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German Pages 624 Year 2013
Christina Lembrecht Bücher für alle
Archiv für Geschichte des Buchwesens – Studien
Im Auftrag der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.
Herausgegeben von Ursula Rautenberg und Ute Schneider
Band 9
Christina Lembrecht
Bücher für alle
Die UNESCO und die weltweite Förderung des Buches 1946–1982
Historische Kommission: Ordentliche Mitglieder: Prof. Dr. h. c. mult. Klaus G. Saur (München), Vorsitzender; Prof. Dr. Reinhard Wittmann (Fischbachau), stellvertretender Vorsitzender; Prof. Dr. Ernst Fischer (Mainz); Prof. Dr. Stephan Füssel (Mainz); Prof. Dr. Christine Haug (München); Dr. Roland Jaeger (Hamburg); Prof. Dr. Siegfried Lokatis (Leipzig); Prof. Dr. Wulf D. v. Lucius (Stuttgart); Prof. Dr. Ursula Rautenberg (Erlangen); Thedel v. Wallmoden (Göttingen) Korrespondierende Mitglieder: Prof. Dr. Hans Altenhein (Bickenbach); Dr. Werner Arnold (Wolfenbüttel); Dr. Jan-Pieter Barbian (Duisburg); Prof. Dr. Frédéric Barbier (Paris); Thomas Bez (Bietigheim-Bissingen); Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Erich Bödeker (Göttingen); Dr. Monika Estermann (Berlin); Prof. Dr. Dr. h. c. Bernhard Fabian (Münster); Dr. Bernhard Fischer (Weimar); Prof. Dr. John L. Flood (Amersham); Dr. Stephanie Jacobs (Leipzig); Prof. Dr. Georg Jäger (München); Graham Jefcoate (Nimwegen); PD Dr. habil. Thomas Keiderling (Leipzig); Dr. Michael Knoche (Weimar); Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz (Mainz); Dr. Mark Lehmstedt (Leipzig); Dr. Christoph Links (Berlin); Prof. Dr. Alberto Martino (Wien); Prof. Dr. York-Gothart Mix (Marburg); Dr. Helen Müller (Gütersloh); Juniorprofessor Dr. David Oels (Mainz); Prof. Dr. Ulrich Ott (Öhningen); Bernd Rolle (Jena); Prof. Dr. Patrick Rössler (Erfurt); Prof. Dr. Helmut Rötzsch (Leipzig); Prof. Dr. Walter Rüegg (Villette/Lauvaux); Prof. Dr. Wolfgang Schmitz (Köln); Prof. Dr. Ulrich Johannes Schneider (Leipzig); Prof. Dr. Ute Schneider (Mainz); Martin Spencker (Stuttgart); Dr. Volker Titel (Erlangen); Prof. Dr. Peter Vodosek (Stuttgart); Clara Waldrich (München); Dr. Tobias Winstel (Freiburg i. Br.) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2011 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
ISBN 978-3-11-030311-7 e-ISBN 978-3-11-030339-1 ISSN 2197-0351 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverfoto: Graffiti in Chiapas, Mexiko. © Marion Ladich, Bonn. Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Meinen Eltern
Inhalt Abkürzungen
xi
Abbildungsverzeichnis und -nachweise Tabellenverzeichnis 1 1.1 1.2
1.3 1.4 1.5
xiii
xv
Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO Buchförderung als Forschungsgegenstand der Buchwissenschaft Annahmen über gesellschaftliche Funktionen buchmedialer Kommunikation: Begründung und Legitimierung buchfördernder Maßnahmen 18 Strategien und Gestaltungsoptionen der Buchförderung 26 28 Die UNESCO als globale Akteurin 44 Quellengrundlage und methodisches Vorgehen
»Bollwerke des Friedens im Geist der Menschen«: Bücher im Dienst von Frieden und Verständigung 2 2.1 2.2 2.3
3 3.1 3.2 3.3
1 5
51
Eine grenzenlose Welt für Bücher: Maßnahmen zur Verbesserung der internationalen Buchzirkulation 61 Mobilisierung von Büchern für den kulturellen Wiederaufbau nach dem 63 Zweiten Weltkrieg Stärkung und Standardisierung bibliothekarischer Austausch- und Dokumentationssysteme 75 »To make it easier and cheaper for books to move from country to country«: Handelserleichterungen für den internationalen Buchverkehr 86 104 Bücher als Bausteine einer neuen Weltordnung »Looking at the World through Textbooks«: Überwindung nationaler Perspektiven in (Geschichts-) Lehrbüchern 105 Eine Publikation im Auftrag der UNESCO: The History of Mankind als Spiegelbild eigener Ideale 115 Die UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke 122 der Weltliteratur
viii
Inhalt
»Das Buch ist der Lehrmeister«: Bücher und Bibliotheken als Grundbestandteile weltweiter Bildungsinfrastrukturen 4 4.1 4.2
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2
6 6.1 6.2
133 Lektürestoffe für neue Leserschichten Ratgeber für ein besseres Leben: Die Produktion sozial relevanter Literatur für ein neu alphabetisiertes Publikum 137 »[. . .] making the people book-minded«: Das Lesematerialienprojekt 153 in Asien (1954–1966) Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk 191 Demonstrationen des Potenzials öffentlicher Bibliotheken: Der Aufbau von 194 pilot public libraries in den fünfziger Jahren Modellbibliotheken als Impulsgeber für die bibliothekarische Entwicklung in der Dritten Welt 197 Orte der Bildung für jedermann: Herausforderungen bei der Umsetzung des Public Library Manifesto 218 Das Primat des Planens: 227 Bibliothekssysteme als Teil koordinierter Bildungspolitik Bibliotheksentwicklungspläne: Instrumente für eine effiziente Gestaltung der öffentlichen Literaturversorgung? 229 Verbesserung der bibliothekarischen Ausbildung: Der Aufbau universitärer Bibliotheksschulen in Afrika und der Karibik 241 249 Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt Fokus Afrika: Der Wunsch nach lokalen Schulbüchern 252 Buchimporte und Lizenzausgaben: Wissenstransfer durch Fachliteratur 262
»Goldener Schlüssel für nationales Wachstum«: Ein einheimischer Buchhandel als Voraussetzung für Modernisierung und kulturelle Selbstbestimmung 7 7.1 7.2
129
267
Book development: Die Ausbreitung des Entwicklungsimperativs auf den Buchhandel 275 276 Eine Form von Armut: Book hunger »Books for All«: Programme zur Stärkung des Buchhandels in der Dritten Welt 290
Inhalt
8 8.1 8.1.1
8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie 305 Strukturen des Buchhandels in Lateinamerika 305 Zwischen hegemonialen Ansprüchen, materiellen Interessen und strukturellen Abhängigkeiten: Wettbewerb um die Vormacht und das Ringen um Autonomie auf den Buchmärkten Hispanoamerikas 307 336 Der Buchmarkt Brasiliens: Wachstum und Expansion Defizitäre Vertriebsstrukturen: Das Manko im lateinamerikanischen Buchhandel 342 Vielversprechende Aussichten für das Buch? Prognosen über wachsende 352 Leser- und Käuferschichten Gründung und Institutionalisierung des CERLALC als Trägerinstitution für die regionale Buchförderung 357 Professionalisierung des lateinamerikanischen Buchhandels: Dienstleistungen für die Branche 369 Kopublikation von Kinderbüchern: Stärkung nationaler Verlage durch regionale Zusammenarbeit 378 Wirtschaftspolitik für den Buchhandel: Das Projekt eines Gemeinsamen 395 Buchmarktes und Werben für nationale Buchgesetze »Los libros baratos y la cerveza cara«: Kubas revolutionäre Variante des book development 409 Möglichkeiten und Grenzen des book development in Lateinamerika 420
9
Exkurs: Zwischen Ideologie und Geschäft – Bücher im Kalten 423 Kulturkrieg
10
Die Weltbuchdekade (1972–1982): Rechtliche, wirtschaftliche und politische Spannungsfelder der Buchmarktentwicklung 447 in der Dritten Welt Die Einbindung der Entwicklungsländer in das internationale Urheberrechtsregime 451 Mächtige Wettbewerber und kleine Märkte: Schwierigkeiten privatwirtschaftlichen Verlegens in der Dritten Welt 466 Die Rolle des Staates auf dem Buchmarkt: 474 Förderer, Großkunde oder Verleger?
10.1 10.2 10.3
11
ix
Eine lesende Gesellschaft als Vorschein einer besseren Welt
480
x
Inhalt
Dokumentation 491 A Lesematerialien für Neualphabetisierte, hergestellt am CREFAL zwischen 1951 und 1960 491 B Veröffentlichungen der Latin American Fundamental Education Press 492 C Subventionierte Publikationen im Rahmen des 494 Lesematerialienprojekts D UNESCO-Stipendien im Rahmen des Lesematerialienprojekts zwischen 1954 und 1968 506 E Übersicht der im Rahmen des Lesematerialienprojekts entstandenen Buchmarktstudien und Fachpublikationen 508 F Internationale und regionale UNESCO-Bibliothekskonferenzen 511 zwischen 1948 und 1974 G Expertenmissionen zur Planung nationaler Bibliothekssysteme zwischen 1964 und 1975 512 H Expertenmissionen im Bereich der Schulbuchproduktion in den fünfziger und sechziger Jahren 514 I Fortbildungsangebote des CERLALC in den siebziger und achtziger Jahren 516 J Vom CERLALC herausgegebene buchhändlerische Fachliteratur zwischen 519 1972 und 1990 K Vom CERLALC publizierte Buchmarktstudien zwischen 1971 und 1991 520 520 L Kopublikationsprogramm: Titelübersicht M Regionale Konferenzen zur Entwicklung der Buchmärkte Lateinamerikas zwischen 1979 und 1993 521 523 Bibliographie 1 Quellen 523 1.1 Ungedruckte Quellen 523 1.2 Amtliche Dokumente der UNESCO und der UN 1.3 Gedruckte Quellen 533 569 2 Forschungsliteratur Dank
591
Buchhandels- und Verlagsregister 595
Personenregister Sachregister
599
593
523
Abkürzungen ACCU ALA ALADI ALALC ASFEC CAME CANIEM CARE CEPAL CERLAL CERLALC CIPSH COFIDA COLTED CREFAL CREPLA ECOSOC EDUCA ELBS EPTA FAO FID GATT IATA IBBY IBY ICBA ICIC IFLA IIEP IPDC ISBN IVU OAS OgZ o. D. o. V. o. S. SALALM SRI TA TBDC UCC UN UNCTAD
Asian Cultural Centre for UNESCO American Library Association Asociación Latinoamericana de Integración Asociación Latinoamericana del Libro Comercio Arab States Fundamental Education Centre Conference of Allied Ministers of Education Cámara Nacional de la Industria Editorial de México Cooperative for American Remittances for Europa, Cooperative for American Remittances to Everywhere (seit 1952) Comisión Económica Para América Latina Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina y el Caribe Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines International Copyright Funds Comição Nacional do Livro Técnico y Didáctico Centro Regional de Educación Fundamental para América Latina Centre Régional de Promotion du Livre en Afrique Economic and Social Council Editorial Universitaria Centroamericana English Language Book Society Expanded Programme of Technical Assistance for Economic Development of Underdeveloped Countries Food and Agriculture Organization of the United Nations Fédération Internationale de Documentation General Agreement on Tariffs and Trade International Air Transport Association International Board on Books for Young People International Book Year International Community of Booksellers Association International Copyright Information Centre International Federation of Library Associations and Institutions International Institute for Educational Planning International Programme for the Development of Communication Internationale Standardbuchnummer Internationale Verleger-Union Organisation Amerikanischer Staaten Organisation für geistige Zusammenarbeit ohne Datum ohne Verlagsangabe ohne Seitenangabe Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials Servicio Regional de Información sobre el Libro Technical Assistance Tokyo Book Development Centre Universal Copyright Convention United Nations United Nations Conference on Trade and Development
xii UNDP UNESCO USAID USIA WIPO
Abkürzungen
United Nations Development Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation United States Agency for International Development United States Information Agency World Intellectual Property Organization
Abbildungsverzeichnis und -nachweise Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten nicht alle Rechteinhaber ermittelt und um Genehmigung ersucht werden. Ich bitte ggf. um Mitteilung. Abb. 1 Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7
Abb. 8
Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12
Abb. 13
Abb. 14
Abb. 15
Organisationsstruktur der UNESCO. Eigene Darstellung 56 Ausschnitte aus Mi amigo Fortino, einer am CREFAL entstandenen Publikation für Neualphabetisierte. Entnommen aus: Emilio García Agreda: Mi amigo Fortino. Pátzcuaro: CREFAL 1953 (Vida rural. 3), S. 8–9 144 Ausschnitt aus El machete, su uso y cuidado, einer Publikation der Latin American Fundamental Education Press. Entnommen aus: El machete, su uso y cuidado. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de la Educación Fundamental 1958, S. 10–11 145 Ausschnitte aus La Biblioteca Popular, einer Publikation der Latin American Fundamental Eduation Press. Entnommen aus: La Biblioteca Popular. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de la Educación Fundamental 1955 147 Delhi Public Library, eine Modellbibliothek für ganz Asien. Entnommen aus: Frank Gardner: What People in Delhi Like to Read. Contrasting Tastes of East and West. In: UNESCO Courier V (1952), H. 7, S. 12–13, hier S. 12 206 Planung des bolivianischen Bibliothekswesens: Geographische Verteilung der Bevölkerung Boliviens sowie der vorgesehenen bibliothekarischen Einrichtungen. Entnommen aus: I. J. L. Mettini: Plan para el desarrollo de las bibliotecas públicas y escolares. Mission: Septiembre–noviembre de 1970: Bolivia. Paris 1971 (UNESCO-Dokument: 2416/RMO.RD/DBA; IM/PP/Consultor), Anexo I und XIII 237 Bibliotheksplanung: Organigramm des öffentlichen und schulischen Bibliothekswesens in Bolivien. Entnommen aus: I. J. L. Mettini: Plan para el desarrollo de las bibliotecas públicas y escolares. Mission: Septiembre–noviembre de 1970: Bolivia. Paris 1971 (UNESCODokument: 2416/RMO.RD/DBA; IM/PP/Consultor), Anexo XII 238 Mit Massenmedien unterversorgte Regionen der Welt (etwa 1960). Entnommen aus: Wilbur Schramm: Mass Media and National Development. The Role of Information in the Developing Countries. Stanford, Paris: Stanford University Press, UNESCO 1964. S. 90 277 Darstellung des book gap in den fünfziger Jahren. Entnommen aus: Ronald E. Barker: Books for All. A Study of International Book Trade. Paris: UNESCO 1956. o. S 283 Darstellung des book gap im UNESCO Statistical Yearbook. Eigene Graphik nach dem Diagramm in: UNESCO Statistical Yearbook 20 (1982). Paris: UNESCO 1983, S. VI 284 Logo des Internationalen Buchjahres. © UNESCO 300 Umschlaggestaltung von Cuentos y leyendas de amor para niños, dem fünften Band des lateinamerikanischen Kopublikationsprogramms. Entnommen aus: Cuentos y leyendas de amor para niños. Buenos Aires: Coedición Latinoamericana 1985 393 Lesende Revolutionäre um 1960. Entommen aus: Manuel Díaz Martínez: Imprenta Nacional de Cuba. In: INRA II (1961), H. 2, S. 44–47, hier S. 46. Revolutionsführer Fidel Castro beim Lesen um 1965. Künstler unbekannt, © IMAGNO/Austrian Archives 411 Edición Revolucionaria: Original und unerlaubter Nachdruck. Titelblätter entnommen aus: Frank A. Kristal/F. A. Annett: Pumps. Types, Selection, Installation, Operation, and Maintenance. 2. Auflage. New York: McGrawHill 1953; Frank A. Kristal/F. A. Annett: Pumps. Types, Selection, Installation, Operation, and Maintenance. Havanna: Instituto de Libro, Edición Revolucionaria 1969 413 Entwicklung der Buchproduktion auf Kuba nach Titeln (links) und Auflage (rechts). Eigene 419 Auswertung und Darstellung nach: UNESCO Statistical Yearbook 1 (1963) – 33 (1995)
xiv
Abbildungsverzeichnis und -nachweise
Abb. 16 Sowjetische Buchproduktion in Fremdsprachen zwischen 1966 und 1989. Eigene Auswertung und Darstellung nach: UNESCO Statistical Yearbook 4 (1966) – 28 (1990), Kategorie: Book Production. Number of titles by language of publication 441 Abb. 17 Werbeanzeige für sowjetische Bücher in der Wochenzeitschrift der kommunistischen Partei Indiens New Age (Mitte der fünfziger Jahre). Entnommen aus: Year of Crisis. Communist Propaganda Activities in 1956. Hrsg. von Evron Maurice Kirkpatrick. New York: Macmillan 1957, S. 338 444
Tabellenverzeichnis Tab. 1 Tab. 2 Tab. 3 Tab. 4 Tab. 5 Tab. 6 Tab. 7 Tab. 8 Tab. 9 Tab. 10 Tab. 11 Tab. 12 Tab. 13 Tab. 14
UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur: Anzahl der geförderten Werke nach übersetzten Sprachen 126 UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur: Anzahl der geförderten Werke 127 nach regionaler Herkunft Etat des Lesematerialienprojekts in US-Dollar zwischen 1955/1956 und 1967/1968 170 Indikatoren für die Dominanz der angelsächsischen Bibliothekstradition innerhalb des frühen UNESCO-Bibliotheksprogramms 193 Etatentwicklung der Medellíner Pilotbibliothek zwischen 1954 und 1962 in US-Dollar 212 Titelproduktion in Lateinamerika, Portugal und Spanien zwischen 1955 und 1975 312 Anzahl der Verlage in Lateinamerika, Mitte der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre 314 Struktur des Sortimentsbuchhandels in Lateinamerika, Mitte der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre 347 Struktur des öffentlichen Bibliothekswesens in Lateinamerika um 1960 351 Tageszeitungsauflage als Indikator für die Größe des Lesepublikums in Lateinamerika 1970–1971 354 Produzierte Titel pro einer Million Einwohner zwischen 1960 und 1975 449 Anteil der Entwicklungsländer am Weltbuchhandel (Export/Import) in Prozent zwischen 1970 und 1980 449 Kostenstruktur der Buchproduktion in Entwicklungsländern in Prozent des Listenverkaufspreises bei einer Druckauflage von 1.000, 5.000 und 10.000 Exemplaren 472 Deckungsbeitragsrechnung für eine Druckauflage von 1.000 Exemplaren 473
1 Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO »It has been said that books change the world and this is still the case despite a silent conspiracy which tries to ignore such a very important truth.« 1 Die Auffassung, dass Bücher die Welt verändern, ja sogar verbessern können, ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur vom langjährigen Direktor der Frankfurter Buchmesse Sigfred Taubert vertreten worden, sondern auch von zahlreichen anderen Persönlichkeiten und Zeitgenossen, berühmten und weniger berühmten, quer über den Globus: 1962 versprach der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy den Ausbau des öffentlichen Bibliothekswesens, um so der Jugend seines Landes den Zugang zum Buch zu ermöglichen, einer Ressource, die er als »unverzichtbaren Nährstoff«2 bezeichnete, der für die geistige Entfaltung umsichtiger und informierter Bürger unabdingbar sei. Luis Soriano betreibt seit Mitte der neunziger Jahre3 einen biblioburro in der vom kolumbianischen Bürgerkrieg heimgesuchten Sierra Nevada de Santa Marta. Jedes Wochenende besattelt er seine beiden Esel Alfa und Beto mit Kisten voller Bücher und bricht in unwegsame Bergregionen auf, um die dort lebende Bevölkerung mit Lesestoff zu versorgen. Soriano träumt von einem gewaltfreien Kolumbien, aber – so argumentiert er – »wenn Schulen keine Bücher haben, dann können Kinder keinen Frieden lernen«4 . Über 13.000 Leseräume und Schulbüchereien in zehn asiatischen und afrikanischen Ländern hat die von dem ehemaligen Microsoft-Manager John Wood ins Leben gerufene Hilfsorganisation Room to Read seit ihrer Gründung im Jahr 2000 mit Kinderbüchern in lokalen Sprachen und englischsprachigen Schulbüchern ausgestattet. Die Arbeit von Room to Read basiert auf der Überzeugung, dass gerade in Entwicklungsländern, in denen es oftmals an qualifiziertem Lehrpersonal fehlt, Bücher ein wichtiger Ersatz sein können, um Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen.5
1 Sigfred Taubert: Book Fairs and Culture. In: Cultures 4 (1977), H. 2, S. 20–35, hier S. 24. 2 Im englischen Original: »nourishment essential«. Das Zitat, das aus einer anlässlich der National Library Week gehaltenen Rede Kennedys stammt, wurde auf dem Titelblatt des ALA Bulletin 57 (1963), H. 1 abgedruckt. 3 Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich Zeitangaben wie diese immer auf das 20. Jahrhundert. 4 Zitiert nach: Stefan Schaaf: Ein Buch kann die Welt verändern. Literatur auf Eseln. Ausgestrahlt in der Sendung Weltspiegel am 22.3.2009 im Bayrischen Rundfunk (ARD). Vgl. auch: Simon Romero: Acclaimed Colombian Institution Has 4,800 Books and 10 Legs. In: The New York Times vom 20.10.2008, S. A5. 5 Auf der Homepage von Room to Read finden sich Informationen zu Zielsetzungen und Selbstverständnis der Organisation sowie Jahresberichte und Pressemitteilungen: Room to Read. Homepage. URL: http://www.roomtoread.org [15.4.2013]. John Wood hat die Erfahrungen im Aufbau von Room
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
In Nairobi wurde Charles Granston Richards 1948 zum Direktor des East African Literature Bureau ernannt. Ziel dieser von der britischen Kolonialverwaltung finanzierten Institution war die Produktion preiswerter und nützlicher Lesematerialien für die einheimische Bevölkerung. Die Bücher und Zeitschriften, die das Literaturbüro verlegte, sollten zur Modernisierung Ostafrikas beitragen und den Afrikanern die Möglichkeit geben, die Geschichten ihres eigenen Volkes zu erzählen: »We needed to produce a lot of literature that would help with the development of the country – books on health and agriculture etc. But also on the imaginative side, books to express the African personality – fiction, history, poetry, recording of the past.«6 Im Umkreis des britischen Historikers Timothy Garton Ash entstand Mitte der achtziger Jahre das Central and East European Publishing Project.7 Durch die Finanzierung einzelner Publikationsprojekte und Zeitschriften sowie die Übersetzung von westeuropäischen Werken in Osteuropa und osteuropäischen Klassikern in Westeuropa sollte die Ideenzirkulation über die Grenzen des Eisernen Vorhangs hinweg angeregt und – nach dem Zusammenbruch des Ostblocks – jener Prozess unterstützt werden, der die zwei künstlich getrennten Hälften Europas wieder zusammenführte, denn, davon waren alle Beteiligten überzeugt: »Publishing is at the heart of civil society.«8 Mitte der siebziger Jahre, als das Fernsehen längst zum Leitmedium der Deutschen geworden war, kam es zu heftigen Diskussionen um den Zustand der Lesekultur. Wissenschaftler und Vertreter des Buchhandels forderten eine Politik für Buch und Lesen.9 Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt betonte in einer Rede 1981 die Notwendigkeit des Buchlesens für das demokratische Leben und wies auf die Konsequenzen hin, die sich aus einem Rückgang der Lesefähigkeiten ergeben: »Ich warne vor der Gefahr eines neuen Analphabetismus, der die geschriebenen
to Read und seine persönliche Motivation geschildert: John Wood: Von Microsoft in den Himalaya. Bücher für eine bessere Welt. Hamburg: Murmann 2008. 6 Charles G. Richards: Interview. In: The African Book Publishing Record 2 (1976), H. 3, S. 161–164, hier S. 161. 7 Vgl. die Dokumentation des Projekts: Freedom for Publishing. Publishing for Freedom. The Central and East European Publishing Project. Hrsg. von Timothy Garton Ash. Budapest, London, New York: Central European University Press 1995; vgl. ferner: Timothy Garton Ash: Die Geschichte des CEEPP. In: Transit. Europäische Revue 13 (1997), S. 186–201. 8 Ralf Dahrendorf: Introduction. In: Freedom for Publishing, S. 9–15, hier S. 11. 9 Vgl. stellvertretend für andere: Ludwig Muth: Die Demokratie braucht Leser. Eine Politik für das Buch – die wichtigste Jubiläumsinitiative. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe Nr. 33 vom 25.4.2975, S. 539–543; Wolfgang R. Langenbucher: Bücher schwer zugänglich. Plädoyer für eine »Buchnutzenlehre«. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe Nr. 53 vom 2.7.1976, S. 991–993; Leseförderung und Buchpolitik. Eine Expertise. Bonn: Deutsche Lesegesellschaft, Wissenschaftliche Kommission Lesen 1977.
Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
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Wörter geringschätzt und der viele Menschen in eine neue, selbstverschuldete Unmündigkeit hineinlullen könnte.«10 2005 veröffentlichte die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) ein Modellgesetz, das Regierungen in aller Welt als Blaupause dienen sollte, um eine nationale Buchpolitik (national book policy) zu implementieren. Im Vorwort schrieb der zu diesem Zeitpunkt amtierende Generaldirektor, der Japaner Koïchiro Matsuura: [T]he printed book today constitutes more than ever an essential tool for the defence of the individual’s independence and the civic conscience. It is also a vital tool for the economic, social and cultural development of societies. It is an irreplaceable means of information transmission, critical reflection and education, and underpins the ceaseless construction of democracy, human rights and fundamental liberties.11
Dem Medium Buch ist – wie die eben vorgestellten Projekte und Äußerungen schlaglichtartig und stellvertretend für andere verdeutlichen mögen – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Stellenwert und ein hohes gesellschaftliches Leistungsvermögen attestiert worden: Das Buch wurde als Instrument zur nationalen Identifikationsbildung und Friedenssicherung sowie als Vermittlerinstanz zwischen Kulturen konzipiert, die zentrale Buchbereitstellungsinstanz Bibliothek als bedeutendes Element der Bildungsinfrastruktur eines Landes verstanden, das Lesen (von Büchern) als Schlüsselkompetenz für die Demokratie und als Zugangsvoraussetzung zu Information und Wissen angesehen, herstellender und verbreitender Buchhandel als Schrittmacher für Entwicklung und Fortschritt gedeutet. Die Annahme, dass eine verbesserte Verfügbarkeit von Büchern Relevanz für individuelle und gesellschaftliche Gestaltungsprozesse habe und das Buch aus diesem Grund zu fördern sei, scheint sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund des weltweiten Ausbaus von Bildungssystemen und einer weiter fortschreitenden Demokratisierung von Kultur verfestigt, zumindest aber ausgebreitet zu haben: Weltweit entstanden Projekte, die zum Ziel hatten, die Herstellung und Verbreitung von Büchern zu fördern, das Bibliotheks- und Büchereiwesen auszubauen und den Zugang zu Büchern zu verbessern. Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, wie Programme zur Buchförderung weltweit begründet und gestaltet worden sind. Unter Buchförderung – einem wissenschaftlich bisher nicht präzisierten und (zumindest im deutschen Sprachraum) auch
10 Helmut Schmidt: Buch und Demokratie. In: Buch und Bibliothek 33 (1981), H. 7/8, S. 621–624, hier S. 622. 11 Koïchiro Matsuura: Foreword. In: Álvaro Garzón: National Book Policy. A Guide for Users in the Field. 2., revidierte Auflage. Paris: UNESCO 2005 (The Professional Training Library), S. 5–7.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
wenig geläufigen Begriff12 – werden alle nicht primär kommerziell motivierten Maßnahmen verstanden, die darauf zielen, die Produktion und Distribution von Büchern zu ermöglichen bzw. zu erhöhen, die also die Verfügbarkeit von Büchern und den Zugang zu diesen zu verbessern helfen. Buchförderung wird als eine intendierte, organisierte Betätigung begriffen, welche sich in Erwartungen und Vorstellungen über gesellschaftliche Funktionen und Leistungen des Buches begründet, die eine Förderung und Verbreitung dieses Mediums wünschenswert erscheinen lassen.13 Projekte, die den Ausbau der Bibliothekslandschaft zum Ziel haben (Bibliotheksförderung, im Englischen meist: library development), sind somit als spezielle Ausprägung von Buchförderung anzusehen. Abgegrenzt von der Buchförderung wird in dieser Arbeit der insbesondere im pädagogischen Kontext übliche Begriff der Leseförderung14 , mit dem alle Maßnahmen bezeichnet werden, die darauf zielen, die Bereitschaft von Kindern und Erwachsenen zu erhöhen, ihre bereits erworbenen Lesefähigkeiten verstärkt einzusetzen, die, mit anderen Worten, das Leseverhalten und die Lesegewohnheiten der Bevölkerung positiv zu beeinflussen suchen.15 Damit sind Buch- und Leseförderung zwar als verwandte, miteinander in (enger) Beziehung stehende Konzepte, aber dennoch als verschiedenartige Strategien anzusehen, um den Gebrauch und die Nutzung von Büchern in der Gesellschaft zu erhöhen und zum Lesen von Büchern zu animieren: Während Buchförderung angebotserweiternd und -verbesserend wirken soll, setzt Leseförderung auf Bedarfsweckung. Träger buchfördernder Maßnahmen sind politische und gesellschaftliche Akteure. Auf nationaler Ebene können dies neben Einzelpersonen vor allem staatliche und kommunale Instanzen, aber auch Vereine und Stiftungen sowie unter Umständen auch nationale Zusammenschlüsse der Buchbranche und des Bibliothekswesens sein. Auf internationaler Ebene engagieren sich zahlreiche Organisationen in unterschiedlichem Ausmaß und mit teils divergenten Zielsetzungen und Motiven für die Ausbreitung des Buches: Zu diesen zählen unter anderem die UNESCO, die Welt-
12 Der Begriff der Buchpolitik, der auch außerhalb des deutschen Sprachraums (zum Beispiel im Französischen als politique du livre oder im Spanischen als política del libro) Verwendung findet und Anlehnung an den etablierten, wenn auch keineswegs unumstrittenen Begriff der Kulturpolitik eingeführt werden könnte, wird in der vorliegenden Arbeit bewusst nicht herangezogen. Der Begriff Politik zielt zu sehr auf ausschließlich staatliches Engagement; Buchförderung ist hingegen weiter gefasst und berücksichtigt auch Maßnahmen zivilgesellschaftlicher Akteure. 13 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 1.2 dieser Arbeit. 14 Eine ähnliche Differenzierung nimmt auch Yves Surel vor, der zwischen Buchpolitik (politique du livre) und Lesepolitik (politique de la lecture) unterscheidet. Vgl. Yves Surel: L’état et le livre. Les politiques publiques du livre en France (1957–1993). Paris: L’Harmattan 1997 (Collection logiques politiques), S. 28. 15 Vgl. R. Zitzlsperger: Leseförderung. In: Lexikon des gesamten Buchwesens. Band IV. Hrsg. von Severin Corsten, Stephan Füssel, Günther Pflug und Friedrich Adolf Schmidt-Künsemüller. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart: Anton Hiersemann 1995, S. 479–480.
Buchförderung als Forschungsgegenstand der Buchwissenschaft
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bank, Entwicklungshilfeorganisationen, kirchliche Einrichtungen, der Internationale Verband der bibliothekarischen Vereine (International Federation of Library Associations and Institutions, IFLA), regionale Zusammenschlüsse wie beispielsweise die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) oder das Commonwealth sowie mit Einschränkungen auch die Internationale Verleger-Union (IVU).16 Diese Arbeit fokussiert auf das Engagement der UNESCO zugunsten des Buches, um Handlungsmotive, Gestaltungsmöglichkeiten und Strategien buchfördernder Maßnahmen weltweit zu analysieren. Anhand der Aktivitäten der UNESCO sollen Zielsetzungen und Praxis einer global ausgerichteten Buchförderung und deren Wandel herausgearbeitet werden. Die Konzentration auf die UNESCO begründet sich zum einen darin, dass diese qua ihres Status als internationale Organisation für Kultur und Bildung eine besondere Legitimität im Bereich der Buchförderung besitzt. Zum anderen erlaubt die Betrachtung des Engagements der UNESCO, Praktiken und Begründungen der Buchförderung in einem globalen Zusammenhang und über einen längeren Zeitraum in den Blick zu nehmen. Während viele Institutionen und Projekte zumeist eine kürzere Lebensdauer haben und/oder in einem regional begrenzten Umfeld operieren, zeichnet sich die UNESCO durch Kontinuität und einen weltweiten Aktionsradius aus. Eine Betrachtung der Aktivitäten der UNESCO ermöglicht es somit im besonderen Maße, Handlungsmotive und Gestaltungsoptionen der Buchförderung sowie deren Wandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem globalen Kontext systematisch nachzuzeichnen und zu analysieren. Damit stehen in dieser Arbeit auf der einen Seite Fragen der Handlungsmöglichkeiten und gestaltenden Kraft von internationalen Organisationen im Zentrum der Untersuchung, in diesem Fall der UNESCO im Bereich der Buchförderung. Auf der anderen Seite fragt die vorliegende Arbeit nach dem Stellenwert des Buches in der Gesellschaft sowie den Gestaltungsoptionen buchfördernder Maßnahmen. Die Trias aus UNESCO als globaler Akteurin, dem Verständnis vom Buch und seinen (überindividuellen) Funktionen und Leistungen sowie der konkreten buchfördernden Praxis bildet die analytischen Referenzpunkte dieser Arbeit.
1.1 Buchförderung als Forschungsgegenstand der Buchwissenschaft Mit der UNESCO wird in dieser Arbeit eine Institution in den Blick genommen, die nicht, zumindest nicht im größeren Umfang, an der Produktion und Distribution von
16 Bei nationalen wie internationalen Branchenverbänden ist im Einzelfall zu prüfen, ob sie Maßnahmen, die auf eine Verbesserung der Produktion und Verbreitung von Büchern zielen, wie z. B. den Ausbau von Buchmärkten in Entwicklungsländern, nicht primär aus kommerziellen Motiven (z. B. zur Erschließung neuer Absatzmärkte) unterstützen bzw. initiieren.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
Büchern beteiligt ist17 , sondern gemäß ihres Auftrags im Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbereich primär als global agierende Förderin des Buches auftritt. Die buchfördernden Maßnahmen einer internationalen Organisation zu analysieren, bedeutet eine Entfernung von gängigen, wohlbekannten Untersuchungsgegenständen und -perspektiven buchwissenschaftlicher Forschung, denn zum einen ist der Förderung von Büchern im oben definierten Sinne – im Unterschied beispielsweise zu Mechanismen, Organisationsstrukturen und Akteuren der Buchproduktion, -distribution und -rezeption – bisher nur wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurden; zum anderen sind buchhistorische Untersuchungen – von der Inkunabel- und Frühdruckforschung und von Studien zum Buchmarkt der Aufklärung abgesehen – zumeist in nationale oder sprachraumbezogene Analyserahmen eingebettet, während die Beschäftigung mit der UNESCO, einer Akteurin, die in »transnationalen Räumen denk[t] und operier[t]«18 , eine globale Sichtweise erforderlich macht. Die Privilegierung der nationalen Perspektive in der Buchgeschichte kann analog zur Dominanz der Nationalgeschichte in der allgemeinen historischen Forschung gesehen werden.19 Erst in den letzten Jahren ist in der Geschichtswissenschaft der Ruf nach einer Erweiterung des geographischen Referenzrahmens laut geworden.20 Mit Studien, die die weltweite Vernetzung und Verdichtung von Austausch- und Transfer-
17 Ebenso wie andere internationale Organisationen veröffentlicht die UNESCO zur Erfüllung ihrer Zielsetzungen Periodika und Studien und vertreibt diese Publikationen auch über den Buchhandel. Da die verlegerischen Aktivitäten aber nicht als zentrales Tätigkeitsfeld der UNESCO anzusehen sind, sondern vielmehr der Erreichung anderer, übergeordneter Ziele dienen, ist die UNESCO nicht als Verlagshaus im engeren, traditionellen Sinne zu begreifen. Aus diesen Gründen werden im Rahmen dieser Arbeit die verlegerischen Tätigkeiten nicht umfassend analysiert, sondern vielmehr nur dann in den Blick genommen, wenn sie Teil buchfördernder Projekte sind. Vgl. zu den Verlagstätigkeiten der UNESCO: Edward Wegman: Publishers to the World. In 32 Years, 7,000 Titels in 70 Languages. In: UNESCO Courier XXXI (1978), H. 10, S. 31; Emile Delavenay: For Books. UNESCO and Its Programme. Paris: UNESCO 1974, S. 61–66. 18 Matthias Schulz: Netzwerke und Normen in der internationalen Geschichte. In: Historische Mitteilungen 17 (2004), S. 1–14, hier S. 2. 19 Diese Einschätzung teilt: Jeffrey Freedman: Books without Borders in Enlightenment Europe. French Cosmopolitanism and Germany Literary Markets. Phildadelphia: University of Pennsylvania Press 2012 (Material Texts), S. 1. 20 Vgl. für Debatten deutscher Provenienz vor allem die Beiträge in Geschichte und Gesellschaft: Jürgen Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte. Erweiterung oder Alternative? In: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), H. 3, S. 464–479; Albert Wirz: Für eine transnationale Gesellschaftsgeschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), H. 3, S. 489–498; Sebastian Conrad: Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), H. 1, S. 145–169; Kiran Klaus Patel: Nach der Nationalfixiertheit. Perspektiven einer transnationalen Geschichte. Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin 2004 (Öffentliche Vorlesungen. 128). Über zehn Jahre zuvor hatte der Althistoriker Christian Meier bereits eine Ausweitung der historischen Perspektive auf das »Ganze der Geschichten« und somit eine Abkehr von der Dominanz der Natio-
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prozessen in den Blick nehmen, reagiert die Geschichtswissenschaft auf die verstärkte Sicht- und Greifbarkeit von »unentwegte[n] Grenzüberschreitung[en] zwischen weiterhin national verfaßten Gesellschaften und Kulturen«21 sowie veränderter Problemdefinitionen im Zeichen von Prozessen, die gemeinhin als Globalisierung bezeichnet werden. Eine einheitliche Terminologie für diejenigen historischen Forschungen, die eine Überwindung der nationalen Perspektive anstreben bzw. nicht national verfasste historische Phänomene und weltweite Prozesse untersuchen, existiert nicht: Sie formieren mit teils unterschiedlichen methodischen Ansätzen, Zielsetzungen und historiographischen Traditionen als global history, Globalgeschichte, Geschichte der Globalisierung, internationale oder transnationale Geschichte.22 Die Bezeichnung der transnationalen Geschichte hebt dabei auf die Transzendenz der nationalen Grenzen sowie des Übergreifenden von Nationen ab. Diese Forschungsperspektive, die sich als »Interaktionsgeschichte«23 charakterisieren lässt, nimmt die »vielfältigen Verbindungen und Überschneidungen zwischen Staaten und Gesellschaften [. . .] [sowie] Formen des interkulturellen Transfers von Ideen, Institutionen und Lebensstilen«24 in den Blick. Transnational konzipierte historische Arbeiten untersuchen mithin unterschiedliche Grade von Interaktionen, strukturellen Verbindungen und Verflechtungen anhand verschiedener Forschungsgegenständen wie beispielsweise Migrationsbewegungen oder Austausch- und Handelsbeziehungen zwischen Kolonien und ihren Mutterländern. Gerade auch die historische Betrachtung von internationalen Organisationen ist zumeist einer transnationalen Perspektive verpflichtet, spiegeln sich in ihnen die globalen Vernetzungsprozesse und Interdependenzbezie-
nalgeschichte und der damit einhergehenden historischen Spezialisierung gefordert. Vgl. Christian Meier: Die Welt der Geschichte und die Provinz des Historikers. In: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989), H. 2, S. 147–163. 21 Osterhammel: Transnationale Gesellschaftsgeschichte, S. 473, Hervorhebungen im Original. 22 Vgl. einführend: Sebastian Conrad/Andreas Eckert: Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen. Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt. In: Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen. Hrsg. von Sebastian Conrad, Andreas Eckert und Ulrike Freitag. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2007 (Reihe Globalgeschichte. 1), S. 7–49. Zur Historiographiegeschichte vgl.: Matthias Middell: Universalgeschichte, Weltgeschichte, Globalgeschichte, Geschichte der Globalisierung – ein Streit um Worte. In: Globalisierung und Globalgeschichte. Hrsg. von Margarete Grandner, Dietmar Rothermund und Wolfgang Schwentker. Wien: Mandelbaum-Verlag 2005 (Globalgeschichte und Entwicklungspolitik. 1), S. 60–82. 23 Middell: Universalgeschichte, S. 74. Obgleich es auch innerhalb der transnationalen Bedeutungsdifferenzen im Hinblick auf Inhalte und Ansätze gibt, ist die Minimaldefinition als Interaktionsgeschichte allgemein anerkannt. 24 Wolfgang Schwentker: Globalisierung und Geschichtswissenschaft. Themen, Methoden und Kritik der Globalgeschichte. In: Globalisierung und Globalgeschichte. Hrsg. von Margarete Grandner, Dietmar Rothermund und Wolfgang Schwentker. Wien: Mandelbaum-Verlag 2005 (Globalgeschichte und Entwicklungspolitik. 1), S. 36–59, hier S. 48.
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hungen in besonderer Weise wider.25 Die transnationale Perspektive erlaubt es, die sich in den internationalen Organisationen manifestierenden, global wirksamen gesellschaftlichen Kräfte und deren Einflüsse auf den nationalstaatlichen Rahmen zu erfassen, und liegt daher auch der Analyse der weltweiten Buchförderungsprogramme der UNESCO zugrunde.26 Die Entfernung vom ›klassischen Kern‹ buchwissenschaftlicher Forschung im Hinblick auf Untersuchungsgegenstand und – in der Folge – geographischen Referenzbereich mag trotz der Tatsache, dass die von der UNESCO veröffentlichten Statistiken zur internationalen Buchproduktion und Bibliothekslandschaft27 als bibliometrische Daten für zeithistorische oder gegenwartsbezogene buchwissenschaftliche Studien durchaus herangezogen werden28 , Ursache dafür sein, dass eine umfassende Darstellung und Analyse des Engagements der UNESCO zugunsten des Mediums Buch noch aussteht29 : Es liegen lediglich einige wenige wissenschaftliche Arbeiten vor, die einzelne Aspekte der buchfördernden Maßnahmen der Pariser Organisation in den Blick nehmen.
25 Vgl. Patel: Nach der Nationalfixiertheit, S. 13. Ähnlich auch: Wolfram Kaiser: Transnationale Geschichte im Zeichen der Globalisierung. In: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Hrsg. von Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller. Köln: Böhlau 2004, S. 65–92, hier insbesondere S. 87; Jürgen Osterhammel: Internationale Geschichte, Globalisierung und die Pluralität der Kulturen. In: Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten. Hrsg. von Wilfried Loth und Jürgen Osterhammel. München: Oldenbourg 2000 (Studien zur internationalen Geschichte. 10), S. 387–408, hier S. 393. 26 Auch wenn in dieser Arbeit für eine Erweiterung des buchwissenschaftlichen Aufmerksamkeitsfeldes und eine Loslösung von nationalen Fragestellungen plädiert wird, bleibt für viele Fragen der Buchwissenschaft der nationale Rahmen maßgeblich. Vgl. zu den Möglichkeiten einer transnational ausgerichteten Buchwissenschaft: David McKitterick: Perspectives for an International History of the Book. In: Literary Cultures and the Material Book. Hrsg. von Simon Eliot, Andrew Nash und Ian Willison. London: British Library 2007, S. 413–424. 27 Die Statistiken zur Buchproduktion sowie zur Entwicklung des Bibliothekswesens sind in Basic Facts and Figures und im UNESCO Statistical Yearbook veröffentlicht. Vgl. Basic Facts and Figures. International Statistics Relating to Education, Culture and Mass Communication. Paris: UNESCO 1952–1962; UNESCO Statistical Yearbook. Paris: UNESCO 1964–1999. 28 So z. B. jüngst, wenn auch mit kritischen Anmerkungen bezüglich der Validität der Daten: Olaf Blaschke: Verleger machen Geschichte. Buchhandel und Historiker seit 1945 im deutsch-britischen Vergleich. Göttingen: Wallstein Verlag 2010 (Moderne Zeiten. Neue Forschungen zur Gesellschaftsund Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. XXII), S. 73–74. 29 An diesem Befund ändert auch der jüngst von Chloé Maurel publizierte Artikel zur Buchpolitik der UNESCO zwischen 1945 und 1980 nichts, geht doch die Darstellung über einen kursorischen, jegliche Analyseschärfe vermissenden Überblick nicht hinaus. Vgl. Chloé Maurel: La politique internationale du livre de l’UNESCO, 1945–1980. In: La diplomatie par le livre. Réseaux et circulation internationale de l’imprimé de 1880 à nos jours. Hrsg. von Claude Hauser, Thomas Loué, Jean-Yves Mollier und François Vallotton. Paris: Nouveau Monde 2011, S. 197–217. Céline Giton hat sich 2012 mit einer Arbeit zu La politique du livre de l’UNESCO (1945–1974) in Paris promoviert. Die Veröffentlichung steht noch aus.
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Besonderes Augenmerk legte die Forschung bisher vor allem auf die Bibliotheksförderungsprogramme der UNESCO: Zwei in den siebziger und achtziger Jahren im angelsächsischen Raum entstandene Dissertationen untersuchen den Beitrag der Organisation zur Ausbildung von Bibliothekaren30 und zum Aufbau von Bibliotheksinfrastrukturen31 insbesondere in den Ländern der sogenannten ›Dritten Welt‹32 . Beide Abhandlungen arbeiten vorwiegend deskriptiv und dokumentieren unter Rückgriff auf gedruckte Quellen die einzelnen Projekte detailgetreu, ohne sie in größerem Umfang in den Kontext der institutionellen und intellektuellen Geschichte der UNOrganisation zu setzen oder vor dem Hintergrund der weltweiten Entwicklung des Bibliothekswesens zu spiegeln. Sie bilden jedoch, auch weil sie die historischen Entwicklungen der Bibliotheksförderung vor 1945 berücksichtigen, eine wertvolle Grundlage für die im Rahmen dieser Arbeit vorzunehmende Analyse der entsprechenden UNESCO-Programme in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren.
30 Vgl. Michael Keresztesi: The Contribution of UNESCO to Library Education and Training. The First Twenty-Five Years (1946–1971). Dissertation. University of Michigan 1977; ders.: Diffusion of Modern Library Thought and Practice by Means of UNESCO Fellowships for Travel and Study Abroad. In: Libri 29 (1979), H. 3, S. 193–206. 31 Vgl. J. Stephen Parker: UNESCO and Library Development Planning. London: Library Association Publishing 1985. 32 Ein ›Entwicklungsland‹ oder ein Land der ›Dritten Welt‹ ist nach allgemeinem Verständnis und alltäglichem Sprachgebrauch ein Land, das hinsichtlich seiner wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung einen relativ niedrigen Stand aufweist, also als ›arm‹ und ›rückständig‹ gilt. Die Begriffe ›Entwicklungsland‹ und ›Dritte Welt‹ sind für die wissenschaftliche Nutzung aus mehreren Gründen problematisch: Zum einen vermitteln sie den Anschein von weitgehend homogenen Strukturen und berücksichtigen die erheblichen historischen, politischen, sozialen und kulturellen Unterschiede nicht, die zwischen ›Entwicklungsländern‹ bestehen. Die Begriffe weisen somit eine große Unschärfe auf. Zum anderen sind diese als »asymmetrische Gegenbegriffe« (Koselleck) normativ und ideologisch stark aufgeladen. Dieses gilt insbesondere auch für die mit diesen Begriffen eng verknüpften Konzepte von Entwicklung und Fortschritt, auf denen die Dichotomien entwickelt/unterentwickelt und Erste Welt/Dritte Welt basieren. Im Kontext der globalen Neuordnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden Entwicklung und Fortschritt zunehmend als unumkehrbare, notwendige Verbesserung der Lebensverhältnisse und gesellschaftliche Modernisierung in den armen, vormals meist kolonialisierten Regionen der Welt verstanden und zumeist mit wirtschaftlichem Wachstum gleichgesetzt. Entwicklung und Fortschritt haben somit als ambivalente Schlüsselbegriffe der Moderne ihre je ganz eigene »Ideologie- und Mythengeschichte« (Osterhammel, S. 279). Da Begriffe wie ›Entwicklungsland‹, ›Dritte Welt‹ und ›unterentwickelt‹ im Sprachgebrauch der UNESCO zu finden sind und es darüber hinaus keine adäquateren Begriffe gibt, die ausdrücken, was mit diesen assoziiert wird, werden sie trotz der skizzierten Problematik im Rahmen dieser Arbeit verwendet. Zwecks besserer Lesbarkeit wird im Folgenden auf Anführungszeichen verzichtet, dieses gilt auch für Begrifflichkeiten wie Entwicklung, Fortschritt und Rückständigkeit. Vgl. Reinhart Koselleck: Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe. In: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1979, S. 211– 259; Jürgen Osterhammel: Transkulturell vergleichende Geschichtswissenschaft. In: Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Hrsg. von Heinz-Gerhard Haupt und Jürgen Kocka. Frankfurt/Main: Campus Verlag 1996, S. 271–313.
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Neben Maßnahmen des library development sind die UNESCO-Buchmarktstatistiken in den Blick genommen worden: Gretchen Whitney beschäftigt sich im Zusammenhang mit der Auswertung weltweiter Buchmarktdaten mit Fragen nach Zustandekommen und Aussagekraft des bibliometrischen Materials.33 Ferner haben sich Bildungs- und Wissenschaftshistoriker der Schulbuchrevisionspolitik34 angenommen und auch das von der Pariser Organisation initiierte und finanzierte Publikationsprojekt History of Mankind35 untersucht. Auch den Initiativen der UNESCO zur Bewahrung der Schrift- und Buchkulturen ist Aufmerksamkeit zuteilgeworden.36 In einem noch viel geringeren Maße als auf internationaler Ebene hat sich die deutschsprachige Forschung des Themas angenommen: In ihrer akademischen Abschlussarbeit untersucht Beate Hildebrand den Nutzen des von der UNESCO ausgerufenen Weltbuchtages für den deutschen Buchhandel37 ; Barbara Schnapps in den siebziger Jahren entstandene Untersuchung über die Tätigkeiten der UNESCO im Be-
33 Vgl. Gretchen Whitney: The UNESCO Book Production Statistics. In: Book Research Quarterly 5 (1989), H. 4, S. 12–29; dies.: The Subject of the World’s Books. A Further Examination of UNESCO’s Book Production Statistics. In: Book Research Quarterly 6 (1990/1991), H. 3, S. 44–75; dies.: International Book Production Statistics. In: International Book Publishing. An Encyclopedia. Hrsg. von Philip G. Altbach und Edith S. Hoshino. New York, London: Garland Publishing 1995 (Garland Reference Library of the Humanities. 1562), S. 163–186. 34 Vgl. Pertti Luntinen: School History Textbook Revision by and under the Auspices of UNESCO. Part I. In: Internationale Schulbuchforschung 10 (1988), H. 4, S. 337–348; ders.: School History Textbook Revision by and under the Auspices of UNESCO. Part II. In: Internationale Schulbuchforschung 11 (1989), H. 1, S. 39–48. 35 Zum Weltgeschichteprojekt unter der Ägide der UNESCO, insbesondere als Analyse des history in the making, vgl. neuerdings: Poul Duedahl: Selling Mankind: UNESCO and the Invention of Global History, 1945–1976. In: Journal of World History 22 (2011), H. 1, S. 101–133; Katja Naumann: Mitreden über Weltgeschichte – die Beteiligung polnischer, tschechoslowakischer und ungarischer Historiker an der UNESCO-Scientific and Cultural History of Mankind (1952–1969). In: Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung 20 (2010), H. 1/2, S. 186–226. Siehe auch die schon ältere Studie von: Pertti Luntinen: A Great Story Left Untold. The UNESCO History of Mankind. Problems of History by Committee. In: Studia Historica 12 (1983), S. 127–177. 36 Vgl. Harm-Peer Zimmermann: Memory, Markt und Medien. Analyse des UNESCO-Programms »Memory of the World« im Hinblick auf Fragen der Kommerzialisierung und Popularisierung. In: Zwischen Identität und Image. Die Popularität der Brüder Grimm in Hessen. Hrsg. von Harm-Peer Zimmermann. Marburg: Jonas Verlag 2009 (Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung. 44/45), S. 542–571; Douglas Ross Harvey: UNESCO’s Memory of the World Programme. In: Library Trends 56 (2007), H. 1, S. 259–274; Joachim-Felix Leonhard: Das Weltdokumentenerbe. Das UNESCO-Programm »Memory of the World«. In: Gutenberg-Jahrbuch 75 (2000), S. 367–375. Vgl. auch die Publikation der deutschen UNESCO-Kommission: Gedächtnis der Zukunft. Das UNESCO-Programm »Memory of the World« zum Weltdokumentenerbe. Bonn: Deutsche UNESCO-Kommission e. V. 2010. 37 Vgl. Beate Hildebrand: Der UNESCO-Welttag des Buches. Landesweites Lesefest oder Schlüssel zum Branchenmarketing? Hausarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades einer Magistra Artium. Mainz: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Buchwissenschaft 2006.
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reich des Buch- und Bibliothekswesens geht über eine rein deskriptive Darstellung nicht hinaus.38 Buchförderung im oben definierten Sinne hat in der buchwissenschaftlichen Forschung nicht nur im Hinblick auf das Engagement der UNESCO, sondern auch ganz allgemein keine größere Aufmerksamkeit erlangt. Die Feststellung Heinz Bonfadellis, dass es im deutschen Sprachraum »kaum makrotheoretische Untersuchungen zur Position des Buchs im Gesellschafts- und Mediensystem, zu den Beziehungen zwischen dem Medium ›Buch‹ und den übrigen Medien [. . .] oder zu den Möglichkeiten und Strategien der Buch- bzw. Kulturförderung«39 gebe, hat auch für historisch ausgerichtete Forschungen und für andere Sprachräume Gültigkeit: Systematische und umfassende Studien zur Herausbildung einer durch staatliche Instanzen oder zivilgesellschaftliche Akteure getragenen Förderung des Buches liegen weder für Deutschland noch international vor; theoretische Konzeptualisierungen zur Buchförderung fehlen in ebensolcher Weise. Wirft man mit dem Ziel, Genese und Entwicklung der Buchförderung zu erhellen, einen Seitenblick auf bisher im deutschen Sprachraum unternommene, historische Forschungen zur Kulturförderung und Kulturpolitik40 , so lassen sich Kontexte und Konstitutionsbedingungen bestimmen, in denen – in Deutschland – kulturfördernde Maßnahmen entstehen und sich entwickeln konnten.41 Dabei ist insbesondere darauf hingewiesen worden, dass politische Verfasstheiten und die damit verbundenen gesellschaftlichen Ziele Maß und Natur der Kulturpolitik bedingten: Während bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Kulturförderung in der Regel mäzenatischer Natur bzw. in höfische und kirchliche Kontexte eingebunden war, in deren Rahmen auch Rats-, Hofund Klosterbibliotheken entstanden42 , kam es im Verlauf des 19. Jahrhunderts infol-
38 Vgl. Barbara Schnapp: Die Tätigkeit der UNESCO im Bereich des Buch- und Bibliothekswesens. Hausarbeit zur Prüfung für den höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken. Köln: Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen 1972. 39 Heinz Bonfadelli: Leser und Leseverhalten heute. Sozialwissenschaftliche Buchlese(r)forschung. In: Handbuch Lesen. Hrsg. von Bodo Franzmann, Klaus Haseman, Dietrich Löffler und Erich Schön. Genehmigte Lizenzausgabe. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 2001, S. 86–144, hier S. 102, Hervorhebungen im Original. 40 In Deutschland ist die Erforschung der Kulturförderung vor allem in den Händen von Kulturpolitikern und Kulturwissenschaftlern und orientiert sich daher eher an tagesaktuellen als an historischen Fragestellungen. Vgl. einführend: Max Fuchs: Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe. Eine Einführung in Theorie, Geschichte, Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998. Das Schwergewicht historischer Forschung lag bisher vor allem auf der Auswärtigen Kulturpolitik. 41 Vgl. stellvertretend für andere: Thomas Höpel: Von der Kunst- zur Kulturpolitik. Städtische Kulturpolitik in Deutschland und Frankreich 1918–1939. Stuttgart: Steiner 2007 (Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung. 7); Bernd Wagner: Fürstenhof und Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation moderner Kulturpolitik. Essen: Klartext 2009 (Texte zur Kulturpolitik. 24). 42 Vgl. ausführlich: Wagner: Fürstenhof und Bürgergesellschaft, S. 87–196.
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ge des Entstehungsprozesses des modernen Gemeinwesens zur »Verbürgerlichung«43 und Nationalisierung von Kultur. Kulturförderung wurde als Aufgabe der öffentlichen Hand im Zuge der Demokratisierung der Gesellschaft neu gestaltet; Kultur bekam eine gesellschaftspolitische Dimension zugesprochen.44 Dabei geht man davon aus, dass der Staat Kultur nicht als l’art pour l’art förderte, sondern weil er dieser Funktionen zur Erreichung bestimmter Ziele zusprach: Der Staat muss mit Kultur eine Reihe von Funktionen verbinden, deren er sich durch eine Tätigkeit bedienen möchte [. . .] Nicht jedes Handeln, auch nicht jedes staatliche verfolgt notwendiger Weise einen unmittelbaren Zweck, ist ausschließlich an möglichem Nutzen orientiert. Die systematische Zuwendung zu einem gesellschaftlichen Teilbereich aber wird [. . .] regelmäßig von einem zu erwartenden Nutzen für den Staat motiviert sein.45
Die Herausbildung einer »ziel- und planungsorientierten, öffentlichen Kulturpolitik«46 wird in der Forschung zumeist als eine Entwicklung angesehen, die zwar bereits während des 19. Jahrhunderts einsetzte, sich aber erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges voll entfalten konnte.47 Ebenfalls im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die Kultur zunehmend als Instrument der Außenpolitik, zur (patriotischen) Repräsentation und nationalen Selbstdarstellung im Ausland eingesetzt (auswärtige Kulturpolitik)48 und ihre Bedeutung für das friedvolle Zusammenleben der Völker herausgestellt: Die internationale kulturelle Zusammenarbeit setzte um die Jahrhundertwende ein und erlebte in den Zwischenkriegsjahren einen ersten Aufschwung,
43 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte, 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat. München: C. H. Beck 1983, S. 533. 44 Vgl. Höpel: Von der Kunst- zur Kulturpolitik, S. 13; Wagner: Fürstenhof und Bürgergesellschaft, S. 257–260 und S. 375–449. Siehe zur Kulturpolitik im 19. Jahrhundert auch: Ulrich Scheuner: Die Kunst als Staatsaufgabe im 19. Jahrhundert. In: Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich. Hrsg. von Ekkehard Mai und Stephan Waetzoldt. Berlin: Gebrüder Mann Verlag 1981 (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich. 1), S. 13–46. 45 Niklas Conrad: Öffentliche Kulturförderung und Welthandelsrecht. WTO, UNESCO und das Recht des Staates zur Förderung der Künste. Köln: Carl Heymanns Verlag 2008 (Göttinger Studien zum Völker- und Europarecht. 10), S. 54. 46 Béla Rásky: Kulturpolitik(en) in Europa – die nationalstaatlichen Rahmenbedingungen. In: Kulturpolitik in Europa – Europäische Kulturpolitik. Von nationalstaatlichen und transnationalen Konzeptionen. Hrsg. von Andrea Ellmeier und Béla Rásky. Wien: Österreichische Kulturdokumentation 1997 (Internationales Archiv für Kulturanalysen. 5), S. 3–106, hier S. 39. 47 Vgl. zur staatlichen Kulturpolitik in Nordamerika, Westeuropa und Japan: The Patron State. Government and the Arts in Europe, North America, and Japan. Hrsg. von Milton C. Cummings und Richard S. Katz. New York, Oxford: Oxford University Press 1987. 48 Vgl. einführend: Kurt Düwell: Zwischen Propaganda und Friedenspolitik. Geschichte der Auswärtigen Kulturpolitik im 20. Jahrhundert. In: Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis. Hrsg. von Kurt-Jürgen Maaß. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2005, S. 53–83.
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der sich unter anderem in der Gründung der Organisation für geistige Zusammenarbeit (OgZ), der Vorgängerorganisation der UNESCO, widerspiegelte.49 Die Erkenntnisse über Genese und Wandel der Kulturförderung als auch über die »Bildungsrevolution«50 , die in Europa und Nordamerika des 19. Jahrhunderts zu einer Verschulung der Gesellschaft, zur Massenalphabetisierung und zur Entstehung von Arbeiter- und Volksbildungsbewegungen führte51 , lassen die These zu, dass eine Buchförderung, die sich aus gesellschaftspolitischen Dimensionen heraus begründet und legitimiert, ein relativ junges Phänomen ist, das im 19. Jahrhundert eine erste nachhaltige Ausprägung in der Entstehung des öffentlichen Bibliothekswesens unter anderem in den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich und Deutschland fand52 , sich aber erst im 20. Jahrhundert weltweit verstärkt durchsetzen konnte. Die wenigen buchwissenschaftlichen Arbeiten, die Buchförderungsmaßnahmen im 20. Jahrhundert in den Blick nehmen, konzentrieren sich zumeist auf das Engagement der öffentlichen Hand im nationalen Kontext. Staatliche Unterstützungsleistungen für den Buchhandel können u. a. die Finanzierung von Bibliotheken, die Förderung von Autoren durch Stipendien und Preise, die Durchsetzung buchfreundlicher Rahmenbedingungen im Rahmen der Ordnungspolitik – zu denken ist hier etwa an
49 Vgl. zur Genese und Ausformung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich Kultur einführend: Akira Iriye: Cultural Internationalism and World Order. Baltimore, London: Johns Hopkins University Press 1997. 50 Nipperdey: Deutsche Geschichte, S. 451. 51 Vgl. einführend: Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München: C. H. Beck 2009, S. 1118–1132; Nipperday: Deutsche Geschichte, S. 451–484. 52 Eine Vielzahl von Studien zeichnet die Entstehung des allgemein zugänglichen, öffentlichen Bibliothekswesens in Europa und Nordamerika nach. Vgl. für das in den USA und Großbritannien um 1850 einsetzende public library movement: Thomas Kelly: A History of Public Libraries in Great Britain. 1845–1975. London: The Library Association 1977; Alistair Black: New History of the English Public Library. Social and Intellectual Contexts, 1850–1914. London, New York: Leicester University Press 1996. Die schon in den vierziger Jahren entstandene Dissertation über die Ausbreitung der public library an der Ostküste der USA ist nach wie vor relevant: Sidney Herbert Ditzion: Arsenals of a Democratic Culture. A Social History of the American Public Library Movement in New England and the Middle States from 1850 to 1900. Chicago: American Library Association 1947. Die Bedeutung der Carnegie-Stiftung für die Entwicklung des US-amerikanischen Bibliothekssystems untersucht: Ellen Condliffe Lagemann: The Politics of Knowledge. The Carnegie Corporation, Philanthropy, and Public Policy. Middletown: Wesleyan University Press 1989. Vgl. für Frankreich: Graham Keith Barnett: Histoire des bibliothèques publiques en France de la Révolution à 1939. Paris: Promodis, Éditions du Cercle de la Librairie 1987 (Histoire du livre). Vgl. für die Entwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens in Deutschland einführend: Wagner: Fürstenhof und Bürgergesellschaft, S. 431–446; Wolfgang Thauer/Peter Vodosek: Geschichte der öffentlichen Bücherei in Deutschland. 2. erweiterte Auflage. Wiesbaden: Harrassowitz 1990; vgl. ferner den Sammelband: Staatliche Initiative und Bibliotheksentwicklung seit der Aufklärung. Hrsg. von Paul Kaegbein und Peter Vodosek. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens. 12).
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die gesetzliche Regelung des Urheberrechts – oder Steuererleichterungen umfassen, beispielsweise in Form eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes oder einer generellen Befreiung von der Mehrwertsteuer.53 Studien deutscher Provenienz diskutieren – häufig aus aktuellem Anlass – die kartellrechtliche Sonderstellung des Buches durch die Buchpreisbindung.54 Die aus außenpolitischen Zielen heraus motivierte Förderung der Produktion und Verbreitung von Büchern wurde wissenschaftlich vor allem im Hinblick auf das Engagement der USA untersucht.55 John Hench analysiert in seiner inspirierenden Studie Books as Weapons die Einbindung des Buches in die US-amerikanische Außenpolitik während des Zweiten Weltkrieges.56 Er zeichnet die politische Instrumentalisierung des Buches nach, welche im Kalten Krieg weiter ausgebaut wurde: Durch Bücher sollten amerikanische Werte und Denkstrukturen verbreitet werden, um auf diesem Wege einen Beitrag zur Eindämmung kommunistischer Ideen zu leisten. Diese Funktionalisierung des Buches als Vermittlungsinstanz von Weltansichten und Lebensstilen in der Dritten Welt untersucht Rosemary Mokia anhand der Zusammenarbeit der Verlagsbranche mit den zuständigen außenpolitischen Instanzen der Vereinigten Staaten.57 Louise Robbins und Amanda Laugesen analysieren mit dem Franklin Book Programs eine Initiative des US-amerikanischen Verlagswesens, die in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren zunächst Übersetzungen amerikanischer Bücher in Entwicklungsländern subventionierte und sich später vor allem durch Kurse und Se-
53 Vgl. Ernst Fischer: Buchpolitik in europäischer Perspektive. In: Parallelwelten des Buches. Beiträge zu Buchpolitik, Verlagsgeschichte, Bibliophilie und Buchkunst. Festschrift für Wulf D. v. Lucius. Hrsg. von Monika Estermann, Ernst Fischer und Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2008, S. 99–144; Giuseppe Vitiello: Diversité des politiques du livre et de la lecture en Europe. In: Lire, faire lire. Des usages de l’écrit aux politiques de lecture. Hrsg. von Bernadette Seibel. Paris: Le Monde Éditions 1995, S. 363–371. Für Frankreich sind staatlich getragene buch- und lesepolitische Maßnahmen gut untersucht: Vgl. Surel: L’état et le livre; Bernadette Seibel: Une politique culturelle: la politique de la lecture au XXe siècle. In: Histoires de lecture XIXe–XXe siècles. Hrsg. von Jean-Yves Mollier. Bernay: Société d’Histoire de la lecture 2005 (Matériaux pour une histoire de la lecture et de ses institutions. 17), S. 43–54. Vgl. für Spanien: Ana Martínez Rus: La política del libro durante la II República. Socialización de la lectura. Memoria para obtener el grado de doctor. Madrid: Universidad Complutense de Madrid, Facultad de Geografía e Historía, Departamento de Historia Contemporánea 2001. 54 Aus der Fülle nicht nur buchwissenschaftlicher, sondern vor allem auch wirtschaftswissenschaftlicher und juristischer Studien zur Buchpreisbindung sei hier verwiesen auf: Ulrich Everling/Bert Rürup/Stephan Füssel: Die Buchpreisbindung aus europarechtlicher, ökonomischer und kulturhistorischer Sicht. Frankfurt/Main: Verlag der Buchhändler-Vereinigung 1997. 55 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 9 dieser Arbeit. 56 Vgl. John B. Hench: Books as Weapons. Propaganda, Publishing and the Battle for Global Markets in the Era of World War II. Ithaca, London: Cornell University Press 2010. 57 Vgl. Rosemary Mokia: The United States 1967 National Policy on International Book and Library Activities. Dissertation. Bloomington: Indiana University School of Library and Information Science 1994.
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minare um den Aufbau von Verlags- und Buchhandelsstrukturen in der Dritten Welt bemühte.58 Héctor Maymí-Sugrañes, Gary Kraske und Margret Stief Dalton nehmen die durch die American Library Assocation (ALA) und die Organisation Amerikanischer Staaten initiierten Programme zur Bibliotheksförderung, insbesondere in Lateinamerika, in den Blick.59 Trotz der verhältnismäßig umfangreichen Forschung zur Buch- und Bibliotheksförderung im Rahmen der US-amerikanischen Außenpolitik bleibt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle des Buches in der auswärtigen Kulturpolitik unzureichend; die Forderung Sigfred Tauberts aus dem Jahr 1962, »man möge sich doch einmal die allerdings bedeutende Mühe machen, alles das auf internationalem Feld zusammenzutragen, was die Nationen innerhalb ihrer Kulturpolitik im Ausland mit dem Buch und der Zeitschrift unternehmen«60 , ist bisher – vor allem auch im Hinblick auf vergleichende Ansätze – weitgehend unerfüllt geblieben61 ; der jüngst erschienene Sammelband Le diplomatie par le livre bietet jedoch erste, über die USamerikanische Außenpolitik hinausgehende Perspektiven.62 Im Zusammenhang mit dem gesteuerten Ausbau des Buchhandels in Entwicklungsländern (book development63 ) wurde nicht nur das politisch motivierte Engagement
58 Vgl. Louise S. Robbins: Publishing American Values. The Franklin Book Programs as Cold War Cultural Diplomacy. In: Library Trends 55 (2007), H. 3, S. 638–650; Amanda Laugesen: Books for the World. American Book Programs in the Developing World, 1948–1968. In: Pressing the Fight. Print, Propaganda, and the Cold War. Hrsg. von Greg Barnhisel und Catherine Turner. Amherst, Boston: University of Massachusetts Press 2010 (Studies in Print Culture and the History of the Book), S. 126– 144. 59 Vgl. Héctor J. Maymí-Sugrañes: Modernizing Underdevelopment. Inter-American Library Relations (1890–1974). Madison: Graduate School of the University of Wisconsin 1996; Gary E. Kraske: Missionaries of the Book. The American Library Profession and the Origins of United States Cultural Diplomacy. Westport: Greenwood Press 1985 (Contributions in Librarianship and Information Science. 54); Margaret Stief Dalton: The International Relations Office, 1956–1972. In: Library Trends 55 (2007), H. 3, S. 609–622. 60 S[igfred] T[aubert]: Sowjetische Kulturpolitik im Ausland. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe Nr. 13 vom 13.2.1962, S. 210–211, hier S. 211. 61 Eine vergleichende Analyse der Bibliotheksprogramme der USA, Frankreich und Großbritannien im Senegal unternimmt: Mary Niles Maack: Books and Libraries as Instruments of Cultural Diplomacy in Francophone Africa during the Cold War. In: Libraries and Culture 36 (2001), H. 1, S. 58–86. Eine Gegenüberstellung der US-amerikanischen und sowjetischen auswärtigen Bibliothekspolitik liefert: Pamela Spence Richards: Cold War Librarianship: Soviet and American Library Activities in Support of National Foreign Policy, 1946–1991. In: Libraries and Culture 36 (2001), H. 1, S. 193–203. 62 Vgl. La diplomatie par le livre. Réseaux et circulation internationale de l’imprimé de 1880 à nos jours. Hrsg. von Claude Hauser, Thomas Loué, Jean-Yves Mollier und François Vallotton. Paris: Nouveau Monde 2011. 63 Der Auf- und Ausbau von Verlags- und Buchhandelsstrukturen in den Ländern der Dritten Welt wird seit den sechziger Jahren zunehmend als book development bezeichnet. Zur Genese des Begriffs vgl. Kapitel 7 dieser Arbeit.
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der Vereinigten Staaten wissenschaftlich untersucht, sondern auch nach den Entstehungsvoraussetzungen und den Wachstumsbedingungen von Buchmärkten gefragt: In einer international vergleichend, sozial- und wirtschaftshistorisch ausgerichteten Studie zur Entstehung des modernen Buchhandels analysiert der Japaner Shigeo Minowa, welche Faktoren in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan sowie den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Anstieg der Buchproduktion und Ausbau des Verlagswesens beigetragen bzw. diese verursacht haben.64 Das Bemühen, eine Korrelation zwischen Wachstum des Buchmarktes auf der einen Seite und der Wirtschaftskraft, dem Zustand des Bildungs- und Wissenschaftssystems sowie der Technologie- und Innovationsfähigkeit eines Landes auf der anderen Seite nachzuweisen, ist dem Wunsch geschuldet, den praktischen Maßnahmen der UNESCO im Bereich des book development ein handlungsweisendes, theoretisches Fundament zu geben.65 Mit der Formulierung einer solchen Zielsetzung geht Minowa davon aus, dass die Faktoren, die zum Wachstum westlicher Buchmärkte geführt haben, auch diejenigen sind, die für den Aufbau eines funktionierenden Buchhandels in Entwicklungsländern Relevanz besitzen. Obwohl die Konzeption dieser Studie insofern fragwürdig ist, weil hier in modernisierungstheoretischer Tradition die Exportmöglichkeit westlicher Modelle in Form von nachholender Entwicklung angenommen wird, mithin also historische Entwicklungen, die unter spezifischen Bedingungen stattgefunden haben, in andere Räume und Zeiten transferiert werden sollen, weist die Arbeit doch darauf hin, dass Struktur und Beschaffenheit von Buchmärkten und somit auch die Möglichkeit, Buchmärkte und Verlagswesen durch exogene Hilfen zu entwickeln, durch Faktoren wie den Zustand des Bildungssystems und der Wirtschaftskraft des betreffenden Landes bedingt sind: »Conversely, whatever assistance may come from outside, a country whose socioeconomic environment does not meet the requirements for successful publishing development cannot succeed in spite of that
64 Vgl. Shigeo Minowa: Book Publishing in a Societal Context. Japan and the West. Buffalo: Prometheus Books 1990. Die Ergebnisse dieser Studie sind komprimiert dargestellt in: ders.: The Societal Context of Book Publishing. In: International Book Publishing. An Encyclopedia. Hrsg. von Philip G. Altbach und Edith S. Hoshino. New York, London: Garland Publishing 1995 (Garland Reference Library of the Humanities. 1562), S. 331–341. Vgl. zur Korrelation zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Buchproduktion in der frühen Neuzeit die wirtschaftshistorischen Studien von: Joerg Baten/Jan Luiten van Zanden: Book Production and the Onset of Modern Economic Growth. In: Journal of Economic Growth 13 (2008), H. 3, S. 217–235; Eltjo Buringh/Jan Luiten van Zanden: Charting the »Rise of the West«: Manuscripts and Printed Books in Europe. A Long-Term Perspective from the Sixth through Eighteenth Centuries. In: The Journal of Economic History 69 (2009), H. 2, S. 409–445. 65 So heißt es in den einleitenden Bemerkungen zu den Zielen der Arbeit: »[. . .] to provide theoretical support for the efforts (mainly of UNESCO) to develop book publishing in the Third World, which have not been fruitful because of the almost complete lack of systematic research on the theory of publishing development to back their policy.« Minowa: Book Publishing in a Societal Context, S. XV.
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assistance.«66 Wenn Minowa auf Basis der ausgewerteten Daten auch keine Faktoren identifizieren kann, die in gleicher, konstanter Weise den Aufschwung der Buchbranche in den untersuchten westlichen Industrieländern und Japan bedingt haben, so zeigt seine Studie sehr wohl, dass das Wachstum des Buchhandels entscheidend von sozio-ökonomischen Faktoren abhängig war. Infolge der vor allem von der UNESCO, den internationalen Zusammenschlüssen des Verlags- und Bibliothekswesens sowie einigen bilateralen Entwicklungshilfeagenturen und privaten Initiativen getragenen Bemühungen um den Aufbau von Verlags- und Buchhandelsstrukturen in Entwicklungsländern, als auch im Kontext von postkolonialen Diskursen und Debatten um die Notwendigkeit eines einheimischen Verlagswesens als Voraussetzung für ein unabhängiges, nicht westlich dominiertes Bildungs- und Wissenschaftssystem67 kam es vor allem in den achtziger und neunziger Jahren im Umfeld des US-amerikanischen Bildungsforschers Philip G. Altbach zu einem verstärkten Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis, der 1991 zur Gründung des Bellagio Publishing Network führte.68 Dieses Forum hatte zum Ziel, einen Raum zu schaffen, um über Möglichkeiten des book development, schwerpunktmäßig für die Länder des afrikanischen Kontinents, zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen: Neben der Ausrichtung von Tagungen bestand die Arbeit des Netzwerkes vor allem darin, Fallstudien einzelner Projekte, Strategien und Konzepte zur Buchmarktförderung und Analysen der Schwächen der Buchmärkte in Entwicklungsländern zu veröffentlichen.69
66 Shigeo Minowa: The Mythology of Publishing Development. In: Publishing and Development in the Third World. Hrsg. von Philip G. Altbach. London, Melbourne, München u. a.: Hans Zell Publishers 1992 (Hans Zell Studies on Publishing. 1), S. 55–62, hier S. 61. 67 Vgl. Philip G. Altbach: Literary Colonialism. Books in the Third World. In: Harvard Educational Review 45 (1975), S. 226–236; ders.: Publishing and the Intellectual System. In: Annals of the American Academy of Political and Social Science (1975), H. 421, S. 1–13; International Scholarly Publishing. An Overview. Hrsg. von Shigeo Minowa, Amadio Antonio Arboleda und N. Raj. Tokio: University of Tokyo Press 1976; Per I. Gedin: Cultural Pride. The Necessity of Indigenous Publishing. In: Publishing and Development in the Third World. Hrsg. von Philip G. Altbach. London, Melbourne, München u. a.: Hans Zell Publishers 1992 (Hans Zell Studies on Publishing. 1), S. 43–53. 68 Die zunehmende Beschäftigung der Wissenschaft mit Problemen des book development lässt sich u. a. an nachfolgenden Publikationen festmachen: Publishing in the Third World. Knowledge and Development. Hrsg. von Philip G. Altbach, Amadio Antonio Arboleda und Saravan Gopinathan. Portsmouth, London: Heinemann, Mansell 1985; Textbooks in the Third World. Policy, Content and Context. Hrsg. von Philip G. Altbach und Gail Paradise Kelly. New York, London: Garland Publishing 1988 (Garland Reference Library of Social Science. 450); Publishing and Development in the Third World. Hrsg. von Philip G. Altbach. London, Melbourne, München u. a.: Hans Zell Publishers 1992 (Hans Zell Studies on Publishing. 1). 69 In der Reihe Bellagio Studies in Publishing sind bis 2000 elf Bände erschienen, dazu zählen: Copyright and Development. Inequality in the Information Age. Hrsg. von Philip G. Altbach. Chestnut Hill: Bellagio Publishing Network Research and Information Center 1995 (Bellagio Studies in Publishing. 4); The Challenge of the Market. Privatization and Publishing in West Africa. Hrsg. von Philip
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Auch außerhalb des Bellagio-Netzwerkes sind Studien zur Buchförderung in Entwicklungsländern entstanden. Insbesondere von der Weltbank wurden dabei Fragen der Produktion und des Vertriebs von Schulbüchern untersucht.70 Ebenso wie die Veröffentlichungen des Bellagio-Netzwerkes zielen diese Publikationen in ihrer praxisorientierten Ausrichtung darauf ab, Handlungsempfehlungen zum Aufbau von Verlags- und Buchhandelsstrukturen zu geben bzw. die Probleme der Buchmärkte in Entwicklungsländern darzulegen. Sie sind somit nicht als historisch fundierte Studien über Begründungen und Gestaltungsoptionen von Buchförderung anzusehen und finden im Rahmen dieser Arbeit daher vor allem Verwendung, um die UNESCO-Aktivitäten im Bereich des book development zu kontextualisieren.
1.2 Annahmen über gesellschaftliche Funktionen buchmedialer Kommunikation: Begründung und Legitimierung buchfördernder Maßnahmen Dem Medium Buch wird gemeinhin – das zeigen nicht nur die einleitend vorgestellten Projekte und Stellungnahmen – ein hoher gesellschaftlicher Stellenwert beigemessen; dem Lesen von Büchern kommt in der Regel eine beachtliche Wertschätzung zuteil. Nicht nur Verleger, Buchhändler und Bibliothekare verweisen auf die Funktionen, die das von ihnen produzierte oder vertriebene Produkt Buch im Gesellschaftssystem wahrnimmt; ebenso wird im öffentlichen Diskurs dessen positiver Beitrag zur Erreichung gesellschaftspolitischer Ziele immer wieder herausgestellt. Es scheint unbestritten, dass die Nutzung von Büchern über die Erfüllung individueller Unterhaltungs- und Informationsbedürfnisse hinausgehend bedeutende kulturelle und sozia-
G. Altbach. Chestnut Hill: Bellagio Publishing Network Research and Information Center 1996 (Bellagio Studies in Publishing. 7); Publishing and Development. A Book of Readings. Hrsg. von Philip G. Altbach und Damtew Teferra. Chestnut Hill: Bellagio Publishing Network, Research and Information Center 1998 (Bellagio Studies in Publishing. 9). Ferner wurden Nachschlage- und Referenzwerke publiziert. Vgl. Carol Priestley: Book and Publishing Assistance Programs. A Review and Inventory. Buffalo: Bellagio Publishing Network Research and Information Center 1993 (Bellagio Studies in Publishing. 2); Philip G. Altbach/Hyaewol Choi: Bibliography on Publishing and Book Development in the Third World, 1980–1993. Norwood: Ablex Publishing Corporation 1993 (Bellagio Studies in Publishing. 3). In Kooperation mit Garland Publishing erschien zudem: International Book Publishing. An Encyclopedia. Hrsg. von Philip G. Altbach und Edith S. Hoshino. New York, London: Garland Publishing 1995 (Garland Reference Library of the Humanities. 1562). 70 Vgl. Stephen P. Heyneman/Joseph P. Farrell/Manuel A. Sepulvada-Stuardo: Textbooks and Achievement. What We Know. Washington, D.C.: World Bank 1978 (Staff Working Paper. 298); Peter H. Neumann: Publishing for Schools. Textbooks and the Less Developed Countries. Washington, D.C.: World Bank 1980; Textbooks in the Developing World. Economic and Educational Choices. Hrsg. von Joseph P. Farrell und Stephen P. Heyneman. Washington, D.C.: World Bank 1989 (EDI Seminar Series); Educational Publishing in Global Perspective. Capacity Building and Trends. Hrsg. von Shobhana Sosale. Washington, D.C.: World Bank 1999.
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le Auswirkungen hat, zu gesellschaftlichen Zielwerten wie etwa Demokratisierung, Bildung und Modernisierung beitragen kann und dass durch buchmediale Kommunikation Sozialisierung, Teilnahme am politischen Leben oder (nationale) Identifikationsbildung zu erreichen ist. Es sind derartige an das Medium Buch gekoppelte Erwartungen, also Annahmen über individuelle, aber vor allem gesellschaftliche Funktionen und Leistungen buchmedialer Kommunikation, die Buchförderungsmaßnahmen hervorrufen, begründen und legitimieren können. Buchförderung erfolgt – so eine der zentralen Thesen dieser Arbeit – nicht auf Grundlage von faktischem Wissen über das tatsächliche Leistungsvermögen des Mediums Buch in einer Gesellschaft, sondern weil davon ausgegangen, erhofft oder auch deklariert wird, dass eine Erhöhung und Stärkung der buchmedialen Kommunikation, also eine bessere Verfügbarkeit von und Zugänglichkeit zu Büchern, einen Beitrag zur Erreichung spezifischer gesellschaftlicher Zielwerte leisten könne – weil also dem Buch eine über individuelle Bedürfnisse hinausgehende Problemlösungskompetenz zuerkannt oder zugesprochen wird. Buchförderung bedingt und legitimiert sich somit aus Annahmen und Vorstellungen über die Leistungen buchmedialer Kommunikation für die gesellschaftliche Entwicklung. Mit Buchförderung ist demnach ein »Erwartungshorizont«71 im Sinne Reinhard Kosellecks verbunden, der auf ein »Noch-Nicht«72 , auf Wünsche und Hoffnungen, auf eine verbesserte Zukunft zielt, ohne dass die attribuierten Erwartungen durch empirische Evidenzen bestätigt sein müssten:73 [M]it der Erschließung eines neuen Erwartungshorizontes [. . .] [werden] die Zielbestimmungen [. . .] festgeschrieben [. . .] und die in Plan und Prognose vorausgenommenen Wirkungen zu Legitimationstiteln politischen Handelns.74
Die Relevanz und Funktionen, die der Ausbreitung und Nutzung des Mediums Buch für die Erreichung gesellschaftlicher Ziele zuerkannt oder zugeschrieben werden, sind als konstitutiv für die Definition und Legitimation buchfördernder Maßnahmen anzusehen. Die Besetzung und Belegung des Mediums Buch mit Wertvorstellungen und Funktionserwartungen – wie sie im Rahmen dieser Arbeit anhand der UNESCO-Buchförderungsprogramme in einem globalen Kontext analysiert werden soll – ist bisher nur im geringen Umfang Gegenstand wissenschaftlicher Studien geworden. Besonderes Augenmerk hat die Forschung vor allem auf die Prägung und Wertung des Buches 71 Reinhart Koselleck: ›Erfahrungsraum‹ und ›Erwartungshorizont‹ – zwei historische Kategorien. In: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1979, S. 349–375. 72 Ebd., S. 355. 73 Vgl. ähnlich auch: Magnus Torstensson: Is There a Nordic Public Library Model? In: Libraries & Culture 28 (1993), H. 1, S. 59–76, hier S. 66–68. 74 Koselleck: ›Erfahrungsraum‹ und ›Erwartungshorizont‹, S. 362–363.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
als ›sakrales Objekt‹ durch die jüdische, christliche und islamische Religion gelegt.75 Daneben sind Wertstrukturen des (Buch-) Lesens anhand von symbolischen und metaphorischen Attributen sowohl in textlicher als auch in bildlicher Darstellung analysiert worden.76 Für den deutschsprachigen Raum untersucht Ursula Rautenberg anhand von Formen des Buchgebrauchs in der Alltagskultur des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, wie losgelöst von der eigentlichen Nutzung des Buches als Kommunikationsmittel Leistungen und Funktionen des Buches symbolisch repräsentiert werden.77 Dirk Wetzel zeigt in seiner systemtheoretisch konzipierten Dissertation überzeugend, dass eine Zuschreibung von Funktionen bzw. eine auf Werten basierte Konstruktion einer als optimal angesehenen Buch- und Lesekultur als gesellschaftlicher Zielwert beispielsweise die Einwerbung von staatlichen Leistungen, Sonderkonzessionen im Kartellrecht oder Etatzuweisungen für das öffentliche Bibliothekswesen legitimieren kann. Wetzel macht darauf aufmerksam, wie Buchhandel und Bibliothekswesen in der Bundesrepublik Deutschland Annahmen über die gesellschaftliche Relevanz buchmedialer Kommunikation nutzen, konstruieren und verbreiten, um auf diese Weise politische Unterstützungsleistungen einzuwerben.78
75 Vgl. einführend die Überblicksdarstellungen bei: Brian Cummings: The Book as Symbol. In: The Oxford Companion to the Book. Hrsg. von Michael F. Suarez und H. R. Woudhuysen. 2 Bände. Oxford u. a.: Oxford University Press 2010, Band 1, S. 62–65; Carl Olson: The Sacred Book. In: ebd., Band 1, S. 11–23. 76 Vgl. Fritz Nies: Bahn und Bett und Blütenduft. Eine Reise durch die Welt der Leserbilder. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1991; Jutta Assel/Georg Jäger: Zur Ikonographie des Lesens – Darstellungen von Leser(inne)n und des Lesens im Bild. In: Handbuch Lesen. Hrsg. von Bodo Franzmann, Klaus Hasemann, Dietrich Löffler und Erich Schön. Genehmigte Lizenzausgabe. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren 2001, S. 638–668. Auch die Literaturwissenschaft hat sich des Themas angenommen und u. a. Leserdarstellungen in Romanen des 18. Jahrhunderts untersucht: Edgar Bracht: Der Leser im Roman des 18. Jahrhunderts. Frankfurt/Main, Bern, New York u. a.: Peter Lang 1987 (Marburger Germanistische Studien. 8); Valérie Le Vot: Des livres à la vie. Lecteurs et lectures dans le roman allemand des Lumières. Berlin, Bern, Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang 1999 (Etudes et documents. 45). Mit dem Lesen verbundene Funktionsvorstellungen und Wertzuschreibungen untersuchen für Frankreich: Anne-Marie Chartier/Jean Hébrard: Discours sur la Lecture 1880–2000. Paris: Bibliothèque Centre Georges Pompideu, Fayard 2000; und für Lateinamerika: Didier Álvarez Zapata/Juan Guillermo Gómez García: El discurso bibliotecario público sobre la lectura en América Latina (1950–2000). Una revisión preliminar con énfasis en Colombia. In: Revista interamericana de bibliotecología 25 (2002), H. 1, S. 11–36. 77 Vgl. Ursula Rautenberg: Das Buch in der Alltagskultur. Eine Annäherung an zeichenhaften Buchgebrauch und die Medialität des Buches. In: Buchkulturen. Beiträge zur Geschichte der Literaturvermittlung. Festschrift für Reinhard Wittmann. Hrsg. von Monika Estermann, Ernst Fischer und Ute Schneider. Wiesbaden: Harrassowitz 2005, S. 487–516. 78 Vgl. Dirk Alexander Wetzel: Die Konstruktion von Lesekultur im westdeutschen Buchhandel und Öffentlichen Bibliothekswesen der Nachkriegszeit 1950–1989. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde. Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät I 2002.
