestand. Eine sicherheitsrechtliche Rechtsanwendung im Grenzbereich zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfahrensrecht scheint daher nicht mehr sinnvoll möglich zu sein, ohne über die Bedeutung des Rechtsanwendungsergebnisses für die Dichotomie von „Prävention“ und „Repression“ Rechenschaft ablegen zu müssen. Selbst Gerichte kommen teilweise nicht mehr ohne wissenschaftlich anmutende Abhandlungen aus, wollen sie ein Ergebnis begründen, das sich nicht auf den ersten Blick mit der Einteilung des Sicherheitsrechts in „Prävention“ und „Repression“ vereinbaren lässt.117

eines Zufallsfundes im Ermittlungsverfahren: zur Zulässigkeit so genannter „legendierter Kontrollen“, 2019; Schmidt, Polizeiliche Videoüberwachung durch den Einsatz von Bodycams, 2018; Vollmar, Telefonüberwachung im Polizeirecht, 2008; Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996; Welsing, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen der Terrorabwehr, 2009; Zschoch, Die präventiv-polizeiliche Rasterfahndung, 2007. 116  Vor allem Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015; Bäuerle: Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/ Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 ff.; Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016; Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003; Gusy, Prävention und Repression  – Vom Nachtwächterstaat zum Präventionsstaat?, in: Kugelmann (Hrsg.), Polizei unter dem Grundgesetz, 2010, S. 11 ff.; Hassemer, JuS 1987, S. 257 ff.; Kniesel, Die Polizei 2018, 265 ff.; Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts, 2008; Kral, Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts, 2012; Kugelmann/Rackow (Hrsg.): Prävention und Repression im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2014; Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002; Rieger, Die Abgrenzung doppelfunktionaler Maßnahmen der Polizei, 1994; Roggan, KritV 1998, S. 336 ff.; Rudolph, Antizipierte Strafverfolgung, 2005; Stümper, Kriminalistik 1975, S. 49 ff.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, 1989; im Zusammenspiel mit den Nachrichtendiensten Thiel, Die „Entgrenzung“ der Gefahrenabwehr, 2011; im Zusammenhang mit der Europäisierung des Sicherheitsrechts Gärditz, Prävention und Repression als Kategorien im Recht der Europäischen Union, in: Wolter/Schenke/Hilger/Ruthig/Zöller (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz, Heidelberg 2008, S. 192 ff. 117  Vgl. nur die jüngsten Urteile des BVerfGE 150, 244 (271 ff.) („Kfz-Kennzeichenkontrollen II“), BGHSt 62, 123 (128 ff.) („legendierte Verkehrskontrolle“) und BVerwGE 141, 329 (336 ff.) („Videoüberwachung“).



V. Forschungsstand und Erkenntnisinteresse41

Die Aufgabenabgrenzung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist seit der Reform des Strafverfahrens durch die Strafprozessordnung von 1877 umstritten.118 Das Austarieren der Befugnisse ist aus rechtsstaatlicher Perspektive in der Sache unerlässlich und gewinnbringend. Nuancen können über Freiheitsgefühl und Unterdrückungsangst, über Sicherheit vor Schäden und nicht mehr zu verhindernden Nachteilen entscheiden. Verschärft werden die damit einhergehenden Erörterungen zusätzlich durch grundlegende Fragen zur Gewaltenteilung. Entscheidet man ein einzelnes Abgrenzungsproblem zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, kann zugleich der Rückgriff auf Grundfragen der Verfassungstheorie und der Staatszwecklehren geboten sein. Auch haben die Abgrenzungsfragen eine rechtspraktische, politische und gesellschaftliche Relevanz, weil das Verhältnis zwischen Staat und Bürger ganz grundsätzlich in den Blick gerät. Die Abgrenzungsfragen zwischen „Prävention“ und „Repression“ sind vielfältig und betreffen zahlreiche tradierte Teilrechtsgebiete, die von dem in der Entstehung begriffenen Sicherheitsrecht in den Blick genommen werden. Für die Lösung einzelner Abgrenzungsprobleme sind die ausdifferenzierte Rechtsdogmatik und die terminologische Besonderheit des betreffenden Teilrechtsgebiets spezifisch zu beachten. Gleichzeitig findet die konzeptionelle Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ Eingang in die Rechtsanwendung, ohne dass die semantische, dogmatisch-normative und systematische Reichweite der Begriffe selbst ausreichend und vor allem ausdrücklich geklärt ist. Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ durchdringen den sicherheitsrechtlichen Diskurs, so dass dieser mit Hilfe des Begriffspaares vordergründig zu funktionieren scheint: Jedes Instrument, das von den Sicherheitsbehörden eingesetzt wird, wird an den entsprechenden Maßstäben austariert. Verwendet man jedoch unreflektiert juristische Begriffe innerhalb rechtsanwendender Argumentation, besteht die Gefahr, Probleme zu verkennen oder unausgesprochen zu lassen. Dies könnte dazu führen – so die Hypothese –, dass argumentatives Terrain für den Rechtsanwender bzw. epistemisches Terrain für den Rechtswissenschaftler verschlossen bleibt. Wenn man den normativen Gehalt des Begriffspaars abschließend klärt, eröffnet man durch eine möglicherweise angezeigte „begriffliche Abrüstung“ erheb­liches Vereinfachungspotential für Rechtsanwendungen im Sicherheitsrecht. Dies würde 118  Denninger/Poscher: „Die Vermischung von Prävention und Repression hat schon seit der Reform des Strafverfahrens durch die StPO von 1877 die Köpfe der Polizeioberen fasziniert und 100 Jahre später zu der rechtspolitisch problematischen, aber plausibel erscheinenden Zweckvorstellung geführt, die undefinierte „innere Sicherheit“ am besten durch einen gemeinsamen „Kampf“ der Polizei und Justiz gegen die „Kriminalität“ an sich zu garantieren“, in: Lisken/Denninger (Begr.), 5. Aufl. 2012, Kap. B Rn. 98.

42 Einleitung

dann nicht nur unnötig aufgeblähten juristischen Operationen abhelfen, sondern könnte darüber hinaus auch folgenschwere fehlerhafte juristische Wertungen offenlegen. Damit ist zugleich das zentrale Erkenntnis­interesse angesprochen, das zwischen Rechtsdogmatik und Rechtswissenschaftstheorie changiert. Nur mit Hilfe einer rechtsdogmatischen Analyse kann ein mög­ licher normativer Gehalt des Begriffspaares „Prävention“ und „Repression“ extrahiert werden. Diese Analyse erfordert die Darstellung der Grundlagen der materiellen Abgrenzungsfragen, die sich an der tradierten Schnittstelle zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung befinden. Die Untersuchung soll aber darüber hinausgehen. Leitfrage ist dabei, ob die juristische Begriffsbildung als rechtswissenschaftliche und rechtswissenschaftstheoretische Subdisziplin ihrerseits Maßstäbe bereithält, die den Umgang mit rechtsdogmatisch-tradierten Begriffen anleiten. Mit diesem begriffszentrierten Ansatz der Untersuchung mag die Gefahr verbunden sein, Begriffe in sehr kleinlich wirkender Exaktheit zu analysieren und zu bewerten oder gar in idiosynkratrische Begriffspedanterie abzudriften. Ziel der Untersuchung ist es, triviale und tautologische Begriffserwähnungen von normativen Irrungen exakt zu unterscheiden und – wenn nötig – auch kleinteilig auszuformulieren, um die begriffstheoretischen Funktionen, Wirkungen und Reflexe des Begriffspaars „Prävention“ und „Repression“ zu entschlüsseln.

VI. Anschauungsgegenstand und Methode Wenn ein normativer Gehalt der begrifflichen Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ zu finden wäre, ist er rechtsdogmatisch vor allem auf drei Ebenen des tradierten Polizeirechts zu suchen: Der Abgrenzung hinsichtlich der sicherheitsrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen, der Ermittlungsbefugnisse vor allem der Polizeibehörden sowie des Rechtsschutzes gegen sicherheitsrechtliche Maßnahmen. Diese drei Abgrenzungsfragen bilden somit im Wesentlichen den Anschauungsgegenstand, um die normativdogmatische Bedeutungen der Begriffe im tradierten Polizeirecht und die daraus resultierende Bedeutung im Rahmen des Migrationsprozesses in das Sicherheitsrecht offenzulegen. Eine begriffszentrierte Untersuchung erschöpft sich allerdings nicht in einer dogmatischen Analyse, sondern erfordert darüber hinaus die etymologische und historische Kontextualisierung der begrifflichen Unterscheidung. Der Anschauungsgegenstand liegt schwerpunktmäßig auf den Ebenen des einfachen Rechts und des Verfassungsrechts. Die aus der Analyse der Abgrenzungsfragen gewonnenen Bedeutungen der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ liegen damit auf mittlerer – d. h. gesetzeskonkretisierender und gesetzessystematisierender – Abstraktionsebene. Begriffliche Klarheit in die-



VII. Gang der Untersuchung43

sen vernebelt erscheinenden Blick zu bringen, bietet gerade bei der weitgehenden Ausblendung des Realbereichs ein Potential für den sicherheitspolitischen und sicherheitsrechtlichen Diskurs: Mit der unentwegten Ansicht einer sich immer schneller ändernden, globaler, komplexer und digitaler werdenden Welt, mit der eine auch entgrenzte Kriminalität korrespondiere, wird schnell die Forderung verknüpft, dem strukturellen Wandel auch sicherheitspolitisch und sicherheitsrechtlich aktiv nachzufolgen. Bei diesem Verständnis von Kriminalität kann dem Realbereich das historisch gewachsene Sicherheitsrecht als starres, anachronistisches und sicherheitshemmendes Korsett gegenübergestellt werden. Die konkrete Fortentwicklung des geltenden Polizei- und Strafverfahrensrechts im Sinne eines Sicherheitsrechts kann nicht Gegenstand dieser begriffszentrierten Untersuchung sein, unterliegt sie doch politischen Sachzwängen und einer gesteigerten Volatilität. Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ sind jedoch wesentlicher Teil der aktuellen Kommunikation im Sicherheitsrecht. Für die Überprüfung und – sofern sie als nicht zukunftsfähig bewertet werden – gegebenenfalls Aufgabe des tradierten Regelungsmusters ist das Verständnis über die geltende normative Bedeutung des Begriffspaars im Sicherheitsrecht notwendige Bedingung. Die folgende rechtstheoretische Analyse und Bewertung des Begriffspaars vermag mithin reflexartig den Realbereich zu befruchten; dies vor allem, indem Regelungsbereiche, die durch ein Fehlverständnis von „Prävention“ und „Repression“ unscharf oder gar fehlerhaft determiniert sind, einem rationalen Diskurs (wieder) zugänglich zu machen.

VII. Gang der Untersuchung Ausgangspunkt der Untersuchung im Ersten Teil (A.) ist ein sprachlicher Zugriff. Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ werden zunächst als Einzelbegriffe etymologisch untersucht und die Besonderheiten in den jeweiligen zu differenzierenden Diskursen aufgezeigt; sodann ist vor allem das sprachliche Verhältnis der Begriffe zueinander zu ergründen. Nach der Beschreibung der sprachlichen Auffälligkeiten werden im Zweiten Teil (B.) die theoretischen Prämissen offengelegt, die der Untersuchung zugrunde liegen. Dabei sollen begriffstheoretische, methodische und verfassungsrechtliche Maßstäbe formuliert werden, anhand deren die Analyse der Begriffe im Sicherheitsrecht auszurichten ist. Da es sich bei den Rechtsbegriffen „Prävention“ und „Repression“ um keine sicherheitsrechtlichen Rechtsatzbegriffe handelt,119 sind vor allem die Maßstäbe, die die juristische Begriffsbildung zur Verfügung stellt, von besonderem Interesse. Der Dritte Teil (C.) eröffnet die rechtshistorische Dimension des Begriffspaars. Für die Ermittlung der 119  Vgl.

dazu näher unter A. II. 3.

44 Einleitung

Bedeutungen der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ ist nicht nur die Analyse des Gebrauchs der Begriffe in der Alltagssprache unerlässlich, sondern auch die Analyse des Gebrauchs der Begriffe in der historischen Entwicklung des Straf(verfahrens)rechts, des Polizeirechts und des Sicherheitsrechts. Die Bedeutungen von (Rechts-)Begriffen fußen auf ihrem historischen Gebrauch. Das historische Verständnis der Begriffe als Teil vor allem des polizei- und strafrechtlichen Diskurses ist Grundlage für die sich anschließende rechtsdogmatische Analyse. Die normative Bedeutung innerhalb der sicherheitsrechtlichen Rechtsdogmatik ist im Vierten Teil (D.) zu erforschen. Dieser Teil erörtert die Abgrenzungsfragen im Polizeirecht sowie die Bedeutung eines Perspektivwechsels für diese Abgrenzungsfragen durch ein in der Entstehung begriffenes Sicherheitsrecht. Dabei wird der Blick auf das (normative) Einwirken des Begriffspaars im Rechtsanwendungsprozess gerichtet. Im Fokus der Untersuchung steht die Frage, ob es ein einheitliches, deskriptives oder sogar normatives Konzept zur Verwendung der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ gibt. Im darauf aufbauenden Fünften Teil (E.) werden die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung verdichtet und die Verwendung des Begriffspaares wird auf drei grundsätzlichen Ebenen kritisch hinterfragt: einer semantischen, einer inhaltlichen sowie einer systematisierenden Ebene. Im Anschluss daran werden im abschließenden Sechsten Teil (F.) in begrifflicher Hinsicht die Determinanten und Erfolgsgaranten für ein multidimen­ sionales Sicherheitsrecht in Thesenform zusammengefasst.

A. Sprachliche Grundlagen Bevor die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ fachsprachlich untersucht werden, soll die umgangssprachliche Bedeutung der Begriffsworte (im Sinne von Etiketten) analysiert werden. Die umgangssprachliche Bedeutung der Worte ist durch ihre Geschichte und Herkunft zu klären (I.). Da die beiden Worte im polizeirechtlichen Kontext auch als dichotome Begriffe verwendet werden, ist im Anschluss daran zunächst das alltagssprachliche Verhältnis der Worte zueinander darzustellen. Das Verhältnis und die Bedeutung der Worte zueinander unterscheiden sich in der Fachsprache vom Alltagssprachgebrauch. Die Bedeutung der Begriffe ihrerseits ist disziplin- und innerhalb der jeweiligen Disziplin kontextabhängig, so dass eine Synopse über die unterschiedlichen Sprachebenen erfolgt, in denen die Worte „Prävention“ und „Repression“ semantisch relevant sind und problembehaftet sein können (II.).

I. Etymologie Eine (eindeutige) Begriffsbedeutung gibt es nicht. Es gibt verschiedene Bedeutungsinhalte sowie zahlreiche Bedeutungsvariationen und Bedeutungsnuancen. Den ersten Zugriff auf die Bedeutungen bieten die Etymologie der Einzelworte „Prävention“ (1.) und „Repression“ (2.) sowie ihre grammatikalischen Varianten. Mit Hilfe der etymologischen Untersuchung sollen neben einer Bedeutungsannäherung auch meliorative (d. h. aufwertende), neutrale und pejorative (abwertende) Bedeutungszusammenhänge der Worte dargestellt werden.120 120  Pejorativ ist ein Ausdruck, wenn er das durch ihn Bezeichnete (implizit) abwertet, meliorativ ist ein Ausdruck, wenn er das durch ihn Bezeichnet implizit aufwertet, vgl. zu diesem Begriffsverständnis im Überblick Helmut Rehbock, in: Glück/ Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon, Sprache, 5. Aufl. 2016, S. 422 sub „Meliorativ“ und S. 502 sub „Pejorativ“; vgl. zu der besonders hohen Kontextabhängigkeit und der daraus resultierenden Labilität von meliorativen und pejorativen Zuschreibung prägnant Hornscheidt: „Dieses Modell [die Pejorisierung] setzt sich aus mehreren Dimensionen zusammen: die sprachliche Handlung, die konventionalisierten und immer wieder neu ausgehandelten Bedeutungen sprachlicher Zeichen, die Situation der sprachlichen Handlung mit den an dieser Kommunikation Beteiligten und die mit der sprachlichen Handlung appellierten Personen und/oder aufgerufene Normalvorstellung. Für die Bestimmung dazu, ob eine sprachliche Handlung eine Pejorisierung ist, sind alle diese Dimensionen zusammen von Relevanz. Nur in ihrem Zusammenspiel

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A. Sprachliche Grundlagen

1. „Prävention“ Das deutsche Wort „Prävention“ stimmt hinsichtlich seines Wortkörpers mit dem spätlateinischen praeventio und dem französischen prevéntion überein. Auch hinsichtlich des deutschen Adjektivs „präventiv“ finden sich Äquivalente in der lateinischen (praeventus) und der französischen Sprache (prevéntif).121 Obwohl allen Worten gemeinsam ist, dass sie etymologisch auf das lateinische Verb praevenire zurückgehen, sind die historischen Bedeutungsentwicklungen im Lateinischen (a)) und im Französischen (b)) getrennt zu untersuchen, um anschließend die Besonderheiten in der deutschen Sprache zu reflektieren (c)). a) Lateinischer Ursprung Praeventus ist das Partizip Perfekt zum Verb praevenire. Praevenire setzt sich aus dem Verb venire (zu Deutsch „kommen“122) und dem Präfix praezusammen. Das Präfix prae- stimmt hinsichtlich seines Wortkörpers mit der Präposition und dem Adverb prae überein. Als Adverb kommt prae die Bedeutung „voran, voraus“ zu.123 Als Präposition mit nachfolgendem Ablativ ist prae mit „vor“ (räumlich)124 und „wegen“ (kausal)125 übersetzbar. Eine ist jeweils situativ konkret bestimmbar, ob eine sprachliche Handlung, eine kommunikative Intention und Adressierung oder eine kommunikative Wahrnehmung analytisch als Pejorisierung zu bezeichnen sind. […] Die Frage der Intention der sprechenden Person rückt für die Bewertung einer Sprachhandlung als Pejorisierung in den Hintergrund“, Pejorisierung – ein konstruktivistisches Konzept zur Analyse von Beschimpfungspraktiken, in: Hornscheidt/Jana/Acke (Hrsg.), Schimpfwörter – Beschimpfungen – Pejorisierung, 2011, S. 15 (15 und 35). 121  Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Aufl. 1995, S. 645 re. Sp. sub „präventiv“; nach Pfeifer mit dem Wort prevéntif gleichbedeutend, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen, 2014, S. 1039 li. Sp. sub „präventiv“. 122  Marquardt/Voigt, Wörterbuch Latein für Philosophie und Theologie, 2009, S. 193; nach Menge kommt venire auch die grundsätzliche Bedeutung „gelangen“ zu, vgl. dort auch die Bedeutung der Deklination venturus = „zukünftig in einen Zustand kommen“ bzw. in der Kombination mit in suspicionem = „in Verdacht kommen oder verdächtigt werden“, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 26. Aufl. 2001, S. 790 re. Sp. sub „venio“; daneben lässt sich venire auch mit „abstammen“, „entstehen“ „verkaufen“, „verkauft werden“, „verpachten“, „versteigern“ übersetzen. 123  Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 585 li. Sp. sub „prae“; zur Bedeutung mit Verbindungen – etwa prae quam oder prae ut („im Vergleich mit, dass …“) – Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 3761 sub „prae“. 124  Etwa im Sinne von „vor sich hertragen“. 125  Im Sinne von „im Vergleich zu“.



I. Etymologie47

zeitliche Dimension kommt prae als Präposition nur ausnahmsweise zu.126 In der räumlichen Bedeutungsvariante kann man ante als sinnverwandte Präposition zu prae verstehen und beiden Worten die Präposition post („nach“) gegenüberstellen.127 Prae verlangt im Gegensatz zu ante allerdings noch einen (lokalen oder ausnahmsweise temporalen) Kontakt zum Bezugspunkt.128 Neben der räumlichen und kausalen Bedeutung kommt prae als Präfix praequantitativ eine gleichberechtigte zeitliche Dimension zu.129 Praevenire als Derivat130 aus dem Präfix prae- und dem Verb venire kann in seiner ursprünglichen lokalen Bedeutung damit mit „vorkommen“ wortgetreu übersetzt werden, ohne dass eine zeitliche oder räumliche Bedeutung spezifiziert wäre.131 Die Übersetzung lässt sich räumlich im Sinne eines „Enthaltenseins“ bzw. „Überholens“132 oder zeitlich im Sinne eines „Zuvorkommens“133 verstehen.

126  Stattdessen bildet die Präposition ante mit Akkusativ die zeitliche Dimension besser ab, vgl. mit zahlreichen Beispielen Leumann/Hofmannn, in: Stolz/Schmalz (Hrsg.), Lateinische Grammatik, 5. Aufl. 1928, S. 532 f. sowie Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 53 re. Sp. sub „ante“. Vgl. dazu auch die Übersicht im Vergleich zu anderen Relationsmorpheme Touratier, Lateinische Grammatik, 2013, S. 200 § 379. 127  Illustrierend Touratier, Lateinische Grammatik, 2013, § 364. 128  Für die räumliche Perspektive Touratier, Lateinische Grammatik, 2013, § 363 f. 129  Beispielsweise praeesse („etwas/jemanden vorstehen“) einerseits, praeposterus („vor dem Nachfolgenden“), praedicere („vorhersagen“) oder praeiudicium („Präjudiz“) andererseits; zur materiellen Bedeutungsdifferenz zwischen Präfixen und Präpositionen am Beispiel von ante, prae und post vgl. Lüdkte, Romanische Wortbildung, 2007, S. 377. 130  Zur Abgrenzung zwischen Derivat und Kompositum in der lateinischen Sprache Touratier, Lateinische Grammatik, § 659; in der deutschen Sprache ist die Terminologie uneinheitlich: für die Bezeichnung als Präfixkompositum vgl. Henzen, Deutsche Wortbildung, 3. Aufl. 1965, S. 33 ff., 98 ff.; für die Bezeichnung als verbales Präfixderivat Donalies, Die Wortbildung des Deutschen, 2002, S. 117 f. 131  Zu dem Befund, dass die meisten Derivate von venire die ursprüngliche lokale Bedeutung beibehalten Walde/Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Zweiter Band: M–Z, 5. Aufl. 1982, S. 784. 132  Bzw. inhaltlich „übertreffen“ im Sinne eines „vorzüglicher sein“, vgl. sowohl Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 596 li. Sp. sub „prae-venio“ wie auch Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 3825 sub „prae-venio“. 133  So die Hauptbedeutung nach Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 3825 sub „prae-venio“ und Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 596 li. Sp. sub „praevenio“.

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A. Sprachliche Grundlagen

Praeventus ist das Partizip Perfekt zu praevenire. Übersetzen lässt es sich mit dem deutschen substantivierten Verb „das Zuvorkommen“.134 Das lateinische Wort praeventus wurde dabei auch im medizinischen Kontext genutzt (praeventu mortis interveniente135). Obwohl es eine Ableitung zu praevenire darstellt, lässt sich dem Wort praeventus neben der temporalen Dimension hinaus keine weitere räumliche oder kausale Stoßrichtung entnehmen. Entgegen der Bedeutung seines Wortstammes und der Bedeutung seiner Einzelworte hat sich durch seine Substantivierung hin zum Wort praeventus eine abweichende Bedeutung ergeben: Die zeitliche Dimension hat sich von einer Bedeutungsvariante in dem Wort praevenire zu einer einzig möglichen Bedeutung in dem Wort praeventus emanzipiert, so dass es sich nicht um eine bloße Null-, sondern um eine Präfixableitung handelt. Im vierten Jahrhundert nach Christus entstand das spätlateinische Wort praeventio. Es lässt sich mit „das Zuvorkommen“ übersetzen und ist die Substantivierung zu prae­ venire.136 b) Rezeption durch die französische Sprache Die Worte praevenire und praeventus wurden im Französischen mit den Worten prevénir und prevéntif rezipiert. Die Übernahme des Worts praevenire durch das Verb prevénir wird auf das 15. Jahrhundert datiert137 und ihm kommen in der französischen Sprache weitere Bedeutungen zu. Neben der aus dem Lateinischen bekannten Bedeutung „zuvorkommen“ lässt sich das Wort prevénir seit seiner Migration in das Französische mit „vorbeugen“ aus dem Französischen übersetzen.138 Damit ist das bisherige Bedeutungsspek­ 134  Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 3825 sub „praeventus“; vergleichbar mit dem Wort praeveniens („zuvorkommend“ oder „vorlaufend“), vgl. Marquardt/Voigt, Wörterbuch Latein für Philosophie und Theologie, 2009, S. 145. 135  Beispiel nach Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 3825 sub „praeventus“. 136  Vgl. dazu auch von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 326. 137  Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, 2. Aufl. 1969, S. 726 re. Sp. sub „prévenir“. 138  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 594 li. Sp. sub „prévenir“; prevénir kommt in anderen Kontexten ausnahmsweise stark abweichende Bedeutung zu: je vous preéviens qu’il est d’une humeur épouvantable („darf ich Sie darauf aufmerksam [machen], dass er fürchterlicher Laune ist“), Beispiel nach Zimmer, Äquivalenzen zwischen Französisch und Deutsch, 1990, S. 470 Zf. 6553; zur Bedeutung des prewenieren als „benachrichtigen“ vor allem in Elsass-Lothringen, vgl. von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 326.



I. Etymologie49

trum um eine wesentliche – der lateinischen Sprache unbekannte – neue Bedeutungsnuance erweitert worden. Dem Verb lässt sich in dieser spezifischen Verwendung eine meliorative Konnotation entnehmen, etwa wenn von Il vaut mieux prévenir que guérire („Vorbeugen ist besser als heilen“)139 gesprochen wird. Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit dieser Untersuchung die Redewendung aus der Alltagssprache Va prévenir la police!, die mit „Ruf die Polizei!“ übersetzt werden kann.140 Das Adjektiv préventif geht auf das lateinische Partizip Perfekt Passiv bzw. das Substantiv praeventus zurück. Es lässt sich mit „vorbeugend“ übersetzen.141 Es hat im Gegensatz zum Gebrauch in der lateinischen Alltagssprache in Frankreich seit der etymologischen Erstdatierung Mitte des 15. Jahrhunderts eine juristisch-politische Bedeutung, etwa im Sinne eines préventif loi („vorbeugendes Recht“) oder einer préventif mesure/mesure préventive („vorbeugenden Maßnahme“/„Vorbeugungsmaßnahme“). Relevanz für den medizinischen Kontext im Sinne einer médecine préventive („vorbeugende Medi­ zin“)142 wird dem Wort dagegen erst seit etwa 1870 zugeschrieben.143 Aus dem lateinischen praeventus bzw. dem spätlateinischen praeventio hat sich das französische Wort prévention entwickelt.144 Wörtlich übersetzt kommt prévention die Bedeutung „das Zuvorkommen“ zu. Allerdings haben sich aus diesem Wort in alltagssprachlichen Kontexten die weiteren Bedeutungen „Verhütung“, „Vorbeugung“, „Vorurteil“ sowie in der rechtlichen Fachsprache zum Beispiel „Präventivmaßnahme“, „Arbeitsschutz“ oder „Person im Anklagezustand“ entwickelt.145 Aufgenommen wurden die Worte zudem durch unterschiedliche Rechtstermini, etwa der détention préventive („Untersuchungshaft“)146, der arrestions 139  Beispiel nach Zimmer, Äquivalenzen zwischen Französisch und Deutsch, 1990, S. 339 Zf. 3398. 140  Zimmer, Äquivalenzen zwischen Französisch und Deutsch, 1990, S.  446 Zf. 6447. 141  Mit zahlreichen Nachweisen von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 325. 142  Zimmer, Äquivalenzen zwischen Französisch und Deutsch, 1990, S.  301 Zf. 2588. 143  von Warburg, Französisches Etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 326; auf das 19. Jahrhundert datierend Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, 2. Aufl. 1969, S. 726 re. Sp. sub „prévenir“. 144  Bereits ab dem 14. Jahrhundert, vgl. von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 325 f. 145  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 594 li. Sp. f. sub „prévention“. 146  Zimmer, Äquivalenzen zwischen Französisch und Deutsch, 1990, S.  339 Zf. 1417; der Begriff détention préventive ist 1872 erstmals zu finden, vgl. von War-

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A. Sprachliche Grundlagen

préventives (Vorbeugehaft [durch Polizei])147, der préventive („Sicherungs­ verwahrung“)148, Prévenue („Angeklagter/Beschuldigter“)149 und dem préventionnaire (Untersuchungshäftling)150. Im Französischen ist damit die Entwicklung vom bloßen Verb praevenire hin zu einem staatsbürgerlichen Begriff der prévention etymologisch zu beobachten. c) Deutscher Sprachgebrauch Bei den Worten „prävenieren“, „präventiv“ und „Prävention“ handelt es sich um Fremdworte im Deutschen. aa) „Prävenieren“ Das Verb „prävenieren“ hat ebenso wie das französische Verb prévenir seinen Ursprung im lateinischen Verb praevenire. Obwohl es dem französischen prévenir hinsichtlich seines Wortkörpers nahekommt, ist es allein dem lateinischen praevenire entlehnt.151 Dafür spricht, dass „prävenieren“ wie dem lateinischen praevenire und im Gegensatz zum französischen prévenir burg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 325. 147  Zimmer, Äquivalenzen zwischen Französisch und Deutsch, 1990, S.  261 Zf. 1617; Ursprung des Begriffs im 19. Jahrhundert, vgl. von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, Basel 1959, S. 325. 148  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 594 re. Sp. sub „préventive“. 149  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 594 re. Sp. sub „prévenu“; Begriff zurückdatiert bis auf das 17. Jahrhundert, vgl. von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 325. 150  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 594 re. Sp. sub „préventionnaire“. 151  Brockhaus, Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon in zwei Bänden, Zweiter Band: L–Z, 5. Aufl. 1911, S. 449 sub „prävenieren“; Duden, sub „prävenieren“, abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/praevenieren (zuletzt abgerufen am 09.06.2019); Lexikalisches Wörterbuch, sub „prävenieren“, abrufbar unter: http:// lexical_de.deacademic.com/29884/pr%C3%A4venieren (zuletzt abgerufen am 09.06.2019); Kleines Konversations-Lexikon, sub „prävenieren“, abrufbar unter: http://deacademic.com/dic.nsf/konversations_lexikon/58377/Pr%C3%A4venieren (zuletzt abgerufen am 09.06.2019); Meyers großes Konversationslexikon, sub „prävenieren“, abrufbar unter: http://deacademic.com/dic.nsf/meyers/110416/Pr%3%A4venieren; demgegenüber wird zum Teil auch im französischen prévenir der Ursprung von „prävenieren“ vermutet, vgl. etwa Universal Lexikon, sub „prävenieren“, abrufbar unter: http://universal_lexikon.deacademic.com/366048/pr%C3%A4venieren (alle zuletzt abgerufen am 19.07.2018).



I. Etymologie51

allein die Bedeutung „zuvorkommen“ (etwa im Sinne eines zuvor Benachrichtigens) und nicht die Bedeutung „vorbeugen“ zukommt.152 Für eine von den Worten „Prävention“ und „präventiv“ autarke etymologisch Entwicklung spricht daneben die Entwicklung der Redewendung „jemanden das Prevenīre spielen“, was sinngemäß „jemandes Absicht durchkreuzen, indem man das von ihm gewollte selbst tut oder vereitelt“ bedeutet.153 Diese wortgetreue Entwicklung unmittelbar aus dem Lateinischen lässt sich ergänzend aus dem kirchenrechtlichen „prävenieren“ im 14. Jahrhundert begründen. Danach griff ein höherer Geistlicher in die Befugnisse des Untergebenen auf Grundlage des Kirchenrechts ein (die sog. „Prävention“). Ein solches (kirchenrecht­ liches) Recht bestand etwa für den Papst, wenn er durch die Ausbeutung von Finanzquellen geistliche Benefizien und Ämter unter Umgehung der eigentlichen Kollatoren vergab.154 Aus der heutigen deutschen Sprache ist das Verb „prävenieren“ im Gegensatz zu den Worten „Prävention“ und „präventiv“ nahezu verschwunden.155 Es wurde durch das Verb „zuvorkommen“ verdrängt. „Prävenieren“ als Verb kommt damit eine neutral-beschreibende Funktion ohne meliorative oder pejorative Konnotation zu. bb) „Präventiv“ Eine abweichende Entwicklung hat das Wort „präventiv“ genommen. Zwar hat es seinen Ursprung etymologisch ebenfalls im lateinischen praevenire, 152  Eine a. A. könnte sich dagegen bei Engel finden, der das Substantiv „Prävenire“ mit den Verben „zuvorkommen“, „vorbeugen“, „vorbauen“, „dazwischentreten“, „durchkreuzen“, „ein Schnippchen schlagen“, „früher aufstehen“, „wegschnappen“ in seiner Bedeutung konkretisiert; allerdings könnte dies auch eine Bedeutungsanleihe aus den Worten „präventiv“ und „Prävention“ sein, vgl. Entwelschung, 1918, S. 435 sub „Prävenire“. 153  Engel, Entwelschung, 1918, S. 435 sub „Prävenire“ sowie Brockhaus, Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon in zwei Bänden, Zweiter Band: L–Z, 5. Aufl. 1911, S. 449, sub „prävenieren“. 154  Brockhaus, Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon Lexikon in zwei Bänden, Zweiter Band: L–Z, 5. Aufl. 1911, S. 449, sub „prävenieren“. 155  Obwohl es weiterhin im Duden geführt wird; Indiz dafür kann die HäufigkeitKlassifikation von Duden Online (zum Algorithmus: https://www.duden.de/hilfe/ haeufigkeit) sein, wonach das Wort „prävenieren“ jenseits der Top 100.000 liegt und nur selten oder gar nicht im Dudenkorpus belegt ist, das Wort „präventiv“ zu den 100.000 häufigsten Wörtern im Dudenkorpus mit Ausnahme der Top 10.000 gehört und das Wort Prävention zu den 10.000 häufigsten Wörtern im Dudenkorpus mit Ausnahme der Top 1.000 gehört; vgl. https://www.duden.de/ sub „prävenieren“, „präventiv“ und „Prävention“ (zuletzt abgerufen am 19.07.2018); vgl. demgegenüber aber die unübliche Bezeichnung der „prävenierenden Wirkung“ von Strafe, die der Repressivwirkung gegenübergestellt wird in Weber, Rechtswörterbuch, 24. Aufl. 2022, S. 1371 li. Sp. sub „Repressivwirkung der Strafe“.

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A. Sprachliche Grundlagen

die Herkunft liegt allerdings im französischen préventif.156 Die Worte wurden dem Französischen im 19.157 bzw. der zweiten Hälfte158 des 19. Jahrhunderts entlehnt, so dass es sich bei dem Wort „präventiv“ um ein vergleichsweise junges Wort der deutschen Sprache handelt. Dies ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Zum einen hat sich in der französischen Sprache eine Bedeutungsverschiebung im Vergleich zur lateinischen Bedeutung hin zu „vorbeugend“ ergeben, die Grundlage für die Entwicklung im Deutschen zu den Bedeutungen „schützend“159 und „verhütend“ war (sog. Lehnbedeu­ tungen160).161 Zum anderen konnte das Wort auch aufgrund der verhältnismäßig späten Entlehnung in der französischen Sprache zum staatsbürgerlichen Begriff reifen.162 Er hat sich über die bloße Bedeutung als Adjektiv im Sinne von „vorbeugend“/„verhütend“ in der Verbindung mit anderen Worten zu eigenständigen staatsbürgerlichen Begriffen entwickelt. Bei der Übernahme des Wortes aus dem Französischen in die deutsche Sprache liegt es nahe, dass die Worte unter dem Vorverständnis von französischen Begriffsbedeutungen zu deutschsprachigen Begriffen gebildet wurden. Die Interferenz zwischen der deutschen und der französischen Sprache ist auch Grundlage für die Entwicklung zu einem meliorativen Wort in der deutschen Sprache, wenn „präventiv“ im Zusammenhang mit unerwünschten Ereignissen oder Zuständen steht. cc) „Prävention“ Anders als die Worte „prävenieren“ und „präventiv“ ist die etymologische Herkunft des Worts „Prävention“ mit dem französischen préventio nicht belegt. Dies könnte Resultat der identischen Schreibweise mit dem lateinischen preventio sein. Losgelöst von der Bedeutung in der französischen Sprache, 156  So einhellig Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 721 li. Sp. sub „präventiv“; Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 313 sub „präventiv“; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen, 2014, S. 1039 li. Sp. sub „präventiv“. 157  Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 23. Aufl. 1995, S. 645 re. Sp. sub „präventiv“. 158  Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 313 sub „präventiv“; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen, 2014, S. 1039 li. Sp. sub „präventiv“. 159  Zu dieser Bedeutungsvariante http://corpora.informatik.uni-leipzig.de/de/res? corpusId=deu_newscrawl_2011&word=pr%C3%A4ventiv (zuletzt abgerufen am 19.12.2017). 160  Überblick zur begrifflichen Unterscheidung bei Entlehnungen Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. XX ff. 161  Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen, 2014, S. 1039 li. Sp. sub „präventiv“. 162  Vgl. dazu oben unter A. I. 1. b).



I. Etymologie53

lässt sich der Ursprung des Wortkörpers unmittelbar in der lateinischen Sprache finden.163 Das römische Recht (konkurrierende Gerichtszuständigkeit für dasjenige Gericht, bei dem das Verfahren als erstes durch Zustellung rechtshängig geworden ist) und das römische Kirchenrecht (außerordentliches päpstliches Ernennungsrecht164) kannte die „Prävention“ als Rechtsbegriff, der dann schon im 18. Jahrhundert auch auf heutigem deutschem Boden rezipiert wurde.165 In dieser Bedeutungsvariante kommt der „Prävention“ allein neutral-beschreibende Funktion ohne Pejoration oder Melioration zu. Allerdings würde das Übergehen der zahlreichen französischen Bedeutungsvariationen im staatsbürgerlichen Kontext eine unzulässige etymologische Verkürzung darstellen. So ist auffällig, dass Prävention im Deutschen nicht nur – wie dem lateinischen praeventio – die Bedeutung des „Zuvorkommens“, sondern parallel zum Französischen (prévention) darüber hinaus gerade auch der „Vorbeugung“ und der „Verhütung“ zukommt.166 Damit hängt die deutsche Bedeutung des Wortes „Prävention“ mit der Bedeutungsentwicklung im Französischen durch das Rezipieren von Lehnbedeutungen entscheidend zusammen und geht über die lateinische wortgetreue Übersetzung hinaus.167 Die Bedeutungsentlehnung aus dem Französischen erklärt damit die weitreichend meliorative Entwicklung des Wortes innerhalb der deutschen Sprachen. dd) Abgrenzung zu Synonymen Die Bedeutung von Worten lässt sich nicht nur anhand der Etymologie des Wortes selbst, sondern auch anhand der Abgrenzung des Wortes von seinen Synonymen konkretisieren. Der Begriff „Synonym“ bildet die Beziehung von zwei bedeutungsgleichen Worten ab. Obwohl sich die Bedeutungen der Worte begriffsnotwendig gleichen müssen, sind sie in der Regel nicht – schon gar nicht in jedem Kontext – frei substituierbar, da sie konnotative Differen163  In diesem Sinne wird auch die Herkunft und der Ursprung des Wortes „Prävention“ insgesamt in lateinischer Sprache gefunden, vgl. Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 313 sub „Prävention“; unklar dagegen Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 721 li. Sp. sub „präventiv“. 164  Siehe bereits oben unter A. I. 1. c) aa). 165  M. w. N. Speer, Deutsches Rechtswörterbuch, Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, Zehnter Band: Notsache – Ræswa, 2001, S. 1227 sub „Prävention“. 166  Kraif, Duden, 4. Aufl. 2007, S. 1093 sub „prävention“. 167  Kraif, Duden, 4. Aufl. 2007, S. 1093 sub „prävention“; in diese Richtung wohl auch Kowallik, die einen „eindeutigen Beweis“ für den französischen Ursprung des Worts „prévenant“ (zuvorkommend) als Ergebnis von vorangegangenen Sprachreinigungs- bzw. Verdeutschungswellen sieht, vgl. Kowallik, Zur Typologie französischer Lehnübersetzungen im Deutschen, in: Dahmen/Holtus/Kramer/Metzeltin/Winkelmann (Hrsg.), Das Französische in den deutschsprachigen Ländern, 1993, S. 18 (23).

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A. Sprachliche Grundlagen

zen aufweisen können: sie haben in der Regel nicht die identische, nicht dieselbe Bedeutung.168 Mit diesem weiten Verständnis einer synonymen Bedeutungsbeziehung lassen sich auch nur sinnverwandte oder bedeutungsähnliche Ausdrücke als Synonyme begreifen.169 Für beide synonymen Worte führt ihre gegenseitige Abgrenzung damit zur beidseitigen Bedeutungskonturierung. In der deutschen Sprache gibt es zahlreiche Synonyme zu „Prävention“. Synonym verwandt werden insbesondere die Worte „(Gesundheits-) Vorsorge“, „Prophylaxe“, „Prohibition“ oder das veraltete Wort „Präserva­ tion“.170 Allen diesen Worten ist gemein, dass sie im medizinischen Kontext Bedeutung haben. Ihnen kommen aber hinsichtlich ihrer Bedeutung vergleichbare Stoßrichtungen wie der „Prävention“ zu. Alle Maßnahmen möchten etwas verhindern. Die Prophylaxe unterscheidet sich im medizinischen Kontext vom Begriff der „Prävention“ nur in Nuancen. Der Begriff der „Prävention“ ist ausdifferenzierter und lässt sich in Primär- (Verhinderung), Sekundär- (Früherkennung) und Tertiärprävention (Verhütung der Verschlimmerung) unterteilen. „Prävention“ in diesem Sinne ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die eine gesundheitliche Schädigung verhindern, weniger wahrscheinlich machen oder ihren Eintritt verzögern sollen.171 Auch der Begriff der „Prophylaxe“ umfasst „Maßnahmen zur Verhütung und Vorbeugung von Krankheiten sowie zur Vermeidung von Krankheitsfolgen“ und lässt sich daher im medizinischen Sprachgebrauch synonym zur „Prävention“ verwenden.172 Der Begriff der „Prophylaxe“ ist allerdings nicht konzeptionell ausdifferenziert wie der Präventionsbegriff; seine Verwendung beschränkt sich vielmehr auf spezielle Maßnahmen, denen das Etikett der prophylaktischen Maßnahmen (zum ­Beispiel Zahn-, Diabetiker- oder Schmerzprophylaxe) zu Teil wurde.173 Der Begriff der „Prohibition“ im Sinne eines gesetzlichen Verbots bestimmter

168  Helmut Rehbock, in: Glück/Rödel (Hrsg.), Metzler Lexikon, Sprache, 5. Aufl. 2016, S. 695 sub „Synonym“. 169  Vgl. zu dieser Definition von „synonym“ auch Bulitta/Bulitta, Wörterbuch der Synonyme und Antonyme, 4. Aufl. 2007, S. 5 ff. 170  Das Wort „Abschreckung“ wird dagegen nicht synonym zu „Prävention“ verwendet, sondern ist ein Modus, mit dessen Hilfe „Prävention“ erreicht werden kann. 171  Pschyrembel/Dronblüth, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Aufl. 2017, S. 1457, re. Sp. sub „Prävention“. 172  Pschyrembel/Dronblüth, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Aufl. 2017, S. 1457, re. Sp. sub „Prävention“, S. 1466, li. Sp. f. sub „Prophylaxe“; vgl. aber zum Begriff der Prophylaxe im Strafprozessrecht („Kriminalprophylaxe“) Schroeder, JZ 1985, S. 1028 (1029 und 1031 f.). 173  Pschyrembel/Dronblüth, Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Aufl. 2017, S. 1466, li. Sp. f. sub „Prophylaxe“.



I. Etymologie55

Drogen beschreibt zunächst einen juristischen Vorgang.174 Im deutschen Sprachgebrauch wird unter diesem Begriff allerdings vor allem die medizinische und gesellschaftliche Wirkung des jeweiligen Verbots diskutiert. Im alten Sprachgebrauch konnte mit Prohibition darüber hinaus auch die Verhinderung von etwas gemeint sein.175 „Präservation“ bedeutet dagegen im veralteten Gebrauch „Schutz“ und ihr kommt noch heute zum Teil im medizinischen Kontext die Bedeutung der „Verhütung“ zu.176 Die medizinischen Synonyme unterscheiden sich damit hinsichtlich ihrer Bezugspunkte, die sie zu verhindern beabsichtigen. Damit tragen die unterschiedlichen Synonyme zum Teil zu einer fachsprachlichen Präzisierung bei, zum Teil führt die Wortvielfalt zu keiner Präzisierung, so dass die Synonyme – ohne Bedeutungs-, sondern nur mit Konnotationsverschiebung – austauschbar bleiben. Ein Synonym zu „Prävention“ stellt das Wort „Präemption“ dar. Es umfasst nur unmittelbar bevorstehende Ereignisse. Die „Prävention“ ist im Gegensatz zur „Präemption“ auch in zeitlich größeren Abständen möglich.177 Das Wort „Präemption“ hat vor allem im völkerrechtlichen Zusammenhang Verwendung gefunden178 und findet vereinzelt bereits im Sicherheitsrecht Verwendung179. Im völkerrechtlichen Kontext muss die „Präemption“ begrifflich nicht nur einen engen zeitlichen Zusammenhang zum Bezugspunkt herstellen, sondern auch einen antizipierten Gegenangriff darstellen: „Präemption ist in der ersten Definition ein schneller Erstschlag, um einem bevorstehenden Angriff zuvorzukommen“180 (sog. preemptive strike). Im völkerrechtlichen Zusammenhang kann die „Präemption“ als meliorativer Sprechakt zur Legitimation einer „Prävention“ herangezogen werden:

174  Kraif, Duden, 4. Aufl. 2007, S. 1104 li. Sp. sub „Prohibition“; gelegentlich findet das Wort auch in der Rechtswissenschaft Anwendung, vgl. etwa zum Verbot prohibitiv wirkender Gebühren im Informationsfreiheitsrecht Schoch, NVwZ 2019, S. 257 (262). 175  Kraif, Duden, 4. Aufl. 2007, S. 1104 li. Sp. sub „Prohibition“. 176  Kraif, Duden, 4. Aufl. 2007, S. 1091 re. Sp. sub „Präservation“. 177  M. w. N. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen, 2016, S. 11. 178  So ist beispielsweise vom „präemptiven Selbstverteidigungsrecht“ die Rede, vgl. Burkhard Schöbener, in: Schöbener/Knauff (Hrsg.), Allgemeine Staatslehre, 4. Aufl. 2019, § 7 Rn. 113; zur Abgrenzung der „Prävention“ von der „Präemption“ im völkerrechtlichen Kontext Eick, ZRP 2004, S. 200 (201 f.). 179  Etwa bei Brodowski, JZ 2017, S. 1124 (1124); Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2017, S. 7 (10); zu dem Befund, dass sich der Begriff der „Präemption“ im rechtswissenschaftlichen Kontext (bislang) nicht durchsetzen konnte Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 11. 180  Kink, Die Sprache des Krieges, 2011, S. 27.

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A. Sprachliche Grundlagen

„Durch die Rezitation und erfolgreiche Rekontextualisierung von Präemption gelingt die Umdeutung einer Strategie, der, verstanden als Prävention, die Legitimation fehlen würde. Der Sprechakt legt die Bedingung fest, unter denen eine Präventionsstrategie als Präemptivstrategie gelten kann. Die politischen Folgen einer erfolgreichen Umdeutung sind immens, denn sie legitimiert eine Angriffsstrategie, die im Diskurs intersubjektiv als Selbstverteidigung verstanden wird.“181

Ebenso lässt sich „Prävention“ vom Wort „Vorsorge“ abgrenzen.182 Es ist im Verhältnis zur „Prävention“ und zur „Präemption“ sprachlich ein zeitlich extensiveres Synonym, das auch in der Rechtswissenschaft vielfältig, vor allem aber im Umweltrecht (vgl. nur § 1 Abs. 2 Spst. 2 BImSchG183), verwandt wird (zum Beispiel Vorsorgevollmacht, -untersuchung, -aufwendung oder Alters-, Vermögens-, Bestattungsvorsorge) und in Deutschland zum Modebegriff geworden ist.184 d) Zwischenfazit Prévenir, préventif und prévention haben in Frankreich schon seit Mitte des 15. Jahrhunderts im politisch-rechtlichen Kontext Bedeutung.185 Gerade im 19. Jahrhundert wurden unterschiedliche staatliche Maßnahmen mit diesen Worten zu eigenständigen Begriffen konturiert. Unter dem Vorverständnis dieser Verwendungsmöglichkeiten sind entsprechende Lehnworte in der deutschen Sprache entstanden. Obwohl allen Worten gemein ist, dass sie im lateinischen praevenire ihren Ursprung finden, so haben sich doch in der französischen Sprache unabhängig von ihrer wortgetreuen Übersetzung zahlreiche von der lateinischen Sprache unabhängige Bedeutungsnuancen gebildet. Dass den Worten so unterschiedliche Bedeutungen zukommen können, hat auch einen etymologischen Grund: Das Ursprungswort praevenire ist schon allein wegen seines grammatikalisch unbestimmten Präfix prae- (kausale, temporale und lokale Bedeutungsmöglichkeit), aber auch wegen der

Die Sprache des Krieges, 2011, S. 55. der Begriff „Prävention“ extensiv im Sinne von „vorzeitig“ verstanden wird, lässt sich auch die „Vorsorge“ als Teil einer „Prävention“ begreifen. 183  Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.05.2013 (BGBl. I S. 1274, berichtigt 2021 S. 123), zuletzt geändert durch Art. 1 Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungs-Quote vom 24.09.2021 (BGBl. I S. 4458). 184  Dazu ausführlich Kremer, Vorsorge im allgemeinen Sicherheitsverwaltungsrecht (Manuskript), 2015 sowie jüngst Volkmann, NVwZ 2021, 1408 ff. 185  von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 9. Band: Placabilis – pyxis, 1959, S. 325. 181  Kink,

182  Wenn



I. Etymologie57

Bedeutungsvielfalt von venire186 in besonderem Maße entwicklungsoffen hinsichtlich seiner Bedeutung. Aus der neutralen Bedeutung im Lateinischen lassen sich durch die Entwicklung im Französischen auch für die deutsche Sprache meliorative Zuschreibungen für die Worte „Prävention“ und „präventiv“ nachzeichnen. 2. Repression Das Wort „Repression“ ist auf das lateinische repressio und das französische répression, das Adjektiv „repressiv“ ist demgegenüber auf die Worte reprimēns (lat.) und répressif (franz.) zurückführen. Alle Worte haben ihren etymologischen Ursprung im lateinischen reprimere. a) Lateinischer Ursprung Reprimere setzt sich aus dem Verb premere (drücken, drängen, pressen) und dem Präfix re- (zurück, wieder, wider) zusammen. Dem Verb premere kommen zahlreiche kontextabhängige Übersetzungen zu. Sie reichen von „drücken“187, „drängen“ und „pressen“ über „beherrschen“ und „verdunkeln“ bis hin zu „halten“, „sitzen“ und „liegen“.188 Das Präfix re- dagegen ist ein von seiner jeweiligen Zusammensetzung untrennbares Präfix (sog. inseparable Präposition), das mit „zurück“ oder „entgegen“ übersetzt werden kann.189 Das Wort reprimere lässt sich folglich wortgetreu mit „zurückdrängen“, „zurückhalten“ oder „zurückpressen“ ins Deutsche übersetzen. Ihm kommen darüber hinaus die Bedeutungen „beschränken“, „dämpfen“ oder „beschwichtigen“ zu.190 Das Partizip Perfekt Passiv zu reprimere lautet repressus und das Partizip Präsens lautet reprimēns. Diese grammatikalischen Modifikationen sind Ursprung für die spätlateinischen Substantive repressor („der Unter-

186  Neben „kommen“ auch „abstammen“, „entstehen“, „gelangen“, „verkaufen“, „verkauft werden“, „verpachten“, „versteigern“, vgl. auch schon Fn. 122. 187  So die einzige Bedeutung nach Marquardt/Voigt, Wörterbuch Latein für Philosophie und Theologie, 2009, S. 146. 188  Überblick bei Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: LateinischDeutsch, 24. Aufl. 1992, S. 597 li. Sp. f. sub „premo“. 189  Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 4055 sub „re“; Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: LateinischDeutsch, 24. Aufl. 1992, S. 638 re. Sp. sub „re-“; Walde/Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Zweiter Band: M–Z, 5. Aufl. 1982, S. 422 sub „re-“. 190  Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 655 li. Sp. f. sub „re-primo“.

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A. Sprachliche Grundlagen

drücker“, „der Beschränkende“)191 und repressio („das Zurückdrängen“, „der Rückzug“, „der Tadel“)192, denen erstmals eine pejorative Stoßrichtung im Sinne eines Unterdrückens unabhängig von den wortgetreuen Übersetzungen von reprimere zukommt. Das Wort reprimere weist hinsichtlich seines Wortkörpers wie auch hinsichtlich seines Wortinhalts Ähnlichkeiten mit dem lateinischen reprehendere auf. Auch das Wort reprehendere setzt sich aus dem Präfix re- und einem Verb, prehendere (ergreifen, fassen, nehmen), zusammen. In seiner zusammengesetzten Form kommt dem Wort als Derivat allerdings eine weitreichendere Bedeutung zu, als es die Summe seiner Einzelwörter nahelegen würde.193 Reprehendere lässt sich in diesem Sinne als „zurechtweisen“, „tadeln“, „missbilligen“ und „rügen“ verstehen. Fraglich dagegen ist, ob mit dem Wort repre(n)(s)salia ein weiteres sinnverwandtes lateinisches Wort existiert. In den lateinischen Wörterbüchern ist dieses Wort nicht belegt.194 Nach anderer Ansicht in den etymologischen Wörterbüchern für die deutsche und französische Sprache sei repre(n)(s)salia(e) ein mittellateinisches Wort, das auf eine unregelmäßige Formentwicklung zu reprehendere zurückgeführt werden könne.195 In diesem Sinne ließe es sich mit „Gegengewalt“ („ange191  Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 655 li. Sp. sub „repressor“, li. Sp. f. sub „re-primo“. 192  Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 342 li. Sp. sub „Repression“, aber auch von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 sub „reprimere“. 193  Kontextabhängig lässt sich reprehendere daneben auch mit zurückgreifen, zurückfassen und zurücknehmen übersetzen. 194  Goerges/Baier/Dänzer, Der neue Goerges, Zweiter Band: I–Z, 8. Aufl. 2013, Sp. 4142 f.; Menge, Langenscheidts Großwörterbuch, Teil I: Lateinisch-Deutsch, 24. Aufl. 1992, S. 655; Walde/Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Zweiter Band: M–Z, S. 359 sub „prehendo“. 195  Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, 2. Aufl. 1969, S. 765 re. Sp. sub „représaille“ (mittellateinisches represalia); Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 761 li. Sp. a. E. f. sub „Repressalie“ (mittellateinisches represalia); Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 341 re. Sp. sub „Repressalie“ (mittellateinische reprensalia, represalia); Pfeifer, Etymologie des Deutschen, Band II: M–Z, 2. Aufl. 1993, S. 1117 re. Sp. sub „Repressalie“ (mittellateinisches repressaliae); ebenso Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart sub „repressalia“, abrufbar unter: http:// woerterbuchnetz.de/Adelung/call_wbgui_py_from_form?sigle=Adelung&lemid=DR0 1223&hitlist=&patternlist=&mode=Volltextsuche (zuletzt abgerufen am 17.12.2018); vermittelnd dagegen von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 275 re. Sp. a. E. sub „reprehendere“: „Im mlt. wurde zum part. perf. reprensus die ablt. repraesaliae gebildet. Wenn die Belege bei DC die wirkliche Chronologie widerspiegeln, so ist das Wort in Italien entstanden, wahrscheinlich in der Sprache der sizilanischen Staatsverwaltung, ist von dort nach Oberitalien und Südfrankreich und endlich nach Nordfrankreich gelangt.“.



I. Etymologie59

wendete Gewalt, ein von andern zugefügtes Unrecht dadurch zu rächen oder ihn zum Ersatze zu nötigen“196) übersetzen. b) Rezeption durch die französische Sprache Dem lateinischen reprimere wurde im 14. Jahrhundert das französische Wort réprimer entlehnt, aus dem seinerseits im 16. Jahrhundert das Substantiv réprimande („Verweis“) abgeleitet wurde.197 Die Worte réprimer und réprimande haben sich allerdings unmittelbar über die wortgetreue Über­ setzung aus dem Lateinischen hinaus zu eigenständigen staatsbürgerlichen Begriffen mit weitreichenderen Bedeutungen weiterentwickelt.198 Réprimer kommt als Verb in diesem Kontext die Bedeutungen „unterdrücken“, „unter­ binden“199 „unter Strafe stellen“, „mit Strafe bedrohen“, „ahnden“ oder „bestrafen“ zu; in der Redewendung réprimer les troubles („die Ordnung wieder herstellen“) hat das Wort im polizeirechtlichen Kontext Bedeutung.200 Réprimande lässt sich im rechtlichen Kontext mit den Bedeutungen „Tadel“ und „Rüge“ übersetzen.201 Das lateinische reprimere „lebt“ damit in der französischen Sprache „nur schwach“ weiter.202 Zusätzlich wird das Verb reprendre in der französischen Sprache genutzt, das aus dem lateinischen reprehendere entlehnt wurde und sich vor allem mit „zurücknehmen“ und „ergreifen“ übersetzen lässt.203 Überhaupt keine Bedeutungskontinuität mit der lateinischen Sprache haben dagegen die Worte répression und répressif erfahren. Das französische Wort répression ist dem lateinischen Partizip Perfekt repressus bzw. der entsprechenden Substantivierung repressio im 15. Jahrhundert entlehnt wor196  Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, abrufbar ­unter: http://woerterbuchnetz.de/Adelung/call_wbgui_py_from_form?sigle=Adelung& lemid=DR01223&hitlist=&patternlist=&mode=Volltextsuche (zuletzt abgerufen am 17.12.2018). 197  Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, 2. Aufl. 1969, S. 765 re. Sp. sub „réprimande“. 198  Zahlreiche etymologische Nachweise bei von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 re. Sp. sub „reprimere“. 199  Zu dieser Übersetzung Weis/Mattutat, Pons Großwörterbuch FranzösischDeutsch, 1989, S. 483 li. Sp. sub „réprimer“. 200  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 668 re. Sp. sub „réprimer“. 201  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 668 re. Sp. sub „réprimande“. 202  Zu dieser Einschätzung mit dieser Formulierung von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 re. Sp. sub a. E. „reprimere“. 203  Zu den zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten vgl. Weis/Mattutat, Pons Großwörterbuch Französisch-Deutsch, 1989, S. 483 li. Sp. sub „reprendre“.

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A. Sprachliche Grundlagen

den. Répression als Begriff wurde allerdings von Gebrauchsbeginn an unabhängig vom lateinischen Vorbild als Verbalsubstantiv zum französischen Verb réprimer gebildet. Walther von Warburg zeichnet die Entwicklung präg­ nant nach: „Vom part. perf. repressus hatte das lt. ein subst. repressio ‚das zurückdrängen‘ gebildet. Ende des 15. jhs. erscheint dessen entsprechung im fr. Die bed. stimmt aber nicht zu der des lt. wortes; das subst. ist offenbar neu gebildet worden als verbalsubst. zu réprimer, entsprechend suppression, oppression […]. Merkwürdigerweise ist répression im 18. jh. nicht belegt.“204

Entsprechend wurde das Wort répression zunächst im mittelfranzösischen (belegt im 15. und 17. Jahrhundert) mit action e contenir un sentiment trop violent („eine Handlung, die ein Gefühl der Gewalttätigkeit enthält“), später im neufranzösischen (belegt im 19. Jahrhundert) mit action d’arreter le progrès („Handlung, um den Fortschritt zu stoppen“) bzw. mit l’accomplissement d’une chose condamnable („die Durchführung einer verwerflichen Sache“) umschrieben.205 In diesem Sinne lässt es sich mit den pejorativen Worten „Niederdrücken“206 oder „Unterdrücken“207 übersetzen. Darüber hinaus hat sich répression zu einem rechtlichen Begriff entwickelt, dem in strafrecht­ lichen und strafprozessualen Zusammenhängen zahlreiche Bedeutungen zukommen. Im Strafrecht lässt sich répression mit „Ahndung“, „Bekämpfung“, „Verfolgung“ und „Zwang“, im Strafprozessrecht mit „Bestrafung“ und „Strafandrohung“ übersetzen. Daneben findet sich das Wort répression in den Wendungen pouvoir de répression („Strafbefugnis“), répression de crimes („Ahndung von Verbrechen“, „Verbrechensbekämpfung“), répression disciplinaire („[beamtenrechtliche] Disziplinargewalt“), répression de infractions („Strafverfolgung“), répression judiciaire („gerichtliche Verfolgung [von Straftätern]“) und répression pénale („Strafverfolgung“).208 Das Adjektiv répressif ist schon im 14 Jahrhundert in der französischen Sprache im medizinischen Kontext erwähnt und wird mit qui fait disparaitre („wie etwas verschwindet“) oder qui résorbe une enflure („eine Schwellung 204  von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 re. Sp. sub „reprimere“. 205  von Warburg, Walther, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 re. Sp. sub „reprimere“, II. 2. a). 206  Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der Französischen Sprache, 2. Aufl. 1969, S. 765 re. Sp. sub „répression“. 207  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 668 li. Sp. f sub „répression“. 208  Alle Begriffe zu finden bei Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 668 li. Sp. f sub „répression“.



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resorbieren“) umschrieben.209 Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt sich das Adjektiv entsprechend der Bedeutung von répression und kann im staatsbürgerlichen Kontext mit qui sert à réprimer („was zur Unterdrückung dient“) übersetzt werden.210 Die Bedeutung von „unterdrückend“ und „entgegenwirkend“ hat das Wort répressif noch heute im rechtlichen Kontext. In den Wendungen loi répressive („Strafgesetz“), justice répressive („Strafjustiz“, „Strafgericht“) sowie action répressive („Repressivwirkung der Strafe“) ist es heute deskriptiver Rechtsbegriff.211 Das französische Wort représsailles ist bereits im 15. Jahrhundert belegt und bringt seitdem in den unterschiedlichsten Kontexten eine Vergeltungsmaßnahme (mesure de représailles) oder Gegenmaßregel zum Ausdruck.212 c) Deutscher Sprachgebrauch aa) „Reprimieren“ Das deutsche Verb „reprimieren“ ist anders als das Verb „prävenieren“ kein Wort des Dudens und damit noch seltener als das Wort „prävenieren“ ein Wort der Alltagssprache. Als Fremdwort kommt „reprimieren“ im Deutschen die Bedeutung „unterdrücken“ oder im medizinischen Kontext „hemmen (von genetischen Informationen)“ zu.213 bb) „Repression“ Anders als das Wort „reprimieren“ ist „Repression“ ein Wort der deutschen Alltagssprache, vor allem aber der deutschen Fachsprache.214 Es ist im 209  von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 re. Sp. sub „reprimere“, II. 2. α). 210  von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 276 re. Sp. sub „reprimere“, II. 2. β). 211  Doucet/Fleck, Wörterbuch der Rechts- und Wirtschaftssprache, Band 1: Französisch-Deutsch, 5. Aufl. 1997, S. 668 li. Sp. sub „répressif“. 212  Vgl. sowohl von Warburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 10. Band: R, 1962, S. 275 re. Sp. sub „reprehendere“ wie auch Gamillscheg, Etymologisches Wörterbuch der Französischen Sprache, 2. Aufl. 1969, S. 765 re. Sp. sub „représaille“. 213  Kraif, Duden, 8. Aufl. 2005, S. 889 re. Sp. sub „reprimieren“. 214  Das Wort gehört zu den 100.000 häufigsten Wörtern im Dudenkorpus mit Ausnahme der Top 10.000, vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Repression (zuletzt abgerufen am 30.07.2018); im Gegensatz zum Wort „Repressalie“ ist „Repression“ aber nicht in die etymologischen Wörterbücher von Kluge und Pfeiffer aufgenommen, so dass es kein Wort des deutschen „Standardwortschatzes“ sein dürfte, vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 761

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19. Jahrhundert dem Französischen répression entlehnt worden und ist mit diesem gleichbedeutend.215 Ihm kommen in diesem Sinne insbesondere die vor allem pejorativen Bedeutungen „Unterdrückung“, „Hemmung“, „Einschränkung“, „Autoritätsausübung“, „Gewaltanwendung“, „Erpressung“ und entsprechend seinem etymologischen Ursprung „Zurückdrängen“ zu.216 „Repression“ kommt nicht nur im psychologischen/medizinischen („Unterdrückung von Triebregungen/genetischen Informationen“217) und soziologischen („Unterdrückung individueller Entfaltung und individueller Triebäußerungen durch gesellschaftliche Strukturen und Autoritätsverhältnisse“) Kontext, sondern vor allem im politischen Kontext als fachsprachliches Fremdwort Bedeutung zu.218 Wird ein eingesetztes staatliches Mittel mit der Kategorie „Repression“ auf den Begriff gebracht, kommt dem Wort in historischen Kontexten eine obrigkeitliche sowie strikte, gelegentlich rücksichtslose sowie willkürliche Bedeutung und damit pejorative Bedeutung zu, wobei die Etikettierung mit „Repression“ als solche nicht von vornherein unwissenschaftlich ist.219 Diese pejorativ-bewertende Funktion des Wortes „Repression“ ist eng mit dem Wort „Repressalie“ verknüpft. Die etymologische Herkunft des Wortes „Repressalie“ wird zu Unrecht allein dem Lateinischen zugeschrieben. Denn wenn man die Erstdatierung im Deutschen auf das 16. Jahrhundert bestimmt, so konnte sich dieses Wort auch in Frankreich zum Begriff entwickeln. Dies erklärt dann auch, warum eine „Repressalie“ wie im Französischen eine Handlung beschreibt, mit der sich gewaltsam das zurückgeholt wird, was sowie Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Wörterbuch des Deutschen, Band II: M–Z, 2. Aufl. 1993, S. 1117. 215  Otto Basler, in: Schulz (Begr.)/Basler (Hrsg.), Deutsches Fremdwörterbuch, Dritter Band: Q, R, 1977, S. 333 f. sub „Repression“ (19. Jahrhundert); Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 342 li. Sp. sub „Repression“ (Mitte 19. Jahrhundert). 216  Otto Basler, in: Schulz (Begr.)/Basler (Hrsg.), Deutsches Fremdwörterbuch, Dritter Band: Q, R, 1977, S. 333 f. sub „Repression“ (19. Jahrhundert); Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 342 li. Sp. sub „Repression“ (Mitte 19. Jahrhundert). 217  „Individualpsychologisch steht Repression – anknüpfend an Sigmund Freud – für Verdrängung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse durch das Individuum.“, Hans-Thomas Spohrer, in: Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, sub „Repression“ 1. 218  Kraif, Duden Fremdwörterbuch, 8. Aufl. 2005, S. 899 re. Sp. sub „Repression“. 219  Exemplarisch: „Als die Fürsten […] die Forderungen nach einer Verfassung mit massiver Repression beantworteten […]“, Klaus Günther, Soll das Volk Schuldfragen selbst in die Hand nehmen?, F.A.Z. 18.10.2016, S. 15; „die jüdischen Deutschen [waren] Repressionen ausgesetzt“, Claus Leggewie, „Keiner will Sie“, Die Zeit vom 21.06.2018, S. 20.



I. Etymologie63

einem geraubt wurde, auch wenn der Betroffene der Handlung selbst nicht verantwortlich war.220 Die „Repressalie“ ist in der Bedeutung als „Druck­ mittel“221, „Vergeltungsmaßnahme“ oder „(rechtswidrige) Zwangsmaßnah­me“ im politischen, wirtschaftlichen und (völker)rechtlichen Bereich schon seit dem 16. Jahrhundert belegt.222 Der juristischen Fachsprache ist das Wort mittlerweile mit Ausnahme des Völkerrechts weitgehend fremd geworden,223 nimmt es doch eine Wertung vorweg. Besonders in den 1960er Jahren wurde der Begriff „Repression“ auf dem Gebiet der Gesellschaftskritik vor allem durch die neue Linke mit der Bedeutung einer allgemeinen politischen Unterdrückung (etwa die Einschränkung und Behinderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit oder der Freiheiten für das Individuum oder einer Gruppe) als Gegenbegriff zur Emanzipation gleichgesetzt.224 Es ist ein Wort der ­Alltagssprache geblieben.225 Müsste man das Verhältnis der Worte „Repression“ und „Repressalie“ beschreiben, könnte die „Repressalie“ das Mittel oder die Handlung sein, mit dem der Zustand der „Repression“ erreicht werden kann.

220  Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 761 li. Sp. sub „Repressalie“; m.  w.  N. Speer, Deutsches Rechtswörterbuch, 11. Band: Rat – Satzzettel, 2007, S. 919 li. Sp. sub „Repressalie“. 221  So die einzige Bedeutung nach Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 761 li. Sp. sub „Repressalie“. 222  Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 25. Aufl. 2011, S. 761 li. Sp  a. E. f. sub „Repressalie“; Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 341 re. Sp. sub „Repressalie“; Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Band II: M–Z, 2. Aufl. 1993, S. 1117 re. Sp. sub „Repressalie“ (Anfang 16. Jahrhundert). 223  Jedoch ist er durch den Begriff der „Gegenmaßnahme“ abgelöst, vgl. exemplarisch Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, 2002, S. 281: „[…] [T]raditionally the term ‘reprisals’ was used to cover otherwise unlawful action, including forcible action, taken by way of self-help in response to a breach. More recently, the term ‚reprisals‘ has been limited to action taken in time of international armed conflict; i. e. it has been taken as equivalent to belligerent reprisals. The term ‚countermeasures‘ covers that part of the subject of reprisals not associated with armed conflict, and in accordance with modern practice and judicial decisions the term is used in that sense in this chapter.“. 224  Grundlegend Marcuse, Repressive Toleranz, in: Wolff/Moore/Marcuse (Hrsg.), Kritik der reinen Toleranz, 1966 sowie Marcuse, Der eindimensionale Mensch, 4. Aufl. 2004, vgl. auch Hans-Thomas Spohrer, in: Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, sub „Repression“ 2.; vertiefend Geronimo, Feuer und Flamme, 6. Aufl. 2002; Cohn-Bendit/Dammann (Hrsg.), 1968: Die Revolte, 2007. 225  Repressalie gehört zu den 100.000 häufigsten Wörtern im Dudenkorpus mit Ausnahme der Top 10.000, vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Repressalie (zuletzt abgerufen am 30.07.2018).

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A. Sprachliche Grundlagen

cc) „Repressiv“ Das Adjektiv „repressiv“ ist ebenso wie „Repression“ ein Wort der deutschen Fach- und Alltagssprache226, nicht aber des deutschen Grundwortschatzes.227 Es entlehnt sich seit dem 19. Jahrhundert dem französischen ­répressif und hat die Bedeutung „zurückdrängen“, „hemmend“, „einschränkend“ sowie „unterdrückend“ und „Repression ausübend“.228 Neben diesen Hauptbedeutungen lassen sich mit Hilfe möglicher Synonyme facettenreiche Bedeutungsnuancen erkennen: willkürlich, einengend, gebieterisch, uneingeschränkt, despotisch, unumschränkt, streng, selbstherrlich, autoritär, unterdrückend, diktatorisch, absolutistisch, totalitär.229 Gemeinsam ist ihnen eine pejorative, geradezu herrische Konnotation. d) Zwischenfazit Das Wort „Repression“ ist wie das Wort „Prävention“ lateinischen Ursprungs, hat aber die wesentliche etymologische Bedeutungskonturierung durch den französischen Sprachgebrauch erfahren. Die Bedeutungsentwicklung im Französischen ist nicht ohne die enge Verbindung der Worte reprimere und reprehendere zu verstehen. In reprehendere war schon im Lateinischen eine Pejoration angelegt, deren Ausdruck sich auch im engen Zusammenhang zwischen den Worten „Repression“ und „Repressalie“ findet. Der enge pejorative Bedeutungszusammenhang der Wortgruppe insgesamt setzt sich über die französische Sprache hinaus auch im deutschen Sprachgebrauch seit dem 19. Jahrhundert fort.

II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme Die Etymologie der Einzelworte hat eine weitgehend parallele geographische Verwendungsgeschichte und Ähnlichkeiten hinsichtlich der in ihnen angelegten Bedeutungsoffenheit aufgezeigt. Ob und wie sich das Verhältnis der Worte „Prävention“ und „Repression“ zueinander beschreiben lässt, ist 226  Das Wort gehört zu den 100.000 häufigsten Wörtern im Dudenkorpus mit Ausnahme der Top 10.000, vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/repressiv (zuletzt abgerufen am 30.07.2018). 227  Vgl. auch Fn. 214. 228  Otto Basler, in: Schulz (Begr.)/Basler (Hrsg.), Deutsches Fremdwörterbuch, Dritter Band: Q, R, 1977, S. 334 sub „repressiv“; Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, S. 342 li. Sp. sub „repressiv“ (frühes 19. Jahrhundert). 229  http://corpora.informatik.uni-leipzig.de/de/res?corpusId=deu_newscrawl_2011 &word =repressiv (zuletzt abgerufen am 19.12.2017).



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme65

damit noch nicht beantwortet. Die beiden Worte könnten zwei gegenseitige Antonyme bilden oder sich gar dichotom zueinander verhalten. Zwei sich antonym zueinander verhaltende Worte müssen nicht unbedingt das Gegenteil sein, sie beschreiben jedoch zumindest stets etwas Gegensätzliches. Ein solcher Gegensatz kann fließend sein und graduelle Abstufungen aufweisen, wie z. B. der Gegensatz zwischen warm und kalt, zwischen hell und dunkel, zwischen eng und weit. Beschreiben zwei Antonyme das Gegenteil, handelt es sich um eine Dichotomie. Eine Dichotomie beschreibt eine Grenzziehung im Sinne eines Entweder-oder. Eine solche echte Dichotomie entspricht einem Binärcode in der elektronischen Datenverarbeitung. Sie entsteht aus einer Verneinung: Es gibt zu einem Begriff nur einen Gegenbegriff. Zusammen sind sie umfassend, gegenseitig sind sie ausschließend: Leben oder Tod, positiv oder negativ,230 Recht oder Unrecht.231 Das Verhältnis der Worte „Prävention“ und „Repression“ hängt maßgeblich davon ab, ob sie im alltagssprachlichen (1.), im fachsprachlichen (2.) oder im fachsprachlich-juristischen (3.) Kontext verwendet werden. 1. Alltagssprache Dem alltagssprachlichen Verhältnis der Worte „Prävention“ und „Repression“ zueinander lässt sich mit Hilfe ihrer Präfixe annähern (a)), die Grundlage für ganz unterschiedliche Verhältnisbestimmungen von „Prävention“ und „Repression“ in der Alltagssprache sind (b)). Parallel dazu zeigen sich performative (c)) und suggestive (d)) Verwendungsweisen. a) Prä- und Re- als antonym angelegte Präfixe Erster Anknüpfungspunkt für die Annahme, dass es sich bei dem Begriffspaar um ein Antonym handelt, sind die unterschiedlichen Präfixe. Das Präfix prae- ist anders als das Präfix re- („inseperable Präposition“) zugleich ein Adverb. Das Präfix prae- kann innerhalb der Komposition praevenire lokale, temporale und/oder kausale Bedeutung haben. Unabhängig von der grammatikalischen Stoßrichtung wird praevenire nur im Zusammenhang mit einem feststehenden bzw. feststellbaren Bezugspunkt sinnvoll verwendet werden 230  Freilich nur, wenn nicht „neutral“ als dritte Kategorie mitgedacht wird; dann könnte es sich um eine Trichotomie handeln. 231  Klaus Röhl, Gegenbegriffe (Antonyme) und Dichotomien als Werkzeug der Jurisprudenz, abrufbar unter: https://www.rsozblog.de/gegenbegriffe-antonyme-unddichotomien-als-werkzeug-der-jurisprudenz/ (zuletzt abgerufen am 09.08.2018); ob echte Dichotomien existieren können, ist Frage der Sprachphilosophie.

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A. Sprachliche Grundlagen

können.232 Stehen der Bezugspunkt und die grammatikalische Stoßrichtung fest, könnte sich ein Antonym ermitteln lassen. Als Folie dienen die Adverbien ante mit Akkusativ und post mit Akkusativ. Sie verorten etwas vor oder hinter einem räumlich oder zeitlich ausgerichteten Bezugspunkt. Dieser Bezugspunkt selbst muss dabei nicht statisch sein. Werden die Adverbien mit diesem Verständnis parallel verwendet, ergibt sich regelmäßig eine antonyme Struktur. Das Adverb prae mit Ablativ kann als Präposition (!) in gleicher Weise antonym zu post verstanden werden. Ihm kommt allerdings im Vergleich zu ante eine andere Bedeutungsnuance zu. Zwar ist prae hinsichtlich der Stoßrichtung („vor“) gleich ausgerichtet, es fügt allerdings noch einen (lokalen oder ausnahmsweise temporalen) Kontakt zum Bezugspunkt hinzu.233 Zu prae- als Präfix in Verbindung mit venire findet sich – selbst wenn man prae-venire im Sinne eines Vorankommens lokal versteht – kein passendes Antonym. Obwohl sich im Wort re-venire (zurückkommen) ein Wort findet, dessen Präfixe bei wortgetreuer Übersetzung ins Deutsche (prae- = vor- / re- = zurück-) grundsätzlich antonym anmuten, ist nicht dies das passende Antonym, sondern das Verb ab-ire (weggehen). Dies ist Resultat der speziellen Prägung des Präfixes re-, dem regelmäßig eine aktiv-entgegnende – gerade keine reaktive234 – und darüber hinaus temporal unabhängige Stoßrichtung zukommt. Mit dem Präfix re- lässt sich in Kombination mit einem Verb eine Tätigkeit beschreiben, die selbst aktiv-gegenübertretend ist, so dass die Person oder der Ort oder das Ereignis, gegen die oder den die Tätigkeit gerichtet ist, sich zurück- oder entgegenbewegen muss.235 In diesem Sinne ist es für ein Verb mit dem Präfix re- nicht notwendige Voraussetzung, dass ein Anlass für die Tätigkeit existieren muss. Wichtig bleibt daher festzuhalten: Dem Präfix re- kommt seinerseits eine aktive Stoßrichtung und von vorn­ herein gerade keine reaktive Stoßrichtung zu. Dies verbietet deshalb eine antonyme Gegenüberstellung der Präfixe prae- und re-. Die beiden Präfixe verhalten sich nicht zueinander. Daneben existiert für das Präfix prae- überhaupt kein antonymes Präfix.236 232  Es erscheint in diesem Zusammenhang sprachlogisch zweifelhaft, auch die Vorsorge unter den Begriff der Prävention zu subsumieren, wenn bei einer Vorsorgemaßnahme das Ereignis nicht konkretisierbar ist. 233  Für die räumliche Perspektive Touratier, Lateinische Grammatik, 2013, §§  363 f. 234  „Reaktiv“ handelt jemand erst auf einen äußeren Reiz hin. 235  Selbst das Wort revenire lässt sich in diesem Sinne verstehen, nämlich als aktive Tätigkeit („kommen“ im Sinne einer Fortbewegung in entgegengesetzte Richtung), durch die man sich zu einem Ort (nämlich der Ort, von dem man zuvor wegbewegt worden ist) entgegenbewegt. 236  Den Adverbien prae und ante lässt sich das Wort post gegenüberstellen.



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme67

Die Präfixe vor Prä-vention und Re-pression stehen nach dieser etymologischen und morphemischen Analyse in lateinischer Sprache in keinem zwingenden sprachlogischen Verhältnis zueinander. Dennoch könnte allein bei Betrachtung der Wortkörper ein antonymes Verständnis angelegt sein: Die etymologische und isolierte Primärübersetzung der Präfixe ins Deutsche (prae- [„vor-“] und re- [„zurück-“]) befördert ein entgegengesetztes Verständnis der Wörter zueinander. Hinsichtlich eines feststehenden Bezugspunkts könnten sie darüber hinaus lokal oder temporal zusammen allumfassend und gegenseitig ausschließend sein, so dass sie als Dichotomie begriffen werden könnten. Die unterschiedlichen möglichen Bezugspunkte und Stoßrichtungen sind daher im Folgenden aufzuzeigen. b) Antonyme Verständnismöglichkeiten in der Alltagssprache Die Worte „Prävention“, verstanden als eine Handlung, die der Existenz des Bezugspunkts zuvorzukommen versucht, und „Repression“, verstanden als eine Handlung, die den existierenden Bezugspunkt zurückzudrängen versucht, stehen in der Alltagssprache nicht zwingend antonym gegenüber. Sie knüpfen unterschiedlich an eine (Nicht-)Existenz des Bezugspunktes an. Bei der „Prävention“ darf der sprachlich festgelegte Bezugspunkt tatsächlich nicht ins Leben getreten sein und bei der „Repression“ muss umgekehrt der sprachlich festgelegte Bezugspunkt notwendig existieren. Die „Prävention“ verhindert damit das Entstehen eines Bezugspunktes, während die „Repression“ einem existierenden Bezugspunkt entgegentritt. Die „Prävention“ ist der „Repression“ zeitlich dennoch nicht notwendigerweise vorgelagert237 und die „Repression“ ist der „Prävention“ nicht notwendigerweise zeitlich nachgelagert. Beide Worte intendieren schon sprachlich jeweils spezifische Maßnahmen, denen jeweils verschiedene, aber gerade nicht gegensätzliche Voraussetzungen zugrunde liegen. Wenn die Worte sich schon nicht antonym zueinander verhalten, verhalten sie sich darüber hinaus erst recht nicht dichotom zueinander: Die Worte können zwar in einem dichotomen Sinne als sich gegenseitig ausschließend gedacht werden, wenn die Existenz des Bezugspunktes als Abgrenzungsmerkmal genutzt wird; sie sind aber gemeinsam gerade nicht umfassend, sondern nur ein Teilausschnitt von möglichen Einwirkungen auf einen existierenden oder nicht existierenden Bezugspunkt (Abbildung 2):

237  Zur semantischen Verknüpfung von „Prävention“ als „Reaktion“ vgl. https:// netzpolitik.org/2017/mark-zuckerberg-stellt-die-machtfrage-und-antwortet-mit-mehrfacebook/ (zuletzt abgerufen am 21.02.2017).

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A. Sprachliche Grundlagen

Abbildung 2: Stoßrichtung Alltagssprache

Müsste man ein Antonym für „Repression“ finden, ließen sich im medizinischen Kontext die Disinhibition und im staatsbürgerlichen Kontext der Widerstand anführen. Disinhibition beschreibt einen aktivierenden Vorgang durch den Wegfall bzw. die Hemmung einer Hemmung. Der durch die „Repression“ unterdrückte Bezugspunkt wird erregt bzw. reaktiviert. Ebenso kann der Widerstand im staatsbürgerlichen Kontext als Antonym zu „Repression“ verstanden werden (siehe dazu Abbildung 3). „Prävention“ ist stets auf die Verhinderung des in Bezug genommenen Ereignisses gerichtet. In diesem Sinne beschreiben die Worte „ermöglichen“, „erlauben“ oder „bekräftigen“ mögliche entgegengesetzte Stoßrichtungen, bevor das in Bezug genommene Ereignis, das verhindert oder ermöglicht, erlaubt oder bekräftigt werden soll, ins Leben tritt. Es findet sich jedoch kein passendes Antonym für den Zeitpunkt nach Existenz des Bezugspunktes. Indem das Wort „Prävention“ auf die vollständige Verhinderung des semantischen Bezugspunktes gerichtet ist, kann es kein realistisches Antonym geben: Dieses Wort müsste nämlich umgekehrt eine nachsorgende Tätigkeit auf den Begriff bringen, die in gleicher Weise wie die „Prävention“ den Bezugspunkt vollständig und ex tunc eliminiert. Eines solchen Wortes bedarf es außerhalb der Jurisprudenz238 nicht. 238  Nichtigkeit führt im Recht regelmäßig zur anfänglichen (ex tunc) Nichtexistenz; freilich nicht ohne Gegenausnahme: vgl. die Kipp’sche Doppelwirkung im Recht, wonach ein nichtiges Rechtsgeschäft anfechtbar bleiben kann, Über Doppelwirkungen im Recht, insbesondere über die Konkurrenz von Nichtigkeit und Anfecht-



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme69

Abbildung 3: Antonyme zu Repression

Wenn man aber den einmal existenten Bezugspunkt nicht mehr rückgängig machen kann, kommen zahlreiche andere Reaktionsmöglichkeiten in Betracht, mit dem (unerwünschten) Bezugspunkt umzugehen. Er kann etwa ex nunc eliminiert (etwa ein rechtswidriger Zustand durch Heilung), es kann auf ihn zurückdrängend eingewirkt oder er kann ignoriert werden. Da die „Repression“ eine zurückdrängende Tätigkeit auf den Begriff bringt, kann er der „Prävention“ als einer Form nachsorgender Tätigkeit gegenübergestellt werden. Dem Wort „Repression“ wohnt allerdings von vornherein kein notwendig reaktives Moment inne, sondern umgekehrt ist ihm vor allem eine verstärkt proaktive Stoßrichtung eigen. Dies führt dazu, dass „Repression“ nicht nur antonym zur „Prävention“ verstanden werden, sondern auch die „Prävention“ als Form von „Repression“ beschrieben werden kann: Das auf Verhinderung gerichtete Einwirken auf etwas kann zugleich eine Form der Unterdrückung, Gewaltanwendung und Autoritätsausübung sein und deshalb als „Repression“ begriffen werden.239 Umgekehrt kann auch die „Repression“ als Spielart der „Prävention“ gedacht werden, wenn nämlich eine Unterdrückung zur Verhinderung eines Zustands führt, führen soll oder führen kann (siehe dazu Abbildung 4). barkeit, in: Berliner Juristischen Fakultät (Hrsg.), Festschrift für Ferdinand von Martitz, 1911, S. 211 ff. 239  Exemplarisch Hirsch, Der Sicherheitsstaat, 1980, S. 38 a. E. f.

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A. Sprachliche Grundlagen

Abbildung 4: Gegenseitige Teilmengen

Schon das alltagssprachliche Verhältnis der Worte „Prävention“ und „Repression“ ist damit nicht bloß kontextabhängig, sondern kann innerhalb eines Kontextes im besonderen Maße perspektivabhängig sein. Dies zeigt sich in den sprachlich und logisch völlig unproblematischen Ausdrücken einer „präventiven Repression“240 oder einer „repressiven Prävention“241. Die Möglichkeit dieser Ausdrücke ist Folge der sprachlichen Verhältnislosigkeit von „Prävention“ und „Repression“ (siehe dazu Abbildung 5). c) Performative politische Äußerung „Prävention“ und „Repression“ müssen in der Alltagssprache im Ausgangspunkt inhaltlich verhältnislos zueinander begriffen werden. Es lassen sich dennoch parallele Verwendungsfunktionen beobachten: Vor allem der politische Diskurs nutzt beide Worte gleichermaßen als performative Äußerungen. Eine performative Äußerung ist eine Äußerung, mit der der Sprecher nicht bloß etwas beschreibt, sondern mit der der Sprecher etwas vollzieht. Eine performative Äußerung „verändert also die Welt und gibt sie nicht bloß wieder“.242 „Repression“ ist ein gesellschaftskritischer Begriff innerhalb des politischen Diskurses. Er wird genutzt, um eine einzelne politische Maßnahme 240  Im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG lässt sich „präventive“ Zensur und „repressive“ Zensur zeitlich voneinander abgrenzen; Sperren im Internet lassen sich dennoch auch als „präventive staatliche Repression“ in diesem Kontext begreifen, vgl. zu dieser Terminologie Warg, DÖV 2018, S. 473 (476). 241  Vor allem im Zusammenhang mit staatlicher Überwachung. 242  Grundlegend Austin, Performatif – constatif, in: Bera (Hrsg.), La philosophie analytique, 1962, S. 271 ff.; vgl. im Überblick Konrad Ehlich, in: Glück, Helmut/ Rödel, Michael (Hrsg.), Metzler Lexikon, Sprache, 5. Aufl. 2016, S. 504 sub „Performative Äußerung“.



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme71

Abbildung 5: Überblick über die Verwendungsmöglichkeiten

oder aber ein gesamtes politisches System zu brandmarken, um sie oder es zu diskreditieren und zu delegitimieren. „Repression“ kann in diesem Sinne als sicherheitspervertierend und freiheitsverletzend verstanden werden. Wird die Bezeichnung als Sprechakt oft genug wiederholt, kann es sich bei der anhaltenden Bewertung von etwas als „Repression“ um eine performative Äußerung handeln:243 Ein politisches System kann etwa von Außenstehenden oder Betroffenen wiederholt als Form von „Repression“ bezeichnet werden. Wenn dieser Sprechakt oft genug wiederholt und über ihn ausreichend Konsens besteht, kann dies die von der so verstandenen Repression Betroffenen dazu motivieren, sich gegen die „staatlichen Repression“ (legitimiert) zur Wehr zu setzen. Diese performative Kraft der Verwendung des Wortes „Repression“ innerhalb des politischen Diskurses kann als politisches „Kampfmittel“ ge- oder missbraucht werden. Beim Wort „Prävention“ tritt die performative Kraft während seiner Äußerung noch deutlicher zu Tage. „Prävention“ beschreibt im politischen Kontext das primäre Bestreben eines Staats, Schäden zu verhindern. Anders als die „Repression“ kann die Prävention in diesem Kontext sicherheitsgewährend 243  Zur performativen Kraft der Wiederholung Krämer, Sprache, Sprechakt, Kommunikation, 2001, S. 259.

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A. Sprachliche Grundlagen

und freiheitsvoraussetzend verstanden werden. In diesem Sinne ist sie politischer Rechtfertigungsbegriff und kann damit zugleich als politischer Kampfbegriff genutzt werden. Hassemer begreift „Prävention“ zu Recht nicht nur, aber vor allem auch im rechtspolitischen Kontext als „Schlangenwindung der Glückseligkeitslehre“244. Der politischen Beliebtheit des Wortes „Prävention“ korrespondieren „performative Gefahren“, die Kink für den militärischen Bereich prägnant formuliert: „Präventionsdiskurse stellen eine sehr spezielle Form der Problematisierung von Sicherheit dar. Verstanden als zukunftsgerichtete und gewaltbasierte Sicherheitsstrategie profitiert der Präventionssprechakt von der generellen Legitimation von Gewalt zur Herstellung staatlicher Sicherheit. Prävention ist begrifflich also ein Teilbereich möglicher Legitimationsstrategien von Gewalt. […] Einer militärischen Aktion das Attribut ‚präventiv‘ zuzuweisen, ist eine performative Handlung mit dreifacher Funktion. Erstens rückt ein solcher Sprechakt die Perspektive weg von der eigentlichen Handlung und impliziert eine sozial selektierte, abstrakte Bedrohungslage, die trotz ihrer Abstraktheit jederzeit imminent und materiell werden kann. Das Attribut ‚präventiv‘ gründet also auf dem Konzept des Risikos und verstärkt die zuvor erläuterte Risikokonnotation des Sicherheitsbegriffs ins Extreme. Zweitens werden Bedrohung und Risiko selbst von der konkreten Bearbeitung des Risikos zeitlich und räumlich getrennt. Schließlich fungiert der Begriff der ‚Prävention‘ drittens als Legitimation für Gewaltanwendung. Dies geschieht innerhalb radikal versicherheitlichter Kontexte durch das Verständnis als Selbstverteidigungsstrategie gegen existentielle Bedrohungen. Selbstverteidigung wiederum ist konstitutiv für die Sicherheit des Staates und inhärenter Bestandteil der Idee der Souveränität.“245

In der inhaltlichen Legitimationsfunktion von „Prävention“ liegt somit auch die performative Kraft während der Äußerung: Gerade im Kontext der inneren und äußeren Sicherheit ermöglicht die Präventionslogik überhaupt erst bestimmte Handlungsoptionen.246 Besteht etwa gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Kriege nur zur Selbstverteidigung oder Verhinderung „repressiver“ Staaten zulässig ist, ermöglicht erst erfolgreiche Aussprache von „Prävention“ die Handlungsoption der Kriegsführung.