Annahmen über gesellschaftliche Funktionen buchmedialer Kommunikation
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Auch in Studien zu Buchzensur und Literaturlenkung werden in der Regel die Vorstellungen deutlich gemacht, die bezüglich der »Macht des gedruckten Wortes«79 , den Funktionen und Leistungen buchmedialer Kommunikation in einer determinierten historischen Situation vorherrschen.80 An dieser Stelle sind einige Anmerkungen zum gesellschaflichen Leistungsvermögen buchmedialer Kommunikation und deren Bestimmung und Identifizierung notwendig: Gemeinhin wird in der Buchwissenschaft – wie in den Medien- und Kommunikationswissenschaften auch – davon ausgegangen, dass Ausbreitung und Nutzung von Büchern (bzw. allgemeiner gesprochen: von Medien) gesellschaftliche Auswirkungen haben und dass Wechselwirkungen zwischen dem Lesen (von Büchern) und soziokulturellen Entwicklungen bestehen. Der britische Buchwissenschaftler Simon Eliot und sein US-amerikanischer Kollege Jonathan Rose schreiben im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Companion to the History of the Book: Did escalating press rhetoric precipitate the French Reign of Terror and the American Civil War? Did samizdat literature contribute to the implosion of Soviet communism? Can the arrested development of Middle Eastern print culture, hemmed in by censorship, help to explain problems of modernization in that part of the world? Book historians do not claim that books explain everything, but they do recognize that books are the primary tools that people use to transmit ideas, record memories, create narratives, exercise power, and distribute wealth.81
Sandra Rühr und Axel Kuhn leiten ihre im Handbuch Buchwissenschaft in Deutschland erschienene Überblicksdarstellung zum Stand der Lese- und Leserforschung wie folgt ein: Lesen als Kulturtechnik hat maßgeblich zur Entstehung der heutigen westlichen Gesellschaftsformen beigetragen. In historischer Betrachtung lassen sich Verbindungen zwischen Lesen und verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüchen nachweisen. Viele Gesellschaftstheoretiker erklären das Lesen in dieser Hinsicht als prägende Kraft der Entstehung demokratischer, aufgeklärter westlicher Gesellschaften, welche auch heute, mit zunehmender ReOralisierung durch audiovisuelle Medien, seine Bedeutung als Konsequenz der sozialen Betei-
79 Ulrich Saxer: Buchwissenschaft als Medienwissenschaft. In: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Berlin, New York: De Gruyter Saur 2010, S. 65–104, hier S. 93. 80 Für den deutschen Sprachraum sei hier exemplarisch verwiesen auf: Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Frankfurt/Main: Buchhändler-Vereinigung 1993; Michael Westdickenberg: Die »Diktatur des anständigen Buches«. Das Zensursystem der DDR für belletristische Prosaliteratur in den sechziger Jahren. Wiesbaden: Harrassowitz 2004. 81 A Companion to the History of the Book. Hrsg. von Simon Eliot und Jonathan Rose. Malden, Oxford: Blackwell Publishing 2007 (Blackwell Companions to Literature and Culture. 48), S. 1.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
ligung innerhalb dieser Gesellschaftsformen nicht eingebüßt hat [. . .] Lesen besitzt somit eine hohe soziale Relevanz.82
Der Schweizer Kommunikationswissenschaftler Ulrich Saxer, der sich für eine theoretische Fundierung der Buch- wie allgemein der Medienwissenschaften starkgemacht und zu diesem Zweck einen integrativen Medienbegriff vorgelegt hat83 , erklärte auf einem Symposium der Leipziger Buchwissenschaft, dass »Buch-, Printmedien und Lesekultur allein wie im intermedialen Verbund [. . .] ihrerseits die gesellschaftlichen Prozesse in näher zu bestimmender Weise mit[prägen]«84 . Den vermuteten Einfluss buchmedialer Kommunikation auf sozio-kulturelle Prozesse zu identifizieren – wie unter anderem von Saxer gefordert –, ist in der Empirie allerdings mit erheblichen methodischen Schwierigkeiten verbunden, auf die der britische Buchwissenschaftler John Feather bereits Mitte der achtziger Jahre verwies85 : The dissemination of the printed book – and of the art of printing itself – is, of course, one of the most important phenomena in our history, but when we attempt to analyze its consequences and to draw specific conlusions about them, we are faced with great difficulties. How do we assess the influence of books or of any one book?86
Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Buchnutzung sind empirisch nicht eindeutig zu präzisieren und zu isolieren, und zwar weder in der sozialwissenschaftlichen Gegenwartsanalyse in Form einer auf das Buch angepassten Medienwirkungs- oder
82 Axel Kuhn/Sandra Rühr: Stand der modernen Lese- und Leserforschung – eine kritische Analyse. In: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Berlin, New York: De Gruyter Saur 2010, S. 535–602, hier S. 536. 83 Vgl. Ulrich Saxer: Der Forschungsgegenstand der Medienwissenschaft. In: Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. Hrsg. von Joachim-Felix Leonhard, Hans-Werner Ludwig, Dietrich Schwarze und Erich Straßner. Berlin, New York: de Gruyter 1999 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. 15), S. 1–15. Spezifiziert für die Buchwissenschaft in: ders.: Buchwissenschaft als Medienwissenschaft. 84 Ders.: Buch und Buchwissenschaft aus kommunikationssoziologischer Perspektive. In: Buchwissenschaft – Medienwissenschaft. Ein Symposium. Hrsg. von Dieter Kerlen. Wiesbaden: Harrassowitz 2004 (Buchwissenschaftliche Forschungen. 4), S. 111–125, hier S. 114. 85 Auch Saxer selbst weist auf die Schwierigkeiten hin: »Weil die Medien oder, genauer gesagt, die publizistischen Medien in den modernen Gesellschaften allgegenwärtig zu sein scheinen, fällt die Bestimmung ihrer Stellung im gesellschaftlichen Gefüge wie die Qualifizierung ihrer tatsächlichen Leistungen schwer.« Ders.: Der gesellschaftliche Ort der Massenkommunikation. In: Mediensysteme im Wandel. Struktur, Organisation und Funktion der Massenmedien. Hrsg. von Hannes Haas und Otfried Jarren. 3., völlig überarbeitete Neuauflage. Wien: Wilhelm Braumüller 2002 (Studienbücher zur Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 3), S. 1–14, hier S. 1. 86 John P. Feather: The Book in History and the History of the Book. In: The History of Books and Libraries. Washington, D.C.: Library of Congress 1986 (The Center for the Book Viewpoint Series. 16), S. 1–16, hier S. 3.
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-nutzungsforschung87 , noch in der historischen (Einzelfall-) Untersuchung – denn in beiden Fällen steht man erheblichen Zurechnungsproblemen gegenüber: Von einer monokausalen, linearen und unmittelbaren Wirkung buchmedialer Kommunikation kann nicht ausgegangen werden, sondern es ist vielmehr ein höchst komplexes Wechselverhältnis zwischen der sozio-kulturellen Entwicklung, anderen kulturellen und wirtschaftlichen Einflussfaktoren und den Auswirkungen medialer Prozesse zu unterstellen.88 Ferner kann von einer individuellen Nutzung von Büchern bzw. einer Wirkung buchmedialer Kommunikation auf das Individuum – wäre diese denn überhaupt überzeugend ermittelbar – kaum zwangsläufig und stringent auf einen gesellschaftlichen Nutzen bzw. eine gesellschaftliche Prägung durch Bücher geschlossen werden. Obgleich die sozio-kulturellen Konsequenzen buchmedialer Kommunikation in bestimmten Gesellschafts- und Mediensystemen und historischen Konstellationen empirisch weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit eindeutig zu identifizieren sind, können die sozialwissenschaftlich oder historisch ermittelten Erkenntnisse und Evidenzen über Art, Intensität und Form der Nutzung von Büchern (sowie ggf. von anderen Medien) fruchtbar gemacht werden, um im Rahmen einer Gesellschafts- und Kommunikationstheorie die sozio-kulturellen Auswirkungen der Buchnutzung und die überindividuellen Funktionen zu bestimmen. Bei der letztendlich nur theoretisch-abstrakt möglichen Modellierung der in spezifischen Gesellschaften und historischen Konstellationen erbrachten eu- und dysfunktionalen Leistungen des Buches für die Makroebene sollte man sich der Gefahr bewusst sein, ein in der Gesellschaft vorhandenes vorwissenschaftliches Verständnis von den Funktionen des Buches unbewusst zu übernehmen.89
87 Vgl. Dietrich Kerlen: Buchwirkungsforschung – Vermessung eines Forschungsfeldes. In: Buchwissenschaft und Buchwirkungsforschung. Hrsg. von Dietrich Kerlen. Leipzig: Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft 2000, S. 99–111; Erich Schön: Buchnutzungsforschung. In: Buchwissenschaft und Buchwirkungsforschung. Hrsg. von Dietrich Kerlen. Leipzig: Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft 2000, S. 113–130. 88 Ähnlichen Zurechnungsproblemen sieht sich auch die Ideengeschichte gegenüber: »Die Schwierigkeiten und Hindernisse multiplizieren sich, wenn man Zusammenhänge sehen oder gar Einflüsse tracieren will. Wie kann man das, was faktisch gelaufen ist, wie kann man vor allem für jeden Einzelpunkt die Auswahl aus der Vielzahl der Möglichkeiten erklären? [. . .] Jede Suche nach Ursachen und Wirkungen muß angesichts eines solchen Sachverhalts ins Uferlose und Unbelegbare führen [. . .] Statt sich an das Aufdröseln solcher Beziehungsnetze zu machen, wäre es vielleicht sinnvoller zu fragen, wie eigentlich zu erklären ist, daß semantische Figuren dieser Art plötzlich überall auf Interesse stoßen.« Niklas Luhmann: Ideenevolution. Beiträge zur Wissenssoziologie. Hrsg. von André Kieserling. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 1870), S. 234–235. 89 Vgl. dazu auch: Andreas Schulz: Der Aufstieg der »vierten Gewalt«. Medien, Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter der Massenkommunikation. In: Historische Zeitschrift 270 (2000), S. 65–97, hier S. 68.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
Im Zentrum dieser Arbeit steht nicht die theoretische Bestimmung des gesellschaftlichen Leistungsvermögens des Mediums Buch für die (Welt-)Gesellschaft(en) der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern vielmehr die Identifizierung der Funktionen, die die UNESCO als buchfördernde Instanz mit diesem Medium verband oder diesem aktiv und eigens zuschrieb. Eine Analyse der Buchförderungsprogramme der UNESCO bedingt folglich Fragen nach dem Verständnis und den Vorstellungen, die die UNESCO hinsichtlich der gesellschaftlichen Funktionen und Leistungen des Buches übernommen oder entwickelt und dann verbreitet hat: Warum ist das Medium Buch in den Augen der UNESCO förderungswürdig, weshalb die Verfügbarkeit von Büchern und der Zugang zu diesen wünschenswert? Welche Funktionen und Leistungen des Buches thematisiert und kommuniziert die UNESCO? In welche Norm- und Wertzusammenhänge sind die Annahmen über Funktionen und Wirkmöglichkeiten des Buches eingebettet? Die Funktionen, die im Verständnis der UNESCO dem Medium Buch eingeschrieben sind oder die sie diesem zuschreibt, können zum einen auf Vorstellungen rekurrieren, die bezüglich der Einflusspotenziale buchmedialer Kommunikation auf gesellschaftliche Entwicklungen als historisch geprägte Relevanz- und Erwartungsstrukturen bereits vorhanden sind, von der UNESCO übernommen und in Buchförderungsprogramme übersetzt werden. Aussagen und Deutungen über die gesellschaftliche Relevanz des Buches können zum anderen aber auch erst von der UNESCO erzeugt, institutionalisiert bzw. neu konzipiert worden sein, um so ihr buchförderndes Engagement im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben- und Tätigkeitsfelder gerechtfertigt oder gerechtfertigter erscheinen zu lassen. Indem nicht nach dem tatsächlichen Leistungsvermögen des Buches gefragt wird, sondern stattdessen auf Annahmen und Zuschreibungen von Funktionen fokussiert wird, ist die vorliegende Arbeit einem Ansatz verpflichtet, den man mit Jürgen Kocka als »konstruktivistische Umakzentuierung«90 bezeichnen kann. Da davon ausgegangen wird, dass die Annahme und die Zuschreibung von Funktionen immer vor dem Hintergrund spezifischer historischer und gesellschaftlicher Bedingungen stattfinden, grenzt sich die vorliegende Arbeit von radikal konstruktivistischen Perspektiven deutlich ab.91 Es ist somit nach den Kontexten zu fragen, in denen sich
90 Jürgen Kocka: Historische Sozialwissenschaft heute. In: Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte. Hrsg. von Paul Nolte, Manfred Hettling, Frank-Michael Kuhlemann und Hans-Walter Schmuhl. München: C. H. Beck 2000, S. 5–24, hier S. 15. 91 Die konstruktivistischen Annahmen dieser Arbeit orientieren sich an der von Wissenssoziologie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann. Ausgangspunkt ihres inzwischen als Klassiker des Sozialkonstruktivismus geltenden Werkes The Social Construction of Reality ist die Frage, wie »subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität« (Berger/Luckmann, S. 20) wird. Bergers und Luckmanns Verständnis nach wird Handeln durch Alltagswissen bestimmt. Alltagswissen beruht wesentlich auf (durch Sozialisation erworbene) Annahmen über die Wirklichkeit und umfasst somit Gewohnheiten und Routine. Nicht so sehr das faktische Wissen über die Wirklichkeit, sondern das konstruierte Wis-
Annahmen über gesellschaftliche Funktionen buchmedialer Kommunikation
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Annahmen über die Bedeutung des Buches für die Gesellschaft konstituieren und wandeln. In dieser Hinsicht ist der Einfluss organisatorischer, rechtlicher, institutioneller, technischer sowie ökonomischer Veränderungen auf die Konzeptualisierung des Mediums Buch sichtbar zu machen. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob geänderte Rahmenbedingungen, sowohl intern, also in der Organisation selbst, als auch extern, also in der Umwelt der UNESCO, einen Wandel in den dem Buch attestierten Funktionen und attribuierten Werten nach sich gezogen haben. Auch muss der Zusammenhang zwischen den generellen Zielsetzungen und Aufgaben der UNESCO als Teil des UN-Systems und den spezifischen im Bereich der Buchförderung untersucht werden. Durch die Bestimmung der Relevanz-, Erwartungs- und Wertstrukturen, die die UNESCO mit dem Buch verbunden hat, werden Stellenwert und Wertschätzung des Mediums Buch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts analysiert. Eine Untersuchung der Begründungen und Motive buchfördernder Maßnahmen kann somit dazu beitragen, das Buch als »Produkt der Gesellschaft«92 zu bestimmen, als ein Objekt, das nicht nur durch seine Materialität definiert ist und als »organisierter Kommunikationskanal von spezifischen Leistungsvermögen«93 zur Speicherung und Verbreitung von geistig-immateriellen Inhalten genutzt wird, sondern auch mit individuellen und gesellschaftlichen Erwartungen und Interessen verbunden und mit Werten belegt ist.
sen über diese reguliert und prägt das Handeln. Soziale Wirklichkeit ist dabei als dynamischer Prozess zu verstehen, soziale Konstruktion als ein Ergebnis aus Handeln, Interpretationen über Handeln und Alltagswissen. Im ebenfalls sozialkonstruktivistisch argumentierenden Neo-Institutionalismus sind Institutionen, also übergreifende Regelsysteme, als handlungsbestimmend konzipiert. Institutionen werden dabei als Erwartungsstrukturen angesehen, die auf lang tradierten kulturellen Regeln und Traditionen berufen und die definieren, welches Handeln erwartet wird und was somit angemessen und legitim ist. In sozialkonstruktivistischen Konzeptionen können gesellschaftlich anerkannte Ideen und Erwartungen folglich Handeln legitimieren und sinnstiftende Funktionen haben. Begründungen für Handeln sind durch allgemeine Akzeptanz, nicht zwangsläufig aber durch empirisches Zutreffen gegeben; Wirklichkeitsannahmen, die evident und richtig erscheinen, können Handlungen begründen und legitimieren. Vgl. Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissensoziologie. 5. Auflage. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1987 (Fischer Taschenbuch. 6623). Vgl. zum Neo-Institutionalismus einführend: Raimund Hasse/Georg Krücken: Neo-Institutionalismus. 2., vollständig überarbeite Auflage. Bielefeld: Transcript Verlag 2005. Siehe zur Sozialrelevanz von Ideen: Mario Rainer Lepsius: Interessen, Ideen und Institutionen. Opladen: Westdeutscher Verlag 1990. 92 Dirk Wetzel: Das Buch in sozial- und kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung. In: Ursula Rautenberg/Dirk Wetzel: Buch. Tübingen: Niemeyer 2001 (Grundlagen der Medienkommunikation. 11), S. 10–13, hier S. 10. 93 Saxer: Der Forschungsgegenstand der Medienwissenschaft, S. 6.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
1.3 Strategien und Gestaltungsoptionen der Buchförderung Neben der Bestimmung des »Erwartungshorizontes«, mit dem die UNESCO ihr Bemühen für eine weltweite Verbesserung der Verfügbarkeit von und der Zugänglichkeit zu Büchern begründet und legitimiert, ist es Ziel dieser Arbeit, Gestalt und Struktur der von der Pariser Organisation konzipierten und durchgeführten Buchförderungsprogramme zu analysieren. Die Auswertung der konkreten buchfördernden Praxis erfolgt unter zwei Perspektiven: Erstens wird der Zusammenhang zwischen der Art der Programme, ihrer Entstehung und Implementierung sowie den Handlungsbedingungen und -ressourcen einer internationalen Organisation zu beleuchten sein; zweitens ist anhand der UNESCO-Projekte nach den Strategien und Gestaltungsoptionen der Buchförderung zu fragen. Die Buchförderungsprogramme der UNESCO sind innerhalb der Struktur und somit innerhalb der Logiken und Funktionsmechanismen der Organisation entstanden. Es ist daher zu erwarten, dass Handlungsmöglichkeiten und -ressourcen der UNESCO die Konzeption buchfördernder Projekte und Programme bedingt und beeinflusst haben. Folglich ist nach deren Konstitutionsbedingungen zu fragen; es ist zu untersuchen, welche Mittel, Instrumente und Ressourcen zur Verfügung standen, um buchfördernde Maßnahmen entwickeln, verbreiten und (weltweit) implementieren zu können: Inwieweit prägten die Organisationsstruktur und -kultur der UNESCO, deren Handlungsabläufe sowie im besonderen Maße auch die finanzielle und personelle Ausstattung die Konzeption der Buchförderungsprogramme? Im Hinblick auf die Entstehung, Verbreitung und Umsetzung buchfördernder Maßnahmen ist des Weiteren zu untersuchen, inwieweit die UNESCO andere Akteure wie beispielsweise die Internationale Verleger-Union, den internationalen Verband der bibliothekarischen Vereine sowie Verlags- und Buchhandelsexperten in die Gestaltung und Umsetzung ihrer Programme integriert bzw. sich bei diesen Anregungen geholt und somit zu einer internationalen Vernetzung im Bereich der Buchförderung beigetragen hat.94 Um auf Basis der von der UNESCO entwickelten Programme Aussagen über Strategien und Gestaltungsoptionen buchfördernder Maßnahmen zu treffen, sollen die entsprechenden Projekte anhand von vier Kategorien systematisiert werden. Die erste Kategorie orientiert sich an der Verwertungskette des Buches. Die Systematisierung erfolgt anhand der Chronologie des Werdens, der Her- und Bereitstellung von Büchern; in den Blick genommen wird folglich der Prozess von der Entstehung des Textes beim Autor, über die Materialisierung und Bereitstellung in Buchform bis zum Erreichen des Käufers bzw. Lesers. Folgende Anknüpfungspunkte für buchfördernde Maßnahmen sind denkbar: Unterstützung des Prozesses der Kreation
94 Vgl. zur Rolle der UNESCO als »promotor of networks«: Michael Omolewa: UNESCO as a Network. In: Paedagogica Historica 43 (2007), H. 2, S. 211–221.
Strategien und Gestaltungsoptionen der Buchförderung
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(Textniederschrift) und des literarischen Schaffens (Autoren-, Werk- und/oder Übersetzungsförderung), Unterstützung des Materialisierungsprozesses geistiger Inhalte (Förderung der graphischen Industrie und/oder des Verlagswesens), Unterstützung des Vertriebs des kulturellen Produktes und des Zugangs zu diesem (Förderung des vertreibenden Buchhandels und/oder Bibliothekswesens). Steht die Förderung einzelner Elemente der Verwertungskette zu bestimmten Zeitpunkten im Vordergrund oder bemüht sich die UNESCO um einen integrativen Ansatz und somit um eine ausgewogene Unterstützung aller Elemente? In diesem Zusammenhang ist auch die Frage bedeutsam, ob buchfördernde mit lesefördernden Maßnahmen einhergehen, d. h. ob gleichzeitig sowohl das Angebot an Büchern und der Zugang zu diesen verbessert, als auch die Nachfrage nach und der Gebrauch von Büchern erhöht werden soll. Anhand des zweiten Klassifikationsmerkmals soll identifiziert werden, welche Buchgattungen die UNESCO durch ihre Programme fördert. Unter Buchgattungen sollen verschiedene Typen von Büchern verstanden werden, differenziert nach der Art des Inhalts. Zu unterscheiden sind folgende Kategorien: Die Belletristik umfasst den gesamten Bereich der schöngeistigen Literatur. Unter Sach- und Ratgeberliteratur werden allgemein verständliche Bücher subsumiert, die einen bestimmten Sachverhalt an einen breiten Leserkreis vermitteln. Demgegenüber abzugrenzen sind das wissenschaftliche Buch sowie das Fachbuch: Während ersteres auf eine Darstellung und Diskussion von Forschungsproblemen abstellt, vermittelt letzteres grundlegende Fakten und Daten zumeist für die berufliche Praxis. Da eine Abgrenzung zwischen wissenschaftlichem Buch und Fachbuch vielfach schwierig ist, werden sie hier in einer Kategorie zusammengefasst. Das Schulbuch ist eine Sammelbezeichnung für Lern- und Lehrmittel sowie Unterrichtsmaterialien für alle Schularten, Selbstunterricht und Erwachsenenbildung. Unter Kinder- und Jugendliteratur sind alle Schriften zu verstehen, die für die Zielgruppe der Kinder und Jugendliche geeignet erscheinen.95 Bezüglich der buchfördernden Maßnahmen wird zu fragen sein, ob diese auf eine Förderung aller Buchgattungen abzielen oder ob differenzierte Programme für bestimmte Buchgattungen entwickelt und wie diese ggf. begründet worden sind. Mithilfe der dritten Kategorie soll der Grad der Differenzierung von Buchförderungsprogrammen festgestellt werden: Entwickelt die UNESCO Programme, die universell anwendbar sind oder werden in Abhängigkeit von lokalen bzw. regionalen Faktoren oder im Hinblick auf die Beschaffenheit und den Zustand des Buchmarktes und des Bibliothekswesens unterschiedliche Förderungsprogramme entworfen? Findet eine derartige Differenzierung statt, ist zudem zu fragen, mittels welcher Faktoren
95 In der englischsprachigen Fachliteratur wird in der Regel nur zwischen fiction und non-fiction unterschieden bzw. zwischen educational, scientific und general books differenziert. Vgl. stellvertretend: Marcel Canoy/Jan C. van Ours/Frederick van der Ploeg: The Economics of Books. In: Handbook of the Economics of Art and Culture. Band 1. Hrsg. von Victor A. Ginsburgh und David Throsby. Amsterdam: North-Holland 2006 (Handbooks in Economics. 25), S. 721–761, hier insbesondere S. 723.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
oder Indikatoren die UNESCO die Verfasstheit und Struktur einzelner Buchmärkte und Bibliothekssysteme bestimmt. Anhand des vierten Merkmals sollen die Instrumentarien ermittelt werden, mit denen Buchförderung vonseiten der UNESCO betrieben wird. Erfolgt die Förderung des Buches durch die Bereitstellung finanzieller Mittel in Form von Institutionenförderung, Projektförderung oder personenbezogener Förderung (Stipendien)? Etabliert die UNESCO im internationalen Diskurs Buchförderung als eine relevante Maßnahme, lenkt sie mithin durch eine diskursive Themensetzung die internationale Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit buchfördernder Maßnahmen? Bestehen die Programme zur Buchförderung in der Entwicklung und Weitergabe von Expertise in Form von Konzepten und Strategien oder in der Formulierung von Politiken und Handlungsempfehlungen? Inwieweit umfassen die UNESCO-Programme informationelle Tätigkeiten (Informationssammlung, -aufbereitung und -verbreitung) und Beratung?
1.4 Die UNESCO als globale Akteurin Die Analyse der Buchförderungsprogramme der UNESCO macht eine Beschäftigung mit der Organisation, ihrem Selbstverständnis, ihren Arbeitsbedingungen und Zielsetzungen unabdingbar. Nachfolgend soll daher geklärt werden, welches Verständnis von der UNESCO als internationaler Organisation dieser Arbeit zugrunde liegt. Zu diesem Zweck werden theoretische Reflexionen und empirische Befunde aus der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Geschichtswissenschaft fruchtbar gemacht. In der Politikwissenschaft werden internationale Organisationen in der Regel unter Rückgriff auf völkerrechtliche Bestimmungen als Staatenverbindungen mit eigenständigen Organen verstanden, die der Zusammenarbeit von mindestens zwei Staaten in problemfeldspezifischen oder problemfeldübergreifenden Bereichen dienen.96 Sie unterscheiden sich von internationalen Nichtregierungsorganisationen (International Nongovernmental Organizations) und transnationalen Unternehmen durch ihren zwischenstaatlichen, völkerrechtlich fixierten Charakter. Die grundlegenden Differenzen im politikwissenschaftlichen Verständnis von internationalen Organisationen können anhand dreier Bilder verdeutlicht werden: Bedingt durch unterschiedliche theoretische Konzeptionen und ontologische Annahmen werden in den Theorien der Internationalen Beziehungen internationale Organisationen entweder als Instru-
96 Vgl. Volker Rittberger/Bernhard Zangl: Internationale Organisationen. Politik und Geschichte. 3., überarbeitete Auflage. Opladen: Leske + Budrich 2003 (Grundwissen Politik. 10), S. 25. Vgl. zur völkerrechtlichen Definition von internationalen Organisationen einführend: Matthias Herdegen: Völkerrecht. München: C. H. Beck 2008 (Grundrisse des Rechts), hier insbesondere Kapitel 2.
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ment, Arena oder Akteur konzeptualisiert.97 Innerhalb der realistischen Theorietraditionen werden internationale Organisationen als Machtinstrumente zur Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen perzipiert. Auch die Metapher der Arena attestiert internationalen Organisationen nur sehr geringe Handlungskompetenzen, werden sie doch ausschließlich als intergouvernementale, institutionalisierte Diskussionsund Aushandlungsforen angesehen. Neuere, seit Mitte der neunziger Jahre entstandene Forschungen betonen hingegen die gestaltende Kraft von internationalen Organisationen und schreiben diesen Akteursqualitäten in einer Welt zu, die verstärkt durch globale Problemzusammenhänge gekennzeichnet ist. Trotz gradueller Differenzen hinsichtlich der den internationalen Organisationen bescheinigten Autonomie stellen diese meist neo-institutionalistischen oder sozial-konstruktivistischen Ansätze darauf ab, dass internationale Organisationen bei der Entstehung, Verbreitung und Implementierung von Ideen, Konzepten und Normen entscheidend beteiligt sind, über Schlichtungskompetenzen und Expertise verfügen und somit gegenüber ihren Mitgliedsstaaten eigene Interessen verfolgen können und einen deutlichen Einfluss auf der internationalen Bühne ausüben. Diese gemeinhin der Global Governance-Forschung98 zuzurechnenden Arbeiten betonen unter Rekurs auf die von internationalen Organisationen wahrgenommenen Funktionen deren weitreichende Handlungs- und Entscheidungskompetenzen: [I]nternationale Organisationen [werden] häufig als Ursprung globaler Gouvernanz perzipiert. Sie werden als Akteure im internationalen politischen System begriffen, die kollektiv bindende Entscheidungen treffen, Ordnungsmuster etablieren oder Handlungsanleitungen für staatliches Verhalten generieren. Ihnen wird nicht selten ein Eigenleben attestiert, das sie (partiell) unabhängig von ihren Mitgliedsstaaten führen.99
Prominente Vertreter dieser Forschungsrichtung, die internationale Organisationen qua ihrer Funktionen als selbstständige Akteure mit Einflusspotenzial auf Interessen und Agenden nationaler und internationaler Politik verstehen, sind die US-amerika-
97 Vgl. ausführlich zu den unterschiedlichen Konzeptionen von internationalen Organisationen: Rittberger/Zangl: Internationale Organisationen, hier insbesondere Kapitel 2; Martin Koch: Verselbständigungsprozesse internationaler Organisationen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, hier Kapitel 2. 98 Das Konzept der Global Governance ist seit Beginn der neunziger Jahre sowohl in der internationalen Politik als auch in der Politikwissenschaft verbreitet: Ziel ist, ein Institutions- und Regelsystem zu entwickeln, das die Bearbeitung und Lösung globaler Probleme ermöglicht. Innerhalb der Global Governance-Architektur wird internationalen Organisationen, insbesondere den Vereinten Nationen, eine bedeutende Rolle zugesprochen. Vgl. dazu einführend: Franz Nuscheler: Global Governance. In: Internationale Politik im 21. Jahrhundert. Hrsg. von Mir A. Ferdowsi. München: Wilhelm Fink Verlag 2002 (UTB. 2284), S. 71–86. Vgl. ferner: James N. Rosenau: Governance in the Twenty-First Century. In: Global Governance 1 (1995), S. 13–43. 99 Koch: Verselbständigungsprozesse, S. 27.
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nischen Politologen Martha Finnemore und Michael Barnett, deren Studien nachfolgend kurz skizziert werden sollen, da sie für die Konzeption der UNESCO im Rahmen dieser Arbeit besonders relevant sind. In National Interests in International Society betont Finnemore, dass Interessen von Staaten nicht per se als gegeben angesehen werden, sondern auch durch das internationale System beeinflusst, geformt oder erst hervorgerufen werden können: »States are socialized to want certain things by the international society in which they and the people in them live.«100 In diesem Sinne charakterisiert Finnemore in einer Fallstudie die UNESCO als »Teacher of Norms«101 . Sie zeigt, dass der Aufbau von Wissenschaftsbürokratien in Entwicklungsländern nicht durch eine Nachfrage der nationalen Wissenschaftsgemeinschaft (scientific community) oder Technologieunternehmen hervorgerufen, sondern dass das Interesse der Regierungen an solchen Institutionen vielmehr durch entsprechende Publikationen und technische Missionen der UNESCO verursacht wurde. In zwei weiteren Fallstudien – einer zur Etablierung einer humanitären Norm zum Umgang mit Nicht-Kombattanten in Kriegszeiten durch das Internationale Rote Kreuz (erste Genfer Konvention), die andere zur Neudefinition des Armutsbegriffes durch die Weltbank – veranschaulicht Finnemore, wie bestimmte Problemdefinitionen und Problemlösungsstrategien erst durch internationale Organisationen in die Agenden der Politik eingeschrieben worden sind. In Rules for the World. International Organizations in Global Politics wird dieses Verständnis von internationalen Organisationen als Akteuren in eine ausgereifte, theoretische Konzeption integriert.102 Internationale Organisationen werden mit Weber als Bürokratien begriffen. Als wesentliche Merkmale dieser Organe der rationalen Herrschaftsausübung werden eine hierarchische Ordnung, das Prinzip der Unpersönlichkeit, Kontinuität sowie Expertise angeführt. Der Rückgriff auf Überlegungen der Organisationssoziologie ermöglicht es, eine theoretische Folie für die Analyse von Autonomie, Autorität und Macht, Fehlfunktionen (dysfunction) sowie Wandel in internationalen Organisationen zu entwerfen.103 In Barnetts und Finnemores Konzeption von internationalen Organisationen erlangen diese »[d]urch die Verknüpfung gemeinnütziger Ziele und der bürokratischen Verfolgung« sowie durch ihre Präsentation als »unparteiische und unabhängige Bürokratien«104 Autorität. Die Macht
100 Martha Finnemore: National Interests in International Society. Ithaca, London: Cornell University Press 1996 (Cornell Studies in Political Economy), S. 2, Hervorhebungen im Original. 101 Dies.: International Organizations as Teachers of Norms. The United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization and Science Policy. In: International Organization 47 (1993), H. 4, S. 565–597. 102 Vgl. Michael Barnett/Martha Finnemore: Rules for the World. International Organizations in Global Politics. Ithaca, London: Cornell University Press 2004. 103 Vgl. Barnett/Finnemore: Rules for the World, S. 3. 104 Koch: Verselbständigungsprozesse, S. 67–68.
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internationaler Organisationen geht dabei in besonderer Weise von ihrer Expertise und Kompetenz in bestimmten Problemfeldern aus: IOs [gemeint sind International Organizations, CL] exercise power as they use their knowledge and authority not only to regulate what currently exists but also to constitute the world, creating new interests, actors, and social activities. This can be understood as ›social construction power‹ because IOs use their knowledge to help create social reality, IOs are often the actors to whom we defer when it comes to defining meanings, norms of good behavior, the nature of social actors, and categories of legitimate social action in the world. IOs are often the actors empowered to decide if there is a problem at all, what kind of problem it is, and whose responsibility it is to solve it. IOs thus help determine the kind of world that is to be governed and set the agenda for global governance.105
Barnett und Finnemore betonen in konstruktivistischer Denktradition, dass internationale Organisationen nicht nur Normen und Werte aufrechterhalten, sondern durch die Klassifizierung, Organisation und Kontrolle von Information sowie der Verwandlung von Information in Wissen und deren Diffusion Normen erst prägen, etablieren bzw. konstruieren und somit als »Normenentrepreneure«106 charakterisiert werden können.107 Die theoretische Konzeptionalisierung internationaler Organisationen durch Barnett und Finnemore weist vor allem im Hinblick auf ihren konstruktivistischen Charakter eine unübersehbare Nähe zur Denktradition der Stanford School des soziologischen Neo-Institutionalismus um John Meyer auf. Während allerdings bei Barnett und Finnemore die Normenstruktur, die durch die internationalen Organisationen generiert bzw. verbreitet wird, inhaltlich nicht bestimmt, sondern prinzipiell offen und somit wandelbar ist, liegt dem world polity-Ansatz108 eine Konzeption von Welt zugrunde, deren wesentliche Prinzipien Fortschrittsglaube, Gerechtigkeit und Rationalisie-
105 Barnett/Finnemore: Rules for the World, S. 7. 106 Koch: Verselbständigungsprozesse, S. 54. 107 Die Untersuchung der Rolle von Normen und Ideen und deren Einfluss auf nationale Politiken ist ein fest etablierter Forschungsbereich innerhalb der Internationalen Beziehungen. Stellvertretend für eine Vielzahl von Studien sei hier verwiesen auf: The Power of Human Rights. International Norms and Domestic Change. Hrsg. von Thomas Risse, Stephen C. Ropp und Kathryn Sikkink. Cambridge: Cambridge University Press 1999 (Cambridge Studies in International Relations. 66); Cornelia Ulbert: Die Konstruktion von Umwelt. Der Einfluß von Ideen, Institutionen und Kultur auf (inter-)nationale Klimapolitik in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1997 (Nomos Universitätsschriften Politik. 76). 108 World polity wird im deutschen Sprachgebrauch häufig als Weltkultur bezeichnet, so auch der Titel einer Aufsatzsammlung, die ausgewählte Arbeiten Meyers und seiner Kollegen auf Deutsch vorstellt: John W. Meyer: Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen. Hrsg. von Georg Krücken. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005 (Edition Zweite Moderne).
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rung sind.109 World polity ist eine »überindividuelle Vorstellungswelt, die hinter dem Rücken der Akteure wirkt und ihre Handlungen prägt«110 , also eine wertbasierte, universell gültige Makrostruktur, die – mit den Worten ihres prominentesten Vertreters gesprochen – als eine »broad cultural order with explicit origins in western society«111 zu verstehen ist. Der world polity-Ansatz gibt den Gehalt der sozialen Struktur vor, indem er davon ausgeht, dass sich charakteristische Werte des Westens weltweit verbreiten und durchsetzen. Internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sind als wesentliche Triebkräfte im Diffusionsprozess der westlichen Kulturund Strukturmuster konzipiert.112 Diese sind vor allem aufgrund ihres Wissens und ihrer Professionalität als »rationale Andere«113 mit einer großen Legitimität ausgestattet und somit als Träger von Weltkultur allgemein anerkannt.114 Die Ausbreitung von Prinzipien westlicher Prägung wurde von den world institutionalists empirisch in Zeitreihenanalysen nachgewiesen; einer der Schwerpunkte stellte der Bereich Bildung dar.115 In Einzelstudien wurden für den Zeitraum nach
109 Im Rahmen dieser Arbeit können die theoretischen Reflexionen und empirischen Befunde der world polity-Forschung nur stark komprimiert dargestellt werden. Für eine ausführlichere Einführung eignet sich neben der auf Deutsch vorliegenden Aufsatzsammlung Weltkultur ferner: George M. Thomas/John W. Meyer/Francisco O. Ramirez/John Boli: Institutional Structure. Constituting State, Society, and the Individual. Newbury Park, Beverly Hills, London u. a.: Sage Publications 1987. Vgl. ebenfalls die kritische Würdigung des world polity-Ansatz von: Martha Finnemore: Norms, Culture, and World Politics. Insights from Sociology’s Institutionalism. In: International Organization 50 (1996), H. 2, S. 325–347. 110 Georg Krücken: Amerikanischer Neo-Institutionalismus – europäische Perspektiven. In: Sociologia Internationalis 40 (2002), S. 227–259, hier S. 231. 111 John W. Meyer: The World Polity and the Authority of the Nation-State. In: Thomas/Meyer/ Ramirez/Boli: Institutional Structure, S. 41–70, hier S. 41. 112 Die Rolle der internationalen Nichtregierungsorganisationen bei der Durchsetzung der Weltkultur wird untersucht in: Constructing World Culture. International Nongovernmental Organizations since 1875. Hrsg. von John Boli und George M. Thomas. Stanford: Stanford University Press 1999. 113 John W. Meyer/John Boli/George M. Thomas/Francisco O. Ramirez: Die Weltgesellschaft und der Nationalstaat. In: Meyer: Weltkultur, S. 85–132, hier S. 129. Im Original erschien der Aufsatz unter dem Titel World Society and the Nation-State im American Journal of Sociology 103 (1997), H. 1, S. 144–181. 114 Weitere soziologische Konzepte, die die Weltgesellschaft ebenso wie die world institutionalists als soziales System und globale Ebene begreifen, die Nationalstaaten transzendieren, wurden vom Schweizer Soziologen Peter Heintz in Form eines Entwicklungsschichtungssystems und von Niklas Luhmann als ein Element seiner Systemtheorie vorgelegt. Gegenüber diesen Forschungen sind die Arbeiten Immanuel Wallersteins deutlich abzugrenzen, der Weltsysteme wesentlich aus einer ökonomisch-politischen Herrschaftsstruktur heraus analysiert und auf dieser Basis die Entstehung des kapitalistischen Systems und dessen Ausbreitung nachzeichnet. Vgl. einführend: Weltgesellschaft. Theoretische Zugänge und empirische Problemlagen. Hrsg. von Bettina Heintz. Stuttgart: Lucius & Lucius 2005; Theresa Wobbe: Weltgesellschaft. Bielefeld: Transcript Verlag 2000 (Themen der Soziologie). 115 Eine Zusammenfassung der Ergebnisse zur Forschung im Bereich Bildung liefern: Francisco O. Ramirez/John Boli: Global Patterns of Educational Institutionalization. In: Thomas/
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dem Zweiten Weltkrieg eine weltweite Expansion des Schulwesens und der höheren Bildung, eine Angleichung in den Zielsetzungen nationaler Bildungspolitiken sowie eine Homogenisierung von Schultypen, Regelschulzeiten und Curricula festgestellt.116 Diese strukturelle Isomorphie von Bildungssystemen konnte in verschiedenartigen Gesellschaften mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und wirtschaftlichen Ressourcen identifiziert werden. Während die frühe world polityForschung Bildung ausschließlich als ein Merkmal von Weltkultur analysierte und somit zunächst nicht gefragt wurde, welche Triebkräfte und Prozesse die Homogenisierung der Bildungsmuster verursachen, konzentriert sich die spätere Forschung auf die Analyse der Mechanismen, die die Standardisierung von Bildungssystemen erzeugen. In ihrer Studie Constructing Education for Development identifiziert Colette Chabbott internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, insbesondere die UNESCO und die Weltbank, als diejenigen Akteure, die wesentlich für die globale Verbreitung der westlich geprägten Bildungssysteme und für die Konzeption von Bildung als bedeutendem Faktor von Entwicklung verantwortlich sind.117 In diesem Zusammenhang wird die These aufgestellt, dass die Position von Bildung im entwicklungspraktischen Denken weniger durch wissenschaftliche Studien gestützt sei, sondern vielmehr in einem abendländisch geprägten Glauben an die Kraft der Bildung begründet liege, der durch entsprechende Publikationen, Konferenzen und Deklarationen eine Standardisierung und Legitimierung im entwicklungspoli-
Meyer/Ramirez/Boli: Institutional Structure, S. 150–172; John W. Meyer/Francisco O. Ramirez: Die globale Institutionalisierung der Bildung. In: Meyer: Weltkultur, S. 212–234. Der world polity-Ansatz ist auch für andere gesellschaftliche Teilbereiche fruchtbar gemacht worden, so wurde beispielsweise die globale Ausbreitung von Umweltschutzparadigmen und Menschenrechten untersucht. Eine umfangreiche Bibliographie zur world polity-Forschung ist vom Department of Sociology an der Emory University erarbeitet worden: John Boli/Selina R. Gallo-Cruz/Matthew D. Mathias: World Society-World Polity Theory Biography (20.5.2009). Abzurufen unter: Blog »World Society, Institutional Theory, and Globalization«. URL: http://worldpolity.wordpress.com/2009/05/21/ world-societyworld-polity-bibliography/[15.4.2013]. 116 Vgl. John W. Meyer/Francisco O. Ramirez/Richard Rubinson/John Boli-Bennett: The World Educational Revolution, 1950–1970. In: Sociology of Education 50 (1977), H. 4, S. 242–258; Robert Fiala/Audri Gordon Lanford: Educational Ideology and the World Educational Revolution, 1950–1970. In: Comparative Education Review 31 (1987), H. 3, S. 315–332; Francisco O. Ramirez/Phyllis Riddle: The Expansion of Higher Education. In: International Higher Education. An Encyclopedia. Hrsg. von Philip G. Altbach. New York, London: Garland Publishing 1991, S. 91–105; John W. Meyer/Francisco O. Ramirez/Yasemin Nuhoglu Soysal: World Expansion of Mass Education, 1870–1980. In: Sociology of Education 65 (1992), H. 2, S. 128–149; School Knowledge for the Masses. World Models and National Primary Curricular Categories in the Twentieth Century. Hrsg. von John W. Meyer, David H. Kamens und Aaron Benavot. Washington, D.C., London: Falmer Press 1992 (Studies in Curriculum History Series. 19). 117 Vgl. Colette Chabbott: Constructing Education for Development. International Organizations and Education for All. New York, London: Routledge Falmer 2003 (Reference Books in International Education).
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tischen Diskurs erfahren habe.118 Damit steht der sozial konstruierte Glaube an die gesellschaftlichen und entwicklungsrelevanten Wirkweisen von Bildung119 in einem starken Kontrast zum tatsächlichen Wissen um ihre Auswirkungen120 , mit anderen Worten werden »Blaupausen und Drehbücher der Bildung«121 zu Zwecken der Entwicklung inszeniert, ohne dass diese eine nachgewiesene Funktion für die jeweiligen Gesellschaften hätte. Der Glaube an Bildung dient vielmehr der Legitimation von Handlungen, die nicht per se funktional oder effizient sein müssen: Solche diffusen funktionalistischen Annahmen über Akteure, Handlungen und vermutete Kausalbeziehungen machen den Kern der Weltkultur aus. Sie sind die unhinterfragbaren Rahmenannahmen, die noch in den entferntesten Winkeln der Erde umgesetzt werden und Ergebnisse hervorbringen, die man in keiner vernünftigen Weise als ›funktional‹ für die jeweiligen Gesellschaften bezeichnen kann.122
Damit kommt es im Bereich der Bildung wie auch bei anderen Prinzipien der Weltkultur zu erheblichen Divergenzen zwischen formaler Aneignung und praktischer Umsetzung: So werden die westlichen Bildungsmodelle zwar von vielen Entwicklungsländern formal übernommen, aber tatsächlich nie oder nur mit unzureichenden Ressourcen implementiert.123 Mit der Betonung der Entkopplung zwischen formaler Anpassung und Umsetzung distanziert sich die world polity-Forschung von den
118 Für weitere, in der Tradition der world polity-Forschung stehende Studien zur Rolle internationaler Organisationen bei der Ausbreitung von Bildung und der Prägung von Bildungspolitiken und -inhalten vgl.: Anja P. Jakobi: Die Bildungspolitik der OECD. Vom Erfolg eines scheinbar machtlosen Akteurs. In: Zeitschrift für Pädagogik 53 (2007), H. 2, S. 166–181; mit besonderen Fokus auf die Instrumentarien, die internationalen Organisation zur Diffusion zur Verfügung stehen, siehe: Anja P. Jakobi/Kerstin Martens: Diffusion durch Internationale Organisationen. Die Bildungspolitik der OECD. In: Transfer, Diffusion und Konvergenz von Politiken. Hrsg. von Katharina Holzinger, Helge Jörgens und Christoph Knill. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2007 (Politische Vierteljahresschrift. Sonderheft 38), S. 247–270. 119 Für Georg Krücken symbolisiert Bildung »wie vermutlich kein anderer gesellschaftlicher Handlungsbereich allgemeine Rationalitätsmythen – etwa die des gesellschaftlichen Fortschritts und der individuellen Entwicklungsfähigkeit«. Georg Krücken: Einleitung. In: Meyer: Weltkultur, S. 7–16, hier S. 14–15. 120 So heißt es bei Chabbott/Ramirez: »A positive relationship between education and economic, political, and cultural development is widely assumed throughout much of the modern and modernizing world, yet research suggests that this relationship is problematic.« Colette Chabbott/Francisco O. Ramirez: Development and Education. In: Handbook of the Sociology of Education. Hrsg. von Maureen T. Hallinan. New York, Boston, Dordrecht u. a.: Kluwer Academic, Plenum Publishers 2000 (Handbooks of Sociology and Social Research), S. 163–187, hier S. 163. 121 Meyer/Ramirez: Institutionalisierung, S. 219. 122 Meyer/Boli/Thomas/Ramirez: Weltgesellschaft, S. 92. 123 Vgl. dazu die Ergebnisse einer Fallstudie aus Botsuana: J. W Meyer/J. Nagel/C. W. Snyder: The Expansion of Mass Education in Botswana. Local and World Society Perspectives. In: Comparative Education Review 37 (1993), H. 4, S. 454–475.
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Annahmen der Modernisierungstheorien der fünfziger und sechziger Jahre, die die Möglichkeit einer Steigerung gesamtgesellschaftlicher Rationalität postuliert hatten. Zudem grenzt sie sich von modernisierungstheoretischen Überlegungen dadurch ab, dass sie Rationalisierungsprozesse als »mytisch überhöht, mit Symbolen unterlegt und ritualisiert in Szene gesetzt« versteht, mithin »vermeintlich objektive Notwendigkeiten als kulturelle Konstrukte entzaubert«124 . Die world polity-Forschung weist darauf hin, dass die Normen und Modelle der Weltkultur keineswegs eine objektive Funktionalität für jede Gesellschaft haben und als kollektiv geteilte Annahmen und Erwartungshorizonte häufig zwar formal angenommen, nicht zwangsläufig aber auch umgesetzt werden. Kritik an den weltgesellschaftstheoretischen Überlegungen der Stanford School wird sowohl an dem Gehalt der Weltkultur, als auch im Hinblick auf die Superiorität dieser Struktur über die Agentschaft geäußert: Insbesondere ist die Annahme einer sich global vereinheitlichenden, in sich kaum dynamischen, sondern eher starren Weltkultur kritisiert worden, in der weltweit zu konstatierende Phänomene von Fragmentierung sowie lokale Ausprägungen keine Berücksichtigung finden und die inhaltliche Ausrichtung der Weltkultur kaum wandelbar ist.125 Zudem wird die mit der Dominanz der Struktur einhergehende Konstitution von Akteuren als abhängig, d. h. »sich dem externen gesellschaftlichen Drehbuch der ›world polity‹ entsprechend verhaltend«126 , als problematisch angesehen.127 Als Erwartungsstruktur dominiert und determiniert die Weltkultur das Verhalten der Akteure, insbesondere auch das internationaler Organisationen. Zwar postuliert die world polity-Forschung die konstitutive Rolle von internationalen Organisationen für die weltweite Ausbreitung westlich geprägter Normen und Modelle; im Vergleich zur Konzeption bei Barnett und Finnemore kommt internationalen Organisationen damit allerdings ein sehr viel geringerer Autonomiegrad zu, da sie lediglich Diffusionskanäle sind, aber die Entstehung, Ge-
124 Georg Krücken: Der »world-polity«-Ansatz in der Globalisierungsdiskussion. In: Meyer: Weltkultur, S. 300–318, hier S. 301 und S. 310. 125 Der Bildungshistoriker Jürgen Schriewer schlägt mit »kulturellen Bedeutungswelten« ein der world polity gegensätzliches, sie aber zugleich ergänzendes Konzept vor: Kulturelle Bedeutungswelten und Weltkultur sollen ermöglichen, die Gleichzeitigkeit von Homogenisierung und Fragmentierung, von Globalem und Lokalem, von Konvergenz und Divergenz zu analysieren. Vgl. Jürgen Schriewer: Weltkultur und kulturelle Bedeutungswelten – zum Thema des Bandes. In: Weltkultur und kulturelle Bedeutungswelten. Zur Globalisierung von Bildungsdiskursen. Hrsg. von Jürgen Schriewer. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2007 (Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnung im Vergleich. 2), S. 7–20. Einige Anmerkungen zur Dynamik und Möglichkeiten des Wandels von Weltkultur finden sich bei: Meyer/Boli/Thomas/Ramirez: Weltgesellschaft, insbesondere S. 119– 129. 126 Krücken: Amerikanischer Neo-Institutionalismus, S. 235. 127 Eine ähnliche Kritik äußert auch Martha Finnemore: »Actors create structures which take on a life of their own and in turn shape subsequent action. Social structures create and empower actors who may act to overturn structures for reasons of their own. In any given situation both play an role.« Finnemore: National Interests, S. 30.
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nerierung oder Veränderung von Normen und Werten nicht oder kaum beeinflussen können. In der Geschichtswissenschaft ist – der Erweiterung des historischen Spektrums auf globalgeschichtliche und transnationale Zusammenhänge geschuldet – eine stärkere Berücksichtigung von internationalen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Netzwerken als Akteuren und Bezugsgrößen in der internationalen Gesellschaftsgeschichte128 als auch in der Geschichte der Internationalen Beziehungen129 eingefordert worden. Für die historische Analyse internationaler Organisationen sind insbesondere die Arbeiten des US-amerikanischen Historikers japanischer Herkunft Akira Iriye richtungsweisend: In seiner Studie Cultural Internationalism and World Order plädiert er dafür, bei der Untersuchung der internationalen Beziehungen und der zunehmenden Verflechtung der Weltteile neben politischer und wirtschaftlicher Macht auch kulturelle Faktoren wie Ideen, Normen, Lebensstile sowie Werte und deren internationale Austauschprozesse zu berücksichtigen.130 Er führt somit die »Ebene der Ideen und Kultur mit Ereignissen und Prozessen aus der politischen Geschichte«131 zusammen. Dabei legt Iriye ein weiteres Verständnis von Kultur zugrunde, das in Anlehnung an die anthropologische Definition von Clifford Geertz nicht nur die sogenannte Hochkultur einschließt, sondern umfassender als »structure of meanings«132 konzipiert ist.133 Dieser Ansatz wird in Global Community. The Role of International Organiza-
128 Vgl. Guido Müller: Internationale Gesellschaftsgeschichte und internationale Gesellschaftsbeziehungen aus Sicht der deutschen Geschichtswissenschaft. In: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Hrsg. von Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller. Köln: Böhlau 2004, S. 231–258. 129 Vgl. Wolfram Kaiser: Transnationale Weltgeschichte im Zeichen der Globalisierung. In: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Hrsg. von Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller. Köln: Böhlau 2004, S. 65–92, hier S. 87–88. 130 Vgl. Iriye: Cultural Internationalism; ders.: Culture and International History. In: Explaining the History of American Foreign Relations. Hrsg. von Michael J. Hogan und Thomas G. Paterson. Cambridge, New York, Port Chester u. a.: Cambridge University Press 1991, S. 214–225. 131 Ursula Lehmkuhl: Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte. Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Institutionalismus. In: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), H. 3, S. 394–423, hier S. 398. 132 Iriye: Cultural Internationalism, S. 3. 133 Einen Überblick über die Berücksichtigung kultureller Faktoren in der Analyse internationaler Beziehungen liefert: Jessica C. E. Gienow-Hecht: On the Diversity of Knowledge and the Community of Thought. Culture and International History. In: Culture and International History. Hrsg von Jessica C. E. Gienow-Hecht und Frank Schumacher. New York, Oxford: Berghahn Books 2003 (Explorations in Culture and International History Series), S. 3–26. Eine kritische Diskussion dieses cultural approach findet sich unter anderem bei: Volker Depkat: Cultural Approaches to International Relations – A Challenge? In: Culture and International History. Hrsg. von Jessica C. E. Gienow-Hecht und Frank Schumacher. New York, Oxford: Berghahn Books 2003 (Explorations in Culture and International History Series), S. 175–197.
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tions in the Making of the Contemporary World ausgebaut: Die Entwicklung einer global consciousness, d. h. des Bewusstwerdens und Thematisierens von globalen Herausforderungen wie beispielsweise Menschenrechten, humanitärer Hilfe, internationaler Verständigung, Umweltschutz oder Gesundheitspolitik, wird als Leistung des internationalen Systems herausgestellt, das sich aus weltweit tätigen Regierungsund Nichtregierungsorganisationen zusammensetzt.134 Somit werden bei Iriye internationale Organisationen und eine transnational vernetzte Zivilgesellschaft zu integralen Bestandteilen einer global konzipierten Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Während Iriye die Wirk- und Gestaltungskräfte internationaler Organisationen in sehr groben Zügen skizziert und damit eher einen theoretischen Referenzrahmen und ein Forschungsprogramm vorgibt, hat sich die Forschung deutscher Provenienz vorwiegend konkreten, empirischen Einzelfallanalysen zugewandt und die Funktions- und Wirkweisen internationaler Organisationen in spezifischen Themenfeldern ins Auge genommen.135 So wurde insbesondere der Völkerbund als »Kristallisationspunkt einer bürgerlich-engagierten, transnationalen Öffentlichkeit [untersucht], in welcher sich normative Vorstellungen artikulieren, die dann auf die internationale Politik im Globalisierungsprozess rückwirkten«136 . Hierbei wurden unter anderem die Internationalisierung der Bildung und der Bildungspolitik in den Blick genommen.137 Isabella Löhr analysiert in ihrer Dissertation die Rollen der Organisation für geistige Zusammenarbeit und der UNESCO bei der globalen Ausweitung der urheberrechtlichen Schutzbestimmungen.138 Löhr arbeitet dabei die Leistung internationaler Organisationen bei der Bündelung und Zusammenführung staatlicher und nicht staatlicher Interessen heraus und charakterisiert deren Funktion damit ebenfalls als
134 Vgl. Akira Iriye: Global Community. The Role of International Organizations in the Making of the Contemporary World. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 2004. 135 Einen historischen Überblick über die Entwicklung und Bedeutung internationaler Organisationen liefert: Madeleine Herren: Internationale Organisationen seit 1865. Eine Globalgeschichte der internationalen Ordnung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009 (Geschichte kompakt). 136 Eckhardt Fuchs/Matthias Schulz: Globalisierung und transnationale Zivilgesellschaft in der Ära des Völkerbundes. Zur Einführung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), H. 10, S. 837– 839, hier S. 838–839. 137 Vgl. Eckhardt Fuchs: Der Völkerbund und die Institutionalisierung transnationaler Bildungsbeziehungen. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), H. 10, S. 888–899. Ähnlich, aber mit Berücksichtigung von Aspekten der Netzwerktheorie: Ders.: The Creation of New International Networks in Education: The League of Nations and Educational Organizations in the 1920s. In: Paedagogica Historica 43 (2007), H. 2, S. 199–209. 138 Vgl. Isabella Löhr: Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. Neue Strukturen internationaler Zusammenarbeit 1886–1952. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. 195).
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»Kommunikationsarenen, Regulierungs- und Koordinationsinstrumente« und globale »Denkfabrik[en]«139 . Trotz unterschiedlicher disziplinärer Herkunft sowie verschiedenen methodischen und theoretischen Ansätzen und Hintergründen treffen sich die vorgestellten politikwissenschaftlichen, soziologischen und historischen Forschungen in dem Punkt, dass sie internationale Organisationen als relativ selbstständige, autonome Akteure begreifen, denen eine wesentliche Rolle bei der Etablierung und/oder Diffusion von Normen, Ideen und Diskursen attestiert wird. Dieses in den letzten fünfzehn Jahren geprägte Verständnis von internationalen Organisationen liegt auch dem UN Intellectual History Project zugrunde, das – wie sein Name schon andeutet – mit einem ideenhistorischen Ansatz die Entwicklung unterschiedlicher Arbeitsschwerpunkte der Vereinten Nationen (UN140 ) nachzeichnen will.141 Im Rahmen dieses Projekts sind unter anderem Studien zum Beitrag der UN zu Strategien und Konzepten der Entwicklungspolitik, zu Fragen der Sicherheitspolitik und Friedenssicherung, zur Stellung der Frau sowie zur statistischen Vermessung der Welt durch UN-Statistiken entstanden.142
139 Matthias Schulz: Globalisierung, regionale Integration oder Desintegration. Der Völkerbund und die Weltwirtschaft. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), H. 10, S. 840–851, hier S. 841 und S. 851. 140 Im Rahmen dieser Arbeit werden die Vereinten Nationen nicht – wie im deutschsprachigen Raum im Politikbetrieb als auch in der völkerrechtlichen Literatur durchaus auch üblich – als VN, sondern als UN abgekürzt. Die Nutzung des englischen, international gängigen Akronyms ist m. E. stringent, da in der Regel alle anderen Organisationen der UN-Familie im Deutschen ebenfalls mit dem englischen Kürzel (so etwa FAO, UNICEF oder UNESCO) bezeichnet werden. 141 Das UN Intellectual Project konzentriert sich vor allem auf die weniger beachteten Tätigkeiten der Vereinten Nationen in den Bereichen Wirtschaft und Soziales. Es umfasst auch ein Oral HistoryProjekt. Eine knappe Darstellung des Projekts und seiner Ziele findet sich bei: Louis Emmerij: An Intellectual History of the United Nations. In: Development in Practice 12 (2002), H. 5, S. 653–655. Die UN-Studien werden durch die Politikwissenschaften dominiert. Historische Aufarbeitungen der Geschichte der Vereinten Nationen sind seltener und sind bis dato vorwiegend einer institutionshistorischen Perspektive verpflichtet. Für eine Diskussion des Forschungsstandes sowie für Forschungsberichte unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zu den Vereinten Nationen vgl.: UN Studies. Umrisse eines Lehr- und Forschungsfeldes. Hrsg. von Manuel Fröhlich. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2008 (The United Nations and Global Chance. 1). 142 In der Reihe United Nations Intellectual History Project sind u. a. erschienen: Louis Emmerij/Richard Jolly/Thomas G. Weiss: Ahead of the Curve. UN Ideas and Global Challenges. Bloomington: Indiana University Press 2001; Michael Ward: Quantifying the World. UN Ideas and Statistics. Bloomington: Indiana University Press 2004; Richard Jolly/Louis Emmerij/Dharam Ghai/Frédéric Lapeyre: UN Contributions to Development Thinking and Practice. Bloomington: Indiana University Press 2004; Devaki Jain: Women, Development, and the UN. A Sixty Year Quest for Equality and Justice. Bloomington: Indiana University Press 2005; Stephen Neil MacFarlane/Yuen Foong Khong: Human Security and the UN. A Critical History. Bloomington: Indiana University Press 2006.
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In der historischen UNESCO-Forschung sind diese »innovative[n] Ansätze zu einer sozial und kulturell fundierten Ideengeschichte«, die versuchen, »vom UN-System ausgehend, inter- und transnationale Felder des Diskurses auszumachen«143 , bisher allerdings selten.144 Es überwiegen Studien, die die Geschichte der UN-Sonderorganisation in einem latent positivistischen Verständnis nachzeichnen, sehr häufig in Form einer chronologischen Aufbereitung bearbeiten und nicht selten aus der Feder ehemaliger UNESCO-Funktionäre stammen.145 Zahlreiche UNESCO-eigene Publikationen dokumentieren ebenfalls die Entwicklung der Institution; ihr wissenschaftlicher Wert muss aber aufgrund des selbstdarstellerischen und der Öffentlichkeitsarbeit dienenden Charakters kritisch beurteilt werden muss.146 Besonderes Augenmerk legte die Forschung bis dato auf die Genese und Entwicklung der Vorgängerin der UNESCO, der Organisation für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes147 , sowie auf die Entstehungsgeschichte der UNESCO und die philosophischen Grundlagen sowie politischen Kontexte, die zu ihrer Gründung führten.148
143 Jost Dülffer: Historische UN-Forschung in Deutschland. In: UN Studies, S. 101–115, hier S. 112. 144 Neben Studien, die einer historischen Perspektive verpflichtet sind, existieren einführende Überblicksdarstellungen, die auf Organisationsstruktur, historische Entwicklung und aktuelle Tätigkeitsfelder der UNESCO eingehen, so etwa jüngst: J. P. Singh: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). Creating Norms for a Complex World. London: Routledge 2011 (Routledge Global Institutions. 46). 145 Vgl. beispielhaft: Walter Herman Carl Laves/Charles A. Thomson: UNESCO. Purpose, Progress, Prospects. Bloomington: Indiana University Press 1957; Jean Thomas: UNESCO. Paris: Gallimard 1962; James P. Sewell: UNESCO and World Politics. Engaging in International Relations. Princeton, London: Princeton University Press 1975; Richard Hoggart: An Idea and Its Servants. UNESCO from Within. London: Chatto & Windus 1978. Für weitere Studien zur Geschichte der UNESCO sei hier verwiesen auf die ausführlichen Bibliographien in: Klaus Hüfner/Wolfgang Reuter: UNESCO-Handbuch. 2. Auflage. Bonn: UNO-Verlag 2005; Historical Dictionary of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). Hrsg. von Seth Spaulding und Lin Lin. Lanham, London: The Scarecrow Press 1997 (International Organizations Series. 13). 146 Vgl. u. a.: Michel Conil Lacoste: The Story of a Grand Design: UNESCO 1946–1993. People, Events and Achievements. Paris: UNESCO 1994 (UNESCO Reference Books); Fernando Valderrama: A History of UNESCO. Paris: UNESCO 1995; Roger-Pol Droit: Humanity in the Making. Overview of the Intellectual History of UNESCO 1945–2005. Paris: UNESCO 2005; Sixty Years of Science at UNESCO. 1945–2005. Paris: UNESCO Publishing 2006. 147 Vgl. Jean-Jacques Renoliet: L’UNESCO oubliée. La société des nations et la coopération intellectuelle (1919–1946). Paris: Publications de la Sorbonne 1999 (Série internationale. 59); Pham-Thi-Tu: La coopération intellectuelle sous la Société des Nations. Genf, Paris: Librairie E. Droz, Librairie Minard 1962 (Travaux de droit, d’économie, de sociologie et de sciences politiques. 22). 148 Vgl. die nach wie vor relevanten Darstellungen älteren Datums von: Hans-Heinz Krill: Die Gründung der UNESCO. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 13 (1968), H. 3, S. 247–279; Jan Kolasa: International Intellectual Cooperation. The League Experience and the Beginnings of UNESCO. Warschau 1962 (Travaux de la société des sciences et des lettres de Wroclaw. Seria A. Nr. 81); Denis Mylonas: La genèse de l’UNESCO. La Conférence des Ministres alliés de l’Education (1942–1945). Brüssel: Etablissements Émile Bruylant 1976 (Organisation internationale et relations internationales).
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Darüber hinaus wurde die Politisierung der UNESCO im Kalten Krieg in den Blick genommen.149 Christopher Pearson und Iris Schröder analysieren die mit Planung und Bau des UNESCO-Gebäudekomplexes am Place de Fontenoy verknüpften (politischen) Botschaften und dem durch die Architektur vermittelten Selbstverständnis der UN-Organisation.150 In der quellenbasierten, äußerst faktengesättigten Dissertation von Chloé Maurel wird erstmals tiefgehender die Entwicklung der UNESCO bis Mitte der siebziger Jahre analysiert.151 Mit der Akzentsetzung auf die Entwicklung der Programmschwerpunkte152 , den Einfluss der Generaldirektoren und die Auswirkungen des Kalten Krieges – während die institutionelle Seite (Organisationsstruktur, Mitarbeiter, Budget) eher vernachlässigt bleibt – leistet Maurel einen ersten, großen Beitrag zu einer weiterhin ausstehenden Gesamtgeschichte der UNESCO, die in sozial- und ideengeschichtlicher Tradition die sich ändernden Konfigurationen ihrer Innen- und Außenwelt, die institutionelle und programmatische Entwicklung berücksichtigen sollte.153 Neben Studien, die die gesamte Organisation in den Blick nehmen, existieren wissenschaftliche Abhandlungen, die sich auf die Tätigkeiten der Organisation in einzelnen Arbeitsbereichen konzentrieren: In einer in Harvard entstandenen Dissertation untersucht Lisa Wong das UNESCO-Langzeitprogramm zur gegenseitigen Anerkennung kultureller Werte im Orient und Okzident, mit dessen Hilfe die UNESCO
149 Vgl. Gail Archibald: Les États-Unis et l’UNESCO 1944–1963. Les rêves peuvent-ils résiter à la réalité des relations internationales? Paris: Publications de la Sorbonne 1993 (Série internationale. 44); Sagarika Dutt: The Politicization of the United Nations Specialized Agencies. A Case Study of UNESCO. Lewiston, Lampeter: The Edwin Mellen Press 1995. 150 Christopher E. M. Pearson: Designing UNESCO. Art, Architecture, and International Politics at Mid-Century. Farnham, Burlington: Ashgate 2010; Iris Schröder: Der Beton, die Stadt, die Kunst und die Welt. Der Streit um die Pariser UNESCO-Gebäude. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 7 (2010), H. 1, S. 7–29. 151 Vgl. Chloé Maurel: L’UNESCO de 1945 à 1974. Thèse de doctorat d’histoire contemporaine preparée sous la direction de M. Pascal Ory. Paris: Ecole doctorale d’histoire de Paris I 2005. Die über eintausend Seiten umfassende Dissertation wurde stark gekürzt publiziert als: Dies.: Histoire de l’UNESCO. Les trente premières années 1945–1974. Paris: L’Harmattan 2010. 152 Da Maurel prinzipiell a l l e Programmaktivitäten der UNESCO in den Bereichen Wissenschaft, Bildung, Kultur und Kommunikation zu berücksichtigen sucht, bleibt es nicht aus, dass einzelne Projekte nicht tiefenscharf untersucht werden (können). Zur Analyse einzelner Programme greift Maurel dann auch meist auf gedruckte Quellen zurück, nur in seltenen Fällen werden zusätzlich auch archivalische Quellen konsultiert, was eine oberflächliche Darstellung zum Beispiel der buchfördernden Maßnahmen in den Entwicklungsländern zur Konsequenz hat. 153 Die UNESCO hat ein dem UN Intellectual History Project ähnlich konzipiertes Vorhaben, das UNESCO History Project, auf den Weg gebracht. Die dadurch stimulierte Aufarbeitung der Geschichte der UNESCO trägt bereits erste Früchte, vgl.: 60 ans d’histoire de l’UNESCO. Actes du colloque international, Paris, 16–18 novembre 2005. Paris: UNESCO 2007.
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die Verständigung zwischen westlicher und östlicher Welt verbessern wollte.154 Die Aktivitäten der UNESCO als einer der Hauptträger internationaler Bildungspolitik sind bisher nur unzureichend gewürdigt worden.155 Eine Ausnahme in dieser Hinsicht stellt die Studie des australischen Bildungshistorikers Philip Jones zur Alphabetisierung dar: Auf überzeugende Weise analysiert Jones, wie sich die institutionelle Entwicklung der UNESCO, deren verstärkte Ausrichtung im entwicklungspolitischen Feld und die Konzeption und Formulierung von Alphabetisierungsprogrammen bedingen.156 Connie McNeely untersucht mit einem der world polity-Forschung nahestehenden Ansatz die Homogenisierung nationaler Gesetzgebung im Bildungsbereich durch die Vorgaben und Politikvorschläge der UNESCO.157 Karen Mundy beleuchtet Möglichkeiten und Grenzen des bildungspolitischen Engagements der UNESCO vor dem Hintergrund weltpolitischer Veränderungen und im Vergleich zu denjenigen Aktivitäten, die andere multilaterale Träger von Bildungspolitik158 realisiert haben.159 Zahlreiche wissenschaftliche Artikel über spezifische Aspekte der UNESCOArbeit sind nicht historisch angelegt, sondern kommentieren und bewerten tagesaktuell einzelne Programme und Tätigkeiten. Dieses gilt insbesondere für die die Organisation Ende der siebziger und zu Beginn der achtiger Jahre erschütternden
154 Laura Elizabeth Wong: Cultural Agency: UNESCO’s Major Project on the Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values, 1957–1966. Dissertation. Cambridge, Massachusetts: Harvard University 2006. Die Ergebnisse der Dissertation wurden zusammenfassend veröffentlicht in: Dies.: Relocating East and West: UNESCO’s Major Project on Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values. In: Journal of World History 19 (2008), H. 3, S. 349–374. 155 Die UNESCO selbst hat in einer Festschrift ihr Engagement im Bereich Bildung herausgestellt. Vgl. 50 Years of Education. Hrsg. von Etienne Brunswic, René Ochs, Jean-Claude Pauvert und Ryan John. Paris: UNESCO 1997. 156 Vgl. Philip Worner Jones: International Policies for Third World Education. UNESCO, Literacy and Development. London, New York: Routledge 1988; ders.: UNESCO and the Politics of Global Literacy. In: Comparative Education Review 34 (1990), S. 41–60. 157 Vgl. Connie L. McNeely: Prescribing National Educational Policies. The Role of International Organizations. In: Comparative Education Review 39 (1995), H. 4, S. 483–507. 158 Zu den Trägern internationaler Bildungspolitik zählen u. a. die Weltbank, UNICEF und die OECD. Deren bildungspolitische Aktivitäten wurden aufgearbeitet in: Miriam Henry/Bob Lingard/Fazal Rizvi/Sandra Taylor: The OECD, Globalisation, and Education Policy. Amsterdam, London, New York u. a.: Pergamon 2001 (Issues in Higher Education); Phillip W. Jones: World Bank Financing of Education. Lending, Learning and Development. London: Routledge 1992; H. M. Phillips: UNICEF in Education. A Historical Perspective. New York: Unicef 1987 (UNICEF History Series. 9). 159 Vgl. Karen Mundy: Educational Multilateralism in a Changing World Order. UNESCO and the Limits of the Possible. In: International Journal of Educational Development 19 (1999), S. 27–52; dies.: Educational Multilateralism and World (Dis) Order. In: Comparative Education Review 42 (1998), S. 448–478; dies.: The Evolution of Educational Multilaterialism 1945 to 2005. In: Bildung international. Historische Perspektiven und aktuelle Entwicklungen. Hrsg von Eckhardt Fuchs. Würzburg: Ergon-Verlag 2006 (System und Geschichte. Studien zur Bildungsgeschichte. 1), S. 181–199.
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Debatten um eine neue Weltinformations- und Kommunikationsordnung.160 In zahlreichen Publikationen wurden die Möglichkeiten einer strukturellen Änderung des globalen Medien- und Nachrichtenwesens und seiner Besitzverhältnisse ebenso diskutiert wie die Frage, ob und inwiefern die Forderungen der Entwicklungsländer nach diesem Strukturwandel legitim seien. Somit wurden die stark politisierten Debatten innerhalb der UNESCO in einem akademischen Rahmen fortgesetzt.161 Stärker einer historischen Arbeitsweise verpflichtet sind die Arbeiten Christian Breunigs, Sami Rabichs und Veva Leyes, die die Entwicklung der Kommunikationspolitik der UNESCO nachzeichnen.162 Dem in den letzten Jahren entwickelten politikwissenschaftlichen, soziologischen und historischen Verständnis von internationalen Organisationen folgend, wird in der vorliegenden Studie die UNESCO als Beratungs- und Dienstleistungsstelle, Denkfabrik und »Wissensunternehmer«163 für alle Aspekte internationaler Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kommunikation und Kultur verstanden.164
160 Vgl. die Darlegung des Forschungsstandes bei: Ingrid A. Lehman: Die UNO aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. In: UN Studies, S. 161–176. 161 Stellvertretend für zahlreiche Artikel und Studien sei hier verwiesen auf: Siegfried Magiera: Eine Neue Internationale Informationsordnung. Anfang oder Ende grenzüberschreitender Kommunikationsfreiheit. In: Europa-Archiv 36 (1981), H. 19, S. 579–586; C. Roach: The Movement for a New World Information and Communication Order. A Second Wave. In: Media, Culture & Society 12 (1990), S. 283–307. 162 Vgl. Christian Breunig: Kommunikationspolitik der UNESCO. Dokumentation und Analyse der Jahre 1946 bis 1987. Konstanz: Universitätsverlag 1987; Sami Rabich: Zwischen Inter- und Transnationalismus. Die Kommunikationspolitik der UNESCO nach 1989/1990. Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie. Frankfurt/Main: Johann-Wolfgang GoetheUniversität, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften 2006; Veva Leye: UNESCO’s Communication Policies as Discourse: How Change, Human Development and Knowledge Relate to Communication. In: Media, Culture & Society 31 (2009), H. 6, S. 939–956. 163 Internationale Organisationen bezeichnet die deutsche Politikwissenschaftlerin Cornelia Ulbert als »Wissensunternehmer«, da sie »für sich den Besitz von Wissen reklamieren, das zur Lösung eines Problems notwendig ist und das sie Verhandlungsteilnehmern und Entscheidungsträgern anbieten«. Cornelia Ulbert: Wissenunternehmer und Argumentationsprozesse bei der Formulierung der ILO-Konvention zu den schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In: Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik. Herausgegeben von Cornelia Ulbert und Christoph Weller. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 247–282, hier S. 251–252. 164 Das dieser Arbeit zugrunde gelegte Verständnis der UNESCO als globale Akteurin bedeutet nicht, dass die Organisation als ›menschenleer‹ verstanden wird. Die Mitarbeiter der Organisation, die die Aktivitäten der UNESCO entwerfen, durchführen und verantworten, agieren aber im Rahmen der Ziel- und Zwecksetzungen sowie Handlungsmöglichkeiten der Organisation. Sie treten nicht als Einzelpersonen hervor, sondern handeln im Auftrag der UNESCO. Dabei können sie, wie anhand der Buchförderungsprogramme noch zu zeigen sein wird, Einfluss auf die Ausformung von Projekten und Strategien ausüben.
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Die UNESCO ist folglich als ein »transnationaler Grenzraum«165 zu begreifen, in dem Konzepte und Strategien zur Förderung und zum Austausch von Bildung, Wissenschaft, Kommunikation und Kultur entwickelt und vermittelt werden. Die inhaltliche Ausrichtung und der normative Gehalt der Aktivitäten der UNESCO sind im Rahmen dieser Arbeit nicht substanziell bestimmt und von vornherein determiniert. Im Gegensatz zur world polity-Forschung wird mithin nicht davon ausgegangen, dass die UNESCO als Transmissionsriemen einer homogenisierenden Weltkultur anzusehen ist, also der globalen Dissemination von ausschließlich westlichen Rationalisierungsund Fortschrittsvorstellungen dient. Vielmehr soll erst durch eine Analyse erschlossen werden, auf welchen Wert- und Normhorizonten die Aktivitäten und Programme der UNESCO basieren. Eine Untersuchung der Buchförderungsprogramme, die die UNESCO seit ihrer Gründung entwickelt und implementiert hat, ermöglicht es in einem klar abgegrenzten Bereich, die Funktionsweisen und Handlungsmöglichkeiten der UNESCO als internationaler Organisation zu beleuchten. Die Arbeit erhebt somit nicht den Anspruch, die Geschichte der UNESCO vollständig nachzuzeichnen, vielmehr soll am Beispiel der Buchförderungsprogramme dargestellt werden, wie die UNESCO als globale Denkfabrik Strategien und Konzepte entworfen und implementiert hat und wie diese Programme begründet und legitimiert wurden. In dieser Perspektive kann die Analyse der Buchförderungsprogramme der UNESCO auch als eine Fallstudie der Funktionsweisen und Handlungsbedingungen einer internationalen Organisation begriffen werden. Die wechselseitige Betrachtung der Handlungsbedingungen und -ressourcen der UNESCO als internationaler Organisation, ihrem Verständnis von den gesellschaftlichen Funktionen des Buches sowie der konkreten buchfördernden Praxis soll – so lässt sich die Zielsetzung der Arbeit zusammenfassen – zum einen ermöglichen, die Entwicklung der Buchförderungsprogramme der UNESCO nachzuvollziehen und ein Panorama der Gestaltungsoptionen buchfördernder Maßnahmen aufzuzeigen. Zum anderen strebt die Arbeit an, die Aussagen über die gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung des Mediums Buch zu analysieren, denn mit Konzeption und Durchführung von Programmen zur Buchförderung wird, so die zentrale These, nicht nur eine bessere Verfügbarkeit von Büchern intendiert, sondern es werden auch Aussagen zu Funktion und Stellenwert des Buches in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt und weltweit verbreitet.
165 Johannes Paulmann: Grenzüberschreitungen und Grenzräume. Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte. In: Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin. Hrsg. von Eckart Conze, Ulrich Lappenküper und Guido Müller. Köln: Böhlau 2004, S. 169–196, hier S. 183.
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1.5 Quellengrundlage und methodisches Vorgehen Die vorliegende Analyse der Buchförderungsprogramme der UNESCO basiert wesentlich auf Quellenbeständen aus dem Archiv der UN-Sonderorganisation an ihrem Hauptsitz in Paris.166 Da die UNESCO gegenüber ihren Mitgliedsstaaten zu einer detaillierten Aufstellung und Rechenschaft ihrer Tätigkeiten angehalten ist und sie die entsprechenden Dokumentationen in der Regel auch der Öffentlichkeit zugänglich macht, ist ein nicht unwesentlicher Bestandteil der für diese Arbeit relevanten Quellen wie z. B. Unterlagen der Generalkonferenzen, Arbeitsdokumente und Projektberichte als gedruckte Quellen zu charakterisieren.167 Die archivalischen Quellen umfassen demgegenüber vor allem Korrespondenz- und Projektakten.168 Für die drei Analyseschwerpunkte der Arbeit – die UNESCO als globale Akteurin, die Konzeptualisierung des Buches in Bezug auf sein gesellschaftliches Leistungsvermögen sowie die Ausgestaltung konkreter Buchförderungsprogramme – sind unterschiedliche Typen von Quellenmaterial relevant, die nachfolgend kurz erläutert werden sollen. Um die institutionelle Entwicklung der UNESCO, insbesondere im Hinblick auf die Aufgaben- und Schwerpunktsetzungen sowie die finanzielle und personelle Struktur, nachzeichnen zu können, sind Unterlagen der zunächst einmal im Jahr, ab 1954 im Rhythmus von zwei Jahren stattfindenden Generalkonferenzen sowie der Exekutivratssitzungen von Belang.169 Die Diskussionen über Zielsetzungen und
166 Informationen über die in sechzehn Archivgruppen (AG) klassifizierten Bestände des UNESCOArchivs finden sich auf der Homepage der Organisation. Dort besteht auch Zugang zu den wenigen, in elektronischer Form vorliegenden Findbüchern. Vgl. UNESCO Archives. Homepage. URL: http://www. unesco.org/archives/new2010/index.html [15.4.2013]. 167 Diese Dokumente der UNESCO – bei der es sich um sogenannte graue Literatur handelt – werden in der Bibliographie unter »Amtliche Dokumente der UNESCO und der UN« erfasst. Sie sind – im Gegensatz zu den Publikationen der UNESCO – in der Regel in Bibliotheken nicht zugänglich, können aber im Archiv der UNESCO konsultiert werden und sind – dank eines umfangreichen Digitalisierungsprojekts – auch auf der Homepage der UNESCO recherchier- und zumeist als PDF abrufbar. Vgl. UNESDOC Database. United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation. Homepage URL: http://www.unesco.org/new/en/unesco/resources/online-materials/ publications/unesdoc-database/ [15.4.2013]. 168 Das UNESCO-Archiv ist verhältnismäßig schlecht erschlossen und weist keinen hohen Grad an Systematik und Ordnung auf. Eine kohärente, detaillierte Übersicht über alle Archivbestände existiert nicht. Für die Projektakten des UNESCO-Sekretariats (AG 8: Secretariat Records) liegen lediglich zwei Findbücher in Form von Schlagwortkatalogen vor, die den Zeitraum zwischen 1946 und 1956 (1st Series) sowie zwischen 1957 und 1966 (2nd Series) abdecken. Für die Zeit nach 1966 existieren keine Findbücher, Materialien befinden sich teilweise in einem anderen Gebäude (Miollis) und sind dort nur durch Zufall auffindbar. Im Rahmen einer Restrukturierung des UNESCO-Archivs und einer Systematisierung und Beschreibung der Bestände im Access to Memory ist mittelfristig eine Verbesserung der Situation zu erhoffen. 169 Vgl. zur Organisationsstruktur der UNESCO ausführlich S. 55–57.
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Arbeitsschwerpunkte der UNESCO während der Generalkonferenzen170 und Exekutivratssitzungen171 , die verabschiedeten Programme und Haushalte172 sowie der jeweils zur Generalkonferenz von dem Generaldirektor abgelegte Rechenschaftsbericht über die Tätigkeiten der Organisation173 erlauben zum einen, die Aktivitäten der UNESCO im Bereich der Buchförderung sowie deren finanzielle Ausstattung und organisatorische Einbindung zu identifizieren. Zum anderen ist es auf Basis dieser Dokumente möglich, die auf Buchförderung zielenden Projekte in den Gesamtkontext der Entwicklung der Programmaktivitäten und programmatischen Schwerpunktsetzungen der UNESCO zu stellen.174 Erinnerungen von UNESCO-Funktionären bieten darüber hinaus einen lebendigen Einblick in die Arbeitswelten und Funktionsweisen einer internationalen Organisation.175 Um das Verständnis der UNESCO von den Funktionen und Leistungen des Buches nachzuzeichnen, ist es notwendig, die Begründungen der einzelnen buchfördernden Maßnahmen sowohl in der internen als auch in der nach außen gerichteten Kommunikation zu prüfen. Für Ersteres sind ebenfalls die Dokumente der Generalkonferenzen und Exekutivratssitzungen relevant sowie diejenigen Unterlagen, die in der Konzeption und Vorbereitungsphase der Buchförderungsprogramme intern entstanden und in Form von Programmentwürfen und -beschreibungen in den Projektakten zu finden sind. Anhand von Artikeln, die in allgemeinen Publikationsorganen wie UNESCO Courier 176 und UNESCO Chronicle177 oder in spezialisierten Zeitschriften und Newslettern wie UNESCO Bulletin for Libraries178 oder den Book Promotion News179 erschienen sind, lässt sich ermitteln, welches Verständnis vom Buch und von des-
170 Die Protokolle der Generalkonferenzen, die Proceedings, finden sich unter dem Dokumentenkürzel C/Proceedings. Das C weist darauf hin, dass es sich um ein Dokument der Generalkonferenz handelt, die Zahl vor dem C steht für die jeweilige Generalkonferenz. Bei einem Dokument, das das Kürzel 24 C/Proceedings trägt, handelt es sich um die Protokolle der 24. Generalkonferenz. 171 Die Entscheidungen des Exekutivrates finden sich unter dem Dokumentenkürzel EX/Decisions. 172 Die Programm- und Haushaltsentwürfe tragen das Dokumentenkürzel C/5. 173 Der Dokumentencode für die Berichte des Generaldirektors lautet C/3. 174 Die Dokumentationen der Generalkonferenzen (AG 4) und Exekutivratssitzungen (AG 5) sind im Archiv der UNESCO in Paris einzusehen. Die deutschen UNESCO-Depositbibliotheken, die Staatsbibliothek zu Berlin sowie die Deutsche Bücherei Leipzig, verfügen ihrerseits über einen fast vollständigen Bestand der Generalkonferenzdokumente sowie in Teilen auch der Exekutivratssitzungen. Ein Großteil der Unterlagen ist ebenso über die Homepage der UNESCO recherchier- und als PDF abrufbar. 175 Vgl. UNESCO: Memories and Reflections of Former Staff. Hrsg. von Association of Former UNESCO Staff Members (AFUS). Paris: UNESCO 2009. Die UNESCO selbst führt im Rahmen eines Oral History-Projekts Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern durch. Vgl. UNESCO Oral Archives Initiative. UNESCO Homepage. URL: http://www.unesco.org/archives/new2010/en/oral_archives.html [15.4.2013]. 176 Vgl. UNESCO Courier I (1948) – LIV (2001). 177 Vgl. UNESCO Chronicle. A Monthly Report from the UNESCO House I (1955) – XXVI (1980). 178 Vgl. UNESCO Bulletin for Libraries I (1947) – XXXII (1978). 179 Vgl. Book Promotion News 1 (1973) – 32 (1984).
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
sen Funktions- und Leistungspotenzialen die UNESCO kommuniziert hat. Auch Publikationen der UNESCO zu einzelnen Projekten bzw. zu allgemeinen Aspekten des Buchmarktes und Bibliothekswesens sind der Analyse des von der UNESCO gezeichneten Bildes vom Buch dienlich.180 Des Weiteren können Reden des Generaldirektors und einzelner UNESCO-Funktionäre bei Kongressen und Seminaren, in Fachzeitschriften publizierte Artikel sowie veröffentlichte Projektdarstellungen herangezogen werden.181 Die Analyse der Gestalt und Struktur der Buchförderungsprogramme basiert wesentlich auf archivalischen Quellen in Form von Programm- und Projektakten, die zumeist interne Korrespondenzen und Gesprächsnotizen, externen Schriftverkehr mit Programm- oder Projektpartnern sowie Projektskizzen, -berichte und -evaluationen enthalten. Teilweise sind Berichte und Dokumentationen einzelner Programme und Projekte auch veröffentlicht worden; Expertenberichte und Arbeitsunterlagen für die zahlreich von der UNESCO ausgerichteten Konferenzen und Seminare liegen ebenso vor.182 Die Archivbestände der UNESCO-Zentrale sind trotz der Fülle des dort aufbewahrten Materials aus zwei Gründen als unvollständig zu charakterisieren: Zum einen wurden zahlreiche Unterlagen während eines Brandes im Jahr 1983 zerstört, darunter auch für die Arbeit relevante Akten des Kommunikationssektors aus den sechziger und siebziger Jahren, einer Zeit, in der sich dieser UNESCO-Arbeitsbereich für die Buchförderung verantwortlich zeigte. Zum anderen sind von den Programmen, die die UNESCO in Zusammenarbeit mit regionalen Büros bzw. Zentren, nationalen Kommissionen oder lokalen Partnerinstitutionen durchgeführt hat, in der Regel keine Unterlagen im Pariser Archiv zu finden.183 Aus den genannten Gründen ist die Quellenlage vor allem im Hinblick auf diejenigen Buchförderungsprogramme schlecht, die die UNESCO ab Mitte der sechziger
180 Vgl.: Ronald E. Barker: Books for All. A Study of International Book Trade. Paris: UNESCO 1956; Robert Escarpit: The Book Revolution. Paris: UNESCO 1966 [auf Deutsch erschienen als: Die Revolution des Buches. Gütersloh: C. Bertelsmann Verlag 1967 (Schriften zur Buchmarktforschung. 10)]; Ronald E. Barker/Robert Escarpit: The Book Hunger. Paris: UNESCO 1973; Delavenay: For Books. 181 Die UNESCO hat auch buchbezogene Filme produziert, wie z. B. die Reportage Books for All über ihr Bibliothekspilotprojekt in Indien. Diese Filme sind zwar in der UNESCO vorhanden, aber für die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Sie konnten daher im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. 182 Übersichten über von der UNESCO abgehaltene Konferenzen und in ihrem Auftrag durchgeführte Missionen (meist AG 6) sind im UNESCO-Archiv einsehbar. Ein Großteil der Berichte über technische Missionen und der für Seminare und Konferenzen erstellten Unterlagen ist mittlerweile ebenfalls digitalisiert. 183 Im Rahmen dieser Arbeit wurde auch das für die Zwecke dieser Arbeit allerdings nicht sehr ergiebige Archiv des 1951 von der UNESCO in Mexiko gegründeten Elementarbildungszentrums CREFAL in Pátzcuaro, Michocán konsultiert.
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Jahre in Asien, Afrika und Lateinamerika implementiert hat und die im Rahmen eines umfangreichen Dezentralisierungsprogramms ab Ende der sechziger Jahre zur Gründung regionaler, mit erheblichen Kompetenzen für die Durchführung von Projekten ausgestatteten Buchförderungszentren (Regional Book Development Centre) führten. Es ist daher im Rahmen dieser Arbeit zusätzlich auf das Archiv des Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina y el Caribe (CERLALC), des lateinamerikanischen Buchförderungszentrums, zurückgegriffen worden: Die Archivbestände dieser Anfang der siebziger Jahre in Bogotá von der UNESCO und der kolumbianischen Regierung gegründeten und immer noch existierenden Institution ermöglichen es, die Arbeit eines von vier regionalen Buchförderungszentren exemplarisch als Fallstudie nachzuzeichnen und dadurch die Lücken zu schließen, die in den Beständen in Paris für die Buchförderungsprogramme vor allem der siebziger Jahre vorhanden sind. Die dafür in Bogotá zur Verfügung stehenden Materialien umfassen ähnlich wie im Pariser UNESCO-Archiv Jahresberichte, Programm- und Haushaltsentwürfe, Publikationen in Form von Zeitschriften, Broschüren und Büchern sowie Korrespondenzund Projektakten.184 Die hinsichtlich der regionalen Buchförderungszentren erläuterte Konzentration auf die ausführliche Analyse eines von mehreren, ähnlichen Projekten findet auch im Bezug auf andere Programme der UNESCO Anwendung. Die vor dem Hintergrund der Gesamtstruktur der UNESCO-Programme erfolgende, gezielte und detaillierte Auswertung einzelner Programme lässt es zu, typische Aspekte und markante Entwicklungen innerhalb der Buchförderung der UNESCO aufzuzeigen. Es erscheint folglich möglich, ausgehend von der exemplarischen Betrachtung einzelner Projekte Entwicklungstendenzen innerhalb der Buchförderungsprogramme der UNESCO deutlich zu machen. Fragestellungen nach der Struktur und dem Gehalt der UNESCO-Programme und das spezifische Interesse am Einzelfall schließen sich nicht aus. Maßnahmen zur Buchförderung sind generell im Kontext der jeweiligen Buchmärkte und Bibliothekssysteme zu sehen, auf denen sie wirksam werden sollen. Eine reine Analyse des Engagements der UNESCO zugunsten des Buches erscheint daher nicht ausreichend; vielmehr müssen die UNESCO-Programme vor dem Hintergrund der Strukturen und Spezifika der nationalen oder regionalen Buchkulturen betrachtet werden, in denen sie implementiert wurden. Um diese Kontextbedingungen berücksichtigen zu können, werden im Rahmen dieser Arbeit Studien herangezogen, die Genese und Beschaffenheit von Buchmärkten und Bibliothekswesen in einzelnen Ländern oder auch in regionaler Perspektive analysieren: Die Tatsache, dass sich die buchwissenschaftliche Forschung bisher vor allem an europäischen, nordamerikanischen, australischen und einigen asiatischen
184 Das Archiv des CERLALC ist im Gegensatz zum dem seiner Mutterorganisation UNESCO nicht auf externe Benutzer ausgerichtet. Ein Findbuch bzw. vollständige Aufstellungen über die Archivbestände existieren nicht.
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
Hochschulen etablieren konnte und dort zudem sehr nationalfixiert arbeitet, hat ein relativ großes Ungleichgewicht im Forschungsstand zur Folge: Während die historische Genese und Beschaffenheit von Buchmärkten und Bibliothekswesen in Europa, Nordamerika und einigen Ländern Asiens, hier vor allem Japans, Chinas aber auch Indiens, gut erforscht ist, mangelt es an Studien zum Buchhandel in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern und Gesellschaften, vor allem für den hier relevanten Zeitraum der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.185 Erst in den letzten Jahren sind – teils aus der angelsächsischen book history heraus186 , teils in den betreffenden Ländern selbst187 – verstärkt Untersuchungen zum afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Buchhandel und Bibliothekswesen im 20. Jahrhundert entstanden. Trotz dieser neueren Forschungen muss konstatiert werden, dass die blinden Flecken auf der buchgeschichtlichen Landkarte die notwendige Kontextualisierung und Kontrastierung der UNESCO-Programme deutlich erschweren. Es wird versucht, den skizzierten Defiziten im Forschungsstand durch die Erschließung von gedrucktem Quellenmaterial zu begegnen. Dazu werden neben internationalen Periodika der Branche auch nationale Fachzeitschriften punktuell ausgewertet sowie zeitgenössische Buchmarkt- und Bibliotheksstudien188 herangezogen, die teilweise im Auftrag der UNESCO erstellt worden sind.189 Berücksichtigt werden zudem Veröffentlichungen anderer Organisationen, welche die Förderung des Buches zu ihren Aufgaben zähl(t)en190 ; vor allem sind Publikationen der IFLA, des Franklin
185 Die nationalen bzw. regionalen Überblicksartikel, die im jüngst erschienenen Oxford Companion to the Book enthalten sind, bieten im Hinblick auf die Entwicklung der Buchmärkte im 20. Jahrhundert kaum relevante Informationen. 186 Vgl. z. B.: Robert Fraser: Book History through Postcolonial Eyes. Rewriting the Script. London, New York: Routledge 2008; Books without Border. Hrsg. von Robert Fraser und Mary Hammond. 2 Bände. London: Palgrave 2008. 187 Vgl. exemplarisch: Patricia May B. Jurilla: Tagalog Bestsellers of the Twentieth Century. A History of the Book in the Philippines. Quezon City: Ateneo de Manila University Press 2008; Shiraz Durrani: Never Be Silent. Publishing & Imperialism in Kenya. 1884–1963. London: Vita Books 2006; Editores y políticas editoriales en Argentina, 1880–2000. Hrsg. von José Luis de Diego. Buenos Aires: Fondo de Cultura Económica 2006 (Libros sobre libros). Auf weitere Forschungsliteratur wird an entsprechender Stelle verwiesen. 188 Zu denken ist hier insbesondere an die Buchmarktporträts, deren Herausgabe Sigfred Taubert in den siebziger Jahren verantwortete: The Book Trade of the World. Hrsg. von Sigfred Taubert und Peter Weidhaas. 4 Bände. Hamburg, London, New York: Verlag für Buchmarktforschung, André Deutsch, R. R. Bowker 1972–1984. Grundlegende Informationen zur Verfasstheit der Bibliothekslandschaften in einzelnen Ländern finden sich in: Encyclopedia of Library and Information Science. Hrsg. von Allen Kent et al. 73 Bände. New York, u. a.: Dekker 1968–2003. 189 In den achtziger Jahren wurden im Auftrag der UNESCO zahlreiche Studien zu einzelnen nationalen Buchmärkten erstellt und in der Reihe Studies on Books and Reading veröffentlicht. 190 Vgl. zu anderen ›Buchförderern‹: Tony Read: International Donor Agencies and Book Development. In: International Book Publishing. An Encyclopedia. Hrsg. von Philip G. Altbach und Edith S.
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Book Programs, der Weltbank und regional operierender Institutionen wie der Organisation Amerikanischer Staaten relevant.191 Im Hinblick auf quantitative Daten zum Buch- und Bibliothekswesen ist anzumerken, dass die meisten Studien auf das in den Statistischen Jahrbüchern der UNESCO veröffentlichte Zahlenmaterial zurückgreifen. Insbesondere für die Länder der sogenannten Dritten Welt liegen außer den UNESCOZahlen zumeist keine weiteren bibliometrischen Daten vor. Wenn die im Rahmen der Arbeit erschlossenen Quellen auch Rückschlüsse auf die Beschaffenheit und Verfasstheit nationaler oder regionaler Buchmärkte und Bibliothekslandschaften erlauben, können durch ihre Berücksichtigung die aufgezeigten Forschungslücken nicht geschlossen werden.192 Die vorliegende Analyse der Buchförderungsprogramme der UNESCO setzt mit der Gründung der Organisation 1946 ein und schließt im Jahr 1982, wobei in Einzelfällen Projekte und Programme, die im Untersuchungszeitraum begannen, aber in diesem nicht abgeschlossen wurden, auch über das Jahr 1982 hinaus weiter verfolgt werden. Das Jahr 1982 als Endpunkt dieser Untersuchung zu setzen, bietet sich aus mehreren Gründen an. Im Sommer jenes Jahres fand in London der von UNESCO einberufene World Congress on Books statt, der den Abschluss einer sogenannten Weltbuchdekade bildete.193 Die dort verabschiedete Erklärung »Towards a Reading Society« zeugt von einer sich ab Ende der siebziger Jahre langsam verändernden Schwerpunktsetzung der UNESCO: Die Pariser Organisation wendete sich nun vornehmlich der Leseförderung zu, was zwar nicht zu einer Aufgabe der Buchförderung, aber doch zu ihrer deutlichen Reduzierung führte. Parallel zu der Schwerpunktverschiebung von
Hoshino. New York, London: Garland Publishing 1995 (Garland Reference Library of the Humanities. 1562), S. 200–209. 191 Die Archive anderer buchfördernder Instanzen konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht besucht werden. Dazu zählen beispielsweise das Archiv der IFLA in Amsterdam oder auch die Archivbestände des Christian Literature Fund in Genf. 192 Insbesondere bei den zeitgenössischen, meist von nationalen Verbänden herausgegebenen Publikationen zum Buchmarkt sowie bei Unterlagen und Berichten von Kongressen und Seminaren, aber auch bei einigen periodischen Publikationen wird ein technisches Problem internationaler Forschung besonders deutlich: Wenn man die Existenz dieser Publikationen überhaupt ermitteln kann, erweist sich ihre Beschaffung trotz ausgiebigen Gebrauchs des internationalen Bibliotheksleihverkehrs und der Nutzung einer Vielzahl von Bibliotheken im In- und Ausland als schwierig: Dieses hat vor allem damit zu tun, dass diese Publikationen in der Regel nur für eine kleine Zielgruppe veröffentlicht wurden und nicht über den Buchhandel zu beziehen waren, es sich also größtenteils um sogenannte graue Literatur handelt. Diese wird in nur unzureichendem Maße von den Bibliotheken erfasst und gesammelt, vor allem dann, wenn es sich um Veröffentlichungen aus anderen Ländern und Kulturkreisen handelt. Der Lücken, die sich daraus in der Quellenlage insbesondere hinsichtlich einiger asiatischer, afrikanischer und lateinamerikanischer Buchmärkte ergeben, ist sich die Verfasserin bewusst. 193 Vgl. World Congress on Books (London, 7–11 June 1982). Final Report. Paris 1982 (UNESCODokument: COM/MD/2).
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Einleitung: Die weltweite Förderung des Buches durch die UNESCO
der Buch- zur Leseförderung geriet die Pariser Organisation infolge der Debatten um die Neue Weltinformations- und Kommunikationsordnung in den achtziger Jahren in eine schwere institutionelle Krise, die in den Austritten der USA und Großbritanniens 1984 und 1985 gipfelte.194 Eine dadurch noch angespanntere Haushalts- und Finanzlage führte zur Einstellung vieler, teilweise bereits seit Längerem bestehender Projekte. Das Jahr 1982 symbolisiert als Endpunkt der Betrachtung im Rahmen dieser Arbeit somit programmatische und finanzielle Einschnitte, die Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre sichtbar werden. Die Untersuchung besteht aus drei sowohl chronologisch als auch systematisch gegliederten Hauptteilen, in denen Maßnahmen, die auf eine bessere Verfügbarkeit von Büchern zielen, als Beitrag zur Erreichung weltgesellschaftlicher Ziel- und Hoffnungswerte wie Frieden und internationaler Verständigung (erster Teil), Bildung (zweiter Teil) sowie Entwicklung und Modernisierung (dritter Teil) analysiert werden. Keine Berücksichtigung finden Programme, die auf »Erhalt und Schutz des Welterbes an Büchern«195 zielen, einer Aufgabe, die in der UNESCO-Satzung kodifiziert ist. Obgleich es bereits in den fünfziger Jahren einige wenige Projekte zur Bewahrung der Schrift- und Buchkultur als Gedächtnis der Menschheit gab – zu nennen sind hier insbesondere das Haager Übereinkommen zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 1954196 und die Bemühungen, wertvolle Bücher und Dokumente mikrofilmisch zu reproduzieren197 – sind umfangreichere Projekte wie das Weltdokumentenerbe (Memory of the World Programme) oder der Wiederaufbau der Bibliothek von Alexandria erst außerhalb des Betrachtungszeitraumes durchgeführt worden. Die Dokumente der UNESCO und der UN werden in der Regel in ihrer englischen Fassung benutzt. Sollte eine deutsche Fassung vorliegen, wird aus dieser zitiert. Bei CERLALC-Dokumenten wird auf die spanische Version zurückgegriffen. Die Zitierweise der UNESCO- und CERLALC-Dokumente – z. B. UNESCO C/5, UNESCO/CUA/6 oder CERLALC/C.E.I–07 – orientiert sich an der bei der UNESCO/CERLALC üblichen Zitierweise.
194 Vgl. Dutt: The Politicization of the United Nations Specialized Agencies, S. 235–251; Valderrama: A History of UNESCO, S. 294. 195 Bekanntmachung der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur vom 22. April 1971. In: Bundesgesetzblatt II 1971, S. 471–487, hier S. 475, Artikel 2c. 196 Vgl. A. Noblecourt: Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict. Paris: UNESCO 1958 (Museums and Monuments. VIII). 197 Anfang der sechziger Jahre kam die UNESCO-Mikrofilmeinheit in Lateinamerika zum Einsatz. Vgl. The UNESCO Microfilm Unit in Latin America. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVI (1962), H. 4, S. 182–186.
»Bollwerke des Friedens im Geist der Menschen«: Bücher im Dienst von Frieden und Verständigung
Weniger als drei Monate nach dem Abwurf der Atombomben über Japan, so mahnte der einflussreiche US-amerikanische Delegierte Archibald MacLeish auf der im November 1945 in der britischen Hauptstadt ausgerichteten UNESCO-Gründungskonferenz, stehe die Menschheit vor zwei Alternativen: »We must choose to live together, or we must choose, quite literally, not to live.«1 Nach einem verheerenden Krieg und im Angesicht atomarer Bedrohung schien es notwendiger als je zuvor, die Völker zu einer »globalen Gemeinschaft«2 zusammenzuführen und Maßnahmen zu ergreifen, die ein harmonisches Miteinander dauerhaft garantierten. Vor diesem Hintergrund bekräftigten die in London zusammengekommenen Konferenzteilnehmer die Notwendigkeit, die bisher zur kollektiven Friedenssicherung entworfenen Strukturen internationaler Zusammenarbeit um eine Organisation für Bildung und Kultur zu erweitern, denn »ein ausschließlich auf politischen und wirtschaftlichen Abmachungen der Regierungen beruhender Friede« konnte in ihren Augen »die einmütige dauernde und aufrichtige Zustimmung der Völker der Welt nicht finden«3 . Da Kriege »im Geist der Menschen entstehen«, mussten auch die »Bollwerke des Friedens im Geist der Menschen«4 errichtet werden. Dementsprechend sollten nebst klassischen Instrumenten der Diplomatie, technisch-wirtschaftlichen Kooperationen und dem Einsatz von Friedenstruppen ebenso kultureller Dialog, wissenschaftlicher Austausch und internationale Bildungsarbeit als friedenssichernde Strategien eingesetzt werden: Suchte die Organisation der Vereinten Nationen die Nachkriegsordnung durch politische Mittel zu gestalten, bestand der komplementäre Auftrag der UNESCO darin – so wurde es in der in London ausgehandelten Satzung festgeschrieben –, »durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern auf den Gebieten der Erziehung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit beizutragen«5 .
1 Conference for the Establishment of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation. Held at the Institute of Civil Engineers, London, from the 1st to the 16th November, 1945. Paris 1946 (ECO/CONF/29), S. 20. 2 Iriye: Global Community. 3 Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 473. In der verbindlichen englischen Textfassung heißt es: »[A] peace based exclusively upon the political and economic arrangements of governments would not be a peace which could secure the unanimous lasting and sincere support of the peoples of the world.« Constitution of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation vom 16.11.1945. Abgedruckt in: Conference for the Establishment of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 93–97, hier S. 93. 4 Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 473. Die englische Textfassung lautet: »[S]ince wars begin in the minds of men, it is in the minds of men that the defences of peace must be constructed.« 5 Artikel I (1) der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 474. Im englischen Original: »The purpose of the Organisation is to contribute to peace and security by promoting collaboration among the nations through education, science and culture.«
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Bücher im Dienst von Frieden und Verständigung
Die sich im November 1946 konstituierende UNESCO entstand ebensowenig wie die Vereinten Nationen ex nihilo aus den Traumata des Zweiten Weltkrieges.6 Sie trat vielmehr die Nachfolge der durch die Eliten des ›alten Europas‹ geprägten Organisation für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes (OgZ) an, die in den Zwischenkriegsjahren mit der moralischen Abrüstung und der Ausformung einer société des esprits betraut gewesen war.7 Während der Institution des Völkerbundes mit ihren beiden Hauptorganen – der aus illustren Wissenschaftlern und Künstlern wie Albert Einstein, Marie Curie und Thomas Mann bestehenden Kommission für geistige Zusammenarbeit (International Committee on Intellectual Cooperation) und dem in Paris ansässigen gleichnamigen Institut (International Institute of Intellectual Cooperation) – zur Stärkung der Friedensbereitschaft kultur- und wissenschaftspolitische Mittel zur Verfügung gestanden hatten, war die Agenda der UNESCO breiter und weniger elitär konzipiert. Dass das Aufgabenprofil der neuen Organisation neben Förderung von Wissenschaft und Kultur im Vergleich zur OgZ explizit auch den gewichtigen Bereich der Bildung umfasste8 , ging wesentlich auf den Einfluss der Konferenz Alliierter Bildungsminister (Conference of Allied Ministers of Education, CAME) zurück, die zwischen 1942 und 1945 zur Planung des kulturell-pädagogischen Wiederaufbaus in unregelmäßigen Abständen in London zusammengekommen waren und in deren Reihen sich das Konzept für eine neue Weltorganisation allmählich konkretisiert hatte.9 Als Bestandteil eines nach 1945 neu ausgerichteten und gestärkten Systems internationaler Ordnung reflektierte die Gründung der UNESCO zum einen die Nachkriegshoffnung auf eine friedvolle, vereinte und humane Welt, deren Entstehen durch eine im zwischenstaatlichen Rahmen fortgeschriebene politische Institutionalisierung
6 Die UNESCO wurde offiziell am 4. November 1946 gegründet, als mit der Hinterlegung der zwanzigsten Ratifizierungsurkunde die Satzung der UNESCO völkerrechtlich in Kraft trat. Vgl. zur Ideengeschichte der UN als Völkerrechtsgemeinschaft und dem Völkerbund als politischen Vorgänger stellvertretend für viele andere, ähnliche Darstellungen: Hermann Weber: Vom Völkerbund zu den Vereinten Nationen. Bonn: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen 1987 (UN-Texte. 34). 7 Die konzeptionellen und strukturellen Kontinuitäten zwischen UNESCO und der Organisation für geistige Zusammenarbeit betonen Kolasa: International Intellectual Cooperation, S. 158 und S. 160; Iriye: Cultural Internationalism, S. 146; Maurel: Histoire de l’UNESCO, S. 16–18. Zu Struktur und Tätigkeiten der Organisation für geistige Zusammenarbeit vgl. ausführlich: Renoliet: L’UNESCO oubliée; Kolasa: International Intellectual Cooperation. 8 Internationale Bildungsarbeit hatte schon in den Zwischenkriegsjahren an Bedeutung zugenommen, so wurde 1925 in Genf das International Bureau of Education gegründet. Auch innerhalb der Organisation für geistige Zusammenarbeit wurde – obgleich Bildung offiziell nicht als Tätigkeitsfeld des Völkerbundes vorgesehen war – die »Institutionalisierung transnationaler Bildungsbeziehungen«, wenn auch in relativ geringem Umfang, betrieben. Vgl. dazu ausführlich: Fuchs: Der Völkerbund und die Institutionalisierung transnationaler Bildungsbeziehungen. 9 Vgl. Krill: Gründung der UNESCO; Archibald: Les États-Unis et l’UNESCO 1944–1963, S. 17–77. Siehe ferner: Jan Opocensky: The Beginnings of UNESCO 1942–1948. 2 Bände. Paris 1949/1950 (als Manuskript im Archiv der UNESCO in Paris einzusehen).
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kultureller, wissenschaftlicher und erzieherischer Anliegen befördert werden sollte. Die (Re-)Etablierung multilateraler Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik war zum anderen aber gleichzeitig auch ein Projekt, das – ebenso wie die Vereinten Nationen – nicht unwesentlich durch die (hegemonialen) Interessen der westlichen Alliierten, allen voran der USA, geprägt wurde, welche die Gründung der UNESCO als Teil der Pax Americana vorantrieben und ihre Arbeit in den Anfangsjahren und insbesondere in der Medien- und Kommunikationspolitik prägen sollten.10 Dagegen trat die Sowjetunion zwar den Vereinten Nationen bei, blieb der Pariser UN-Organisation aber vor allem deswegen bis 1954 fern, weil sie den auf Betreiben der US-amerikanischen Delegation in der UNESCO-Satzung verankerten Grundsatz des freien Austausches von Ideen und Informationen als Eingriff in die nationalstaatliche Souveränität ablehnte. Die Gründungsideale der UNESCO mit ihrem Wunsch nach Versöhnung und Synergie standen somit von Anfang an in Spannung und Kontrast zu der sich abzeichnenden Dialektik des Kalten Krieges. Auf der Gründungskonferenz in London wurde der UNESCO eine Struktur gegeben, die ihren Status als zwischenstaatliche Organisation der UN-Familie reflektiert, deren Architektur zugleich aber auch Elemente einer offenen Institution aufweist, die epistemische Gemeinschaften, internationale Berufsverbände und zivilgesellschaftliche Akteure in ihre Arbeit einbindet und somit staatliche und nicht staatliche Sphären verbindet (vgl. Abbildung 1). Die UNESCO verfügt mit Generalkonferenz, Exekutivrat und Sekretariat über drei Organe11 : Die Generalkonferenz ist als ein anfangs im Ein-, ab 1954 im Zweijahresrhythmus zusammentretendes Plenarorgan höchste Entscheidungs- und Kontrollinstanz.12 Während der Mitgliederversammlung wird die programmatische Ausrichtung der Organisation festgelegt, indem die Delegierten gemäß des Grundsatzes »Ein Staat – Eine Stimme« die vom Sekretariat in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten und dem Exekutivrat entworfenen Programm- und Haushaltspläne diskutieren und verabschieden. Außerdem entscheidet die Versammlung über die Einberufung von internationalen Konferenzen und Kongressen, nimmt Übereinkommen und Erklärungen an und beschließt Empfehlungen, die an die Mitgliedsländer übermittelt werden. Sie wählt ferner den Exekutivrat, der als Scharnier zwischen Generalkonferenz und Sekretariat normalerweise zwei Mal im Jahr tagt, die Generalversammlung vorbereitet sowie das Sekretariat bei der Durchführung der Arbeitsprogramme überwacht.13 Der
10 Vgl. ausführlich: Archibald: Les États-Unis et l’UNESCO 1944–1963. 11 Vgl. Artikel III der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 476. 12 Vgl. Artikel IV der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 476–479. 13 Vgl. Artikel V der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 479–481.
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Bücher im Dienst von Frieden und Verständigung
Mitgliedsstaaten
Generalkonferenz
Exekutivrat
Permanente Delegierte
Nationale Kommissionen
Sekretariat
Nichtregierungsorganisationen
Experten und Berater
Abb. 1: Organisationsstruktur der UNESCO.
vom Exekutivrat vorgeschlagene und von der Generalkonferenz auf die Dauer von sechs Jahren gewählte Generaldirektor leitet das Sekretariat mit Hauptsitz in Paris. Dem Generaldirektor kommt, da er das Programm der Organisation in Zusammenarbeit mit seinem Mitarbeiterstab entwirft sowie das Personal rekrutiert, eine zentrale, mit beträchtlichen Kompetenzen ausgestattete Stellung im Gesamt der UNESCO-Organe zu.14 Innerhalb des UN-Systems ist die UNESCO die einzige Organisation, die in ihrer Satzung nationale Verbände verankert und damit die Praxis ihres Vorgängers, der Organisation für geistige Zusammenarbeit, fortsetzt.15 Den Mitgliedsstaaten wird die Gründung nationaler Kommissionen nahegelegt, die zwar nicht zur Rechtspersönlichkeit der UNESCO zählen, aber als nationale Körperschaften für das Pariser Sekretariat wichtige »institutionelle Partner«16 sein sollen. Zu ihren Aufgaben zählt
14 Vgl. Artikel VI der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 481–482. 15 Vgl. Artikel VII der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 482–483. 16 Hüfner/Reuther: UNESCO-Handbuch, S. 30.
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es, die Ziele und Programme der UNESCO in der Bevölkerung publik zu machen, Kontakte zu inländischen Nichtregierungsorganisationen zu pflegen, deren Expertise zu mobilisieren und somit allgemein als Koordinations- und Beratungsinstanz für die Umsetzung von Projekten zu dienen. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Kräfte und die Einbeziehung externen Sachverstandes in die Arbeit der UNESCO erfolgen nicht nur über den Weg der Nationalkommissionen, sondern die in London ausgearbeitete Satzung sieht ebenso vor, dass Konsultationen und Kooperationen mit Institutionen des UN-Systems sowie anderen zwischenstaatlichen und nicht staatlichen Organisationen jederzeit möglich sind.17 Als Sonderorganisation ist die UNESCO ein selbstständiges Völkerrechtssubjekt und steht als solche allen souveränen Staaten offen, unabhängig von deren Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen. Die UNESCO erhebt eigene Mitgliedsbeiträge, kann aber auch bei der UN sowie bei öffentlichen und privaten Einrichtungen zusätzliche Gelder beantragen.18 Trotz der prinzipiellen Selbstständigkeit der UNESCO üben die Vereinten Nationen über ihren Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council, ECOSOC) verschiedene Kontroll- und Koordinationsfunktionen wie beispielsweise die Überprüfung des Haushaltsplanes aus.19 So präzise die Vertreter der Gründungskonferenz einerseits die Architektur der neuen Weltorganisation entwarfen und in der Satzung festschrieben, so vage und unklar blieben sie andererseits im Hinblick auf deren zukünftiges Programm. Zwar forderte die Satzung unter anderem, der »Verbreitung der Kultur neuen Antrieb zu geben« und »die Jugend der Welt auf die Verantwortlichkeiten freier Menschen vorzubereiten«20 , aber wie und mit welchen Projekten und Schwerpunkten dies zu erreichen war, blieb ebenso unbestimmt wie die Frage ungeklärt, in welchem Maße und wodurch Kultur, Bildung und Wissenschaft überhaupt im Dienste des Friedens wirken könnten:21
17 Vgl. Artikel XI der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 484. Siehe dazu auch: Thomas: UNESCO, S. 138–160. 18 Vgl. Artikel IX der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 483. 19 Vgl. Agreement Between the United Nations and the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. In: UNESCO Monitor I (1947), H. 1, S. 1–2. Das Abkommen zwischen den Vereinten Nationen und der UNESCO datiert vom 4.6.1946 und trat am 20.12.1946 offiziell in Kraft. Vgl. zur Beziehung zwischen UN und UNESCO auch: Thomas: UNESCO, S. 110–137. 20 Artikel I (2b) der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 474–475. 21 Zweifel am friedensmissionarischen Auftrag der UNESCO wurden zahlreich bekundet. Einige Kommentare bezeichneten das Friedensprojekt als geradezu absurd und utopistisch und die Pariser Organisation – wie Niebuhr – als »merchant of daydreams«; anderen war der Auftrag schlicht zu vage. Vgl. beispielhaft: Reinhold Niebuhr: The Theory and Practice of UNESCO. In: International Organization 4 (1950), H. 1, S. 3–11; Richard McKeon: A Philosophy for UNESCO. In: Philosophy and Phenomenological Research 8 (1948), H. 4, S. 573–586. In den Augen Walter Laves’ waren die
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The primary function of the United Nations being to promote peace and security throughout the world, UNESCO’s task is to promote the same end in the fields of education, science and culture. Such a statement clearly needs elucidation. It could be argued that the function of science is to increase knowledge about natural phenomena; of education to communicate knowledge, chiefly to the young and the backward; and of culture to satisfy man’s intellectual and aesthetic needs. Precisely how are these things related to peace? 22
Es war zunächst der erste Generaldirektor, der britische Zoologe Julius Huxley (1946– 1948), der sich bemühte, die Rolle der UNESCO im globalen Friedensprojekt plausibel zu machen. In seiner kontrovers diskutierten, von der ersten Generalversammlung als offizielle Position zwar abgelehnten, aber die Entwicklung der jungen Pariser Organisation dennoch prägenden Schrift UNESCO. Its Purpose and Its Philosophy konzipierte Huxley einen »globale[n], wissenschaftliche[n] [ . . .] Universalismus«23 , der die Basis für die Versöhnung und Vereinigung aller Menschen darstellen sollte: [The] task is to help the emergence of a single world culture, with its own philosophy and background of ideas, and with ist own broad purpose. This is opportune, since this is the first time in history that the scaffloding and the mechanisms for world unification have become available.24
Huxley verstand die Welt als universelle Einheit, deren heterogene Elemente durch einen institutionell gestärkten kulturellen Austausch und eine verbesserte Wissensproduktion und -vermittlung in Harmonie gebracht werden konnten. Dem in den Nachkriegsjahren weitverbreiteten universalistischen Ideal folgend25 , welches die Menschheit auf Basis gemeinsamer Werte zu einer Weltgemeinschaft zu vereinigen suchte, ersann Huxley die Vision einer Weltkultur, die allerdings nicht als uniforme, monotone, standardisierte Einheitskultur zu verstehen war, sondern in der sich vielmehr die Diversität der Welt widerspiegeln sollte:
programmatischen Bemühungen der UNESCO in den vierziger Jahren zu diffus und orientierten sich nur unzureichend an dem seiner Meinung nach realistischen Zielsetzung der Friedensförderung. Vgl. Walter Herman Carl Laves: UNESCO and the Achievement of Peace. In: Political Quarterly 22 (1951), H. 2, S. 163–174. 22 Theodore Besterman: UNESCO. Peace in the Minds of Men. London: Methuen & Co 1951, S. 6. 23 Jens-Peter Green: Krise und Hoffnung. Der Evolutionshumanismus Julian Huxleys. Heidelberg: Carl Winter 1981 (Anglistische Forschungen. 151), S. 164. 24 Julian Huxley: UNESCO: Its Purpose and Its Philosophy. Washington, D.C.: Public Affairs Press 1948, S. 72. 25 Vgl. für das Streben nach einer Einheit der Welt stellvertretend für andere den an der Universität von Chicago in den Jahren 1945 bis 1947 erarbeiteten Entwurf einer Weltverfassung: Ist eine Weltregierung möglich? Vorentwurf einer Weltverfassung. Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 1951. Siehe dazu auch: Chloé Maurel: Le rêve d’un »gouvernement mondial« des années 1920 aux années 1950. L’exemple de l’UNESCO. In: Histoire@Politique. Politique, culture, société 10 (2010). URL: http://www.histoire-politique.fr [15.4.2013].
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A [ . . .] working principle of great importance is concerned with UNESCO’s attitude to the cultural diversity of the world. On the one hand we must not merely recognize this cultural diversity as a fact, but welcome it as making for a greater richness of human achievement and enjoyment; thus we must not endeavour to impose any standardized uniformity of culture, but on the contrary should aim at encouraging the free development of divergent and characteristic cultural expressions in different regions and countries. On the other hand, this cultural diversity must obviously not be allowed to become a source of incomprehension between the nations, still less of friction. Accordingly we must try to ensure mutual understanding of the cultural tendencies and achievements of different peoples, and indeed to aim at an eventual integration or orchestration of separate cultures, not into uniformity, but into a unity-in-diversity, so that human beings are not imprisoned in their separate cultures, but can share in the riches of a single diversified world culture.26
Huxleys Konstrukt der »einzigen mannigfaltigen Weltkultur« verband zwei sich im Grunde ausschließende Konzepte; sie einte Universalismus und Pluralismus: Die Tatsache, dass die Welt vielstimmig, voller kultureller Unterschiede, historischer Kontingenzen und lokaler Besonderheiten war, wurde zum universell gültigen Wert erklärt, den es zu verbreiten galt und der später auch die Grundlage für das heute wohl bekannteste Tätigkeitsfeld der UNESCO, die Pflege des Weltkulturerbes, bilden sollte: Alle Kulturen der Welt tragen gleichberechtigt zum gemeinsamen Erbe der Menschheit bei.27 Die Missverständnisse und die Fremdheit zwischen den Völkern, die die Entstehung von Kriegen mitverantworteten, würden sich auflösen, wenn alle Völker von dem gemeinsamen Ideal einer Einheit der Vielfalt erfüllt wären. »Harmonie«, so fasste es der Mexikaner Jaime Torres Bodet (1948–1952), der Huxley als Generaldirektor nachfolgte, »bedeutet nicht Gleichförmigkeit [ . . .], geistige Uniformität wäre ein Desaster.«28 Grundvoraussetzung für Frieden war somit, durch ein Mehr an Kenntnis und ein Mehr an Begegnung das Verständnis für das Fremde und die Wertschätzung kultureller Vielfalt zu befördern. Dieser positivistischen UNESCO-Weltfriedensformel lag eine in den humanistischen Idealen der Aufklärung verwurzelte Zuversicht an das Gute im Menschen zugrunde, ein Glaube an die Möglichkeit, die Menschen durch Bildung zu Weltbürgern zu formen und in ihnen eine friedensmäßige Gesinnung hervorzurufen.
26 Report of the Director General of the Activities of the Organisation in 1947. Presented to the Second Session of the General Conference at Mexico City November–December 1947. Paris 1948, S. 12–13. 27 Vgl. zum Weltkulturerbeprojekt einführend: Mechtild Rössler: Weltkulturerbe und Globalisierung: Vom Weltwunder zum Erbe der Menschheit. In: Welt-Räume. Geschichte, Geographie und Globalisierung seit 1900. Hrsg. von Iris Schröder und Sabine Höhler. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2005 (Campus Historische Studien. 39), S. 235–257. 28 Im englischen Original: »Harmony does not imply uniformity [ . . .] [U]niformity would be a spiritual desaster.« Jaime Torres Bodet: L’UNESCO, a Personal Faith. In: UNESCO Courier II (1949), H. 3, S. 3–4, hier S. 4.
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Die Übersetzung der allgemeinen Ziele in konkrete Programme, durch die der hehre Auftrag der Friedenssicherung und internationalen Verständigung glaubwürdig verkörpert werden konnte, oblag dem UNESCO-Sekretariat, welches ab Ende 1946 die Vorbereitende Kommission (Preparatory Commission) ersetzte. Letztere war im Anschluss an die Gründungskonferenz eingesetzt worden, um der ersten Generalkonferenz (1946, Paris) Vorschläge zu Programm und Haushalt zu unterbreiten.29 Bereits 1950 waren in Paris über achthundert, mehrheitlich aus Frankreich und Großbritannien stammende Mitarbeiter in den Arbeitsbereichen Bildung, Natur- und Sozialwissenschaften, Kultur, Massenkommunikation und Wiederaufbau sowie in der Verwaltung tätig. Diese entwarfen eine ganze Reihe von Projekten, die im Sinne von Huxleys »einziger mannigfaltiger Weltkultur« als Beitrag zur Friedensförderung und zur internationalen Verständigung verstanden wurden. Eine besondere Rolle im Vermittlungsund Verständigungsprozess zwischen Kulturen wurde dabei den Medien zugemessen, die sowohl in ihrer »langsamen«30 , eher auf die Eliten zielenden Variante wie der Kunst und der Literatur als auch in ihrer »schnellen«31 , massentauglichen, direkteren Form wie Radiosendungen, Filmvorführungen und Zeitschriftenbeiträge zum »Wahrnehmbarmachen [und] Erscheinenlassen«32 anderer Kulturen und Weltsichten beitragen und somit idealiter interkulturelle Dialoge anregen und Verständigung fördern sollten.
29 Vgl. Report on the Programme of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation. London: Preparatory Commission UNESCO 1946. 30 Im englischen Original: »slower cultural media«. Frank Anthony Ninkovich: The Diplomacy of Ideas. U.S. Foreign Policy and Cultural Relations, 1938–1950. Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1981, S. 119. 31 Im englischen Original: »fast media«. Ebd. 32 Sybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2008, S. 18–19.
2 Eine grenzenlose Welt für Bücher: Maßnahmen zur Verbesserung der internationalen Buchzirkulation Ende der vierziger Jahre verteilte die UNESCO ein Skript an Radiostationen in über vierzig Ländern in der Hoffnung, dass dessen Botschaft weltweit über den Äther gehen und international Widerhall finden würde. Bridge of Books war dieses Manuskript überschrieben; sein Autor, der US-amerikanische Schriftsteller William Gaddis, schildert darin ein Ereignis, das sich mehr als sieben Jahrhunderte zuvor in Bagdad zugetragen haben soll: Mongolische Barbaren raubten bei ihrem Eroberungsfeldzug Bücher, um mit diesen eine Brücke über den Tigris zu bauen. Während sich das Wasser des Flusses von der Tinte schwarzdunkel färbte, konnten die Plünderer über die Brücke aus Büchern den Fluss überqueren und ihren Angriff fortsetzen. Akte der Barbarei wie der geschilderte ließen sich – so Gaddis weiter – in der Geschichte der Menschheit zuhauf finden: Bibliotheken und Büchersammlungen waren an vielen Orten und zu vielen Zeiten absichtsvoll zerstört worden, zuletzt während des Zweiten Weltkrieges. Im Gegensatz zu den unheilvollen Tagen der Vergangenheit, in denen Bücher häufig in den Dienst menschenverachtender Ideologien gestellt oder zum Opfer von Krieg und Gewalt wurden, sollten sie nun – so schloss der Schriftsteller seine Betrachtung – unter Anleitung der UNESCO in das globale Friedensprojekt eingebunden werden: »Unlike the bridge of books that the Mongol barbarians built to enter and lay waste a city seven centuries ago, the bridge of books being built between nations today will bring them closer together, in the understanding that is essential for peace.«1 Damit im Sinne Gaddis’ aus Büchern überhaupt Brücken der Verständigung zwischen Völkern werden konnten, musste der Zugang zu sämtlichen auf der Welt produzierten Büchern universell gewährleistet sein: »The best way, short of foreign travel, to improve international understanding is by free access to foreign literature and the product of foreign science and art.«2 Diese ambitionierte Zielsetzung wurde in Artikel 1 der UNESCO-Satzung vom 16. November 1945 festgeschrieben, in dem als Aufgabe der Pariser Organisation definiert war, im Rahmen ihrer Mission der Friedenswahrung »durch Einführung von Methoden internationaler Zusammenarbeit [. . .] allen Völkern die Veröffentlichungen aller anderen Völker zugänglich zu machen«3 . Voraussetzung für den weltweiten Zugang zu den gedruckten Ressourcen sämtlicher Län-
1 William Gaddis: Bridge of Books. In: Impetus. A Review of International Assistance to Education, Science and Culture 4 (1950), H. 1/2, S. 13. 2 Access to Books. Paris: UNESCO 1952 (UNESCO and Its Programme. 9), S. 13. 3 Satzung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, S. 475. In der verbindlichen englischen Textfassung heißt es: »by initiating methods of international cooperation calculated to give the people of all countries access to the printed and published materials produced by any of them«. Constitution of the United Nations Educational, Scientific and Cultural
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der und – theoretisch auch – aller Zeiten war, dass Bücher international frei und ohne Kontrolle verbreitet werden konnten, nationale Grenzen für Gedrucktes mithin nicht existierten. Bereits im Vorfeld der UNESCO-Gründungskonferenz hatte der US-amerikanische Lyriker und Bibliothekar Archibald MacLeish erklärt: Librarians must treat their materials as though they belonged to the entire generation of living men, not because it is more generous to treat them in that way, but because it is impossible to treat them in any other way. In the world’s libraries, whatever may be true of the world’s economic system or its money system or its politics, there are no frontiers.4
Vier Jahrzehnte nach Gründung der Pariser Organisation proklamierte ganz im Geist von MacLeish der zu diesem Zeitpunkt amtierende Direktor der Library of Congress Daniel J. Boorstin: The boundaries and divisions of nations and states and cities are needed for social services, for water and sewage, for protection of property and the administration of justice. But the cultural world – the world of books and ideas – is indivisible. The barriers needed to direct traffic, to prevent crime, to control drugs, or to promote the domestic economy – these too have no place in the librarian’s world. How impoverished would our knowledge and our culture be, if we had access only to books first written in our national language by our fellow nationals! The world’s cultures – and the culture of books – may be defined by languages, by traditions, by historical movements. But they are not confined by national boundaries. Ideas need no passports from their place of origin, nor visas for the countries they enter. All boundaries in the world of culture and ideas are artificial and all are doomed to be dissolved. 5
Die weltweit ungehinderte Zirkulation von Büchern (im Englischen free flow of books) war Teil der in Artikel 5 der Charta der Vereinten Nationen verankerten Maxime des freien Flusses von Ideen und Informationen (free flow of information), welcher – sich aus der Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit der Demokratien in Europa und Nordamerika ableitend – auch für die UNESCO zu einem »unangefochtene[n] Grundprinzip«6 wurde: »Free movement has become a basic condition for civilized life. In
Organisation vom 16.11.1945. Abgedruckt in: Conference for the Establishment of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 94. 4 Archibald MacLeish: The Library and the Nation. In: Books and Libraries in Wartime. Hrsg. von Pierce Butler. Chicago: University of Chicago Press 1945, S. 141–154, hier S. 154. 5 Daniel J. Boorstin: The Indivisible World. Libraries and the Myth of Cultural Exchange. Remarks at the IFLA General Conference Chicago, August 19, 1985. Washington, D.C.: Library of Congress 1985 (The Center for the Book Viewpoint Series. 15), S. 11–12. 6 Breunig: Kommunikationspolitik der UNESCO, S. 59. Vgl. kritisch zum Konzept des free flow of information: Kaarle Nordenstreng: Free Flow Doctrine in Global Media Policy. In: The Handbook of Global Media and Communication Policy. Hrsg. von Robin Mansell und Marc Raboy. Chichester, Malden, Oxford: Wiley-Blackwell 2011 (Global Handbooks in Media and Communication Research), S. 79–94.
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the language and in the action of UNESCO, free flow have become key words. There must be a flow – like that of blood in the arteries, or of electricity.«7 Als die UNESCO 1946 ihre Arbeit aufnahm, war der freie, weltweite Strom von Ideen und Informationen und somit auch von Büchern nicht (mehr) gegeben. Der Zweite Weltkrieg hatte nicht nur Bibliotheken zerstört und zu einer Unterbrechung globaler Kommunikations- und Transportstrukturen geführt, sondern auch die wirtschaftlichen Barrieren erhöht, welche in der Nachkriegszeit den freien Buchverkehr zwischen den Nationen zusätzlich erschwerten: The war and aftermath of war have put many barriers in the way of communications through publications. Normal commercial channels have been blocked, exchange arrangements have ceased to function, and information about new publications does not reach everyone interested.8
Indes verstand es die UNESCO nicht nur als ihre Aufgabe, den status quo ante wieder herzustellen, also sich für eine Rekonstruktion des Dagewesenen einzusetzen, sondern vielmehr sollten die Buchaustauschbeziehungen international auf eine neue, verbesserte Grundlage gestellt werden, und zwar sowohl durch Stärkung der bibliothekarischen Zusammenarbeit als auch durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für den internationalen Buchverkehr. Bücher sollten frei verbreitet werden können, für sie sollten keine Hemmnisse, keine Grenzen existieren, weder wirtschaftlicher oder politischer noch bürokratischer oder rechtlicher Natur.
2.1 Mobilisierung von Büchern für den kulturellen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg Im Sommer 1949 erreichten die ersten CARE-UNESCO-Buchpakete Europa.9 Sie waren nicht von ungefähr für die Universitätsbibliothek im belgischen Löwen bestimmt, die während des Zweiten Weltkrieges durch deutschen Artilleriebeschuss gezielt zerstört worden war, zum zweiten Mal in ihrer Geschichte: Im Mai 1940 verbrannten wie schon im August 1914 Hunderttausende von Büchern und mehrere Hunderte Handschriften und Inkunabeln. Die Bibliothek, die in den zwanziger Jahren mithilfe von Bücherspenden aus aller Welt und durch deutsche Reparationszahlungen wieder aufgebaut worden war, lag abermals in Schutt und Asche.10
7 Key Words of UNESCO. The Free Flow of Ideas & Information. In: UNESCO Courier IX (1956), H. 12, S. 34–36, hier S. 34. 8 [Editorial]. In: UNESCO Bulletin for Libraries I (1947), H. 1, S. 1–2, hier S. 1. 9 Vgl. »Food for the Mind«: Progress of the CARE/UNESCO Book Programme. In: UNESCO Bulletin for Libraries IV (1950), H. 1, S. 488. 10 Vgl. ausführlich: Wolfgang Schivelbusch: Die Bibliothek von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege. München: Carl Hanser Verlag 1988.
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Mit der barbarischen Geschichte ihrer doppelten Zerstörung wurde die Löwener Universitätsbibliothek zum traurigen Symbol einer in dieser Dimension bis dato beispiellosen Vernichtung von Büchern: Während der Jahre des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges verbrannten weltweit etliche Millionen Bücher durch Artilleriegefechte und Bombenangriffe oder wurden mutwillig und gezielt durch Verbrennungen vernichtet. Hinzu kamen Plünderungen von Bibliotheken und systematischer Bücherraub. Auch wenn sich das Ausmaß quantitativ nicht beziffern lässt, weisen die dokumentierten Verluste und Schäden auf eine massive Zerstörung von Bibliotheksgebäuden und Büchersammlungen hin: In Polen, das von der nationalsozialistischen Auslöschungswut besonders betroffen war, verschwanden nach Schätzungen fünfzehn Millionen Bücher und damit gut siebzig Prozent des Gesamtbestandes polnischer Bibliotheken; japanische Soldaten legten die Bibliothek von Toungoo (Burma) in Trümmer; die medizinische Bibliothek in Prag wurde vom NSRegime beschlagnahmt und nach Deutschland überführt, die Nationalbibliothek von Belgrad durch deutsche Bomben komplett vernichtet; in Frankreich setzten US-amerikanische Luftbomben die Bibliothek in Chartres irrtümlich in Brand; die Berliner Staatsbibliothek verlor über zwei Millionen Bände; in Nagasaki wurde eine wertvolle Sammlung klassischer Bücher durch die Atombombe, auf den Philippinen der gesamte Bestand der Universitätsbibliothek in der Hauptstadt Manila zerstört.11 Neben der Vernichtung von Büchern aus ideologischen Gründen und durch Kriegshandlungen trug auch eine stark rückläufige Buch- und Zeitschriftenproduktion zur »intellektuellen Verfinsterung«12 jener Jahre bei: Kriegswirtschaft, personelle Engpässe und Materialmangel bedingten insbesondere in Kontinentaleuropa einen teils massiven Rückgang der Buchproduktion. Wichtige Standorte der Verlags- und Druckindustrie waren durch Luftangriffe beschädigt: 1941 wurde das Herz der britischen Verlagswirtschaft in London empfindlich getroffen; der Gebäudekomplex des berühmten Musikverlages Ricordi in Rom wurde durch Bombenangriffe ebenso zer-
11 Vgl. die von der UNESCO erarbeitete Dokumentation zur Vernichtung von Bibliotheken und Büchersammlungen in: The Book of Needs of Fifteen War-Devasted Countries in Education, Science and Culture I. Paris: UNESCO 1947; The Book of Needs in Education, Science and Culture of War-Devasted Countries II. Paris: UNESCO 1949; Bericht »Survey of Losses and Needs of Libraries in Some European Countries« vom 14.1.1946 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, UNESCO/Prep.Com./L&M/13, App. I); Joseph A. Barry: Libraries in Need. Paris: UNESCO 1949. Vgl. ferner auch: Kennet R. Shaffer: The Conquest of Books. In: Library Journal 71 (1946), H. 2, S. 82–85 und H. 3, S. 144–147. Siehe zur Zerstörung von Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg weiterhin: Hilda Urén Stubbings: Blitzkrieg and Books. British and European Libraries as Casualties of World War II. Bloomington: Rubena Press 1993; Fernando Báez: Historia universal de la destrucción de libros. De las tablillas sumerias a la guerra de Irak. Buenos Aires: Editorial Sudamericana 2004, S. 228–233; Rebecca Knuth: Libricide. The Regime-Sponsored Destruction of Books and Libraries in the Twentieth Century. Westport: Praeger 2003. 12 Im englischen Original: »intellectual black-out«. Maria Danilewicz: The Post-War Problems of Continental Libraries. In: Journal of Documentation 1 (1945), H. 2, S. 81–88, hier S. 84.
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stört wie im Dezember 1943 das Leipziger Buchhändler-Viertel. In der vor dem Krieg prosperierenden Buchhandelsnation England kamen 1943 im Vergleich zu 1937 nur noch gut zwei Drittel der Titel auf den Markt, vergleichbar war die Situation in Frankreich. In Deutschland betrug im Jahr 1944 die Buchproduktion nur noch 37 Prozent des Vorkriegsniveaus.13 Während des Krieges war die grenzüberschreitende Ideenzirkulation und wissenschaftliche Kommunikation fast vollständig zum Erliegen gekommen: Die Besorgung von Büchern aus dem Ausland gestaltete sich als schwierig bis unmöglich. Viele Bibliotheken und Universitäten, insbesondere in den vom NS-Regime besetzten Gebieten, konnten internationale Fachliteratur nicht mehr beziehen, was Folgen hatte, die die nach Großbritannien exilierte Bildungsministerin Polens, die Bibliothekarin Maria Danilewicz, eindringlich beschrieb: He asks the usual questions a reader does when he approaches an information desk in a readingroom: ›Tell me the titles of the new books by Prof. Coulton on medieval history‹, ›Has Prof. Barker published his Reflections on government?‹, ›What are the latest titles in the Loeb Classics?‹, ›I need some biographical details on Sir William Beveridge‹, ›Does the Journal of Roman studies still appear?‹ The librarian turns helplessly to his reference library to find the 1939 edition of Wilson’s, a prewar catalogue of Heinemann’s and a faded volume of the 1938 Who’s who. He replies to all questions in a similar way: ›I am just waiting for new bibliographies, publisher’s catalogues and periodicals‹, ›I ordered The Times Literary supplement and Nature and I hope to get them through diplomatic channels because postal communications have not yet been completely restored, and then there are all these money and parcel restrictions . . . ‹, – ›I am waiting. . . I am waiting‹. And the scholar waits too.14
Als Konsequenz der Isolation und des fast stillliegenden internationalen Buchhandels klafften weite Lücken in den Beständen von Bibliotheken, namentlich in Mitteleuropa. Aktuelle Zeitschriftenjahrgänge wurden nicht mehr geliefert, Bibliographien und Kataloge über Neuerscheinungen fehlten. Der massive Rückgang der Buchproduktion und der Zusammenbruch des internationalen Buchverkehrs machte aber nicht nur akademischen Kreisen zu schaffen. Die britische Schriftstellerin und Journalistin Rebecca West wies bereits 1943 auf den »extremen Grad geistigen Hungers«15 hin, unter dem weite Teile der Bevölkerung in
13 Vgl. John Feather: A History of British Publishing. 2. Auflage. London, New York: Routledge 2006, S. 94; Isabelle de Conihout: La conjonture de l’édition. In: Histoire de l’édition française. Tome IV: Le livre concurrencé 1900–1950. Hrsg. von Henri-Jean Martin, Roger Chartier und Jean-Pierre Vivet. Paris: Promodis 1986, S. 74–89, hier S. 81; Ernst Umlauff: Der Wiederaufbau des Buchhandels. Beiträge zur Geschichte des Büchermarktes nach 1945. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 17 (1977/1978), Sp. 1–1750, Sp. 18. 14 Danilewicz: The Post-War Problems of Continental Libraries, S. 83–84. 15 Im englischen Original: »extreme degree of this intellectual famine«. Rebecca West: Books for Liberated Europe. In: The Author 54 (1943), H. 2, S. 13.
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Mitteleuropa litten und der nach Befreiung von der nationalsozialistischen Besatzung offen hervortreten würde. Ihre Einschätzung teilte das 1945 kurzzeitig wiedereröffnete Institut für geistige Zusammenarbeit: [A]n enormous number of books have been destroyed by aerial and land bombardment, by fire and by political intolerance; [. . .] the production of books has, as a result of difficulties of every kind, been reduced to such an extent that, in some countries, it has ceased entirely. Consequently books – and especially good books – are now unobtainable, not only in the devastated countries but also in those less directly affected [. . .] In the case of certain countries [. . .] the call for books is so enormous and so urgent that it will be impossible to satisfy their needs without the help of other countries.16
Aufseiten der westlichen Alliierten hatten schon während der Kriegsjahre Überlegungen eingesetzt, wie dem zu erwartenden hohen Bedarf an Büchern in Friedenszeiten zu begegnen sei und wie die entstandenen Lücken in den Bibliotheksbeständen geschlossen werden könnten. Luther H. Evans, Leiter der Library of Congress und späterer Generaldirektor der UNESCO (1953–1958), sah Politiker der Siegermächte wie Bibliothekare gleichermaßen in der Pflicht, bei der Überwindung der Notstände zu helfen: A widespread destruction of books and libraries has occurred in this war because freedom of learning and freedom of teaching are powerful forces which no brand of fascism can stand. The fascist enemies have been obliged to destroy books of free men systematically and with careful calculation in order to expand and protect their own evil power. A heavy responsibility therefore rests upon the librarians, the scholars, and the statesmen of the victorious nations to conduct an energetic and affirmative program which will overcome as far as possible the evil which has been done and make books freely accessible again to men who love freedom.17
Sowohl die US-amerikanische als auch die britische Regierung leiteten in den letzten Kriegsjahren in Zusammenarbeit mit dem Buchhandel eine massive Taschenbuchproduktion ein, die nicht nur als Beitrag verstanden wurde, die Nachfrage nach Lektürestoffen in Europa zu befriedigen, sondern gleichzeitig auch der Entnazifizierung und re-education dienen sollte.18 Die Konferenz Alliierter Bildungsminister setzte ihrerseits bereits im Februar 1943 eine Buch- und Zeitschriftenkommission ein, welche zum einen Pläne für den Wieder-
16 Copy of a Letter Adressed by the International Institute of Intellectual Co-operation in April, 1945 »to personalities and organisations in different countries which are presumend to be particularly interested in the resumption of the Production of Books« (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/A/127). 17 Zitiert nach: Shaffer: The Conquest of Books, S. 147. 18 Vgl. Valerie Holman: Print for Victory. Book Publishing in England 1939–1945. London: The British Library 2008, S. 223–224; Hench: Books as Weapons, insbesondere Kapitel 7 und 9.
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aufbau von Buchhandel und graphischem Gewerbe im Nachkriegseuropa erarbeitete und zum anderen anregte, (gebrauchte) Bücher und Zeitschriften zu sammeln, die den Bibliotheken in den besetzten Ländern nach Kriegsende zur Verfügung gestellt werden sollten.19 Von der britischen Regierung finanziert und von der Bibliotheksvereinigung, dem British Council und der Buch- und Zeitschriftenkommission verwaltet, nahm das Inter-Allied Book Centre 1944 in London seine Arbeit auf.20 Bis 1946 wurden fast zwei Millionen Bücher gesammelt und katalogisiert, welche bis zur Auflösung des Zentrums Ende 1947 an bedürftige Bibliotheken im In- und Ausland verteilt wurden.21 Ähnliche Initiativen entstanden ebenso auf der anderen Seite des Atlantiks: Dank Zuwendungen der Rockefeller-Stiftung begann der US-amerikanische Bibliotheksverband ALA Kriegsjahrgänge bedeutender Zeitschriften für Bibliotheken, insbesondere in Norwegen und China, zu erwerben und zu lagern22 ; schließlich wurde auch in den USA mit dem American Book Center for War Devastated Libraries ein zentrales Buchsammeldepot eingerichtet, das in der Nachkriegszeit über 1,25 Millionen Bücher als Schenkungen in vierzig Länder vermitteln konnte.23 An den als Beitrag zur Wiederbelebung des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens in Europa verstandenen internationalen Hilfsmaßnahmen für Not leidende Bibliotheken beteiligten sich neben den USA und Großbritannien auch andere Nationen. So legte unter anderem die Schweiz ein umfangreiches Buchspendenprogramm auf, von dem vor allem Bibliotheken in Frankreich und Deutschland profitierten.24
19 Vgl. Interim Report of the Books and Periodicals Commission. Conference of Allied Ministers of Education. Juli 1943 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/B/23). 20 Vgl. Inter-Allied Book Centre, o. D. [etwa 1943/1944] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/A/39). 21 Vgl. Inter-Allied Book Centre. Report on the Staff, o. D. [etwa Mai 1945] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/A/116); Report. Books and Periodicals Commission, o. D. [etwa Mai 1945] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/A/128), S. 2; Carl M. White und P. S. J. Welsford: The Inter-Allied Book Centre in London. In: Library Quarterly 16 (1946), H. 1/4, S. 57–62; Dik Lehmkuhl: Harvesting Books for the World. In: Library Journal 71 (1946), H. 10, S. 728–730. 22 Vgl. Harry Miller Lydenberg: The Library Rehabilitation Programme of the American Library Association. In: Journal of Documentation 1 (1945), H. 2, S. 72–78; Kraske: Missionaries of the Book, S. 164–171. 23 Vgl. Dorothy J. Comins: The Joint Comittee on Books for Devasted Libraries. In: Journal of Documentation 1 (1945), H. 1, S. 79–80; Kennet R. Shaffer: Book Campaigns for War Devastated Libraries. In: Library Journal 71 (1946), H. 9, S. 642–645. 24 Vgl. Schweizer Bücherhilfe. 1. Januar 1946 – 31. August 1949. Schlussbericht. o. O. und o. J. [1949]; Wilhelm Hoffmann: Die Schweizer Bücherhilfe. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 6 (1959), H. 1, S. 2–10. Siehe ausführlich neuerdings: Luc van Dongen: Entre altruisme et égoïsme, privé et public, idéaux et calculs: L’aide suisse par le livre à l’Allemagne, 1945–1949. In: La diplomatie par le livre. Réseaux et circulation internationale de l’imprimé de 1880 à nos jours. Hrsg. von Claude Hauser, Thomas Loué, Jean-Yves Mollier und François Vallotton. Paris: Nouveau Monde 2011, S. 267–291.
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Eine grenzenlose Welt für Bücher
Die Vorschläge und Empfehlungen, die die Buch- und Zeitschriftenkommission der Konferenz Alliierter Bildungsminister entwickelt hatte, um die Folgen der kriegsbedingten Unterbrechung der Ideenzirkulation schnellstmöglich zu überwinden, sollten nach den Vorstellungen der Vorbereitenden Kommission durch die UNESCO aufgegriffen und weitergeführt werden.25 Dabei war die Rolle, die der UNESCO beim Wiederaufbau des kulturellen, erzieherischen und wissenschaftlichen Lebens in den kriegszerstörten Gebieten Europas und Südostasiens zukam, beschränkt. Denn nachdem die USA ihr ursprüngliches Vorhaben, ein umfangreiches Hilfsprogramm für Kultur und Bildung durch die neu gegründete Pariser Organisation zu kanalisieren, zugunsten einer bilateralen Durchführung aufgegeben hatten26 , blieb der UNESCO angesichts ihrer geringen finanziellen Ausstattung nur übrig, als eine Instanz zu agieren, die internationale Solidarität und Hilfe koordinierte, vermittelte und teilweise auch initiierte, die aber – von einem mit 200.000 US-Dollar äußerst gering budgetierten Notfallfonds abgesehen – keine größeren Aufbauprojekte eigenständig finanzieren konnte.27 Die Nothilfsmaßnahmen, die die Bibliotheksabteilung als Teil des UNESCO-Wiederaufbauprogramms durchführte, spiegelten die durch die finanziellen Rahmenbedingungen bestimmten Handlungsoptionen wider: Die Pariser Organisation erstellte zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme und Dokumentation der materiellen Kriegsschäden an Bibliotheken in Europa und Südostasien, welche in dem zweibändigen Books of Needs und in der 1949 separat erschienenen Broschüre Libraries in Need veröffentlicht wurden, um auf die Lage Not leidender Bibliotheken aufmerksam zu machen und internationale Hilfe einzuwerben.28 Weiterhin konnte sich die UNESCO auch materiell – wenn auch nur in sehr geringem Maße – an der Wiedererrichtung von Bibliotheken beteiligen: Zum einen erhielten einige wenige Einrichtungen, unter anderem in Italien, finanzielle Zuschüsse aus dem Notfallfonds29 ; zum anderen koordinierte und förderte die Pariser Organisation den Einsatz ehrenamtlich tätiger Arbeitsgruppen, die lokale Kräfte bei der Instandsetzung beschädigter Bibliotheken unterstützten, denn:
25 Vgl. Report on the Programme of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 75; Memorandum on Problems and Policies in the Development of World Library and Information Services Prepared by the Counsellor for Libraries and Museums vom 15.5.1946 (Paris, UNESCOArchiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, UNESCO/Prep.Com./L.M. & Sp. Proj./2); Preparatory Commission: Supplementary Report on International Clearing House for Publications vom 5.11.1946 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, UNESCO/Prep.Com./L and M-13). 26 Vgl. Archibald: Les États-Unis et l’UNESCO 1944–1963, S. 85–89 und S. 129–134. 27 Vgl. Krill: Die Gründung der UNESCO, S. 259; Laves/Thomson: UNESCO, S. 71; Chabbott: Constructing Education for Development, S. 95. 28 Vgl. Barry: Libraries in Need; The Book of Needs 1947 und 1949. 29 Vgl. Edward J. Carter: UNESCO’s Library Programs and Work. In: Library Quarterly 18 (1948), H. 4, S. 235–243, hier S. 239.
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[Many of these] small, provincial libraries in areas heavily damaged by war possess large collections of manuscripts, incunabula and other previous books, but it is often impossible for them, as libraries, to benefit from their central government reconstruction budget [. . .] It may thus happen that part of the cultural heritage of a nation, stored in so many small but important libraries, is exposed to slow destruction by rot, vermin, climate, looting, etc.; yet with comparatively little money and man-power, the worst decay could be prevented or at least halted until final rehabilitation is made possible.30
Der erste von der UNESCO arrangierte Arbeitseinsatz fand im französischen Valognes statt, wo dänische und schwedische Studenten und Buchbinder unter Aufsicht von Bibliothekaren von der Sorbonne beschädigte Bücher reparierten, vor Wurmbefall schützten und einen provisorischen Katalog anlegten.31 Weitere studentische Freiwilligeneinsätze in Bibliotheken erfolgten Anfang der fünfziger Jahre in Straßburg und Dünkirchen.32 Während der Beitrag der UNESCO an der materiellen Instandsetzung von Bibliotheken angesichts des enormen Ausmaßes der Zerstörungen und Schäden marginal blieb und letztlich ein Wohlwollen, aber ein finanzielles Nicht-Können zum Ausdruck brachte, waren die Bemühungen der Organisation, die kriegsbedingten Lücken in den Bibliotheksbeständen durch Vermittlung von Bücherspenden, Koordination von Büchertauschgeschäften und Veranlassung mikrofilmischer Reproduktionen zu schließen, wesentlich weitreichender. Das zu diesem Zweck innerhalb der Bibliotheksabteilung gegründete UNESCO Clearing House for Publications führte die von der Buch- und Zeitschriftenkommission der Konferenz Alliierter Bildungsminister initiierten Tätigkeiten fort. Der zuständige Abteilungsleiter, der britische Bibliothekar Edward J. Carter, plante zunächst, ein internationales Publikationssammel- und -distributionszentrum in Paris zu errichten, und arrangierte, dass die Restbestände des sich Ende 1946 in Auflösung befindlichen Inter-Allied Book Centre von der UNESCO übernommen wurden.33 Schnell zeigte sich indes, dass das Vorhaben, ein zentrales Buch-
30 Vgl. Pilot Project for the Reconstruction of Libraries. In: UNESCO Bulletin for Libraries IV (1950), H. 12, S. 906–909, hier S. 906. 31 Vgl. die sehr bewegend erzählte Geschichte der Rettung der Stadtbibliothek von Valognes: David N. Leff: Viking Treasure Hunt. In: Impetus. A Review of International Assistance to Education, Science and Culture 4 (1950), H. 9/10, S. 8–11; ders.: Buried Treasure. Awaits Discovery in Abandoned Library of Bombed Valognes. In: Impetus. A Review of International Assistance to Education, Science and Culture 4 (1950), H. 5, S. 14–19. 32 Vgl. Reconstruction of War-Damaged Libraries. In: UNESCO Bulletin for Libraries V (1951), H. 4, S. 428–432; They Spent Their Summer Vacaction in a Library. In: UNESCO Courier VI (1953), H. 6, S. 16. 33 Vgl. Edward J. Carter an B. M. Headicar am 12.7.1946 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 (41-4) A 031 BNBC, Part I); Arrangement between the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation and the Inter-Allied Book Centre, o. D. [1947] (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 (41-4) A 031 BNBC, Part I).
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und Zeitschriftendepot in Paris aufzubauen, angesichts der »Finanzschwäche«34 der Organisation nicht zu realisieren war: Schon die Überführung der Buch- und Zeitschriftenbestände von Großbritannien nach Frankreich hätte das Budget dermaßen überstrapaziert, dass man beschloss, die Verteilung der Publikationen von London aus zu organisieren; doch auch von dort erwiesen sich – wie während der halbjährigen Abwicklung des alliierten Buchzentrums schnell deutlich wurde – die laufenden Kosten für Lagerung, Versand und Personal als zu hoch, als dass sie für einen längeren Zeitraum von der Pariser Organisation hätten finanziert werden können.35 Somit war eine Korrektur der Pläne notwendig: Anstatt selbst die Sammlung, Verwaltung und Verteilung von Publikationen an Not leidende Bibliotheken und wissenschaftliche Einrichtungen in den kriegsbeschädigten Ländern zu übernehmen, sollte das UNESCO Clearing House for Publications nun vielmehr als eine internationale Buchvermittlungsagentur agieren, die Informationen über bibliographische Bedürfnisse auf der einen und zu Schenkung und Tausch zur Verfügung stehenden Publikationen auf der anderen Seite durch einen massiven Versand von Fragebögen ermittelte und anschließend potenzielle Geber und Empfänger miteinander in Kontakt brachte, unter anderem durch den UNESCO Bulletin for Libraries, der als erste von der UNESCO herausgegebene periodische Veröffentlichung ab Januar 1947 monatlich erschien: Der Bulletin enthielt eine umfangreiche Sektion, in der kostenlos abzugebende Zeitschriften und Bücher angezeigt und Publikationsgesuche inseriert werden konnten.36 Die Vermittlung der Publikationen geschah durch ein aufwendiges, zeitintensives Verfahren. Dieses sollte sicherstellen, dass alle Bücherspenden gemäß des Grundprinzips »Every unwanted book that is sent means a waste of money«37 , mithin nach Kriterien der Bedarfsgerechtigkeit platziert würden. Der Vermittlungsprozess lief wie folgt ab: A library sends us a list of, for instance, medical publications, which it offers for free distribution. The list is checked against replies to questionnaires in our files asking for special medical publications, and these requests are given first priority. A list of the remaining titles is then duplicated and sent to other libraries which in their replies to the questionnaire had asked for medial pub-
Die Idee, eine internationale Buchsammelstelle bzw. einen World Book Council einzurichten, findet sich bereits bei: Theodore Besterman: International Library Rehabilitation and Planning. In: Journal of Documentation 2 (1946), H. 3, S. 174–180, hier S. 178–180. 34 Im englischen Original: »financial weakness«. Edward J. Carter an W. R. Richardson am 24.2.1947 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 (41-4) A 031 BNBC, Part I). 35 Vgl. Minutes of a Meeting Held on 13th March, 1947 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 (41-4) A 031 BNBC, Part I). 36 Vgl. Short Outline of UNESCO’s Libraries Programme Activities during 1948. Paris 1948 (UNESCODokument: LBA/GEN/40), S. 4; Libraries Division Activities 1949. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/10), S. 3. 37 Libraries Reconstruction. Temporary International Council for Educational Reconstruction. General Conference. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: TICER/CONF.2/8), S. 1.
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lications, without specifying the titles. Recipients of the lists are asked to mark 50 titles in order of preference, and an unlimited number of others which they would be glad to accept if available. The lists are advertised in the UNESCO Bulletin for Libraries, so that additional libraries may apply for the gifts. After a delay of two months (to allow time for libraries and institutions in far-distant countries to send in their applications), the allocation is made, based in all the requests received. First priority is given to the institution which has marked the highest priority against the title in question (For instance, if a Polish library has given a specific title priority no. 3, a French library has given it priority no. 15, and a third library priority no. 25, the Polish library will receive the publication). If several libraries have given the same priority to the same title, the gift goes to the library with the greatest war losses, the one which is considered the most important, or which has made the most modest request.38
Das Buchvermittlungsprogramm der UNESCO fußte auf Solidarität und Generosität unzähliger Bibliothekare weltweit, die ihre Bestände nach Duplikaten und nicht benötigten Publikationen durchforsteten und sie der Pariser Organisation zur Vermittlung zur Verfügung stellten.39 Ein Großteil der gespendeten Bücher stammte aus Nordamerika: Die Clearingstelle der UNESCO arbeitete unter anderem eng mit dem US-amerikanischen Verband medizinischer Fachbibliotheken zusammen, mit dem sie den Versand zahlreicher Zeitschriftendubletten organisierte40 ; weiterhin unterstützte sie das Canadian Book Centre bei der Ausrichtung des March of Books, in dem von Halifax bis Vancouver gebrauchte Bücher für bedürftige Bibliotheken in Europa gesammelt wurden.41 Obgleich eine Vielzahl von Spendenangeboten die UNESCO in der Nachkriegszeit erreichte, zeigte sich sehr bald, dass die Nachfrage nach Kriegsjahrgängen bedeutender (wissenschaftlicher) Zeitschriften wie beispielsweise Nature oder The Economist durch diese nicht gestillt werden konnte. Die UNESCO bemühte sich daher, die häufig nicht mehr lieferbaren Bände durch mikrofilmische Reproduktionen wieder verfügbar zu machen. Auch wenn ein umfassendes, von der UNESCO finanziertes Projekt aufgrund des geringen Budgets der Organisation nicht zustande kam, gelang es der Clearingstelle jedoch, die Reproduktion einzelner, besonders nachgefragter Zeitschriften zentral zu organisieren, sodass aufgrund der Skaleneffekte die Kosten für die beteiligten Bibliotheken so gering wie möglich gehalten werden konnten.42
38 The UNESCO Clearing House for Publications, S. 482 und S. 484. 39 Vgl. Help Fill Up the Empty Shelves! In: UNESCO Bulletin for Libraries IV (1950), H. 12, S. 901–905. 40 Vgl. UNESCO and the Provision of Medical Publications. In: UNESCO Bulletin for Libraries VII (1953), H. 5/6, S. E73–E75. 41 Vgl. Literature and Language. Selected List of Books and Pamphlets Available from the Canadian Book Centre (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 (71) A 031 CBC); Tasks that Lie Ahead of the Canadian Book Centre. Dezember 1948 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 (71) A 031 CBC). 42 Vgl. General Description of UNESCO’s Project for Reproduction of Out-Of-Print Periodicals, o. D. [etwa 1947] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 04 A 334); Reproduction of Periodicals. Clearing-House Activities by UNESCO. In: UNESCO Bulletin for Libraries III (1949), H. 8,
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Um die leeren Regale in mitteleuropäischen und südasiatischen Bibliotheken zu füllen und die Not leidende Bevölkerung mit geistiger Nahrung zu versorgen, bemühte sich die UNESCO zusätzlich zu den auf Bibliotheks(alt-)beständen basierenden Vermittlungstätigkeiten ein Spendenprojekt ins Leben zu rufen, mit dem Kauf und Versand neuer Bücher ermöglicht werden sollten: »There is a vast and largely unascertainable demand for old books, particularly old periodicals, but the greatest and the most important needs is for current publications, particularly in science[,] technology, education and general literature.«43 Als Partner konnte die UNESCO die US-amerikanische Hilfsorganisation CARE (Cooperative for American Remittances for Europa, seit 1952 Cooperative for American Remittances to Everywhere) gewinnen44 , die als Vereinigung kirchlicher und gewerkschaftlicher Wohlfahrtsverbände seit 1946 Hilfssendungen nach Europa organisierte und im Gegensatz zur Pariser Organisation über Erfahrungen sowie eine beträchtliche logistische Infrastruktur verfügte.45 Den berühmten Lebensmittelpaketen nachempfunden, wurden unter der Devise »Food for the Mind« Buchpakete mit zumeist technischer und wissenschaftlicher Fachliteratur ab 1949 an Bibliotheken in Europa und später auch nach Asien verschickt. Ein Jahr später trat auf Initiative der US-amerikanischen Bibliotheksverbandes ein umfangreiches Kinderbuchprojekt hinzu.46 Die Verantwortlichkeiten zwischen den Partnern waren äußerst ungleich verteilt. Während es CARE oblag, Spenden zu sammeln, das Buchauswahlkomitee einzuberufen, Buchpakete zusammenzustellen und diese über ihre europäischen Missionen an bedürftige Einrichtungen zu verteilen, sollte die UNESCO Informationen über potenzielle Empfänger und deren Bücherwünsche ermitteln.47 Um eine effiziente Kommunikation zwischen Paris und New York zu gewährleisten, finanzierte die UNESCO zudem eine Projektstelle bei CARE, die durch einen Mitarbeiter der Abteilung für Wiederaufbau besetzt wurde.48 Trotz dieser institutionellen Verzahnung blieb der Ein-
S. 284 und S. 286; List of Reproduced Periodicals Available for Purchase. In: UNESCO Bulletin for Libraries V (1951), H. 4, S. 350–355; War Issues of The Economist Available on Microfilm. In: UNESCO Bulletin for Libraries VI (1952), H. 4, S. E43. 43 Libraries Reconstruction, S. 1. 44 Das CARE-UNESCO-Buchprogramm entstand auf Initiative der UNESCO. Vgl. Operations of the UNESCO-CARE Book Program, o. D. [etwa 1949] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I). 45 Vgl. Wallace J. Campbell: The History of CARE. A Personal Account. New York u. a.: Praeger 1990. 46 Vgl. The CARE-UNESCO Book Fund Programme. A Service to Bring Knowledge up to Date. In: UNESCO Courier IV (1951), H. 3, S. 11; CARE-UNESCO Book Program Adds »Shelves« for Children Abroad. In: Impetus. A Review of International Assistance to Education, Science and Culture 4 (1950), H. 11/12, S. 20. 47 Vgl. A Prospectus of the CARE Book Program, o. D. [etwa 1949] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I). 48 Vgl. R. W. Reuter: Memorandum »CARE Book Program« vom 12.4.1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I).
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fluss der UNESCO auf die Projektdurchführung gering. Früh befürchtete bereits Edward Carter, dass das Spendenprogramm propagandistische Züge annehmen könnte49 , dass also die Auswahl von Büchern und Empfängern nicht vor dem Hintergrund humanitärer Überlegungen und tatsächlicher Bedürfnisse getroffen wurde, sondern angesichts des anschwellenden Systemkonflikts mit der Sowjetunion politisch beeinflusst war. Dieser Einschätzung wude durch Projektbeschreibungen weiter Nahrung gegeben wurde. So hieß es beispielsweise in einem 1950 publizierten Artikel über die Zielsetzungen des CARE-Kinderbuchprogramms: »The purpose is to share American children’s books in order to promote international understanding and an understanding of America.«50 In einem internen Projektentwurf zeigte sich die politische Dimension des Programms noch deutlicher, dort wurde der US-amerikanische Verteidigungsminister James Vincent Forrestal mit folgenden Worten zitiert: »America is winning the economic and military conflict, but losing the war of ideas. While this country feeds the European, the Russians are attempting to poison the minds of the Europeans against America.«51 Das CARE-UNESCO-Gemeinschaftsvorhaben, das von der Pariser Organisation als humanitäre Hilfsmaßnahme zum Wiederaufbau konzipiert wurde, erhielt in den ersten Jahren des Kalten Krieges auch dadurch eine verstärkt politische Ausrichtung, dass es nicht mehr ausschließlich durch Privatspenden, sondern vermehrt durch Zuwendungen der US-amerikanischen Regierung getragen wurde.52 Die UNESCO, die durch die weltweit verteilten Buchpakete auch die eigenen Zielsetzungen und Ideale bekannt machen wollte, die also die Zusammenarbeit mit CARE nicht nur als einen Beitrag zum Wiederaufbau, sondern vielmehr auch als ein Mittel der eigenen Öffentlichkeitsarbeit verstand, distanzierte sich zunehmend von dem Gemeinschaftsunternehmen und beendete 1952 ihre Beteiligung an diesem endgültig53 : Für die junge internationale Organisation war es unhaltbar geworden, mit einem Pro-
49 Vgl. Edward J. Carter an Robert Stanforth am 7.9.1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I). 50 Margaret C. Scoggin: UNESCO-CARE Children’s Book Fund Program. In: ALA Bulletin 44 (1950), H. 11, S. 469–470, hier S. 469. Vgl. zur Konzeption des CARE-Kinderbuchprogramms vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ausführlich: Christine Jenkins: ALA Youth Services Librarians and the CARE-UNESCO Children’s Book Fund. Selecting the ›Right Book‹ for Children in Cold War America, 1950–1958. In: Libraries and Culture 31 (1996), H. 1, S. 209–234. 51 A Matter of Feeding Hungry Minds, o. D. [etwa 1948/1949] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I). 52 Vgl. Memorandum vom 27.12.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part II). 53 Vgl. Edward J. Carter an Jim Stanley am 3.1.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I); Evert Barger an E. B. Gilbert am 27.4.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part I); J. Zuckerman: Memorandum vom 28.10.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 332.55:02 UNESCO/CARE, Part II).
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jekt in Verbindung gebracht zu werden, das auch in ihrem Namen weltweit Bücher verteilte, die als Geschenke der US-amerikanischen Bevölkerung gekennzeichnet waren, tatsächlich aber vorwiegend durch die US-amerikanische Regierung finanziert und somit – wie immer deutlicher zu werden schien – Teil der Propagandamaschinerie des Kalten Krieges wurden.54 Unterdessen hatte die Pariser Organisation mit dem Gift Coupon Scheme ihr eigenes, politisch neutrales Hilfs- und Solidaritätsprogramm für kulturelles und pädagogisches Material, insbesondere für Bücher, lanciert. Seit 1951 war es spendenwilligen Organisationen und Einzelpersonen möglich, bei der UNESCO Geschenkschecks zu erwerben und diese bedürftigen Institutionen, allen voran Bibliotheken und Schulen, zukommen zu lassen.55 Anders als beim CARE-UNESCO-Buchprogramm lag die Entscheidung, welche Bücher durch die getätigten Spenden gekauft wurden, nicht in der Hand der Geber, sondern in derjenigen der Empfänger. Letztere konnten die Geschenkschecks bei ausgewählten Händlern als Zahlungsmittel einsetzen, um die Bücher und Unterrichtsmaterialien zu erwerben, die sie am dringlichsten benötigten. Ähnlich wie das Programm zur Buchvermittlung gründete sich damit auch das UNESCO-eigene Spendenprogramm auf den Grundsatz der Bedarfsgerechtigkeit. Schon an dem Beitrag, den die UNESCO als internationale Organisation leisten konnte, um leere Regale von Not leidenden Bibliotheken zu füllen und die lesehungrige Bevölkerung in den kriegszerstörten Gebieten mit Lesestoff zu versorgen, zeigt sich, wie sehr die finanzielle Ausstattung der Organisation deren Handlungsmöglichkeiten bestimmte: Angesichts ihrer Finanzschwäche – eines Zustandes, der chronisch werden sollte – war es der UNESCO nicht möglich, im größeren Umfang eigene Hilfsprojekte durchzuführen. Sie musste sich darauf beschränken, internationale Solidarität zu vermitteln bzw. zu initiieren: Die enorme Mobilisierung von Büchern, die die Pariser Organisation in der Nachkriegszeit koordinierte, basierte auf einer Umverteilung bereits bestehender Bibliotheksbestände sowie auf Spendenprogrammen. Auf diese Weise konnten allein zwischen 1947 und 1949 mehr als 200.000 Publikationen an bedürftige Bibliotheken versandt werden.56 Als das UNESCO Clearing House for Publications zu Beginn des Jahres 1955 seine Arbeit einstellte, hatte es nach eigenen Schätzungen den Transfer von zwei bis drei Millionen Büchern und Zeitschriftenexemplaren arrangiert.57
54 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 9 dieser Arbeit. 55 Vgl. UNESCO Gift Coupon Plan. In: Impetus. A Review of International Assistance to Education, Science and Culture 4 (1950), H. 11/12, S. 11–15; What Can We Do to Help? The UNESCO Gift Coupon Scheme. In: UNESCO Courier V (1952), H. 8/9, S. 19–21. 56 Vgl. The UNESCO Clearing House, S. 482. 57 Vgl. Change in Activities of the UNESCO Clearing House for Publications. In: UNESCO Bulletin for Libraries VIII (1954), H. 8/9, S. E86; UNESCO Gift Project for Libraries. In: UNESCO Bulletin for Libraries VI (1952), H. 4, S. E41. Auch nach der Auflösung des Clearinghouse warb die UNESCO weiterhin für Bücherspenden, insbe-
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2.2 Stärkung und Standardisierung bibliothekarischer Austausch- und Dokumentationssysteme Das UNESCO Clearing House for Publications verstand seine Funktion als zentraler Vermittler von Büchern und Periodika von Anfang an als eine temporäre Aufgabe, die dem raschen Wiederaufbau von Bibliotheksbeständen in kriegszerstörten oder durch den Krieg isolierten Gebieten diente. Mittelfristig – so sah es ein für die zweite Generalkonferenz (1947, Mexiko-Stadt) verfasstes Memorandum vor – sollte die Verwaltung der weltweiten Austauschbeziehungen zwischen Bibliotheken allerdings von nationalen Institutionen, sogenannten Buchaustauschstellen oder Tauschbüros (National Exchange Centre), übernommen und fortgeführt werden – denn: The efficient and economical collection, allocation and distribution of publications for reconstruction and rehabilitation is impossible unless every country has a well-organised and adequately financed national centre to take responsibility for these tasks [. . .] Books Centres will in general be key points in the world system of inter-library communications, serving particularly for the long-term development of exchanges and the distribution of publications internationally.58
Parallel zu ihren Bemühungen, Bücher für bedürftige Bibliotheken zu organisieren, begann die UNESCO-Clearingstelle, sich für eine Stärkung und Ausweitung der internationalen bibliothekarischen Austauschsysteme einzusetzen. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffenen, infolge des Krieges allerdings stark geschädigten Strukturen und Mechanismen für den weltweiten Publikationstausch sollten auf eine neue rechtliche Basis gestellt und durch die Errichtung nationaler Tauschbüros effizienter gestaltet werden, sodass die Vermittlungstätigkeiten des Clearing House for Publications zukünftig obsolet werden würden. Die Bedeutung, die die UNESCO der Wiederbelebung der internationalen bibliothekarischen Beziehungen zusprach, ging somit von Anfang an über die Zielsetzung der Erneuerung von kriegsbedingt in Mitleidenschaft gezogenen Bibliotheksbeständen hinaus; vielmehr sollten durch einen funktionierenden weltweiten Schriftentausch der Bestand von Bibliotheken dauerhaft vor allem (wenn auch nicht ausschließlich) durch solche Publikationen vermehrt werden, die in der Regel nicht über kommerzielle Kanäle vertrieben, deren universelle Verfügbarkeit und Zugänglichkeit aber als essenziell eingestuft wurden:
sondere nach kriegerischen Auseinandersetzungen oder für materiell Not leidende Bibliotheken in Entwicklungsländern. Sie tut dies auch heute noch. Vgl. Mauro Rosi: Book Donations for Development. Paris 2005 (UNESCO-Dokument: CLT/ACE/CEC-O5/1). 58 National Book Exchange & Distribution Centres. Memorandum Prepared for the Libraries & Documentation Working Party. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: 2 C/52), S. 1.
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To have free and easy access to official, scientific and private literature of a foreign country means to have the possibility of being acquainted with its form of life, and to understand it. Without the goodwill of the State itself and without a well organized international exchange no real understanding can be achieved.59
Durch den institutionalisierten reziproken Transfer von Regierungspublikationen sowie von Veröffentlichungen wissenschaftlicher Gesellschaften, Akademien und Universitäten sollte – so die Argumentation – der grenzüberschreitende Fluss von Informationen über politische, ökonomische, kulturelle und soziale Fragen entscheidend verbessert und somit eine wesentliche Voraussetzung für eine Annäherung zwischen den Völkern geschaffen werden. Mit ähnlichen Argumenten hatte bereits über ein Jahrhundert zuvor der Franzose Alexandre Vattemare die Einrichtung einer internationalen Koordinationsinstanz, der Agence Universelle des Echanges Internationaux, begründet, die den Tausch von Literatur vorwiegend zwischen Europa und Nordamerika zentral organisierte. 1848 schrieb er: The system of exchange [. . .] is to open a channel of communication between the PEOPLE of the various nations of the world, which shall bring them together upon the neutral ground of letters, and by making them better acquainted with each others’ laws, manners and customs and intellectual wealth, by acts of mutual kindness and courtesy, to cultivate the spirit of peace and of reciprocal respect and good feeling.60
Vattemares kurzlebige Unternehmung ist als Teil von im 19. Jahrhundert einsetzenden Bestrebungen zu verstehen, angesichts der wachsenden politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Verflechtungen den zwischenstaatlichen Schriftentausch als Teil eines transnationalen Kommunikationssystems zu institutionalisieren.61 Wur-
59 K. Schmidt-Phiseldeck: The International Exchange of Publications. A Report and Working Paper for Discussion at a Meeting of Experts to Be Held in January 1956. Paris 1955 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/67), S. 23. 60 Alexandre Vattemare: Report on the Subject of International Exchanges. Washington, D.C.: J. and G. S. Gideon 1848, S. 23, Hervorhebungen im Original. Vgl. zu Vattemares Unternehmung ausführlich: Elizabeth M. Richards: Alexandre Vattemare and His System of International Exchanges. In: Bulletin of the Medical Library Association 32 (1944), H. 4, S. 413–448. 61 Vgl. Eckhardt Fuchs: Schriftenaustausch, Copyright und Dokumentation. Das Buch als Medium der internationalen Wissenschaftskommunikation vor dem Ersten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands und der Vereinigten Staaten von Amerika. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 7 (1997), S. 125–168; ders: Räume und Mechanismen der internationalen Wissenschaftskommunikation und Ideenzirkulation vor dem Ersten Weltkrieg. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 27 (2002), H. 1, S. 125–143. Siehe zur Entwicklung des internationalen Austauschsystems auch: Robert D. Stevens: The Role of the Library of Congress in the International Exchange of Official Publications. A Brief History. Washington, D.C.: The Library of Con-
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de der Austausch zunächst vorwiegend durch bilaterale Übereinkünfte gehandhabt, sollten durch die Brüsseler Konvention von 1886 (Convention for the International Exchange of Official Documents, Scientific and Literary Publications) die Tauschbeziehungen auf einer multilateralen Grundlage geregelt und somit weltweit standardisiert werden.62 Während die Einrichtung nationaler Zentralbüros lediglich empfehlenden Charakter hatte, verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, sich gegenseitig sämtliche (!) offizielle Veröffentlichungen zur Verfügung zu stellen. Angesichts stark wachsender Publikationstätigkeiten staatlicher Stellen war diese verbindliche Regelung mit ihrem universellen Anspruch nicht nur mit hohem bürokratischem Aufwand, sondern auch mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden, was zur Folge hatte, dass bedeutende Nationen wie Frankreich, Großbritannien oder Deutschland der Konvention fernblieben und den Schriftentausch weiterhin spezifisch und ihren jeweiligen Interessen und Bedürfnissen entsprechend über zweiseitige Abkommen regelten.63 In Anbetracht der geringen Akzeptanz der Brüsseler Konvention – bis Anfang der zwanziger Jahre hatten diese lediglich dreizehn Staaten ratifiziert64 – setzte die Kommission für geistige Zusammenarbeit 1924 einen Sachverständigenausschuss ein, der über einen Neuentwurf beraten sollte, nach weiteren Tagungen 1927 und 1928 allerdings zu dem Schluss kam, dass in der Staatengemeinschaft an einer überarbeiteten Brüsseler Konvention vor allem deswegen kein nachhaltiges Interesse bestand, weil sich der internationale Schriftentausch unterdessen – weitgehend unabhängig von der Möglichkeit einer normierten, multilateralen Organisation – durch eine Vielzahl bilateraler und in geringerem Maße regionaler Abkommen (z. B. der interamerikanischen Konvention von Mexiko-Stadt, 1902) entfaltet und weiterentwickelt hatte.65 Angesichts der im Verlauf mehrerer Jahrzehnte entstandenen Strukturen, die sich – auch wenn es kriegsbedingt in den vierziger Jahren zu einem Rückgang beim inter-
gress, Processing Department 1953, hier insbesondere Kapitel I und II. Dem Austausch von amtlichen Schriften auf zwischenstaatlicher Ebene war der Tausch von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zwischen Gelehrtengesellschaften und Universitäten vorausgegangen, der bereits im 17. Jahrhundert üblich wurde. 62 Die Brüsseler Konvention findet sich abgedruckt im: Handbook on the International Exchange of Publications. Hrsg. von Gisela von Busse. 2. Auflage. Paris: UNESCO 1956, S. 56–57. 63 Vgl. Charles de Waersegger: Multilateral Conventions Concerning the International Exchange of Publications. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVII (1963), H. 2, S. 53–62, hier S. 55. 64 Bis 1921 hatten die Brüsseler Konvention Belgien, Brasilien, Portugal, Serbien, die Schweiz, die Vereinigten Staaten von Amerika, Uruguay, Argentinien, Paraguay (alle 1889) sowie Spanien (1892), Italien (1897), die Tschechoslowakei und Rumänien (beide 1921) ratifiziert. Vgl. Handbook on the International Exchange 1956, S. 56. 65 Vgl. Hugo Andres Krüss: Bibliotheken und Völkerbund II. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 48 (1931), Januar/Februar, S. 26–36, hier S. 30; Les Echanges de Publications. In: Bulletin de la Coopération Intellectuelle 27/28 (1933), S. 177–180; Working Paper. Committee of Experts on the International Exchange of Publications. Paris 1948 (UNESCO-Dokument: LBA/ICHP/5 (Rev.)), S. 5.
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nationalen Schriftentausch gekommen war – im Prinzip bewährt und etabliert hatten, empfahlen sowohl die Mitglieder der Buch- und Zeitschriftenkommission der Konferenz Alliierter Bildungsminister als auch die 1948 von der Pariser Organisation konsultierten Experten, dass sich die UNESCO zunächst einmal nicht – wie ihre Vorgängerorganisation im Völkerbund – um eine neue rechtliche Verankerung im internationalen Rahmen bemühen, sondern stattdessen die Entstehung weiterer bilateraler Abkommen fördern und die nationalen Organisationsstrukturen stärken sollte. Dementsprechend hieß es im Abschlussbericht der Expertenkommission: Efforts should at present be concentrated on the promotion of bi-lateral agreements in the international exchange of publications, and no attempt should be made now to replace or extent the 1886 Brussels Conventions. In recognition of the fact that services of publications exchanges, centralized in national bureaux, are of great importance as means of effecting efficient distribution of publications in accordance with actual needs, the Committee recommends that UNESCO should promote the establishment and development of exchange bureaux.66
Diesen Empfehlungen folgend warb die UNESCO in den kommenden Jahren bei ihren Mitgliedsstaaten intensiv für die Einrichtung von Tauschbüros bzw. in den Fällen, in denen diese bereits existierten, für deren Restrukturierung. Die nationalen Tauschzentren sollten im Verständnis der Pariser Organisation keine bürokratischen Einheiten bleiben, die bestehende Abkommen lediglich verwalteten, sondern Institutionen werden, die sämtliche Austauschbeziehungen ihres Landes mit dem Ausland aktiv gestalteten und sich in diesem Sinne nicht nur für den Transfer amtlicher Druckschriften und wissenschaftlicher Veröffentlichungen verantwortlich zeigten, sondern auch Informationen über Publikationen und Dubletten bündelten, die zum internationalen Tausch oder zur kostenlosen Verteilung zur Verfügung standen.67 Die Bestrebungen der UNESCO, die organisatorischen Strukturen des Publikationsaustausches auf nationaler Ebene zu stärken und dadurch indirekt für eine Ausweitung der weltweiten bibliothekarischen Beziehungen zu sorgen, schienen unmittelbar zu fruchten: Existierten vor dem Zweiten Weltkrieg etwa fünfzig nationale Tauschzentralen, hatte sich deren Anzahl im Jahr 1956 bereits verdoppelt: 99 Tausch-
66 Summary Report. Committee of Experts on the International Exchange of Publications. Paris 1948 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Conf. 1/SR 1, 2, 3, 4, 5, 6), SR 6, S. 12. Vgl. ebenso: L. C. Key: The International Exchange of Official Publications, 22.12.1944 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/A/90). 67 Vgl. Carter: UNESCO’s Library Programs and Work, S. 238; UNESCO Promotes Development of National Book Exchange Centers. In: UNESCO Courier I (1948), H. 2, S. 8; Gisela von Busse: Access to Books. In: UNESCO Bulletin for Libraries X (1956), H. 11/12, S. 271–278, hier S. 274; Paul Avicenne: The Mission of the National Exchange Services. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVIII (1964), H. 6, S. 253– 258. Vgl. auch das Modell eines nationalen Tauschbüros, das Gisela von Busse im Auftrag der UNESCO entwarf: Gisela von Busse: The National Exchange Centre. A Practical Guide. In: UNESCO Bulletin for Libraries XIII (1959), H. 2/3, S. 36–47.