244  Begriff nach Kant, Einführung in die Metaphysik der Sitten (1798), Band 4, 2017, S.  452 ff.; Hassemer, Sicherheit durch Strafrecht, in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt am Main (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, 2007, S. 99 ff.; zur „Prävention als argumentativer Alles­kleber“ vgl. Albrecht, Kriminalpolitik im Präventionsstaat, in: Kriminologische Initiative Hamburg e. V. (Hrsg.), Krim-Info, Nr. 12 (1995), S. 3 (5); einen ausführlichen Bezug zum Sicherheitsrecht herstellend Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S.  149 ff. 245  Kink, Die Sprache des Krieges, 2011, S. 79, 88; zum Verhältnis der „Prävention“ und „Repression“ in der Kriegsrhetorik vgl. bereits oben unter A. I. 1. c) dd). 246  Instruktiv Kink, Die Sprache des Krieges, 2011, S. 84 ff.



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme73

Als politische Kampfbegriffe können „Prävention“ und „Repression“ damit antagonistisch und gleichermaßen performativ verstanden werden. Sie verhalten sich dennoch auch in diesem Kontext nicht antonym zueinander. Sie werden vielmehr auch dort auf unterschiedlichen Ebenen verwendet. Wird eine Maßnahme als „Repression“ gebrandmarkt, ist es nicht unüblich, dass sie zugleich einem von der Maßnahme unabhängigen Zustand vorbeugen möchte. Die „repressive“ Maßnahme lässt sich dann mit einer Präven­ tionslogik vereinbaren. „Prävention“ und „Repression“ schließen sich damit im politischen Kontext gerade nicht gegenseitig aus. d) Attributive Suggestivbegriffe Neben der performativen Funktion kann dem Begriffspaar auch entgegengesetzte suggestive Funktion gerade im politischen Kontext zukommen. Besondere und von den Abstrakta unabhängige Bedeutungen können „Prävention“ und „Repression“ nämlich zukommen, wenn sie als derivative Adjektive („präventiv“/„repressiv“) genutzt werden. Als attributives Adjektiv besteht die sprachliche Möglichkeit, das dazugehörige Substantiv näher zu konkretisieren. In ihrer attributiven Funktion kann ein Adjektiv die vollständige Bedeutung des dazugehörigen Abstraktums einnehmen und damit das Substantiv entsprechend der Bedeutung des Abstraktums eingrenzen. Es kann darüber hinaus das dazugehörige Abstraktum in abgeschwächter Weise abbilden. Die Adjektive lassen sich aufgrund ihres Suffix’ –iv auch als repressions- bzw. präventionsartig verstehen. In dieser Funktion muss das zugehörige Substantiv nicht vollständig mit dem jeweiligen Abstraktum übereinstimmen, so dass mit der Verwendung des Adjektivs statt des Abstraktums Präzision und Bestimmtheit verloren gehen kann. Gleichzeitig könnten aufgrund der fehlenden Präzision und Bestimmtheit Assoziationen beim Adressaten geweckt werden, die über die Bedeutungsmöglichkeiten des Abstraktums hinausgehen. Mögliche Synonyme von „repressiv“ sind im politischen Kontext die ­ djektive „autoritär, diktatorisch, totalitär, uneingeschränkt, unumschränkt, A will­kürlich“.247 Ihnen lassen sich die Antonyme „antiautoritär, freiheitlich, 247  Bulitta/Bulitta, Wörterbuch der Synonyme und Antonyme, 3.  Aufl. 2004, S. 638; vgl. zu dieser Begriffsverwendung exemplarisch Pascal Beucker: „Doch je kritischer sie seinen Kurs der Re-Islamisierung und seine Korruptionsskandale begleiteten, desto repressiver wurde er. Der immer autoritärer regierende Premier drangsalierte nicht nur die Opposition, er verschärfte auch das schon zuvor nicht gerade liberale Pressegesetz, ließ regierungskritische Zeitungen verbieten und warf Journalisten in den Knast. Schließlich war es schlimmer als zuvor. Bis er 1960 vom Militär weggeputscht wurde, hatte Menderes rund 800 Journalisten hinter Gitter gebracht.“, Auf dem Weg in die Diktatur, taz Online vom 04.11.2016, abrufbar unter: http://www.taz. de/Debatte-Repression-in-der-Tuerkei/!5350805/ (zuletzt abgerufen am 15.11.2017).

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A. Sprachliche Grundlagen

liberal, […] ohne Zwang“ gegenüberstellen.248 Das Attribut weist das dazugehörige Substantiv als antidemokratisch und unrechtsstaatlich aus und wirkt damit pejorativ. Im politischen Kontext geht der Kennzeichnung freilich kein Erkenntnisprozess voraus, sie ist vielmehr von vornherein suggestiv angelegt: Dem Adressaten der Worte soll die eigene Wertung beeinflussend nahegelegt werden. Eine ähnliche – wenn auch abgeschwächte – suggestive Funktion in umgekehrter Stoßrichtung lässt sich dem Adjektiv „präventiv“ entnehmen. Als Attribut kann es besonders eine in Bezug genommene Maßnahme tatkräftig erscheinen lassen. Diese wird dann mit der Absicht durchgeführt, um eine Entwicklung bewusst zu beeinflussen, indem die Initiative übernommen wird.249 Eine Maßnahme mit dem Attribut „präventiv“ zu versehen, suggeriert Weitsichtigkeit im Sinne der Fähigkeit in die Zukunft vorauszudenken.250 Es können damit Fehlentwicklungen vermieden werden. Das Wort „präventiv“ wirkt damit meliorativ. In diesem Sinne lässt sich der „präventiven“ eine bloß reaktive Maßnahme gegenüberstellen, die lediglich Schäden behebt, wenn sie aufgetreten sind. Ein solches Handeln erfolgt nur auf Anstoß von außen, etwa aufgrund von Fehlern, Mängeln oder Forderungen. Als attributive Adjektive lassen sich „präventiv“ und „repressiv“ im politischen Kontext als in ihrer Bedeutung entgegengesetzte Begriffe verstehen. Es finden sich zahlreiche Synonyme und Antonyme. Diese vor allem wertenden Bedeutungsvariationen veranschaulichen, dass sich die Adjektive zum Gebrauch als attributive Suggestivbegriffe eignen. Zwingend zueinander verhalten sich die Worte allerdings auch in diesem Kontext nicht.

248  Bulitta/Bulitta, Wörterbuch der Synonyme und Antonyme, 3.  Aufl. 2004, S. 638. 249  Zu dieser Verwendung exemplarisch: „Mayer betonte außerdem, er unterstütze ‚nachdrücklich‘ die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erhobene Forderung nach der Schaffung eines neuen Haftgrunds im deutschen Strafrecht namens ‚Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung‘. Dieser würde es erlauben, bekannte Gefährder wie A. präventiv und frühzeitig in Haft zu nehmen.“, Meldung der dpa, Zeit Online vom 10.10.2016, abrufbar unter: http://www.zeit.de/politik/ deutschland/2016-10/sicherheit-fluechtlinge-ueberpruefung-union-chemnitz-terrorver dacht (zuletzt abgerufen am 10.10.2016). 250  Vgl. dagegen die Differenzierung in aktiv – reaktiv – proaktiv bei Burkardt Krems, Online Verwaltungslexikon, abrufbar unter: http://www.olev.de/r/reaktiv_usw. htm (zuletzt abgerufen am 01.09.2016); diese Terminologie verwendet Bäcker im sicher­heitsrechtlichen Kontext: Das Recht der Kriminalprävention unterteile sich seiner Ansicht nach in ein hergebrachtes Handlungskonzept (reaktive und einzelfallbezogene polizeiliche Kriminalprävention) und ein erweitertes Handlungskonzept (proaktive und/oder einzelfallübergreifende Präventionstätigkeit), Kriminalpräventionsrecht, 2015, S. 30, 51 ff.



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme75

2. „Prävention“ und „Repression“ als fachsprachliche Begriffe „Prävention“ und „Repression“ sind nicht nur Worte der Alltagssprache und Begriffe der juristischen Fachsprache, sondern auch Begriffe anderer wissenschaftlicher Disziplinen. „Repression“ beschreibt in den Politikwissenschaften die „Gesamtheit derjenigen gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, die als emanzipationshemmend und als überflüssige Herrschaft gedeutet werden, zum Beispiel autoritäre Herrschaftsordnungen in der Politik […]“251. Genauso wie in den Geschichtswissenschaften (dort vor allem bilanzierend252) wird der Begriff „Repression“ damit in den Politikwissenschaften gebraucht: Mit dem Gebrauch des Begriffs kann eine einzelne politische Maßnahme oder ein gesamtes politisches System begrifflich als „Repression“ konstatiert werden, wenn in der politischen Maßnahme oder in dem politischen System die für die „Repression“ konstitutiven Eigenschaften zu finden sind.253 In der Soziologie umschreibt der Begriff „Repression“ psychische und sozialnormative Auswirkungen von bestimmten gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, zum Beispiel Rechts- und Erziehungsverhältnisse.254 In der Philosophie wird der Begriff „Repression“ dagegen zur Kritik an den theoretischen und normativen Konstrukten zur Interpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit sowie zur Kritik an der Wirklichkeit selber genutzt.255 „Prävention“ ist demgegenüber weder geschichtswissenschaftliche noch philosophische noch soziologische Kategorie. In den Politikwissenschaften aber beschreibt das „Präventionsprinzip“ einen „Grundsatz, unerwünschten Schäden schon im Vorfeld durch geeignete Maßnahmen zuvorzukommen“256. Im sozialwissenschaftlichen Kontext werden unter dem Präventionsbegriff Wörterbuch zur Politik, 2. Aufl. 2004, S. 614 li. Sp. sub „Repression“. dazu schon Fn. 219. 253  Exemplarisch Hirsch, Der Sicherheitsstaat, 1980, S. 38 ff. 254  Vgl. zu dieser Begriffsbestimmung Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl. 2007, S. 748 re. Sp. sub „Repression“. 255  Zu diesem Terminus der „Kritischen Theorie“ Peter Prechtl, in: Prechtl/Burkard (Hrsg.), Metzler Lexikon, Philosophie, 3. Aufl. 2008, 528 f. sub „Repression“; zum philosophischen Begriff der „repressiven Entsublimierung“ dagegen Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft, 17.  Aufl. 1995; Marcuse, Der eindimensionale Mensch, 4. Aufl. 2004. 256  Schmidt, Wörterbuch zur Politik, 2. Aufl. 2004, S. 568 li. Sp. sub „Präventionsprinzip“; in der Soziologie wird „Prävention“ allein durch das Recht als unzureichend beobachtet: „In der modernen, Humanitätsidealen verpflichteten Gesellschaft ist Prävention zunehmen durch Maßnahmen der Aufklärung, Beratung, Hilfe und Behandlung gekennzeichnet.“, Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl. 2007, S. 697 li. Sp. f. sub „Prävention“. 251  Schmidt, 252  Vgl.

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A. Sprachliche Grundlagen

Strategien zusammengefasst, die soziale Entwicklungen möglichst frühzeitig beeinflussen sollen. So werden in etwa innerhalb der interdisziplinären „Friedens- und Konfliktforschung“ Parameter zusammengefasst, mit deren Hilfe Genozide und andere Formen von Massengewalt bereits im Entstehungs­ stadium identifiziert werden können. Dies ermöglicht die Entwicklung von Präventionsstrategien, die durch eine frühzeitige Intervention in soziale Prozesse Eskalationen zu verhindern versuchen.257 Der facettenreiche Umgang der Begriffe in den Fachsprachen lässt sich mit der sprachlichen Offenheit der Worte in der Alltagssprache erklären. Auffällig ist, dass „Repression“ als epistemischer Begriff weitaus verbreiteter ist als der Begriff der „Prävention“. „Prävention“ beschreibt in den genannten wissenschaftlichen Kontexten zuvörderst Strategien und Handlungsmaximen im Gegenstandsbereich der jeweiligen Wissenschaft. 3. „Prävention“ und „Repression“ als juristische Fachbegriffe „Prävention“ und „Repression“ können im juristischen Kontext als Begriffe autonom gebildet werden (a)), finden dort als juristische Basisbegriffe Verwendung (b)) und treten darüber hinaus auch in anderen juristischen Kontexten als dem sicherheitsrechtlichen auf (c)). a) Sterilisationsbedürfnis Die große Bedeutungsvielfalt und die weitreichenden Verwendungsmöglichkeiten als Suggestiv- und Kampfbegriff lassen auf der einen Seite den Schluss zu, dass „Prävention“ und „Repression“ als juristische Begriffe gänzlich ungeeignet sind. Als Abstrakta, denen keine im Alltagssprachgebrauch gebräuchlichen Verben korrespondieren, sind sie in besonderem Maße vage. Stattdessen lassen sich dem Begriffspaar unterschiedliche Verben in Form von Prozessen, Handlungen und Aktivitäten mit verschiedenen Stoßrichtungen verbinden. Auf der anderen Seite stillen abstrakte Hauptwörter das Bedürfnis der juristischen Sprache nach Kürze, Variabilität und Auslegungsfähigkeit. Es entfällt damit der in der Rechtswissenschaft vielfach vollzogene und oft kritisierte semantische Schritt einer Nominalisierung.258 257  Exemplarisch Staub, The roots and prevention of genocide and related mass violance, in: Zartman/Anstey/Meerts (Hrsg.), Slippery Slope to Genocide: Reducing Identity Conflicts and Preventing Mass Murder, 2012, S. 35 ff. 258  So schon Günther, Recht und Sprache, 1898, S. 41 f.: „Das Streben nach einer zugleich mit Vollständigkeit gepaarten Kürze der Ausdruckweise ist der Erklärungsgrund für verschiedene andere Eigentümlichkeiten der modernen Rechtssprache, so zunächst die übermässige Häufung von Substantiven statt der Bildung kleiner Neben-



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme77

Die beiden Fremdworte sind als Abstrakta von vornherein objektiviert, statisch und einer konkreten Situation oder Handlung entzogen. Diesem Spannungsfeld kann der juristische Diskurs Rechnung tragen, wenn die Worte „Prävention“ und „Repression“ zwar als Begriffe genutzt werden, aber im Gegenzug unabhängig von der politischen Kampf- und Suggestivfunktion verwendet und damit gewissermaßen von diesen „sterilisiert“ werden. Sie müssen als Begriffe im Verhältnis zu der Alltags- und den anderen Fachsprachen eigenständig, d. h. relativ, gebildet werden. Ob dies im tradierten Polizeirecht sinnvoll vollzogen wurde und sich diese Begriffsbildung auch sachgerecht auf das Sicherheitsrecht übertragen lässt, ist gesondert zu untersuchen (C. und D.). b) „Prävention“ und „Repression“ als juristische Basisbegriffe „Prävention“ und „Repression“ könnten unabhängig und „sterilisiert“ von den Konnotationen und Bedeutungen der Alltagssprache und anderer Fachsprachen juristische Basisbegriffe darstellen. Juristische Basisbegriffe sind die Grundbausteine der Rechtsdogmatik.259 Sie vereinfachen die Kommunikation unter Rechtswissenschaftlern und ermöglichen dasjenige Differenzierungsvermögen, welches für die Lösung von Rechtsproblemen unerlässlich ist. Juristische Basisbegriffe können auch als Antonyme auftreten. Oft hilft es, die Bedeutung eines Begriffs durch die Bildung eines Gegenbegriffs – Antonym – zu erläutern.260 Besonders Rechtswissenschaftler bedienen sich regelmäßig solcher Gegenbegriffe: „Normativen Begriffe“ werden „deskriptive Begriffe“, dem Begriff „formell“ wird der Begriff „materiell“, dem Begriff „objektiv“ wird der Begriff „subjektiv“ gegenübergestellt; durch die Gegenüberstellung lassen sich beide Begriffe besser verstehen. Hinter solchen Antonymen verstecken sich dann Theorien geringer Reichweite, so dass sie sich als Versatzstück umschreiben lassen.261 Da die Versatzstücke in verschiedenen Teilrechtsgebieten gleichermaßen genutzt werden können, lassen sie sich als juristische Basisbegriffe (Basisversatzstücke) einordnen.262 Röhl/ Röhl beschreiben prägnant, welche wichtigen Funktionen solchen Versatzstücken im juristischen Kontext zukommen: sätze. […] Dass durch die vielen Verbalsubstantive […] unsere Muttersprache verschönert werde, kann wohl niemand im Ernste behaupten, haben doch Spötter bereits bemerkt, das Deutsche klinge so fast schon wie lauter Unkenrufe.“. 259  Zu dieser Beschreibung und zur Abgrenzung zu apriorischen juristischen Grundbegriffen Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 46. 260  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 33. 261  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 166. 262  Etwa die Aufzählung bei Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S.166 ff.

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A. Sprachliche Grundlagen

„Neben den juristischen Theorien gibt es einen ganzen Katalog von Versatzstücken. Meistens treten sie paarweise als Gegenbegriffe (Antonyme) auf. Die Versatzstücke zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehrfach verwendbar sind. […] Man darf solche ‚Versatzstücke‘ nicht gering schätzen. Sie haben zwar keinen eigenen Erkenntniswert. Aber mit ihrer Hilfe entwickeln Juristen jenes Differenzierungsvermögen, das eine der spezifischen Kompetenzen juristischen Denkens ausmacht.“263

Das Beschreibungspotential eines Begriffes lässt sich oft erst durch die Bildung eines Gegenbegriffs vollständig ausschöpfen.264 Nicht selten muten diese Versatzstücke dichotom an. Als Gegensatzpaare erscheinen sie dann gegenseitig ausschließend und miteinander allumfassend. Gewisse Dicho­ tomien müssen in der Rechtswissenschaft zwingend ernst genommen werden. Wird Recht angewendet, steht am Ende ein Ergebnis: „zulässig“ oder „unzulässig“, „begründet“ oder „unbegründet“, „rechtmäßig“ oder „rechtswidrig“, „strafbar“ oder „nicht strafbar“. Diese Entweder-oder-Einteilung ist stets Rechtsanwendungsergebnis und Teil eines Entscheidungsakts und nicht Ergebnis eines formallogischen Erkenntnisakts. Die echte Dichotomie ist damit Ausdruck des Entscheidungsbedürfnisses im Recht.265 Diese Form von Differenzierungsnotwendigkeit erkauft man zulasten von Differenzierungspotentialen. Die binären Entscheidungsmodi können und sollen keine Nuancen abbilden. Ein Rechtsakt, der an vielen inhaltlichen Mängeln leidet, ist genauso rechtswidrig wie ein Rechtsakt, der an einem („bloß“) formalen Mangel leidet. Solche Unterschiede können echte Dichotomien als etikettierende Rechtsbegriffe freilich nicht abbilden. Die Radikalität einer strikten Zweiteilung hat damit auch Nachteile. Sie zeigen sich dort stärker, wo nicht von vornherein ersichtlich ist, ob sich zwei Begriffe echt dichotom zueinander verhalten. Oft werden sie als statische Gegenpole missverstanden und oft wird eine Trennlinie zwischen den Begriffen nahegelegt, obwohl tatsächlich ein fließender Übergang zwischen den Begriffen stattfindet.266 Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 166 und 168. VerwArch 93 (2002), S. 22 (37). 265  Pointierter Überblick zu Dichotomien Klaus F. Röhl, Dichotomien im Recht Böses Denken: Die normative Kraft von Dichotomien, 16.01.2021, abrufbar unter: https://www.rsozblog.de/boeses-denken-die-normative-kraft-von-dichotomien/; daneben auch ders., Gegenbegriffe, Dichotomien und Alternativen in der Jurisprudenz, 14.01.2021, abrufbar unter: https://www.rsozblog.de/gegenbegriffe-dichotomienund-alternativen-in-der-jurisprudenz/; ders., Zur Asymmetrie der Unterscheidung, 23.01.2021, abrufbar unter: https://www.rsozblog.de/zur-asymmetrie-der-unterschei dung/ (alle zuletzt abgerufen am 10.04.2022). 266  Vgl. etwa kritisch und zugleich instruktiv zur Dichotomie von „unbestimmtem Rechtsbegriff“ und „Ermessen“ Matthias Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Abs. 3 S. 2. 263  Röhl/Röhl, 264  Möllers,



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme79

Ein immer wieder in verschiedenen Kontexten auftauchendes Versatzstück ist auch das Begriffspaar „Prävention-Repression“. Die Begriffe könnten dem ersten Zugriff nach paarweise auftretende Gegenbegriffe darstellen, die sich dichotom zueinander verhalten. Wenn sie nicht nur en passant in einzelnen Kontexten mit unterschiedlicher Bedeutung auftreten, sondern rechtsgebietsübergreifend mit paralleler Bedeutung verwendet werden, könnten sie darüber hinaus juristische Basisbegriffe sein. Als Abstrakta sind „Prävention“ und „Repression“ kontextabhängig bzw. rechtsgebietsabhängig und damit nicht als juristische Basisbegriffe zu verstehen.267 Als attributive Adjektive „präventiv“ und „repressiv“ treten sie dagegen in vielen Teilrechtsgebieten attributiv mit paralleler Bedeutung in Erscheinung.268 Die Einteilung in „präventiv“ und „repressiv“ unterteilt dabei Sachverhalte strikt zeitlich. Diese Einteilung ist möglich, indem dem Wort „repressiv“ die Bedeutung gegeben wird, ein Ereignis bzw. ein „Problem“ nachträglich aus der Welt zu schaffen. Grenze der Unterteilung ist das jeweils in Bezug genommene Ereignis (etwa eine Kündigung, eine Baugenehmigung oder ein Unterlassen einer Gemeinde). Neben dem zeitlichen Aspekt gibt es keine weitere notwendige Bedingung, die Voraussetzung für die Verwendung der beiden Begriffe ist. Für den Begriff „präventiv“ lässt sich diese Bedeutung ohne weiteres aus dem Alltagssprachgebrauch ableiten. „Präventiv“ beschreibt in diesem Sinne eine Maßnahme, die vor Eintritt eines Ereignisses versucht, dieses vollständig zu verhindern. Der Begriff „repressiv“ muss für diese Bedeutung weitgehend „sterilisiert“ und „umgebildet“ werden, indem sämtliche Bedeutungen aus der Alltagssprache, dort vor allem aus dem politischen Kontext, ausgeblendet werden. Für die Anwendbarkeit des Begriffs wird umgekehrt eine fremde – nämlich eine zeitliche – Bedeutung (einzige) notwendige Voraussetzung. Nur durch diese Bedeutungsverschiebung und autonome Begriffsbildung lassen sich die beiden Begriffe des Begriffspaars als deskriptive (!) temporale Basisbegriffe der Rechtswissenschaft begreifen. 267  Vgl.

sogleich unter A. II. 3. c). „präventive“ und „repressive“ Maßnahmen des Arbeitgebers nach § 12 Abs. 1 AGG zum Schutz vor Benachteiligungen im Sinne von § 1 AGG, vgl. Martina Benecke, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar zum AGG, Stand 01.03.2022, § 12 AGG Rn. 4 ff.; „präventiver“ und „repressiver“ Entlassungsschutz durch die „Mutterschutz-Richtlinie“ Fuhlrott, „Mutterschutz-RL“ gebietet präventiven und repressiven Entlassungsschutz, GWR 2018, S. 97 (97); „präventive“ und „repressive“ Kommunalaufsicht Klaus Schönenbroicher, in: Dietlein/Heusch (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar, Kommunalrecht NordrheinWestfalen, 19. Edition, Stand: 01.03.2022, § 11 NRWGO Rn. 9 ff.; „präventiver“ und „repressiver“ Rechtsschutz Hummel, JuS 2011, S. 317 (317); zur „Prävention“ und „Repression“ in der Seuchenbekämpfung Putzer, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, 11. Ed. 2022, § 3 IfSG Rn. 4. 268  Beispielsweise

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A. Sprachliche Grundlagen

Beispiel: Das Bauordnungsrecht lässt sich in die präventive und repressive Kon­ trolle unterteilen. Die präventive Kontrolle wird durch das Baugenehmigungsverfahren sichergestellt.269 Es stellt zeitlich vor dem Baubeginn sicher, dass alle einschlägigen gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden (Rechtmäßigkeitskontrolle). Demgegenüber werden die bauaufsichtsrechtlichen Ermächtigungen zur Baueinstellung, Nutzungsuntersagung und Abrissverfügung als repressive Kontrolle zusammengefasst (Wiederherstellung der braurechtmäßigen Zustände).270 Der hessische Landesgesetzgeber etwa hat diese Unterscheidung in § 61 Abs. 2 S. 2 HBO271 („präventive bauaufsichtliche Prüfung“) rezipiert und positiviert.

Wenn aber allein die zeitliche Dimension Abgrenzungsmerkmal der Begriffe zueinander und darüber hinaus das temporale Differenzierungsbedürfnis im Recht einziger Grund für die Verwendung der Begriffe ist, ist die Wahl gerade dieser Worte als Etikette kontraintuitiv: Den beiden Worten lässt sich in der Alltagssprache gerade keine zwingende temporale Abgrenzung entnehmen.272 Die zeitliche Ausrichtung der Attribute ist sprachlich beliebig und hängt allein von der Ausrichtung zwischen Attribut und Bezugspunkt ab. Es stehen in der deutschen Sprache präzise Worte bereit, denen allein eine zeitliche Bedeutung zwingend immanent ist. Einen zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt beschreibt das Adjektiv „prospektiv“, dem das Adjektiv „retro­ spektiv“ als zeitliche nachgelagerter Begriff gegenübergestellt werden kann. Daneben grenzen die Begriffe „(pro-)aktiv“ und „reaktiv“ ähnliche präzise und sprachlich zwingend von einem bestimmten Ereignis temporal ab.273 Den sprachlichen Bedenken hinsichtlich der allein temporalen Verwendung der juristischen Basisbegriffe „präventiv“/„repressiv“ könnte das Bundesverfassungsgericht Rechnung tragen, wenn es für ein richterliche Kontrolle im Rahmen von Art. 13 GG dem „präventiven richterlichen Grundrechtsschutz“ einen „nachträglichen“ gegenüberstellt.274 Diese Beispiele zeigt, dass alternative Worte und Begriffe zur Verfügung stehen, die die allein temporale Abgrenzung deutlich(er) zu Tage treten lassen.

269  Hermes, Bau- und Planungsrecht, in: Hermes/Reimer (Hrsg.), Landesrecht Hessen, 9. Aufl. 2019, § 6 Rn. 85. 270  Stollmann/Beaucamp, Öffentliches Baurecht, 11. Aufl. 2017, § 19 Rn. 1; zur Verlagerung der behördlichen Aufgaben hin zur repressiven Kontrolle durch „Deregulierung und Privatisierung“ im Bereich des Bauordnungsrecht Finkelnburg/Ortloff/ Otto, Öffentliches Baurecht, Band II: Bauordnungsrecht, Nachbarschutz Rechtsschutz, 7. Aufl. 2018, § 7 Rn. 1. 271  Hessische Bauordnung (HBO) vom 28. Mai 2018, GVBl. S. 198. 272  Vgl. vor allem A. II. 1. b). 273  Diese Terminologie findet sich bereits im Sicherheitsrecht, ohne dass der Terminologie „präventiv“ – „repressiv“ ausdrücklich gegenübergestellt wird, vgl. etwa Kniesel, Die Polizei 2018, S. 265 (266). 274  Zu dieser Terminologie jüngst BVerfG, NJW 2019, 1428 (1429 Rn. 55).



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme81

Dennoch sprechen auch gute Gründe für die Nutzung von „präventiv“/ „repressiv“ als juristische Basisbegriffe. Als fremdsprachliche Worte ist das Versprechen an Präzision hoch, die Worte bleiben jedoch im juristischen Kontext unpräzise und damit letztlich flexibel, entwicklungs- und wertungsoffen. Diese Funktion wird durch die grammatikalische Form eines attributiven Adjektivs, das auf -iv endet, verstärkt. Es kann in dieser Form als abgeschwächte Form (präventionsartig und repressionsartig) verstanden werden. Damit ist keine Festlegung getroffen, ob eine „präventive“ oder „repressive“ Maßnahme zugleich dem Abstraktum „Prävention“ oder „Repression“ entspricht. Schließlich könnte ein inhaltliches Argument für die Wahl genau dieser Etikette sprechen. Mit dem Recht wird regelmäßig versucht, ungewollte Zustände (oder Verhaltensweisen) aus der Welt zu schaffen oder zu ermöglichen. Im Öffentlichen Recht und im Strafrecht soll obrigkeitliches Handeln regelmäßig entweder legitimiert oder begrenzt werden. Im Zivilrecht versuchen die Zivilrechtssubjekte untereinander Zustände in die Welt oder aus der Welt zu schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es rechtsgebietsübergreifend typischerweise zwei Möglichkeiten: Den Zustand von vornherein, nämlich „präventiv“, vollständig zu verhindern oder einen eingetretenen Zustand, der nicht mehr vollständig zu verhindern ist, nachträglich, nämlich „repressiv“, soweit es geht – oft aber nicht mehr vollständig – zu bekämpfen. In diesem Sinne stellen die beiden Worte typisierte (vor allem obrigkeitliche) Handlungsoptionen dar, die sich im juristischen Kontext zu einer dichotomen Wahrnehmungskategorie emanzipiert haben.275 c) Phänomenologie Neben dem Gebrauch als juristische Basisbegriffe und der Verwendung im sicherheitsrechtlichen Kontext tauchen die Etikette „Prävention“ und „Repression“ in weiteren speziellen juristischen Kontexten auf. Im allgemeinen Verwaltungsrecht wird das „präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ (Kontrollerlaubnis) vom „repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt“ (Ausnahmebewilligung) abgegrenzt. Dieser Dichotomie wohnt in Abgrenzung zum Gebrauch von „präventiv“ – „repressiv“ als juristische Basisbegriffe gerade keine zeitliche Komponente inne. Die Differenzierung im allgemeinen Verwaltungsrecht kategorisiert Verwaltungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Grundrechtsrelevanz und damit ihrer grundsätzlichen Erwünschtheit. Ein „präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ verbietet ein 275  Für dieses typisierte Verständnis von „präventiv“ und „repressiv“ spricht die Formulierung in BVerfGE 110, 1 (20): „Der erweiterte Verfall [§ 73d StGB] verfolgt nicht ‚repressiv-vergeltende‘, sondern ‚präventiv-ordnende‘ Ziele und ist daher keine dem Schuldgrundsatz unterliegende strafähnliche Maßnahme“.

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A. Sprachliche Grundlagen

Verhalten nicht, weil es generell unerwünscht ist und unterbleiben soll, sondern nur, um die Durchsetzung materiell-rechtlicher Voraussetzungen zu sichern. Dagegen beschränkt ein „repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt“ ein generell unerwünschtes Verhalten, das nur ausnahmsweise bewilligt wird. Eine solche Bewilligung vergrößert damit den Rechtskreis des Betroffenen.276 Beide Verbote führen gleichermaßen zum Erfordernis einer zeitlich „vorherigen“, mit den Worten der juristischen Basisbegriffe also „präventiven“, behördlichen Genehmigung. Obwohl diese dichotome Unterscheidung insgesamt in der Kritik steht,277 verdeutlicht sie dennoch die sprachliche Verwendungsvielfalt des Begriffspaars „Prävention“ und „Repression“ allein schon im juristischen Kontext. Die Verwendung als Kategorien des Allgemeinen Verwaltungsrechts ist für sich genommen sprachlich folgerichtig und ihre sprachlichen Bedeutungen entsprechen – im Gegensatz zur Bedeutung von „präventiv“ und „repressiv“ als juristische Basisbegriffe – sogar „mehr“ der Alltagssprache, weil die Begriffe hier nicht temporal voneinander abgegrenzt werden. Die sprachliche Bedeutung der verwaltungsrechtlichen Kategorien steht aber in diametralen Widerspruch zur oben aufgezeigten sprach­ lichen Bedeutung des Begriffspaars im Sinne der juristischen Basisbegriffe. Im Bauordnungsrecht etwa, in dem die verwaltungsrechtlichen Begriffe und die Basisbegriffe aufeinandertreffen, wird die „präventive“ und „repressive“ bauordnungsrechtliche Kontrolle allein zeitlich abgegrenzt; als Kategorie im Allgemeinen Verwaltungsrecht, die freilich auch das Baurecht betrifft278, wird ein zeitliches Moment vollständig aufgeben und die Zuordnung erfolgt allein aus normativen (vor allem grundrechtsspezifischen) Gesichtspunkten. In der Strafrechtswissenschaft erfasst die Disziplin der Kriminalprävention Studien über die Verhütung bzw. Verhinderung von Straftaten durch Analyse und Beeinflussung von Lebensbedingungen.279 Diese empirische und rechtspolitische Disziplin verwendet den Begriff der „Prävention“ unabhängig von 276  Im Überblick Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 9 Rn. 52 ff. oder grundlegend und kritisch Gromitsaris, DÖV 1997, S. 401 ff. 277  Vgl. prägnant Schwabe, JuS 1973, S. 133 ff. und Schwabe, Das so genannte repressive Verbot, in: Zehetner (Hrsg.), Festschrift für Hans-Ernst Folz, 2003, S. 305 ff.; zur viergliedrigen Unterscheidung in „präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“, „suspensives Verbot mit Distributionsvorbehalt“, „dilatorisches Verbot mit Planungsvorbehalt“ und „repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt“ Masing, Der Rechtsstatus des Einzelnen im Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2012, § 7 Rn. 165 ff. 278  Die Baugenehmigung ist Paradebeispiel für ein „präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ und eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB lässt sich als „repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt“ klassifizieren. 279  M. w. N. Gropp/Sinn, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 148; im Überblick Kaspar, Kriminologische Forschungsfelder, in: Hilgendorf/Kudlich/Va-



II. „Prävention“ und „Repression“ als dichotome Antonyme83

einer sicherheitsrechtlichen Einteilung in „Prävention“ und „Repression“. Ihr wird unmittelbar kein Begriff gegenübergestellt. Dennoch ist es möglich, dass auch in dieser Disziplin mitgedanklich das klassische, nämlich „repressive“ Strafrecht gegenübergestellt wird, dessen Anwendung durch Maßnahmen der Kriminalprävention verhindert werden sollen. Neben diesen rechtswissenschaftlichen Begriffen ist „Prävention“ an unterschiedlichen Stellen Rechtsatzbegriff geworden. Vor allem im Gesundheits- und Sozialrecht ist „Prävention“ ausdrücklich gesetzgeberisches Programm. Nach § 20 SGB V280 etwa sollen die Krankenkassen in der Satzung Leistungen zur „Primären Prävention“ vorsehen, § 167 SGB IX281 ist mit „Prävention“ amtlich überschrieben und in § 3 SGB IX ist der „Vorrang von Prävention“ festgelegt. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 des Kinderschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt282 sollen die Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Familien des Landes Sachsen-Anhalt „präventiv wirken“. Aber auch im Sicherheitsrecht findet der Begriff der „Prävention“ zunehmend Verwendung. Gem. § 2 PsychKHG283, der die Grundsätze auch für die gefahrenabwehrrechtliche Regelung in den §§ 9 ff. PsychKHG festlegt, hat die „Prävention psychischer Störungen einen hohen Stellenwert“. Zudem sieht § 1 Abs. 6 HSOG die Bildung von „Kriminalpräventionsräten“ vor. Diesen beiden Begriffen wird durch den Gesetzgeber keine (auch nicht mitgedankliche) Form von „Repression“ gegenübergestellt. Dagegen lässt sich § 170 Abs. 4 TKG284 mit der Formulierung, dass „entsprechende landesgesetzliche Regelungen zur polizeilich-präventiven Telekommunikationsüberwachung“ von den Ermächtigungen das TKG unberührt bleiben, und der Gegenüberstellung von § 100a Abs. 4 S. 1 StPO das Vorverständnis einer lerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Band 1, 2019, § 20 Rn. 94 ff., vgl. dazu auch später unter C. III. 280  Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – vom 20.12.1988 (BGBl. I S. 2477), zuletzt geändert durch Art. 2 Covid19-Gesetz zur Verlängerung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes und weiterer Regelungen vom 18.3.2022 (BGBl. I S. 473). 281  Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234), zuletzt geändert durch Art. 7c Gesetz zum Erlass eines Tierarzneimittelgesetzes und zur Anpassung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 27.09.2021 (BGBl. I S. 4530). 282  Gesetz zum Schutz des Kindeswohls und zur Förderung der Kindergesundheit (Kinderschutzgesetz) des Landes Sachsen-Anhalt, vom 9. Dezember 2009, GVBl. S. 644. 283  Hessisches Gesetz über Hilfen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – PsychKHG) vom 04.05.2017 (GVBl. S. 66). 284  Telekommunikationsgesetz vom 23.06.2021 (BGBl. I S. 1858), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 10.09.2021 (BGBl. I S. 4147) geändert worden ist.

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A. Sprachliche Grundlagen

strukturellen Unterscheidung zwischen „Prävention“ und Repression“ entnehmen.

III. Zusammenfassung „Prävention“ und „Repression“ sind semantische Chamäleons durch die Zeit und über Sachzusammenhänge hinweg. Den „Chiffren“ kann ohne weiteren Textzusammenhang keine konkrete Bedeutung zugewiesen werden. Der semantische Bezugspunkt allein gibt Auskunft über die grundsätzliche Ausrichtung der sprachlichen Bedeutung. Aus historisch-alltagssprachlicher Perspektive stehen die Worte zunächst in keinem Verhältnis zueinander. Erst mit Hilfe der semantischen Kontextualisierung innerhalb des juristischen Diskurses lassen sich „präventiv“ und „repressiv“ als autonome, echtdichotome juristische Basisbegriffe begreifen. Die temporale Verwendung als juristische Basisbegriffe ist unabhängig von den Bedeutungen des Begriffspaars in anderen Zusammenhängen möglich. In diesem Zusammenhang kommt den Begriffen weder meliorative noch pejorative, sondern allein deskriptiv-neutrale Funktion zu. Neben dem juristischen Kontext bleiben die Begriffe freilich auch alltagssprachliche und politische Worte. Für den Gebrauch der alltagssprachlichen Worte neben der konturierten Funktion als juristische Basisbegriffe „präventiv“ und „repressiv“ hinaus bleibt ein Jurist anfällig: Die meliorativ wirkende „Prävention“ wird als gesellschaftspolitisches Allzweckmittel285 genutzt, dem sich auch die Gesetzgeber zusehends bedienen. Der Begriff der „Prävention“ weist damit eine Form von Politizität auf. Wenn man sie als zukünftige politische Verhaltenssteuerung zu Schadensverhinderung begreift, ist die Verwendung des Wortes für den juristischen Kontext geradezu prädestiniert. Das pejorative Wort „Repression“ im Sinne von „freiheitsverletzend“ dagegen musste für die Verwendung als juristischer Basisbegriff Sterilisationsund Umbildungsprozesse durchlaufen, um sinnvoll verwendet werden zu können, und genießt als Rechtsatzbegriff bei den Gesetzgebern ein Schattendasein. Er ist aber im Alltagssprachgebrauch weiterhin ein gesellschaftspolitischer Kampfbegriff, dessen pejorative Konnotation Eingang in die juristische Fachsprache finden könnte. Die aufgezeigten polyvalenten Bedeutungsentwicklungen in der Alltagsund den Fachsprachen erfordern schon aus sprachlichen Gründen eine mög285  „Prävention als argumentativer Alleskleber“, Albrecht, Kriminalpolitik im Präventionsstaat, in: Kriminologische Initiative Hamburg e. V. (Hrsg.), Krim-Info, Nr. 12 (1995), S. 3 (5); einen ausführlichen Bezug zum Sicherheitsrecht herstellend Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, 2010, S. 149 ff.



III. Zusammenfassung85

lichst unvoreingenommene Herangehensweise an die Wörter und die Begriffe. Die disparaten Bedeutungsmöglichkeiten der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ werden in der juristischen Fachsprache vervielfacht, da sie dort als juristische Basisbegriffe, als juristische Fachbegriffe einer Teildisziplin oder aber als „untechnische“ Worte der Alltagssprache verwendet werden können. Dort, wo unterschiedliche Derivate des Begriffspaars aufeinandertreffen, ist eine semantische „Dechiffrierung“ im Sinne einer Begriffsanalyse zwingend geboten, um performative Äußerungen durch die Verwendung des Begriffspaars zu vermeiden. Bevor die dogmatische Relevanz und die Grenzen der begrifflichen Einteilung in „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht untersucht werden, sind die beschriebenen sprachlichen Auffälligkeiten Ausgangspunkt für die Formulierung der Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung. Sie können die Bewertung der Rechtsbegriffe „Prävention“ und „Repression“ ermöglichen und einen sachgerechten Umgang mit ihnen anleiten.

B. Theoretische Grundlagen Die Ermittlung der inhaltlichen Bedeutung eines Rechtsatzbegriffs ist nur für den entsprechenden Kontext möglich und damit zunächst auf diesen begrenzt. Diese zutreffende Erkenntnis wird auf Rudolf Müller-Erzbach zurückgeführt, wenn er ausführt, man dürfe den (Rechtsatz-)Begriff nicht als eine bestimmte, ein für alle Mal gegebene Größe ansehen, sondern müsse in jedem Falle, bei dem vernünftigerweise Zweifel möglich sind, prüfen, welche Inhaltsverschiebung der Begriff durch den Zusammenhang, insbesondere durch den Zweck der konkreten gesetzlichen Bestimmung, erleide.286 Karl Engisch führte diesen Gedanken fort,287 so dass er heute prägnant und schlagwortartig mit dem Begriff „Relativität der Rechtsbegriffe“ assoziiert wird. Rechtsatzbegriffe sind damit stets „kontext-, aufgaben- und vorver­ ständnisabhängig“288. Diese Prämisse ist für den kundigen Rechtsanwender beim ersten Zugriff auf eine Rechtsnorm essentiell; sie initiiert einen kritischen Auslegungsvorgang. Müsste man die Schlagworte „Relativität der Rechtsbegriffe“ innerhalb eines Auslegungsgesichtspunkts verorten, könnte man sie schon im Rahmen der Wortlautauslegung ansiedeln. Der erste sprachliche Zugriff und der weitere Zugriff durch die anderen canones auf einen Rechtsatz werden unter der Berücksichtigung dieser Prämisse kritischer und differenzierter. Der Gedanke wurde dementsprechend aus der Fragestellung entwickelt, wie der Rechtsanwender Rechtsätze, dabei vor allem das positiv-gesetzte Recht, zu verstehen hat. Der Rechtsanwender muss verschiedene Rechtsetzungsebenen in den Blick nehmen, innerhalb derer unterschiedliche Rechtsetzungsorgane rechtsetzungsbefugt sind. Die unterschiedlichen Rechtsetzungsorgane verwenden ihre Begriffe dabei nicht zwangsläufig einheitlich. Dasselbe Begriffswort muss noch nicht einmal in einer einheitlichen Kodifikation, dessen Urheber ein einziger Rechtsetzer ist, dieselbe Bedeutung haben; beide Begriffsworte müssen nicht zwangsläufig derselbe Begriff sein.289 Die beschriebene Möglichkeit der Bedeutungsverschiedenheit von identischen Rechtsatzbegriffen Jherings Jahrbuch Band 61 (1912), S. 343 (373). Einführung in das juristische Denken, 11. Aufl. 2010, S. 140. 288  Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 284. 289  Dies sollte gerade unter Berücksichtigung der Forderungen nach einer wie weit auch immer reichenden „Einheit der Rechtsordnung“ stets Leitgedanke jeder kritischen Rechtsanwendung sein. 286  Müller-Erzbach, 287  Engisch,



B. Theoretische Grundlagen87

rechtfertigt zugleich die Prämisse der Relativität der Rechtsbegriffe in der juristischen Methodenlehre. Die weitgehende formale Wahlfreiheit des Normsetzers beim Normerlass hinsichtlich seiner Begriffswörter, deren Reich­weite es näher zu untersuchen gilt, ist damit der Grund für den topos der „Relativität der Rechtsbegriffe“. Die vorliegende Untersuchung bezieht einen Perspektivwechsel mit ein; „Prävention“ und „Repression“ sind im Sicherheitsrecht keine Rechtsatz­ begriffe, die die Rechtsetzer dem Rechtsanwender vorgegeben haben. Zur Rechtsanwendung müssen sie nicht von Gesetzes wegen auslegt oder deduziert werden. Vielmehr könnten sie als rechtswissenschaftliche Begriffe den Anspruch erheben, das durch den Rechtsetzer gesetzte geltende Recht (dogmatisch) zu ordnen und zu systematisieren. Schon die sprachliche Bestandsaufnahme der Worte „Prävention“ und „Repression“ hat unterschiedliche Stoßrichtungen zutage treten lassen, die auch Ausdruck der Bedeutungsrelativität von Worten in der Alltagssprache sind. Das Begriffspaar ist somit zuvörderst aus rechtstheoretischer und rechtswissenschaftstheoretischer Perspektive zu beleuchten.290 Denn sowohl der Rechtsetzer wie auch die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft können denselben Begriffswörtern unterschiedliche Bedeutungen – subjektiv – zukommen lassen oder den verwendeten Begriffswörtern können unterschiedliche Bedeutungen – objektiv – zukommen. Das Verstehen juristischer Literatur beruht insoweit seinerseits stets auf einem Auslegungsvorgang. Als Folge einer Klugheitsregel und zur effizienten Kommunikation werden die Verfasser stets darauf bedacht sein, eine einheitliche Begriffsverwendung zu gewährleisten, sofern sie selbst vorgefunden wird, andernfalls jedoch selbst eine kohärente Begriffsverwendung anbieten. Die Rechtsprechung und Rechtswissenschaft strebt nach Einheitlichkeit und Konsistenz; nicht als Selbstzweck, sondern vielmehr in der Hoffnung einer einheitlichen Rechtsanwendung und eines Erkenntnisfortschritts. Bevor die inhaltliche Bedeutung der Rechtsbegriffe „Prävention“ und „Repression“ für das Sicherheitsrecht analysiert werden kann, sind zunächst die theoretischen Grundlagen für die Einordnung von Rechtsbegriffen zu erarbeiten. Für die Analyse des Begriffspaars sind vor allem zwei Leitfragen von Interesse: Zunächst ist zu klären, ob die Rechtsetzer, die Rechtsprechung und die Rechtswissenschaft bei der Wahl ihrer konkreten Begriffe und Begriffswörter formal gänzlich ungebunden bleiben, wenn sie sich auf „ihre“ Relativität der Rechtsbegriffe berufen. Zweitens ist zu erörtern, ob und inwieweit sich Maßstäbe für die Bildung, Bewertung und Anwendung von Rechtsbegriffen formulieren lassen. Mit diesen Fragestellungen ist die juristische Be290  Zur grundsätzlichen Trennung der Methoden der Rechtsanwendung und der rechtswissenschaftlichen Methoden m. w. N. Röhl, VVDStRL 74 (2014), S. 7 (10).

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B. Theoretische Grundlagen

griffsbildung in den Blick genommen. Der Vorgang der Begriffsbildung ist zentrale Aufgabe der Rechtswissenschaft,291 wird aber auch durch die Rechtsetzer und die Rechtsprechung vollzogen. Obwohl dem Bilden von Rechtsbegriffen schon seit dem 19. Jahrhundert eine überragende Bedeutung zukommt,292 ist die juristische Begriffsbildung keine eigenständige rechtswissenschaftliche, rechtstheoretische oder rechtswissenschaftstheoretische (Teil- oder Querschnitts-)Disziplin.293 Sie wird stattdessen vor allem anwendungsbezogen für bestimmte Forschungs- oder Rechtsfragen bemüht.294 Die juristische Begriffsbildung lässt sich dennoch als facettenreiche Zugriffsoption und Zugriffsperspektive auf juristische Begriffe begreifen. Sie erweitert die rechtswissenschaftlichen Bewertungsmaßstäbe für Rechtsbegriffe mit Hilfe der Sprachwissenschaft, der (Sprach-)Philosophie, der Semantik, der Logik und der Rechtswissenschaftstheorie. Diese Perspektiverweiterung durch die juristische Begriffsbildung vermag eine zweckmäßige und methodengerechte juristische Begriffsbildung im Einzelfall anzuleiten. Sie vermag aber auch umgekehrt bereits gebildete Rechtsbegriffe anhand eines vielseitigen Maßstäbespektrums auf Methodik und Zweckmäßigkeit hin 291  Zu dieser Einschätzung Möllers, Methoden, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2012, § 3 Rn. 38 und Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 56 ff. 292  Kritisch dazu Möllers: „Begriffsbildung […] ist tendenziell überschätzt“, Methoden, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2012, § 3 Rn. 38; aber auch Schuppert, Die Verwaltung 32 (1999), Beiheft 2, S. 103 ff. und Voßkuhle, VerwArch 92 (2001), S. 184 ff. 293  Grundlegend zur Begriffsbildung Hatz, Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963 und Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985; vgl. darüber hinaus Barczak, JuS 2020, 905 ff.; Bumke, Rechtsdogmatik, S. 198 ff.; Chionos, Zur Übertragung innerstaatlicher Begriffe und Rechtsgrundsätze in das Völkerrecht, 2020; Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932; Klement, Verantwortung, 2006; Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017 S. 174 ff.; Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981; Möllers, VerwArch 93 (2002), S. 22 (34 ff.); Rümelin, Juristische Begriffsbildung, 1878; von der Pfordten, ARSP 98 (2012), S. 439 ff. 294  Eine abstrakte, isolierte Erörterung der Begriffsbildung findet in der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht statt. Stattdessen wird die Begriffsbildung im wissenschaftlichen Diskurs als Argument herangezogen, wenn ein konkreter Begriff/eine konkrete Begriffsbildung verworfen oder spiegelbildlich neu eingeführt werden soll. Die Monographie von Rolf Wank, die sich dem Titel der Schrift nach expressis verbis allein mit der „[…] juristischen Begriffsbildung“ zu beschäftigen scheint, zieht wesentlich das Arbeitsrecht im Allgemeinen und den Arbeitnehmerbegriff im Besonderen als Referenzgebiet und damit als maßgebliche Erkenntnisquelle heran: „Daher steht am Anfang der Überlegungen zu den Rechtsbegriffen die Frage nach dem Erkenntnisinteresse, gemäß der hier zugrunde gelegten These, daß Fragen sinnvoll nur im Hinblick auf ein bestimmtes Erkenntnisinteresse beantwortet werden können und daß es Wahrheiten immer nur relativ im Hinblick auf eine so fixierte Frage gibt.“, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 2.



I. Sprachtheoretische Maßstäbe89

zu reflektieren. Die juristische Begriffsbildung hält damit einen äußeren Rahmen für die Bildung und Bewertung von Rechtsbegriffen bereit. Sie nimmt gleichermaßen alle begriffsbildenden Akteure des juristischen Diskurses in den Blick und eröffnet durch die spezifische Differenzierung hinsichtlich der Maßstäbe für die unterschiedlichen Akteure zugleich eine rechts­ theoretische Perspektive auf die Begriffsbildung und Begriffsverwendung. Diese Außenperspektive dient der Erkenntniskritik für die Rechtswissenschaft und vermag dadurch den rechtswissenschaftlichen Diskurs zu befruchten und Auswirkungen auf die Rechtsdogmatik zu haben. Maßstäbe für die Bildung neuer sowie die Einordnung und Bewertung von und den Umgang mit gebildeten Rechtsbegriffen ergeben sich aufbauend auf den sprachtheoretischen Maßstäben (I.) aus den Anforderungen an eine funktionale juristische Begriffsbildung (II.).

I. Sprachtheoretische Maßstäbe Unerlässlich für die Einordnung und Bewertung von sowie für den Umgang mit Rechtsbegriffen ist die Differenzierung zwischen Begriff und Wort (1.), aber auch zwischen Begriff und Satz (2.). Anschließend wird die Frage erörtert, ob aus alltagssprachlichen Benutzungsregeln für Begriffe fachsprachliche Gebrauchsregeln für Rechtsbegriffe folgen können (3.). 1. Differenzierung zwischen Begriff und Wort Der Begriff lässt sich allgemein als „die Bezeichnung einer Gruppe von Objekten (im weitesten Sinne), durch einen gemeinsamen Namen im Hinblick darauf, daß jenen Objekten etwas Gemeinsames eignet [sic!], daß sie irgendwie gleichgeartet oder wenigstens ähnlich sind, und darum eine Zusammenfassung verdienen“295 definieren. Der Begriff muss damit mittels einer Definition deduzierbar sein, die das Gemeinsame, das Gleichgeartete oder das Ähnliche einzugrenzen versucht. Eine Definition ist nach aristotelischer Tradition „eine Rede, die das Wesen (das „Was-ist“) anzeigt“.296 Sie lässt sich unterschiedlich vornehmen, etwa durch Angabe eines genus proximum und einer differentia specifica297, aber auch mittels einer bloßen Auf295  Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, S. 24; ähnlich schon Rümelin, Juristische Begriffsbildung, 1868, S. 14; kritisch für den juristischen Kontext m. w. N. und zu den voraussetzungsleeren Begriffen in der Rechtswissenschaft Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 87 ff. 296  Aristoteles, Die Topik, 1882, Buch I Kap. 5, 101 b. 297  Aristoteles, Die Topik, 1882, Buch I Kap. 3, 132 a.

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B. Theoretische Grundlagen

zählung298. In den Sprachwissenschaften ist mit der Begriffsbildung ein induktiv-empirischer Vorgang gemeint: Es wird untersucht, wie der Begriff in verschiedenen Kontexten gebraucht wird299 und aus diesen Verwendungen kann sich anschließend möglicherweise eine Bedeutung des Begriffs ableiten bzw. konstruieren lassen. Der Begriff ist damit mehr als das Wort, das ihn chiffriert. In der englischen Übersetzung ist nicht zufällig von concepts die Rede: Ein Wort kann durch seine spezifische Verwendung als Begriff ein komplexes Konzept „auf den Begriff bringen“. Jeder Begriff hat bzw. ist eine Bedeutung. Dieser Bedeutung kann man sich insbesondere mit einfachen Worten oder unter Verwendung anderer weiterer Begriffe nähern. Der Begriff verweist auf die Bedeutung und steht symbolisch für eine bestimmte Bedeutung.300 Die Bedeutung eines Begriffs lässt sich aufgrund seiner Vagheit, Porosität und der Inkonsistenz seines Sprachgebrauchs aber nicht mit Worten zielgenau formulieren,301 so dass die Bedeutungen eines Begriffs und seine Bedeutungskonkretisierungsversuche zu trennen sind. Daran anschließend ist eine weitere Unterscheidung zu treffen: Der Begriff und sein ihn darstellendes Wort sind nicht identisch. Ein einzelner Begriff kann aus einem (Begriffs-)Wort oder aus mehreren (Begriffs-)Worten bestehen. Das Wort ist dann lediglich ein Wortkörper bzw. eine Vokabel oder ein Etikett und damit bloßer Träger des Begriffs: „Der sprachliche Ausdruck des Begriffs ist das Wort, [so dass] [d]er Begriff [das] ist […], was bleibt, wenn die Ausdrücke wechseln.“302 Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Begriff und Wort ist dennoch nicht möglich. Die alltagssprachliche Begriffsbildung ist im Kern ein gesellschaftlicher Prozess der „Kondensierung“ und „Konfirmierung“ von Bedeutungen.303 Die Bedeutung des Begriffs hängt deshalb 298  Vgl. dazu und zur Kritik wegen der Möglichkeit einer ontologischen Assoziation im juristischen Kontext Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 37 f. 299  Begriffe lassen sich im Alltagssprachgebrauch auch historisch rekonstruieren; vgl. zur Geschichtlichkeit von Begriffen Mulsow/Mahler (Hrsg.), Die Cambridge School der Politischen Ideengeschichte, 2010; siehe auch Skinner, Visionen des Politischen, 2009; Richter, The History of Political and Social Concepts, 1995, S. 124 ff., siehe auch im Überblick Kaiser, Rechtsgeschichte 19 (2011), S. 142 (149). 300  Mit zahlreichen weiteren Nachweisen Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968, S. 67; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 42 f.; Rüthers/Fischer/ Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 155a ff. 301  Im Überblick Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 33 ff. und Schnapp, JZ 2004, S. 473 (474 ff.); vertiefend Busse, Juristische Semantik, 1993, S.  104 ff. 302  Schneider/Schnapp, Logik für Juristen, 6. Aufl. 2006, S. 57. 303  Begriffe nach Luhmann, vgl. etwa Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1. Kapitel, 1997, S. 409.



I. Sprachtheoretische Maßstäbe91

auch von der Verwendung seines Begriffswortes ab, so dass der Übergang zwischen Begriff und Wort fließend ist. Ebenso fließend vollzieht sich die „Emanzipation“ eines Wortes hin zu einem Begriff. Wenn ein Wort durch seinen spezifischen Gebrauch eine Bedeutung zugeschrieben wird, die über die sprachlich notwendige Bedeutung hinausgeht, kann er zum Begriff werden. So kann etwa ein Schlagwort eines wissenschaftlichen Sachregisters durch seine spezifische Verwendung kontextabhängig als Begriff aufgefasst werden.304 2. Mögliche Anknüpfungspunkte für Kritik an Begriffen Ein Begriff lässt sich nur mithilfe eines Satzes, der seinerseits aus mehreren Worten besteht, konkretisieren (insbesondere durch eine Definition). Ein solcher Satz kann weitere konkretisierungsbedürftige Begriffe enthalten. Deshalb können Anknüpfungspunkt für inhaltliche Kritik eines Begriffs sowohl alle Sätze sein, die den Begriff definieren, als auch die weiteren Begriffe, die in diesen Sätzen verwendet werden. Aus dieser Differenzierung ergibt sich, dass Begriffe, Sätze und Worte Anknüpfungspunkt sprachlicher und inhaltlicher Kritik sein können. Begriffe können funktional und dysfunktional gebildet werden. Bei einer dysfunktionalen Begriffsbildung sind die den Begriff statuierenden Sätze erster Anknüpfungspunkt für die Kritik am Begriff. Lässt sich auch mit Hilfe der Anpassung der Sätze das dem Begriff innewohnende Konzept nicht funktional aufrechterhalten, ist der Begriff dysfunktional, so dass die Bedeutung des Begriffs und damit der Begriff selbst Anknüpfungspunkt für Kritik sein können. Darüber hinaus gilt es zu erkennen, dass nicht nur dysfunktional gebildete Begriffe, sondern auch funktional gebildete Begriffe und Worte dysfunktional verwendet werden können. Wird ein funktional gebildeter Begriff dysfunktional verwendet, muss Anknüpfungspunkt für die Kritik allein die Begriffsverwendung, nicht aber die Begriffsbildung und der Begriff selbst sein. Auch kann darüber hinaus das Begriffswort allein – im Sinne eines Etiketts – Gegenstand von sprachlicher und ggf. inhaltlicher Kritik sein. Die Begriffsworte sind Transmitter für außerrechtliche Bedeutungen, sie können suggestive Wirkungen entfalten, als Argumentationsmuster genutzt werden oder politisch motiviert sein und damit weit über die rechtsdogmatische Bedeutung hinaus wirken. Eine solche Kritik ist dann denkbar, wenn die unter 304  Ähnlich Engisch, Die Relativität der Rechtsbegriffe, in: Ferid (Hrsg.), Deutsche Landesreferate zum V. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Brüssel 1958, 1958, S. 59 (59).

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B. Theoretische Grundlagen

dem Begriffswort gefassten Objekte tatsächlich zwar eine oder mehrere Gemeinsamkeiten haben, diese Gemeinsamkeiten aber nicht mit dem Etikett entsprechend der konventionellen Verwendung in Zusammenhang gebracht werden können. Die Kritik hinsichtlich des sprachfremden Etiketts ist regelmäßig lediglich eine Frage der sprachlichen Konvention, so dass selbst der Austausch mit einem konventionsgetreuen funktionalen Begriffswort nicht immer zwingend geboten sein dürfte. Dennoch ist es schon aus sprachtheoretischer Perspektive bemerkenswert und ggf. aufgrund der sprachlichen Unklarheit begründungsbedürftig, wenn eine solche Situation auftritt. Die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte für begriffliche Kritik zeigen auf, dass die Kritik an Begriffen zuvörderst eine Auseinandersetzung mit den enthaltenen Sätzen voraussetzt.305 Das Ergebnis einer Kritik der Sätze kann aber durchaus auch die Anpassung, der Austausch oder die Aufhebung des Begriffs oder dessen „bloßes“ Begriffswort sein. 3. Akzessorietät zwischen Alltagssprache und juristischer Fachsprache306 a) Perspektive der juristischen Methodenlehre Bei der Anwendung von Rechtsatzbegriffen gibt es keine Akzessorietät zwischen Alltagssprache und Rechtsatzsprache: „Das Recht spricht seine eigenen Sprachen.“307 Die alltagssprachlichen Bedeutungen können zwar im Rahmen der Wortlautauslegung bei der Auslegung von Rechtsnormen relevant werden, sie sind auch oft Ausgangspunkt der Auslegung von Rechtsatzbegriffen.308 Selbst Auslegungsergebnisse hinsichtlich eines Rechtsatzbegriffes, die außerhalb jeglichen alltagssprachlichen Wortsinns liegen oder etwa kontraintuitive alltagssprachliche Bedeutung haben, liegen jedoch nicht von vorn herein außerhalb der Grenze interpretatorischer Rechtsanwendung; die

305  Die Bedeutung von Rechtsbegriffen kann gem. Wittgensteins Gebrauchstheorie nur aus ihrer Rolle aus Sätzen erklärt werden, vgl. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1969, §§ 10, 21, 23, 49, 384, aber auch Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 52 f. und Schapp, Methodenlehre des Zivilrechts, 1998, S. 75. 306  Instruktiv Neumann, Juristische Fachsprache und Umgangssprache, in: Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur, 1992, S. 110 ff.; dazu aber auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985. 307  Abwandlung des Zitats von Karl Bindung bei Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 286; vgl. auch allgemein zu der Relativität der Rechtsbegriffe oben unter B. vor I. 308  Vgl. auch Kuntz, AcP 215 (2015), S. 387 (449); als „erste Orientierung“ Reimer, Juristischen Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 310.



I. Sprachtheoretische Maßstäbe93

Grenze zur Rechtsfortbildung wird hierdurch per se nicht überschritten.309 Freilich ist eine Auslegungsvariante, die weit außerhalb des möglichen alltagssprachlichen Wortsinns liegt, in besonders hohem Maße begründungsbedürftig.310 b) Perspektive der juristischen Begriffsbildung Nicht nur Rechtsnormen, sondern auch die juristische Fachsprache311, vor allem in der Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Literatur, sind auslegungsbedürftig.312

309  Becker/Martenson, JZ 2016, S. 779 (781 f.); Kuntz, AcP 215 (2015), S. 387 (406 ff.); Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 310; zu den Maßstäben, die eine Überschreitung der nationalen Wortlautgrenzen zum Zwecke richtlinienkonformer Auslegung im europarechtlichen Kontext markieren, vgl. Pötters/Christensen, JZ 2011, S. 387 (387 ff.); in diese Richtung auch das Bundesverfassungsgericht, das von einer „unübersteigbare Grenze“ im Rahmen von Art. 103 Abs. 2 GG spricht, nach der „[f]ür die Bestimmung des möglichen Wortsinns“ teleologische Erwägungen bedeutsam seien, vgl. BVerfGE 85, 69 (73); „Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen.“, BVerfG, Kammerbeschluss vom 01. September 2008 – 2 BvR 2238/07 –, juris, Rn. 12; zum Wortlaut als Grenze der Auslegung: Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 441 (467 ff.); Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 143; Koch/ Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 182; Kramer, Juristische Methodenlehre, 6. Aufl. 2019, S. 64; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, § 9 II. a). 310  In diese Richtung vorsichtig für das Strafrecht Becker/Martenson: „Weil das Strafrecht mit Blick auf die Vorhersehbarkeit seiner Anwendung besonders strengen Anforderungen unterliegt, sollten Begriffe der Umgangssprache – genauer: Begriffe, die in Sprachspielen ohne juristische Bezüge vorkommen – in Straftatbeständen nicht in einer Weise ausgelegt werden, die zu einer derart kontraintuitiven Bedeutung führt. Dem Strafrechtsanwender ist der Zugriff auf einen solchen Sprachgebrauch untersagt, ohne dass er sich auf dessen Möglichkeit berufen kann. Bei diesem gegenüber der herkömmlichen Sichtweise auf die Wortlautgrenze leicht modifizierten Ausgangspunkt lässt sich eine dezidiertere Kritik strafgerichtlicher Entscheidungen formulieren.“, JZ 2016, S. 770 (786). 311  Verstanden als „jede sprachliche Erscheinungsform des Rechts“, vgl. Hatz, Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963, S. 102; siehe auch Daum, Rechtssprache – eine genormte Fachsprache?, in: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (Hrsg.), Der öffentliche Sprachgebrauch, Band II, 1981, S. 83 (84 f.). 312  Thiel, Sprache und Recht, in: Krüper (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 3. Aufl. 2017, § 12 Rn. 21 ff.

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B. Theoretische Grundlagen

Nachstehend ein Beispiel für die Relevanz semantischer Beobachtungen in der Rechtsprechung. Gerade bei der Analyse von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts können semantische Feinheiten normative Folgen haben: „Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ist nicht nur ein unionsrechtlicher Grundsatz, sondern nimmt mitgliedstaatliche Verfassungsprinzipien auf (vgl. BVerfGE 123, 267 [350]). Es ist die maßgebliche Rechtfertigung für den Einschnitt in das demokratische Legitimationsniveau der durch die Europäische Union ausgeübten öffentlichen Gewalt, der in Deutschland nicht nur objektive Grundprinzipien der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) berührt, sondern auch das Wahlrecht der Bürger und ihren „Anspruch auf Demokratie“ (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Wahrung der kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union hat daher entscheidende Bedeutung für die Gewährleistung des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes.“ (BVerfGE 142, 123 [219] – OMT-Urteil)

Das Bundesverfassungsgericht nutzte entgegen den zitierten Entscheidungsgründen die Begriffsworte „Anspruch auf Demokratie“ auch schon ohne Anführungszeichen. Für die Verwendung mit Anführungszeichen im OMT-Urteil handelte sich das Gericht semantische Kritik ein.313 Anführungszeichen verwendet man in der juristischen Fachsprache auch bei fachsprachlich unkorrekten Termini, von denen man sich distanzieren möchte.314 Aus diesem Grund bleibt unklar, ob sich das Bundesverfassungsgericht von seiner bisherigen Rechtsprechung distanzieren möchte oder es sich bloß um ein redaktionelles Versehen handelt. Die Erkenntnisse der Sprachphilosophie und Semantik gehören zum Argumentationsarsenal der Rechtswissenschaft. Sie betrachten Sprache in erster Linie als Kulturgut und ergründen Bedeutung und Reichweite der Umgangssprache. Die Rechtssprache, die Gegenstand der Untersuchung ist, hat demgegenüber vor allem den normativen Einsatz von Sprache im Blick.315 Erkenntnisse und Maßstäbe der Alltagssprache können deshalb auf Grund der unterschiedlichen Erkenntnisinteressen nicht ohne weiteres auf die juristische Begriffsbildung übertragen werden. Die juristische Fachsprache ist nicht formal an die Alltagssprache gebunden.316 Deshalb ist es möglich, dass im Recht neue Begriffsworte unabhängig von der Alltagssprache kreiert werden. 313  Matthias Ruffert, Das OMT-Urteil des BVerfG: Europarechtlich überzeugend, verfassungsprozessrechtlich fragwürdig, Verfassungsblog vom 22.06.2016, abrufbar unter: http://verfassungsblog.de/ruffert-omt-bverfg/ (zuletzt abgerufen am 07.11.2018); zu der unterschiedlichen Verwendung des Begriffs vgl. auch Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 70 ff. 314  Für den didaktischen Kontext etwa Schimmel, Juristische Klausuren und Hausarbeiten richtig formulieren, 13. Aufl. 2018, Rn. 371 f. 315  Zu dieser Differenzierung auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 16. 316  Kritisch dazu Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 81 ff. und pointiert Schnapp, JZ 2004, S. 473 (477 ff.).



I. Sprachtheoretische Maßstäbe95

Nach Jhering sei es gar Qualitätsmerkmal innerhalb der Rechtswissenschaft, wenn „Kunstausdrücke“ der Rechtswissenschaft mit Worten aus einer „todten Sprache“ – wie etwa der lateinischen Sprache – chiffriert werden, weil damit der Relativität zwischen alltagsprachlichen und juristischen Begriffen Ausdruck verliehen werde.317 Sie müssen dennoch durch Zeichen der natürlichen Sprache erklärt werden.318 Die juristische Fachsprache und die Alltagssprache stehen aber dennoch in Abhängigkeit zueinander.319 Man erlernt die Fachsprache durch die Alltagssprache, oft bildet sich die Fachsprache aus der Umgangssprache heraus320, wenn etwa die juristische Fachsprache der Präzisierung umgangssprachlicher Begriffe dienen soll.321 Die Fachsprache muss aber nicht auf die Umgangssprache rückführbar sein.322 Auch die (Sprach-)Logik stellt nur begrenzt Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung bereit. Allein die Existenz von Normkonflikten (etwa Grundrechte, aus denen sich entgegengesetzte Handlungsgebote herleiten lassen) verhindert eine unreflektierte Übertragung der Grundsätze der deontischen Logik auf die Rechtswissenschaft. Bei der juristischen Argumentation, wozu auch die Induktion zu Begriffen und die Deduktion aus Begriffen zählen, sind aber dennoch Anforderungen an die Folgerichtigkeit zu beachten. Zwei einander widersprechenden Aussagen über denselben Gegenstand können nicht beide wahr sein und verstoßen gegen den Satz vom Widerspruch und damit gegen die Denkgesetze.323 Aus diesem Grund verhindert der Verstoß gegen Denkgesetze oder die formale Logik die Folgerichtigkeit einer juristi317  von Jhering, Geist des Römischen Rechts, Zweiter Teil, Zweite Abteilung, 1858, S. 344 f. und Anm. 482. 318  Es lassen sich in diesem Sinne primäre und sekundäre Rechtsbegriffe unterscheiden, vgl. zum Ganzen Lampe, Juristische Semantik, 1970, S. 28. 319  Darüberhinausgehend Nierwetberg: „[…] so ergibt sich, daß die Unterscheidung von ‚natürlichen‘ und ‚rechtlichen‘ Begriffen in dem hier ausschließlich interessierenden Zusammenhang eines Rechtsfalls nicht durchführbar ist.“, JZ 1983, S. 237 (240). 320  „Zwar entfernt sich der juristische Sprachgebrauch oft von der Alltagssprache; jedoch ist dieses Juristendeutsch keine bewusst durchkonstruierte Fachsprache, sondern eher eine historisch gewachsene subkulturelle Variante der Alltagssprache.“, Röhl/ Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 42; dies dürfte der Grund dafür sein, dass auch bei der Anwendung dogmatisch konturierter Begriffe die Alltagssprache stets Folie für die Ergebnisfindung bleibt: vgl. exemplarisch zum Wort „Strafrecht“ i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Ausführungen bei BVerfGE 109, 190 (211 ff.). 321  Grundlegend v. Savigny, Inwiefern ist die Umgangssprache grundlegend für die Fachsprachen?, in: Petöfi/Podlech/v. Savigny (Hrsg.), Fachsprache, Umgangssprache, 1975, S. 1 (7 ff.). 322  von Savigny, Inwiefern ist die Umgangssprache grundlegend für die Fachsprachen?, in: Petöfi/Podlech/v. Savigny (Hrsg.), Fachsprache, Umgangssprache, 1975, S.  1 ff.; von Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 1993, S. 171 ff. 323  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, § 4 Rn. 104, § 5 Rn. 192 f.; ähnlich Neumann, Juristische Logik, in: Hassemer/Neumann/Saliger (Hrsg.), Einfüh-

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B. Theoretische Grundlagen

schen Argumentation. Gebote der Logik im Allgemeinen, nicht aber der logischen Ableitung aus der Alltagssprache im Besonderen, sind damit notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die juristische Argumentation.

II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung Die Unterscheidung zwischen dem Begriff vom Recht und den Rechtsbegriffen (1.), den apriorischen Rechtsbegriffen (2.), den Rechtsatzbegriffen der Rechtsetzer (3.), den Rechtsbegriffen der Rechtsprechung (4.) und den rechts­ wissenschaftlichen Rechtsbegriffen (5.) ist schon aus rechtstheoretischer Perspektive sinnvoll.324 Darüber hinaus ist fraglich, ob die eigenständige Ausweisung von Begriffen der Rechtsdogmatik für die Untersuchung von „Prävention“ und „Repression“ gewinnbringend ist (6.). 1. Begriff vom Recht und Rechtsbegriff Zu unterscheiden sind Rechtsbegriffe vom Rechtsbegriff. Der Rechtsbegriff beschreibt den Begriff des Rechts, dagegen bezeichnen Rechtsbegriffe diejenigen Begriffe, die zum Zwecke der juristischen Kommunikation gebraucht werden. Der Begriff des Rechts ist Gegenstand vieler rechtsphi­ losophischer Grundlagenwerke325, jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Im Folgenden werden die Begriffe „Rechtsbegriffe“ und im Singular „Rechtsbegriff“, soweit nicht anders gekennzeichnet, im Sinne von Begriffen im bzw. für das Recht verwendet. Vom Rechtsbegriff-Begriff sind zunächst alle im rechtswissenschaftlichen Diskurs326 auftretenden Begriffe erfasst. Damit ist nach sprachtheoretischen Maßstäben eine erste Konkretisierung vorgenommen: Der Begriff ist von seinem Begriffswort und seiner Bedeutung abzugrenzen.327 Daneben entfaltet rung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 272 (288 f.). 324  Durch diese Unterscheidung sollen die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Begriffen im Recht zunächst nur konstatiert werden, so auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 6 oder auch schon Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 162, 198 ff. 325  Vgl. nur Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 4. Aufl. 2005; Hart, Der Begriff des Rechts, 2011; Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, 1957; Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960. 326  Allerdings soll der „Diskurs“ an dieser Stelle (noch) untechnisch ohne rechtsphilosophische Aufladung verstanden sein. Dass durch die Diskurstheorie ein mate­ rielles und institutionelles Abschichten von Begriffen einhergehen kann, beschreibt Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 91 ff. 327  Siehe bereits unter B. I.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung97

ein Begriff nur in seiner Stellung in einem Satz eine Bedeutung. Der Gebrauch in dieser Bedeutung kann die Bedeutung des Begriffs selbst verändern. Die Bedeutung des Begriffs lässt sich aber nicht mit Hilfe von Sätzen ausdrücken; die Sprache ist dafür zu ungenau: denn der Versuch der Bedeutungsannäherung verändert selbst die Bedeutung des Begriffs; die Bedeutung des Begriffs ist abhängig von seinem Gebrauch. Rechtsbegriffe können nicht nur Rechtsätze symbolisieren, sondern mit Hilfe von Rechtsbegriffen lässt sich auch über solche Rechtsätze kommunizieren. Sie sind für den Rechtsfindungsprozess unerlässliches Kommunikationsmittel und erfüllen darüber hi­ naus verschiedenste näher zu untersuchende Funktionen (etwa Systematisierung, Operationalisierung sowie Sicherstellung einer gleichmäßigen Anwendung des Rechts). Damit ist ein extensiver Rechtsbegriff-Begriff gewählt.328 Hierzu abgrenzen lassen sich Begriffe, die nur Begriffe der Alltagssprache und der anderen Fachsprachen sind.329 Solche Begriffe haben im juristischen Diskurs keine Relevanz. Die folgende Untersuchung differenziert aus Gründen der Übersichtlichkeit zwischen Begriffen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft als Urheber von Begriffen.330 Es ­haben mithin alle Worte, die von diesen Institutionen „ausgesprochen“ und denen eine Bedeutung zukommt, das Potential als Rechtsbegriff begriffen zu werden. Es sind allerdings nur solche Worte von rechtsmethodischem wie auch von dogmatischem Interesse, hinter denen sich eine juristische Aussage verbirgt, die mithin Rechtsbegriffe wurden.331

328  Lübbe-Wolff begrenzt in ihrer Arbeit den Begriff des Rechtsbegriffs auf „Begriffe, von denen das Gesetz unmittelbar Gebrauch macht“ und „alle Begriffe, die für die rechtsgültigen Zuordnungen von Folgen und Voraussetzungen stehen“; die Frage nach der Relevanz von Realfolgen bei der juristischen Begriffsbildung lässt diese Eingrenzung sinnvoll erscheinen, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 41. 329  Ähnlich Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 5; Klement spricht in diesem Zusammenhang positiv von allen für die Rechtsordnung bedeutsamen „rechtlichen“ Sätze, Verantwortung, 2006, S. 34 f. 330  Die Differenzierung wählt auch Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 91; mit dieser Differenzierung wird zugleich der Rechtsbegriff-Begriff weiter konkretisiert, einen anderen Rechtsbegriff-Begriff wählt etwa Lampe, Juristische Semantik, 1970, S. 18: „Wir setzen hier und im Folgenden an die Stelle von ‚Rechtszeichen‘ das Wort ‚Rechtsbegriffe‘; doch betreffen unsere Ausführungen nicht nur Begriffe, sondern auch nicht-begriffliche Rechtszeichen wie Geste und Signal“; Hassemer hingegen beschränkt sich aufgrund eines anderen Erkenntnisinteresses demgegenüber ausschließlich auf Begriffe des Tatbestands, Tatbestand und Typus, 1968, S. 13 Fn. 6. 331  So auch Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 91.

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B. Theoretische Grundlagen

2. Apriorische Rechtsbegriffe Rechtsbegriffe, die nicht aus der verfassten Ordnung heraus entstanden sind, könnten als apriorische Rechtsbegriffe den Rechtsbegriffen gegenübergestellt werden. Begriffe wie z. B. Gerechtigkeit, Freiheit, Rechtsgehorsam, aber möglicherweise auch die Einteilung in Privatrecht und Öffentliches Recht332 sind Begriffe juristischer Hilfsdisziplinen, etwa der Rechtsphilosophie, der Rechtssoziologie oder der Rechtspolitik; sie sind nicht unmittelbar justiziabel. Sie entfalten dennoch Relevanz im juristischen Kontext und lassen sich als „metajuristische“ Begriffe begreifen. Die Differenzierung in apriorische Rechtsbegriffe und verfassungsimmanente Rechtsbegriffe ist aus begriffstheoretischer Perspektive jedoch nicht erforderlich. Von der theoretischen Warte aus stellt sich gerade die Frage, ob Begriffe, deren verfassungssystemimmanente Herkunft nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, dennoch normative, d. h. verfassungssystemimmanente Wirkung entfalten.333 Daher sind die apriorischen Rechtsbegriffe in dieser Untersuchung nicht dem Rechtsbegriff-Begriff gegenüberzustellen. 3. Rechtsatzbegriffe a) Terminologie Positivrechtliche Rechtsnormen können als „Elementarteilchen des Rechts“ angesehen werden.334 Sie werden von einem Rechtsetzer in dem dafür konstituierten Verfahren gesetzt und sind allgemeinverbindliche Anordnungen, die eine unbestimmte Vielzahl von Fällen regeln.335 Die Begriffe dieser positiven Rechtsätze sind Bausteine der Rechtsnormen und damit der Gesamtrechtsordnung.336 In der rechtstheoretischen Literatur wird terminologisch nicht einheitlich von Rechtsatzbegriffen337, Legalbegriffen338, Normtextbe332  „Vielmehr sind die Begriffe ‚privates‘ und ‚öffentliches Recht‘ nur in dem Sinne apriorisch, daß in Bezug auf jeden einzelnen Rechtsatz sinnvoll die Frage gestellt und die Antwort verlangt werden kann, ob er dem privaten oder dem öffent­ lichen Rechte angehöre.“, vgl. dazu und in welchem Sinne die Einteilung nicht als apriorisch verstanden werden darf Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S.  224 ff. 333  Nach Paroussis ist entscheidend, ob ein Begriff Teil des juristischen Diskurses ist, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 91 ff. 334  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 189. 335  M. w. N. Karpen, JuS 2016, S. 577 (577). 336  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Auf. 2020, Rn. 204. 337  Mit Fugen-s dagegen Engisch, Die Relativität der Rechtsbegriffe, in: Ferid (Hrsg.), Deutsche Landesreferate zum V. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Brüssel 1958, 1958, S. 59 (60); Engisch, Formale Logik, Begriff und Kon­



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung99

griffen339, rechtlich relevanten Begriffen340 oder Gesetzesbegriffen341 gesprochen. Funktional ist in diesem Zusammenhang ein Etikett, das den Rechtsbegriff hinsichtlich seines Urhebers (Rechtsetzer) erkennbar konkretisieren und abgrenzen kann. Rechtsnormen werden regelmäßig von einem Staatsorgan in einem rechtlich geregelten Verfahren beschlossen, schriftlich festgelegt und anschließend öffentlich bekanntgegeben.342 Davon umfasst sind nach herkömmlicher Einteilung europarechtliches Primär- und Sekundärrecht343 sowie die Verfassung, Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen von Bund und Ländern. Verwaltungsvorschriften sollen als atypische Rechtsnormen außer Betracht bleiben. Die Begriffe Legalbegriff und Gesetzesbegriff erfassen zumindest bei wortgetreuer Annäherung nicht die Verfassungen bzw. das Primärrecht sowie keine Rechtsverordnungen und Satzungen. Der Begriff Normtextbegriff ist nicht präzise genug, denn er könnte auch rechtsatzexterne Normtexte erfassen. Der Begriff rechtlich relevanter Rechtsbegriff suggeriert im Verhältnis zu den echten Rechtsbegriffen ein Stufenverhältnis zwischen den unterschiedlichen Rechtsbegriffen. Aus diesem Grund wird im Folgenden neutral von Rechtsatzbegriffen die Rede sein. Beispiel: Zum 01.01.2016 wurde der Begriff „Syndikusrechtsanwalt“ in die BRAO durch den Bundesgesetzgeber eingeführt. Wurde vorher lediglich von Syndizi oder von Syndikusanwälten gesprochen, so soll durch diese Begriffseinführung der ­Beruf des Syndizi dem Rechtsanwalt angeglichen werden.344 Damit wird neben den materiell-rechtlichen Folgen (etwa der Sozialversicherungspflichtigkeit oder bei haftungsrechtlichen Fragen) für die betroffenen Berufszweige auch ein sprachlich-begrifflicher Paradigmenwechsel eingeläutet.345

struktion in ihrer Bedeutung und Tragweite für die Rechtswissenschaft, in: Kohlmann (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Klug, Band I, 1983, S. 33 (40 ff.); keine einheitliche Terminologie bei Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 98. 338  Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 6. 339  So, jedoch nicht immer einheitlich bei Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 95. 340  Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 219. 341  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 204. 342  Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 4 Rn. 1 ff. 343  Zum Problem des methodischen Umgangs mit der Mehrsprachigkeit Zedler, Mehrsprachigkeit und Methode, 2015. 344  Vor allem die BT-Drs. 18/5201; kritisch dazu Römermann/Günther, NZA 2016, S.  71 (71 ff.). 345  Zu den politischen Diskussionen Joachim Jahn, Unternehmensjuristen in den Startlöchern – Noch viel Unsicherheit um den neuen Titel als „Syndikusrechtsanwalt“, FAZ v. 02.02.2016.

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B. Theoretische Grundlagen

b) Legitimation Rechtsatzbegriffe genießen demokratische Legitimation. Dennoch differiert bei dem hier weit gewählten Begriff des „Rechtsetzers“ die Reichweite der demokratischen Legitimation. Parlamentsgesetzen etwa kommt im Verhältnis zu exekutiven Rechtsverordnungen oder Satzungen eine demokratietheoretisch exponierte Stellung zu. Allen Rechtsatzbegriffen ist aber gemeinsam, dass sie autoritativ gesetzte Rechtsbegriffe sind. Die unterschiedlichen Rechtsformen und unterschiedliche Rechtsetzer im Mehrebenensystem führen zu unterschiedlichen demokratischen Legitimationsintensitäten, die die gesetzten Rechtsnormen aufweisen. Allen so erlassenen rechtsgültigen Normtexten ist gemeinsam, dass sie zumindest mittelbar Ausfluss des verfassten Staates oder Staatenverbundes sind. Die Rechtsetzer sind durch ihre Institutionalisierung zumindest mittelbar durch die verfassungsgebende Gewalt demokratisch legitimiert.346 Die Rechtsatzbegriffe genießen als autoritativ gesetzte Rechtsbegriffe hinsichtlich ihrer Legitimation daher eine rechtstheoretische Sonderstellung. c) Rechtsatzbegriffe als Rechtsbegriffe Rechtsvorschriften beanspruchen generelle Gültigkeit, so dass die Adressaten der Vorschriften ohne Ausnahme an sie gebunden sein sollen.347 Sie entfalten formal-juristische Geltung (Soll-Geltung): Das Recht gilt, weil es staatlich gesetzt ist und staatlich durchgesetzt werden kann. Der Rechtsatz gilt in seiner sprachlich gefassten Form. Von Verfassung wegen ist der Rechtsanwender dazu angehalten, der Intention des Gesetzgebers, die durch den Rechtsatz mediatisiert wird, möglichst stark zur Geltung zu verhelfen.348 Durch Legaldefinition kann der Rechtsetzer einem Wort ausdrücklich Bedeutung zukommen lassen, es als Rechtsatzbegriff bilden. Daneben kann der Rechtsetzer Begriffe durch Regelungen (induktiv) konturieren.349 Diese im346  Vgl. zur (Geltungs-)Relativität und zu den Grenzen der Legitimation von (Verwaltungs-)Gesetzen Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, § 9 S. 592 ff. 347  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 334. 348  Zur Vorverständnisabhängigkeit dieser subjektiv-teleologischen Perspektive auf das Recht und den verfassungsrechtlichen Implikationen instruktiv und differenziert Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 45 ff., 357 ff. 349  Zu der These, dass sich eine Definition in das Rechtssystem und den Systemzusammenhang einfügen muss Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht, 2013, S. 154 ff.; Sendler, Zur Makulaturproduktion des Gesetzgebers, in: Wilke (Hrsg.), Festschrift Juristische Gesellschaft zu Berlin, 1984, S. 753 (758 f., 761).



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung101

plizite Begriffsbildung zu erkennen, ist Aufgabe des Rechtanwenders. Vor allem im 19. Jahrhundert wurde vertreten, dass Rechtsbegriffe nur durch den Rechtswissenschaftler, nicht aber durch den Rechtsetzer gebildet werden können. Aufgabe des Rechtsetzers sei nicht die juristische Begriffsbildung, sondern sich gegenüber dem Rechtsunterworfenen verständlich auszudrücken.350 Auslegung und Anwendung der Rechtsatzbegriffe sei notwendiger Zwischenschritt; erst durch die wissenschaftliche Behandlung des positiven Rechts ließen sich Rechtsbegriffe bilden. Ungeachtet dieser terminologischen Differenzierung ist der Rechtsetzer kraft seiner Autorität normativ maßgeb­ licher Urheber juristischer Begriffe.351 Mit Karl Engisch lässt sich daher konstatieren, dass unmöglich jeder in einem juristischen Lehrbuch verwendete Begriff, darum, weil er in einem juristischen Lehrbuch steht, ein Rechtsbegriff sein kann, aber „jeder Begriff, der in einem gültigen Rechtsatz verwendet wird, [darf] ohne weiteres ‚Rechtsbegriff‘ heißen“.352 d) Maßstäbe für die Bildung von Rechtsatzbegriffen Der Rechtsetzer ist bei der Bildung von Rechtsatzbegriffen an rechtsstaatliche Vorgaben (aa)) und an sprachliche Vorgaben (bb)) gebunden. aa) Rechtsstaatliche Vorgaben Rechtsstaatliche Vorgaben für die Bildung von Rechtsatzbegriffen könnten sich aus den Geboten der Bestimmtheit, der Normenklarheit, der Normenwahrheit und der Widerspruchsfreiheit ergeben. 350  Zu dieser Aufgabe Eltzbacher, Über Rechtsbegriffe, 1900, S. 17 ff.; Feuerbach, Philosophie und Empirie, 1804, S. 82; vgl. auch Differenzierung zwischen rechtlich relevanten und echten Rechtsbegriffen bei Radbruch, Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1967, S. 28 ff.; vgl. daneben die Differenzierung zwischen Begriffen im natürlichen und logischen Sinne bei Rümelin, Juristische Begriffsbildung, 1878, S. 11 ff.; von Jhering, Geist des Römischen Rechts, Zweiter Teil, Zweite Abteilung, 1858, S. 364 ff.; dagegen ebenfalls von Jhering, Der Zweck im Recht, Teil 2, 1898, S. IX, 364 ff., 538. 351  So auch Feuerbach, Philosophie und Empirie, 1804, S. 80 ff. und Rümelin, Juristische Begriffsbildung, 1878, S. 11 ff.; vgl. zudem Engisch, Die Relativität der Rechtsbegriffe, in: Ferid (Hrsg.), Deutsche Landesreferate zum V. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Brüssel 1958, 1958, S. 59 (60 ff.); Heck, Begriffsbildung und Interessjurisprudenz, 1932, S. 61; Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, 1995, S. 94 ff.; Somló, Juristische Grundlehre, 1927, S. 26 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 110 f. 352  Engisch, Die Relativität der Rechtsbegriffe, in: Ferid (Hrsg.), Deutsche Landesreferate zum V. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Brüssel 1958, 1958, S. 59 (59).

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B. Theoretische Grundlagen

Der Grundsatz der ausreichenden Bestimmtheit von Rechtsätzen353 (Bestimmtheitsgrundsatz oder Bestimmtheitsgebot) lässt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten und ist eng mit den spezialverfassungsrechtlichen Bestimmt­heitsgeboten wie etwa dem Bestimmtheitsgebot für Rechtverordnungen aus Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, dem freiheitsentziehungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG und dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot354 aus Art. 103 Abs. 2 GG verwoben.355 Das (allgemeine) Bestimmtheitsgebot verlangt, Tatbestände so präzise zu formulieren, dass der Adressat der Regelung imstande ist, sein Handeln nach dem Rechtsatz auszurichten.356 Dafür müssen die Rechtsfolgen für ihn vorhersehbar und berechenbar sein. Das Bestimmtheitsgebot zielt damit auf die inhaltliche Präzision von Rechtsätzen ab.357 Diese rechtsstaatlichen Leitplanken werden nicht nur gezogen, damit der Normadressat überhaupt in der Lage ist sein Verhalten nach den Rechtsätzen auszurichten, sondern gerade auch, damit eine gerichtliche Kontrolle am Maßstab des Rechtsatzes möglich bleibt. Gleichzeitig sollen der Verwaltung steuernde und begrenzende Maßstäbe auferlegt werden.358 Auch mit dem Bestimmtheitsgebot wird Gewaltenteilung sichergestellt.359 Besondere Anforderungen an die Bestimmtheit eines Rechtsatzes sind an grundrechtseingreifende Ermächtigungen zu stellen: Je intensiver und gewichtiger der Grundrechtseingriff ist, desto bestimmter muss die zum Eingriff ermächtigende Norm sein.360 Darüber hinaus sind die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm etwa dann strenger, wenn die Norm zu einem (vor allem im Sicherheitsrecht relevanten) heimlichen Eingriff in Grundrechte ermächtigt.361 353  Bestimmtheitsgebote gelten für formelle und materielle Gesetze, aber auch für Verwaltungsakte und außenwirksame Verwaltungsvorschriften BVerfGE 49, 168 (181); 59, 104 (114); 62, 169 (183); 80, 103 (107 f.); zur Differenzierung zwischen dem Bestimmtheitsgebot, das sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ableitet, so dass es dementsprechend nur für formelle Gesetze gilt, und dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot Hans D. Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 16. Aufl. 2020, Art. 20 Rn.  77 ff. 354  Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot erstreckt sich nicht auf das Strafverfahrensrecht, vgl. dazu BVerfGE 112, 304 (315) und unten unter D. I. 2. b). 355  Zum Bestimmtheitsgebot im Überblick und zu seiner Ausprägung als Gebot der Rechtssicherheit und Vertrauensschutzprinzip Gerhard Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, 142. Akt. 2009, Rn. 2128 ff. 356  Vgl. auch hinsichtlich der verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmtheit die einfachgesetzliche Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots in § 37 Abs. 1 VwVfG. 357  So ausdrücklich BVerfGE 93, 213 (238 f.); 120, 378 (407 ff.) 358  BVerfGE 110, 33 (53 ff.); 114 1 (53 f.). 359  Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.) Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 85. 360  Für den sicherheitsrechtlichen Kontext prägnant BVerfGE 141, 220 (216). 361  BVerfGE 141, 220 (265), siehe auch BGHSt 51, 211 (Rn. 3 ff.).



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung103

Verschärfte Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm können sich aus der besonderen Natur des jeweiligen Rechtsatzes ergeben, vor allem, wenn dieser einem speziellen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot unterliegt. Bei formellen Bundesgesetzen etwa, die zu einer Rechtsverordnung ermächtigen, ist nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG ein spezielles Bestimmtheitsgebot angeordnet. Die im ermächtigenden Gesetz vorkommenden Begriffe müssen den Rahmen der Rechtsverordnungsermächtigung eng genug abstecken, so dass die „Gewaltenbalancierung bei der Normsetzung [nicht] einseitig verschoben“362 wird. Es wird das Gebot ausgesprochen, dass sich der ermächtigende Gesetzgeber eines hinreichend bestimmten Begriffs bedient, der der verfassungsrechtlich ausnahmsweise zulässigen Gewaltenverschiebung ausreichend Rechnung trägt. Das Gebot der Normenklarheit lässt sich als Teil des Bestimmtheitsgebots verstehen363 und verlangt, dass Normen nicht derart unverständlich gefasst sind, dass sie einer besonderen „Auslegungskunst“ bedürfen.364 Ebenfalls eng verbunden mit dem Bestimmtheitsgebot, aber auch mit dem Gebot der Normenklarheit ist das Gebot der Normenwahrheit. Das Bundesverfassungsgericht verlangt mit dem Gebot der Normenwahrheit, dass ein Normadressat den Gesetzeszweck erkennen können muss und dass der Gesetzgeber seine „wahren Absichten“ nicht verschleiern darf.365 Ergänzend ergibt sich aus dem Gebot der Widerspruchsfreiheit einer Rechtsordnung das Verbot, dass einen Normadressaten zwei gegenläufige bzw. widersprüchliche Anordnungen treffen.366 Den genannten unterschiedlichen rechtsstaatlichen Geboten ist gemein, dass sie nur ausnahmsweise allein zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder zur Rechtswidrigkeit einer untergesetzlichen Norm führen.367 Vor allem das Gebot hinreichender Bestimmtheit von Rechtsätzen ist eng mit dem 362  Gerhard Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, 142. Akt. 2009, Rn. 2157. 363  Teils konvergierend, teils konfligierend, vgl. m. w. N. Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hofmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 62. 364  M. w. N. Gerhard Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, 142. Akt. 2009, Rn. 2279; vgl. zu den sicherheitsrechtlichen Maßstäben am Beispiel von § 81b StPO BVerfGE 47, 239 (252). 365  BVerfGE 17, 306 (318); 107, 218 (256). 366  BVerfGE 98, 83 (97); 98, 106 (118); 98, 265 (301). 367  Für die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen ausdrücklich BVerfGE 1, 14 (45); 17, 67 (82); vgl. im Überblick Bernd Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz (Begr.), Grundgesetz, 86. Aufl. 2019, Art. 20 VII Rn. 58 ff.; kritisch zur „laxen“ Handhabung des Bestimmtheitsgebots durch das Bundesverfassungsgerichts Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 177 (196 ff.).

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B. Theoretische Grundlagen

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwoben und die beiden Kategorien sind im Rahmen der Verfassungsmäßigkeitsprüfung nur schwer voneinander zu trennen.368 Dies verdeutlicht die (verfassungs-)rechtliche Interferenz zwischen Form und Inhalt eines Rechtsatzes, der gerade auch durch den Begriff des Bestimmtheitsgebots, zielt er doch gerade auf inhaltliche Präzision ab, Rechnung getragen wird. Es verdeutlicht aber zugleich, dass das allgemeine Bestimmtheitsgebot nur dann verletzt ist, wenn die unzureichende Form auf den Inhalt der Norm durchschlägt. Ein durch die Rechtsprechung und/oder die Rechtswissenschaft konturierter Begriff kann deshalb auch dann dem Gebot der Bestimmtheit Rechnung tragen, wenn es sich um ein besonders vages und/oder mehrdeutiges Begriffswort der Alltagssprache handelt.369 Die unbestimmten Rechtsbegriffe oder Generalklauseln müssen lediglich mit den „Regeln der juristischen Methodenlehre“ hinreichend zu präzisieren sein.370 Der Rechtsetzer kann damit den genannten rechtsstaatlichen Vorgaben mit unterschiedlichen Mitteln Rechnung tragen:371 Er kann etwa tradierte juristische Begriffe nutzen, besonders bestimmte Worte der Alltagssprache als Rechtsatzbegriff verwenden oder mit Hilfe der Normsystematik bzw. seiner Gesetzesbegründung Bestimmtheit, Klarheit, Wahrheit und Widerspruchsfreiheit der Normen und ihrer Begriffe herstellen. Abstrakte formal-sprachliche Kriterien über die Festlegung einer Rechtssprache (Amtssprache) hinaus372 lassen sich dem Rechtsstaatsprinzip dagegen zunächst nicht entnehmen.

368  Zuletzt prägnant für das Sicherheitsrecht BVerfGE 141, 220 (265); vgl. aber auch BVerfGE 110, 33 (55); 113, 348 (376). 369  Vgl. etwa zur hinreichenden Bestimmtheit polizeirechtlicher Generalklauseln BVerfGE 54, 143 ff. (144 f.); 109, 29 (37 f.); 115, 189 (195 f.); 116, 347 (350); strittig dagegen hinsichtlich des Begriffs „schmal“ im Rahmen von § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO: für eine hinreichenden Bestimmtheit BVerwG, Entscheidung vom 24.01.2019 – 3 C 7/17; dagegen Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 08. März 2017 – 5 S 1044/15 –, Rn. 24 ff. 370  BVerfGE 133, 277 (Rn. 181). 371  „[V]ielmehr ist das gebotene Maß anhand verschiedener Faktoren zu ermitteln.“, vgl. Bernd Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz (Begr.), Grundgesetz, 95. Aufl. 2021, Art. 20 VII. Rn. 59. 372  Dazu Gerhard Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, 142. Akt. 2009, Rn. 2295; pointiert zur „Selbstverständlichkeit“ des Deutschen als Rechtssprache Depenheuer, Sprache und Stil der Gesetze, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 6 Rn. 16.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung105

bb) Sprachliche Maßstäbe für die Gesetzgebung Der Rechtsetzer ist hinsichtlich der Wahl der Begriffswörter in seinen Rechtsätzen damit formal ungebunden.373 Aus rechtstheoretischer Sicht muss er die von ihm verwendeten Begriffswörter nicht mit bereits bestehenden Begriffsworten im juristischen Diskurs abgleichen und auf Überschneidungen und Wechselwirkungen hin überprüfen.374 Rechtspolitisch besteht daneben freilich die Obliegenheit, das positive Recht und dessen Anwendung im Blick zu haben, um das Regelungsziel zu erreichen und damit den gewünschten rechtspolitischen Erfolg zu erzielen. Regelmäßig findet eine Kommunikation mit den Rechtsanwendern z. B. durch Anhörungen und Symposien statt, so dass die Eigenheiten der Rechtssprache insgesamt und die bisherige dogmatische Entwicklung zur regulatorischen Zweckerreichung vom Gesetzgeber berücksichtigt werden können.375 Da der Rechtsetzer bei der Wahl seiner Begriffswörter formal frei ist, kann der Wortlaut zunächst auch „nur“ Ausgangpunkt für die Rechtsanwendung sein.376 So ist auch der mögliche Wortsinn zwar regelmäßig Ausgangspunkt und Argumentationsmittel für die Rechtsanwendung, er setzt allerdings selten Grenzen hinsichtlich eines Rechtsanwendungsergebnisses: Rechtsatzbegriffe sind relativ und auslegungsbedürftig. Die verfassungsrechtlich intendierte sprachliche Freiheit des Rechtsetzers bei der Formulierung eines Rechtsatzes wird darüber hinaus nicht durch die Pflichten für ein gutes inneres Gesetzgebungsverfahren beim Erlass von formellen Bundesgesetzen, die das Bundesverfassungsgericht vom Parlamentsgesetzgeber einfordert, eingeschränkt.377 Dieser Pflichtenkatalog kann den 373  So ausdrücklich im Rahmen der juristischen Begriffsbildung auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 6. 374  Besonders im unionalen und völkerrechtlichen Kontext kann eine allzu laxe Begriffsverwendung in einer mehrsprachigen Rechtsordnung problematisch sein, vgl. exemplarisch für das CETA-Abkommen hinsichtlich des Begriffs jurists of recognized competence Claus Koss, Mit Worten läßt sich trefflich streiten, abrufbar unter: https://community.beck.de/2016/10/11/mit-worten-laesst-sich-trefflich-streiten (zuletzt abgerufen am 06.09.2018). 375  Vor allem Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, S. 98 ff., 262 ff. 376  Instruktiv Becker/Martenson, JZ 2016, S. 779 (781 f.); vgl. zu Maßstäben für die Überschreitung nationaler Wortlautgrenzen zum Zwecke richtlinienkonformer Auslegung im europarechtlichen Kontext Pötters/Christensen, JZ 2011, S. 387 (387 ff.). 377  Formulierung nach Karpen, JuS 2016, S. 577 (577 ff.); darüber hinaus macht das Bundesverfassungsgericht verfahrensrechtliche und keine semantischen Vorgaben an die Rechtsetzung, bspw. BVerfGE 109, 133 (155) – „Grundsätzlich erscheint es bedenklich, dass auch dann, wenn schwere Grundrechtseingriffe in Frage stehen, Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen zu Lasten der Grundrechtsträger gehen“; BVerfGE 119, 96 (161) – „[…], was aber zumindest eine dokumentierte Informa­

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B. Theoretische Grundlagen

Rechtsetzer zwar zu sprachlichen und begrifflichen Korrekturen und Anpassungen verpflichten. Sie haben aber zuvörderst eine verfahrensrechtliche378 sowie materiell-inhaltliche Stoßrichtung und beziehen sich gerade nicht auf die konkrete Formulierung eines Normtextes. Nachvollziehbarer Aufbau, systematische Gliederung, Widerspruchsfreiheit in einer Kodifikation sowie eine klare, kohärente und präzise Sprache, die eine Norm lesbar und nachvollziehbar macht, dienen nicht nur der Überzeugungskraft juristischer Entscheidungen, sondern sollten auch Leitgedanke der Rechtsetzung in einem Rechtsstaat sein.379 Judizieren lassen sich diese Kriterien jedenfalls dann, wenn sie Auswirkungen auf den materiell-recht­ lichen Gehalt einer Norm haben.380 Dennoch besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Ästhetik sowie dem Stil der Rechtsatzsprache und ihrem Inhalt381; die Kriterien zur Bewertung der Ästhetik und des Stils von Rechtsätzen folgen dann aber auch „nur“ ästhetischen oder stilistischen Maß­ stäben.382 Um den sprachlichen Maßstäben Rechnung zu tragen, gibt es zu Recht Bestrebungen des Bundesgesetzgebers, seinen Rechtsetzungsvorgang prozedural und institutionell sprachlich zu analysieren und auf Einfachheit, Klarheit und Kohärenz hin zu optimieren. Während des Rechtsetzungsverfahrens bei formellen Bundesgesetzen, das durch die Bundesregierung initiiert wird, ist nach § 46 Abs. 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien383 sowie bei den sonstigen tionsgrundlage, nachvollziehbares Einschätzen und Abwägen, und dann auch einen kritischen Nachvollzug durch das Gericht unter der Berücksichtigung der bisherigen Staatspraxis erfordert“; BVerfGE 132, 39 (57) – „Der Grundsatz, dass dem Gesetzgeber eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen gebührt […]“. 378  Zur gesetzgeberischen Obliegenheit einer vollständigen Sachverhaltsermittlung Wieckhorst, DÖV 2018, S. 845 (851 ff.). 379  So das Verständnis der UN für den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, vgl. nur UN Doc S/2004/616 No. 6; vgl. für den nationalen Kontext differenzierend Depenheuer, Sprache und Stil der Gesetze, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 6 Rn. 34 ff. 380  Etwa: „Der Gesetzgeber [darf] nicht willkürlich definieren“, vgl. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 65; vgl. auch schon oben unter B. II. 3. d) aa). 381  Radbruch, Rechtsphilosophie, 5. Aufl. 1956, S. 205 ff. 382  Prägnant Depenheuer, Sprache und Stil der Gesetze, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 6 Rn. 66 ff.; stilistische und ästhetische Elemente sind trotzdem zu Recht Elemente der Gesetzgebungslehre, vgl. nur grundlegend Noll, Gesetzgebungslehre, 1973; Rödig (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1976; Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002; sowie zur historischen Dimension Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2006. 383  Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) vom 26. Juli 2000 (GMBl S. 526), zuletzt geändert durch Art. 1 Beschluss vom 11.12.2019 (GMBl 2020 S. 68).



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung107

Bundesgesetzen ist nach § 80a der Geschäftsordnung des Bundestags384 die sprachliche Überprüfung des Gesetzgebungsvorhabens durch das Bundesministerium der Justiz bzw. „den beim Bundestag angesiedelten Redaktionsstab“ ausdrücklich vorgesehen. Das Bundesministerium der Justiz hat 2009 zur effektiven Nutzung dieser Einflussmöglichkeit einen „Redaktionsstab Rechtssprache“ eingerichtet. Die sprachliche Überprüfung des Gesetzgebungsvorhabens im Stadium der parlamentarischen Beratungs- und Beschlussphase erfolgt durch die Gesellschaft für deutsche Sprache.385 Eine Kodifikation verschiedener, gerade auch sprachlicher Parameter, die die beiden Stellen beachten, findet sich im Handbuch der Rechtsförmlichkeit386 als Gesetzgebungs„richtlinie“ (vgl. auch § 42 Abs. 4 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien). Das Handbuch ermöglicht es auch nichtjuristisch vorgebildeten Ministerialmitarbeitern, Rechtsnormen möglichst zweckmäßig nach juristischen Maßstäben auszurichten. Ergänzt wird die Arbeit des Redaktionsstabs Rechtssprache durch den Normenkon­trollrat. Dieser führt prospektive und retrospektive387 Gesetzesfolgenabschätzungen durch. Der Gesetzesfolgenabschätzung kommt vor allem inhaltliche Funktion zu. Er schätzt die Mehrbelastungen für den Wirtschaftssektor ab, die ein Gesetz durch Bürokratieaufbau bzw. fehlenden Bürokratieabbau zur Folge hat.388 Trotz der genannten sprachlichen Hilfsmittel, Prozeduren und Institutionen bleibt das Schreiben von Rechtsnormen aber eine Kunst, die Begabung, Talent und Intuition erfordert, um sprachlich und inhaltlich eine hohe Qualität aufzuweisen.389 Die Fragen nach hoher oder verminderter sprachlicher Qualität von Normen stellen sich aus rechtstheoretischer Perspektive stets, da Form und Inhalt von Normen in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen und damit die Sprache des Rechtsetzers Ausübung von Rechtsetzungsmacht und Entscheidungsgewalt wesentlich abbildet.390 384  Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.07.1980 (BGBl. I S. 1237), zuletzt geändert durch Beschluss vom 18.03.2022 (BGBl. I S. 562). 385  Pointiert zur Arbeitsweise der beiden Stellen Peter Carstens, Muss man Gesetze verstehen können?, FAZ vom 14.02.2016, S. 7. 386  Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl. 2008, Teil B, abrufbar unter: http://hdr.bmj.de/sitemap.html (zuletzt abgerufen am 14.06.2019). 387  Karpen, JuS 2016, S. 577 (582). 388  Überblickartige Evaluation bei Dietrich Creutzburg, Bürokratieabbau mit Schlupflöchern, FAZ vom 02.08.2016, S. 16; sowie ausführlich Linke, JZ 2016, S.  1081 ff. 389  Vgl. zur legislativen Methodenbewegung der Rechtswissenschaft um 1900 umfassend Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2006, S. 229 ff. 390  Zum dialektischen Verhältnis von Form und Inhalt von Normen Müller/Uhlmann, Elemente der Rechtsetzungslehre, 3. Aufl. 2013, S. 48; die Rechtsetzungslehre

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B. Theoretische Grundlagen

Weitergehende Forderungen, die über die inhaltlich relevanten Maßstäbe391 hinausgehen, bleiben dem Rechtsetzer überlassen: Ob er etwa über den allgemeinen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz hinaus „besonders bestimmte“ Rechtsbegriffe in seinen Rechtsätzen benutzt392, ob er nationalsozialistische Terminologien aus den Rechtsnormen verbannt393, ob er sich zuvörderst deutscher Worte und Begriffe bedient394 oder ob er ein über das behandelt freilich die Form eines Rechtsatzes auch isoliert, vgl. pointiert Karpen, JuS 2016, S. 577 (578 und 583). 391  Dazu in erster Linie unter B. II. 3. d) aa). 392  So lassen sich die Forderungen nach mehr Bestimmtheit der Begriffe „das Wohl der Bundesrepublik Deutschland“ und „Wahrung ihrer Handlungsfähigkeit“ im BND-Gesetz verstehen, vgl. Thorsten Wetzling und Sophia Simon, Eine kritische Würdigung der BND-Reform, Verfassungsblog vom 28.10.2016, abrufbar unter: http://verfassungsblog.de/eine-kritische-wuerdigung-der-bnd-reform/ (zuletzt abgerufen am 28.10.2016). 393  Forderung bei Ronen Steinke „ ‚Braune Schleimspur‘ im deutschen Strafrecht“, SZ vom 27.10.2016, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/gesetze-mitns-geschichte-braune-schleimspur-im-deutschen-strafrecht-1.3223468 (zuletzt abgerufen am 09.06.2019). 394  Kritisch zum Anglizismus „Jobcenter“ im Sinne der §§ 44b, 6d SGB II das VG Gießen, Urteil vom 24.02.2014 – 4 K 2911/13.GI, S. 5 ff.: „Zwar hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei dem Beklagten um eine Behörde oder Bundeseinrichtung handelt. Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache und nach § 184 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Bei der Bezeichnung ‚Jobcenter‘ handelt es sich indes gerade nicht um eine aus der deutschen Sprache herrührende Begrifflichkeit. Von daher ist mehr als fraglich, ob eine unter dem Begriff ‚Job­ center‘ firmierende Einrichtung eine deutsche Verwaltungsbehörde sein kann. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Bereich der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung in letzter Zeit vermehrt Anglizismen und andere Fremdworte Einzug gefunden haben, denn einer o ­ rdentlichen hoheitlichen deutschen Verwaltung ist auch eine deutsche Begrifflichkeit immanent. So gibt es in Hessen derzeit das ‚HCC – Hessisches Competence Center‘, ‚Hessen Mobil‘, ‚Hessisches Immobilienmanagement‘ und auch bundesweit den Begriff ‚Agentur für Arbeit‘, was aber noch nicht belegt, dass hiermit auch tatsächliche deutsche Verwaltungsbehörden gemeint sind; denn diese Bezeichnungen können auch unschwer mit aussagekräftigen, althergebrachten und einprägsamen Wörtern der deutschen Sprache belegt werden, etwa mit ‚Hessische Buchungsstelle‘, ‚Hessisches Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen‘, ‚Hessische Liegenschaftsverwaltung‘ oder schlicht ‚Arbeitsamt‘, wie es früher auch ü ­ blich und – besser – verständlich war. Einer alten Verwaltungsstruktur einen Fremdnamen zu geben, modernisiert weder die Verwaltung noch gibt es andere Notwendigkeiten zur Verwendung fremdsprach­ licher Begrifflichkeiten. Auch in der Gerichtsbarkeit findet vermehrt der Ausdruck ‚E-justice‘ Verwendung, was ebenfalls auf ein fehlendes oder aber zumindest fehlerhaftes deutsches Sprachbewusstsein schließen lässt, denn justice bezeichnet gerade den altbewährten Begriff Gerichtsbarkeit. Dankenswerter Weise darf das Gericht noch als Verwaltungsgericht entscheiden und muss sich – noch – nicht ‚administrative court‘ nennen und auch der HessVGH muss noch nicht als ‚hessian administrative court of appeal‘ Recht sprechen. Aus Sicht des Gerichts haben derartige Anglizismen oder andere Fremdworte weder in der



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung109

verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an Normen- und Begriffslogik395 hinausgeht.396 4. Rechtsprechungsbegriffe a) Terminologie Gerichte können in ihren Aussprüchen Rechtsbegriffe bilden, rezipieren, konturieren und verwerfen. Sie sind Organe der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, denen die Rechtsprechung als Hauptfunktion zugewiesen ist. Sie sind unabhängig und nur Gesetz und Recht unterworfen.397 Wird ein Gericht zur Streitentscheidung angerufen, kommt ihm die Aufgabe zu, auf Grundlage von (abstrakten) Rechtsnormen eine (konkrete) Fallentscheidung zu treffen. Die richterliche Anwendung von geschriebenen Rechtsätzen vermag aus bloßen Worten in den Gesetzen rechtskräftig Begriffe und „Fallnormen“ zu formen.398

deutschen Gerichtsbarkeit noch im deutschen Behördenaufbau einen Platz. Bei weiterem Fortschreiten derartiger sprachlicher Auswüchse erscheint infolge der verursachten Verwirrung die Funktionsfähigkeit des Verwaltungshandelns insgesamt gefährdet (vgl. Die Heilige Schrift, 1. Mose 11, Verse 1, 7–9). Auch die Bezeichnung des Beklagten hätte man besser bei der alten Begrifflichkeit ‚Sozialamt‘ belassen und statt der neudeutschen Bezeichnung ‚Kunden‘ trifft der Begriff ‚Antragsteller‘ den Kern der Sache besser, denn im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Kunde König, was im Aufgabenbereich des Beklagten wohl nur seltenst der Fall ist. Ungeachtet dieser Zweifel ist aber der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts richtiger Beklagter und materiell passivlegitimiert, denn er geriert sich zumindest als Behörde bzw. Bundeseinrichtung mit der Folge, dass ihn auch der Anspruch aus dem IFG trifft. Der Beklagte handelt innerhalb der deutschen Rechtsordnung wie eine Behörde und gibt sich, um einmal in der Begrifflichkeit des Beklagten zu bleiben, auch den ‚touch‘ einer Behörde. Er agiert hoheitlich und mittels Verwaltungsakt und ist damit im Rechtsverkehr demzufolge auch wie eine Behörde zu behandeln.“ 395  Jarass, AöR 126 (2001), S. 588 (592); Sendler, NJW 1998, S. 2875 (2876); Schmidt, Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung?, 1994, S. 9 (27); Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S. 252; sowie zuletzt Gaede, Der Steuerbetrug, 2016, S. 245 ff. und für den sicherheitsrechtlichen Kontext Jahn/Brodowski, JZ 2016, S. 969 (974). 396  Differenzierter aus Rechtsanwendungsperspektive Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 63 ff. 397  Zu dieser unter Legitimationsgesichtspunkten passenden Definition von „Gerichten“ im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG vgl. Klaus Stern, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Zweitbearbeitung 1967, Art. 100 Rn. 43. 398  Ähnlich Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Band IV, 1977, S. 176 ff.; Kriele, DRiZ, 1984, S. 226 (231); Larenz, Methodenlehre

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B. Theoretische Grundlagen

b) Legitimation Ein streitentscheidender Richter befindet sich im Spannungsverhältnis zwischen Normkonkretisierung399, Normenbildung und Streitentscheidung400.401 Die Begriffsanwendung und Begriffsbildung bedingen sich durch die Notwendigkeit der Fallentscheidung gegenseitig. Der Richter kann zur Stärkung der Nachvollziehbarkeit und der Überzeugungskraft seines Urteils nicht nur den Realbereich (Tatsachen und Realfolgen) und den (bisherigen) Sprachgebrauch des Begriffs in Gesetz, Rechtsprechung sowie Rechtswissenschaft feststellen und bewerten, sondern er wird sein Begriffsverständnis in dem Bewusstsein bilden, dass von seiner Begriffs(um)bildung und Begriffsanwendung die zukünftige juristische Bedeutung abhängen kann. Wenn er sich dabei von einem subjektiv-genetischen oder objektiven zu ermittelnden Regelungsziel leiten lässt, kann es sich bei diesem Rechtsanwendungsvorgang um eine eigenständige – in den Grenzen von Art. 20 Abs. 3 GG befindliche – teleologische Begriffsbildung handeln.402 Diese ganz unterschiedlichen Stoßrichtungen der richterlichen Begriffsbildung gebieten eine besonders reflektierte rechtswissenschaftliche Analyse bei Bedeutungsfestsetzungen durch die Rechtsprechung.403 Beispiel: Im Lissabon-Urteil bemüht das Bundesverfassungsgericht erstmals den Begriff der „Integrationsverantwortung“.404 Unter welchen Voraussetzungen einer solchen Integrationsverantwortung welche verfassungsrechtliche Rechtsfolge zu entnehmen ist, muss dabei besonders gewissenhaft ergründet werden, da sich der Begriff nicht expressis verbis der Verfassung entnehmen lässt.405 Im selben Urteil wurde der – mit ähnlicher (normativer) Vorsicht zu genießende – entgegengesetzte Begriff der „Verfassungsidentität“ durch das Bundesverfassungsgericht gebildet, mit deren Hilfe „unantastbare Kerngehalte“ des Grundgesetzes formuliert werden,

der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 138 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 66. 399  Etwa die sog. Düsseldorfer Tabelle, abrufbar unter: http://www.olg-duesseldorf. nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/index.php (zuletzt abgerufen am 09.06.2019). 400  Grundlegend zur Dichotomie zwischen Normbildung und Streitentscheidung Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010. 401  Zu diesem Themenkomplex mit zahlreichen weiteren Nachweisen Schönberger, VVDStRL 71 (2011), S. 296 ff. 402  Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 69. 403  Zur begrenzten faktischen (Selbst-)Bindung der Gerichte an die Methodenlehre Schönberger, VVDStRL 71 (2011), S. 296 (300 ff.). 404  BVerfGE 123, 267 – Leitsatz 2. 405  Vgl. aber das Integrationsverantwortungsgesetz vom 22.09.2009 (BGBl.  I S. 3022), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 01.12.2009 (BGBl. I S. 3822); dass die „Integrationsverantwortung […] eine dogmatisch eher unscharfe Rechtsfortbildung [ist]“, von Bogdandy, NJW 2010, S. 1 (3).



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung111 die im Zuge der europäischen Integration dem deutschen Nationalstaat nicht entzogen werden dürfen.406 Beispiel: Wenn das Bundesverfassungsgericht407 und das Bundesverwaltungsgericht408 erstmals den Begriff des „Gefährder“ bei der Auslegung von § 58a Aufenthaltsgesetz409 aufgreifen, ist Vorsicht hinsichtlich allgemeiner Folgerungen für die Rechtmäßigkeit personenbezogener Gefährlichkeitsprognosen im Sicherheitsrecht geboten.410 Gleiches gilt, wenn Verwaltungsgerichte mit den zunächst nur politikwissenschaftlichen Begriffen „Reichsbürger“ und „identitäre Bewegung“ die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit von einzelnen Personen zu begründen versuchen. Die oftmals bloß typisierbare411 Zugehörigkeit zu einer „Gruppe“ allein kann für eine individuelle (Zuverlässigkeits-)Prognose nicht genügen.412 Aufgabe der Rechtswissenschaft muss es dann sein, die dogmatische Relevanz juridischer Begriffe, die von der Rechtsprechung aufgegriffen werden, bei der Rechtsanwendung zu ergründen und klarzustellen.

406  BVerfGE 123, 267 (340, 354, 400 f.), besonders kritisch Schönberger, JöR 63 (2015), S. 41 (45 ff.); differenziert zur Bedeutung der „Integrationsverantwortung“ für die europäische Integration jüngst Calliess, NVwZ 2019, S. 684 (687 ff.). 407  Nicht ausdrücklich, aber die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigend BVerfG, NVwZ 2017, S. 1526 (1529). 408  BVerwG, NVwZ 2017, 1057 (1060). 409  Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters vom 09.07.2021 (BGBl.  I S. 2467). 410  Im Überblick Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2017, S. 7 (8 ff.). 411  Vgl. zur Kritik an Typusbegriffen Fn. 481. 412  So aber VG München, Beschluss vom 02.03.2018 – M 7 S 17.3913, Rn. 23: „Personen, die der sog. ‚Reichsbürgerbewegung‘ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, sind waffenrechtlich unzuverlässig.“; differenzierter VG Gießen, Beschluss vom 08.05.2018 – 9 L 8875/17.GI, 3. Amtlicher Leitsatz: „3. Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundsatz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird.“; methodengerecht(er) dagegen VG Bayreuth, Beschluss vom 20.02.2018 – B 1 K 17.158, Rn. 20: „Verhaltensweisen und Einlassungen, die sich typischerweise als solche der sog. ‚Reichsbürgerbewegung‘ darstellten, rechtfertigen daher die auf Tatsachen gestützte Prognose einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, wenn das Gedankengut der sog. ‚Reichsbürger‘ auch die innere Einstellung des Waffenbesitzers widerspiegelt.“; ausdrücklich VGH Mannheim, Beschluss vom 10.10.2017 – 1 S 1470/17, 1. Amtlicher Leitsatz: „1. Die waffenrechtliche Zuverlässigkeit ist ein individuell zu prüfender Umstand. Die Prüfung erfordert daher stets eine Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Das gilt auch für sog. Reichsbürger und Selbstverwalter.“, vgl. im Überblick Roth, NVwZ 2018, S. 1772 (1773 f.).

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B. Theoretische Grundlagen

Aussprüche von Gerichten beanspruchen zunächst nur für den Einzelfall Geltung.413 Abgesehen von den gesicherten Ausnahmen, dass eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung Gewohnheitsrecht begründen kann414 und dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gem. § 31 Abs. 2 BVerfGG415 Gesetzeskraft entfalten, kommt einem Gerichtsausspruch zunächst keine unmittelbare Normqualität zu.416 Die präjudizielle Wirkung ­eines Urteils steigt mit Überzeugungskraft des Argumentationsgehalts, nicht aber allein auf der Tatsache der Entscheidung.417 Dessen ungeachtet lassen sich höchstrichterliche Entscheidungen als eine „soziologische Rechts­ quelle“418 begreifen419, deren Abweichung begründungsbedürftig sein kann.420 Dennoch handeln Rechtsprechungsorgane von Verfassungswegen als „autorisierte Entscheidungsträger“421. Richterliches Verfahrensrecht (etwa § 563 Abs. 2 ZPO422 oder § 132 Abs. 3 GVG423) sichert darüber hi­ 413  Schönberger hält die klassische Entgegensetzung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung für falsch, da jeder Richterspruch Recht setze, VVDStRL 71 (2011), S. 296 (302). 414  Mit der h. M. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 238. 415  Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.08.1993 (BGBl. I S. 1473), zuletzt geändert durch Art. 4 Gesetz zur Umsetzung der RL (EU) 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die VO (EU) 2016/679 vom 20.11.2019 (BGBl. I S. 1724). 416  Strittig, vgl. ausführlich m.  w. N. Schönberger, VDStRL 71 (2011), S. 296 (300 ff.). 417  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 566. 418  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 244. 419  Wank spricht von der „Definitionsmacht“ des Richters, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 66. 420  Eingehend Krebs, AcP 195 (1995), S. 171 (171 ff.) und Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976, S. 243 ff. 421  Diese Formulierung taucht bei der Frage nach der Verbindlichkeit von Präjudizen auf; der in diesem Zusammenhang passende Begriff wurde übernommen aus: Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 188; ähnlich Weinberg, Norm und Institution, 1988, S. 110: „[…] aufgrund eines geregelten Verfahrens autoritativ erzeugte individuelle Rechtsnorm“. 422  Zivilprozessordnung (ZPO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.12.2005 (BGBl. I S. 3202, berichtigt durch BGBl. 2006 I S. 431 und BGBl. 2007 I S. 1781), zuletzt geändert durch Art. 1 bis 3 Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl. I S. 4607). 423  Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.05.1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Art. 8 Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021 (BGBl. I S. 2363).



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung113

naus die Richtlinienfunktion der Aussprüche durch die obersten Bundesgerichte.424 Einen methodisch besonders begründungsbedürftigen Sonderfall stellt die richterliche Rechtsfortbildung dar.425 So ist etwa das Arbeitsrecht auf richterliche Rechtsfortbildung angewiesen, so dass ihr dort gesetzesähnliche Funktion zukommt oder sie gar als gesetzesvertretendes Richterrecht begriffen werden kann.426 Aber auch bei der Rechtsfortbildung darf die Rechtsprechung erst im Rahmen expliziter oder impliziter Ermächtigungen „rechtsetzend“ tätig werden. c) Maßstäbe für die Bildung von Rechtsprechungsbegriffen Die Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung durch die Rechtsprechung knüpfen an denen der Rechtsetzung an. Auch Gerichtsentscheidungen unterliegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren allgemeinen Geboten der Bestimmtheit und Widerspruchsfreiheit.427 Insbesondere dem Tenor einer Gerichtsentscheidung muss die Rechtslage deutlich zu entnehmen sein. Da­ rüber hinaus können Widersprüche in der Urteilsbegründung einen Rechtsbehelfsgrund begründen. Die Zulässigkeit eines solchen Rechtsbehelfs wurzelt schon in dem Gebot der Widerspruchsfreiheit aus dem Rechtsstaatsprinzip.428 Für die Begriffsbildung der Rechtsprechung bedeutet dies, dass auch dort Inhalt und Form der Begriffe interferieren und im Ausnahmefall isoliert eine rechtsstaatswidrige Begriffsbildung begründen können. Die Rechtsprechung kann zum Zweck der Rechtsanwendung bestehende Begriffe aufgreifen und zum Teil ihrer Entscheidungen werden lassen.429 Sie kann darüber hinaus eigene Begriffsbildungen den bereits bestehenden Begriffen entgegensetzen oder ganz eigene Begriffe bilden. Besonders sensibel ist die Verwendung von Begriffen im internationalen Kontext. Sobald mehrere Amtssprachen und verschiedene Rechtssysteme für einen Fall relevant

Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 245 ff. Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 548 ff. 426  Umfassend Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht, 2013. 427  Zur Herleitung und Inhalt dieser rechtsstaatlichen Gebote vgl. bereits für den Rechtsetzer oben unter B. II. 3. d) aa); zur Übertragbarkeit auf die Rechtsprechung Gerhard Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, 142. Akt. 2009, Rn.  2184 f. 428  Gerhard Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abs. 1, 142. Akt. 2009, Rn. 2184. 429  Präjudizien steuern den Kreislauf zwischen Theorie und Praxis, vgl. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1975, S. 189. 424  Rüthers/Fischer/Birk, 425  Reimer,

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B. Theoretische Grundlagen

werden, ist eine unreflektierte „Begriffsparallelisierung“ zu vermeiden.430 In allen Fällen erfolgt eine (auch inhaltlich fehlerhafte) Begriffsbildung der Rechtsprechung rechtskräftig.431 Analog zu der Geltung und Legitimation von Gerichtsurteilen insgesamt kommt Begriffen der Rechtsprechung eine besondere Stellung zu. In ihnen kann eine präsumtive Wirkung erkannt werden, so dass ein abweichendes Begriffsverständnis argumentationsbedürftig wäre: jedenfalls wenn die eigene bisherige Rechtsprechung als gesichert fehlerhaft erkannt werden muss, steht sie derart zur Disposition des erkennenden Gerichts, dass sie im Sinne des Erkenntnisfortschritts und unter Beachtung etwaiger Vorgaben des Vertrauensschutzes zwingend aufzugeben ist. Eine Nichtaufgabe verstieße dann gegen die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht nach Art. 20 Abs. 3 GG.432 Eine solche präsumtive Wirkung lässt sich schon damit begründen, dass der Gleichheit der Rechtsanwendung durch die Rechtsprechung allein ein materieller Gerechtigkeitswert innewohnt.433 Im Umkehrschluss kann das bedeuten, dass eine nur funktional gleichwertige anderslautende Begriffs­ bildung allein eine bereits „judizierte Begriffsbildung“ noch nicht abzulösen vermag. In diesem Fall wären vielmehr stets darüber hinausgehende Gründe für eine Begriffsablösung erforderlich.434 5. Begriffe der Rechtswissenschaft a) Terminologie Rechtswissenschaft wird betrieben durch Autoren rechtswissenschaftlicher Literatur, und dies unabhängig vom Beruf. In der Regel handelt es sich bei den Autoren um Juristen, vor allem Professoren, Richter, Rechtsanwälte oder im Einzelfall um ihnen nahestehende oder mit ihnen zusammenwirkende 430  Begriff nach BVerfGE, Urt. v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14 und 2 BvR 646/15 = NJW 2018, 2695 ff. Rn. 132 (Streikrecht für Beamte); dazu mit weiteren Beispielen Haug, NJW 2018, S. 2674 (2677). 431  In Anlehnung an Dietrich Reinicke, nach dem der Richter seltener als ein Professor und zudem rechtskräftig irre: frei nach Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2014, S. 78. 432  Bittner, JZ 2013, S. 645 (647); Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 2002, S. 367 f.; nach BGHZ 85, 64 (66) ist etwa dann ein „Präjudiz“ zu korrigieren, wenn die Argumente gegen die Fortsetzung der Rechtsprechung deutlich (sic) überwiegen bzw. schlechthin zwingend sind. 433  „… im Bereich des Normvollzugs ist die Gleichheit der Rechtsanwendung die Seele der Gerechtigkeit. Und dies seit den Anfängen unseres Rechtsdenkens (vgl. 3 Mose 19, 15)“, BVerfGE 54, 277 (296). 434  Instruktiv Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl. 1996, S. 334 ff.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung115

Berufsgruppen wie etwa Mediziner oder Straßenverkehrsexperten.435 Der Rechtswissenschaft kommen Erkenntnis-, Erklärungs-, Darstellungs-, Prognose- und Lenkungsaufgaben zu.436 Ausfluss dieser unterschiedlichen Auf­ gaben sind unterschiedliche Tätigkeiten, die sich in deskriptiv-empirische, logisch-analytische und normativ-praktische Tätigkeiten unterteilen lassen.437 Diese Tätigkeiten sind nicht überschneidungsfrei und lassen sich gelegentlich überhaupt nicht voneinander differenzieren: Sie unterliegen lediglich einer rechtswissenschaftstheoretischen Trennung, über die der Rechtswissenschaftler zudem nicht ausdrücklich Rechenschaft abgelegen muss. Gerade deshalb kann das bewusste oder unbewusste „Vermengen“ der Tätigkeiten Anknüpfung für inhaltliche Kritik sein. b) Funktionen der Rechtswissenschaft Die Rechtswissenschaft stellt nach zutreffender Ansicht im nationalen Recht (vgl. dagegen für das Völkerrecht Art. 38 Abs. 1 lit. c und d IGH-Statut438) keine eigenständige – von der Verfassung vorgesehenen – Rechtsquelle dar, sondern ist lediglich eine sog. Rechtsinhaltsquelle.439 Die Rechtsquellen und das sich aus diesen ergebende geltende Recht sind vielmehr der wesentliche Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft. Die Rechtswissenschaft selbst kann Recht nicht konstituieren. Schon bei der deskriptiv-empirischen und der logisch-analytischen Tätigkeit handelt es sich zwingend nur um einen Versuch des annähernden Erkennens von Recht. Zwar bemüht sich die Rechtswissenschaft im besonderen Maße um die Einhaltung epistemischer Grundsätze; zugleich bestehen sich normativ auswirkende Vorverständnisabhängigkeiten. Rechtswissenschaftliche Begriffe können abhängig vom Abstraktionsgrad das geltende Recht abbilden.440 Der normativ-praktisch tätige Rechtswissenschaftler wird darauf bedacht sein, dass sein Verständnis und Vorverständnis vom Recht durch seine Argumentation normative Kraft entfaltet. Die rechts435  Zu einem Typisierungsversuch vgl. Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 11 ff.; kritisch zur Verschränkung zwischen Wissenschaft und Praxis im Verfassungsrecht Mayer, JZ 2016, S. 857 (857 ff.). 436  Nach Bernhart, Regeln der Jurisprudenz, 2008, S. 110 ff.; zur Unterscheidung kategorialer und teleologischer Weiterverarbeitung sowie zur Unterscheidung von Konstruktion und Systematik durch die Rechtswissenschaft Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 218 ff. 437  Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl. 1996, S. 308. 438  Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945. 439  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 570. 440  Zu den verschiedenen Abstraktionsgraden von Rechtsbegriffen instruktiv von der Pfordten, ARSP 98 (2012), S. 439 (450 f.).

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B. Theoretische Grundlagen

wissenschaftliche Arbeit ist Teil des rechtlichen Diskurses und damit fähig, geltendes Recht zu beeinflussen. Die gebildeten Begriffe können von der Rechtsprechung als geltend rezipiert werden441 oder vom Gesetzgeber zum Anlass genommen werden, das positive Recht zu ändern. Gerade bei denjenigen Rechtsfragen, die allein mit der Anwendung von Rechtsatzbegriffen nicht eindeutig entschieden werden können, besteht die Möglichkeit, dass durch rechtswissenschaftliche Begriffsbildung die Bedeutung der Rechtsatzbegriffe abgeändert wird. Rechtswissenschaft spielt sich stets zwischen dem Erkennen von Wertungen und dem Werten ab:442 „Ein ‚System‘ muß daher heute nicht nur die Gesetze in sich vereinigen, sondern auch die anerkannten Präjudizien und Theorien – also nicht nur die Beschreibungen von Tatbeständen und Regelungsanordnungen, sondern auch von ‚Begründungen‘, aus denen sich ergibt, daß und inwiefern der durch die Gesetze festgelegte Zusammenhang von Tatbestand und Rechtsfolge richtig ist: nämlich vernünftig und sachlich angemessen. Aus diesem System kann man dann auch wiederum neue Rechtsätze ableiten – weil es jetzt wiederum wie im Zusammenhang der Lehre Savignys nur darum geht, die Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen zu gewährleisten. Die Beschreibung eines Systems […] enthält allerdings anders als das System der Begriffsjurisprudenz nicht abstrakt beschreibende Begriffe, sondern vornehmlich ‚zweck- und wertbezogene‘.“443

Diese „zweck- und wertbezogene“ Beschreibung des Rechts dürfte auch Radbruch vor Augen gehabt haben, wenn er die „teleologische Verarbeitung“ des Rechts als Aufgabe der Rechtswissenschaft beschreibt, die das „Recht als versuchte Verwirklichung der Rechtsidee [sic!] schildert“.444 Dass eine eigene teleologische Verarbeitung des Rechts durch die Rechtswissenschaft stattfindet, kann nicht geleugnet werden. Wenn aber dabei die Verwirklichung einer völlig unklaren „Rechtsidee“ zum Ziel des Rechtsverständnisses und der Rechtsanwendung erhoben wird, stellt sich die drängende Frage, welchen Maßstäben die teleologische Erfassung des Rechts und den damit einhergehenden (teleologischen) rechtswissenschaftlichen Begriffsbildungen unterlie441  „[…] über die Rezeption durch die Gerichte wird aus der zunächst festsetzenden oder regulierenden Definition eine feststellende Definition über das geltende Recht“, vgl. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 71. 442  „Wissenschaft vom objektiven Sinn positiver Rechtsordnung“, Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 209, der damit zugleich einer subjektiv-genetischen Auslegung durch die Rechtswissenschaft eine Absage erteilt, siehe vor allem S. 214; zu der „Janusköpfigkeit rechtsdogmatischer Theorien, ihre für die Rechtsdogmatik charakteristische Stellung zwischen Erkenntnis und Normsetzung“ vgl. m. w. N. Neumann, Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, in: Hassemer/Neumann/Saliger (Hrsg.), Rechtsphilosophie, 9. Aufl. 2016, S. 351 (360 f.). 443  Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999, Rn. 4c; vgl. dazu auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 87 ff. 444  Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 218; vgl. aber auch das radikale objektive Verständnis von Recht S. 209 ff.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung117

gen, um aus rechtstheoretischer Perspektive weiterhin die Rechtswissenschaft als Rechtsinhaltsquelle von den formalen Rechtsquellen sinnvoll abzugrenzen und unterscheiden zu können.445 c) Maßstäbe für die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung Der Rechtswissenschaftler kann mit rechtswissenschaftlichen Begriffswörtern nach Willkür verfahren.446 Er steht jedoch in einem juristischen Diskurs, in dem es sich im Interesse der eigenen Überzeugungskraft empfiehlt, einen Begriff im tradierten Sinne zu verwenden. Eine kohärente fachsprachliche Terminologie ist Qualitätsmerkmal für eine rechtswissenschaftliche Schrift. Ohne das Bemühen der Rechtswissenschaft um eine einheitliche Begriffs­ bildung, verdient sie ihre Wissenschaftlichkeit nicht.447 Dieser Versuch nach einheitlicher und stringenter Terminologie und Begriffsnutzung führt aber nicht dazu, dass die Rechtswissenschaft das geltende Recht als widerspruchsfreie Einheit begreifen muss,448 sondern dass sich rechtswissenschaftliche Arbeit insgesamt zunächst durch sachgerechte Begründung legitimiert und durch unzureichende Begründung delegitimiert.449 Inhaltlich könnten Maßstäbe für die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung bestimmbar sein. Die Frage nach den Maßstäben korrespondiert dabei mit der Frage, in welchem Umfang Logik, Denkgesetze und Rechtsatzakzessorietät die rechtswissenschaftliche Arbeit determinieren. Nur wenn die Rechtswissenschaft (auch) nach epistemischen Grundsätzen zu vollziehen ist, können umgekehrt Rechtsbegriffe rechtswissenschaftstheoretisch verifiziert und falsifiziert werden.450 Dass sich eine juristische Entscheidung nicht in einem formallogischen Syllogismus erschöpft, sondern gerade auch in rhetorischen Enthymemen vollzogen werden darf, dürfte schon Aristoteles gefordert haben:451 Die Deduktion muss keine notwendigen Schlüsse enthalten, es 445  Zur Wichtigkeit der institutionellen Abgrenzung von Rechtsetzungskompetenzen auch im Verhältnis zur Rechtswissenschaft Lepsius, Der Staat 52 (2013), S. 157 (185) sowie Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, S. 18 ff. 446  Ein Plädoyer für einen „sokratischen“ Rechtswissenschaftler dagegen bei Lindner, NJW 2019, S. 279 (281 ff.). 447  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 455. 448  Vgl. dazu unter B. II. 5. c) bb). 449  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 259 ff., 319. 450  Einführend zu dieser Frage Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 16. 451  „Die Enthymeme aber sind am besten geeignet für die Gerichtsrede“, vgl. Aristoteles, Werke, Band 4: Rhetorik, Erster Halbband, 2002, S. 50; zum Verhältnis zwischen Syllogismus und Enthymem in der gerichtlichen Rede im Überblick Gröschner, JZ 2018, S. 737 (743 f.).

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B. Theoretische Grundlagen

genügen schlüssige und richtige Argumente.452 Umgekehrt erschöpft sich die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung nicht in einer formallogischen Operation:453 Sie vollzieht vor allem teleologisch.454 Eine teleologische Begriffsbildung befreit aber gerade nicht von der Bindung an das positive Recht: „Man kann die Sätze des geltenden Rechts interpretieren, man kann sie fortbilden, aber man kann ihre Geltung nicht in Frage stellen und die vorhandenen Rechtsätze wie die bloße Meinungsäußerung eines Diskussionsteilnehmers betrachten.“455 Auch die teleologische Begriffsbildung durch die Rechtswissenschaft befindet sich deshalb in einem „Wechselbezüglichkeitsgeflecht“ zum geltenden Recht und vollzieht sich durch „abstrahierende Dekontextualisierung“, „systematische Konsistenzialisierung“ und „deduktiveapplikative Konkretisierung“.456 Diesem Wechselbezüglichkeitsgeflecht und damit der Schlüssigkeit einer rechtswissenschaftlichen Argumentation wird desto mehr Rechnung getragen, je mehr auch eine teleologische Begriffsbildung formal logischen Argumentationen folgt bzw. gegen die formale Logik verstoßende Argumente explizit ausweist und methodengerecht überwindet.457 Nur dann kann auch eine teleologische Begriffsbildung „konsistent“ sein.458 452  So schon Aristoteles im Hinblick auf die gerichtliche Rede, Werke, Band 4: Rhetorik, Erster Halbband, 2002, S. 361. 453  So aber noch Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, 5. Aufl. 1911, S. X: „Die wissenschaftliche Aufgabe der Dogmatik eines bestimmten positiven Rechts liegt aber in der Konstruktion der Rechtsinstitute, in der Zurückführung der einzelnen Rechtsätze auf allgemeinere Begriffe und andererseits in der Herleitung der aus diesen Begriffen sich ergebenden Folgerungen. Dies ist abgesehen von der Erforschung der geltenden positiven Rechtsätze, d. h. der vollständigen Kenntnis und Beherrschung des zu bearbeitenden Stoffes, eine rein logische Denktätigkeit.“; differenzierter schon Rümelin, Juristische Begriffsbildung, 1878, S. 6: „Und so soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, durch einige formal-logische Betrachtungen die Lösung gewisser juristischer wenn auch nicht herbeizuführen, so doch vorzubereiten.“. 454  Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 79 ff.; aber auch Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974, S. 324; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, 63 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band. 1, 11. Aufl. 2013, S. 115 ff.; zur psychologischen Komponente bei der Begriffsbildung Hatz, Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963, S.  53 f. 455  Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 81. 456  Jestaedt, Wissenschaftliches Recht, in: Kirchhof/Magen/Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S. 117 (125). 457  In diese Richtung auch Weinberg, Rechtslogik, 2. Aufl. 1989, S. 389 ff.; für eine „Fuzzy-Logik“ dagegen Adrian, Grundprobleme einer juristischen (gemeinschaftsrechtlichen) Methodenlehre, 2009, S. 702 ff. 458  Zur Konsistenz einer juristischen Theorie und ihre Widerlegung Schuhr, Rechtsdogmatik als Wissenschaft, 2006, S. 76 ff.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung119

Eine transparente Differenzierung zwischen normativen Operationen und deskriptiven bzw. logischen Operationen trägt damit wesentlich zur Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft bei.459 Die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung vollzieht sich durch das Hin- und Herwandern des Blicks zwischen Induktion und Deduktion, so dass zunächst die der Begriffsbildung innewohnenden Sätze Anknüpfungspunkt rechtswissenschaftlicher Kritik sind.460 Die Sätze nämlich selbst sind es, die dem rechtswissenschaftlichen Begriff Kontur verleihen, sie statuieren den Begriff durch eine aktive Definitionshandlung; die Anpassungen der Sätze sind umgekehrt dazu fähig, einen Begriff zu verändern. Sind Sätze (vermeintlich) nicht mehr mit dem Begriffswort bzw. mit den sonst in dem Begriff innewohnenden Sätzen zu vereinbaren, werden Alternativbegriffe gebildet bzw. Alternativkonzepte vorgeschlagen. Beispiel: In diesem Sinne lässt sich der Versuch der Ausdifferenzierung von „Prävention“ und „Repression“ im tradierten Polizeirecht mit Hilfe der Begriffe „Strafverfolgungsvorsorge“ und „Straftatenverhütung“ verstehen. So konnten in diesem Zusammenhang Phänomene sicherheitsrechtlicher Vorfeldmaßnahmen nicht mehr eindeutig in das bestehende begriffliche System eingeordnet werden, so dass zur Aufrechterhaltung der systematischen Begriffe die Bildung weiterer Begriffe erforderlich wurden.461

Dass aber die ersatzlose Aufgabe von tradierten rechtswissenschaftlichen Begriffen gefordert bzw. vollzogen wird, ist die Ausnahme.462 Beispiel für den vorsichtigen Gebrauch überkommener Rechtsinstitute: Die von Rudolph von Jhering konturierte culpa in contrahendo463 war bis zur Schuldrechtsform im Jahre 2002464 (vgl. nun § 241 Abs. 2 BGB465) nicht positiviert und fand im Wege des „wissenschaftlichen Positivismus“ Eingang in die Rechtsanwen459  In diesem Sinne im Überblick Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 290d; zu dem Gebot der unterschiedlichen Begründung von Herstellung und Darstellung von Recht Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 116. 460  Implizit bei Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985. 461  Dazu näher und kritisch unter D. I. 1. c) dd). 462  Stattdessen wird regelmäßig die heuristische Bedeutung betont, vgl. zur heuristischen Funktion der conditio sine qua non-Formel Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988, S. 522; zur heuristischen Funktion des ­religionsverfassungsrechtlichen Neutralitätsgebots Schlaich, Neutralität als verfassungsgerichtliches Prinzip, 1972, S. 230 ff., kritisch dazu Holzke, NVwZ 2002, S. 903 (910 ff.); zum Teil wird aber auch die juridische Funktion betont, vgl. etwa zur „Natur“ als juridischer Rechtsperson Fischer-Lescano, ZUR 2018, S. 205 (206 ff.). 463  von Jhering, Culpa in contrahendo, Jherings Jahrbuch Band 4 (1861), S. 1 (52). 464  Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, in Kraft getreten am 01.01.2002, BGBl. I Nr. 61/2001. 465  Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.01.2002 (BGBl. I S. 42, berichtigt S. 2909 und BGBl. 2003 I S. 738), zuletzt geän-

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B. Theoretische Grundlagen

dung.466 Dennoch bleibt der Begriff weiterhin ein Rechtsbegriff, gerade weil seine historische Rekonstruktion aufschlussreich für die gegenwärtige Rechtsanwendung „vorvertraglicher Schuldverhältnisse“ im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB sein kann.467 Allerdings sind bei der Rechtsanwendung die geltenden Regelungen über die vorvertraglichen Schuldverhältnisse und das historische Institut der culpa in contrahendo zu differenzieren. Beispiel für eine Forderung nach der Aufgabe einer dichotomen Anordnung von Rechtsbegriffen: Das Ermessen auf Rechtsfolgenseite und die Beurteilungsspielräume auf Tatbestandsseite von verwaltungsrechtlichen Rechtsätzen signalisieren administrative Entscheidungsfreiräume. Die Erhebung und Bestimmung von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen folgen aber nach tradierter verwaltungsrechtlicher Dogmatik unterschiedlichen normativen Parametern. Die Aufgabe dieser traditionellen dichotomen Unterscheidung wird mit Blick auf ihre Unterkomplexheit, ihren fließenden Übergang und mangels ihrer inhaltlichen Exklusivität gefordert.468 Beispiel für die Aufgabe – trotz stabiler Rechtslage – aufgrund ursprünglich fehlerhafter Begriffsbildung bzw. aufgrund wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts: Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Apothekenurteil eine Drei-StufenLehre entwickelt, nach der sich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der gesetzlichen Eingriffsregelung bei steigender Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung an entsprechend höherwertigen Gemeinwohlbelangen auszurichten hat.469 Das Bundesverfassungsgericht selbst hat die strikte Einteilung „weiter spezifiziert, ausgebaut und sukzessive in eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung überführt“470. Die Drei-Stufen-Lehre dürfte daher überholt sein.471 Beispiel für einen differenzierten und dennoch entschiedenen Umgang mit einer juristischen Begriffsbildung: Klement untersucht den Rechtsbegriff der „Verantwortung“ und kommt zu dem Ergebnis, dass „Verantwortung“ als heuristischer Begriff nur dysfunktional ein „nichtdogmatischer Begriff mit dogmatischer Wirkung“ sein kann, als Rechtsatzbegriff kritikwürdig, aber eben geltend und als dogmatischer Begriff „ohne Daseinsberechtigung“ ist.472

Die Vorbehalte gegenüber einer Begriffsaufgabe könnten in einer beharrlichen (Fort-)Geltungsillusion über Begriffe oder in einer erheblichen und dert durch Art. 2 Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit vom 21.12.2021 (BGBl. I S. 5252). 466  Zu dieser Einschätzung Benedict, Culpa in contrahendo, Band I, 2018, S. 474 ff. 467  In epischer Breite und die Begriffsbildung methodisch reflektierend Benedict, Culpa in contrahendo, Band I, 2018. 468  Prägnant und mit zahlreichen weiteren Nachweisen, Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 Rn. 12 ff. (insbesondere Fn. 49). 469  BVerfGE 7, 377 (401, 403 und 405 ff.). 470  Thomas Mann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 137 ff. 471  Ausführlich schon Tettinger, AöR 108 (1983), S. 92 (117 ff.), vgl. im Kontext einer Falllösung m. w. N. Mann/Worthmann, JuS 2013, S. 385 (390). 472  Klement, Verantwortung, 2006, S. 575 ff.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung121

aufwendigen Begründungsbedürftigkeit hinsichtlich einer Begriffsaufgabe liegen. Auch könnte die fehlende Auseinandersetzung mit tradierten Begriffen beim Rechtswissenschaftler das Gefühl hervorrufen, er verschenke argumentatives Terrain, wenn er innerhalb seiner Rechtsanwendung nicht die tradierten systematischen Unterscheidungen oder Rechtsbegriffe berücksichtigt und aufgreift. Zudem könnte die Befürchtung bestehen, dass dem Aufwand kein materieller Erkenntnisgewinn gegenübersteht, da die Forderung nach Begriffsaufgabe bzw. die Ignoranz gegenüber juristischen Begriffen als allein destruktives Anliegen begriffen werden könnte. Gerade wegen dieser Zurückhaltung der Rechtswissenschaft hinsichtlich der Begriffsaufgabe stellt sich die Frage, ob Maßstäbe für eine rechtswissenschaftstheoretische Dysfunktionalität von rechtswissenschaftlichen Begriffsbildungen formuliert werden können, so dass diese Begriffe aus rechtswissenschaftstheoretischer Perspektive aufgegeben werden sollten (aa)) oder gar müssen (bb)).473 473  Die Dysfunktionalität von rechtswissenschaftlichen Begriffsbildungen sollte mindestens zu einer kritischen Rezeption führen; Lindner verdichtet dies zu folgendem rechtswissenschaftlichen Berufsethos für rechtswissenschaftliche Theorien, besonders hoher Abstraktion, was sich auf die juristische Begriffsbildung weitgehend übertragen lässt: „Skepsis gegenüber der Bildung rechtswissenschaftlicher Theorien, die auf einem hohen Abstraktionsniveau so weit vom geltenden Verfassungs- oder Gesetzestext entfernt sind, dass sich mit ihnen mühelos ideologische, religiöse oder sonst metaphysische Vorverständnisse dem Recht unterschieben lassen. Skepsis aber auch gegenüber dogmatischen Theorien auf mittlerem Abstraktionsniveau, denen ebenfalls die Gefahr innewohnt, sich zu weit vom geltenden Recht, vom Gesetzesrecht und damit vom demokratisch legitimierten Recht zu entfernen. Skepsis sollte aber auch all diejenigen begleiten, die – gelangweilt vom Schwarzbrot der Dogmatik – über die Grenzen des (positiven) Rechts hinaus in die lichten Höhen des Feuilletons entschweben und sich dort als Rechtswissenschaftler über das Große und Ganze verbreiten, die zwischen den verschiedenen Ebenen des rechtswissenschaftlichen Diskursmodells changieren und nicht zu erkennen geben, ob sie nun als Philosoph, Politiker, Dogmatiker oder schlicht als feuilletonistischer Renommist sprechen. Der sokratische Rechtswissenschaftler hingegen enthält sich der Besserwisserei und praktiziert das, was man Rollentransparenz nennt. Er geriert sich nicht als intellektueller Herkules, der zu allem und jedem Stellung nimmt und beachtet die wissenschaftstheoretisch zu fordernden Interaktionsregeln für den rechtswissenschaftlichen Diskurs, wozu maßgeblich das Gebot der Rollentransparenz, der Rollenehrlichkeit und -konsequenz gehört. Er springt nicht zwischen der materiell-rechtsphilosophischen, rechtspolitischen, dogmatischen und forensischen Ebene rechtswissenschaftlicher Argumentation, macht Diskursebenenüberschreitungen jedenfalls transparent. Er gibt zu erkennen, ob er das Recht auslegt und anwendet, ob er es über die in jeder Anwendung liegende Rechtsfortbildung hinaus weiterentwickelt, ob er neues Recht schafft oder dem geltenden Recht bestimmte Inhalte unterschiebt. Er ist sich seiner methodischen und damit politischen Verführbarkeit bewusst. […] Das Ethos des sokra­tischen Rechtswissenschaftlers ist also Bescheidenheit: in Anspruch und Auftritt, im Bewusstsein der Begrenztheit rechtlichen Wissens, in steter Achtsamkeit, eigene

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B. Theoretische Grundlagen

aa) Voraussetzungslose und rechtsfolgenfreie Begriffe Der Versuch, rechtswissenschaftliche Begriffe empirisch zu erfassen, muss scheitern.474 Da die Rechtswissenschaft normative Wissenschaft ist, ist dies schon per se nicht möglich; die Rechtswissenschaft erschöpft sich gerade nicht in logischer Rechtserfassung, sondern sie vollzieht ihre Begriffsbildungen teleologisch. Deshalb kann aber eine funktionale Betrachtung von rechtswissenschaftlichen Begriffen aufschlussreich sein, indem ein Begriff in seine Voraussetzungen und in seine (Rechts-)Folgen aufgeschlüsselt wird.475 Ist dies möglich, kann die normative Funktion der Begriffe zu beschreiben versucht werden. Fraglich ist dagegen, ob und welche Probleme bei der Verwendung voraussetzungsloser und rechtsfolgenfreier rechtswissenschaftlicher Begriffe auftreten können. Ein voraussetzungsloser Begriff ist nicht an tatbestandliche Voraussetzungen für seine Anwendbarkeit geknüpft, sondern knüpft an eine oder mehrere (Rechts-)Folgen an, die alternativ oder kumulativ vorliegen können. Der strafrechtliche Begriff der „objektiven Strafbarkeitsbedingung“ etwa zeigt an, dass sich der Vorsatz des Täters auf dieses Tatbestandsmerkmal nicht zu erstrecken braucht, ohne aber dass Wissenschaft und Rechtsprechung je ­Voraussetzungen entwickelt hätten, mit Hilfe derer sich eine objektive Strafbarkeitsbedingung von sonstigen objektiven Tatbestandvoraussetzungen abgrenzen ließe.476 Der Wert des Begriffs liegt allein in der verkürzten Bezeichnung gleicher Rechtsfolgen. Wird der Begriff nicht zur argumentativen Begründung einer Rechtsfolge angeführt, ist dies erkenntnistheoretisch unproblematisch. Leitet sich aus einem rechtswissenschaftlichen Begriff keine Rechtsfolge (mehr) ab, könnte der Begriff bedeutungslos477 und deshalb aus dem rechtspolitische, moralische oder sonst weltanschauliche, kurz metaphysisch-substanzontologische Wertungen dem Recht nicht zu unterschieben und dadurch Entscheidungen des demokratisch legitimierten Verfassungs- und Gesetzgebers zu relativieren oder gar zu konterkarieren und damit selbst Macht auszuüben.“, NJW 2018, S. 279 (283). 474  Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Band II, 1. Halbband, 1970, 213 ff.; Podlech, Rechtslinguistik, in: Grimm (Hrsg.), Rechtswissenschaft als Nachbarwissenschaften, Band 2, 1976, S. 105 (113). 475  Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 46  ff.; Nierwetberg, JZ 1983, S. 237 (239); Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 87 f.; Dagegen und für die Begriffsbildung nach der „fuzzy“-Logik Adrian, Axel, Grundprobleme einer juristischen (gemeinschaftsrechtlichen) Methodenlehre, 2009, S. 745 ff. 476  Vgl. aber die beiden Fallgruppen bei Jörg Eisele, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, Vor §§ 13 ff., Rn. 124 ff.; zu diesem Beispiel als ­voraussetzungsleerer Begriff nach Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S.  98 ff.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung123

wissenschaftlichen Diskurs zu verbannen sein: Denn ansonsten bestünde die Gefahr, dass rechtsfolgenfreie Begriffe entgegen ihrer inhaltlichen Bedeutung durch ihre unreflektierte Nutzung doch Normativität entfalten. Auch die Rechtsprechung könnte so der Versuchung erlegen, rechtsfolgenfreie Begriffe argumentativ und damit letztlich normativ zu nutzen. Allerdings kann entsprechend den zusätzlichen Aufgaben und Funktionen neben dem Abbilden und Erkennen von normativen Regelungen eine vor allem systematisierende und ordnende Verwendung von Rechtsbegriffen innerhalb der Rechtswissenschaft in Betracht kommen. Diese Aufgabe wird vor allem durch klassifizierende Begriffe oder durch Typusbegriffe478 Rechnung getragen. Den klassifizierenden Begriffen lassen sich Objekte unterordnen, denen etwas gemeinsam, zumindest aber ähnlich ist, so dass sie eine Zusammenfassung verdienen.479 Objekte, die einem Typusbegriff zugeordnet werden können, müssen von mehreren möglichen – dem Typusbegriff zugeordneten – Merkmalen nur einzelne Merkmale erfüllen; sie können einem gemeinsamen Rechtsregime unterfallen, müssen es aber nicht, worin eine „assoziative Chance“480, zugleich aber auch eine „normative Gefahr“ liegt.481 477  Zur Bedeutungslosigkeit von Rechtsbegriffen Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 30 f., 40 ff., 58 f.; Philipps, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 2 (1972), S. 223 ff.; Neumann, Rechtsontologie und juristische Argumentation, 1979, S. 53 ff., 81 f.; freilich abhängig vom Verständnis des BedeutungsBegriffs, vgl. m. w. N. Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 60, Fußnote 96; weitgehend Hatz: „Es gilt, den Begriff als Ordnungselement aufzufassen, indem der Begriff durch das Begriffswort die Unzahl der Erscheinungen unter einheitlichem Gesichtspunkt zusammenfasst und bündelt. Der Begriff wird hierdurch zum ‚Zusammengriff‘ “, Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963, S. 47. 478  Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 2. Aufl. 1968, S. 237 ff.; umfassend Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie, 1977; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 423 ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971, 1. und 4. Teil; Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 92 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 123 ff.; zur Verwendung des Typusbegriff-Begriffs durch das Bundesverfassungsgericht vgl. in­ struktiv das Urteil zur Brennelementesteuer BVerfGE 145, 171 (171 ff., vor allem Rn. 65). 479  Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3.  Aufl. 1963, S. 24, Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 86 ff.; Rümelin, Juristische Begriffsbildung, 1878, S. 14; dagegen zu den klassifikatorischen Begriffen, die dichotom angelegt sein müssen Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 36, 40. 480  Nach Baer ist ein Typusbegriff eher „deskriptiv-analytisch“ im Verhältnis zum Leitbild, dem ein normativer Überschuss („Leitbilder laden zur Deutung ein“) zukommen kann, Schlüsselbegriffe, Typen und Leitbilder als Erkenntnismittel und ihr Verhältnis zur Rechtsdogmatik, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 223 (231). 481  Zur zwischenzeitlichen „Entzauberung“ des als „undefinierbar geltende Wunderstück der Rechtswissenschaft“ m. w. N. Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, S. 143.

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B. Theoretische Grundlagen

Schließlich sind rechtswissenschaftliche Begriffe – vor allem auch juristische Basisbegriffe482 – oftmals nicht darauf ausgerichtet, einem konkreten Erkenntnis- oder Regelungsinteresse zu dienen, sondern sie können umgekehrt auch von einem nur allgemeinen Erkenntnis- oder Regelungsinteresse geleitet sein. In diesem Fall kann sich ihre Bedeutung in einer heuristischen Funktion483 ohne konkret positivrechtliche Rückkopplung erschöpfen. Wenn dies erkennbar ist und die Begriffe keine normative Wirkung entfalten, stellen nichtgeltungsbezogene Rechtsbegriffe kein Problem dar. Oftmals ist bei juristischen Begriffen aber nicht von vornherein erkennbar, ob und inwieweit sie normative Kraft entfalten. Es ist nicht erkennbar oder es kann keine Einigkeit darüber bestehen, ob es sich bei einem Begriff um einen normativen oder deskriptiven handelt und unter welchen Voraussetzungen er welche (Rechts-)Folgen auslöst. Diese notwendige Ungewissheit ist essentielle Grundlage eines rechtswissenschaftlichen Diskurses. Das stetige Ringen um die Bedeutung von Begriffen ist unumgänglich, hängt doch die Bedeutung auch der Rechtsbegriffe von ihrem Gebrauch ab, so dass die Bedeutung von Begriffen einem stetigen Wandel unterworfen ist und damit immer wieder aufs Neue zur Disposition steht. Gerade die Rechtswissenschaft hat aber auch die Aufgabe, durch Analyse von Rechtsbegriffen, Klarheit über ihre Normativität zu schaffen. Hierin erklärt sich auch der Trend, dass sich die Rechtswissenschaft vermehrt mit Schlüsselbegriffen, Leitbildern, strategischen und modischen Begriffen kritisch auseinandersetzt.484 Zwar können derartige Begriffe als Deutungsangebot die Rechtsfindung „öffnen“, sie können aber durch ihre argumentative Kraft auch für die Rechtsfindung „schließend“ wirken.485 Um (begriffliche und normative) Klarheit und Übersichtlichkeit herzustellen oder zu bewahren, sollte die Rechtswissenschaft zunächst sparsam mit der Bildung neuer eigener Begriffe umgehen.486 Bestehende und genutzte Begriffe, deren normative Kraft und deren Geltungsbezug nicht von vornherein erkennbar ist, sind während ihrer argumentativen Verwendung besonders zu hinterfragen 482  Zu ihnen und „Prävention“ und „Repression“ als juristische Basisbegriffe vgl. A. II. 3. b). 483  Kritisch zu heuristischen Rechtsbegriffen unter E. III. 2. 484  Überblick bei Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 6 VI; instruktiv Baer, Schlüsselbegriffe, Typen und Leitbilder als Erkenntnismittel und ihr Verhältnis zur Rechtsdogmatik, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 223 (223 ff.); ausführlich Braun, Leitbilder im Recht, 2015. 485  Für Leitbilder Baer, Typen und Leitbilder als Erkenntnismittel und ihr Verhältnis zur Rechtsdogmatik, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 223 (249). 486  Zu dieser Forderung Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 61.



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und besonders erklärungsbedürftig.487 Es ist deshalb Aufgabe der Rechtswissenschaft zu ergründen, ob ihre eigenen Begriffe und die Begriffe der anderen Akteure (vor allem der Rechtsprechung) implizit zu „Maßstäben für Richtigkeit“ werden, suggestiv wirken488 oder überhaupt keine Rechtswirkung entfalten489. Im Rahmen einer solchen Begriffsanalyse gilt es, insbesondere voraussetzungslose und rechtsfolgenfreie Begriffe zu erkennen, ihren Nutzen auszuweisen, ihre Normativität kritisch zu hinterfragen und ggf. die Begriffe durch diese Analyse (neu) zu konturieren. Die Analyse kann aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass Begriffe dysfunktional und unzweckmäßig sind und daher aufgegeben werden sollten. bb) Falsifikation der Basissätze Rechtswissenschaftliche Rechtsbegriffe können als Versatzstücke verwendet werden;490 sie vermitteln dann Theorien unterschiedlicher Reichweite. Ist eine Theorie geltungsbezogen, muss sie Erfahrungssätze beinhalten, die im Wege des logischen Empirismus induktiv gewonnen wurden oder die deduktiv auf die geltenden positiven Rechtsätze zurückführbar sein müssen.491 Die Basissätze juristischer Begriffe sind abstrakt, d. h. kategorisierend und verallgemeinernd. Nur durch ihre Abstraktheit können sie positiv rechtliche Anpassungen verarbeiten, ohne dass die Theorie aufgegeben werden muss. Die inhaltliche sowie zeitliche Relativität, aber auch die Kompromisshaftig487  Kritisch zur Zweckmäßigkeit solcher Begriffe im Diskurs Wank: „Da aber die gegenwärtigen Rechtswissenschaftler, anders als die des vorigen Jahrhunderts, beanspruchen, das geltende positive Recht zu erklären, sind Definitionen nicht sinnvoll, die auf die vorhandenen gesetzlichen Definitionen nicht Bezug nehmen“, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 72. Ähnlich schon Stoll: „Das Bilden von Begriffen, das uns keine Vorstellung der positiven Rechtsätze vermitteln kann, ist zwar nicht denkunmöglich, aber für die Darstellung des positiven Rechts ohne Wert: ‚theoretische Spielerei.‘ In diesem Sinn kann man mit Schönfeld davon sprechen: Ein wissenschaftlicher Begriff, der nicht in der Objektivität der Sachverhalte ruht, ist ein Unbegriff, dem keine Wahrheit und Wirklichkeit zukommt.“, Begriff und Konstruktion in der Lehre der Interessenjurisprudenz, in: Stoll (Hrsg.), Festgabe für Heck/Rümelin/ Schmidt, Tübingen 1931, S. 60 (110). 488  Für Leitbilder Baer, Typen und Leitbilder als Erkenntnismittel und ihr Verhältnis zur Rechtsdogmatik, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 223 (231). 489  So dürfte es bei Leitbildern der Fall sein, vgl. Braun, Leitbilder im Recht, 2015, S.  185 ff. 490  Vgl. dazu schon oben unter A. II. 3. b). 491  Überblick über den Theorie-Begriff bei Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, § 19.

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B. Theoretische Grundlagen

keit und die institutionelle Differenzierung des positiven Rechts in einer Demokratie kann durchaus dazu führen, dass rechtliche Teilbereiche nicht mehr sinnvoll systematisierbar sind. Dieser Befund führt vor allem im Öffentlichen Recht zur berechtigten Forderung, dass sich die Rechtswissenschaft dort vom Ziel der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verabschieden muss, wo sie im positiven Recht auch nicht zu finden ist.492 Die Unordnung in der Rechtsordnung ist im Grundgesetz angelegt, wenn alle staatliche Gewaltausübung auf das Volk zurückzuführen sein muss (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG). Das Verstehen und Anwenden formeller Gesetze als eine Handlungsform staatlichen Handelns und damit als staatliche Gewaltausübung unterliegt stets auch dem Optimierungsgebot der Herstellung demokratischer Legitimation. Je eher die Gesetzesanwendung mit dem politischen Willensbildungsprozess in Einklang gebracht werden kann, desto eher handelt es sich um eine rechtskonforme Rechtsanwendung.493 Bei dieser demokratietheoretischen Sichtweise auf das Recht kann es keine Rolle spielen, ob dieselben Begriffswörter simultan begriffen werden oder nicht und ob eine konkrete Rechtsanwendung sich widerspruchsfrei in ein theoretisches Fundament einreihen lässt. Insoweit genießt die Auslegung des positiven Rechts zwingend Vorrang vor einer widerspruchsfreien Systematisierung des Rechts. Dieses Ziel als einziges Ideal kann allerdings die Wissenschaftlichkeit im Sinne einer Unvoreingenommenheit der Erfassung und Einordnung des Rechts gefährden. Das bedeutet freilich umgekehrt nicht, dass Systeme, Einheiten und Querverbindungen nicht dennoch erkannt werden können und sollen.494 Ihre Existenz darf jedoch nicht von vornherein vorausgesetzt werden und muss stets der Überprüfung standhalten. Eine Theorie kann bei einer solchen Überprüfung zumindest dann als mangelhaft erkannt werden, wenn sie nicht leistungsfähig, inkonsistent oder un492  Entschieden Lepsius, Der Staat 52 (2013), S. 157 (184); ähnlich Christensen/ Hanschmann, JöR 65 (2017), S. 485 (486 ff.); zur Grenze des wissenschaftlichen „Verstehens“ von Recht, wenn „rekonstruktiver Vollzug“ zu einer „Produktion“ von Recht wird, vgl. Vesting, Rechtstheorie, 2. Aufl. 2015, S. 106; zum rechtswissenschaftspositivistischen Ansatz, bei dem erst ein einheitliches rechtswissenschaftliches System die „Erkenntnis der Wahrheit“ über gesetztes Recht zu Tage treten lässt, vgl. Gerber, AcP 37 (1854), S. 35 (35 ff.); Kant, Kritik der reinen Vernunft, Band 2 (1787), Werksausgabe Band 4, 1974, A 646; Laband, Das Staatsrecht des deutsche Reiches, Band 1, 5. Aufl. 1911, S. IX; ähnlich auch von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band 1, 1840, S. 207 und 319. 493  Zu den Argumenten für dieses subjektiv-teleologische (Vor-)Verständnis Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, Rn. 357 ff. 494  Zur methodischen und semantischen Relevanz eines „Systems“ differenziert Christensen/Hanschmann, JöR 65 (2017), S. 485 (488 f.); zur Gleichheitsdimension und damit zur „Gerechtigkeitsdimension“ von Systembildung vgl. prägnant Rödig, Einführung in eine analytische Rechtslehre, 1986, S. 42.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung127

vereinbar mit ihrem Basissatz ist.495 Eine Theorie ist nicht leistungsfähig, wenn sie tautologisch oder nicht abgrenzungsfähig ist. Sie ist darüber hinaus inkonsistent, wenn sie ihrerseits einen logischen Widerspruch oder unbegründete Ausnahmen enthält, ohne dass es auf den Bezugspunkt, das geltende Recht ankäme. Eine juristische Theorie ist schließlich dann mangelhaft, wenn die Aussagen der Theorie auf niedrigerer Abstraktionsstufe mit dem geltenden Recht nicht in Einklang gebracht werden können,496 obwohl die Theorie gleichzeitig darauf angelegt worden ist, auf das geltende Recht zurückführbar zu sein. Das geltende Recht markiert damit für rechtsnormakzessorische Theorien den Basis- oder Prüfsatz, anhand dessen die Theorien falsifizierbar sind. Von der Falsifizierung einer Theorie ist die rechtswissenschaftstheoretische Konsequenz zu differenzieren. Sie reicht von der Anpassungsbedürftigkeit der Theorie, über die Unanwendbarkeit der Theorie für die Rechtsanwendung, bis hin zur Ablösung der Theorie durch eine neue – nicht falsifizierte – Theorie.497 Für den rechtswissenschaftlichen Rechtsbegriff bzw. für eine begriffliche Einteilung können diese Maßstäbe und Konsequenzen dann übertragen werden, wenn mit den Begriffen als Versatzstücke Theorien verbunden sind. Ein systematischer Begriff müsste nach deduktiver Aufschlüsselung seiner Bedeutungen im Recht ein System, eine Ordnung oder ein normatives Kondi­ tionalprogramm abbilden, jedenfalls müsste in ihm ein „bedeutungsfester Kern“ erkennbar bleiben.498 Sind die mit dem Begriff verknüpften Theorien offengelegt, sind die Theorien freilich erster Anknüpfungspunkt für Kritik. Erst wenn das Konzept, das durch die rechtswissenschaftlichen Begriffe abgebildet wird, insgesamt falsifiziert ist, können die rechtswissenschaftlichen Begriffe ihrerseits Gegenstand rechtswissenschaftlicher Kritik sein. Dann 495  Strukturierung nach Canaris, JZ 1993, S. 377 (384 ff.); vgl. aber auch von Savigny, Die Rolle der Dogmatik – wissenschaftstheoretisch gesehen, in: von Savigny/ Neumann/Rahlf (Hrsg.), Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, 1976, S.  100 ff.; Neumann, Wissenschaftstheorie der Rechtswissenschaft, in: Hassemer/Neumann/Saliger (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 351 (356 ff.); freilich hängt die Bewertung der Theorie stets vom ihrem Erkenntnisinteresse ab, vgl. dazu im Überblick Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rn. 9 ff. 496  Canaris, JZ 1993, S. 377 (386). 497  Entschieden Kriterien für die Verwerfung oder den Verzicht auf die Anwendung einer Theorie bildend Canaris, JZ 1993, S. 377 (388 ff.); zu den Kriterien für die „Ablösung“ einer Theorie Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl. 1996, S. 207 ff.; überblick bei Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 7. 498  Vgl. dazu und zu der „Tiefenstruktur von Begriffen“ Koselleck, Begriffsgeschichten, 2006, S. 44 ff., 70 sowie Chionos, Zur Übertragung innerstaatlicher Begriffe und Rechtsgrundsätze in das Völkerrecht, S. 115 ff.

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B. Theoretische Grundlagen

könnten die Begriffe nämlich ein positivrechtlich überholtes System, eine positivrechtlich überholte Ordnung oder gar ein positivrechtlich überholtes normatives Konditionalprogramm semantisch abbilden und durch ihre stoische Weiterverwendung normativen Einfluss entgegen der geltenden Rechtslage nehmen. Die fortwährende fehlerhafte Nutzung von Begriffen trotz falsifizierter Basissätze könnte sich dadurch erklären lassen, dass Begriffe in ihrer Eigenschaft als Essenz einer Theorie und deshalb in ihrer noch höheren Abstraktion im Verhältnis zur Theorie besonderen Schutz gegen Kritik bieten. Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, ist es Aufgabe der Rechtswissenschaft, semantisch bzw. argumentativ relevante Rechtsbegriffe gewissenhaft auf ihre Bedeutungen, aber auch auf ihre Wirkungen und Reflexe hin zu untersuchen. 6. Begriffe der Rechtsdogmatik Im Begriff der „Rechtsdogmatik“ kulminieren aus rechtstheoretischer Perspektive Sätze und Begriffe der unterschiedlichen (zuvor dargestellten) juristischen Akteure: Rechtsatzbegriffe, Begriffe der Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Begriffe können gleichermaßen Teil einer Rechtsdogmatik sein.499 Rechtsdogmatisches Begriffsdenken stellt eine Form des rechtsdogmatischen Meinungsdenkens dar. Es stellt sich die Frage, ob die Kategorie „Rechtsdogmatik“ zur begriffstheoretischen Durchdringung von Rechtsbegriffen hilfreich sein kann. a) Terminologie Rechtsdogmatik kann als eine Methode der Entscheidungsfindung verstanden werden, bei der gewisse Begriffsspeicherungen die Möglichkeit angemessener Urteilsbildung eröffnen.500 Mit Hilfe der Rechtsdogmatik kann dem Begründungserfordernis juristischer Argumentationen entsprochen werden, indem sie dogmatisierte Meinungen für eine Entscheidung anbietet;501 die Rechtsdogmatik kann darüber hinaus auch ein ganzes Meinungsgefüge bereitstellen, um Entscheidungen im Bereich juristischen Wertens vorzube499  „Schnittmenge zwischen der Rechtsprechung – oder der ‚Praxis‘ – und der Wissenschaft“, m. w. N. Albers, VVDStRL 2012, S. 257 (266). 500  Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1975, S. 92. 501  Weitergehend Viehweg, Ideologie und Rechtsdogmatik, in: Maihofer (Hrsg.), Ideologie und Recht, 1969, S. 83 (85): „Dogmatisches Denken kann sinnvoll als Meinungsdenken bezeichnet werden, weil es dadurch gekennzeichnet ist, daß es an einer fixierten Meinung (Dogma oder Dogmata) festhält, sie einerseits außer Frage stellt und andererseits in vielfältiger Weise ausdenkt.“



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung129

reiten und zu ermöglichen.502 Es soll damit durch die Rechtsdogmatik eine Rationalisierung der Rechtsanwendung stattfinden. Der Rechtsanwender wird durch eine auf das Gesetz zurückgehende (normakzessorische) Maßstabsbildung einerseits gewissermaßen kontrollierbar, gleichzeitig aber auch entlastet, indem er selbst auf einen entwickelten Fundus der Entscheidungsmaximen zurückgreifen kann.503 Eine dogmatische Untersuchung kann darüber hinaus darauf ausgerichtet sein, auf einer höheren Abstraktionsebene Zusammenhänge im Recht zu erkennen, zu speichern und zu steuern, ohne sich dabei auf Detailfragen einzulassen.504 Sie steht dann im Spannungsfeld zur konkreten Rechtsanwendung, welche allein den Einzelfall bzw. das Einzelproblem als relevant erachtet und eine Lösung im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit unabhängig gegenläufiger Systematik(en) zulässt.505 Diese beiden Perspektiven zeigen, dass rechtsdogmatische Arbeit eine Aufgabe der Rechtswissenschaft darstellt. Hinzu kommt, dass Rechtswissenschaft als Disziplin nämlich nicht nur institutionell, sondern auch materiell als Form „zulässiger“ juristischer Entscheidungsfindung verstanden werden kann. Mit diesem Begriffsverständnis lässt sich die Jurisprudenz dann ebenso wie die rechtsdogmatische Arbeit als Beschreibung ­einer Tätigkeit verstehen, der die unterschiedlichen juristischen Institutionen gemeinsam konvergierend und konfligierend nachgehen. b) Geltung Wenn die Rechtsdogmatik zumindest als eine heuristische Methode für die Rechtsfindung begriffen werden kann, stellt sich im besonderen Maße die Frage nach der Geltung dogmatischer Begriffe und Theorien in Abgrenzung zu den anderen juristischen Begriffsbildungen. Die Nuancen sind dabei umstritten. Sie reichen von der Bezeichnung der „Lehre vom Recht[…], die gilt“506, über „eine faktische Autorität“, bei der es auf die Bezeichnung als Analytische Rhetorik, 2009, S. 6. Bereicherungsrecht und Dogmatik, 2002, S. 115 f. 504  Engisch, Formale Logik, Begriff und Konstruktion in ihrer Bedeutung und Tragweite für die Rechtswissenschaft, in: Kohlmann (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Klug, Band I, 1983, S. 33 (40, 54 ff.); Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1975, S. 87 ff.; Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 163; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 49 f.; Rittner, Unternehmen und freier Beruf als Rechtsbegriffe, 1962, S. 9 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 6; Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht, 2013, S. 39 ff. 505  Grundlegend Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 3. Aufl. 1965, S. 16 ff. 506  Schapp, Grundlagen des Bürgerlichen Rechts, 2. Aufl. 1996, Rn. 36; „In der immer selektiven Form aktualisierten Wissens wirken Dogmatiken auf Gerichtsent502  Ballweg,

503  Gödicke,

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B. Theoretische Grundlagen

geltend nicht ankäme,507 bis hin zur wenigstens faktischen Bindung des Richters, indem die Rechtsdogmatik die möglichen Entscheidungsalternativen für ihn verringert508. Deshalb bedarf eine Abweichung von einem Satz, der als Teil der Rechtsdogmatik verstanden wird, der besonderen Begründung und Rechtfertigung.509 Wird eine solche nicht geliefert, wird die konkrete Rechtsanwendung weder durch den Richter noch durch einen Rechtswissenschaftler überzeugen. Dieser zusätzliche Argumentationsaufwand genügt für das „Mehr“ an Geltung, anders etwa als eine bloß rechtswissenschaftliche (Minder-)Meinung, die noch nicht Teil der Rechtsdogmatik geworden ist. Diese „faktische Geltung“ der Rechtsdogmatik ändert aber nichts daran, dass auch rechtsdogmatische Begriffe und Theorien formal abhängig vom geltenden Recht, durch dieses determiniert und zu diesem relativ sind.510 c) Verwerfung der Kategorie für die juristische Begriffsbildung Die Bildung eines rechtsdogmatischen Begriffs folgt damit auf Grund seiner strengen Normakzessorietät strengeren Regeln als die eines rechtswissenschaftlichen Begriffs. Der Rechtswissenschaft kommen mehr Funktionen zu als das Abbilden und Strukturieren des geltenden Rechts. Auf der anderen Seite wird durch das Abstraktum Rechtsdogmatik suggeriert, als sei alles das, was als Rechtsdogmatik eingeordnet wird, dem juristischen Diskurs ent­ zogen, weil es geltendes Recht sei.511 Es könnte zu der Annahme verleiten, dass die rechtswissenschaftliche Begriffsbildung an die Dogmatik als Teil scheidungen ein, sei es als Vorverständnis, sei es über die Antizipation der dogmatischen Anschlussfähigkeit einer noch zu treffenden Entscheidung; so und nur so gewinnen sie im engeren Sinne normative Relevanz.“, dazu und zur gegenseitigen Kontextualisierung von Rechtsprechung und Dogmatik instruktiv Albers, VVDStRL 2011, S. 257 (266 ff.); ähnlich Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl. 1996, 307 ff.; Scherzberg, Das Allgemeine Verwaltungsrecht zwischen Praxis und Reflexion, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 2008, S. 837 (849); Jansen, ZEuP 2005, S. 750 (753 ff.). 507  Gödicke, Bereicherungsrecht und Dogmatik, 2002, S. 158 a. E. 508  Hassemer, Rechtssystem und Kodifikation: Die Bindung des Richters an das Gesetz, in: Hassemer/Neumann/Saliger (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9. Aufl. 2016, S. 227 (232 ff.). 509  Ähnlich Brohm, VVDStRL 30 (1972), S. 245 (248). 510  Instruktiv dazu Klement, Verantwortung, 2006, S. 41 ff. 511  Ähnlich Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2014, S. 49: „Dabei wird übersehen, daß Dogmatik primär aus gespeicherten, überwiegend anerkannten Wertvorstellungen besteht, für die es keinen Wahrheitsbeweis gibt.“; kritisch zum „Absolutheitsanspruch“ der Rechtsdogmatik Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 9 Rn. 7 ff.