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büros organisierten als Intermediär weltweit den Schriftentausch zwischen über 3.500 Institutionen, unter diesen zahlreiche Akademien und Universitäten.68 Eine dieser neu entstandenen Einrichtungen war die Tausch- und Beschaffungsstelle für ausländische Literatur an der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (der späteren Deutschen Forschungsgemeinschaft), die unter Mitwirkung der UNESCO 1949 gegründet worden war.69 Während nationale Tauschzentralen im zunehmenden Maße die Austauschbeziehungen ihrer Länder mit dem Ausland selbstständig koordinierten und organisierten, oblag es der UNESCO, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die einzelnen nationalen Einheiten ein funktionsfähiges, dezentral organisiertes, aber weltumspannendes Austauschnetzwerk bilden konnten: Die Pariser Organisation agierte als »verbindendes Glied«70 , das die Kommunikation zwischen den nationalen Tauschbüros überhaupt erst ermöglichte oder zumindest merksam erleichterte. Zum einen bereitete sie wesentliche Informationen auf: Während in der unmittelbaren Nachkriegszeit der UNESCO Bulletin for Libraries mit seinen Rubriken »Publications Wanted«, »Exchange« und »Free Distribution« als ein internationales Anzeigenblatt für Tauschgeschäfte fungierte, bot das 1950 in erster Auflage erschienene Handbook on the International Exchange of Publications nicht nur einen umfassenden Überblick über Geschichte und Funktion des Schriftentauschs, deren rechtlicher Grundlagen und Organisationsprinzipien inklusive einer Aufgabenbeschreibung von Tauschzentralen und dem Abdruck bestehender Konventionen, sondern lieferte auch ein nach Ländern geordnetes Verzeichnis von Tauschbüros und – bis zur vierten Auflage des Kompendiums (1978) – zusätzlich auch eine Aufstellung der von diesen permanent zum Austausch vorgehaltenen Publikationen.71 Zum anderen organisierte die UNESCO in den fünfziger Jahren zahlreiche, zumeist regional ausgerichtete Tagungen, auf denen die für die Austauschbeziehungen zuständigen nationalen Institutionen die Möglichkeit hatten, sich gegenseitig kennenzulernen und über Methoden und Mechanismen des Publikationstauschs zu diskutieren. Derartige Tagungen fanden unter anderem 1953 und 1956 auf Kuba, 1953 in Jugoslawien, 1955 auf den Philippinen, in Chile so-
68 Vgl. Key Words of UNESCO, S. 34. 69 Vgl. Gisela von Busse: Zur Entstehung der Tausch- und Beschaffungsstelle für ausländische Literatur im Jahre 1949. In: In Libro Humanitas. Festschrift für Wilhelm Hoffmann zum 60. Geburtstag am 21. April 1961. Hrsg. von Ewald Lissberger, Theodor Pfizer und Bernhard Zeller. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1962, S. 83–93. 70 Im englischen Original: »unifying link«. Handbook on the International Exchange of Publications. Hrsg. von Gisela von Busse. 3. Auflage. Paris: UNESCO 1964, S. 49. 71 Vgl. Handbook on the International Exchange of Publications. Hrsg. von J. L. Dargent. 1. Auflage. Paris: UNESCO 1950 (UNESCO Publication. 617); Handbook on the International Exchange 1956; Handbook on the International Exchange 1964; Handbook on the International Exchange of Publications. Hrsg. von Frans Vanwijngaerden. 4. Auflage. Paris: UNESCO 1978 (Documentation, Libraries and Archives: Bibliographies and Reference Works. 4).
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wie in Uruguay, 1957 in Syrien und Japan und 1959 in Österreich und im Libanon statt.72 Angesichts wachsender Austauschvolumina wurde Mitte der fünfziger Jahre der Ruf lauter, die Tauschprozesse weltweit zu vereinheitlichen, mithin eine neue internationale Rechtsgrundlage zu schaffen, die die längst unzulänglich gewordene Brüsseler Konvention ersetzen sollte.73 Die UNESCO rief 1956 abermals eine Kommission von Experten ein, die – anders als die Teilnehmer der Tagung acht Jahre zuvor – zu einem Neuentwurf rieten: »The Committee examined the operation of the Brussels Convention of 1886 over the last years, and was firmly of the opinion that a new international agreement covering the many other agreements now in force was required.«74 Wie in dieser abschließenden Empfehlung der Kommission angedeutet und in weiteren Expertenkonsultationen bestätigt wurde, sollte die neue Konvention bereits bestehende zweiseitige Abkommen nicht ersetzen bzw. zukünftige obsolet machen, sondern diesen vielmehr einen Rahmen geben, welcher die Ausweitung der Austauschbeziehungen auf bilateraler Grundlage erleichterte und deren technische Durchführung standardisierte.75 Angestrebt war, die Vorzüge einer internationalen Regelung, d. h. eine möglichst umfassende Vereinheitlichung und Normierung, zu gewährleisten, ohne gleichzeitig starre, wenig flexible Strukturen zu schaffen und damit die Fehler der Brüsseler Übereinkunft zu wiederholen. Die zwei Konventionen, die die UNESCO auf der zehnten Generalkonferenz (1958, Paris) den Delegierten ihrer Mitgliedsstaaten vorlegte – die eine für amtliche Literatur und Parlamentaria (Convention Concerning the Exchange of Official Publications and Government Documents between States)76 , die andere für nicht kommerziell vertriebene Publikationen (Convention Concerning the International Exchange of Publications)77 – spiegeln den Spagat zwischen weitgehender Standardisierung und größtmöglicher Flexibilität wider: So geben in Artikel 1 des Übereinkommens über den
72 Vgl. Handbook on the International Exchange 1964, S. 52. 73 Vgl. ebd. 74 Report of the Committee on Experts. Expert Meeting on the International Exchange of Publications. Paris 1956 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Conf. 17/8 Rev. 1), S. 1. 75 Vgl. Vladimir Popov: The Multilateral UNESCO Exchange Conventions (1958) and Their International Significance. In: Studies in the International Exchange of Publications. Hrsg. von Peter Genzel. München u .a.: K. G. Saur 1981 (IFLA Publications. 18), S. 28–43, hier S. 29–30; William Cox: Present Trends and Future Possibilities in the International Exchange of Publications. Paris 1960 (UNESCODokument: WS/0360.125); F. Donker Duyvis/A. Kessen: Comments and Observations of Two Non-Governmental Organizations, FID and IFLA. Special Intergovernmental Committee on the Preparation of a New Convention for the International Exchange of Publications. Paris 1958 (UNESCO-Dokument: WS/048.115); Draft Report of the Intergovernmental Committee on Exchange of Publications. Paris 1958 (UNESCO-Dokument: CUA/EP/BRU/REP/1); Schmidt-Phiseldeck: The International Exchange of Publications. 76 Vgl. 10 C/Resolutions, S. 90–92. 77 Vgl. ebd., S. 87–89.
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zwischenstaatlichen Austausch von amtlichen Veröffentlichungen und Regierungsdokumenten »die Vertragsstaaten [. . .] ihrem Willen Ausdruck, ihre amtlichen Veröffentlichungen und Regierungsdokumente auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und gemäß den Bestimmungen dieses Übereinkommens auszutauschen«78 . Die Ratifizierung der Konvention stellte somit rechtlich gesehen lediglich eine unverbindliche Zusage zum gegenseitigen Austausch von – in diesem Fall – amtlicher Literatur dar, die gemäß Artikel 3 durch zweiseitige Abkommen insbesondere im Hinblick auf Art, Umfang und Wert der Austauschware konkretisiert werden musste, während technische Durchführung und Verfahrensweise des Austausches, wie z. B. Fragen des Transportes, auf Grundlage der internationalen Konvention und somit weltweit einheitlich geregelt wurden. Mit dem Inkrafttreten der beiden Konventionen im Jahr 1961 fanden die Maßnahmen der UNESCO, das zwischenstaatliche Netzwerk zum Austausch von nicht kommerziell vertriebenen Publikationen sowie von Dubletten zu stärken, einen Abschluss: Durch eine Standardisierung der technischen Verfahrensweise des Austauschprozesses und eine Stärkung der nationalen Organisationsstrukturen hoffte die UN-Organisation, sowohl den Zugang zu Regierungspublikationen anderer Staaten sowie zu wissenschaftlichen Schriften aus dem Ausland verbessert, als auch allgemein zur Internationalisierung bibliothekarischer Tätigkeiten beigetragen zu haben.79 Parallel zu den Bemühungen, die bibliothekarischen Austauschbeziehungen zu intensivieren, setzte sich die UNESCO für eine Stärkung, Vereinheitlichung und Internationalisierung des Informations- und Dokumentationswesens und somit für ein Vorhaben ein, das nicht nur für den Tausch von Publikationen und den in der Zwischenkriegszeit auf Initiative der Organisation für geistige Zusammenarbeit und der IFLA umfassend geregelten internationalen Bibliotheksleihverkehr80 fundamental war, sondern generell der internationalen (wissenschaftlichen) Kommunikation und weltweiten Ideenzirkulation diente: »Within UNESCO’s mind [. . .] is the importance of bibliography as a basic service in all international communication of ideas.«81 Die
78 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 5. Dezember 1958 über den zwischenstaatlichen Austausch von amtlichen Veröffentlichungen und Regierungsdokumenten vom 20. Mai 1969. In: Bundesgesetzblatt II 1969, S. 997–1011. 79 Die beiden Konventionen sind bis heute gültig und von 51 (Regierungsschriften) bzw. 47 Staaten (nicht kommerziell vertriebene Publikationen) unterschrieben worden. 80 Der internationale Leihverkehr wurde nach dem Krieg durch die IFLA neu geregelt: Die »Vereinbarungen über den Internationalen Leihverkehr« aus dem Jahre 1954 ersetzten eine frühere Ordnung von 1936. Vgl. Harald L. Tveterås: International Loans. In: UNESCO Bulletin for Libraries XIX (1965), H. 6, S. 297–301. 81 The Work of the Libraries Division of UNESCO, 1948. Paris 1948 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Conf.2/6), S. 6. Ähnlich auch: Report on the Provisional International Committee on Bibliography and Documentation. Paris 1952 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/88), S. 6.
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Gewährleistung eines universalen Zugangs zu Wissen bedurfte der standardisierten Dokumentation in Form von Katalogen und Bibliographien; ein effizienter, weltweiter Austausch von Informationen, sei es über internationalen Schriftentausch, Bibliotheksleihverkehr oder Buchhandelskanäle, setzte die Existenz von internationalen Bibliographien oder zumindest von weltweit zugänglichen nationalen Gesamtverzeichnissen voraus. Das Interesse an Ordnung und Systematisierung geistiger Produktionen hatte nicht von ungefähr seit Mitte des 19. Jahrhunderts rapide zugenommen, als mit Ausdifferenzierung und Ausbreitung der Wissenschaften und einem rasant wachsenden Buchmarkt Verzeichnisse wie beispielsweise Verlags- und Messekataloge nicht mehr ausreichten, um sich (weltweit) über Neuerscheinungen zu informieren und aktuelle Forschungsergebnisse wahrzunehmen.82 Neben Spezialbibliographien, die meist von Gelehrten bzw. wissenschaftlichen Gesellschaften initiiert und vorangebracht wurden, begannen verstärkt durch öffentliche Gelder finanzierte Nationalbibliographien zu erscheinen, so unter anderem in Dänemark ab 1851 und in Belgien ab 1875.83 Gleichzeitig setzten Bemühungen ein, die bibliographischen Repertorien verstärkt international auszurichten und zu organisieren, und zwar sowohl im Hinblick auf disziplinär begrenzte Bibliographien wie beispielsweise den International Catalogue of Scientific Literature, als auch im Sinne einer nach restlosen Vollständigkeit strebenden Weltbibliographie, deren Erstellung unter Anwendung der Deweyschen Dezimalklassifikation neben der Weiterentwicklung der Bibliographie zur Wissenschaft erklärte Zielsetzung des 1895 in Brüssel gegründeten Institute International de Bibliographie (der späteren Fédération Internationale d’Information et de Documentation, FID) war.84 Warum die bibliographische Frage letztlich nur international zu lösen war, begründete Carl Junker, österreichischer Buchhändler und Vertreter seines Landes am Brüsseler Bibliographieinstitut, 1897 wie folgt:
82 Vgl. ausführlich: Fuchs: Schriftenaustausch, Copyright und Dokumentation, S. 155–168; Kathrine Oliver Murra: Bibliographical Services. Their Present State and Possibilities. Appendix: Notes on the Development of the Concept of Current National Bibliography. Washington, D.C.: Library of Congress, UNESCO 1950. 83 Vgl. Wilhelm Müller: On the Promotion of National Bibliographies as the Most Suitable Foundation for the Solution of the Bibliographic Question. In: The Third International Congress of Publishers. Programme, List of Delegates and Members, Rules, Papers Read, and Discussion. June 7th to 10th, 1899, London. London: Eyre and Spottiswoode 1899, S. 53–61. 84 Vgl. Carl Junker: Das Internationale Institut für Bibliographie in Brüssel. Leipzig: Ramm & Seemann 1897. Siehe zum Internationalen Institut für Bibliographie ferner: W. Boyd Rayward: The Origins of Information Science and the International Institute of Bibliography/International Federation for Information and Documentation (FID). In: Journal of the American Society for Information Science 48 (1997), H. 4, S. 289–300.
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Aber die moderne Wissenschaft macht ebensowenig wie der moderne Verkehr vor den Grenzpfählen Halt, und bei dem heutigen Austausch der Ideen und der Einheit der Wissenschaft kann die Bibliographie genau wie andere gemeinschaftliche Interessen der Völker nur auf internationaler Basis durch eine Union aller beteiligten Staaten zufriedenstellend geordnet werden.85
Angesichts der Internationalisierung von Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft wurde Ende des 19. Jahrhunderts die Erarbeitung einer Bibliographia universalis als erstrebenswert angesehen, eine Position, die die Pariser Organisation fünfzig Jahre später prinzipiell teilte: In den ersten Entwürfen über die Verantwortlichkeiten der UNESCO-Bibliotheksabteilung war diese daher auch noch ganz im Geiste des Institute International de Bibliographie als ein »Weltbibliographiezentrum«86 konzipiert, das langfristig einen globalen Gesamt- und zunächst einen europäischen Verbundskatalog entwickeln sollte.87 Sehr bald wurde allerdings deutlich, dass derartige Vorhaben nicht praktikabel waren und (vorerst) ein Ideal bleiben mussten: Nicht nur die begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten der noch jungen Organisation standen diesem bibliographischen Großvorhaben entgegen, sondern es waren – das schienen frühere, fehlgeschlagene Projekte des Brüsseler Instituts deutlich zu signalisieren88 – vor allem Unzulänglichkeiten im Dokumentationswesen in einzelnen Ländern und das Fehlen einer weltweit einheitlichen Form der Titelbeschreibung und Katalogisierung, die die Realisierbarkeit einer internationalen Gesamtbibliographie in weite Ferne rücken ließen.89 Die Strategie, die die UNESCO in den fünfziger und sechziger Jahren verfolgte, um bibliographische Informationen über die weltweite Buch- und Zeitschriftenprodukti-
85 Junker: Das Internationale Institut für Bibliographie in Brüssel, S. 3. 86 Im englischen Original: »World Bibliographical Centre«. The Bibliographical and Documentation Responsability of UNESCO, o. D. [1946] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, UNESCO/Prep.Com./L.M. & Sp. Proj./S.R.2). Weiterhin war geplant, an der UNESCO eine Weltbibliothek anzugliedern, ein utopisches Projekt, das mit den technischen und finanziellen Möglichkeiten jener Zeit nicht zu realisieren war und daher aufgegeben wurde, das aber mit der 2007 von der UNESCO und der Library of Congress gegründeten und zwei Jahr später offiziell eröffneten World Digital Library gewisserweise zu neuem Leben erweckt wurde. 87 Vgl. Memorandum of the Problems and Policies in the Development of World Library and Information Services Prepared by the Counseller for Libraries and Museums, 15.5.1946 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, UNESCO/Prep. Com/ L.M. & Sp. Proj./2), S. 4–6; Outline of the Proposed Activities on the Bibliographical and Library Centre in Promoting the International Flow of Books between Libraries. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: MISC/85/1947; WBLG/Proj.1/1), S. 4 und S. 11. 88 Vgl. Murra: Bibliographical Services, insbesondere S. 9, S. 12, S. 15 und S. 30. 89 Vgl. Denise Ravage: Working Paper. Conference on the Improvement of Bibliographical Services. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/3), S. 2; Besterman: UNESCO, S. 84.
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on verfüg- und nutzbar zu machen und sich dem Ideal einer Bibliographia universalis so weit wie möglich zu nähern, war eine zweifache90 : [B]ibliographic services [. . .] must be based on national activity, and the bibliographic health of the world must continue to be a reflection of the health of its parts. But because the parts are merely parts, and imply a whole, action must be taken to effect an integration of the parts into a whole – an integration whose sole purpose would be to improve the efficiency and economy of Bibliography. This is the sole basis of international bibliographical activity.91
Die Pariser Organisation bemühte sich einerseits, international zu wirken und zur Weiterentwicklung und weltweiten Angleichung bibliographischer Techniken und Methoden beizutragen. Hierzu vergab sie vor allem Forschungs- und Publikationsaufträge an Dritte92 , veröffentlichte den Bibliographical Newsletter 93 und unterhielt mit dem International Advisory Committee on Bibliography94 ein Fachgremium, das sich
90 Die Strategie der UNESCO beruhte wesentlich auf der Studie über den Zustand bibliographischer Dienste weltweit, die sie bei der Library of Congress in Auftrag gab, sowie auf Empfehlungen einer internationalen Konferenz zum selben Thema, zu der die UNESCO im November 1950 nach Paris geladen hatte, um sich bezüglich möglicher Aufgaben und Tätigkeiten auf dem Gebiet der Bibliographie fachkundig beraten zu lassen. Vgl. Bibliographical Services. Their Present State and Possibilities. Report Prepared as a Working Paper for an International Conference on Bibliography. Washington, D.C.: Library of Congress, UNESCO 1950; General Report of the Conference of the Improvement of Bibliographical Services. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/5), insbesondere S. 11. 91 Bibliographical Services, S. 52. 92 Vgl. beispielhaft: Leendert Brummel: Union Catalogues. Their Problems and Organization. Prepared on the Recommendation of the International Advisory Committee on Bibliography. Paris: UNESCO 1956 (UNESCO Bibliographical Handbooks. 6); Knud Larsen: National Bibliographical Services. Their Creation and Operation. Prepared on the Recommendation of the International Advisory Committee on Bibliography. Paris: UNESCO 1953 (UNESCO Bibliographical Handbooks. 1). 93 Vgl. Bibliographical Newsletter 1 (1952) – 7 (1958), fortgeführt als: Bibliographical News 8 (1959) – 10 (1961). Ab 1961 ersetzt durch: Bulletin on Bibliography, Documentation and Terminology 1 (1961) – 18 (1978). 94 Das internationale Fachgremium kam 1953 zur ersten Sitzung zusammen, nachdem es 1952 zunächst provisorisch getagt hatte. Es beriet die UNESCO bei bibliographischen Projekten, machte Vorschläge zu förderungswürdigen Publikationen und zur Programmentwicklung. Vgl. Report of the International Advisory Committee on Bibliography. First Session. Paris 1953 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/53); Report of the International Advisory Committee on Bibliography. Second Session. Paris 1954 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/61); Report of the International Advisory Committee on Bibliography. Third Session. Paris 1955 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/70); Report of the International Advisory Committee on Bibliography. Fourth Session. Paris 1958 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/86). 1960 wurde das Gremium mit dem International Advisory Committe on Documentation and Terminology in Pure and Applied Science zum International Advisory Committee on Bibliography, Documentation and Terminology vereint, aus dem 1967 schließlich das International Advisory Committee on Documentation, Libraries and Archives hevorging. Vgl. Florence M. Kasiske: Some Aspects of UNESCO’s Role with Respect to Bibliographic Control (1945–1965). Paris 1967 (UNESCO-Dokument: COM/MD/2), S. 8–9.
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um die Standardisierung bibliographischer Regeln bemühte und gleichzeitig auch als Beratungsinstanz die Projekte der Pariser Organisation sachkundig begleitete. Andererseits unterstützte die UNESCO ihre Mitgliedsstaaten bei Ausbau und Verbesserung ihres Dokumentationswesens, um auf diese Weise ausgehend von der nationalen Ebene langfristig die Voraussetzungen für eine internationale bibliographische Tätigkeit zu schaffen.95 In Mexiko, Brasilien und Jugoslawien regte die Pariser Organisation den Aufbau von wissenschaftlichen Bibliographie- und Dokumentationszentren an und unterstützte diese Einrichtungen in der Anfangsphase durch Sachmittel und Expertise.96 Auf Antrag der Mitgliedstaaten entsandte die die Organisation zudem Fachleute, die halfen, die nationalen bibliographischen Dienste zu verbessern und an internationale Standards anzupassen.97 Bis Mitte der sechziger Jahre waren über vierzig Experten weltweit auf dem Gebiet der Bibliographie und Dokumentation in Mitgliedsstaaten der UNESCO tätig. Die Herausgabe des jährlich erstellten Berichtes Bibliographical Services throughout the World98 , das als ein nach Ländern sortiertes Verzeichnis Angaben zu nationalen bibliographischen Zentren, der Existenz von Nationalbibliographien und der Handhabung des Pflichtexemplarrechts enthielt, zeugt davon, dass die UNESCO bei der Internationalisierung des Bibliographie- und Dokumentationswesens ähnlich verfuhr wie beim Ausbau des internationalen Schriftentauschs: Gefestigte nationale Strukturen, die so weit wie möglich auf weltweit einheitlichen Regelungen beruhen sollten, wurden als Voraussetzung für ein internationales Gebilde begriffen, dem durch die Publikation eines Kompendiums samt Adressverzeichnis99 erste Strukturen gegeben wurden.
95 Vgl. UNESCO’s Activities in the Fields of Bibliography, Documentation and Exchanges of Publications. Regional Seminar on Library Development in South Asia. Paris 1960 (UNESCO-Dokument: LBA/Sem.7/17), S. 1. 96 Vgl. UNESCO’s Technical Assistance Projects for Bibliography and Libraries. In: UNESCO Bulletin for Libraries VI (1952), H. 11/12, S. E141–E143; Scientific and Technical Documentation Centres. In: UNESCO Bulletin for Libraries VIII (1954), H. 4, S. E40–E41. 97 Vgl. Edwige Eve Adler: Organisation du Centre de la documentation pédagogique au Gabon – (mission) 9 décembre 1964 au 6 novembre 1965. Rapport final. Paris 1965; J. Garrindo: Report on the Project for a Centre of Scientific and Technical Documentation at Seoul: Korea –(mission). Paris 1962. 98 Die Jahresberichte erschienen zwischen 1950 und 1979 und wurden in Mehrjahresausgaben veröffentlicht. Vgl. exemplarisch: Louise Noëlle Malclès: Bibliographic Services throughout the World. First and Second Annual Reports, 1 September–31 August, 1951–1952, 1952–1953. Paris: UNESCO 1955 (UNESCO Bibliographical Handbooks. 4) Als direkter Vorgänger dieser Analysen nationaler bibliographischer Dienste kann die von der Library of Congress in Zusammenarbeit mit der UNESCO erstellte Studie gelten: National Development and International Planning of Bibliographical Services. The UNESCO/Library of Congress Bibliographical Survey. Volume II. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/1). 99 Das Adressverzeichnis wurde zusätzlich separat publiziert. Vgl. beispielhaft: Guide to National Bibliographical Information Centres. 2. Auflage. Paris: UNESCO 1962 (UNESCO Bibliographical Handbooks. 3).
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Von der anfänglichen Vision universaler Großprojekte blieb hingegen zunächst nicht viel übrig: Lediglich in geringem Umfang förderte die UNESCO konkrete fachspezifische Bibliographien bzw. gab diese selbst heraus, wie z. B. den Index Translationum, ein Verzeichnis aller weltweit publizierten Übersetzungen.100 Erst zu Beginn der siebziger Jahre wurde vor dem Hintergrund neuer technologischer Möglichkeiten und einer anhaltenden Publikationsflut mit der Einrichtung eines weltweiten Systems für naturwissenschaftliche und technische Fachinformationen (UNISIST) das Projekt einer Weltbibliographie in abgewandelter Form zu konkretisieren versucht. Die UNESCO griff, um die Internationalität bibliothekarischer und bibliographischer Tätigkeiten zu unterstützen, auf Expertise von außen, insbesondere vonseiten der beiden internationalen Verbände für Bibliotheken und Dokumentationswesen, IFLA und FID, zurück, zu denen die Pariser Organisation seit ihrer Gründung intensive Beziehungen gepflegt hat. Mitglieder beider Verbände wurden als Experten und Autoren gewonnen und berieten als Angehörige des Beratungsgremiums die Pariser Organisation. Die UNESCO förderte die Verbandsarbeit von IFLA und FID ihrerseits durch jährliche Zuwendungen; so konnte die IFLA 1962 mithilfe der Pariser Organisation ein ständiges Sekretariat einrichten.101 Zwischen den drei im internationalen Bibliotheksund Dokumentationswesen tätigen Institutionen bestanden folglich starke Wechselwirkungen und eine gemeinsame Zielsetzung: die Verbesserung internationaler Kommunikation durch Ausweitung und Standardisierung nationaler Strukturen.
2.3 »To make it easier and cheaper for books to move from country to country«: Handelserleichterungen für den internationalen Buchverkehr »Es ist ein trauriges Spiegelbild unserer Zeit«, schrieb der britische Verleger Stanley Unwin anlässlich der Veröffentlichung des UNESCO-Handbuches Trade Barriers to Knowledge, »dass es eines 167 Seiten starken, eng bedruckten Buches bedarf, um die gesamten künstlichen Hindernisse zusammenzufassen, die dem freien Fluss von Informationen von einem Land in ein anderes entgegenstehen«.102 Am Ende des Krieges
100 Vgl. ausführlich die Übersicht der von der UNESCO unterstützten bibliographischen Projekte: Final Report. UNESCO Bibliographical Publications. Paris 1957 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Conf. 19/5). 101 Vgl. Provisional Summary Report. Joint Meeting of Representatives of the International Federation of Library Associations, the International Federation for Documentation and the International Council for Archives. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: LBA/CONF.5/SR.1-4 + CORR. 1&2); Julien Cain: Structure and Functions of the UNESCO Department of Documentation, Libraries and Archives. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXV (1971), H. 6, S. 311–317 und S. 331, hier S. 311. 102 Im englischen Original: »It is a sad reflection upon the age in which we live that it should require a large and closely set volume of 167 pages merely to summarize all the many artificial barriers which
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und in den Nachkriegsjahren waren – davon zeugt nicht nur das 1951 erstmals veröffentlichte Kompendium der Pariser Organisation103 – die Barrieren zahlreich und hoch, die den internationalen Handel mit Büchern, ihren Im- und Export beschränkten, ihn verteuerten, verlangsamten oder sogar unmöglich machten: Von 43 in der ersten Auflage des Handbuches erfassten Staaten erhoben 15 Zölle auf Bucheinfuhren, unter ihnen die Schweiz, Belgien und Brasilien; in 26 Ländern war der Import von Büchern genehmigungspflichtig und/oder unterlag staatlicher Kontrolle.104 In Schweden wurde die Einfuhr von Kinderbüchern mit einer Abgabe von 0,19 US-Dollar pro Kilogramm belegt, in Jugoslawien waren es gar 0,26 bis 0,33 US-Dollar, die pro Kilogramm importierter Bücher an den Zoll zu verrichten waren.105 In der 1955 in zweiter Auflage erschienenen, auf 91 Länder erweiterten Übersicht über die weltweiten »Handelsschranken für Wissen«106 waren zehn Staaten verzeichnet, in denen der Import von Büchern jeglicher Art zollpflichtig war, sowie 16, in denen die Einfuhr bestimmter Bücher, wie z. B. Bildbänden, mit Abgaben belastet wurde; in 62 Ländern bedurften Buchimporte zumindest in Teilen einer Einfuhrgenehmigung oder waren kontingentiert.107 In den USA wurde ein fünfprozentiger Ad-Valorem-Zoll auf den Import englischsprachiger Bücher erhoben, der vor allem die nationale Druckindustrie vor preiswerterer Konkurrenz aus dem Ausland schützen sollte; auch in Spanien war diese protektionistische Praxis zu finden, dort war der Import von Werken, die in der eigenen Landessprache abgefasst waren, Zöllen unterworfen.108 Neben Abgaben und teilweise aufwendigen bürokratischen Prozessen beim Im- und Export wurde der internationale Buchverkehr zusätzlich durch hohe Transportkosten sowie eine teils strenge Devisenbewirtschaftung belastet.
obstruct the free flow of information from one country to another.« Stanley Unwin: Trade Barriers to Knowledge. In: British Book News 137 (1952), S. 1–2, hier S. 1. 103 Vgl. Trade Barriers of Knowledge. A Manual of Regulations Affecting Educational, Scientific and Cultural Materials. Prepared by the Division of Free Flow of Information. Department of Mass Communication, UNESCO. 1. Auflage. Paris: UNESCO 1951. 104 Vgl. ebd., S. 138–139. 105 Vgl. Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Paris 1952 (UNESCO-Dokument: ART/DOC/1), S. 2–3. 106 Der von der UNESCO verwendete Terminus trade barriers to knowledge lehnt sich an taxes on knowledge an, ein in Großbritannien des 19. Jahrhunderts gebräuchlich werdender Begriff, unter den alle Steuern und Zölle subsumiert wurden, die die Ausbreitung von Bildung und Kultur beschränkten. Vgl. H. Dagnell: The Taxes on Knowledge: Excise Duty on Paper. In: The Library 20 (1998), S. 347–363, hier S. 347. 107 Vgl. Trade Barriers to Knowledge. A Manual of Regulations Affecting Education, Scientific and Cultural Materials. Prepared in the Division of Free Flow of Information, Department of Mass Communication, UNESCO. 2. Auflage. Paris: UNESCO 1955, S. 311–312. 108 Vgl. Barker: Books for All, S. 32.
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Angesichts dieses »skandalösen Umgangs mit Büchern«109 lancierte Stanley Unwin in seiner Funktion als Präsident der Internationalen Verleger-Union im Jahre 1950 einen überaus pathetischen »Appell für die Freiheit von Büchern«110, in welchem er auf eine sofortige Beseitigung aller Handelshemmnisse drängte: »The one thing no country can afford to hamper, limit, or tax [are books] [. . .] Away then with the barriers.«111 Zu einer ähnlichen Einschätzung war bereits Ende 1944 die Buch- und Zeitschriftenkommission der Konferenz Alliierter Bildungsminister gelangt, die auf Basis einer von ihr erstellten Studie über die Zukunft des Buchhandels in Europa einen schnellstmöglichen Abbau jeglicher Restriktionen verlangte, die dem ungehinderten Verkehr von Büchern entgegenstanden.112 Diese Forderung fand im ersten Programm der UNESCO ihren unmittelbaren Niederschlag. Dort hieß es: There are [. . .] [barriers to the Free Circulation of Publications] which call for attention on an international scale and can never be solved except internationally [. . .] These difficulties hinder interchange so seriously as to cripple research, and act as a sullen barrier against international understanding.113
Unter Barrieren für die freie Zirkulation von Büchern (und im weiteren Sinne Informationen überhaupt) fasste die UNESCO – darauf deutet bereits der Titel ihres Handbuches Trade Barriers to Knowledge hin – vor allem Handelshemmnisse. Zwar war man sich in Paris der Tatsache durchaus bewusst, dass der internationale Buchverkehr nicht nur durch Zölle, Steuern, Devisenbewirtschaftung und zu hohe Transportkosten, sondern auch durch politisch-ideologische Barrieren wie Zensurvorschriften und Einfuhrverbote (die nicht selten als wirtschaftliche und bürokratische Handelseinschränkungen getarnt waren) eingeschränkt werden konnte. Letztere fielen indes nicht in das direkte Zuständigkeitsgebiet der UNESCO, sondern oblagen gemäß einer Anfang der fünfziger Jahre innerhalb des UN-Systems fixierten Aufgabenteilung den Vereinten Nationen, insbesondere deren Wirtschafts- und Sozialrat: [B]oth the United Nations and UNESCO have wide and continuing responsibilities in the field of freedom of information. Whereas UNESCO is essentially concerned with the technical aspects of freedom of information, for example: the removal of technical obstacles to international circulation of educational, scientific and cultural materials, the United Nations is and should continue
109 Im englischen Original: »scandalous treatment of books«. Stanley Unwin: The Free Flow of Books. In: Life and Letters 64 (1950), S. 4–11, hier S. 11. 110 Im englischen Original: »plea for the freedom of books«. Ebd., S. 10. 111 Ebd., S. 10–11. 112 Vgl. Report of the Books and Periodicals Commission on Matters Relating to the Book Trade in Europe. November 1944 (UNESCO, Paris-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/B/66a), S. 4–5. 113 Report on the Programme of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 74.
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to be essentially concerned with the political aspects of freedom of information, including its realization and protection as a fundamental human rights.114
Für die nur scheinbar unpolitischere Aufgabe, die technisch-materiellen Voraussetzungen zu garantieren bzw. herzustellen, durch die eine vollständige Ausübung des Menschenrechts auf Information erst möglich war, zeigte sich innerhalb des UNESCOSekretariats vor allem die im Sektor Massenkommunikation angesiedelte Abteilung für freien Informationsfluss (Division of Free Flow of Information) verantwortlich. Diese sah es als eine ihrer zentralen Zielsetzungen an – wie ihr Leiter, der US-Amerikaner Julian Behrstock115 , Mitte der fünfziger Jahre an den Generalsekretär der Internationalen Verleger-Union Hans Conzett schrieb –, »es für Bücher einfacher und preiswerter zu machen, sich von einem Land in ein anderes zu bewegen«116 . Die UNESCO griff damit ein Anliegen auf, das die Internationale Verleger-Union seit ihrer Gründung im Jahr 1896 verfolgte. Dieser bis weit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor allem durch europäische Buchhandelsnationen geprägte Berufsverband zählte zu seinen Aufgaben, »das Recht der Verleger zu sichern und zu verteidigen, die Werke des Geistes in vollkommener Freiheit zu veröffentlichen und zu verbreiten, innerhalb der nationalen Grenzen wie auch im Verkehr zwischen den Völkern und unter Wahrung aller Rechte an ihnen«117 . Das 1901 zur besseren Wahrnehmung der Interessen, zum Aufbau und zur Pflege der internationalen buchhändlerischen Beziehungen in der Schweiz eingerichtete permanente Büro der Verleger-Union widmete sich ebenso wie die im unregelmäßigen Abständen stattfindenden internationalen VerlegerKongresse vor allem Fragen der Gewährleistung eines weltweiten urheberrechtlichen
114 Ad Hoc Committee on the Organization and Operation of the Economic and Social Council and Its Commissions, o. D. [etwa Mai 1951] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82 »–66«, Part IV). Siehe ebenso: S. V. Arnaldo: Memorandum »Report on the Meeting of the Ad Hoc Committee’s Working Group on the Delimitation of the Activities of the UN and UNESCO in the Field of Freedom of Information«, 24.5.1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82 »–66«, Part IV); UNESCO’s Contribution to the Free Flow of Information in Co-Operation with Other Organs of the United Nations. Paris 1948 (UNESCO-Dokument: 3C/PRG/2.2). 115 Julian Behrstock wechselte im Sommer 1948 vom Londoner Büro des American Radio Monitoring Services zur UNESCO und sollte bis zu seiner Pensionierung in den siebziger Jahre die Programme der UNESCO im Bereich des free flow of books und der Medien- und Buchförderung wesentlich mitgestalten. 116 Im englischen Original: »to make it easier and cheaper for books to move from country to country«. Julian Behrstock an Hans Conzett am 20.7.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82, »–66«, Part VII). 117 Zitiert nach: Sigfred Taubert: Internationaler Buchhandel. In: Handbuch des Buchhandels in vier Bänden. Hrsg. von Peter Meyer-Dohm und Wolfgang Strauß. Band 1. Allgemeines. Hrsg. von Horst Machill. Hamburg: Verlag für Buchmarkt-Forschung 1974, S. 105–171, hier S. 134.
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Schutzes, beschäftigte sich aber auch mit Problemen der Verzollung und des Transports im internationalen Buchverkehr.118 Waren Bücher bis weit ins 19. Jahrhundert hinein auch im Zusammenhang mit Zensurvorschriften weltweit teilweise hohen Zöllen unterworfen, setzte sich ab 1850 zunehmend die Ansicht durch, dass im »Zeitalter der allgemeinen Schulbildung, im Zeitalter der sich immer mehr ausbreitenden Volksbildungsbestrebungen aller Art [. . .] ein Staat unmöglich den Verbrauch an geistigen Erzeugnissen durch Erhebung einer Abgabe von ihnen indirekt einschränken wollen«119 kann. Die europäischen Staaten hoben nach und nach die Bezollung von aus dem Ausland kommenden Büchern auf; als Vorreiter darf dabei Frankreich gelten, das 1860 mit den Niederlanden und Großbritannien auf Grundlage bilateraler Abkommen den zollfreien Handel mit Publikationen fixierte und seit 1892 generell keine Zölle auf importierte Bücher gleich welcher Herkunft erhob. Andere Staaten wie Deutschland, Österreich-Ungarn und Japan folgten dem französischen Vorbild.120 Von diesem Abbau tarifärer Handelshemmnisse profitierte der internationale Buchhandel, der vor dem Hintergrund günstiger Rahmenbedingungen wie dem Aufblühen der Weltwirtschaft, der wachsenden internationalen Verflechtung der Wissenschaften, der Verbesserung der Transportmöglichkeiten und einer aus einem kulturimperialistischen Streben heraus gewünschten Präsenz nationaler Verlagsproduktionen im Ausland an Bedeutung gewonnen hatte. Erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges fand die Phase weitgehender Liberalisierung des internationalen Buchverkehrs ein vorläufiges Ende. Der globale Freihandel mit Büchern mit seinen vorwiegend europäischen Akteuren wurde durch protektionistische Maßnahmen belastet, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise und im Zweiten Weltkrieg weiter zunahmen und Buchim- und -exporten fast überall einem restriktiven Lizenzierungsverfahren unterwarfen.121 Im Gegensatz zur Internationalen Verleger-Union, die aufgrund ihrer Natur als nicht gouvernamentaler Organisation letztlich nur über ihre nationalen Verbände
118 Vgl. beispielhaft die entsprechenden, auf den ersten vier Verleger-Kongressen getroffenen Beschlüsse zur »Aufgebung der Zollpflichtigkeit von Geisteserzeugnissen«, zu »Postpaketen und Drucksachen« oder zum »Beitritt zur Berner Konvention«. Beschlüsse der vier Tagungen des Internationalen Verleger-Kongresses zu Paris, Brüssel, London, Leipzig. In: Internationaler Verleger-Kongress. Bericht über die vierte Tagung, 10.–13. Juni 1901, zu Leipzig. Leipzig: F. A. Brockhaus 1902, S. 31–58. 119 Alfred Giesecke: Zollverhältnisse von Büchern mit Rücksicht auf neue Handelsverträge. In: Vorbericht. IV. Internationaler Verleger-Kongress zu Leipzig. 10.–13. Juni 1901. Leipzig: F. A. Brockhaus 1901, S. 81–88, hier S. 81. 120 Vgl. Trade Barriers of Knowledge 1951, S. 9. 121 Vgl. ebd., S. 9–10. Siehe auch: Edmond Fouret: Des Transports Nationaux et Internationaux. In: Congrès International des Editeurs. Rapports. Neuvième Session. 21–25 juin 1931, Paris. Paris: Cercle de la Librairie 1931, S. 151–170; Hans Urban: Impôts et taxes sur les livres. In: Congrès International des Éditeurs. Rapports. Douzième Session. 19–24 juin 1938, Leipzig–Berlin. Leipzig: Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig 1938, S. 389–393.
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bei den Regierungen dafür werben konnte, Handelshemmnisse abzubauen, standen der UNESCO andere Mittel und Wege offen, denn sie besaß als internationale Regierungsorganisation eine andere Legitimität und verfügte über einen größeren Handlungsspielraum: Zollfreiheit für Bücher sowie andere Materialien kultureller, pädagogischer oder wissenschaftlicher Natur sollte, so strebte es die Pariser Organisation seit Ende der vierziger Jahre an, durch eine internationale Regelung weltweit garantiert werden: »[T]he tendency to impose tariffs on books [is] an increasingly serious menace to international understanding and the free development of education, science and culture.«122 Mit dem Vorhaben, die Zollfreiheit für Bücher weltweit verbindlich festzuschreiben, knüpfte die UNESCO an ein unvollendet gebliebenes Projekt aus der Zwischenkriegszeit an und baute dieses aus: Stellte das 1948 der Staatenwelt zur Ratifizierung vorgelegte Abkommen zur Erleichterung der internationalen Verbreitung von optischen und akustischen Materialien, das sogenannte Beiruter Abkommen (Agreement for Facilitating the International Circulation of Visual and Auditory Materials of an Educational, Scientific or Cultural Character), gewissermaßen eine erweiterte Neuauflage der vom Institut für geistige Zusammenarbeit initiierten, 1935 in Kraft getretenen, aber während des Krieges ausgesetzten Konvention zur Erleichterung der internationalen Zirkulation von Lehrfilmen dar123, zielte das zwei Jahre später von der fünften Generalkonferenz (1950, Florenz) verabschiedete Übereinkommen auf eine generelle Abschaffung von Zöllen beim Import von Kulturgütern.124 Mit der Ratifizierung dieser als Florenz-Abkommen bezeichneten Übereinkunft (Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material) verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten nicht nur zu einem vollständigen Zollabbau (Artikel 1, Absatz 1), sondern garantierten auch eine Binnenbesteuerung für Importwaren, die derjenigen inländisch produzierter Güter entsprach (Artikel 1, Absatz 2). Zudem stellten sie eine Liberalisierung der Devisen- und Lizenzbestimmungen (Artikel 2) und Erleichterungen administrativer Importprozesse in Aussicht (Artikel 4). Während unter die Bestimmungen des Florenz-Abkommens nur solche Bild- und Tonmaterialien fielen, die einen erzieherischen, kulturellen oder wissenschaftlichen Charakter aufwiesen, wurde eine derartige Beschränkung bei Büchern, Zeitschriften und Zeitungen nicht vorgenommen: Der Geltungsbereich des Abkommens umfasste alle Printmedien gleichermaßen125 , eine Differenzierung hinsichtlich ihrer Funktion bzw. ihres Charakters fand ganz bewusst nicht statt:
122 Access to Books, S. 13. 123 Vgl. F. K. Liebich: Removing Taxes on Knowledge. Paris: UNESCO 1969 (Reports and Papers on Mass Communication. 58), S. 10. 124 Vgl. Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Abgedruckt als Appendix zu 5 C/Resolutions, S. 141–146, hier S. 141. 125 Eine Ausnahme stellten lediglich Werbemittel wie z. B. Kataloge dar, für die Erleichterungen ausdrücklich ausgeschlossen waren.
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One of the problems in connexion with the efforts to free educational, scientific or cultural materials from the adverse effects of international trade barriers is the difficulty of distinguishing such items from similar products which serve different purposes [. . .] The nature of a book, like that of any carrier of knowledge, is neutral: it is as good as its content and it may also serve other than educational, scientific and cultural purposes. In UNESCO’s Florence Agreement, the difficulty is solved in a very practical way. The obligation to free trade in books, periodicals and newspapers from duties is not limited by any special provision relating to quality or use. This approach, which treats all books as valuable cultural materials and the basis of the dissemination of knowledge, marks considerable progress. Thus, in the interest of securing the free movement of books, no line is drawn between educational, scientific and cultural books and other literature.126
Die im Florenz-Abkommen aus praktischen Überlegungen vorgenommene Festschreibung sämtlicher Bücher als für die Entwicklung von Kultur und Bildung und den Fortschritt der Wissenschaft wertvoll und unabdingbar sollte in der Folgezeit in der gesamten Buchförderung der UNESCO zum Usus werden: Bücher wurden in ihrer Gesamtheit, d. h. unabhängig von dem Inhalt, den sie transportierten, als der Gesellschaft dienlich und somit als per se förderungswürdig eingestuft. Anhand der internationalen Regelung zur Abschaffung von Zöllen beim Import von Kulturgütern lässt sich beispielhaft darstellen, wie ein von der UNESCO initiierter Normierungsprozess verläuft. Auf Beschluss der dritten Generalkonferenz (1948, Beirut)127 entwarf das UNESCO-Sekretariat in Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen einen ersten Entwurf für ein zwischenstaatliches Übereinkommen zur Erleichterung der internationalen Verbreitung von Publikationen, das sie als Ergänzung zum Beiruter Abkommen ihren Mitgliedsstaaten zur Kommentierung vorlegte.128 Parallel dazu wurde auf Ersuchen der Pariser Organisation auf der dritten Konferenz des GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, englisch: General Agreement on Tariffs and Trade) eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die UNESCO hinsichtlich der geplanten Übereinkunft beraten, eine international praktikable Lösung für die Kodifizierung der Zollfreiheit erarbeiten und welthandelsrechtliche Fachkenntnisse in das Projekt einbringen sollte, welche innerhalb der UNESCO nicht vorhanden waren.129 Diese Arbeitsgruppe entwarf einen neuen Vertragstext, der sich vor allem hinsichtlich der Anwendungsbereiche massiv von der ersten Vorlage unterschied: Anstatt lediglich die internationale Verbreitung von Publikationen zu erleichtern, sollten nun vielmehr alle Materialien pädagogischer,
126 Liebich: Removing Taxes on Knowledge, S. 20. 127 Vgl. 3 C/Resolutions, Res. 7.2244. 128 Vgl. Working Paper on the Draft Agreement to Facilitate the International Circulation of Publications. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: 4C/PRG/7), S. 1. 129 Vgl. Working Paper on the Secretariat’s Activities to Facilitate the Free Movement Between Nations of Persons and of Educational, Scientific and Cultural Materials. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: 4C/PRG/5), S. 3–5.
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wissenschaftlicher und kultureller Natur unter die Bestimmungen des Abkommens fallen. Dieser weitergehende, durch die Heranziehung externer Expertise entwickelte Vorschlag wurde vom UNESCO-Sekretariat in einem nächsten Schritt Delegierten aus ausgewählten Mitgliedsstaaten im Rahmen von Konsultationen vorgestellt, auf seine Tragfähigkeit überprüft und gemäß den Anmerkungen und Empfehlungen revidiert, bevor der Abkommensentwurf der Generalkonferenz zur Abstimmung vorgelegt und nach deren Zustimmung bei den Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung bereitgelegt wurde.130 Das Florenz-Abkommen trat 1952 als erste von der UNESCO initiierte internationale Konvention in Kraft, nachdem es von zehn Ländern ratifiziert worden war. Auch wenn die Zahl der Signatarstaaten im Verlauf der fünfziger Jahre weiter anstieg – mit Ende 1959 waren 31 Nationen der Übereinkunft beigetreten –, hatte sich die Pariser Organisation eine breitere und raschere Zustimmung erhofft. Namentlich das Fernbleiben der Vereinigten Staaten von Amerika, des Mutterlandes des Grundsatzes des freien Informationsflusses, war für die UNESCO besonders schmerzlich, hatte man doch auf Drängen der USA (und US-amerikanischer Lobbyverbände, namentlich der Druckindustrie) dem Florenz-Abkommen ein Protokoll beigefügt, das protektionistische Maßnahmen zum Schutz einheimischer Industrien in den Fällen erlaubte, in denen Güter aus dem Ausland im großen Umfang eingeführt wurden.131 Noch bevor die USA im November 1966 das Abkommen nach langen Verhandlungen unterzeichneten132 , hatte René Maheu in seiner Funktion als Generaldirektor der UNESCO (1961– 1974) an die zuständigen US-Behörden geschrieben:
130 Vgl. Report on the Draft Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: 5C/PRG/11); Background of the Agreement. Meeting of Governmental Experts on the Agreement of the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Paris 1957 (UNESCO-Dokument: UNESCO/AGR/3). 131 Vgl. Julian Behrstock an Mr. Buder am 4.8.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82 »–66«, Part V); Julian Behrstock: Report of Mission to Washington vom 21.5.1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82 »–66«, Part V). 132 Im Gegensatz zur US-amerikanischen Druckindustrie, die sich vehement gegen einen zollfreien Import von Printprodukten, vor allem Büchern, aussprach, drängte namentlich die US-amerikanische Verlagswirtschaft auf einen Beitritt ihres Landes zum Florenz-Abkommen. Vgl. Robert W. Frase: Tariffs and Other Trade Barriers. The U. S. Experience. In: Encyclopedia of Library and Information Science. Volume 30: Taiwan to Toronto, University of. Hrsg. von Allen Kent, Harold Lancour und Jay E. Daily. New York, Basel: Marcel Dekker 1980, S. 120–127; Dan Lacy/Robert W. Frase: The American Book Publishers Council. In: A History of the Book in America. Volume 5: The Enduring Book. Print Culture in Postwar America. Hrsg. von David Paul Nord, Joan Shelley Rubin und Michael Schudson. Chapel Hill: The University of North Carolina Press, American Antiquarian Society 2009, S. 195–209, hier S. 202–203.
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The absence of the United States from the list is a serious loss. It reduces the effectiveness of the agreement by removing from the orbit one of the world’s largest producers and exporters of the materials covered and also by lessing the inducement to other countries to join. Protracted delay has denied the United States its traditional position of leadership in a matter concerning the free flow of information.133
Ebenso wie im Fall der USA warb die Pariser Organisation auch bei anderen Mitgliedsstaaten für eine zügige Ratifizierung des Florenz-Abkommens, denn erst wenn die Regierungen die Übereinkunft ins nationale Recht umsetzten, schlug das Engagement der UNESCO auf die kulturpolitischen Rahmenbedingungen durch. Der Erfolg des Abkommens hing somit von der Zustimmung staatlicher Akteure ab. Neben persönlichen Ansprachen waren vor allem Rundschreiben, Broschüren und Publikationen wie beispielsweise der 1952 in erster Auflage erschienene Leitfaden zum FlorenzAbkommen134 oder die Analyse Removing Taxes on Knowledge135 geeignete Mittel, um die maßgeblichen Stellen von Sinn und Funktion der Konvention zu überzeugen. Das zentrale Argument, das die UNESCO ins Feld führte, um einen vollständigen Wegfall von Zöllen beim Import von Kulturgütern durchzusetzen, ist in seinem Kern bis heute unverändert geblieben: Gemessen am Gesamthandelsvolumen machten die unter das Florenz-Abkommen fallenden Güter einen so geringen Prozentsatz aus, dass die sich aus der Bezollung ergebenen Erträge minimal und vor dem Hintergrund der zu erwartenden Wirkung – Verbesserungen in den Bereichen Bildung und Völkerverständigung – zu vernachlässigen seien.136 In der 1956 von der UNESCO veröffentlichten Studie Books for All wurde die Insignifikanz der Erträge für die Staatskassen prägnant exemplifiziert: [T]he annual return from the United States Government’s import duties on books in the English language cannot exceed $ 500,000 – less than 0.000002 per cent of the total national income. France’s 8 per cent tax on the invoice value of imported books yields only about 200 million francs, or 0.00002 per cent of the total national income.137
Die UNESCO bemühte sich mithin, das Bewusstsein der Staatenwelt für die Bedeutung der Zollfreiheit für Kulturgüter zu schärfen. Eine derartige Verhaltensbeeinflussung war letztlich die einzige Handlungsoption, die der internationalen Organisation offenstand, um nicht nur baldige Ratifizierungen, sondern auch eine rasche Umset-
133 René Maheu an William Benton im Jahr 1966, zitiert nach Mokia: National Policy on International Book and Library Activities, S. 76. 134 Vgl. Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. A Guide to Its Operation. 1. Auflage. Paris: UNESCO 1952. 135 Liebich: Removing Taxes on Knowledge. 136 Vgl. Memorandum on Economic Obstacles and Privileges Pertaining to the Free Flow of Educational, Scientific and Cultural Materials, 25.2.1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82 »–66«, Part II). 137 Barker: Books for All, S. 34.
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zung der Übereinkunft ins nationale Recht zu bewirken und somit den Erfolg ihrer Initiative sicherzustellen.138 Über Sanktionsmöglichkeiten im Falle eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des Abkommens verfügte die UNESCO nicht. Etwaige Schwierigkeiten, die sich aus der praktischen Anwendung der Übereinkunft ergaben, mussten auf zwischenstaatlicher Ebene geklärt werden; die UN-Organisation konnte auf Ansuchen der Mitgliedsstaaten lediglich beratend intervenieren.139 Hingegen oblag es der UNESCO, in regelmäßigen Abständen überprüfen zu lassen, ob die Regelungen des Florenz-Abkommens noch zeitgemäß waren oder eine Revision nötig wurde. Dieses geschah im Rahmen von Konsultationen mit Experten aus Regierungskreisen der Unterzeichnerstaaten, die sich zusätzlich auch mit konkreten Problemen der Anwendung und Auslegung der Übereinkunft beschäftigten.140 Auf der dritten Tagung 1973 empfahlen die Teilnehmer vor dem Hintergrund neuer Technologien, Veränderungen in den welthandelsrechtlichen Usancen und spezifischer Bedürfnisse der Entwicklungsländer eine Anpassung des Florenz-Abkommens, welche die neunzehnte Generalkonferenz (1976, Nairobi) als Protokoll von Nairobi verabschiedete.141 In diesem wurde insbesondere eine Ausweitung der von Zollabgaben befreiten Materialien beschlossen, unter anderem sollten auf die für die Buchproduktion notwendigen Rohstoffe wie Papier und Druckerfarbe keine Zölle mehr erhoben werden.142 Außerdem enthielt das Nairobi-Protokoll die Absichtserklärung, den Informationsfluss aus der Dritten Welt zu
138 Jeder dem Florenz-Abkommen beigetretene Staat verpflichtete sich zur Übermittlung eines Berichtes an die UNESCO, in dem die getroffenen Maßnahmen zur Umsetzung der Übereinkunft erläutert wurden. Diese Berichte aus den Unterzeichnerstaaten leitete die UNESCO an alle Mitgliedsstaaten weiter. 139 Die limitierte Sanktionskraft ist in Artikel 8 des Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials fixiert. Vgl. dazu auch: Tor Gjesdal: Memorandum vom 2.4.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82/12 »–66«, Part II). Siehe exemplarisch für eine Intervention der UNESCO: J. O. Urlik an W. E. Purnell am 19.11.1952 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/822 »–66«, Part V); Julian Behrstock an W. E. Purnell am 8.12.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/822 »–66«, Part V). 140 Die ersten beiden Expertenkonsultationen fanden 1957 und 1967 jeweils in Genf statt. 141 Vgl. Report. Meeting of Governmental Experts to Review the Application of the Agreements on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Palais des Nations, Geneva, 26 November – 3 December 1973. Paris 1974 (UNESCO-Dokument: UNESCO/MD/28); Working Paper. Meeting of Governmental Experts to Review the Application of the Agreements on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Paris 1973 (UNESCO-Dokument: COM-73/CONF.201/3). 142 Dieser Vorschlag geht auf eine Empfehlung der Internationalen Verleger-Union zurück. Vgl. Communications Received from International Non-Governmental Organizations. Meeting of Governmental Experts to Review the Application of the Agreements on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Paris 1973 (UNESCO-Dokument: COM-73/CONF.201/4), S. 17.
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verbessern, um so einen wechselseitigen, ausgewogeneren Austausch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu garantieren.143 Neben Zollabgaben und der teilweise aufwendigen Importabwicklung waren es vor allem Transportkosten, die die Preise für importierte Bücher ansteigen ließen und den internationalen Buchverkehr belasteten: Mitte der fünfziger Jahre machten die Transportkosten bei Büchern, die aus dem Ausland eingeführt worden waren, rund zwölf Prozent des Verkaufspreises aus, bei nationalen Publikationen lag der Anteil mit drei bis sechs Prozent deutlich niedriger.144 Im Rahmen ihrer Zielsetzung, weltweit eine möglichst ungehinderte Zirkulation von Büchern zu gewährleisten, sah es die UNESCO daher als ihre Aufgabe an, auch auf Vergünstigungen für den internationalen Buchtransport hinzuwirken. Im Fokus der Pariser Organisation stand insbesondere der Postverkehr, wurde die Mehrheit der Bücher im grenzüberschreitenden Handel doch über diesen Weg verschickt.145 Die auf dem neunten, 1929 in London stattfindenden Weltpostkongress beschlossene und 1947 in Paris bestätigte Regelung einer fünfzigprozentigen Gebührenermäßigung für Auslandsdrucksachen, die die nationalen Postbehörden gewähren konnten, aber nicht mussten, war in den Augen der UNESCO unzureichend.146 Sie wollte die optionale Tarifermäßigung durch eine verbindliche Regelung ersetzt sehen: »The ideal goal for UNESCO to pursue would be [. . .] to make the application of the 50% reduction mandatory for all signatories of the Convention.«147 Für ein derartiges Vorhaben benötigte die UNESCO allerdings – wie im Fall des Zollabbaus auch – die direkte Unterstützung aus den Mitgliedsstaaten, denn nur deren nationale Postbehörden waren auf den Kongressen des Weltpostvereins stimmberechtigt und konnten
143 Vgl. 19 C/Resolutions, Annex I: Protocol to the Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials, S. 53–62; Preparation of a Draft Protocol to the Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Preliminary Report. Paris 1975 (UNESCODokument: COM/MD/34). 144 Vgl. Barker: Books for All, S. 40. 145 Vgl. ebd. 146 Vgl. zur Gebührenermäßigung bei Auslandsdrucksachen den Eintrag: Drucksachen. In: Handwörterbuch des Postwesens. Bearbeitet von Hans Rackow. Frankfurt/Main: Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen 1953, S. 213–214. Vgl. weiter: Conference on International Cultural, Educational, and Scientific Exchanges. Princeton University – November 25–26, 1946. Preliminary Memoranda. Hrsg. von Edwin E. Williams und Ruth V. Noble. Chicago: American Library Association 1947, S. 109–110. 147 A. Manuelides: Memorandum »Report on Mission to Geneva and Berne, 6th to 9th February 1951«, 19.2.1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 82/ 383, Part I). Vgl. ähnlich auch: Memorandum on Measure to Facilitate the Free Flow of Information Through Wider Use of Postal Communications, 28.10.1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 82/ 383, Part I).
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Änderungsanträge stellen.148 Die UNESCO legte ihren Mitgliedsstaaten daher einen Katalog mit Vorschlägen vor und bat sie, diese auf dem 1952 in Brüssel stattfindenen Weltpostkongress einzubringen.149 Die hohen Erwartungen, die die UNESCO im Hinblick auf eine Verbesserung der Versandkonditionen gehegt hatte, konnten sich – das zeigte der Verlauf des Weltpostkongresses in der belgischen Hauptstadt rasch – nur zu einem geringen Teil erfüllen. Zu sehr standen, wie ein UNESCO-Vertreter nach Paris berichtete, die wirtschaftlichen Interessen der nationalen Postbehörden einer noch weitergehenden präferenziellen Behandlung von Buchsendungen ins Ausland entgegen. Die Tarifermäßigung für Auslandsdrucksachen blieb somit optional: May I begin by saying that the going is very tough. Although UNESCO, of all the observer organizations, is the only one looked upon sympathetically, the Administrations, as a rule, maintain their positions as dictated by their financial interests. It is for this reason that all the proposals involving the possibility of financial loss have been rather heavily defeated.150
Eine ähnliche Erfahrung machte die UNESCO auch mit der Internationalen FlugTransport-Vereinigung (International Air Transport Association, IATA), bei der sie einen weiteren Antrag auf Reduzierung der Frachtkosten stellte, nachdem der Dachverband der Fluggesellschaften auf Ansuchen der Pariser Organisation die Konditionen für die Beförderung von Büchern per Luftfracht – eine in den fünfziger Jahren noch relativ unübliche, aber durchaus attraktive, weil schnelle Beförderungsart151 – zum April 1954 bereits deutlich verbessert hatte.152 Der IATA-Generaldirektor schrieb 1955 nach Paris: May I refer to my letter to you [. . .] containing a request from UNESCO for special reductions on the airlines in the freight charges on educational and other material. In conformity with what I promised in my letter, I brought your proposal to the notice of the Composite Traffic Conferences of IATA held in Miami in September, 1955, and I desire now to report to you that the proposal was rejected unanimously. It is the plain truth that there are so many proposals of a similar character
148 Vgl. Report on the Proposals Recommended for Submission by the Governments of Member States to the 1952 Congress of the Universal Postal Union. Paris 1952 (UNESCO-Dokument: 29 EX/16), S. 1. 149 Vgl. Recommended Proposals for Submission by Member States to the 1952 Congress of the Universal Postal Union. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: 28 EX/24). 150 A. Menuelides an Julian Behrstock am 6.6.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 82/ 383, Part II). 151 Vgl. Barker: Books for All, S. 47. 152 Vgl. Julian Behrstock an Stanley Unwin am 23.4.1954 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82 »–66«, Part VI); Reduction in Air Freight Rates for Books. In: UNESCO Bulletin for Libraries VIII (1954), H. 5/6, S. E71.
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that if one was exceptionally agreed a veritable flood would cut into the airlines’ capacity to make a living.153
Den Bestrebungen der UNESCO, die Transportkosten für Bücher im internationalen Verkehr zu senken, waren deutliche Grenzen gesetzt. Zwar war es der Pariser Organisation möglich, mit Verweis auf die Kultur- und Bildungsfunktionen von Büchern eine im Umfang begrenzte, präferenzielle Behandlung im Vergleich zu ›gewöhnlichen‹ Handelsgütern durchzusetzen; umfangreichere Ermäßigungen standen allerdings dem Charakter der den Transport durchführenden Fluggesellschaften bzw. nationalen Postbehörden entgegen, die als Unternehmen wirtschaftlichen Grundsätzen verpflichtet waren. Dennoch bemühte sich die UNESCO weiterhin um Vergünstigungen für den Buchtransport, namentlich beim Weltpostverein154 : So wurde beispielsweise auf dem Internationalen Postkongress in Ottawa 1957 der Vorschlag der UNESCO, die Gewichtsbeschränkungen für den internationalen Versand von Büchern von drei auf fünf Kilogramm pro Paket anzuheben, angenommen.155 Zusätzlich zu Zöllen und hohen Transportkosten waren es Engpässe im Devisenbereich, die in der Nachkriegszeit einer Wiederbelebung des internationalen Buchhandels entgegenstanden, da insbesondere in Staaten mit weicher Währung Bucheinfuhren aus dem Ausland kontingentiert wurden: »[C]urrency restrictions [. . .] constitute the most important barrier to the movement of publications to countries in a weak economic position.«156 Um die mit der Währungsproblematik verbundenen Einschränkungen beim Buchimport aufzuheben, schuf die Pariser Organisation mit den book coupons eine international gültige »Buchwährung«157 , ein Zahlungsmittel, das es Institutionen wie Universitäten und Bibliotheken, aber auch Privatpersonen wie Lehrern, Wissenschaftlern oder Studenten erleichtern sollte, den Kauf von Büchern und ab 1950 auch von audiovisuellen Materialien im Ausland zu tätigen. Die im Dezember 1948 erstmals herausgegebenen Buchschecks sollten also in devisen-
153 William P. Hildred an Luther H. Evans am 3.11.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 001 A 3/82/12 »– 66«, Part I). 154 Vgl. Liebich: Removing Taxes on Knowledge, S. 12; Memorandum on the International Circulation of Educational, Scientific and Cultural Materials. Prepared by UNESCO in Connection with the XIXth Congress of the Universal Postal Union. Paris 1984 (UNESCO-Dokument: COM-84/WS/10). 155 Vgl. Proposals Commended to Member States by the Director-General of UNESCO for Submission to the Fourteenth Congress of the Universal Postal Union. Ottawa, August 1957. Paris 1955 (UNESCODokument: 24 EX/21); World Postal Congress Grants Concessions for Books. In: UNESCO Bulletin for Libraries XII (1958), H. 1, S. 18; Fereydoun Hoveyda: UNESCO and Postal Communications. In: UNESCO Chronicle IV (1958), H. 6, S. 183–186. 156 Draft Proposal for UNESCO Book Coupon Scheme. A Proposal to Overcome Currency Barriers to the Free Flow of Publications. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: BIBL/2/1947; BIBL/1/1947), S. 2. 157 Im englischen Original: »book currency«. New Book Currency Now in Circulation. In: UNESCO Courier I (1949), H. 11/12, S. 6.
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schwachen Ländern einen anderweitig nicht realisierbaren Bucheinkauf im Ausland ermöglichen.158 Die Schecks im Wert von 25 Cent, einem, drei, zehn, dreißig oder einhundert USDollar wurden von Pariser Organisation gegen Bezahlung in Landeswährung an Bildungsministerien oder nationale UNESCO-Kommissionen abgegeben, die diese an interessierte Einrichtungen und Privatpersonen weiter verkauften. Um ein Buch im Ausland zu erwerben, musste ein spezielles Bestellformular zusammen mit der korrespondierenden Menge an book coupons an einen ausländischen Buchhändler geschickt werden. Dieser versandte das Buch dann an die im Bestellformular angegebene Adresse, während er der zuständigen Zentralstelle seines Landes die Buchschecks zum Umtausch in Landeswährung vorlegte.159 Trotz der recht aufwendigen Verfahrensweise erfreute sich die globale Buchwährung der UNESCO einiger Beliebtheit. Als ein Projekt, das unmittelbar im Zusammenhang mit dem kulturellen Wiederaufbau lanciert wurde, ermöglichte es zunächst vor allem Bibliotheken in devisenschwachen Ländern im kriegszerstörten Europa den Erwerb von Büchern und Zeitschriften. Im Zuge der relativ raschen Überwindung der Währungsproblematiken in vielen europäischen Staaten wurde die Buchwährung in den fünfziger Jahren im zunehmenden Maße von Institutionen in Afrika, Asien und Lateinamerika genutzt. Bis 1955 waren Buchschecks im Wert von insgesamt neun Millionen US-Dollar ausgegeben, die weltweit in 38 Ländern als Zahlungsmittel für Bucheinkäufe im Ausland eingesetzt wurden.160 Das Florenz-Abkommen, die Einführung einer Buchwährung und die Verhandlungen über Kostenvergünstigungen für internationale Buchsendungen wurden von der UNESCO initiiert, um den Kauf von Büchern im Ausland einfacher, schneller und preiswerter zu gestalten. Es waren Maßnahmen, die vor allem den Endabnehmern, also Bibliotheken und Universitäten, aber auch Privatpersonen zugutekommen und diese zu weiteren Buchkäufen im Ausland animieren sollten. Die Maßnahmen kamen jedoch auch dem Buchhandel entgegen, denn sie trugen dazu bei, dass sich das globale Buchhandelsnetz weiter entfalten konnte. Fundamentaler als die Gewährleistung dieser Handelserleichterungen war es für Kulturschaffende und Verleger jedoch, dass die grenzüberschreitende Verbreitung ihrer Werke juristisch geregelt wurde und Autoren nicht nur auf einheimischem Boden, sondern auch im Ausland vor unrechtmäßigem Nachdruck geschützt waren. Allerdings stand ein weltweiter Rechtsschutz
158 Vgl. UNESCO Book Coupon Scheme. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: LBA/ICHP/4 + App.1 & 2); Financial Measures to Facilitate the Free Flow of Materials by UNESCO Book Coupons. Paris 1948 (UNESCO-Dokument: 3 C/PRG/1.4); UNESCO’s Book Coupon Scheme is Launched. In: UNESCO Bulletin for Libraries III (1949), H. 1, S. 2–6. 159 Vgl. Access to Books, S. 16; Gisela von Busse: Einführung des UNESCO-Buchschecks im Bundesgebiet. In: Nachrichten für wissenschaftliche Bibliotheken 4 (1951), H. 3, S. 61–65. 160 Vgl. Key Words of UNESCO, S. 34.
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für Autoren und ihre Werke trotz intensiver Bemühungen in den Zwischenkriegsjahren weiterhin noch aus. Die UNESCO, die kurz nach ihrer Gründung das schwierige und konfliktreiche Verhältnis zwischen Schutz des geistigen Eigentums auf der einen und dem möglichst freien und ungehinderten Zugang der Allgemeinheit zu Wissen und Kultur auf der anderen Seite reflektiert hatte161 , kam zu der Einschätzung, dass ein weltweit gültiges Urheberrecht notwendig war, um den freien Fluss von Ideen und Informationen zu gewährleisten: The inadequate degree of international protection afforded by the present state of affairs is a direct incentive to infringement and ›piracy‹ [. . .] The practical consequence of this is that authors, publishers and producers [. . .] do not attempt to publish new works in countries where such work is inadequately protected – and their perfectly proper hesitation constitute one of the most formidable barriers (all the more so because it is invisible) to the spread of thought and to mass education [. . .] The only thing which can serve to remove these invisible but often insurmountable barriers is world-wide agreement, to a certain extent at least, on the legal status of the products of the mind.162
In ihrem Bestreben, einen weltweit einheitlichen Rechtsstandard zum Schutz von Kulturschaffenden durchzusetzen, konnte die UNESCO auf frühere Initiativen und Vorhaben zurückgreifen, denn die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte163 hatte bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingesetzt: Wurde der Schutz ausländischer Werke zunächst auf Grundlage bilateraler Abkommen gewährleistet, basierte die Berner Konvention von 1886 auf der Idee, Autorenrechte multilateral anzuerkennen und ausländischen Autoren denselben Schutz zu garantieren, den inländische Kulturschaffende erhielten (Prinzip der Inländerbehandlung). Parallel zu der kontinentaleuropäisch geprägten Berner Union hatte sich in der westlichen Hemisphäre ein regional begrenztes, panamerikanisches Urheberrechtssystem herausgebildet, das auf Konventionen von Montevideo (1899), Mexiko-Stadt (1902), Rio de Janeiro (1906), Buenos Aires (1910) und Havanna (1928) beruhte und in der Tradition des angloamerikanischen, werkzentrierten copyright stand, welches einen Rechtsschutz nur nach vorheriger Registrierung gewährleistete.164
161 Vgl. François Hepp: Introductory Report for the Provisional Committee of Experts on Copyright. Meeting at UNESCO House, Paris, 15–20 September 1947. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: UNESCO/DA/2). Siehe zum durchaus konfliktreichen Verhältnis von urheberrechtlichen Schutz und Recht auf Information Kapitel 10.1 dieser Arbeit. 162 Preliminary Statement Regarding the Work of the Provisional Committee of Experts on Copyright, Convoked by UNESCO in Paris for 15–20 September, 1947. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: UNESCO/DA/1), S. 5. 163 Vgl. hierzu ausführlich Löhr: Die Globalisierung geistiger Eigentumsrechte. 164 Vgl. ebd, S. 131–144.
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In den zwanziger Jahren setzten zunächst aufseiten der Berner Mitgliedsstaaten Bestrebungen ein, europäische und angloamerikanische Autorenrechte anzugleichen und die Berner Konvention durch Rechtsharmonisierung mit den panamerikanischen Urheberrechtsabkommen zu einem Vertrag globaler Reichweite auszubauen.165 Dieses Vorhaben wurde durch die Organisation für geistige Zusammenarbeit aufgegriffen, die in den dreißiger Jahren die Vereinheitlichung der Autorenrechte vorantrieb und eine Annäherung zwischen den Mitgliedsstaaten der Berner und der Panamerikanischen Union erreichen konnte. 1936 stellte die Organisation einen ersten Entwurf für eine Weltkonvention zum Schutz des literarischen und künstlerischen Eigentums vor und plante parallel die Einberufung einer internationalen Staatenkonferenz, auf der ein globaler Mindeststandard für den Schutz von Autoren endgültig kodifiziert werden sollte.166 Das mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zum Erliegen gekommene Projekt der Organisation für geistige Zusammenarbeit wurde nach 1946 von der UNESCO aufgenommen und weiterverfolgt.167 Ähnlich wie ihre Vorgängerorganisation griff die UNESCO dazu auf externe Sachverständige zurück, die mit inhaltlichen Arbeiten sowie dem Entwurf der Konvention betraut wurden168 , während die 1948 im Generalsekretariat gegründete Abteilung für Urheberrecht unter der Leitung François Hepps vergleichende Analysen zur Situation des Urheberrechts in einzelnen Ländern unternahm169 , die Beziehungen zu den Mitgliedsstaaten sowie zum Büro der Berner Union pflegte und um eine Aufrechterhaltung des Informationsflusses nicht zuletzt durch die Herausgabe des Copyright Bulletin170 bemüht war. Durch das Welturheberrechtsabkommen (Universal Copyright Convention, UCC), das im September 1952 in Genf von vierzig Staaten unterzeichnet wurde und drei Jahre später in Kraft trat, brachte die UNESCO die jahrzehntelangen Bemühungen um eine
165 Vgl. ebd., S. 115–130. 166 Vgl. ebd., S. 213–249. 167 Vgl. ebd., S. 256–263. 168 Vgl. Committee of Experts on Copyright. Paris, 4 to 9 July 1949. Recommendations. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/DA/24); Committee of Copyright Experts. Washington, D.C., 23 October–4 November 1950. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/4); Account of the Work of the Sixth Session of the General Conference (Paris, June–July 1951) in the Field of Copyright. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/27). 169 Vgl. François Hepp: Introductory Report to the Committee of Copyright Experts in Session at UNESCO House July 4–9, 1949. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/DA/9), S. 2–3; Study of Comparative Copyright Law. In: UNESCO Copyright Bulletin II (1949), H. 2/3, S. 11–147; Bibliographical References. Annotated List of Bilateral Treaties and Other Instruments Concerning International Copyright Relations among the Various Countries. In: UNESCO Copyright Bulletin II (1949), H. 4, S. 30–155; International Instruments Covering Copyright. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: UNESCO/DA/Conf. 4/2). 170 Vgl. UNESCO Copyright Bulletin I (1948)–XIX (1966), dann weitergeführt als: Copyright Bulletin. Quarterly Review I (1967)–XXXIV (2000).
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globale Vereinheitlichung des Autorenschutzes zu einem Abschluss.171 Ebenso wie die in den dreißiger Jahren vorgelegten Entwürfe beschränkte sich die UNESCO-Weltkonvention darauf, durch eine Kodifikation der Gemeinsamkeiten in der kontinentaleuropäischen und angloamerikanischen Rechtsauffassung einen globalen Mindeststandard für den Autorenschutz zu definieren. So wurde unter anderem das bis heute weltweit gültige Schutzsymbol © eingeführt, um den in der Berner Konvention verankerten Inländerbehandlungsgrundsatz mit der im amerikanischen Kulturraum üblichen Erfüllung von Formalia zu verbinden: Durch den Abdruck des Schutzsymbols wird angezeigt, dass das Werk in seinem Land gemäß der dort geltenden Bestimmungen urheberrechtlichen Schutz genießt und damit unter den Schutz des Welturheberrechtsabkommens fällt. Die bestehenden Rechtssysteme behielten somit ihre Gültigkeit und wurden mithilfe der UNESCO-Weltkonvention lediglich miteinander verbunden: »The Universal Copyright Convention draws the world together and bridges the three watertight compartments into which it was formerly divided: the Berne Union countries, the Western Hemisphere countries and the countries which had never joined any convention.«172 Im Rahmen ihres idealistisch-ambitionierten Gründungsauftrages, durch Bildung, Kultur und Wissenschaft zur Sicherung des weltweiten Friedens und der Verständigung zwischen den Völkern beizutragen, setzte sich die UNESCO für eine Verbesserung der Verbreitung von Büchern und eine Vertiefung der buchhändlerischen und bibliothekarischen Beziehungen weltweit, indem sie internationale Konventionen auf den Weg brachte, zur Vereinheitlichung nationaler Organisationsstrukturen beitrug und die Herausbildung internationaler Netzwerke unterstütze. Zahlreiche Komponenten des Gesamtvorhabens, den free flow of books weltumspannend zu gewährleisten, wie etwa die Bemühungen um einen international garantierten Rechtsschutz für Autoren, die Abschaffung der Zölle im weltweiten Buchverkehr oder die Verbesserung des zwischenstaatlichen Schriftenaustausches und der nationalen Dokumentationssysteme, erwuchsen aus Projekten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines sich langsam internationalisierenden Verlags- und Bibliothekswesens entstanden und von individuellen Akteuren, den sich im internationalen Rahmen konstituierenden Berufsverbänden und der Organisation für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes vorangetrieben worden waren. Die UNESCO griff diese Internationalisierungsprozesse auf, führte sie in einem institutionalisierten Rahmen zusammen und gab ihr neue Impulse. Schaut man auf die von der Pariser Organisation gewählte Verfahrensweise, zeigt sich, dass das UNESCO-Sekretariat den free flow of books nicht alleine zu verwirklichen versuchte, sondern das Vorhaben in Auseinandersetzung und Zusammenarbeit
171 Vgl. Universal Copyright Convention. Paris: UNESCO 1952. 172 Ending the World’s Copyright Muddle. In: UNESCO Courier IX (1956), H. 12, S. 39.
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mit Experten aus Bibliothekswesen und Buchhandel sowie staatlichen Delegierten aushandelte, entwarf und entwickelte, sich mithin umfassend vernetzte. Erst durch diese Vernetzungsarbeit zwischen Sachverständigen und Beratern, staatlichen Akteuren und international tätigen Berufsverbänden, d. h. durch eine mehrseitige Einbindung, Zentralisierung und Koordination von Kapazitäten und Expertise, konnte die Grundlage geschaffen werden, Themen international wirkungsvoll zu platzieren und ihnen so Widerhall zu verleihen. Als internationale Organisation verfügte die UNESCO über den Handlungsspielraum und die Legitimität, um die internationale Verbreitung von Büchern durch eine mehrseitige Kooperation von zwischenstaatlichen Institutionen, staatlichen Delegationen und Experten zu betreiben.
3 Bücher als Bausteine einer neuen Weltordnung Die Welt für Bücher durchlässiger zu gestalten und den Zugang zu im Ausland erscheinenden Publikationen zu verbessern, also einen Beitrag zur transnationalen Ideenzirkulation zu leisten, stellte eine Möglichkeit dar, Informationen zu Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft anderer Länder und Kulturkreise weltweit verfügbar zu machen und somit eine Grundlage für eine Annäherung zwischen den Völkern zu schaffen. Jedoch war diese Möglichkeit in ihrer Reichweite stark begrenzt, konnte doch lediglich eine Minderheit Bücher in Fremdsprachen rezipieren. Damit wäre – um das Bild William Gaddis’ neuerlich zu bemühen – die Brücke, die sich dank des free flow of books errichten ließe, schmal und für nur wenige überquerbar. Um den Kontakt und den Austausch zwischen den Kulturen weiter zu stärken, waren erstens Übersetzungen unabdingbar; zweitens erschien es erstrebenswert, auf das Erscheinen von Büchern hinzuwirken, die nicht in nationalen Stoffen verharrten, sondern die Welt oder Ausschnitte derselben thematisierten, die Aufmerksamkeit auf weltweite Zusammenhänge lenkten, Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern herausstellten und somit im Dienst des globalen Friedensprojekts standen. Das gedruckte Wort sollte – ebenso wie die audiovisuellen Medien1 – nicht nur dazu beitragen, die Missverständnisse zu beseitigen, die »aus einem Mangel an Kenntnis [erwachsen waren], wie andere Völker leben und arbeiten, [und] aus dem Unvermögen, deren Ideale und Wertordnung zu verstehen«2 , sondern möglichst auch den Prozess einer transnationalen Identitätsbildung unterstützen und zur Ausformung eines globalen Bewusstseins, eines »Wir-Gefühls«3 beitragen: [A]lle Völker besitzen eine eigene Kultur, und alle diese Kulturen haben in der modernen Welt untereinander Beziehungen. Eine zutreffende Würdigung der Elemente einer vorhandenen Zivilisation und Kultur wird die gemeinsame Menschlichkeit sichtbar machen, die alle Menschen bindet.4
Bücher wurden von der UNESCO als Medium begriffen, das Manifestationen fremder Kulturen als Teil einer universellen Einheit erfahrbar machen konnte.
1 Vgl. Report. Expert Committee to Study the Principles and Methods of Education for Living in a World Community. Paris 1954 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/136), S. 22–23. 2 Die Behandlung des Westens in Schulbüchern und Lehrmitteln Süd- und Ostasiens. Bericht einer Expertenkonferenz. Tokio, 22. September – 4. Oktober 1958. In: Internationales Jahrbuch für Geschichtsunterricht VII (1959/1960), S. 122–146, hier S. 123. 3 Anna-Katharina Wöbse: »To cultivate the international mind«: Der Völkerbund und die Förderung der globalen Zivilgesellschaft. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), H. 10, S. 852–863, hier S. 860. 4 Die Behandlung des Westens in Schulbüchern und Lehrmitteln Süd- und Ostasiens, S. 124.
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3.1 »Looking at the World through Textbooks«: Überwindung nationaler Perspektiven in (Geschichts-) Lehrbüchern Im Rahmen ihres Einsatzes für weltweiten Frieden und internationale Verständigung sprach die UNESCO der Institution Schule eine besondere Funktion zu: »Education should lay the basis in the schools for an understanding of the rich diversity of cultures as well as for the common human values which each in some way enshrines.«5 Die Erziehung zu Frieden, Toleranz und Bereitschaft zur Aussöhnung – festgeschrieben in Artikel 26 der Menschenrechtscharta6 – sollte als bedeutsam politisch-pädagogische Aufgabe wesentlich in der Schule erfolgen, dort war das Bewusstsein für die eine Welt mit ihrer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen am nachhaltigsten zu vermitteln und zu schärfen. Ganz im Sinne Kants sollte die »Anlage zu einem Erziehungsplane« in den Augen der UNESCO »kosmopolitisch«7 gestaltet sein. Demzufolge mussten gerade auch Schulbücher, die als wirkmächtige Artefakte gesellschaftliche Normen vermitteln und eine Einflussgröße in der Wahrnehmung und Prägung der Welt darstellen, im Geist des Friedens verfasst sein und die internationale Verständigung fördern.8 Vor allem, wenn auch nicht ausschließlich Lehrbücher der Geschichte und Geographie sollten, wie ein Memorandum der Vorbereitenden Kommission festhielt, zu »Boulevards der Weltverständigung«9 ausgebaut werden, denn: »It is only by improving all textbooks and teaching materials that progress can be made in education for a world society.«10 Mit der Annahme, dass Schulbücher als Instrumente der Erziehung zu Frieden und Toleranz dienten und über diese eine Völkerverständigung erfolgen könnte, schloss die UNESCO an Konzepte an, die im Kontext der Friedensbewegung im 19. Jahrhundert entstanden waren und während der Zwischenkriegsjahre eine breite Rezeption und Weiterentwicklung erfahren hatten.11 Lehrbücher mit nationalistischen und kul-
5 Learning about Other Cultures: Suggestions for a Study of Textbooks. Paris 1954 (UNESCO-Dokument: WS/124.12), S. 1. 6 Dort heißt es: »Education shall promote understanding, tolerance, and friendship among all nations.« 7 Immanuel Kant: Über Pädagogik. In: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik. Zweiter Teil. Band 10. Werke in zehn Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1975 [1803], S. 693–761, hier S. 704. 8 Vgl. James Quillen: Improvement of Textbooks Sought in Member States. In: UNESCO Courier I (1948), H. 9, S. 7. 9 Im englischen Original: »to make them boulevards for world understanding«. Looking at the World through Textbooks. Paris 1946 (UNESCO-Dokument: UNESCO/C/9), S. 1. 10 Better History Textbooks. Paris: UNESCO 1951 (UNESCO and Its Programme. 6), S. 21. 11 Vgl. zur Geschichte der Schulbuchrevision ausführlich: Carl August Schröder: Die Schulbuchverbesserung durch internationale geistige Zusammenarbeit. Geschichte, Arbeitsformen, Rechtsprobleme. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte durch die Rechtsund Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Bonn,
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turimperialistischen Zugangsweisen, die das eigene Volk glorifizierten und andere diffamierten, wurden als Beiträger für zwischenstaatliche Konflikte angesehen; insbesondere Geschichtsbüchern wies man Bedeutung als Mitursache für Streitigkeiten zwischen Völkern zu. So forderte der französische Lehrer Anatole France 1919: »Verbrennt die Bücher, die den Haß lehren, verbrennt sie alle!«12 Der im selben Jahr tagende achte deutsche Pazifistenkongress empfahl, »die Schulbücher aller Schulen unter Ausmerzung aller kriegsfreundlichen Gedanken und Einführung eines völkerversöhnlichen Geistes einer gründlichen Umarbeitung zu unterziehen«13 . Durch eine Schulbuchrevision hoffte man, Lehrbücher zu ›reinigen‹ bzw. zu ›entgiften‹, also chauvinistische, verzerrte und verfälschte Äußerungen, Negativbilder und Vorurteile beseitigen zu können und somit das Konfliktpotenzial zwischen den Nationen zu verringern. Neben internationalen Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise des Carnegie Endowment for Peace oder dem Committee for Moral Disarmament sowie nationalen und internationalen Lehrerverbänden und Historikervereinigungen war es in der Zwischenkriegszeit vor allem der Völkerbund, der sich des Themas annahm und im internationalen Rahmen um die Entwicklung einer einheitlichen Praxis der Schulbuchrevision bemüht war.14 Mit der 1925 von der Kommission für geistige Zusammenarbeit verabschiedeten Casares-Resolution wurde ein Verfahren für die zwischenstaatliche Kontrolle von Schulbüchern geschaffen: Die nationalen Kommissionen für geistige Zusammenarbeit sollten auf freiwilliger Basis wechselseitig Unterrichtswerke begutachten und gegebenenfalls auf eine Abhilfe fremdenfeindlicher oder verzerrender Darstellungen drängen.15 Allerdings wurde diese Resolution Braunschweig: Georg Westermann 1960/1961, S. 41–78. Ein historischer Abriss ist ebenso enthalten in den folgenden UNESCO-Publikationen: Looking at the World through Textbooks, S. 1–17; A Handbook for the Improvement of Textbooks and Teaching Materials as Aids to International Understanding. UNESCO: Paris 1949, S. 5–42. 12 Zitiert nach: Schröder: Schulbuchverbesserung durch internationale geistige Zusammenarbeit, S. 51. 13 Verhandlungsbericht. Achter deutscher Pazifistenkongreß einberufen von der Deutschen Friedensgesellschaft und der Zentralstelle Völkerrecht. Berlin 13. bis 15. Juni 1919 im Preußischen Herrenhause. Charlottenburg: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte 1919/1920, Anlage III: Resolutionen des achten deutschen Pazifistenkongresses, S. 179. 14 Vgl. zu den Bemühungen des Völkerbundes um eine internationale Schulbuchrevision ausführlich: Eckhardt Fuchs: Die internationale Revision von Geschichtsbüchern und -lehrplänen. Historische Perspektiven und aktuelle Tendenzen. In: Das Schulbuch zwischen Lehrplan und Unterrichtspraxis. Hrsg. von Eva Matthes und Carsten Heinze. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005 (Beiträge zur historischen und systematischen Schulbuchforschung), S. 193–210; ders.: Der Völkerbund und die Institutionalisierung transnationaler Bildungsbeziehungen. Vgl. auch: Kolasa: International Intellectual Cooperation, S. 68–92. 15 Vgl. Minutes of the Sixth Plenary Session of the Committee on Intellectual Co-Operation. Geneva, 17.8.1925 (A.23.1925.XII). Genf 1925, Annex: Resolutions Adopted by the Committee at Its Sixth Session IV, S. 6. Siehe auch: Schröder: Schulbuchverbesserung durch internationale geistige Zusammenarbeit, S. 67–68.
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in den zwanziger und dreißiger Jahren kaum angewandt; sie zeigte mit ihrem unverbindlichen Charakter ohne jegliche Sanktionsmöglichkeiten die Grenzen internationaler Regelungsbemühungen im Schulbuchbereich auf, Grenzen, die nach 1945 auch den Handlungsspielraum der UNESCO bestimmen sollten: Denn als Narrative einer offiziellen, meist in nationaler Perspektive verfassten Darstellung von Geschichte und Gegenwart, also eines politisch wie auch gesellschaftlich höchst brisanten und äußerst sensiblen Bereichs, fielen Schulbücher erstens unter die einzelstaatliche Souveränität16 ; zweitens wurde – insbesondere von Wissenschaftlern und Pädagogen – eine internationale Kontrolle der Schulbücher als Eingriff in die Freiheit von Lehre und Forschung empfunden und die Schulbuchrevision mit dem Ziel der Völkerverständigung häufig als »blasses Harmonisierungsstreben auf Kosten der harten historischen Realitäten«17 angesehen. Drittens machten es die unterschiedlichen Bildungssysteme mit ihren teils zentralistischen, teils föderativen Strukturen und den verschiedenen Zuständigkeiten für Schulbücher unmöglich, ein einheitliches System der internationalen Schulbucharbeit zu entwerfen, wie deutlich auch der letztlich gescheiterte Versuch des Instituts für geistige Zusammenarbeit zeigte, mit der 1937 durch den Völkerbund verabschiedeten und 1938 in Kraft getretenen Declaration Regarding the Teaching of History (Revision of School Textbooks) ein Modellabkommen für die bilaterale Überprüfung von Schulbüchern international durchzusetzen.18 Dem Abkommen traten zwar 26 Staaten bei, einflussreiche Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Großbritannien blieben der Konvention allerdings mit Verweis auf die Lehrmittelfreiheit fern.19 Mag man angesichts der geringen praktischen Resultate die Bemühungen um eine Verbesserung der Unterrichtswerke in der Zwischenkriegszeit in der Rückschau durchaus zurecht als »Fußnote zu einem ganz anderen, gegenläufigen Prozess« deuten, der »neue, universale und ideologisch unerbittliche Obsessionen über die alten nationalen Rivalitäten«20 schob, so profitierte die nach 1945 intensiviert fortgesetzte Schulbuchrevision doch in nicht unerheblichem Maße von den Initiativen und Erfahrungen der zwanziger und dreißiger Jahre. Die Kontinuitäten, die zwischen der Arbeit der Organisation für geistige Zusammenarbeit und der UNESCO bestanden, wurden
16 Vgl. Fuchs: Die internationale Revision von Geschichtsbüchern, S. 194. 17 Otto-Ernst Schüddekopf: Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulbuchrevision 1945–1965. Tatsachen und Probleme. Braunschweig: Albert Limbach Verlag 1966 (Schriften des internationalen Schulbuchinstituts. 12), S. 8. 18 Vgl. ebd., S. 31. Siehe auch: Herbert J. Abraham: The Improvement of History Textbooks in the Interests of International Understanding. In: UNESCO Chronicle II (1956), H. 1, S. 9–14, hier S. 14. 19 Vgl. Schüddekopf: Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulbuchrevision, S. 27. 20 Karl-Ernst Jeismann: »Who is Europe?« Von der internationalen zur interkulturellen Schulbuchforschung. In: Internationale Verständigung. 25 Jahre Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. Hrsg. von Ursula A. J. Becher und Rainer Riemenschneider. Hannover: Verlag Hahnsche Buchhandlung 2000, S. 236–248, hier S. 239.