II. Maßstäbe für die juristische Begriffsbildung131

des geltenden Rechts gebunden wäre. Mit Ottmar Ballweg lässt sich daher konstatieren, dass „[a]lle Versuche, [der Rechtsdogmatik] Erkenntnisfunktion zu verleihen, indem Meinungen Wahrheitscharakter zugesprochen wird, […] lediglich die Diskutierbarkeit und damit die Rationalität der Jurisprudenz [mindert].“512 Ein dogmatischer Begriff ist aber selbst kein Rechtsatzbegriff, sondern Referenzpunkt einer anderen juristischen Aussage.513 Die Bildung soll im Idealfall „rechtsnormakzessorisch“514 erfolgen; die Kriterien eines hinreichenden Rechtsquellenbezugs sind dagegen nur schwer zu bestimmen. So kann etwa das Maß an Intensität des Rechtsquellenbezugs proportional von der Geltungsnähe eines konstruierten Begriffs abhängen, so dass ein Rechtsbegriff auf weniger Legitimation angewiesen ist, wenn aus ihm keine praktischen Folgerungen geschlossen werden.515 Der bloße Verweis auf rechtsdogmatische Begriffe ist damit für die juristische Begriffsbildung nicht gewinnbringend. Er ist dazu geneigt, den Urheber einer normativen Aussage zu verschleiern und die Aussagen selbst zu verobjektivieren und zu verabsolutieren, so dass die Geltungsbedingungen der Aussage nur noch schwer zu rekonstruieren sind. Gleichwohl streben alle Akteure – namentlich Rechtsetzer, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft – danach, rechtsdogmatisch, d. h. rechtsnormakzessorisch und geltungsbezogen, tätig zu werden. Es ist gleichsam nicht ausgeschlossen, dass alle Akteure dabei irren. Die Rolle der Wissenschaft, der vor allem epistemische Funktion zukommt und die nicht wie die Rechtsetzer und die Rechtsprechung Sach- und Entscheidungszwängen unterworfen ist, ist daher, i­ mmer wieder eine kritische Außenperspektive einzunehmen, um der Gewaltenteilungsrelevanz von rechtsdogmatischen Begriffen Rechnung tragen zu können.516 Die Untersuchung des Begriffspaars „Prävention“ und „Repression“ nimmt daher nun die Rechtsdogmatik des tradierten Polizeirechts als Prüfungsgegenstand in den Blick. Es gilt die Frage zu beantworten, ob das Begriffspaar das geltende Recht sachgerecht abzubilden vermag und den vorstehend formulierten Maßstäben der juristischen Begriffsbildung folgt. Die kritische Würdigung der sicherheitsrechtlichen Dogmatik kann Aufschluss über die Frage geben, ob die Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ dogmatisch ist und wenn ja, ob sie „zu Recht“ Teil der

512  M. w. N.

Ballweg, Analytische Rhetorik, 2009, S. 7. Dogmatik als Methode, 2017, S. 173. 514  Waldhoff, Kritik und Lob der Dogmatik, in: Kirchhoff/Magen/Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, S. 17 (27). 515  Ähnlich Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017 S. 176 f. 516  Zu Recht kritisch zur „richterlichen Rechtsdogmatik“ deshalb Rüthers, JöR 64 (2016), S. 309 (328 ff.). 513  Lennartz,

132

B. Theoretische Grundlagen

„Rechts­ dogmatik“ sein sollte. Dieses relative Verständnis von Dogmatik liegt der Arbeit zugrunde.517

III. Methodische Folgerungen Wer die Maßstäbe der juristischen Begriffsbildung bemühen möchte, um einen Rechtsbegriff zu kritisieren, zu delegitimieren, zu falsifizieren oder gar zu verbannen, kann sich schnell allein gelassen fühlen: Rechtsbegriffe sind relativ, vage und porös, sie können im Spannungsfeld zwischen Intensionalität und Extensionalität, Teleologie und Logik518 autonom gebildet werden und eine Begriffsveränderung ist jederzeit durch alle Diskursteilnehmer aufgrund unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und Legitimationen möglich. Unterscheidet man hinsichtlich der Bildung von Rechtsbegriffen zwischen den Urhebern, so ergeben sich unterschiedliche Legitimationen von Rechtsbegriffen, die eine „Begriffshierarchie“ bilden können. Diese Hierarchie stellt an den rezipierenden Rechtsanwender einen gestuften Reflexionsauftrag. Rechtsatzbegriffe sind im juristischen Diskurs alternativlos. Sie sind formell legitimiert und im Regelfall im Rahmen ihres Zusammenhangs innerhalb eines Rechtsatzes Ausgangspunkt aller Rechtfindungsprozesse (recht­ liche Geltung). Wegen ihrer rechtlichen Geltung ist gerade die Frage nach der Bedeutung und dem Inhalt von Rechtsatzbegriffen den weiteren – zumeist rechtsanwendenden – Urhebern von Rechtsbegriffen gestellt. Rechtsatzbegriffe können nur durch die Rechtsetzer verworfen werden. Die Rechtswissenschaft kann sie nicht verwerfen, sondern lediglich de lege ferenda Vorschläge zur Verwerfung oder zur Anpassung durch die Rechtsetzer ausarbeiten. Begriffe, die durch ein Rechtsprechungsorgan gebildet werden, weisen eine institutionelle Legitimation auf, müssen und können dennoch bei jeder neuen Rechtsanwendung hinterfragt werden. Sie sind damit zeitlich besonders labil und stets zu reflektieren (relative Geltung). Werden solche Begriffe allerdings von der Rechtswissenschaft übernommen und lassen sie sich in ein 517  In diese Richtung Möllers, Juristische Methodenlehre, 2.  Aufl. 2019, § 9 Rn. 7 ff.; zur Gleichheitsdimension von Rechtsdogmatik vgl. dagegen Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl. 1996, S. 332; Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Bubner/Cramer/Wiehl (Hrsg.), Hermeneutik und Dialektik, Band 2, 1970, S. 311 (335). 518  Pessimistischer Wank: „Jede rechtswissenschaftliche Begriffsbildung erfolgt teleologisch und unterliegt zunächst nur den Funktionslogiken ihrer eigenen Disziplin. Erkenntnisse aus Logik, Wissenschaftstheorie, Linguistik und Sprachphilosophie können einen Reflexionsvorgang bereichern, nicht aber entscheidend lenken.“, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 151.



III. Methodische Folgerungen 133

theoretisches Fundament einbetten, besteht die Möglichkeit, dass sie durch ihre inhaltliche Begründung auch materiell legitimiert sind, so dass ihnen ggf. eine stärkere Stabilität und höhere Qualität zukommt (relative Geltung mit theoretischer Bestätigung). Rechtswissenschaftliche Begriffe hingegen können den Versuch darstellen, das geltende Recht deskriptiv oder analytisch abzubilden; sie können in ihrer normativen Funktion daneben aber auch versuchen, das Recht normativ zu konkretisieren und fortzubilden. Alle diese Facetten der Rechtswissenschaft sind statthaft. Die juristische Begriffsbildung und die Wissenschaftstheorie stellen für die Rechtswissenschaft in ihrer Funktion als Wissenschaft hinreichende Maßstäbe bereit, Begriffsfehlbildungen anhand konturierter Maßstäbe zu identifizieren und für den juristischen Diskurs zu „brandmarken“. Die Rechtsbegriffe sind dysfunktional gebildet, wenn die Theorien, die durch den Rechtsbegriff abgebildet werden, tautologisch oder inkonsistent sind, sowie wenn der zugrunde liegende Basissatz der Theorie falsifiziert wurde. Geltungsbezogene rechtswissenschaftliche Basissätze dürfen nicht gegen das geltende Recht verstoßen. Erhebt ein rechtswissenschaftlicher Begriff Anspruch darauf, das geltende Recht abzubilden und, steht er dennoch in ­Widerspruch zu den positivrechtlichen Rechtsätzen, sind die im Begriff enthaltenen Sätze falsifiziert, so dass mittelbar auch die Aufgabe des Begriffs selbst angezeigt sein kann. Darüber hinaus können nicht allein die Sätze eines rechtswissenschaft­ lichen Begriffs oder der rechtswissenschaftliche Begriff selbst Anknüpfungspunkt von Kritik sein. Weil durch Rechtsbegriffe die juristische Welt wahrgenommen wird, können diese selbst Gegenstand von Kritik sein. Das Etikett eines Rechtsbegriffs – das Begriffswort – vermag es, die durch ihn symbolisierten Theorien (implizit) am Leben zu halten, auch wenn über die Geltung dieser Theorien keine Einigkeit herrscht oder ihre Geltung bezweifelt wird. Umgekehrt formuliert reicht es nicht aus, die im Begriff enthaltenen Sätze und Theorien zu falsifizieren, sondern es kann auch geboten sein, die Begriffsworte zur Disposition zu stellen. Die Begriffsworte dürfen nicht zu Unklarheiten bei ihrer Verwendung oder ihrem Verstehen führen; diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Worte als sprachliche Zeichen auch bei ihrer konkreten Verwendung nicht hinreichend deutlich erkennen lassen, ob sie die (überholten) Begriffsbedeutungen, die sie vormals etikettiert haben, weiterhin abbilden sollen.519 Dann kann nicht zu Tage treten, ob das begriffliche Konzept weiterhin Geltung entfalten soll oder nicht. Auch diese Prämisse liegt der prägnanten Formulierung Schnapps zugrunde: „Es geht bei der […] notwendigen ‚Begriffshygiene‘ also nicht um eine semantische 519  „Verwendet jemand unklare Worte, so hat er auch unklare Begriffe“, Schneider/Schnapp, Logik für Juristen, 6. Aufl. 2016, S. 57.

134

B. Theoretische Grundlagen

Glasperlenspielerei, sondern um handwerkliche Genauigkeit, deren Mißachtung handfeste Rechtsfolgen nach sich zieht.“520 Die Analyse von Rechtsbegriffen erschöpft sich schließlich nicht nur in der Behandlung der Frage, inwieweit ihnen dogmatische Bedeutung zukommt. Rechtsbegriffe können weit darüber hinaus wirken. Es gilt daher, Begriffe umfassend in Bedeutung und Wirkung zu analysieren, um etwa suggestive Wirkungen, semantische Argumentationsmuster oder die Politizität von Rechtsbegriffen offenlegen zu können und sodann mit der rechtdogmatischen Bedeutung von Rechtsbegriffen abgleichen zu können. Für die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ treten damit aus Perspektive der juristischen Begriffsbildung verschiedene „Gefahrenlagen“ zu Tage: In ihrer Abstraktion müssen die beiden Begriffe – wie alle anderen Begriffe auch – in der Gefahr existieren, Erscheinungsformen erfassen zu wollen, die zwar im Hinblick auf den abstrakten Begriff gleichartig521 sind, daneben aber sehr verschiedenartig sein können, so dass die Eigenart der einzelnen Erscheinungen in der „Erfassung durch die Abstraktion nicht zur Geltung [kommen]“ könnte.522 Daneben sind „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht stets Anpassungen der positiven Rechtslage durch die unterschiedlichen Rechtsetzer ausgesetzt. Diese Rechtslage müssten die Begriffe stets abbilden und auf diese Rechtslage müssten die Begriffe stets rückführbar sein, wenn sie geltungsbezogen Verwendung finde sollen. Schließlich könnten die Begriffe – sollte der begrifflichen Einteilung zwischenzeitlich keine normative Bedeutung mehr zukommen – in ihrer nicht geltungsbezogenen Funktion (vergleichbar mit einem Ordnungsmodell, Leitbild oder Schlüsselbegriff) entgegen der positiven Rechtslage „normative Kraft“ entwickeln oder beibehalten. Die sich im Dritten und Vierten Teil anschließende rechtshistorische und rechtsdogmatische Untersuchung nimmt daher in ihrem ­begriffszentrierten Ansatz nicht bloß die normativen Bedeutungen, die den Begriffen hinsichtlich der geltenden Rechtslage zukommen sollten, in den Blick, sondern versucht gerade auch die normativen Wirkungen, die sich durch eine unreflektierte Verwendung von „Prävention“ und „Repression“ Bahn brechen können, zu untersuchen.

JZ 2004, S. 473 (475). Kern“, vgl. dazu oben unter B. II. 5. c) bb). 522  So Flume für den Begriff des Rechtsgeschäfts, Allgemeiner Teil des Bürger­ lichen Rechts, Zweiter Band, 4. Aufl. 1992, S. 32. 520  Schnapp,

521  „Bedeutungsfester



IV. Zusammenfassung135

IV. Zusammenfassung Es ist zuzugeben, dass ein konkretes Rechtsproblem nicht unmittelbar durch eine Kritik an Rechtsbegriffen gelöst werden kann. Die Reflexion anhand der Kriterien der juristischen Begriffsbildung lohnt sich dennoch: Die Gefahren einer unzweckmäßigen Begriffsbildung oder bei unreflektierter Anwendung von Begriffen können sowohl bei der juristischen Rechtsanwendung wie auch im rechtswissenschaftlichen Diskurs nicht überschätzt werden. Die Begriffskritik stellt damit nicht nur eine Form der Erkenntniskritik dar,523 sondern vermag darüber hinaus, den Rechtserkenntnisprozess unmittelbar und gewinnbringend zu befruchten. Die juristische Begriffsbildung als rechtswissenschaftliche, rechtstheoretische und rechtswissenschaftstheoretische Disziplin stellt eine eigene diskursbeobachtende Perspektive dar, mit deren Hilfe strukturelle sprachliche, begriffliche und inhaltliche Defizite am Knotenpunkt524 des konkreten Rechtsbegriffs sichtbar gemacht werden können und müssen. Die strukturelle Interferenz dieser Facetten eines Rechtsbegriffs lässt sich vor allem durch eine Außenperspektive erfassen. Die Maßstäbe der juristischen Begriffsbildung helfen, strukturelle begriffliche Fehlbildungen sichtbar zu machen. Dabei können die Maßstäbe freilich keiner Konditionalstruktur zugeführt werden, so dass sich Rechtsbegriffe in einer naturwissenschaftlichen Dichotomstruktur verifizieren oder falsifizieren ließen und eine Falsifikation deshalb zwingend die Aufgabe des Rechtsbegriffs im Recht zur Folge haben müsste. Das Erkennen und Beschreiben von Dysfunktionalitäten eines begrifflichen Konzepts setzt eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Recht und seiner Dogmatik voraus, so dass eine Untersuchung von Begriffsbildungen weitreichende Erkenntnisfunktion auch für die Rechtsanwendung haben kann. Bevor die dogmatische Bedeutung der Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ für das geltende Sicherheitsrecht abschließend untersucht werden kann, soll zunächst die historische Entwicklung der Begriffe nachgezeichnet und damit für den Untersuchungsgegenstand nutzbar gemacht werden.

523  Vgl. zur Methodenlehre als Erkenntniskritik Reimer, Vielfalt und Einheit juristischer Methode, in: Gödicke/Hammen/Schur/Walker (Hrsg.), Festschrift für Jan Schapp, 2010, S. 431 (443). 524  Begriff nach Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981, S. 41 ff.

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“ Die heterogenen Begriffsbedeutungsmöglichkeiten, die durch den theoretischen sowie sprachlichen Problemaufriss deutlich wurden, sollen im folgenden Teil mit den Begriffsverwendungen und den Begriffsbildungen im Verlauf der historischen Entwicklung des Sicherheitsrechts abgeglichen und für die Untersuchung fruchtbar gemacht werden. Gerade die historische Dimension kann maßgeblich für das gegenwärtige Verständnis eines Begriffs relevant sein. Nach Analyse und Berücksichtigung der historischen Dimension der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ kann im Anschluss daran im Vierten Teil das Sicherheitsrecht de lege lata zwischen „Prävention“ und „Repression“ umfassend analysiert und für eine Fortentwicklung des Sicherheitsrechts und des Begriffspaars nutzbar gemacht werden. Eine historische Betrachtung rechtswissenschaftlicher Begriffe ist aufwändig und in einer juristischen Abhandlung leicht dem Vorwurf einer unreflektierten und damit selektiven Auswahl sowie der Gefahr eines anachronistischen Begriffsvorverständnisses ausgesetzt. Dennoch verspricht ein Blick in die Vergangenheit auch für das Begriffspaar „Prävention“ und „Repression“ eine fruchtbare (wenn auch möglicherweise aus geschichtswissenschaftlicher Sicht dilettantische) Blickfelderweiterung. Versteht man einen Rechtsbegriff als Essenz eines historischen Prozesses oder als historisch gewachsenes Konzept, ist die begriffsgeschichtliche Perspektive von vornherein unerlässlich.525 Selbst wenn man der historischen Begriffsbetrachtung als solcher keinen normativen Erkenntniswert für die Gegenwart zumisst, kann die Begriffsgeschichte für die Beurteilung der Frage, ob und welche Bedeutungen oder Reflexe durch die Nutzung eines Rechtsbegriffs über seine normative Bedeutung hinaus entstehen können, aufschlussreich sein. Da die vorliegende Untersuchung neben der Frage nach der rechtsnormakzessorisch-dogmatischen Funktion des Begriffspaars auch der Frage dogmatischer Reflexe bei der Verwendung der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht nachgeht, beschränkt sich die historische Dimension der Untersuchung auf Beobachtungen der Begriffe im tradierten Polizei- und Strafrecht bzw. im 525  Zu exemplarischen Beobachtungen voreiliger (Fehl-)Verwendungen von begriffsgeschichtlichen Erkenntnissen für normative Zwecke m. w. N. Kaiser, Rechtsgeschichte 19 (2011), S. 142 (147 ff.).



I. Entwicklung des Polizeirechts137

Strafverfahrensrecht sowie in der Kriminologie.526 Dabei liegt der Fokus auf dem Erkennen der Begriffsverwendungen und damit der Bedeutungen in seinem jeweiligen historischen Kontext, indem nämlich der „Gebrauch des Begriffsworts sorgsam in seinem historischen Kontext analysiert [wird], statt unhistorisch nach einem Begriffswesen zu suchen, um es für die heutige Dogmatik fruchtbar zu machen“.527

I. Entwicklung des Polizeirechts 1. Entwicklung eines „präventiven“ Gefahrenabwehrrechts Seit mehreren Jahrhunderten wird in Deutschland über die Aufgabenabgrenzung und die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei als Mittel des staatlichen „Kampfs gegen das Verbrechertum“ (so die frühere traditionelle Diktion) diskutiert und legiferiert.528 Die Einteilung geht zurück auf die Beschränkung der polizeilichen Befugnisse auf die Gefahrenabwehr. Schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lag nicht nur die Herstellung und Wahrung der öffentlichen Sicherheit, sondern auch die Gewährleistung eines friedlichen Zusammenlebens sowie gar „die private Glückseligkeit“ in der „Zuständigkeit“ der Obrigkeit; dabei war der Zustand des gesamten Gemeinwesens materiell umfänglich von der Arbeit der Obrigkeiten erfasst,529 so dass die Regelungen der „Polizeiordnungen“530 alle Lebensbereiche erfassen konnten. In der Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelte sich eine zunehmende Pönalisierung im „Polizeirecht“, so dass Verstöße gegen „polizeirechtliche Maßnahmen“ unter Strafe gestellt wurden. Das „Polizeistrafrecht“ umfasste dabei weiterhin alle „polizeirechtlichen Streitigkeiten“ und damit nahezu alle Bereiche der innerstaatlichen Ordnung. Zunächst wurde über das „Polizeistrafrecht“ durch die Kammerjustiz geurteilt, die sich in der weitgehenden Zentralgewalt der Landesfürsten befand, so dass 526  Vgl.

zu diesem Zuschnitt des Anschauungsgegenstands schon Einleitung II. 1. und zum linguistic turn, Kaiser, Rechtsgeschichte 19 (2011), S. 142

527  Dazu

(143 ff.). 528  So die damalige Terminologie; vgl. zu ihr und der Tradition der Aufgabenabgrenzung von „Prävention“ und „Repression“ im Überblick Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn.  1 ff. sowie Funk, Polizei und Rechtsstaat, 1986, S. 172 ff. 529  Ausgenommen freilich die Souveränitätsrechte des Herrschers sowie die so genannten iura quaesita (Herrschaftsbereiche eines Fürsten), vgl. dazu Stolleis/Kremer, Die Geschichte der Polizei, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A. Rn 8. 530  Zum Begriff der „Polizeiordnung“ und seiner Bedeutung Knemeyer, AöR 92 (1963), S. 153 (158 ff.).

138

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

deren Zuständigkeit durch einen sehr weitgefassten Polizeibegriff weit reichte.531 Dagegen wurden zu Beginn des 18. Jahrhunderts alle Polizeistreitigkeiten der Kammerjustiz entzogen und einer besonderen Polizeigerichtsbarkeit zugewiesen: „Da fern in unseren hiesigen Residenzien […] in PoliceySachen Streitigkeiten vorfallen, die eine schleunige Abhelfung erfordern, soll deshalb kein Prozeß in unserem Kammergericht verstattet, sondern solche Sachen an den Magistrat […] verwiesen werden“532. Damit erfolgte die (Ab-)Trennung der Polizei von der Justiz.533 Die Aburteilung von polizei­ lichen Streitigkeiten oblag nun allein den städtischen Obrigkeiten oder gar den Polizeidirektion selbst, so dass trotz der Trennung zwischen Polizei und Justiz dem absolutistischen Staat weiterhin „das Attribut des Polizeistaats“ zukam.534 Gleichzeitig mit der aus rechtsstaatlicher Perspektive problematischen Trennung zwischen der „justizfreien“ aber „kompetenzreichen“ Polizei einerseits und der Justiz andererseits ging die Etablierung der Polizeiwissenschaft einher.535 Vor allem Justi bereitet schon zum Ende des 18. Jahrhunderts als aufgeklärter Absolutist vor der Französischen Revolution den Weg in ein differenzierendes Verständnis zwischen Polizeiverwaltung und Polizeiverwaltungsrecht; darüber hinaus waren bereits erste Ansätze erkennbar, die Befugnisse der Polizeibehörden durch Abgrenzung des Polizeibegriffs zu – aus heutiger Sicht – politischen, sozialstaatlichen und wohlfahrts-

531  M. w. N. Glorius, Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2016, S. 20; so urteilte etwa auch das Reichskammergericht über Übertretungen von Polizeiordnungen, vgl. etwa den Reichsabschied von 1654, in: Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Band 2, 1747, S. 660. 532  Gerichtsordnung für die Chur- und Mark-Brandenburg 1709, in: Christian Otto Mylius (Hrsg.), Corpus constitutionum Marchiacarum, Band 2, 1 (1737), S. 382; ähnlich ein Preußisches Gesetz aus dem Jahr 1735, in: Christian Otto Mylius (Hrsg.), Corpus constitutionum Marchiacarum, Band 5, 1 (1740), S. 133 ff. sowie Jablonski, Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschaften, Band 2: P–Z, 1748, S. 824. 533  Zu diesem Befund und energisch gegen eine (umgekehrte) Abtrennung der Justiz von der Polizei Knemeyer, AöR 92 (1976), S. 153 (171 ff.); zum Beginn einer „Verwaltungsgerichtbarkeit“ Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1832, 1962, S. 26 ff. sowie S. 86 und Mayer, Die Eigenständigkeit des bayerischen Verwaltungsrechts, dargestellt an Bayerns Polizeirecht, 1958, S. 36; von einer vollständigen Separation der Justiz kann man dagegen erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts sprechen, vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band, 1988, S. 370. 534  Glorius, Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2016, S. 19 f.; Polizeiarbeit umfasste dabei schon begrifflich den gesamten Bereich der inneren Verwaltung, vgl. im Überblick Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 2 Rn. 4 sowie ausführlich Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band, 1988, S. 369 ff. 535  Ausführlich zu den unterschiedlichen Stadien Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band, 1988, S. 366 ff.



I. Entwicklung des Polizeirechts139

staatlichen Materien zu begrenzen.536 Aus diesem gedanklichen Fundament konnte die Idee einer Trennung von Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, die eine systematische und rechtsstaatlich angemessene Abgrenzung der inneren Verwaltung zum Ziel hatte, entwickelt werden.537 Ein erstes positivrecht­ liches Ergebnis eines konturierten Polizeibegriffs waren die §§ 10 ff. des 17. Titels im zweiten Teil des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794538, die Rechtsstreitigkeiten einer umfassenden Gefahrenabwehr generalklauselartig der Polizeigerichtsbarkeit zuwiesen539: § 10 Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey. § 11 Die Untersuchung und Bestrafung der gegen solche Polizeygesetze begangenen Uebertretungen kommt, sobald damit kein vorsätzliches oder schuldbares Verbrechen verbunden ist, der Polizeygerichtsbarkeit zu. § 12 Bey einem jeden Vorfalle, wodurch die unter der besondern Obsorge der Polizey stehende öffentliche Ruhe und Sicherheit gestört worden, hat die Polizeygerichtsbarkeit das Recht des ersten Angriffs, und der vorläufigen Untersuchung. § 13 Findet sich aber bey dieser Untersuchung, daß außer der Uebertretung des Polizeygesetzes, zugleich ein vorsätzliches oder schuldbares Verbrechen begangen worden: so muß die Polizey die fernere Verfügung der ordentlichen Gerichtsbarkeit überlassen.

Die Regelung des § 10 wird im Schrifttum bei isolierter Lesart häufig als erste positivrechtliche Beschränkung der Polizeibefugnisse wahrgenommen.540 Liest man alle vier zitierten Vorschriften unter Berücksichtigung der Abschnittsüberschrift („Von der Gerichtsbarkeit“) im Kontext, so wird sich lediglich eine Beschränkung der Polizeigerichtsbarkeit ergeben, der zudem nur die Aburteilung von Verbrechen entzogen wird.541 Tatsächlich wurde diese Regelung aber in der Rechtspraxis entgegen dem beschränkten Anwendungsbereich der Norm unter Berufung auf den Mangel an Mitteln der Justiz 536  Grundlegend von Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseeligkeit der Staaten, 2. Band, 1760. 537  Glorius, Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2016, S. 22; vgl. zur Wichtigkeit von W. von Humboldt und Preußens für diese Entwicklung Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band, 1988, S. 385 ff. 538  Ein kurzer Überblick über die Entwicklung der „Policey“ als umfassende staatliche Innenverwaltung zur Beschränkung auf Gefahrenabwehr bei Wagner, Polizeirecht, 2. Aufl. 1985, S. 20 ff. 539  Fortentwicklung in § 14 des preußischen PVG von 1931, das bis 1975 modifiziert in Berlin galt. 540  M. w. N. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 162. 541  Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 291 ff.; Glorius, Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2016, S. 17 f., 25 ff.

140

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

zu Ermittlungen dazu verwendet, dass die Polizeibehörde auch zur Strafverfolgung nach Belieben Ermittlungen anstellte und über den Zeitpunkt der Abgabe der Sache an die Kriminalgerichte selbst entschied.542 Weder die Abgrenzungen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung noch die Konturierung des Polizeibegriffs waren damit im 19. Jahrhundert im Recht gegeben. Ein weiteres sprachliches Beispiel zur Verwendung des Begriffspaares findet sich im 19. Jahrhundert innerhalb der Justiz. Im Jahr 1866 war Robert von Mohl der Auffassung, dass die Beseitigung von äußeren Hindernissen, die der „allseitigen erlaubten Entwicklung der Menschenkräfte im Wege stehen […]“, und die „Abwehr drohender Rechtsbeeinträchtigungen“ dem Bereich der Rechtspflege als „Präventivjustiz“ obliege.543 Bei allen Unklarheiten der konkreten Zuordnung der polizeilichen Tätigkeit zur Verwaltung oder zur Justiz wird bereits in diesem Stadium der geschichtlichen Entwicklung zumindest die grundsätzliche Notwendigkeit der Abgrenzung zwischen Polizeigerichtsbarkeit und ordentlicher Gerichtsbarkeit auch im positiven Recht erkennbar. Die immer noch weitreichenden Befugnisse der (Ordnungs-)Polizei wurden im 19. Jahrhundert durch die Arbeit der politischen Polizei (mit aus heutiger Sicht verfassungsschützenden Zwecken) ergänzt. Diese bediente sich „präventiver“ und „repressiver“ Maßnahmen.544 Waren „repressive“ Maßnahmen (z. B. die Vereinsauflösung politischer Organisationen wegen bereits begangener Maßnahmen) auch aus heutiger Sicht rechtsstaatlich unbedenklich, da sie an ein begangenes Verhalten anknüpfen, müssen die „präventiven“ Maßnahmen (etwa die Vereinsauf­ lösung politischer Organisationen auf Grundlage sog. Maßnahmegesetze) heute als staatliche Repressionsinstrument zulasten der Minderheit erkannt werden, da Exekutive und Legislative hier kollusiv zusammenwirkten und die Maßnahmen nicht an ein bereits begangenes Verhalten der Betroffenen anknüpften.545 Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ wurden nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch im (allgemeinen) polizeilichen Zusammenhang zur Abgrenzung allein gefahrenabwehrrechtlicher Aufgaben gebraucht, ohne dass es auf das Verhältnis zum Strafprozessrecht ankäme; sie wurden ausschließlich zur zeitlichen Abgrenzung im Sinne der juristi-

542  Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 13; Görgen, ZRP 1976, S. 59 (60). 543  von Mohl, Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats, Band 1, 3. Aufl. 1866, § 4 f. – kursive Hervorhebung durch Verfasser. 544  Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, 3. Aufl. 1988, S.  1016 ff. 545  Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band III, 3. Aufl. 1988, S.  1021 f.



I. Entwicklung des Polizeirechts141

schen Basisbegriffe hinsichtlich eines gefahrenabwehrrechtlichen Schadens­ eintritts benutzt:546 „Präventiv ist die Polizei, die eine polizeiwidrige, normwidrige Handlung verhindert. […] Die Gefahren müssen drohen, bevorstehen; beim Eingreifen der Präventivpolizei hat die Gefahr also keine verletzende Wirkung gezeitigt. Das Ziel der Präventivpolizei geht dahin, dem Eintreten von Gefahren durch geeignete Maßnahmen vorzubeugen. Anders bei der Repressivpolizei: Die Verletzung des Rechtsguts oder die Störung hat begonnen und Wirkungen hervorgerufen. Die Aufgabe der Repressivpolizei besteht nun darin, die Gefahr in ihrem weiteren Verlaufe zu hemmen, ein weiteres Umsichgreifen derselben zu verhindern und den ordnungsgemäßen Zustand wieder herzustellen. Repressiv ist die Polizei, die eine eintretende Verletzung oder Störung unterdrückt oder nach deren Eintritt Ahndung herbeiführt.“547

Dieser Befund ist für die weitere Untersuchung wichtig, zeigt er doch, dass die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ im tradierten Polizeirecht im Sinne eines Gefahrenabwehrrechts zunächst als juristische Basisbegriffe genutzt wurden und damit keine darüber hinausgehenden normativen Bedeutungen verknüpft waren.

546  „Die Thätigkeit der Sicherheitspolizei ist zunächst und in erster Linie eine präventive, Störungen und Verletzungen der Rechtsordnung abwehrende; sie erstreckt sich aber auch auf die Beseitigung der eingetretenen Störung oder Verletzung schon aus dem Grunde, weil die Nichtbeseitigung Anlaß zu neuen Störungen geben könnte.“, vgl. von Stengel, Sicherheitspolizei (Überblick), in: von Stengel (Hrsg.), Wörterbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, 1890, S. 452 (453, li. Sp.); „Das Recht der Polizei gegenüber einem Störer auf Grund der ‚Handlungshaftung‘ ist nicht darauf beschränkt, daß die Polizei den Störer mit ihren Machtmitteln präventiv an Störungen hindern kann, sondern sie kann ihn auch repressiv zur Beseitigung durch ihn entstandener Störungen zwingen, soweit dies objektiv möglich ist.“, vgl. Drews, Preußisches Polizeirecht, Allgemeiner Teil, 1927, S. 44; „Insbesondere besteht die Aufgabe der Polizei in der Abwehr der Gefahren und Nachteile, welche durch Naturereignisse oder Rechtsverletzungen herbeigeführt werden und die Sicherheit der Einzelnen oder der Gesamtheit bedrohen. Diese Gefahren soll die Polizei teils vorbeugend (präventiv) teils beseitigend (regressiv [sic!]) bekämpfen.“, von Arnstedt, Das Preußische Polizeirecht, Erster Band, 1905, S. 36; die Begriffe wurden gerade nicht zur Abgrenzung zum Strafverfahrensrecht genutzt, vgl. exemplarisch Drews, Preußisches Polizeirecht, Allgemeiner Teil, 1927, S. 23 f.; von Arnstedt, Das Preußische Polizeirecht, Erster Band, 1905, S. 41 f. 547  Cellarius, Präventivpolizei und Repressivmaßnahmen, insbesondere im Lichtspielwesen, 1933, S. 10 f.

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C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

2. Einführung der Staatsanwaltschaft und der Strafprozessordnung Spätestens durch die Einführung der Staatsanwaltschaft als Institution 1846 in Preußen548 wurde auch rechtsrheinisch eine Abgrenzung der Befugnisse in der operativen Ermittlungsarbeit relevant und sorgte für erhebliche Konflikte zwischen den beiden Institutionen Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden.549 Die Staatsanwaltschaft nach französischem Vorbild550 sollte nicht nur Straftaten ermitteln und Anklage erheben, sondern zugleich über die Einhaltung der Gesetze durch die Polizei wachen.551 Am 1. Oktober 1879 konnte nach Reichsgründung die erste (Reichs-)Strafprozessordnung in Kraft treten.552 Diese legte den Staatsanwaltschaften das Ermittlungsverfahren gem. der §§ 159, 161, 187 StPO 1879553 in ihre eigene Hände554, und sie 548  Gesetz, betreffend das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Untersuchungen, PrGS 1846, S. 267–290; vgl. dazu auch Stolleis/Kremer, Die Geschichte der Polizei, in: Lisken/Denninger (Begr.), 7. Aufl. 2021, Handbuch des Polizeirechts, Kap. A Rn. 48 f. 549  Stolleis/Kremer, Die Geschichte der Polizei, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn. 48; zur langwierigen Entwicklung strafprozessualer Befugnisse des Kriminalgerichts hin zur Staatsanwaltschaft Glorius, Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2016, S. 25 ff. 550  Die Kontrolle der Polizei und ein Gegenspieler der Gerichte zu sein, geht auf den französischen „code d’instruction criminelle“ vom 17.11.1808 zurück, der zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung differenzierte, wobei die Strafverfolgungsmaßnahmen allein der „police judicaire“ oblag; vgl. dazu Görgen, Die organisationsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft zu ihren Hilfsbeamten und zur Polizei, 1973, S. 52 ff., sowie Friedrich, Kriminalpolizei und Strafverfahrensrecht, 1939, S. 53 ff.; Überblick bei Ahlers, Grenzbereich zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, 1998, S. 33 ff. 551  Dazu m. w. N. Stolleis/Kremer, Die Geschichte der Polizei, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn. 48. 552  RGBl. 1877, S. 253–346. 553  Strafprozeßordnung, in: RGBl., Nr. 8 (1877), S. 253 ff.; § 159 StPO 1879: „Zu dem im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Zwecke kann die Staatsanwaltschaft von allen öffentlichen Behörden Auskunft verlangen und Ermittelungen jeder Art, mit Ausschluß eidlicher Vernehmungen, entweder selbst vornehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes vornehmen lassen. Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrage der Staatsanwaltschaft zu genügen.“; § 161 StPO 1879: „(1) Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes haben strafbare Handlungen zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. (2) Sie übersenden ihre Verhandlungen ohne Verzug der Staatsanwaltschaft. […]“; § 187 StPO 1879: „Die Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes sind verpflichtet, Ersuchen oder Aufträgen des Untersuchungsrichters um Ausführung einzelner Maßregeln oder um Vornahme von Ermittelungen zu genügen.“ 554  Glorius, Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2006, S. 189 ff.



I. Entwicklung des Polizeirechts143

konnte sich bei ihren Ermittlungen der Polizei bedienen, so dass die ersten aufkeimenden Konflikte zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei beigelegt wurden, jedenfalls aber in rechtliche Bahnen gelenkt werden konnten.555 „Die Polizeibeamten oder polizeilichen Vollzugsbeamten haben eine doppelte Aufgabe. Sie sind zunächst Vollstreckungsbeamte für die Anordnungen und Verfügungen der Polizeibehörden. […] Die Polizeibehörden haben aber außerdem die Pflicht, die Kriminaljustiz bei der Verfolgung von Verbrechern zu unterstützen. Sie sind daher Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft und verpflichtet, den Anordnungen der Staatsanwälte […] Folge zu leisten. […] Die Staatsanwaltschaft kann insbesondere die Polizeibeamten verwenden, um die Ermittlungen des Tatbestands einer strafbaren Handlung vorzunehmen (Str.Pr.O. § 159). In gleicher Weise kann sich der Untersuchungsrichter derselben bedienen (Str.Pr.O. § 187).“556

Schon bei Entstehung der Reichsstrafprozessordnung wurde das Verhältnis zwischen Staatanwaltschaft und Polizei als „unfertig“ erkannt: „Das Verhältnis der Polizei zu der Strafjustiz ist, weil es an einer organischen Verbindung zwischen beiden fehlt, im Allgemeinen ein unfertiges und in seinen Grenzen unbestimmtes zu nennen“557. Die fehlende „organische“ Verbindung und die damit fortbestehende Eigenständigkeit der Polizei hinsichtlich ihrer originären Aufgaben558 belegt eindrucksvoll, wie aufwendig eine systematische Ordnung und damit eine eindeutige Abgrenzung zwischen Polizeirecht und Strafverfahrensrecht sein muss, wenn sie doch von Beginn an an einem „genetischen Defekt“ leidet. Eine schon in der Entstehung angelegte gesetzgeberische „Unordnung“ ist durch interpretatorische Arbeit allein nicht in Ord-

555  In diesem Sinne Stolleis/Kremer, Die Geschichte der Polizei, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. A Rn. 48. 556  Mener, Polizeibeamte, in: von Stengel (Hrsg.), Wörterbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, Band 2, 1890, S. 262 li. Sp. 557  Carl Hahn (Hrsg.), Die gesamten Materialien zu dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Einführungsgesetz zu demselben vom 27. Januar 1877, Erste Abtheilung, 1879, S. 153; dies wurde aber auch schon weitaus früher erkannt: „[die] schneidende Grenzlinie, zwischen […] der richterlichen und der Policey-Gewalt [ist] practisch nicht ganz haltbar und […] dem Hauptzwecke nachtheilig“, von Globig, System der Gesetzgebung für das gerichtliche Verfahren, 1809, S. 1 f.; „heterogene Gegenstände [dürfen] nicht unter einander gemischt werden, weil daraus nicht nur eine Verwirrung der Grundsätze, sondern Theilung des Interesses für den einen oder anderen Gegenstand entstehen würde“, von Blome, Ueber den Organismus der Staatsverwaltung, 1832, S. 9; „Was kann trauriger seyn als die Verbindung der Polizey [und der] der Criminal-Justiz […] und die Uebertragung derselben an einen einzigen Mann“, Warnkönig, Versuch einer Begründung des Rechts durch eine Vernunftidee, 1819, S. 72. 558  Vgl. zum Zweck der Trennung von Justiz und Verwaltung durch die Einführung einer Strafprozessordnung Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, § 287 sowie von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band I, 1925, S. 313.

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C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

nung zu bringen.559 Auch heute gibt es noch vereinzelte Stimmen, nach denen die vorkonstitutionelle und nie generalüberholte Strafprozessordnung als anachronistisch im Verhältnis zum „modernen Polizeirecht“ bewertet wird.560 3. Allgemeines Ordnungsrecht und Strafverfahrensrecht Wichtigste Zwischenetappe der Entwicklung hin zum modernen Polizeiverständnis ist die Aufnahme der Tätigkeit des preußischen Oberverwaltungsgerichts gewesen, insbesondere das „Kreuzberg-Urteil“ von 1882.561 Es beschränkte die polizeiliche Tätigkeit auf die Gefahrenabwehr und stellte die polizeiliche Tätigkeit unter einen (parlamentarischen) Gesetzesvorbehalt.562 Im Zuge dessen wurden wichtige rechtsstaatliche Errungenschaften wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz etabliert. Das moderne polizeiliche Koordinatensystem trennt das (allgemeine) Ordnungsrecht, das gefahrenabwehrrechtliche Polizeirecht im engeren Sinne und das Strafverfahrensrecht einfachrechtlich und kompetenziell voneinander ab. Es wies die unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen auch der Grundkonzeption nach drei unterschiedlichen Institutionen zu: der allgemeinen Ordnungs- und Staatsverwaltung, den formellen Polizeibehörden und der (neu geschaffenen) Staatsanwaltschaft als Justizverwaltung. Der Einteilung in Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden und in die Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft lag dabei eine vereinfachte Vorstellung der Abgrenzung zugrunde. Gefahrenabwehr und Strafverfolgung wurden hinsichtlich ihres Anstoßes, aber auch hinsichtlich ihres Zwecks als gegenseitig ausschließend angesehen. Maßgeblich für die Abgrenzung sollte allein das Vorliegen einer Straftat sein. Dieses antonyme Vorverständnis wurde Basis der gesetzlichen Normierung und fand expliziten Ausdruck, z. B. in den Motiven zum Entwurf der StPO, wonach die Untersuchungshaft gemäß der StPO nur bei der „Anwendung von Strafgesetzen auf bereits vorgefallene Gesetzesverletzungen“ angeordnet werden konnte; ein in diesem Sinne verstandenes Strafprozessrecht habe demnach nicht die Aufgabe, „Vorbeugungsmaßregeln polizeilicher Natur zu

559  Zu

den Schwierigkeiten E. III. dieser Einschätzung Burgmer, Kriminalistik 1994, S. 303 (303 a. E.); zur anachronistischen Terminologie in § 161 S. 2 StPO a. F. (§ 161 Abs. 1 S. 2 StPO) im Verhältnis zu gefahrenabwehrrechtlichen Kodifikationen Knemeyer/Deubert, NJW 1992, S. 3131 (3131); vgl. zur Kontinuität mit der Reichsstrafprozessordnung von 1877 Peter Rieß, in: Löwe/Rosenberg (Begr.), Die Strafprozesßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Zweiter Band, 24. Aufl. 1989, § 161 sub „Entstehungsgeschichte“. 561  PrOVGE 9, 353 (353 ff.). 562  Ausführlich dazu Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, 1983, S. 291 ff. 560  Zu



I. Entwicklung des Polizeirechts145

treffen“.563 Mit dieser idealtypischen Unterscheidung zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und polizeilicher Strafverfolgung war es möglich, die im gefahrenabwehrrechtlichen Kontext bereits bekannte564 dichotome – an die Bedeutung der juristischen Basisbegriffe angelehnte – Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ für die temporale Abgrenzung auch in diesem mindestens trichotomen polizeirechtlichen Kontext nutzbar zu machen:565 Im polizeirechtlichen Kontext können „Prävention“ und „Repression“ bei dieser Begriffsmigration deshalb maximal antonym, nicht aber dichotom zueinander verstanden werden, weil Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zwar als etwas voneinander Abgrenzbares verstanden wurde, nicht jedoch als etwas gemeinsam Umfassendes und damit etwas Dichotomes; zumindest das (allgemeine und nicht straftatenbezogene) Gefahrenabwehrrecht566 und das „störungsbeseitigende Gefahrenabwehrrecht“ müssen nämlich als weitere (temporal überschneidende) Aufgabenbereiche der Polizei verstanden werden. Dieser inhaltlich veränderten Ausgangslage für das Begriffspaar konnte durch die „bloß“ attributive Verwendung des Begriffspaars auch sprachlich Rechnung getragen werden.567 Das Verhältnis zwischen den Begriffen Gefahrenabwehr und „präventiv“ sowie zwischen Strafverfolgung und „repressiv“ wurde dabei allerdings nicht festgelegt. So könnte etwa der Zeitpunkt einer Maßnahme, der durch „Prävention“ und „Repression“ abgebildet wird, (deduktiv) notwendige Bedingung oder bloß hinreichende Bedingung für die Anwendbarkeit der Gefahrenabwehr oder die Strafverfolgung sein. Der Zeitpunkt könnte aber auch bloß (induktiv) typisierend sein, so dass die zeitliche Abgrenzung von vornherein keine Zuordnung zur Gefahrenabwehr oder zur Strafverfolgung auszulösen vermag. Diese inhaltlichen Probleme bei der polizeirechtlichen Begriffsbildung von „Prävention“ und „Repression“ veranlassten schon 1895 Otto Mayer zu skeptischen Worten hinsichtlich einer systematischen und strukturellen Einteilung: 563  Carl Hahn (Hrsg.), Die gesammelten Materialien zur Strafprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, 1. Abtheilung, 1880, S. 131. 564  Vgl. C. I. 1. 565  Zu der Forderung nach Rechtsgrundlagen zur „präventiven Verbrechensbekämpfung“ auf Reichsebene und der semantischen Gegenüberstellung der „Repression“ als „Wiederbeseitigung eines bereits in [der] Vergangenheit eingetretenen Übels“ im Überblick Blomeyer-Bartenstein/Näger/Kaufmann, Der polizeiliche Eingriff in Freiheiten und Rechte, 1951, S. 314 ff. 566  Worunter freilich auch weiterhin das „repressive Schadensbeseitigungsrecht“ zu subsumieren ist. 567  Exemplarisch auch noch in der jungen Bundesrepublik Blau, NJW 1956, S. 805.

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C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

„Daneben ist eine Reihe allgemeiner Einteilungen üblich, welche beanspruchen, Verschiedenheit in der rechtlichen Natur der Polizei hervorzuheben: Gerichtlich und administrative Polizei. Damit hat es folgende Bewandtnis. Jede Strafthat des gemeinen Strafrechts ist zugleich eine Störung der guten Ordnung, welche die Polizei abzuwenden berufen ist. Die gerichtliche Polizei aber geht über diese Aufgabe hinaus. Der Ausdruck selbst stammt aus Frankreich. Mit der Durchführung der Institution des procureur du roi bei den Gerichten war das diesem Verwaltungsbeamten unterstehende Personal der Sicherheitspolizei in den Dienst der Strafrechtspflege gestellt worden. Der Name police hatte im älteren französischen Staatswesen dieselbe umfassende Bedeutung, wie bei uns der Name Polizei. Was von seiten der Staatsgewalt für die gute Ordnung der Strafrechtspflege geschah, abgesehen von der eigentlichen Rechtsfrage in Verhandlung und Urteil, wurde daher als police judicaire bezeichnet. (Medicus, Staatswörterb. Art. Gerichtl. Pol. IV S. 208 ff.; Foerstermann, Pr. Polizei-R. S. 124; Theorie des Franz. V.R. S. 161 ff.). Der Name ist stehen geblieben und in unserem neueren Rechte nach französischem Muster übernommen für einen gewissen Kreis von solcher Hülfsthätigkeit der Strafrechtspflege. Man versteht darunter alle staatliche Thätigkeit, welche darauf gerichtet ist, strafbare Handlungen zu entdecken und die Bestrafung des Thäters zu ermöglichen. Der Auftrag dazu ist zweckmäßigerweise mit den geeigneten Ämtern der Polizei verbunden. Polizei im heutigen Sinne ist diese Seite des Dienstes der betreffenden Ämter offenbar nicht. Die gerichtliche Polizei gehört ihrer Natur nach zur Strafrechtspflege und erhält ihre Regeln durch das Strafprozessrecht. Polizei ist nur die administrative Polizei (Für die richtige Beschränkung: Loening, V.R.: S. 8; v. Sarwey, A.V.R. S. 78; Mot. Z. G.V.G. S. 170 (Hahn, Mat. I S. 152 ff.). Präventive (vorbeugende) und repressive (zwingende) Polizei Auch diese Ausdrücke sind den französischen Juristen entlehnt. Die Unterscheidung hat vornehmlich den Fall einer Strafthat im Auge und das verschiedene Verhalten der Polizei dabei: vor der That will sie verhindern, nach der That die Ahndung herbeiführen. Der Gegensatz wird als zusammenfallen mit dem von administrativer und gerichtlicher Polizei. Der Zweck der termini technici ist dann der, anzuerkennen, dass die Polizei bei ihren Gewaltmassregeln, weil „präventiv“, an die besonderen Formen der Strf.Pr.O. nicht gebunden war (O.Tr. 4. Jan. 1872 (J.M.Bl. S. 89) unterscheidet: „verhütende und strafrechtliche Verhaftung“; R.G. 9. Jan. 1885: „präventivpolizeiliche und strafprozessualische Beschlagnahmen“. Sehr scharf namentlich Walter in Sächs. Ztschft. F. Pr. II S. 49 ff. – Die Franzosen verstehen manchmal unter police préventive die polizeiliche Aufsicht und Anordnung, unter police répressive den Polizeizwang: Theorie d. Franz. V.R. S. 165. Bornhak, Pr. St.R. III S. 159 Anm. 1, scheint das irgendwie missverstanden zu haben, wenn er meint, es würde dadurch „Anordnung und Zwang für den Zwecken nach verschieden erklärt“). So weit ist diese Einteilung wenigstens unschädlich. Anders wird die Sache, wenn man ein tieferes Prinzip hinter dem Klang der Worte sucht, welches eine durchgehende Einteilung der Polizeithätigkeit ermöglichte. Dabei kann natürlich nichts Gutes herauskommen („Repressive Polizei findet statt, wenn die Verletzung oder



I. Entwicklung des Polizeirechts147 Störung bereits begonnen hat und es sich darum handelt, dem weiteren Fortgang entgegen zu treten, präventive, wenn die Gefahr noch keine verletzende Wirkung geäussert hat und es sich um Abwendung dieser Wirkung handelt“. So Pözl, Grundriss zu Vorl. über Pol. S. 14; ähnlich v. Roenne, Pr. Str. IV S. 96. Eine schlechte Polizei wird da natürlich immer repressiv sein und den Brunnen erst schliessen, wenn jemand hineingefallen ist.).568

1906 spricht Richard Thoma der Differenzierung von Prävention und Repression bereits jeglichen juristischen Wert ab: „Die sog. Sicherheitspolizei ist Abwehr verbrecherischer Angriffe auf die Rechtsordnung. An dieser Abwehr ist nun aber die innere Verwaltung nur in sekundärer Weise beteiligt. In vorderster Reihe steht hier die strafende Tätigkeit des Staates. Die Strafandrohung, zu welchem Zwecke immer erlassen, wirken präventiv, die Ergreifung des Verbrechers durch die Kriminalpolizei, seine Verurteilung, der Strafvollzug wirken repressiv. Nur neben diesen Momenten ist auch die innere Verwaltung berufen, den strafbaren Handlungen präventiv und repressiv entgegenzutreten. Polizeiliche Repression findet statt, wenn der Delinquent an der Voll­ endung der strafbaren Handlung verhindert wird, sie ist zu unterscheiden von derjenigen polizeilichen Tätigkeit, welche die Wiederherstellung des durch eine strafbare Handlung verletzten polizeimäßigen Zustandes bezweckt. Die polizeiliche Prävention strafbarer Handlungen ist zunächst möglich als eine unmittelbare, welche, bildlich gesprochen, dem Verbrecher in den schon erhobenen Arm fällt. Sowohl die Repression der strafbaren Handlung als solcher, wie auch deren unmittelbare Prävention sind Tätigkeiten, die jedermann ausüben darf (Unter Umständen sogar unter Rechtsgüterverletzung: RGSTGB § 53. – Ueber Notwehrübung durch die Staatsgewalt Binding, Handb. D. StrR I 732 R. 2.) und zu deren Ausübung durch die Verwaltungsbehörde und ihre Frefutivbeamten es deshalb keiner besonderen Ermächtigung bedarf. Die Verhinderung, genauer, die unmittelbare Verhinderung, einer Normwidrigkeit kann nicht selbst eine Normwidrigkeit sein (Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht (1878) S. 15). […] Zu beachten ist, daß die strafbaren Handlungen nur ein Teil der ‚Gefahren‘ sind, in deren Abwehr eine der wichtigsten Aufgaben der inneren Verwaltung besteht; sie sind Gefahren für die Rechtsordnung, denen die ‚Gefahren‘, welche darüber hinaus Leben, Gesundheit, Eigentum, Sittlichkeit bedrohen können, in gleicher Wichtigkeit gegenüberstehen. Im Hinblick darauf hat man früher vielfach die Polizei all­ gemein als eine präventive Tätigkeit bezeichnet. Einen Wert für die juristische Betrachtung hat das nicht, auch läßt sich die Repression existent gewordener Ordnungsstörungen, welche doch auch mit polizeilichen Mitteln wirkt, nur sehr ge568  Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, in: Binding (Hrsg.), Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft, Leipzig 1895, S. 255 f.; wobei die Belege für das Suchen „nach einem tieferen Prinzip“ hinter der Einteilung bereits auf einem sprachlichen Missverständnis beruht. So beziehen sich sowohl Pözl wie auch v. Roenne in ihrer Unterscheidung von Prävention und Repression auf die genuinen gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungen und nicht auf die Abgrenzung zu abgeleiteten Ermächtigungen aus der StPO; Mayer dagegen bezieht sich auf die Abgrenzung gefahrenabwehrrechtlicher Ermächtigungen von Ermächtigungen aus der StPO.

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C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

zwungen als Prävention (im Gegensatz zur Repression durch Strafurteil) bezeichnen (Rosin S. 100, D. Mayer I 255 f.). Ebenso wenig hat es einen juristischen Wert. Diejenige polizeiliche Tätigkeit, welche den nicht strafbaren Handlungen bestehenden Störungen der guten Ordnung des Gemeinwesens entgegenwirkt, in Prävention und Repression zu zerlegen. Denn ein Zustand, der die Gefahr einer Störung der guten Ordnung in sich birgt, ist regelmäßig selbst schon eine Ordnungswidrigkeit (z. B. ein unausgerußter Kamin). Wo ich in folgendem von (mittelbarer oder unmittelbarer) Prävention spreche, ist nur Verhinderung strafbarer Handlungen gemeint.“569

Diese von Beginn an problematische neue Dimension von „Prävention“ und „Repression“ innerhalb des Polizeirechts musste nicht nur der Einführung der Kriminologie als eigenständige Wissenschaft über die Ursachen und Erscheinungsformen von Kriminalität,570 sondern auch der positivrechtlichen Verschiebungen durch Änderungen der Rechtslage Rechnung tragen. In der Weimarer Republik wurden etwa Straftatbestände eingefügt, die die Tathandlung als strafrechtlichen Anknüpfungspunkt schon in das Vorfeld der eigentlich zu sanktionierenden und zu missbilligenden Tathandlung vorverlagerten: War beispielsweise vor Einführung der neuen Strafgesetze noch die Tötung eines Regierungsmitglieds durch den Straftatbestand des Totschlags sanktioniert worden, wurde nunmehr bereits die „Teilnahme an einer auf Beseitigung von Regierungsmitgliedern gerichtete Vereinigung“ strafrechtlich geahndet.571 Neben der zeitlichen Vorverlagerung der Straftaten wurden zudem extensive Rechtsbegriffe in das Strafrecht eingefügt, die über die zeitliche Dimension hinaus die Ermittlungsbefugnisse der Polizei im Rahmen ihrer Strafverfolgungsaufgaben erweiterten. Diese Neuordnungen, die auch die Polizeikompetenzen betrafen, führten zu einer weiteren tatsächlichen Kompetenzüberschneidung zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfahrensbehörden, weil die Gefahrenabwehrbehörden ihre Kompetenzen nicht abgeben wollten und in ihrer gefahrenabwehrenden Funktion weiterermittelten, gerade weil die Strafverfolgungsbehörden ihren neuen Aufgaben und Kompetenzen nicht gerecht wurden.572 Im Dritten Reich dagegen wurden Strafverfolgungsmaßnahmen gerade auch von Polizeibehörden auf den „Führerwillen“ gestützt, sofern die Strafprozessordnung keine Ermächtigungsgrundlage bot; in der Praxis war eine Der Polizeibefehl im Badischen Recht, Tübingen 1906, S. 30 ff. sogleich unter C. III. 571  Vgl. die beiden „Republikschutzgesetze“: Gesetz zum Schutz der Republik vom 21.07.1922, RGBl. I, S. 585 sowie Gesetz zu Schutz der Republik vom 25.03.1930, RGBl. I, S. 91. 572  Zu dieser Einschätzung im Überblick Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 25. 569  Thoma, 570  Dazu



I. Entwicklung des Polizeirechts149

Abgrenzung nicht mehr erforderlich.573 Höhns Zitat verdeutlicht die uferlosen Handlungsmöglichkeit der Polizei im Nationalsozialismus: „Die Grenzen der Polizei enden heute mit der Aufgabe, die der Polizei gestellt ist und die sie verwirklichen soll. Eine Grenzziehung lässt sich heute nicht mehr abstrakt durchführen, sie bestimmt sich allein durch die Natur des polizeilichen Einsatzes.“574 1935 wurde der Haftgrund der Wiederholungsgefahr in die StPO eingefügt575 (entspricht inhaltlich dem § 112a StPO), der allein Straf­ taten in der Zukunft verhindern soll, mithin als „vorbeugende Verbrechens­ bekämpfung“576 „präventiv-polizeilicher Natur“577 beschrieben werden kann. Nach dem Ende des Krieges wurde zunehmend versucht, die verschiedenen Kompetenzen des Verfassungsschutzes, der Gefahrenabwehrbehörden und der Strafverfolgungsbehörden möglichst zu trennen, um Machtzentrierungen weitgehend zu verhindern. Rechtstechnisch wurde dies durch die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung sowie die Begrenzung der eigenständigen Polizeiarbeit auf Gefahrenabwehr erreicht.578 Daneben wurden zunächst in Abkehr vom Nationalsozialismus aufgehobene strafprozessuale Ermittlungsbefugnisse und Strafnormen im einfachen Recht (vgl. vor allem die §§ 81, 83 StGB579, aber auch die §§129a, 129b StGB) wieder und das (heutige) BVerfSchG580 neu eingeführt.581 Schon die hier erkennbar vollzogenen Ausdehnungstendenzen von Strafbarkeiten in ein (bislang begriffenes) Vorbereitungsstadium dehnten nicht nur die strafprozessualen, sondern auch die gefahrenabwehrrechtlichen Ermittlungsbefugnisse der Polizei aus, da diese Bezugspunkte des entsprechenden strafprozessualen Verdachtsgrads und der Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut sind. Zugleich wurden zunehmend Ermittlungsbefugnisse im Vorfeld einer konkreten Gefahr bzw. eines Anfangsverdachts geschaffen, wodurch sich die klassische Abgrenzung zwi573  Überblick bei Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 26 f.; umfassend Schwegel, Der Polizeibegriff im NS-Staat, 2005, S. 309 ff. 574  Höhn, Altes und neues Polizeirecht, in: Frank/Himmler/Best/Höhn (Hrsg.), Grundfragen der deutschen Polizei, 1937, S. 21 (33 f.). 575  Vgl. § 112 I StPO 1935, in der Fassung von 1934 mit Änderungen vom 05.07.1935 (RGBl. I, S. 847). 576  Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 28 f. 577  So die Einordnung des geltenden § 112a StPO, vgl. nur Klaus Michael Böhm, in: Knauer/Kudlich (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 2014, § 112a Rn. 1; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfGE 19, 342 (347 ff.); 35, 185 (188 ff.). 578  Poscher, Gefahrenabwehr, 1999, S. 49 ff.; siehe dazu auch unter D. I. 1. 579  Sowohl § 81 wie auch § 83 StGB beruhen auf dem Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.8.1951, BGBl. I S. 739. 580  Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27.09.1950 (BGBl. I, S. 682). 581  Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 30 ff.

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C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

schen gefahrenabwehrender und strafverfolgender Tätigkeit weiter verwischte.582 Damit zeigen sich neue „Unordnungsherde“ neben den weiterhin be­ stehenden Abgrenzungserfordernissen zwischen Polizeirecht und Strafver­ fahrensrecht durch die nun notwendig gewordene Abgrenzung zwischen Bundesgesetzgeber und den Landesgesetzgebern, der Abgrenzung zwischen „zusätzlichen Sicherheitsbehörden“ und der materiell-rechtlichen Ausdehnung vor allem des Strafrechts und damit mittelbar des Strafverfahrensrechts in bislang „präventiv“ begriffene Gefahrenabwehrbereiche. Fraglich ist daher, wie sich diese „Vermengung“ des Sicherheitsrechts auf das antonyme Verständnis von „Prävention“ und „Repression“ innerhalb des Polizeirechts583 ausgewirkt hat. 4. Zwischenergebnis Auf dem Weg von einem absolutistischen hin zu einem rechtsstaatlich konturierten Polizeirecht erfuhren die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ unterschiedliche Verwendungen und damit unterschiedliche Bedeutungen. Das Wort „Prävention“ bildete schon verhältnismäßig früh die Besonderheit der Polizei innerhalb des und im Verhältnis zum Justizwesen ab, ohne dass eine Form der „Repression“ semantisch gegenübergestellt wurde. Damit wurde der Polizei schon von Beginn ihrer Institutionalisierung an eine „präventive“ Ausrichtung als typische Besonderheit im Verhältnis zu anderen Institutionen und Gewalten zugeschrieben.584 Eine semantische Gegenüberstellung zwischen „Prävention“ und „Repression“ erfolgte im Polizeirecht Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb des gefahrenabwehrenden Polizeirechts. Sie sind dort an die Bedeutung der juristischen Basisbegriffe als temporale Abgrenzung hinsichtlich des Eintritts eines Schadens angelehnt. Vor Eintritt des Schadens dürfen nach dieser Konzeption die Polizeibehörden versuchen, den Eintritt des Schadens „präventiv“ zu verhindern, nach Eintritt des Schadens dürfen die Polizeibehörden versuchen, den Schaden „repressiv“ – aber dennoch im Rahmen ihrer Gefahrenabwehrfunktion – zu beseitigen und damit eine Perpetuierung des Schadens für die Zukunft zu verhindern. Daneben vereinheitlichte die Einführung der Strafprozessordnung die Abgrenzungsnotwendigkeit des straftatenverhütenden und damit gefahrenabwehrenden Polizeirechts mit dem straftatenverfolgenden und damit strafprozessualen Polizeirecht auf dem gesamten Reichsgebiet. Auch bei dieser Ab582  Dazu

eingehend unten unter D. I. zu diesem unter C. I. 2. 584  Mit zahlreichen weiteren Nachweisen Pahlow, Justiz und Verwaltung, 2000, S.  145 ff. 583  Vgl.



II. Bedeutung der Begriffe bei der Entwicklung der Strafzwecktheorien 151

grenzung wurden die temporalen attributiven Begriffe im polizeirechtlichen Kontext zusätzlich genutzt, ohne dass aber die rechtliche Bedeutung für die temporale Unterscheidung offengelegt wurde. Jedenfalls eine dichotome Gleichsetzung zwischen Gefahrenabwehr mit „Prävention“ und Strafverfolgung mit „Repression“ dürfte nicht gewollt gewesen sein, weil ein dichotomes Verständnis unter dem Oberbegriff „Polizeirecht“ unterkomplex und damit nicht statthaft wäre: nicht jede zukunftsbezogene polizeiliche Tätigkeit ist Gefahrenabwehr und nicht jede vergangenheitsbezogene polizeiliche Tätigkeit ist Strafverfolgung.585 Das dennoch konzeptionelle antonyme (nicht aber dichotome) Verständnis zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, das mit den Begriffen „Prävention“ und „Repression“ abgebildet wurde, erfuhr im Folgenden positivrechtliche Änderungen. Diese Änderungen widersprachen dabei der temporalen Bedeutung der juristischen Basisbegriffe. Das Begriffspaar von „Prävention“ und „Repression“ konnte dann das Verhältnis zwischen straftatbezogener Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nur noch sinnvoll abbilden, indem die temporale Voraussetzung für die Anwendung des Begriffs zu einer „nur“ hinreichenden bzw. typisierten Voraussetzung wurde oder aber die zeitliche Dimension einen neuen Bezugspunkt zum Gegenstand hatte. Diese Bedeutungsveränderung war ohne wesentliche „Begriffsumbildungen“ ohne weiteres möglich, da schon sprachlich in beiden Begriffen eine Beliebigkeit hinsichtlich der Stoßrichtung und hinsichtlich des Bezugspunktes angelegt war.586 Nach Gründung der Bonner Republik war es daher möglich, das Verhältnis zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und polizeilicher Strafverfolgung ohne die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ zu beschreiben.587

II. Bedeutung der Begriffe bei der Entwicklung der Strafzwecktheorien Wenn man die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht historisch rekonstruieren will, ist die öffentlich-rechtliche Perspektive allein nicht ausreichend. Gemeinsamer Fluchtpunkt des Strafverfahrensrechts, des Gefahrenabwehrrechts, aber auch des Verfassungsschutzrechts war immer 585  So dürfte die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Ausgangspunkt noch immer von der h. M. begriffen werden, vgl. besonders prägnant Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, § 4 (vor allem S. 157 f.): „[…] Zeitpunkt der Norm- und Rechtsgutsverletzung eine zen­ trale Scheidelinie […]“. 586  A. II. 587  Emmerig, DVBl. 1958, S. 338 (338 ff.) und BVerwG, NJW 1956, S. 234; dagegen – aber ohne inhaltlichen Erkenntnisgewinn durch die Verwendung des Begriffspaars – Blau, NJW 1956, S. 805 (805 f.).

152

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

auch das Strafrecht. Über das Rechtsgebiet Strafrecht und seine Geschichte wird regelmäßig isoliert geforscht. Indem sich das Strafrecht als eigenständiges Rechtsgebiet emanzipiert hat, ist es nicht erstaunlich, dass sich auch eine eigene Begriffsstruktur entwickelt hat. Daraus folgt jedoch keine notwendige inhaltliche Trennung der Begriffe im Sicherheitsrecht und im Strafrecht, lässt sich doch das Strafrecht gerade auch als öffentliches Recht und Teilbereich des Sicherheitsrechts selbst begreifen. Der Zusammenhang zwischen dem Strafrecht und dem Sicherheitsrecht ist darüber hinaus normativ588 und historisch589 so eng, dass der Blick auf die Begriffsentwicklung von „Prävention“ und „Repression“ im Strafrecht sehr aufschlussreich und damit geboten ist. Die beiden Begriffe sind bei der Diskussion um den Zweck von staatlichem Strafen seit der Aufklärung wesentlich und ihre Bedeutung für das Strafrecht ist bis heute umkämpft.590 Deshalb sind das Verhältnis zwischen den polizeirechtlichen und den strafrechtlichen Begriffen zueinander und ihre Auswirkungen auf das Sicherheitsrecht zu klären. Ausgangspunkt für die Untersuchung sind die Strafzwecktheorien; diese lassen sich inhaltlich in zwei Grundausrichtungen einteilen, nämlich die absoluten (1.) und die relativen Strafzwecktheorien (2.). 1. Absolute Strafzwecktheorien Die Vertreter der absoluten Strafzwecktheorie und der darauf aufbauenden Vergeltungstheorien ließen als Strafzweck nicht die Verfolgung sozial und gesellschaftlich nützlicher Zwecke genügen, sondern verlangten darüber hi­ naus die Fokussierung des Täters, so dass die Strafe die Schuld des Täters durch ausgleicht, vergilt oder sühnt: punitur, quia peccatum est.591 Diese aus dem Altertum bekannte und im Laienbewusstsein sowie im Naturrechtsdenken bis ins 17. Jahrhundert592 fest verankerte Erklärung der Notwendigkeit und Legitimation von Strafe wurde im Laufe des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts philosophisch rezipiert. Nach Kant sind Strafgesetze kate588  Das Strafrecht ist zumindest zentraler Fluchtpunkt des Begriffs der „öffent­ lichen Sicherheit“ als polizeiliches Schutzgut. 589  Vgl. zum historischen Verhältnis zwischen Strafjustiz und Polizei oben unter C. I. 590  Jüngst Andrissek, Vergeltung als Strafzweck, 2017; Schulte, Die Methode der richterlichen Straftatenprävention, 2016. 591  Entspricht weitgehend dem Talionsprinzip („Auge um Auge, Zahn um Zahn“) unter Berücksichtigung des Gedankens der Wertgleichheit von Verbrechen und Strafe, vgl. m. w. N. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 5. Aufl. 2020, § 3 Rn. 1 ff. 592  Zum Prozess der Säkularisierung der Straftheorien hin zum Naturrechtsdenken vom Mittelalter an über das 16. bis hin zum 18. Jahrhundert vgl. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, §§ 52 f., 149 ff.



II. Bedeutung der Begriffe bei der Entwicklung der Strafzwecktheorien 153

gorische Imperative. Die bei der Anwendung von Strafgesetzen einhergehende Vergeltung sei Ausdruck von apriorischer Gerechtigkeit: „Die richterliche Strafe darf niemals bloß als Mittel, ein anderes gutes zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit wieder ihn verhängt werden, weil er Verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden. […] Er muß vorher strafbar befunden seyn, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einige Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen.“593 Zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich des Zwecks von Strafen kommt Hegel: Wenn das Verbrechen die Negation des Rechts darstelle, so stelle die Strafe die Negation der Negation dar.594 Zwecküberlegungen spielen bei Kant und Hegel nur bei der Frage nach der konkreten Bestrafung eine Rolle595, nicht aber beim Sinn und bei der Legitimation von Strafe als solcher.596 Dennoch waren der zeitgenössischen Aufklärungsphilosophie die Kategorien der Abschreckungsund Verhinderungswirkung von Strafe alles andere als fern. Platon beschrieb schon 380 vor Christus die Grundüberzeugungen der „Präventionisten“ prägnant: „(…) niemand bestraft die, welche Unrecht getan haben, darauf seinen Sinn richtend und deshalb, weil einer eben Unrecht getan hat, außer wer sich ganz vernunftlos wie ein Tier eigentlich nur rächen will. Wer aber mit Vernunft sich vornimmt, einen zu strafen, der bestraft nicht um des begangenen Unrechts willens, – denn er kann ja doch das Geschehene nicht ungeschehen machen –, sondern des zukünftigen wegen, damit nicht ein andermal wieder weder selbe noch einer, der dessen bestraft gesehen hat, dasselbe Unrecht begehe“.597

Daran anknüpfend formulierte Montesquieu 1748 „un bon legislateur s’attachera moins a punir les crimes qu’a les preventiv; il s’appliquera plus a donner des moeurs qu’a infliger des supplices“ (Ein guter Gesetzgeber wird Metaphysik der Sitten (1798), 17. Aufl. 2017, § 49 E I. Aufheben des Verbrechens ist insofern Wiedervergeltung, als sie dem Begriffe nach Verletzung der Verletzung ist […].“, Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 101. 595  „Kant ist freilich so wenig wie jedem anderen Menschen der Gedanke fremd, dass Strafdrohung und Strafe präventive Wirkung ausüben können. Diese Wirkung kann jedoch für seine Lehre nur ein – wenn auch nicht unerwünschter – Nebeneffekt sein. Eine Legitimation der Strafe leistet sie nicht“, Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, 2. Aufl. 2011, S. 41. 596  Zumal sich auch die zeitgenössische „Criminalrechtswissenschaft“ über die Präventionswirkung der Strafe im Klaren war; die Diskurse verliefen schon damals auf unterschiedlichen Sachebenen und Abstraktionsebenen, vgl. zur Präventionswirkung der Strafe aus der Sicht der zeitgenössischen „Criminalrechtswissenschaft“ von Grolman, Criminalrechtswissenschaft, 1798, § 17 f. 597  Platon, Protagoras, in: Eigler (Hrsg.), Platon, Werke in acht Bänden, 1977, Protagoras 324ab. 593  Kant, 594  „Das

154

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

sich weniger an die Bestrafung von Verbrechern halten als sie zu verhindern; er wird sich mehr um Moral als um Folter [Anmerkung: wohl auch im Sinne von Strafe zu verstehen] kümmern). Denn „lorsqu’un peuple est vertueux il faut peu de peines“ [Wenn ein Volk tugendhaft ist, braucht es weniger Bestrafung].598 Mit diesen Wirkungen wurde aber nicht die Strafe legitimiert bzw. mit Strafe wurde nicht Abschreckung intendiert, sondern Abschreckung wurde vielmehr als aus der Strafe resultierende Wirkung erkannt. 2. Relative Straftheorien Die Vertreter der (absoluten) Vergeltungstheorien haben weder individuelle noch gesellschaftliche Zwecke als Legitimation von Strafe zugelassen. Die relativen Straftheorien dagegen fokussieren gerade diese Zwecke im Sinne von punitur, ne peccetur599 und verleihen dem staatlichen Strafen damit einen von der Vergeltung abweichenden Sinn und eine zusätzliche Legitima­ tionsstoßrichtung. Sie lassen sich in die generalpräventiven (a)) und die spezialpräventiven Theorien (b)) unterteilen. a) Generalprävention als Modifikation der Vergeltungstheorie? Generalprävention600 bedeutet im Kontext der Strafzwecktheorien, dass mit der Bestrafung des Einzelnen Normgeltung gegenüber der Allgemeinheit bekräftigt werden soll (positive Generalprävention) und zugleich potentielle „Normverletzer“ abgeschreckt werden sollen (negative Generalprävention).601 Sie lässt sich auch als Abschreckungsprävention bezeichnen. Feuerbach führt dazu aus: „Jede Strafe hat den nothwendigen (Haupt-)Zweck, durch ihre Androhung alle von Verbrechen abzuschrecken. Ein angedrohtes Strafübel ist aber umso zweckmässiger, je mehr und je wichtigere Nebenzwecke es noch zu erreichen fähig ist. Diese 598  Montesquieu,

1764.

Esprit des lois, 1748; ähnlich Beccaria, Dei delitti e delle pene,

599  „Es wird gestraft, damit nicht gesündigt werde“ – ein mögliches Programm, das nicht erst von Feuerbach erkannt worden ist: „Schon bei Seneca (65 n. Chr.) findet sich unter Berufung auf die von Platon (427–347 v. Chr.) überlieferte Auffassung des Protagoras (etwa 485 bis etwa 415 v. Chr.) die klassische Formulierung […]: „Nam, ut Plato ait, nemo prudens punit, quia peccatum, est, sed ne peccetur“ (Denn, wie Plato sagt, ein kluger Mensch bestraft nicht deswegen, weil gesündigt worden ist, sondern damit in Zukunft nicht mehr gesündigt werde)“, Roxin/Arzt/Tiedemann, Einführung in das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht, 5. Aufl. 2006, S. 31. 600  Zu den Vordenkern dieser Überlegung vgl. von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band I, 1925, S. 461, 464, 470. 601  Gropp/Sinn, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 182.



II. Bedeutung der Begriffe bei der Entwicklung der Strafzwecktheorien 155 möglichen Nebenzwecke sind 1) unmittelbare Abschreckung durch den Anblick der Zufügung; 2) Sicherung des Staats vor dem bestraften Verbrecher; 3) rechtliche Besserung des Bestraften.“602

Feuerbach nutzt den Begriff der „Prävention“603 synonym mit der Abschreckung potentieller anderer Straftäter als den Bestraften selbst. Geht man davon aus, dass sich die Abschreckungswirkung aus der bloßen Androhung der Strafe ergibt, kann man auch die Theorie der Generalprävention als Ergänzung der Vergeltungstheorie einordnen: Die Androhung der Strafe allein instrumentalisiert nämlich (weiterhin) nicht den Menschen als Mittel zum Zweck. Misst man aber der Bestrafung des Einzelnen hauptsächlich einen generalpräventiven Zweck zu, besteht die Gefahr, den Menschen zu instrumentalisieren, indem höhere und andere Bestrafungen gewählt werden, als es nach dem bloßen Vergeltungszweck notwendig ist, um eine Abschreckungswirkung für die Gesellschaft insgesamt zu erreichen.604 b) Spezialprävention Im Gegensatz zu der Abschreckungs-/Generalprävention liegt der Fokus der spezialpräventiven Bestrafung605 neben der individuellen Abschreckung auf dem konkret bestraften Straftäter. Sie versteht Verbrechen nicht nur als sozialschädliches, sondern auch sozialbedingtes Verhalten, so dass das Einwirken auf die (vor allem sozialen) Bedingungen des Täters zukünftige Straftaten verhindern soll. Nach von Liszt soll die Androhung der Strafe den Einzelnen warnen, die Verhängung der Strafe den Täter bessern, sicherstellen oder im schlimmsten Fall „unschädlich“ machen.606 Dieses etatistisch-erzieherische Verständnis607 fokussiert die Resozialisierung des Täters, um zukünftig Strafen zu verhindern. Diese Betrachtungsweise hat den Weg in die Zweispurigkeit des Strafrechts geebnet, nach der neben den Strafen auch die 602  Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, 1801, S. 121. 603  Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, 1801, S. 47, 118, 466. 604  Zu dieser Befürchtung Gropp/Sinn, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 189; vgl. aber zu einem sicherheitsrechtlichen „generalpräventiven Ausweisungsinteresse“ im Rahmen von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG BVerwG NVwZ 2019, 486 (486 ff.). 605  Instruktiv zur Begründung der spezialpräventiven Strafzwecktheorie durch die soziologische Strafrechtsschule vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 5. Aufl. 2020, § 3 Rn. 11 ff. 606  von Liszt, ZStW 3 (1883), S. 1 ff. 607  In diesem Sinne Gropp/Sinn, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn.  192 ff.

156

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

Maßregeln der Besserung und Sicherung als Rechtsfolge einer Straftat in Betracht kommt. 3. Zwischenergebnis Im Diskurs über die Zwecke von Strafe wird der Begriff der „Prävention“ in verschiedenen begrifflichen Varianten verwendet. Er weist dabei keinerlei Querverbindung zum Polizeirecht auf. Der „Prävention“ wird dabei heute keine Form der „Repression“ gegenübergestellt. Wenn man die relativen Straftheorien als Zusammenfassung „präventiver“ Zwecke der Strafe begreift, kann man diesen die vergeltenden Zwecke im Sinne einer absoluten Straf­ theorie gegenüberstellen. Zu Abkürzungszwecken wurde dagegen noch 1883 „Vergeltung“ mit dem Begriff der „Repression“ gleichgesetzt: „Prävention und Repression sind keine Gegensätze“ schrieb Franz von Liszt 608 zugespitzt zur Begründung seines spezialpräventiven Ansatzes in Abgrenzung zu den damals herrschenden Vergeltungstheorien. Dass Vergeltung und Abschreckung gleichermaßen als Legitimation von Strafe herangezogen werden können, zeigt die dialektische Vereinigung609 durch die Vereinigungstheorie (punitur, quia peccatum est, ne peccetur)610: Die Strafandrohung und die tatsächliche Durchsetzung der Strafe wirken generalpräventiv. Das Strafmaß hängt von der Schuld des Straftäters ab und hat vergeltenden Charakter im Sinne der absoluten Straftheorien. Der Strafvollzug schließlich dient spezialpräventiven Zwecken (Resozialisierung). Hintergrund all dieser Stadien des Strafens ist die Erhaltung und Förderung der Strafnormkonformität aller Gesellschaftsmitglieder oder umgekehrt formuliert: die Unterdrückung (mit anderen Worten die „Repression“) normabweichenden Verhaltens durch Strafe mittels Androhung, Durchsetzung und Vollzug. Bei diesem Vorverständnis lässt sich das Strafen selbst als ein Repressionsmittel des Staates begreifen und bildet damit den deskriptiven Oberbegriff für die Legitima­ tionsversuche über die Begriffe Vergeltung und General-/Spezialpräven­tion.611 Bei diesem Verständnis ist eine Gleichsetzung von Vergeltung und „Repression“ nicht (mehr) statthaft. Daraus folgt für die Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ für das Sicherheitsrecht, dass sie nicht nur vertikal dichotom bzw. antonym zueinander verstanden, sondern darüber hinaus auch horizontal als Ober- und Unterbegriff begriffen werden können. Diese strafLiszt, ZStW 3 (1883), S. 1 (44). Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 5. Aufl. 2020, § 3 Rn. 33 ff. 610  „Es wird gestraft, weil gefehlt/gesündigt worden ist, damit zukünftig nicht gefehlt/gesündigt werde“. 611  Vgl. die Untergliederung der „Repression“ in Normstabilisierung durch Reaktion, Gefahrenabwehr und Kriminalprävention durch Beeinflussung von Lebensbedingungen bei Gropp/Sinn, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn. 143 ff. 608  von

609  Roxin,



III. Perspektivwechsel durch die Kriminologie157

rechtliche Perspektive auf das Begriffspaar ergänzt und bestätigt die bereits herausgearbeiteten polizeirechtlichen Perspektiven612 um eine weitere.

III. Perspektivwechsel durch die Kriminologie Schon 1881 forderte Franz von Liszt die „verbrechensverhütende Wirkung der Strafe“ näher zu erforschen.613 Mit diesem Programm wurde nicht nur die spezialpräventive Strafzwecktheorie begründet, sondern gleichzeitig mit Herausgabe der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft der Grundstein für die Kriminologie als eigenständige strafrechtliche Teildiszi­ plin gelegt. Kriminologie ist die Wissenschaft vom Verbrechen. Sie ist weniger normative als empirische Wissenschaft, indem sie Methoden aus Soziologie, Psychologie, Medizin und Rechtswissenschaft vereint. Sie stellt damit eine Metadisziplin dar und ist besonders für kriminalpolitische Erkenntnisinteressen fruchtbar zu machen.614 Sie hat nicht die dogmatische Rechtsanwendung oder gar die Abgrenzung sicherheitsrechtlicher Zuständigkeiten im Blick. Sie analysiert vielmehr die Ursachen von Verbrechen sowie die Auswirkungen der verschiedenen staatlichen Instrumente auf Kriminalität.615 Mit dieser zukunftsgerichteten Stoßrichtung zur Kriminalitätsverhinderung kommt dem Begriff der Prävention in der Kriminologie besondere Bedeutung zu. Es werden drei Stufen von Programmen und Maßnahmen unterschieden, die zur Kriminalprävention ergriffen werden können: Nicht anlassbezogene allgemeine Vorbeugung (primäre Prävention), Erschwerung von Straftaten von potentiellen Straftätern (sekundäre Prävention) und Rückfallverhütung für verurteilte Straftäter (tertiäre Prävention).616 Der Begriff der präventiven Straftatenabwehr fragt hier nach der Wirkung einer staatlichen Maßnahme insgesamt und nicht nach dem Zweck einer konkreten staatlichen Maßnahme, wird folglich auf einer anderen Abstrak­ tionsebene benutzt, so dass ihm in diesem Kontext eine andere Stoßrichtung 612  Vgl.

zusammenfassend unter C. I. 4. Liszt, ZStW 3 (1883), S. 1 (32). 614  Zum Verhältnis von Kriminologie und Polizeirecht vgl. im Überblick Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 22  f.; zu den wissenschaftlichen Maßstäben siehe Meier, Kriminologie, 6. Aufl. 2021, § 4 Rn. 46. 615  „Es gibt nur eine Methode, durch welche die Antwort auf diese Fragen mit unzweifelhafter Gewißheit gefunden werden kann: die Methode der Gesellschaftswissenschaft, die systematische Massenbeobachtung. Die Kriminalstatistik, das Wort im weitesten Sinn genommen, kann uns allein zum Ziele führen. Wir müssen das Verbrechen als soziale Erscheinung, die Strafe als soziale Funktion untersuchen, wollen wir die rechtsgüterschützende, verbrechensverhütende Wirkung der Strafe mit wissenschaftlicher Bestimmtheit feststellen“, von Liszt, ZStW 3 (1883), S. 1 (32 f.). 616  Grundlegend Caplan, Principles of preventive psychiatry, 1964. 613  von

158

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

zukommt. Dennoch blendet die Kriminologie nicht das positive Sicherheitsrecht aus. Sie versteht sich auch als Voraussetzung für die effektive Bekämpfung von Verbrechen, die ihrerseits die entsprechenden rechtlichen Instrumentarien benötigt. Die Kriminologie vermag in diesem Sinne gehaltvolle Anstöße zur Rechtsetzung und zur Rechtsanwendung geben. Fraglich ist umgekehrt, ob kriminologische Erkenntnisse für die sicherheitsrechtliche Rechtsfindung fruchtbar gemacht werden können oder gar maßstabsbildend sind. Die Kriminologie ist trotz ihrer intradisziplinären Ausrichtung traditionell dem Strafrecht im Sinne der gesamten Strafrechtswissenschaft zugeordnet. Sie unterliegt damit nicht nur als strafrechtswissenschaftliche Subdisziplin, sondern auch durch die epistemischen Anleihen bei anderen Wissenschaften eigenen Funktionslogiken und Begriffsbildungen im Verhältnis zum Strafverfahrensrecht, aber gerade auch im Verhältnis zum Gefahrenabwehrrecht. Diese institutionelle Trennung erklärt, warum kriminologische Erkenntnisse außerhalb von evidenzbasierten Behauptungen617 bisher noch zu wenig Eingang in die gefahrenabwehrrechtliche und strafverfahrensrechtliche Rechtsanwendung gefunden haben, sondern diese bislang vor allem die polizeiliche Praxis adressieren. Wenn die Weiterentwicklung des Präventionsbegriffs618 in der Kriminologie voranschreitet und die Kriminalitätsverhinderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe noch stärker in den Fokus rückt, könnte dies weitreichende Auswirkungen insbesondere auf die

617  Besonders verdienstvoll ist in diesem Zusammenhang die Kosten-, Nutzenund Wirksamkeitsanalyse insbesondere von Videoüberwachungen bei Pausch, Polizeiarbeit im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheitsauftrag, 2008, S. 126 ff.; vgl. exemplarisch aber auch Bausch, Videoüberwachung als präventives Mittel der Kriminalitätsbekämpfung in Deutschland und Frankreich, 2004; Brandt, Wirkungen situativer Kriminalprävention, 2004; Czerner, Vorläufige Freiheitsentziehung bei delinquenten Jugendlichen zwischen Repression und Prävention, 2008; Donaubauer, Der polizeiliche Einsatz von Bodycams, 2017; Heppe, Die strafrechtliche Bekämpfung des Menschenhandels auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene, 2013; Klug, Der Gewaltschutzdiskurs und Stalking im Spannungsfeld von Kernstrafrecht und Kriminalprävention, 2016; Nelle-Rublack, Der modernisierte Strafprozess, 1999; vgl. dagegen das Erfordernis der Beachtung kriminologischer Erkenntnisse bei der Rechtsanwendung hinsichtlich der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Peglau, JR 2016, S. 45 (45 ff.); die bislang geübte Praxis der Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne Anleihe bei der Kriminologie kann mit der eindimensionalen Vorstellung zusammenhängen, dass das Recht nur den Rahmen absteckt, innerhalb dessen die Behörden kriminologisch sinnvolle Maßnahmen ergreifen können; dagegen kann aber der rechtliche Rahmen weitaus enger gesteckt sein, wenn kriminologische Erkenntnisse selbst Belange der Prüfung der Verhältnismäßigkeit werden. 618  Überblick über den Wandel des Präventionsbegriffs innerhalb der Kriminologie bei Bock, Kriminologie, 5. Aufl. 2019, § 19 Rn. 882 ff.



IV. Zusammenfassung159

Bewertung der Verhältnismäßigkeit619 sicherheitsrechtlicher Maßnahmen haben. Bei dieser Entwicklung würde dem Begriff der „Prävention“ neben seiner öffentlich-rechtlichen und seiner strafrechtlichen Dimension nun eine weitere, nämlich eine kriminologische und dort vor allem eine soziologische Bedeutungsvariante innerhalb einer Rechtsanwendung zukommen können. Damit wird deutlich, dass die Chiffren „Prävention“ und „Repression“ dort zumindest sprachlich nicht mehr klar differenziert werden können. Dies birgt darüber hinaus die Gefahr, dass Normativität und soziologische Erkenntnisse nicht mehr klar sprachlich und deshalb auch nicht mehr normativ voneinander getrennt werden können und die Kommunikation durch ein unterschiedliches Verständnis von den Begriffen erschwert wird. Die Kriminologie stellt nicht nur eine zusätzliche Dimension der „Prävention“ im sicherheitsrechtlichen Kontext bereit, sondern betont als Querschnittsdisziplin die weitgehend getrennten Teilrechtsgebiete Strafverfahrensund Strafrecht sowie das gefahrenabwehrende (respektive das strafverhütende) Polizeirecht. Die gemeinsame Betrachtung der als normativ getrennt begriffenen Bereiche von „Prävention“ und „Repression“ war aufgrund der ungebrochenen Einheit der Regelungsgegenstände bzw. der Regelungsziele in tatsächlicher Hinsicht (nämlich der Umgang mit Straftaten) unerlässlich und sinnvoll. Die Kriminologie stellt deshalb zu Recht eine Perspektive zur gemeinsamen Betrachtung von „Prävention“ und „Repression“ dar, die eine normative Trennung von „Prävention“ und „Repression“ aus Perspektive des Realbereichs als Konstruktion entlarvt, die normative Interferenz zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht betont und die damit schließlich aufgibt, eine mögliche dogmatische Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht stets kritisch und reflektiert zu begründen.620

IV. Zusammenfassung Die Epoche der Aufklärung war der Beginn eines staatstheoretischen Paradigmenwechsels, bei dem die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ programmatische Bedeutung erhielten. Diese Epoche war Bedingung für die Abkehr von der Definitions- und Durchsetzungshoheit der Sicherheit durch die monarchische Obrigkeit. Der Staat wurde währenddessen epochenüber619  Vor allem im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit einer sicherheitsrecht­lichen Maßnahme besteht das Potential, dass kriminologische Erkenntnisse den Rahmen rechtmäßigen polizeilichen Handelns begrenzen. 620  Vgl. zu diesem Befund auch Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/HoffmannHolland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (67 ff.).

160

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

greifend als willkürliches Repressionsinstrument erkannt und als solches bezeichnet.621 Dieser Befund ebnete den Weg einer staatsphilosophischen Neuausrichtung des absolutistischen Polizeistaats hin zu einem bürgerlichen Rechtsstaat im 19. Jahrhundert.622 Die Reform des Strafprozesses und die Einführung der Staatsanwaltschaft nach französischem Vorbild war eine der Forderungen des politischen Liberalismus und wurde auch mit der Verfassunggebung von 1848 ermöglicht.623 Das Ziel war dabei die Abkehr vom Inquisitionsprozess; weitere Etappen auf dem Weg zu einem bürgerlichen Rechtsstaat waren daneben die Trennung zwischen der Polizei und der Justiz sowie die Konturierung des Polizeibegriffs, der maßgeblich von einer eigenständigen Polizei(rechts)wissenschaft konzipiert wurde. Die Entwicklungslinien der Polizeiverwaltungswissenschaft und der Strafrechtswissenschaft sind gleichermaßen Ausdruck einer ideellen Verpflichtung der beiden Wissenschaften auf Staatsbegrenzung und Freiheitssicherung. Es lässt sich deshalb der ideengeschichtliche Ursprung für das Verständnis einer zwingenden Trennung zwischen präventivem und repressivem Handeln nachzeichnen; die Trennung wird in diesem Sinne als liberal-rechtsstaatliche Errungenschaft verstanden.624 Die Verwendung des Begriffspaars während der Liberalisierung des absolutistischen Staates, die von Frankreich ausging, stimmt zeitlich mit den etymologischen Befunden über die Einzelworte überein: Die beiden Worte migrierten seit der Aufklärung im Alltags-, aber auch im Fachsprachgebrauch aus Frankreich nach Deutschland.625 Es weht deshalb bei der Entgegen­ setzung von „Prävention“ und „Repression“ ein Wind aufklärerischer und rechtsstaatlicher Freiheit. Sowohl die strafrechtlichen wie auch die (staats-)philosophischen Diskursteilnehmer bedienten sich aufgrund der Sachnähe und der besonderen Relevanz des Strafrechts auch für die (Staats-)Philosophie im Gegensatz zur Polizeiwissenschaft derselben Begriffswörter. Dabei ist auffällig, dass die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ nicht gleichrangig oder gar dichotom 621  Etwa

von Jhering, Der Zweck im Recht, Band 2, 1898, S. 393, 473. Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, § 219 a. E. 623  Zu dieser Kausalität von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band I, 1925, S. 313. 624  Zu dieser Einschätzung Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/ Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (53). 625  Die Betonung des verhütenden Zwecks von Strafe wurde vor allem von Montesquieu und Voltaire gefordert, vgl. den Überblick bei von Hippel, Deutsches Strafrecht, Band I, 1925, S. 262 ff. sowie Hertz, Voltaire und die französische Strafrechtspflege im achtzehnten Jahrhundert, 1887, S. 427 ff.; vgl. zu den etymologischen Befunden unter A. I. 622  Schmidt,



IV. Zusammenfassung161

gebildet wurden. Dass dem schon damals als „repressiv“ identifizierten Staat Repressionsmittel zur Verfügung stehen müssen, um seinen Funktionen gerecht zu werden, war dabei unstrittig. Die präventiven Straftheorien dienten in diesem Sinne dazu, das Strafrecht als Repressionsmittel rechtsstaatlich zu legitimieren. Als Resultat der aufklärerischen Epoche hatte es sich zum Teil parallel, zum Teil im Anschluss daran die deutsche Polizei(rechts)wissenschaft zur Aufgabe gemacht, das verwaltungsrechtliche Polizeirecht aus der Perspektive des freien Individuums zu denken. In diesem Kontext spielte weniger die bereits vollzogene grundsätzliche Trennung von Justiz und Exekutive eine Rolle, vielmehr stellten sich Fragen nach der Konturierung des Gefahrenbegriffs und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes als rechtsstaatliche Errungenschaften. Dieser Diskurs ermöglichte die Entwicklung der Polizei von einem Repressionsinstrument626 hin zu einer sicherheitsfördernden und rechtsstaatlichen Gefahrenabwehrinstitution. Spätestes durch die Einführung der Staatsanwaltschaften und eines kodifizierten Strafverfahrensrechts wurde die Abgrenzung zwischen gefahrenabwehrrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen polizei­ lichen Tätigkeiten notwendig. Die Polizeibehörden waren fortan Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, so dass ihnen eine weitere Aufgabe mit weiteren Befugnissen zu Teil wurde. Die im polizeirechtlichen Kontext bereits bekannten juristischen Basisbegriffe von „Prävention“ und „Repression“, die der dichotomen Abgrenzung allein gefahrenabwehrrechtlicher Tätigkeiten dienten, wurden nunmehr als antonyme ­Abgrenzung von gefahrenabwehrenden und strafverfolgenden polizeilichen Tätigkeiten genutzt. Auch die semantische Verknüpfung von „Prävention“ mit gefahrenabwehrender Tätigkeit und „Repression“ mit strafverfolgender Tätigkeit findet seinen Ursprung in Frankreich.627 Es zeigt sich daher auch aus historischer Perspektive ein heterogenes Verwendungs- und damit auch Bedeutungsfeld für das Begriffspaar. Die im Zusammenhang des Sicherheitsrechts interessierende Behauptung einer strikten und geradlinigen Trennung zwischen gefahrenabwehrender Verwaltung und strafverfolgender Justiz wurde dabei von Beginn an kritisiert und zugleich mit der verbindenden Kriminologie „aufgeweicht“. In Anschluss an von Liszt lässt sich daher in der Retrospektive zusammenfassend sagen: Die „Prävention“ und 626  Hinsichtlich der Funktion von Polizei vor allem im 18. und 19. Jahrhundert kommt Stolleis zu dem Ergebnis: „Die Polizei […] war nie ausschließlich Repres­ sionsinstrument […]“, Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Erster Band, 1988, S. 392. 627  Vgl. prägnant mit weiteren Nachweisen Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Erster Band, in: Binding (Hrsg.), Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft, 1895, S. 255 f.

162

C. Historische Dimension von „Prävention“ und „Repression“

Abbildung 6: Historische Überschneidung von „Prävention“ und „Repression“, (Nach Schwan, VerwArch 70 [1979], S. 109 [124])

die „Repression“ wurden noch nie als strikt aufteilbare Gegensätze begriffen (vgl. Abbildung 6). Das historische Missverständnis der Bedeutung der begrifflichen Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht hat seinen Ursprung nicht nur in dem widerlegten Narrativ628 der Durchführung einer strikten Trennung, sondern gerade auch in der engen Verknüpfung dieses Narratives als notwendige Voraussetzung für das Bestehen eines liberalen Rechtsstaats. Wer diese beiden Fragen wechselseitig zueinander zu beantworten versucht, kann mit dem Befund von „Grenzverschiebungen“ oder „Erosionen“629 zwischen „Prävention“ und „Repression“ apokalyptische Abschiedsbilder weg vom liberalen Rechtsstaat hin zum „Sicherheitsstaat“, „Präventionsstaat“ oder „Überwachungsstaat“ zeichnen.630 628  Vgl.

C. I. zu solchen Abschiedsbildern der konzeptionellen Trennung von „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht nur Rieß, Das Ende einer Epoche?, in: Arnold/Burkhard/Gropp/Heine/Koch/Lagodny/Perron/Walther, Menschengerechtes Strafrecht, 2005, S. 443 (447 ff.); Schoch, Der Staat 43 (2004), S. 347 ff.; Schünemann, ZStW 119 (2007), S. 945 ff. und Trute, Die Erosion des klassischen Polizeirechts durch die polizeiliche Informationsvorsorge, in: Erbguth/Müller/Neumann (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch, 1999, S. 401 ff. 630  Entschieden zu diesem Befund und zu der berechtigten Forderung nach einer theoretischen Fundierung der staatlichen Sicherheitsgewährleistung durch den demokratisch-sozialen Rechtsstaat als einer ideengeschichtlichen Zwischenetappe Bäuerle, 629  Vgl.

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht Die historisch missverständliche Konzeption und Bedeutung einer funktionalen Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht gilt es im Folgenden mit dem geltenden Recht abzugleichen. Leitfrage ist dabei, ob und inwieweit sich das geltende Polizei- und Strafverfahrensrecht in „Prävention“ und „Repression“ aufteilen lässt und welche Bedeutung sowie Reichweite diese Grenzziehung hat. Überprüft werden muss dabei die allgemein anerkannte Differenzierung des Rechts der inneren Sicherheit zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfol­ gung:631 Danach sei polizeiliches Handeln auf Grundlage der Strafprozessordnung (Strafverfolgung und als Annex Strafverfolgungsvorsorge) repressiv und polizeiliches Handeln nach den bundes- und landesrechtlichen Polizeigesetzen (Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge) präventiv.632 Die sprachliche Untersuchung des Begriffspaars hat ergeben, dass die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ selbst keine Gesetzes- oder Verfassungsbegriffe im Sicherheitsrecht sind; sie könnten jedoch von der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft entwickelte juristische Begriffsbildungen für das Sicherheitsrecht sein.633 Daher ist dogmatisch zu untersuchen, ob und wie das Sicherheitsrecht zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung unterscheidet und ob sich eine solche Unterscheidung mit dem Begriffspaar „Prävention“ und „Repression“ sinnvoll abbilden lässt. Wenn nämlich das in der Entstehung begriffene Sicherheitsrecht als Rechtsgebiet die tradierte Rechtsgebietsgrenze zwischen dem Strafrecht (dort vor allem dem Strafprozessrecht) und dem Öffentlichen Recht (dort vor allem dem besonderen Polizeiverwaltungsrecht) epistemisch zur Disposition stellt, dann ist es unerlässlich, die rechtsdogmaPrävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (50 und 60 f.). 631  „Funktionale Ausdifferenzierung der inneren Sicherheit zwischen a) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sowie b) Gefahrenabwehr und geheimdienstlicher Staatsund Verfassungsschutz“, vgl. Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2020, § 2 Rn. 4 ff. 632  Vgl. nur Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2017, Rn. 20. 633  Vgl. zur abstrahierenden Begriffsbildung im Recht und zur sog. „höheren Jurisprudenz“ einführend Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 71.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

tische Normativität der systemabbildenden Begriffe de lege lata zu bestimmen. Strafprozessual und polizeirechtlich kodifizierte Maßnahmen durch die Polizeibehörden bedürfen aus unterschiedlichen Gründen der Abgrenzung und damit einer Entscheidung durch den Rechtsanwender: Gesetzgebungskompetenzen, Rechtswegfragen und die Anwendbarkeit einer Eingriffsgrundlage für die Polizeibehörden sind die zentralen entscheidungsbedürftigen Rechtsfragen. Diese Fragen gilt es unabhängig davon zu beantworten, ob derselbe Akteur handelt634 oder die institutionelle Abgrenzung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden erforderlich ist. Die Abgrenzungsnotwendigkeit de lege lata635 wird im positiven Recht an drei zentralen Stellen sichtbar: Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für eine Abgrenzungsbedürftigkeit der Rechtsetzungskompetenzen könnte sich erstens aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG („das Strafrecht, […] das gerichtliche Verfahren“) ergeben. Die Sonderzuweisung des § 23 EGGVG636 („Justizbehörde“) verdeutlicht zweitens, dass unterschiedliche Rechtswege in Betracht kommen. Drittens zeigen die Absätze 3 und 4 des Art. 13 GG, dass mög­ licherweise materielle Unterschiede zwischen Strafverfahrensrecht und Gefahrenabwehrrecht verfassungsrechtlich determiniert sind. Unter Berücksichtigung der sprachlich und historisch disparaten Begriffsverwendungsmodi ist im Folgenden die dogmatische Bedeutung der Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht zu ergründen; Maßstab sind dabei die Vorgaben der juristischen Begriffsbildung, die Kategorien zur Einordnung und Bewertung von Rechtsbegriffen bereitstellen. Zu klären ist abschließend, ob und inwieweit „die klare Unterscheidung“ zwischen „Prävention“ und „Repression“ Ausgangspunkt einer Rechtsfindung637 sein darf. 634  Dies dürfte für die sicherheitsrechtlichen Ermächtigungen durch die zentrale Stellung der Polizei die Regel sein, vgl. nur Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 1. 635  Zum Vorschlag eines einheitlichen operativen Ermittlungsinstrumentariums im Bereich der inneren Sicherheit de lege ferenda Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 484 ff. 636  Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) vom 27.01.1877 (RGBl. S. 77), zuletzt geändert durch Art. 3 Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 (BGBl. I S. 2099). 637  Nach Denninger „muss die klare Unterscheidung zwischen Prävention und Repression“ „Ausgangspunkt aller Überlegungen zur rechtsstaatlichen Auslegung und Anwendung des Polizei- wie des Strafverfahrensrechts“ sein, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. D Rn. 169; in der neuen Auflage heißt es bei Bäcker: „Die gesetzlichen Aufgaben der Polizei



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Im geltenden Sicherheitsrecht könnte sich eine Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Verfassungsrecht (I.), im materiellen operativen Sicherheitsrecht (II.) oder im Prozessrecht (III.) finden lassen. Auf diesen drei Ebenen sind die zentralen Abgrenzungsfragen enthalten, denen eine grundsätzliche Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ zugeschrieben wird und aus denen die grundsätzliche Unterscheidung abgeleitet wird: Die Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten, die Abgrenzung der materiellen Anforderungen für sicherheitsrechtliche Gesetze, die Abgrenzung der sicherheitsrechtlichen Institutionen, die Abgrenzung der Maßstäbe für Eingriffsmaßnahmen, die Abgrenzung für die Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden, die Abgrenzung zwischen Opportunität und Legalität sowie die Abgrenzung der Rechtswegzuständigkeiten. Der Fokus soll auf der Untersuchung der Abgrenzungsnotwendigkeiten liegen und klären, ob und inwieweit das Begriffspaar als Chiffre funktionales Differenzierungspotential bietet.

I. Sicherheitsverfassungsrecht Im Verfassungsrecht könnte sich eine Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ aus der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (1.) oder den materiellen Anforderungen des Grundgesetzes an sicherheitsrecht­ liche Gesetze (2.) ergeben. 1. Kompetenzordnung Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 und 4 GG bestimmt, dass sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf „das Strafrecht“ und „das gerichtliche Verfahren (ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzugs)“ erstreckt. Innerhalb dieser beiden Kompetenztitel sind Abgrenzungsschwierigkeiten zu beobachten, zu deren Bewältigung auch das Begriffspaar verwendet wird. sind primär auf zwei Handlungsfeldern angesiedelt. Auf dem präventiven Handlungsfeld wird die Polizei tätig, um Schäden für polizeiliche Schutzgüter abzuwenden oder zumindest zu begrenzen. Den Kern dieses Handlungsfelds bildet die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Zu ihr treten als weitere präventiv ausgerichtete Aufgaben die Verhütung von Straftaten sowie – teilweise je nach Landesrecht unterschiedliche – Tätigkeiten als Sonderordnungsbehörde hinzu. Auf dem repressiven Handlungsfeld trägt die Polizei dazu bei, dass schuldhaft begangene Rechtsverstöße mit einer Sanktion belegt werden. Den Kern dieses Handlungsfelds bildet die Einbindung der Polizei in das strafprozessuale Ermittlungsverfahren.“, Polizeiaufgaben und Regelungsmuster des polizeilichen Eingriffsrechts, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. D Rn. 3.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

a) Dichotome Grundkonzeption des Grundgesetzes Nach den Art. 30 und 70 Abs. 1 GG liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern, es sei denn, das Grundgesetz selbst weist dem Bund Gesetz­ gebungsbefugnisse zu. Die Regelung des Straf- und Polizeirechts war historisch – vor allem vor Geltung des Grundgesetzes – überwiegend Länder­ sache. Art. 4 Nr. 13 RV 1871 („Der Beaufsichtigung Seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: […] 13) die gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationsrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren […]“)638 und Art. 7 Nr. 2 und 3 WRV („Das Reich hat die Gesetzgebung über: […] 2. das Strafrecht; 3. das gerichtliche Verfahren einschließlich des Strafvollzugs sowie die Amtshilfe zwischen Behörden […]“)639 waren hinsichtlich des hier interessierenden Kompetenztitels mit dem Grundgesetz vergleichbar, so dass in diesen Kompetenztiteln keine Hinweise dafür erkennbar sind, dass die gesamte polizeirechtliche Materie dem Bund zugewiesen werden sollte;640 jedoch wies Art. 9 WRV dem Reich entgegen der Reichsverfassung von 1871 die Gesetzgebung über „den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ zu, „soweit ein Bedürfnis für den Erlaß dieser Vorschriften vorhanden ist“. Eine solche Gesetzgebungskompetenz wurde nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Aus diesem historischen Kontrast ergibt sich schon eine grundsätzliche Zuständigkeit der Länder für das Recht der öffentlichen Sicherheit; zudem sprechen die restriktiven Zuständigkeiten des Bundes im Sicherheitsrecht (vgl. etwa Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a und 10, Art. 87 Abs. 1 S. 2, Art. 35 Abs. 3 und 4 sowie Art. 87a Abs. 3 und 4 GG) für eine grundsätzliche Zuständigkeit der Länder im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Außerhalb des Sicherheitsrechts bestehen für den Bund weitere Gesetzgebungsbefugnisse für die Gefahrenabwehr nach Art. 73 Abs. 1 Nrn. 3, 5, 6, 6a, 9a, 10, 12 und 14 GG, aber auch nach Art. 74 Abs. 1 Nrn. 3, 4, 11, 19, 20, 24 GG. Daneben hat der Bund nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Kompetenz zur Regelung eines Sachbereichs auch die Annexkompetenz zur Regelung des damit zusammenhängenden Gefah-

638  Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871, BGBl. des Norddeutschen Bundes vom 31. Dezember 1870, S. 637 ff., in: Kotulla (Hrsg.), Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918, 1. Band, 2006, S. 1231 (1232 f.). 639  Die Verfassung des Deutschen Reichs, vom 11. August 1919, RGBl. N. 152, S.  1383 ff. 640  Eine Abgrenzung war damit bereits mit Inkrafttreten der Reichsverfassung von 1871 und der erstmaligen Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz für das „gerichtliche Verfahren“ erforderlich, vgl. dazu Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2017, Rn. 19.



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renabwehrrechts.641 Regelungstechnisch verbleiben den Ländern im Ergebnis die „ausgewiesenen ‚Unzuständigkeiten‘ “ des Bundes im Sicherheitsrecht als eigene Gesetzgebungszuständigkeiten erhalten.642 In diesem Sinne lässt sich die „ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder“ für das verbleibende (allgemeine) Polizei- und Ordnungsrecht negativ definieren.643 Die ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen der Art. 71, 73 GG weisen allein dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit für die in Art. 73 GG enumerativ angeführten Sachgebiete zu, soweit der Bund nicht ausdrücklich die Länder zur Gesetzgebung ermächtigt. Daraus ließe sich eine dichotome Einteilung in ein „Sachgebiet der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes“ und in „kein Sachgebiet der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes“ vornehmen. Fällt aber ein Sachgebiet nicht unter eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz, bedeutet dies gerade nicht, dass automatisch ein konkretes anderes Sachgebiet des Bundes im Grundgesetz betroffen sein muss. In diesem Fall kann jedes andere Sachgebiet betroffen sein, das darüber hinaus gar nicht von den Art. 70 ff. GG vorausgesetzt sein muss und deshalb in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt. Wenn keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes einschlägig ist, ist daher noch keine Aussage über die Gesetzgebungszuständigkeitsverteilung zwischen dem Bund und den Ländern getroffen, vielmehr sind stets die konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten zu prüfen. Im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1644, 74 GG ist die Gesetzgebungskompetenz – entgegen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes – den Ländern nur dann zugewiesen, solange und soweit der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Dabei sind ungleich mehr Prüfungsschritte vorzunehmen: Der erste Prüfungsschritt ist mit dem der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz identisch. Es ist zu fragen, ob eines der in Art. 74 Abs. 1 GG genannten Sachgebiete einschlägig ist. Ist dies nicht der Fall, ist nicht automatisch ein konkretes, sondern irgendein anderes Sachgebiet betroffen. Sodann stellt sich die Frage, ob der Bund oder die Länder legiferieren wollen. Im Bereich des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kann der Bund ohne weiteres eine Regelung treffen, wenn eines „seiner“ Sachgebiete eröff641  So schon BVerfGE 8, 143 (Leitsatz 2): „[…] Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem bestimmten Sachbereich dienen, sind jeweils dem Sachbereich zuzurechnen, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang stehen“. 642  Formulierung nach Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 133, Rn. 91. 643  Vgl. statt aller Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, Rn. 24 ff. 644  Die Abs. 2–4 sind bei der Sicherheitsrechtsgesetzgebung zu vernachlässigen.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

net ist. Wenn dies der Fall ist, sind die Länder aber gerade nicht per se zur Regelung dieses Sachbereichs unzuständig. Es ist über die Frage hinaus, ob der Bund überhaupt („ob“) auf diesem Sachgebiet bereits Regelungen getroffen hat, die Antwort auf die Frage entscheidend, ob der geregelte Sachbereich auch das zu prüfende (Landes-)Gesetz erfasst („soweit“), so dass diese Landesregelung konkret ausgeschlossen ist. Im Bereich der verfassungsrechtlichen Ordnung der Gesetzgebungszuständigkeiten stellt sich darüber hinaus die Frage nach der Zulässigkeit von „Doppelzuständigkeiten“. Obwohl die Kompetenzordnung zwischen dem Bund und den Ländern durch die Untergliederung in ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeit gem. Art. 70 ff. GG auf den ersten Blick strukturiert und trennscharf anmutet, ergeben sich auf den zweiten Blick im Einzelfall Überschneidungen von gesetzgeberischen Handlungs­räumen;645 Isensee spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „Formenreichtum“ der Kompetenzordnung, der sich schon aus den unterschiedlichen ineinandergreifenden, aber auch nebeneinanderstehenden Prinzipien, der redaktionellen und substantiellen Typologien sowie der zeitlichen Relativität der föderalen Kompetenzverteilung ergibt.646 Bereits die Kollisionsnorm des Art. 31 GG regelt nicht nur das Zusammentreffen von unterschiedlichen Verfassungsregelungen, sondern ist dem Grunde nach auch auf kollidierendes einfaches Recht anwendbar. Daneben ermächtigt Art. 71 Hs. 2 GG den Bund im Bereich seiner ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz, die Gesetzgebungsbefugnis einer ihm zugewiesenen Sachmaterie ganz oder teilweise den Ländern zu übertragen. Schließlich stellt die konkurrierende Gesetzgebung – wie sie in den Art. 72, 74 GG insgesamt vorgesehen ist – einen Auflösungsmaßstab für den Umgang mit den darin vorausgesetzten Doppelzuständigkeiten bereit. All diese Regelungen legen jedoch gerade keine echte Doppelzuständigkeit fest, sondern ermöglichen vor allem dem Bund, auch über Teilbereiche innerhalb einer Gesetzgebungsmaterie sachgerecht und flexibel zu disponieren. Mit diesem Regelungsmodell bleibt es bei einer strikten normativen Alternativität der Kompetenzen hinsichtlich einer gesetzlichen Einzelregelung. Deshalb geht das Bundesverfassungsgericht auch von einer Systemwidrigkeit aus, wenn auf Grundlage eines Kompetenztitels sowohl Bund wie auch Länder ein und denselben Gegenstand in unterschiedlicher Weise regeln könnten, da dies

645  Für

das Sicherheitsrecht ausdrücklich BVerfG 150, 244 (275). nach Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 3. Aufl. 2008, § 133 Rn. 24 ff.; vgl. aber auch Rn. 75: „Kompetenzen sind Handlungspotentiale, die voneinander abzugrenzen, doch nicht Rechtsgüter, die gegeneinander abzuwägen sind“. 646  Begriff



I. Sicherheitsverfassungsrecht169

nicht mit der Abgrenzungsfunktion der Gesetzgebungszuständigkeiten vereinbar sei.647 Zwischen Bund und Ländern besteht eine verfassungsnormative dichotome Exklusivität der Gesetzgebungszuständigkeit. Trotz verfassungsrechtlicher Kollisionsnormen sind Doppelzuständigkeiten nicht vorgesehen.648 Entweder darf der Bund oder es dürfen die Länder einen Sachbereich per Gesetz regeln. Hinsichtlich der unterschiedlichen Sachbereiche hat der Verfassungsgeber jedoch jedenfalls im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung keine dichotome Grundstruktur normiert: Er ist vielmehr auch dort vom Grundsatz der Länderzuständigkeit im Bereich der Gesetzgebung ausgegangen. Der Bund kann zwar in diesem Bereich eigene Gesetzesregelungen treffen. Wenn er den Sachbereich allerdings nicht umfassend regelt, besteht die Möglichkeit ergänzender und kooperativer Regelungen durch die Länder im selben Sachbereich. Darüber hinaus hängt freilich vom Zuschnitt und der Definition des tatsächlichen Sachbereichs („abgesteckter Realbereich“) ab, ob dieser durch einen oder mehrere Gesetzgeber im föderalen Bundesstaat geregelt werden kann; wenn dieser sowohl vom Bund wie auch von den Ländern geregelt wurde, muss dies nicht gegen das Verbot der Doppelzuständigkeit verstoßen.649 b) „Strafrecht“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG Zum Strafrecht im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehören nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Regelungen, die eine staatliche Reaktion auf schädliche Handlungen darstellen, sofern sie das gesellschaftliche Zusammenleben betreffen. Der Begriff des Strafrechts kann jedoch auch weiter verstanden werden. Unter ihn lassen sich dann über vergeltende („repressive“) Sanktionen hinaus all diejenigen Regelungen fassen, durch die strafwürdiges Verhalten in seinen Voraussetzungen gekennzeichnet und mit 647  „[…] eine ‚Doppelzuständigkeit‘, auf deren Grundlage Bund und Länder ein und denselben Gegenstand in unterschiedlicher Weise regeln könnten, ist dem System der verfassungsrechtlichen Kompetenznormen fremd und wäre mit ihrer Abgrenzungsfunktion (vgl. Art. 70 Abs. 2 GG) auch nicht vereinbar.“, vgl. BVerfGE 36, 193 (202 f.); 61, 149 (204); 67, 299 (321). 648  Markus Heintzen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 193. Aktualisierung 2018, Art. 70 Rn. 37. 649  Prägnantes Beispiel für eine solche konzeptionelle „Doppelzuständigkeit“ im Sicherheitsrecht jüngst BVerfG 150, 244 (275): „Wenn danach ähnliche oder auch gleiche Maßnahmen aus verschiedenen, aber sachlich eng zusammenliegenden Gesichtspunkten einerseits vom Bund und andererseits von den Ländern geregelt werden können, kann und muss eine sachliche Überschneidung der Regelungen nicht völlig ausgeschlossen sein.“

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

staatlicher Sanktion bedroht wird.650 Vom Begriff des Strafrechts sind zunächst diejenigen Regelungen erfasst, die das ethische Minimum bezeichnen, ohne das die Gemeinschaft nicht bestehen kann (Kriminalstrafrecht).651 Der Zweck des Strafens als Folge eines Verstoßes gegen das Kriminalstrafrecht bestehe dabei in „einer repressiven Übelszufügung als Reaktion auf schuldhaftes Verhalten, welche – jenseits anderer denkbarer zusätzlicher Strafzwecke, die die Verfassung nicht ausschließt – dem Schuldausgleich dient“.652 Neben diesem „strafrechtlichen Kernbereich“ wird die Zuordnung der „zweiten Spur im Sanktionssystem“653 zum Kompetenztitel Strafrecht i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG angezweifelt. Diese „zweite Spur“, die Maßregeln der Besserung und Sicherung, unterscheidet sich von der Strafe (vgl. § 46 StGB) durch ihre abgestufte Abhängigkeit von der Feststellung der Schuld. Die (derzeit) zulässigen Maßregeln sind in § 61 StGB enumerativ und abschließend angeführt.654 Die Maßregeln können neben oder statt der Strafe angeordnet werden, und ihr Zweck ist es, als gefährlich eingeschätzte Straftäter zu bessern und die Allgemeinheit vor ihnen zu schützen.655 Aufgrund dieses in die Zukunft gerichteten, sichernden Zwecks werden Maßregeln als (spezial-)präventive Maßnahmen beschrieben656 und ihre Subsumtion unter dem Kompetenztitel „Strafrecht“ bezweifelt,657 zumindest aber für besonders 650  Vgl. Hans-Heinrich Jescheck, in: Jescheck/Jähnke (Hrsg.), Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 11. Aufl. 2003, Einleitung Rn. 1 und BVerfGE 109, 190 (212). 651  M. w. N. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 74 Rn. 11; neben dem Kriminalstrafrecht ist auch das Recht der Ordnungswidrigkeiten vom Kompetenztitel „Strafrecht“ umfasst, obwohl sein „ethischer Unwert nicht dasselbe Gewicht wie eine Kriminalstraftat“ hat, vgl. Matthias Niedobitek, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 127. Aktualisierung 2007, Art. 74 Rn. 57. 652  BVerfGE 109, 133 (173); 128, 326 (377). 653  Der Begriff der „Zweispurigkeit des Sanktionengefüges“ wird auch von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung rezipiert, vgl. BVerfGE 109, 190 (214). 654  Das System der Zweispurigkeit strafrechtlicher Rechtsfolgen wurde durch das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933 (RGBl. I 995) eingeführt; vgl. dazu m. w. N. Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Aufl. 2022, vor § 61 Rn. 1. 655  Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Aufl. 2022, vor § 61 Rn. 1; darüberhinausgehend BVerfGE 128, 326 (377): „Dagegen liegt der Zweck der Maßregel allein in der zukünftigen Sicherung der Gesellschaft und ihrer Mitglieder vor einzelnen, aufgrund ihres bisherigen Verhaltens als hochgefährlich eingeschätzten Tätern“. 656  „präventive Zielrichtung“, Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 74 Rn. 12; „spezialpräventive Maßnahme“, Matthias Niedobitek, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 127. Aktualisierung 2007, Art. 74 Rn. 53; „präventive Sanktion“, BVerfGE 109, 190 (216); „zukünftige Sicherung der Gesellschaft“, BVerfGE 128, 326 (377). 657  Hinsichtlich der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für Regelungen über die Sicherungsverwahrung vgl. auch die „Gefahr eines Ausuferns des Bundeskompe-



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begründungsbedürftig gehalten.658 Für das Bundesverfassungsgericht ist ein Bezug zu einer Anlasstat für eine Bundeskompetenz entscheidend, es lässt aber die Anlasstat als wesentlichen Prognosefaktor für die Maßregel genü­ gen,659 so dass der Bund auch für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach einem strafrechtlichen Urteil („nachträgliche Sicherungsverwahrung“) gesetzgebungszuständig sei.660 Durch diese geringen Anforderungen hinsichtlich der Verknüpfung der Maßregel mit der Anlasstat sind dem Bundesgesetzgeber extensive Regelungsmöglichkeiten eröffnet worden. Obwohl durch die Föderalismusreform 2006 die Regelung des Straf- und Maßregelvollzugs den Ländern übertragen wurde, hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus dem Bund eine Art Rahmengesetzgebung zum Vollzug der nachträglichen Sicherungsverwahrung zugestanden.661 Das Bundesverfassungsgericht ist im Umkehrschluss nicht bereit, den Ländern eine Möglichkeit zur Regelung von Maßregeln auch ohne das Anknüpfen an eine Anlasstat zu belassen.662 Dem Landes­gesetzgeber wird damit schon kompetenziell die Möglichkeit genommen, eine sprachliche und inhaltliche Loslösung von der Anlasstat im Gesetzestext vorzunehmen, um ihre Behörden zu (landesrechtlichen) Maßregeln zu ermächtigen. Die erste Spur des Strafrechts, die ein rechtlich verbotenes Verhalten vergilt, wird dem Begriff der „Repression“ zugeordnet. Maßregeln, die nicht die Schuld des Täters vergelten, sondern den Täter bessern und die Allgemeinheit vor ihm schützen sollen, wird ein (spezial-)„präventiver“ Zweck zugesprochen; sie sind dem Strafzweck der „Prävention“ zuzuordnen. Die beiden Begriffe beschreiben damit unterschiedliche Zwecke und Stoßrichtungen, tenztitels ‚Strafrecht‘ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG in ein allgemeines Unrechtsfolgenrecht“, Gärditz, BayVBl. 2006, S. 231 (233 ff.). 658  Vgl. nur die ausführliche Auslegung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG bei BVerfGE 109, 190 (212 ff.). 659  BVerfGE 109, 190 (215 f.). 660  Zuletzt BVerfGE 128, 326 (387 f.). 661  Der EGMR hat das Trennungsgebot zwischen Strafvollzug und Maßregelvollzug derart in den Mittelpunkt gerückt, so dass „der Bundesgesetzgeber angesichts seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für den Bereich des Strafrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG darauf beschränkt – aber, wenn er am Institut der Sicherungsverwahrung grundsätzlich festhalten will, auch gehalten (sic!) – [ist,] die wesentlichen Leitlinien vorzugeben. […] Darüber hinaus ist er zuständig für die Regelungen zur gerichtlichen Überprüfung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung und für Verfahrensvorschriften.“, BVerfGE 128, 326, (387 f.); die materiellen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept haben damit letztlich kompetenzbegründende Wirkung; zu Recht kritisch dazu Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, S. 311 f. 662  BVerfGE 109, 190 (221 ff.), zustimmend Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 309.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

denen staatliche Sanktionen zugrunde liegen können; sie schließen sich aber gegenseitig gerade nicht aus.663 Der Parlamentarische Rat hat die Kompetenz für das Strafrecht dem Bund konkurrierend zugewiesen. Die Abgrenzung des Kompetenztitels begründet die Dichotomie „Strafrecht“ – „kein Strafrecht“. Bereits vor Erlass des Grundgesetzes bestand bereits ein zweispuriges Strafrecht, das insgesamt zur weiteren Regelung dem Bund belassen bleiben sollte.664 Die Zuordnung einer Sanktion in die Kategorie der „Prävention“ oder der „Repression“ hat de constitutione lata aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts keine Auswirkung auf die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes oder der Länder.665 Lediglich bei staatlichen Sanktionen, denen allein ein „Präventionszweck“ zugeschrieben wird und bei denen eine „repressive“, nämlich straftatenbezogene Stoßrichtung nicht mehr feststellbar ist, kann keine Zuordnung zur Bundeskompetenz stattfinden.666 Umgekehrt formuliert ist für die Zuordnung zur Bundeskompetenz „Strafrecht“ notwendig, aber auch ausreichend, dass es sich bei einer „Sanktion“ um eine staatliche Maßnahme handelt, der grundsätzlich ein strafwürdiges Verhalten in ausreichender Weise zugrunde liegt: Die Intensität des Zusammenhangs zum strafwürdigen Verhalten lässt sich enger667 oder weiter668 ziehen, die Differenzierung zwischen „Prävention“ und „Repression“ bietet für die Zuordnung jedenfalls keine Kriterien, da das Beispiel der Straftäterunterbringung illustriert, dass stets beide Zwecke mitverwirklicht werden (sollen). c) „Das gerichtliche Verfahren“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4  GG Das strafprozessuale Ermittlungsverfahren sowie dessen Einleitung als notwendige Voraussetzung für ein späteres strafgerichtliches Urteil sind der kompetenzrechtlichen Grundkonzeption des Grundgesetzes nach Teil des gerichtlichen Verfahrens.669 Das Strafprozessrecht und die Strafprozessord663  Vgl.

schon oben C. II. 27, 18 (32); 85 134 (142); 109, 190 (214 f.). 665  Kritisch dazu Gärditz, BayVBl. 2006, S. 231 (234). 666  „Demgegenüber besteht kein die Kompetenz des Strafgesetzgebers begründender Sachzusammenhang, wenn Maßnahmen nicht nur gegenüber Straftätern, sondern auch gegenüber anderen Personen ergriffen werden können oder die Anlasstat nicht notwendige Bedingung einer Präventivmaßnahme ist.“, BVerfGE 109, 190 (217). 667  Für die „Miterledigung“ im Strafurteil als maßgebliches Kriterium Gärditz, BayVBl. 2006, S. 231 (239). 668  Das Bundesverfassungsgericht lässt irgendeine „präventive Reaktion auf Grund einer Straftat“ genügen, BVerfGE 109, 190 (212 ff.). 669  BVerfGE 30, 1 (29); dazu ausführlich Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 316 ff.; differenzierend mit vergleichendem Blick auf die Kompetenzvertei664  BVerfGE



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nung sind nicht selbst Verfassungsbegriffe und keine Synonyme für den Rechtsatzbegriff des „gerichtlichen Verfahrens“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG. Jede Norm und jede Änderung der Strafprozessordnung durch den Bund muss ihrerseits kompetenziell abgestützt sein. Dasjenige gerichtliche Verfahren, das zu einem strafrechtlichen Urteil führen soll, lässt sich als Recht der Aufklärung und Aburteilung begangener Straftaten670 definieren.671 Der Kompetenztitel schließt damit auch den „bloßen“ Versuch der Aufklärung, Ermittlung und Verfolgung von Straftaten mit ein.672 Da die materiellen Strafnormen nach dieser Definition stets Anknüpfungspunkt für (straf-)gerichtliche Verfahren sind, weist der Kompetenztitel „gerichtliches Verfahren“ neben der systematischen Stellung auch inhaltliche Berührungspunkte mit dem Kompetenztitel „Strafrecht“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 GG auf. Die „Verhinderung […] von Straftaten“ ist von der Regelungskompetenz des Bundes zumindest nicht per Definition umfasst.673 Die kompetenzielle Zuordnung vor allem einer neuen Ermittlungsbefugnis zum „gerichtlichen Verfahren“ kann im Einzelfall äußerst problematisch sein. Wollen die Länder ihre Behörden mit weiteren sicherheitsrechtlichen Befugnissen ausstatten, potenzieren sich die Anforderungen an die Prüfung der lung hinsichtlich der Regelung des Widerspruchsverfahrens Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S.  503 ff. 670  Die Bundeskompetenz besteht grundsätzlich auch für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, vgl. zum Verhältnis der „Verwaltungsbehörden“ und der Staatsanwaltschaft die § 35 ff. OWiG. 671  BVerfGE 27, 18 (32, 42); 85, 134 (142). 672  Die plastische Darstellung von Meister, DVBl. 1976, S. 825 (826), wonach die Gesetzgebungsbefugnis in „vertikaler Hinsicht“ umfassend sei, und zwar „vom einfachsten und vorläufigsten Handeln unterer Stellen bis zu dem unter allen Verfahrensgarantien stehenden Urteil der obersten Instanz“, ist für die folgende Untersuchung zu undifferenziert. 673  So aber noch ausdrücklich Theodor Maunz, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz, 86. Aufl. 2019, Art. 74 Rn. 82: „Die Regelungskompetenz des Bundes ist insoweit gegeben, als es um die Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten geht.“; in diese Richtung noch BVerfGE 30, 1 (29): „Die Beschränkungsmaßnahmen nach Art. 1 § 2 G 10 dienen also (wenigstens mittelbar) der Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist daher insoweit unmittelbar aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu entnehmen.“; vgl. nun aber BVerfGE, 109, 190 (210); 113, 348 (368) sowie Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 178: „Will man der Sprache nicht Gewalt antun, dann bezeichnet „Verhindern“ eine Tätigkeit, welche den Eintritt eines Ereignisses, hier einer Straftat, unmöglich macht“; eingehend zum Zusammenhang zwischen Verhinderung von ­ Straftaten und der „Straftatenverhütung“ Albers, Die Determination polizeilicher Tätig­ keit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S.  123 ff.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Gesetzgebungskompetenz, indem ein etwaiges bestehendes Regelungskonzept des Bundes stets Ausgangspunkt und Anknüpfungspunkt der Prüfung ist: Es ist danach zu fragen, ob der Bund den Sachbereich kompetenzgemäß bereits geregelt hat und ob die Bundesregelungen den Sachbereich der neuen landesrechtlichen Befugnis betreffen und hierdurch die konkrete sicherheitsrechtliche Landesregelung verhindert wird. Unter der Berücksichtigung der Maßstäbe zur Ermittlung von Gesetzgebungskompetenzen (aa)–cc)) und deren Anwendung auf Regelungen zur „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ (dd)–ee)), lässt sich das entscheidende normative Kriterium für die Abgrenzung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG ausformulieren (ff)). aa) Disparate Kriterien zur Bestimmung der Gesetzgebungszuständigkeit Zur Entscheidung, ob sich das am Maßstab des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu prüfende Gesetz unter das Gebiet der „Aufklärung und Aburteilung begangener Straftaten“ subsumieren lässt, sind verschiedene Anknüpfungspunkte denkbar. Der Kompetenztitel „gerichtliches Verfahren“ wurde aus den vorangegangenen Verfassungen in das Grundgesetz übernommen. Es handelt sich – wie auch beim Kompetenztitel „Strafrecht“ – um eine historisch gewachsene (Teil-)Sachmaterie, so dass bei der Auslegung (auch) die Rechtstradition des jeweiligen Sachgebiets heranzuziehen ist.674 Neben dieser historischen Per­ spektive können weitere Kriterien für die Prüfung der Gesetzgebungskompetenz maßgeblich sein: Ob ein Gesetz kompetenzgemäß erlassen werden durfte, „richtet sich danach, ob Inhalt und Zweck des Gesetzes unmittelbar mit dem Thema der Kompetenz übereinstimmen, ob dieses Thema alleiniger oder Nebenzweck des Gesetzes ist, ob dieses Thema in dem Gesetz ausschließlich oder als solches, im Kern, spezifisch oder speziell geregelt wird oder nur als Reflex. Entscheidend ist nicht [nur] der Anknüpfungspunkt, auch nicht der äußere Regelungszusammenhang oder der Wille des Gesetzgebers675, sondern der Gegenstand, die Materie des Gesetzes.“676 Die Kompetenzfrage lässt sich darüber hinaus auch unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden konkreten Maßnahmen beurteilen, die aufgrund des zu

674  M. w. N.

Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 235. des vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Gemeinwohlziels, wie es ggf. im Gesetzentwurf zum Ausdruck kommt, vgl. BVerfGE 121, 317 (348). 676  M. w. N. Markus Heintzen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 193. Aktualisierung 2018, Art. 70 Rn. 132. 675  Bzw.



I. Sicherheitsverfassungsrecht175

überprüfenden Gesetzes ergehen dürfen.677 Diesen disparaten Auslegungszielen ist keine generelle Rangfolge oder gar Gewichtung zueinander abzugewinnen, sie sind vielmehr stets im Einzelfall gegeneinander argumentativ abzuwägen. Für die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer Gesetzgebungskompetenz ist dagegen die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit irrelevant.678 Neben der Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Kompetenztitels ist eine dazu parallele Auslegung des zu überprüfenden (abstrakten) Gesetzes vorzunehmen. Bei der Auslegung des Gesetzes werden etwaige Zwecksetzungen des Gesetzgebers (etwa: Regelungen „sollen Beweisführung in künftigen Strafverfahren erleichtern“679), aber auch Reflexe, die aus der Anwendung des Gesetzes im Einzelfall entstehen können (etwa: Regelungen können „künftige Straftaten […] im Regelfall auch tatsächlich nicht verhindern“680), berücksichtigt. Damit ist die (gerichtliche) Überprüfung der Gesetzgebungskompetenz kein steril-abstrakter Vorgang, bei dem nur der Verfassungstext und der Gesetzestext sowie die ihm zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien zur Überprüfung herangezogen werden, sondern es handelt sich um einen Vorgang, bei dem stets auch die zu erwartende tatsächliche Gesetzesanwendung (antizipierte Gesetzesanwendung) und seine voraussichtlichen Wirkungen zur Entscheidung heranzuziehen sind: Nicht nur der verfassungsrechtliche Kompetenztitel, sondern gerade auch das zu überprüfenden Gesetz sind mit Blick auf seinen Inhalt und seinen Zweck auszulegen. bb) Kriterien zur Ermittlung des Sachbereichs anhand des Gesetzeszwecks Ob ein Gesetz unter das „gerichtliche Verfahren“ zu subsumieren und damit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterliegt, hängt damit zentral von der Ermittlung des Gesetzeszwecks ab. Der Zweck des zu überprüfenden Gesetzes dient als zentrale Stellschraube, um ein kompetenzrechtliches Abgrenzungsproblem zu entscheiden. Für die Ermittlung des Gesetzeszwecks kommen im Wesentlichen zwei verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht: Der Zweck, der durch den Gesetzgeber im Wege kollektiver Intentio677  BVerfGE 103, 21 (30) mit Verweis auf BVerfGE 2, 213 (221): „denn diese Maßnahmen [Feststellung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters nach § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz i. V. m. § 81g StPO] sollen die Beweisführung in künftigen Strafverfahren erleichtern“. 678  Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. nur prägnant BVerfGE 103, 21 (30). 679  BVerfGE 103, 21 (30). 680  M. w. N. BVerfGE 103, 21 (30 f.).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

nalität681 „subjektiv“ gesetzt wird, oder der Zweck, der dem Gesetz „objektiv“ beigemessen wird.682 Auf denjenigen Zweck, den der Gesetzgeber etwa mittels der in den Gesetzesmaterialien niedergelegten Motive beigemessen hat, kann es für die Zuordnung des Gesetzes zu einer Gesetzgebungskompetenz alleine nicht ankommen. Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes versucht vielmehr Maßstäbe bereitzustellen, um bloße „Zweckbehauptungen“, mit denen die Gesetzgebungsorgane ihre Gesetzgebungszuständigkeit zu begründen versuchen, einer objektiv-verfassungsrechtlichen Kontrolle zugänglich zu machen; unterschiedliche Prüfungsgegenstände und -maßstäbe werden sichtbar: Bei der Anwendung einfachen Gesetzesrechts ist regelmäßig derjenige Zweck, den der Gesetzgeber mit dem Gesetz verfolgt, zu ermitteln. Dieser kann entscheidungsleitend oder gar entscheidend für das Ergebnis des Rechtsanwendungsvorgangs sein. Im Fall der Überprüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes seinerseits ist gerade das Gesetz mit seinen gesetzgeberischen Intentionen Gegenstand der Prüfung. Der Gesetzestext und die Gesetzesmaterialen sind nämlich auch auf mögliche Reflexe bei der Rechtsanwendung sowie auf mögliche tatsächliche Auswirkungen hin zu überprüfen, die vom Gesetzgeber noch nicht bei seiner Zwecksetzung berücksichtigt wurden. Dennoch ist auch die intentionale Zwecksetzung des Gesetzgebers für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit nicht bedeutungslos. Spielt die intentionale Zwecksetzung bei der Rechtsanwendung eine zentrale Rolle, ist diese auch maßgeblich für die möglichen – objektiv zu erwartenden – Anwendungsfelder des Gesetzes und damit kompetenzrelevant. Die Überprüfung, ob der Gesetzgeber für den Erlass eines Gesetzes verfassungsrechtlich gesetzgebungszuständig war, ist abstrakte Gesetzesauslegung und damit „abstrakte Rechtsanwendung“: Der Rechtsanwender kann die Gesetzgebungskompetenzen nicht sinnvoll abgrenzen, ohne gleichzeitig das zu prüfende Gesetz abstrakt (mittels typischer Fälle) anzuwenden. Die abstrakte Gesetzesanwendung ist umgekehrt nicht möglich, ohne die Kompe681  Zu den damit einhergehenden rechtstheoretischen Problemen vgl. ausführlich Wischmeyer, Zwecke im Recht des Verfassungsstaats, 2015, S. 225 ff. 682  Wischmeyer zeigt die grundsätzliche Untauglichkeit der Gegenüberstellung von objektivem Normzweck und subjektiver Zwecksetzung des Gesetzgebers auf, um die tatsächlichen Konfliktlinien im Streit um das Ziel der Rechtsanwendung unter dem Grundgesetz zu erfassen, Zwecke im Recht des Verfassungsstaats, 2015, S. 398, und kommt deshalb zu der These: „Wiederum spricht nichts dagegen ‚objektiv‘ mit ‚geltungszeitlich‘ und ‚subjektiv‘ mit ‚entstehungszeitlich‘ terminologisch gleichzusetzen. Solange diese Bezeichnungen als Chiffren bezeichnet werden, schaden sie nicht. Problematisch wird es aber, wenn sich die Kategorien verselbstständigen und dann unter dem Prädikat ‚subjektiv‘ parlamentszentrierte Ansätze und das Primat entstehungszeitlicher Gründe als notwendige Verbindung erscheinen oder unter dem Prädikat ‚objektiv‘ eine notwendige Verbindung von gerichtsorientierter und geltungszeitlicher Argumentation aufgenommen wird […].“, Wischmeyer, Zwecke im Recht des Verfassungsstaats, 2015, S. 353.



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tenzordnung mit einzubeziehen. Dieses Hin- und Herwandern des Blickes begründet allerdings keine Pfadabhängigkeit allein durch die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, sondern eine gegenseitige gleichrangige (!) Bedingtheit.683 In diesem Spannungsfeld ist die Zwecksetzung des Gesetzgebers – sofern sie denn überzeugend rekonstruierbar ist – nicht allein maßgebend für die Zuordnung zu einer Gesetzgebungskompetenz. Der Sachbereich, der durch die Regelung betroffen ist, muss vielmehr anhand aller Auslegungsgesichtspunkte ermittelt werden. Fraglich ist daher, welche Relevanz einer Zuordnung zur „Prävention“ oder „Repression“ bzw. eine „präventive“ oder „repressive“ Zwecksetzung durch die Rechtsetzer für die Bestimmung der Gesetzgebungskompetenz zukommt. cc) Besonderheiten kompetenzieller Gesetzgebungskonkurrenz Die Strafprozessordnung ist formal eine einheitliche Kodifikation. Daneben gibt es zahlreiche weitere strafprozessuale Regelungen in Spezialgesetzen. Auf den ersten Blick scheint es so, als regelten die Paragrafen des siebten bis zehnten Abschnitts das strafverfahrensrechtliche Ermittlungsrecht abschließend, so dass den Landesgesetzgebern keine Kompetenz zur Regelung dieser Sachmaterie bliebe. Der achte Abschnitt wird seit dem 01.01.2018 auch expressis verbis mit „Ermittlungsmaßnahmen“ überschrieben.684 Daneben ordnet § 6 Abs. 1 S. 1 EGStPO685 das Außerkrafttreten der prozessrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze für alle Strafsachen, über die gemäß 683  Der Satz von Mahrenholz „Der Prozeß der Erkenntnisfindung ist zugleich normspezifische Sachverhaltsermittlung und sachverhaltsspezifische Normermittlung und Normanwendung“ gilt sinngemäß auch für die Überprüfung eines Gesetzes hinsichtlich seiner Gesetzgebungskompetenz, Verfassungsinterpretation aus praktischer Sicht, in: Schneider/Steinberg (Hrsg.), Verfassungsrecht zwischen Wissenschaft und Richterkunst, 1990, S. 53 (54). 684  Überschrift neu gefasst mit Wirkung vom 1.1.2018 durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elek­ tronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017, BGBl. I S. 2208; vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 236/16 S. 60: „Mit der Änderung soll die Überschrift des Achten Abschnitts des Ersten Buchs neu gefasst werden. An Stelle der durch die bisherige Aufzählung einzelner Ermittlungsmaßnahmen einerseits zu lang geratenen, andererseits auch nicht vollständigen und bei neuen Maßnahmen ergänzungsbedürftigen Überschrift soll nunmehr allein der Begriff ‚Ermittlungsmaßnahmen‘ verwendet werden“. 685  Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung (EGStPO) in der Fassung vom 01.02.1877 (RGBl. S. 346), zuletzt geändert durch Art. 9 Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des BVerfG v. 27.05.2020 vom 30.03.2021 (BGBl. I S. 448, berichtigt S. 1380).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

§ 3 StPO nach den Vorschriften der StPO zu entscheiden ist, an, soweit nicht ausdrücklich durch die StPO auf sie verwiesen wird. Fraglich ist, ob durch diese Norm und die Kodifikation durch die StPO den Ländern insgesamt verwehrt ist, die Eingriffsbefugnisse der StPO durch landesrechtliche Befugnisnormen zu ergänzen. Wären den Ländern dagegen nicht durch die Regelung der StPO die Ergänzung strafprozessualer Ermächtigungen insgesamt verwehrt, würden die Landesgesetzgeber in den Bereichen, in denen der Bund (noch) nicht tätig geworden ist („soweit“ im Sinne von Art. 72 Abs. 1 Hs. 2 GG), zur Regelung strafprozessualer Maßnahmen konkurrierend gesetzgebend tätig. Das Bundesverwaltungsgericht fasst die Reichweite der bestehenden strafprozessualen Regelungen prägnant zusammen: „Eine möglicherweise abschließende Regelung der polizeilichen Befugnisse – sog. Kodifikationsprinzip – beinhaltet die Strafprozessordnung gemäß § 6 EGStPO hinsichtlich der bei Bestehen eines Anfangsverdachts im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO einsetzenden Strafverfolgung. Die Regelungen des Bundes auf dem Gebiet der Strafverfolgungsvorsorge hingegen sind nicht in einer vergleichbaren Weise dicht, dass sie abschließend wirken. § 6 EGStPO erstreckt sich nicht auf die Strafverfolgungsvorsorge, denn es geht insoweit nicht um Maßnahmen, die vom Bestehen eines Anfangsverdachts einer Straftat abhängen. Dies ist anders zu sehen, soweit der Bundesgesetzgeber strafprozessuale Ermächtigungen zur Strafverfolgungsvorsorge geschaffen hat, wie z. B. in § 81b Alt. 2 StPO, § 81g StPO und § 484 StPO. Die davon erfassten Maßnahmen können nicht zugleich auf landespolizeigesetzliche Ermächtigungsgrundlagen gestützt werden; Spielraum bleibt allenfalls für landesgesetzliche Zuständigkeitsregelungen. Der Bundesgesetzgeber hat aber keine allgemeine abschließende Regelung hinsichtlich der Strafverfolgungsvorsorge getroffen. So bestimmt denn auch § 484 Abs. 4 StPO ausdrücklich, dass sich die Verwendung personenbezogener Daten, die für Zwecke künftiger Strafverfahren in Dateien der Polizei gespeichert sind oder werden, grundsätzlich nach den Polizeigesetzen richtet. Ausgenommen hiervon wird nur die Verwendung für Zwecke eines Strafverfahrens. Zu beachten ist zudem, dass selbst in Fällen, in denen der Bundesgesetzgeber polizeiliche Befugnisse auf dem Gebiet der Strafverfolgungsvorsorge normiert hat, dies nicht ausschließt, dass der Landesgesetzgeber entsprechende Befugnisse zum Zwecke der mit der Strafverfolgungsvorsorge häufig parallel laufenden Gefahrenvorsorge vorsieht (Schenke, [Polizei- und Ordnungsrecht] […] § 2 Rn. 30).“686

Hat sich der Bundesgesetzgeber über seine Regelungen hinausgehende landesrechtliche Ermächtigungen keine Gedanken gemacht bzw. schweigen die Gesetzgebungsmaterialien zu dieser Frage, ist anhand der Auslegung zu ermitteln, ob der Bund einen umfassenden Regelungsanspruch durch seine gesetzten Regelungen statuiert hat bzw. statuieren wollte. Es gibt zwar keine Vermutungswirkung oder Beweislastverteilung bei der Beantwortung, ob ein 686  BVerwGE 141, 329 (338 f.); zur begrenzten praktischen Reichweite trotz dieses Ergebnisses: BVerfGE 113, 348 (373 f.).



I. Sicherheitsverfassungsrecht179

Bundeskompetenztitel (inhaltlich) einschlägig ist.687 Es gibt jedoch eine verfassungsrechtliche Wertung in den Art. 30, 70 GG bei der Frage, ob der Bund erschöpfend (soweit) von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, so dass die Länder von der eigenen Regelung ausgeschlossen wären. Wegen der grundsätzlichen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder unterliegt eine erschöpfende bzw. die Landesregelung verhindernde Bundesregelung stets einem besonders hohen Argumentationsdruck688; in Zweifelsfällen ist daher von einer nicht erschöpfenden Regelung des Bundes auszugehen.689 Zur Begründung der Kompetenzwidrigkeit der niedersächsischen Telekommunikationsüberwachung führt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der beschriebenen Maßstäbe für die Sperrwirkung von bundesrechtlichen Regelungen jedoch aus: „Der Verzicht des Bundesgesetzgebers darauf, die Telekommunikationsüberwachung im Vorfeldbereich noch weiter auszudehnen, ist eine bewusste Entscheidung. Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesgesetzgeber insofern Parallelregelungen durch die Länder und damit Überschneidungen hätte in Kauf nehmen wollen, sind nicht erkennbar. Seine Entscheidung über die zur Strafverfolgung einsetzbaren Maßnahmen und ihre tatbestandlichen Voraussetzungen müssen die Länder respektieren (vgl. BVerfGE 98, 265 [300]). Der Gesetzgeber hat die tatbestandlichen Voraussetzungen der Telekommunika­ tionsüberwachung im Interesse rechtsstaatlicher Bestimmtheit und Verhältnis­ mäßigkeit und unter Berücksichtigung der Vorgaben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung möglichst genau zu regeln versucht und an den Verdacht von Straftaten oder ihrer Vorbereitung angeknüpft. Sowohl die Echtzeitüberwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a und 100b StPO als auch die Abfrage von Verbindungsdaten nach den §§ 100g und 100h StPO sind – unter anderem zur Begrenzung der großen Streubreite entsprechender Maßnahmen – vom Vorliegen enger gefasster Kriterien für einen Anfangsverdacht abhängig. Die Überwachung 687  Vermutungen, die sich prozessual als Beweislastregeln darstellen lassen, kann es in Bezug auf den Inhalt von Rechtsnormen nicht geben. „Eine Kompetenzordnung, die die Zuständigkeitsbereiche von Bund und Ländern vollständig und lückenlos gegeneinander abzugrenzen beansprucht, lässt für Vermutungen keinen Raum.“, m. w. N. Markus Heintzen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 193. Aktualisierung 2018, Art. 70 Rn. 57 f.; so wohl auch BVerfGE 12, 205 (228 f.): „Bei Zweifeln über die Zuständigkeit des Bundes spricht keine Vermutung zugunsten einer Bundeskompetenz. Die Systematik des Grundgesetzes fordert vielmehr eine strikte Interpretation der Art.  73 ff.  GG.“. 688  „In jedem Fall setzt die Sperrwirkung für die Länder voraus, daß der Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist.“, BVerfGE 98, 265 (301); zu der Einschätzung eines „normativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugunsten der Länder“ (wobei diese Regel nicht „prozessual“ zu verstehen sei) Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 224 ff. 689  Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 9. Aufl. 2021, Art. 72 Rn.  27 a. E.; Stefan Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Strack (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 7. Aufl. 2018, Art. 72 Rn. 75.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

der Telekommunikationsinhalte ist nur zulässig zur Aufklärung im Gesetz ausdrücklich bestimmter besonders schwerer Straftaten (§ 100a Satz 1 StPO). Dem Erfordernis eines frühzeitigen Einsatzes der Telekommunikationsüberwachung hat der Bundesgesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er die Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen bereits im Vorbereitungsstadium zulässt (§ 100a Satz 1, § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO: ‚durch eine Straftat vorbereitet‘). Diese gezielten Eingrenzungen könnten hinfällig werden, wenn die Länder vergleichbare Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung ebenfalls mit dem Ziel der Sicherung späterer Strafverfolgung unter anderen, etwa geringeren, Voraussetzungen normieren könnten. Damit entstünde das Risiko widersprüchlicher Regelungen oder von Überschneidungen unterschiedlicher Normen.“690

Die „bewusste Entscheidung [des Bundesgesetzgebers]“ gegen die Zulässigkeit von extensiveren landesrechtlichen Eingriffsregelungen für die Telekommunikationsüberwachung begründet der Senat zirkulär mit fehlenden Anhaltspunkten dafür, dass der Bundesgesetzgeber „Parallelregelungen durch die Länder und damit Überschneidungen hätte in Kauf nehmen wollen“. Diese Exklusivität der Regime expliziert das Bundesverfassungsgericht weiter: „Wären beide Regelungssysteme parallel anwendbar, könnten die Unterschiede in den tatbestandlichen Voraussetzungen zu Unklarheiten führen. Denn die Polizeibehörden als Behörden der Gefahrenabwehr einerseits und der Strafverfolgung andererseits dürften auf beide Ermächtigungen zurückgreifen. Auch formalrechtlich bestehen Unterschiede. So ist nach § 100b Abs. 1 Satz 2 StPO bei Gefahr im Verzug eine Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft vorgesehen, in § 33a Abs. 4 Nds.SOG demgegenüber – dem Charakter des Polizeirechts entsprechend – eine Entscheidung durch die Polizei selbst. Wäre die polizeirechtliche Regelung im Hinblick auf die Verfolgungsvorsorge parallel zu der strafprozessualen anwendbar, wäre die Telekommunikationsüberwachung im Vorfeld der Vorbereitung, des Versuchs oder der Ausführung unter geringeren rechtsstaatlichen Anforderungen möglich als dann, wenn der Täter schon konkret zur Rechtsgutverletzung angesetzt hat. Ein solches Konzept wäre in sich widersprüchlich. Es ist nicht erkennbar, dass der Bundesgesetzgeber einen solchen Widerspruch hat in Kauf nehmen wollen.“691

Das Bundesverfassungsgericht geht von einem Exklusivitätsdenken des Bundesgesetzgebers im Bereich der Strafverfolgungsvorsorge aus. Das Grundgesetz stellt allerdings mit dem „Reichweite“-Kriterium („soweit“) des Art. 72 Abs. 2 Var. 2 GG ein Mittel bereit, durch das Bund und Länder im Sicherheitsrecht kooperieren können.692 Die Kompetenzordnung soll gerade nicht die Handlungsfähigkeit des Staats insgesamt beschränken,693 sondern 690  BVerfGE

113, 348 (373 f.). 113, 348 (374 f.). 692  Vgl. zur kompetenziellen Grenze der Kooperation sogleich unter D. I. 1. c) ff). 693  In diesem Sinne Verfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, LKV 2015, 33 (35). 691  BVerfGE



I. Sicherheitsverfassungsrecht181

dem Bund wird im Bereich des strafgerichtlichen Verfahrens die maßgeb­ liche Regelungsmacht durch die Möglichkeit zur Verhinderung landesrecht­ licher Parallelregelungen eingeräumt. Ein bloßer Hinweis, dass der Bund eine Parallelregelung nicht ausdrücklich erlaubt, genügt entgegen der Ausführungen des Ersten Senats für die Kompetenzwidrigkeit einer landesrechtlichen Regelung daher gerade nicht.694 Besonderheit der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz ist demgegenüber, dass eine Abgrenzung zwischen den Gesetzgebungskompetenzen nicht abstrakt möglich ist, sondern auch von den tatsächlich erlassenen Regelungen abhängt. Da sich der Vorsorgebereich umfassend als „präventiver“ Bereich beschreiben lässt, helfen die Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ zur Zuordnung der Gesetzgebungskompetenz hier nicht funktional weiter. Maßgebliche Abgrenzungskriterien sind vielmehr eine wertende Betrachtung des Zusammenhangs zum Strafverfahren, die bereits bestehenden bundesrechtlichen Regelungen sowie die Auslegung, ob und inwieweit diese die Landesgesetzgebungskompetenzen einschränken. Eine abstrakte dichotome oder antonyme Differenzierung der Gesetzgebungskompetenzen mit Hilfe der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ muss daher von vorne­ herein scheitern. Fraglich ist daher, ob der Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ für die Frage der Gesetzgebungskompetenzen dann noch eine kategorisierende Funktion sinnvoll erhalten bleibt. dd) Temporale Irrelevanz bei der Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten wird in die Verhütung vor Straftaten (Straftatenverhütung) und in die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten (Strafverfolgungsvorsorge) unterteilt.695 Da sowohl Maßnahmen zur Verhütung wie auch zur Strafverfolgungsvorsorge im Vorfeld einer etwaigen Gefahr bzw. im Vorfeld eines etwaigen Anfangsverdachts ansetzen, wurde erwogen, die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten insgesamt als 694  In diese Richtung differenziert und m. w. N. Bäcker, Die Polizei im Verfassungsgefüge, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. B Rn. 104 ff. 695  So auch die Legaldefinition einiger Landespolizeigesetze, vgl. § 1 Abs. 3 ASOG Berlin; § 1 Abs. 4 HSOG; § 1 Abs. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG MV; § 1 Abs. 1 S. 2 PolGNRW; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SächsPolG; § 2 Abs. 1 SOG LSA; § 2 Abs. 1 S. 2 ThürPAG; andere Polizeigesetze beschränken die Gefahrenabwehr in diesem Zusammenhang auf die Verhütung von Straftaten, vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 BbgPolG, § 1 Abs. 1 S. 3 PolG Bremen, § 1 Abs. 1 S. 3 NdsSOG; § 1 Abs. 1 S. 3 POG RP; auch das Bundespolizeigesetz beschränkt sich zunächst auf die Straftatenverhütung, vgl. § 1 Abs. 5 BPolG.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

dritte, der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung zeitlich vorgelagerte Kategorie gegenüberzustellen.696 Die begriffliche Ausformulierung dieser Trichotomie reicht von „Prävention – Gefahrenabwehr – Strafverfolgung“697 über „Prävention II – Prävention I – Repression“698 bis hin zu „Vorbeugende Straftatenbekämpfung – Gefahrenabwehr – Strafverfolgung“699. Hinsichtlich der Zuordnung zu einer Gesetzgebungszuständigkeit bleibt gleichwohl die Unterscheidung in Straftatenverhütung und der Strafverfolgungsvorsorge unerlässlich. Ist für die Subsumtion einer Maßnahme unter den Begriff der Straftatenverhütung700 Voraussetzung, dass die Maßnahme ein schädigendes Ereignis verhindern soll, so dass es gar nicht erst zur Straftat bzw. zur Gefahr der Straftat kommen soll, dann dienen solche Maßnahmen nach der Zwecksetzung von vornherein nicht der Ermittlung von Straftaten, sondern sie wollen solche Ermittlungen gerade verhindern. Dennoch können auch Daten aus Maßnahmen der Straftatenverhütung – sollten sie misslingen – für die Strafverfolgung dienlich sein und im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften für diese im Wege der Zweckänderung genutzt werden. Die Straftatenverhütung beschreibt trotz der möglichen weiterreichenden Reflexe ihrer Maßnahmen dem Grunde nach einen Teilbereich der (verbliebenen) Gesetzgebungszuständigkeit der Länder.701 Mit der Zuordnung einer Maßnahme zur Straftatenverhütung lässt sich allerdings nicht abstrakt die Frage der Gesetzgebungszuständigkeit beantworten: Wenn man nicht die Gesetzgebungszu696  Ausführlich Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 252 ff. 697  Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 5. 698  Denninger bietet sogleich eine begriffliche Alternative an, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 5. 699  In diesem Sinne m. w. N., allerdings wohlwissend, dass mit dieser Unterscheidung kein „fassbarer Erkenntnisfortschritt […] verbunden“ ist, Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap. Rn. 19. 700  „Die Straftatenverhütung soll in diesem Zusammenhang die Erarbeitung übergreifender Lagebilder, Analysen struktureller Zusammenhänge einer ‚kriminellen Szene‘, die – aus unterschiedlichen Quellen gespeiste – Sammlung von Daten über Personen, bei denen man erwartet, daß sie künftig Straftaten begehen werden, oder nicht durch konkrete Gefahrenannahmen gestützte Vorfeldermittlungen etwa mittels längerfristiger Observationen oder verdeckter Ermittler umfassen.“, m. w. N. Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 273. 701  „,[D]oppelt-präventiv‘ ausgerichtet“, Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 313 f.; so auch BVerfGE 113, 348 (368); Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6.  Aufl. 2018, Kap. D. Rn. 178.



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ständigkeit der Länder zur Voraussetzung für die begriffliche Zuordnung zur Straftatenverhütung erhebt, bleiben stets die konkrete Nähe zum „gericht­ lichen Verfahren“ und die bereits getroffenen Bundesregelungen ausschlaggebend für die Zuordnung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen dem Bund und den Ländern. Die Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zu einer Gesetzgebungskompetenz ist umstritten.702 Nach einer nicht unerheblichen Literaturmeinung ist die vorbeugende Straftatenbekämpfung insgesamt und damit neben der Straftatenverhütung auch die Strafverfolgungsvorsorge von vornherein „begriffs­ notwendig“703 dem Landesgesetzgeber zuzuordnen.704 So sei das Vorliegen einer Tat zwingende Voraussetzung für eine strafprozessuale Maßnahme im Rahmen eines „gerichtlichen Verfahrens“. Ob tatsächlich eine Straftat geschehen wird, für die die „strafprozessuale“ Maßnahme einmal verwertet werden könne, sei ungewiss, so dass die vorherige Verhinderung von Rechtsgutsverletzungen Vorrang genieße. Nach anderer Ansicht stellt auch die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten eine strafprozessuale (Annex-) Maßnahme i. S. d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dar. So werden die entsprechenden Erkenntnisse aus strafverfolgungsvorsorgenden Maßnahmen tatsächlich nur verwertet, wenn es zu einem Anfangsverdacht gegen den Adressaten der Maßnahme kommt.705 Eine ausreichende Verbindung zur „(Straf-)Tat“ könne damit hergestellt werden.706 702  Überblick

bei Graulich, NVwZ 2014, S. 685 (685 ff.). die Gesetzessprache nicht jeden Sinn verlieren“, Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap. Rn. 18; nun aber: „Die Einbeziehung der Strafverfolgungsvorsorge in das ‚gerichtliche Verfahren‘ ist mit dem Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kaum vereinbar. […] Ein Vor-Vorfeld zu ‚gerichtlichen Verfahren‘ überdehnt den Verfassungswortlaut; dieses Vor-Vorfeld kennt die StPO nicht.“, Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 26. 704  Kniesel/Paeffgen/Keppel/Zenker, Die Polizei 2011, S.  333 (333); m.  w.  N. Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 26 ff. 705  Bei dieser Lesart bleibt das stets latente Problem einer Zweckänderung bereits erhobener Daten ausgeblendet; dafür bestehen aber eigene positivrechtliche Maßstäbe, vgl. dazu unten D. I. 2. c). 706  Zu den bundesverfassungsgerichtlich bestätigten Gründen für die Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zum „gerichtlichen Verfahren“ vgl. m. w. N. Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 312 f., vgl. aber auch Denninger, Polizeiaufgaben in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D. Rn. 177 ff.; zur Begründung einer Annexkompetenz des Bundes wegen des engen Zusammenhangs mit der Strafverfolgung: vgl. etwa Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, Rn. 12 f.; differenzierend Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 265 ff. 703  „Soll

184

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zieht die Grenze der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern mit Hilfe der begrifflichen Unterteilung zwischen Straftatenverhütung und Strafverfolgungsvorsorge: Danach liegt die Gesetzgebungskompetenz im Vorfeldbereich grundsätzlich bei den Ländern, wenn die Ermittlungsmaßnahme vorbeugend für den Zeitraum vor dem Beginn einer konkreten Straftat vorgesehen wird. Sie sieht die Kompetenz des Landesgesetzgebers jedoch dort enden, wo die Vorsorge für die Strafverfolgung von der Straftatenverhütung getrennt und zum eigenständigen Tatbestandsmerkmal gemacht wird. Wenn der Landesgesetzgeber die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten nicht als Teilaspekt oder als Reflex der Straftatenverhütung versteht, sondern als eigenständige Aufgabe daneben stellt, fehlt ihm die Kompetenz, sofern der Bund bereits im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz eine ergänzende Regelung der Länder versperrt hat.707 Für die kompetenzrechtliche Zuordnung ist das Maß an Ungewissheit, ob die Verwertung der jeweiligen Maßnahme in einem etwaigen späteren Strafverfahren tatsächlich stattfindet, unerheblich; es kann sich freilich bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme auswirken.708 Das Bundesverwaltungsgericht formuliert im Anschluss an die grundsätzliche Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zur Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4  GG unter ausdrücklicher Aufgabe eines temporalen Kriteriums durch das grundlegende Urteil des Bundesverfassungsgerichts prägnant: „Daran ändert der Umstand nichts, dass im Unterschied zur Strafverfolgung die Strafverfolgungsvorsorge ebenso wie die Gefahrenvorsorge präventiv ansetzt. Zwar fehlt es im Zeitpunkt der Überwachungsmaßnahme, anders als bei der Strafverfolgung im herkömmlichen Sinne, an einer begangenen Straftat. Die Verfolgungsvorsorge erfolgt in zeitlicher Hinsicht präventiv, betrifft aber gegenständlich das repressiv ausgerichtete Strafver­ fahren.“709 Ausgangspunkt für die Aufgabe des temporalen Kriteriums war für das Bundesverfassungsgericht der Wortlaut von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4  GG, der keine Einschränkung enthalte, „dass Maßnahmen, die sich auf künftige Strafverfahren beziehen, von der Zuweisung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nicht erfasst sein“ sollten.710 Dieser verfassungspositive Befund kann freilich nur Ausgangpunkt einer weiteren Auslegung sein, da der Kompetenztitel doch auch eine Einschränkung hinsichtlich künftiger 707  Grundlegend

BVerfGE 113, 348 (368 a. E.); ebenso BVerwGE 141, 329 (335). 113, 348 (371); so auch BVerwGE 141, 329 (338). 709  BVerwGE 141, 329 (337), kursive Hervorhebung durch Verfasser; grundlegend BVerfGE 113, 348 (370). 710  BVerfGE 103, 21 (30). 708  BVerfGE



I. Sicherheitsverfassungsrecht185

Strafverfahren nicht ausschließt. Er ist dennoch entscheidend dafür, dass eine „präventive“ Strafverfahrensregelung nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Das Bundesverfassungsgericht musste nämlich erstmals über die Kompetenzgerechtigkeit einer Norm entscheiden, die die temporale Differenzierung im einfachen Recht durchbrach, so dass sich an dieser Stelle das erste Mal die Frage nach der Relevanz der temporalen Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung stellte. Dabei vollzog das Bundesverfassungsgericht einen bemerkenswerten semantischen Kunstgriff. Es nutzte die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Stoßrichtungen: Es stellte fest, dass die Strafverfolgungsvorsorge zeitlich keine „Repression“ darstellt, aber gegenständlich dennoch der „Repression“ zuzuordnen ist. Mit dieser Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht das Begriffspaar umgebildet, ohne den grundsätzlichen Nutzen einer Differenzierung auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung in Frage zu stellen, aber auch ohne aus der Differenzierung ein verfassungsrechtliches Argument zu gewinnen.

Abbildung 7: Strafverfolgungsvorsorge als „präventive“ Repression

186

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Dass die „temporale Aufweichung“ des Begriffspaars semantisch ohne weiteres möglich ist, ohne dass die Differenzierung „in sich zusammenfällt“, war mit der sprachlichen Unbestimmtheit und Offenheit von „Prävention“ und „Repression“ vorgezeichnet.711 Obwohl diese Begriffsumbildung vom Bundesverfassungsgericht ausging und von der Literatur kritisch begleitet wurde, kann sie mittlerweile nicht mehr übergangen werden; eine temporale Relevanz der Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ stellt umgekehrt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Frage und unterliegt damit einer gesteigerten Argumentationslast. Auch bei der grundsätzlichen Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zum „gerichtlichen Verfahren“ durch das Bundesverfassungsgericht bleibt es weiterhin zu kurz gegriffen, wenn die beschriebenen strukturellen Ähnlichkeiten (vor allem aus Perspektive der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit) zwischen der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten und für die Verhütung von Straftaten zur Subsumtion unter die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ führt und diese Subsumtion mit der Ansicht verknüpft wird, die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ falle insgesamt dem Landesgesetzgeber zu.712 Weder eine Einordnung in die Kategorie „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ noch in deren Unterkategorie „Strafverfolgungsvorsorge“ hat – schon aufgrund der kompetenziellen Konkurrenz und deren Einzelfallabhängigkeit – eine kompetenzbegründende Folge für den Bund oder für die Länder.713 Im Gegenteil weist die Subsumtion einer Maßnahme insbesondere unter den Begriff der Strafverfolgungsvorsorge auf eine besondere kompetenzrechtliche Zuordnungsschwierigkeit hin.714 ee) Kompetenzwidrigkeiten im Bereich der Strafverfolgungsvorsorge Es stellt sich damit weiterhin die Frage, welches positive Kriterium dafür maßgeblich ist, ob eine Maßnahme der Strafverfolgungsvorsorge dem „gerichtlichen Verfahren“ zugeordnet werden kann. Wird eine sicherheitsrecht­ 711  Vgl.

dazu oben vor allem unter A. II. 1. diesem Befund Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 347 ff. 713  In diesem Sinne Lepsius, JURA 2006, S. 929 (934). 714  „Man steht vor dem Ergebnis, daß das Problem der Gesetzgebungskompetenzen wegen der Vielfältigkeit der Verfolgungsvorsorge und ihrer unterschiedlich dichten Bezüge zur Strafverfolgung nicht nach gewohnten Mustern lösbar ist. Teilweise sind so enge Zusammenhänge herstellbar, daß die Voraussetzungen einer AnnexKompetenz zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zu bejahen sind. Teilweise ist dies nicht der Fall.“, Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straf­ tatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 273. 712  Zu



I. Sicherheitsverfassungsrecht187

liche Befugnis durch Gesetz geschaffen, könnte schon der Wortlaut der neuen Gesetzesfassung die Gesetzgebungskompetenz entfallen lassen, ohne dass es auf darüberhinausgehende Zwecke des Gesetzgebers oder des Gesetzes ankäme. Ist ein Bereich des Sicherheitsrechts dem „gerichtlichen Verfahren“ zuzuordnen und möchte der Landesgesetzgeber in diesem Bereich legiferieren, obwohl der Bundesgesetzgeber gesetzgeberisch abschließend tätig geworden ist, entfällt die Gesetzgebungskompetenz. Gleichzeitig entfällt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, wenn sich mit dem Wortlaut einer sicherheitsrechtlichen Befugnis kein Zusammenhang zum „gerichtlichen Verfahren“ herstellen lässt. Im Bereich der Telekommunikationsüberwachung hatte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des wie folgt lautenden landesrecht­ lichen § 33a Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 Niedersächsisches Gesetz a. F. über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) zu beurteilen: „Die Polizei kann personenbezogene Daten durch Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation erheben […] 2. über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, wenn die Vorsorge für die Verfolgung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint […]“. Das Bundesverfassungsgericht hat die Norm für kompetenzwidrig erklärt, weil sie ausdrücklich die „Vorsorge für die Verfolgung“ einer Straftat als Alternative und damit eigenständige Tatbestandsvoraussetzung (im Verhältnis zur Straftatenverhütung) erwähnt, und „das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung […] keine Anhaltspunkte für eine restriktive Auslegung [bietet] und […] keine Vorkehrung zur Verhinderung von Überschneidungen [mit § 100a StPO enthält]“.715 Die Strafverfolgungsvorsorge tritt im Rahmen von § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG a. F.: als eigenständiger Anknüpfungspunkt für die Telekommunikationsüberwachung hervor, wenn die Straftatenverhütung oder alternativ(!) die Strafverfolgungsvorsorge nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann; schon in einem dieser Fälle darf die Polizei personenbezogene Daten erheben. Bei dieser Regelungstechnik darf die Polizei also allein zur Strafverfolgungsvorsorge Daten speichern. Für diese Variante ist allerdings die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG für den Bund eröffnet, der mit den §§ 100a ff. StPO ab dem Zeitpunkt eines Tatverdachts von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zuvor Gebrauch gemacht hat.716 Dem Bundesverfassungsgericht ist in diesem Zusammenhang zunächst entgegen zu halten, dass aus der formalen Tatsache, dass sowohl eine Landesregelung wie auch eine Bundesregelung dieselbe Befugnis (etwa Tele715  BVerfGE 716  Vgl.

113, 348 (374). dazu BVerfGE 113, 348 (369 ff.).

188

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

kommunikationsüberwachung) vorsehen und die Bundesregelung kompetenzgemäß erlassen wurde, nicht unmittelbar folgt, dass die landesrechtliche Regelung kompetenzwidrig ist. Dies wäre erst dann der Fall, wenn der Bundesgesetzgeber tatsächlich auch inhaltlich den „gleichen Gegenstand“ geregelt hat und diesen aus Kompetenzgesichtspunkten auch regeln durfte. Dennoch tritt mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts das entscheidende normative Kriterium für die Zuordnung einer Maßnahme zum „gerichtlichen Verfahren“ zu Tage: Die Nähe und Eigenständigkeit des strafverfolgenden Zwecks begründet eine Bundeskompetenz und kann die Länderkompetenz entfallen lassen. Dieses normative Kriterium ist weiter zu konkretisieren. ff) Begriffs(um)bildung durch das Bundesverfassungsgericht Die Frage nach der Gesetzgebungszuständigkeit ist eine Perspektivfrage: Will der Bundesgesetzgeber auf dem Gebiet der Strafverfolgungsvorsorge legiferieren, so kann er das, solange er nicht die Gefahrenabwehr oder die Straftatenverhütung als eigenständigen Anknüpfungspunkt für eine Eingriffsermächtigung ausgestaltet. Umgekehrt können die Landesgesetzgeber Regelungen im Vorfeldbereich treffen, solange und soweit der Bundesgesetzgeber keine Regelungen zur Strafverfolgungsvorsorge getroffen hat oder solange er nicht die Strafverfolgungsvorsorge als eigenständigen Anknüpfungspunkt der Regelung verwendet. Dass darüber hinaus andere Zwecke – sei es als Reflex oder als Nebenzweck – (mit-)verwirklicht werden, führt eine Regelung nicht von vornherein in die Kompetenzwidrigkeit, sondern kann im Gegenteil materiell die Regelung zusätzlich rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht spricht daher prägnant, aber missverständlich von einem „Entscheidungsspielraum“ zwischen den Gesetzgebern für straftatbezogene sicherheitsrechtliche Regelungen: „Gefahrenabwehr und Strafverfolgung liegen oft nahe beieinander. Die Regelungsbefugnisse von Bund und Ländern können sich insoweit überschneiden. Die repressive Verfolgung von Straftätern dient zwangsläufig auch präventiv dem Schutz der Sicherheit, ebenso wie umgekehrt präventive Maßnahmen zum Schutz der Rechtsordnung und damit zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger die Ergreifung von Straftätern und anschließende repressive Maßnahmen befördern können. Insoweit gehen die Regelungsbefugnisse von Bund und Ländern Hand in Hand und sind in ihren Wirkungen miteinander eng verwoben. Dabei ist auch möglich, dass Regelungen doppelfunktional ausgerichtet sind und sowohl der Strafverfolgung als auch der Gefahrenabwehr – und entsprechend sowohl der Strafverfolgungsvorsorge als auch der Gefahrenvorsorge – dienen. Für die Abgrenzung maßgeblich ist hier zunächst der Schwerpunkt des verfolgten Zweckes. Bei doppelfunktionalen Maßnahmen, bei denen sich ein eindeutiger Schwerpunkt weder im präventiven noch im repressiven Bereich ausmachen lässt, steht dem Gesetzgeber



I. Sicherheitsverfassungsrecht189 ein Entscheidungsspielraum [sic!] für die Zuordnung zu und können entsprechende Befugnisse unter Umständen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene geregelt werden. Der Landesgesetzgeber ist folglich nicht an dem Erlass einer der Gefahrenabwehr dienenden Regelung gehindert, weil diese ihren tatsächlichen Wirkungen nach auch Interessen der Strafverfolgung dient und damit Regelungsbereiche des Bundes berührt. Maßnahmen können vielmehr auch als Landespolizeirecht zulässig sein, wenn sie präventiv und repressiv zugleich wirken. Ein solches Verständnis der Länderkompetenzen im Polizeirecht folgt aus der Entscheidung der Verfassung, die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr trotz ihrer inhaltlichen Nähe kompetenziell unterschiedlich zu behandeln. Wenn danach ähnliche oder auch gleiche Maßnahmen aus verschiedenen, aber sachlich eng zusammenliegenden Gesichtspunkten einerseits vom Bund und andererseits von den Ländern geregelt werden können, kann und muss eine sachliche Überschneidung der Regelungen nicht völlig ausgeschlossen sein. Genauso wie der Bund Maßnahmen zur Strafverfolgung regeln darf, die sich ihrer Wirkung nach zugleich förderlich für die Gefahrenabwehr auswirken, dürfen die Länder Regelungen zur Gefahrenabwehr treffen, die sich zugleich förderlich für die Strafverfolgung auswirken.“717

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner weitreichenden Formulierung eines kompetenzrechtlichen „Entscheidungsspielraums“ Überschneidungen zwischen „Prävention“ und „Repression“ zugelassen, die sich freilich schon aus der dichotomen Grundkonzeption der verfassungsrechtlichen Kompetenz­ ordnung ergeben.718 Das Entscheidungserfordernis zwischen den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und den Gesetzgebungskompetenzen der Länder soll gerade nicht ausschließen, dass die Regelungen eines kompetenz­ rechtlichen Sachbereichs zugleich intentional mitbeabsichtigt oder reflexhaft den kompetenzrechtlichen Sachbereich des jeweils anderen Rechtsetzers (mit-)betreffen. Es gilt daher zu erkennen: Die Zuordnung von Gesetzgebungszuständigkeit kann und soll nicht verhindern, dass ein tatsächlicher Sachbereich durch unterschiedliche Gesetzgeber mit Hilfe unterschiedlicher Regelungskonzepte auf Grundlage unterschiedlicher kompetenzrechtlicher Rechtsbereiche erfasst wird. Dieser gewünschten Multifunktionalität sicherheitsrechtlicher Maßnahmen trägt die normative Funktion des extensiven Kompetenztitels „gerichtliches Verfahren“ Rechnung. Für eine Zuordnung zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist es nicht erforderlich, dass sich die Regelung auf möglicherweise bereits in der Vergangenheit begangene Straftaten bezieht, sondern es genügt, dass auf Grundlage der Regelung ergangene Maßnahmen „gegenständlich“ für die Aufklärung und Aburteilung von Straftaten genutzt werden sollen. Das entscheidende normative Kriterium für die Zuordnung ist dabei allein 717  BVerfGE 718  Vgl.

150, 244 (275 ff.). zu den Maßstäben oben unter D. I. 1. a).

190

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

der funktionale Zusammenhang zwischen der Maßnahme und einem mög­ lichen Strafverfahren.719 Die Zuordnung bleibt deshalb stets eine wertende (!) Entscheidung (!). Die „Gegenständlichkeits“-720 und die „Entscheidungsspielraum“-721Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die bereits als „gefestigte Recht­ sprechung“722 begriffen werden und der sich auch kritische Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur langsam „ergeben“723, hat weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“. Für die Frage der Gesetzgebungskompetenz ist die Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ nicht mehr temporal, sondern nunmehr teleologisch zu begreifen und sie darf nicht überschneidungsfrei begriffen werden. Dieser Form der autoritativen juristischen Begriffsbildung durch die höchstrichter­ liche Rechtsprechung724 muss auch die Rechtswissenschaft Rechnung tragen, wenn die begriffliche Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ weiterhin Geltungsanspruch erheben soll.725 Weiterhin gilt, dass die Länder Maßnahmen allein zur Strafverfolgungsvorsorge regeln dürfen, wenn nicht schon der Bund eine solche Regelung abschließend getroffen hat. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist nur dann versperrt, wenn die landesrechtliche Regelung die Strafverfolgungsvorsorge als eigenständigen und hinreichenden Anknüpfungspunkt für die Maßnahme ausweist. Die „gegenständliche Repression“ kann der Bund aus kompetenzrechtlicher Perspektive schon dann für sich Anspruch nehmen, wenn er weit im Vorfeld von begangenen Straftaten Maßnahmen ausgestaltet, die (auch) unter Umständen gefahrenabwehrende Zwecke mitverwirklichen. 719  Zu diesem Ergebnis Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Strafverfolgungsvorsorge, 2001, S. 273; bestätigend BVerfGE 113, 348 (371) sowie BVerwGE 141, 329 (Rn. 31 ff.); entschieden anderer Ansicht m. w. N. Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 26 ff. 720  BVerfGE 113, 348 (348 ff.). 721  BVerfGE 150, 244 (275 ff.). 722  Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2020, § 3 Rn. 5. 723  Zunächst noch: „Soll die Gesetzessprache nicht jeden Sinn verlieren“, Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap. Rn. 18; nun aber: „Die Einbeziehung der Strafverfolgungsvorsorge in das ‚gerichtliche Verfahren‘ ist mit dem Wortlaut des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kaum vereinbar. […] Ein Vor-Vorfeld zu ‚gerichtlichen Verfahren‘ überdehnt den Verfassungswortlaut; dieses Vor-Vorfeld kennt die StPO nicht.“, Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 26. 724  B. II. 4. 725  Dazu ausführlich B. II. 5.