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im 1949 veröffentlichten Handbook for the Improvement of Textbooks and Teaching Materials as Aids to International Understanding explizit gemacht, wobei die Publikation des Kompendiums schon für sich genommen als Neuauflage des 1932 auf Französisch und 1933 auf Englisch erschienenen Manuals School Text-Book Revision and International Understanding21 gewertet werden kann: [T]he efforts of individuals, national and international organisations, and governments [have been numerous and varied]. It is upon this rich experience that UNESCO has sought to build its programme for the improvement of textbooks and and teaching materials as aids to international understanding.22
Mit dem Handbuch legte die Pariser Organisation nicht nur eine breit angelegte Analyse bisheriger Schulbuchrevisionsprojekte vor, sondern erarbeitete auf dessen Basis auch eine umfassende Methodologie23 , die den Mitgliedsstaaten als Modell für zukünftige internationale Schulbucharbeit zur Verfügung gestellt wurde.24 Diese stützte sich wesentlich auf Verfahren und Techniken, die in der Zwischenkriegszeit unter anderem vom Schweizer Pädagogen Claparède, der französischen Lehrergewerkschaft und der im skandinavischen Raum für die Revision von Unterrichtswerken verantwortlichen Vereinigung Norden (Föreningen Norden) entwickelt worden waren.25 Die Publikation des Handbuches als erster sichtbarer Maßnahme der UNESCO deutete bereits darauf hin, dass sich die Pariser Organisation im Bereich der Schulbuchrevision vor allem als Initiator und Clearing House verstand. Im Vorwort einer 1950 erschienenen Publikation wurde betont: Die »UNESCO selbst befasst sich weder mit der Kritik noch mit der Revision von Schulbüchern; sie sucht vielmehr ihre Mitgliedsstaaten oder private Organisationen dazu anzuregen und sie zu unterstützen«26 . Auch die Teilnehmer der internationalen Schulbuchtagung, zur der die UNESCO 1950 nach Brüssel geladen hatte, empfahlen, dass die noch junge internationale Organisation vor allem darauf hinwirken sollte, dass in jedem ihrer Mitgliedsstaaten »die Bestrebungen zur Schulbuchverbesserung institutionalisiert werden«27 .
21 Vgl. School Text-Book Revision and International Understanding. 2. (englische), überarbeitete und erweiterte Auflage. Paris: International Institute of Intellectual Co-Operation (League of Nations) 1933. Zunächst auf Französisch erschienen als: La Révision des Manuels Scolaires Contenant des Passages Nuisibles à la Compréhension Mutuelle. Paris: Sociéte des Nations, Institut International de Coopération Intellectuelle 1932. 22 A Handbook for the Improvement of Textbooks, S. 55. 23 Vgl. ebd., S. 69–90. 24 Vgl. Rundschreiben CL/204 aus dem März 1949, Annex 1: A Model Plan for the Analysis and Improvement of Textbooks and Teaching Materials as Aids to International Understanding (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 »–66«, Part I). 25 Vgl. Schüddekopf: Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulbuchrevision, S. 43. 26 Vorwort. In: Haakon Vigander: Gegenseitige Revision von Geschichtsbüchern in den nordischen Ländern. Deutsche Ausgabe. Paris: UNESCO 1950, S. 1–2, hier S. 1.
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Sie sprachen sich für eine rasche Wiedereinführung und einen Ausbau des in den Zwischenkriegsjahren entwickelten Verfahrens bilateraler Begutachtung und Fehlerbehebungen aus, deren praktische Arbeiten – quasi als Fortschreibung der CasaresResolution – von den Schulbuchausschüssen der nationalen UNESCO-Kommissionen, aber auch von Lehrer- oder Historikerverbänden koordiniert und durchgeführt werden sollten.28 In den fünfziger Jahren konnte somit ein »transnationales Feld der Schulbuchrevision«29 entstehen, auch dank der Unterstützung der UNESCO, die sowohl die Bildung von Schulbuchausschüssen in ihren Mitgliedsländern anregte30 und einzelne bilaterale Konsultationen bezuschusste31 , als auch mit Publikationen die Bedeutung und Notwendigkeit von objektiven und fairen Lehrbüchern herausstellte und Richtlinien zur Methodik32 veröffentlichte. Zwischen 1945 und 1965 fanden weltweit etwa 150 Schulbuchtagungen statt, von denen über die Hälfte bilateraler Natur war.33 Die sich vor allem in Westeuropa rasch institutionalisierende Praxis zweiseitiger Schulbuchdialoge zielte darauf, die wechselseitige Darstellung in Schulbüchern – vor allem zwischen Nachbarländern mit einer belasteten Beziehungsgeschichte – konsensfähig zu machen und Vorurteile und Stereotype zu überwinden.34 Dabei wurden – wie beispielsweise im Rahmen der deutsch-französischen oder französischitalienischen Schulbuchdialoge – nicht nur Unterrichtsmaterialien begutachtet, sondern die Revisionsvorschläge auch auf Tagungen besprochen und Empfehlungen für Lehrer und Schulbuchautoren erarbeitet. Zahlreiche dieser Revisionen fanden unter Beteiligung nationaler UNESCO-Kommissionen statt, die vor allem politisch sensi-
27 Schüddekopf: Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulbuchrevision, S. 30. 28 Vgl. The Brussels Seminar. Findings and Studies. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: WS/061.32); Georg Eckert: Blätter vom Arbeitstisch des Brüsseler UNESCO-Seminars. In: Internationales Jahrbuch für Geschichtsunterricht 1 (1951), S. 182–190. 29 Im englischen Original: »transnational field of textbook revision«. Romain Faure: Connections in the History of Textboook Revision, 1947–1952. In: Education Inquiry 2 (2011), H. 1, S. 21–35, hier S. 32. 30 Vgl. 6 C/Res. 1.316; A Handbook for the Improvement of Textbooks, S. 123. Siehe beispielhaft für Deutschland: Der Schulbuchausschuß der Deutschen UNESCO-National-Kommission. In: Internationales Jahrbuch für Geschichtsunterricht 2 (1953), S. 368. 31 Vgl. Report on the Present State of Bilateral Consultations for the Improvement of History Textbooks. Paris 1952 (UNESCO-Dokument: WS/112.100). 32 Vgl. Vigander: Gegenseitige Revision von Geschichtsbüchern; Better History Textbooks; Joseph A. Lauwerys: History Textbooks and International Understanding. Paris: UNESCO 1953 (Towards World Understanding. 11); Textbooks and International Understanding. In: Education Abstracts XI (1959), H. 4/5, S. 3–26. 33 Vgl. Schüddekopf: Zwanzig Jahre Westeuropäischer Schulbuchrevision, S. 27. 34 In Deutschland war die Arbeit des 1951 durch Georg Eckert gegründeten internationalen Schulbuchinstituts in Braunschweig, des heutigen Georg-Eckert-Instituts, richtungsweisend. Zu seinen Aufgaben zählten die Veranstaltung von Historiker- und Lehrertagungen, die Erarbeitung von Methoden für die Gestaltung von Schulbüchern, der Lehrmittelaustausch mit dem In- und Ausland sowie die Unterhaltung einer Schulbuchbibliothek.
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blen Schulbuchdialogen wie den westdeutsch-polnischen Konsultationen (ab 1972) Neutralität und Legitimität verleihen konnten.35 Nachdem sich die UN-Organisation in den Nachkriegsjahren für eine rasche Wiederbelebung und Ausweitung der Schulbuchrevision auf bilateraler Basis engagiert hatte, legte das UNESCO-Sekretariat ab Mitte der fünfziger Jahre deren Durchführung weitgehend in die Verantwortung nationaler Akteure und bemühte sich fortan um einen multilateralen Ansatz36 : [T]he textbook revision activities inspired by UNESCO’s initiative have made progress in many countries. UNESCO itself has sought in recent years to enlarge the field of action by associating Asian countries with those of the West in a long-term programme for textbooks revision. 37
Mit der Lancierung eines Projekts, das Mängel in der Darstellung europäischer und asiatischer Länder in den Schulbüchern des jeweils anderen Kulturkreises aufzeigte und zu beheben versuchte, reagierte die UNESCO auf die Tatsache, dass die Überprüfung von Schulbüchern zum einen fast ausschließlich auf Nachbarstaaten bzw. Länder im eigenen Kulturkreis beschränkt blieb und zum anderen geographisch und kulturell weiter entfernte Länder in Lehrbüchern kaum behandelt wurden. So hieß es im Projektentwurf 1953: [A] better knowledge of the world, the co-existence of different nations and civilizations in an international community, ever more closely bound together, makes such knowledge essential for all preparation for life, and therefore an educational necessity. By ›knowledge of the world‹ UNESCO means knowledge which is adequate, balanced, accurate, up-to-date and objective [. . .] One of the anomalies of the present world situation is that two vast groups of countries – the countries whose traditions are those of Western Europe, and the Asian countries – have only a fragmentary and distorted idea of each other.38
Die später in das Langzeitprojekt zur gegenseitigen Anerkennung kultureller Werte in Orient und Okzident (Major Project on the Mutual Appreciation of Eastern and West-
35 Vgl. Thomas Strobel: Die gemeinsame deutsch-polnische Schulbuchkommission. Ein spezifischer Beitrag zur Ost-West-Verständigung 1972–1989. In: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2005), S. 253–268. 36 Konträr zu der hier vertretenen Auffassung einer veränderten Ausrichtung der Programme in den fünfziger Jahren, sieht Luntinen ab 1953 einen deutlichen Rückgang des Engagements der UNESCO gegeben: »Thus in 1953 the General Conference cut the budget for textbook revision and after that UNESCO’s role [. . .] has been quite limited.« / »After 1953 UNESCO left textbook revision to be taken care of by other organizations. It continued giving encouragement, receiving reports, furthering contacts, and generally approving of textbook revision.« Luntinen: School History Textbook Revision. Part I, S. 345; und: Luntinen: School History Textbook Revision. Part II, S. 39. 37 Speech for Goslar Meeting, by D. V. Irvine, o. D. [1962] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 A 064 (43-15) »62« MP 03 AMS), S. 2–3. 38 Draft Plan for the Study of School Textbooks, Submitted to Member States and National Commissions under Resolution 1.331 of the 1953–1954 Programme of UNESCO. Paris 1953 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/130), S. 2.
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ern Cultural Values, 1957–1966)39 integrierten multilateralen Schulbuchanalysen und -gespräche sollten den Revisionsbemühungen eine neue Perspektive geben und zum Zwecke der Völkerverständigung auf eine gleichberechtigte oder zumindest ausgewogenere Repräsentation aller Kulturen in Lehrbüchern hinwirken. Bereits die Vorbereitende Kommission hatte empfohlen, dass sich die UNESCO nicht nur um eine Revision von Schulbüchern im Sinne einer Fehlerbehebung und einer vorurteilsfreien Darstellung anderer Nationen bemühen, sondern sich verstärkt auch für eine Überwindung nationaler Perspektiven einsetzen sollte: Der programmatische Titel des der ersten Generalkonferenz vorgelegten Memorandums Looking at the World through Textbooks verweist klar und deutlich auf die Vision, nationale Denkmuster in Lehrmaterialien durch eine Ausrichtung auf andere Kulturen einzuschränken bzw. aufzulösen und – sogar noch weitgehender – den Schülern überall ein einheitliches, universelles Weltbild zu vermitteln: »Revision of textbooks and teaching materials should be directed towards providing pupils with a wider view of the world as a whole and strengthening friendship between peoples.«40 Während der Gründungskonferenz der UNESCO hatte der Repräsentant Panamas eine weltweite Standardisierung von Unterrichtswerken angeregt und der ägyptische Gesandte seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die neu gegründete Organisation das Verfassen internationaler Schulbücher zu ihren Aufgaben zählen würde.41 Die mexikanische Delegation begründete den von ihr vorgelegten Entwurf für ein Lehrwerk der Weltgeschichte wie folgt: »The teaching of world history must be subordinated to the supreme human ends of international justice and brotherhood.«42 All diese Vorschläge standen in der Tradition der ideengeschichtlich bis in die Aufklärung zurückreichenden Vision, zum Zwecke der Ausformung der Menschen zu Weltbürgern einen Unterricht, insbesondere einen Geschichtsunterricht, zu ermöglichen, der übernational bzw. universalhistorisch angelegt war. Schon unter der Ägide des Völkerbundes hatte es in den frühen zwanziger Jahren Bemühungen gegeben, dieses Ideal umzusetzen und ein internationales Geschichts-
39 Das sogenannte Ost-West-Projekt kam auf Initiative asiatischer Mitgliedsstaaten zustande und zielte vor dem Hintergrund der Dekolonisation darauf, die paradigmatische Vorstellung eines Gegensatzes zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹ durch einen Dialog der Kulturen zu überwinden. Eine Definition von Begriffen und Konzepten wie kulturelle Werte, Orient oder Okzident fand dabei nicht statt. Vgl. hierzu ausführlich: Wong: Relocating East and West; dies.: Cultural Agency; Maurel: L’UNESCO de 1945 à 1974, S. 761–764. 40 Draft Plan for the Study of School Textbooks, S. 2. 41 Vgl. Conference for the Establishment of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 31 und S. 60. 42 Proposal for a Textbook on World History Submitted by the Mexican Delegation, 12.4.1946 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, Prep.Com/25).
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buch zu publizieren43 , und auch die historische Kommission der Konferenz Alliierter Bildungsminister hatte in den letzten Kriegsjahren Planungen für ein einheitliches europäisches Lehrwerk vorangetrieben.44 Im ersten Programm der UNESCO wurde die Produktion von Modelllehrbüchern mit einem »one world basis approach«45 als eine mögliche Maßnahme genannt, um die internationale Verständigung zu verbessern. Fünfzehn Jahre später, auf der ersten der drei von der UNESCO in den sechziger Jahren ausgerichteten internationalen Tagungen von Schulbuchverlegern, betonte der Repräsentant der britischen Verlegervereinigung Olaf Anderson: I think that to all of us who are interested in education at an international level, the ideal textbook for use in schools in nearly every subject would be one compiled by an international committee of teachers under UNESCO for the whole world, to be translated as and when into the various languages. Thus there would be a solid basis for understanding between children of every clime and country.46
Die Pariser Organisation hatte zu jenem Zeitpunkt bereits erkannt, dass das Projekt, allen Schülern weltweit ein einheitliches universalgeschichtliches Bild anhand eines entsprechenden Lehrwerkes zu vermitteln, nicht zu realisieren war, denn nicht nur standen mit dem anwachsenden Systemkonflikt zwischen Ost und West unverbindliche und letztlich unversöhnliche Geschichtsauffassungen nebeneinander, sondern vor allem beförderte die Dekolonisation in Asien und in Afrika ein verstärktes Interesse an einer Historiographie, die die Ausformung nationaler Identitäten unterstützte.47 Bereits 1952 ließ die UNESCO daher eindeutig verlautbaren: The fear has sometimes been expressed that UNESCO might make a Utopian attempt to replace the textbooks of the different Member States by a single, uniform textbook, introducing the teaching of world history instead of national history [. . .] UNESCO has no intention of forcing any particular instruments upon those who are to make use of them.48
43 Vgl. Kolasa: International Intellectual Cooperation, S. 69–70; Fuchs: Die internationale Revision von Geschichtsbüchern, S. 194. 44 Vgl. Interim Report on the Work of the History Committee, o. D. [etwa 1944] (Paris, UNESCOArchiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/B/22); Books and Periodicals Commission: History Committee: Draft Recommendations on the Plans for the History of the War, o. D. [etwa 1944] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/B/22b, AME/A/16b). 45 Report on the Programme of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 9. 46 R. O. Anderson: Some Problems Involved in International Co-operative Work in the Field of Textbooks. International Meeting of Educational Publishers. Geneva 1961. Paris 1961 (UNESCO-Dokument: ED/PUB/61/6; WS/0661.130), S. 1. 47 So auch: Luntinen: School History Textbook Revision. Part I, S. 343 und S. 345. 48 Report on the Present State of Bilateral Consultations for the Improvement of History Textbooks, S. 2.
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Der Verzicht auf das Vorhaben, weltweit einheitliche (Geschichts-) Lehrbücher einzuführen, bedeutete hingegen nicht, dass die Pariser Organisation ihre Bemühungen um eine Stoffumverteilung zugunsten welthistorischer Perspektiven einstellte. Anstatt ein standardisiertes, universalgeschichtliches Bild in Form eines Einheitsbuches vorzugeben, strebte sie die Ergänzung bzw. Erweiterung nationalhistorischer Zugangsweisen in Schulbüchern an: Die Geschichte und Kultur eines Landes sollte in einem »übernationalen Geist studiert werden [. . .], ohne daß man die nationale Note übersieht«49 . Die Nationalgeschichte war – wie die Annales-Historiker Lucien Febvre/Fernand Braudel der UNESCO Ende der vierziger Jahre empfahlen – in Schulbüchern idealerweise im Spiegel der Weltgeschichte darzustellen, indem »Grad und Weise aufgezeigt werden, wie die Zivilisation eines Landes mit dem Rest der Welt direkt verbunden ist«50 . Wie schwierig es allerdings war, das Ideal einer umfassenderen Repräsentation weltgeschichtlicher Stoffe in Schulbüchern einzulösen, zeigen deutlich die vier zwischen 1956 und 1962 im Rahmen des Orient-Okzident-Projekts ausgerichteten Schulbuchtagungen51 , auf denen über Wege beraten wurde, wie die durch kritische Selbststudien bestätigte unzureichende und oberflächliche Darstellung der Völker des jeweils anderen Kulturkreises zu überwinden sei. Denn gleichwohl man mög-
49 Die Behandlung des Westens in Schulbüchern und Lehrmitteln Süd- und Ostasiens, S. 128. In der englischen Originalfassung heißt es: »[T]he history and culture of a country has to be studied in an international spirit, without neglecting a national emphasis.« Treatment of the West in Textbooks and Teaching Materials of South and East Asia. Report of a Meeting of Experts. Paris 1958 (UNESCODokument: UNESCO/ED/163), S. 8. 50 Im englischen Original: »[S]howing the manner and the degree to which the civilisation of that country was directly linked with that of the rest of the world.« Memorandum: Proposed Contract for a New Type of History Textbook vom 21.3.1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 »–66«, Part I). Vgl. zur Verknüpfung von National- und Weltgeschichte auch: Lucien Febvre/François Crouzet: Der internationale Ursprung einer Kultur. Grundgedanken einer Geschichte Frankreichs. In: Internationales Jahrbuch für Geschichtsunterricht 2 (1953), S. 5–31. 51 1956 fand in Paris die erste Tagung über die Darstellung asiatischer Kulturen in westlichen Lehrbüchern statt; es folgte die korrespondierende Tagung in Tokio zwei Jahre später; 1960 wurde in Wellington schwerpunktmäßig der Gebrauch zusätzlicher, über das Schulbuch hinausgehender Unterrichtsmaterialien für die Annäherung zwischen Orient und Okzident diskutiert; die 1962 in Goslar ausgerichtete Konferenz diente schließlich der Erarbeitung abschließender Empfehlungen. Vgl. dazu ausführlich die entsprechenden Abschlussberichte: The Treatment of Asia in Western Textbooks and Teaching Materials. Report of an International Committee of Educators. Paris 1956 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/147); Treatment of the West in Textbooks and Teaching Materials of South and East Asia; The Use of Publications for Schools in Increasing the Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values. Report of a Seminar Held in Wellington, New Zealand, 1–19 February, 1960. Paris 1960 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/176); Meeting of Experts on the Improvement of Textbooks for the Objectives of UNESCO’s Major Project on Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values. Goslar, Germany, 14–23 May 1962. Paris 1963 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/MAPA/2).
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liche Themen benannte, anhand derer die (gemeinsame) Vergangenheit behandelt werden konnte, zeigte sich doch, dass es nicht nur an Materialien mangelte, mit deren Hilfe Lehrer diese Themen dann auch umsetzen konnten, sondern dass vor allem einer Stoffumverteilung bzw. Perspektiverweiterung in Schulbüchern eine Änderung der Curricula vorausgehen müsse.52 Lehrpläne fielen allerdings in die Zuständigkeit der nationalen Bildungsministerien und unterlagen somit einzelstaatlicher Souveränität. Als internationale Organisation konnte die UNESCO daher nur Lehrer, Schulbuchautoren, Ministerialbeamte und Verleger durch Konferenzen, Studien und Publikationen für das Anliegen sensibilisieren und hoffen, dass ihr Werben langfristig Erfolg haben würde: The problems and difficulties involved in the preparation and production of better textbooks must not be underestimated. It will be a long job and a hard job to bring about substantial improvement. UNESCO can make some contribution, but its contribution will be effective only if its fits into a much broader effort at the national and international level, involving action by authorities, institutions, organizations, and individuals. 53
Neben Fragen der inhaltlichen Ausweitung der in Schulbüchern behandelten Themen setzte die UNESCO im Rahmen des Orient-Okzident-Projekts auch die Erprobung neuer Verfahrensweisen der Schulbuchrevision auf die Agenda: Während die auf den ersten zwei Tagungen als Grundlage dienenden Schulbuchanalysen auf Selbstbegutachtung beruhten54 , also beispielsweise der Verband belgischer Geschichtslehrer die Behandlung Asiens in belgischen Unterrichtsmaterialien untersuchte, lotete die Pariser Organisation in den sechziger Jahren die Möglichkeiten einer internationalen oder zumindest multilateralen Methode aus.55 Dazu brachte die UNESCO als Modellprojekt einen mehrseitigen Austausch von Lehrbüchern für den Erdkundeunterricht (ab 1962) und den Geschichtsunterricht (ab 1965) auf den Weg: Ausgewählte Unterrichtswerke
52 Im Rahmen des Orient-Okzident-Projekts wurden auf Initiative der UNESCO auch einige Mustermaterialien erstellt, so eine Zusammenstellung von Volkssagen aus Kambodscha und eine Geschichte der Philippinen. Ebenso richtete die Pariser Organisation zahlreiche Lehrerfortbildungen aus und veranstaltete Konferenzen, auf denen eine mögliche Neuausrichtung schulischer Curricula erörtert wurde. Vgl. A Review of Recommendations Made at the Meetings Held in Paris (1956), Tokyo (1958) and Wellington (1960) on Textbook Improvement with Reference to the East-West-Major Project. Speech to Be Given by Mr. Kim at Goslar Conference. Entwurf vom 8.5.1962 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 A 064 (43–15) »62« MP 03 AMS). 53 Speech for Goslar Meeting, by D. V. Irvine, o. D. [1962] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 A 064 (43-15) »62« MP 03 AMS), S. 7. Ähnlich auch: Herbert J. Abraham an Brent D. Allinson am 19.1.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 »–66«, Part III). 54 Vgl. beispielhaft: Asia in Belgian Textbooks: (Extract from) Three Studies Prepared under the Auspices of the Belgian Federation of History Teachers. Paris 1955 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/CIM/7). 55 Vgl. 11 C/Res. 4.71.
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für die Sekundarstufe aus sechs europäischen Ländern wurden zusammen mit englischen Übersetzungen an Geographen in Indien, Japan, Pakistan und Thailand zur Begutachtung geschickt. Deren Kommentare und Verbesserungsvorschläge wurden in einem zweiten Schritt dann den entsprechenden Verlagen und Autoren in Europa in der Hoffnung zur Verfügung gestellt, dass diese die konstruktive Kritik in Neuauflagen berücksichtigten.56 So wünschenswert die Etablierung eines multilateralen Systems der Schulbuchrevision in den Augen der UNESCO im Hinblick auf eine adäquate und objektive Darstellung ferner Kulturen und Völker auch sein mochte, schon die Modellprojekte zeigten, dass eine derartige Methode im größeren Umfang vor allem deswegen kaum praktikabel war, weil sie nicht nur eine zentrale Einheit voraussetzte, die sich der Verwaltung des Austausches annahm, sondern zudem auch hohe Kosten verursachte. Die multilaterale Schulbuchrevision erschien somit nur da praktizier- und finanzierbar, wo sie – wie beispielsweise im westeuropäischen Raum – mit einem gewünschten politischen Prozess verbunden war und durch den Europarat unterstützt wurde.57 Der probate bilaterale Dialog, insbesondere zwischen Nachbarstaaten, blieb als organisatorische Form der Schulbuchrevision somit auch in den nachfolgenden Dekaden bestimmend und wird von der UNESCO bis heute unterstützt.58
3.2 Eine Publikation im Auftrag der UNESCO: The History of Mankind als Spiegelbild eigener Ideale Die Neuorientierung der Welt nach 1945 und der Wunsch nach einem friedvollen Miteinander aller Völker sollten sich in den Augen der UNESCO nicht nur in schulischen Curricula und Lehrbüchern niederschlagen, sondern auch in der Geschichtsschreibung reflektiert werden: »[A]ll have finally felt that only History could place upon the already fruitful work of UNESCO the crown for hope for which it is gathering the flowers and the leaves, one by one«59 , schrieb Lucien Febvre im Sommer 1953 anlässlich des Erscheinens der ersten Ausgabe des von ihm als Herausgeber betreuten und von der UNESCO finanzierten Journal of World History60 . Die Zeitschrift war Bestandteil
56 Vgl. Experimental Project for the International Exchange and Review of Geography Textbooks. Interim Report. Paris 1964 (UNESCO-Dokument: CS/0664.8/ED.5); An Experimental Project for the International Exchange and Review of History Textbooks. Paris 1965 (UNESCO-Dokument: WS/1065.6 (MAPA)). 57 Vgl. Maitland Stobart: Fifty Years of European Co-operation on History Textbooks. The Role and Contribution of the Council of Europe. In: Internationale Schulbuchforschung 21 (1999), S. 147–161. 58 Vgl. Falk Pingel: UNESCO Guidebook on Textbook Research and Textbook Revision. Paris, Braunschweig: UNESCO, Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung 2010. 59 Lucien Febvre: Foreword. In: Journal of World History 1 (1953), H. 1, S. 7 und S. 9, hier S. 7. 60 Das Journal of World History erschien zwischen 1953 und 1972 auf Englisch, Französisch und Spanisch; es wurde ab 1973 als Cultures fortgesetzt. Nach dem Tod Febvres 1956 übernahmen François
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eines umfangreichen, von der Pariser Organisation in Auftrag gegebenen Publikationsprojekts, der History of Mankind61 : Eine neue, geistes- und kulturgeschichtlich orientierte Weltgeschichte sollte geschrieben werden, die sich der Völkerverständigung verpflichtete und daher ihren Schwerpunkt auf diejenigen Prozesse legte, die der interkulturellen Annäherung dienten und die Separierung der Welt in Nationen zu überwinden halfen, die also in den Worten Febvres, der Ende der vierziger Jahre an der konzeptionellen Entwicklung des Projekts beteiligt war, die friedvollen Transferund Austauschbeziehungen zwischen den Kulturen herauszustellen vermochten: ›History is war‹, short-sighted people still keep proclaiming, to the applause of bystanders. And they are undoubtedly right, if History is to be summed up by a series of intrigues and criminal tricks, aggressions and furies of devastation, cynical campaigns of pillage and conquest conducted by Kings, Emperors, Dictators, men of prey leading bloody armies to the spoils. No, History is not war, we answer here [. . .] This history of the efforts by which man, since he has been man, has unceasingly sought to leave his imprint on the planet – and in this labor, to outreach himself, to reach heroically ever beyond himself, to come nearer and nearer to an ideal of liberation and of human concord. This history does not breed hatred. It does not tend to crush the so called ›small nations‹ beneath the weight of the great ones. It considers them all as so many participants in a great common enterprise. Some perhaps more fortunate in their undertakings, others restricted in their efforts by more difficult conditions. Unequal in results, equal in desire and will. And all taking away from one another, or giving or borrowing, their achievements – returning them, sooner or later, modified, transformed, perfected, no longer particular, but universal. It is in this sense, it this in this spirit that we here treat history. And that, to parody the slogan of that wouldbe Caesar who ended in the mud, in Sedan, we may say, and we repeat, ›History is peace‹. Peace, that foretaste – for the believer – of a divine order. That triumph – for the unbeliever – of free human reason.62
Das UNESCO-Weltgeschichteprojekt hatte von Anfang an einen eindeutig politischen Auftrag, denn es sollte »der im Werden begriffenen neuen Weltordnung eine Geschichte [. . .] geben und dafür das vorhandene historische Wissen neu [. . .] justieren«63 . René Maheu schrieb im Vorwort zum ersten, 1963 erschienenen Band:
Coruzet und Guy S. Métraux die Herausgeberschaft; ab 1969 war Métraux allein für das Periodikum verantwortlich. 61 Zum Weltgeschichteprojekt unter der Ägide der UNESCO, insbesondere als Analyse des history in the making, vgl. Duedahl: Selling Mankind; Naumann: Mitreden über Weltgeschichte; Luntinen: A Great Story Left Untold. Die umfangreichen, im Archiv der UNESCO in Paris zu findenden Unterlagen zum Weltgeschichteprojekt wurden – auch wegen der bereits vorliegenden Arbeiten – im Rahmen dieser Promotion nicht eingesehen; das Unterkapitel basiert auf den Ergebnissen der genannten Studien sowie auf gedruckten Quellen. Für die archivalischen Quellen des UNESCO-Weltgeschichteprojekts liegt ein eigenes Findbuch vor: International Commission for a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Inventory of Archives, 1944–1969. Paris 1971 (UNESCO-Dokument: PRS.79/WS/6). 62 Febvre: Foreword. 63 Naumann: Mitreden über Weltgeschichte, S. 188. Siehe dazu ferner: Arif Dirlik: Confounding Metaphors, Inventions of the World. What is World History For? In: Writing World History. 1800–2000.
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This immanence of the universal in every cultural and scientific experience is what gives its essential character to the spiritual solidarity of mankind. And it is in this form that the solidarity can serve as the foundation for the true peace described in UNESCO’s constitution, whereas the effect of intercultural relations upon the interplay of the forces conducive, in a given situation, to peace is, as well we know, extremely complex and indirect, and therefore contingent. In fact it is because the object of this History, as already pointed out, is the development of the consciousness of this solidarity that UNESCO regards such an undertaking as both vital and necessary.64
Gleichsam war eine Weltgeschichte, die in Begegnungen und Interaktionen zwischen Völkern und in kulturellen und wissenschaftlich-technischen Errungenschaften treibende Kräfte der Entwicklung ausmachte, mehr als ein historisch verankerter Entwurf einer gegenwärtigen oder erhofften zukünftigen Welt, sondern sie legitimierte – quasi als historische Identitätsfindung – vielmehr auch die Existenz der UNESCO selbst, die ihre Aufgabe der Wissenschafts-, Bildungs- und Kulturförderung als Beitrag zur Verständigung der Menschen und zur Ausbildung einer friedvolleren Welt begriff – und somit die historische Entwicklung in der Gegenwart fortschreiben und ihr neue Impulse geben wollte: Quoique délibérément tournée vers l’avenir, l’Organisation a compris que son ›futurisme‹ devait être compensé par une certaine réflexion sur le passé de l’humanité, [. . .] l’intégrité d’un continuum trop souvent arbitrairement fragmenté: la continuité de la solidarité dans l’espace-temps du devenir de l’Homme.65
Insofern war das Weltgeschichteprojekt aufs Engste mit den Zielsetzungen der Pariser Organisation kongruent und die daraus resultierenden Publikationen würden – wie wiederum Lucien Febvre prognostizierte – nicht nur originär und »wirklich bahnbrechend« sein, sondern auch »hervorragend zum intellektuellen und praktischen Gerüst der UNESCO«66 passen. Das UNESCO-Weltgeschichteprojekt begann in den vierziger Jahren als modestes Vorhaben67 , wuchs jedoch rasch zu einer historiographischen Unternehmung von be-
Hrsg. von Benedikt Stuchtey und Eckhardt Fuchs. Oxford: Oxford University Press 2003 (Studies of the German Historical Institute), S. 91–133. 64 Foreword by the Director-General of UNESCO. In: History of Mankind. Cultural and Scientific Development. Published for the International Commission for a History of Scientific and Cultural Development of Mankind. Under Auspices of UNESCO. Band I: Prehistory and the Beginning of Civilization. Hrsg. von Jaquetta Hawkes und Leonard Woolley. London: George Allen and Unwin 1963, S. XI–XVI, hier S. XIII. 65 René Maheu: Message du Director général de l’UNESCO. In: Journal of World History 12 (1970), H. 3, S. 335–336, hier S. 335. 66 Im englischen Original: A »publication which is truly original and which at the same time fits perfectly into the intellectual and practical framework of UNESCO«. Febvre: Foreword. 67 Der erste UNESCO-Generaldirektor Julius Huxley plante 1948 zunächst ein dreibändiges, von einem einzigen Autoren verfasstes Werk. Vgl. Duedahl: Selling Mankind, S. 107.
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trächtlicher Größe heran, an deren Konzeption und Realisierung nicht weniger als eintausend Personen beteiligt waren68 und die erst 1976, also fast drei Jahrzehnte nach Beginn der Arbeiten, abgeschlossen werden konnte.69 Die enormen Ausmaße des Projekts waren zum einen den inhaltlichen Zielsetzungen geschuldet, die die Einbindung einer möglichst großen Anzahl von Wissenschaftlern und Wissensbeständen aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen erforderlich machte; sie wurden zum anderen aber auch dadurch bedingt, dass die Publikation unter Ägide der UNESCO stattfand, die als Auftrag- und Geldgeber die generelle inhaltliche Ausrichtung vorgab und deren Strukturen als internationaler Organisation auf das Projekt zurückwirkten, obgleich der mit der Publikation der Weltgeschichte betrauten Kommission (International Commission for the Writing of the History of Scientific and Cultural Development of Mankind) Autonomie und Unabhängigkeit vertraglich zugesichert worden waren.70 Nachdem die fünfte Generalkonferenz (1950, Florenz) der Herausgabe einer Weltgeschichte zugestimmt hatte, kam die zunächst aus neun Hochschullehrern bestehende, später auf 29 Mitglieder erweiterte internationale Kommission im Dezember 1950 zum ersten von insgesamt vier Treffen in Paris zusammen.71 Um jedem Mitgliedsland der UNESCO die Möglichkeit zu geben, sich an der Weltgeschichte zu beteiligen, gehörten der Kommission ab 1952 zusätzlich korrespondierende Mitglieder mit beratendem Status an. Die Leitung der Kommission oblag einem vierköpfigen Bureau, das aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und dem Vorsitzenden des Redaktionskomitees bestand. Letzteres verfügte über Vorschlagsrechte für Budget, Arbeitsplan und die Wahl von Herausgebern und Autoren. Für administrative Aufgaben war der Generalsekretär verantwortlich.72 Auf ihrer ersten Sitzung beschloss die Kommission zum einen, mit dem Journal of World History einen Publikationsraum zu schaffen, in dem Arbeiten zu bisher wenig erforschten Themen veröffentlicht würden, auf die die Autoren beim Verfassen der Weltgeschichte quasi als Materialsammlungen zurückgreifen konnten. Zum anderen verabschiedete die Kommission einen Entwurf für die History of Mankind, die von
68 Vgl. The International Commission for a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: 16 C/87), S. 3. 69 Vgl. History of Mankind. Cultural and Scientific Development. Published for the International Commission for a History of Scientific and Cultural Development of Mankind. Under Auspices of UNESCO. 6 Bände. London: George Allen and Unwin 1963–1976. 70 Vgl. Contrat entre l’UNESCO et la Commission internationale, 21.1.1952. In: Journal of World History 1 (1953), H. 1, S. 218–220. 71 Vgl. 5 C/Res.4.123. Siehe ausführlich: Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 134–142. 72 Vgl. Status de la Commission internationale pour une Histoire scientifique et culturelle de l’Humanité. In: Journal of World History 1 (1953), H. 1, S. 217–218; Status de la Commission internationale pour une Histoire du développement scientifique et culturel de l’Humanité. In: Journal of World History 2 (1954), H. 1, S. 239–242.
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seinem US-amerikanischen Mitglied Ralph Turner eingebracht wurde und sich als eine Synthese von konzeptionellen Vorarbeiten lesen lässt, die in den vierziger Jahren entstanden waren.73 Turner, der als Vorsitzender des Redaktionskomitees einen enormen Einfluss auf die Ausgestaltung der UNESCO-Weltgeschichte gewinnen sollte, griff in seinem Vorschlag die Empfehlung Febvres auf, der in einem im Auftrag der UNESCO erstellten Gutachten die Analyse der kulturellen Austausch- und Transferbeziehungen zwischen den Völkern als roten Faden der zu schreibenden Weltgeschichte angeregt hatte. Der US-amerikanische Historiker schlug aber im Gegensatz zu Febvre einen streng chronologischen Aufbau der sechs Bände vor und folgte in dieser Hinsicht eher dem evolutionären Ansatz, den der erste UNESCO-Generaldirektor Julius Huxley befürwortete, welcher trotz seines Ausscheidens aus dem Amt als Kommissionsmitglied am Weltgeschichteprojekt beteiligt blieb.74 Die entscheidenden Weichen des Projekts wurden somit von Wissenschaftlern westeuropäischer bzw. nordamerikanischer Herkunft gestellt, die – die Machtverhältnisse in der noch jungen Pariser Organisation Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre abbildend – in den Gremien der Kommission die Mehrheit stellten und zudem, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, ausschließlich Kollegen aus Europa und Nordamerika als Autoren und Herausgeber der sechs Weltgeschichte-Bände auswählten.75 Die Zielsetzung, eine eurozentristische Historiographie zu überwinden und eine Geschichte mit gleichwertigen Ansprüchen zu schreiben, war damit zwar in der nach außen gerichteten Rhetorik des Projekts wiederzufinden, reflektierte sich jedoch keineswegs in der Zusammensetzung der Gremien und der Wahl der Herausgeber und Autoren. Als sich im Verlauf der fünfziger und frühen sechziger Jahre die Mehrheitsstruktur der Pariser Organisation durch die Beitritte der Sowjetunion und weiterer osteuropäischer sowie asiatischer und afrikanischer Länder veränderte, wurde zunehmend Kritik an der eurozentristischen Ausrichtung der UNESCO-Weltgeschichte laut. Das entsprechend eines Beschlusses der neunten UNESCO-Generalkonferenz (1956, Neu-Delhi) allen Mitgliedsstaaten zustehende Recht, die fertiggestellten Manuskripte durch ihre nationalen Kommissionen prüfen und kommentieren zu lassen, löste
73 Vgl. Commission internationale pour une Histoire scientifique et culturelle de l’Humanité. Première reunión (11–16 décembre 1950). Procés-verbal (des onze séances). Paris 1951 (UNESCO-Dokument: SCH/CUA/SR.1-11), S. 14–16 und S. 59–65; Plan of a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. In: Journal of World History 1 (1953), H. 1, S. 223–238. Vgl. dazu auch: Committee of Experts Responsible for Preparing the Plan of the Scientific and Cultural History of Mankind (12–16 December 1949). Paris 1950 (UNESCO-Dokument: PHS/CONF.6/1); Rapport de M. Lucien Febvre devant le Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines. In: Journal of World History 1 (1954), H. 4, S. 955–961. 74 Vgl. ausführlich Duedahl: Selling Mankind, S. 103–123. 75 Vgl. ebd., S. 106; Naumann: Mitreden über Weltgeschichte, S. 195; Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 143–144.
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vor allem für die dem 19. und 20. Jahrhundert gewidmeten Bände 5 und 6 eine Flut an Stellungnahmen, Ergänzungsvorschlägen und Änderungswünschen aus.76 Viele Mitgliedsstaaten drängten auf eine verstärkte Präsenz ihrer nationalen Geschichte im globalen Kontext, während die sehr umfangreichen sowjetischen Kommentare deutlich darauf verwiesen, dass sozialistische und nordamerikanisch-westeuropäische Weltsichten unversöhnlich waren.77 Die Tatsache, dass die Autoren gemäß einer Entscheidung der zehnten Generalkonferenz (1958, Paris) angehalten waren, die Kommentare aus den Mitgliedsstaaten in ihren Textfassungen zu berücksichtigen, hatte zur Konsequenz, dass sich nicht nur die Fertigstellung der Manuskripte erheblich verzögerte, sondern dass das Projekt insgesamt an inhaltlichem Zusammenhalt verlor.78 So wurde beispielsweise der monatelang ausgetragene Disput zwischen den USA und der UdSSR über die Interpretation der Dekolonisationsprozesse in Asien und Afrika letztlich ›gelöst‹, indem »im Haupttext die US-amerikanische Sicht dominiert[e], die wortgewaltige Gegenposition dagegen in den Fußnoten dokumentiert«79 wurde. Es zeigte sich damit eindeutig, dass eine Weltgeschichte, die als ein kollektives Unternehmen konzipiert war, das die Strukturen der UNESCO abzubilden hatte, konzeptionell und narrativ nicht kohärent umsetzbar war.80 Die harmlose »Konsensgeschichte«81 , die in dem Aushandlungsprozess zwischen nationalen Partikularinteressen, universalistischen Zielsetzungen und polarisierten
76 Vgl. Report of Working Party No. 4: History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Paris 1956 (UNESCO-Dokument: 9 C/PRG/29), S. 6. 77 So schrieb Caroline Ware, verantwortlich für den sechsten Band über das 20. Jahrhundert: »Inevitably, in a world sharply divided along ideological lines, we have been charged with bias. Some non-communist scholars have criticized the text for what they consider a ›leftist‹ viewpoint and a tendency to select and present material in such a way as to show the communist countries in a favourable light. Communist scholars, on the other hand, as their extensive editorial notes indicate, do not think we have done justice to the communist system during these years. As author-editors of an historical work undertaken under international auspices with the purpose of bringing an international viewpoint to the writing of history, we have faced a difficult task. We have endeavoured to present all subjects, however controversial, in such a way as to place them in their total context and to enhance understanding from all sides.« Caroline F. Ware: Supplement to Author-Editors Preface. In: History of Mankind. Cultural and Scientific Development. Published for the International Commission for a History of Scientific and Cultural Development of Mankind. Under Auspices of UNESCO. Band 6: The Twentieth Century. Teil 1. Hrsg. von Caroline F. Ware, K. M. Panikkar und J. M. Romein. London: George Allen and Unwin 1966, S. XVII–XX, hier S. XIX–XX. 78 Vgl. Report of the Working Party on Cultural Activities. Paris 1958 (UNESCO-Dokument: 10 C/62 + ADD. + CORR.), S. 11; Biennial Report of the President of the International Commission for a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Paris 1958 (UNESCO-Dokument: 10 C/17), S. 1–2. Vgl. auch: Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 149–151. 79 Naumann: Mitreden über Weltgeschichte, S. 214. 80 Vgl. ausführlich: Duedahl: Selling Mankind, S. 123–128; Naumann: Mitreden über Weltgeschichte, S. 192–198 und S. 202–218; Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 144–152 und S. 158–168. 81 Im englischen Original: »consensus history«. Duedahl: Selling Mankind, S. 130.
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Weltansichten entstand, vermochte weder die Kritik zu überzeugen – die New York Times sprach von einer »großen unerzählt gebliebenen Geschichte«82 – noch die Autoren selbst zu befriedigen, die sich teilweise von ihren eigenen Arbeiten distanzierten.83 Die negativen Rezensionen führten dazu, dass das universalhistorische Werk nicht in dem Maße von Verlagen weltweit nachgefragt wurde, wie die UNESCO als Rechteinhaberin geplant hatte84 : Zwar erschien die Weltgeschichte im renommierten britischen Verlagshaus George Allen and Unwin sowie in Paris bei Robert Laffont; die geplante preiswerte US-Taschenbuchausgabe wurde dagegen ebenso mit Erscheinen des zweiten Bandes eingestellt wie die im argentinischen Verlag Sudamericana veröffentlichte spanischsprachige Ausgabe. Auch die slowenische Übersetzung blieb unvollständig, während die UNESCO-Weltgeschichte zumindest auf Serbokroatisch und auf Griechisch komplett auf den Markt gebracht wurde. Versuche, für das universalhistorische Werk Verleger im arabischen Raum, in Spanien, Deutschland, Italien, Japan, den Niederlanden, Israel, Rumänien und der Türkei zu finden, blieben erfolglos.85 Da auch die anfänglichen Vorhaben, zusätzlich zum Gesamtwerk komprimierte Fassungen für Unterrichtszwecke und Lehrerausgaben auf den Markt zu bringen, schnell aufgegeben wurden, erfuhr die UNESCO-Weltgeschichte bei Weitem nicht die Verbreitung, auf die man gehofft hatte.86 Trotz der von der Kritik als Misserfolg gewerteten, in der Wissenschaft kaum beachteten und als verlegerisches Projekt gescheiterten Weltgeschichte beschloss die UNESCO, auch zukünftig als Schirmherrin für große historiographische Publikationsprojekte aufzutreten; denn sie und die internationale Historikerkommission verstanden nicht mehr ausschließlich das Endprodukt, also die Veröffentlichung und Verbreitung einer Weltgeschichte zum Zweck der Völkerverständigung, sondern vielmehr schon die Entstehung der Publikation als Beitrag zur Annäherung zwischen den Völkern. Der Prozess des Konzipierens, Aushandelns, Schreibens und Redigierens von Weltgeschichte galt als beispielloser Akt internationaler Kooperation, der weltweit ohnegleichen und daher als transnationale historiographische Debatte fortzusetzen war. Der Präsident der Kommission fasste 1970 seine Erfahrung wie folgt zusammen:
82 Im englischen Original: »a great story left untold«. J. H. Plumb: A Great Story Left Untold. In: New York Times vom 1.8.1965, S. BR3. Vgl. zur überwiegend kritischen Aufnahme durch die Öffentlichkeit auch: Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 155–158. 83 Vgl. dazu: Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 151. Siehe auch: Caroline F. Ware: The History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Some Problems of Interpretation. In: Journal of World History 5 (1959), H. 1, S. 270–277. 84 Vgl. Duedahl: Selling Mankind, S. 129; Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 157. 85 Vgl. Report by the President of the International Commission for a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Paris 1968 (UNESCO-Dokument: 15 C/57), S. 2 und Annex; The International Commission for a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind, hier Annex. 86 Vgl. Luntinen: A Great Story Left Untold, S. 152–155.
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Ainsi, chaque page, chaque ligne, chaque mot de notre texte a fait l’objet d’une analyse à l’échelle mondiale; nulle part, à aucun moment, on n’avait encore fait une telle expérience. C’est une pensée collective qui se reflète dans notre ouvrage. Un esprit démocratique de respect mutuel et de compréhension réciproque a présidé à sa préparation. Afin de rendre possible l’entente souhaitable, j’ai tenu compte des toutes les divergences qui peuvent être relevées dans une gamme d’opinions qui va de l’extrême-droite à l’extrême gauche, des pays les plus riches aux moins développés. C’est à la lumière de cet ample débat que fut écrite notre Histoire de l’Humanité.87
Schon 1978 beriet man zusammen mit ehemaligen Mitgliedern der internationalen Kommission daher über eine Neuauflage der History of Mankind, in der neue historiographische Methoden und Forschungsergebnisse berücksichtigt und für die im verstärkten Maße außereuropäische Wissenschaftler als Autoren gewonnen werden sollten.88 Unterdessen hatten Historiker im Auftrag der UNESCO die Arbeit an einer Geschichte Afrikas bereits aufgenommen.89 Weitere mehrbändige Regionalgeschichtsprojekte, etwa über die Karibik und Zentralasien, folgten.90 Mitte der achtziger Jahre schließlich konkretisierten sich die Planungen für eine neue UNESCOWeltgeschichte, die als siebenbändige History of Humanity zwischen 1994 und 2008 erschien.91
3.3 Die UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur In ähnlicher Weise wie die universal- und regionalhistorischen Werke, die die UNESCO als »Werkzeuge des Dialogs zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen
87 Texte du discours prononcé par le Professeur Paulo E. de Berrêdo Carneiro, Président de la Commission internationale pour une histoire du développement scientifique et culturel de l’humanité au cours de la sixième séance de la quatre-vingt-troisième session du Conseil exécutif de l’UNESCO, le mercredi 24 septembre 1969. In: Journal of World History 12 (1970), H. 3, S. 337–343, hier S. 339. 88 Vgl. Anticipated Revision of the History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Paris 1978 (UNESCO-Dokument: 105 EX/19); Preparation of a History of the Scientific and Cultural Development of Mankind. Paris: UNESCO 1985, S. 7–9. 89 Vgl. Comité Scientifique International pour la Rédaction d’une Histoire Générale de l’Afrique. Première Réunion. Paris, 30 Mars – 8 Avril 1971. In: Journal of World History 13 (1971), H. 3, S. 575–594; General History of Africa. Published for the UNESCO International Scientific Committee for the Drafting of a General History of Africa. 8 Bände. Paris, Oxford, Berkeley: UNESCO, Heinemann, University of California Press 1981–1993. 90 Vgl. History of Civilizations of Central Asia. 6 Bände. Paris: UNESCO Publishing 1992–2005 (Multiple History Series); General History of the Caribbean. 6 Bände. Paris, London: UNESCO Publishing, Macmillan 1997–2011. Siehe für alle UNESCO-Geschichtsprojekte auch den Prospekt: The UNESCO General and Regional Histories. Paris 2009 (UNESCO-Dokument: BPI.2009/WS/9). 91 Vgl. History of Humanity. Cultural and Scientific Development. 7 Bände. Paris, London: UNESCO, Routledge 1994–2008.
Die UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur
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Hier und Dort«92 in Auftrag gab, finanzierte und teilweise auch (ko-)publizierte, galt auch die Literatur – ebenso wie die Künste im Allgemeinen – als potenzielle Mittlerin zwischen den Kulturen, denn obschon literarische Manifestationen in ihrer Herkunft meist national geprägt und konfiguriert waren, waren sie in den Augen der UNESCO trotzdem grenzenlos und universell angelegt und konnten weltweit rezipiert werden, sofern entsprechende Übersetzungen vorlagen: A work of art can today reach an educated public throughout the world, even though ours is a world speaking many of hundreds of languages. A work of literature cannot. Ideally, if its message is to reach the entire world, it must be translated into these hundreds of languages.93
Schon die Organisation für geistige Zusammenarbeit hatte in den dreißiger Jahren begonnen, im Rahmen eines Übersetzungsprogramms die Publikation von Weltliteratur zu fördern.94 Auch die Konferenz Alliierter Bildungsminister hatte die Bedeutung literarischer Übersetzungen für die internationale Verständigung herausgestellt95 und die erste Generalversammlung der Vereinten Nationen der UNESCO ein Programm zur Übersetzung von Klassikern der Weltliteratur empfohlen, mit dessen Hilfe insbesondere jene blinden Flecken auf der weltliterarischen Karte verkleinert und Ungleichgewichte in den Austauschbeziehungen verringert werden sollten, die im ersten Programm der UNESCO wie folgt charakterisiert wurden:96 Since the translation of foreign books is carried out haphazardly in many countries, where commercial reasons are an over-riding consideration in the publishing of books, great gaps exist in all countries in their pictures of world literature. Despite [. . .] the activities of many learned societies and the cultural activities of several governments, the work of making available to readers in any one country the best books in the literature of other countries, is everywhere far from complete.97
Das von der dritten Generalkonferenz (1948, Beirut) der UNESCO gebilligte, zunächst als Translation of Great Works firmierende, später unter den Namen UNESCO Collec-
92 Im englischen Original: »A tool for dialogue between past and future, between here and then.« The UNESCO General and Regional Histories, S. 1. 93 UNESCO’s Translation Programme. In: Information Bulletin on Reading Materials V (1959), H. 2, S. 46–47, hier S. 46. 94 Zusammen mit dem PEN Club hatte die OgZ literarische Übersetzungen finanziell unterstützt, daneben gab sie Klassiker der Weltliteratur in den Reihen Collection ibéro-américaine (1930–1939) und Collection japonaise (1936–1939) heraus. Vgl. Renoliet: L’UNESCO oubliée, S. 310–311. 95 Vgl. Books and Periodicals Commission. Report on Translations, o. D. [etwa 1944–1946] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 2: Conference of Allied Ministers of Education, AME/A/149). 96 Vgl. Translation of World Classics. Resolution 60 (I) Adopted by the General Assembly during Its First Session, 14.12.1946. New York 1946. 97 Report on the Programme of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 39.
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Bücher als Bausteine einer neuen Weltordnung
tion of Representative Works weitergeführte Übersetzungsprogramm98 war somit als Korrektiv angelegt, das vor allem solche Literaturkontakte ermöglichen sollte, welche vom Buchhandel bisher nicht oder kaum bedient worden waren, das also das weitgehend eurozentrisch geprägte Verständnis von Weltliteratur um unbekannte Meisterwerke aus den arabischen, asiatischen, afrikanischen, lateinamerikanischen und den kleineren europäischen Staaten erweitern sollte, indem es Klassiker aus diesen Ländern durch Übersetzungen in die »dominanten Sprachen«99 Englisch und/oder Französisch einer großen Leserschicht zugänglich machte.100 »Jedes dem Katalog neu hinzugefügte Werk«, schrieb der UNESCO-Mitarbeiter Edourd Maunick 1986 über die UNESCO Collection of Representative Works, »gibt einem breiteren Publikum die Möglichkeit, zu lesen, was der ›Andere‹ geschrieben haben, in Buchseiten den ›Anderen‹ zu entdecken, ihm [auf diese Weise] näher zu kommen, ihn besser kennenzulernen, ja, sogar zu seinem Freund zu werden«101 . 1951 wurden die ersten vier, aus dem Arabischen übersetzten Werke der weltliterarischen Sammlung der UNESCO veröffentlicht, welche bis zur Einstellung des Programms im Jahre 2005 – es handelt sich um eines der langlebigsten Projekte in der Geschichte der Pariser Organisation – auf 1.060 Titel anwachsen sollte. In den Prozess der Auswahl der Werke, denen durch Übersetzungen weltweit zu einer größeren Bekanntheit verholfen wurden, band die UN-Organisation mehrere Instanzen ein: Zum einen waren nationale UNESCO-Kommissionen angehalten, eine kanonische Zusammenstellung der Literaturen ihres Landes vorzulegen, wobei schwerpunktmäßig Prosa und Lyrik, aber auch philosophische Texte und mündliche Überlieferungen
98 Vgl. 3 C/Res. 6.221. 99 Im französischen Original: »langue dominante«. Pascale Casanova: Consécration et accumulation de capital littéraire. In: Actes de la recherche en sciences sociales 144 (2002), S. 7–20, hier S. 8. In ihrer in der deutschen Forschung bisher wenig beachteten Studie La république mondiale des lettres untersucht Pascale Casanova in Analogie zu Bourdieus Regeln der Kunst Strukturen und Mechanismen des internationalen Feldes der Literatur, insbesondere die Rolle des Übersetzers bzw. der Übersetzung beim Transfer von Literaturen aus den Peripherien, den dominierten Sprachräumen, in die Metropolen, den dominanten Sprachräumen. Die Rolle des Buchhandels sowie ökonomische Aspekte des Literaturtransfers werden demgegenüber leider kaum in die Betrachtung integriert. Vgl. Pascale Casanova: La république mondiale des lettres. Paris: Seuil 1999. 100 Die Ungleichgewichte auf dem internationalen Übersetzungsmarkt belegt auch der Index Translationum, der als Jahresverzeichnis aller weltweit erschienenen Übersetzungen unter der Ägide des Völkerbundes 1932 erstmals veröffentlicht wurde und seit 1948 von der UNESCO weitergeführt wird. Vgl. Vaiju Naravane: Fifty Years of Translation. The Index Translationum Completes Half a Century. In: Publishing Research Quarterly 15 (1999), H. 4, S. 23–38. Siehe auch: Beth Luey: Translation and the Internationalization of Culture. In: Publishing Research Quarterly 17 (2001), S. 41–49. 101 Im englischen Original: »[A] wider public will have a greater opportunity to read what the ›other‹ has written, to discover that ›other‹ through the pages of a book, to get closer to him, to know him better, even to become his friend.« Edouard Maunick: A Library of World Classics. In: UNESCO Courier XXXIX (1986), H. 1, S. 5–8, hier S. 8.
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berücksichtigt werden konnten. Zum anderen suchte man Wissenschaftler, Verleger und Übersetzer um entsprechende Empfehlungen an.102 Experten – die der Internationale Rat für Philosophie und Geisteswissenschaften (Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines, CIPSH) in seiner Funktion als Beratungsinstanz der UNESCO ernannte – prüften, ergänzten und priorisierten die eingegangenen Vorschläge. In der Regel wurden ausführliche Dossiers angelegt, die neben Angaben zu Autor und Werk auch Einschätzungen zu anfallenden Übersetzungskosten und zu kommerziellen Erfolgsaussichten auf dem Buchmarkt enthielten.103 Damit waren es nicht allein die Originalität der literarischen Manifestation und ihre Bedeutung im jeweiligen kulturellen Kontext, die über eine Aufnahme ins UNESCO-Übersetzungsförderungsprogramm entschieden, sondern auch wirtschaftliche Kriterien: Denn um eine bessere Verbreitung des Werkes zu erreichen, trat die UNESCO nicht selbst als Verleger in Erscheinung, sondern arbeitete stattdessen mit namhaften, zumeist britischen, US-amerikanischen und französischen Verlagshäusern zusammen, die die UNESCO-Werke der Weltliteratur in ihr Verlagsprogramm integrierten sowie Herstellung und Vertrieb übernahmen. Die Buchhandelsfirmen trugen das verlegerische Risiko weitgehend selbst, auch wenn sie bei der Herausgabe der Werke von der UNESCO finanziell unterstützt wurden: UNESCO is able to pay for the entire cost of the translation and then transfers copyright on a royalty basis to a suitable publisher. In some cases, we are also able to advance up to about onethird of the publisher’s estimate of production costs, also against royalties from sales income. In other cases, where the translator has reached an agreement directly with the publisher and the latter is publishing at his own risk, we are able to endorse a given translation and purchase several hundred copies for official distribution and for publicity purposes.104
Die UNESCO übernahm somit Funktionen einer Literaturagentur, die Werke begutachtete, auswählte und bei bedeutenden Verlagen platzierte. Dabei konnte die Pariser Organisation nicht nur mit dem literarischen Wert argumentieren, sondern auch Zuschüsse in Aussicht stellen, die die Herausgabe eines in der westlichen Welt zumeist völlig unbekannten Werkes auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten attraktiver erscheinen ließ.105 Im jährlichen Mittel teilfinanzierte die UNESCO die Herausgabe von etwa zwanzig Werken, von denen in der Regel mehr als vier Fünftel ins Englische oder Französische
102 Vgl. Introduction. In: UNESCO Collection of Representative Works. Catalogue 1989. Paris: UNESCO 1989, S. 5–8, hier S. 5; Maunick: A Library of World Classics, S. 8. 103 Vgl. Collection UNESCO d’œuvres representatives. UNESCO Collection of Representative Works 1948–2000. Paris: UNESCO Publishing 2000, S. 14–15. 104 Milton Rosenthal an Archie J. Behm am 16.9.1958 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 803 A 136 Behm). 105 Vgl. UNESCO Collection of Representative Literary Works. Paris 1955 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ALT/559.928), S. 1.
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Bücher als Bausteine einer neuen Weltordnung
Tabelle 1: UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur: Anzahl der geförderten Werke nach übersetzten Sprachen.
Gesamt
Anzahl der Übersetzungen
Prozent
1.060
100
davon ins Englische
455
43
davon ins Französische
450
42
davon ins Spanische
71
7
davon ins Arabische
38
4
Quelle: Historical Collection. All Works Translated and Published with UNESCO’s Support since 1948. Online-Datenbank des Kultursektors der UNESCO. URL: http://www.unesco.org/culture/lit/rep/ [15.4.2013]. Eigene Auswertung und Darstellung.
übertragen wurden (vgl. Tabelle 1). Obgleich dieser unidirektionale Transfer von den weniger in die weitverbreiteten Sprachen und die damit einhergehende konzentrierte Publikation der Werke in Frankreich, Großbritannien und den USA durchaus kritisch gesehen106 und daher im Rahmen des Ost-West-Projekts die Idee eines literarischen Austausches umzusetzen versucht wurde107 , blieb die Übersetzung ins Englische und Französische aus zwei Gründen vorherrschend: Erstens war das Budget des Übersetzungsprogramms trotz einiger projektbezogener Zuschüsse aus den Mitgliedsländern begrenzt, sodass eine Publikation desselben Titels in mehreren Sprachen nicht finanziert werden konnte. Die Übertragung in die Metropolsprachen Englisch und/oder Französisch schien die weltweit größtmögliche Rezeption bei geringstem finanziellem Einsatz zu gewährleisten. Zweitens bedingte auch die Verfügbarkeit literarischer Übersetzer die Struktur des Programms erheblich, denn in der Regel war es deutlich einfacherer, kompetente Übersetzer zu finden, die aus den weniger verbreiteten in die Hauptsprachen übersetzen konnten, als solche, die sich zutrauten, literarische Werke aus wenig verbreiteten Sprachen in andere »dominierte«108 Sprachen zu übertragen.109 Gleichzeitig erhoffte sich die Pariser Organisation, dass sich auf Grundlage
106 Vgl. etwa den Evaluationsbericht aus dem Jahre 1982: Consultation of Experts in the Field of Literature and the Mass Media with a View to Evaluating the UNESCO Literature Translation Programme. Final Report. Paris 1982 (CC.81/13/4. CLT 82/WS/2), insbesondere S. 2. 107 So erschienen beispielsweise in Indonesien Übersetzungen von Shakespeare und in Teheran eine Auswahl von Schriften Lockes und Nietzsches, während in der Reclam’schen Universal-Bibliothek chinesische Gedichte aus der Tang-Zeit und bengalische Erzählungen sowie bei Meulenhoff in Amsterdam in der Reihe De Oosterse bibliotheek unter anderem Klassiker aus Indien, China und Indonesien publiziert wurden. 108 Im französischen Original: »langue dominée«. Casanova: Consécration et accumulation de capital littéraire, S. 8. 109 Vgl. Programme de Traduction des Œuvres représentatives de l’UNESCO. In: Babel 1 (1955), H. 1, S. 26–28.
Die UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur
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Tabelle 2: UNESCO-Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur: Anzahl der geförderten Werke nach regionaler Herkunft.
Gesamt
Anzahl der Übersetzungen
Prozent
1.060
100
Afrikanische Reihe
28
3
Arabische Reihe
72
7
Europäisch-Nordamerikanische Reihe
296
28
Asiatische Reihe
540
51
Lateinamerikanisch-Karibische Reihe
127
12
Quelle: Historical Collection. All Works Translated and Published with UNESCO’s Support since 1948. Online-Datenbank des Kultursektors der UNESCO. URL: http://www.unesco.org/culture/lit/rep/ [15.4.2013]. Eigene Auswertung und Darstellung.
der von ihr subventionierten englisch- oder französischsprachigen Ausgaben Übersetzungen in andere Sprachen ergeben würden: »The idea is that a book originally written in languages which are not widely understood outside their national frontiers, if translated into either English or French, would then become available to translators into other languages.«110 Während bei den Zielsprachen somit das Englische und Französische dominierten, wurden gut fünfzig Prozent der im Rahmen des Übersetzungsförderungsprogramms geförderten Werke aus asiatischen Sprachen übertragen (vgl. Tabelle 2). Damit stellte innerhalb der weltliterarischen Sammlung die asiatische mit 540 Titeln die mit Abstand umfangreichste Reihe dar, gefolgt von der europäisch-nordamerikanischen, die etwas mehr als ein Viertel aller geförderten Titel (296) auf sich vereinigte, und der lateinamerikanisch-karibischen, in der etwas mehr als zehn Prozent aller geförderten Werke (127) erschienen. Die Literaturen des afrikanischen Kontinents waren in der weltliterarischen Sammlung der UNESCO am wenigsten vertreten: Insgesamt wurden in den mehr als fünfzig Jahren des Bestehens des Programms lediglich 28 Werke aus Afrika übersetzt, die arabische Reihe umfasste demgegenüber 72 Werke. Die Bezeichnungen, die die UNESCO wählte, um ihr Übersetzungsprogramm zu charakterisieren – sie sprach von einer Sammlung repräsentativer Werke der Weltliteratur, die sie wiederum in regionale Reihen (teils mit nationalen Unterreihen)111
110 Fifty Books to Span the World. The UNESCO Literature Translations Program. Paris 1974 (UNESCO-Dokument: CLT/1034/12.04.74). 111 Die Unterteilung der Sammlung in Reihen und Unterreihen bildete sich im Laufe der Zeit heraus: Zunächst wurde 1948 die arabische Reihe begründet, ihr folgte ein Jahr später das iberoamerikanische Pendant, 1950 wurden die italienische und die persische Reihe ins Leben gerufen. Die standardisierte Einteilung nach Regionen/Kontinenten erfolgte erst in den sechziger Jahren.
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aufteilte – weisen ebenso wie die Tatsache, dass die Pariser Organisation in unregelmäßigen Abständen Gesamtverzeichnisse112 herausgab, darauf hin, dass sie die von ihr geförderten Werke als eine Einheit verstand und als solche auch nach außen präsentierte. Dabei kann von einer Buchreihe oder einem als Sammlung zu charakterisierenden Programmschwerpunkt im üblichen Sinne kaum gesprochen werden. Denn die von der UNESCO geförderten Werke erschienen weltweit in einer Vielzahl von Verlagen, von denen nur wenige mehr als ein Dutzend UNESCO-Titel in ihr Programm aufnahmen; die Zusammenarbeit mit dem französischen Verlagshaus Gallimard, in dem fast einhundert Titel veröffentlicht wurden – die Mehrheit davon in der eigens dafür gegründeten Reihe Connaissance de l’Orient – blieb die Ausnahme. Eine inhaltlich-programmatische Geschlossenheit, die für den lokalen Leser offensichtlich war, bestand folglich ebensowenig wie eine Einheitlichkeit in der Gestaltung.113 Lediglich aufgrund des meist in das Titelblatt eingearbeiteten Verweises, dass es sich bei dem Buch um einen Teil der UNESCO Collection of Representative Works handele, konnte der Buchnutzer erahnen, dass das Werk zu einer dezentralisiert verlegten, globalen Reihe gehörte. War für den lokalen Nutzer die Zugehörigkeit des von ihm gelesenen Werkes zu einer größeren Einheit somit nur äußerst schwer erkennbar, war für die UNESCO als internationaler Organisation die Darstellung der von ihr geförderten Werke als ein Ganzes äußerst bedeutsam: Denn auf diese Weise konnte reflektiert werden, dass die vielfältigen literarischen Stimmen, die diversen literarischen Manifestationen letztlich zu einer universellen Einheit gehörten, ganz gemäß des Auftrags, der im ersten UNESCO-Programm festgeschrieben war: »Finally the UNESCO must endeavour to orchestrate all this diversity of individual, national and regional art in a global unity.«114 Die Eine-Welt-Perspektive, die die frühe Kulturpolitik der UNESCO besonders nachhaltig prägte, spiegelte sich somit nicht nur in dem Bemühen um Überwindung nationaler Egozentriken in Schulbüchern und in der Herausgabe universalhistorischer Monumentalwerke, sondern auch darin wider, dass die Pariser Organisation in künstlerischen Ausdrucksformen wie der Literatur das Universelle herausstellte, indem sie die Vielstimmigkeit der Literaturen der Welt in einer einzigen Reihe zusammenführte und bündelte.
112 Kataloge der UNESCO Collection of Representative Works erschienen 1966, 1970, 1974, 1979, 1989 und 2000. Auch nach Einstellung des Programms werden die Werke der UNESCO-Sammlung als »historische Kollektion« auf den Webseiten der Pariser Organisationen abrufbar gehalten: Historical Collection. All Works Translated and Published with UNESCO’s Support since 1948. Online-Datenbank des Kultursektors der UNESCO. URL: http://www.unesco.org/culture/lit/rep/ [15.4.2013]. 113 Den Verlagen wurde bei der Gestaltung vollkommen freie Hand gelassen. Diesen Punkt kritisierten die Experten des CIPSH und forderten die UNESCO auf, eine einheitliche Gestaltung anzustreben: Vgl. Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines. Sub-Committee for Far Eastern Literatures (3–4 November 1959). Paris 1959 (UNESCO-Dokument: CIPSH/TRAD/59/23). 114 Report on the Programme of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 9.
»Das Buch ist der Lehrmeister«: Bücher und Bibliotheken als Grundbestandteile weltweiter Bildungsinfrastrukturen
»Education is among the best responses – sometimes the only response – that society has to offer: education for all, education for development, education for justice and liberty and peace.«1 Mit diesen Worten fasste der Generaldirektor Federico Mayor (1987–1999) in einer 1997 publizierten Festschrift über fünfzig Jahre Bildungsarbeit der UNESCO den bildungspolitischen Leitgedanken der UN-Organisation prägnant zusammen: Bildung ist in den Augen der UNESCO stets Schlüssel für Fortschritt, Modernisierung und weltweite Aussöhnung gewesen. Seit ihrer Gründung liegt der Arbeit und Programmatik der Organisation ein in der Tradition der Aufklärung verwurzeltes, instrumentelles Verständnis von Bildung zugrunde: Bildung wird nicht nur als Kraft zur Ausformung und Entfaltung individueller Persönlichkeiten begriffen, sondern die Pariser Organisation vertraut darüber hinaus auch auf deren gesellschaftsformendes und gesellschaftstransformierendes Potenzial; sie geht davon aus, dass weltweite Bildungsarbeit einen Beitrag zur Erreichung der höchsten Zielsetzungen der UNESCO, der internationalen Verständigung und dem Erhalt des Friedens, leisten könne. Schon die Vorbereitende Kommission postulierte in ihrem Abschlussdokument eine wechselseitige Beziehung zwischen der Ausweitung und Verbesserung der Bildungssysteme einerseits und der Stärkung der internationalen Verständigung und der Sicherung des weltweiten Friedens andererseits: In order to construct securely the defences of peace, a new generation must be formed, free from fear and equipped for the new age which is now emerging. Such a generation will be formed only if the educational process everywhere is used deliberately to that end [. . .] We are convinced that society can be eventually transformed by education.2
Der Erwartungshorizont in Bezug auf die gesellschaftliche Wirkkraft von Bildung verband sich bereits in den Anfangsjahren der UNESCO rasch und nachhaltig mit den weltweit wachsenden Bestrebungen, den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau der am wenigsten entwickelten Regionen der Welt voranzutreiben, und wurde damit Teil einer im internationalen System zunehmend an Präsenz und Bedeutung gewinnenden Entwicklungsdoktrin.3 Huxleys Ideal einer Welt, das Chancengleichheit und Gerechtigkeit zwischen den Völkern propagierte, machte eine Angleichung der Lebensbedingungen aller Völker erforderlich und ließ eine »Erhellung der dunklen Zonen«4 notwendig erscheinen, wie es in aufklärerischem Duktus
1 Federico Mayor: Preface. In: 50 Years for Education. Paris: UNESCO 1997, S. 3. 2 Report on the Programme of the United Nations Educational Scientific and Cultural Organization. Preparatory Commission of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. September 15th, 1946 (UNESCO-Dokument: 1 C/2). Zitiert nach Jones: International Policies for Third World Education, S. 36. 3 Vgl. hierzu ausführlich S. 267–274 dieser Arbeit. 4 Im englischen Original: »lightening of the dark zones«. Fundamental Education. Common Ground for All Peoples. Report of a Special Committee to the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, 1946. Paris: UNESCO 1947, S. 14.
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Bücher und Bibliotheken als Grundbestandteile von Bildungsinfrastrukturen weltweit
hieß.5 Sein Nachfolger Torres Bodet hatte als mexikanischer Delegierter bereits während der UNESCO-Gründungskonferenz eindringlich gefordert, dass es eine der zentralen Zielsetzungen der Organisation sein müsse, die Kluft zu überwinden, die zwischen der westlichen Welt und den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas im Hinblick auf das Bildungswesen bestehe.6 Die weltweite Angleichung der Bildungschancen und die Überwindung des Analphabetismus wurden als Voraussetzung für das Entstehen einer grenzenlosen, friedfertigen und gerechten Welt angesehen: If we want to live in a united world, we cannot allow this most unjust of all frontiers to go on existing – the frontier that divides those who can read from those who cannot. We have terrible memories of the concentration camps, but sometimes forget that, without prisons or barbed wire, more than 1,200 million men and women live in implacable, invisible, inner dungeon of ignorance. We propagate the text of the Universal Declaration of Human Rights, but how can we presume to call it ›universal‹ when we now that no one man in two can so much as read it!7
Das Engagement der UNESCO für eine Verbesserung des Bildungswesens weltweit, in dessen Mittelpunkt der Ausbau der Schulen und Universitäten, die Erweiterung der Erwachsenenbildung und der Kampf gegen den Analphabetismus standen, das aber auch Maßnahmen zur Stärkung der Bibliotheken umfasste, konzentrierte sich von Beginn an auf die sogenannten rückständigen Gebiete der Welt und war somit zwar nicht ausschließlich, aber dennoch hauptsächlich als multilaterale Entwicklungshilfe konzipiert. Die UNESCO wurde zu einer jener Triebkräfte, die die von der Weltkulturforschung diagnostizierte Expansion der Bildungsinfrastruktur in den Entwicklungsländern forcierten.
5 Vgl. Huxley: UNESCO: Its Purpose and Its Philosophy; Report of the Director General of the Activities of the Organisation in 1947, S. 13. 6 Vgl. Conference for the Establishment of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, S. 30–54. 7 Jaime Torres Bodet: Foreword. In: Learn and Live. A Way out of Ignorance for 1,200,000,000 People. Paris: UNESCO 1951, S. 5.
4 Lektürestoffe für neue Leserschichten Mit der Studie Fundamental Education. Common Ground for All Peoples legte der Bildungsausschuss der Vorbereitenden Kommission eine Grundlage, die die Ausrichtung der Erwachsenenbildungsprogramme der UNESCO und insbesondere ihr Engagement für die weltweite Überwindung des Analphabetismus maßgeblich prägen sollte.1 Das 1947 als erste UNESCO-Publikation überhaupt veröffentlichte Dokument, an dem namhafte Sozialwissenschaftler der Zeit wie die US-amerikanische Ethnologin Margaret Mead und der Missionar und Alphabetisierungsexperte Frank Laubach mitarbeiteten, ist nicht nur als Plädoyer für eine Angleichung und Egalisierung der Bildungsmöglichkeiten weltweit zu lesen, sondern es enthielt neben einer präzisen Analyse bis dato durchgeführter Maßnahmen im Bildungswesen auch erste Vorschläge, wie die UNESCO zur Erreichung eines zumindest elementaren Bildungsniveaus aller Weltbürger beitragen könnte. Das Konzept der fundamental education – welches mit dem Begriff der Elementarbildung nur unzulänglich ins Deutsche zu übertragen ist2 – kann dabei keineswegs als innovative Neuschöpfung der Vorbereitenden Kommission gelten; es war deutlich von Bildungs- und Wohlfahrtsmaßnahmen inspiriert, die in vielen, sich häufig noch im Kolonialstatus befindlichen Teilen der Welt als community education, rural development, progressive education oder misiones culturales bereits durchgeführt wurden.3 Insbesondere das 1944 im britischen Colonial Office entstandene Konzept zur Erwachsenenbildung in Britisch-Afrika hat den Elementarbildungsansatz der jungen UNESCO nachhaltig beeinflusst.4
1 Vgl. Fundamental Education. Common Ground for All Peoples. Siehe für die Entstehung des fundamental education-Ansatzes ausführlich Jones: International Policies for Third World Education, S. 47–55. 2 Im Gegensatz zu Hüfner und Reuther, die fundamental education als Grundbildung übersetzen, wird in dieser Arbeit fundamental education als Elementarbildung ins Deutsche übertragen. Dieser Begriff ist präziser und kann auch nicht mit dem in den siebziger Jahren entwickelten basic educationAnsatz verwechselt werden. Vgl. Hüfner/Reuther: UNESCO-Handbuch, S. 170. 3 Vgl. stellvertretend für die umfangreiche historische Forschung zur kolonialen britischen Bildungspolitik in Afrika: John Holford: Mass Education and Community Development in the British Colonies, 1940–1960. A Study in the Politics of Community Education. In: International Journal of Lifelong Education 7 (1988), H. 3, S. 163–183; Michael Omolewa: Programmed for Failure? The Colonial Factor in the Mass Literacy Campaign in Nigeria, 1946–1956. In: Paedagogica Historica 44 (2008), H. 1/2, S. 107–121. Vgl. für die misiones culturales in Mexiko: Augusto Santiago Sierra: Las misiones culturales (1923–1973). Mexiko-Stadt: Secretaría de Educación Pública 1973. Vgl. zu Alphabetisierungskampagnen Ende der vierziger Jahre allgemein: Frank C. Laubach: Teaching the World to Read. A Handbook for Literacy Campaigns. Published for the Commitee in World Literacy and Christian Literature of the Foreign Missions Conference of North America. New York: Friendship Press 1947, hier insbesondere Kapitel 2: The History of Modern Literacy. 4 Vgl. Mass Education in African Society. Colonial Office. Advisory Committee on Education in the Colonies. London: His Majesty’s Stationary Office 1944 (Colonial No. 186).
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Im Verständnis der UNESCO war fundamental education als dasjenige Mindestmaß an Bildung anzusetzen, welches Erwachsene und Kinder ohne formale Bildung zur Hebung ihres Lebensstandards und zur gesellschaftlichen Partizipation befähigen sollte: Fundamental education is that kind of minimum and general education which aims to help children and adults who do not have the advantages of formal education, to understand the problems of their immediate environment and their rights and duties as citizens and individuals, and to participate more effectively in the economic and social progress of their community. It is fundamental in the sense that it gives the minimum knowledge and skills which are an essential condition for attaining and adequate standard of living. It is general in the sense that this knowledge and these skills are not imparted for their own sake only. It uses active methods, it focuses interests on practical problems in the environment, and in this way it seeks to develop both individual and social life.5
Der Elementarbildungsansatz zielte auf wirtschaftliche und soziale Entwicklung: Den lokalen Gemeinschaften sollten entsprechend ihrer jeweiligen Arbeits- und Alltagswelten nützliche Kenntnisse und praktische Fertigkeiten vermittelt werden, vor allem in Familienplanung, Gesundheitsvorsorge und Landwirtschaft. Obwohl der Zusammenhang zwischen fundamental education auf der einen sowie wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt auf der anderen Seite eher auf vagen Annahmen über den Beitrag von Bildung zur Überwindung von Hunger, Krankheit und Armut als auf einer kohärenten, beweiskräftigen Argumentation beruhte, wurde der Elementarbildungsansatz von der UNESCO gegenüber ihren Mitgliedsstaaten, der Weltöffentlichkeit und innerhalb des UN-Systems von Beginn an als Entwicklungsstrategie propagiert und damit Bildung in eine quasi-kausale Relation zu Modernisierung und Fortschritt gesetzt.6 Die Suggestivkraft eines derartigen Programms war groß und bot der jungen UNESCO die Chance, sich zu positionieren: For the infant UNESCO, struggling to sharpen a view of its responsibilities and program, the political appeal of fundamental education was irresistible. It was a concept and strategy that accurately summed up the organisation’s general ideas and purposes. It captured UNESCO’s symbolic nature, and governments embraced it with a sincere, if cautious enthusiasm. It provided UNESCO with a program unit of global scope and interest. It was high-minded yet practical, fostering the organisation’s interests in human rights, progress and peace.7
5 A Definition of Fundamental Education. Presented to an Inter-Secretariat Working Party of the United Nations and Specialized Agencies, Paris, 16–17 November 1950. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/94), S. 1, Hervorhebungen im Original. 6 Vgl. beispielhaft für den in zahlreichen Publikationen zu findenden Hinweis auf den Beitrag der fundamental education zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung: A Note on the Relationship of Fundamental Education to Economic and Social Development. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/95). 7 Jones: International Policies for Third World Education, S. 47.
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Der Vermittlung elementarer Lese- und Schreibfähigkeiten kam innerhalb des Elementarbildungsansatzes eine zentrale Bedeutung zu.8 Wenn Alphabetisiertheit auch nicht Endzweck der fundamental education war, so war sie doch unerlässliche Voraussetzung, um die Kenntnisse dauerhaft vermitteln zu können, welche Individuen und Gemeinschaften zu einem besseren, ausgefüllteren und freieren Leben verhelfen sollten: »Literacy is the first step in a people’s march from the bondage of ignorance to the life of freetrop men.«9 Die Annahme, dass das Vorhandensein elementarer Lese- und Schreibfähigkeiten eine Grundbedingung für sozialen Wandel, Wirtschaftswachstum und Demokratie sei, teilte die UNESCO mit staatlichen Instanzen und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen, die sich, wie z. B. kirchliche Einrichtungen oder international agierende Stiftungen, ebenfalls für eine Überwindung des Analphabetismus engagierten.10 Aufgrund der geringen finanziellen Ressourcen war es der UNESCO zunächst kaum möglich, operativ tätig zu werden und in größerem Maßstab Bildungsprogramme aufzulegen.11 Unter diesen Voraussetzungen verstand sie ihren Auftrag als internationale Organisation vor allem darin, Mitgliedsstaaten zur Durchführung von Elementarbildungsprojekten zu bewegen und bei deren Konzeption und Organisation beratend zur Seite zu stehen, während Finanzierung und praktische Umsetzung in der Verantwortung der einzelnen Staaten verblieben. Das Fundamental Education Clearing House der UNESCO entwickelte sich auf diesem Weg zu einem zentralen Sammelund Umschlagplatz für Informationen zu Techniken, Methoden und Hilfsmitteln der Elementarbildung und Alphabetisierung, welche – in der Zeitschrift Quarterly Bulletin on Fundamental Education12 bzw. der Schriftenreihe Monographs on Fundamental Education veröffentlicht – Entscheidungsträgern Hilfestellung und Impulse bei der Planung nationaler oder lokaler Bildungsmaßnahmen liefern sollten. 1951 rief die Pariser Organisation darüber hinaus ein globales Netzwerk von Bildungseinrichtungen mit dem Ziel ins Leben, den Erfahrungs- und Informationsaustausch zu verbessern und somit die gegenseitige Fruchtbarmachung von Ideen zu ermöglichen.13 Die im Vergleich zur Durchführung operativer Programme relativ preisgünstigen Tätigkei-
8 Jones charakterisiert den Elementarbildungsansatz daher auch als eine »enriched form of literacy education«. Ebd., S. 57. 9 Frederick J. Rex: Literacy – Why and How. In: Quarterly Bulletin on Fundamental Education I (1949), H. 3, S. 18–22, hier S. 18. 10 Vgl. David R. Olson/Nancy Torrance: Conceptualizing Literacy as a Personal Skill and as a Social Practice. In: The Making of Literate Societies. Hrsg. von David R. Olson und Nancy Torrance. Malden u. a.: Blackwell Publishers 2001, S. 3–18. 11 Vgl. Fundamental Education. A Description and Programme. Paris: UNESCO 1949, S. 49. 12 Quarterly Bulletin of Fundamental Education I (1949) – IV (1952), H. 2, fortgesetzt als: Fundamental and Adult Education IV (1952) H. 3 – XII (1960). 13 Vgl. Lloyd H. Hughes: The Associated Projects System of UNESCO. In: Quarterly Bulletin of Fundamental Education III (1951), H. 3, S. 112–115.
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ten der Dokumentation, Recherche und Informationsvermittlung ermöglichten es der UNESCO, sich als Kompetenzzentrum für Alphabetisierungsfragen zu positionieren. Schwerpunkte bildeten die Erarbeitung von Gutachten zur weltweiten Situation des Analphabetismus, die Publikation von Analysen einzelner Alphabetisierungsprojekte sowie Zusammenstellungen über pädagogische, sprachpolitische, linguistische und technische Aspekte des Lesen- und Schreibenlehrens, deren Erstellung in einigen Fällen von UNESCO-Mitarbeitern verantwortet, aber vor allem in die Hände ausgewiesener Experten und Praktiker gelegt wurde.14 Mit der Ausweitung des Programms zur technischen Zusammenarbeit in den Entwicklungsländern (Expanded Programme of Technical Assistance for Economic Development of Underdeveloped Countries, ETPA) durch den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen im Jahr 1949 war es der UNESCO möglich, ab Anfang der fünfziger Jahre auf Gesuch ihrer Mitgliedsstaaten operativ tätig zu werden und somit – wenn auch im begrenzten Maßstab – zur Umsetzung ihres eigenen Bildungskonzepts beizutragen.15 Unter Torres Bodet entstand der ambitionierte Plan, auf regionaler Ebene sogenannte Fundamental Education Centre aufzubauen, Ausbildungsstätten, in denen Fachkräfte geschult werden sollten, damit diese anschließend in ihren jeweiligen Heimatländern Bildungsmaßnahmen im Sinne der Elementarbildungsphilosophie durchführen konnten.16 Von den ursprünglich geplanten sechs regionalen Zentren wurden lediglich zwei gegründet: 1951 das für den lateinamerikanischen Raum zuständige CREFAL (Centro Regional de Educación Fundamental para América Latina) in Mexiko sowie 1953 sein arabisches Pendant ASFEC (Arab States Fundamental Education Centre) in Ägypten. In Zusammenarbeit mit den Regierungen der Region sowie der technischen Unterstützung anderer UN-Institutionen wie der Weltgesundheits-,
14 Vgl. beispielhaft für die Vielzahl an Studien und Berichten, die nicht nur in Monographieform, sondern auch als Beiträge im Bulletin of Fundamental Education erschienen sind: William S. Gray: Preliminary Survey of Methods of Teaching Reading and Writing. Part I and II. Paris: UNESCO 1953 (Educational Studies and Documents. V); The Use of Vernacular Languages in Education. Paris: UNESCO 1953 (Monographs on Fundamental Education. VIII). 15 Vgl. Resolutionen des ECOSOC vom 4.3.1949: Economic Development of Under-developed Countries, ECOSOC Res. 179 (VIII); Technical Assistance for Economic Development, ECOSOC Res. 180 (VIII). Das EPTA zielte darauf, das Leistungsvermögen von Menschen und Institutionen in den Entwicklungsländern zu stärken: Dazu konnten Gelder für die Entsendung von Experten und Sachverständigen, für die Vergabe von Stipendien für einheimisches Personal oder für die Lieferung von Sachmitteln beantragt werden. Im Rahmen des EPTA wurde Bildung als einer der Bereiche anerkannt, in denen Entwicklungsländer technische Unterstützung benötigten. 16 Vgl. Special Project for the Establishment of a World Network of Regional Fundamental Education Centres, 16.7.1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part VIII). Vgl. ebenso: Declaration Adopted by the Executive Board, during Its Twenty-Fourth Session, Concerning the Establishment of a World Network of Regional Centres for Fundamental Education (10 November 1950). Paris 1950 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/86).
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der Internationalen Arbeiter- und der Welternährungsorganisation aufgebaut, beruhte der Kerngedanke der in ruralen Gegenden angesiedelten Ausbildungsstätten auf der Verbindung von theoretischer Schulung in Inhalten und Methoden der fundamental education und praktischer Erprobung in den umliegenden Dorfgemeinschaften: Auf den Lehrplänen standen neben Unterricht in den Bereichen Gesundheit, Handwerk, Familien- und Freizeitgestaltung sowie Landwirtschaft vor allem Techniken der Alphabetisierung sowie die experimentelle Erstellung von audiovisuellen Medien und Lesematerialien, die die Vermittlung der für die Dorfgemeinschaft als nützlich erachteten Kenntnisse und insbesondere das Erlernen des Schreibens und Lesens unterstützen sollten.17
4.1 Ratgeber für ein besseres Leben: Die Produktion sozial relevanter Literatur für ein neu alphabetisiertes Publikum »[L]iteracy without literature is a contradiction of terms.«18 Auf diese prägnante Formel brachte der für die UNESCO beratend tätige Bruce Roberts ein zentrales Problem, mit dem sich die weltweiten Bemühungen um Alphabetisierung konfrontiert sahen: Die Nachhaltigkeit von Alphabetisierungsmaßnahmen war nur dann gewährleistet, wenn die erlernten Schreib- und Lesefertigkeiten regelmäßig angewandt werden konnten. In Umgebungen, die keine Möglichkeiten oder keinen Anreiz boten, diese Fähigkeiten einzusetzen, wurden die mühsam erlernten Kulturtechniken wieder verlernt. Die UNESCO machte bereits frühzeitig auf die Notwendigkeit aufmerksam, Neuliteraten adäquate Lesematerialien zur Verfügung zu stellen, damit diese ihre Lesefertigkeiten über den Abschluss der Alphabetisierungskurse hinaus im tagtäglichen Leben nutzten. Bereits in Fundamental Education. Common Ground for All Peoples hieß es: »If educational wastage is to be avoided, materials must be provided for readings.«19 Die Lesen und Schreiben lernenden Erwachsenen mit geeigneten Lektürestoffen, also mit Büchern, Broschüren und Zeitungen, zu versorgen, erwies sich jedoch aus zwei Gründen als schwierig. Erstens mussten die Lesematerialien didaktisch so gestaltet sein, dass sie für die Zielgruppe attraktiv waren und dem Niveau der jeweiligen Lesefertigkeiten entsprachen. Neben der Wahl adäquater Themen sowie der Verwendung eines begrenzten Wortschatzes und einer einfachen Syntax waren bei der Konzeption der Materialien auch gestalterische Aspekte wie beispielsweise die Schriftgröße oder Art und Anzahl der beigegebenen Abbildungen zu beachten. Das
17 Vgl. Fundamental Education Regional Training and Production Centre. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: 4C/PRG/11). 18 Bruce Roberts: The Functions and Organizations of a Literature Bureau. In: Fundamental and Adult Education VII (1955), H. 4, S. 142–147 und VIII (1956), H. 1, S. 11–16, hier S. 142. 19 Fundamental Education. Common Ground for All Peoples, S. 257.
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Schreiben und Illustrieren von Lektürestoffen für das neuliterate Publikum bedurfte somit erheblicher Expertise. Zweitens bereiteten die Produktion und Distribution der Lesematerialien Probleme: Gerade in den Gebieten, die mehrheitlich nicht literat waren, existierten meist keine verlegerischen und buchhändlerischen Strukturen, welche Herstellung und Vertrieb der Lesestoffe hätten übernehmen können.20 Nachdem im ersten, groß angelegten experimentellen Elementarbildungsprojekt im haitianischen Marbial (1947–1949) den UNESCO-Mitarbeitern drastisch vor Augen geführt worden war, dass die zur Unterstützung der Alphabetisierungsmaßnahmen dringend benötigten Lehr- und Lesematerialien nicht vorhanden und aufgrund fehlender technischer Voraussetzungen vor Ort auch nicht einfach herzustellen waren21 , beschloss die Pariser Organisation, die geplanten regionalen Elementarbildungszentren nicht nur als Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen zu konzipieren, sondern diesen zusätzlich auch eine Schreib- und Produktionsstätte anzugliedern. Dort sollten Lehrkräfte und Studenten adäquate, d. h. örtliche Sprach- und Lebensgewohnheiten berücksichtigende Lesematerialien entwickeln, nach erfolgreicher Erprobung im Feld in einfachen Druckverfahren reproduzieren und somit auch die notwendigen technischen Fertigkeiten zur Produktion von Lesematerialien vermittelt bekommen.22 Es war vorgesehen, die an den Elementarbildungszentren hergestellten Lektürestoffe nicht nur der Bevölkerung im Umkreis des Zentrums zur Verfügung zu stellen, sondern auch an staatliche Stellen und national oder regional agierende Bildungseinrichtungen zu verschicken. Letztere könnten – so die anfängliche Vorstellung der UNESCO – diese urheberrechtsfreien Modellpublikationen an die spezifischen Verhältnisse der jeweiligen Gemeinschaft oder des Landes anpassen und anschließend deren Vervielfältigung in die Wege leiten. Der Ansatz der UNESCO, der auf einer Kombination von Ausbildung und Produktion beruhte und hervorhob, dass Lesematerialien für Neuliterate ein »local flavour«23 , eine lokale Note aufweisen sollten, wurde in Frage gestellt, als sich die Gründung des ersten Elementarbildungszentrums zu konkretisieren begann: Die Organisation Amerikanischer Staaten bot der UNESCO Unterstützung beim Aufbau des lateinamerikanischen Zentrums in Mexiko an und stellte dafür einen Betrag von 100.000 US-Dollar in Aussicht. Die Offerte der OAS ermöglichte es, das Projekt größer
20 Vgl. Reading Materials for New Literates. In: Fundamental and Adult Education IX (1957), H. 1, S. 13–29. 21 Vgl. The Haiti Pilot Project. Phase One 1947–1949. Paris: UNESCO 1951 (Monographs on Fundamental Education. IV), hier insbesondere Kapitel 3. 22 Vgl. Fundamental Education Regional Training and Production Centre for Latin America. Explanatory Note Based on Draft Agreement between UNESCO and the Organization of American States. Paris 1950. (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/75), S. 2; Regional Fundamental Education Centre for Latin America. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/96). 23 Lloyd H. Hughes: Memorandum vom 23.4.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310, Part X).