I. Sicherheitsverfassungsrecht191

Werden die Begriffe Strafverfolgung und Gefahrenabwehr mit dem Begriffspaar „Prävention“ und „Repression“ gleichgesetzt, folgt daraus deshalb kein Erkenntnisgewinn und auch weder Gewinn noch Verlust an Differenzierungsvermögen, sofern die Gleichsetzung eindeutig und ausdrücklich kenntlich gemacht wird. Allerdings gilt es zu erkennen, dass mit einer teleologischen Verwendung das Verhältnis der Begriffe zueinander – im Gegensatz zu den juristischen Basisbegriffen – von vornherein gerade nicht dichotom sein kann. Aus der Gleichsetzung folgt damit gerade nichts für die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen. Im Gegenteil: Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ sind in diesem Sinne weder zur Maßstabsbildung noch zur Subsumtion geeignet. Aus ihnen dürfen in keinem Fall empirische Vorverständnisse, deren Ursache und Ausdruck das Begriffspaar sein kann, Eingang in die Rechtsanwendung finden, indem aus den Begriffen überpositive Maßstäbe deduziert werden.726 Eine bloß „begriffsnotwendige“ oder „begriffsausschließende“ Begründung für oder gegen eine Gesetzgebungskompetenz, die zirkulär nur auf das Begriffspaar zurückführbar ist, genügt nicht; so darf etwa eine Regelung eines Landes auf dem Gebiet der inhaltlichen „Repression“ nicht von vornherein als „begriffsnotwendiger Kompetenzverstoß“ eingeordnet werden. Schließlich entfaltet das Begriffspaar kein funktionales Kategorisierungspotential bei der Abgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten. Dagegen spricht, dass die Begriffe mit der temporalen Stoßrichtung eine typisierende Voraussetzung vermitteln, die bei der Abgrenzungsfrage gerade keine Rolle spielt. Wenn das begriffliche Konzept im Sinne einer Normalitätsannahme aufrechterhalten wird, kann der semantische Legitimationsdruck dann steigen, wenn etwa eine „präventive“ Regelung auf eine Bundeskompetenz gestützt werden soll. Dieser gesteigerte Legitimationsdruck findet aber keine dogmatische Grundlage. d) Zwischenergebnis Die Kompetenzfragen über polizeiliche Vorfeldmaßnahmen haben die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung herausgefordert, weil der Zeitpunkt der Maßnahme und der Zweck der Maßnahme nicht durch das tradierte Ko726  So aber können etwa die Ausführungen bei Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 158, verstanden werden: „In folgerichtiger Weise markiert der – Prävention und Repression trennende – Zeitpunkt der Norm- und Rechtsgutsverletzung eine zentrale Scheidelinie, die sich durch das mit der Sicherheitsgewährleistung befaßte staatliche Recht zieht. […] eine Unterscheidung, die in der deutschen Rechtsordnung noch dadurch kompetenzrechtlich unterstrichen wird, daß das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht in die Landes- und das Strafprozeßrecht in die Bundesgesetzgebungskompetenz fallen.“

192

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

ordinatensystem fassbar war: Die Begehung einer Straftat kann im Vorfeldbereich nicht (mehr) als temporal abgrenzendes Ereignis zwischen „Prävention“ und „Repression“ herangezogen werden. Die Einteilung in „Prävention“ und „Repression“ wurde aber dennoch – in modifizierter Form – aufrechterhalten: Das bisher zentrale temporale Element der Zuordnung ist nicht mehr entscheidend für die Zuordnung zu einem Gesetzgeber, sondern ein Gegenständlichkeitskriterium – nämlich die funktionale Nähe zu einem Strafverfahren – entscheidet nunmehr über die Zuordnung zur Bundeskompetenz des „gerichtlichen Verfahrens“. Durch diese teleologische Begriffs(um)bildung wurde den Begriffen ein deskriptiv-wortprägendes Element (die temporale Bedeutung der juristischen Basisbegriffe) entzogen, um die grundsätzliche begriffliche Gegenüberstellung rechtsdogmatisch aufrechterhalten zu können. Für die Beantwortung der Fragen nach der Gesetzgebungszuständigkeit kann die dichotome Einteilung in „Prävention“ und „Repression“ damit sowohl für den Kompetenztitel des „Strafrechts“ wie auch des „gerichtlichen Verfahrens“ nur zirkulär verwendet werden: sie erklärt und begründet die Zuordnung zu einer Gesetzgebungskompetenz nicht. 2. Materielles Verfassungsrecht a) Grundrechte Der nicht relativierbaren Kompetenzordnung des Grundgesetzes kommt eine eigene rechtsstaatliche Funktion zu, indem sie die Staatsgewalt durch die Verteilung der Gewalt in föderaler Hinsicht bändigt. Gleichzeitig stellen abtrennbare Kompetenzen die Zuordnung von Verantwortlichkeiten als demokratische Komponente sicher. Die Durchsetzung des geschriebenen Sicherheitsrechts erfolgt zwar durch die unterschiedlichen sicherheitsrecht­ lichen Institutionen der Länder und des Bundes, jedoch zentrieren sich im operativen Sicherheitsrecht die Eingriffskompetenzen quantitativ durch Erstzugriffs- und Eilkompetenzen bei den (Landes-)Polizeibehörden. Es folgt damit aus der Zuordnung einer Gesetzgebungskompetenz keine notwendige pfadabhängige föderale Zuständigkeitsfestlegung hinsichtlich der Durch­ setzung einer neu geschaffenen Eingriffsgrundlage (vgl. im Gegenteil Art. 83 GG), so dass hinsichtlich der (politischen) Verantwortlichkeit für das Sicherheitsrecht zwischen seiner Normierung und seinem Vollzug unterschieden werden muss. Wenn die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ kein Kriterium für die Zuordnung zu einer Gesetzgebungszuständigkeit zum Bund oder zu den Ländern ist, schließt sich die Frage an, ob die (materielle) Grundrechtsdogmatik eine Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ oder Aussagen zum Verhältnis der Begriffe zueinander trifft. Die



I. Sicherheitsverfassungsrecht193

Absätze 3 und 4 des Art. 13 GG legen nahe, dass die Grundrechte eine materielle Abstufung zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr für die materielle Rechtfertigung sicherheitsrechtlicher Grundrechtseingriffe vornehmen. Danach ist beispielsweise die strafverfahrensrechtliche im Gegensatz zur gefahrenabwehrrechtlichen Wohnraumüberwachung auf akustische Überwachungen beschränkt. Darüber hinaus könnte in dem Art. 103 Abs. 2 und 3 GG und Art. 104 GG eine materielle Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Verfassungsrecht angedeutet sein,727 da hier Sonderregelungen für die Strafverfolgung getroffen werden. Vor allem im Anschluss an die positivrechtliche Unterscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers in Art. 13 Abs. 3 und 4 GG728 hat das Bundesverfassungsgericht im Fall der Datenweitergabe im Rahmen strategischer Telekommunikationsüberwachungen eine unterschiedliche Dringlichkeit von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung angenommen: „Daraus ergeben sich für die Verhütung von Straftaten einerseits und die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten andererseits unterschiedliche Konsequenzen, die wiederum in einer unterschiedlichen Dringlichkeit der Datenübermittlung zum Zweck des Rechtsgüterschutzes wurzeln. Während die Straftatenverhütung zur Gefahrenabwehr zählt und das betroffene Rechtsgut vor drohender Verletzung schützen, also den Erfolg verhindern soll, geht es bei der Strafverfolgung um die staatliche Sanktionierung einer bereits erfolgten, aber nicht mehr zu verhindernden Rechtsgutverletzung.“729

Die Dringlichkeitsthese730 des Bundesverfassungsgerichts lässt die Auslegung zu, dass Grundrechtseingriffe im Rahmen der Gefahrenabwehr weniger stark ins Gewicht fallen oder deshalb einem weniger hohen Begründungsaufwand unterliegen als Grundrechtseingriffe im Rahmen der Strafverfolgung, weil der Gefahrenabwehr grundrechtlich ein stärkeres verfassungslegitimiertes Gewicht bei der Abwägung zukommt. Umgekehrt würden deshalb Grundrechtseingriffe zum Zwecke des Strafverfahrens einem gesteigerten 727  Bäuerle sieht in diesen Normen neben Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 und 74 I Nr. 1 GG erkennbar einen Rückgriff „auf das überkommene liberale System von Prävention und Repression“, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungs­ recht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (53 Fn. 78). 728  Art. 13 Abs. 3 bis 6 GG eingefügt, bisheriger Abs. III wird Abs. VII, durch Gesetz vom 26.03.1998, BGBl. I S. 610. 729  BVerfGE 100, 313 (394 f.); die Dringlichkeitsthese wird aufgestellt, ohne dabei die rechtlichen Auswirkungen zu konkretisieren. Im konkreten Fall überschreitet § 3 Abs. 3 G 10 sowohl hinsichtlich der Gefahrenabwehr wie auch hinsichtlich der Strafverfolgung die verfassungsrechtlichen Grenzen. 730  Dabei bleibt bei den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts unklar, ob die Gefahrenabwehr als zeitlich dringlicher oder gar als inhaltlich wichtiger einzustufen ist.

194

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Legitimationsdruck unterliegen.731 Sie ließen sich zu der These verdichten, dass sich der Verfassung ein allgemeiner „Leitgedanke des Vorrangs der ‚Prävention‘ vor der ‚Repression‘ “ entnehmen ließe.732 Möstl begründet einen solchen Vorrang der „Prävention“ vor der „Repression“ mit teleologischen Erwägungen prägnant: „Der Leitgedanke des Vorrangs der Prävention vor der Repression hat seinen Grund darin, daß sich – im Blick auf ein bestimmtes Schutzgut in der zeitlichen Achse – die präventive Verhinderung einer Verletzung naturgemäß als bessere Form der Sicherheitsgewährleistung darstellt als alles, was – wie die Repression – zwar auf Verletzung reagiert, sie aber als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. […] Zum anderen wirkt sich die Überlegenheit der Prävention dahin aus, daß die staatliche Sicherheitsaufgabe als Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen im Rahmen der präventiven Verhinderung einer Schutzgutsverletzung unter Umständen stärker ins Gewicht fallen und weitergehende Grundrechtseingriffe gestatten kann als im Rahmen der repressiven Verfolgung der bereits geschehenen und gerade nicht mehr verhinderbaren Schutzgutverletzung.“733 Für ein Vorrangverhältnis könnte auch sprechen, dass ultima-ratio-Maßnahmen (etwa der „finale Rettungsschuss“) des Gefahrenabwehrrechts zu Strafverfolgungszwecken von vornherein nicht zu rechtfertigen sind.734 Derartige Maßnahmen dürften indessen aber schon an der Gesetzgebungskompetenz scheitern, weil sie sich von vornherein nicht dem „gerichtlichen Verfahren“ zuordnen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese grundsätzliche Einschätzung zum Verhältnis von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung nach dieser Entschei731  „Repression“ wird als begründungsbedürftiger empfunden; in diese Richtung exemplarisch Ulf Buermeyer, Trojaner Marsch – Staatliche Überwachungssoftware im Strafverfahren, abrufbar unter: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/massenhaftereinsatz-ueberwachung-software-staatstrojaner-strafverfahren-praevention-verfolgungstraftaten/ (zuletzt abgerufen am 23.05.2017); vgl. aber weitaus differenzierter Ulf Buermeyer, Ausschuss-Drs. 18(6)334, S. 10 ff.; vgl. zur meliorativen Bedeutung von „Prävention“ und zur pejorativen Bedeutung von „Repression“, die diesen Befund semantisch verstärken oben unter A. I. und II. 732  So ausdrücklich für den Schutz des ungeborenen Lebens BVerfGE 39, 1 (44); an dieser Stelle wird auf BVerfGE 30, 336 (350) verwiesen; dort ist allerdings keineswegs von einem „Leitgedanken die Rede“: „Der Jugendschutz bedarf in erster Linie wirkungsvoller Präventivmaßnahmen, um erkannte Gefahrenquellen rechtzeitig auszuschalten; diese können ihrerseits durch repressive Maßnahmen ergänzt und verstärkt werden.“; in diese Richtung auch schon Emmerig, DVBl. 1958, S. 338 (339 f.). 733  Möstl (auch mit Verweis auf BVerfGE 100, 313 [394]), Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 152 f. 734  Tanneberger mit dem Verweis darauf, dass derartige Maßnahmen „bereits konstitutiv nicht Maßnahmen der Strafverfolgung“ sein können, Die Sicherheitsverfassung, S.  372 (a. E.) f.



I. Sicherheitsverfassungsrecht195

dung735 nicht mehr wiederholend aufgenommen,736 vielmehr liefert die nachfolgende Rechtsprechung Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesverfassungsgericht von einem Vorrang der „Prävention“ vor der „Repression“ Abstand nehmen will.737 Hinsichtlich der Abfrage von (Telekommunikations-) Daten im Rahmen des § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 TKG komme es etwa allein auf das Vorliegen der jeweiligen Eingriffsschwellen („konkrete Gefahr“ oder „Anfangsverdacht“), denen die abfragenden Stellen unterliegen, an.738 Auch für die Verwendung von Daten aus der Vorratsdatenspeicherung ist es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts notwendig, aber auch hinreichend, dass die Verwendung auf den Schutz „überragend wichtige[r] Aufgaben des Rechtsgüterschutzes“ begrenzt ist, so dass es mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz genügt, wenn der strafverfahrensrechtliche Verdacht an enumerierte Straftatbestände anknüpft und der Gefahrenbegriff die betroffenen Rechtsgüter in Bezug nimmt.739 Eine Abkehr des Gerichts von seiner Dringlichkeitsthese für das Gefahrenabwehrrecht lässt sich schließlich in der dialektischen Parallelisierung von Gefahr und Anfangsverdacht hin zur Frage nach der Wahrscheinlichkeit von drohenden oder erfolgten Rechtsgutsverletzungen erblicken.740 Der Erste Senat nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf die Entscheidung über die strategische Telekommunikationsüberwachung741: „Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweilige Handlung beeinträchtigt würde oder beeinträchtigt worden ist, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die

735  Zuvor

BVerfGE 30, 336 (350); 39, 1 (44). anders, ohne die „Dringlichkeitsthese“ ausdrücklich anzusprechen BGHSt 54, 69 (82): „Denn im Polizeirecht kommt dem Aspekt der aus Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 GG abzuleitenden Schutzpflichten des Staates ein zur Abwehr von Gefahren, insbesondere für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter, eine weitaus größere Bedeutung zu als im Strafprozess. […] Eine nach polizeirechtlichen Grundsätzen durchgeführte Abwägung zwischen den Grundrechten des durch die Maßnahme Betroffenen und den zu schützenden Rechtsgütern der Allgemeinheit oder eines Einzelnen könnte auch dann noch zur Verwertung von erlangten Erkenntnissen führen, wenn diese nach strafprozessualen Grundsätzen zu verneinen wäre.“ 737  Zu dieser Einschätzung Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 370 f. 738  BVerfG, NJW 2012, S. 1419 (1429). 739  BVerfGE 125, 260 (329 f.); 133, 277 (323 ff.); 141, 220 (269 ff.); 154, 152 (268 ff.); 155, 119 (187 ff.). 740  Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 372. 741  Auf das Verhältnis zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfolgungsrecht bezieht sich BVerfGE 100, 313 (392) gerade nicht. Insoweit wird der (dogmatische) Satz aus einem anderen Kontext transferiert. 736  Entschieden

196

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts schließen lassen (vgl. BVerfGE 100, 313 [392]; siehe auch BVerfGE 110, 33 [55, 60].“742

Gegen das gleichwertige grundrechtliche Schutzniveau sprechen auch nicht die nachträglich eingeführten Absätze 3 und 4 des Art. 13 GG, welche die optische Wohnraumüberwachung allein zum Zwecke der Gefahrenabwehr und gerade nicht zum Zwecke der Strafverfolgung erlauben.743 Diese sprechen schon tatbestandlich spezifische Teilbereiche der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr an. Art. 13 Abs. 3 GG verlangt „besonders schwere Straftaten“ für die akustische Wohnraumüberwachung und Art. 13 Abs. 4 GG setzt die „Abwehr einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr voraus“, damit eine optische Wohnraumüberwachung verfassungsrechtlich zulässig sein kann. Die materiellen Abstufungen erfolgen daher nicht nur anhand der unterschiedlichen Zwecke des staatlichen Handelns, sondern knüpfen für die Zulässigkeit der verschiedenen Überwachungsmaßnahmen darüber hinaus an weitere Voraussetzungen innerhalb der Zwecke an. Die beiden Schrankenregelungen treffen daher schon keine Aussage zum grundsätzlichen Verhältnis zwischen „präventiver“ Gefahrenabwehr und „repressiver“ Strafverfolgung,744 sondern explizieren zwei rechtsstaatliche Singularitäten, innerhalb derer ausnahmsweise Eingriffe in das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der ­ Wohnungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein können.745 Dass das grundsätzliche Verhältnis zwischen „Prävention“ und „Repression“ keine dichotome Ausgestaltung erfährt, zeigt sich auch darin, dass wechselseitige

742  BVerfGE 113, 348 (386); in diese Richtung auch BVerfGE 133, 277 (323 ff.); 141, 220 (269 ff.); 154, 152 (276 ff.); 155, 119 (187 ff.). 743  „Art. 13 Abs. 3 erlaubt für die Strafverfolgung nur den Einsatz der akustischen Wohnraumüberwachung“, BVerfGE 141, 220 (338). 744  Aus Art. 13 GG eine Aussage zum Verhältnis von „Prävention“ und „Repression“ insgesamt abzuleiten, bietet sich schon deshalb nicht an, weil innerhalb des sicherheitsrechtlichen Vorfeldbereichs, der ebenfalls der „Prävention“ und „Repression“ versucht wird zuzuordnen, von vornherein aus grundrechtlicher Perspektive keine Wohnraumüberwachung verfassungsmäßig ist. 745  Vgl. instruktiv am Beispiel der elektronischen Aufenthaltsüberwachung Guckelberger, DVBl. 2017, S. 1121 (1127 f.); a.  A. Ulf Buermeyer, Ausschuss-Drs. 18(6)334, S. 10 f.: „Mit Blick auf die Gewichtung von Prävention und Repression im Hinblick auf den verfolgten Rechtsgüterschutz sind bei der Verfolgung allein repressiver Ziele eher höhere [sic!] Anforderungen zu stellen. Denn es wird am Ende „nur“ die Sanktionierung eines bereits irreversibel eingetretenen Rechtsgutsverstoßes verfolgt. Dass von Verfassungs wegen deutlich größere Spielräume für präventive als für repressive Eingriffe bestehen zeigt sich schließlich auch an der Wertung des Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung), der zu präventiven Zwecken (Art. 13 Abs. 3 GG) weitaus mehr Eingriffe zulässt als zu repressiven Zwecken (Art. 13 Abs. 4 GG).“.



I. Sicherheitsverfassungsrecht197

Zweckänderungen rechtmäßig erhobener Daten aus der Wohnraumüberwachung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein können.746 Ebenso spricht die in Art. 104 Abs. 3 S. 1 GG ausdrücklich genannte Rechts- und Verfahrensgarantie für die Freiheitsentziehung wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung nicht gegen ein gleichlaufendes Schutz­ niveau gegenüber Freiheitsentziehungen zum Zwecke der Gefahrenabwehr. Zwar bewirkt Art. 104 Abs. 3 GG insgesamt die „verfassungsrechtliche Fundierung elementarer strafprozessualer Regeln“;747 diese Regeln unterscheiden sich aber gerade nicht substantiell von denen für die gefahrenabwehrrecht­ liche Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 1 und 2 GG.748 Die grundsätzlich zulässige749 gefahrenabwehrrechtliche Freiheitsentziehung wird bemerkenswerter Weise bereits ihrerseits in „Präventivgewahrsam“ zur Verhinderung eines verbotenen Verhaltens und „Repressivgewahrsam“ zur Verhinderung der Fortsetzung eines verbotenen Verhaltens bzw. zur Verhinderung oder zur Verhinderung der Fortsetzung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten750 unterschieden.751 Dabei sind die Voraussetzungen für den gefahrenabwehrrechtlichen „Repressivgewahrsam“ konkreter umschrieben. Auf ihn lassen sich freilich dennoch nicht die Voraussetzungen des Art. 104 Abs. 3 GG anwenden. Daneben lässt sich auch die Gewährleistung aus dem verfassungsrechtlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit nicht hinsichtlich der Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ abstufen, da das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowohl im Gefahrenabwehr- wie auch im Strafverfahrensrecht gleichermaßen für die Begrenzung staatlicher Gewalt sorgt.752 Wegen dieses 746  BT-Drs. 13/8650, S. 5; vgl. auch Georg Hermes, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band I, 3. Aufl. 2013, Art. 13 Rn. 39. 747  So ausdrücklich Veith Mehde, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz, 86. Aufl. 2019, Art. 104 Rn. 108; Hartlaub, Theorie und Praxis der Freiheitsentziehungen nach Strafverfahrens- und Polizeirecht, 2000, S. 129. 748  Hans D. Jarass, in: Jarass/Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 16. Aufl. 2020, Art. 104 Rn. 22; Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2018, Art. 104 Rn. 44. 749  Kritisch EGMR, Urteil vom 1.12.2011 – 8080/08; gegen die Bedenken des EGMR aber Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, Rn. 156. 750  Vgl. nur § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG. 751  VGH München, Beschluss vom 10.1.2000 – 24 B 99/3316; Wolf-Rüdiger Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BPolG § 39 Rn. 10; Überblick bei Graulich, Das Handeln von Polizei- und Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. E Rn. 536 ff. 752  Zur Verhältnismäßigkeit der strafverfahrensrechtlichen Untersuchungshaft BVerfGE 19, 342 (348); zur Verhältnismäßigkeitsprinzip im Strafverfahrens- und Gefahrenabwehrrecht BVerfGE 92, 277 (347); vgl. zudem BGHSt. 43, 129 (135): „Eine

198

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

weitgehenden Gleichlaufs753 besteht bei einer dogmatisch-inhaltlichen Nuancierung zwischen Gefahrenabwehrrecht als „Prävention“ und Strafverfahrensrecht als „Repression“ die Gefahr „einer systematischen Überhöhung kasuistischer, gar nur sprachlicher Kontingenzen […] [mit] kaum praktische[n] Konsequenzen“.754 Dem Gesetzgeber bleibt freilich die Möglichkeit, oberhalb des Untermaßverbots (grundrechtlicher Mindestanforderungen) unterschiedliche Rechtsgüterschutzmodelle festzulegen. Wenn er sich dabei entscheidet, Strafverfolgungsmaßnahmen nur bei Eingriffen in stärker geschützte Rechtsgüter zuzulassen, folgt daraus gerade keine Verfassungswidrigkeit anderer gefahrenabwehrrechtlicher Ermächtigungen, die den abgestuften ­ Rechts­güterschutz bei Grundrechtseingriffen nicht beachten. Der materiellen Grundrechtsdogmatik lässt sich daher im Ergebnis nichts für die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ und für das Verhältnis der Begriffe zueinander entnehmen.755 b) Bindungen des Rechtsetzers aus dem Bestimmtheitsgebot Trotz des materiellen Gleichlaufs der Grundrechte und des Verhältnismäßigkeitsprinzips könnten sich unterschiedliche inhaltliche Anforderungen für Strafverfolgung kann gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, wenn feststeht, daß durch die Anwendung der einschlägigen Strafvorschriften keiner der gesetzlich anerkannten Strafzwecke mehr zu erreichen ist; Strafverfolgung wäre in einem solchen Fall sinnentleert und als ein Instrument zur Bekämpfung von Unrecht nicht (mehr) geeignet.“; Konsequenterweise verlangt das Bundesverfassungsgericht wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes „übergreifende Maßgaben an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle“, BVerfGE 150, 244 (302). 753  In diesem Sinne lassen sich auch die nachfolgenden Ausführungen Möstls verstehen, obwohl er nicht ausdrücklich auf das Strafverfahren eingeht: „Die Frage des Verhältnisses des Versuchs einer rein präventiv-polizeilichen Durchsetzung und einer Sanktionsbewehrung kann dabei nicht in der Weise aufgelöst werden, daß etwa gesagt werden könnte, erstere sei milder als die letztere, denn nicht nur wurde […] gezeigt, daß die zur Rechtstreue treibende Kraft der Sanktionsbedrohung gegenüber einer allgegenwärtigen Überwachung und präventiven Sicherstellung der Einhaltung der Norm sogar das insgesamt freiheitsschonendere Mittel darstellen kann, vor allem unterscheiden sich die präventive Wirkung von Sanktionsbewehrungen von anderen, präventiven Formen der Rechtsdurchsetzung nach Art und Wirkungsweise so grundlegend, daß es überhaupt schwerfällt, in diesem Zusammenhang eine Stufenfolge mehr oder weniger milderer Mittel aufzustellen.“, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 153 f. 754  Gegen eine Nuancierung im Wege der induktiven Methode bezüglich der (bisherigen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Sicherheitsrecht Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 373. 755  Ähnlich Kugelmann, Die Verwaltung 47 (2014), S. 25 (25 ff.); für die Videoüberwachung Ogorek, DÖV 2018, S. 688 (688 ff.).



I. Sicherheitsverfassungsrecht199

die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ aus dem Bestimmtheitsgrundsatz des Grundgesetzes ergeben.756 Eine besondere verfassungsrechtliche Bestimmtheitsanforderung findet sich in Art. 103 Abs. 2 GG, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Diese spezielle Bestimmtheitsanforderung für Strafnormen verlangt, den Wortlaut der Norm so zu fassen, dass „die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift vorhersehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht“757. Art. 103 Abs. 2 GG findet aber als eng auszulegende spezielle Ausgestaltung des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatzes758 gerade keine Anwendung auf strafprozessuale Eingriffsbefugnisse.759 Vielmehr unterliegen sowohl gefahrenabwehrrechtliche wie auch strafprozessuale Grundrechts­ eingriffe nur den Anforderungen des allgemeinen Bestimmtheitsgrundsat­ zes: „Für Prävention besteht so lange Anlass, wie diese [Straftaten] noch nicht beendet sind. Dies bedeutet, dass es eine Überschneidung zwischen den Präventionsmaßnahmen […] und möglichen Strafverfolgungsmaßnahmen insoweit geben kann, als die ‚Planung‘ schon in ein straftatbestandliches Verhalten übergegangen, die Rechtsgutbeeinträchtigung hingegen noch nicht abgeschlossen ist, so dass präventive Maßnahmen weiter sinnvoll sein können. Bestimmtheitsprobleme wirft dies nicht auf.“760

Im Bereich der staatlichen Datenverarbeitung unterliegen sicherheitsrechtliche Eingriffsbefugnisse gleichermaßen den besonderen Geboten der Normenklarheit und der Bestimmtheit.761 Diese verschärfen die allgemeinen mit dem grundrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes verbundenen Bestimmtheitsanforderungen und tragen dem Umstand Rechnung, dass ein effektiver Schutz gegenüber staatlichem Datenerhebungs- und -verarbeitungshandeln nur auf Grundlage eines ausreichend spezifischen gesetzlichen Normprogramms möglich ist. Die Höhe der Anforderungen aus dem allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz hängt aber nicht davon ob, welche Sicherheitsaufgabe (etwa 756  Zur Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Sicherheitsrecht vgl. Weber, Die Sicherung rechtsstaatlicher Standards im modernen Polizeirecht, 2011, S. 109 und Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 335; zu den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes und dem Zusammenhang zur juristischen Begriffsbildung vgl. schon oben unter B. II. 1. d) aa). 757  BVerfGE 126, 170 (196). 758  Vgl. dazu schon oben unter B. II. 3. d) aa). 759  BVerfGE 112, 304 (315). 760  BVerfGE 110, 33 (60). 761  BVerfGE 113, 348 (375 ff.); 120, 378 (407 f.); 141, 220 (265); 150, 244 (278 f.); 154, 152 (237 f.)

200

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Strafverfolgung, Gefahrenabwehr oder vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) mit der jeweiligen Eingriffsermächtigung verfolgt wird.762 Die Gesetzgeber knüpfen ihre sicherheitsrechtlichen Eingriffsermächtigungen regelmäßig an das Vorliegen eines Verdachts einer Straftat oder an eine Gefahr für ein Rechtsgut. Durch diese gesetzgeberische Terminologie haben sich unterschiedliche Abstufungen von Verdachtsgraden und Gefahrengraden herauskristallisiert, die den Vorgaben der Grundrechte und deren Konkre­ tisierung durch das Bundesverfassungsgericht Rechnung tragen sollen.763 Wenn der Gesetzgeber diesen Regelungsmodus wählt, unterliegt er hinsichtlich der Bestimmtheit unterschiedlichen Anforderungen:764 Ist ein Verdacht Anknüpfungspunkt der sicherheitsrechtlichen Maßnahme, muss in der gesetzlichen Ermächtigung der Bezugspunkt geklärt sein, d. h. die entsprechenden Straftatbestände in einem in Bezug zu nehmenden Katalog einzeln bezeichnet werden.765 Ein solcher Straftatenkatalog ist bei sicherheitsrecht­ lichen Maßnahmen, die an eine Gefahr anknüpfen, keine geeignete, weil Sicher­ heitslücken lassende Regelungstechnik: Um einen umfassenden Sicherheitsschutz zu gewährleisten, muss es nach richtiger Ansicht genügen, wenn die gesetzlichen Grundlagen die abstrakten Rechtsgüter als Anknüpfungspunkt für den Eingriff in Bezug nehmen.766

762  BVerfGE 110, 33 (56); 113, 348 (378); 120, 274 (316); diese Entscheidungen werden mit Blick auf Informationseingriffe zustimmend aufgegriffen von Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 343 ff., m. w. N. insbesondere auf S. 344. 763  Zu diesen beiden möglichen – aber nicht abschließenden (!) – Modi vgl. auch BVerfGE 110, 33 (55 ff.); 113, 348 (377); prägnant dazu die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der §§ 39 Abs. 1 und 2, 41 Abs. 2 des Außenwirtschaftsgesetzes bei BVerfGE 110, 33 (55 ff.): „Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt jedoch, dass die jeweiligen Ermächtigungen handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthalten, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist. […] Dem Gesetzgeber ist es nicht grundsätzlich verwehrt, zur Umschreibung des Anlasses und der weiteren Voraussetzungen der Straftatenverhütung unbestimmte Rechtsbegriffe zu benutzen. Die Auslegungsbedürftigkeit als solche steht dem Bestimmtheitserfordernis nicht entgegen, solange die Auslegung unter Nutzung der juristischen Methodik zu bewältigen ist (vgl. BVerfGE 31, 255 [264]; 83, 130 [145]; stRspr) und die im konkreten Anwendungsfall verbleibende Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Verwaltungshandeln gefährdet sind (vgl. BVerfGE 21, 73 [79 f.])“. 764  Das dürfte auch gemeint sein, wenn Schwabenbauer von „nicht identischen Bestimmtheitsanforderungen“ zwischen Gefahrenabwehr, Straftaten- und Gefahrenverhütung und Strafverfolgung spricht, Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. G Rn. 179. 765  BVerfGE 125, 260 (328  f.); differenzierend im Hinblick auf die Rspr. des BVerfG vgl. Tanneberger, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 345.



I. Sicherheitsverfassungsrecht201

Im Bereich der Straftatenverhütung und Strafverfolgungsvorsorge (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten), die gerade nicht die tradierten Begriffe des Verdachts oder der Gefahr als Eingriffsschwelle in Bezug nehmen, hat es das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes genügen lassen, wenn die Rechtsgrundlage „handlungsbegrenzende Tatbestandselemente [enthält], die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schafft, der für die überkommenen Aufgaben von Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist“767. Für den Rechtsetzer sicherheitsrechtlicher Befugnisse gibt es damit keinen numerus clausus bzw. Typenzwang bei der Wahl hinreichend bestimmter Rechtsbegriffe als Tatbestandsvoraussetzung. Es kann zur Wahrung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes dennoch zweckmäßig bleiben, auf vorhandene (unbestimmte) Rechtsbegriffe wie den Verdacht und die Gefahr zurückzugreifen, da diese durch Rechtsprechung und Wissenschaft hinreichend konturiert worden sind. Zulässig bleibt aber auch die Prägung neuer Rechtsatzbegriffe, sofern sie den Anforderungen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes genügen. Dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen sie, wenn sie einen Mindeststandard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit schaffen.768 Es setzt sich damit konsequenter Weise die fehlende materielle Abstufung zwischen „Prävention“ und „Repression“ auch im Bereich des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes fort. Gerade im Bereich der zeitlich „präventiven“ und gegenständlich „repressiven“ Strafverfolgungsvorsorge sind die Anforderungen an die Bestimmtheit einer gesetzlichen Eingriffs­ ermächtigung parallelisiert. Sie erfordern gleichermaßen aufgrund ihrer tatbestandlichen Anknüpfung im Vorfeldbereich einer konkreten Straftat und 766  BVerfGE 125, 260 (329 f.): „Den Datenzugriff unter Bezugnahme auf Kataloge von bestimmten Straftaten zu eröffnen, deren Verhinderung die Datenverwendung dienen soll, ist hier keine geeignete Regelungstechnik. Sie nimmt den Anforderungen an den Grad der Rechtsgutfährdung ihre Klarheit und führt zu Unsicherheiten, wenn schon die Straftatbestände selbst Vorbereitungshandlungen und bloße Rechtsgutsgefährdungen unter Strafe stellen. Stattdessen bietet es sich an, gesetzlich unmittelbar die Rechtsgüter in Bezug zu nehmen, deren Schutz die Verwendung der Daten rechtfertigen soll, sowie die Intensität der Gefährdung dieser Rechtsgüter, die als Eingriffsschwelle hierfür erreicht sein muss. Eine solche Regelung entspricht dem Charakter der Gefahrenabwehr als Rechtsgüterschutz und gewährleistet eine unmittelbare Anknüpfung an das maßgebliche Ziel, das den Grundrechtseingriff rechtfertigen soll.“; a. A. Möstl, DVBl. 2010, S. 808 (811 ff.). 767  BVerfGE 110, 33 (55); 113, 348 (378); besonders prägnant BVerfGE 141, 220 (272): „Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen.“ 768  BVerfGE 110, 33 (55 f.); 113, 348 (376 ff.).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

einer konkreten Gefahr die Konturierung von bestimmten, jedenfalls aber bestimmbaren Rechtsbegriffen, die einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich bleiben. Beim Versuch bestimmbare Rechtsatzbegriffe zu bilden, können die Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ nicht hilfreich sein. Als Rechtsatzbegriffe wären sie nicht hinreichend bestimmt und damit unbrauchbar; in ihren unterschiedlichen Stoßrichtungen, in ihrer Vagheit, in ihrer Porosität und ihrer gegenseitigen Verhältnislosigkeit vermögen sie staatliches Handeln nicht zu begrenzen. Die Gesetzgeber sind deshalb zu Recht stets zurückhaltend bei ihrer Verwendung im Sicherheitsrecht geblieben.769 Dennoch könnte mit Hilfe des Gebrauchs der begrifflichen Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ in den Gesetzgebungsmaterialien zur Bestimmtheit und inhaltlichen Begrenzung von staatlichem Handeln beigetragen werden. Die Landes-770 und Bundesgesetzgeber771 bedienen sich regelmäßig der begrifflichen Unterscheidung innerhalb ihrer Gesetzgebungsmaterialien bei der Neufassung von Sicherheitsgesetzen. Dabei schreiben sie ihren gesetzgeberischen Ermächtigungen „präventive“ oder „repressive“ Zwecke zu, so dass diese gesetzgeberischen Zwecksetzungen auch die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Ermächtigungen enger ziehen könnten. Es gilt aber zu erkennen, dass gerade dort, wo die Unterscheidung zur normativen Konkretisierung durch den Gesetzgeber beitragen könnte, sie nie über die Restrik­ tionen, die aus dem kodifikatorischen Zusammenhang folgen, hinausgehen können. Auch dies liegt in der sprachlichen Unbestimmtheit von „Prävention“ und „Repression“ und in ihrer Verhältnislosigkeit zueinander. Hebt der Rechtsetzer in seinen Gesetzgebungsmaterialien die „präventive“ Stoßrichtung seiner Regelung hervor, hat er damit noch nicht „repressive“ Zwecke oder Reflexe einer Maßnahme ausgeschlossen.772 Deshalb können die begrifflichen Verwendungen in Gesetzgebungsmaterialien lediglich als argumentativ dysfunktionales Argumentationsmuster zur Legitimation hinsichtlich ihrer eigenen Gesetzgebungszuständigkeit und der inhaltlichen Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm, aber gerade nicht zur Bestimmung von Reichweite und Grenzen staatlicher Ermächtigungen beitragen. Will der Rechtsetzer dagegen zur inhaltlichen Bestimmtheit seiner Rechtsnormen beitragen, ist es der effizienteste Weg, die in Bezug genommenen Rechtsgüter und Straftatbestände zielgenau zu benennen und die Anforderungen an die Tatsachengrundlage und an die darauf gestützte (gefahr- oder straftatenbezogene) Prognose als Voraussetzungen für das staatliche Handeln 769  Vgl.

oben unter A. II. 3. c). jüngst Bayerischer Landtag Drs. 17/20425. 771  Etwa BT-Drs. 15/4533, S. 1 ff.; 17/12034, S. 20; 18/11163, S. 117. 772  Dazu schon oben unter D. I. 1. c) ff) und eingehend unter D. II. 1. e). 770  Etwa



I. Sicherheitsverfassungsrecht203

möglichst präzise festzulegen. Die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ vermag gerade im Vorfeldbereich von Straftaten und Gefahren nicht die Bestimmtheit einer Norm zu fördern und eröffnet darüber hinaus den Rechtsetzern keinen heuristischen oder kategorisierenden Zugriff: Sie haben nämlich keine Relevanz für die Gesetzgebungszuständigkeit und für die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit, sondern schaffen umgekehrt verfassungsrechtlich nicht determinierte (Selbst-)Beschränkungspotentiale. Durch die Überwindung dieser selbst auferlegten Bindung – die durch die weitgehend beliebige Anordnung der Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ darüber hinaus unklar sind – öffnet sich das Potential, die sicherheitsrechtlich übergreifenden Auslöser besonderer Anforderungen an die Bestimmtheit von Normen und die weiteren verfassungsrechtlichen Determinanten klarer zu erkennen und zu nutzen. Zu diesem Zweck genügt es, wenn die Rechtsetzer zwischen weit im Vorfeld einer Gefahr oder Straftat ansetzender Vorsorgetätigkeit,773 unmittelbar vor der Gefahr oder der Verwirk­ lichung ansetzender Präemption und der reaktiven Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung unterscheiden,774 ohne daran normative, exklusive oder gar trichotome (Verfassungsrechts-)Folgen zu knüpfen. Aus diesen deskriptiven und heuristischen Befunden können sachgerechte normative Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit der Normen entwickelt werden, ohne dabei den vermeintlichen775 und normativ inhaltsleeren776 Fesseln der tradierten und verfassungsrechtlich nicht begründbaren Vorgaben aus der Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ erliegen zu müssen. c) Inhaltliche Trennungsgebote Das sicherheitsrechtliche Informations- und Datenschutzrecht ist ein besonders fragmentierter, fluider und damit schwer zugänglicher und besonders unübersichtlicher Rechtsbereich.777 In Zeiten einer fortgeschrittenen Digitali773  Zu den rechtsstaatlichen Problemen besonders mit Blick auf die Gewaltenteilung im Zusammenhang mit der Risikovorsorge Jaeckel, Gefahrenabwehrrecht und Risikodogmatik, 2010, § 6. 774  Diese Begriffe finden sich etwa bei Brodowski/Jahn/Schmitt-Leonardy, GSZ 2018, S. 7 (10 ff.). 775  Vgl. dazu schon unter D. I. 1. 776  Zu den enttäuschten Normativitätserwartungen vgl. ausführlich unter D. II. 777  Ausführlich Bertram, Die Verwendung präventiv-polizeilicher Erkenntnisse im Strafverfahren, 2009, 3. Kapitel; Bodenbenner, Präventive und repressive Datenverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung des Zweckbindungsgedankens, 2017, Drittes Kapitel; Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 203 ff.; Schwabenbauer, Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht, in: Lisken/ Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. G Rn. 1 ff.; Wal-

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

sierung privater Lebensbereiche ist es derjenige Bereich, in dem sich ein leistungsfähiges, das heißt grundrechtsschützendes Sicherheitsrecht bewähren muss. Informationelle polizeiliche und nachrichtendienstliche Tätigkeit zeichnet sich durch schwere Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit in einem Bereich höchster persönlicher Sensibilität aus. Daher gebieten die grundrechtlichen Gewährleistungen eine Form der Trennung zwischen den Nachrichtendiensten und der operativen Polizeiarbeit (aa)). An der Schnittstelle zwischen gefahrenabwehrender und strafverfolgender Tätigkeit der ­Sicherheitsbehörden setzt die Rechtswissenschaft ihre normative Hoffnung vor allem in die Zweckbindung, die auch mit Hilfe der Unterscheidung von „präventiver“ und „repressiver“ polizeilicher Tätigkeit zu erreichen versucht wird (bb)–cc)). aa) Trennungsgebote zwischen Verfassungsschutz und operativer Polizeiarbeit Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Antiterrordatei das informationelle Trennungsgebot grundrechtlich rekonstruiert.778 Es formuliert prägnant: „Regelungen, die den Austausch von Daten der Polizeibehörden und Nachrichtendiensten ermöglichen, unterliegen angesichts dieser Unterschiede gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung folgt insoweit ein informationelles Trennungsprinzip. Danach dürfen Daten zwischen den Nachrichtendiensten und Polizeibehörden grundsätzlich nicht ausgetauscht werden. Einschränkungen der Datentrennung sind nur ausnahmsweise zulässig. Soweit sie zur operativen Aufgabenwahrnehmung erfolgen, begründen sie einen besonders schweren Eingriff. Der Austausch von Daten zwischen den Nachrichtendiensten und Polizeibehörden für ein mögliches operatives Tätigwerden muss deshalb grundsätzlich einem herausragenden öffentlichen Inte­ resse dienen, das den Zugriff auf Informationen unter den erleichterten Bedingungen, wie sie den Nachrichtendiensten zu Gebot stehen, rechtfertigt. Dies muss durch hinreichend konkrete und qualifizierte Eingriffsschwellen auf der Grundlage normenklarer gesetzlicher Regelungen gesichert sein; auch die Eingriffsschwellen für die Erlangung der Daten dürfen hierbei nicht unterlaufen werden.“ (BVerfGE 133, 277 [329] – Antiterrordatei)

Aus dem so verstandenen Trennungsgebot folgt, dass in der Weitergabe nachrichtendienstlich bzw. verfassungsschutzrechtlich erhobener Daten ein neuer rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff liegt.779 Eine weitere den, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996, S. 1 ff. 778  BVerfGE 133, 277; dogmatisch kritisch Volkmann, Jura 2014, S. 820 (828 f.). 779  BVerfGE 154, 152 (266).



I. Sicherheitsverfassungsrecht205

Nutzung innerhalb der ursprünglichen Zwecksetzung kommt damit nur seitens derselben Behörde in Betracht.780 Bei der Frage, wie hoch die Übermittlungsschwellen bei der Weitergabe der Daten zu „präventiven“ oder „repressiven“ Zwecken liegen, kennt das Bundesverfassungsgericht wiederum keine strukturellen Unterschiede. Am Maßstab des Kriteriums einer „hypothetischen Datenneuerhebung“ und unter Berücksichtigung eines besonders schweren Eingriffs bei der Übertragung aus nachrichtendienstlichen Datenbeständen im Hinblick auf die geringen Eingriffshürden bei der Datenerhebung verlangt es für die Übermittlung zur Gefahrenabwehr die Gefahr bzw. eine konkretisierte Gefahr für ein Rechtsgut von herausragendem öffentlichen Interesse.781 Parallel dazu kommen bei der Datenübertragung zum Zwecke der Strafverfolgung nur in Rede stehende besonders schwere Straftaten in Betracht, sofern einen Verdacht begründende Tatsachen vorliegen.782 Das nachrichtendienstliche Trennungsgebot ist daher grundrechtlicher Reflex und nicht ausdrücklich in der Verfassung vorgesehen.783 Der Gesetzgeber kann mit Hilfe des so verstandenen Trennungsgebots rechtfertigen, dass Datenerhebungen im Rahmen der nachrichtendienstlichen bzw. verfassungsschützenden Tätigkeit verhältnismäßig geringen Eingriffshürden unterliegen. Aus ihm folgen organisatorische, informationelle und befugnisrechtliche Trennungsgebote bei der grundrechtskonformen Ausgestaltung des Verfassungsschutzes. Es verhindert aber nicht die Weitergabe an Behörden mit

780  BVerfGE

141, 220 (325). 133, 277 (239); 141, 220 (272 f.); 154, 152 (267 ff.), vgl. auch jüngst BVerfG, Urteil vom 26.04.2022, 1 BvR 1619/17, Rn. 229 ff. 782  BVerfGE 100, 313 (392 ff.); 141, 220 (270, 329); 154, 152 (269 ff.); vgl. auch jüngst BVerfG, Urteil vom 26.04.2022, 1 BvR 1619/17, Rn. 229 ff. 783  Bäcker, Die Polizei im Verfassungsgefüge, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. B Rn. 252 ff.; Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 517; Randl, NVwZ 1992, S. 1070 (1073); undifferenziert Sproß, NVwZ 1992, S. 642 (644); das Bundesverfassungsgericht hat es zuvor offengelassen: „Auf die Frage, ob sich aus den unterschiedlichen Gesetzgebungszuständigkeiten ein Gebot der Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten entnehmen lässt, kommt es daher hier nicht an.“, BVerfGE 97, 198 (217); anderer grundsätzlicher Ansicht, aber in der Reichweite differenzierend Gazeas, Übermittlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse an Strafverfolgungsbehörden, 2014, S. 64 f.; Klee, Neue Instrumente der Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, 2010; Kutscha, Innere Sicherheit und Verfassung, in: Roggan/Kutscha (Hrsg.), Handbuch zum Recht der Inneren Sicherheit, 2. Aufl. 2006, S. 80; Thiel, Die „Entgrenzung“ der Gefahrenabwehr, 2011, S.  374 ff.; von Denkowski, Kriminalistik 2008, S. 176 (176 ff.); Wittmoser, Die Landesämter für Verfassungsschutz, 2012, S. 67 ff.; Wolff, DÖV 2009, S. 597 (601 f.); differenzierend Löffelmann, BayVBl. 2017, S. 253 (259). 781  BVerfGE

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

operativen Anschlussbefugnissen zur Zwecke der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung (kein informationelles Abschottungsgebot).784 bb) Trennungsgebote zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Das verfassungsschutzrechtliche Trennungsgebot wird im Hinblick auf die Trennung zwischen gefahrenabwehr- und strafverfahrensrechtlich erhobenen Daten weiter abgeschwächt. Dies folgt aus der hohen grundrechtlichen Rechtfertigungslast bei der jeweiligen Datenerhebung. Befugnisrechtlich bestehen parallele und nicht überschneidungsfreie Ermächtigungen für ­dieselbe (Polizei-)Behörde. Funktional ist eine Tendenz zur Angleichung des Strafverfahrensrechts und des Gefahrenabwehrrechts zu beobachten, die verfassungsrechtliche Belange nicht berührt. Auch informationell besteht kein Trennungsgebot zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden, so dass Mischdateien, die „präventiven“ und „repressiven“ Zwecken dienen, mit der Verfassung in Einklang stehen.785 cc) Verfassungsrechtliche Dimensionen einer Zweckbindung Der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung könnte dagegen durch das Zusammenspiel der Grundsätze der Zweckbindung (vgl. etwa § 29 Abs. 1 S. 3 BPolG786) und der Zweckänderung sichergestellt werden. Inhaltlich belastbar sind diese Grundsätze, wenn es sich bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung notwendigerweise um zu trennende Zwecke handelt (1) und sich aus der Zweckverschiedenheit zwingende verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Zweckänderung ergeben (2).

784  Ausführlich mit zahlreichen weiteren Nachweisen, Bäcker, Die Polizei im Verfassungsgefüge, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, Kap. B Rn.  229 ff. 785  BVerfGE 120, 378 (422): „Eine Ermächtigung zum Zugriff auf sogenannte Mischdateien, die sowohl strafprozessualen als auch präventiven Zwecken dienen, widerspricht dem Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit nicht, sofern jedenfalls die Zugriffszwecke bestimmt sind. Es muss erkennbar sein, ob der Zugriff selbst ausschließlich oder im Schwerpunkt präventiven oder repressiven Zwecken oder beiden dient.“ 786  Gesetz über die Bundespolizei (Bundespolizeigesetz – BPolG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978), zuletzt geändert durch Art. 8 Gesetz zur Regelung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien vom 23.06.2021 (BGBl. I S. 1982).



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(1) Zweckbindung Eine sicherheitsrechtliche Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ könnte nur dann hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Gebots der Zweckbindung materiell etwas aussagen, wenn sich „Prävention“ und „Repression“ nicht unter einen gemeinsamen staatlichen Zweck subsumieren ließen. Ein solcher teleologischer Oberbegriff könnte die innere Sicherheit787 darstellen, so dass durch die Verschmelzung zu einer Funktionseinheit weitergehende Zweckbindungsüberlegungen zwischen „präventiver“ Gefahrenabwehr und „repressiver“ Strafverfolgung obsolet würden, da Zweckänderungshürden ungeachtet ihrer Reichweite überhaupt nicht zur Anwendung kämen.788 Der „bereichspezifische“ Verwendungszweck für den gemeinsamen Staatszweck der inneren Sicherheit könnte deshalb uferlos werden, da jede Nichteinhaltung einer Vorschrift der Rechtsordnung potentiell die innere Sicherheit berühren kann.789 Ein solcher uferloser und programmatischer einheitlicher Handlungszweck für die Arbeit der Sicherheitsbehörden könnte allerdings – abhängig von der Intensität der staatlichen Maßnahme – schon aus Gründen der mangelnden Bestimmtheit grundrechtsrelevant sein. In diesem Fall böte der Grundsatz der Zweckbindung keinen weitreichenderen verfassungsrechtlichen Schutz im Sicherheitsrecht. Umgekehrt folgt aus der möglichen Verfassungswidrigkeit eines einheitlichen Handlungszwecks aber noch keine Notwendigkeit für eine dichotome Zweckunterscheidung zwischen der „Prävention“ und der „Repression“.790 Der Zweckbindungsgedanke beinhaltet deshalb zunächst keine Aussage über eine grundsätzliche informationelle Trennung zwischen „präventiver“ 787  Zu diesem Vorschlag im Kontext des Zweckbindungsgedankens Rogall, Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt, 1992, S. 54 ff.; Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 1984, S. 110 ff., 173 ff., 188 f. sowie Scholz/Pitschas, AöR 110 (1985), S. 489 (510); so lässt sich auch Isensee verstehen, wenn er aus einem Grundrecht auf Sicherheit auf eine innere Verknüpfung der präventiven und repressiven Sicherheitsaufgaben zu einem gemeinsamen Zweck schließt, Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 21 ff.; in diese Richtung ebenfalls BVerwGE, NJW 1990, 2768 (2769  f.); a.  A. die h.  M., die stets eine Zweckänderung zwischen präventiver und repressive Tätigkeit erkennt, vgl. m. w. N. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 134 ff. 788  Rachor, Vorbeugende Straftatenbekämpfung und Kriminalakten, 1989, S. 238 ff. 789  Etwa Rachor, Vorbeugende Straftatenbekämpfung und Kriminalakten, 1989, S.  238 ff.; Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996, S. 210 ff.; so aber der Vorschlag bei Scholz, Rupert/Pitschas, Rainer, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, 1984, S. 188 ff. 790  So aber m. w. N. Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996, S. 211 f.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Gefahrenabwehr und „repressiver“ Strafverfolgung.791 Der Grundsatz der Zweckbindung statuiert darüber hinaus kein verfassungsrechtliches RegelAusnahme-Verhältnis zugunsten eines abgeschotteten Verarbeitungszusammenhangs.792 Erst die einfachrechtliche Ausgestaltung kann eine Zweck­ bindung sowie deren Umfang festlegen.793 Dennoch ist eine fehlende Zweckbindung bei der Überprüfung sicherheitsrechtlicher Eingriffsermächtigungen verfassungsrechtlich relevant. Die Möglichkeiten einer weitreichenden Datenübermittlung und -nutzung können bei einer Grundrechtsprüfung erheb­ lichen Einfluss haben und die Eingriffsintensität erheblich erhöhen. Sind Datenerhebungsmaßnahmen nur mit Blick auf die spezifischen Aufgaben ­einer Behörde grundrechtlich gerechtfertigt und dürfen diese dennoch ohne weiteres durch eine andere Behörde oder mit einer anderen Zwecksetzung genutzt werden, kann dies ein Grund für die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Ermächtigung sein.794 Daher besteht ein besonderes Bedürfnis der Rechtsetzer für besonders enge Zweckbindungsbegriffe, welche dazu imstande sind, die exekutive Tätigkeit effektiv zu beschränken. Eine Zwecksetzung mit Hilfe der Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ ist nicht möglich, sind sie doch (noch) weniger konturiert als die Begriffe der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, da sich aus beiden Teilen des Begriffspaars der Zweck sowohl einer gefahrenabwehrenden wie auch einer strafverfolgenden Tätigkeit ableiten lässt.795 Insoweit wirkt die begriffliche Unterscheidung kompetenzerweiternd statt kompetenzbeschränkend und kann deshalb einfachrechtliche Zweckänderungsvorschriften umgehen. Die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und 791  Gegen die „Osmose“ von Prävention und Repression Kempf, Moderne Datenverarbeitung und strafprozessuale Rechte von Beschuldigten, in: Bäumler (Hrsg.), „Polizei und Datenschutz“, 1999, S. 59 (61). 792  M. w. N. Albers, Umgang mit personenbezogenen Informationen und Daten, in: Hoffmann-Reim/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 2. Aufl. 2012, § 22 Rn. 123. 793  So schon BVerfGE 65, 1 (46) – Volkszählung: „Die Verwendung der Daten ist auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt“ (Hervorhebung durch den Verfasser); entschieden anderer Ansicht Bodenbenner, der induktiv aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip einen verfassungsrechtlichen Zweckbindungsgrundsatz versucht abzuleiten, aus dem sich das Erfordernis einer gesetzlichen Zweckänderungsgrundlage ergibt, Präventive und repressive Datenverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung des Zweckbindungsgedankens, 2017, S. 93 ff. 794  BVerfGE 100, 313 (389 f.); 109, 279 (377 f.); Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 323 ff.; Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996, S. 276 ff. 795  Gerade im Vorfeldbereich kommt es auf die sprachliche Stoßrichtung der Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ an, vor allem nach der Einführung der „Gegenständlichkeits“-Dimension, vgl. schon oben unter D. I. 1. c).



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„Repression“ könnte zur systematisierenden Erfassung der bestehenden einfachrechtlichen Zweckänderungsvorschriften dienen. (2) Zweckänderung Die Zweckbindung kann die informationelle sicherheitsbehördliche Tätigkeit nur dann effektiv und rechtsstaatlich sinnvoll beschränken, wenn umgekehrt eine Zweckänderung materiell voraussetzungsvoll ist. Die unterschiedlichen Gesetzgeber haben zahlreiche und disparate Regelungen zur Zweckänderung geschaffen, die sich zu einem Doppeltürmodell verdichten lassen, das expressis verbis jedoch nicht an die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ anknüpft: Eine Zweckänderung ist dann rechtmäßig, wenn sowohl die Voraussetzungen der Datenweitergabe wie auch diejenigen der Datenentgegennahme erfüllt werden.796 Die Zweckänderungsregelungen zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht können dabei als normativ zentrale Stellschraube für eine grundrechtskonforme Ausgestaltung des Sicherheitsrechts genutzt werden. Diese weisen aber in der bisherigen Ausgestaltung durch die Gesetzgeber keine großen Hürden auf. So ist nach § 161 Abs. 1 StPO eine Datenverarbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden ohne weiteres zulässig, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften anderes regeln. Die Landespolizeigesetze haben von beschränkenden Regelungen nur vereinzelt Gebrauch gemacht.797 An dieser Stelle zeigt sich, wie abhängig die inhaltliche Reichweite einer Zweckbindung von der Ausgestaltung der Zweckänderung ist. In der StPO findet sich der Versuch, die inhaltlichen Hürden für die Zweckänderung zu erhöhen und damit mittelbar die einfachrechtliche ausgestaltete Zweckbindung zu stärken. Die Rechtmäßigkeit einer gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahme, infolge derer Beweise für den Strafprozess gesichert werden können, hat nicht zwangsläufig ihre Verwertbarkeit im Strafprozess zur Folge. Vielmehr unterliegt der Strafprozess wegen verfassungsrechtlicher Gewährleistungen sowie deren einfachrechtlichen Ausprägungen eigener Funktionslogiken. § 161 Abs. 3 und 4 StPO ist Ausdruck des Gedankens des so genannten „hypothetischen Ersatzeingriffs“. Danach dürfen insbesondere gefahrenabwehrrechtlich gewonnene Erkenntnisse798 im Strafverfahren nur zu Beweiszwecken verwendet werden, wenn diese der Aufklärung 796  Instruktiv Schwabenbauer, Informationsverarbeitung im Polizei- und Straf­ verfahrensrecht, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. G Rn. 225 ff. 797  Vgl. mit zahlreichen weiteren Nachweisen Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 138 ff. 798  Vgl. dazu auch BT-Drs. 16/5846, S. 64.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

einer Straftat dienen, zu deren Aufklärung die StPO ihrerseits eine solche Maßnahme vorsieht. Damit behält sich die StPO zumindest die Art der zulässigen Maßnahmen und ihren Zweck (Anforderungen an die Straftat) sowie die Mittel (numerus clausus von zulässigen Maßnahmen) vor. Fraglich ist, ob darüber hinaus die Anforderungen der StPO-Normen hinsichtlich Prozedur und Inhalt für die strafprozessuale Verwertung erfüllt sein müssen („Haben bei der Datenerhebung die Voraussetzungen auch der strafprozessualen Eingriffsgrundlage vorliegen müssen?“). Die rechtswissenschaftliche Literatur bejaht dies mit dem Hinweis auf Umgehungsbedenken, die Sicherung der Grundrechte im Strafverfahren sowie Zwecküberlegungen.799 Aus der Begründung des Gesetzentwurfs und seiner Formulierung „um einer Umgehung der engen strafprozessualen Anordnungsvoraussetzungen vorzubeugen“ lässt sich kein eindeutiges Ergebnis entnehmen.800 Die Rechtsprechung und Kommentarliteratur lässt die ursprüngliche Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, die nicht im Rahmen des strafprozessualen Verfahrens erfolgte, genügen, so dass nicht zwingend sämtliche Eingriffsvoraussetzungen der StPO verwirklicht sein müssen.801 § 161 Abs. 3 und 4 StPO stelle damit keine weiteren inhaltlichen Anforderungen an den ursprünglichen Zweck. Wird gegen die Vorschrift des § 161 Abs. 3 und 4 StPO verstoßen, führt dies zu einem Beweisverwertungsverbot im Strafprozess, nicht aber zu einem Verwendungsverbot im laufenden Ermittlungsverfahren.802 Auch die Landesgesetzgeber haben versucht, Hürden zur Stärkung der Zweckbindung aufzustellen. So sieht etwa § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HSOG vor, dass die Weiterverarbeitung von Daten innerhalb der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden dem Schutz derselben Rechtsgüter oder zur Verhütung derselben Straftaten dienen muss. Zwar setzt diese Vorschrift der Zusammenarbeit von Gefahrenabwehrbehörden mit den Strafverfolgungsbehörden keine Grenzen, sie zeigt aber demgegenüber Möglichkeiten auf, wie auch in diesem Verhältnis zukünftig Regelungen getroffen werden können. Dabei kann der 799  Singelnstein, ZStW 120, S. 854 (880 ff.); Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rn. 358; Engelhardt, Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten im Strafprozess, 2011, S. 172 ff. 800  BT-Drs. 16/5856, S. 64; BR-Drs. 275/07, S. 148. 801  Ralf Kölbel, in: Knauer/Kudlich (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Straf­ prozessordnung, Band 1, 2014, § 161 Rn. 47; Marcus Köhler, in: Meyer-Goßner/ Schmitt (Hrsg.), Strafprozessordnung, 65. Aufl. 2022, § 161 Rn. 18c; Volker Ziegler/ Helmut Vordermayer, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2016, § 161 Rn. 27; aber auch BGH NStZ-RR 2016, S. 176 sowie BGHSt 62, 123. 802  Volker Ziegler/Helmut Vordermayer, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2016, § 161 Rn. 27; m. w. N. Marcus Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt (Hrsg.), Strafprozessordnung, 65.  Aufl. 2022, §  161 Rn. 18c sowie Einl. Rn. 55a und 57d.



I. Sicherheitsverfassungsrecht211

Fokus auf die Gleichwertigkeit der geschützten Rechtsgüter und der verfolgten oder zu verhütenden Straftaten gelegt werden, die eine Weitergabe der erlangten Daten erlauben können. Die darüber hinaus bestehenden vielgestaltigen Zweckänderungsregelungen (vgl. nur die §§ 21 ff. HSOG), die ein empirisches Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten einer mehr oder minder voraussetzungsvollen Zweckänderung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung statuieren, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein solches normatives Regel-Ausnahme-Verhältnis von der Verfassung nicht vorgegeben ist.803 In diesem Sinne hält das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum BKA-Gesetz eine Zweckänderung innerhalb derselben Behörde für verfassungskonform, wenn sie einem in der Ermächtigungsgrundlage für die Datenerhebung enthaltenen Zweck entspricht und dem Schutz derselben Rechtsgüter dient.804 Eine strikte Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist damit auch vor diesem Hintergrund weder systematisch noch verfassungsrechtlich geboten. Es mutet daher irritierend an, wenn die ganz herrschende Meinung eine Zweckbindung zwischen „Prävention“ und „Repression“ mit der Begründung annimmt, ansonsten werde das einfachrechtliche Schutzniveau unterlaufen.805 Diese Wahrnehmung des geltenden Rechts birgt drei Gefahren: Erstens können mit dieser strukturellen Differenzierung materiellrechtliche Absicherungen für das Sicherheitsrecht durch die Rechtswissenschaft suggeriert werden, die jedoch ausschließlich von der positivrechtlichen Ausgestaltung abhängen; die geltenden Regelungen über die Zweckänderung zwischen gefahrenabwehrrechtlichen und strafverfolgenden Tätigkeiten sind jedoch durch ihre weitgehende Voraussetzungslosigkeit nicht oder nur sehr eingeschränkt freiheitsschonend. Zweitens könnten sich die Gesetzgeber zu Unrecht damit beruhigen, dass ihre derzeitigen Regelungen ausreichend restriktive Zweckbindungsvorschriften enthalten oder dass sie auf das Modell einer Zwecktrennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ festgelegt seien.806 Drittens 803  Bodenbenner, Präventive und repressive Datenverarbeitung unter besonderer Berücksichtigung des Zweckbindungsgedankens, 2017, S. 67 ff., 243: Grundsätzliches Verbot zweckändernder Datenverwendung, mit Verweis auf: BGHSt 29, 244 ff.; Welp, NStZ 1995, 602 (604); dagegen Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996, S. 249 ff. sowie in diese Richtung BVerfGE 141, 220 (324 ff.). 804  BVerfGE 141, 220 (324 f.). 805  Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 135 f.; Engelhardt, Verwendung präventivpolizeilich erhobener Daten im Strafprozess, 2011, S. 91 f.; Grawe, Die strafprozessuale Zufallsverwendung, 2008, S. 354 ff.; Riegel, ZRP 1991, S. 286 (288); Rogall, NStZ 1992, S.  45 (47 f.); Siebrecht, StV 1996, S. 566 (569 f.); Wolter, JURA 1992, S. 520 (532). 806  Das Bundesverfassungsgericht verlangt dagegen, dass „Zwecke, zu denen personenbezogene Daten übermittelt und weiter verwendet werden dürfen, bereichsspe-

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

birgt die dichotome Wahrnehmung die Gefahr, dass die sprachlichen und inhaltlichen Überschneidungsmöglichkeiten zwischen den Begriffen „Prävention“ und „Repression“ die positivrechtlichen Zweckänderungsvorschriften materiell unterlaufen und dadurch die gesetzgeberische Bindungen staat­ lichen Handelns erschweren. Der Differenzierung wohnt nämlich weder eine materielle noch eine temporale noch eine gegenseitig ausschließende Stoßrichtung inne,807 sondern sie eröffnet den befugten Behörden neue Legitimationsmöglichkeiten für ihr Handeln, so dass rechtsstaatlich gebotene Zweckänderungsvorschriften überhaupt nicht zur Anwendung gelangen. Mit den semantischen Wortfolgen „präventiver Repression“ bzw. „repressiver Prävention“808 kann sogar eine Zweckvereinbarkeit für „präventives“ und „repressives“ Handelns erkannt werden, die zwar grundsätzlich grundrecht­ liche Anforderungen strukturell sicherstellen kann;809 die daraus resultierenden weitreichenden Nutzungsmöglichkeiten von Daten können aber gleichermaßen die Verfassungswidrigkeit einer Rechtslage begründen. Zweckvereinbarungen lassen sich mit den zahlreichen sprachlichen Stoßrichtungen von „Prävention“ und „Repression“ je nach gewünschtem Ergebnis leicht begründen. Beispiel: Die Strafverfolgungsvorsorge lässt sich gegenständlich „repressiv“ und zeitlich „präventiv“ begreifen. Daten, die zum Zwecke der „präventiven“ Gefahrenabwehr erhoben werden, lassen sich unter Hinweis auf die zeitlich „präventive“ Strafverfolgungsvorsorge und der damit einhergehenden Zweckvereinbarung zur Strafverfolgungsvorsorge nutzen. Demgegenüber lassen sich Daten, die einer „repressiven“ Strafverfolgungsmaßnahme entspringen, ebenfalls für die gegenständlich „repressive“ Strafverfolgungsvorsorge nutzen. Die vermeintliche Zweckbindung für „präventive“ oder „repressive“ Zwecke droht damit beliebig zu werden.

Daher sollte der Gesetzgeber keine allzu hohen Normativitätserwartungen in die Unterscheidung legen, wenn er bestimmte Maßnahmen unter den Vorbehalt eines „präventiven“ oder „repressiven“ Zwecks stellt.810 Umgekehrt sind die Gesetzgeber nicht daran gebunden, hinsichtlich der Zweckfestlegungen zwischen „Prävention“ und „Repression“ zu differenzieren. Aus den zifisch und präzise festzulegen“ sind; wie aber diese bereichsspezifische Zweckfest­ legung konkret ausgestaltet wird, bleibt den Gesetzgebern überlassen, BVerfGE 100, 313 (389). 807  Weder sprachlich (siehe unter A. II.), noch kompetenzrechtlich (siehe unter D. I. 1.), noch normativ (vgl. sogleich unter D. II.). 808  Aufgrund der temporalen und der gegenständlichen Stoßrichtung ohne weiteres möglich, vgl. dazu oben A. II. und D. II. 809  Grundlegend Eifert, Zweckvereinbarkeit statt Zweckbindung, in: Gropp/Lipp/ Steiger (Hrsg.), Rechtswissenschaft im Wandel, 2007, S. 139 ff. 810  Etwa in den Gesetzgebungsmaterialien.



I. Sicherheitsverfassungsrecht213

grundrechtlichen Gewährleistungen folgt zwar, dass die gesetzlichen Zwecke „bereichsspezifisch und präzise“811 festzulegen sind. Es folgt daraus aber gerade keine notwendige bereichsspezifische Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“. Gleichermaßen darf der Rechtsanwender das Erfordernis einer (verfassungsrechtlichen) Zweckänderungsanforderung im vermeintlichen Grenzbereich zwischen „Prävention“ und „Repression“ nicht unterstellen, wenn der Gesetzgeber ein solches Erfordernis nicht geregelt hat und auch nicht regeln wollte. Rechtsetzer sollten deshalb bei allen grundrechtssensiblen Maßnahmen – ungeachtet ihrer bisherigen gesetzlichen Praxis – neue und enger zu fassende Zwecke verfassungskonform formulieren.812 So besteht etwa die Möglichkeit, im Vorfeldbereich erlangte Daten (Vorsorge- oder Risikosteuerungsmaßnahmen) unter einen Zweckänderungsvorbehalt zu stellen, wenn sie im Rahmen der präemptiven Gefahrenabwehr oder der reaktiven Strafverfolgung genutzt werden; ein solcher einfachgesetzlicher Zweckänderungsvorbehalt kann im Gegensatz zu einer abstrakten Differenzierung zwischen „Prävention“ und „Repression“, die im positiven Recht nur geringe Hürden aufstellt, die Gleichwertigkeit der durch die Maßnahmen in Bezug genommenen Rechtsgüter und Straftaten gewährleisten. d) Institutionelle Kooperationsgebote Die Vielgestaltigkeit möglicher Beeinträchtigungen der Sicherheit zeigt sich auch in einer im besonderen Maße ausdifferenzierten arbeitsteiligen Behördenstruktur.813 Zentrale institutionelle Akteure sind die Polizeibehörden: Sie sind hinsichtlich ihrer Personenanzahl die mit Abstand größten Sicherheitsbehörden und ihnen kommen als „Fachbehörde für Kriminalitäts­ verhütung und -verfolgung“ Querschnittsaufgaben zu. Durch ihre „strafrechtsinduzierte Allzuständigkeit“ haben sich die Polizeibehörden institutionell, horizontal und funktional nach Lebensbereichen aufgefächert (etwa Autobahnpolizei, Kriminalpolizei etc.).814 Da auch die Ausführung von Bundes811  BVerfGE 100, 313 (389); zu der grundrechtlich gebotenen Bestimmung von präzisen Zwecken im Informationsverwaltungsrecht vgl. das Volkszählungsurteil BVerfGE 65, 1 (46). 812  Zu der grundsätzlichen Möglichkeit der Bildung neuer Rechts(satz)begriffe BVerfGE 141, 220 (324). 813  Dazu im Überblick Rachor/Roggan, Organisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste in Deutschland, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. C Rn. 1 ff. 814  Rachor/Roggan, Organisation der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste in Deutschland, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. C Rn. 3 f.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

gesetzen grundsätzlich den Ländern obliegt, adressieren die Ermächtigungen der bundesrechtlichen StPO auch die Landespolizeibehörden. Diese Aufgabenkumulation von Landes- und Bundesrechtsmaterien zeigt sich insbesondere bei den Kriminalpolizeibehörden. Sie unterfallen dem institutionellen Polizeibegriff, sind räumlich regelmäßig in den Polizeipräsidien angesiedelt und haben aber vor allem die spezielle Aufgabe der Strafverfolgung unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaften gemäß § 161 Abs. 1 S. 1 StPO. Zugleich sind sie aber schon seit Einführung der Staatsanwaltschaft genuin zur Verbrechensverhütung ermächtigt.815 Auch die Schutzpolizei nimmt weitreichende strafverfolgende Tätigkeiten vor, so dass schon funktional keine Trennung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei besteht; gerade im Bereich der mittleren und unteren Kriminalität wird sie in hohem Maße strafverfolgend tätig.816 Die institutionelle Konzentration und Kooperation beim Vollzug von Rechtsmaterien, die durch unterschiedliche Rechtsetzer geregelt werden, ist damit bei den Polizeibehörden konzeptionell vorgegeben. Die fehlende institutionelle Trennung innerhalb der Polizeibehörden soll durch die Aufsicht der Staatsanwaltschaft im Anwendungsbereich der StPO abgefedert werden. Im Bereich der operativen Ermittlungsarbeit, in der die Polizeibehörden selbst durch die StPO ermächtigt werden, kann sich die Befugniskonzentration in besonders grundrechtssensiblen Bereichen, etwa bei der polizeilichen Informationsarbeit, als Problem darstellen: hier stehen den Polizeibehörden parallele Legitimationsstränge aus unterschiedlichen Kodifikationen, denen unterschiedliche Teleologien zugrunde liegen, zur Informationsbeschaffung zur Verfügung. Die institutionelle Struktur bedeutet zugleich, dass aus grundrechtlicher Perspektive die gesetzgeberische Formulierung enger Zweckbindungen Grundrechtsschonung bedeuten kann.817 Die Behördenorganisation der für den Gesetzvollzug im Regelfall zuständigen Landesbehörden obliegt den Ländern. Dieser dezentralen Polizeistruktur korrespondiert eine horizontale Verklammerung zwischen den Ländern bzw. durch den Bund: „Kompetenzteilung und Kooperation – jeweils sowohl in der Horizontalen wie in der Vertikalen – sind im Bundesstaat zwei Seiten derselben Medaille; erst gemeinsam machen sie erfolgreiche Sicherheitsgewährleistung im Bundesstaat möglich.“818 Dieses gesetzgeberische Kooperationsparadigma zeigt sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Kooperation zwischen Schutzpolizei und Kriminalpolizei bei der gemeinsamen (!) Erfüllung der gemeinsamen (!) Aufgaben Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Im Kampf mit dem Verbrechertum, 2016, S. 15. Verdeckt technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 489. 817  Dazu soeben unter D. I. 2. c). 818  Möstl, Die Verwaltung 41 (2008), S. 309 (316). 815  Glorius,

816  Brodowski,



I. Sicherheitsverfassungsrecht215

Sinne des § 2 Abs. 1 HSOG-DVO819, Übertragung von Ermittlungsbefugnissen auf die Polizeibehörden durch die StPO, ad-hoc Kooperationen und Mischdateien820, Amtshilfe zwischen den Bundesländern, Koordinationsfunktion des BKA und des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie die Sonderpolizei des Bundes.821 Ein institutionelles Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden („Prävention“) und Strafverfolgungsbehörden („Repression“) ist weder dem Grundgesetz noch der einfachrechtlichen Ausgestaltung zu entnehmen. Eine trennscharfe Abgrenzung von institutionellen Kompetenzen kann freilich als Form der Gewaltenteilung zur Grundrechtsschonung beitragen und Argument für die Verfassungsmäßigkeit eines grundrechtlichen Eingriffs sein. Eine strikt dichotome Zugriffsoption auf das institutionelle Sicherheitsrecht ist dagegen unterkomplex und birgt schon bei der Erfassung von Aufgabenzuweisungen die Gefahr, dass Behörden Aufgabenüberschneidungen mit anderen Behörden vermeiden wollen. Die institutionelle Kooperation in einem föderalen Sicherheitsrecht ist aber darauf angelegt, dass Parallelstrukturen tatsächlich ausgeschöpft werden und die Behörden sich mit unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Herangehensweisen ergänzen. Auch institutionelle Überschneidungen von Kompetenzen können aus dieser Perspektive ein Ausdruck von Gewaltenteilung sein. Andernfalls besteht die Gefahr des gegenseitigen Verweises auf die Zuständigkeit der jeweils anderen Behörde.822 Aus der einfachrechtlichen institutionellen Trennung von Behörden darf jedenfalls nicht gefolgert werden, dass institutionelle Überschneidungen bei der Anwendung des einfachen Rechts die begründungsbedürftige Ausnahme darstellen. Die Verfassung trifft demgegenüber keine grundsätzliche Aussage hinsichtlich der institutionellen Kooperation und Trennung von Sicherheitsbehörden.823

819  Verordnung zur Durchführung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und des Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetzes (HSOG-DVO) vom 12.06.2007 (GVBl. I S. 323), zuletzt geändert durch Art. 1 Siebente Änderungsverordnung vom 02.12.2021 (GVBl. S. 819). 820  Instruktiv BVerfGE 120, 378 (Rn. 151). 821  Ausführlich Möstl, Die Verwaltung 41 (2008), S. 309 (317 ff.). 822  Dieses (tatsächliche) Zuständigkeitsvakuum kann mit einer „Kultur der Verantwortung“ bei der Bekämpfung von organisiertem Terrorismus geschlossen werden, vgl. die Pressemitteilung der Expertenkommission des Freistaats Sachsen „Polizeiliche Ermittlungsarbeit und Strafvollzug bei terroristischen Selbstmordattentätern am Fall al-Bakr“ vom 24. Januar 2017, S. 2 f. 823  Umstritten hinsichtlich der Geheimdienste und Verfassungsschutzbehörden; dort ergibt sich ein institutionelles Trennungsgebot jedenfalls erst reflexhaft aus möglichen Grundrechtsverletzungen der konkreten Maßnahmen, vgl. oben unter D. I. 2. c) aa).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

e) Zwischenergebnis Die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ lässt mate­ riell-verfassungsrechtlich keine unterschiedlichen Vorgaben erkennen. Das Schutzniveau der Grundrechte ist nicht davon abhängig, ob ein Eingriff zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung ergeht. Umgekehrt wiegen Eingriffe zum Zwecke der „präventiven“ Gefahrenabwehr nicht leichter als Eingriffe zum Zwecke der „repressiven“ Strafverfolgung. Es kann daher nur folgerichtig sein, wenn das verfassungsrechtliche Gebot der hinreichenden Bestimmtheit von Normen seine Anforderungen nicht davon abhängig macht, ob eine Norm zu Eingriffen im Rahmen der Gefahrenabwehr oder im Rahmen der Strafverfolgung ermächtigt. Ebenso trifft die Verfassung keine Aussagen über eine institutionelle Trennung von „präventiven“ und „repressiven“ Sicherheitsbehörden. Den informationellen Trennungen im Sicherheitsrecht kommt dagegen stets ein materieller Gehalt zu. Zwar sind der Verfassung keine abstrakten Trennungsgebote zu entnehmen, ihre einfachrechtliche Ausgestaltung ist aber regelmäßig für eine grundrechtskonforme Datenerhebung notwendig. Das inhaltliche Schutzniveau hängt dabei von den Hürden der einfachrechtlichen Zweckänderungsvorschriften ab. Die derzeit geltenden Hürden für die Zweckänderung zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht sind niedrig. Die Betonung der strukturellen informationellen Differenzierung im einfachen Recht zwischen „Prävention“ und „Repression“ birgt daher die Gefahr, ein (zu) niedriges Schutzniveau zu verschleiern, den Gesetzgeber vordergründig zu beruhigen und über mögliche verfassungswidrige Rechtslagen hinwegzutäuschen. 3. Zusammenfassung Die vorstehenden verfassungsdogmatischen Erkenntnisse werden nachfolgend zusammengefasst und gleichzeitig mit dem semantischen, dem theoretischen und dem historischen Kontext von „Prävention“ und „Repression“ verknüpft. Das Exklusivitätsnarrativ und -denken zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist vorkonstitutionell; es entstammt der Epoche der Aufklärung und den von ihr ausgehenden Bestrebungen nach Gewaltenteilung. Das Grundgesetz hat die Kompetenzzuweisung des Strafrechts und des strafgerichtlichen Verfahrens in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und 4 GG an den Bund aus der Reichsverfassung von 1871 übernommen. Eine ausdrückliche Gegenüberstellung von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung fand durch die Änderungen der Absätze 3–5 des Art. 13 GG statt. Art. 13 GG ist eine Ausnah-



I. Sicherheitsverfassungsrecht217

meerscheinung im Grundgesetz und hebt das grundrechtliche Schutzniveau für Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung an, indem die bisherige einfachrechtliche Regelungstechnik aufgegriffen und verfassungsrechtliche Ausnahmen bei der Wohnraumüberwachung in eng gezogenen Grenzen formuliert wurden. Die Kompetenzordnung war nicht dazu angelegt worden und kann und will dementsprechend keine systematische Abgrenzung zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Bundesstaat schaffen. Vielmehr hat neben dieser Gesetzgebungskonkurrenz auch die Zuweisung gefahrenabwehrrechtlicher Spezialmaterien, die Teil der genuinen Gesetzgebungszuständigkeit der Länder waren, an den Bund zur föderalen und inhaltlichen Fragmentierung des Sicherheitsrechts beigetragen. Mit Tanneberger lässt sich deshalb konstatieren, dass gerade die Einführung des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG „vor Augen [führt], dass die föderale Kompetenzverteilung im Recht der inneren Sicherheit schwerlich unter Rückgriff auf Großformeln wie etwa die ‚Polizeihoheit der Länder‘ bzw. die Gegenüberstellung von Prävention als Länder- und Repression als Bundesaufgabe beschreibbar ist“824. Deshalb ist erst recht auch nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber im Rahmen der „Sicherheitsverfassung“ an ein Prinzip bundesstaatlicher Kompetenzverteilung im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung gebunden.825 Inhaltliche Bedenken hinsichtlich neuartiger Regelungsmuster im Vorsorgebereich lassen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes als alleinigen Maßstab rechtsstaatlich unzureichend erscheinen; wichtige inhaltliche Maßstäbe sind dann die Grundrechte, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Bestimmtheitsgrundsatz, die eine verfassungsrechtliche Kontrolle sicherheitsrechtlicher Ermächtigungen auch im Bereich bloßer Vorfeldprognosen ermöglichen.826 Dies unabhängig davon, welcher der vielen denkbaren sicherheitsrechtlichen Zwecke verwirklicht werden soll. Aus den Verfassungsbestimmungen folgt gerade kein (auch kein typisiertes) temporales Element für die Zuordnung von Maßnahmen zur Gefahren­ abwehr und Strafverfolgung, welches für das tradierte polizeirechtliche Verständnis ein wesentliches Kriterium für die Verhältnisbestimmung zwischen „präventiver“ Gefahrenabwehr und „repressiver“ Strafverfolgung war. Es wurde mit der kompetenzrechtlichen Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zum Strafverfahren durch die Rechtsprechung aufgegeben. Zugleich Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 279. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, 2002, S. 472; so implizit Brodowski, dessen Vorschlag hinsichtlich eines neuen Kompetenztitels des Bundes im Bereich der Straftatenverhütung (Art. 74 Abs. 1 ­ Nr. 34 GG n. F.: „Verhütung von Straftaten“) deshalb nicht an den Hürden des Art. 79 Abs. 3 GG scheitert, Verdeckt technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 572 f. 826  Lepsius, JURA 2006, S. 929 (934). 824  Tanneberger, 825  Vgl.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

werden die Adjektive der Begriffe (präventiv/repressiv) zur Ermittlung der Gesetzgebungskompetenz als hinreichendes oder notwendiges (deskriptives) Tatbestandsmerkmal herangezogen. Spätestens mit den höchstrichterlichen Entscheidungen zur Strafverfolgungsvorsorge („zeitlich präventiv, gegenständlich aber repressiv“) ist eine zeitliche Unterscheidung als notwendiges Tatbestandsmerkmal nicht mehr aufrechtzuerhalten. Für die teleologische Bestimmung von Gesetzgebungskompetenzen ist daher nicht (mehr) die temporale Differenzierung von „Prävention“ und „Repression“ für die Rechtsanwendung maßgeblich. Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes gibt es keinen Anknüpfungspunkt für ein dichotomes Verständnis zwischen „Prävention“ und „Repression“. Die Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ hat auch materiell-verfassungsrechtlich keine Bedeutung. Die Gewährleistung der Grundrechte hängt nicht davon ab, ob eine staatliche Maßnahme temporal oder gegenständlich „präventiv“ oder „repressiv“ ist, sondern richtet sich danach, um was für eine Maßnahme es sich handelt und ob sie im Stadium der Vorsorge, der Präemption oder der reaktiven Strafverfolgung stattfindet. Diese Begriffe stehen nicht in einem unmittelbaren Bedeutungszusammenhang und sie dürfen nicht trichotom verstanden werden, sondern können unter Um­ ständen lediglich grundrechtliche Gefährdungslagen signalisieren. Um den grundrechtlichen Gewährleistungen Rechnung tragen zu können, ist regelmäßig eine restriktive Zweckvorgabe notwendig. Eine Differenzierung zwischen „präventiven“ und „repressiven“ Zwecken kann keine hinreichende Einschränkung staatlichen Handelns gewährleisten, weil den Begriffen beliebige Stoßrichtungen und Bedeutungen innewohnen. Aufgrund dieser in semantischer, aber auch normativer Hinsicht kontravalenten Bedeutungsentwicklung von „Prävention“ und „Repression“ hinsichtlich unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Fragen ist ein Verzicht auf die Begriffe angezeigt. Sie sind als Chiffren selbst gerade nicht – weder heuristisch noch normativ – erkenntnisleitend. Sie haben sich an dieser Stelle gar aufgrund von Unklarheiten durch uneinheitliche Abstraktion, von Kommunikationshemmnissen (durch die Kontroverse über die gegenständliche statt der zeitlichen Bedeutung) und von Begründungslastverschiebungen contra legem827 als epistemisch dysfunktional erwiesen. Sowohl das Bundesverfassungsgericht wie auch das Bundesverwaltungsgericht haben dieser Entwicklung sprachlich Rechnung getragen und verwenden die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ zurückhaltend und lediglich synonym zur Gefahrenabwehr

827  Etwa bei der Frage der Gesetzgebungszuständigkeit haben sie zu einem gesteigerten semantischen Legitimationsdruck für die Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zum „gerichtlichen Verfahren“ geführt, vgl. D. I. 1. c).



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht219

und Strafverfolgung.828 Dennoch hat die Untersuchung offengelegt, dass sich ein unreflektiertes Exklusivitätsdenken auf ein dichotomes Begriffs(vor)verständnis zurückführen lassen kann. Dieses Vorverständnis hat nicht nur semantisch zu konkret erkennbaren Begründungslastverschiebungen bei der Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen geführt, sondern birgt darüber hinaus auch die Gefahr, die beiden Zwecke inhaltlich gegeneinander auszuspielen und irrationalen Legitimationsdruck auszulösen.

II. Materielles operatives Sicherheitsrecht Neben einer verfassungsrechtlichen Determination könnte die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ durch die Sicherheitsgesetzgeber aufgegriffen worden sein bzw. die Unterscheidung könnte sich aus dem einfachen Recht induktiv herleiten lassen. Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verlangt den Rechtsetzern ab, weitgehend fragmentierte Rechtsrahmen zu schaffen, die verschiedene Behörden zum sicherheitsrechtlichen Handeln ermächtigen. Die Notwendigkeit auch von exekutiven Zuständigkeitsabgrenzungen wird dadurch vorgezeichnet. Dabei ist nicht nur die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen verschiedenen Behörden notwendig, sondern auch für eine Behörde kann die Wahl einer konkreten Ermächtigungsgrundlage und damit des rechtsanwendungsleitenden Prinzips unklar sein. Insbesondere bei den Landespolizeibehörden ist dies häufig der Fall: Sie sind nicht nur befugt, strafverfahrensrechtliche Ermittlungen aufzunehmen und durchzuführen, sondern können auch gefahrenabwehrrechtliche Verwaltungsverfahren anstoßen. Dabei bestehen in den unterschiedlichen Kodifikationen Ermächtigungen zu identischen Maßnahmen, zum Beispiel bei der Befragung/Vernehmung, Vorladung/Vorführung, Identitätsfeststellung, erkennungsdienstlichen Behandlung, Durchsuchung oder Speicherung und Übermittlung von Informationen. Die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ finden auch in diesem Bereich Verwendung. Es stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung der Unterscheidung dort zukommt. Im einfachen Sicherheitsrecht könnte sich eine Bedeutung der Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im so genannten „doppelfunktionalen“ Eingriffsrecht (1.) oder aus einer strukturellen Differenzierung zwischen dem Opportunitäts- und Legalitätsprinzip (2.) ergeben.

828  Nur so wurde die Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zum gerichtlichen Verfahren ermöglicht, vgl. BVerfGE 113, 348 (348 ff.); BVerwGE 141, 329 (329 ff.).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

1. „Doppelfunktionales“ Eingriffsrecht Die Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ könnte eine Doppelspurigkeit im Sicherheitsrecht abbilden; es gilt die damit verbundenen normativen (Vor-)Verständnisse mit dem geltenden Sicherheitsrecht abzugleichen. Inhaltlich sind zwei Fragen voneinander strukturell zu trennen: Die Frage nach der Begründung sicherheitsrechtlichen Handelns mit Hilfe einer Rechtsgrundlage ex ante (a–d) und das Überprüfen einer sicherheitsrecht­ lichen Maßnahme am Maßstab des geltenden Sicherheitsrechts (e)). a) Doppelfunktionalität strafprozessualer Eingriffsgrundlagen aa) Maßstäbe Einer Ermittlungsmaßnahme kommt innerhalb des Strafprozesses eine doppelte Funktion zu. Sie hat nicht nur prozessuale Funktion, indem sie als ausgesprochene Prozesshandlung Mittel zum Zweck des Prozesses ist. Ihr kommt daneben materielle Funktion zu, indem sie gerade unabhängig vom Ausgang des Strafprozesses eine Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit des Betroffenen darstellt. Eberhard Schmidt formuliert schon 1964 prägnant: „[Die strafprozessualen Ermächtigungsnormen] zeigen, daß derartige Eingriffe in den status libertatis, soweit das Prozeßrecht sie innerhalb des ­Prozesses ‚zuläßt‘, zugleich materiellrechtlich erfolgen ‚dürfen‘, d. h. aber ‚recht­mäßig‘ sind. Die Folge ist, daß die prozeßrechtlichen Normen insoweit zugleich als Rechtfertigungsgründe im materiellstrafrechtlichen Sinne fungieren, falls die prozeßrechtlich ‚zugelassenen‘ sich im Sinne des Strafrechts erweisen (z. B. StGB §§ 123, 239, 240).“829 Der prozessualen Zulässigkeit und der (in strafrechtlicher Hinsicht) materiellen Rechtmäßigkeit ließe sich als weitere Dimension die (öffentlich-rechtliche) Rechtmäßigkeit hinzufügen, sofern man diese nicht bereits unter die „materielle Rechtmäßigkeit“ fasst.830 Das Erkennen dieser Doppelfunktionalität fügt dem Strafprozessrecht eine zusätzliche Differenzierung zu. Aus dieser Erkenntnis heraus wird der Vorschlag de lege ferenda vertreten, das strafprozessuale Ermittlungsverfahren 829  Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I, 2. Aufl. 1964, S. 51 f.; ähnlich zu den „strafprozessualen Grundrechtseingriffen“ als prozessexterner Gesichtspunkt, der durch die prozessuale Funktion nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht wird Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, 1976, S. 15 f. 830  Dafür spricht die abstrakte Formulierung, „oder die ‚Rechtmäßigkeit‘ der gleichen Handlung im Hinblick auf ihre Auswirkung auf rechtliche geschützte Lebens­ interessen zu prüfen“, Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I, 2. Aufl. 1964, S. 52 a. E.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht221

als gerichtliches Vorverfahren entsprechend dem Widerspruchsverfahren im Verwaltungsprozess auszugestalten.831 Allerdings birgt ein solches Verständnis die Gefahr, dass wiederum der strafprozessuale Zweck verkürzt dargestellt wird. Die doppelte Funktion des Strafprozessrechts resultiert aus der teleologischen Doppelfunktionalität strafprozessualer Ermittlungsbefugnisse.832 Sie soll an den Beispielen des Erkennungsdienstes (aa)) und des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr (bb)) verdeutlicht werden. bb) Beispiel: Erkennungsdienst § 81b StPO differenziert in seinen beiden Alternativen ausdrücklich zwischen Maßnahmen zum Zwecke des Strafverfahrens (Alt. 1) und Maßnahmen zum Zwecke des Erkennungsdienstes (Alt. 2). Werden Lichtbilder oder Fingerabdrücke zum Zwecke des Strafverfahrens angefertigt, werden sie Bestandteil der Strafakte, um den Tatnachweis zu liefern oder eine Identifizierung des Täters zu ermöglichen, wohingegen erkennungsdienstliche Lichtbilder und Fingerabdrücke in den kriminalpolizeilichen Akten verbleiben, um die Kriminalpolizei bei der „Erforschung und Aufklärung von Straftaten“ zu unterstützen.833 Obwohl beide Ermächtigungen der StPO zugeordnet sind, könnte die erste Alternative als materielles Strafprozessrecht, die zweite Alternative als materielles Polizeirecht im Sinne einer Strafverfolgungsvorsorge834 eingeordnet werden.