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anzulegen, als es die UNESCO-eigenen Ressourcen erlaubt hätten; sie zog zugleich aber auch konzeptionelle Kompromisse nach sich. In den Augen des bei der OAS für Bildungsprogramme zuständigen Guillermo Nannetti war die lokal verankerte Produktion von Lektürestoffen, wie sie der UNESCO vorschwebte, angesichts von etwa siebzig Millionen Illiteraten in Lateinamerika bei Weitem nicht ausreichend, um den Mangel an Alphabetisierungs- und Lesematerialien wirksam zu begegnen. Er bestand auf der Gründung eines Produktionsbüros am Hauptsitz der OAS in Washington, das im großen Maßstab Lesematerialien erstellen, testen, produzieren und dann in Lateinamerika vertreiben sollte.24 Innerhalb der Elementarbildungsabteilung der UNESCO stand man diesem Vorschlag äußerst kritisch gegenüber: Nicht nur schien er auf eine organisatorische Trennung von Produktion der Lesematerialien und Ausbildung in fundamental education hinauszulaufen, sondern vor allem befürchtete man, dass die zentralisiert in Washington hergestellten Materialien zu teuer wären und diese – da für einen gesamten, in sich doch sehr heterogenen Kontinent konzipiert – den spezifischen Bedürfnissen der einzelnen Gemeinschaften nicht entsprechen könnten, also weder ökonomisch sinnvoll waren, noch mit dem Kern des Fundamental Education-Ansatzes übereinstimmten.25 Der Leiter der Elementarbildungsabteilung, der Brite John Bowers, beharrte gegenüber Torres Bodet darauf, dass ungeachtet des geplanten OAS-Produktionsbüros die Herstellung von Lesematerialien im Feld weiterhin integrativer Bestandteil des mexikanischen Elementarbildungszentrums sein müsste: Le principe devrait être reconnu que le matériel d’éducation fondamentale devrait être adapté aux conditions et aux besoins locaux, et que le matériel préparé à Washington sera, dans la plupart des cas, d’un caractère trop général et trop coûteux pour répondre aux besoins des populations ayant accédé récemment à l’alphabétisme dans la Région des Andes, de l’Amazone et des Îles caribéennes. Il faudrait insister pour que figure dans le programme du Centre de Mexico, non seulement la formation des maîtres, mais également la production de matériel-type sur place.26
Das nach langen Verhandlungen im Juli 1950 endgültig unterzeichnete Abkommen ist als Kompromiss zu werten, der es beiden Parteien erlaubte, den jeweils eigenen
24 Vgl. Guillermo Nannetti: United Campaign for Fundamental Education. Undatierter Projektentwurf [etwa 1949/1950] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part I). Siehe auch: Guillermo Nannetti an Jaime Torres Bodet am 27.1.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part II). 25 Vgl. L. Fernig: Memorandum vom 20.2.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part II). Vgl. zu den Differenzen in den Ansätzen der beiden Organisationen auch: Fundamental Education Regional Training and Production Centre in Latin America. Paris 1950 (UNESCO-Dokument: 19 EX/41 + Add.). 26 J. B. Bowers: Memorandum für J. Torres Bodet vom 18.2.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part II).
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Ansatz beizubehalten und somit die eigenen Interessen zu wahren.27 Mit dem Centro Regional de Educación Fundamental para América Latina und dem Latin American Bureau for the Production of Fundamental Education Material (später: Latin American Fundamental Education Press) wurden zwei administrativ voneinander getrennte Einrichtungen geschaffen. Während die zentralen Aufgaben des unter Verantwortung der UNESCO stehenden Elementarbildungszentrums in Mexiko in der Ausbildung von Fachkräften sowie der Erstellung von Lektürestoffen auf experimenteller Basis bestanden, war die Organisation Amerikanischer Staaten für die massive Produktion von Alphabetisierungs- und Lesematerialien zuständig.28 Zu Zwecken der Koordination wurde ein Ausschuss ins Leben gerufen, der sicherstellen sollte, dass Synergieeffekte zwischen den beiden Programmkomponenten erzielt würden. Unter anderem war beabsichtigt, die in Washington produzierten Materialien im mexikanischen Elementarbildungszentrum zu testen und in den dortigen Ausbildungskursen einzusetzen; die unter Berücksichtigung der lokalen Begebenheiten im Elementarbildungszentrum erstellten Mustermaterialien sollten ihrerseits dem Produktionsbüro zur Verfügung gestellt werden. Obgleich die Notwendigkeit eines Erfahrungs- und Materialaustausches zwischen den beiden Institutionen in den Sitzungen des Koordinationsausschusses immer wieder betont und angemahnt wurde29 , entwickelten sich das lateinamerikanische Elementarbildungszentrum CREFAL und die Latin American Fundamental Education Press zu weitgehend unabhängig voneinander agierenden Einrichtungen, die mit unterschiedlichen Ansichten darüber, wie Lesematerialien für Neuliteraten zu schreiben und zu produzieren waren, dazu beitragen wollten, den Analphabetismus in Lateinamerika zu überwinden und die Lebenssituation insbesondere der ländlichen Bevölkerung zu verbessern. Die kleinen Orte rund um den Pátzcuaro-See, gut fünfhundert Kilometer westlich der mexikanischen Hauptstadt gelegen, boten ein ideales Szenario für das erste Elementarbildungszentrum der UNESCO: Ausbildungs- und Produktionszweig des im April 1951 feierlich eingeweihten CREFAL standen gut zwanzig Dörfer mit einer überwiegend von Fischerei und Landwirtschaft lebenden, indigenen taraskischen Bevölkerung als »Bildungslaboratorien«30 zur Verfügung, in denen Methoden der
27 Vgl. John Bowers an M. G. Candau am 22.6.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part III). 28 Vgl. Agreement between the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization and the Organization of American States Concerning the Training of Staff and Preparation of Material for Fundamental Education for Latin America, 7.7.1950 (Pátzcuaro, Mexiko, Archiv des CREFAL, Caja 1.1, Expediente 10). 29 Vgl. beispielhaft: Acta de la primera reunión del comité mixto consultivo de la UNESCO y la OEA, Mai 1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031 024, Part II). 30 Die UNESCO bezeichnete – sowohl intern als auch in Publikationen – die Dorfgemeinschaften rund um ihre Elementarbildungszentren als »laboratories«. Vgl. beispielhaft: Willard W. Beatty: Memorandum vom 3.11.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031,
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fundamental education sowie Lesematerialien getestet werden konnten.31 Aufgabe der Produktionseinheit des CREFAL war es, Studenten mit der Erstellung von didaktischem Material vertraut zu machen und ergänzende Lesematerialien zu entwickeln, welche die in den Dorfgemeinschaften durchgeführten Bildungsmaßnahmen unterstützten.32 Nach Ansicht des Direktors des CREFAL, des mexikanischen Bildungsexperten Lucas Ortiz Benítez, war der integrierte Einsatz unterschiedlicher Medien am besten geeignet, um die Bildungsmaßnahmen effektiv zu flankieren – eine Position, die derjenigen der UNESCO entsprach: Newspapers, leaflets, pamphlets, posters and books are valuable elements by themselves; but their usefulness greatly increases if they are combined with some other educational agents, such as films and filmstrips, radio programs and theatrical plays, folklore festivals and regional exhibitions. Indirect and multiform education directed towards precise objects produces more satisfactory results.33
Im Produktionszweig des CREFAL, der neben einer Druckerei und einer Redaktionsund Graphikabteilung auch eine audiovisuelle Einheit umfasste, wurde unter Leitung des US-Amerikaners Enrique A. Laguerre das Konzept der educational packages entwickelt. Die von den Lehrkräften festgelegten Themen wie beispielsweise die Bedeutung sauberen Wassers oder die Gründung einer Genossenschaft von Hutherstellern sollten unterschiedlich medial vermittelt werden. So wurden zu beiden Punkten sowohl Wandplakate und Broschüren, als auch Filmstreifen und Theaterstücke produziert: Ein Poster empfahl, Wasser vor Verwendung abzukochen; ein Theaterstück wurde geschrieben, das die Vorteile des genossenschaftlichen Einkaufes der für die Hutproduktion benötigten Materialien aufzeigte.34
Part XI); Tibor Mende: Report on Pátzcuaro. One of the World’s Most Unusual Social Experiments. In: UNESCO Courier V (1952), H. 2, S. 3–4. 31 Vgl. zur Geschichte des CREFAL: María Yolanda Peña Acevedo: Centro Regional de Educación Fundamental para América Latina (CREFAL). Trayectoria de este organismo internacional. Tesis para obtener el título de Licenciado en Derecho. Morelia: Universidad Michoacana de San Nicolás de Hidalgo, Facultad de Derecho y Ciencias Sociales 2000. Vgl. auch die Festschrift: Guillermo A. Medina: CREFAL. Presencia y acción en América Latina y el Caribe. Pátzcuaro: CREFAL 1986. 32 Vgl. Sugestiones sobre Producción de Materiales. Oktober 1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part VIII); Julio Castro: Rama de Producción de Materiales. September 1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310, Part XI). 33 Report of Lucas Ortiz Benítez, Director of CREFAL, to the VI General Conference of UNESCO, 1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part IX). Vgl. zum Konzept der UNESCO, im Rahmen von Fundamental Education-Projekten Kenntnisse durch den kombinierten Einsatz unterschiedlicher Medien wie Film, Radio und Print zu vermitteln: Fundamental Education. A Description and Programme, insbesondere S. 15–16 und S. 37–40. 34 Vgl. Enrique A. Laguerre an Willard Beatty am 28.12.1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part IX).
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Bevor man die educational packages produzierte, wurden lokales Vokabular und besonders häufig verwendete idiomatische Ausdrücke gesammelt: Die mit Kassettenrekordern ausgerüsteten Studenten mischten sich unter die Bevölkerung, um gängige Wörter und Redewendungen aufzuzeichnen. Der durch diese Feldforschungen zusammengestellte lokale Wortschatz wurde bei der Produktion von Filmen und Wandplakaten, aber auch von Lesematerialien berücksichtigt. Unter anderem entstand auf diese Weise eine Reihe über den Mais, in der in vier schmalen Bänden Saat, Anpflanzung und Ernte der Nutzpflanze sowie deren Verarbeitung zu Tortillas, den fast jedem mexikanischen Essen beiliegenden Maisfladen, erläutert wurde.35 Die Beurteilung dieser ersten im CREFAL entstandenen Lesematerialien durch die zuständigen Mitarbeiter in Paris viel durchaus positiv aus. Man lobte die sprachliche Anpassung an lokale Gepflogenheiten und die Vermittlung nützlicher Informationen; der später als stellvertretender Direktor des CREFAL nach Mexiko berufene Lloyd Hughes wies jedoch darauf hin, dass Tortillas seiner Meinung nach nicht als ausgewogene Nahrungsmittel charakterisiert werden sollten. In seiner Beurteilung hieß es: In general the Series is quite good, but I have some question about Books III and IV. The last page of Book III, ›La Cosecha‹, reads: Doña Rosa will prepare good tortillas. There will be no lack of tortillas at Don Andrés’ house. The tortilla is a rich food. (Is this a true statement, and do we want to emphasize the tortilla as a good food?) Again in Book IV, ›Tortillas de Maíz‹, there is a description of a meal of a successful farm family. The meal is typical of the area (beans, chili, tortillas and a little meat). I wonder if the successful family might not have partaken of a better balanced meal. Could we not include some information about health and nutrition as well? [. . .] I do think [. . .] we should avoid half truths in our material of the type you often encounter, e.g. ›A clean tooth never decays; the tortilla is a rich food; drinking milk will make you healthy and strong‹.36
Davon abgesehen, dass der UNESCO-Mitarbeiter in diesem Fall einem ›falschen Freund‹ aufsaß – denn das im spanischen Originaltext verwendete Adjektiv rico bedeutet nicht, wie von Hughes übersetzt, rich, also reichhaltig, nahrhaft, sondern vielmehr lecker37 – macht die Argumentation Hughes’ deutlich, worauf es der UNESCO bei der inhaltlichen Gestaltung der Lesematerialien ankam: Diese sollten den Neualphabetisierten nicht nur die Möglichkeit bieten, ihre Lesefertigkeiten anzuwenden, sondern ihnen darüber hinaus praktisches Wissen vermitteln oder der moralischen Erziehung, der Ausformung eines besseren Menschen dienen. Die dem
35 Vgl. El maís. 4 Bände. Pátzcuaro: CREFAL 1951. Für die am CREFAL zwischen 1951 und 1960 entstandenen Lesematerialien für Neualphabetisierte vgl. die Übersicht in der Dokumentation A. 36 Lloyd Hughes: Memorandum vom 23.4.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310, Part X), Hervorhebungen durch die Verfasserin. 37 Auf diesen Irrtum wies auch der Direktor des CREFAL hin. Vgl. Lucas Ortiz Benítez an Willard Beatty am 11.7.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310, Part X).
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Elementarbildungsansatz verpflichteten, sozialrelevanten Inhalte fanden sich auch in anderen Lesematerialien des CREFAL wieder, so etwa in Pedro y sus animales, wo einfach und prägnant beschrieben ist, wie Pedro dank der Ratschläge seines Lehrers seine Schweine vor einem Cholerabefall retten kann; oder in dem schmalen Band La Victoria de Juan, in dem es um den Alkoholiker Juan geht, der Haus und Hof immer stärker vernachlässigt und seine Familie in ungeheure Not bringt.38 Auch die von den Studenten des CREFAL gestaltete Zeitung für Neuliteraten Eréndira enthielt neben Meldungen über Veranstaltungen und Geschehnisse in den Dörfern rund um den Pátzcuaro-See viele praktische Ratschläge. Bei der inhaltlichen und graphischen Gestaltung der Lesematerialien wurden der lokale Sprachgebrauch, die sozialen Gepflogenheiten, Organisationsstrukturen und Kleidungsstile der einheimischen taraskischen Bevölkerung berücksichtigt, um auf diese Weise eine möglichst große Identifikation der Nutzer mit den Lektürestoffen hervorzurufen. So berichtete der Uruguayer Julio Castro, Nachfolger Laguerres als Leiter des Produktionszweigs, dass Illustrationen, die Frauen mit einem für die taraskische Bevölkerung untypischen Umhängetuch zeigten, dazu führen könnten, dass dem Inhalt des gesamten Buches kein Glaube geschenkt würde. Auch ein außerhalb des Zentrums produziertes Heft über den Einsatz von Düngemittel konnte nicht verwendet werden, weil in diesem die Bauern Eigentümer der landwirtschaftlichen Nutzflächen waren, während das Land um Pátzcuaro im Besitz von Kollektiven war.39 In der hauseigenen Druckerei wurden die Lesematerialien auf einfache, preisgünstige Weise vervielfältigt. Für das begrenzte Einsatzgebiet der Lektürestoffe in den Gemeinden rund um den Pátzcuaro-See war lediglich eine Auflage von fünfzig bis wenigen Hundert Exemplaren pro Titel erforderlich; folglich war eine manuelle Herstellung möglich. Die Erwägung, eine kleine Offsetdruckmaschine am CREFAL zu installieren, wurde rasch aufgegeben: Die Stromschwankungen schienen zu groß und das Papier war aufgrund des Klimas zu feucht, um die Druckerfarbe richtig aufzunehmen. Zudem wäre für den Betrieb der Maschine der Einsatz eines Spezialisten vonnöten gewesen. Statt einer Offsetmaschine erwarb man zwei Handpressen, die von den Studenten selbst und ohne Hilfe bedient werden konnten. Die Texte wurden manuell gesetzt, während für Bilder und Abbildungen eine spezielle, preisgünstige Hochdrucktechnik entwickelt wurde (vgl. Abbildung 2).40 Ausstattung und Arbeits-
38 Vgl. Pedro y sus animales. 3 Bände. Pátzcuaro: CREFAL 1951; La victoria de Juan. Nunca es demasiado tarde: Basta la voluntad. Pátzcuaro: CREFAL 1958 (Colección CREFAL). 39 Vgl. New Horizons at Tzentzenhuaro. One Year of Work at a Fundamental Education Centre for Latin America. Paris: UNESCO 1953, S. 23–24. 40 Vgl. ebd., Kapitel 4: Production: Ways and Means. Vgl. zu dem am CREFAL entwickelten Hochdruckverfahren für Poster und Abbildungen: Jerome Oberwager: How to Print Posters. A Process Developed at the Regional Fundamental Education Centre for Latin America. Paris: UNESCO 1953 (Educational Studies and Documents. 3); Daniel Behrman: Cheapness and Simplicity Mark New UNESCO Printing Process. In: UNESCO Courier VI (1953), H. 2, S. 8–9.
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Abb. 2: Ausschnitte aus Mi amigo Fortino, einer am CREFAL entstandenen Publikation für Neualphabetisierte.
organisation der Druckerei entsprachen somit den Zielsetzungen des Elementarbildungszentrums: Die Studenten sollten mit einfach zu handhabenden, preisgünstigen Druckverfahren vertraut gemacht werden, welche ihnen erlaubten, nach Rückkehr in ihre Heimatländer ohne großen finanziellen und technischen Aufwand Lektürestoffe für Neuliteraten herzustellen. Dem inhaltlichen Gehalt nach waren die von der Latin American Fundamental Education Press produzierten Lesematerialien denjenigen, die im mexikanischen Pátzcuaro entstanden, ähnlich: In dem bis 1955 in einer Gesamtauflage von 230.000 Exemplaren erschienenen ›Bestseller‹ Defiende tu suelo werden anhand der Geschichte Antonio Arangos, eines Landwirts in einer unwegsamen, nicht näher bestimmten Bergregion in Lateinamerika, Techniken erläutert, mit denen der Gefahr der Bodenerosion vorgebeugt und das fruchtbare Land nachhaltig bewirtschaftet werden kann.41 La Viruela erzählt auf höchst dramatische Art und Weise, wie Marías kleiner Sohn Pedrito an Pocken erkrankt und stirbt, weil er nicht geimpft war. Gezeichnet von diesem
41 Vgl. Defiende tu suelo. 1. Auflage. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1951.
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Abb. 3: Ausschnitt aus El machete, su uso y cuidado, einer Publikation der Latin American Fundamental Education Press.
Schicksalsschlag sorgt María nach dem Tod ihres Kindes dafür, dass sich die gesamte Nachbarschaft impfen lässt.42 Das vierzehnseitige Heft El machete, su uso y cuidado gibt Hinweise zu Gebrauch und Pflege einer Machete, eines nützlichen Werkzeugs, das sich allerdings – wie der Leser eindringlich gewarnt wird – unter Alkoholeinfluss in eine gefährliche Waffe verwandeln kann und daher besser nicht mit zu Feierlichkeiten genommen werden sollte (vgl. Abbildung 3).43 Auch wenn sich im Publikationsprogramm der Latin American Fundamental Education Press Titel finden, die – wie eine Kurzbiographie Simon Bolívars oder ein Auszug aus Don Quijote – der Unterhaltung bzw. der historisch-kulturellen Bildung
42 Vgl. La Viruela. 1. Auflage. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1951. 43 Vgl. El machete, su uso y cuidado. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1958.
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dienten44 , waren die meisten der in Washington erarbeiteten Lektürestoffe als Transporteure praktischen Wissens und nützlicher Ratschläge konzipiert, die den Leser bei der Lösung alltäglicher Probleme und der Verbesserung seiner Lebensbedingungen unterstützen sollten.45 Der Leiter des Produktionsbüros, Guillermo Nannetti, charakterisierte die Lesematerialien als »Brücken zwischen Experten und dem gemeinen Volk«46 , auf denen Botschaften und Empfehlungen, die von der OAS als besonders relevant eingestuft wurden, zu der weniger gebildeten Bevölkerung Lateinamerikas gelangen konnten: In the development of the programme of the Organization of American States, specialists in widely divergent disciplines are taking part, from statesmen who, in the Council of the Organization, seek to stimulate hemispheric understanding and solidarity, to technicians in the social and natural sciences who are concentrating on research in the problems of the Americas, to disseminate knowledge for the improvement of living conditions. The many-sided message of the Organization of American States must reach the people. Obstacles to spreading this message among the people are illiteracy and limited ability to understand reading material, weaknesses that affect great masses of the people of the Americas. The Latin American Fundamental Education Press should aid in imparting the reading technique to the people. To do so, the Press is preparing [. . .] simple, easily-understood booklets which may contribute to the dissemination of useful knowledge and to the formation of the reading habit.47
Waren die inhaltlichen Zielsetzungen der im mexikanischen Bildungslabor und der im Produktionsbüro in Washington erstellten Materialien nahezu identisch, unterschieden sich Redaktions- und Herstellungsprozesse der etwa siebzig bis 1958 publizierten Titel der Latin American Fundamental Education Press erheblich vom den im CREFAL angewandten Verfahren: Eine zentrale Rolle kam den vier mit OAS-Experten besetzten technischen Komitees (Gesundheit, Landwirtschaft, wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten sowie Kultur) zu, die nicht nur die Themen für die Hefte vorschlugen, sondern dem Redaktionsbüro auch Informationen an die Hand gaben, die in die Lesematerialien einfließen sollten. Der Redaktion unter Leitung von Ermilo Abreu Gómez, einem mexikanischen Schriftsteller und Intellektuellen, oblag es, die
44 Simon Bolívar. 1. Auflage. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1953; Algunas aventuras de Don Quijote. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1958 (Biblioteca Popular Latinoamericana. 54). 45 Vgl. die Übersicht über die Gesamttitelproduktion der Latin American Fundamental Press inkl. Auflagenhöhe in der Dokumentation B. 46 Im englischen Original: »Bridge between the Technician and the People«. Guillermo Nannetti: The Latin American Fundamental Education Press. Libraries for the People. Paris 1956 (UNESCODokument: UNESCO/Reg.M.E./RMNL/56/22), S. 9. In leicht abgewandter Form ist dieser Beitrag nochmals veröffentlicht: Ders.: The Latin American Fundamental Education Press. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 213–234. 47 Nannetti: Latin American Fundamental Education Press. Libraries for the People, S. 9–10.
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Abb. 4: Ausschnitte aus La Biblioteca Popular, einer Publikation der Latin American Fundamental Education Press.
zu vermittelnden Botschaften in eine Handlung zu integrieren und für diese eine adäquate Form und Sprache zu finden. Im Gegensatz zum CREFAL arbeitete man in Washington nicht mir einem lokalen Wortschatz, sondern vertraute auf ein einfaches Standardspanisch, das frei jeglicher lokaler Varietäten in ganz Hispanoamerika verstanden werden sollte.48 Nach Fertigstellung des ersten Manuskriptentwurfes wurde dieser einerseits dem zuständigen technischen Komitee zur Prüfung vorgelegt, andererseits vom Bildungsausschuss auf seine didaktische Eignung begutachtet und – falls Kritik geübt wurde – überarbeitet. Nach Abschluss der Revisionsphase begann die Graphikabteilung an den Illustrationen zu arbeiten, die ebenfalls vom technischen Komitee und dem Bildungsausschuss abgenommen werden mussten.49 Die schmalen, zwischen ein und zwei Dutzend Seiten umfassenden Hefte wurden mit einfarbigen Abbildungen und zum Teil mehrfarbigem Einband ausgestattet und in einer Auflagenhöhe von bis zu einhunderttausend Exemplaren auf qualitativ hochwertigem Papier gedruckt. Im Vergleich zu den Materialien des CREFAL wurden die Lektürehefte der Latin American Fundamental Education Press also auf technisch und buchgestalterisch hohem, aber auch verhältnismäßig teurem Niveau entwickelt und hergestellt (vgl. Abbildungen 2, 3 und 4).
48 Vgl. El valor educativo de la Biblioteca Popular Latinoamericana. In: La Biblioteca Popular. Boletín de la Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1 (1957), H. 3, S. 1. 49 Vgl. die Beschreibung des Produktionprozesses im Protokoll der vierten Sitzung des Koordinationsausschusses: Cuarta Reunión del Comité de Coordinación. Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental, 7.–8.10.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031 024, Part I).
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In den Anfangsjahren unterhielt die Latin American Fundamental Education Press zusätzlich zu ihrem Publikations- ein relativ umfangreiches Forschungsprogramm.50 Der US-Amerikaner Seth Spaulding untersuchte im Feld in Costa Rica und Mexiko, ob die fern der lateinamerikanischen Lebensrealitäten gestalteten Materialien überhaupt von dem Publikum angenommen und verstanden wurden, für welche sie konzipiert waren. Spauldings Analysen schlossen die Leseinteressen der neu alphabetisierten Bevölkerung ein, konzentrierten sich aber hauptsächlich auf die Lesbarkeit und das Kommunikationspotenzial der Lektürestoffe und Illustrationen, d. h. auf die Frage, wie effektiv die zugrunde liegende Idee vermittelt werden konnte. Zu den das Kommunikationspotenzial beeinflussenden Faktoren zählte Spaulding unter anderem Art und Anzahl der Abbildungen, das Text-Bild-Verhältnis, die gewählte Typographie, die Farbgestaltung, den verwendeten Wortschatz sowie die sprachliche und inhaltliche Komplexität des Materials.51 Spaulding entwarf auch einen Fragebogen, der den Publikationen der Fundamental Education Press beigegeben war und auf dem die Leser ihre Meinung kundtun und Lektürepräferenzen angeben konnten. Feldforschungen und Nutzerbefragung dienten dazu, die Lektürestoffe kontinuierlich zu verbessern und an die Bedürfnisse des Zielpublikums anzupassen. Eine zentrale Schwierigkeit, mit der sich die Latin American Fundamental Education Press konfrontiert sah, bestand darin, den Vertrieb der Lektürestoffe von Washington aus zu organisieren. Während das CREFAL die produzierten Materialien in Bildungsmaßnahmen rund um Pátzcuaro einsetzte, diese der Bevölkerung in mobilen Bibliotheken zur Verfügung stellte und mit an Markttagen stattfindenden Lesungen und Buchausstellungen die Dorfgemeinschaft von der Bedeutung des Lesens überzeugen wollte, also aufgrund seiner Position im Feld sehr nah am anvisierten Nutzer war52 , musste die Latin American Fundamental Education Press ihr Publikum erst finden. Man arbeitete zunächst vor allem mit Ministerien, Universitäten, Gewerk-
50 Vgl. Latin American Bureau for the Production of Fundamental Education Materials – Summary of Program and Research, o. D. [etwa 1953] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310, Part XI). Vgl. auch: Seth Spaulding an A. Picasso am 5.2.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 51 Seth Spaulding schrieb auf Grundlage dieser Forschungen seine Doktorarbeit An Investigation of Factors Influencing the Effectiveness of Fundamental Education Reading Materials for Latin American Adults (Ohio State University 1953). Zusammenfassungen seiner unveröffentlichten Dissertation sind publiziert. Vgl. hierzu Seth Spaulding: Factors Influencing the Effectiveness of Fundamental Education Reading Materials. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 254–261; ders.: Communication Potential of Pictorial Illustrations. In: Audio-Visual Communication Review 4 (1956), H. 1, S. 31–46; ders.: Research on Communication through Printed Materials. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 237–253. 52 Vgl. New Horizons at Tzentzenhuaro, Kapitel 4.
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schaften, Büchereien und Lehrervereinigungen zusammen, denen man die Hefte zum Herstellungspreis anbot, darauf setzend, dass die Lesematerialien von dort ihren Weg zur Zielgruppe quasi von selbst fänden. Der OAS-UNESCO-Koordinationsausschuss hielt diese Maßnahmen von Anfang an für unzureichend und schlug vor, lokale Bildungseinrichtungen direkt zu kontaktieren, um sicherzustellen, dass die Hefte auch tatsächlich ihr Publikum erreichten.53 1955 wurde schließlich ein Konzept vorgelegt, das eine der Zielgruppe gerechter werdende Distribution der Publikationen vorsah. In Zusammenarbeit mit nationalen Regierungen sowie durch Schenkungen US-amerikanischer Spender sollten einhunderttausend sogenannter fundamental education libraries aufgebaut werden, kleine ländliche Bibliotheken oder Leseräume, denen man einen Satz der bisher produzierten Hefte zur Verfügung stellte.54 Wie diese kleinen Volksbibliotheken in den Gemeinden nach Vorstellungen ihrer Macher einzusetzen waren, erläuterte die dem Lesematerialien-Set beiliegende Broschüre La Biblioteca Popular 55 : Jedem Bürger zugängliche Leseräume sollten in den örtlichen Schulen eingerichtet und Lesegruppen gebildet werden, deren Mitglieder die Lektürestoffe gemeinsam diskutierten und die darin enthaltenen Ratschläge dann auch umsetzten: [The press, CL] decided to combine the materials into fundamental education libraries, that is, into reading centres where committees and groups interested in fundamental education might meet to consider specific problems and to discuss and analyse them in the light of reading materials [. . .] The materials state the problem, suggest solutions, offer information and propose concrete activities for the community or individuals in search for the best possible solution. In this way, the Fundamental Education Library becomes a true fundamental education school.56
Die Vermittlung von Kenntnissen und Werten – eine Funktion, die üblicher- oder idealerweise die Institution Schule erfüllt bzw. erfüllen sollte – könnte, so lässt sich die Beschreibung Nannettis lesen, bei den Bevölkerungsschichten, denen kein formaler Bildungsweg offenstand, durch die Publikationen der Latin American Fundamental Education Press erfolgen. Die UNESCO und die Organisation Amerikanischer Staaten teilten die Auffassung, dass Lesematerialien für Neuliteraten als Lehrmeister und Vermittlungsinstanzen von Wissen und Werten dienen sollten; beide Organisationen trennte allerdings die Frage,
53 Vgl. Cuarta Reunión del Comité de Coordinación. Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental, 7.–8.10.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031 024, Part I). 54 Vgl. La Biblioteca Latinoamericana de Educación Fundamental. Guía de Trabajo. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental. Unión Panamericana/UNESCO 1955. Unveröffentlichtes Typoskript (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031 024, Part II). 55 Vgl. La Biblioteca Popular. Washington, D.C.: Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental 1955 (Biblioteca Popular Latinoamericana). 56 Nannetti: The Latin American Fundamental Education Press, S. 230.
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wie derartige Lesematerialien am besten zu produzieren seien. Während die OAS, ausgestattet mit erheblichen finanziellen Ressourcen, die Publikationen der Latin American Fundamental Education Press zentral steuerte und in großen Auflagen qualitativ hochwertig drucken ließ, setzte die UNESCO auf preisgünstige, lokal produzierte Materialien. Sie empfand die Vorgehensweise des OAS-Publikationsprogramms, eines Projekts, dem sie immerhin bis 1954 offiziell verbunden blieb57 , als Luxus, der mit der Philosophie der fundamental education im Grunde nicht zu vereinbaren war und der Versorgung eines Hungernden mit Kaviar gleichkäme, wie ein UNESCO-Berater kommentierte: [D]e luxe collectors editions [. . .] are almost entirely irrelevant to the fundamental education workers’ daily task of providing reading materials for the new literate masses. I do not wish to underrate the value of high quality work when it is part of a large-scale production programme backed up by the necessary publication budget – we know the OAS are doing it thanks to a large organization producing enormous editions at sub-economic prices – with special free distribution facilities. But for the ordinary struggling fundamental educational project this is like caviar to a starving man. They must choose between a quite inadequate amount of prestige publications for shop window purposes and the wide-spread dissemination of cheap reading-matter, possibly newsprint leaflets with the simplest line drawings which are read and then used for papering the shelves or rolling cigarettes. While this is an extreme contrast, there is no doubt [. . .] which is the proper policy to follow.58
Nicht nur die UNESCO und die Organisation Amerikanischer Staaten reagierten auf die Notwendigkeit, Alphabetisierungsmaßnahmen durch die Bereitstellung von Lesematerialien zu flankieren. In vielen Teilen der Welt wurden ab den späten vierziger Jahren zunehmend Projekte ins Leben gerufen, die die Herstellung von einfachen Lektürestoffen in einheimischen Sprachen zum Ziel hatten.59 In einigen Fällen wurde deren Produktion in Form von öffentlich finanzierten Publikationsprogrammen organisiert, so etwa in Brasilien, wo die Ministerien für Bildung, Landwirtschaft, Gesundheit und soziale Wohlfahrt an der Konzeption der Lesematerialien zur Unterstützung von Bildungskampagnen in ländlichen Regionen beteiligt waren, oder im Sudan, wo ein Publikationsbüro im Bildungsministerium eingerichtet wurde.60 Im
57 Im Impressum aller bis 1954 einschließlich erschienenen Titel der Latin American Fundamental Education Press wurden die UNESCO und die Organisation Amerikanischer Staaten als gemeinsame Herausgeber aufgeführt. Ab 1955 war die OAS allein für das Projekt verantwortlich. 58 Conrad Opper an Colin D. Ewers am 9.11.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 59 Vgl. World-Wide Task of Literature Bureaux. In: UNESCO Bulletin for Libraries VIII (1954), H. 7, S. E 69–E 71; Literature Bureaux and Production Centre. In: Education Abstracts VI (1954), H. 2. 60 Vgl. für Brasilien: M. B. Lourenço Filho: The Adult Education Campaign. In: Quarterly Bulletin of Fundamental Education II (1950), H. 2, S. 3–9; Some Fundamental Education Materials from Brazil. In: Quarterly Bulletin of Fundamental Education II (1950), H. 2, S. 22–29. Vgl. für das Publikationsbüro im Sudan: Robin Hodgkin: The Sudan Publications Bureau. Beginnings. In: Oversea Education 19 (1948), H. 3, S. 694–698.
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Vielsprachenstaat Indien übernahmen regionale oder lokale Zentren der Erwachsenenbildung wie beispielsweise Jamia Millia Islamia oder der Mysore State Adult Education Council die Herstellung von Lektürestoffen für Neualphabetisierte.61 In Afrika entstanden im Rahmen kolonialstaatlicher oder kirchlicher Bildungs- und Wohlfahrtspolitik62 mit den sogenannten Literaturbüros bzw. Literaturproduktionszentren (literature bureau/literature production centre) Institutionen, die die Versorgung der Bevölkerung mit in einheimischer Sprache verfasster Literatur anstrebten, wie beispielsweise der durch einen Missionar gegründete Verlag Bibliothèque de L’Étoile in Belgisch-Kongo, das East African Literature Bureau mit Hauptsitz in Nairobi oder die Gaskiya Corporation in Nigeria.63 Neben der Produktion und dem Vertrieb von Alphabetisierungsmaterialien, Lektürestoffen für Neuliteraten, Schulbüchern und Belletristik waren diese Literaturbüros zum Teil auch für den Aufbau von lokalen Bibliotheksdienstleistungen verantwortlich.64 Sie fungierten somit als zumeist durch öffentliche Gelder subventionierte Substitute für buchhändlerische und bibliothekarische Strukturen, welche sich – von einigen wenigen christlichen Verlagen und Buchhandlungen abgesehen – in dieser durch orale Erzähltradition und einen hohen Analphabetismus geprägten, unter kolonialer Herrschaft stehenden Weltregion bisher kaum hatten ausbilden können.65
61 Vgl. Literature for Neo-Literates. Being Report of the Third National Seminar of the Indian Adult Education Association. Hrsg. von S. R. Ranganathan. Delhi: Indian Adult Education Association, Atma Ram & Sons 1953 (Indian Adult Education Association. English Series. 6). 62 Vgl. Herward Sieberg: Colonial Development. Die Grundlegung moderner Entwicklungspolitik durch Großbritannien 1919–1949. Stuttgart: Steiner 1985 (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte. 31). 63 Vgl. A Congolese Publishing Venture: La Bibliothèque de l’Étoile. In: Fundamental and Adult Education V (1953), H. 1, S. 43–45; Charles Richards Granton: The Work of a Literature Bureau. International Seminar on the Development of Public Libraries in Africa, Ibadan, Nigeria. Paris 1953 (UNESCODokument: UNESCO/LBA/Sem. 3/11). Weitere Literaturbüros auf dem afrikanischen Kontinent waren das Vernacular Literature Bureau im heutigen Ghana, das United Christian Council Provincial Literature Bureau in Sierra Leone und das Northern Rhodesia and Nyasaland Joint Publication Bureau im heutigen Sambia und Malawi. Vgl. zu den Literaturbüros in Britisch-Afrika: Margaret Read: Recent Developments in Adult Education. In: Symposium on Popular Education. French North Africa – Tropical Africa – Indonesia before the Second World War – Netherlands New Guinea. Leiden: Universitaire pers Leiden 1953, S. 50–74, hier insbesondere Abschnitt II: Literature bureaux, S. 60–66. 64 Vgl. Augustine W. C. Msiska: Early Efforts at Creating African Literature. Its Distribution, Local Authorship and Library Service in Northern Rhodesia (Zambia) and Nyasaland (Malawi). In: Libri 36 (1986), S. 240–246. 65 Entstehung und Entwicklung der Literaturbüros, ihre Ursprünge in den von christlichen Missionen auf dem afrikanischen Kontinent gegründeten Übersetzungsbüros und Literaturkomitees sowie der Wandel ihrer Rolle im Dekolonisierungsprozess sind wissenschaftlich bisher nicht untersucht worden. Eine Ausnahme stellt die Studie der kanadischen Buch- und Kommunikationswissenschaftlerin Evelyn Ellerman dar, die Literaturbüros auf dem afrikanischen Kontinent und in PapuaNeuguinea miteinander vergleicht. Vgl. Evelyn Ellerman: The Literature Bureau: African Influences in Papua New Guinea. In: Research in African Literatures 26 (1995), H. 4, S. 206–215.
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So unterschiedlich die linguistischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen auch waren, die quer über den Globus in den verschiedenen Projekten hergestellten Lesematerialien zielten ebenso wie die Publikationen des CREFAL und der Latin American Fundamental Education Press mehrheitlich, wenn auch nicht ausschließlich auf die Vermittlung von gesellschaftlich als relevant eingestufter Inhalte, wie sie unter anderem Hinweise zur Malariavorbeugung darstellen konnten, welche in tropischen Gebieten wie Niederländisch-Indonesien, Ostafrika und Liberia für kürzlich Alphabetisierte ›literarisch‹ umgesetzt wurden.66 Ebenso häufig zu finden wie Lesematerialien, die Aspekte der Gesundheitsvorsorge thematisierten, waren solche, die landwirtschaftliche oder handwerkliche Kenntnisse vermitteln sollten, wie beispielsweise das vom südpazifischen Literaturbüro (South Pacific Commission Literature Bureau) herausgegebene Heft Wealth from the Coconut oder die an der westafrikanischen Goldküste erschienene Broschüre Kofi the Good Farmer.67 Lektürestoffe für Neuliteraten, die wie diejenigen, die in diesem Kapitel vorgestellt wurden, als Ratgeber bzw. als »Lehrmeister«68 konzipiert und damit streng utilitaristisch angelegt waren, sind als Ausdruck einer mit der Überwindung des Analphabetentums eng verknüpften Hoffnung auf wirtschaftliche und soziale Modernisierung zu deuten. Sie sollten, wie der als UNESCO-Experte in Elementarbildungsprojekten tätige US-Amerikaner Spencer Hatch schrieb, den Menschen das Wissen liefern, dessen sie bedurften, um ein erfolgreiches Leben an den Orten zu führen, an denen sie lebten.69
66 Vgl. J. C. Notebaart: Tjeritera si Lutju [Die Geschichte von Herrn Lutju]. Amsterdam, Djarkarta: Versluys 1950; Malaria-ha-njia za kupungaza mbu [Malaria und Kontrolle von Mosquitos]. Nairobi: Highway Press 1949; Jallah Fights Malaria. Produced by the National Literacy Campaign. Monrovia: Department of Public Instruction 1954. 67 Vgl. William David Pieris: Wealth from the Coconut. Sydney: Ure Smith in Association with the South Pacific Commission Literature Bureau 1954; Clive Uptton: Kofi the Good Farmer. Publication for the Gold Coast Marketing Board. Accra: The Public Relations Department 1950. 68 Im englischen Original: »The book is the teacher«. Jaime Torres Bodet: The Book Is the Teacher. In: Library Journal 74 (1949), S. 693–694. 69 Vgl. D. Spencer Hatch: UNESCO-Government of Ceylon Fundamental Education Project. A Library System for Rural Areas. Paris 1955 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Sem.4/10), S. 1, wo es heißt: »[...] is bringing to people the knowledge which they have somehow missed, but which they need for a successful life in the place where they are.«
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
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4.2 »[ . . .] making the people book-minded«70 : Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966) Als die achte Generalkonferenz der UNESCO (1954, Montevideo) einem Vorschlag des Generaldirektors zustimmte, in einem neuen, abteilungsübergreifend angelegten Projekt Mitgliedsstaaten bei der Planung und Herstellung von Lesematerialien für kürzlich Alphabetisierte zu unterstützen71 , hatte die Organisation bereits erste Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können: Nicht nur das CREFAL, sondern auch sein arabisches Pendant ASFEC fertigte auf experimenteller Basis Lektürestoffe für Neualphabetisierte an. Ferner hatte die UNESCO Einrichtungen der Grund- und Erwachsenenbildung in der Dritten Welt angeboten, ihnen Spezialisten zur Verfügung zu stellen, welche die Entwicklung neuartiger Lehrmethoden und didaktischer Medien beratend begleiteten: Im Rahmen dieser Unterstützungsleistungen wurde unter anderem die US-amerikanische Schulbuchautorin Ella Griffin auf Wunsch der britischen Kolonialregierung nach Jamaika entsandt, um der dortigen Kommission für soziale Wohlfahrt bei der Konzeption von Lesematerialien zur Seite zu stehen.72 Im ceylonesischen Minneriya gab man für Neuliteraten wöchentlich erscheinende Zeitungen heraus.73 Im benachbarten Indien wurden im Rahmen eines Ausbildungsprojekts für Fundamental Education-Fachkräfte auf experimenteller Basis Lesematerialien erstellt.74 Auf regionalen Konferenzen zu Fragen der Alphabetisierung und Erwachsenenbildung in Asien und Lateinamerika waren Experten eingeladen, die wie der Puerto Ricaner Rodríguez Bou oder die US-Amerikanerin Ann N. Clark ihre Kenntnisse im Verfassen von Lektürestoffen für Neuliteraten weitergaben.75 Ebenso erschienen in den periodischen Publikationen des UNESCO Educational Clearing House Artikel über Methoden des Schreibens und Produzierens von Lesematerialien.76
70 Akthar Husain: Memorandum »Report on Mission to South Asia« vom 20.3.1958 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part II). 71 Vgl. 8 C/Resolutions, Res. IV.1.4.331. 72 Vgl. Roger Marier: L’action sociale a la Jamaïque. L’œuvre de la Jamaica Social Welfare Commission. Paris: UNESCO 1953 (Monographs on Fundamental Education. VII), S. 132. 73 Vgl. Ceylon (Minneriya Project). In: Fundamental and Adult Education VI (1954), H. 1, S. 42. 74 Vgl. John Bowers: The UNESCO Group Training Scheme for Fundamental Education (Mysore). In: Fundamental and Adult Education VII (1954), H. 1, S. 27–31. 75 Vgl. Rodríguez Bou: The Preparation of Reading Materials for Adults. Asian Seminar on Rural Adult Education. Mysore 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/Mysore/13). Vgl. Seminar on the Problem of Illiteracy in the Americas. Review of the Seminar by the UNESCO Official Bulletin and by the UNESCO Courier (extracts). Paris 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/Sem. 49/America/2). 76 Vgl. Ella Griffin: Writing and Illustrating Books to Follow Literacy Campaigns. In: Fundamental and Adult Education V (1953), H. 3, S. 122–127; Donald Burns: The Development of a Production Unit. In: Fundamental and Adult Education VI (1954), H. 1, S. 14–18; Rodríguez Bou/David Cruz López: An Analysis of Publications for Adults: Puerto Rican Expericence. In: Fundamental and Adult Education VI (1954), H. 1, S. 19–21.
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Die Erfahrungen dieser bis dato eher kleinteiligen Einzelaktionen sollten nun in ein größer angelegtes Projekt einfließen, um so das Problem der Lesematerialienproduktion auf systematische und effektive Weise zu behandeln. Die konzentrierte, für einen längeren Zeitraum angesetzte Bearbeitung eines Problemfeldes in einigen ausgewählten Mitgliedsländern entsprach einer Tendenz in der Programmgestaltung der mittlerweile aus den Kinderschuhen entwachsenden UNESCO, die vor allem mit dem Entwurf von Langzeitprojekten, sogenannten major projects, auf eine zunehmende Kritik am fragmentarischen Charakter ihres Programms reagierte und mit der Bündelung von Aktivitäten auf eine größere Nachhaltigkeit setzte.77 Das vor diesem Hintergrund entstehende Reading Material Project – hier als Lesematerialienprojekt ins Deutsche übersetzt – eignet sich daher besonders gut, um parallel zur Analyse der inhaltlichen Ausrichtung des Projekts an diesem auch exemplarisch Prozesse der Programmentstehung, -entwicklung und -umsetzung zu untersuchen, also Arbeitsabläufe und -instrumente der UNESCO als internationaler Organisation in den Blick zu nehmen. Die Anfangsphase: Konzeption und Organisation des Projekts Das von der achten Generalkonferenz gebilligte, noch sehr vage Projekt sah für das kommende Biennium zunächst eine zweigeteilte Orientierungs- und Präzisierungsphase vor: Im Verlauf des Jahres 1955 sollte zum einen die Region festgelegt werden, in der die UNESCO das Projekt implementieren würde; zum anderen war das Sekretariat beauftragt, ein detailliertes Programm zu konzipieren. Im darauf folgenden Jahr sollten einzelne Programmkomponenten in ausgewählten Mitgliedsstaaten getestet werden, sodass der neunten Generalkonferenz ein konkretes, in Teilen erprobtes Konzept vorgestellt werden konnte.78
Während der Generalkonferenz in Montevideo hatten sich vorwiegend Delegierte asiatischer Mitgliedsstaaten an einer Durchführung des Programms in ihren Ländern interessiert gezeigt.79 Neben der Möglichkeit, das Projekt im asiatischen Raum anzusiedeln, wurde innerhalb des UNESCO-Sekretariats auch Afrika als potenzielle Region ins Auge gefasst: Die dort tätigen Literaturbüros böten – so die Argumentation – eine solide Basis, an der die Tätigkeiten der UNESCO anknüpfen könnten.
77 Die ersten drei Langzeitprojekte zur Erweiterung des Grundschulwesens in Lateinamerika, zur wissenschaftlichen Erforschung der Trockenzonen und zur gegenseitigen Anerkennung kultureller Werte in Okzident und Orient wurden während der neunten Generalkonferenz in Neu-Delhi verabschiedet. Das Lesematerialienprojekt war ursprünglich als viertes major project geplant, wurde als solches aber wegen fehlender Ressourcen nicht genehmigt. Vgl. 9 C/Resolutions, Annexes A, Report of the Programme Commission, 2. Review of the Working Party No. 2: Major Projects, S. 107–110. Vgl. ebenso 8 C/Resolutions, Res. IV.3: Future Programmes. 78 Vgl. 8 C/5, §§ 828a–841. 79 Vgl. P. N. Kirpal: Notes Prepared During the 8th General Conference (Montevideo), November 1954 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I).
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Eine Projektrealisierung im afrikanischen Kulturraum hätte allerdings das Einverständnis der Kolonialmächte in Brüssel, London und Paris vorausgesetzt.80 Die Wahl fiel schließlich aus historischen, sprachpolitischen und geographischen Gründen – wie es in der offiziellen Begründung des Generaldirektors Luther Evans (1953–1958) hieß – auf Südostasien, präziser auf Indien, Pakistan, Ceylon (das heutige Sri Lanka) und Burma (das heutige Myanmar).81 Diese jungen, ehemals zum Empire gehörenden Nationen waren dabei, die Dominanz kolonialer Strukturen abzuschwächen, die einheimischen Sprachen zu fördern sowie ihr Bildungswesen auszubauen. Sie boten somit für die UNESCO ein ideales Terrain, um die in zahlreichen UNESCO-Studien propagierte Durchführung von Bildungs- und Alphabetisierungsmaßnahmen in den Muttersprachen durch die Förderung lokal produzierter Lesematerialien zu unterstützen. Interesse und Kooperationsbereitschaft vonseiten der Mitgliedsstaaten waren wesentliche Voraussetzungen, um UNESCO-Projekte überhaupt erfolgreich durchführen zu können: Nicht nur war die Pariser Organisation hinsichtlich der Vermittlung von Kontakten auf Regierungsstellen bzw. die häufig in Bildungs- und Kulturministerien angesiedelten nationalen UNESCO-Kommissionen angewiesen, vor allem aber konnten die aufgrund der Budgetsituation stets begrenzten Programme der UNESCO nur dann eine gewisse Wirksamkeit entfalten, wenn sie durch nationale Bemühungen verstärkt wurden: UNESCO’s real programme is the programme that must be carried out by the Member States; the activities financed by UNESCO’s budget are no more than a basis, a framework, or an instrument for their own activities. It is only when these States accept as their own the framework that is provided by the UNESCO programme, and their own programmes fit smoothly into it, that UNESCO will really be what it should be, namely a system of co-operation between States, not an entity they are prepared to keep alive although it only marginally impinges on their real interests or impinges only in so far as common interests [. . .] are involved.82
Um die Zusammenarbeit mit den zuständigen Regierungsbehörden anzustoßen, wurde der stellvertretende Leiter der Kulturabteilung und einer der Hauptverantwortlichen für das Lesematerialienprojekt, der Inder Prem Kirpal, im Sommer 1955 auf eine einmonatige Reise nach Südostasien geschickt. Explorative Missionen wie diese waren innerhalb der UNESCO eine viel praktizierte Methode, um Projekte vor Ort zu diskutieren, den Kontakt zu Entscheidungs- und Projektträgern aufzubauen und die
80 Vgl. André Lestage: Memorandum vom 27.6.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I); P. N. Kirpal: Memorandum vom 29.6.1955 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 81 Vgl. exemplarisch: Luther Evans an den burmesischen Außenminister am 16.1.1956 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (591)). 82 UNESCO’s Inter-Asian Programme. Commission on the Regional Offices, Centres and Institutes Established or Assisted by UNESCO in Asia. Paris 1965 (UNESCO-Dokument: UNESCO/BMS/1), S. 4.
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spezifischen lokalen Verhältnisse auszuloten. Zurück in Paris konnte Kirpal nicht nur eine Reihe von Kontakten zu Institutionen der Erwachsenenbildung, Universitäten, Ministerien und Verlagen vorweisen, die als mögliche Kooperationspartner infrage kamen; er berichtete zudem von äußerst positiven Resonanzen auf das geplante Vorhaben, das in allen vier Mitgliedsstaaten als sinnvolle Ergänzungsmaßnahme zu den nach der Unabhängigkeit vom britischen Kolonialreich intensivierten, teilweise durch den Colombo-Plan83 unterstützten Maßnahmen zur Überwindung des Analphabetismus und zur Verbesserung der Erwachsenenbildung angesehen wurde.84 Insbesondere im Vielsprachenstaat Indien waren schon in der Kolonialzeit zahlreiche staatlich unterstützte Projekte entstanden, die als Teil von Erwachsenenbildungskampagnen Lesematerialien für Neualphabetisierte produzierten.85 Die Einrichtung kleiner ländlicher Bibliotheken, sogenannter village libraries, in den Gemeinden, in denen Alphabetisierungskurse abgehalten wurden, machte die Produktion von Lesematerialien für Neuliteraten auch für das indische Verlagswesen attraktiv, welches insbesondere auf Hindi, der meistgesprochenen unter den zu diesem Zeitpunkt insgesamt vierzehn offiziell anerkannten Sprachen des Landes, zunehmend vereinfachte Lektürestoffe auf dem Markt brachte. Insgesamt gesehen wurde jedoch in Indien das Gros der Alphabetisierungs- und Lesematerialien von Erwachsenenbildungseinrichtungen wie dem Bombay City Council, der Bengal Mass Education Society, dem Mysore Adult Education Council oder der Universität Jamia Millia Islamia hergestellt. Letztere brachte in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium ab 1950 die Adult Education Series heraus, deren schmale, gerade einmal sechzehn Seiten umfassende Hefte thematisch dem zugeordnet werden können, was in Indien als social education literature bezeichnet wurde. Zahlreiche Erwachsenenbildungsinstitute auf dem indischen Subkontinent experimentierten zudem mit Zeitungen für Neuliteraten.86 Während in Indien die Lesematerialienproduktion vor allem aufgrund der Sprachenvielfalt dezentral erfolgte, sah die Situation in Burma anders aus: Die 1947 gegründete Burma Translation Society war die einzige Institution ihres Landes, die auf kontinuierlicher Basis Lesematerialien für kürzlich Alphabetisierte herstellte. Wie ihr
83 Der Colombo-Plan wurde 1950 auf einer Commonwealth-Konferenz in Colombo im damaligen Ceylon beschlossen. Der Lebensstandard und die Ernährungsbedingungen sollten in den Ländern Südostasiens durch Kapitalhilfe und technische Unterstützung insbesondere aus den USA, aber auch aus Großbritannien, Australien, Japan und Neuseeland angehoben werden. 84 Vgl. Prem Kirpal: Report on My Mission to South Asia vom 22.9.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 85 Vgl. L. R. Sethi: Rural Adult Education in India. Asian Seminar on Rural Adult Education. Mysore 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/Mysore/81). 86 Vgl. Mushtaq Ahmed: Provisions for New Literates in India. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 15–39.
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pathetischer, in aufklärerischer Rhetorik stehender Leitspruch »Light where darkness was« anzeigt, war die Zielsetzung dieser fast vollständig staatlich finanzierten Einrichtung, die Bevölkerung mit Büchern in burmesischer Sprache zu versorgen, um auf diese Weise das kulturelle und intellektuelle Leben der noch jungen Nation zu beleben. Zunächst wurden – daher stammte auch der Name der Einrichtung – vor allem Übersetzungen angefertigt, schon recht bald aber entstanden eigene Reihen wie die Mass Enlightenment Series oder die für Neuliteraten konzipierte People’s Handbook Series. Als größter Schulbuchproduzent des Landes entwickelte sich die 1959 in Sarpay Beikman Institute umbenannte Einrichtung rasch zu einer zentralisierten, parastaatlichen Organisation, die auch als Bildungs- und Kultureinrichtung fungierte und der die größte öffentliche Bücherei des Landes angeschlossen war.87 Im Gegensatz zu Indien und Burma, wo vor allem mithilfe staatlicher Subventionen Infrastrukturen im Entstehen begriffen waren, die sich der Produktion von Lesematerialien für kürzlich Alphabetisierte annahmen, existierten derartige Organisationsstrukturen in den beiden anderen Projektstaaten fast nicht. In Ceylon – das ebenso wie Burma mit gut sechzig Prozent eine für den asiatischen Durchschnitt sehr hohe Alphabetisierungsquote aufwies; in Pakistan und Indien wurde diese auf gut zwanzig Prozent geschätzt88 – waren zwar ebenfalls Erwachsenenbildungskampagnen vom Bildungsministerium initiiert wurden; Mittel, um Lesematerialien für Neualphabetisierte zu produzieren, standen mit wenigen Ausnahmen allerdings nicht zur Verfügung.89 In Pakistan, das sich geographisch und linguistisch in West- und Ostpakistan (das heutige Bangladesch) aufteilte, wurden von den jeweiligen Bildungsministerien einige wenige Lesematerialien auf Urdu und Bengali produziert.90 Während die Durchführung des Projekts in den vier Mitgliedsstaaten vorbereitet wurde, setzte parallel die Arbeit an dessen inhaltlicher Konkretisierung ein. Zu diesem Zweck wurde eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die über die detaillierte Ausgestaltung des Programms entscheiden und die Tätigkeiten der einzelnen Abteilungen, vor allem der Sektoren Bildung und Kultur, aufeinander abstimmen
87 Vgl. The Burma Translation Society. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 175–212. 88 Vgl. World Illiteracy at Mid-Century. A Statistical Study. Paris: UNESCO 1957 (Monographs on Fundamental Education. XI), S. 38 und S. 41. 89 Vgl. Production of Reading Materials in Ceylon. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 62–71; Vgl. A. E. G. Moragoda/Dudley de Silva: Rural Adult Education in Ceylon. Asian Seminar on Rural Adult Education. Mysore 1949 (UNESCODokument: UNESCO/Mysore/51). 90 Vgl. Imdad Husain/Samuel Iftikhar: Problems and Resources in Pakistan. In: The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII), S. 40–61.
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sollte.91 Obgleich das Projekt laut Programm- und Haushaltsplan im Kultursektor angesiedelt und dieser somit offiziell federführend war, hatte die Charakterisierung des Programms als Beitrag zur fundamental education zur Folge, dass der Bildungssektor maßgeblichen Einfluss auf die Projektdefinition beanspruchte. Die Tatsache, dass die im Kultursektor neu geschaffene Stelle eines Programmspezialisten für Lesematerialien über längere Zeit vakant blieb und der Bildungssektor bis dato am meisten Erfahrung mit der Produktion von Lesematerialien vorweisen konnte, ließ letzterem, insbesondere in der Anfangsphase, ein großes Gewicht bei der Programmausgestaltung zukommen: Jim McDougall vom Educational Clearing House übernahm bis Spätsommer 1956 die Gesamtkoordination des Projekts, bis ihn der aus Pakistan stammende Programmreferent Akthar Husain ablöste.92 Von Anfang an stand fest, dass die UNESCO selbst nicht operativ tätig werden würde, um das proklamierte Ziel zu erreichen, die Quantität und Qualität der Lesematerialien in der Region zu steigern: Der Aufbau eines oder mehrerer UNESCOeigener oder UNESCO-finanzierter Verlagshäuser bzw. Literaturproduktionsagenturen – einen Weg, wie ihn die Organisation Amerikanischer Staaten, anfänglich unterstützt durch die UNESCO, mit der Latin American Fundamental Education Press gegangen war – wurde auch aufgrund der dafür benötigten massiven finanziellen Mittel nie erwogen. Stattdessen sollten Institutionen, seien es privatwirtschaftliche Verlage, staatlich geförderte Literaturbüros oder Einrichtungen der Erwachsenenbildung, bei der Konzeption und Produktion von Lesematerialien beraten und finanziell unterstützt werden. Dieser Ansatz zielte darauf, bereits existierende Institutionen zu stärken bzw. solche dort aufzubauen, wo diese bisher nicht vorhanden waren. Dadurch sollte die Produktion von Lesematerialien über das zunächst auf gut zehn Jahre begrenzte Engagement der UNESCO langfristig gewährleistet werden: It is not proposed to solve the problem of reading materials by having the Secretariat become a publisher, author or distributor of books and publications. The aim is rather to help train those who will do so, and to assist in building up permanent agencies which will carry on the task when UNESCO’s participation in the project is completed.93
Zu den Mitteln, die dem UNESCO-Sekretariat zur Verfügung standen, um den Aufbau einer dauerhaften Infrastruktur in der Projektregion voranzutreiben, zählten
91 Vgl. Protokoll der ersten abteilungsübergreifenden Sitzung: First Inter-departmental Meeting »Department of Cultural Activities. Project 4524: Contribution to Fundamental Education. Production of Reading Materials for New Literates« vom 5.5.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 92 Vgl. Jim McDougall an P. N. Kirpal am 13.2.1956 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 93 Draft. Working Paper on UNESCO Action in the Field of Reading Materials for New Literates, o. D. [etwa 1955/1956] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 375 A 310/064 (549) »56«).
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die punktuelle Förderung experimenteller Aktivitäten durch Zuschüsse, die Finanzierung von Recherche- und Forschungsarbeiten sowie die Ermöglichung des Erfahrungsaustausches und Wissenstransfers durch die Vergabe von Stipendien, den Einsatz von Experten, die Bereitstellung von Informationen sowie die Veranstaltung von Seminaren und Fortbildungskursen.94 Um diese Maßnahmen in Übereinstimmung mit den spezifischen Bedürfnissen der vier Projektländer zu gestalten, war die Einbindung lokaler Experten für die von Paris aus agierende Organisation unabdingbar. Die von der UNESCO Ende 1955 in Auftrag gegebenen nationalen Studien, welche die Situation der Lesematerialienproduktion in der Projektregion analysieren und spezifische Probleme benennen sollten, zielten ebenso wie die Erstellung von Bibliographien der bereits vorliegenden Lektürestoffen für Neuliteraten darauf, eine präzisere Vorstellung über die tatsächliche Lage vor Ort und schon existierende Projekte zu gewinnen.95 Zudem war vorgesehen, die Analysen als Arbeits- und Diskussionsgrundlage auf einer Regionaltagung zu verwenden, auf der man als offizieller Abschluss der fast zweijährigen Phase der Programmdefinition das UNESCO-Projekt mit Spezialisten aus der Region diskutieren wollte und von der man sich weitere Vorschläge erhoffte, wie die UNESCO in Zusammenarbeit mit den nationalen Regierungen zukünftig dazu beitragen könnte, die Produktion von Lesematerialien in der Region zu steigern. In der Phase der Programmdefinition suchte die UNESCO neben dem Kontakt zu lokalen Experten auch verstärkt den Austausch mit Spezialisten, die außerhalb der Projektregion tätig waren: Um Erfahrungen über organisatorische und technische Aspekte der Produktion von Lektürestoffen für Neualphabetisierte zusammenzutragen und auf Grundlage dieser Informationen eine umfassende Studie zu erstellen, entwickelte das Educational Clearing House einen Fragebogen, in dem um Auskunft zum Produktionsprozess, der verwendeten Sprache, des Sprachniveaus, der Vertriebswege sowie über Inhalte und Auflage der hergestellten Bücher gebeten wurde.96 Zwar verschickte die UNESCO diese Umfrage weltweit an alle öffentlichen und privaten Einrichtungen, die Lesematerialien für Neuliteraten produzierten; die geringe Rücklaufquote führte allerdings dazu, dass das ursprüngliche Vorhaben einer umfassenden, weltumspannenden Studie zur Situation der Lesematerialienproduktion aufgegeben werden musste. Stattdessen verlegte sich das UNESCO-Sekretariat nun darauf, Spezialisten durch Honorarverträge zu gewinnen: Versierte Praktiker wie der
94 Vgl. Working Paper on UNESCO Action in the Field of Reading Material for New Literates. Regional Meeting of Experts on Production of Reading Material for New Literates, Murree, Pakistan, June 1956. Paris 1956 (UNESCO-Dokument: UNESCO/Reg. M.E./RMNL/56/15), S. 2–3. 95 Vgl. P. N. Kirpal an Secretary, National Commission for UNESCO, Ministry of Education, Government of Pakistan am 24.7.1956 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (549) 01, Part I). 96 Vgl. beispielhaft: L. R. Ferning an Mr. Whittaker am 5.12.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I).
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Leiter des East African Literature Bureau, Charles Richards Granton, seine Kollegen aus Nigeria und der Südpazifik, Rupert East und Robert Bruce, und auch Guillermo Nannetti und Seth Spaulding verfassten im Auftrag der UNESCO Artikel, die etwa Organisation und Verwaltung eines Literaturbüros vorstellten oder die Redaktion von Lesematerialien und den Gebrauch von Abbildungen erläuterten. Diese Erfahrungsberichte sollten nicht nur für die UNESCO-eigene Programmkonzeption fruchtbar gemacht, sondern ebenso als Arbeitspapiere während der Tagung eingesetzt werden, welche die UNESCO zum Abschluss der Definitions- und Präzisierungsphase gemeinsam mit der Regierung Pakistans organisierte: Zwanzig Experten aus der Projektregion kamen im Sommer 1956 im nordpakistanischen Murree zusammen, um das von der UNESCO erarbeitete Vorhaben zu diskutieren. Das Tagungsprogramm war innerhalb des UNESCO-Sekretariats mit Unterstützung des externen Beraters Rupert East vorbereitet worden. Vor Ort übernahmen Seth Spaulding, der Elementarbildungsexperte Donald Burns sowie der Produktionsspezialist Peter Neumann die Leitung von Arbeitsgruppen, in denen auf Grundlage der nationalen Reporte und technischen Studien Herausforderungen bei der Redaktion, Produktion und Distribution von Lesematerialien erörtert und noch ausstehende Forschungsund Recherchearbeiten spezifiziert wurden. Die Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen wurden im Abschlussbericht festgehalten: Die Teilnehmer empfahlen der UNESCO, insbesondere im Bereich Aus- und Weiterbildung, der Forschung sowie bei der Organisation nationaler Buchzentren aktiv zu werden.97 Die Organisation von Konferenzen wie derjenigen in Murree, die den Auftakt zu insgesamt fünf im Rahmen des Lesematerialienprojekts stattfindenden regionalen Tagungen bildete, gehörte zu den gebräuchlichsten Verfahren, die die UNESCO anwandte, um Themen zu diskutieren, Projekte vorzustellen und Fachkenntnisse zu vermitteln. Neben der Konzeption der Veranstaltungen machte vor allem deren technische Organisation einen nicht unerheblichen Teil der tagtäglichen Arbeit der Pariser Organisation aus: Mitgliedsstaaten mussten als Kooperationspartner gewonnen werden98 ; Regierungen wurden eingeladen, Teilnehmer für die Veranstaltung zu benennen; die Suche nach Experten, die die Leitung der Veranstaltung übernahmen, gestaltete sich als äußerst zeitaufwendig; Arbeitspapiere wurden extern in Auftrag gegeben und trotz mehrfacher Ermahnungen häufig nicht rechtzeitig fertiggestellt, um vor der Tagung an die Teilnehmer versandt zu werden. Der bürokratische Aufwand, der in der Vorbereitung solcher Veranstaltungen anfiel und der in den entsprechenden Archivunterlagen deutlich zu spüren ist, war immens und führte nicht selten dazu, dass die konzeptionelle Vorbereitung vernachlässigt wurde.
97 Vgl. Final Report. Regional Meeting of Experts on the Production of Reading Materials for New Literates. Paris 1956 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/146). 98 Die Mitgliedsstaaten waren in der Regel für die Bereitstellung der Tagungsräume und die Logistik vor Ort zuständig, während die UNESCO Reise- und Übernachtungskosten aller Teilnehmer trug.
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Innerhalb der UNESCO wurden die im Rahmen des Lesematerialienprojekts herzustellenden Lektürestoffe zunächst als Verbindungsglieder zwischen Lese- und Schreibfähigkeit (literacy) sowie Literatur (literature) konzipiert; sie sollten – wie in zahlreichen Arbeitsdokumenten und Veröffentlichungen immer wieder betont wurde – dazu dienen, Neualphabetisierte zu regelmäßigen Lesern zu formen.99 Aus diesem Bestreben heraus ergaben sich zwei zentrale, miteinander verwobene Problemstellungen: die exakte Definition der Zielgruppe bzw. Zielgruppen sowie Fragen nach Typus und Schwierigkeitsgrad der zu produzierenden Lesestoffe. Verstand man wie die UNESCO die Entfaltung der Lesefertigkeiten als einen kontinuierlichen Prozess, der vom Besitz elementarer Lesefähigkeiten zum alltäglichen, mühelosen Lesen führen sollte, stellte sich zwangsläufig die Frage, wie Anfangs- und Endpunkt dieses Prozesses zu definieren seien, mithin was unter einem Neualphabetisierten und einem geschulten Leser zu verstehen ist und wie die Lektürestoffe im Hinblick auf Themen und sprachliche Komplexität gestaltet sein müssen, um die Ausbildung der Lesefähigkeit effektiv zu unterstützen. Der Ansatz, der innerhalb der UNESCO entwickelt wurde, war eher an den internen Organisationsstrukturen orientiert, als dass er dem komplexen Problem an sich gerecht wurde: Mit den Neuliteraten (new literates) und dem neuen Lesepublikum (new reading public) wurden zwei voneinander vermeintlich klar abgrenzbare Zielgruppen geschaffen, die von jeweils einen der beiden am Lesematerialprojekt maßgeblich beteiligten Sektoren Bildung und Kultur betreut wurden: Während der Bildungssektor für die Neuliteraten zuständig war, also für diejenigen, die nach Abschluss eines Alphabetisierungskurses elementare Lesefähigkeiten besaßen, oblag es der Kulturabteilung, die Bedürfnisse des neuen Lesepublikums zu befriedigen, also jener Leser, die des Lesens mächtig waren, denen zur Ausübung der erlernten Kulturtechnik aber interessante Lektürestoffe fehlten: Although it had been considered necessary to maintain this interdepartmental project as a coherent whole [. . .], it had been felt that the project should consist of two parts, in order that the needs of two classes of readers at different levels might be met. The first part of the project catered for the needs of those in process of learning how to read; as the problems involved were mainly educational ones, it would primarily concern the Department of Education. The second part of the project was designed for those who could already read, but were short of reading materials; responsibility for the solution of that problem devolved mainly upon the Department of Cultural Activities.100
Wurde – wie hier vom Leiter des Kultursektors Jean Thomas gegenüber der 47. Sitzung des Exekutivrates (1957, Paris) vertreten – die Aufteilung des Programms in zwei Hälften als eine sich aus der Logik des interdisziplinären Projekts heraus ergebene
99 Vgl. Projektentwurf: Major Project »Production of Reading Material« vom 25.7.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 100 47 EX/SR.1–17, SR.9, S. 83.
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Konsequenz dargestellt, bedeutete das Schaffen von zwei getrennten Zuständigkeitsbereichen de facto eine Auflösung der zunehmenden Konkurrenz, die sich zwischen den Sektoren Bildung und Kultur um Deutungshoheit und budgetäre Ressourcen entwickelt hatte.101 Die Konzeption des Projekts war somit zumindest in Teilen durch die Organisationsstruktur der UNESCO bestimmt. Während unumstritten schien, dass die UNESCO eine preisgünstige Produktion von Lesematerialien in lokalen bzw. regionalen Sprachen anstreben sollte, gingen die Meinungen der Delegierten der Generalkonferenz sowie der von der UNESCO konsultierten Experten darüber weit auseinander, welche Themen und Inhalte ›neue Leser‹ zur Anwendung ihrer kürzlich erworbenen Lesefähigkeiten in besonderer Weise animierten: Waren es fiktive Stoffe, die vorwiegend der Entspannung und Unterhaltung dienten, die die Ausbildung eines dauerhaften Lesehabitus am besten unterstützten? Diese Auffassung vertrat beispielsweise der britische Delegierte Ward, der zu diesem Zweck die Lektüre Platons (!) empfahl.102 Der schwedische UNESCO-Experte Jan Thomaeus sah hingegen vor allem in Comics attraktive, zum Lesen verführende Lektürestoffe.103 Oder waren es vielmehr religiöse Traktate, die zum Lesen animieren, wie die Erfahrungen von Srinivasa Rao in Südindien und Ceylon zu zeigen schienen?104 Oder konnten neue Leser nicht gerade durch Bücher und Broschüren, die Probleme ihres Alltagslebens ansprachen und Lösungsansätze aufzeigten, vom Mehrwert und Nutzen des Lesens überzeugt werden? Dieser funktionale, auf die Vermittlung sozialrelevanter Inhalte und praktischer Kenntnisse zielende Ansatz lag den Projekten der UNESCO bis dato zugrunde. Den Nutzen derartiger Lektürestoffe für die Ausbildung eines Lesehabitus zog jedoch insbesondere Rupert East, der langjährige Leiter des nigerianischen Literaturbüros, in Zweifel. In einem internen Bericht beurteilte der für die Pariser Organisation beratend tätige East die von externen Instanzen wie der UNESCO festgelegten, als sozialrelevant deklarierten Inhalte von Lesemateria-
101 Für die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Sektoren Bildung und Kultur vgl.: Jean Guiton: Memorandum »Comments on Dr. Rupert East’s Report on Reading Material for New Literates« vom 13.6.1956 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I); P. N. Kirpal: Memorandum: »Dr. Rupert East’s Report on Reading Material for New Literates« vom 15.6.1956 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). Die organisatorische und budgetäre Zweiteilung des Projekts wird insbesondere deutlich in: Modification of the Work Plan for the Project: Production of Reading Materials for New Literates. Paris 1957 (UNESCODokument: 47 EX/10). 102 Vgl. 8 C/Proceedings, IV–25, 15, S. 440. 103 Vgl. Jan Thomaeus: Training Book Illustrators in South Asia. In: Fundamental and Adult Education X (1958), H. 4, S. 163–166, hier S. 164. 104 Vgl. S. V. Srinivasa Rao: Reading Materials for Just Literates and the Neo-Literate. Undatierter Bericht [etwa 1955] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I).
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lien als Akt nicht tolerierbarer Überheblichkeit, der »institutionalisierte[n] Besserwisserei«105 : So it may be that when we try to educate and form the reading habit at the same time we are expecting too much. Quite a lot of the matter we put out is of this nature. We may sugar the educational pill by presenting it in conversational style, in the form of moral stories, or with attractive illustrations, but it is difficult to disguise the fact that when we write pamphlets telling the people to boil their water, save their money, refrain from cutting down their trees for firewood, send their wives to pre-natal clinic, keep their pigs out of the living room, and so forth, we are really saying what we ourselves believe is good for them. And this is doubtless so. But all this advice involves a change in ideas and in the accustomed way of life, and is therefore a priori distasteful.106
East empfahl der UNESCO, verstärkt die Produktion von Zeitungen für Neuliteraten zu fördern, welche seiner Ansicht nach besonders geeignet waren, potenzielle Leser anzusprechen, in die Gestaltung einzubinden und sie mit lokalen Ereignissen und politischen Begebenheiten vertraut zu machen, und damit langfristig – und auch bei East wird eine instrumentelle Komponente deutlich – zur Entwicklung »ganzer Bürger«107 beitragen könnten. Subventionen und Weiterbildung: Strategien zur Ausweitung der Buchproduktion Die UNESCO entschied, im Rahmen ihres Reading Material-Projekts vorwiegend die Produktion solcher Lektürestoffe zu fördern, die den zentralen Prinzipien und Zielsetzungen der Organisation verpflichtet waren. Zu diesem Zweck wurde Literaturproduktionszentren, Erwachsenenbildungsprojekten und Verlagen eine Zusammenarbeit bei der Veröffentlichung sogenannter Modell- oder Pilotpublikationen angeboten: Akzeptierte eine Institution den Vorschlag, eines oder mehrere Bücher für die Zielgruppe der Neuliteraten oder des neuen Lesepublikums zu einem von der UNESCO bestimmten Thema zu publizieren, so bezuschusste man von Paris aus deren Herstellung, indem man die Zahlung der Autorenhonorare übernahm und darüber hinaus fünfhundert Exemplare zum Herstellungspreis abkaufte, welche durch den lokalen Partner an örtliche Bibliotheken und Leseräume verteilt wurden.108 Die Strategie der UNESCO 105 Philipp H. Lepenies: Lernen vom Besserwisser: Wissenstransfer in der »Entwicklungshilfe« aus historischer Perspektive. In: Entwicklungswelten. Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit. Hrsg. von Hubertus Büschel und Daniel Speich. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2009 (Reihe Globalgeschichte. 6), S. 33–59, hier S. 33. 106 Rupert East: Reading Material for New Literates. Internal Report, o. D. [etwa Mai/Juni 1956] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I), S. 16. 107 Im englischen Original: »complete citizens«. Ebd., S. 18. 108 Die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen der UNESCO und ihren südostasiatischen Partnern wurden vertraglich fixiert. Vgl. als Beispiel eines derartigen Publikationsvertrages: Contract for Written and Visual Material, Research, Editing. Between the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Paris, and Jamia Tallim-i-Milli, Karatschi, 31.12.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (549) 01 JTM).
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Lektürestoffe für neue Leserschichten
setzte auf Nachahmung: Sie hoffte, durch die Förderung ›guter‹ Lesematerialien die Veröffentlichung von Lektürestoffen ähnlicher oder sogar höherer Qualität anzuregen: »[B]y producing (indirectly) good reading materials, we stimulate and encourage similar, or even better publications.«109 Die Subventionierung zielte somit nicht nur darauf, den ›neuen Lesern‹ preisgünstige Lektürestoffe zur Perfektionierung ihrer Lesefertigkeiten anzubieten und Literaturbüros und Verlage finanziell zu unterstützen, sondern diente gleichzeitig auch dazu, von der Organisation als nützlich oder wertvoll erachtetes Wissen und von ihr repräsentierte Werte zu verbreiten. Wie schon bei der Analyse der Publikationen des CREFAL und der Latin American Fundamental Education Press deutlich geworden ist, vertrat die UNESCO damit einen Ansatz, der die Ausformung eines Lesehabitus anhand ›guter‹, im Sinne von als sozial relevant bzw. wünschenswert empfundener Inhalte proklamierte. Auf diese Weise legitimierte die Organisation ihr Projekt – auch gegenüber einer der Hauptfinanzierungsquellen, dem Expanded Programme of Technical Assistance – gleichsam auf doppelte Weise: Nicht nur war die Bereitstellung von Lesematerialien ein Mittel, um die für die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft als notwendig erachtete Überwindung des Analphabetismus zu unterstützen; zusätzlich wurden Wissen und Kenntnisse vermittelt, die dem wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung in den Entwicklungsländern dienen sollten. Die etwa dreihundert Publikationen, die die UNESCO bis zum Projektende in den lokalen Sprachen Südostasiens wie Bengali, Burmesisch, Singhalesisch oder Hindi subventionierte, können zwei Kategorien zugeordnet werden: Für die Neualphabetisierten wurden vereinfachte, also sprachlich wenig komplexe und auch wenig umfangreiche Lesematerialien (simplified reading materials) zu Themen wie Hauswirtschaft, Gesundheit und Ernährung herausgegeben; für das neue Lesepublikum regte die UNESCO die Publikation populärer Lektürestoffe (popular reading materials) über fremde Länder und Kulturen, Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, den Gebrauch von Wissenschaft im Alltagsleben sowie Übersetzungen von Klassikern der Weltliteratur und Science-Fiction-Literatur an. Zu den von der UNESCO kofinanzierten Publikationen zählten beispielsweise ein auf Bengali erschienenes, vom ostpakistanischen Verlag Book Promotion herausgegebenes, etwa einhundertseitiges Buch, dessen Titel ins Englische mit Health is Wealth übersetzt wurde; ein sechzehnseitiges, auf Hindi von der Jamia Millia Islamia publiziertes Heft zum Thema Familienplanung; und die burmesische Übersetzung von Jules Vernes Klassiker Von der Erde zum Mond.110
109 S. Asabuki: Memorandum »Report on My Mission to South Asia«, Dezember 1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part II). 110 Vgl. die Übersicht der im Rahmen des Lesematerialienprojekts subventionierten Publikationen in der Dokumentation C.
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Die Initiative zur Zusammenarbeit mit den Literaturproduktionszentren und Verlagen ging in der Regel von der UNESCO aus: Die im Bildungs- und Kultursektor verantwortlichen Mitarbeiter kontaktierten die zumeist von den nationalen UNESCOKommissionen empfohlenen Institutionen und unterbreiteten diesen ein Kooperationsangebot, welches neben konkreten Themenvorschlägen auch Bestimmungen über Umfang, Papierqualität und Typographie enthalten konnte. Die vom UNESCOSekretariat vorgeschlagenen Titel waren dabei als richtungsweisend, nicht aber als bindend anzusehen und konnten durch den Partner modifiziert werden, solange sich die Alternativvorschläge den übergreifenden Themen zuordnen ließen, die gemäß Programm- und Haushaltsplan gefördert wurden: Während im Biennium 1957/1958 vor allem Publikationen zu wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung subventioniert wurden, waren im darauf folgenden Zweijahresplan internationale Verständigung und Naturwissenschaft als zu fördernde Themen angesetzt.111 Neben den Publikationszuschüssen stellte die UNESCO ihren lokalen Partnern auf Wunsch auch Referenzwerke zur Verfügung, die als Anhaltspunkte beim Verfassen der Manuskripte dienen sollten. Ebenso half sie in einigen Fällen bei der Beschaffung adäquater Illustrationen.112 Die Vergabe von Preisen wurde von der UNESCO als weiteres Mittel eingesetzt, um die Veröffentlichung ›guter‹ Lesematerialien zu stimulieren. Ebenso wie die Kofinanzierung der Modellpublikationen stellten Preise (ökonomische) Anreize dar, welche das Interesse kommerzieller Verleger an Inhalten und Themen hervorrufen sollten, die – nach Ansicht der UNESCO – von diesen vernachlässigt wurden. Nationale Komitees, die von den Regierungen Burmas, Ceylons, Indiens und Pakistans eingesetzt wurden, zeichneten im Auftrag der UNESCO jährlich gut zwei Dutzend Bücher mit einem Preisgeld von umgerechnet etwa fünfhundert US-Dollar aus. Thematisch waren die Preise auf solche Bücher beschränkt, die UNESCO-typische Themenfelder wie internationale Verständigung, kulturelles Erbe oder Aspekte des community development abdeckten.113 Im Gegensatz zur Subventionierung von Modellpublikationen, welche aufgrund der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in ihrem Umfang begrenzt blieb und letztlich mehr auf eine inhaltliche Lenkung der zu produzierenden Lesematerialien zielte, schien die Vermittlung von Fachkenntnissen ein adäquateres Mittel zu sein,
111 Vgl. 10 C/5, Project 4733. 112 Vgl. zu diesen Serviceleistungen der UNESCO exemplarisch: Akthar Husain: Memorandum »Hulton Pictures for Reproduction«, o. D. (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (591) 01); Htin Gyi an Syed Mahmud Shah am 4.8.1958 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (549) 01 WPPC). 113 Vgl. The UNESCO Reading Materials Project in Asia. Meeting of Experts on Book Production and Distribution in Asia, Tokyo 1966. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: BOOKDEV/18; CS/0366/MC/50.17), S. 30.
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Lektürestoffe für neue Leserschichten
um einen effektiven Beitrag zur Steigerung der Produktion von Lektürestoffen in Südostasien zu leisten. Bereits die Teilnehmer der Murree-Tagung hatten auf den enormen Professionalisierungs- und Weiterbildungsbedarf hingewiesen, der in Südostasien bei Autoren, Buchillustratoren, Verlegern und Druckern bestand, und der UNESCO ein Engagement in diesem Bereich ausdrücklich empfohlen.114 Das Bemühen der UNESCO, in der Projektregion Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen, setzte Ende 1957 mit der Durchführung des zweiten regionalen Seminars ein, das die Pariser Organisation in Zusammenarbeit mit der burmesischen Regierung in den Räumen der Burma Translation Society abhielt. Die offizielle Bezeichnung als Seminar täuscht darüber hinweg, dass die mehr als zwanzig Teilnehmer, unter ihnen Autoren, Illustratoren und Verleger, einen Großteil des vierwöchigen Kurses darauf verwendeten, Lesematerialien für ›neue Leser‹ zu konzipieren, zu redigieren und zu illustrieren: In diesem Prozess des handelnden Lernens wurden die Kursteilnehmer durch acht externe Berater unterstützt, zu denen der an der Burma Translation Society als UNESCO-Printexperte beschäftigte Peter Neumann, Seth Spaulding, der im Auftrag der Ford Foundation ebenfalls beratend in Burma tätig war, und Jan Thomaeus, ein von der UNESCO engagierter Buchillustrator, zählten; die Leitung des Seminars oblag dem Briten Jack Morpurgo.115 Der Einsatz externer Spezialisten war nicht nur innerhalb von Seminaren eine von der UNESCO beständig angewandte Praxis, um den Transfer von Wissen und technischen Fertigkeiten zu ermöglichen: So war beispielsweise der US-Amerikaner Peter Neumann im Rahmen des Reading Materials-Projekts fast drei Jahren als von der UNESCO bezahlter Experte an der Burma Translation Society tätig, um dort den Aufbau der Druckerei zu betreuen; sein Landsmann Arpad Bogsch unterstützte Regierungen bei der Neufassung des Urheberrechts; und R. O. Hodgell, ebenfalls USAmerikaner, beriet das Publikationsbüro des westpakistanischen Bildungsministeriums sowie das staatliche Kunstinstitut im ostpakistanischen Dhaka in Fragen der Buchillustration116 ; bereits zuvor hatte sein schwedischer Kollege Jan Thomaeus in Indien und Pakistan praktische Kurse zur Buchgestaltung abgehalten.117 Insgesamt waren bis 1966 knapp zwanzig Spezialisten, hauptsächlich aus Großbritannien und
114 Vgl. Final Report. Regional Meeting of Experts on the Production of Reading Materials for New Literates, hier insbesondere Abschnitt 26. 115 Vgl. Final Report. Regional Seminar on the Production of Reading Materials. Rangoon, October/November 1957. Paris 1958 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/88); Publishing for the New Reading Audience. A Report of the Burma Committee of the UNESCO Regional Seminar on the Production of Reading Material for New Literates. Rangoon, Burma, October 28–November 30, 1957. Rangun: Burma Translation Society 1958. 116 Vgl. Arpad Bogsch: Copyright Situation in South Asia. In: Information Bulletin on Reading Materials IV (1962), H. 1, S. 4–5; R. O. Hodgell: Final Report. Book Illustration: Pakistan (mission), 1 January 1961–31 May 1961. Paris 1961 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69 fr 0800). 117 Vgl. Thomaeus: Training Book Illustrators.
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
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den USA, aber auch aus Schweden und den Niederlanden, im Auftrag der UNESCO als Seminarleiter und/oder Berater im Projektgebiet im Einsatz. Diese im UNESCO-Sprachgebrauch als missions bezeichnete Entsendung externer, in diesem Fall ausschließlich westlicher Spezialisten wurde nicht nur positiv beurteilt, schließlich implizierte sie die Überlegenheit westlicher Expertise, deren Vermittlung nicht nur als Hilfestellung und Unterstützung wahrgenommen, sondern unterschwellig auch als Form der Oktroyierung oder der Kolonialisierung empfunden wurde – wie die emphatische Devise »We can make it without Westerners« zeigt, mit der die Teilnehmer eines 1961 in Ceylon veranstalteten, regionalen Seminars laut Beschreibung der UNESCO-Programmreferentin Sibunruang auf die kurzfristige Absage der westlichen Experten reagierten.118 Als Gegenstück zur Entsendung von Experten in die Projektregion ist die Vergabe von Stipendien an südostasiatische Fach- und Führungskräfte zu sehen, die zu Schulungsmaßnahmen ins Ausland geschickt wurden, um dort Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen des Buchhandels bzw. von Literaturproduktionszentren kennenzulernen: Im Rahmen des seit 1947 existierenden Stipendiatenprogramms der UNESCO hielt sich beispielsweise Kul Bhusan, Referent im indischen Bildungsministerium, 1957 für einen Monat in Moskau auf, wo er einen Einblick in das sowjetische Staatsverlagswesen gewinnen konnte.119 Die Wahl des sozialistischen Buchhandels als Studienobjekt für UNESCO-Stipendiaten war indes eher die Ausnahme, in der Regel reisten die Stipendiaten ins westliche Ausland, wie beispielsweise U Tin Myint vom Sarpay Beikman Institute, der 1962 eine viermonatige Studienreise nach Europa antrat, um die Arbeitsweisen der internationalen Buchhändler- und Verlegerverbände ICBA und IVU, des Börsenvereins des deutschen Buchhandels sowie des British Council zu studieren.120 Zusätzlich zu den teuren Aufenthalten in Übersee – bis 1968 finanzierte die UNESCO mehr als dreißig solcher Schulungsmaßnahmen121 – wurden ab 1959 auch sogenannte regionale Kurzzeitstipendien vergeben, die den meist von den nationalen UNESCO-Kommissionen oder der Regierung vorgeschlagenen Stipendiaten erlaubten, Projekte in Südostasien kennenzulernen: So nahm der Leiter der Abteilung für Erwachsenenbildung und Alphabetisierung im iranischen Erziehungsministerium – Iran wurde 1959 in die Projektregion aufgenommen – Institutionen in Pakistan,
118 Vgl. J. K. Sibunruang: Memorandum vom 30.3.1962 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 06 (548.7) »61« TA). 119 Vgl. Kul Bhusan: Foreign Literature Publishing House of U.S.S.R. In: Information Bulletin on Reading Materials V (1963), H. 3, S. 34–36. Vgl. allgemein zum Stipendienprogramm der UNESCO: Training Abroad. A Study of UNESCO. Fellowships and Travel Grants 1948–1968. Paris 1971 (UNESCODokument: ED/MD/8). 120 Vgl. J. K. Sibunruang: Memorandum vom 5.3.1962 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (591)). 121 Vgl. The UNESCO Reading Materials Project in Asia, S. 2. Vgl. ebenso die Übersicht in der Dokumentation D.
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Lektürestoffe für neue Leserschichten
Burma und Indien in Augenschein.122 Ibne Insha und Sardar Jainuddin, in Führungsposition am National Book Centre of Pakistan tätig, besuchten mit UNESCO-Stipendien 1963 und 1964 Iran und Ceylon, um den dortigen Buchmarkt kennenzulernen.123 Die vermehrte Vergabe interregionaler Stipendien – bis 1966 wurden 24 dieser Art vergeben – war dabei nicht nur dem budgetären Räsonnement geschuldet, sondern zielte auch auf eine Verstärkung der regionalen Vernetzung und des innerasiatischen Wissens- und Erfahrungstransfers zwischen Ländern, in denen die Bedingungen und Voraussetzungen für die Produktion von Lesematerialien homogener waren als zwischen der Projektregion und der westlichen Welt. Neben der Organisation von Seminaren und Trainingskursen, der Entsendung von Experten und der Vergabe von Stipendien kann die Veröffentlichung von Expertise als vierte von der UNESCO angewandte Strategie verstanden werden, um die Dissemination von Fachkenntnissen zu ermöglichen und somit dem Bedarf an Ausund Weiterbildung in der Projektregion nachzukommen.124 Im Auftrag der UNESCO wurden in jedem Projektland in den jeweiligen Hauptlandessprachen Handbücher für Autoren, Verleger und Buchhändler publiziert, in Indien erschien zudem ein Kompendium zur Buchillustration, in Pakistan eine Anleitung zum Schreiben für die Zielgruppe der Neualphabetisierten.125 Ebenso wie diese Handbücher auf nationaler Ebene Informationen über den Schreib-, Redaktions-, Herstellungs- und Distributionsprozess von Lektürestoffen öffentlich zugänglich und somit konsultierbar machten, dienten analog die von der UNESCO selbst herausgegebenen Publikationen wie der Sammelband The Provision of Popular Reading Materials126 und die auf eine Tagung in Afrika zurückgehende praktische Anleitung zum Schreiben, Illustrieren und Publizieren von Lesematerialien für alphabetisierte Erwachsene127 dazu, Erfahrungen und Kenntnisse über die Produktion von Lesematerialien auf internationaler Ebene zu verbreiten. 122 Vgl. Akbar Shakerin: Tour Report on the Regional Study Tour on Production of Reading Materials Awarded by UNESCO. Teheran 1962 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 113). 123 Vgl. Ibne Insha: [Undatierter Bericht] [etwa 1963] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 113); Sardar Jainuddin: Report on UNESCO Intra Regional Study Grant Tour. Dacca 1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 113). 124 Vgl. Akthar Husain an Mr. Attygalle am 7.3.1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part I). 125 Es sind keine Belegexemplare dieser Handbücher im UNESCO-Archiv erhalten geblieben. Die Zusammenstellung der von der UNESCO finanzierten buchhändlerischen Fachinformationen und in Auftrag gegebenen Buchmarkt- und Leserstudien in der Dokumentation E erfolgte somit nicht durch Autopsie, sondern auf Basis der in den Archivmaterialien gefundenen Nachweise. 126 Vgl. The Provision of Popular Reading Materials. A Collection of Studies and Technical Papers. Hrsg. von Charles Granston Richards. Paris: UNESCO 1959 (Monographs on Fundamental Education. XII). 127 Vgl. Simple Reading Material for Adults. Its Preparation and Use. Paris: UNESCO 1963 (Manuals on Adult and Youth Education. 3).
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
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Die Implementierung des Programms von Paris aus gestaltete sich als schwierig: Obgleich man bemüht war, die neu geschaffenen Projektstellen mit Mitarbeitern zu besetzen, die aus der Region selbst stammten, wie beispielsweise dem Burmesen U Htin Gyi oder den Pakistani Akthar Husain, blieb das Gefühl, Südostasien nicht nur in geographischer Hinsicht zu fern zu sein, um das Programm effizient voranzutreiben. Die langen und teils umständlichen Verfahrenswege, die dadurch bedingt waren, dass die Pariser Organisation auf die Empfehlungen der nationalen UNESCO-Kommissionen bzw. der Regierungen der Projektregion angewiesen war, um geeignete Teilnehmer zu Seminaren einzuladen bzw. Partner für die Modellpublikationen zu gewinnen, führten zu erheblichen Verzögerungen in der Projektausführung. Schon früh setzten daher Überlegungen ein, eine Außenstelle in Südostasien zu gründen, eine Idee, die von den Teilnehmern der Murree-Tagung und auch vom UNESCO-Experten Peter Neumann emphatisch unterstützt wurde. Während diese allerdings für den Aufbau eines regionalen Forschungs- und Fortbildungszentrums plädierten, bestand das Interesse der UNESCO vor allem darin, eine Dependance als »Vorposten«128 für die Implementierung des Programms aufzubauen. Diese sollte die Programmverantwortung von Paris nach und nach übertragen bekommen und gleichzeitig als Informations- und Beratungszentrum für Südostasien fungieren. Nach Zustimmung durch den Exekutivrat129 wurde die mehrheitlich durch das Expanded Programme of Technical Assistance finanzierte Niederlassung im August 1958 im westpakistanischen Karatschi eröffnet: Pakistan hatte als einziges der vier Projektländer Interesse bekundet, das regionale UNESCO-Büro zu beherbergen und – wie es in der Zusammenarbeit zwischen UNESCO und ihren Mitgliedsstaaten beim Aufbau derartiger regionaler Zentren üblich war – den Beitrag des Gastlandes, also die mietfreie Bereitstellung von Räumlichkeiten sowie die Bezahlung der Ortskräfte, zu übernehmen.130 Der Pariser Programmreferent des Lesematerialienprojekts, Akthar Husain, wurde als Direktor nach Karatschi entsandt. Neben zwei pakistanischen Ortskräften, die vor allem Botengänge und einfache Sekretariatsarbeiten zuständig waren, stand ihm zunächst lediglich ein Dokumentationsspezialist zur Seite, der sich hauptsächlich für den Information Bulletin for Reading Materials, die vierteljährliche Publikation des Karatschi-Büros, verantwortlich zeigte. Erst 1961 wurde eine zusätzliche Assistenz eingestellt.
128 Im englischen Original: »advance post«. Draft Proposals for Establishment in 1958 under TA Allocations of a Regional Office. Paris [1957] (UNESCO-Dokument: WS/067.99/Annex I–II). 129 Vgl. 48 EX/Decisions, Decision 7.1. 130 Die Vereinbarungen zwischen der pakistanischen Regierung und der UNESCO wurden zunächst per Korrespondenz getroffen, erst 1965 wurde ein offizieller Vertrag geschlossen. Vgl. Luther Evans an den pakistanischen Bildungsminister am 24.12.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part I).
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Lektürestoffe für neue Leserschichten
Tabelle 3: Etat des Lesematerialienprojekts in US-Dollar zwischen 1955/1956 und 1967/1968. Reguläres Budget 1955–1956
126.423
1957–1958
100.630
Technical Assistance
Gesamtbudget
90.040
190.670
126.423
1959–1960
117.800
97.800
215.600
1961–1962
132.300
160.148
292.448
1963–1964
167.780
153.500
321.280
1965–1966
190.100
188.800
378.900
1967–1968
180.000
85.640
265.640
Quelle: Examen de l’état d’avancement du project UNESCO relatif aux textes de lecture pour l’Asie. Troisième réunion du comité régional de coordination du projet relatif aux textes de lecture, Kuala Lumpur. Paris 1968 (UNESCO-Dokument: SHC/CS/22/3), S. 8. Eigene Darstellung.
Obgleich die Verantwortung der Projektimplementierung Anfang der sechziger Jahre fast vollständig nach Karatschi abgegeben wurde131 , war der Abstimmungsaufwand zwischen Frankreich und Pakistan weiterhin groß: Paris behielt die Budgethoheit und die dort ansässige Rechtsabteilung entwarf nach wie vor die Verträge. Am Prozess der konzeptionellen Weiterentwicklung des Projekts waren sowohl das Pariser Sekretariat als auch das Karatschi-Büro beteiligt: In der Regel wurde das Programm für das kommende Biennium in Paris nach Absprache mit der südostasiatischen Außenstelle entworfen. Nach Billigung durch die Generalkonferenz stellte man auf dessen Grundlage detaillierte Programmpläne mit Zeitplan und Budget – sogenannte Programme Activity Details (PAD) – auf, deren Umsetzung dann weitgehend in den Händen Husains lag.132 Der Prozess der Dezentralisierung, der eine bessere Projektimplementierung versprach, führte aufgrund der Zersplitterung der Organisationseinheit im Gegenzug zu erheblichem administrativem Mehraufwand. Der Etat des Lesematerialienprojekts wuchs über die Jahre (vgl. Tabelle 3). Mit knapp 400.000 US-Dollar war er im Biennium 1965/1966 gut drei Mal so hoch wie zu Beginn des Projekts 1955/1956. Er wurde etwa je zur Hälfte aus dem regulären Budget der UNESCO und dem Unterstützungsprogramm der Vereinten Nationen für Entwicklungsländer (in der Aufstellung abgekürzt als TA, Technical Assistance) bestritten. Der Budgetanstieg ist dabei zum einen als Folge der Gründung des Karatschi-Zentrums zu sehen, dessen Personalkosten erhebliche Mittel banden. Zum anderen führte auch die
131 Vgl. S. Asabuki: Memorandum vom 8.4.1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 074 (540) TA). 132 Vgl. Review of the UNESCO Project on Reading Materials. First Meeting of the Regional Coordinating Committee for the Reading Materials Project – New Delhi (India). Paris 1963 (UNESCODokument: WS/0763.91).
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
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Ausweitung der Projektregion zu Etaterhöhungen: Nachdem immer mehr asiatische Staaten ihr Interesse am Lesematerialienprojekt bekundet hatten, wurde die Projektregion schrittweise erweitert: 1959 kam der Iran dazu, es folgten 1963 Afghanistan, Nepal und Thailand sowie zwei Jahre später Malaysia und Indonesien. Das Ziel der UNESCO, ihr Programm stärker in die Projektregion zu integrieren und somit zu dezentralisieren, wurde in den folgenden Jahren weiter verfolgt: Vor allem die Erweiterung der Projektregion machte eine stärkere Einbindung nationaler Entscheidungsträger erforderlich: Auf einer 1961 wiederum im nordpakistanischen Murree ausgerichteten Tagung der Bildungsminister wurde eine intensivere Zusammenarbeit vereinbart und die Einsetzung eines aus hochrangigen Regierungsvertretern bestehenden Gremiums beschlossen. Dieses kam 1963 zu einer ersten Sitzung zusammen, um gemeinsam mit UNESCO-Repräsentanten über den Fortgang des Reading Material-Projekts zu beraten und die Koordination mit nationalen Programmen zu garantieren.133 Ab 1961 wurden außerdem sogenannte nationale Korrespondenten auf Honorarbasis in jedem Land beschäftigt, die in Form von knappen Berichten für den Information Bulletin on Reading Materials über die neuesten Entwicklungen in Bezug auf die Produktion und Distribution von Lektürestoffen in ihrem Land informieren und auch die Funktion von Verbindungsmännern übernehmen sollten, die dem Karatschi-Büro etwa bei der Informationsbeschaffung oder bei der Organisation der interregionalen Stipendienprogramme behilflich waren.134 Neue Prioritäten: Die organisatorische Stärkung des Buchhandels Mit der Gründung des Büros in Karatschi wurde eine Modifikation in der inhaltlichen Ausrichtung des Projekts zunehmend manifest. Das anfängliche Bestreben, Neualphabetisierte mit adäquaten Lesematerialien zu versorgen, weitete sich zu einem Vorhaben, das auf eine dauerhafte und nachhaltige Verbesserung der Produktions- und Vertriebsstrukturen des Buches und eine Ausweitung der Leserschaft zielte. Mit dieser konzeptionellen Entfaltung ging die Erweiterung der Zielgruppe einher: Die Gesamtbevölkerung gelangte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Treibende Kraft dieser Projekterweiterung war Akthar Husain, der im März 1958 nach einer zweimonatigen Reise in Südostasien gegenüber seinen Vorgesetzten dafür plädierte, die Beschränkung auf die Zielgruppen der Neuliteraten und des neuen Lesepublikums, zwei in seinen Augen künstlichen Kategorien, zugunsten eines ganzheitlichen Ansatzes, mithin der Inblicknahme der gesamten Leserschaft, aufzugeben:
133 Vgl. Report of the Education Secretaries Meeting. Murree, Pakistan, 21–23 August 1961 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 06 (549) »61« TA); Draft Statutes of the Regional Co-ordinating Committee for the Reading Materials Project. Paris 1962 (UNESCODokument: 64 EX/4). 134 Vgl. Akthar Husain an S. Asabuki am 4.4.1961 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (55) 158).
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Lektürestoffe für neue Leserschichten
It is true that we have selected a segment of the reading public, i.e. ›the new literate‹ and ›the new reader‹ for our programme action, but he [sic!] cannot be separated from the entire reading public. It seems logical to me, therefore, not to lose sight to the real object which is ›access to books‹ for any who can and wants to read them.135
Husains Vorschlag basierte auf zwei Annahmen. Neuliteraten und das neue Lesepublikum waren erstens keine klar abgrenzbaren Segmente innerhalb der Gesamtleserschaft, sondern Teile derselben. Erst durch integrative Maßnahmen, die auf eine Stärkung des Buchmarktes in seiner Gänze zielten und die folglich Autoren, Verlagswesen, graphisches Gewerbe sowie Buchhandlungen und Bibliotheken umfassten, konnte zweitens der Zugang zum Buch für alle, für den kürzlich Alphabetisierten als auch für den habituellen, geübten Leser, gewährleistet werden.136 Das Zielpublikum des Lesematerialienprojekts wurde infolge der von Husain angestoßenen Umorientierung fortan als wachsendes Lesepublikum (increasing reading public) begrifflich gefasst.137 Die Ende der fünfziger Jahre verstärkt sichtbar werdende Neuausrichtung des Lesematerialienprojekts ist dabei nicht ausschließlich als Resultat eines auf Lernprozessen basierenden Erkenntnisgewinns über effizientere Herangehensweisen und Methoden zu verstehen, wie die Versorgung eines wachsenden Lesepublikums mit Lektürestoffen zu erreichen war. Sie war von den Führungskräften des Kultursektors der UNESCO auch aus strategisch-politischen Gründen gewollt, eröffnete die weitgehende Herauslösung des Projekts aus dem Alphabetisierungskontext doch die Möglichkeit, sich mit einem eigenständigen, umfangreichen Programm zu positionieren – wie der Leiter des Kultursektors, der Japaner Sankichi Asabuki, in einem Memorandum Ende 1959 festhielt: [T]he Reading Materials project should find for itself a well-defined role among the many other activities of UNESCO, a role sufficiently independent. Efficient and irreplaceable. For this purpose, I believe the project should orient itself clearly and firmly in the direction of what may be called ›Book Promotion Project‹ for the countries concerned in South Asia.138
Das anfänglich als interdisziplinär konzipierte Projekt ging Anfang der sechziger Jahre vollständig in die Verantwortung und Deutungshoheit des Kultursektors über. Die
135 Akthar Husain: Memorandum »Report on Mission to South Asia« vom 20.3.1958 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part II). 136 Vgl. Akthar Husain: Editorial. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 1, S. 1. Vgl. ebenso: Review of the UNESCO Project on Reading Materials, S. 1. 137 Vgl. S. Asabuki an Akthar Husain am 9.6.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part II). 138 S. Asabuki: Memorandum »Report on My Mission to South Asia«, Dezember 1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part II).
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ressortübergreifende Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Sektoren der UNESCO war damit – zumindet in diesem Fall – gescheitert.139 Eine zentrale Zielsetzung des neu ausgerichteten Lesematerialienprojekts bestand in der Stärkung der Buchmärkte in Südostasien. Eine Schlüsselrolle kam in den Augen der UNESCO dabei sogenannten nationalen Buchzentren (National Book Centre oder National Book Trust) zu, die als zentrale Dienstleister die Entwicklung und Professionalisierung des Buchmarktes stimulieren und auf eine Ausweitung der Leserschaft hinwirken sollten. Während in Indien mit dem National Book Trust und dem Southern Languages Book Trust sowie in Burma mit der Burma Translation Society Organisationen existierten, die teilweise als Ersatz für fehlende verlegerische und buchhändlerische Strukturen agierten, deren Aufgabe aber vor allem der Aufbau eines soliden Buchmarktes war, existierten derartige Institutionen in den beiden anderen Projektländern nicht. Mit dem Ziel, die Gründung zentraler Buchmarktorganisationen bei den zuständigen Regierungsstellen Pakistans und Ceylons anzuregen, engagierte die UNESCO im Biennium 1957/1958 den Briten Jack Morpurgo als Experten, der während einer Mission in Südostasien die Notwendigkeit eines zentralen Organs zur Entwicklung der Buchbranche in Pakistan und Ceylon evaluieren und unter Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse detaillierte Pläne zu deren Gründung vorlegen sollte.140 Der Brite schien für diese Aufgabe der ideale Kandidat zu sein: Er kannte nach einem längeren Aufenthalt während des Zweiten Weltkrieges die Region und brachte als Direktor der National Book League – einer mehrheitlich von der britischen Buchbranche finanzierten Institution, die sich der Öffentlichkeitsarbeit für Buch und Lesen verschrieben hatte – zudem die nötige Expertise mit.141 Noch während seines Aufenthaltes in Pakistan berichtete Morpurgo nach Paris, dass Regierungs- und Buchhandelskreise den Vorschlag zur Gründung eines nationalen Buchzentrums zwar durchaus positiv aufgenommen hätten, aber dennoch erhebliche Zweifel an der Funktionalität einer derartigen Institution fortbe-
139 Die Charakterisierung des Projekts als ressortübergreifend (interdepartamental) wurde mit dem gebilligten Programm- und Haushaltsplan für das Biennium 1961/1962 offiziell fallen gelassen. Vgl. 11 C/5 Approved, Project: 4.22.1: Distribution and Promotion of Reading Materials. 140 Vgl. Brief Notes for Mr. Morpurgo, TA Expert on Rangoon Seminar, o. D. [etwa Juni 1957] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 57 TA Morpurgo). 141 Vgl. Malcolm S. Adiseshiah an Educational Adviser to the Government of Pakistan am 5.6.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 57 TA Morpurgo). Die National Book League ging aus dem 1924 gegründeten National Book Council hervor und sah seine Aufgabe vor allem darin, das Interesse für das Lesen und den Gebrauch des Buches in der Gesellschaft zu erhöhen. Vgl.: J. E. Morpurgo: The National Book League. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 2, S. 6–7. Vgl. auch die Festschrift zum sechzigjährigen Bestehen der Einrichtung: Sixty Precarious Years. A Short History of the National Book League 1925–1985. Hrsg. von Ian Norrie. London: National Book League 1985.
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stünden.142 Vor dem Hintergrund dieser Skepsis pakistanischer Regierungsvertreter muss der umfassende Plan gelesen werden, den Morpurgo im Anschluss an seine fast halbjährige Mission in Asien der pakistanischen Regierung vorlegte, um diese von der Notwendigkeit des Aufbaus und der Finanzierung einer buchmarktfördernden Institution zu überzeugen. Der Konzeptentwurf enthielt nicht nur Details zu Aufgaben, Finanzierung, Personal und Ausstattung der Zentren, sondern präsentierte deren Gründung vor allem als Gebot nationaler Vernunft: It is essential for the national health of Pakistan that the reading public which exists should be encouraged, and encouraged to maintain a level of reading activity [. . .] No country in the world – and least of all a country like Pakistan which is in the process of establishing its national character – can afford to allow its book programme to be inefficient, wasteful and uninformative. No country in the world – and least of all Pakistan – can afford to develop readers, to produce and import books for those readers, and then leave those readers ignorant of the possibilities, in terms of books, which are available to them. It is to bridge the gap between the book supplier and the book reader that the National Book Trust must be created.143
Gemäß der Pläne Morpurgos waren die nationalen Buchzentren in Pakistan und Ceylon als zentrale Dienstleister konzipiert, die den Auf- und Ausbau der Buchmärkte begleiten und beschleunigen sollten, indem sie Buch- und Leseförderung sowie Öffentlichkeitsarbeit für das Buch betrieben, lokale Autoren förderten, Konferenzen und Seminare für die Buchbranche organisierten und ganz allgemein als Informationsund Beratungszentren fungierten. Auch wenn im Gegensatz zu der von ihm geleiteten Institution in London die südostasiatischen Buchzentren nicht primär durch Beiträge der Buchbranche, sondern vorwiegend staatlich finanziert sein sollten, war es in Morpurgos Augen essenziell, eine autonome, von der Regierung unabhängige Einrichtung zu schaffen, die nicht selbst als Verleger auftrat. Der britische UNESCO-Experte lehnte staatlich finanzierte Publikationsprogramme, Staatsverlage oder staatlich subventionierte Literaturproduktionszentren kategorisch ab. Er sah sie als massives Hemmnis für die Ausbildung eines professionellen, privatwirtschaftlichen Verlagswesens und berief sich auf die Situation in Burma, wo die Burma Translation Society im Laufe der Jahre durch erhebliche Subventionen eine Monopolstellung auf dem Buchmarkt einnahm, die jegliche Ausbildung eines auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden Verlagswesens verhindert hatte.144 Die von Morpurgo erson-
142 Vgl. Jack Morpurgo an J. Galindo Pohl am 19.9.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 57 TA Morpurgo). 143 J. E. Morpurgo: Proposals für the Establishment of a National Book Trust in Pakistan. April 1958 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 57 TA Morpurgo). In Teilen auch veröffentlicht als: Ders.: Need for a National Book Trust in Pakistan. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 1, S. 4–5 und S. 15, hier S. 4. 144 Vgl. J. E. Morpurgo: Report on a Visit to Iran, Pakistan, India, and Ceylon. Paris 1959 (UNESCODokument: Microfiche 69 fr 0451), S. 5.
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nenen Institutionen waren nicht als Wettbewerber für die Buchbranche konzipiert, sondern sollten quasi als Katalysatoren oder »Überbau«145 deren Professionalisierung und Wachstum anfachen. Sie hatten zur Aufgabe – wie der Leitspruch »to promote the wider and wiser use of books« der einige Jahre später gegründeten pakistanischen Institution anzeigt – die Verwendung des Buches in der Gesellschaft zu steigern und waren somit ein an die lokalen Verhältnisse angepasstes Abbild der von Morpurgo geleiteten britischen Institution. Nachdem Morpurgos Konzept den Regierungen Pakistans und Ceylons vorgelegt wurde, insistierten UNESCO-Sekretariat und die Außenstelle in Karatschi bei den zuständigen Stellen, die Gründung der Einrichtungen in die Wege zu leiten.146 Anfang der sechziger Jahre schließlich wurde in Pakistan das National Book Centre mit Hauptsitz im westpakistanischen Karatschi und Niederlassungen in Lahore sowie im ostpakistanischen Dhaka gegründet; in Ceylon war bereits 1958 der National Book Trust ins Leben gerufen worden, welcher zunächst an die Akademie für Geisteswissenschaft angegliedert war, später aber als eigenständige, dem Bildungs- und Kulturministerium unterstehende Institution fungierte.147 Auch im Iran wurde auf Initiative der UNESCO 1964 ein nationales Buchzentrum gegründet.148 Da die Buchzentren mit weit geringeren finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet wurden, als es die in dieser Hinsicht doch sehr idealistischen Pläne Morpurgos vorgesehen hatten, bemühte sich die UNESCO in der Folge, die durch ihr Engagement ins Leben gerufenen Einrichtungen zu unterstützen: Nicht nur ermöglichte sie im Rahmen des Stipendienprogramms, dass leitende Angestellte der Zentren bei der National Book League in London Bedeutung und Funktionsweise einer buchfördernden Institution kennenlernen konnten, ebenso stattete sie die jungen Institutionen mit Büromaterialien wie beispielsweise Schreibmaschinen und einer vorwiegend aus englischsprachiger Fachliteratur bestehenden Referenzbibliothek aus.149
145 Im englischen Original: »superstructure«. Ibne Insha: What Can a National Book Centre Do? A Resume of Our Experience in the National Book Centre of Pakistan. In: Information Bulletin on Reading Materials VIII (1966), H. 1–3, S. 3–5, hier S. 3. 146 Vgl. Akthar Husain an J. Galindo am 26.1.1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part I). 147 Vgl. K. G. Amaradasa: National Book Trust of Ceylon. In: Information Bulletin on Reading Materials II (1960), H. 3, S. 39–40; National Book Centre of Pakistan. Government Resolution on Establishment. In: Information Bulletin on Reading Materials II (1960), H. 3, S. 41. 148 Vgl. Akthar Husain: Memorandum »Report on My Mission to Paris, Barcelona and Teheran« vom 21.6.1962 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part III). 149 Vgl. die Aufstellungen der Büromaterialien und buchhändlerischen Fachliteratur, die an die Buchzentren geliefert wurden: UNESCO Equipment for National Book Centre of Pakistan, o. D. [etwa 1959] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (549) 2); A[kthar] Husain: Memorandum »National Book Centre of Burma, Ceylon, Iran and Pakistan« vom 30.9.1962 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (549) 2); Reference Material. Sarpay Beikman Institute, o. D. (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A
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Es zeigte sich schnell, wie schwierig es war, Institutionen aufzubauen, die nicht aus einem inneren Bedarf im Land selbst entstanden, sondern deren Gründung von außen verordnet und deren Organisation und Aufgaben als adoptiertes Modell westlicher Einrichtungen extern erdacht worden waren.150 So wies der Experte Kamm die UNESCO darauf hin, dass die von ihr zur Etablierung des iranischen Buchzentrums zur Verfügung gestellten Materialien nicht genutzt würden: Apparently the expensive equipment supplied by UNESCO had been lying unopened in a room ever since ist delivery [. . .] I still doubt very much whether the equipment is being used, or indeed ever will be used. Equipment alone does not make a National Book Centre.151
Zusätzlich zu den Weiterbildungsangeboten für das Personal und der Bereitstellung der Ausstattung, die dem technischen Aufbau und der Festigung der nationalen Buchzentren dienen sollten, bot die UNESCO den jungen Organisationen auch die Gelegenheit, ihrer Rolle als Katalysator für den einheimischen Buchmarkt gerecht zu werden, indem sie ihnen die Durchführung von Seminaren und Trainingskursen und die Erstellung von Buchmarktstudien übertrug. Diese Unterstützungsleistungen der Pariser Organisation an die südostasiatischen Buchzentren müssen als Maßnahmen interpretiert werden, mit denen die Bedeutung der von der UNESCO initiierten Einrichtungen unter Beweis gestellt werden sollte. Neben dem Aufbau eines Buchmarktüberbaus sah die UNESCO in einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen am Schreib-, Produktions- und Distributionsprozess beteiligten Instanzen ein Mittel, um den Buchhandel in den südostasiatischen Ländern zu stärken. Die nationale wie regionale Kooperation zwischen den einzelnen Komponenten der Buchwelt, wie die Pariser Organisation Autoren, Verleger, Drucker, Buchhändler und Bibliothekare bezeichnete, war Thema der vierten im Rahmen des Lesematerialienprojekts stattfindenden Tagung: Ende 1961 kamen auf Einladung der UNESCO gut dreißig Teilnehmer aus der Region nach Ceylon, um Möglichkeiten auszuloten, wie trotz (ökonomischer) Interessenskonflikte, die traditionell
310 (591) 2). Die Unterstützung der nationalen Buchzentren durch die Finanzierung von Ausrüstung war ab dem Biennium 1959/1960 fester Bestandteil jedes Programm- und Haushaltsplanes: Vgl. 10 C/5, § 821; 11 C/5, § 1305; 12 C/5, § 4076. 150 Einen ähnlichen Befund liefert Finnemore hinsichtlich des Aufbaus von Wissenschaftsbürokratien in Entwicklungsländern, den die UNESCO vor allem in den sechziger Jahren initiierte: »UNESCO did not [. . .] invent science policy. Rather, it picked up the notion from these successful and powerful states and popularized it. Thus, while the first science policy organizations may have been created in response to domestic demand, subsequent adaptations were strongly influenced by systemic norms promoted by UNESCO [. . .] Knowledge of these innovations and assertions of the value of these innovations were supplied to states by a third party, UNESCO.« Finnemore: National Interests, S. 64–65, Hervorhebungen im Original. 151 Antony Kamm: Report on Mission in South Asia vom 21.5.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 074 (55) »64« 136).
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beispielsweise zwischen Autoren und Verlegern oder zwischen Verlegern und Buchhändlern bestanden, zu dem gemeinsamen Ziel eines prosperierenden und wachsenden Buchmarktes beigetragen werden könnte.152 Im Kern ging es also darum, das Berufsethos der Buchbranche zu definieren und Regeln für den geschäftlichen Umgang zu formulieren. Nach Ansicht der Teilnehmer war es dazu vonnöten, berufliche Zusammenschlüsse wie Schriftsteller-, Drucker-, Verleger- und Buchhändlerverbände zu stärken. Diese sollten die Interessen ihrer Mitglieder artikulieren und gegenüber einer Art Verbindungsbüro vertreten. Dessen Aufgabe war es, die Zusammenarbeit zwischen den Einzelverbänden zu gewährleisten, verbindliche Verhaltenskodizes für die gesamte Buchbranche festzulegen, deren Einhaltung zu überprüfen sowie die Interessen des privatwirtschaftlichen Buchhandels gegenüber dem Staat zu vertreten. Aus den im Abschlussbericht festgehaltenen Empfehlungen wird deutlich, dass die in Ceylon zusammengekommenen Branchenvertreter vor allem im Staat einen mächtigen und unzulässigen Konkurrenten sahen, der ihrer Meinung nach dem Wachstum des Buchmarktes massiv entgegenstand. Während man es als Aufgabe des Staates verstand, die Rahmenbedingungen herzustellen, die für eine prosperierende Entwicklung des Buchhandels von Bedeutung waren – zu diesen zählten die Gewährleistung der freien Meinungsäußerung, der rechtliche Schutz des Urhebers sowie der Auf- und Ausbau des Bibliothekssystems – lehnte man die staatliche Produktion und Distribution von Schulbüchern, wie sie nicht zuletzt in Ceylon praktiziert wurde, ab: Die Buchbranche verstand das äußerst lukrative Segment des Schulbuches als Rückgrat, welches dem privatwirtschaftlichen Buchhandel die Querfinanzierung anderer Titel erst ermöglichte, die ansonsten aufgrund ökonomischer Überlegungen nicht produziert oder vertrieben werden könnten.153 Der in Ceylon deutlich artikulierte Konflikt zwischen dem Wirtschaftszweig Buchhandel und den Interessen des Staates, der durch eine staatlich kontrollierte Schulbuchproduktion die Expansion des Bildungswesens vorantreiben wollte, konnte letztlich nur in den jeweiligen nationalen Kontexten geklärt werden. Von der UNESCO finanzierte, durch Berufsverbände organisierte nationale Seminare zum Thema sollten daher eine Gelegenheit zur Mediation zwischen Vertretern der Regierung und der Berufsbranche bieten und gleichzeitig dem Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Verlagswesen und Sortiment dienen.154 Die UNESCO bemühte sich insbesondere darum, Voraussetzungen zu schaffen, die eine verstärkte transnationale Kooperation zwischen dem Buchhandel in Südostasien möglich machen sollte: Die von ihr veranstalteten regionalen Seminare und
152 Vgl. Final Report. Regional Seminar on Professional Cooperation in the Book-World. Karatschi 1962. (UNESCO-Dokument: UNESCO/PRM/1962/1, zu finden in: Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 06 (548.7) »61« TA). 153 Vgl. ebd., S. 13. 154 Vgl. Akthar Husain an S. Asabuki am 31.1.1963 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part II).
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Konferenzen boten ebenso wie die interregionalen Stipendien eine fest institutionalisierte Möglichkeit zum Erfahrungs- und Informationsaustausch. Auf Empfehlung der Teilnehmer des Ceylon-Seminars finanzierte die UN-Organisation zudem die Herausgabe des ersten regionalen Adressbuches des asiatischen Buchhandels, das im indischen Verlag Popular Prakashan 1964 erschien.155 Ebenso diente der Information Bulletin of Reading Materials, der in einer Auflage von 1.500 Exemplaren in der Projektregion zirkulierte, nicht nur als Organ, um die einzelnen Programmelemente des Lesematerialienprojekts vorzustellen, sondern war auch als regionales Diskussionsund Kommunikationsforum konzipiert, in dem Projekte, Studien und Befunde aus der südostasiatischen Buchbranche vorgestellt sowie Seminare und Tagungen angekündigt wurden. Ohne je explizit so formuliert zu werden, zielte das neu justierte Lesematerialienprojekt der UNESCO somit darauf, Bedingungen zu schaffen, die eine bestmögliche Entfaltung des privatwirtschaftlichen Buchhandels in Südostasien erlauben sollten. Die anfängliche Position der Pariser Organisation, die staatlich finanzierte Publikationsprogramme bzw. durch die öffentliche Hand getragene Literaturproduktionszentren als legitimen Weg begriff, um das wachsende Lesepublikum mit Lektürestoffen zu versorgen, wurde weitgehend zugunsten der Förderung des kommerziellen Buchhandels aufgegeben. Letzterer wurde – nicht nur in den Augen Morpurgos – als besonders effizient angesehen, um die Produktion und den Vertrieb von Lesematerialien dauerhaft zu gewährleisten: It is, to my mind, inconceivable that a civil servant can be turned into a publisher, even if he has the fairy wand of UNESCO over his head, and the lamp of Government subsidy in his hand. Publishing is at once an art and a trade, it demands quick decisions, a gambler’s courage, technical skills and experience [. . .] Unless Government or international agencies are prepared to continue subsidisation to eternity all that can be achieved by excessive Governmental intervention is the complete destruction of book trade.156
Mehr Leser, mehr Buchkäufer: Maßnahmen für einen verbesserten Zugang zum Buch Als wichtigste Strategie, um den privatwirtschaftlichen Buchhandel zu konsolidieren, sah man die Ausweitung der Leserschaft an: Nur dort, wo eine genügend große Nachfrage nach dem Buch bestand, war der Buchhandel (ökonomisch) sinnvoll. Vor diesem Hintergrund ist die verstärkte Zuwendung zu Fragen des Vertriebs und der Vermarkung von Büchern zu verstehen, welche gleichzeitig eine Distanzierung von
155 Vgl. Directory of Asian Book Trade. Prepared with Assistance of UNESCO. Hrsg. von Sadanand G. Bhatkal. Bombay: Popular Prakashan 1964. 156 J. E. Morpurgo: A Preliminary Report on the Establishment of National Book Trusts in Pakistan and Ceylon. August–December 1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 57 TA Morpurgo).
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der zwar weiterhin praktizierten, aber im Umfang deutlich reduzierten Subventionierung von Publikationen implizierte. Die Teilfinanzierung von Modellpublikationen wurde zunehmend als eine unzuverlässige Wettbewerbsverzerrung empfunden, die UNESCO-Partner gegenüber anderen Akteuren im Buchmarkt bevorteilte oder im Fall der Unterstützung der Produktionsaktivitäten staatlicher Institutionen oder Erwachsenenbildungseinrichtungen ggf. sogar der Ausbildung eines privatwirtschaftlichen Verlagswesens entgegenstehen konnte.157 Mehr und mehr zweifelte man innerhalb der UNESCO auch an der Legitimität, die Inhalte der Lektürestoffe mit der Begründung ihrer vermeintlichen Relevanz, Geeignetheit oder Qualität festlegen zu dürfen und sich somit in gewisser Weise in die Rolle des Zensors, wenn auch eines gut gemeinten, zu begeben. Eine Alternative sah man – wie Akthar Husain kommentierte – in der Verlagerung der Aufmerksamkeit auf Fragen des Zugangs zu Lesematerialien, also ihrer Distributionsbedingungen: It is difficult, however, to define the criteria for suitability; in making such an attempt one can get involved in that mysterious phenomenon called ›public taste‹ and ultimately land up in the net of some kind of imposed or voluntary censorship. There are world-wide complaints of unsuitable reading materials warping the minds of the old and the young, but little, perhaps, can be done to remedy the situation where the publishing trade is forced to comply with the market rule of demand and supply. Nor can there be any guarantee that State publishing will not corrupt the public mind in other ways. And, therefore, one may as well turn one’s attention to the more practical task of making reading materials available where they are in short supply.158
Die Vertriebskanäle des Buches waren in der Projektregion weitgehend auf den urbanen Raum konzentriert, wo traditionelle, meist jedoch unterkapitalisierte Sortimentsbuchhandlungen die Bücher der einheimischen Verlage anboten, aber auch die nach wie vor sehr beliebte importierte, meist angelsächsische oder, im Fall des Irans, französischsprachige Literatur führten. Die ländlichen Regionen, in denen ein Großteil der Bevölkerung lebte, waren hingegen meist buchhändlerisches Niemandsland, das aus den Metropolen wegen zu hoher Posttarife und zu langer Transportwege kaum bedient wurde. Als Auftakt der neuen Schwerpunktsetzung innerhalb des Reading MaterialProjekts lässt sich die Organisation des dritten regionalen Seminars im südindischen Madras im Jahr 1959 verstehen, zu welchem auf Einladung der UNESCO vor allem Buchhändler, aber auch Verleger und Bibliothekare aus Südostasien zusammenkamen, um über eine effektive Gestaltung des Buchvertriebs und Methoden der Buchvermarktung nachzudenken.159 Als Kooperationspartner ernannte die Regierung In157 Vgl. S. Asabuki: Memorandum »Report on my mission to South Asia«, Dezember 1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part II). 158 Akthar Husain: Editorial. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 4, S. 1. 159 Vgl. General Information on the Regional Seminar on the Problems of Book Promotion and Distribution, o. D. [etwa 1959] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 974 (540) »59« TA).
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diens auf ausdrücklichen Wunsch der UNESCO den Southern Languages Book Trust, eine gemeinnützige, 1955 gegründete und im Wesentlichen durch die US-amerikanische Ford Foundation finanzierte Einrichtung, die sich dem Ziel verschrieben hatte, die Publikation und Distribution von preisgünstigen Büchern in den vier Hauptsprachen Südindiens, Tamil, Telugu, Malayalam und Kannada, zu fördern.160 Unterstützt durch die drei Berater der Ford Foundation, Artur Isenberg, William A. Rogers und Edwin J. Roche, war der Southern Languages Book Trust dabei, neue Vertriebsmethoden – etwa den Verkauf von Büchern in Lebensmittelgeschäften – zu entwickeln, und stellte somit eine ideale Arena für das dritte UNESCO-Seminar dar.161 Unter Instruktion Jack Morpurgos, den die UNESCO erneut als Seminarleiter unter Vertrag genommen hatte und der von den Ford Foundation-Beratern und vom UNESCOBibliotheksspezialisten Gardner unterstützt wurde, diskutierten gut zwanzig Teilnehmer drei Wochen lang in Arbeitsgruppen über die Rolle von Bibliotheken in der Vermarktung von Büchern, suchten Möglichkeiten, neue, nicht traditionelle Kanäle des Buchvertriebs zu erschließen, und berieten, wie das Buch in ihren jeweiligen Ländern am effektivsten zu vermarkten sei. Die Tagung war vom Karatschi-Büro sorgfältig vorbereitet worden: Wie bei der Organisation derartiger Konferenzen üblich, ließ man zahlreiche Arbeitspapiere anfertigen, darunter Analysen über den Zustand des Buchhandels in den einzelnen Ländern der Projektregion. Zusätzlich ermöglichte die UNESCO im Vorfeld der Regionaltagung die Ausrichtung von Seminaren in Burma, Indien und im Iran, auf denen nationale Probleme, Herausforderungen und Methoden der Buchdistribution mit dem Ziel erörtert wurden, diese in Madras durch einen Repräsentanten vorzustellen.162 Die Konzeption des Madras-Seminars und die Anwesenheit des britischen Bibliotheksexperten Gardner lassen darauf schließen, dass im Rahmen des neu orientierten Lesematerialienprojekts der Institution Bibliothek als Abnehmer von Büchern und als bedeutende Zugangsmöglichkeit zur gedruckten Welt eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Die Empfehlung Gardners, der angesichts des von ihm konstatierten Stillstands in der Entwicklung der südostasiatischen Bibliotheksland-
160 Vgl. Sundararaj Naidi: Southern Languages Book Trust of India. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 3, S. 3–4. 161 Vgl. Edwin J. Roche: Book Promotion Through Madras New Outlets. In: Information Bulletin on Reading Materials II (1960), H. 2, S. 19–20. 162 Die Arbeitspapiere sowie der Abschlussbericht der Madras-Tagung sind zusammen mit weiteren Dokumenten 1963 veröffentlicht worden. Vgl.: Book Distribution and Promotion Problems in South Asia. By Arrangement with UNESCO. Hrsg. von N. Sankaranarayanan. Madras: Higginbothams 1963. Vgl. ferner: UNESCO Regional Workshop on Book Distribution. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 3, S. 2; Roundup of the UNESCO Regional Workshop at Madras. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 4, S. 2; Reading Materials Seminar in South Asia. In: Information Bulletin on Reading Materials II (1960), H. 1, S. 7–9.
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schaft163 , dringend dazu riet, Aufbau und Professionalisierung der Bibliotheken der Region stärker als bisher zu berücksichtigen164 , führte innerhalb des UNESCO-Sekretariats zum Versuch, das Lesematerialienprojekt und die Programme der Bibliotheksabteilung besser aufeinander abzustimmen165 : Der Leiter der Bibliotheksabteilung Petersen stellte zwar in Aussicht, die Projekte seiner Abteilung zum Aufbau öffentlicher Büchereien und zur Verbesserung der bibliographischen Dienstleistungen verstärkt auf die Länder Südostasiens zuzuschneiden; er zeigte sich indes nicht dazu bereit, die Verantwortung für die Programmdurchführung an das Karatschi-Büro zu übergeben.166 Die Rivalität, die zwischen den einzelnen Bereichen der UNESCO um Kompetenz, Verantwortlichkeiten und Budgethoheiten existierte – eine Rivalität, die in der Anfangsphase des Projekts zwischen den Sektoren Bildung und Kultur bestanden und die Ausrichtung des Programms massiv beeinflusst hatte – verhinderte auch in diesem Fall eine im Sinne des Projekts wünschenswerte und fruchtbare ressortübergreifende Zusammenarbeit: Die beabsichtigte stärkere Einbindung von Fragen der Bibliotheksentwicklung kam nicht zustande.167 Abgesehen von Gardners Mission entsandte die Bibliotheksabteilung der UNESCO lediglich einen Experten in die Region, der die Regierungen Pakistans und Ceylons bei der Neuorganisation der nationalen Bibliographien beriet. Auch von der Dependance in Karatschi gingen in den sechziger Jahren keine Initiativen aus, die Bibliothek stärker als bisher in das Reading Material-Projekt zu integrieren: Einzige Ausnahme war die Durchführung einer Schulungsmaßnahme für Bibliothekare, die auf Wunsch der iranischen Nationalkommission unter Leitung der Bibliothekarin des Karatschi-Zentrums 1964 in Teheran durchgeführt wurde.168 Die Bibliothek – als essenziell für eine Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten zum Buch charakterisiert – blieb somit vor allem aufgrund der internen Organisationsstruktur der UNESCO eine im Rahmen des Lesematerialienprojekts vernachlässigte Institution. Während Fragen der Bibliotheksentwicklung und -ausbildung somit kaum in das Reading Material-Projekt integriert werden konnten, bemühte sich die UNESCO in den sechziger Jahren vor allem darum, den Buchvertrieb in der Region zu verbessern,
163 Vgl. Frank Gardner: Weekly Report. October, 21–28 [1959] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 57 Gardner). 164 Vgl. Ders.: Memorandum »Public Libraries and the Reading Materials Project«, Januar 1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part II). 165 Vgl. Akthar Husain: Memorandum »Role of Libraries in the Reading Materials Programme« vom 31.12.1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part II). 166 Vgl. E. N. Petersen: Memorandum »Libraries and the Reading Material Project« vom 26.1.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part II). 167 Vgl. S. Asabuki an Akthar Husain am 26.2.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part II). 168 Vgl. Floria Masour: Memorandum »Mission to Teheran« vom 6.11.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (55) 072 »64« NC/TA).
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zunächst vor allem durch die Ausrichtung nationaler Fortbildungskurse für Buchhändler. Im Gegensatz zum Madras-Seminar, das wie alle im Rahmen des Projekts durchgeführten regionalen Konferenzen mehr als Forum funktionierte, in dem Probleme erörtert und Erfahrungen diskutiert wurden, und aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl einen tendenziell elitären Charakter hatte (meist luden Regierungen und UNESCO Führungskräfte ein), sollten die praktisch ausgerichteten Lehrgänge der Professionalisierung des gewöhnlichen Sortimentsbuchhändlers dienen, den die UNESCO als wichtigen Mediator zur Vermittlung von Wissen und Kenntnissen begriff.169 Wie auch schon bei den nationalen Seminaren üblich, übertrug die UNESCO die Verantwortung für die Durchführung der Kurse nationalen Buchzentren oder buchhändlerischen Organisationen, zu deren Stärkung und Akzeptanz sie damit indirekt beitragen wollte.170 Die erste dieser Schulungsmaßnahmen wurde im Auftrag der UNESCO durch den Book Industry Council im Februar 1961 in Madras durchgeführt: Der Veranstalter gewann den Direktor der Longmans-Niederlassung in Südindien als technischen Leiter, der, unterstützt durch die Ford Foundation-Berater des Southern Languages Book Trust, ein umfangreiches, zweiwöchiges Programm entwarf, das Vorträge und Diskussionen zu Verkaufstechniken, Bestandsorganisation und Kundengesprächen mit praktischen Übungen verband: Die insgesamt 33 Buchhändler aus den vier südlichen indischen Bundesstaaten wurden aufgefordert, eine Modellbuchhandlung aufzubauen und als Feldstudien Organisation und Aufbau von Buchhandlungen in Madras zu erkunden.171 Die Reaktion der teilnehmenden Buchhändler auf den Kurs, der für viele die erste professionelle Auseinandersetzung mit ihrem Beruf bedeutete, fiel enthusiastisch aus: We never knew so far, and I hope I am voicing the feelings of all the trainees here, that the simple act of bookselling involved so much complications. We never could possibly comprehend that to be a successful bookseller we were required to know fairly workable knowledge of varied techniques involved, proper human understanding, salesmanship, management techniques, ef-
169 Vgl. Message from Mr. Malcom S. Adiseshiah, Assistant Director-General, to the Training Course on Bookselling. Organized by the Book Industry Council of South India with the Assistance of UNESCO, o. D. [1961] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (540) 06 »61/64«). 170 Den nationalen Einrichtungen wurden pro Kurs in der Regel etwa 2.000 US-Dollar von der UNESCO zur Verfügung gestellt. Die Verwendungsnachweis für Reise- und Übernachtungskosten mussten nach Abschluss des Kurses ebenso bei der UNESCO eingereicht werden wie ein ausführlicher Tagungsbericht. Zusätzlich nahm die UNESCO in Abstimmung mit ihrem Kooperationspartner einen technischen Leiter unter Vertrag, der für die konzeptionelle Gestaltung und Durchführung des Kurses verantwortlich war und vor Kursbeginn den Entwurf des Kursprogrammes der UNESCO vorzulegen hatte. 171 Vgl. Schedule. Training Course on Bookselling, 16th February 1961 – 1st March 1961 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (540) 06 »61/64«).
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fective marketing methods, display, advertising etc. It might not be possible for us to enumerate within the short space of time all that we have learnt here. But let me tell you [. . .] the more we learn we come to understand that we have so much more to learn. We go very much enriched, competent to deal with the problems that may from time to time confront us, with great ease and facility.172
Auch der Ford Foundation-Berater Edwin J. Roche bestätigte gegenüber Akthar Husain den außerordentlichen Erfolg der Fortbildungsmaßnahme und charakterisierte diese als »the most practical and worthwhile contributions to the cause of books [. . .] in India«173. Die positive Bewertung des Trainingskurses in Madras ließ die Zweifel verstummen, die in der UNESCO-Zentrale in Paris hinsichtlich der Sachdienlichkeit derartiger kleiner Schulungsprogramme bestanden hatten.174 Im Anschluss an den Kurs in Madras finanzierte die UNESCO im Rahmen des Lesematerialienprojekts noch gut dreißig weitere Schulungsmaßnahmen, die vor allem Buchhändlern, aber auch Buchillustratoren und Verlegern galten und deren inhaltliche Gestaltung das Karatschi-Büro auch aufgrund der begrenzten personellen Kapazitäten im Wesentlichen den Kooperationspartnern überließ. In der Regel wurden – wie in Madras – lokale Fachkräfte mit der Durchführung der Weiterbildungskurse betraut, lediglich im Fall der im Herbst 1961 in Ost- und Westpakistan durchgeführten Lehrgänge wurde auf Wunsch des pakistanischen Verleger- und Buchhändlerverbandes ein niederländischer Experte, der Präsident der Internationalen Vereinigung der Sortimentsbuchhändler Martin Cohen, zum Seminarleiter ernannt. Die Einstellung eines Experten für Buchvermarktung im Verlauf des Jahres 1963 verbesserte die personelle Ausstattung des Karatschi-Zentrums deutlich. Mit dem Deutschen Will Zachau kam ein Fachmann aus der Buchwelt nach Pakistan, dessen Erfahrungen und Expertise im Buchvertrieb den Projektländern zur Verfügung gestellt werden sollte. Diese Personalmaßnahme schärfte nicht nur das Profil des Lesematerialienprojekts, sondern ermöglichte es, neben dem hohen administrativen und organisatorischen Aufwand, den die Implementierung des Projekts in zu jenem Zeitpunkt acht Projektländern sowie die Abstimmung mit der Pariser Zentrale erforderte, erstmals im verstärkten Maße inhaltlich zu arbeiten, wie beispielsweise die Durchführung eines regionalen Trainingskurses zur Buchvermarktung zeigt, der von Zachau konzipiert wurde und unter seiner Leitung 1966 am UNESCO-Zentrum in Karatschi stattfand.175
172 Bookselling Methods in South Asia. Training Course for Booksellers. General Summing Up. In: Sankaranarayanan (Hrsg.): Book Distribution and Promotion Problems, S.191–195, hier S. 191. 173 Abschrift eines undatierten Briefes von Edwin J. Roche an Akthar Husain [etwa März 1961] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (540) 06 »61/64«). 174 Vgl. M. S. Adiseshiah an René Maheu am 23.3.1961 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (540) 06 »61/64«). 175 Vgl. F. S. Smith an Ali Vrioni am 27.8.1966 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 06 (549) »66« TA).
184
Lektürestoffe für neue Leserschichten
Die geringe Kaufkraft weiter Teile der südostasiatischen Bevölkerung war ein massives Hemmnis, das dem Erwerb von Büchern und somit auch der Entwicklung der Buchmärkte entgegenstand. Die Produktion von Taschenbüchern als ein in großer Auflage und somit preisgünstig herstellbarer Lektürestoff wurde als vielversprechendes Mittel angesehen, mit dem der Mehrheit der Bevölkerung erstmals der Kauf eigener Bücher ökonomisch möglich gemacht werden sollte. Bereits in der Anfangsphase des Lesematerialienprojekts hatte der Leiter der Bibliotheksabteilung Edward Carter in einem Memorandum gefordert, dass das neue Programm dazu beitragen sollte, in jedem der Projektländer einen Verleger wie Allan Lane sowie eine den Penguin Books vergleichbare Buchproduktion aufzubauen.176 Bis Mitte der sechziger Jahre blieb das UNESCO-Engagement in diesem Bereich allerdings begrenzt: Lediglich einige im Information Bulletin on Reading Materials publizierte Artikel über die Taschenbuchproduktion zum Beispiel in den USA wiesen auf das Potenzial hin, das man dieser Publikationsform zur Bewältigung des »Buchhungers«177 zusprach. Unterdessen waren vor allem im bevölkerungsreichen Indien Ende der fünfziger Jahre erste verheißungsvolle Taschenbuchprojekte entstanden, etwa die durch Dina N. Malhotra ins Leben gerufenen Hind Pocket Books und die Emesco Pocket Books in Andra im südlichen Teil des Landes. Die Gründung von Buchklubs, durch die indische Taschenbuchverlage ihre Produktion vertrieben, deutete darauf hin, dass das in hohen Auflagen hergestellte Taschenbuch sich nur dort durchsetzen konnte, wo eine genügend große Nachfrage nach Lesematerialien bestand. Die UNESCO sah die Expansion des Buchmarktes und die Ausweitung des Bedarfs an Gedrucktem deshalb als wesentliche Voraussetzungen, um den Ausbau einer nachhaltigen Taschenbuchproduktion zu ermöglichen.178 Zu diesem Zweck war es beabsichtigt, als Massenvermarktung oder Massenvertrieb bezeichnete Projekte ins Leben zu rufen, die den Buchverkauf dort befördern sollten, wo bisher kaum Bücher abgesetzt wurden: It is not easy to persuade a population, with low purchasing power, to buy books. A good deal of salesmanship is needed to convince it of the value of reading materials. No ready remedy can be prescribed to cure this apathy; many experiments will have to be made, according to local needs, to test how the average literate person can be attracted to books and how the books can be carried to him. The potential reader is not where the book-shop is; in general, he lives in outlying areas where libraries and book-stores don’t exist.179
176 Vgl. Edward Carter: Memorandum »Production of Books for New Literates« am 13.7.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part I). 177 Im englischen Original: »book hunger«. Akthar Husain: Editorial. In: Information Bulletin on Reading Materials II (1960), H. 2, S. 1. 178 Vgl. ebd. 179 Akthar Husain: Editorial Notes. In: Information Bulletin on Reading Materials V (1964), H. 4, S. 49.
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
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Das Karatschi-Büro bemühte sich daher, unter der Federführung Zachaus die Erschließung nicht traditioneller Buchvertriebswege voranzutreiben. Zu diesem Zweck publizierte man in der hauseigenen Zeitschrift nicht nur Erfahrungsberichte von Projekten, die – wie Buchklubs in Deutschland oder Bahnhofsbuchhandlungen in Pakistan – andere Kanäle des Buchvertriebs jenseits der urbanen Sortimentsbuchhandlungen nutzten180 , sondern man initiierte und finanzierte auch Pilotvorhaben, mit denen man neuartige Distributionsmöglichkeiten in ländlichen Regionen testete: So stellte die Pariser Organisation den nationalen Buchzentren in Ceylon, Iran und Pakistan Buchmobile zu Verfügung, welche als fahrende Buchhandlungen auf dem Land eingesetzt werden sollten. Waren derartige mobile Bücherbusse als Bibliotheksservice in Teilen der USA und Europas mit einigem Erfolg unterwegs, funktionierte ihr Einsatz als Buchhandlung in der pakistanischen, iranischen und ceylonesischen Provinz jedoch nur bedingt – wie die Einschätzung Zachaus nach gut zweijähriger Testphase zeigt: [B]ookmobiles are not suitable means of improving distribution methods or of promoting sales. They are expensive to maintain; it is difficult if not impossible to find a team familiar with both the vehicle and the task of a mobile bookseller.181
Als geeigneter, als es der Einsatz von fahrenden Buchhandlungen war, um Bücher in ländlichen Gegenden besser verfügbar zu machen, erwies sich die von der UNESCO zusammen mit dem Book Industry Council of South India initiierte Zusammenarbeit mit dem Presseeinzelhandel: Vierzig vom Council im Vorfeld ausgewählte, preisgünstige Bücher zu Themen wie Religion, Philosophie und Geschichte wurden über mehrere Monate insgesamt knapp zweihundert Zeitungsverkäufern und Kioskbesitzern in Stadt und Land als Kommissionsware zur Verfügung gestellt. Werbemaßnahmen in Radio und Presse machten auf die neuen Buchverkaufsstellen aufmerksam. Das Pilotprojekt wurde als voller Erfolg gewertet, schuf es doch Möglichkeiten, Bücher dort käuflich zu erwerben, wo vorher keinerlei buchhändlerische Infrastruktur vorhanden war: With the support, given by the scheme, some newsagents were able to sell a record number of books on science in places where such books and buyers of such books were a rarity before. In some places where there were not [sic!] bookshops, the operation of the scheme has created booksellers.182
180 Vgl. Helmut Hiller: Book Clubs in Germany. In: Information Bulletin on Reading Materials VI (1964), H. 1, S. 70–71; M. H. Morza: Railway Book-Stalls in Pakistan. In: Information Bulletin on Reading Materials VI (1964), H. 2, S. 26–27. 181 Vgl. Will Zachau an A. Vrioni am 27.5.1966 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part III). 182 Book Distribution Campaign in South India. In: Information Bulletin on Reading Materials VII (1965), H. 3, S. 65–67, hier S. 66.
186
Lektürestoffe für neue Leserschichten
Die Initiativen der UNESCO, den Buchvertrieb in Südostasien zu verbessern, sind als Teil eines letztlich breiter angelegten Bestrebens zu deuten, nicht nur den Zugang zum Buch zu verbessern, sondern in jedem Bürger ein dauerhaftes Bewusstsein für die Bedeutung des Buches hervorzurufen und ihn somit zu einem regelmäßigen Buchnutzer und Leser zu formen: »Suitable books will not be available, if they are not in demand; however, if suitable books are not in demand, that demand must be created.«183 Mit diesen Worten beschrieb Akthar Husain die beim Leser ansetzende und somit als nachfrageorientiert zu charakterisierende Strategie, die auf eine Steigerung der Leser- und Käuferschaft von Büchern zielte. Auch wenn eine Fokussierung auf den Nutzer erkennbar ist und somit Autonomie und Geschmack des Lesers anscheinend respektiert werden, deutet das Adjektiv suitable doch darauf hin, dass sich die UNESCO im Rahmen ihres Lesematerialienprojekts nie vollständig von der Ansicht trennen konnte, dass es ›gute‹ und weniger ›gute‹ Lektürestoffe und analog eine Nachfrage nach ›qualitätsvollen‹ und nach weniger ›qualitätsvollen‹ Büchern geben konnte: Two aims can be distinguished – the first to publish what people want to read, the second to publish what one feels that people should read. Over-emphasis on the first could lead to material that is poor on quality and content. Over-emphasis on the second to dull instructional material which will not encourage the reading habit. An imaginative publishing programme, related to the reading audience’s interests, abilities and needs, will combine both aims. The important thing to remember is that reading material can provide the information people need and still be of great interest and pleasure to them.184
Das Kennenlernen des (potenziellen) Lesers, seiner Interessen und seiner Lesegewohnheiten war ein zentraler Schritt, um einer den Bedürfnissen des Lesers entsprechende Produktion und Distribution von Büchern zu gewährleisten. Eine professionelle Buchmarkt- und Lese(r)forschung existierte in Südostasien allerdings Ende der fünfziger Jahre nicht, und es kann als Verdienst der UNESCO gewertet werden, neben Buchmarktanalysen auch erste Lese(r)forschungen angestoßen zu haben. Unter den insgesamt über einhundert Studien, die die UNESCO im Rahmen des Reading Materials-Projekts in Auftrag gab, befanden sich zahlreiche, die das Leseverhalten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, insbesondere von Jugendlichen und Frauen, untersuchten: So erstellte beispielsweise die Burma Translation Society im Auftrag der UNESCO 1960 eine Studie zu den Leseinteressen burmesischer Frauen, und der Leiter der öffentlichen Bücherei in Delhi analysierte die Leseinteressen von Jugendlichen.185
183 Akthar Husain: Editorial. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 1, S. 1. 184 Simple Reading Material, S. 11. 185 Vgl. Survey of Reading Interests of Women Readers in Burmese. Rangun: Burma Translation Society 1960; M. M. L. Tandon: Survey of Reading Interests of Juvenile Reader in Hindi. Neu-Delhi 1960. Zusammenfassungen der von der UNESCO in Auftrag gegebenen Lese(r)studien wurden in der Regel
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
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In den Augen der UNESCO war es allerdings nicht ausreichend, die Leseinteressen und -gewohnheiten der Bevölkerung kennenzulernen und die zu diesem Zweck angefertigten Studien der Buchbranche zur Verfügung zu stellen, sondern ihr Ziel war es vielmehr, eine dauerhafte Nachfrage nach dem Buch zu generieren und eine stabile Leserschaft zu schaffen. Die Organisation von Buchwochen, -ausstellungen und -festivals – wie sie in anderen Teilen der Welt bereits durchgeführt worden waren186 – stellten Maßnahmen dar, die von der Pariser Organisation auf experimenteller Basis gefördert wurden, um das hervorzurufen, was die UNESCO wahlweise als book consciousness, book-mindness oder book awareness begrifflich fasste und was als Bewusstsein für die Bedeutung des Buches nur unzulänglich ins Deutsche übersetzt werden kann. Bereits Anfang der sechziger Jahre begann die UNESCO, in der Projektregion Buchausstellungen durchzuführen, auf denen – wie beispielsweise 1961 im Iran oder 1962 in Pakistan – Publikationen zu UNESCO-typischen Themen wie Wissenschaft im Alltag oder internationale Verständigung gezeigt wurden. Unter Zachau erfuhren diese ersten auf die Ausbildung von book consciousness zielenden Maßnahmen eine konzeptionelle Erweiterung; eine aktivere Einbindung des Publikums wurde angestrebt, aus Buchausstellungen wurden Buchfestivals: Ende Oktober 1964 fand in den drei Metropolen des Landes Karatschi, Lahore und Dhaka unter dem Motto »A Library in every home, however small, but a library in every home« jeweils ein einwöchiges Buchfestival statt, das vom pakistanischen Zentrum für das Buch verantwortet, von der UNESCO finanziert und von Zachau mitkonzipiert wurde. Buchausstellungen mit jeweils rund dreihundert teilnehmenden Verlagen bildeten den Kern des Festivals, um den herum man Essaywettbewerbe für Schüler zu den Themen »I wish a book like this would have been published« und »Reading Textbooks is not enough«, Podiumsdiskussion mit Vertretern der Buchbranche und besondere Rabatte für Bucheinkäufe in allen Buchhandlungen organisierte. Ein umfangreiches Paket an Werbematerialien mit Postern und Lesezeichen, die mit Botschaften wie »See the world through books« oder »There is a book for every problem« versehen waren, waren ebenso Bestandteil der Werbekampagne wie ein begleitendes Presse- und Radioprogramm. Pro Stadt besuchten etwa einhunderttausend Personen die Ausstellung, das Festival wurde als
im Information Bulletin on Reading Materials veröffentlicht, vgl. beispielhaft: Sumana Saparamadu: Reading Interests of Women in Ceylon. In: Information Bulletin on Reading Materials II (1960), H. 3, S. 35–37. 186 1958 wurde in den USA als Teil einer Werbekampagne für Buch und Bibliothek eine National Library Week organisiert. Vgl. Jean Preer: »Wake Up and Read!« Book Promotion and National Library Week, 1958. In: Libraries & the Cultural Record 45 (2010), H. 1, S. 92–106. Vgl. zu Strategien der Ausweitung der Leserschaft in den USA der fünfziger Jahre ebenso: Theodore Waller: Expanding the Book Audience. In: Books and the Mass Market. Fourth Annual Windsor Lectures. Urbana: University of Illinois Press 1953, S. 43–66.
188
Lektürestoffe für neue Leserschichten
voller Erfolg gewertet.187 Auch in der indischen Hauptstadt wurde 1964 vom National Book Trust of India in Zusammenarbeit mit den Verbänden von Buchhändlern und Verlegern sowie finanziell unterstützt von der UNESCO ein Buchfestival organisiert, dessen Hauptbestandteil – die Buchausstellung – im Anschluss auch in anderen Bundesstaaten des Subkontinents gezeigt wurde.188 Mit der Initiierung und Finanzierung dieser auf eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung für das Buch zielenden Veranstaltungen verfolgte die UNESCO dieselbe Strategie, wie sie auch schon der Subventionierung der Modellpublikationen zugrunde lag. Die Pariser Organisation setzte darauf, dass nach einer ersten erfolgreichen Durchführung der Aktivitäten diese in den darauf folgenden Jahren durch die Kooperationspartner selbst bestritten würde. Diese Strategie, die auf der Überzeugung basierte, dass Maßnahmen, die sich einmal als richtig, nützlich oder erfolgreich bewiesen hatten, auch ohne das Engagement der UNESCO weitergeführt wurden, berücksichtigte allerdings nicht, dass die Trägerinstitutionen, in diesem Fall die nationalen Buchzentren und buchhändlerischen Vereinigungen, keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung standen, um auf kontinuierlicher Basis solche Großveranstaltungen zu organisieren.189 Die Bedeutung, die Kindheit und Jugend für die Ausbildung eines dauerhaften Lesehabitus zugesprochen wurde, ließ die Zielgruppe der jungen Leser ab Mitte der sechziger Jahre verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Während das Lesematerialienprojekt bis dato vor allem auf eine Verbesserung der Versorgung der erwachsenen Bevölkerung mit Lektürestoffen zielte, widmete sich das fünfte regionale UNESCO-Seminar, das 1964 unter Leitung des britischen Kinderbuchexperten Anthony Kamm in Teheran stattfand, dagegen erstmals der Produktion und Distribution von speziell für Kinder geschriebener Literatur. Ebenso wie in zahlreichen nationalen Seminaren wurden in der iranischen Hauptstadt neben Fragen der Illustration von Kinderbüchern und der Organisation von Kinderbuchverlagen vor allem diskutiert, wie Kinder – die zumeist in Elternhäusern aufwuchsen, in denen keine Bücher existierten, und die keine regelmäßigen Buchleser zum Vorbild hatten – außerhalb der Schule zum Griff zum Buch animiert werden könnten.190 Eine zentrale Empfehlung der Regionaltagung bestand in der Gründung von Einrichtungen, die wie z. B. der American Book Council for Children oder die nationa-
187 Vgl. Report on the 1st National Book Festival of Pakistan. 18th–24th October 1964 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (549) 066). Vgl. ebenso: National Book Festival of Pakistan. In: Information Bulletin on Reading Materials VII (1965), H. 1, S. 22–24. 188 Vgl. First National Book Festival in India. In: Information Bulletin on Reading Materials VII (1965), H. 2, S. 40–42. 189 Vgl. Will Zachau an A. Vrioni am 27.5.1966 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part III). 190 Vgl. Problems of Children’s Literature in Asia. Findings of the UNESCO Regional Seminar. In: Information Bulletin on Reading Materials VI (1964), H. 2, S. 18–20.
Das Lesematerialienprojekt in Asien (1954–1966)
189
len Dependancen der weltweit tätigen Organisation International Board on Books for Young People (IBBY) durch die Veröffentlichung von Bibliographien und Buchauswahllisten, die Durchführung von Kinderbuchwochen und die Auszeichnung kinderliterarischer Werke dazu beitragen sollten, dass jedes Kind motiviert würde, seine eigene kleine Privatbibliothek aufzubauen: All [. . .] efforts should be directed towards encouraging children to build up their own personal library at home, so that their children will grow up in an atmosphere of books.191
Das Vorhandensein einer kleinen Privatbibliothek in jedem Haushalt – welches in Teheran als Endziel einer Politik zugunsten des Kinderbuches definiert wurde – ist dabei als äußerliches, sichtbares Zeichen für den erwünschten inneren Zustand einer Gesellschaft zu deuten, die vom Buch durchdrungen bzw. – um in der UNESCOSprache zu bleiben – book-minded geworden ist. Im Verlauf seines Bestehens hatte sich das Lesematerialienprojekt der UNESCO von einem Programm, dessen Anliegen in der Philosophie der fundamental education, des ersten Bildungsparadigmas der Organisation, verwurzelt war und dessen Entstehung vor dem Hintergrund der sich weltweit intensivierenden Bemühungen zur Überwindung des Analphabetismus zu verstehen ist, zu einem Vorhaben gewandelt, das zum Ziel hatte, den privatwirtschaftlichen Buchhandel zu fördern und zu professionalisieren, die Leserschaft auszuweiten und den Gebrauch des Buches in den südostasiatischen Gesellschaften zu steigern. Diese Zielsetzungen waren eng miteinander verknüpft: Denn erst dort, wo eine genügend große Nachfrage nach dem Medium Buch bestand, konnte ein kommerziell orientierter Buchmarkt entstehen und wachsen; die Bevölkerung Südostasiens konnte jedoch nur dort zu regelmäßigen Lesern geformt werden, wo Bücher vorhanden und zugänglich waren. Im Verlauf der Fokusverschiebung und Neuausrichtung wurde das Lesematerialienprojekt auf der Ebene des Diskurses zunehmend mit wirtschaftlicher und sozialer Modernisierung in direktem Zusammenhang gebracht. Waren Lesematerialien zunächst als Unterstützungsleistung für Alphabetisierungsmaßnahmen konzipiert, wurden in den sechziger Jahren das gedruckte Wort selbst und der für seine Produktion und Distribution zuständige Buchhandel mehr und mehr zu Symbolen von Entwicklung und Modernisierung (v)erklärt: The printed word is the most significant symbol of the modern age. It can also be asserted that one of the main reasons of economic under-development in many parts of the world is the late introduction therein of the printing machine. South Asia, despite its acknowledged contributions to the cultural life of humanity, is one such regions. And, now that the countries of this region are devoting all their energy to their economic and social development, the importance if the printed word has increased beyond measure.192
191 Ebd., S. 19. 192 Akthar Husain: Editorial. In: Information Bulletin on Reading Materials I (1959), H. 1, S. 1.
190
Lektürestoffe für neue Leserschichten
Sowohl diskursiv als auch inhaltlich hatte sich das Lesematerialienprojekt damit einem zentralen Programm des Massenkommunikationssektors der UNESCO genähert, das den Aufbau von Medieninfrastrukturen mit dem Ziel der wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung betrieb. In dieses wurde das Reading Material-Projekt 1966 integriert, ein Prozess, der in Kapitel 7 dieser Arbeit analysiert wird.
5 Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk Im Frühjahr 1949 veröffentlichte die Bibliotheksabteilung der UNESCO das gemeinsam mit der IFLA erarbeitete Public Library Manifesto, eine Charta für die öffentliche Bibliothek1 , die nicht zufällig in Form eines dreiseitigen Prospekts und eines Posters in sechs Sprachen weltweit publiziert wurde2 : Die UNESCO begriff das Manifest als Teil einer globalen Werbekampagne, durch die man auf die Bedeutung des öffentlichen Bibliothekswesens hinweisen wollte.3 Die Funktion öffentlicher Bibliotheken – so ließe sich die Essenz der Bibliothekscharta zusammenfassen – ging darüber hinaus, lediglich »passive Wissenslager«4 zu sein und als Dienstleistungseinrichtung einen auf die Bedürfnisse der allgemeinen Öffentlichkeit ausgerichteten Bestand an Büchern und anderen Medien bereitzuhalten; den Bibliotheken wurde zusätzlich eine aktive Rolle in der (Erwachsenen-) Bildung zugewiesen. Entsprechend waren sie im Public Library Manifesto als demokratische Bildungsagenturen und als »Universitäten für das Volk« charakterisiert: The public library is a product of modern democracy and a practical demonstration of democracy’s faith in universal education as a life-long process. Though primarily intended to serve the educational needs of adults, the public library should also supplement the work of schools in developing the reading tastes of children and young people, helping them to become adults who can use books with appreciation and profit. As a democratic institution, operated by the people for the people, the public library should be: Established and maintained under clear authority of law. Supported wholly or mainly from public funds. Open for free use in equal terms to all members of the community, regardless of occupation, creed, class or race. [. . .] With a well-trained, resourceful and imaginative staff, an adequate budget and public support, a public library can become what it should be – a university of the people offering a liberal education to all comers.5
Das in der Charta fixierte Verständnis von der gesellschaftlichen Funktion der Bibliothek als ein liberaler, allen zugänglicher, öffentlich finanzierter und gesetzlich abge-
1 Der Begriff der öffentlichen Bibliothek wird in dieser Arbeit synonym zu Bücherei verwendet. 2 Vgl. Public Library Manifesto. In: UNESCO Bulletin for Libraries III (1949), H. 7, S. 242 und S. 244. 3 Vgl. Carter: UNESCO’s Library Programs and Work, S. 241. 4 Im englischen Original: »passive storehouses of knowledge«. Jaime Torres Bodet: Foreword. In: J. Periam Danton: Education for Librarianship. Paris: UNESCO 1949 (UNESCO Public Library Manuals. 1), S. V–VI, hier S. V. 5 The Public Library. A Living Force for Popular Education. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/1). Für eine von der UNESCO nicht autorisierte, deutsche Fassung des Manifests vgl.: Die öffentliche Bücherei – eine lebendige Kraft zur Allgemeinbildung. In: Bücherei und Bildung 2 (1950), H. 8, S. 689–691.
192
Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
sicherter Ort der Bildung hatte seine Wurzeln in der Auffassung, die sich von der Rolle der Bibliothek in den vorausgegangenen Jahrzehnten in der westlichen Welt, namentlich im angelsächsischen und skandinavischen Raum, verbreitet hatte und dort (teilweise) auch bereits in die Praxis umgesetzt worden war: Öffentliche Bibliotheken sollten mehr sein als Aufbewahrungsstätten von Büchern und Zugangsmöglichkeiten zur gedruckten Welt, sondern sich darüber hinaus als lokale Kulturzentren und aktive Instanzen der Erwachsenenbildung profilieren. Diese Funktionserweiterung lässt sich besonders gut ablesen an der Integration bis dato ›bibliotheksuntypischer‹, d. h. über die Erfassung, Katalogisierung und Bereitstellung von Büchern, die Anfertigung von Bibliographien und Bücherlisten sowie die Beratung des Lesers hinausgehender Leistungen, wie sie beispielsweise die Veranstaltung von Vortragsreihen und Diskussionsrunden, Konzerten, Ausstellungen sowie Film- und Theateraufführungen darstellten.6 Für die UNESCO bestand die Attraktivität des angelsächsisch-skandinavischen Modells darin, dass in diesem Büchereien als außerschulische Bildungsinstanzen und als Ebenbilder der Demokratie verstanden wurden. Diese Funktionen waren im höchsten Maße kongruent mit den Zielsetzungen und Idealen der noch jungen internationalen Organisation.7 Schon die britische Bibliotheksvereinigung hatte 1946 in einem Memorandum über die Ausrichtung der UNESCO-Programme empfohlen, aufgrund des Beitrages, den public libraries zur Stärkung der Demokratie und der Zivilgesellschaft leisteten, die weltweite Förderung des Bibliothekswesens auf Basis des angelsächsischen Modells zu betreiben.8 Der erste Leiter der Bibliotheksabteilung der UN-Organisation, der Brite Edward Carter, sah das angelsächsisch-skandinavische
6 Vgl. exemplarisch: Alvin Johnson: The Public Library – A People’s University. New York: American Association for Adult Education 1938; The Role of the Library in Adult Education. Papers Presented before the Library Institute at the University of Chicago, August 2–13, 1937. Hrsg. von Luis R. Wilson. Chicago: The University of Chicago Press 1937; William S. Learned: The American Public Library and the Diffusion of Knowledge. New York: Harcourt, Brace and Company 1924. Vgl. die zeitgenössische Kritik an diesem Konzept bei: Robert D. Leigh: The Public Library in the United States. The General Report of the Public Library Inquiry. New York: Columbia University Press 1950, hier insbesondere S. 20–21 und S. 226. Vgl. einführend für die Entwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens in Skandinavien: Lionel R. McColvin: The Chance to Read. Public Libraries in the World Today. 4., überarbeitete Auflage. London: Phoenix House 1957, hier Kapitel 3. Auch in Deutschland gewann die Idee der Bibliothek als Volksbildungsinstanz nach dem Zweiten Weltkrieg erneut an Bedeutung: Vgl. exemplarisch: Johannes Langfeldt: Das öffentliche Büchereiwesen als Grundlage der Volksbildung. In: Bücherei und Bildung 2 (1950), H. 7, S. 492–494. 7 Im Bericht der Vorbereitenden Kommission heißt es: »[The] promotion of popular libraries is at the centre of UNESCO’s purpose.« Preparatory Commission of UNESCO: Supplementary Report. Popular Libraries. Paris 1946 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 3: Preparatory Commission of UNESCO, UNESCO/Prep. Com./L and M-12), S. 2. 8 Vgl. The Place of Libraries in UNESCO. A Memorandum by the Library Association. In: The Library Association Record 48 (1946), H. 1, S. 10–12.
Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
193
Tabelle 4: Indikatoren für die Dominanz der angelsächsischen Bibliothekstradition innerhalb des frühen UNESCO-Bibliotheksprogramms. Autoren der UNESCO (Public) Library Manuals
Leiter der regionalen Bibliothekstagungen
Experten an den Pilotbibliotheken
Großbritannien
4
4
3
Skandinavien
2
1
–
USA
6
1
2
Westeuropa inkl. Frankreich
–
2
2
Sowjetunion
1
–
–
Argentinien
2
–
1
Sonstige
–
3
1
Quelle: Eigene Auswertung und Darstellung. Berücksichtigt wurden alle Bände der Reihe UNESCO (Public) Library Manuals, mit Ausnahme der als Band 3 bis 7 publizierten Berichte der UNESCOBibliothekstagungen. Waren mehrere Autoren an einem Band beteiligt, so wurde dies entsprechend berücksichtigt.
Bibliothekswesen gar als »mächtiges Mittel und Ausdruck antitotalitärer politischer Philosophie«9 . Die Tatsache, dass das in der Charta sich manifestierende UNESCO-Bibliotheksideal erheblich durch die angelsächsische Tradition geprägt wurde, lässt sich auch auf personelle Einflüsse zurückführen: Die verantwortlichen Mitarbeiter – der bereits erwähnte, bis 1957 amtierende Abteilungsleiter Carter und sein US-amerikanischer, insbesondere für die Entwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens zuständige Kollege Everett N. Petersen – waren innerhalb des angelsächsischen Systems sozialisiert worden. Auch die Experten, die die UNESCO als Berater, Seminarleiter oder Autoren unter Vertrag nahm, repräsentierten vor allem in den ersten Jahren vorwiegend die angelsächsische Bibliothekstradition (vgl. Tabelle 4). Es ist in dieser Hinsicht sinnbildlich, dass der US-Amerikaner Emerson Greenaway, der als Leiter der Enoch Pratt Free Library in Baltimore für die Idee der Bibliothek als Bildungsinstanz einstand, mit dem Entwurf des Bibliotheksmanifests beauftragt war.10 Wesen und Aufgaben der öffentlichen Bibliotheken angelsächsischer Prägung entsprachen Bestrebungen und Zielsetzungen der UNESCO, und sie wurden somit
9 Im englischen Original: »powerful vehicle and demonstration of anti-totalitarian political philosophy«. Edward Carter: The Birth of UNESCO’s Library Programmes. In: Med boken som bakgrunn. Festskrift til Harald L. Tveterås. Oslo: Forlagt av Johann Grund Tanum 1964, S. 183–196, hier S. 191. 10 Vgl. Carter: UNESCO’s Library Programs and Work, S. 241; Christine E. King: Emerson Greenaway (1906–1990). In: Dictionary of American Library Biography. Second Supplement. Hrsg. von Donald G. Davis, Jr. Westport: Libraries Unlimited 2003, S. 117–120.
194
Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
zum Modell, für dessen weltweite Implementierung unter Berücksichtigung lokaler Umstände und Erfordernisse sich die UNESCO zukünftig engagieren sollte; oder anders ausgedrückt: der Glauben an die Bibliothek als lebendige Kraft und demokratisches Element von Bildung und Erziehung – im Public Library Manifesto wurde ganz explizit von »UNESCO’s belief in the public library as a force of popular education«11 gesprochen – sollte durch Seminare und Veröffentlichungen verbreitet und in Pilotprojekten unter Beweis gestellt werden.
5.1 Demonstrationen des Potenzials öffentlicher Bibliotheken: Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren Die Umsetzung der im ersten UNESCO-Programm 1947 festgeschriebenen, als sehr allgemein zu charakterisierenden Zielvorgabe, Impulse für die Entfaltung und Weiterentwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens zu setzen, fiel der zuständigen, dem Kultursektor zugeordneten Bibliotheksabteilung zunächst schwer.12 Grund dafür waren vor allem die geringen Haushaltsmittel: In practice it has been found extremely difficult to design realistic programmes that can be carried out within the limited financial resources of UNESCO for the development of public libraries [. . .] This means that UNESCO’s programme must largely be expressed in the somewhat vague terms of public library ›promotion‹. Since UNESCO recognises the great importance of public libraries as an essential cultural service, it is clearly our duty to promote their establishment and assist their development. We have, to put it simply, to sell the public libraries idea: but selling an idea to a world wide market is neither simple nor cheap. Imagine for a moment what resources a commercial organization would command that wished to sell, let us say, a toothpaste to a world market; they would probably think it necessary to put as much money into its promotion as UNESCO possesses in its budget for the development of education, science and culture in all fields throughout the world. Clearly we cannot work on that scale.13
Angesichts des schmalen Budgets14 erschien es unmöglich, einen direkten Beitrag zur Entwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens zu leisten. Daher setzte die UNESCO
11 The Public Library. A Living Force for Popular Education, Hervorhebungen durch die Verfasserin. 12 Vgl. 1 C/Records, Appendix: The Programme of UNESCO for 1947, as Approved by the Executive Board at Its Second Session (April 1947), S. 273–274. 13 E. J. Carter: UNESCO and Public Libraries. Paper Read to the UNESCO Summer School for Public Librarians. Paris 1948 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Conf. 2/5), S. 3–4. Ähnlich auch: ders.: UNESCO’s Library Programs and Work, S. 240. 14 1948 umfasste der Gesamtetat der Bibliotheksabteilung 175.792 US-Dollar, wovon knapp die Hälfte für Gehälter des fest angestellten Personals veranschlagt war; der Etat der Library of Congress betrug im selben Zeitraum etwas weniger als 8,7 Millionen US-Dollar. Vgl. Budget Estimates for the Financial Year 1948 and Information Annex. Presented to the Second Session of the General Conference at Mexico City. November–Dezember 1947. Paris 1947, S. 42–43; Annual Report of the Librarian of Congress. For the Fiscal Year Ending June 30, 1948. Washington, D.C.: United States Government Printing Office 1949, S. 103.
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zunächst darauf, durch Publikationen auf das Potenzial öffentlicher Bibliotheken hinzuweisen.15 1948 begann man mit den Planungen zu einer umfangreichen Schriftenreihe, in der Grundlagen der Bibliotheksarbeit vorgestellt wurden: 1949 und 1950 erschienen die ersten Bände der UNESCO Public Library Manuals, einer Reihe, die bis 1970 auf insgesamt siebzehn Bände anwachsen sollte. Die ersten drei Titel beschäftigten sich mit Fragen der Bibliothekarausbildung, der Ausweitung bibliothekarischer Angebote in ländlichen Regionen sowie mit Erwachsenenbildungsangeboten in Bibliotheken. Die Bände waren damit Themen gewidmet, die die UNESCO-Bibliotheksabteilung in den nachfolgenden Jahren immer wieder aufgreifen sollte.16 Im Mittelpunkt des publizistischen Werbefeldzuges für die Institution Bibliothek stand – wie bereits dargestellt – die massenhafte Verbreitung des Public Library Manifesto; zusätzlich wurden im hauseigenen UNESCO Bulletin for Libraries neben Berichten über eigene Projekte auch Artikel veröffentlicht, in denen bibliothekarische Initiativen vorgestellt wurden, die dem Bibliotheksmanifest entsprachen.17 Auch die 1948 gemeinsam mit der IFLA durchgeführte Sommerschule, an der in Manchester und London gut fünfzig Bibliothekare aus zwanzig, vorwiegend europäischen Staaten teilnahmen, kann als Strategie zur Verbreitung des Bibliotheksideals verstanden werden. Indem die Pariser Organisation Bibliothekare in Leitungsposition zusammenkommen ließ, um über die Rolle der Bibliothek als Bildungsinstanz und als Katalysator internationaler Verständigung zu diskutieren, setzte sie auf das Prinzip der Meinungsführerschaft: Man hoffte, dass die Teilnehmer in ihren Heimatländern als Botschafter aufträten und Projekte zur bibliothekarischen Entwicklung initiierten.18 Auch wenn die Bewertung der ersten Großveranstaltung gemischt ausfiel – kritisiert wurden insbesondere das unpräzise Thema und die Seminartechnik, die kaum Platz für Diskussionen ließ – hielt man innerhalb der UNESCO-Bibliotheksabtei-
15 Vgl. Luther H. Evans: UNESCO Work and Method Illustrated by the Library Programs. In: International Aspects of Librarianship. Papers Presented before the Eighteenth Annual Conference of the Graduate Library School of the University of Chicago. Hrsg. von Leon Carnovsky. Chicago: The University of Chicago Press 1954, S. 12–21, hier insbesondere S. 15. 16 Vgl. Danton: Education for Librarianship; Lionel R. McColvin: Public Library Extension. Paris: UNESCO 1950 (UNESCO Public Library Manuals. 2); Carl Thomson/Edward Sydney/Miriam D. Tomkins: Adult Education Activities for Public Libraries. Paris: UNESCO 1950 (UNESCO Public Library Manuals. 3). 17 Vgl. beispielhaft: Ba Wan: Rural Library Service in Burma. In: UNESCO Bulletin for Libraries VII (1953), H. 5/6, S. E59–E61; C. K. Morison: Library Extension in British Colombia, Canada. In: UNESCO Bulletin for Libraries X (1956), H. 2/3, S. 31–33. 18 Vgl. Evaluation of the Summer School for Librarians Organized in 1948. Paris 1949 (UNESCO-Dokument: 4 C/PRG/3); Everett N. Petersen: UNESCO and Public Libraries. In: Library Trends 1 (1952/1953), S. 531–541, hier insbesondere S. 533.
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lung an der Veranstaltung von Konferenzen fest.19 1950 fand an der Stadtbibliothek im schwedischen Malmö eine zweite internationale UNESCO-Konferenz statt. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stand die Rolle der öffentlichen Bibliothek in der Erwachsenenbildung. In drei Arbeitsgruppen sollten die Durchführung von Bildungsprogrammen innerhalb der Bibliothek, der Einsatz audiovisueller Techniken sowie Probleme und Schwierigkeiten beim Aufbau öffentlicher Bibliotheken in unterentwickelten Ländern diskutiert werden. Im Gegensatz zur Sommerschule, für die man die Teilnehmer gebeten hatte, kurze Studien zur Situation des Büchereiwesens in ihren jeweiligen Ländern zu verfassen, beauftragte das UNESCO-Sekretariat dieses Mal externe Spezialisten mit der Erstellung von Arbeitsdokumenten, welche zusammen mit dem Tagungsbericht publiziert werden sollten. Auf diese Weise hoffte man die Breitenwirkung einer Veranstaltung zu gewährleisten, die auf wenige Dutzend Teilnehmer beschränkt blieb: UNESCO feels that the expensive seminar technique is justified only if the impact of the meeting extends considerably beyond the participants. We therefore usually consider a seminar a sort of production centre for written material which can help hundreds or perhaps thousands of people not at the meeting [. . .] The purpose of the seminar [. . .] is ›To study and discuss library adult education techniques methods, policies and programmes with a view to stimulating the development of library educational services in all Member States‹ [. . .] People at the seminar can get stimulation orally, but those not present will have to rely on published reports. A record of the group thinking and individual work on the various seminar topics would, it seems to me, be one of the most useful things that could come out of the seminar. The clearest case for this is obviously the third group’s subject, on which very little has been written with direct reference to underdeveloped countries. People in these areas are eager for realistic documents.20
In diesem Schreiben des UNESCO-Mitarbeiters Petersen wird nicht nur deutlich, welche Effekte sich die Pariser Organisation von der Ausrichtung internationaler Konferenzen und der bis heute üblichen Erstellung von Arbeitspapieren und Tagungsberichten versprach, er lässt auch bereits den zukünftigen Fokus der Bibliotheksprogramme erkennbar werden: die Konzentration auf das öffentliche Bibliothekswesen in den sogenannten Entwicklungsländern.
19 Vgl. Over-All Report of Impressions of the UNESCO-IFLA International Summer School for Librarians. 1948 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 02 A 073 (41–4) »48«, Part II); E. J. Carter: Report of the UNESCO/IFLA International Summer School for Librarians, o. D. [etwa 1948] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 02 A 073 (41–4) »48«, Part II). Vgl. ausführlich zur Sommerschule: Parker: UNESCO and Library Development Planning, S. 121–124. 20 E. N. Petersen an Cyril Houle am 20.4.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 02 A 074 (485) 50, Part II). Die wichtigsten Ergebnisse und Dokumente der Malmöer Tagung wurden im Band 4 der UNESCO Public Libraries Manuals veröffentlicht: Cyril O. Houle: Libraries in Adult and Fundamental Education. The Report of the Malmö Seminar. Paris: UNESCO 1951 (UNESCO Public Library Manuals. 4).
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5.1.1 Modellbibliotheken als Impulsgeber für die bibliothekarische Entwicklung in der Dritten Welt Während in den vierziger Jahren vor allem der Wiederaufbau von Bibliotheken im kriegszerstörten Europa das Engagement der UNESCO prägte, verschob sich der Schwerpunkt spätestens im Anschluss an das Malmö-Seminar endgültig auf die unterentwickelte Welt, die in den Augen der Pariser Organisation an einem eklatanten Mangel an Büchereien litt: Whole countries occupied by millions of people have not only public library worthy of the name, few trained librarians, no library schools, no library literature nor ›tools‹ in the language of the country, no library associations, and few publications with the common people can read.21
Die Begründung für diese Schwerpunktsetzung entsprach derjenigen der UNESCOBildungsprogramme: Die Kluft, die zwischen den Bildungsmöglichkeiten in den Ländern der westlichen Welt und den unterentwickelten Regionen bestand, sollte verringert und zu diesem Zweck das Bibliothekswesen als Teil der nationalen Bildungsinfrastruktur ausgebaut werden. Indem öffentliche Bibliotheken nicht zuletzt im Public Library Manifesto als Bildungsinstanzen charakterisiert wurden, konnten Bibliotheksprojekte in Entwicklungsländern ab 1952 auch durch Mittel des UN-Programms zur technischen Zusammenarbeit EPTA finanziert werden.22 Diese sich durch das UN-Programm eröffnenden Finanzierungsmöglichkeiten mögen die Konzentration auf Fragen der Entwicklung des Büchereiwesens in den Ländern Afrikas, Asiens, des Nahen Ostens und Lateinamerikas befördert haben. Die UNESCO war nicht die erste Institution, die sich um den Aufbau bibliothekarischer Infrastrukturen in Entwicklungsländern bemühte. Bereits in den späten zwanziger Jahren hatte die US-amerikanische Carnegie Corporation ihr philanthropisches Engagement zugunsten bibliothekarischer Einrichtungen über die Vereinigten Staaten hinaus ausgedehnt.23 Experten wurden unter anderem ins südliche Afrika und nach Kenia geschickt, wo sie Studien über das dortige Bibliothekswesen anfertigten und Vorschläge für dessen Weiterentwicklung erarbeiteten. In der Hoffnung, dass die
21 Petersen: UNESCO and Public Libraries, S. 532. 22 Vgl. Edward Carter: Memorandum »Possible Extension of CREFAL Project« vom 27.8.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part IX); 7 C/Resolutions, Transfer of Certain Library Projects to the Technical Assistance Programme, S. 53. 23 Vgl. zur Bedeutung der Carnegie Libraries für die Entwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens in den Vereinigten Staaten und weltweit: George S. Bobinski: Carnegie Libraries. Their History and Impact on American Public Library Development. Chicago: American Library Association 1969; Maxine K. Rochester: American Philanthropy Abroad: Library Program Support from the Carnegie Corporation of New York British Dominions and Colonies Fund in the 1920s and 1930s. In: Libraries & Culture 31 (1996), H. 2, S. 342–363.