831  Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 505 f. 832  Erste Ansätze bei von Hippel, Der deutsche Strafprozeß, 1941, S. 476; differenzierender Überblick bei Schroeder, der zwischen der Ermittlung, der Sicherung der Beweise, der Feststellung der Verfahrensvoraussetzungen, der Sicherung der Durchführbarkeit des Verfahrens, der Sicherung der Urteilsvollstreckung und der Verhütung von Straftaten (Kriminalitätsprophylaxe) differenziert, JZ 1985, S. 1028 (1029 ff.); äußerst kritisch hinsichtlich kriminalpräventiver Zwecke freilich Gärditz, Strafprozeß und Prävention, S. 52 ff., 93 ff. 833  M. w. N. Thomas Trück, in: Knauer/Kudlich (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 2014, § 81b Rn. 1 f. 834  Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass es ausreicht, dass ein Bezug zu einem Strafermittlungsverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt bestanden haben muss und dieses auch bei einer Verfahrenseinstellung oder einem rechtskräftigen Freispruch als Tatsachengrundlage fortwirkt; dies verdeutlicht die zukunftsgerichtete Ausrichtung der Norm, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.03.2019 – 6 B 163.18, BeckRS 2019, 8543 Rn. 8 ff. sowie BVerwGE 162, 275 ff.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

cc) Beispiel: Haftgrund der Wiederholungsgefahr § 112a Abs. 1 S. 1 StPO regelt die Inhaftierung eines Beschuldigten, wenn dieser dringend verdächtig ist, die in Nr. 1 und 2 genannten Straftaten zu begehen (Haftgrund der Wiederholungsgefahr). Es soll mithin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abgewehrt werden und zwar nach Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens. Es bestehen dementsprechend bei der Rechtsanwendung sowohl Zweifel hinsichtlich der Verwirklichung einer Straftat, die zum Führen eines Ermittlungsverfahrens berechtigen, wie auch hinsichtlich der befürchteten Wiederholungstat, die durch die Anwendung des § 112a Abs. 1 S. 1 StPO verhindert werden soll. Die Norm kann damit als „vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft“ „präventiv-polizei­ licher Natur“ sein und stellt eine „Ausnahme im System der Strafprozessordnung“ dar.835 Es seien aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen an diese präventive Sicherungshaft zu stellen836, weil sie keine Sanktion darstellen darf. Damit ist zugleich angedeutet, dass die Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ ein weiteres materielles Koordinatensystem bereitstellen kann, das in keinem Zusammenhang mit der Zuordnung einer sicherheitsrechtlichen Norm zu einer Gesetzgebungskompetenz steht. Normen, die im Zusammenhang mit einem („repressiven“) Strafverfahren stehen, können gleichzeitig und zuvörderst Zwecken der „präventiven“ Gefahrenabwehr dienen. b) Doppelfunktionale Maßnahmen Nicht nur innerhalb einer Norm kann eine Doppelfunktionalität auftreten, sondern auch mehrere Normen aus unterschiedlichen Kodifikationen können aus unterschiedlichen Teleologien zum Ergreifen derselben Maßnahme ermächtigen. Besonders umstritten ist dabei noch immer das Zusammentreffen von Gefahrenabwehrrecht und dem Strafverfahrensrecht. Berührt eine sicherheitsrechtliche Maßnahme neben dem Gefahrenabwehrrecht zugleich ein laufendes Strafermittlungsverfahren, werden der Problemkreis und die damit zusammenhängenden (Auf-)Lösungsstrategien der sogenannten „doppelfunk835  Klaus Michael Böhm, in: Knauer/Kudlich (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, Band 1, 2014, § 112a Rn. 1, 3 und 5; nach Roxin/Schünemann „rechtsstaatlich unerträglich“, Strafverfahrensrecht, 28. Aufl. 2017, § 30 Rn. 12; ausführlich zum „präventiven Zweck“ der Untersuchungshaft Morgenstern, Die Untersuchungshaft, 2018, S. 462 ff. 836  Jürgen-Peter Graf, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Aufl. 2019, § 112a Rn. 2; vgl. instruktiv Kammergericht Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 4 Ws 18/12, 4 Ws 18/12 – 141 AR 100/12 –, juris Rn. 6.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht223

tionalen Maßnahmen“837 bemüht. Der Begriff der doppelfunktionalen Maßnahmen taucht in keinem Gesetz auf. In der rechtswissenschaftlichen Literatur, aber auch in der Rechtsprechung wird unter diesem Begriff das problembehaftete Zusammentreffen von Gefahrenabwehrrecht und Strafprozessrecht bei polizeilichen Maßnahmen verstanden: Aufgrund eines einheitlichen Lebenssachverhalts, kurzer Reaktionszeiten der handelnden Behörden und informeller Handlungen ist es in vielen Fällen nicht ohne weiteres erkennbar, welche rechtlichen Maßstäbe für das tatsächliche Handeln anzulegen sind. Dabei ist der Problemkreis inhaltlich gar nicht auf das allgemeine Gefahrenabwehr- und Strafprozessrecht sowie institutionell auf die Polizeibehörden begrenzt. Ein multidimensionales Sicherheitsrecht ist darauf angelegt, dass aus unterschiedlichen Zwecken auf identische Lebenssachverhalte zugegriffen wird. So lassen sich im Zollwesen und der Steuerverwaltung parallele Problemstellungen finden. Auch diese Behörden verfolgen (Steuer-/Zoll-) Straftaten, versuchen sie aber gleichzeitig zu verhindern. Jedoch lassen sich in diesen besonderen Verwaltungsrechten Sonderregelungen (§ 393 Abgabenordnung838 und § 10 Abs. 2 und 3 ZollVG839) aufspüren, die den rechtlichen Umgang expressis verbis anordnen und dementsprechend Maßstäbe bereithalten. Diese lassen sich als Sonderregelung nicht auf das allgemeine Polizei- und Strafverfahrensrecht übertragen. Es tritt allerdings dennoch schon ein begriffliches Problem zu Tage. Mit der Etikettierung als „doppelfunktionale Maßnahme“ wird bereits darauf hingedeutet, dass eine Maßnahme nur auf Grundlage von maximal zwei Rechtsgrundlagen ergehen durfte und damit nur das Zusammentreffen von zwei Rechtsregimen aufzulösen sei. In dem Begriff ist daher ein dichotomes Verständnis des polizeilichen Sicherheitsrechts angelegt, ohne dass ein solches und die damit einhergehenden Probleme positivrechtlich begründet wurden. c) Verfassungsrechtliche oder methodische Grundlagen Die rechtliche Bewertung sicherheitsrechtlicher Maßnahmen bei der Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafver837  Vgl. zum Umgang mit doppelfunktionalen Maßnahmen Danne, JuS 2018, S.  434 (434 ff.). 838  Abgabenordnung (AO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 01.10.2002 (BGBl. I S. 3866, berichtigt BGBl. 2003 S. 61), zuletzt geändert durch Art. 33 Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl. I S. 4607). 839  Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) in der Fassung vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2125, berichtigt BGBl. 1993 I S. 2493), zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 6 Verfassungsschutzrechts-Anpassungsgesetz vom 05.07.2021 (BGBl. I S. 2274).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

folgung durch – vor allem – die Polizeibehörden ist eng mit den Grundsätzen vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes verwoben. Der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes verbietet ein staatliches Handeln gegen das Gesetz, wohingegen der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes ein staatliches ­Eingriffshandeln erst beim Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage zulässt (Gesetz­ mäßigkeit der Verwaltung). So einleuchtend und eindeutig diese ­verfassungsrechtlichen Grundprinzipien auf den ersten Blick klingen mögen, so beschränkt ist ihr Nutzen beim entgegengesetzten Aufeinandertreffen: Wenn eine einzige Maßnahme (bspw. die Durchsuchung einer Wohnung) auf Grundlage mehrerer Ermächtigungsgrundlagen möglich ist (etwa §§ 45 f. BPolG und §§ 102 ff. StPO), die ihrerseits an materiell unterschiedliche (Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut/Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer Straftat) und prozedural weitergehende (Richtervorbehalt in § 105 Abs. 1 StPO) Voraussetzungen geknüpft ist, stellt sich die Frage, ob die Verwirklichung der Voraussetzungen von „nur“ einer Ermächtigungsgrundlage gleichzeitig ein Verstoß gegen eine andere Ermächtigungsgrundlage darstellen kann.840 Dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes wird uneingeschränkt entsprochen, sobald die staatliche Maßnahme auf eine formell-gesetzliche Rechtsgrundlage zurückgeführt werden kann. Ein Verstoß gegen den Vorrang des Gesetzes liegt vor, wenn sich aus derjenigen Norm oder ihrem Kontext, deren Voraussetzungen nicht zugleich verwirklicht sind, neben der Ermächtigung zum Handeln gleichzeitig in zulässiger Weise der Normbefehl entnehmen ließe, nicht zu handeln, wenn ihre Voraussetzungen nicht vorliegen. Die strafverfahrensrechtlichen Normen der StPO haben nach § 6 EGStPO einen Exklusivitätsanspruch bei Maßnahmen, die einen Anfangsverdacht voraussetzen. Dies bedeutet nicht, dass umgekehrt Maßnahmen, die keinen Anfangsverdacht voraussetzen, bei deren Durchführung zugleich aber ein Anfangsverdacht in einem anderen Verfahren vorliegt, von vornherein ausgeschlossen sind. Die StPO beschränkt ihren Regelungsanspruch nur hinsichtlich Funk­ tionslogiken (Vorliegen der „eigenen“ Verdachtsabstufungen), die sie selbst kennt. Der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes hilft zur Auflösung des Konkurrenzproblems gerade nicht weiter. Immer dort, wo verschiedene (vertikal) Regelungsebenen und/oder (horizontal) Regelungsregime aufeinandertreffen (und damit staatliches Eingriffshandeln zahlreichen Rechtsbindungen unterliegt), sind diese untereinander zu koordinieren. Der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes kann in diesem Zusammenhang nur suggestiv als Argument angebracht werden.841 840  Vgl.

dazu auch die Beispiele unter D. II. 1. f). Verständnis vom Vorrang des Gesetzes und zur „suggestiven Formel von der Bindung der Verwaltung an ‚Gesetz und Recht‘ “ Reimer, Das Parlamentsgesetz als 841  Zum



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht225

Neben der Ermittlung eines solchen Vorrangverhältnisses, besteht darüber hinaus umgekehrt die Möglichkeit einer (methodischen) Derogation des Gefahrenabwehrrechts, wenn es sich seinerseits für nur subsidiär anwendbar erklärt. Eine solche subsidiäre Anwendbarkeit der gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen könnte sich aus den polizeigesetzlichen Subsidiaritätsregelungen ergeben. So regelt etwa in Hessen § 3 Abs. 1 S. 2 HSOG, dass „Vorschriften des Bundes- oder Landesrechts, in denen die Gefahrenabwehr und die weiteren Aufgaben besonders geregelt sind“, den Ermächtigungen des HSOG vorgehen. Zu den weiteren Aufgaben der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden im Sinne des HSOG zählt nicht nur die Straftatenverhütung und die Strafverfolgungsvorsorge (§ 1 Abs. 4 HSOG), sondern auch die ihnen durch andere Gesetze übertragenen Aufgaben (§ 1 Abs. 2 HSOG). Diese Formulierung könnte zu der Annahme verleiten, dass mit Beginn eines Ermittlungsverfahrens (etwa der Anfangsverdacht gem. § 152 StPO) bzw. bei der Eröffnung des Anwendungsbereichs der StPO die Polizeigesetze der Länder nur noch subsidiär anwendbar seien. Eine klarstellende Regelung vergleichbar des § 393 Abgabenordnung, die eine Parallelität von Steuerstrafverfahren und Steuerverwaltungsverfahren expressis verbis anordnet, fehlt. Der Tatbestand einer solchen Subsidiaritätsregelung ist nur dann verwirklicht, wenn den Normen derselbe Regelungsgegenstand zugrunde liegt. Es ist damit überhaupt erst die Frage, ob ein polizeilicher Eingriff im oder außerhalb des Anwendungsbereichs der StPO vorliegt. Der Regelungsgegenstand richtet sich nicht strikt nach dem Differenzierungsbedürfnis hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz, sondern nach der inhaltlichen Stoßrichtung der konkreten Eingriffsnorm. Ein Eingriff außerhalb des Ermittlungsverfahrens liegt ipso iure nämlich gerade dann vor, wenn die Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage verwirklicht sind, die eine Einleitung eines formalen Ermittlungsverfahrens nicht vorsieht. Der Konzeption nach sind folglich zwei Rechtsregime vorzufinden, deren Verhältnis zueinander ohne zirkuläre Begründung gerade nicht abstrakt beschreibbar ist. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip gewonnenen abstrakten Grundsätze und methodischen Derogationsmöglichkeiten vermögen eine solch konkrete Konfliktsituation nicht zu bewältigen;842 vielmehr setzen nur die einfachgesetzlichen Regelungen den Maßstab für den Einzelfall.

Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 74. 842  Zur Relativität der Rechtswidrigkeit im Rechtsstaat insgesamt vgl. SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 36.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

d) Differenzierungspotential Der Problemkreis der doppelfunktionalen Maßnahmen im vermeintlichen Spannungsfeld zwischen Gefahrenabwehrrechten und dem Strafprozessrecht bedarf zunächst einer Präzisierung durch Abschichtung. Die abstrakt doppelfunktionale Maßnahme (aa)) und das Maßnahmenbündel (bb)) fallen nicht unter den Begriff der doppelfunktionalen Maßnahmen im engeren Sinne, so dass in diesen Fallgruppen die Rechtsmäßigkeitsmaßstäbe ohne weiteres erkennbar sind. aa) Abstrakt doppelfunktionale Maßnahmen Bei sicherheitsrechtlichen Maßnahmen ist regelmäßig unklar, welchem Zweck sie konkret dienen. Es gibt Maßnahmen, die aufgrund ihres Wesens einem Zweck nicht dienen können. So ist etwa der finale Rettungsschuss oder ein Platzverweis nicht zum Zweck der Strafverfolgung möglich. Bei ihnen kann es sich in keinem Fall um eine doppelfunktionale Maßnahme handeln. Dagegen gibt es sicherheitsrechtliche Maßnahmen, die im Vorfeld einer Gefahr oder eines Anfangsverdachts durchgeführt werden. So kann etwa die objektiv zweckneutrale Maßnahme der Videoüberwachung oder das Filmen per bodycam der Straftatenverhütung, aber auch der Strafverfolgungsvorsorge dienen.843 Die Durchführung solcher Maßnahmen und die Verwendung von Daten, die durch solche Vorfeldmaßnahmen erhoben worden sind, erfolgen typischer Weise zu unterschiedlichen Zwecken.844 Sie beruhen aber auch nur auf einer Ermächtigungsgrundlage, die die unterschiedlichen Zwecke in sich vereint. Solche Ermächtigungen unterliegen zwar besonderen Anforderungen hinsichtlich der Gesetzgebungszuständigkeit und der verfassungsrechtlichen Bestimmtheit. Ist die Hürde der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigung genommen, ist die Durchführung der Maßnahme weitgehend determiniert. Die Rechtmäßigkeit der Durchführung orientiert sich dann – sofern keine konkurrierenden Parallelregelungen existieren – allein an der einzig bestehenden Ermächtigungsgrundlage. Es handelt sich daher um keine „konkret“ doppelfunktionale Maßnahme. bb) Maßnahmenbündel Ebenfalls um keine doppelfunktionale Maßnahme in dem hier verstandenen Sinne handelt es sich bei so genannten „Maßnahmenbündel“. Maßnahmenbündel sind in einzelne Akte aufzuspalten. Dies ist möglich, wenn EinDÖV 2018, S. 688 (693 f.). auch die Beispiele unter D. II. 1.

843  Ogorek, 844  Vgl.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht227

zelakte gegenständlich trennbar sind oder das Geschehen in zeitlicher Hinsicht aufgespalten werden kann. Eine einzige doppelfunktionale Maßnahme liegt hier nicht vor.845 Wird dagegen auch nach dieser Aufspaltung nur eine polizeiliche Maßnahme identifiziert, die sowohl der Gefahrenabwehr wie auch der Strafverfolgung dienen kann, stand den Polizeibehörden vor Beginn der Maßnahme (ex ante) ein sicherheitsrechtliches Wahlrecht zu, sofern die Behörde nicht ausnahmsweise zu einem Einschreiten einfachgesetzlich verpflichtet ist. Fehlen Anhaltspunkte für die Bestimmung über eine subjektive Wahlentscheidung des Handelnden – etwa, weil er sich vor und bei Durchführung der sicherheitsrechtlichen Maßnahme schlicht keine Gedanken darüber gemacht hat –, kann die Zuordnung nach dem objektiven Zweck der Maßnahme erfolgen. Dieser muss sich dann aus dem Gesamteindruck der Maßnahme bestimmen lassen.846 Nur wenn eine solche (eindeutige) Zweckbestimmung und damit eine Zuordnung der Maßnahme möglich ist, handelt es sich nicht um eine doppelfunktionale Maßnahme im engeren Sinne.847 Die Rechtmäßigkeitsmaßstäbe sind dann entsprechend des Zwecks entweder im Strafprozessrecht oder in einem besonderen Verwaltungsrecht zu erkennen. e) Rechtmäßigkeitsmaßstäbe für doppelfunktionale Maßnahmen „Das regelmäßig unverzichtbare Nebeneinander eines Instrumentariums, die Einhaltung präventiv – nötigenfalls durch Zwang – durchzusetzen, und einer Sank­ tionsbewehrung, die repressive Ahndung von Normverstößen gestattet, hat zur unvermeidlichen Konsequenz, daß im Falle eines noch andauernden Normverstoßes beide (nach Zwecksetzung und Wirkungsweise unterschiedliche) Instrumenta­ rien […] zur Anwendung kommen können – eine Gleichzeitigkeit, die ständiger Praxis entspricht und von den Vollstreckungsgesetzen (§ 13 Abs. 6 VwZG, Art. 36 Abs. 6 BayVwZVG) ausdrücklich zugelassen wird.“ (m. w. N. Möstl, Die staat­liche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 154 f. Fn. 19).

Die Sicherheitsbehörden können aus kriminaltaktischen Gründen beim Sammeln von Beweisen für ein laufendes Strafverfahren848 das Bedürfnis haben, den gleichzeitigen Geschehensablauf gefahrenabwehrend zu unterbinden. Sie verfolgen mit einer Maßnahme gleichzeitig und unter Umständen auch gleichwertig sowohl Ziele der Gefahrenabwehr wie auch der StrafverJura 2013, S. 1115 (1118). zur Ermittlung eines objektiven Zwecks übersichtlich Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1118). 847  „Unechte doppelfunktionale Maßnahme“, Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 1 Rn. 64; „abstrakt doppelfunktionale Maßnahme“, Rachor, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L. Rn. 22. 848  Wenn etwa die bisher gesammelten Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichen. 845  Schoch,

846  M. w. N.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

folgung. Diese Fallgestaltungen lassen sich als doppelfunktionale Maßnahme im engeren Sinne benennen849 und sie sind institutionell typischerweise bei den Polizeibehörden zu verorten. Gerade bei der Kriminalpolizei bündeln sich diese Aufgaben schon ihrer institutionellen Konzeption nach. In diesen verbleibenden Konstellationen können kann deshalb die Situation entstehen, dass die Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Norm verwirklicht sind und die Voraussetzungen der StPO-Norm nicht oder aber die strafverfahrensrechtlichen Voraussetzungen sind verwirklicht und die Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Normen dagegen nicht. Obwohl auf den ersten Blick die Verwirklichung einer Ermächtigung als notwendige Bedingung für ein staatliches Eingriffshandeln völlig auszureichen scheint, ist die Norm, deren Voraussetzungen nicht gleichzeitig verwirklicht sind, Anknüpfungspunkt für die Diskussion um einen angemessenen Umgang mit doppelfunktionalen Maßnahmen.850 Diese Diskussion mutet aus öffentlich-rechtlicher Perspektiv kontraintuitiv an: Staatliches Handeln, das umfassend mit einem Parlamentsgesetz in Einklang steht, ist aus rechtsstaatlicher Perspektive zunächst unbedenklich. Dennoch wird die Beobachtung einer nicht verwirklichten Rechtsgrundlage alleine schon als rechtfertigungsbedürftig begriffen, so dass Gründe für notwendig gehalten werden, warum das Berufen auf eine Ermächtigungsgrundlage bei doppelfunktionalen Maßnahmen genügt. Diese Verschiebung der Argumentationslast beruht auf einem dichotomen Vorverständnis zwischen „Prävention“ und „Repression“.851 Setzt man diese Begriffe mit den Ermächtigungen aus dem Strafverfahrensrecht und dem Gefahrenabwehrrecht gleich und begreift sie als gegenseitig ausschließend und gemeinsam umfassend, ist es unstimmig oder gar ausgeschlossen, dass ein Sachverhalt beide Bereiche gleichzeitig betreffen kann und gleichermaßen Behörden zum Handeln ermächtigen soll. Dabei sind Ermächtigungen des Gefahrenabwehrrechts und des Strafverfahrensrecht historisch nicht dichotom angelegt worden852 und verhalten sich auch nicht de lege lata dichotom zueinander: Sowohl die gefahrenabwehrrechtlichen wie auch die strafprozessualen Normen können durchaus teleologisch mehrdimensional sein.853 Das unterkomplexe dichotome Vorverständnis ermög849  „echte doppelfunktionale Maßnahme“, Kugelmann, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 1 Rn. 66); „konkret doppelfunktionale Maßnahme“, Rachor, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L. Rn. 28. 850  Überblick bei Brodowski, Verdeckt technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, § 13. 851  Vgl. für die Falllösung im öffentlichen Recht Danne, JuS 2018, 434 (435 f.). 852  Dazu schon der Dritte Teil. 853  Zur teleologischen Mehrdimensionalität des Strafprozessrechts vgl. oben D. II. 1. a).



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht229

licht es, auf der Ebene der Rechtsanwendung inhaltliche Bedenken begrifflich zu kanalisieren. Die begrifflich vereinfachte Gegenüberstellung dient in diesem Zusammenhang als (suggestives) Argument. Dabei wiegen die inhaltlichen Bedenken keineswegs leicht:854 aa) Überblick über materielle Bedenken und ihre Verortung (1) Wenn man für die Rechtmäßigkeit einer sicherheitsrechtlichen Maßnahme die Verwirklichung einer Ermächtigungsgrundlage, ohne dass es auf eine weitere dem Grunde nach einschlägige, aber in ihren Voraussetzungen nichtverwirklichte Ermächtigungsgrundlage ankäme, insgesamt genügen ließe, wird die Umgehung „rechtsstaatlicher Standards“ durch ein „Befugnis(s)hopping“ befürchtet.855 Dabei wird vor allem die Umgehung prozeduraler Verfahrensanforderungen, wie dem Richtervorbehalt, aber auch inhaltlicher Anforderungen, wie der des Vorliegens eines Anfangsverdachts für eine besonders genannte Straftat, befürchtet. (2) Bei einer einfach-funktionalen Rechtmäßigkeitsprüfung könnten notwendigerweise grundrechtlichen Additions- und Kumulationseffekten nur schwer begegnet werden. Die isolierte Prüfung der einzelnen Ermächtigung klammert Funktionslogiken und deren Mediatisierung in Eingriffsvoraussetzungen des jeweils anderen Rechtsgebiets aus. So könnte etwa ein strafprozessualer Richtervorbehalt für eine strafprozessuale Ermächtigung mit Hilfe nur einer verwirklichten gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigung umgangen werden. (3) Insbesondere strafverfahrensrechtliche Standards wie der Pflichtverteidiger (§ 140 StPO) und die damit zusammenhängende Frage nach der Effektivität des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG sowie die Transparenz für das Strafverfahren und die Auswirkungen auf ein faires Verfahren können erodieren. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Entscheidungs- und Leitungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft bewusst oder unbewusst umgangen werden. Gemein ist diesen Feststellungen zwar, dass sie eine isolierte – vor allem öffentlich-rechtliche – Rechtmäßigkeitsprüfung inhaltlich für nicht weitreichend genug halten. Aus methodischer Perspektive stellt sich die Frage, ob und ggf. wie diese Belange Eingang in die Rechtsanwendung der Ermächti854  Ähnliche Bedenken bei Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 352  ff.; Brodowski/Jahn/ Schmitt-Leonardy, GSZ 2018, S. 7 (7). 855  In diesem Sinne etwa Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2020, § 4 Rn. 25 und wohl auch Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1119).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

gungsgrundlagen finden können. Eine Möglichkeit besteht darin, dass sich aus der angewendeten Norm selbst eine Subsidiaritätsanordnung ergibt. Lässt sich eine solche nicht der angewendeten Norm entnehmen, verbleibt als zweite Alternative systematische Restriktionsüberlegungen, die eine Anwendbarkeit der entsprechenden Norm noch verhindern können. Bei dem Bedenken, dass sich die Sicherheitsbehörden immer derjenigen Ermächtigung bedienen, die die niedrigsten Hürden voraussetzen („Rosinen­ theorie“856), handelt es sich zunächst nur um bloße Beobachtungen, die allein keine Subsidiaritätswirkungen entfalten und damit die Rechtsanwendung (zunächst) nicht beeinflussen. Dagegen haben grundrechtliche Kumulationsund Additionseffekte, aber auch die materiellen Anforderungen aus Art. 103 GG rechtliche Relevanz. Sie sind vom Rechtsetzer zu beachten, können aber auch Eingang in die Rechtsanwendung finden, wenn bei Nichtbeachtung dieser verfassungsrechtlichen Grenzen anderenfalls die Norm verfassungswidrig wäre („verfassungskonforme Auslegung“). Diese Erwägungen sind jedenfalls dann anzustellen, wenn sich eine sicherheitsrechtliche Ermächtigungsgrundlage im verfassungsrechtlichen Randbereich befindet und darüber hinaus die konkrete Maßnahme ihrerseits den Grenzbereich der Ermächtigungsgrundlage berührt. Daneben kann eine verfassungskonforme Auslegung dort relevant sein, wo die verfassungsrechtlichen Grenzen nur durch eine restriktive Anwendung der Ermächtigungsgrundlage selbst eingehalten werden können. Eine grundsätzliche und systematische Beschneidung des Gefahrenabwehr- oder des Strafverfolgungsrechts muss außerhalb der beschriebenen verfassungsrechtlichen Restriktionen, die methodisch nachvollzogen werden können, in ihrer Begründung darüber hinausgehen. Trotz dieses positivrechtlichen Befunds werden weiterhin unterschiedliche Abgrenzungstheorien vertreten, die das Verhältnis zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfahrensrecht abstrakt regeln wollen. (1) Schwerpunkttheorie Die Schwerpunkttheorie wurde zur Abgrenzung des Rechtswegs bei doppelfunktionalen Maßnahmen entwickelt und gilt in diesem prozessualen Zusammenhang (noch) als h. L.857 Dass sie auch unabhängig von Rechtsweg­ fragen zur Beschränkung des materiell-rechtlichen Instrumentariums der Sicherheitsbehörden im Wege der Kriterienanleihe fruchtbar gemacht werden 856  So

schon Gusy, StV 1991, S. 499 (499). m. w. N. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 339 Fn. 320; vgl. dagegen unten D. V. 4. 857  Vgl.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht231

kann, wird dagegen nur von Wenigen ausdrücklich diskutiert.858 Danach bestimmt sich die maßgebliche Rechtsgrundlage für ein sicherheitsrechtliches Handeln nach dem Schwerpunkt der konkreten Maßnahme. Ist dieser – objektive oder subjektive859 – Schwerpunkt ermittelt, sind ausschließlich diejenigen Handlungsbedingungen maßgeblich, die sich aus dem Rechtsregime des Schwerpunkts ergeben. (2) Vorranglösungen Neben der Beschränkung des sicherheitsrechtlichen Instrumentariums durch eine Kriterienanleihe bei der Schwerpunkttheorie wird ein Vorrangverhältnis zwischen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsrecht diskutiert. Ein striktes Vorrangverhältnis des Strafverfahrensrechts ab dem Vorliegen eines Anfangsverdachts wird mit Art. 31 GG und den vermeintlichen Bindungen aus dem Legalitätsprinzip begründet. Das Strafprozessrecht gehe als Bundesrecht dem landesrechtlichen Polizeirecht vor.860 Wenn das bundesrechtliche Strafprozessrecht ein materiell begrenzendes Legalitätsprinzip festlegte, genössen diese weitreichenderen Voraussetzungen Vorrang vor einem extensiveren Landesrecht. Dagegen wird ein grundsätzlicher Vorrang des Gefahrenabwehrrechts allein auf einen „unmittelbaren Verfassungsauftrag hin zur Gefahrenabwehr“ gestützt.861 Was aus einem solchen Vorrang konkret für die Rechtmäßigkeit einer doppelfunktionalen Maßnahme einer Sicherheitsbehörde folgen soll, bleibt dagegen unklar.862 858  Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2007, Rn. 122; ähnlich Vollmar, Telefonüberwachung im Polizeirecht, 2008, S. 45; nach anderer Ansicht folgt aus der Bestimmung des Rechtswegs auch materiell das (einzig) anwendbare Rechtsregime bei der Überprüfung sicherheitsrechtlicher Maßnahmen, vgl. Rieger, Die Abgrenzung doppelfunktionaler Maßnahmen der Polizei, 1994, S. 103; eine Anleihe des Schwerpunktkriteriums aus dem prozessualen Zusammenhang für das Erkennen des Rechtmäßigkeitsmaßstabs bei legendierten Verkehrskontrollen wurde auch jüngst vom Bundesgerichtshof diskutiert, im Ergebnis aber verworfen, vgl. BGHSt 62, 123 ff. 859  Dazu im Überblick Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 19 ff. 860  Zum Vorrang des Strafprozessrechts m. w. N. Edgar Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 152 Rn. 18; vgl. in diese Richtung auch die Spezialregelung des § 23a Abs. 2 S. 1 a. E. Zollfahndungsdienstgesetz sowie die dazugehörige Drucksache BT-Drs. 15/3931, S. 13. 861  Kniesel, ZRP 1987, S. 377 (378); Tegtmeyer, KritV 1989, S. 201 (220); Wolf, Kriminalistik 1975, S. 389 (391 f.), vgl. aber auch Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977, geändert mit Wirkung vom 1. Dezember 2018 durch Bekanntmachung vom 26. November 2018, Anlage A. 862  Ein Primat des Gefahrenabwehrrechts wird vor allem bei der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden diskutiert, und nur

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

(3) Kumulation der Eingriffsvoraussetzungen Wenn innerhalb einer Gemengelage die Verwirklichung beider in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen verlangt wird, spricht man von der Kumulation der Anordnungsvoraussetzungen.863 Bei dieser restriktiv(st)en Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gefahrenabwehr und Strafprozessrecht bei doppelfunktionalen Maßnahmen müssen folglich die Voraussetzungen der jeweils anderen Ermächtigungsgrundlage vorliegen, wenn auch nur untergeordnet der Zweck dieser anderen Ermächtigungsgrundlage verfolgt wird. (4) Striktes Entscheidungsmodell Neben der Möglichkeit das sicherheitsrechtliche Handeln objektiv-rechtlich einzufangen, besteht das Modell, den handelnden Behörden ihrerseits die Befugnis einzuräumen, ex ante864 oder ex post865 zu entscheiden, auf Grund welcher Rechtsgrundlage sie handeln wollen und sie ihr Handeln messen lassen wollen.866 (5) Kooperationsverhältnis Endlich besteht eine Verhältnislosigkeit oder mit anderen Worten eine parallele Anwendbarkeit aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen für das sicherheitsrechtliche Handeln bei doppelfunktionalen Maßnahmen, wenn die Sicherheitsbehörden handeln dürfen, sobald eine (der beiden oder von mehreren) Rechtsgrundlagen verwirklicht ist.867 ausnahmsweise folgen aus der Beantwortung dieser Frage Erkenntnisse über die einschlägige Rechtsgrundlage für das sicherheitsrechtliche Handeln; vgl. auch Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 341. 863  Vor allem Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. 2020, § 4 Rn. 25. 864  Bull, DVR 1982, S. 1 (3); Emmerig, DVBl. 1958, S. 338 (342). 865  Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, 2.  Aufl. 1993, Rn. 485; Schenke, Verw­Arch 60 (1969), S. 332 (345). 866  In diese Richtung zeitlich undifferenziert Götz, NVwZ 1990, S. 725 (727). 867  Jüngst BGHSt 62, 123 ff.; Andeutungen zur grundsätzlichen Verhältnislosigkeit zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht finden sich auch bei BVerwG, NJW 1285 (1286); Schenke, in: Schenke/Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 20q BKAG Rn. 2, Ahlers, Grenzbereich zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, 1998, S. 94; Johannes Deger, in: Stephan/Deger (Hrsg.), Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl. 2009, § 1 Rn. 7; Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei, 1992, S. 288; Dörschuck, Kriminalistik 1997, S. 740 (744 f.); Möstl, DVBl. 2010, S. 808 (815); Rieger, Die Abgrenzung doppelfunktionaler Maßnahmen



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht233

bb) Perspektiven eines multidimensionalen Sicherheitsrechtsverständnisses Die materiellen Bedenken gegen eine gleichzeitige Anwendbarkeit von „präventiven“ und „repressiven“ Rechtsregimen und einem damit korrespondierenden Wahlrecht der Polizeibehörden zwischen gefahrenabwehrrecht­ lichen und strafverfahrensrechtlichen Eingriffsermächtigungen führen dazu, dass diesen Bedenken mit Hilfe des Begriffs der „doppelfunktionale Maßnahme“, der schon konzeptionell eine problembehaftete (doppelfunktionale) Vermischung zwischen „Prävention“ und „Repression“ anzeigt, Rechnung zu tragen versucht wird. Dabei gilt es zunächst zu erkennen, dass das (abstrakte) Erfordernis einer Verhältnisbestimmung bei doppelfunktionalen Maßnahmen nur damit begründet werden kann, dass die gleichzeitige Anwendung gefahrenabwehrrechtlicher und strafverfahrensrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen ein rechtsstaatliches Problem sei. Die Zuordnung doppelfunktionaler Maßnahmen zu einem der beiden polizeilichen Aufgabenbereiche kann daher von vornherein nur dann als zwingend notwendig erachtet werden, wenn man zirkulär von vornherein eine Kumulation der Anordnungsvoraussetzungen, die Anwendbarkeit der Schwerpunkttheorie oder einen Primat des Strafverfahrens- oder aber des Polizeirechts annimmt.868 Es stellt sich demgegenüber aber überhaupt erst die Frage, ob, warum und mit welcher Reichweite ein laufendes Ermittlungsstrafverfahren vor einer gefahrenabwehrrechtlichen Inanspruchnahme schützen kann und ob eine dichotome Gegenüberstellung von „präventiven“ und „repressiven“ Ermächtigungen zur rechtsstaatlichen Einhegung polizeilichen Handelns sinnvoll und erforderlich ist. Dem Bedürfnis, dass das gefahrenabwehrrechtliche Instrumentarium durch das dichotome Verständnis von „Prävention“ und „Repression“ eingeschränkt werden muss, liegt das Vorverständnis zugrunde, dass strafprozessuale Ermächtigungen regelmäßig höhere Rechtmäßigkeitshürden verlangen als die gefahrenabwehrrechtlichen Ermächtigungen (vor allem der prozedurale „präventive“ Richtervorbehalt, vgl. dazu nur § 105 StPO).869 Demgegenüber sind gefahrenabwehrrechtliche Eingriffsbefugnisse aber alles andere als voraussetzungslos und haben ihrerseits eigene Mechanismen, um missbräuchlichen

der Polizei, 1994, S. 197 f.; Schnarr, StrFo 1998, S. 217 (220 f.); Schwan, VerwArch 70 (1979), S. 109 (129 f.); Wachter, JZ 2002, S. 854 (856). 868  Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen zwischen Polizeiund Strafverfahrensrecht, 2016, S. 338. 869  Gegen dieses Vorverständnis („Wie sich herausstellt, laufen die Sicherungen des Anfangsverdachts leer, d. h. sie können staatliches Einschreiten nicht wirksam begrenzen.“) Ottow, Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren nach dem Polizeirecht, 2014, S. 149.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Verwendungen vorzubeugen.870 So sind etwa die bloße Vorgabe einer Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut oder der Missbrauch von Ermessen gerichtlich voll überprüfbar.871 Zudem steht mit der öffentlich-rechtlichen Rechtmäßigkeit einer gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahme noch nicht deren strafprozessuale Verwertbarkeit fest. In diesem Sinne entbindet die öffentlichrechtliche Rechtmäßigkeit nicht von der Prüfung strafprozessualer Zweck­ änderungs- und Verwertungsnormen.872 Darüber hinaus leuchtet es nicht ein, wieso derjenige, der einer Straftat verdächtigt wird, von vornherein als gefahrenabwehrrechtlich schutzwürdiger behandelt werden sollte. Das Instrumentarium des Staates zur Bekämpfung des Rechtsbruchs wird nicht deshalb kleiner, wenn nach der Prognose der Sicherheitsbehörden der Rechtsbruch größer zu werden scheint.873 Es ist daher nur folgerichtig, wenn es bei abstrakter Betrachtung als hinreichend erachtet wird, dass bei einer sicherheitsrechtlichen Maßnahme „nur“ eine gefahrenabwehrrechtliche Norm verwirklicht ist. Ein laufendes Strafverfahren kann demnach keine Sperrwirkung für gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen entfalten. Mit diesem Ergebnis lässt sich auch dem Umstand Rechnung tragen, dass eine einzige sicherheitsrechtliche Ermächtigungsgrundlage oftmals schon mehrere Haupt- und Nebenzwecke (etwa strafverfolgende, gefahrenabwehrende, straftatenverhütende oder strafverfolgungsvorsorgende) verfolgt, so dass eine solche Ermächtigung sich nicht in das dichotome Spektrum zwischen „Prävention“ und „Repression“ einordnen lassen kann.874 Eine Gegenüberstellung zwei solcher sicherheitsrechtlicher Maßnahmen, die ihrerseits schon „präventive“ und „repressive“ Elemente (Gesetzeszwecke, Gesetzesanwendungsreflexe oder Zweckänderungsmöglichkeiten) in sich tragen können, ist auf Grundlage dieses Verständnisses mit Hilfe der abstrakten Begriffe „Prävention“ und „Repression“ nicht sinnvoll möglich und positivrechtlich nicht notwendig. 870  Brodowski formuliert umgekehrt, dass es zweifelhaft erscheint, wenn behauptet werde, dass nur bei „repressiven“, nicht aber bei „präventiven“ Eingriffsbefugnissen eine rechtsstaatlich präzise Bestimmung der Eingriffsgrenzen möglich sei, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen zwischen Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 569; ähnlich Globig, ZRP 1991, S. 289 (289 f.), Kniesel, ZRP 1992, S. 164 (165 f.) und Gusy, Die Polizei 2004, S. 61 (63 f.); a. A. Hassemer, ZRP 1991, S. 121 (123). 871  Für die legendierte Kontrolle exemplarisch Danne, JuS 2018, S. 434 (436); bei dem Extrembeispiel der Folter kann sich die Beurteilung des öffentlich-rechtlichen Notstandes (tragic-choice) und die Beurteilung der strafverfahrensrechtlichen strikten Unzulässigkeit unterscheiden; zur strikten Unanwendbarkeit dagegen Saliger, ZStW 116 (2004), S. 35 (42 ff.); vgl. zur Verdeutlichung dieses Arguments unter D. II. 1. e) cc). 872  Vgl. nur die §§ 161, 481 Abs. 1 StPO; zu den allerdings derzeit geltenden niedrigen Hürden vgl. oben unter D. I. 2. c). 873  Formulierung nach Nowrousian, NStZ 2018, S. 254 (254 f.). 874  Vgl. dazu schon oben D. I. 1. c), D. I. 2. c), D. II. 1. a).



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht235

Dem Problem, dass die strafverfahrensrechtliche Verwertung von Maßnahmeergebnissen den Betroffenen mit Blick auf mögliche Sanktionen nachhaltiger betreffen kann, ist mit Hilfe tragfähiger Datenübermittlungsbeschränkungen im Rahmen von § 161 Abs. 3 und 4 StPO zu begegnen. Darüber hinaus gilt es zu erkennen, dass die Auswirkungen auf die Betroffenen nicht grundsätzlich im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen schwerer wiegen als bei einer gefahrenabwehrrechtlichen Inanspruchnahme. Die gefahrenabwehrrechtlichen Inanspruchnahmemöglichkeiten sind weitreichend und vielfältig und können Betroffene nachhaltig einschränken (insbesondere bei langfristigen polizeilichen Maßnahmen gegenüber sog. „Gefährdern“ oder „Gewalttätern Sport“ wird dies deutlich). Versteht man die Rechtmäßigkeitsmaßstäbe als kooperativ und grundsätzlich parallel anwendbar, eröffnet sich zudem eine weitere epistemische Perspektive, die nicht mehr Symptom, sondern viel mehr Lösung der (vermeintlichen) Probleme ist, die durch eine gegenseitig ausschließende Rechtsanwendung erst entstehen und mit dem Begriff der doppelfunktionale Maßnahme umrissen wird. Gerade unterschiedliche Rechtmäßigkeitsergebnisse eröffnen eine auch inhaltliche sachgerechte Differenzierung.875 Denn eine dichotome kategoriale Entscheidung über doppelfunktionale Maßnahmen, denen divergierende Rechtsnormen, multiintensionale Teleologien und unterschiedliche Sachverhaltsperspektiven zugrunde liegen, ohne positivrechtliche Notwendigkeit, stellt eine unausgesprochene und für den betroffenen Bürger eine stark verkürzte, nicht offengelegte und deshalb schwer nachvollziehbare Maßstabsbildung dar. Das dichotome (Vor-)Verständnis zwischen „Prävention“ und „Repression“ für die Ermittlung von einfachen Rechtmäßigkeitsmaßstäben konstruiert damit Probleme, die de lege lata unter Umständen gar nicht existieren, und das, obwohl bei einem divergierenden Rechtsanwendungsergebnis zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfolgungsrecht Irri­tationen ausgelöst werden können. Es ist daher im Ergebnis geboten, zunächst das positive einfache Recht anzuwenden und grundrechtliche Pro­ bleme bei divergierenden Rechtsanwendungsergebnissen danach in den Blick zu nehmen, wenn diese auch tatsächlich ermittelt wurden. Dieses (methodengerechte) Vorgehen bietet die Möglichkeit, gesetzgeberische Wertungswidersprüche explizit offenzulegen, wodurch dem Gesetzgeber Reaktionsmöglich875  Exemplarisch die differenzierenden – dennoch ethisch und rechtsstaatlich vertretbaren – Ergebnisse bei der Folter durch einen Polizeibeamten innerhalb eines Strafermittlungsverfahrens zur Gefahrenabwehr, Jerouschek, JuS 2005, S.  296 (296 ff.) und LG Frankfurt a. M., NJW 2005, S. 692 (693 ff.); im Rahmen dieser differenzierenden Rechtsanwendung bliebe auch ausreichend Raum für die Gesichtspunkte aus §  343 StGB und Art.  3 EMRK, vgl. EGMR, Entscheidung vom 10.04.2007 – 22978/05 – Magnus Gäfgen/Deutschland; zum Problem der Folter als doppelfunktionaler Maßnahme Saliger, ZStW 116 (2004), S. 35 (42 ff.).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

keiten zugestanden werden, verfassungswidrige Rechtslagen klar zu identifizieren und das geltende Sicherheitsrecht damit insgesamt vorhersehbarer, strukturierter und differenzierter wahrzunehmen. cc) Beispiele Die enttäuschten Normativitätserwartungen, die in die dichotome Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ bei doppelfunktionalen Maßnahmen mit Blick auf rechtsstaatliche Bedenken gelegt wurden, können durch die Regelungen des geltenden Sicherheitsrechts kompensiert werden.876 Voraussetzung dafür ist die sorgfältige Auseinandersetzung mit den einschlägigen Befugnisnormen. Dies soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden. (1) Öffentlichkeitsfahndung Nach § 131b Abs. 2 StPO ist die Veröffentlichung von Abbildungen eines Zeugen877 anknüpfend an §§ 131b Abs. 1, 131a Abs. 4 S. 4 StPO zulässig, wenn der Ermittlung eine Straftat von erheblicher Bedeutung zugrunde liegt, deren Aufklärung ohne die Öffentlichkeitsfahndung aussichtslos bzw. erheblich erschwert wäre. Dies ist nach dieser Ermächtigung insbesondere dann der Fall, wenn die Aufklärungschancen der qualifizierten Straftat durch die Identitätsfeststellung des Zeugen erhöht werden. Zeuge im Sinne dieser Norm ist auch ein potentielles Opfer der qualifizierten Straftat, da das Opfer eine Beweisperson ist, die in einer nicht gegen sie selbst gerichteten Straf­ sache Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen geben kann.878 Diese Ermittlungsbefugnisse stehen unter den verfahrensrechtlichen Anforderungen des § 131c StPO und bedürfen nach dessen Absatz 1 Satz 2 grundsätzlich der richterlichen Anordnung. Parallel dazu bestehen in den Polizeigesetzen der Länder Datenübermittlungsvorschriften,879 die Fahndungen mit vergleichbarer Wirkung erlauben. Allerdings sind diese Ermächtigungen nur verfassungsmäßig, soweit sie die Abwehr von Gefahren (jedenfalls) für Leib, Leben, Gesundheit oder die persönliche Freiheit voraussetzen.880 876  Können sie den rechtsstaatlichen Bedenken keine Rechnung tragen, besteht stets die Möglichkeit, dass die gesetzgeberische Ausgestaltung verfassungswidrig ist. 877  Überblick zu sicherheitsrechtlichen Fahndungstätigkeiten bei Schiffbauer, NJW 2014, S. 1052 (1052 ff.). 878  Vgl. zu dieser hergebrachten Definition schon RGSt 52, 289 (289). 879  Vgl. etwa § 59 Abs. 1 und 2 Bay. PAG und § 27 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 lit. a PolG NRW. 880  Zu dieser verfassungsrechtlichen Grenze Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 04. Juni 2009 – 4 Bf 213/07 – juris, Rn. 73.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht237

Besteht der Verdacht, dass eine bereits vollendete strafbare Handlung weiter durchgeführt wird, sind dem Grund nach beide Ermittlungsrechte einschlägig, jedoch knüpfen die Tatbestände an unterschiedliche Voraussetzungen an. Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft zur Öffentlichkeitsfahndung im Sinne der StPO und holt sie den entsprechenden richterlichen Beschluss ein, würde keiner an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zweifeln, wohl sogar in dem Fall nicht, in dem der gefahrenabwehrrechtliche Zweck die ausschlaggebende Erwägung der polizeilichen Arbeit und der richterlichen Anordnung gewesen war. Es zeigt sich ein verzerrtes Bild: Gerade dann, wenn strafverfahrensrechtliche Anforderungen erfüllt sind, werden rechtsstaatliche Bedenken nicht angebracht. Dem Unterlassen der sorgfältigen Prüfung gefahrenabwehrrechtlicher Regelungsregime liegt die implizite Normalitätsannahme zugrunde, dass das prozedural strengere Strafprozessrecht ausformulierter Rechtsstaat sei.881 Dabei wird verkannt, dass gerade auch das Gefahrenabwehrrecht eigene rechtsstaatliche Maßstäbe bereit hält, die – gerade weil sie mit Pro­ blemstellungen ganz anderer Art konfrontiert sind – im konkreten Fall sogar über die verfahrensrechtlichen Anforderung der StPO durch materielle Anforderungen hinausgehen. (2) „Legendierte Verkehrskontrolle“ Der Begriff „legendierte (Verkehrs-)Kontrolle“882 ist kein Gesetzesbegriff und (noch) keine eigenständige gefahrenabwehrrechtliche bzw. strafverfahrensrechtliche Standardmaßnahme.883 Bei einer legendierten Verkehrskon­ trolle handelt es sich um die Bildung einer Legende durch die Sicherheitsbehörden im Wege einer vorgetäuschten Verkehrskontrolle. Sie erfolgt im Rahmen verdeckter Ermittlungen. Ziel der Legendenbildung ist es, eine notwendig gewordene sicherheitsrechtliche Standardmaßnahme gegen eine Person durchzuführen, ohne ein bereits laufendes Ermittlungsverfahren gegen 881  Zu

dieser Einschätzung Nowrousian, NStZ 2018, S. 254 (255). Wort „legendiert“ wurde aus dem Problemkreis der verdeckten Ermittler rezipiert (bspw. der „legendierte Beamte“ als Schein(an)käufer); vgl. zu dieser Verwendung etwa Schneider, NStZ 2004, S. 359 (360 und 362); der Begriff tauchte im Zusammenhang mit Verkehrskontrollen erstmals bei Müller/Römer, NStZ 2012, S. 543 (543 ff.), auf und hat sich durch das ausdrückliche Rezipieren des Bundesgerichtshofs in der hier besprochenen Entscheidung etabliert; vgl. zu dieser Einschätzung auch Gubitz, NStZ 2016, 126 (128) mit Verweis auf Marcus Köhler, in: MeyerGoßner/Schmitt (Hrsg.), 65. Aufl. 2022, § 105 Rn. 1a. 883  Umfassend und zu möglichen gesetzlichen Regelungen de lege ferenda Schefer, Die Vortäuschung eines Zufallsfundes im Ermittlungsverfahren: zur Zulässigkeit so genannter „legendierter Kontrollen“, 2019, S. 1 ff., 260 ff. 882  Das

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

eine andere Person zu gefährden. Typischerweise erfolgt eine solche Maßnahme im Rahmen von Ermittlungen gegen kriminelle Vereinigungen, bei denen Ermittlungen gegen andere Beschuldigte als den Adressaten der konkreten (legendierten) Verkehrskontrolle nicht gefährdet werden sollen. Diese anderen Beschuldigten sind nicht selten die im Hintergrund agierenden zentralen Personen, auf denen bei den Ermittlungen ein besonderer Fokus gelegt wird. Dem Adressaten wird bei der daran anschließenden Durchsuchung ein „Zufallsfund“ vorgegeben, obwohl es sich in der Sache aber um eine gezielte und bewusste Suche durch die Polizeibehörden gehandelt hat. Der Bundesgerichtshof hatte in einer viel diskutieren Entscheidung884 die Rechtmäßigkeit der Fahrzeugdurchsuchung nach Gefahrenabwehrrecht in zwei Schritten geprüft. Zunächst stellt er nur rudimentär das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach dem HSOG fest. Und dies ohne zuvor die Anwendbarkeit des HSOG zu prüfen, ohne die Maßstäbe für das Vorliegen einer Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut zu konkretisieren und ohne die Ermessensfehlerlehre auf Rechtsfolgenseite zu beachten. In einem zweiten Schritt erörtert er den Problemschwerpunkt so genannter doppelfunktionaler Maßnahmen abstrakt. Der Befund alleine, dass die gefahrenabwehrrechtliche Ermächtigung im Gegensatz zu § 105 Abs. 1 S. 1 StPO keinen Richtervorbehalt vorsieht, veranlasst den Bundesgerichtshof zu einer Verhältnisbestimmung von „Prävention“ und „Repression“ auf einer höheren Abstraktionsstufe. Dabei sieht der zweite Strafsenat die Möglichkeit einer (abstrakten) Vorrangstellung des Strafprozessrechts gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht als eine der Auflösungsmöglichkeiten für doppelfunktionale Maßnahmen. Ein solches Vorrangverhältnis wird einzig mit der Möglichkeit einer Umgehung der prozeduralen Voraussetzungen des Richtervorbehalts aus der StPO, durch die ein Kontrollverlust der Justiz drohe, begründet. Dieses „Argument“ war jedoch zuvor schon als Befund verwertet und damit „verbraucht“ worden, da es eine Einordnung als doppelfunktionale Maßnahme überhaupt erst auslöste. Dem nun notwendig gewordenen Streit fehlt ein offen gelegter Maßstab zur Entscheidung. Er verlässt die Ebene der konkreten Rechtsanwendung am Maßstab der einschlägigen einfachgesetzlichen Normen und begibt sich auf einen sowohl begrifflichen wie auch argumentativen Drahtseilakt. Es werden beliebig anmutende Wertungen der Fallentscheidung zugrunde gelegt, die die angrenzenden Rechtsfragen der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungszuständigkeit und der zollrechtlichen Zulässigkeit eines vergleichbaren Vorgehens betreffen. Schließlich kann nicht ausgeschlossen wer884  BGHSt 62, 123 ff.; vgl. dazu insbesondere Börner, JZ 2018, S. 870 ff.; Brodowski, JZ 2017, S. 1124 ff.; Danne, Die Polizei 2018, 210 ff.; Lenk, StV 2017, S. 692 ff.; Lenk, NVwZ 2018, S. 38 ff.; Löffelmann, JR 2017, S. 588 ff.; Mitsch, NJW 2017, S.  3124 ff.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht239

den, dass durch dieses abstrahierende Vorgehen gar rechtswissenschaftliche bzw. rechtspolitische Richtigkeitsurteile contra legem Maßstab der konkreten Rechtsanwendung werden. Wenn sich der Rechtsanwender nicht mit den inhaltlichen Restriktionen des Gefahrenabwehrrechts beschäftigt (im konkreten Fall mit den §§ 3 Abs. 1 S. 2, 20 Abs. 6 S. 1 HSOG oder der Ermessensfehlerlehre), kann gar das Rechtsstaatsprinzip oder der Grundrechtsschutz derart eindimensional in Stellung gebracht werden, dass nur strafprozessuale Verfahrensanforderungen als essentialia des Rechtsstaats erscheinen. Nur wenn man sich umgekehrt mit dem einschlägigen einfachrechtlichen Normenmaterial befasst, können Wertungen, die Gegenstand der abstrakten Diskussion sind, zutreffend verortet und gewürdigt werden. Hätte sich der Bundesgerichtshof zunächst mit der Gefahr-Dogmatik auseinandergesetzt und diese konsequent auf den Fall der legendierten Verkehrskontrolle angewendet, hätte er erkannt, dass dem Gefahrenabwehrrecht an dieser Stelle keine niedrigeren rechtsstaatlichen Standards, sondern schlicht andere rechtsstaatliche Standards zugrunde liegen, die sich nicht mit denen aus der Strafprozessordnung qualitativ vergleichen lassen. Darüber hinaus halten die strafverfahrensrechtlichen Datenübermittlungsvorschriften (insbesondere § 161 Abs. 3 und 4 StPO) und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe (insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren) weitere Restriktionen bereit, die eine Zweckänderung von gefahrenabwehrrechtlich gewonnen Daten zu strafverfahrensrechtlichen Zwecken voraussetzungsvoll machen. Dennoch hat der Bundesgerichtshof zu Recht erkannt, dass im Ergebnis kein Vorrangverhältnis zwischen dem Strafprozessrecht und dem Gefahrenabwehrrecht besteht: Der Anwendung einer Eingriffsermächtigung aus den landesrechtlichen Polizeigesetzen steht ein laufendes strafprozessuales Ermittlungsverfahren selbst dann nicht im Wege, wenn für die tatsächlich vorgenommene Handlung einer Polizeibehörde eine Ermächtigungsgrundlage aus dem Strafprozessrecht besteht, die (normativ) weitergehende bzw. (inhaltlich) andere Anforderungen (vor allem Verfahrensanforderungen wie den Richtervorbehalt) für den Eingriff verlangt. Denn die Legenden, die durch die Polizeibehörden gestrickt werden, sind gerichtlich voll überprüfbar und keineswegs uferlos. Bedingung dafür ist die ausführliche Auseinandersetzung mit den gefahrenabwehrrechtlichen Maßstäben.885

885  Danne,

JuS 2018, S. 434 (436).

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

f) Zwischenergebnis Der Forderung nach einem einheitlichen operativen Sicherheitsrecht886 liegt die Prämisse zugrunde, dass das Sicherheitsrecht de lege lata disparat und aus der Unordnung rechtsstaatliche Defizite resultieren. Die Angleichung von materiellen Eingriffsschwellen optimiere dagegen den Grundrechtsschutz. Die gesetzgeberische „Verwischung“ der dichotomen Grenzen zwischen „Prävention“ und „Repression“ trage dazu bei, dass tradierte Standards unterlaufen werden. Diesen Grenzübertritten könne durch eine Vereinheit­ lichung der Eingriffsschwellen entgegengewirkt werden. Der Vereinheitlichungsforderung steht aber eine dichotome Trennungs­ behauptung zwischen „Prävention“ und „Repression“ gegenüber, die das geltende Sicherheitsrecht nur unterkomplex widergibt. Zwar ist eine Uneinheitlichkeit des Sicherheitsrechts schon konzeptionell in der Verfassung angelegt. Die Kompetenzordnung verlangt horizontale Gewaltenteilung, die Grundrechte verlangen reflexhaft inhaltliche und damit vertikale Gewaltenteilung. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben ermöglichen und verlangen gleichzeitig vieldimensionales sicherheitsrechtliches Handeln. Die teleologisch unterschiedlichen Ansätze im geltenden Sicherheitsrecht sind aber gerade nicht auf Exklusion, sondern auf Kooperation angelegt. Mehrfachzuständigkeiten sollen nicht zu einem Verantwortungsvakuum, sondern zu einer Mehrfachverantwortlichkeit führen. Ein dichotomes Verständnis zwischen „Prävention“ und „Repression“ innerhalb des Sicherheitsrechts erleichtert demgegenüber die Begründung von Unzuständigkeit. Die föderale „Unordnung“ und der Zweckbindungsgedanke, der zur Grund­ rechtsschonung beitragen kann, ermöglichen und verlangen, unterschiedliche Sicherheitskonzepte zu implementieren, zu kritisieren und zu verwerfen. Dieser ständige Diskurs mag mühsam und ineffizient erscheinen. Er ist aber die einzige Möglichkeit, ein gegenseitiges Lernen und damit Erkenntnisgewinne zu erzielen. Die vertikale und horizontale Vielfalt ist dabei ein Instrument, den zahlreichen Dimensionen der Sicherheit jeweils angemessen begegnen zu können. Begreift man das Sicherheitsrecht multidimensional, in dem sich Trennung und Kooperation gegenseitig ergänzen, wird keine zentralistische Vereinheitlichung der Rechtsrahmen erforderlich, sondern es genügt eine einheitliche Erfassung von Rechtsgebieten, die von vornherein nie auf eine strikte und schon gar nicht auf eine dichotome Trennung von „Prävention“ und „Repression“ angelegt waren. 886  Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, Sechster Teil; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015, S.  397 ff.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht241

2. Strukturelle Differenzierung zwischen Opportunität und Legalität Das strafverfahrensrechtliche Legalitätsprinzip ist in § 152 Abs. 2 StPO geregelt und wird in den §§ 153 ff. StPO zugleich relativiert. Es beinhaltet die Forderung, dass die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde dazu verpflichtet ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. Bereits in der gesetzlichen Ausformulierung des Legalitätsprinzips wird festgelegt, dass es spezialgesetzlich ausgesetzt werden kann und dass es nur greift, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen“. Die Reichweite des Legalitätsprinzips ist damit akzessorisch zu den in Bezug genommenen Straftatbeständen. Wenn etwa in § 240 Abs. 2 StGB die Rechtswidrigkeit der Nötigung vom unbestimmten Rechtsbegriff der „Verwerflichkeit“ der Tat abhängig gemacht wird, werden die Rechtsfolgen aus dem strafverfahrensrecht­ lichen Legalitätsprinzip von der Subsumtion unter eine besonders unbestimmte und deshalb besonders wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsvoraussetzung abhängig gemacht; dieser Vorgang relativiert zwar nicht rechtlich, jedoch tatsächlich die konzeptionelle Bedeutung des Legalitätsprinzips.887 Ungeachtet eines gleichwohl erfolgenden Schuldspruches lässt auch das materielle Strafrecht seinerseits das Absehen von Strafe zu (vgl. etwa die §§ 60, 129 Abs. 6, 129a Abs. 7, 260 Abs. 9 StGB).888 Die „emsige, einfallsreiche Magd“ Opportunität hilft damit schon der Konzeption nach der „armen, mittellosen Herrschaft“ Legalität.889 Für die Polizeibehörden scheint das Legalitätsprinzip im Rahmen ihrer strafverfolgenden Tätigkeit nach § 163 Abs. 1 S. 1 StPO bedingungslos zu gelten: „Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen […]“. Aus Kapazitätsgründen und aus kriminaltaktischen Erwägungen werden tatsächlich im Bereich der leichten, aber auch der organisierten Kriminalität Schwerpunkte gesetzt.890 Die Grenze zur Rechtswidrigkeit dieses sicherheitsrechtlichen Vorgehens ist jedenfalls dann überschritten, wenn auf die Verfolgung von Straftaten nach dem Belieben generell oder (willkürlich) im Einzelfall verzichtet wird.891 887  Für die (verfassungsrechtliche) Bestimmtheit der Strafgesetze genügt die Bestimmbarkeit der Strafgesetze, vgl. BVerfG, NJW 2010, S. 3209 ff.; freilich begründet dies dennoch kein „echtes“ und rechtliches Ermessen während der Verfolgung von Straftaten, vgl. Steffen, DRiZ 1972, S. 153 (154) und Redeker, DÖV 1971, S. 757 (762). 888  Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung BVerfG, NJW 1994, S. 1583 re. Sp. 889  Kerl, ZRP 1986, S. 312 (317). 890  M. w. N. Graulich, Das Polizeihandeln, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. E Rn. 126 ff. 891  BVerfG, NJW 1977, 2356.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Die gesetzgeberischen Formulierungen „einschreiten“ und „erforschen“ deuten schon darauf hin, dass sich die Strafverfolgungsbehörden im Bereich von Ungewissheiten befinden, dem allein mit Prognosen begegnet werden kann. Zwar steht den Strafverfolgungsbehörden kein Ermessen zu, wenn die Tat hinreichend ermittelt worden ist. Aber im Stadium der Ermittlungen, in denen lediglich ein Anfangsverdacht besteht, ist das „Wie“ der Ermittlung nicht gesetzlich determiniert, so dass das Legalitätsprinzip in diesem Stadium „nur“ das „Entschließungsermessen“, nicht aber das „Auswahlermessen“ beseitigt. Auch den Strafverfolgungsbehörden steht ein umfangreiches Ermittlungsinstrumentarium zur Verfügung, dessen Anwendung von Zweck­ mäßigkeitserwägungen geleitet wird. Verfassungsrechtliche Kehrseite dieser Auswahlsituation ist die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch im Strafverfahrensrecht.892 Dieser besagt implizit, dass für die Auswahl zweier gleichgeeigneter und gleich grundrechtsintensiver Ermittlungsmaßnahmen keine verfassungsrechtlichen Maßstäbe hinsichtlich der Auswahl zwischen den beiden Ermittlungsmaßnahmen bestehen. Die strikte Unterscheidung zwischen Opportunität und Legalität lässt sich sogar bei gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffsermächtigungen nicht durchhalten, die den Behörden ein Ermessen einräumen. Zwar erfolgt eine ge­ richtliche Kontrolle nur hinsichtlich der Ermessensgrenzen (vgl. nur § 40 VwVfG893, § 114 VwGO894); ist die Verhinderung von schweren Straftaten Ziel des sicherheitsrechtlichen Handelns, kann das Ermessen in diesen Fällen auf null reduziert sein, so dass eine Pflicht zum Einschreiten der Behörden besteht. Die Unterscheidung in Opportunität und Legalität spiegelt nicht die tatsächliche Rechtsbindung der Sicherheitsbehörden und ihre gerichtliche Überprüfbarkeit wider.895 892  Zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Strafverfahrensrecht Frister, Polizeihandeln im Strafverfahren, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. F Rn. 118 ff. 893  Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.01.2003 (BGBl. I S. 102), zuletzt geändert durch Art. 24 Abs. 3 Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.6.2021 (BGBl. I S. 2154). 894  Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.03.1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Art. 2 Gesetz zur Verbesserung der Transparenzregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages und zur Anhebung des Strafrahmens des § 108e des Strafgesetzbuches vom 08.10.2021 (BGBl. I S. 4650). 895  Historischer und kritischer Überblick Wolfgang Naucke, in: IVR (Deutsche Sektion) und Deutsche Gesellschaft für Philosophie (Hrsg.), Enzyklopädie zur Rechtsphilosophie, sub „Legalitätsprinzip, strafrechtlich“, abrufbar unter: http://www.



II. Materielles operatives Sicherheitsrecht243 „Die Prinzipien von Legalität und Opportunität […] betonen jeweils unterschied­ liche Teile der Rechtsidee. Die Legalität steht eher für die Gerechtigkeit, die Opportunität steht eher für die Zweckmäßigkeit […]. Eine kriminalpolitische Option müßte […] beachten, daß die Gerechtigkeit das Ziel, die Zweckmäßigkeit […] die restriktive Bedingung der Zielverfolgung ist […]. Das Verhältnis von Legalität und Opportunität […] ist in der Praxis der Strafrechtspflege weniger ein Problem von Gesetzestexten“, als „bloßes Prinzip ist der Grundsatz der Legalität [hier] zu schwach“, „die tatsächliche Mischung von Legalität und Opportunität“ hänge „letztlich ab vom Ethos der Behörden und Gerichte […].“896

Auch die Unterscheidung in Tatbestand (Beurteilungsspielraum) und Rechtsfolge (Ermessen) ist nur Chiffre für die Frage der gerichtlichen Kon­ trolldichte und Letztentscheidungsbefugnisse der Behörden.897 Gerade für den hier interessierenden strafverfahrensrechtlichen Ermittlungsbereich trägt das Legalitätsprinzip nichts bei, da die Entfaltung des Prinzips voraussetzungsvoll ist: Nur das Wissen um einen Täter und eine konkrete Tat bedingen die engen rechtlichen Bindungen des Legalitätsprinzips; Strafverfolgung de lege lata ist aber gerade schon dann möglich, wenn hinsichtlich dieser beiden Anknüpfungspunkte Ungewissheiten bestehen.898 Bei der Anwendung sicherheitsrechtlicher Eingriffsermächtigungen können daher aus der begrifflichen Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ und der Zuordnung des Opportunitäts- und des Legalitätsprinzips bei der einfachrechtlichen Rechtsanwendung deduktiv keine normativen Vorgaben für die (Ermessens-)Bindungen von Sicherheitsbehörden abgeleitet werden. Auch die induktive Feststellung, dass strafverfahrensrechtliche Eingriffsermächtigung dem Legalitäts- und gefahrenabwehrrechtliche Eingriffsermächtigungen dem Opportunitätsprinzip folgen, täuscht darüber hinweg, dass beide „Prinzipien“ bei materieller Betrachtung im besonderen Maße relativierbar sind. 3. Zusammenfassung Die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ ist nicht „Ausgangspunkt aller Überlegungen zur rechtsstaatlichen Auslegung und Anwendung des Polizei- und Strafverfahrensrechts“; die Unterscheidung ist enzyklopaedie-rechtsphilosophie.net/inhaltsverzeichnis/19-beitraege/111-legalitaets prinzip-strafrechtlich (zuletzt abgerufen am 20.11.2018). 896  Hassemer, Legalität und Opportunität im Strafverfahren, in: Ostendorf, Heribert (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverzicht, 1992, S. 529 (537 ff.). 897  Überzeugend Jestaedt, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 11 III 2. 898  Strenger mit zahlreichen weiteren Nachweisen Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 107 ff.

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D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

weder „klar“ noch ergeben sich aus ihr praktische „Folgeunterscheidungen“, deren Fehlen eine „Einbuße an grundlegender staatlicher Schutzgewährleistung“ zur Folge hätten.899 Sicherheitsrechtliche Maßnahmen verhalten sich nicht dichotom zueinander. Sie verfolgen unterschiedliche Zwecke, die nicht in einem Bedeutungszusammenhang zueinander stehen. Rechtsstaatliche Standards können dementsprechend nicht durch unklare Sperrwirkungen erreicht werden, sondern nur durch restriktive Eingriffsermächtigungen, deren Voraussetzungen methodengerecht und gewissenhaft konkretisiert und angewendet werden. Der Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ lässt sich daher keine Aussage für eine einzelne Eingriffsermächtigung darüber entnehmen, ob sie dem Opportunitäts- oder Legalitätsprinzip folgt. Für den Diskurs über die Bestimmung des Verhältnisses sicherheitsrecht­ licher Eingriffsgrundlagen ist eine Kriterienanleihe bei anderen Abgrenzungsfragen unstatthaft. Die damit einhergegangenen Normativitätserwar­ tungen, die sich aus einer strikten Zweiteilung ergeben, wurden enttäuscht. Nicht die überschneidungsfreie Systematisierung des Rechts erhöht den Grundrechtsschutz, sondern die treue und methodisch gewissenhafte Anwendung des positiven Rechts (in diesem Zusammenhang der einfachrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen) gewährleistet gerade auch in (vermeintlichen) Überschneidungssituationen sachgerechte Ergebnisse. Sie verlagert darüber hinaus den Rechtfertigungsdruck an die Gesetzgeber, die folglich selbst die materiellen Hürden für sicherheitsrechtliches Handeln festlegen müssen und sich nicht auf systematische (nicht existente) Grenzen verlassen können.

III. Rechtsschutz im Sicherheitsrecht Rechtsschutz gegen sicherheitsrechtliche Maßnahme kann vor den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten erlangt werden. Zur Abgrenzung der Rechtswege wird die Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ herangezogen: „Präventive“ Maßnahmen können vor den Verwaltungsgerichten, „repressive“ Maßnahmen vor den ordentlichen Gerichten überprüft werden. Es stellt sich daher die Frage, welches Differenzierungspotential der Unterscheidung im Unterschied zum Verfassungsrecht und zum materiellen operativen Recht im Prozessrecht zukommt. Rechtswegzuweisungen kommt vor allem eine Ordnungsfunktion zu; allen Gerichtszweigen wird inhaltlich eine grundsätzliche Gleichwertigkeit zugeschrieben.900 Selbst 899  So aber Denninger, Polizeiaufgaben, in Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 171. 900  Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in BVerwGE 37, 369 (372).



III. Rechtsschutz im Sicherheitsrecht245

wenn die Gerichtszweige eine unterschiedliche Anzahl an Instanzenzüge haben, ist diese sub specie Art. 19 Abs. 4  GG irrelevant.901 Dennoch ist auf Grundlage des geltenden Prozessrechts eine Abgrenzung erforderlich. 1. Einfachrechtliche Maßstäbe Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten sind gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO dem Verwaltungsrechtsweg zugeordnet, sofern keine abdrängende Sonderzuweisung existiert (§ 40 Abs. 1 S. 2 VwGO). Auch eine nach Sinn und Zweck ausgelegte Rechtswegzuweisung stellt eine „ausdrückliche Regelung“ im Sinne von § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO dar.902 Eine solche Sonderzuweisung findet sich in § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG, wonach Maßnahmen von Justizbehörden (so genannte Justizverwaltungsakte) dem ordentlichen Rechtsweg zugewiesen sind. Nach § 23 Abs. 1 S. 1 Var. 1 EGGVG entscheiden „über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf [dem] Gebiet […] der Strafrechtspflege getroffen werden […] auf Antrag die ordentlichen Gerichte“. Diese abdrängende Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO ist tatbestandlich mithin dann verwirklicht, wenn die beanstandete Maßnahme „eine Angelegenheit der Strafrechtspflege“ betrifft. § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG soll verhindern, dass Gerichte verschiedener Gerichtszweige über dieselben Rechtsstreitigkeiten entscheiden, aber auch, dass die Gerichte nicht unterschiedliche Entscheidungen für gleiche Sachverhalte treffen.903 Diese Generalklausel sollte mittelfristig von den Konkretisierungen in den prozessualen Spezialgesetzen abgelöst werden,904 was jedoch bislang nicht geschehen ist. Daneben besteht in § 98 Abs. 2 S. 2 StPO eine weitere Sonderzuweisung, wonach der Adressat einer strafprozessualen Beschlagnahme jederzeit eine richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme beantragen kann. Diese Norm lässt sich auf alle weiteren (sogar erledigten) Strafverfolgungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen analog anwenden.905 Rechtsschutz gegen polizeiliches Handeln kann damit vor drei „Gerichten“ stattfinden:906 Neben dem ordentlichen und dem Ver901  Mit

Blick auf das Polizeirecht BVerwGE 47, 255 (263 f.). 15, 34 (36). 903  BVerwGE 6, 86 (89 f.); 47, 255 (263). 904  BT-Drs. III/1094, S. 15. 905  BVerfGE 96, 44  ff., zu dogmatischen Bedenken vgl. Schenke, NJW 2011, S.  2838 (2839 ff.). 906  Nach Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2018, § 2 Rn. 13. 902  BVerwGE

246

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

waltungsrechtsweg ist auch „präventiver“ (sic!) Rechtsschutz907 vor dem Ermittlungsrichter möglich. Handeln die Polizeibehörden im Rahmen ihrer „Eil- und Notfallkompetenz“ etwa im Rahmen der §§ 98, 127 StPO, kann gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO der zuständige Ermittlungsrichter angerufen werden. Diese Regelung gilt analog auch für alle sonstigen Ermittlungsmaßnahmen unabhängig davon, ob ein Richtervorbehalt für die konkrete Maßnahme besteht.908 Zuständig ist auch in diesem Fall gem. § 162 StPO der Ermittlungsrichter am Amtsgericht. 2. Differenzierungspotentiale Keine Frage der prozessualen Abgrenzung einer polizeilichen Maßnahme ist ein sich möglicherweise auswirkender Präventionseffekt der Maßnahme,909 besser Präventionsreflex. Diese vor allem im materiellen Strafrecht zu ver­ ortenden Strafzwecküberlegungen, die nach spezialpräventiven oder generalpräventiven Zwecken oder Reflexen von Strafnormen fragen910, können in Zwecküberlegungen über strafprozessuale Maßnahmen transferiert werden, haben aber für die Zuordnung zu einem Rechtsweg keine Auswirkung. Umgekehrt ist es auch unerheblich, wenn eine Maßnahme zum Zweck der Gefahrenabwehr zugleich repressiven Zwecken dient.911 Der Fall der „Prävention durch Repression“912 ist vielmehr eine prägnante – weil irritierende – semantische Kontextualisierung zweier völlig unterschiedlicher Begriffskonzepte. „Prävention“ als alltagssprachliches Wort bzw. als kriminologischer Begriff wird mit dem juristischen Fachbegriff der „Repression“ verbunden, ohne dass die Begriffe dem Konzept nach im Verhältnis stehen. Es ist vielmehr ein suggestives Sprachspiel, dessen Normativitätslosigkeit allerdings leicht erkannt werden kann. Es könnte zudem nach dem abstrakten Rechtsweg gefragt werden, das heißt, ob bei der Anwendung einer Ermächtigungsgrundlage die Eröffnung nur eines bestimmten Rechtswegs in jedem Falle denkbar ist, weil die Norm 907  Zum „präventiven“ Rechtsschutz und seine verfassungsrechtlichen Implikationen umfassend Voßkuhle, Präventive Richtervorbehalte, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band V, 2013, § 131. 908  M. w. N. Frister, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2021, Kap. K Rn. 110. 909  Buchberger, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. K Rn. 15. 910  Für das Strafrecht instruktiv und eingängig Hassemer, JuS 1987, S.  257 (257 ff.). 911  Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 2017, § 4 Rn. 69. 912  Umgekehrt gilt das für den Fall der „Repression durch Prävention“.



III. Rechtsschutz im Sicherheitsrecht247

verschiedene Zwecke verfolgt, die unterschiedlichen Rechtswegen zugeordnet werden könnten, oder einen Zweck verfolgt, der unter mehrere Rechtswege subsumiert werden könnte (abstrakt doppelfunktionale Ermächtigung913). Gerade im Bereich der Strafverfolgungsvorsorge bleibt trotz der Entscheidung für eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes weiter unklar, ob es sich bei einer solchen Maßnahme zugleich um einen Justizverwaltungsakt handelt, so dass der ordentliche Rechtsweg eröffnet wäre. Die Frage des Rechtswegs lässt sich aber gerade nicht abstrakt beantworten, sondern hängt von parallelen Rechtsgrundlagen und vor allem dem tatsächlichen Handeln der Polizeibehörden ab. Schließlich ist bei Maßnahmenbündeln zwischen den einzelnen Maßnahmen zu differenzieren. Es ist sachgerecht, dass für einen einheitlich anmutenden, aber aufspaltbaren Geschehensablauf unterschiedliche Gerichte zuständig sein können.914 3. Kriterien zur Abgrenzung In den verbleibenden Konstellationen915 kann die konkrete tatsächliche Anwendung der Ermächtigungsgrundlage („konkret doppelfunktionale Maß­ nahme“916) bzw. die tatsächliche Anwendung einer anderen Ermächtigungsgrundlage oder der parallel anwendbaren Ermächtigungsgrundlagen („abstrakt doppelfunktionale Maßnahme“,917 zum Beispiel eine Sicherstellung nach den Landespolizeigesetzen sowie der StPO, wenn die konkrete Maßnahme beide Tatbestände und Rechtsfolgen erfüllt), die die gleiche Rechtsfolge ermöglicht, für den Rechtsweg entscheidend sein. Die Bestimmung des Rechtswegs erfolgt dabei unabhängig von der materiellen Zuordnung der streitgegenständlichen Maßnahme und der Zuordnung zu einer Gesetzgebungskompetenz der entsprechenden einfachrechtlichen 913  Angelehnt an die Terminologie bei Rachor, der mit abstrakt doppelfunktionalen Maßnahmen Standardmaßnahmen beschreibt, die sich sowohl in gefahrenabwehrrechtlichen wie auch strafverfahrensrechtlichen Ermächtigungen finden, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 22. 914  Statt aller Buchberger, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. K Rn. 19. 915  Unklar ist die Häufigkeit solcher Konstellationen, vgl. einerseits Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1116), andererseits Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 16. Aufl. 2017, § 19 Rn. 22. 916  So die hilfreiche Terminologie bei Rachor, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 28. 917  Terminologie bei Rachor, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 22.

248

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Normen. So ist gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 81 Var. 2 StPO wegen der Sachnähe zum Polizeirecht (nur die Polizeibehörden, nicht aber die Staatsanwaltschaft, kann von dieser Ermächtigung Gebrauch machen) nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts der Verwaltungsrechtsweg eröffnet,918 obwohl sie der Strafverfolgungsvorsorge zuzurechnen sind und nur deshalb der Normerlass in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fiel.919 Dies dürfte mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 81 Var. 2 StPO deshalb überzeugen, weil dieses den hinreichenden Bezug zu einem konkreten Strafermittlungsverfahren auch dann bejaht, wenn dieses eingestellt oder hinsichtlich des Anlass­verfahrens ein rechtskräftiger Freispruch erwirkt wurde.920 Das Tatbestandsmerkmal „gerichtliches Verfahren“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG und das Tatbestandsmerkmal „Verfügung auf dem Gebiet der Strafrechtspflege“ im Sinne von § 23 Abs. 1 EGGVG unterliegt damit unterschiedlichen Abgrenzungslogiken, die, wenn sie mit den Begriffen „Prävention“ und „Repression“ abgebildet werden sollen, nur durch eine autonome Begriffsbildung abgebildet werden können.921 Für eine Norm auf dem Gebiet des „gericht­ lichen Verfahrens“ genügt es, wenn sie zu einer Maßnahme ermächtigt, die 918  BVerwG, NVwZ-RR 2011, S. 710; aber auch schon BVerwGE 26, 169 (170); Graulich, NVwZ 2014, S. 685 (686); so auch schon Emmerig, DVBl. 1958, S. 338 (344); a. A. noch BVerwGE 2, 302 (302 ff.); aber auch Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1121); für einen Gleichlauf zwischen Gesetzgebungskompetenz und Rechtsschutz für die Strafverfolgungsvorsorge in der Vorinstanz VGH Kassel, DVBl. 2011, S. 515; lesenswert „Dabei ist der Gedanke der Prävention untauglich, um eine klare Abgrenzung zu erreichen“ und für eine Zuordnung zu den ordentlichen Gerichten aufgrund einer höheren Sachnähe VG Berlin, Beschluss vom 28. März 2006, 1 A 152.05. 919  Entschieden anderer Ansicht („Mittel zum Zweck“) Rachor, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 35; mit der h. M. nun Buchberger, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. K Rn. 29 ff. 920  BVerwG, Beschluss vom 25.03.2019 – 6 B 163.18, BeckRS 2019, 8543 Rn. 8 ff. sowie BVerwGE 162, 275 ff. 921  Gleiches gilt für die Frage nach etwaigen Kostenersatzansprüchen: „Im Gegensatz zur Ansicht des VG kann im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf abgestellt werden, ob sich eine polizeiliche Maßnahme nach ihrem Gesamteindruck als solche der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr darstellt. Dieser im Urteil vom 3.12.1974 (BVerwGE 47, 255 [264 f.] = NJW 1975, 893) entwickelte Ansatz betrifft nur die Frage, in welchem Rechtsweg Maßnahmen der Polizei gerichtlich überprüft werden. Aus den in diesem Urteil näher dargelegten Gründen kann die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit nur einheitlich entschieden werden; demgemäß bedarf es einer Gesamtwürdigung aus der Sicht eines verständigen Bürgers. Dies besagt jedoch nichts für die hier erörterte Frage des Verhältnisses des strafverfahrensrechtlichen Kostenrechts zu einem landesrechtlich begründeten Ersatzanspruch.“, BVerwGE, NVwZ 2001, 1285 (1286); aus teleologischen Gründen wird § 23 EGGVG für Maßnahmen nach dem BKAG noch restriktiver ausgelegt, vgl. BGH, NJW 2017, S. 2631 (2632 ff.).



III. Rechtsschutz im Sicherheitsrecht249

erst im Strafverfahren verwertet werden soll. Dagegen ist es für einen Justizverwaltungsakt erforderlich, dass die Maßnahme innerhalb eines konkreten Strafverfahrens durchgeführt wird. § 23 Abs. 1 EGGVG beschränkt sich damit auf den Strafprozess im engeren Sinne. Entscheidend ist damit die Nähe zu einem konkret eingeleiteten Strafverfahren. Für den Erkennungsdienst formulierte das BVerwG schon 1967 semantisch instruktiv: „Die Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen dient hauptsächlich der repressiven Verbrechensbekämpfung. Sie ist keine [sic!] Maßnahme auf dem Gebiet des Strafprozesses. Wenn auch die Herstellung der erkennungsdienstlichen Unterlagen in Beziehung zu einem bestimmten Strafverfahren gegen den Kläger gestanden hat, so dient die Aufbewahrung dieser Unterlagen der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben außerhalb einer konkreten Strafverfolgung. […] Da der Kläger keine strafprozessuale, sondern eine Amtshandlung der Kriminalpolizei auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts erstrebt, ist somit gemäß § 40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet […].“922

4. Doppelte Rechtswegmöglichkeit bei doppelfunktionalen Maßnahmen Ist eine Aufspaltung nicht möglich und können für eine Maßnahme sowohl Rechtmäßigkeitsmaßstäbe aus dem Gefahrenabwehrrecht als auch aus dem Strafverfahrensrecht herangezogen werden, kommt dem Betroffenen ein Wahlrecht hinsichtlich des Rechtswegs zu.923 Für eine Beschneidung der Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Ermittlung eines etwaigen Schwerpunkts gibt es keinen Anlass.924 Für den Betroffenen kann es aber sinnvoll sein, den Rechtsweg davon abhängig zu machen, auf welche Rechtsgrundla922  BVerwGE

26, 169 (170). Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 28 f. („rechtswegübergreifende Prüfungskompetenz“); in diesem Sinne Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1122); „(kommt) für die polizeiliche Maßnahme aber (zumindest auch) eine präventiv-polizeiliche Rechtsgrundlage in Betracht …, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet“ m. w. N.; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2014, S. 327 (328); Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Band I, 41. Ergänzungslieferung 2021, § 40 Rn. 606 f.; dagegen für ein zwingendes Kumulieren der Rechtswege für eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung Schenke, NJW 2011, S. 2838 (2843): „Eine solche prinzipale Entscheidung eines Gerichts über eine rechtswegfremde Frage stellt aber in unserem Prozessrecht einen Fremdkörper dar.“; in diese Richtung auch Kingreen/ Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2020, § 2 Rn. 14. 924  Zur Unbrauchbarkeit und Willkür der Schwerpunkttheorie insgesamt prägnant Rachor, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 29; ähnlich auch Buchberger, Rechtsschutz, in: Lisken/ Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. K Rn. 27; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, Rn. 476 („(Leer-)Formel“). 923  Rachor,

250

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

gen sich die Behörde konkret stützt und welche Rechtsgrundlage er für verletzt hält, um in diesem Sinne das sachnähere Gericht mit der Überprüfung zu betrauen. Umgekehrt bedeutet dies, dass von vornherein abstrakt ein „doppelter Rechtsweg“ gegen eine doppelfunktionale Maßnahme denkbar ist.925 Hat sich der Betroffene für einen Rechtsweg entschieden, hat das entsprechende Gericht nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.926 Freilich hängen die in Betracht kommenden Gesichtspunkte maßgeblich vom Begehren des Klägers bzw. des Angeklagten ab und können variieren.927 5. Reflexe institutioneller Trennung Die Regelung des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG vermag die Diskurse von Öffentlichem Recht und Strafrecht institutionell zu trennen. Sie kann zu einer isolierten Streitentscheidung und zu einer Rechtfertigung für die Ignoranz der Funktionslogiken des jeweils anderen Teilrechtsgebiets führen. Die bisherige Untersuchung hat aber gezeigt, wie wichtig es für das Verständnis des Sicherheitsrechts ist, wenn die Funktionslogiken anderer anwendbarer Normen methodengerecht zur Sprache kommen. Nur dann kann erkannt werden, dass keine dichotome Zweiteilung von „Prävention“ und „Repression“ durch die Rechtsetzer angelegt ist und es einer solchen aus rechtsstaatlicher Perspektive auch nicht bedarf. Ausdruck dieser fehlenden Sensibilität ist dann eine zu laxe Prüfung gerade der Tatbestände, die jedenfalls durch eine Inzidentprüfung Prüfungsgegenstand auch des vermeintlich nicht einschlägigen Rechtswegs sein muss. Es ist deshalb umgekehrt geboten, die Funktionslogiken des jeweils nicht „anwendbaren Rechtswegs“ im Blick zu halten, um Wertungen auch für den eigenen Rechtsweg zu generieren.

925  Kritisch dazu und zum Vorschlag, zwei eigenständige Streitgegenstände anzunehmen Schenke, NJW 2011, S. 2838 (2843); dagegen Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1122). 926  OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2014, S. 327; Schoch, Jura 2013, S. 1115 (1122); gegen eine Anwendbarkeit von § 17 Abs. 2 S. 1 GVG Buchberger, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Kap. K Rn. 27; Schenke, NJW 2011, S. 2838 (2843); ausführlich Schmidbauer, in: Manssen/Jachmann/Gröpl (Hrsg.), Nach geltendem Verfassungsrecht. Festschrift für Udo Steiner zum 70. Geburtstag, 2009, S. 734 (754 f.). 927  Dies ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Zu einem vereinheitlichenden Vorschlag de lege ferenda Brodowski, Verdeckt technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 489 ff.



IV. Zusammenfassung251

6. Zwischenergebnis Die Entscheidung über den Rechtsweg erfolgt unabhängig von der Gesetzgebungszuständigkeit für die einschlägige Ermächtigungsgrundlage und unabhängig von der Frage der materiellen Zuordnung der Ermächtigungsgrundlage zum Gefahrenabwehr- oder Strafverfahrensrecht. Die begriffliche Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ trägt für die Frage der Rechtswegabgrenzung zwischen ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten nichts bei. Eine dichotome Unterscheidung bietet sich ohnehin von vornherein schon deshalb nicht an, da Rechtswegdoppelungen denkbar sind und Wahlrechte für den Rechtsweg bei doppelfunktionalen Maßnahmen existieren. Maßgebliches teleologisches Kriterium für die Zuordnung zur Strafrechtspflege im Sinne des § 23 EGGVG und damit zum ordentlichen Rechtsweg ist die Nähe zu einem konkret eingeleiteten Strafverfahren: Erst ab Einleitung eines konkreten Strafermittlungsverfahrens ist der Rechtsschutz gegenüber operative sicherheitsrechtliche Maßnahmen vor den ordentlichen Gerichten eröffnet.

IV. Zusammenfassung Ist eine Straftat Bezugspunkt der polizeilichen Aufgabenabgrenzung, gestaltet sich die Abgrenzung zumindest in der Theorie dichotom beschreibbar. Ist die Straftat noch nicht geschehen, ist es Aufgabe der Polizeibehörden, sie zu verhindern. Ist die Straftat verwirklicht, kann es Aufgabe der Polizeibehörden sein, sie zu verfolgen.928 Eine Abgrenzung erfolgt dann mit Hilfe der – jedenfalls typischer Weise temporal zu verstehenden – juristischen Basisbegriffe von „Prävention“ und „Repression“. Ist aus ex ante Sicht nicht sicher, ob es zu einer Straftat kommt, und kann eine Maßnahme sowohl zur Abwehr einer Straftat als auch zur Verfolgung einer Straftat genutzt werden, hat dies auf ein theoretisch dichotomes Konzept zunächst keinen Einfluss. Der polizeiliche Umgang mit (zukünftigen) Straftaten stellt quantitativ einen kleinen Ausschnitt an Lebenssachverhalten dar, denen das Sicherheitsrecht begegnet. Das Strafrecht ist insoweit dennoch Bezugspunkt sowohl des Gefahrenabwehr- wie auch des Strafverfahrensrechts, die sich gleichermaßen unter das Sicherheitsrecht subsumieren lassen können. Aus dieser temporalen Normalitätsannahme leitet sich die begriffliche Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ im tradierten Polizeirecht ab. Die sich daran anschließenden kategorialen Grundunterscheidungen Opportunität/Legalität, Bundeskompetenz/Landeskompetenz, Gefahr/Verdacht, 928  Zu dieser idealtypischen Dimension der Unterscheidung Rudolph, Antizipierte Strafverfolgung, 2005, S. 147, 149.

252

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

Störer/Beschuldigter, Straftatenverhütung/Strafverfolgungsvorsorge bilden die abgeleiteten binären Folgeunterscheidungen, mittels derer das Polizeiund Ordnungsrecht wahrgenommen und angewendet wird.929 Mittels zuordnender Begriffe wie „doppelfunktionale Maßnahme“, „Zweckbindung“ oder „Schwerpunkt“ wird diese Struktur in Zweifelsfällen modifiziert aufrecht­ erhalten. Diese deduktive Wahrnehmungsform des Sicherheitsrechts entspricht dabei aber weder der gesetzgeberischen Ordnung noch seiner entsprechenden Dogmatik und erweist sich daher als teleologisch dysfunktional. Das Verfassungsrecht und das Prozessrecht verlangen dem Rechtsanwender zwar binäre Entscheidungen ab. Die jeweiligen Entscheidungsmaßstäbe werden aber nicht von den Begriffen von „Prävention“ und „Repression“ geprägt. Ein binäres und dichotomes Verständnis des Sicherheitsrechts ist aber nur dann nachhaltig funktional, wenn es rechtsfragenübergreifend Leitentscheidungen für das Sicherheitsrecht trifft. Die Schnittstelle zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht eignet sich demgegenüber für eine über die Grenzen von „Prävention“ und „Repression“ hinausgehende Betrachtung, weil sich materielle Standards zusehends angleichen. Die Aufrechterhaltung einer strukturellen Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ in seiner abstrakten Form erschwert dagegen das Verständnis hinsichtlich der konkreten Rechtsanwendungsfrage und vermag darüber hinaus semantischen Rechtfertigungsdruck auszulösen. Die Dichotomie folgt einer überpositiven Annahme, dass der Unterscheidung eine rechtsstaatliche Gewissheit innewohnt, so dass es sich daher bei der Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ um ein dogmatisches Leitbild handelt. Diese Annahme hat sich bei keiner der klassischen Abgrenzungsfragen als tragfähig erwiesen: Eine systematische und dichotome Gegenüberstellung lässt sich nicht hinsichtlich mehrerer Abgrenzungsfragen aufrechterhalten, ohne dass die begriffliche Gegenüberstellung zu einer Leerformel wird; der Unterscheidung lassen sich keine materiellen Abstufungen entnehmen und der Einsatz der Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ durch die Gesetzgeber führt zu keiner konturierten Zweckbindung. Die Unterscheidung liefert den Rechtsetzern auch keine heuristischen Erträge, weil sie Fragen der Gesetzgebungskompetenz unterkomplex behandeln, so dass sich ein Rechtsetzer seiner gesetzgeberischen Verantwortung mit Verweis auf die Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression entziehen kann oder aber materielle Anforderungen der Zweiteilung entnehmen kann, die de constitutione lata nicht gestellt werden. 929  Statt aller Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 1 ff.; ausdrücklich für die Beibehaltung plädierend („systembildend“) m. w. N. Schoch, Polizei- und Ordnungsrecht, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 16 ff.



IV. Zusammenfassung253

Dass die dichotome Zweiteilung unterkomplex ist und das geltende Recht nur unzureichend abbildet, wurde in der Rechtswissenschaft erkannt und soll durch eine begriffliche Erweiterung der Dichotomie behoben werden. Für den die Dichotomie sprengenden Vorfeldbereich wurde die begriffliche Einteilung in die Strafverfolgungsvorsorge und Straftatenverhütung eingeführt. Diesen Vorfeldbereich versucht man terminologisch – im Einzelnen konzeptionell uneinheitlich – mit „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“930, „Prä­ vention“931, „Prävention II“932 oder „Vorsorge“933 zu erfassen. Neben der Einführung einer dritten Kategorie zeichnet Marion Albers ein neues Gesamtbild in Form eines „vernetzten Quadrats“, was durch die funktional aufeinander bezogenen Aufgaben Straftatenverhütung und Gefahrenabwehr sowie Strafverfolgung und Verfolgungsvorsorge gebildet wird.934 Sebastian Kral hat ein Stufenmodell entwickelt, bei dem Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr, Maßnahmen zur Aufklärung einer individualisierten konkreten Gefahr, Maßnahmen zur Aufklärung entindividualisierter Gefahren, Maßnahmen zur Aufklärung und zum Ausschluss von Bedrohungspotentialen zum Schutze eines gewichtigen Rechtsgutes, Maßnahmen zur Aufklärung entindividualisierter Bedrohungspotentiale sowie prognoseunabhängige Aufklärungsbefugnisse unterschieden werden.935 Gemeinsam ist diesen begrifflichen Erweiterungen, dass sie auf die tradierte Zweiteilung rekurrieren, indem sie diese lediglich modifizieren. Dennoch ermöglichen sie die Erkenntnis, dass die Einteilung in „Prävention“ und „Repression“ unterkomplex ist. Dass sie ebenso durch ihre Abstraktheit bei Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 6 ff. „dritter Pfeiler“ in Abgrenzung zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, vgl. Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 1 ff.; vertiefend: Pitschas, JZ 1993, S. 857 ff.; Pitschas. Kriminalprävention und „Neues Polizeirecht“, 2002, S. 13; grundlegend Weßlau, Vorfeldermittlungen, 1989, S. 158 ff. 932  Denninger, der mit „Prävention II“ in dieser Abstraktionsebene nicht – wie üblich – die gefahrenabwehrende Tätigkeit der Polizei („Prävention I“) versteht, sondern Maßnahmen im Vorfeld von Gefahr und Verdacht als eigene Kategorie im Präventionsstaat, der teilweise „antinomische Funktionslogiken“ zugrunde lägen, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. L Rn. 5. 933  Umfassend Kremer, Vorsorge im allgemeinen Sicherheitsverwaltungsrecht (Manuskript), 2015. 934  Im Überblick und mit weiteren kritischen Hinweisen zu dieser Aufteilung Denninger, Polizeiaufgaben, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. L Rn. 4; grundlegend Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 118 ff., 361, 368. 935  Kral, Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts, 2012, S. 169 ff. 930  Warschko, 931  Als

254

D. „Prävention“ und „Repression“ im geltenden Sicherheitsrecht

der konkreten Rechtsanwendung konkretisierungsbedürftig und epistemisch dysfunktional sein können, zeigt sich am Beispiel von Strafverfolgungsvorsorgemaßnahmen, die nicht einheitlich mit Hilfe der Begriffe von „Prävention“ und „Repression“ einem Gesetzgeber und einem Rechtsweg zugeordnet werden können. Die beharrliche Beibehaltung und Weiterverwendung des Begriffspaars konnte nur gelingen, indem man die Bedeutung der Begriffe der Beliebigkeit preisgegeben hat.

E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar Der aufgezeigte Bedeutungspluralismus des Begriffspaars, der im sicherheitsrechtlichen Kontext zu beobachten ist, resultiert zunächst aus verschiedenen Abstraktions- bzw. Normhierarchieebenen auf vertikaler Ebene, in denen das Begriffspaar vorgeblich strukturgebend und erkenntnisleitend verwendet wird. Daneben hat die Untersuchung deutlich gemacht, dass innerhalb einer solchen Ebene unterschiedliche Teilrechtsgebiete und Disziplinen die Probleme, die im Zusammenhang mit der Bedeutungsvielfalt entstehen, verschärfen können. Ein einheitliches deskriptives oder normatives Konzept von „Prävention und Repression“ ist mithin im Sicherheitsrecht als Referenzgebiet nicht erkennbar. Da das Begriffspaar gleichwohl in seiner Entgegensetzung weiterhin ein tradiertes Argumentationsmuster ist, welchem die grundsätzliche Unterscheidung dem „Wesen“ des Polizei- und Sicherheitsrechts entsprechen würde, soll die bisher aufgezeigte Kritik an dem Begriffspaar abschließend zu drei grundsätzlichen Kritikebenen verdichtet werden, die den Weg in ein „gegensatzaufhebendes“ multidimensionales Sicherheitsrecht ebnen können: Kritikebene der „Semantischen Irritationen“ (I.), Kritik­ ebene der „Inhaltlichen Illusionen“ (II.) und Kritikebene der „Systematischen Konfu­sionen“ (III.).

I. Semantische Irritationen Häufig ist eine Nominaldefinition einfach deshalb unzweckmäßig, weil sich im Alltagssprachgebrauch mit dem Definiendum bestimmte Vorstellungen verbinden, die sich nur schwer unterdrücken lassen. […] Von Nachteil ist aber, dass die Ausdrücke der Fachsprache in mehr oder weniger abweichender Bedeutung gebraucht werden als die gleichlautenden Wörter der Alltagssprache und daher insbesondere den Laien in die Irre führen. Der Terminus entfernt sich vom üblichen Sprachgebrauch. […] [E]ine (Nominal)-Definition kann nicht falsch sein, sondern sie ist allenfalls unzweckmäßig, wenn sie gegen Sprachkonventionen verstößt und dadurch zu Missverständnissen führt.936

Bloße semantische Kritik an einzelnen Rechtsbegriffen mag im Einzelfall Förmelei und inhaltsleer sein. Die durch die Begriffe abgebildeten Sätze sollten zuvörderst Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Diskurses sein. 936  Röhl/Röhl,

Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 39.

256

E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

Betrachtet man dagegen das Verhältnis zwischen Wort, Begriff und Satz aus einer Außenperspektive, zeigen sich Interferenzen. Das Wort ist nicht bloß sterile Hülle seiner Sätze, sondern – abhängig von seinem Gebrauchskontext – Transmitter impliziter Normalitäts- sowie Normativitätsannahmen. Teil dieser unausgesprochenen Vorverständnisse sind nicht nur inhaltliche und systematische Verständnisse, die ihrerseits überprüfbar und diskutierbar sind, sondern auch Vorverständnisse, die semantisch vermittelt werden und damit einem rechtswissenschaftlichen Diskurs nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich sind. Die semantische Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ lässt sich als illokutionären Akt937 beschreiben. Ihnen kommen als Worte unterschiedliche (normative) Konnotationen938 in der Alltagssprache zu, wenn sie im Kontext der inneren Sicherheit verwendet werden. Unter einer Konnotation versteht man eine zusätzliche Bedeutungsnuance, die in jedem Wort mehr oder weniger mitgeliefert wird.939 Diese Konnotationen sind Grundlagen für einen illokutionären Akt in der Rechtswissenschaft, der Grundlage für eine kontextrelevante Wertung werden kann. Mit Sprache wird nicht nur eindimensional etwas bezeichnet oder gemeint, sondern werden weitere Intentionen verfolgt bzw. „Verhalten, Einstellungen, Meinungen der Äußerungsadressaten beeinflusst […]“.940 Dieser Befund ist nicht nur Kritik an der Auffassungsgabe und Reflexion des Rezipienten, sondern kann sich aus rechtswissenschaftstheoretischer Perspektive zu einem Gebot an den Begriffsverwender verdichten, innerhalb der juristischen Operation einen illokutionären Akt durch Offenlegung oder durch den Verzicht auf die Begriffe zu verhindern. Diese semantischen Irritationen folgen aus Interferenzen zwischen der Alltagsprache, den juristischen Basisbegriffen und der sicherheitsrechtlichen Dichotomie (1.–3.). Neben diesen Interferenzen bestimmt die Verwendungsbeliebigkeit und Bedeutungsaustauschbarkeit die Begriffe, die eine besonders hohe Missbrauchsgefahr des illokutionären Akts erklärt (4.).

937  Zum Begriff des mittelbar-illokutionären Akts und seiner Grundlagen in den Sprachakttheorien vgl. im Überblick Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S.  98 ff. 938  Auch Lindner spricht von einer „normativen Konnotation“, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 104 f. 939  Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 31. 940  Lindner, Rechtswissenschaft als Metaphysik, 2017, S. 102 f.



I. Semantische Irritationen257

1. Interferenz zwischen Alltagssprache und den juristischen Basisbegriffen Die juristischen Basisbegriffe „Prävention“ und „Repression“ teilen einen Geschehensablauf temporal und dichotom in zwei Teile. In dieser Funktion sind sie deskriptive Rechtsbegriffe. In dieser Bedeutung haben sich die Begriffe von ihrer alltagssprachlichen Bedeutung der Worte emanzipiert. In der Alltagssprache haben die Worte nämlich kein (temporales) Verhältnis zueinander; für den Begriff der „Prävention“ ist die zeitliche Zukunftsgerichtetheit zwar notwendiges Merkmal, dem Begriff der Repression wohnt aber kein temporales Moment inne. Die im Verhältnis zur Alltagssprache relative (deskriptive) Begriffsentwicklung ist – isoliert betrachtet – nicht zu beanstanden, aber dennoch bemerkenswert und Grundlage für die Bedeutungsevolutionen im Sicherheitsrecht. Sollen „Prävention“ und „Repression“ als juristische Basisbegriffe weiterhin deskriptive Verwendung finden, gilt es die pejorative Bedeutung des Wortes „Repression“ und die meliorative Bedeutung des Wortes „Prävention“ zu erkennen und einzufangen. Diesen in den Worten liegenden Auf- und Abwertungen kann sich der Verwender von vornherein entziehen, wenn er stattdessen die (allein) zeitliche Unterscheidung von „prospektiv“ und „retrospektiv“ oder die intensionale Unterscheidung von „proaktiv“ und „reaktiv“ wählt. 2. Interferenz zwischen Alltagssprache und sicherheitsrechtlicher Dichotomie Wenn das Strafverfahrensrecht mit dem Begriff „Repression“ etikettiert wird, migrieren die pejorativen Konnotationen, die dem alltagsprachlichen Begriff innewohnen, in den juristischen Diskurs. „Repression“ wird in diesem Sinne als etwas im Verhältnis zur „Prävention“ begründungsbedürftigeres empfunden, ohne dass dies induktiv aus der Verfassung oder dem einfachen Recht abgeleitet werden könnte. Dies resultiert aus der parallelen sicherheitsrechtlichen Verwendung des Worts „Repression“ auf Tatsachenebene in alltagssprachlicher Bedeutung. Im Asylverfahren führt eine zu erwartende unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung in dem Land, in das abgeschoben werden soll, nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz i. V. m. Art. 3 EMRK941 zu einem einfachrechtlichen Abschiebeverbot. In diesem

941  Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2010 (BGBl. II S. 1198), zuletzt geändert durch 15. EMRK-Protokoll vom 24.06.2013 (BGBl. 2014 II S. 1034).

258

E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

Zusammenhang wird der Begriff der „Repression“ als Anhaltspunkt für eine solche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung angeführt.942 In umgekehrter Stoßrichtung lässt sich die Interferenz zwischen dem alltagssprachlichen Wort „Prävention“ und der begrifflichen Etikettierung des Gefahrenabwehrrechts beschreiben. Die weitsichtige und schadensverhindernde Konnotation, die dem Wort „Prävention“ innewohnt, führt dazu, dass das Gefahrenabwehrrecht insgesamt als weniger begründungsbedürftig empfunden und der „Repression“ als vorrangig begriffen wird. Diese Pauschalisierungen erscheinen unter dem Vorverständnis der Worte in der Alltagssprache als nicht weiter reflektionsbedürftig. Neben der Gleichsetzung von Strafverfahrensrecht mit „Repression“ und Gefahrenabwehrrecht mit „Prävention“ werden die Adjektive „präventiv“ – „repressiv“ als Attribute („repressives Strafverfahrensrecht“/„präventives Gefahrenabwehrrecht“) gebraucht. In diesem Gebrauch können den Adjektiven eine tautologische, eine suggestive oder eine konkretisierende Funktion zukommen. Eine zeitlich notwendige Bedeutung im Sinne der juristischen Basisbegriffe würde eine Konkretisierung bedeuten. Wenn „repressiv“ dagegen auch in diesem Kontext mit Strafverfahrensrecht und „präventiv“ mit Gefahrenabwehrrecht gleichzusetzen ist, wäre es eine tautologische Bezeichnung. In dieser tautologischen Bedeutung kann aber zugleich ein suggestiver Akt angelegt sein, wenn nämlich mit dieser tautologischen Doppelung angezeigt werden soll, dass das damit Bezeichnete in Einklang mit der konzep­ tionellen Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ steht, so dass eine inhaltliche Folgerichtigkeit des Bezeichneten suggeriert wird. In diesem Sinne käme der begrifflichen Zusammensetzung eine suggestive Funktion zu. 3. Interferenz zwischen den juristischen Basisbegriffen und der sicherheitsrechtlichen Dichotomie Erster Anknüpfungspunkt für die Kritik am Begriffspaar „Prävention“ und „Repression“ war die Etymologie der Begriffsworte und das Verhältnis der Worte zueinander. Die Worte stellen Chamäleons dar, die in zahlreichen unterschiedlichen Kontexten Konjunktur verzeichnen. In den unterschiedlichen Kontexten kommen den Worten unterschiedliche Bedeutungen zu. Im Sinne juristischer Basisbegriffe hat die echte Dichotomie „präventiv“ – „repressiv“ typischer Weise zeitliche Bedeutung. Das zeitliche Abgrenzungsmerkmal stellt den Begriffskern dar und muss notwendige Bedingung für die Anwend942  Exemplarisch BVerwG, Urteil vom 27. März 2018 – 1 A 4/17, BeckRS 2018, 9650, Rn. 105.



I. Semantische Irritationen259

barkeit der dichotomen Basisbegriffe sein, um ein Differenzierungspotential zu haben. Als Adverbien oder Adjektive lassen sich die Begriffe „präventiv“ – „repressiv“ von ihren entsprechenden Substantiven (Abstrakta) „Prävention“ – „Repression“ zwar äußerlich unterscheiden, so dass eine von den juristischen Basisbegriffen unabhängige Begriffsbildung grundsätzlich sogar äußerlich erkennbar wäre. Die Interferenz und die Akzessorietät der beiden Konzepte treten aber dennoch innerhalb der historischen dogmatischen Rekonstruktion des Strafverfahrens- und Gefahrenabwehrrechts zu Tage: Die typisierte konzeptionelle Grundannahme, dass polizeiliche „Prävention“ grundsätzlich zeitlich vorgelagert und polizeiliche sowie staatsanwaltschaft­ liche „Repression“ grundsätzlich zeitlich nachgelagert ist, führte zur Rezeption des adverbialen Begriffspaars in anderen Rechtsgebieten, so dass sie sich als juristische Basisbegriffe emanzipieren konnten. Gleichzeitig ist die Annahme eines weiterhin fortgeltenden normativen Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht aufrechterhalten worden, obwohl zur Kenntnis genommen und gewürdigt wurde, dass die zeitliche Dimension nichts über das Verhältnis von Gefahrenabwehr- und Strafverfahrensrecht aussagt; dennoch wird die Verabschiedung des Konzepts – in dem auch ein zeitliches Moment eine Rolle spielt – nicht erwogen. Immer dort, wo die konzeptionelle Einteilung in „Prävention“ und „Repression“ als Argumentationsmuster genutzt wird, sei es explizit oder als implizite Normalitätsannahme, können deshalb fälschlicherweise auch die Bedeutung der juristischen Basisbegriffe das Vorverständnis bilden: Die zeitliche Dimension des sicherheitsrechtlichen Handelns kann als (denk-/begriffs-)notwendige Voraussetzung ein Rechtsanwendungsergebnis konterkarieren oder ein Rechtsanwendungsergebnis – sei es tautologisch oder sei es suggestiv – semantisch unterstützen. Eine juristische Operation, die sich in die konzeptionelle Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ auch temporal einfügen lässt, überzeugt und wird deshalb als weniger begründungsbedürftig empfunden, ohne dass es auf die geltenden positivrechtlichen Normen anzukommen scheint. 4. „Prävention“ und „Repression“ als Grenze juristischer Begriffsbildungsmöglichkeiten Die semantische Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Worte943 stehen im Kontrast zur historischen Beständigkeit und Beliebtheit der Begriffe im Sicherheitsrecht. Die beiden Worte sind abhängig von ihrem Bezugspunkt und 943  Vgl. etwa zum „historische[n] Gegenbild einer repressiven Versammlungs- und Presse-Polizei“ Denninger, Die Polizei im Verfassungsgefüge, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, Kap. B Rn. 86.

260

E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

können deshalb als einzelne Worte konträre Stoßrichtung haben. Zueinander sind sie verhältnislos und können deshalb in beliebige Zusammenhänge gerückt werden. Ist eine Dichotomie, die nicht selbst Rechtsatzbegriff ist, mit anachronistischen Fremdworten besetzt, besteht nicht nur Verwirrung hinsichtlich des Bezeichneten, sondern auch hinsichtlich der Bezeichnung. Die semantischen Schwächen des Begriffspaars sind zugleich ihre größten Stärken. Sie suggerieren Fachsprachlichkeit, in ihrer zeitlichen Dimension Präzision, Beständigkeit und Systemkonformität. Wer sie im sicherheitsrechtlichen Diskurs verwendet, sieht sich nicht der Kritik einer Systemblindheit ausgesetzt. Zudem wohnt der konzeptionellen Unterscheidung ein ästhetisches Moment inne, dem rhetorische Überzeugungskraft zukommt. Eine vertretbare Lösung erscheint im dichotomen Korsett als „elegante“ Lösung.944 Für solche Lösungen ist gerade auch die an Systematisierung interessierte Rechtswissenschaft empfänglich. Eine einzelne Begriffsverwendung von „Prävention“ und „Repression“ kann zwar exakt erfolgen, aber eben nur dann, wenn die einzelne Verwendung als bedeutungsrelativ begriffen und innerhalb der relativen Bedeutung die Unterscheidung folgerichtig verwendet wird. Das Problem der fehlenden Trennschärfe ist nicht allein die dichotome Verwendung des Begriffspaars. Die Unschärfe resultiert vielmehr aus der Etikettierung verschiedener Pro­ blemkreise in verschiedenen Disziplinen auf unterschiedlichen Abstraktionshöhen mit selben Begriffswörtern im Umfeld des Sicherheitsrechts. Die Begriffswörter sind quantitativ „überansprucht“ und können kaum mehr in ihrer Bedeutungsvielfalt erfasst werden. Die Bedeutungsvielfalt im Recht vereinfacht die Anwendung der Worte, in denen ohnehin eine Beliebigkeit und Austauschbarkeit in seinen Verwendungen angelegt ist. Aufgrund der Bedeutungsinterferenzen zwischen Alltagssprache (pejorative und meliorative Bedeutungen), juristischer Basisbegriffe (temporale Bedeutung) und sicherheitsrechtlicher Fachsprache (teleologische Begriffsbildung) ist vom Gebrauch der Worte abzuraten.945

944  Vgl. zu dieser Terminologie und zur Überzeugungskraft von Ästhetik im Recht („Man kann jene Eleganz juristischer Lösungen auf die Formel bringen: simplex sigillum veri; sie bedeutet aber, daß Schönheit als Indiz der Wahrheit, ein ästhetischer Maßstab eines logischen Wertes angesehen wird“) im Überblick Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 103 ff. 945  In diesem Sinner erkennt von der Pfordten, dass bei abstrakten Begriffen eine Begriffsumbildung deshalb problematisch ist, weil diese in zwingendem Verhältnis „zu unserem allgemeinen begrifflichen System“ stehen, ARSP 98 (2012), 439 (453).



II. Inhaltliche Illusionen261

II. Inhaltliche Illusionen 1. Irrelevanz einer zeitlichen Komponente Mit der Formel des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, nach der unter das gerichtliche (Straf-)Verfahren im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 GG auch eine Handlung fallen kann, die vor Eröffnung eines Strafermittlungsverfahren durchgeführt wird, ist eine zeitliche Komponente kein notwendiges Kriterium (mehr) für die Zuordnung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes: „Die Verfolgungsvorsorge erfolgt in zeitlicher Hinsicht präventiv, betrifft aber gegenständlich das repressiv ausgerichtete Strafverfahren.“946 Die Etikette „Prävention“ und „Repression“ können allein bei Beantwortung der Frage nach der Gesetzgebungszuständigkeit in drei unterschiedliche Stoßrichtungen verstanden werden: Erstens als polizeirechtliches Konzept, das die Gefahrenabwehr als Länderzuständigkeit (= „Prävention“) und das Strafverfahren als Bundeszuständigkeit (=„Repression“) bezeichnet. Zweitens als juristische Basisbegriffe mit allein temporaler Bedeutung, deren Abgrenzung hinreichende Voraussetzung für die Zuordnung der Gesetzgebungszuständigkeit ist.947 Neben diesen bereits bekannten Begriffskonzepten hat die höchstrichterliche Entscheidung, die dem Bundesgesetzgeber Regelungen über die Strafverfolgungsvorsorge zubilligt, drittens ein „Gegenständlichkeit“-Kriterium eingeführt. Dieses trotzt der temporalen Bedeutung und erlaubt zirkulär eine temporal konträre und stattdessen gegenständliche Subsumtion. Sie dient damit der semantischen Aufrechterhaltung der konzeptionellen Einteilung in „Prävention“ und „Repression“, gerade auch hinsichtlich anderer Rechtsfragen.948 Freilich ist in diesem Chiffren-Konglomerat die Subsumtionsoperation der Beliebigkeit preisgegeben, so dass aus keinem der Einzelkonzepte eine eigenständige Rationalität (mehr) folgt. Die Aufgabe des temporalen Elements für die Frage der Gesetz­ gebungszuständigkeit,949 die fortwährende Nutzung der temporalen Unterscheidung im Sinne der juristischen Basisbegriffe auf einfachrechtlicher 946  BVerfGE

113, 348 (370). gesehen können die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ zwar als Merkmale von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung herangezogen werden; sie sind ihnen aber nachgeordnet und nur als eines von mehreren Kennzeichen in einem schon übergreifend beschriebenen Kontext zu verstehen.“, Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S. 93 f. 948  Nach Thiel ist es unklar, ob die Zuordnung der Strafverfolgungsvorsorge zur Bundesgesetzgebung zugleich zur Folge hat, dass die Strafverfolgungsvorsorge konzeptionell unter die Repression zu subsumieren ist, Die „Entgrenzung“ der Gefahrenabwehr, 2011, S. 111 ff. 949  Dazu D. I. 1. 947  „Richtig

262

E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

Ebene950 sowie die gleichzeitige Aufrechterhaltung der grundsätzlichen begrifflichen Unterscheidung im Sicherheitsrecht wurden durch die sprachliche Offenheit der Begriffsworte ermöglicht. Eine Form der Inversionsmethode liegt jedenfalls dann vor, wenn aus der Bedeutung der Worte statt aus der Bedeutung des rechtswissenschaftlichen Begriffs (zeitliche) Voraussetzungen deduziert werden. 2. Überschneidende Teilausschnitte eines Sicherheitsrechts Eine Dichotomie setzt voraus, dass sich zwei Begriffe gegenseitig ausschließen und dieselben Begriffe zusammen ein Ganzes ergeben. Das Strafverfahrensrecht und das Gefahrenabwehrrecht schließen sich nicht gegen­ seitig aus. Sowohl im Gefahrenabwehrrecht wie auch im Strafverfahrensrecht sind „präventive“ und „repressive“ Elemente schon der Konzeption nach enthalten. Es lässt sich zudem kein Oberbegriff finden, in den sich die so verstandene „Prävention“ und „Repression“ unterteilen ließe. Weder ist das einfache Recht doppelspurig ausgestaltet noch lässt sich der Verfassung explizit oder implizit ein Dualismus zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr entnehmen.951 Der Vorfeldbereich, der als Verschmelzung der tradiert getrennt begriffenen Bereiche von „Prävention“ und „Repression“ – verstanden als Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsrecht – bewertet wird, muss bei Rechtsanwendungsfragen unterschiedlichen Rechtsregimen zugeordnet werden. Für die Beantwortung der Rechtsfragen ist aber nicht eine konzeptionelle Zweiteilung maßgebend, vielmehr hängt die Beantwortung von der konkreten Maßnahme, vom einfachen Recht und vielen Sachverhaltsdetails ab. Dass Fragen der Gesetzgebungszuständigkeit, der Rechtmäßigkeit und des Rechtsschutzes binär beantwortet werden müssen, rechtfertigt allein keine systematische Zweiteilung des Sicherheitsrechts, zumal eine solche Einteilung wichtige Bereiche des Strafverfahrensrechts (insbesondere die Teilbereiche, die die Polizei nicht unmittelbar betreffen) bewusst ausblendet. Dies gilt vor allem dann, wenn die systematische Zweiteilung in „präventive“ und „repressive“ Maßnahmen normative Überschneidungen mit dogmatisch binären Entscheidungsnotwendigkeiten bei der Abgrenzung von Gesetzgebungszuständigkeiten, Eingriffsregimen und Rechtswegen suggerieren.

950  „In zeitlicher Hinsicht lassen sich zwei Phasen der Sicherheitsaufgabe unterscheiden: die Verhütung und Unterbindung von (bevorstehenden oder gegenwärtigen) Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Prävention) und die Ahndung von (bereits abgeschlossenen) Verstößen, soweit diese sanktionsbewehrt sind (Repression).“, Markus Möstl, in: Möstl/Bäuerle (Hrsg.), BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Hessen, 25. Edition, Stand: 01.04.2022, Rn. 25. 951  Zu diesem Ergebnis oben unter D. I. und II.



II. Inhaltliche Illusionen263

Daneben kann methodisch der Rechtswissenschaft abverlangt werden, dass eine Begriffsbildung – sofern sie dogmatischen Wert beansprucht – nur dann sachlich legitim ist, wenn sie eine dogmatische Entsprechung findet, die durch die Begriffsworte funktional abgebildet wird, und wenn sie zumindest ihrer sprachlichen Konzeption nach eine überschneidungsfreie und klare Grenzziehung ermöglichen kann.952 Damit sich dem Begriffspaar ein dogmatisches Differenzierungspotential entnehmen lässt, müssten mithin aus der begrifflichen Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ Abgrenzungs­ merkmale gewonnen werden können, mit denen die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung sich abgrenzen ließen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass dies zwar möglich, im Bereich des Möglichen aber zugleich beliebig ist. Da sich das Verhältnis zwischen Gefahrenabwehrrecht und Strafverfahrensrecht durch die positivrechtliche Fortentwicklung analog einer „Bifurkation“ entwickelt hat, lässt sich die Unterscheidung nur mit Hilfe sprachlicher Anpassungen aufrechterhalten. Ein Gewinn an Differenzierung ist durch die semantische Beliebigkeit freilich nicht gewonnen. Das Sicherheitsrecht versucht demgegenüber nicht die voraussetzungslose Zweiteilung aufrechtzuerhalten, sondern fokussiert Funktionslogiken rechtsgebietsübergreifend, deren Verhältnis bislang als ex-

Abbildung 8: „Prävention“ und „Repression“ als Bifurkation (Begriff zu finden bei Brodowski, JZ 2016, S. 1124 [1126])

952  Für Prävention und Repression Rudolph, Antizipierte Strafverfolgung, 2005, S. 149.

264

E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

klusiv beschrieben wurde und damit epistemisch unzugänglich war. Um diesen Erfordernissen gerecht werden zu können, ist es angezeigt und ausreichend, die Begriffe Strafverfahren und Gefahrenabwehr statt der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ zu nutzen, so dass die Abkehr einer konzeptuell-dichotomen Zweiteilung zu einer teleologischen Vielteilung953 semantisch sichtbar wird. Dieser semantische Wandel bringt zwar zunächst keinen Präzisionsgewinn, macht aber sprachlich deutlich, dass aus den „präventiven“ und „repressiven“ Stoßrichtungen keine systemleitende Unterscheidung folgt und dass diese Einteilung dogmatisch überholt ist. So wird der Weg geebnet, sicherheitsrechtliche Teilbereiche nicht mehr als dichotom, sondern multifunktional zu begreifen. Dies hätte den Reflex, illusionäre rechtsstaatliche Gewissheiten hinterfragen zu können und das rechtsstaatliche Sicherheitsrecht fortzuentwickeln. 3. Teleologische Multidimensionalität Mit den Begriffen „Prävention“ und „Repression“ lassen sich sowohl die gefahrenabwehrende wie auch die strafverfolgende staatliche Tätigkeit teleologisch beschreiben. Strafen und damit auch die Ermittlung begangener Straftaten verfolgen (auch) general- und spezial„präventive“ Zwecke; die Wirkung des Strafens dagegen lässt sich mit „Repression“ umschreiben.954 Gefahrenabwehrende staatliche Tätigkeit dagegen wirkt sowohl „präventiv“ wie „repressiv“, wenn ein Schaden bereits entstanden ist; sie lässt sich aber umgekehrt als staatliche „Repression“ begrifflich erfassen, wenn mit Gefahrenabwehr die grundrechtsbeschränkende Eingriffstätigkeit umschrieben wird. Der begrifflichen Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ kommt bei dieser sprachlichen Beliebigkeit für das Verhältnis von Gefahrenabwehrrecht und Strafverfolgungsrecht kein Differenzierungspotential mehr zu.955 Darüber hinaus schließen „präventive“ und „repressive“ Zwecke einander nicht aus. Im Gegenteil ist es geradezu typisch, wenn beide Zwecke gleichermaßen verwirklicht werden. Eine juristische Entscheidung darüber, welcher Zweck den Schwerpunkt einer Maßnahme kann, kann selten überzeugen.956 953  Etwa kann auch die Abgrenzung von Strafverfolgung und (öffentlichem) Vereinsrecht (präventives Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG) als präventives Verfassungsschutzrecht notwendig sein, vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12. 954  Vgl. auch die Grafik bei Schwan, VerwArch 70 (1979), S. 109 (124). 955  Ähnlich Walden, Zweckbindung und -änderung präventiv und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, 1996, S. 214 ff.; Schwan, VerwArch 70 (1979), S. 109 (123). 956  Zuletzt im Zivilrecht BGH, NJW 2022, 245 (247 ff.).



II. Inhaltliche Illusionen265

4. Grundrechtliche Parallelität Die grundrechtliche Eingriffsintensität hängt nicht vom Zweck einer staatlichen Maßnahme ab. Die Höhe der und die Maßstäbe für die Rechtfertigungsbedürftigkeit eines Grundrechtseingriffs hängen vielmehr von der Art der staatlichen Maßnahme ab. Der Gesetzgeber hat sich zur Rechtfertigung seiner Eingriffsermächtigungen unterschiedlicher Rechtsatzbegriffe bedient, die imstande sind, die Grundrechtseingriffe zu beschränken. Die Anforderungen für eine grundrechtliche Rechtfertigung hängen nicht davon ab, ob ein „präventiver“ oder „repressiver“ Zweck mit dem Gesetz verfolgt wird, sondern davon, ob irgendein verfassungslegitimer Zweck ausreichend restriktiv konturiert worden ist und ob diesem Zweck ein ausreichendes Gewicht zukommt, der einen solchen Grundrechtseingriff rechtfertigt. Ein Stufenverhältnis zwischen den staatlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Straf­ verfolgung ist der Verfassung demgegenüber fremd.957 Die gesetzgeberische Konturierung von Zweckbestimmungen ist eng mit dem Bestimmtheitsgrundsatz verwoben. Für die Rechtsetzer bietet es sich aufgrund der Bedeutungsoffenheit des Begriffspaars nicht an, die gesetzgeberischen Zwecke mit Hilfe der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ in den Gesetzgebungsmaterialien zu konturieren oder zu konkretisieren. 5. Gesetzgeberisches Kooperationsparadigma Die verfassungsrechtliche Gleichwertigkeit von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung haben die Gesetzgeber fortgeführt. Sie begreifen beide Aufgaben nicht exklusiv, sondern einander ergänzend. Sie möchten beide Aufgaben nicht gegeneinander ausspielen, sondern beide Zwecke nebeneinander verwirklicht wissen. Der engen Verknüpfung der beiden Zwecke durch das Strafrecht tragen die Gesetzgeber durch vielfältige (insbesondere informationelle) Kooperationsvorschriften Rechnung. Dass diese ihrerseits teilweise verfassungsrechtlich unzureichend ausgestaltet werden, ist nicht Resultat eines verfassungsrechtlichen Trennungsgebots zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, sondern der unzureichenden Umsetzung einer Zweckbindung, die ihrerseits ein (wichtiger) Baustein sein kann, um den grundrecht­ lichen Rechtfertigungsbedürfnissen zu genügen. Daneben existieren zahlreiche weitere Möglichkeiten, wie der Gesetzgeber Grundrechtseingriffe abmildern kann. Freilich darf umgekehrt nicht vertreten werden, dass der Gesetzgeber da­ rauf bedacht sei, stets die rechtsstaatlichen Vorgaben bis an ihre äußersten 957  Auch der ultima ratio Gedanke des Straf(verfassungs)rechts trägt an dieser Stelle nichts aus, weil er sich schon nicht auf das Strafverfahrensrecht bezieht.

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

Grenzen auszuschöpfen. Die unterschiedlichen Rechtsetzer erkennen die Notwendigkeit, dass zwischen Sicherheitsbehörden und innerhalb von Sicherheitsbehörden Daten ausgetauscht werden müssen. Dabei verhindern die Zweckbindungen, die die Rechtsetzer als Baustein zur grundrechtskonformen Datenerhebung genutzt haben, nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht die Zweckänderung und damit die Weitergabe solcher Daten. Das Koopera­ tionsbedürfnis und der Umstand, dass die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr hinsichtlich ihres Realbereichs verwoben sind, lässt sich als ein Grundgedanke des Sicherheitsrechts verstehen. Zweckbindung und Zweckänderungsmöglichkeit sind damit zwei Instrumente des Sicherheitsrechts: die Zweckbindung ist rechtliches Vehikel, um grundrechtskonform Daten zu erheben, die Zweckänderungsmöglichkeit dagegen eine Bedingung, um sachgerecht und effizient polizeilich zu arbeiten. Ein gesetzgeberisches RegelAusnahmeverhältnis kann weder regulatorisch noch empirisch begründet werden.

III. Systematische Konfusionen 1. Kein dichotomes Konzept zwischen „Prävention“ und „Repression“ Ein rechtswissenschaftliches Konzept bewährt sich durch Stimmigkeit, Kohärenz und Konsequenz; das Trennende muss das Gemeinsame eines Gegenstandsbereichs überwiegen, damit ein dichotomes Konzept aufrechterhalten bleiben kann.958 Soll eine konzeptionelle Zweiteilung Aufschluss über die Beantwortung unterschiedlicher Rechtsfragen geben, müssen zudem Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Kriterien für die Trennung auf unterschiedlichen Ebenen Bestand haben: Mit einer Kriterienparallelität hinsichtlich unterschiedlicher Rechtsfragen lässt sich die Leistungsfähigkeit einer Theorie begründen. Eine solche ist bei der begrifflichen Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht nicht zu beobachten. Die zentralen Rechtsfragen des tradierten Polizeirechts, zu deren Beantwortung die Dichotomie dienlich sein soll, lassen sich nicht anhand vergleichbarer normativer Kriterien parallel beantworten. Aus einem kompetenzrechtlichen Differenzierungsbedürfnis, bei dem der Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ zudem kein Kriterium mehr innewohnt,959 folgt nichts für die (operative) einfachrechtliche Rechtsanwendung.960 Die Fragen nach dem Rechtsschutz müssen im Verhältnis zu diesen beiden Rechtsfragen

958  Für

das Sicherheitsrecht verneinend Kniesel, Die Polizei 2018, S. 265 (271). D. I. 960  Vgl. D. II. 959  Vgl.



III. Systematische Konfusionen267

autark beantwortet werden.961 Die Funktionslogiken lassen sich induktiv aus den positivrechtlichen Teilbereichen, nicht aber deduktiv aus dem dichotomen Konzept ableiten. Trotz der strukturellen Verschiedenheit der Abgrenzungsfragen werden Rechtsanwendungsergebnisse mit den Grundsätzen der anderen Abgrenzungsfragen abgeglichen und daraus (zusätzliche) Begründungserfordernisse abgleitet oder Begründungen übertragen. Soweit das Begriffspaar in Gestalt der Komposita „präventiv-polizeilich“ und „repressiv-polizeilich“ Verwendung findet, dient es hier auf den ersten Blick einer konkretisierenden Kategorisierung im Hinblick auf die Form der Polizeiarbeit. In diesem Zusammenhang sind die Begriffe isoliert betrachtet unschädlich, aber gleichwohl überholt. Die Gleichsetzung von strafverfahrensrechtlich und „repressiv“ sowie gefahrenabwehrrechtlich und „prä­ventiv“ ist bereits sprachlich deshalb unterkomplex, weil beiden Rechts­regimen gleichermaßen „präventive“ und „repressive“ Stoßrichtungen innwohnen. Darüber hinaus ist die Etikettierung auch in der antonymischen bzw. dichotomen Denkstruktur unterkomplex und dysfunktional, weil ungeachtet des fragmentierten und multiintensionalen Sicherheitsrechts weiterhin eine nicht existierende Dualstruktur polizeilicher Tätigkeit vermittelt wird. Es ist daher angezeigt, spezifischere polizeiliche Eingriffszwecke sprachlich wie gedanklich auszuweisen. 2. Heuristischer Unwert eines dogmatischen Leitbildes und Argumentationsmusters Wenn die begriffliche Zweiteilung zwischen „Prävention“ und „Repression“ inhaltlich nicht dem geltenden Sicherheitsrecht entspricht und deshalb systematisch nicht leistungsfähig sein kann, könnte ihr dennoch als heuristische Zweiteilung ein eigenständiger Wert zukommen. Heuristische Begriffe können als Hilfsmittel zum Auffinden von Fragen und zur Annäherung an eine Lösung verstanden werden; sie sind zugleich Platzhalter für das eigentlich Gesuchte, Bereicherung für das Denken, für Assoziationen und für die Kreativität.962 Sie lassen sich den dogmatisch-geltenden Begriffen gegen­ überstellen,963 obwohl dogmatischen Begriffen ihrerseits stets eine heuristi961  Vgl. D. III.; exemplarisch und instruktiv die abweichende Auffassung hinsichtlich des Rechtsschutzes gegen Strafverfolgungsmaßnahmen VGH Kassel, DVBl. 2011, S. 515 einerseits und BVerwG StrFO 11, S. 12 andererseits. 962  Grundlegend Kant, Kritik der reinen Vernunft, Band 2 (1787), Werksausgabe Band 4, 1974, S. 583 f.; Überblick bei Peter Prechtl, in: Prechtl/Burkard, MetzlerPhilosophie-Lexikon, S. 235 sub „Heuristik“ sowie zum Verhältnis zwischen dogmatischen und heuristischen Rechtsbegriffen instruktiv Klement, Verantwortung, 2006, S.  46 ff. 963  Klement, Verantwortung, 2006, S. 48 f.

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

sche Funktion bei der Rechtsfindung zukommt.964 In diesem Sinne lassen sich „[h]euristische Begriffe [als] nicht-dogmatische Begriffe mit dogmatischem Wert“ verstehen.965 Auf den heuristischen Wert eines Konzepts kann sich derjenige berufen, der sich gegen eine mangelnde dogmatische Anschlussfähigkeit des Konzepts wehren möchte. Ein solcher Akt der Immunisierung ist aber seinerseits jedenfalls dann widerlegt, wenn der heuristische Unwert den heuristischen Wert überwiegt.966 Die Untersuchung hat gezeigt, dass die implizite Normalitätsannahme einer Dichotomie zwischen „Prävention“ und „Repression“ im tradierten Polizeirecht sowie im in der Entstehung begriffenen Sicherheitsrecht zahlreiche Zirkelschlüsse bedingt, einigen Begründungslastverschiebungen Vorschub leistet und gelegentlich semantische Verschleierungen fördert. Diese rechtswissenschaftlichen Befunde müssen der heuristischen Funktion aus der Per­ spektive der juristischen Begriffsbildung entgegengehalten werden. Heuristische Konzepte, die nicht eindeutig dem nicht-dogmatischen Bereich zugeordnet werden können, sondern Normativitätserwartungen wecken und als Argumentationsmuster contra legem gebraucht werden, verdienen das Etikett des heureka („ich habe gefunden“) nicht.967 Die Illusion, dass der grundsätzlichen Unterscheidung ein rechtsstaatlich ausreichendes Schutzniveau für den Bürger innewohnt, kann bei Durchdringung des geltenden positiven Rechts und der Rechtsprechung nicht aufrechterhalten werden. Obwohl auch die Rechtsprechung versucht ist,968 das „dogmatische Leitbild“969 der strukturellen Differenzierung zwischen „Prävention“ und „Repression“ aufrechtzuerhalten, so gilt es zu erkennen, dass dieser Versuch in der Regel als unzulänglich erkannt werden muss; in der Verwendung der Gegenüberstellung kann nicht mehr als eine „rechtsstaatssichernde Hoffnung“ erkannt werden. Es handelt sich daher um eine normativ inhalts964  Wagner, JuS 1963, S. 457  ff.; Podlech, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 2 (1972), S. 491 (493). 965  Klement, Verantwortung, 2006, S. 49. 966  Zur Methodik für den Verantwortungsbegriff: „Die Frontstellung ist nur durch ‚induktives‘ Denken von den einzelnen zu beobachtenden Funktionen des Verantwortungsbegriffs her aufzulösen. Das Bezeichnete ist in den Vordergrund zu rücken. Dann wird die Frage nach der Bezeichnung zu einem Streit um Worte.“, Klement, Verantwortung, 2006, S. 50. 967  Anschauliches Gegenbeispiel für eine sensible Begriffsverwendung bei Rachor, Rechtsschutz, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. L Rn. 30 und 36. 968  Vgl. paradigmatisch BGHSt 62, 123 ff. 969  Vgl. dazu insbesondere die Gefahren bei Leitbildern der Rechtsprechung, die sich für das „dogmatische Leitbild“ der dichotomen Unterscheidung von „Prävention“ und „Repression“ auf alle anderen Institutionen übertragen lassen, bei Braun, Leitbilder im Recht, 2015, S. 133 ff.



III. Systematische Konfusionen269

leere Gegenüberstellung, deren dogmatische „Beruhigungsfunktion“ in der semantischen Kontinuität vermeintlicher rechtsstaatlicher Gewissheiten erblickt werden kann. Wenn diese rechtsstaatlichen Gewissheiten bei der Rechtsanwendung nicht wiedergefunden werden, führt dies zu Enttäuschungen hinsichtlich der erwarteten Normativität, die der Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ vermeintlich folgt. Der enttäuschten Normativitätserwartung steht dann ein (vermeintlich) fortgeltender Normativitätsanspruch gegenüber. Zum einen gilt es zwar zu erkennen, dass die ohnehin „relativ geringe Sensibilität der polizeilichen Praxis für die rechtsstaatliche Bedeutung der Trennung von Prävention und Repression“ nicht dazu führen darf, dass der „normative Anspruch demokratischer Rechtsstaatlichkeit […] tatsächlichen oder vermeintlichen Bedürfnissen der Vollzugspraxis“ zum Opfer fällt.970 Dennoch darf die Unterscheidung nicht als rechtsstaatliche Notwendigkeit betrachtet werden: „Mit diesen Leerstellen und Fehlschlüssen erweist sich die ablehnende Literatur als symptomatisch für ein generelles Defizit der deutschen Strafrechtswissenschaft: Dass nämlich der Rechtsstaat als Rechtsschutzstaat, als Magna Charta, sowohl für als auch vor dem Verbrecher fungiert, dass deshalb die Effektivität der Gefahrenabwehr wie der Strafverfolgung als gleichrangige Prinzipien neben denen des Beschuldigtenschutzes stehen – dafür fehlt dem Schrifttum in beachtlichem Umfang bis heute das nötige Verständnis.“971

Als „normative Nebelkerze“ ist in der Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ im einfachen Recht ein tradiertes, aber dysfunktionales Argumentationsmuster zu erkennen. Dieses Argumentationsmuster wirkt zweischneidig: Es löst bei Rechtsanwendungsergebnissen, die nicht von vornherein in das dichotome Muster fallen, einen semantischen Argumenta­ tionsdruck aus. Aufgrund der sprachlichen Beliebigkeit der Gegenüberstellung ist aber von vornherein klar, dass diesem semantischen Argumentationsdruck im Ergebnis stets standgehalten werden kann. Umgekehrt wird ein Rechtsanwendungsergebnis, das die Irritation mit Blick auf die Gegenüberstellung zwischen „Prävention“ und „Repression“ überwunden hat und sich infolgedessen und aufgrund der semantischen Beliebigkeit mit dem dichotomen Muster erklären lässt, als zusätzlich normativ legitimiert erachtet. Bei diesem Vorgehen bestehen erhebliche rechtstheoretische Bedenken, weil sich die bei einer dogmatischen Begriffsbildung ohnehin bestehenden Fragen nach dem Urheber der dogmatischen Aussage und seiner Legitimation potenzieren, da die dogmatische Aussage und ihre dogmatische Anschlussfähigkeit 970  Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (62). 971  Nowrousian, NStZ 2018, S. 254 (255).

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

völlig unklar bleiben. Die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ eignet sich daher auch als heuristische Gegenüberstellung nicht. 3. Dysfunktionales dogmatisches Leitbild und Lehrkonzept a) Verschleierndes Bild Die Rechtsanwendung wie auch die Rechtswissenschaft sind von Metaphern, Bildern und Leitbildern durchdrungen.972 Metaphern – verstanden als bildhafte Anschauung durch das Gleichsetzen eines Objekts mit einem anderen, wobei beide Objekte gewöhnlich nicht zusammengedacht werden973 – werden aus unterschiedlichen Gründen verwendet und können ganz unterschiedliche Wirkungen erzielen. Metaphern sind dann ein wirksames rhetorisches Mittel, wenn die Sinnübertragung unterschwellig die abstrakten Aussagen bildhaft veranschaulicht.974 Je abstrakter die Ausführungen sind, desto eher bietet sich das gezielte Einsetzen einer Metapher an, um wieder „Boden unter den Füßen“ zu erlangen. Dysfunktional sind rechtswissenschaftliche Begriffsbildungen, die zugleich als Metapher begriffen werden können, wenn aus der Verselbstständigung der Metapher normative juristische Schlüsse gezogen werden.975 Dabei liegt nicht im Modelldenken eine Gefahr; sie ergibt sich vielmehr aus der Verdrängung einer teleologischen Begriffsbildung, die der Metapher zuvor zugrunde lag. Nur wenn die teleologischen Erwägungen für den Rezipienten zugänglich bleiben, kann ein gewissenhafter Umgang mit der Metapher er972  Im Gegensatz zu diesem Befund ist die Notwendigkeit von Metaphern im Recht strittig, vgl. m. w. N. Schindler, Rechtsmetaphorologie, 2016, S. 17 f. 973  Definition nach Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 180; im Einzelnen umstritten, instruktiv dazu Schindler, Rechtsmetaphorologie, 2016, S. 88 ff.; im Sicherheitsrecht lässt sich die Staatsanwaltschaft etwa als „Kopf ohne Hände“ beschreiben und die Polizei als „verlängerten Arm der Staatsanwaltschaft“, BVerwGE 47, 255 (263); wie gelungen diese anthropozentrischen Metaphern im Zusammenspiel sind, ist damit freilich noch nicht beantwortet. 974  Zu diesem rhetorischen Effekt vor allem in der (Rechts-)Philosophie Röhl/ Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 180 f. 975  Neumann, Rechtsontologie, 1979, S. 63 ff., 78 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 145 f.; Wieacker, Die juristische Sekunde, in: Würtenberger/ Maihofer/Hollerbach (Hrsg.), Existenz und Ordnung, 1962, S. 421 (444 ff., 452); Wagner, JuS 1963, S. 457 (459  f.); umfassend Schindler, Rechtsmetaphorologie, 2016; bspw. wenn mit Theodor Kipp das Rechtsgeschäft mit einem Baum gleichgesetzt wird und daraus die rechtlich zirkuläre Ableitung getroffen wird, dass dieses nicht gleichzeitig wegen zwei unterschiedlicher Gestaltungsrechte unwirksam werden kann; zwar kann ein Baum nicht zwei Mal gefällt werden, ein „juristischer Baum“ kann es doch; vgl. schon Fn. 238.



III. Systematische Konfusionen271

möglicht werden. Der Metapher als solcher kann insoweit heuristischer Wert zukommen, indem das Denken in Analogien ermöglicht wird, das einen Problemkreis veranschaulicht.976 Der Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ können Bilder in zwei Stoßrichtungen entnommen werden, die sich beide nicht als tragfähig erwiesen haben. Zum einen behauptet sie, dass es eine strikte rechtsstaatliche Trennung gegeben hat, die weiterhin dogmatisches Leitbild im Sicherheitsrecht bleiben sollte. Zum anderen wird die bildhafte Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ genutzt, die neue „grenzensprengende“ Rechts­ lage mit der Unterscheidung kritisch zu kontextualisieren, um Abschiedsbilder oder Erosionstendenzen aufzuzeigen und zu proklamieren.977 b) Untaugliches Schema in der juristischen Ausbildung Es ist möglich, eine didaktische Aufgabe der Dogmatik zu formulieren, die darin besteht, das geltende Recht an Lernende und andere Disziplinen zu vermitteln und es zu diesem Zweck zu beschreiben und systematisch zu ordnen.978 Für das Verständnis eines Teilrechtsgebiets ist eine systematische, übersichtliche und plastische Darstellung hilfreich. Wenn Rechtsbegriffe der wissenschaftlichen Erklärung oder der Pädagogik dienen, müssen sie zumindest feststellenden und einteilenden Charakter haben.979 Das Denken in Schemata und Grundunterscheidungen hat sich für das erste Zurechtfinden in einem unbekannten Rechtsgebiet bewährt, sie sind häufig unproblematisch 976  M. w. N.

Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 146. Rieß, Das Ende einer Epoche?, in: Arnold/Burkhard/Gropp/ Heine/Koch/Lagodny/Perron/Walther, Menschengerechtes Strafrecht, 2005, S. 443 (447 ff.); Schoch, Der Staat 43 (2004), S. 247 ff.; Schünemann, ZStW 119 (2007), S.  945 ff.; Trute, Die Erosion des klassischen Polizeirechts durch die polizeiliche Informationsvorsorge, in: Erbguth/Müller/Neumann (Hrsg.), Rechtstheorie und Rechtsdogmatik im Austausch, 1999, S. 401 ff.; zu dieser Einschätzung auch Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (50). 978  Klement, Verantwortung, 2006, S. 41; zur didaktischen Funktion der Dogmatik auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 3. Aufl. 1996, S. 331; Podlech, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 2 (1972), S. 491 (492); nach Hatz: „Begriff des Rechts dient der Orientierung des Rechts, juristische Begriffe dienen der Orientierung im Recht. […] Wissenschaft des positiven Rechts betreiben heißt nicht nur solche Begriffe bilden, die als Bestandteile des positiven Rechts fungieren können, es heißt, alle Begriffe bilden, die für das Verständnis des positiven Rechts erforderlich sind.“, Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963, S. 56 979  So schon Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929, Anhang § 1 unter 3; Stoll, Festgabe für Heck, Rümelin und Schmidt, S. 60 (76 ff.); Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 71. 977  Exemplarisch

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

und Abgrenzungen von „Fächern“ (Teilrechtsgebieten) sind aus Gründen der Prüfungsökonomie unerlässlich. In der juristischen (Pflichtfach-)Ausbildung sind zumindest das Strafprozessrecht und das Landespolizeirecht als Teile des Sicherheitsrechts relevant. Diese Rechtsgebiete werden auch in der juristischen Lehre stets noch im ersten Zugriff gegenübergestellt und mit den Begriffen Prävention und Repression gleichgesetzt. Mit dieser kategorialen Unterscheidung geht unvermeidlich und gewollt ein Verlust an Differenzierungsvermögen zugunsten einer vermeintlich strukturellen Übersichtlichkeit einher. Praktisch eng Verbundenes entfremdet sich zwangsläufig: „Es mag befremden, in einem Lehrbuch des Strafverfahrensrechts Ausführungen zum Polizeirecht zu finden. Dies verstößt gegen die tradierte Einteilung polizei­ licher Tätigkeit in repressive, also der Herrschaft der StPO unterliegende und präventive, im Polizeirecht der Länder geregelte Aktivitäten.“ (Hans-Heiner Kühne, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015, S. 245)

Wenn dabei die elementare Bedeutung der Unterscheidung betont wird980, brennt sich dieses Bild in die Köpfe ein. Dieses Bild wird dabei nicht mit Normen des einfachen Rechts oder des Verfassungsrechts verknüpft, sondern es fußt auf überpositiven konzeptuellen Vorstellungen: Zuerst wird das Konzept vorgestellt, sodann beschäftigt man sich mit dem Recht und den Rechtsfragen. Bei der Wahl dieser Reihenfolge werden Vorverständnisse gebildet, die im Folgenden auf das Verständnis und die Anwendung des Rechts durchschlagen können: Bei der dichotomen Gegenüberstellung von „Prävention“ und „Repression“ besteht die Gefahr der Inversionsmethode: Beispiel: „So kann […] der Bußgeldbescheid nicht auf eine polizei- oder ordnungsrechtliche Rechtsgrundlage gestützt werden, weil die Verhängung eines Bußgelds primär Strafcharakter besitzt, also eine repressive Maßnahme ist, die einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedarf (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 3 OWiG981). Eine solche findet sich in § 23 FStrG sowie den Straßengesetzen der Länder, wonach die unerlaubte Sondernutzung öffentlicher Straßen eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit Bußgeld geahndet werden kann.“982

Das Recht der Ordnungswidrigkeiten ist nicht deswegen anwendbar, weil das Bußgeld der Behörde „repressiven Charakter“ (wie auch immer dessen 980  So vehement exemplarisch Wehr, Examens-Repetitorium Polizeirecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 6. 981  Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.02.1987 (BGBl. I S. 602), zuletzt geändert durch Art. 31 Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änd. weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl. I S. 4607). 982  Zur Veranschaulichung das Beispiel nach Wehr, Examens-Repetitorium Polizeirecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 8.



III. Systematische Konfusionen273

Voraussetzungen lauten) hat, sondern weil sich die Gesetzgeber für Bußgeld­ regelungen in den unterschiedlichen Straßengesetzen entschieden haben und darüber hinaus keine (verwaltungsrechtlichen) Regelungen (etwa eine Gebührenregelung oder das Zwangsmittel des Zwangsgelds, §§ 9 Abs. 1 lit. b, 11, 13 Abs. 6 S. 1 VwVG) ersichtlich ist, auf die sich die Behörde im konkreten Fall hätte stützen können. Es ist somit Ergebnis und nicht Ausgangspunkt der Rechtsanwendung, dass (ausschließlich) das Recht der Ordnungswidrigkeiten Anwendung findet. Es ist damit auch nicht dem Rechtsetzer von vornherein verwehrt, neben den Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts weitere polizei- und ordnungsrechtliche Regelungen zu schaffen, die parallel anwendbar wären. Diese semantische Umkehrung mag der Veranschaulichung dienen und zum Einstieg einer Prüfung zu Recht normativ wirkungslos sein; die Auslassung ist auch schadlos, wenn es an dieser Stelle nicht entscheidend auf Differenzierung ankommt. Sie kann aber darüber hinaus materiell-rechtliche Auswirkungen haben, wenn sie sich als Vorverständnis unreflektiert verfestigt. Dass diese Vorverständnisse Auswirkungen auf die Rechtsanwendung und die rechtswissenschaftliche Erkenntnisfindung haben kann, wurde gezeigt.983 4. (Re-)Produktion einer illusionären Systematik/Systemillusion Das dichotome Konzept ist keine zutreffende Beschreibung des geltenden Sicherheitsrechts. Dem geltenden Sicherheitsrecht ist kein Wesen zu entnehmen; selbst dann, wenn man „wesensgemäßen“ Beschreibungen gegenüber von vorneherein kritisch eingestellt ist („Das Wesen des Wesens ist sein Unwesen“984). Die Rechtsetzer und Rechtsanwender haben eine (dichotome) Zweiteilung nicht aufrechtzuerhalten oder gar zu produzieren. Auch wenn die unterschiedlichen Rechtsetzer oder der verfassungsändernde Gesetzgeber das Konzept en passant aufgreifen und in formelle Rechtsätze gießen (vgl. vor allem Art. 13 Abs. 3 bis 5 GG),985 folgt daraus (noch) nicht, dass das Konzept die Rechtsordnung normativ prägt.986 Vielmehr können solche Anpassungen im Gegenteil andeuten, dass die Rechtsordnung bislang nicht di983  Siehe

oben insbesondere unter D. II. 1. e) cc). Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 40 a. E. 985  Dazu schon kritisch oben unter D. I. 2. a). 986  Dagegen pauschal Bäuerle: „So griffen Art. 13 Abs. 3, 73 Abs. 1 Nr. 10, 74 Abs. 1 Nr. 1, 103 Abs. 2, 3, 104 GG erkennbar (sic!) auf das überkommene liberale System von Prävention und Repression zurück.“, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (S. 53 Fn. 78). 984  Röhl/Röhl,

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

chotom angelegt ist, sondern die positivrechtlichen Anpassungen selbstreferentielle Ausnahmeerscheinungen im Rechtsdiskurs (mit Blick auf ein dogmatisches Leitbild) darstellen.987 Das Problem einer impliziten Normalitätsannahme ist, dass sie einem Diskurs nicht zugänglich ist. Als unausgesprochene Prämisse führen auch ihre Überwindungsbestrebungen988 selbst zur Beständigkeit der Prämisse. Wenn Wege aus einer Dichotomstruktur de lege ferenda aufgezeigt werden, erhärtet sich die Illusion, de lege lata existiere eine solche.989 Es ist daher notwendig, zwischen Aussagen über das dogmatische Sein sowie über das rechtspolitische Können und über das rechtspolitische Sollen zu differenzieren. Die dicho­ tome Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ als dogmatisches Leitbild dient als dysfunktionaler Emulgator dieser unterschied­ lichen Maßstäbe990, der den differenzierten und präzisen Diskurs erschwert. Die dichotome Struktur zwischen „Prävention“ und „Repression“ könnte jedoch als überpositiver, transzendentaler und/oder idealistischer Kompass dienen. In diesen Funktionen könnte die Dichotomie eine juridische Wahrnehmungskategorie sui generis darstellen, die mit tradierten rechtstheoretischen und rechtswissenschaftstheoretischen Begriffen nicht zu erfassen ist. Sie würde nicht zur Abbildung des geltenden Rechts, sondern könnte ein tele­ologisches Optimierungsgebot bei der Anwendung, Fortbildung und Setzung von Recht sein (dogmatisches Leitbild). In diesem Sinne lautet die Prämisse, es soll weitestgehend verhindert werden, die Strafverfolgung als 987  So aber Ulf Buermeyer, Ausschuss-Drs. 18(6)334, S. 10 f.: „Mit Blick auf die Gewichtung von Prävention und Repression im Hinblick auf den verfolgten Rechtsgüterschutz sind bei der Verfolgung allein repressiver Ziele eher höhere [sic!] Anforderungen zu stellen. Denn es wird am Ende ‚nur‘ die Sanktionierung eines bereits irreversibel eingetretenen Rechtsgutsverstoßes verfolgt. Dass von Verfassungs wegen deutlich größere Spielräume für präventive als für repressive Eingriffe bestehen, zeigt sich schließlich auch an der Wertung des Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung), der zu präventiven Zwecken (Art. 13 Abs. 3 GG) weitaus mehr Eingriffe zulässt als zu repressiven Zwecken (Art. 13 Abs. 4 GG).“. 988  Vgl. Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizeiund Strafverfahrensrecht, 2016, S. 483 ff.; Bäcker, Kriminalpräventionsrecht, 2015. 989  So aber im positiven Sinne Schoch, in: Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, Kap. 1 Rn. 16: „Die Unterscheidung zwischen Prävention und Repression polizeilicher Tätigkeit ist im Rechtssinne eine kategoriale, rechtstatsächlich handelt es sich um eine idealtypische Differenzierung; sie ist systembildend, weil sie qualitative Diskrepanzen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung markiert.“ 990  Prägnant Tanneberger: „Derartige Sammelbegriffe [Polizeihoheit der Länder, Prävention, Repression] mögen vom Standpunkt einer beschreibenden Gesamtdarstellung des föderalen Kompetenzgefüges noch angängig sein, den an die Rechtsdogmatik als Gebrauchswissenschaft zu stellenden Anforderungen entsprechen sie nicht.“, Die Sicherheitsverfassung, 2014, S. 279.



III. Systematische Konfusionen275

eine Spielart der Prävention zu begreifen.991 Wenn die Besonderheit der Repression so erfasst würde, würde die Zweiteilung anderen argumentativen – nämlich nicht am geltenden Recht ausgerichteten – Maßstäben folgen (etwa kriminologischen oder rechtspolitischen). Aus Perspektive der juristischen Begriffsbildung ist eine solche Begriffsbildung dysfunktional. Am Maßstab der juristischen Methodenlehre und für den empirischen und analytischen rechtswissenschaftlichen Gebrauch gilt das Gebot der begrifflichen Zurückhaltung hinsichtlich überladener sowie inkohärenter Begriffsverwendungen, zumal wenn sie sich nicht als dogmatisch tragfähig erweisen. Die rechtsmethodische und rechtswissenschaftstheoretische Überzeugungskraft einer juristischen Operation ist maßgeblich von begrifflicher und infolgedessen inhaltlicher Präzision abhängig. Die Suche nach einem in sich schlüssigen Sprach- und Begriffssystem für die Begriffe „Prävention“ und „Repression“ war erfolglos. Ein solches ist für zweckmäßige Begriffsbildung begriffstheoretisch keine notwendige Bedingung. Dennoch verschärfen sich die sprachlich-diffusen Bedeutungsvarianten im juristischen Kontext. Eine einheitliche und konsistente Verwendung der Begriffe ist nach der Untersuchung nicht mehr möglich. Eine Klarstellung der Vorverständnisse in rechtswissenschaftlichen Arbeiten ist vorab zwingend notwendig, wenn „Prävention“ und „Repression“ eine andere Bedeutung als die von juristischen Basisbegriffen zukommt. Die Rechtsbegriffe haben ihre Gebrauchsgrenzen gefunden. Sie sind hinsichtlich ihrer Bedeutung komplex und überladen und in ihrer absoluten, dichotom-teleologischen Anordnung aus dem sicherheitsrechtlichen Kontext zu verbannen. 5. Trivialisierung des Föderalismus Die Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ ist in doppelter Weise dazu fähig, den Föderalismus zu beschränken. Zum einen kann ein dichotomes Verständnis entgegen der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nahelegen, dass „präventive“ Landesregelungen weniger begründungs­ bedürftig seien als „repressive“ Landesregelungen auf dem Gebiet des Si991  Gärditz, Strafprozeß und Prävention, 2003, S. 426; Warschko, Vorbeugende Verbrechensbekämpfung, 1995, S. 4; in diesem Sinne wohl auch Hassemer, KritJ 1992, S. 64 (66 f.); aber auch Denninger, in: Lisken/Denninger (Begr.), 6. Aufl. 2018, Kap. D Rn. 169 und 193 ff.; Gärditz, in: Wolter u. a. (Hrsg.), Alternativentwurf Europol und europäischer Datenschutz, 192, (193); Knemeyer, in: Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datennutzung als Kernaufgabe polizeilicher Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr und Straftatenverfolgung, in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann/Meng/ Schweitzer (Hrsg.), Völkerrecht und deutsches Recht, 2001, S. 483 ff., vgl. zudem Brodowski, Verdeckte technische Überwachungsmaßnahmen im Polizei- und Strafverfahrensrecht, 2016, S. 568.

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

cherheitsrechts. Demgegenüber hat die Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungs­gerichts zu Recht betont, dass sicherheitsrechtliche Regelungen stets multi­dimensional sind und diese Multidimensionalität auch dann nicht die Gesetzgebungskompetenz entfallen lässt, wenn sie das Verhältnis zwischen „Prä­vention“ und „Repression“ berührt. Insbesondere die Landesgesetzgeber dürfen sich daher nicht durch die Unterscheidung in ihrer Kreativität und der Wirksamkeit ihrer Gesetze beeinträchtigt fühlen.992 Zum anderen werden mit der strikten Unterscheidung zwischen „Prävention“ und „Repression“ sicherheitsrechtliche Vollzugsdefizite verbunden, so dass das derzeit geltende Sicherheitsrecht den neuen Bedrohungslagen vermeintlich nicht angemessen begegnen könne. Diese unterkomplexe Erfassung des Sicherheitsrechts führt dann zu der Forderung nach einem einheitlichen zentralistischen Sicherheitsrecht, das den sich wandelnden Herausforderungen stets gewachsen sei. Dieser Forderung liegt aber die Prämisse zugrunde, dass das derzeit geltende Sicherheitsrecht auf dichotome Trennung angelegt ist. Dies lässt sich nicht begründen; die Untersuchung hat gezeigt, dass das Sicherheitsrecht multidimensional und kooperativ verstanden werden muss. Diese kooperative Multidimensionalität lässt sich in der Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe eines starken Föderalismus erreichen, der die räum­ liche Nähe zu den sicherheitsrelevanten Geschehnissen jederzeit und unmittelbar herstellen kann: Der räumlich nahe Sicherheitsgesetzgeber trägt dem multidimensionalen Verständnis von Sicherheit im besonderen Maße Rechnung. 6. Perspektivwechsel durch das Sicherheitsrecht Die dichotome Einteilung des Sicherheitsrechts in „Prävention“ und „Repression“ wirkt exkludierend.993 Obwohl keine rechtsdogmatische Pfad­ abhängigkeit aus dem dichotomen Konzept folgt, führt eine konzeptionelle Zuordnung zur weitgehenden Blindheit für das jeweils andere. Diese Form gegenseitiger Kommunikationsbarrieren betrifft gleichermaßen Rechtspre992  BVerfGE 141, 220 (272): „Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert.“; siehe auch BVerfGE, NJW 2020, S. 2253 (2257) und BVerwG Urt. v. 21.8.2018 – 1 A 16.17, BeckRS 2018, 23003 Rn. 31. 993  Zu diesem Ergebnis auch Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/ Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (61 ff.).



III. Systematische Konfusionen277

chung und Rechtswissenschaft und führt zu einem Rückkopplungseffekt hin zum Rechtsetzer. Zugleich Bedingung und Ausdruck dessen sind zwei mögliche Rechtsgebiete und zwei mögliche Rechtswege, die sich mit gleichen Sachverhalten, aber mit unterschiedlichem juristischen background beschäftigen. Solange stets die Unterschiede betont werden, kann weder ein gegenseitiges Verständnis noch eine effiziente gegenseitige Verständigung stattfinden.994 Die Forderungen nach rechtsgebietsübergreifender Problembetrachtung und Problembehandlung sind ungebrochen.995 Sie setzen allerdings – will man zu sachgerechten Lösungen kommen – weitgehende Begriffskongruenz, jedenfalls aber eine Begriffsoffenlegung voraus. Wird ein Lebenssachverhalt rechtlich aus den Perspektiven der unterschiedlichen Rechtsgebiete gewürdigt oder sollen diese Perspektiven gar in eine Perspektive im Wege einer Begriffsangleichung zusammengeführt werden, sind Begriffsverwirrungen zu erwarten und durch die Rechtswissenschaft zu verhindern.996. Die rechtsdogmatische Frage der polizeilichen Aufgabenabgrenzung im Sicherheitsrecht bietet besonders fruchtbares Anschauungsmaterial: Es findet seine positivrechtlichen Anknüpfungspunkte im Straf- und Strafverfahrensrecht sowie im Polizeiverwaltungsrecht und Verfassungsrecht und damit über tradierte Rechtsgebietsgrenzen und über Normebenen hinweg. Zudem sind prozessuale aber auch kriminologische Fragestellungen zu berücksichtigen. Begriffswörter und Begriffe überschneiden und unterscheiden sich dabei. Vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen im zunehmend globalen und digitalen Zeitalter und im Sinne eines zukunftsfähigen und effizienten Sicherheitsrechts ist es unerlässlich, das Sicherheitsrecht aus den vorgegebenen Rechtsatzbegriffen unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gegebenheiten des Realbereichs her zu entwickeln. Tradierte Konzepte, die unter der Prämisse einer konzeptionellen Dichotomie zwischen „Prävention“ und „Repression“ entstanden sind und für ein so weit wie möglich vorurteilsfreies Erkennen des Rechts mehr hinderlich als hilfreich sind, sind interdisziplinär offenzulegen und zu enttarnen. Während dieses Entwicklungsprozesses treten erste das Sicherheitsrecht umfassende Rechtsbegriffe auf mittlerer Abstrak­ tionsstufe zu Tage, die bei zurückhaltender Verwendung Vorteile gegenüber der Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ bieten. So stellen etwa 994  Zu diesem Ergebnis gelangt auch Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staatsmetaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S.  43 (61 ff.). 995  Vgl. m. w. N. Lindner, JZ 2016, S. 697 (697 ff.); zu der Förderung der Interund Interdisziplinarität des Sicherheitsrechts Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, 2010, S. 6 ff. 996  Dieses Problem wird auch angedeutet bei Lindner, JZ 2016, S. 697 (704 f.).

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E. „Prävention“ und „Repression“ – Kritik an einem Begriffspaar

die Begriffe von der „prognosegestützten Vorsorgetätigkeit“, von der „prä­ emptiven Straftatenverhütung“ und der „reaktiven Strafverfolgung“ auf spezielle grundrechtliche Gefährdungslagen ab, ohne dabei einen Gegenbegriff zu bilden oder eine abstrakte normative Aussage zu suggerieren. Dieser höhere Grad an Differenzierung führt zwar zwangsläufig zu einer höheren Komplexität; er sorgt aber für höhere Transparenz und kann darüber hinaus sicherheitsrechtliche Maßnahmen jenseits des dichotomen Systems bündeln und zeitgemäße gesetzgeberische Regelungsmodelle entwickeln.

F. Empfehlungen an das Sicherheitsrecht Die konzeptionelle Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ prägt von Beginn an den sicherheitsrechtlichen Diskurs.997 Mit ihr wurde ein wesentlicher Sicherungsmechanismus des Rechtsstaates verknüpft. Die Untersuchung hat gezeigt, dass zu Unrecht Normativitätserwartungen in die Dichotomie gesetzt werden; es sind losgelöst von einer konzeptionellen Zweiteilung positivrechtliche Mechanismen, die vor allem die Gewalten teilen und inhaltlich Standards zur Wahrung der Grundrechte festlegen. Die föderale Kompetenzverteilung, der Aufbau unterschiedlicher Behördenstrukturen mit unterschiedlichen Kompetenzen und die Grundrechte haben unabhängig von einer übergreifenden Systematik fundamentale rechtsstaatliche Funktion. Sie allein sind es, die belastbar der Sicherheitspolitik und den Sicherheitsbehörden rechtsstaatliche Grenzen zu setzen vermögen. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung und aus der Prämisse eines bei materieller Betrachtung bereits historisch gewachsenen Sicherheitsrechts lassen sich folgende Schlüsse für den rechtswissenschaftlichen Diskurs sowie die weitere Formierung des Sicherheitsrechts ziehen. I.  Der Ruf nach einem „einheitlichen“ Sicherheitsrecht, das alle Probleme lösen soll, die mit den Begriffen von und der Differenzierung zwischen „Prävention“ und „Repression“ verknüpft werden, geht fehl. Er würde der fehlerhaften Grundannahme folgen, dass das derzeit geltende Recht dichotom angelegt ist und behördliche Kooperationen konzeptionell nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich sind. Das Gegenteil ist der Fall: Das Sicherheitsrecht – verstanden als historisch gewachsenes und seit jeher existierendes, aber als solches nicht bezeichnetes Rechtsgebiet – erlaubt einen notwendigen epistemischen Perspektivwechsel: Nicht nur das (ohnehin nur gelegentlich zu Tage tretende) zwischen „Prävention“ und „Repression“ Trennende, sondern die Gemeinsamkeiten fragmentierter multidimensionaler sicherheitsrecht­ licher Regelungen können in den Blick genommen werden.

997  „Diese Vermischung von Prävention und Repression hat schon seit der Reform des Strafverfahrens durch die StPO von 1877 die Köpfe der Polizeibehörden fasziniert […].“, Denninger/Poscher, Die Polizei im Verfassungsgefüge, in: Lisken/Denninger (Begr.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, Kap. B Rn. 98.

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II.  Das geltende Sicherheitsrecht in seinen disparaten Herangehensweisen hat sich bewährt.998 Ein einheitliches Sicherheitsgesetzbuch aus einer gesetzgeberischen Hand kann nur begrenzt Sicherheitsprobleme teleologisch erfassen. Unterschiedliche Rechtsetzer, die unterschiedliche Behörden unterschiedlicher Verwaltungsebenen mit unterschiedlichen sicherheitsrechtlichen Aufgaben und Befugnissen betrauen, hemmen nicht die Verwirklichung sicherheitsrechtlicher Bedürfnisse, sondern bieten die Chance, unterschiedliche Sicherheitskonzepte mit unterschiedlichen Herangehensweisen umfassend und effektiv zu verwirklichen. Dazu leistet der Föderalismus einen wichtigen Beitrag, weil er durch die räumliche Nähe gewährleistet, dass auf „sicherheitsrelevante“ Sachverhalte angemessen reagiert werden kann. Der Föderalismus stellt gleichzeitig sicher, dass länderübergreifenden und globalen Sachverhalten mit Hilfe von sicherheitsrechtlicher Kooperation wirksam begegnet werden kann. III. Das geltende Sicherheitsrecht ist nicht auf (dichotome) Exklusivität, sondern auf (multidimensionale und multiintensionale) Kooperation angelegt.999 Versteht man Zuständigkeitsregelungen nicht bloß als Zuständigkeitsexklusivität, sondern begreift von vorneherein die Möglichkeit sicherheitsrechtlicher Mehrfachzuständigkeiten, kann das gegenseitige Verweisen auf die Zuständigkeit des jeweils anderen im Wege einer „Kultur der Verantwortung“ verhindert werden.1000 Dagegen sind in der dichotomen Erfassung des Sicherheitsrechts – bei gleichzeitig multidimensionalen Sachverhalten und Zweckbündelungen, die dem positiven Sicherheitsrecht innewohnen – Zuständigkeitsvakua systematisch angelegt. IV. Ein so verstandenes „gegensatzaufhebendes“1001 Sicherheitsrecht ist weniger normative Revolution denn epistemische Evolution. Eine gesetzge998  Für das Polizeirecht, das große Überschneidungsbereiche mit dem hier skizzierten Sicherheitsrecht hat, Gusy, GSZ 2018, S. 195 (195). 999  Schon von Hippel formulierte mit Blick auf das Strafrecht: „Alle Teile der Rechtsordnung ergänzen einander, ohne daß daraus ein Verhältnis der Subsidiarität folgte.“, Deutsches Strafrecht, Band I, 1925, S. 31 f. 1000  So etwa die Erkenntnis der Expertenkommission im Fall „al-Bakr“, in dem die Behördenkooperation evident nicht funktionierte, Pressemitteilung der Expertenkommission des Freistaats Sachsen „Polizeiliche Ermittlungsarbeit und Strafvollzug bei terroristischen Selbstmordattentätern am Fall al-Bakr“ vom 24. Januar 2017, S.  2 f. 1001  In strikter Abgrenzung zu der Form der Begriffsbildung, die Lepsius in der Zeit des Nationalsozialismus erkannt hat: „Durch die Verbindung einer als Rechtsidee dienenden Begrifflichkeit mit philosophisch rezipierter Erkenntnismethoden scheint eine doppelte Rechtfertigung eigene Wertungen und Präferenzen möglich zu sein. Eigene Wertvorstellungen konnten inhaltlich gerechtfertigt werden, indem allgemeine als oberste Sinnprinzpien akzeptierte Begriffe nach eigenem Gutdünken definiert werden. […] Begriffs- und Begründungshülsen bedingen und ergänzen einander. In ihrer



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berische Generalüberholung der Sicherheitsarchitektur und des Sicherheitsrechts ist nicht notwendig, punktuelle Anpassungen – vor allem im informationellen Rechtsregime – genügen zur Weiterentwicklung. Dies bietet den Vorteil, dass erprobte und bewährte Funktionsmechanismen erhalten werden können. Dennoch ist dieser Perspektivwechsel nicht folgenlos. Er verhindert das gegenseitige Ausspielen von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung und nimmt diese zwei Zwecke gleichermaßen und parallel in die Verantwortung. Dies bedeutet nicht, dass das Sicherheitsrecht als Gegenbild zum tradierten Polizei- und Ordnungsrecht sowie zum Strafverfahrensrecht missverstanden werden darf. V. Die rechtsstaatliche Konturierung des Sicherheitsrechts, die bislang vor allem mit der rechtswissenschaftlichen Begriffseinteilung in „Prävention“ und „Repression“ verbunden wurde, muss durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft erfolgen. Der Begriff der Sicherheit1002 kann dabei keine belastbare rechtsstaatliche Funktion einnehmen, er ist dafür als programmatischer Begriff sogar gänzlich ungeeignet.1003 Wenn etwa der EUV in Art. 67 Abs. 3 die EU dazu ermächtigt, darauf hinzuwirken, ein „hohes [sic!] Maß an Sicherheit zu gewährleisten“, stellt dies eine nicht erreichbare Zielsetzung dar, mit der staatliches Handeln nie begrenzt werden könnte. Umgekehrt darf der Sicherheitsbegriff aber auch nicht als „ideengeschichtliches ‚Gegenbild‘ “1004 zur vermeintlich rechtsstaats- und freiheits­ sichernden Trennung zwischen „Repression“ und „Prävention“ missverstanden werden.

Wechselwirkung sind sie in der Lage, jeweilige Inkonsequenzen und Unschlüssigkeiten in Inhalt und Methode aufzuheben, denn die Richtigkeit des Inhalts erweist sich nur durch das besondere Verfahren, und die Richtigkeit der Methode wird durch die Besonderheiten des Erkenntnisgegenstandes bedingt.“, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, 1994, S. 371; dass derartige epistemische Unklarheiten auch im Begriff des „Sicherheitsrechts“ angelegt sind, ist zutreffend bei Reimer beschrieben, Sicherheitsrecht?, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 387 ff. 1002  Abgesehen vom konturierten Rechtsatzbegriff der „öffentlichen Sicherheit“. 1003  Zutreffend Reimer, Sicherheitsrecht?, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/ Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 387 ff.; zumal der Begriff des „Sicherheitsstaats“ kritisch konnotiert und dabei insbesondere auf den Abbau vor allem neuerer sicherheitsrechtlicher Eingriffsbefugnisse gerichtet ist, vgl. zu dieser Einschätzung Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staats­ metaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/ Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (51). 1004  Differenzierend dazu Bäuerle, Prävention und Repression zwischen Staats­ metaphorik, Verfassungsrecht und Dogmatik, in: Bartsch/Görgen/Hoffmann-Holland/ Kemme/Stock (Hrsg.), Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit, 2018, S. 43 (54 ff.).

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VI.  Dem Begriff vom Sicherheitsrecht kommt als (möglichst) deskriptiver Begriff1005 eine wichtige Funktion zu: Er überwindet die Dichotomie und ihre damit einhergehenden epistemischen Probleme im Wege einer „gegensatzaufhebenden“ Begriffsbildung. Dadurch werden keine falschen Normativitätshoffnungen in eine Zweiteilung mehr gelegt und elementare Fragen der Gewaltenteilung offengelegt: Der Gesetzgeber und die Verfassungsgerichte rücken in die Verantwortung, grundrechtliche Sicherungen sicherzustellen.1006 Das dysfunktionale Vorverständnis durch die Unterscheidung in „Prävention“ und „Repression“ kann durch die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung aufgelöst werden, so dass wirksame rechtsstaatliche Standards erkannt werden können. VII.  Ein so verstandenes Sicherheitsrecht fördert die Kommunikation, das Differenzierungsvermögen und damit das Erkennen. Insbesondere werden sprachliche Irritationen getilgt und semantische Präzision erhöht. Dieses Sicherheitsrecht ist voraussetzungsvoll: Auf dem Begriff der Sicherheit dürfen von vornherein keine Normativitätserwartung liegen. Ihm darf daher kein Begriff gegenübergestellt werden. Er ist besonders extensiv und erfasst viele Rechtsregime dem Grunde nach und hilft dabei, Funktionszusammenhänge übergreifend zu erkennen und dadurch tradierte Argumentationsmuster, denen keine materielle Funktion und keine formale Differenzierungsfähigkeit korrespondieren, zu eliminieren. VIII. Mit der Aufgabe der konzeptionellen dichotomen Trennung zwischen „Prävention“ und „Repression“ ist „nur“ ein systematisierendes „Sicherungssystem“ aufgelöst, das sich als „dogmatisches Leitbild“ als nicht tragfähig erwiesen hat. Dies ebnet die Möglichkeit, andere systematische und leistungsfähigere begriffliche Konzepte in den Vordergrund zu rücken. Es ist dabei der Fokus auf Begriffe zu legen, die der Gesetzgeber bereits selbst nutzt. Die Gefahren- und Verdachtsbegriffe etwa leisten mit ihren Qualifikationen einen zentralen auszudifferenzierenden Maßstab sicherheitsrechtlichen Handelns. Daneben muss allerdings gegenseitige intradisziplinäre Verständigung über weitere grundrechtssichernde Maßstäbe (etwa prozedurale Voraussetzungen wie der Behördenleitervorbehalt und inhaltliche Absicherung der Prognosemaßstäbe) stattfinden.1007 Der Abgleich zwischen sicherheitsrecht­ 1005  Etwa als Querschnittsmaterie, vgl. Gärditz, GSZ 2017, S. 1 (1 f.); zu dieser Forderung schon Prümm, VR 43 (1997), S. 253 (253 ff.); vgl. zu den Gefahren bei normativem Gebrauch Fn. 1003. 1006  In diese Richtung Kugelmann, Die Verwaltung 47 (2014), S. 25 ff. 1007  Für die Praxis ist die gemeinsame Darstellung des gefahrenabwehrrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Eingriffsrecht schon selbstverständlich, vgl. etwa Bialon/Springer, Eingriffsrecht, 6. Aufl. 2020; Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft, 4. Aufl. 2010; Osterlitz, Thomas, Eingriffsrecht im Polizeidienst, Zwei Bände, 16. Aufl. 2019.



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lichen Maßnahmen, institutionellen und föderalen Zuständigkeitsabgrenzungen, gesetzlicher Voraussetzungen und grundrechtlicher Maßstäbe ist dabei mühsame Kleinstarbeit für den Rechtsanwender. Nur dadurch erschließen sich (induktiv) systematische Zusammenhänge. Es stehen bereits Begriffe auf mittlerer Abstraktionsebene zur Verfügung (z. B. Vorsorge, Präemption, Reaktion), deren begrenzter Nutzen, deren gegenseitige Verhältnislosigkeit und deren materielle Aussagekraft von vornherein zielgenau konturiert werden müssen.1008 IX.  Mit der Verwendung der Begriffe „Prävention“ und „Repression“ im Sicherheitsrecht werden die Grenzen juristischer Begriffsbildung überschritten. Bei der Weiterverwendung der Begriffe „Prävention“ und „Repression“, ob als sicherheitsrechtliche Unterscheidung oder als juristische Basisbegriffe, besteht daher die Obliegenheit, die jeweilige Bedeutung und das Vorverständnis präzise offenzulegen.

1008  Instruktiv

für das „Predictive Policing“ Singelnstein, NStZ 2018, S. 1 (1 ff.).

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Stichwortverzeichnis Antonym  64 ff., 144 f., 150 f., 156, 161, 181, 267 apriorische Rechtsbegriffe  98 Argumentationsmuster  91, 134, 202, 255, 259, 267 ff., 282 attributive Bedeutung  72 ff., 79 ff., 145, 150, 258 autoritativ  100 Basisbegriffe  76 ff., 124, 141, 145, 150 f., 161, 191 f., 251, 256 ff., 275, 283 Basissatz  125 ff. bedeutungsfester Kern  127 Begriff und Wort  89 ff. Begriff vom Recht  96 ff. Begriffe der Rechtsprechung siehe Rechtsprechungsbegriffe Begriffe der Rechtsdogmatik siehe dogmatische Begriffe Begriffe des Rechtsetzers siehe Rechtsatzbegriffe Begriffsjurisprudenz  116, 262, 272 Begriffskern  258 Begriffssterilisation siehe Sterilisation Bestimmtheitsgebot  101 ff., 113, 157, 198 ff., 216 Bifurkation  263 binär  65, 78, 252, 262 Chiffre  84, 159, 165, 176, 218, 243, 261 deduktive Begriffsanalyse  95, 117 ff., 125 ff., 145, 243, 252, 267 deskriptiv Begriffsbildung  22, 39, 44, 61, 77, 84, 115, 119, 123 f., 133, 156, 192, 203, 218, 255, 257, 282

Dichotomie  39 f., 45, 64 ff., 79, 81 ff., 123, 135, 145, 151, 156, 160 f., 166 ff., 196, 207, 212, 215, 218 f., 223, 228, 233 ff., 240 ff., 250 ff., 257 ff., 266 ff., 273 ff., 279 ff. dogmatische Begriffe  128 ff. doppelfunktionale Maßnahmen  220 ff., 249 ff. dysfunktionale Begriffsbildung  91, 120 f., 125, 133, 135, 202, 218, 252, 254, 266 ff., 282 Etikett  45, 54, 62, 78, 80 f., 90 ff., 99, 133, 223, 257 f., 260 f., 267 f. europäisches Sicherheitsrecht  35 ff. Falsifizierung eines Rechtsbegriffs  125 ff. Föderalismus  30 ff., 171, 275 f., 280 Gefahrenvorsorge  25, 178, 188 gegensatzaufhebende Begriffsbildung  255, 282 Gegenständlichkeitskriterium  181 ff., 188 ff., 201, 212, 218, 261 Gesetzesbegriff siehe Rechtsatzbegriff Gesetzgebungskompetenzen  165 ff. Grenzen juristischer Begriffsbildung  259 ff., 283 grundrechtliche Parallelität, 192 ff., 265 heuristischer Wert/Unwert  119 f., 124, 129, 203, 218, 252, 267 ff. idiosynkratisch Begriffspedanterie  42 illokutionärer Akt  256 Illusion  120, 261 ff., 273 ff. induktive Begriffsbildung  90, 100 f., 125 ff., 145, 198, 208, 219, 243, 257, 267, 283

Stichwortverzeichnis317 Interferenzen  52, 104, 113, 135, 159, 256 ff. Inversionsmethode siehe Begriffsjurisprudenz

Normativitätslosigkeit  246, 268 f., 273

juristische Basisbegriffe siehe Basisbegriffe juristische Begriffsbildung  86 ff., 96 ff.

pejorativ  35, 45 f., 51, 53, 58, 60, 62, 64, 74, 84, 194, 257, 260 Performativität  65, 70 ff., 85 polyvalente Bedeutungsentwicklung  84 Porosität  90, 202 Präemption  55 f., 203, 218 283 Präfix  46 ff., 56 f., 65 ff. Präventionslogik  72 f. Präventivjustiz  140 Prohibition  54 f. Prophylaxe  54, 221

Kondensierung und Konfirmierung  90 kontraintuitiv Begriffsbildung  80, 92 f., 107, 228 Kooperationsgebote  203 ff., 233 ff. Kriminologie  157 ff. Legalbegriffe siehe Rechtsatzbegriffe Legalität  241 ff. legendierte Verkehrskontrolle  237 ff. Legitimationsdruck siehe semantischer Legitimationsdruck Lehrkonzept  271 ff. Leitbild  123 ff., 134, 252, 267 ff., 270 f., 274, 282 logische Begriffsbildung  88, 95 f., 109, 115, 117 ff., 122, 125 ff., 132 ff. meliorativ  45, 49, 51 ff., 74, 84, 194, 257, 260 multidimensionales Sicherheitsrecht  189, 223, 233 ff., 240, 255, 264 ff., 275 f., 279 ff. Normalitätsannahme  191, 237, 251, 256, 259, 268, 274 normative Begriffsbildung  25, 39, 41 ff., 77, 82, 94, 98, 101, 110, 115, 119 f., 122 ff., 132 ff., 136, 141, 152, 157, 159, 163, 168 f., 174, 188 f., 202 f., 218, 220, 255, 266 normative Konnotation  256 normative Legitimation  269 Normativitätsannahme  256, 282 Normativitätsanspruch  269 Normativitätserwartung/-hoffnung  203 f., 212, 236 ff., 244, 268 f., 279, 282

Öffentlichkeitsfahndung  236 f. Opportunität  241 ff.

Rechtfertigungsdruck  244, 252 Rechtsatzbegriffe  98 ff. Rechtsprechungsbegriffe  109 ff. Rechtsschutz  244 ff. rechtswissenschaftliche Begriffe  114 ff. Relativität der Rechtsbegriffe  86 f., 92, 95 Repressionsinstrument  75, 140, 160 f. repressive Entsublimierung  75 Risikovorsorge  203, 213 semantischer Legitimationsdruck  191, 194, 218 f. semantischer Rechtfertigungsdruck siehe Rechtfertigungsdruck semantisches Argumentationsmuster  91, 134, 202, 255, 259, 267 ff., 282 Sicherheitsrecht  19 ff. Sicherheitsarchitektur  28 ff. Sterilisation  76 ff., 84 Strafverfolgungsvorsorge  18, 39 f., 163, 173, 178, 180 ff., 186 ff., 190, 201, 208, 212, 217 ff., 221, 225 ff., 234, 247 f., 252 ff. 261 Straf(zweck)theorien  151 ff. Suggestivfunktion  246, 258 ff., 262, 278

318 Stichwortverzeichnis Synonym  53 ff., 64, 73 f., 155, 173, 218 systematisierende Begriffsbildung Tautologie  42, 127, 133, 258 f. teleologische Multidimensionalität  264 f. temporale Zuordnung siehe zeitliches Element Trennungsgebote  203 ff. Trichotomie  65, 145, 182, 203, 218 Umbildungsprozess  84 Umgangssprache  94 f. Vagheit  90, 202

Verhältnislosigkeit  70, 202, 232, 260, 283 Vokabel  90 Vorsorge  56, 66, 119, 162, 181, 203, 217, 253, 278, 283 Vorverständnis  22, 39 f., 52, 56, 83, 86, 100, 115, 136, 144, 156, 191, 219, 228, 233, 255 ff., 272 f., 275, 282 f. zeitliches Element  17, 47 f., 56, 65 ff., 79 f., 82, 84, 145, 150 f., 181 ff., 212, 217 f., 251, 257, 259, 260 ff. Zirkelschluss  13, 180, 191 f., 225, 233, 261, 268, 270 Zweckänderung  209 ff. Zweckbindung  207 ff.