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lokalen Autoritäten von der Bedeutung von Bibliotheken überzeugt werden könnten und deren weitere Finanzierung übernähmen, wurden einige dieser Bibliotheksentwicklungspläne durch Zuwendungen der Carnegie Corporation umgesetzt. So richtete diese beispielsweise Mitte der dreißiger Jahre im heutigen Botsuana sieben kleine Büchereien ein, die vor allem die ländliche Bevölkerung mit Lesematerialien versorgen sollten. Auch in der Karibik wurde im Auftrag der US-Stiftung ein Konzept zur regionalen Bibliotheksentwicklung erarbeitet und durch die Gründung der Trinidad Central Library teilweise auch implementiert.24 Nachdem sich die Carnegie Corporation während des Zweiten Weltkrieges aufgrund finanzieller Probleme aus ihren Übersee-Projekten zurückgezogen hatte, trat das British Council vielerorts an ihre Stelle.25 Im Rahmen der reformierten britischen Kolonialpolitik, die durch wohlfahrtsstaatliche Projekte im Kultur-, Sozial- und Bildungsbereich die koloniale Herrschaft neu zu legitimieren suchte26 , bemühte sich das British Council ab Mitte der vierziger Jahre um eine Verbesserung der bibliothekarischen Dienstleistungen in den Kolonien. Als Weiterführung des Carnegie-Projekts finanzierte das Kulturinstitut in der Karibik die Einrichtung zweier Bibliothekssysteme.27 Auch in Ost- und Westafrika zielte die Strategie des British Council darauf, eine Infrastruktur zu errichten, die nicht nur die einheimische Bevölkerung in den Städten, sondern mithilfe von Fahrbüchereien bzw. Postversand auch das Hinterland adäquat mit Büchern versorgte: In den ostafrikanischen Territorien wurde diese Aufgabe dem East African Literature Bureau übertragen, während in Nigeria und Ghana britische Bibliothekare im Auftrag des Council nach einer vorausgegangenen Bedarfsanalyse ein an die spezifischen lokalen Bedingungen angepasstes Konzept entwickelten und implementierten, um so ein flächendeckendes Angebot bibliothekarischer Dienste für die Gesamtbevölkerung sicherzustellen.28 Die Aktivitäten der Carnegie Corporation und des British Council sind Beispiele für frühe Bestrebungen, das Bibliothekswesen in Entwicklungsländern durch finanzielle Zuwendungen und Transfer von Expertise zu stimulieren. Der Kreis der Institutio-
24 Vgl. ausführlich zum Engagement der Carnegie Corporation: Parker: UNESCO and Library Development Planning, Kapitel 3. 25 Vgl. Douglas Coombs: Spreading the Word. The Library Work of the British Council. London, New York: Mansell Publishing Limited 1988, S. 73–113; Gary Kraske: The British Council Libraries Abroad. A Modern Contribution to International Librarianship. In: Libri 30 (1980), S. 295–306. 26 Vgl. Sieberg: Colonial development. 27 Vgl. P. C. C. Evans: Libraries and Nationhood. In: The Library World 13 (1962), S. 323–328; Alma Jordan: Public Libraries in the British Caribbean. Part I. In: Library Review 34 (1964), H. 2, S. 143–162; Jennifer M. Joseph/Claudia Hill: From Then ’Till Now: The Development of Rural Library Services in Trinidad and Tobago. In: Caribbean Libraries in the 21st Century. Hrsg. von Cheryl Peltier-Davis und Shamin Renwick. Medford: Information Today 2007, S. 3–16. 28 Vgl. Anthony Olden: Libraries in Africa. Pioneers, Policies, Problems. Lanham, London: The Scarecrow Press 1995, hier insbesondere Kapitel 5.
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nen, die die bibliothekarische Entwicklung in Afrika, Asien, dem Nahen Osten sowie Lateinamerika förderten, erweiterte sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg: Neben der UNESCO traten vor allem die Ford- und Rockefeller-Stiftung sowie die Regierungen der Vereinigten Staaten und der skandinavischen Länder als Bibliotheksförderer hervor.29 Auf regionaler Basis engagierte sich die Organisation Amerikanischer Staaten für eine Verbesserung der bibliothekarischen Infrastruktur in Mittelund Südamerika.30 Innerhalb der UNESCO war der Aufbau von BIbliotheken in Entwicklungsländern zunächst sehr eng mit dem Elementarbildungsansatz verknüpft. Die Notwendigkeit, kürzlich Alphabetisierte in einem literarischen Umfeld zu sozialisieren, ließ nicht nur die Produktion von Lesematerialien für Neuliteraten, sondern auch die Gründung von Bibliotheken und Leseräumen zu einer prioritären Aufgabe werden.31 In der Anfangsphase setzte die UNESCO darauf, bibliothekarische Dienstleistungen zusammen mit anderen Bildungsangeboten für Neuliteraten unter dem Dach eines lokalen Gemeinschaftszentrums zusammenzuführen – ein Konzept, das die französische Bibliothekarin Yvonne Oddon im Rahmen des ersten Fundamental Education-Projekts im haitianischen Marbial umzusetzen versuchte.32 Auch in den regionalen Elementarbildungszentren in Mexiko und Ägypten wurden Wege ausgelotet, wie die ländliche Bevölkerung am besten mit Büchern zu versorgen war.33 Diese ersten Initiativen boten wegen ihrer Einbindung in die Elementarbildungsprogramme und der daraus resultierenden Beschränkung auf eine bildungsschwache, meist auf dem Land lebende Zielgruppe allerdings nicht die Möglichkeit, einen im Sinne des Manifests ganzheitlichen Bibliotheksservice für alle Bevölkerungsgruppen aufzubauen.34 Edward Carter erläuterte seinen Kollegen aus dem Bildungssektor: »Our
29 Vgl. Carl M. White: Acceleration of Library Development in Developing Countries. In: Advances in Librarianship. Volume 1. Hrsg. von Melvin J. Voigt. New York, London: Academic Press 1970, S. 241–285. Kritisch und als bibliothekarischen Kolonialismus sieht Amadi den Transfer westlicher Bibliothekskonzeptionen nach Afrika: Adolphe O. Amadi: African Libraries. Western Tradition and Colonial Brainwashing. Metuchen, London: The Scarecrow Press 1981. 30 Vgl. einführend: Marietta Daniels Shepard: The Inter-American Programme of Library and Bibliographic Development of the Organization of American States. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXI (1967), H. 5/6, S. 249–253. 31 Vgl. Edward Carter: Memorandum »Library Development and Fundamental Education« vom 6.2.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 375:02). 32 Vgl. Fundamental Education. A Description and Programme, S. 40–43. 33 Vgl. ASFEC Library Programme. In: UNESCO Bulletin for Libraries VIII (1954), H. 11/12, S. E129– E131; New Horizons at Tzentzenhuaro, Kapitel 4. 34 Vgl. Edward Carter: Patzcuaro Centre. Demonstration of Public Library Services, o. D. [etwa Februar 1952] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part IX).
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obligations [. . .] cannot be fulfilled by a library directed exclusively to neo-literates or exclusively to a rural population.«35 Vor diesem Hintergrund entstand im Verlauf des Jahres 1949 ein Projekt, dessen Zielsetzung zwar mit dem Elementarbildungsansatz in Einklang stand, das aber unabhängig von den Aktivitäten des Bildungssektors lanciert wurde und auf eine Versorgung einer heterogenen Leserschaft mit bibliothekarischen Angeboten zielte: Die vierte Generalversammlung (1949, Paris) stimmte dem Aufbau einer modernen, im Sinne des Manifests organisierten öffentlichen Bücherei zu, welche als Modell das Potenzial bibliothekarischer Einrichtungen demonstrieren sollte.36 Insbesondere in Gegenden, in denen keine Bibliotheken existierten – so lautete die Begründung für das Pilotvorhaben – reichte eine ausschließlich verbal argumentierende Kampagne nicht aus, um den Aufbau eines öffentlichen Bibliothekssystems im Sinne des Manifests anzuregen; vielmehr müsste die Wirksamkeit und die Bedeutung von Büchereien als demokratische Bildungsinstanzen vorgeführt und veranschaulicht, mithin erfahrbar gemacht werden.37 Bereits 1915 hatte der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Alvin Johnson der Carnegie Corporation empfohlen, durch Modell- bzw. Demonstrationsbüchereien die bibliothekarische Entwicklung in Gang zu setzen: Public library service is still so new, and its possibilities so far from definition, that much profit might be derived from the establishment of a limited number of model libraries [. . .] There is especial need for such libraries in the South [gemeint sind die südlichen Bundesstaaten der USA, CL], to demonstrate to a more or less indifferent public the value of library development.38
Über vierzig Jahre später zeigte sich Everett Petersen von diesem Ansatz gleichermaßen überzeugt: »[I]t is with the individual library that development usually begins.«39 Die Ende der vierziger Jahre entwickelte und das folgende Jahrzehnt prägende Strategie zur Förderung des öffentlichen Bibliothekswesens kam den internen Bedürfnissen der noch jungen Pariser Organisation entgegen, die sich dem Vorwurf geringer praktischer Relevanz zunehmend ausgesetzt sah. Der Aufbau von Pilotbibliotheken bot die Möglichkeit, trotz beschränkter finanzieller Mittel innerhalb kurzer Zeit nachweisbare Resultate zu erzielen und die eigene Bedeutung damit unter Beweis zu stellen.40
35 Edward Carter: Memorandum »Public Library Project in Latin America« vom 19.2.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031, Part IX). 36 Vgl. 4 C/Resolutions, Res. 6.5112. 37 Vgl. Access to Books, S. 5. 38 Alvin S. Johnson: A Report to Carnegie Corporation of New York on the Policy of Donations to Free Public Libraries. New York: Carnegie Corporation [1919], S. 66. Der Bericht wurde 1915 vorgelegt, aber erst 1919 veröffentlicht. 39 E. N. Petersen an C. Houle am 1.6.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 02 A 074 (485) 50, Part III). 40 Vgl. Jones: International Policies for Third World Education, S. 65.
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In Zusammenarbeit mit den Regierungen der betreffenden Länder leitete die UNESCO die Gründung von insgesamt vier Modellbibliotheken in die Wege. Die erste dieser Vorzeigebüchereien wurde 1951 in Delhi, Indien, eröffnet. Es folgte die Einweihung gleichartiger Institutionen drei Jahre später im kolumbianischen Medellín und 1957 in Enugu, der Hauptstadt Ostnigerias. Als Nachzügler wurde 1963 in Abidjan an der französischsprachigen Elfenbeinküste die letzte der vier von der UNESCO teilfinanzierten Pilotbüchereien eröffnet. Sie erhielt vonseiten der Pariser Organisation eine viel geringere Unterstützung als ihre älteren Schwesterinstitutionen und wird aus diesem Grunde in dieser Arbeit nicht ausführlich analysiert.41 Die regionale Verteilung der bibliothekarischen Demonstrationsprojekte auf Asien, Lateinamerika, das englisch- sowie französischsprachige Afrika verweist auf ein weiteres, zentrales Kennzeichen der UNESCO-Bibliothekspolitik: Fragen der Bibliotheksentwicklung wurden nicht mehr wie in Manchester und Malmö global, sondern regional erörtert. Die Aufteilung der unterentwickelten Welt in einzelne, mittels geographischer und/oder linguistischer Kriterien voneinander abgegrenzter Regionen und deren separater Bearbeitung war die Verfahrensweise, die sich nicht nur innerhalb der UNESCO, sondern allgemein im gesamten UN-System durchzusetzen begann: Probleme und Herausforderungen der gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung sollten regional in Angriff genommen werden, wobei üblicherweise zwischen Asien, dem arabischen Raum, Afrika südlich der Sahara (mitunter differenziert in einen englisch- und französischsprachigen Teil, während der lusophone meist vergessen wurde) sowie Lateinamerika inklusive der Karibik unterschieden wurde. Die UNESCO konzipierte ihre Bibliothekstagungen fortan nicht mehr als internationale, sondern als regionale Veranstaltungen. Der Auftakt zu einer ersten Reihe regionaler Bibliothekskonferenzen fand im Herbst 1951 in São Paulo statt, wo Regierungsvertreter, Bibliothekare und ausländische Experten die Lage des öffentlichen Bibliothekswesens analysierten. Zwei Jahre später wurde im nigerianischen Ibadan die Lage der öffentlichen Bibliotheken in Afrika diskutiert; 1955 folgte die korrespondierende Tagung für Asien in Delhi. Den Abschluss dieses ersten Konferenzzyklus bildete die 1959 in Beirut durchgeführte Regionaltagung für den arabischen Raum.42 Die Durchführung regionaler Seminare flankierte die vom UNESCO-Experten Edward Sydney als »development by demonstration«43 beschriebene, als universell gültig erachtete, aber regional implementierte Strategie, die die UNESCO zur
41 Vgl. zur Modellbücherei in Abidjan: Suzanne Delrieu: Bibliothèque-pilote en Côte d’Ivoire. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: AT/IVORAC/1); dies.: The Ivory Coast Central Library: A UNESCO Pilot Project. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVIII (1964), H. 5, S. 201–206. 42 Vgl. die Übersicht der UNESCO-Bibliothekstagungen in der Dokumentation F. 43 Edward Sydney: Delhi Public Library Pilot Project. In: The Library Association Record 54 (1952), H. 2, S. 44–51, hier S. 45.
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Förderung des öffentlichen Bibliothekswesens in den fünfziger Jahren schwerpunktmäßig verfolgte. Im Zentrum stand der Aufbau von Modellbibliotheken, die als regionale »Brennpunkte und zugleich Ausstrahlungszentren der bibliothekarischen Entwicklung«44 konzipiert waren. Sie sollten unter Beweis stellen, dass die öffentliche Bibliothek, wie sie im Manifest beschrieben stand, eine Institution war, die sich in alle Regionen transportieren und an unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen anpassen ließ, unabhängig vom Grad der (wirtschaftlichen) Entwicklung des jeweiligen Landes.45 Ein Modell für den ganzen Kontinent: Die UNESCO-Pilotbibliothek in Delhi, Indien Ausgangspunkt für die Entstehung des Modellbibliothekkonzepts war ein vom indischen Bibliothekspioneer Shiyali Ramamrita Ranganathan46 initiierter Antrag der indischen Delegation, in dem die UN-Organisation um Unterstützung beim Aufbau einer öffentlichen Bücherei in dem gerade unabhängig gewordenen Land ersucht wurde.47 Die UNESCO-Bibliotheksabteilung griff dieses Anliegen auf und arbeitete es zu einem Pilotprojekt aus. In einem internen Memorandum hieß es im Februar 1949: The proposed project would be a demonstration of modern public library services in an urban area of a country where development of such services has been retarded [. . .] The principles of operation would be those already in effect in the best public libraries; the ›pilot‹ element would be in the new application of appropriate techniques to solve a public library problem common to many parts of the world.48
44 Joachim Wieder: Die UNESCO und die internationale Zusammenarbeit im Buch- und Bibliothekswesen. In: Nachrichten für die wissenschaftlichen Bibliotheken 6 (1953), S. 226–255, hier S. 237. 45 Im Bibliotheksprogramm für das Jahr 1948 wurde zwar die Existenz eines in allen Ländern implementierbaren Bibliothekssystems negiert, zugleich aber die universelle Gültigkeit der (westlichen) Bibliotheksphilosophie proklamiert: »There is no one universally applicable public library system: each country must develop its own system in relation to its cultural inheritance and the distribution of its population, its industrial, economic and social conditions, and even its climate and geography. Although there is no one universally applicable system, there is a philosophy of public library service which underlies the operation of successful public libraries in the few countries which have had public libraries working successfully for many years.« UNESCO’s Public Libraries Programme 1948. Paris 1947 (UNESCO-Dokument: 2C/38), S. 1. 46 Shiyali Ramamrita Ranganathan (1892–1972) gilt als einer der bedeutendsten indischen Bibliothekare. Vor allem seine Arbeiten zur Klassifikationstheorie waren von weitreichendem Einfluss. Vgl. M. A. Gopinath: Ranganthan, Shiyali Ramamrita. In: Encyclopedia of Library and Information Science. Band 25: Publishers and the Library to Rochester, University of. Hrsg. von Allen Kent, Harold Lancour und Jay E. Daily. New York, Basel: Marcel Dekker 1978, S. 58–86. 47 Vgl. Evans: UNESCO Work and Method Illustrated by the Library Programs, S. 21; C. S. Krishnamurth/Virendra Kumar: Delhi. In: Free Book Service for All. An International Survey. Hrsg. von S. R. Ranganathan, A. Neelameghan und A. K. Gupta. Bombay u. a.: Mysore Library Association, Asia Publishing House 1968 (Ranganathan Series in Library Science. 21; Mysore Library Association Series. 3), S. 75–80, hier S. 76. 48 Proposed Public Libraries Pilot Project. Summary Minutes of Meeting, 7.2.1949 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part I).
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Bereits vor der im September und Oktober in Paris stattfindenden Generalkonferenz nahm das Sekretariat Verhandlungen mit indischen Regierungsvertretern auf und trieb die Planungen für das Pilotvorhaben voran, sodass im November 1949, also kurz nach der offiziellen Genehmigung des Projekts durch das Plenarorgan, ein vorläufiges Abkommen unterzeichnet werden konnte, das die Verantwortlichkeiten beider Parteien fixierte.49 Während der Haushalt der Bibliothek und somit die Kosten für Gebäude, Personal und den Erwerb von Büchern und audiovisueller Medien im Wesentlichen durch Zuwendungen der indischen Regierung bestritten werden sollte, bestand der Beitrag der UNESCO darin, den professionellen Aufbau der Bibliothek durch den Einsatz ausländischer Experten sicherzustellen und dem einheimischen Führungspersonal eine Weiterbildung im angelsächsischen Raum zu ermöglichen.50 Im Rahmen ihres von Anfang an auf fünf Jahre begrenzten Engagements stellte die Pariser Organisation außerdem Gelder bereit, mit denen Bücher, ein Bücherbus, die Evaluation der Einrichtung und in der Anfangsphase auch das Gehalt des Direktors bezahlt wurden. In den ersten fünf Jahren des Bestehens der Delhi Public Library trug die UNESCO insgesamt gut ein Drittel der Gesamtkosten. Die Aufteilung der (finanziellen) Verantwortlichkeiten zwischen Regierung und UN-Organisation, die in dieser Art und in diesem Verhältnis auch bei den anderen Pilotvorhaben zu finden war, muss zwar auch im Zusammenhang mit dem geringen Budget der UNESCO gesehen werden, sie war vor allem aber als konsequente Umsetzung eines der Grundprinzipien des Bibliotheksmanifests zu verstehen: Öffentliche Bibliotheken sollten hauptsächlich durch öffentliche Mittel finanziert werden.51 Bibliotheken gab es auf dem indischen Subkontinent Ende der vierziger Jahre durchaus. Der UNESCO-Experte Frank Gardner bezifferte ihre Zahl auf gut vierhundert, von denen die Mehrheit Universitäts- und Spezialbibliotheken waren.52 Zwar existierten vor allem in den größeren Städten – so auch in der indischen Hauptstadt Delhi, die
49 Vgl. zu den Planungen für die Modellbücherei im Vorfeld der vierten Generalkonferenz beispielhaft: S. Ranganathan: Pilot Public Library Scheme by UNESCO, Juli 1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part I). 50 Das zunächst provisorische Abkommen vom November 1949 wurde mit Ergänzungen im Mai 1951 endgültig unterschrieben. Vgl. die Abschriften der Abkommen zwischen der UNESCO und der indischen Regierung bei: Edward Sydney: Delhi Public Library Pilot Projct. December 23rd 1950 – June 30th, 1951. Report of the Advisory Director. Juli 1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61 187), Annex A und C. 51 Vgl. Edward Carter an Willard W. Beatty am 19.2.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 31, Part IX). 52 Vgl. Frank M. Gardner: The Public Library in Adult Education. An Account of the UNESCO-Government of India Delhi Public Library Project, o. D. [etwa 1952] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61 187 Gardner).
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Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
die Regierung als Sitz der Modellbibliothek ausgewählt hatte53 – Institutionen, die dem Namen nach eine public library, also eine öffentliche Bibliothek waren, nach Einschätzung Gardners aber nicht als modern bezeichnet werden konnten, da sie nicht im Sinne des Manifests organisiert waren: Sie wurden in der Regel von politischen oder religiösen Einrichtungen oder von Privatpersonen auf Subskriptionsbasis betrieben; die Bücher waren für die Nutzer nicht offen zugänglich.54 Schon vor der Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich war in Indien eine in der Forschung als library movement bezeichnete Initiative entstanden, die sich für den Ausbau der Bibliothekslandschaft einsetzte und in Ranganathan ihren prominentesten und machtvollsten Fürsprecher fand. Seine fünf Thesen zur Organisation des öffentlichen Bibliothekswesens können als Vorläufer des UNESCO-Manifests gelesen werden, deklarieren sie doch, dass der Wert der Bibliothek nicht in der Konservierung [. . .], sondern in der Benutzung zu sehen ist, nicht im beschränkten Gebrauch durch wenige Auserwählte, sondern in unbeschränkter Benutzung für alle.55
Voraussetzungen für Wachstum und Professionalisierung des Bibliothekswesens waren mit der Gründung der All India Public Library Association 1919, dem Erscheinen von Fachzeitschriften wie dem Indian Librarian sowie der Eröffnung von Bibliotheksschulen an insgesamt sechs indischen Universitäten bereits geschaffen.56 Auch die Politik begann, sich der Verbesserung des Bibliothekswesens anzunehmen: In den vierziger Jahren entstanden in einigen Provinzen, etwa in Punjab und Cochin, im Rahmen von Alphabetisierungsmaßnahmen sogenannte village libraries; das erste Bibliotheksgesetz Indiens wurde 1948 im Bundesstaat Madras erlassen; zwei Jahre zuvor hatte Ranganathan eine erste Fassung eines ambitiösen Entwicklungsplanes für das indische Bibliothekswesen vorgelegt.57 Die Situation, um durch den Aufbau einer Demonstrationsbücherei der bibliothekarischen Entwicklung Indiens weitere Impulse zu geben, schien besonders günstig, und der politische Wille, zum Wachstum des Bibliothekswesens beizutragen, wurde im ersten Fünfjahresplan (1951–1956)
53 Vgl. M. S. Adiseshiah an E. J. Carter am 11.7.1949 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part I). 54 Vgl. Frank M. Gardner: The Public Library in Adult Education. An Account of the UNESCO-Government of India Delhi Public Library Project, o. D. [etwa 1952] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61 187 Gardner). 55 S. R. Ranganathan: Einige Gedanken zum öffentlichen Bibliothekswesen. In: Bücherei und Bildung 2 (1949), H. 1, S. 5–10, hier S. 5. Vgl. ebenso die 1931 erstmalig erschienenen Gesetze zur Bibliothekswissenschaft: Ders.: The Five Laws of Library Science. Madras, London: The Madras Library Association, Blunt and Sons 1957. 56 Vgl. Anis Khurshid: Library Education in South Asia. In: Libri 20 (1970), S. 59–76, hier S. 63. 57 Vgl. S. R. Ranganathan: Library Development Plan. Thirty-Year Programme for India with Draft Library Bills for the Union and the Constituent States. Delhi: University of Delhi 1950.
Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren
205
manifest, in dem die Einrichtung eines öffentlichen Bibliothekssystems als Ziel deklariert wurde.58 Trotz dieser günstigen Stimmungslage verging nach der Unterzeichnung des Abkommens gut ein Jahr, bis mit dem eigentlichen Aufbau der Bibliothek begonnen werden konnte. Diese auch bei den anderen Pilotbibliotheken auftretenden Verzögerungen in der Projektimplementierung waren teils auf bürokratische Prozesse innerhalb der Mitgliedsstaaten zurückzuführen, wurden teils aber auch durch langwierige Abstimmungen zwischen UNESCO und den nationalen Regierungen bedingt: Der zukünftige Direktor für die Bibliothek musste ausgewählt und ein passendes Gebäude gefunden werden; auch war die Finanzierung aus dem öffentlichen Haushalt sicherzustellen. Die Pariser Organisation sah sich zudem vor die nicht leichte Aufgabe gestellt, einen Experten ausfindig zu machen, der fähig und bereit war, als Interimdirektor den Aufbau der Bibliothek in die Wege zu leiten.59 Mit Edward Sydney, Direktor der Bezirksbibliothek im britischen Leyton, gewann die UNESCO schließlich einen der wenigen europäischen Bibliothekare, die bereits Erfahrung beim Aufbau bibliothekarischer Einrichtungen in unterentwickelten Ländern vorweisen konnten: Sydney hatte im Auftrag des British Council ein Konzept zur bibliothekarischen Entwicklung in der Karibik erarbeitet.60 Der Bibliothekar kam im Dezember 1950 nach Delhi, um – in Abwesenheit des designierten indischen Direktors Raj Kalia, der sich auf UNESCO-Studienreise in den Vereinigten Staaten befand – die Gründung der Bibliothek voranzutreiben. Zu Sydneys Aufgaben gehörte es, die zur Verfügung gestellten, zuvor als Büro genutzten Räumlichkeiten so umzubauen, dass sie einen bibliothekarischen Betrieb ermöglichten, die Einrichtung in Auftrag zu geben, den Einkauf von Büchern zu organisieren, erstes Personal zu rekrutieren sowie die Einsetzung des Büchereiausschusses, des sogenannten Library Board, zu veranlassen.61 Diesem aus Mitgliedern der nationalen und lokalen Regierung sowie zwei Repräsentanten der UNESCO bestehenden Leitungsgremium oblag es, die Entwicklung der Bibliothek zu beaufsichtigen, ihren Direktor zu ernennen und den Haushalt zu verabschieden. Das Library Board war in seinen Funktionen der gleichnamigen Instanz nachempfunden, die auf der britischen Insel und zum Teil auch in den USA die Geschicke der lokalen Büchereien lenkte; allerdings unterstand es im Indien auf-
58 Vgl. zur Entwicklung des öffentlichen Bibliothekswesens in Indien: Jogesh Misra: History of Libraries and Librarianship in Modern India since 1850. Delhi, Lucknow: Atma Ram & Sons 1979; Mohamed Taher: Libraries in India’s National Developmental Perspective. A Saga of Fifty Years Since Independence. Delhi: Concept Publishing Company 2001. 59 Vgl. E .J. Carter an Shepard Jones am 26.6.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 1st Series, 02 A 074 (485) 50, Part IV). 60 Vgl. Parker: UNESCO and Library Development Planning, S. 46. 61 Vgl. Edward Sydney: Delhi Public Library Pilot Projct. December 23rd, 1950 – June 30th, 1951. Report of the Advisory Director. Juli 1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61 187).
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Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
Abb. 5: Delhi Public Library, eine Modellbibliothek für ganz Asien.
grund der Finanzierung durch nationale Gelder dem Bildungsministerium, während es sich in Großbritannien und auch in den Vereinigten Staaten gegenüber kommunalen Autoritäten verantworten musste. Im Sommer 1951 übergab Sydney Raj Kalia die Verantwortung für die Bibliothek, die wenige Monate später, am 27. Oktober 1951, eröffnet wurde. Kurz nach der feierlichen Einweihung nahm der zweite von der UNESCO entsandte Experte Frank Gardner, auch er Direktor einer britischen Bezirksbibliothek, die Arbeit auf. Seine Aufgaben bestanden darin, den Betrieb der Bibliothek im ersten halben Jahr ihres Bestehens zu konsolidieren, für eine Umsetzung der Prinzipien des Bibliotheksmanifests zu sorgen, die bibliothekarischen Angebote auszubauen und dem Direktor beratend zur Seite zu stehen.62
62 Vgl. Delhi Public Library Project. Report by the UNESCO Consultant Frank M. Gardner, for the Period November 15 to July 15, 1953 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61 187 Gardner).
Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren
207
Den Zulauf, den die Delhi Public Library nach ihrer Eröffnung vonseiten der einheimischen Bevölkerung erhielt – bereits nach drei Jahren hatten über zwei Millionen Personen deren Angebote in Anspruch genommen – wurde von der UN-Organisation genutzt, um weltweit auf den Erfolg der Modellbibliothek hinzuweisen: Im hauseigenen UNESCO Courier und im UNESCO Bulletin for Libraries, als auch in Fachzeitschriften stellte man das Prestigeprojekt vor.63 Ein von der UNESCO produzierter Film mit dem Titel Books for All präsentierte die Delhi Public Library als überaus erfolgreiche Bildungsinstanz und erklärte sie damit zum Vorbild für zukünftig zu gründende bibliothekarische Einrichtungen (vgl. Abbildung 5).64 Books for All wurde in einhundert Kopien in englischer, französischer und spanischer Sprache an die Nationalkommissionen verteilt und sollte insbesondere politische Führungskräfte von der Notwendigkeit überzeugen, den Aufbau öffentlicher Bibliotheken voranzutreiben und finanziell zu unterstützen.65 In der Anfangsphase des Projekts hatte zunächst nichts darauf hingedeutet, dass die Delhi Public Library in den fünfziger Jahren zum zentralen Werbeobjekt für die weltweite Verbreitung des UNESCO-Bibliotheksideals werden würde. Fehlendes Interesse und mangelnde Kooperationsbereitschaft der Regierung sowie die Schwerfälligkeit der örtlichen Verwaltung hatten Edward Sydney dazu bewogen, im März 1951 um eine vorzeitige Aufhebung seines Vertrages zu bitten: I have had ten weeks of existing in a, to UNESCO, costly vacuum without money, transport, power or real opportunity to do the job [. . .] I am beginning to hold very strong opinions on the amount of confidence which the General Conference can place in this project. Something quite serious has to be done before the Project will be considered here as something valuable, urgent and important amongst people who out to have the wit and sense to see it that way.66
Auch wenn die vorzeitige Beendigung der Sydney’schen Mission abgewandt werden konnte, stand die Aufgabe des Pilotprojekts zumindest im Raum und wurde als WorstCase-Szenario diskutiert.67 Auf Bitten der UNESCO intervenierten die beiden einheimischen Befürworter des Pilotvorhabens, Ranganathan und der Leiter der Universitätsbibliothek in Delhi, bei den zuständigen Ministerien und halfen so, das Projekt
63 Vgl. beispielhaft: Frank M. Gardner: 5 Readers a Minute, 11 Hours Every Day in Asia’s Busiest Public Library. In: UNESCO Courier IX (1956), H. 2, S. 4–8; ders.: Passage from India. In: Library Review 106 (1953), S. 74–79. 64 Vgl. Drehbuch: Books for All. 16 mm. 400 Feet. 12 Minutes. Paris 1954 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 307.778.5). 65 Vgl. New UNESCO Library Film. In: UNESCO Bulletin für Libraries IX (1955), H. 2/3, S. 39–40, hier S. 40. 66 Edward Sydney an Edward Carter am 6.3.1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part I). 67 Vgl. Edward Carter an Everett N. Petersen am 15.3.1951 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part I).
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Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
wiederzubeleben. Der Erfolg des Prestigevorhabens war für die UNESCO-Bibliotheksabteilung essenziell, wie Carter seinen Mitarbeiter Petersen schon im Herbst 1950 eingeschärft hatte: The success of the Indian Pilot Project is of outstanding importance, and we must allow nothing to stand in the way of its complete success. If it fails or seems likely to start in a very lame way, we shall destroy our chance of developing our Latin-American project for 1952, and the whole Public Libraries Programme will be seriously let down.68
Der Einfluss, den die UNESCO auf die Entwicklung der Pilotbibliotheken ausüben konnte, war – darauf deutet das indische Pilotvorhaben hin – verhältnismäßig gering: Lediglich in der Anfangsphase war es der Pariser Organisation mittels der von ihr bestellten Experten möglich, auf Gestaltung und Organisation der Modellbüchereien direkt einzuwirken. In welchem Ausmaß die Entwicklung der Pilotbibliotheken von den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen im Mitgliedsland und von dem Engagement der nationalen wie lokalen politischen Führungskräfte abhing, lässt sich anhand der lateinamerikanischen Modellbibliothek noch besser verdeutlichen. Eine schwierige Geburt: Die UNESCO-Modellbibliothek in Medellín, Kolumbien Gleich mehrere Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Südamerika, unter ihnen Kolumbien, Brasilien und Guatemala, hatten während der regionalen Tagung in São Paulo Interesse am Aufbau einer Pilotbibliothek bekundet.69 Den Zuschlag für das Projekt erhielt schließlich Kolumbien, ein Land, in dem die UNESCO bis dato wenig präsent war und dessen nationale Bibliotheksentwicklungspläne ein geeignetes Umfeld und den notwendigen politischen Rückhalt für das Demonstrationsprojekt in Aussicht stellten: Angesichts einer gering entwickelten Bibliothekslandschaft hatte die kolumbianische Regierung die Nationalbibliothek beauftragt, insbesondere in der Provinz zusätzliche Büchereien zu schaffen.70 Das heute in Lateinamerika als Vorbild geltende öffentliche Bibliothekssystem Kolumbiens war Mitte des 20. Jahrhunderts noch kaum entwickelt; in dem von der OAS herausgegebenen Bibliotheksverzeichnis waren gerade einmal zwölf, vor 1950 gegründete Einrichtungen verzeichnet, die einen Bestand von über zweitausend Büchern der Öffentlichkeit zugänglich machten.71
68 E. J. Carter an Mr. Petersen am 13.9.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61 13). 69 Vgl. Proyecto-Piloto de Biblioteca Pública en América Latina, 9.1.1952 (UNESCO-Dokument: WS 121.100, zu finden in: Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 1, Part I). 70 Vgl. William Vernon Jackson: Libraries in Colombia. In: Encyclopedia of Library and Information Science. Band 5: Circulation to Coordinate Indexing. Hrsg. von Allen Kent und Harld Lancour. New York: Marcel Dekker 1971, S. 282–315, hier S. 292.
Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren
209
Ein Wechsel in der politischen Führung des Landes hatte zur Folge, dass das ursprüngliche Interesse an einer Zusammenarbeit mit der UNESCO deutlich nachließ. Der neu ins Amt gekommene, für das Bibliothekswesen zuständige Bildungsminister empfand die Konditionen des UNESCO-Projekts als wenig attraktiv und verstand es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes. Carlos Víctor Penna72 , argentinischer Bibliotheksspezialist am UNESCO-Regionalbüro in Havanna und Verhandlungsführer in Bogotá, berichtete seinen Kollegen in Paris: I went to see the Minister of Education with the members of the National Commission [. . .] This interview was unpleasant. Much to my surprise the Minister expressed that ›he was not at all enthusiastic about the project, that UNESCO’s contribution was a mere trifle and that in exchange for that meagre sum intervention from UNESCO would have to be tolerated, and that he would not sign the agreement‹.73
Die vorbehaltlose Unterstützung des Projekts durch die Regierung war für die UNESCO jedoch unabdingbar, schien diese doch Voraussetzung dafür zu sein, dass eine über das fünf Jahre begrenzte Engagement der UN-Organisation hinausgehende öffentliche Finanzierung und somit der Fortbestand der Modellbibliothek gewährleistet war. Nachdem es nach diplomatischen Interventionen und Umwegen doch noch gelungen war, die Regierung zur Unterschrift des Abkommens zu bewegen, bestand die nächste Herausforderung darin, sich auf einen Direktor für das Pilotvorhaben zu einigen. Die UNESCO wünschte sich für den Posten einen ausgebildeten Bibliothekar, doch diese waren rar in dem südamerikanischen Land, in dem es zu jenem Zeitpunkt keine bibliothekarischen Ausbildungsmöglichkeiten mehr gab.74 Der von der Pariser
71 Vgl. Guía de bibliotecas de la América Latina. Edición Provisional. Washington, D.C.: Unión Panamericana 1963 (Bibliographic Series. 51). 72 Carlos Víctor Penna wurde an der Columbia University als Bibliothekar ausgebildet und war Leiter der größten öffentlichen Bibliothek in Buenos Aires, bevor er 1951 als Experte an das regionale Büro der UNESCO nach Kuba berufen wurde. Vgl. zur Biographie Pennas: Josefa E. Sabor: Carlos Víctor Penna. In: Infodiversidad 1 (1999), H. 1, S. 51–60. 73 Carlos V. Penna: Report on Mission to Colombia. Discussion of Final Details of the Agreement on the Establishment of a Pilot Public Library vom 26.10.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellin 187, Part I). 74 Vgl. ebd; E. N. Petersen: Memorandum »Public Library Pilot Project – Colombia« vom 6.6.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 1, Part I). Die im Auftrag der OAS von Penna und Daniels erarbeitete Zusammenstellung über Bibliotheksschulen und -kurse verzeichnet zwar für Kolumbien Ausbildungskurse an Universitäten; diese sind aber gemäß des oben zitierten Memorandums Anfang der fünfziger Jahre eingestellt worden. Vgl. Guía de escuelas y cursos de bibliotecología en América Latina. Hrsg. von Carlos Víctor Penna und Marietta Daniels. Washington, D.C.: Unión Panamericana 1951 (Bibliographic Series. 36); Richard Krzys/Gaston Litton: A History of Education for Librarianship in Colombia. Metuchen: The Scarecrow Press 1969, hier insbesondere Kapitel 3.
210
Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
Organisation favorisierte Rubén Pérez Ortiz, Leiter der Bibliothek des geisteswissenschaftlichen Instituto Caro y Cuervo in Bogotá, fand keine Akzeptanz bei den lokalen Autoritäten in Medellín, wo die Modellbücherei angesiedelt werden sollte. Als Erzbistumssitz war Medellín nicht nur eine zutiefst katholisch geprägte Stadt, die prosperierende Universitäts- und Industriemetropole sah sich auch in einer Art Dauerfehde mit Bogotá, sodass es ein Gebot regionaler Behauptung schien, auswärtige Kandidaten abzulehnen, umso mehr, wenn sie aus der Hauptstadt selbst stammten.75 Man bestand auf einen einheimischen und praktizierenden Katholiken als Direktor.76 Es dauerte über ein halbes Jahr, bis sich das analog zum Delhi Public Library Board eingesetzte Aufsichtsgremium auf einen Kandidaten einigen konnte: Mit Jesus César Arroyave wurde zwar nicht, wie von der UNESCO gewünscht, eine Fachkraft zum Bibliotheksdirektor ernannt; der studierte Philosoph galt allerdings als eine liberal gesinnte, in der Stadt anerkannte Persönlichkeit und war zudem in führender Position bei der mächtigen lokalen Wohlfahrtsorganisation Sociedad de Mejoras Públicas tätig. Letztere hatte sich bereit erklärt, den Bau eines Bibliotheksgebäudes zu finanzieren.77 Das Angebot der Sociedad de Mejoras Públicas war in den Augen der UNESCOMitarbeiter in Paris und Havanna außerordentlich attraktiv, bot es doch die Möglichkeit, anhand des Modellprojekts nicht nur den gesellschaftlichen Wert einer nach den Grundprinzipien des Manifests organisierten Bibliothek zu demonstrieren, sondern zudem auch Fragen der Architektur von Bibliotheksgebäuden zu diskutieren. Carlos Penna hielt fest: The fact that our project will be housed in a building according to the plans of UNESCO does, in my opinion, change our pilot project into two pilot projects: one, that of the library proper, and the other, that of the library building: Library buildings are quite an interesting subject not only for Latin American countries, but also for all the other countries which have to solve this problem.78
Die Pariser Organisation unterstützte den Bibliotheksbau, indem sie neben dem eigenen Mitarbeiter Penna und dem argentinischen Bibliothekar Germán García mit Charles Mohrhardt, einem US-amerikanischen Spezialisten für Bibliotheksgebäude, einen weiteren Experten engagierte. Dieser entwarf zusammen mit den Stadtarchitekten Medellíns die Pläne für das neu zu errichtende Gebäude, dessen Bau nach
75 Vgl. Carlos Víctor Penna: Memorandum »Part One: Pilot Public Library«, April 1953 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 187, Part I). 76 Vgl. Carlos Víctor Penna an Edward Carter am 21.10.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 1, Part I). 77 Vgl. Carlos Víctor Penna an Edward Carter am 16.12.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín, Part I). 78 Carlos V. Penna: Report on Mission to Colombia. Discussion of Final Details of the Agreement on the Establishment of a Pilot Public Library vom 26.10.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellin 187, Part I).
Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren
211
dem Rückzug der Sociedad de Mejoras Públicas nun durch öffentliche Mittel finanziert werden sollte.79 Der Aufbau der lateinamerikanischen Pilotbibliothek schien nach einem äußerst schwierigen Beginn auf gutem Wege zu sein: Die Bibliothek bezog provisorische Räumlichkeiten im historischen Stadtzentrum und wurde durch den UNESCO-Generaldirektor Luther Evans Ende Oktober 1954, also knapp zwei Jahre nach Unterzeichnung des Abkommens, feierlich eröffnet.80 Während Arroyave sich mit einem Stipendium in den Vereinigten Staaten befand, um sich mit der Organisation öffentlicher Bibliotheken vertraut zu machen, übernahm der Argentinier García interimsweise die Leitung der Piloto, wie das Modellvorhaben im Volksmund genannt wurde. Er integrierte diese in das gesellschaftliche Leben der Stadt, deren einzige öffentliche, aber wenig frequentierte Bibliothek, die 1921 gegründete Biblioteca Santander, 1952 geschlossen worden war.81 Der US-amerikanische Bibliothekar Gosnell und der spanische Sozialwissenschaftler Ferrer, die 1959 im Auftrag der UNESCO die Modellbücherei evaluierten, bescheinigten dieser nach gut fünfjähriger Existenz einen erfolgreichen Start, machten zugleich aber auch auf deren unsichere finanzielle Zukunft aufmerksam: [T]he Biblioteca Pública Piloto de Medellín has been a success as a demonstration and as a service. Its fame and influence are widespread. Its services are being used to capacity. Its weakness is that it has responded to demand beyond its resources. It has tried to do too much with too little [. . .] The financial present of the library is shaky, and the future uncertain.82
Schon 1957, im letzten Jahr der UNESCO-Beteilung, hatte sich die (finanzielle) Schieflage angedeutet, in der die Bibliothek kurze Zeit später geraten sollte (vgl. Tabelle 5). Der jährlich auf einhunderttausend Pesos festgesetzte Beitrag des Bildungsministeriums zum Bibliothekshaushalt reichte in einer Zeit beträchtlicher Inflation gerade aus, um die Personalkosten zu decken. Arroyave nahm Kredite auf, um den laufenden Betrieb der Bibliothek zu gewährleisten.83 Das Aufsichtsgremium versäumte es,
79 Vgl. für eine Skizze und Beschreibung des Bibliotheksbaus: Charles M. Mohrhardt: Medellin’s Pilot Library. In: Library Journal 81 (1956), H. 20, S. 2635–2638. 80 Vgl. UNESCO’s Second Public Library Project. In: UNESCO Bulletin for Libraries IX (1955), H. 1, S. 3–4. 81 Vgl. Orlanda Jaramillo/Mónica Montoya Rios: Presencia de las bibliotecas públicas en Medellín durante el siglo XX. Medellín: Universidad de Antioquia 2004, S. 41. 82 Charles Francis Gosnell/Sebastian Ferrer Martin: The Biblioteca Publica Piloto de Medellín para Latinoamericana. Unveröffentlichtes Typoskript, 1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 198 Evaluation Report), S. 76 und S. 110. 83 Vgl. Presupuesto Ordinario de Administración de la Biblioteca Pública Piloto de Medellín para Latinoamerica en el año de 1958, o. D. [etwa 1957/1958] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 11, Part II); Biblioteca Pública Piloto de Medellín para Latinoamericana. Acta No. 39 de la Junta Directiva vom 14.2.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 106, Part II).
141.502
142.776
3.012
–
4.754
100.000
35.010
1955
136.414
144.599
2.175
–
–
100.000
42.424
1956
132.521
161.543
3.141
–
–
100.000
58.402
1957
113.159
156.046
2.188
–
–
100.000
53.858
1958
155.749
233.000
4.000
–
–
180.000
49.000
1959
160.782
255.000
5.000
–
50.000
200.000
–
1960
135.301
231.500
1.500
80.000
50.000
100.000
–
1961
86.462
152.000
2.000
–
50.000
100.000
–
1962
Quelle: Alberto Villalón: 3a Misión. Biblioteca Pública Piloto de Medellín para América Latina. Agosto – Octubre 1963. Informe Final. Anexo 31: Presupuesto de Operación de la Biblioteca Pública Piloto de Medellín para América Latina (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 187, Part III). Eigene Berechnung und Darstellung.
167.401
Inflationsbereinigter Gesamtetat (Basis: 1954)
45
Andere 167.401
–
Gesamtetat
–
Beitrag der kommunalen Verwaltung
Kolumbianisches Bildungsminiterium
Beitrag der regionalen Verwaltung
17.356 150.000
UNESCO
1954
Tabelle 5: Etatentwicklung der Medellíner Pilotbibliothek zwischen 1954 und 1962 in US-Dollar.
212 Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren
213
nach Ablauf des Kooperationsabkommens eine neue gesetzliche Grundlage für die Bibliothek auf den Weg zu bringen und angesichts der andauernden Inflation auf eine fortlaufende Erhöhung der finanziellen Mittel für die Bibliothek hinzuwirken. Der Bau des Gebäudes stagnierte, die Arbeiten wurden 1959, zwei Jahre nach Baubeginn, unvollendet eingestellt. Am Ende desselben Jahres spitzte sich die Situation endgültig zu: Die Modellbücherei stand vor dem finanziellen Aus und Arroyave wurde mit sofortiger Wirkung entlassen. Sein Nachfolger Rafael López, ebenfalls kein ausgebildeter Bibliothekar, leitete einen rigiden Spar- und Konsolidierungskurs ein: Die Etats für Neuanschaffungen und kulturelle Veranstaltungen wurden drastisch beschnitten. 1961 musste die Piloto ihren provisorischen Sitz im Stadtzentrum verlassen und zog in den noch unfertigen Neubau.84 Erst als die kolumbianische Regierung die UNESCO um die Entsendung eines weiteren Experten bat, der helfen sollte, die Bibliothek auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen, schien deren Fortbestand gewährleistet zu sein.85 In der Tat gelang es dem chilenischen Bibliotheksspezialisten Alberto Villalón, die (finanzielle) Zukunft der Bibliothek zu sichern und Mittel für die Fertigstellung des Gebäudes ausfindig zu machen. Per Dekret wurde im September 1963 die Verantwortlichkeit für die Bibliothek dem nationalen Bildungsministerium unterstellt. Mit dieser Verfügung wurden die seit Auslaufen des Kooperationsabkommens undefinierten Zuständigkeiten für die Medellíner Bibliothek endgültig neu geregelt.86 Die chronische Unterfinanzierung der Bibliothek hielt nichtsdestotrotz bis in die siebziger Jahre an.87 Obgleich man sich vonseiten der UNESCO bemühte, ein Scheitern des Pilotprojekts in Kolumbien zu verhindern, machten sich in Paris angesichts der Entwicklungen in Medellín zunehmend Resignation und Unverständnis breit; man begann, sich von dem einstigen Modellprojekt zu distanzieren. Ein für das Jahr 1960 an der Piloto angesetztes Seminar wurde abgesagt, die von Gosnell und Ferrer erstellte Evaluation blieb unveröffentlicht, die Medellíner Bibliothek wurde im Gegensatz zu ihren Schwesterinstitutionen in Delhi und Enugu nicht länger als Vorbild gepriesen.88 Petersen schrieb an Gosnell: 84 Vgl. Mrs. Perez de Johnson an M. Summers am 18.12.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín AMS 61/62). 85 Vgl. Request No. 1 (PP) 1962/62 Delegación permanente de Colombia ante la UNESCO No. 441/60 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín AMS 61/62). 86 Vgl. Alberto Villalón: Informe Final. 3a Misión: Biblioteca Pública Piloto de Medellín para América Latina. Agosto – Octubre 1963. (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 187, Part IV), ohne Seitennummerierung, hier insbesondere Absätze 8–12 und 16–20. 87 Vgl. William Vernon Jackson: Pasos hacia el futuro desarrollo de un plan nacional de servicio de bibliotecas en Colombia. In: Planeamiento Nacional de Servicios Bibliotecarios. Band 2, Teil 4: Por países: Colombia. Washington, D.C.: Organización de los Estados Americanos 1972 (Estudios bibliotecarios. 8), S. 26–27. 88 Vgl. Carlos Víctor Penna an Jaime Quijano am 6.2.1961 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín AMS 61/62).
214
Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
[I]n view of the circumstances, no special effort should be made to seek publicity for the project, and in any discussions, it should be made clear that things went well at the Library as long as UNESCO was partner, and that we no longer have a share in the operation of the project.89
In dem desaströsen Zustand, in dem sich die Bibliothek Anfang der sechziger Jahre befand, konnte sie – so die Auffassung der UNESCO – unmöglich als Modell für Lateinamerika präsentiert werden. Die Medellíner Tageszeitung El Colombiano zitierte eine UNESCO-Mitarbeiterin, die befand, dass die Piloto höchstens als Beispiel tauge, um zu demonstrieren, wie sich eine öffentliche Bibliothek nicht entwickeln solle.90 Während das lateinamerikanische Bibliotheksexperiment in Paris als gescheitert galt, war die Perspektive Villalóns eine vollkommen andere. Der chilenische Experte vertrat die Ansicht, dass die Medellíner Bibliothek gerade deswegen als Modell für Lateinamerika zu begreifen war, weil ihre Entwicklung durch jene ökonomischen Schwierigkeiten und politische Indifferenz bestimmt wurde, welche – in jedem Land des Kontinents – die bibliothekarische Entwicklung beeinträchtigten. Die Modellbibliothek in Medellín stellte Villalóns Auffassung zufolge also gerade wegen ihrer enormen Probleme und ihrer fortwährenden Unterfinanzierung eine für Lateinamerika äußerst realistische und daher typische Erfahrung dar: El proyecto ha tenido una vida accidentada y ha encontrado múltiples escollos, cuando no indiferencia. Estas dificultades podrán sorprender a observadores no latino-americanos, pero no deben extrañarnos a los hijos de este continente: ellas son consubstanciales con nuestra tradición y realidad presente. En América Latina la atención del legislador, del industrial, del simple ciudadano generoso, está llamada desde numerosos ángulos, trágicos e intranquilizadores: el hambre, la enfermedad, el analfabetismo, la falta de vivienda, la violencia, etc. [. . .] [S]on estos escollos lo que hacen de esta Biblioteca un proyecto piloto para América Latina. Si el Gobierno de Colombia o la industria antioqueña hubieran ayudado generosamente a la nueva institución, ella representaría una excepción. En cambio, por la forma como la Biblioteca ha sufrido en el pasado la indiferencia de las autoridades, de la prensa y de los diversos sociales, ha probado ser un producto típico de nuestro medio. Y por ello es piloto, modelo, porque en todos nuestros países, con ligeras variaciones, cualquier proyecto de desarrollo bibliotecario encontraría, por lo menos en el futuro inmediato, los mismos obstáculos.91
Villalóns Analyse offenbart eine Unzulänglichkeit im Pilotbibliotheksansatz der UNESCO: Die Annahme, dass der Ausbau des öffentlichen Bibliothekssystems in den Entwicklungsländern durch einen Export der zentralen Merkmale der public library angelsächsischer bzw. skandinavischer Prägung stimuliert werden könnte,
89 E. N. Petersen an Charles Gosnell am 1.6.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 198). 90 Vgl. Alberto Aguirre: La Piloto. In: El Colombiano vom 5.2.1961 (Artikel zu finden in: Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín AMS 61/62). 91 Alberto Villalón Galdames: Manual de procedimientos para bibliotecas públicas. Versión preliminar. Medellín: Biblioteca Pública Piloto de Medellín para América Latina 1963, S. 7–8.
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erwies sich zumindest im Hinblick auf das Kriterium der öffentlichen Finanzierung als zu simpel. Gerade weil sich die vollständige öffentliche Finanzierung bibliothekarischer Einrichtungen in Gesellschaften herausgebildet hatte, die im Vergleich zu vielen Staaten Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas als saturiert und wohlhabend anzusehen sind, konnte nicht erwartet werden, dass die Finanzierung des öffentlichen Bibliothekswesens auch in den Ländern als Priorität angesehen wurde, deren Wirtschaftskraft und Staatshaushalt gering waren und in denen existenzielle(re) Probleme wie Hunger und Krankheiten – um nur einige der von Villalón aufgezählten Schwierigkeiten zu nennen – auf Lösung warteten.92 Wie wenig sich die UNESCO-Bibliotheksabteilung bei der Konzeption und Umsetzung des Pilotbibliotheksansatzes der zu den westlichen Gesellschaften divergenten, politischen und vor allem ökonomischen Bedingungen in den Entwicklungsländern gewahr war, zeigt die folgende Äußerung Petersens aus dem Jahre 1960: I must say that it is nevertheless difficult for me to understand why adequate funds are not forthcoming from the local or national authorities for the support of a library which in spite of all the difficulties is still being used by over a thousand people a day.93
Der UNESCO-Mitarbeiter übersah in seiner Kritik, dass es möglicherweise nicht fehlender politischer Wille war, die notwendigen Gelder für die Bibliothek bereitzustellen, sondern dass die andauerende Unterfinanzierung der Einrichtung auch Folge eines begrenzten Staatshaushaltes war, der das finanzielle Engagement für die Piloto per se begrenzte. Als schwerwiegenden Fehler und Folge der unreflektierten Übertragung westlicher Ideale nach Kolumbien sah Villalón insbesondere den Bau des neuen Gebäudes an. In seinem vielleicht auch deswegen unveröffentlicht gebliebenen Abschlussbericht kritisierte er das Bauvorhaben als ein für die bibliothekarische Entwicklung Lateinamerikas völlig irrelevantes Prestigeprojekt: La idea de que una biblioteca [. . .] necesita un buen edificio para funcionar, es producto de sociedades desarrolladas que han solucionado, en alguna forma, sus problemas urgentes de alimentación, salud, vivienda, educación y comunicaciones. En mi opinión es un grave error trasplantar esta idea a los países irregularmente desarrollados [. . .] Cuando se contrata a uno de los mejores especialistas del mundo en construcciones bibliotecarios y se proyecta un edificio de US 250.000, no se ofrece ninguna solución al problema bibliotecario de América Latina.94
92 Eine solche Kritik findet sich auch bei: Maymí-Sugrañes: Modernizing Underdevelopment, S. 327– 328. 93 E. N. Petersen an Charles Gosnell am 1.6.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín 198). 94 Alberto Villalón: Informe sobre la Misión (Versión preliminar): Biblioteca Pública Piloto de Medellín para América Latina, o. D. [1962] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 187, Part III), S. 2. Dem ursprünglichen Plan nach sollte das Gebäude sogar 400.000 USDollar kosten. Vgl. Mohrhardt: Medellin’s Pilot Library, S. 2636.
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Die Entwicklung der Medellíner Modellbibliothek lässt erkennen, dass im Pilotbibliotheksansatz der ökonomischen Kontexte in den Entwicklungsländern kaum berücksichtigt waren. Insbesondere die vollständige Finanzierung von Bibliotheken durch die öffentliche Hand erwies sich als Merkmal, das nicht problemlos in wirtschaftlich schwache Länder transferiert werden konnte. Die Möglichkeit sowie die Art bibliothekarischer Entwicklung ist – darauf verweist die kolumbianische Erfahrung – zumindest in Teilen auch durch die gesamtwirtschaftliche Situation des Landes bedingt. Teil eines umfassenden Bibliothekssystems: Die UNESCO-Pilotbibliothek in Enugu, Ostnigeria Die Bedingungen, unter denen sich ab 1957 der Aufbau der dritten Pilotbibliothek im afrikanischen Enugu vollzog, lassen sich kaum mit denjenigen vergleichen, die die Pariser Organisation in Indien und Kolumbien vorgefunden hatte. Bereits 1955, also zwei Jahre vor Beginn des UNESCO-Engagements in Ostnigeria, erließ der Governeur der Provinz ein Bibliotheksgesetz und schuf damit die Grundlage für die bibliothekarische Entwicklung der kommenden Jahre.95 Das sich daraufhin konstituierende Regional Library Board unter Leitung von Kalu Okorie, dem ersten professionell ausgebildeten Bibliothekar seines Landes und ehemaligem Leiter der Lagos Municipal Library96 , erstellte auf Basis der wenigen, bereits bestehenden bibliothekarischen Angebote einen umfangreichen Strategieplan, dessen sukessive Umsetzung die Versorgung der gesamten ostnigerianischen Bevölkerung mit Büchern langfristig sicherstellen sollte. Der Entwicklungsplan, der in dem Bibliothekssystem inspiriert war, das die Britin Evelyn Evans Jahre zuvor an der Goldküste, dem heutigen Ghana, implementiert hatte, sah als ersten Schritt den Aufbau einer Regionalbibliothek vor. Diese sollte die Versorgung des Hinterlandes durch Fahrbüchereien organisieren und als Zentrale auch Bucherwerb und -katalogisierung für die Zweigstellen übernehmen, deren Errichtung nach und nach in den anderen städtischen Ballungszentren der Region geplant war.97 Bis zu jenem Zeitpunkt waren in Ostnigeria die Bibliotheken des British Council und des United States Information Services die einzigen Einrichtungen gewesen, die die städtische Bevölkerung zumindest rudimentär mit Büchern versorgten.98 95 Hierbei handelt es sich um das Law to Establish the Regional Library Board and for Purposes Connected Therewith. Vgl. zur Bedeutung dieses Gesetzes in der bibiothekarischen Entwicklung Nigerias: Dickson Agidee: Twenty Years of Library Development in Nigeria at Mid-Century. In: Nigerian Libraries 6 (1970), H. 1/2, S. 53–64, hier S. 54. 96 Vgl. die Kurzbiographie Okories in: West African Libraries. Bulletin of the West African Library Association 1 (1954), H. 1, S. 12. 97 Vgl. Kalu Okorie: A Chance to Read in Eastern Nigeria. In: Library Journal 85 (1960), S. 4100–4103, hier insbesondere S. 4101. Vgl. zur Entstehung des ghanaischen Bibliothekssystems die Erinnerungen von: Evelyn J. A. Evans: A Tropical Library Service. The Story of Ghana’s Libraries. London: André Deutsch 1964. Vgl. ebenso: E. E. Kaungamno/C. S. Homo: Books Build Nations. Bd. 1: Library Services in West and East Africa. London, Dar es Salaam: Transafrica Book Distributors 1979, hier insbesondere Kapitel 2.
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Die Situation in Ostnigeria, wo mangels fehlender lokaler Infrastrukturen auswärtige Kultur- und Informationszentren die Funktion öffentlicher Bibliotheken übernommen hatten, kann als typisch für viele afrikanische Territorien dieser Zeit angesehen werden. Über das Londoner Colonial Office bewarb sich Ostnigeria als Standort für das afrikanische Pilotprojekt und konnte sich dank des überzeugenden Konzepts gegen den Mitkonkurrenten aus Liberia durchsetzen.99 Die Leistungen, die die UNESCO in Aussicht stellte, entsprachen denen, die zuvor in Delhi und Medellín erbracht worden waren. Das im November 1956 unterschriebene Abkommen sah vor, dass der laufende Betrieb der Bibliothek durch die Regierung finanziert werden sollte, während die Pariser Organisation die Entsendung von Spezialisten und die Vergabe von Stipendien übernahm sowie Gelder für den Erwerb von Büchern und den Kauf eines Bücherbusses bereitstellte. Ein provisorischer Leseraum in der sechzigtausend Einwohner zählenden Hauptstadt Enugu war eröffnet und der Bau des Gebäudes für die Zentralbibliothek bereits begonnen, als der UNESCO-Experte Stanley Horrocks – auch er ein britischer Bezirksbibliothekar – im Juli 1957 seine Arbeit aufnahm.100 In einer zweigeteilten Mission unterstützte Horrocks seinen nigerianischen Kollegen Okorie zunächst beim Aufbau des mobilen Bibliotheksangebots und nach Fertigstellung des Gebäudes zu Beginn des Jahres 1959 bei Umzug, Ausbau und Organisation der Buchbestände. Schon nach wenigen Monaten berichtete Horrocks enthusiastisch nach Paris: »It is indeed quite remarkable that a country so short of money as E[astern] Nigeria should be willing to spend so much on a library. Nothing could be more encouraging.«101 In der vier Jahre später erstellten Evaluation der Institution wies der britische Experte erneut auf den großen politischen Rückhalt für die Errichtung des regionalen Bibliothekssystems hin. In der Zeit der Zusammenarbeit mit der UNESCO hatte die nigerianische Regierung der Bibliothek deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, als es der Vertrag vorsah.102 Eine Zuwendung des British Council machte es darüber hinaus mög-
98 Vgl. Stanley H. Horrocks: The Regional Central Library at Enugu, Eastern Nigeria. An Eastern Nigeria Government-UNESCO Pilot Project. Paris 1962 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/114), S. 13. 99 Vgl. E. J. Carter: Memorandum »Pilot Project for the Development of Public Libraries in Africa« vom 21.4.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (669) A 61, Part I); Luther H. Evans an Secretary, United Kingdom National Commission for UNESCO am 29.11.1955 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02(669) A 61, Part I). 100 Vgl. S. H. Horrocks: Report. Eastern Nigeria Pilot Project, 27.9.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (669) A 61, Part II). 101 S. H. Horrocks: Memorandum vom 4.11.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (669) A 61, Part II). 102 Vgl. Horrocks: The Regional Central Library at Enugu, Eastern Nigeria, S. 3. Vgl. zur politischen Unterstützung des Bibliothekswesens in Nigeria in der Zeit kurz vor und nach der Unabhängigkeit vom British Empire: C. C. Aguolu/L. E. Aguolu: A Force in Library Development in Nigeria. In: World Libraries 7 (1997), H. 2, S. 9–18.
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lich, 1962 in Port Harcourt die erste der geplanten Zweigstellen zu eröffnen, weitere folgten.103 Diese äußerst vielversprechende Entwicklung wurde Ende der sechziger Jahre durch den ausbrechenden Bürgerkrieg jäh beendet. Der Biafrakrieg zerstörte gut vierzig Prozent des Buchbestandes der Zentralbibliothek in Enugu, große Teile des Mobiliars sowie die Fahrbüchereien. Ein ähnliches Schicksal ereilte die vier Zweigstellen, die bis zum Ausbruch des Krieges eröffnet waren.104 Die Rolle der UNESCO beim Aufbau der Regional Centre Library in Enugu war somit eine andere, man könnte im Vergleich zu den Vorgängerprojekten in Asien und Lateinamerika von einer deutlich reduzierteren sprechen. Während Mitarbeiter und Experten der UNESCO in Delhi und vor allem in Medellín die Kooperation der Regierung und deren Finanzierungszusage in teils aufwendigen Verhandlungen erst sicherstellen und Schritte in die Wege leiten mussten, die die Inbetriebnahme der Bibliothek überhaupt ermöglichten, war in Enugu alles bereitet: Eine Regierung, die als »bibliotheksbewusst«105 charakterisiert wurde, hatte einen qualifizierten Bibliothekar mit dem Aufbau eines regionalen Bibliothekssystems betraut und war bereit, dieses Projekt langfristig finanziell zu unterstützen. Anders als in Indien und Kolumbien kann die UNESCO in Ostnigeria daher nicht als Initiator der Modellbibliothek gelten, sie agierte vielmehr als Unterstützer und Hilfskraft bei der Umsetzung eines bereits konzipierten, von der politischen Führung als prioritär erachteten Vorhabens.
5.1.2 Orte der Bildung für jedermann: Herausforderungen bei der Umsetzung des Public Library Manifesto Zwei Ressourcen waren unabdingbar, um öffentliche Bibliotheken im Sinne des UNESCO-Ideals erfolgreich betreiben zu können: qualifiziertes Personal sowie ein heterogener, aktuell gehaltener und für die lokale Leserschaft relevanter Bestand an Büchern. So banal diese Feststellung auch erscheinen mag, gerade in den Ländern, in denen die UNESCO die Modellbibliotheken aufbaute, waren diese materiellen und personellen Grundvoraussetzungen bibliothekarischer Arbeit aufgrund struktureller Defizite der Buchmärkte und fehlender Ausbildungsmöglichkeiten nur bedingt gegeben.
103 Vgl. Kalu Okorie: The Progress of Public Libraries in Eastern Nigeria. In: The Library World 64 (1962), S. 60–62, hier S. 60. 104 Vgl. Cosmas E. Neu: The Effects of the Nigerian Civil War on the Library Services in the Former Eastern Region. In: Libri 20 (1970), S. 206–217, hier S. 210–211. 105 Im englischen Original »library-conscious«. Sam C. Nwoye: Libraries in Nigeria. In: Encyclopedia of Library and Information Science. Band 20: Nigeria, Libraries in to Oregon State University. Hrsg. von Allen Kent, Harold Lancour und Jay E. Daily. New York, Basel: Marcel Dekker 1977, S. 1–49, hier S. 3.
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Der Mangel an bibliothekarischen Fachkräften war insbesondere beim Aufbau der kolumbianischen Modellbücherei offen zutage getreten. Während sowohl in Delhi als auch in Enugu qualifizierte Bibliothekare an der Spitze der von der UNESCO initiierten Einrichtungen standen, wurde die lateinamerikanische Institution von Personen geführt, die keinerlei Erfahrung im Bibliothekswesen vorwiesen. Auch das übrige Personal in Medellín bestand aus bibliothekarisch nicht geschulten Kräften. Das Fehlen professionell ausgebildeter Bibliothekare im Personalbestand der kolumbianischen Modellbibliothek – eine Tatsache, die die von den UNESCO-Experten vor Ort durchgeführten praktischen Schulungsmaßnahmen und die Vergabe von Weiterbildungsstipendien nur bedingt kompensiert werden konnte – wurde als gravierender Geburtsfehler der Piloteinrichtung gewertet: The Library has never had a professional librarian as director and no graduate of a university-level library school [. . .] has served in the staff of this institution in a regular position [. . .] Although well-intentioned, it is the judgment of many that this personnel has not performed at a consistently inspired level of professional excellence, which explains why the institution has not been the positive factor of importance of the advancement of librarianship that it was intended to become. Far from being a model public library, it has perpetuated an old-time concept that anybody can run a library, that technical and professional training are not necessary, and that it is fiction that librarianship is a profession.106
Auch wenn die Ernennung eines gelernten Bibliothekars zum Direktor durch den Einfluss lokalpatriotischer Kräfte verhindert worden war, ist festzustellen, dass das Fehlen von Fachkräften an der Medellíner Bücherei vor allem Folge eines nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika herrschenden Mangels an professionell ausgebildeten Bibliothekaren, mithin Konsequenz eines strukturellen Defizits an formalen Ausbildungsstrukturen war. Um die Interessen einer heterogenen Leserschaft befriedigen zu können, sollten die Modellbibliotheken eine umfangreiche, vielseitige Auswahl an möglichst in einheimischen Sprachen verfassten Büchern anbieten. Die Möglichkeit, diese Zielvorgabe zu erreichen, war jedoch im höchsten Maße abhängig von dem Angebot, das der (nationale) Buchhandel bereithielt: So waren beispielsweise in Indien Anfang der fünfziger Jahre Veröffentlichungen auf Urdu kaum verfügbar. Für diese nach Hindi in der indischen Hauptstadt meist gesprochenen Sprache existierten zu diesem Zeitpunkt noch keine Drucktypen: Die Buchproduktion auf Urdu war demzufolge mit einem erheblichen technischen Aufwand verbunden, Texte mussten per Hand geschrieben und im Anschluss in einem lithographischen Verfahren vervielfältigt werden, was die Anzahl an Publikationen in dieser Sprache erheblich reduzierte.107 Auf Hindi lagen deutlich
106 Krzys/Litton: History of Education for Librarianship in Colombia, S. 155. 107 Vgl. Frank M. Gardner: Founding a Public Library in India. In: ALA Bulletin 49 (1955), H. 9, S. 495– 498, hier insbesondere S. 497.
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mehr Bücher vor allem im schöngeistigen Bereich vor; für das stark nachgefragte Segment des Sach- und Fachbuches musste hingegen auf englischsprachige Publikationen zurückgegriffen werden.108 Drastisch fiel der Mangel an einheimischen Publikationen insbesondere bei Büchern für Kinder und Lesematerialien für Neuliteraten aus. Gerade diese beiden Zielgruppen, die die Modellbücherei in Delhi im verstärkten Maße ansprechen wollte, bediente das indische Verlagswesen bis dato kaum.109 Die Bibliothek initiierte daher mit finanzieller Unterstützung der UNESCO und in Zusammenarbeit mit der islamischen Jamia Millia-Universität ein Projekt, das Lektürestoffe für Neuliteraten auf den Markt und in die Bibliothek bringen sollte. Die Lösung, die man innerhalb des UNESCO-Sekretariats für das Kinderbuchproblem entsann, mutete dagegen improvisiert und wenig nachhaltig an. Edward Carter unterbreitete dem Experten Frank Gardner folgenden Vorschlag: Pete [gemeint ist Carters Kollege Everett Petersen, CL] and I have been discussing this children’s book problem. We want to propose that a considerable sum should be spent immediately in buying really good, colourful children’s books from all over the world [. . .] and that some of our money this year [. . .] should be used in getting first class translations by people who know how to write for children, having them written out well in nice, large Hindi and Urdu script, photostated and pasted in to the books. This may seem a round about and expensive way of getting children’s books, but I don’t think there is any better way if we have money to do it.110
Die später tatsächlich durchgeführte ›Teilindigenisierung‹ westlicher Bilder- und Kinderbücher durch Einkleben der in die einheimischen Sprachen übersetzten Texte111 ist im Gegensatz zur Initiierung des Publikationsprogramms für Neuliteraten lediglich als Notlösung zu werten, die das ursächliche Problem eines reduzierten Angebotes auf dem einheimischen Buchmarkt nicht anging. Während in Delhi englischsprachige Bücher die einheimische Produktion in einzelnen Sachgebieten ergänzten – Ende 1955 machten diese gut 28 Prozent des Gesamtbuchbestandes aus –, war das Gros der in Enugu erhältlichen Bücher auf Englisch verfasst. Der an der indischen Schwesterinstitution jedenfalls in Teilen umgesetzte Anspruch, der Leserschaft einen möglichst umfangreichen Buchbestand in einheimischen Sprachen zur Verfügung zu stellen, war in Ostnigeria nicht zu realisieren: Eine Buchproduktion in den indigenen Sprachen und Dialekten der Region wie Igbo und Efik existierte nicht. In dem Vielsprachenstaat Nigeria blieb Englisch auch
108 Vgl. Ders.: UNESCO India Library Project, Delhi. Report of the UNESCO Consultant, Januar 1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part II). 109 Vgl. Department of Cultural Activities – Libraries Division: Memorandum »Public Library Pilot Project, Delhi« vom 17.2.1950 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part I). 110 Edward Carter an Frank M. Gardner am 27.2.1952 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (540) A 61, Part II). 111 Vgl. Petersen: UNESCO and Public Libraries, S. 539.
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über die Unabhängigkeit hinaus als linguistisch verbindendes Element zwischen den Bevölkerungsgruppen offizielle Amts- und Unterrichtssprache; folglich bildeten Bücher, die in der Sprache der Kolonialherren geschrieben waren, auch den Grundstock der Modellbücherei.112 Da es bis auf die in der Forschung als Onitsha Market Literature berühmt gewordenen populären Lektürestoffe113 auch kaum eine einheimische englischsprachige Buchproduktion gab, musste Literatur aus Europa oder den Vereinigten Staaten teuer importiert werden oder wurde der Bibliothek als wohltätige Schenkungen zur Verfügung gestellt.114 Die aus einem anderen Kulturkreis stammenden Publikationen warfen Fragen nach der Relevanz für die ostnigerianischen Nutzer auf: Wie konnte – so spitzte Frank Gardner die Problematik zu – ein englischsprachiges Kinderbuch, dessen Protagonist ein Pony war, für afrikanische Kinder geeignet sein, die in ihrem Leben noch nie ein Pferd gesehen hatten?115 Auch wenn die Bedeutung einheimischer Literatur erkannt und deren Produktion eingefordert wurde, war der Import von Büchern aus der entwickelten angelsächsischen Welt angesichts eines kaum vorhandenen lokalen Verlagswesens alternativlos. In Kolumbien war das Verlagswesen in den fünfziger Jahren ebenfalls schwach, wenn auch im Vergleich zu Nigeria deutlich besser entwickelt: Der Bestand der Medellíner Bibliothek setzte sich aus Büchern kolumbianischer Verlage und Importen aus den spanischsprachigen Nachbarländern zusammen; auch hier war somit eine partielle Abhängigkeit von Bucheinfuhren aus dem Ausland gegeben.116 In weit größerem Maßstab als durch die auf dem Markt erhältlichen Bücher wurde in Medellín die Zusammensetzung des Buchangebots allerdings durch die katholische Kirche bestimmt, der ein maßgeblicher Einfluss auf die Buchauswahl zugestanden wurde. Angesichts der Machtfülle des Klerus sah sich der UNESCO-Mitarbeiter Penna gezwun-
112 Vgl. Stanley H. Horrocks: Eastern Region Pilot Public Library Project. Report. June 1958 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (669) A 61, Part III). 113 Der Onitsha Market war in den fünfziger und sechziger Jahren einer der geschäftigsten Handelsplätze Nigerias, auf dem auch einfach hergestellte, populäre Lesestoffe wie Abenteuer- und Liebesgeschichten, aber auch Ratgeberliteratur vertrieben wurden. Die Onitsha Market Literature hat in der Forschung ziemlich große Aufmerksamkeit erhalten. Vgl.: Don Dodson: The Role of the Publisher in Onitsha Market Literature. In: Research in African Literature 4 (1973), S. 172–188; Emmanuel Obiechina: An African Popular Literature. A Study of Onitsha Market Pamphlets. Cambridge: Cambridge University Press 1973; Market Literature from Nigeria. A Checklist. Hrsg. von Peter Hogg und Ilse Sternberg. London: British Library 1990. Die Bibliothek der University of Kansas hat gut zwei Dutzend der in den fünfziger und sechziger Jahren in Nigeria hergestellten Lektürestoffe digitalisiert: Onitsha Market Literature. From the Bookstalls of a Nigerian Market. Digital Library Initiatives/University of Kansas Libraries. URL: http://onitsha.diglib.ku.edu/index.htm [15.4.2013]. 114 Vgl. S. H. Horrocks: Report »Eastern Nigeria Pilot Project« vom 27.9.1957 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (669) A 61, Part II). 115 Vgl. Frank M. Gardner: Libraries in Developing Countries. In: The Library Asssociation Record 67 (1965), H. 1, S. 13–14, hier S. 14. 116 Vgl. zur Struktur der lateinamerikanischen Buchmärkte detailliert Kapitel 8.1 dieser Arbeit.
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gen, ein Komitee einzusetzen, das sich aus Vertretern des Bildungsministeriums, der UNESCO und der Kirche zusammensetzte. Dieses wählte diejenigen Bücher für die Piloto aus. Durch die Einbindung des Klerus hoffte Penna, den Rückhalt der katholischen Kirche für die Bibliothek zu gewährleisten und somit die Integration des Pilotvorhabens in das gesellschaftliche Leben überhaupt erst zu ermöglichen. Die aus der Einbeziehung der orthodoxen Kräfte in den Auswahlprozess resultierende Verbannung jeglicher progressiver Literatur, mithin eine offensichtliche Verletzung des Public Library Manifesto begründete der argentinische UNESCO-Mitarbeiter gegenüber seinen Vorgesetzten in Paris wie folgt: Para ilustrar mejor a Ud. la situación debo de decirle que hace poco tiempo, el ex-presidente de la Junta de la Biblioteca y Director de Educación, acompañado de varios sacerdotes, requisaron todos los libros de las bibliotecas de la ciudad que estaban contra el dogma cristiano, que podían estarlo o que consideraban inmorales. Estos libros, según me informan, fueron quemados [. . .] El actual Presidente de la Junta [. . .] se opuso a que comprara para la Biblioteca ›Tesoro de la Juventud‹, obra clásica en las bibliotecas juveniles, porque al ser editada por Jackson (USA) tenía forzosamente, influencia protestante [. . .] Si yo desarrollara una política de libre selección, puede asegurar a Ud. que la Biblioteca no duraría en su existencia. Sería atacada por todos los diarios y radios y obligada a cambiar su política y por lo tanto desacreditada.117
Die Buchzensur durch die katholische Kirche hatte zur Folge, dass keine der im Index Librorum Prohibitorum gelisteten Werke in der Modellbücherei zu finden waren und folglich – wie Germán García bedauerte – Weltliteratur wie beispielsweise Balzacs La Comédie Humaine der Medellíner Bevölkerung nicht zur Lektüre zur Verfügung stand.118 Bücher, wie sie der ostnigerianische Leser in den Regalen der Bibliothek in Enugu finden konnte, wo sich Ratgeber wie Physiology of Sex, Sexual Pleasure in Marriage oder How to Manage Men großer Beliebtheit erfreuten, waren in Medellín undenkbar.119 Erst unter Rafael López kam es nach dem Umzug der Bibliothek in die neuen Räumlichkeiten zu einer Lockerung der Zensur: Es wurde eine Giftschrank eingerichtet, in der vom Klerus nicht akzeptierte Werke gelagert und der Öffentlichkeit restriktiv zugänglich gemacht wurden.120 Der Vorstoß gegen eine der zentralen Grundsätze des Public Library Manifesto und gegen die Grundsätze der Meinungsund Informationsfreiheit wurde innerhalb des UNESCO-Sekretariats zwar mit Unbehagen zur Kenntnis genommen, aber letztlich akzeptiert; man beugte sich dem Druck der katholischen Kirche. Als wenige Jahre später der Leiter des Kultursektors Robert
117 Carlos Penna an Jean Thomas am 24.4.1954 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 1, Part I). 118 Vgl. Germán García: Anexo Confidencial, Informe No.1, o. D. (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellin 187, Part I). 119 Vgl. Horrocks: The Regional Central Library at Enugu, S. 31. 120 Vgl. Alberto Aguirre: La Piloto. In: El Colombiano vom 5.2.1961 (Artikel zu finden in: Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 Medellín AMS 61/62).
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Salat vorschlug, im Rahmen des Bibliotheksprogramms stärker auf die in den öffentlichen Bibliotheken verfügbaren Inhalte einzuwirken, erwiderte Petersen, die Erfahrungen in Medellín deutlich vor Augen: However since UNESCO is constituted as it is, I doubt that we can go much further with regard to the contents of public libraries than we have done so far. If we should attempt to tackle the problem in a completely thorough way, I am afraid we should soon be embroiled with the Church, the governments of communist countries and probably also with some Member States which administer non self-governing countries.121
Die Äußerung des UNESCO-Mitarbeiters Petersen weist ebenso wie die Zugeständnisse, die an die katholische Kirche in Medellín gemacht wurden, auf die letztlich geringe Machtfülle der Pariser Organisation hin. Die UNESCO konnte sich mit Verweis auf die Meinungs- und Informationsfreiheit lediglich für einen vielseitigen, alle politischen und gesellschaftlichen Positionen reflektierenden Buchbestand einsetzen, sie konnte ihn aber nicht durchsetzen. Die von der UNESCO initiierten Modellbibliotheken waren als demokratische Institutionen konzipiert, die jedem Bürger gleichermaßen offenstehen und vor allem auch bildungsferne Bevölkerungsschichten erreichen sollten. Gemäß der im Public Library Manifesto fixierten Grundsätze war es angestrebt, einen Ort zu schaffen, der prinzipiell allen den Zugang zum Buch und damit zur Bildung ermöglichte. Diese Zielsetzung spiegelte sich in den Organisationscharakteristika der von der UNESCO mitgegründeten Einrichtungen wider: Die Bibliotheksbenutzung inklusive der Ausleihe von Büchern nach Hause war kostenfrei, die Buchbestände wurden in offenen, jedem zugänglichen Regalen präsentiert, Außenstellen der Bibliothek und Fahrbüchereien eingerichtet sowie umfangreiche Kultur- und Bildungsprogramme ins Leben gerufen. Es sind diese Kennzeichen moderner, also im Sinne des Manifests organisierter Bibliotheken, die die Innovationen darstellten, die die UNESCO nach Delhi, Medellín und Enugu transportierte. Der in den genannten Organisationsmerkmalen deutlich werdende Anspruch, sich am durchschnittlichen Bürger als Nutzer zu orientieren und dessen Bedürfnisse bestmöglich zu bedienen, unterschied die Modellbibliotheken wesentlich von anderen, dem Charakter nach deutlich elitäreren Einrichtungen, die bisher an den jeweiligen Orten existiert hatten. Allen drei Pilotbibliotheken war gemein, dass sie relativ zügig eine Infrastruktur aufbauten, mit denen das Buch zum Leser oder zumindest in dessen Nähe gebracht wurde.122 Fahrbüchereien, Zweigstellen, Depositstationen und Bücherboxen stellten Möglichkeiten dar, bibliothekarische Dienste nicht nur in der Bibliothek selbst anzu-
121 E. N. Petersen an R. Salat am 24.4.1958 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 1, Part III). 122 Vgl. beispielhaft: M. M. L. Tandon: At the Doorstep of Our Readers. In: UNESCO Bulletin for Libraries XII (1958), H. 8/9, S. 190–191.
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Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
bieten. In Delhi wurden kleine Bibliotheksstationen in den Zentren für Erwachsenenbildung eingerichtet, um vor allem kürzlich Alphabetisierte an das Ausleihen von Büchern zu gewöhnen. Im Umland der indischen Hauptstadt verkehrte ebenso wie auf den Straßen Medellíns ein Bücherbus, der vor allem die Bewohner mit Büchern versorgen sollte, die relativ weit von der Bibliothekszentrale entfernt lebten. In Medellín gründete Arroyave einige Stadtteilniederlassungen in ärmeren Bezirken und eröffnete eine kleine Dependance im örtlichen Krankenhaus. In Enugu bediente die mobile Bücherei in einem Umkreis von einhundert Meilen vor allem Schulen. Da aufgrund der schlechten Straßen der Bus nicht in das ostnigerianische Hinterland vordringen konnte, wurde zusätzlich über die Einrichtung eines Buchversandes nachgedacht. Das Buch an die Türschwellen eines jeden Hauses zu bringen, war die bildliche Verkörperung eines bibliothekarisch-demokratischen Ideals, das auf eine Erweiterung der Bibliotheksnutzung hoffte, indem es das Buch in die Reichweite potenzieller Leser und bisheriger Nichtleser brachte. Der Bücherbus als mobile Bibliothek war das Hauptinstrument dieser auch im Sinne einer »Propaganda für das Buch«123 zu verstehenden Expansionsstrategie.124 Neben der Ausdehnung der bibliothekarischen Dienste gehörte die Durchführung von Kultur- und Bildungsveranstaltungen gemäß des Public Library Manifesto zu den Kernaufgaben der Pilotbibliotheken. In Delhi wurde eine Abteilung eingerichtet, die die Konzeption und Ausrichtung kultureller Aktivitäten wie Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Diskussionsgruppen und Filmvorführungen verantwortete und somit die Idee einer Bibliothek als Kultur- und Gemeinschaftszentrum umzusetzen versuchte.125 Ähnliche Veranstaltungen wurden auch in Medellín organisiert, wo insbesondere Musik- und Malwettbewerbe und die Vorlesestunden für Kinder auf großen Zuspruch stießen.126 Im Vergleich zu seinen beiden Schwesterinstitutionen fiel das kulturelle Veranstaltungsprogramm in Enugu eher gering aus: An der afrikanischen Pilotbibliothek fanden nur von Zeit zu Zeit Vorträge und Filmvorführungen statt.
123 Im englischen Original: »Propaganda for Books«. J. C. Arroyave: The Bookmobile of the Medellin Pilot Public Library for Latin America. In: UNESCO Bulletin for Libraries XII (1958), H. 8/9, S. 188–189, hier S. 189. 124 Die UNESCO engagiert sich bis in die Gegenwart für die Expansion bibliothekarischer Leistungen durch den Einsatz mobiler Büchereien. Zum Einsatz kommen nicht mehr nur noch Bücherbusse, sondern in Abhängigkeit von geographischen Bedingungen auch Bücherboote, Büchertiere oder Bücherjeeps. 2009 wurde von der Pariser Organisation eine praktische Anleitung für mobile Büchereien herausgegeben. Vgl. Sylvia Dorance: Livres en Mouvement. Mettre en place un bibliothèque mobile. Paris 2009 (UNESCO-Dokument: CLT/CEI/CID/2009/PI/89/FR). 125 Vgl. M. M. L. Tandon: Social Education Activities in the Delhi Public Library. In: UNESCO Bulletin of Libraries XI (1957), H. 11/12, S. 264–266. 126 Vgl. Julio Cesar Arroyave: Music and Art Contests in the Medellin Pilot Public Library for Latin America. In: UNESCO Bulletin for Libraries XI (1957), H. 11/12, S. 275–276.
Der Aufbau von pilot public libraries in den fünfziger Jahren
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Die Hoffnung, mittels der angebotenen Kulturveranstaltungen bildungsferne Bevölkerungsschichten an die Bibliothek heranzuführen, erfüllte sich indes nicht. In seiner Evaluation der Delhi Public Library kam Frank Gardner 1957 zu einer ernüchternden Einschätzung: From the evidence of statistics, questionnaires, and observation reports, one concludes that the work of this department is turning out to be the reverse of what was originally intended – that instead of poorly educated persons being attracted to the library via social education activities, the more active and educated library members developed an interest in social or rather education activities.127
Ebenso wie die Teilnehmer am Kulturprogramm der Delhi Public Library verfügte der typische Bibliotheksnutzer über ein hohes Bildungsniveau, war relativ jung und männlich: Knapp unter neunzig Prozent der registrierten Leser waren unter dreißig Jahre alt, über neunzig Prozent männlich, nur ein Prozent besaß keine formale Bildung, 21 Prozent der Nutzer hatten lediglich die Primarschule absolviert.128 Die bereits in der Analyse der Leserstruktur der Pilotbibliothek in Delhi sichtbar werdende Dominanz junger, männlicher Bibliotheksbesucher mit Bildungsambitionen spiegelte sich auch im Benutzerprofil der kolumbianischen und nigerianischen Schwesterinstitutionen wider. Das von Horrocks für die Bücherei in Enugu konstatierte Ausbleiben der älteren bzw. weiblichen Bevölkerung sowie von Personen mit geringer formaler Bildung war auch an den anderen beiden Pilotbibliotheken zu beobachten. Eine gewisse Diversifikation in der Benutzerstruktur konnte durch Expansion bibliothekarischer Dienstleistungen in den Zweigstellen und durch die Fahrbüchereien erreicht werden. Obgleich gering gebildete Bevölkerungsschichten lediglich teilweise von dem Angebot der Bibliotheken Gebrauch machten und somit eine der Zielsetzungen der Modellvorhaben nur bedingt erfüllt wurde, sah man diese nicht generell als gescheitert an: Der Zulauf, den die Einrichtungen sowohl in Delhi als auch in Medellín und Enugu erfuhren, wies darauf hin, dass an den drei Orten ein enormer Bedarf an bibliothekarischen Angeboten bestand und die Pilotbibliotheken diesen zumindest teilweise befriedigen konnten. Anstatt die demographische Struktur der Bibliotheksnutzer und deren Buchkonsum zu untersuchen, beabsichtigte man innerhalb des UNESCO-Sekretariats zunächst, die Auswirkungen der Pilotbibliotheken auf das gesellschaftliche Leben zu messen und somit die proklamierte soziale Relevanz bibliothekarischer Einrichtungen unter Beweis zu stellen. Diese Zielsetzung wurde jedoch schnell aufgegeben, nachdem der US-amerikanische Kommunikationswissenschaftler Robert Leigh die Pariser Organisation gewarnt hatte:
127 Frank M. Gardner: The Delhi Public Library. An Evaluation Report. Paris: UNESCO 1957 (UNESCO Public Library Manuals. 8), S. 68. 128 Vgl. ebd., S. 25–34.
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All the studies I have done in the field of effects and on public libraries leaves me with a feeling that it is tremendously difficult, almost impossible task, with our present methods, to find out actually and honestly the effects of a public library over any short period of time [. . .] It seems to me that a library is essentially a service to a community, similar of public parks or other services. The effects, bad or good, are very slow in operation and can hardly be isolated from the effects of other educational or cultural influences operating at the same time.129
Ebenso wenig wie der Beitrag der Pilotbibliotheken zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen in ihren Umgebungen exakt zu bestimmen war, konnte die Wirkung der Modellvorhaben als Ausstrahlungszentren für die bibliothekarische Entwicklung in ihrer jeweiligen Region ermittelt werden. Es finden sich in den Evaluationen folglich auch nur recht vage Hinweise darauf, wie die drei Modellvorhaben den Aufbau gleichartiger Institutionen in ihrem regionalen Umkreis beeinflusst haben könnten: In Delhi wurden Bibliothekare anderer Länder mit der Organisation moderner Büchereien vertraut gemacht; die Direktoren aller drei Institutionen wurden von Kollegen um Rat beim Aufbau öffentlicher Bibliotheken ersucht.130 Die UNESCO ihrerseits bemühte sich, die Projekte bekannt zu machen und auf diesem Wege zur erwünschten Wirkung zu verhelfen. Diesem Zweck dienten neben der bereits am Beispiel der indischen Bibliothek dargestellten Öffentlichkeitsarbeit vor allem die organisierten Besuche offizieller Delegationen sowie die Durchführung von Seminaren an den Pilotbibliotheken131 : Bibliothekare und Regierungsvertreter sollten von den Qualitäten einer nach dem Bibliotheksmanifest organisierten Bücherei vor Ort überzeugt werden. Welche Effekte die von der UNESCO eingeleiteten (publizistischen) Maßnahmen hatten, ist hingegen nicht zu ermitteln: Ein signifikanter Anstieg öffentlicher Bibliotheken ist weder für Asien noch für Lateinamerika nachzuweisen. Die Schlussfolgerung, die Parker daher in seiner Analyse der Delhi Public Library zieht, scheint auch für die anderen Pilotbibliotheken zutreffend: Die Bibliotheken waren für sich selbst genommen erfolgreiche Institutionen, ihre Qualitäten als Ausstrahlungszentrum für die bibliothekarische Entwicklung in ihrer Region schienen allerdings begrenzt zu sein, sie waren zumindest nicht mess- und damit nicht nachweisbar.132
129 Robert Leigh an Edward Carter am 22.6.1954 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 540 A 61 198, Part I). 130 Vgl. M. M. L. Tandon: The Delhi Public Library from 1955 to 1960. Paris 1960 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Sem. 7/6), S. 2–3. 131 Vgl. beispielhaft: Carlos Penna an Julio César Arroyave am 20.2.1956 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 02 (86) A 61 1, Part II). 132 Vgl. Parker: UNESCO and Library Development Planning, S. 168.
Das Primat des Planens: Bibliothekssysteme als Teil koordinierter Bildungspolitik
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5.2 Das Primat des Planens: Bibliothekssysteme als Teil koordinierter Bildungspolitik Anfang der sechziger Jahre erfolgte ein Strategiewechsel in der Bibliotheksförderungspolitik der UNESCO: Anstatt weiterhin auf den Aufbau von Modellinstitutionen als Impulsgeber für die bibliothekarische Entfaltung in Afrika, Asien und Lateinamerika zu setzen, sprach sich die UN-Organisation nun für eine stufenweise Errichtung von Bibliothekssystemen im Zuge der Umsetzung nationaler Entwicklungspläne aus. Die Idee der Planung ersetzte das Instrument der Demonstration. Das Büchereiwesen wurde zu einer Komponente in einem systematisch angelegten, funktional ausdifferenzierten bibliothekarischen Geflecht, das aus National- und Schul- sowie wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken bestand und als solches die Literaturversorgung der Bevölkerung optimal sicherstellen sollte. Ohne dass der Pilotbibliotheksansatz öffentlich diskreditiert worden wäre, waren im Laufe der Jahre einige konzeptionelle Defizite offen zutage getreten. Zum einen waren die Schwierigkeiten beim Aufbau der Buchbestände und die geringe Verfügbarkeit qualifizierten Personals Probleme struktureller Natur, welche durch die Modellvorhaben zwar besser erkennbar wurden, aber durch diese nicht zu lösen waren. Zum anderen konnte es im Hinblick auf das langfristige Ziel, der Gesamtbevölkerung eines Landes oder einer Region den Zugang zu Büchern zu ermöglichen, nicht zufriedenstellend sein, an einigen wenigen Orten Modellbibliotheken aufzubauen. Letztere mussten vielmehr in ein wachsendes bibliothekarisches System integriert werden, also Komponenten einer systematisch angelegten und somit geplanten Bibliothekslandschaft sein, ähnlich derjenigen, als deren Hauptbestandteil die Zentralbibliothek im nigerianischen Enugu errichtet worden war. Der UNESCO-Experte Gardner, der den Aufbau der Delhi Public Library begleitet hatte, empfahl der Pariser Organisation, »nicht so sehr Bibliotheken zu schaffen, sondern vielmehr die Bedingungen, in denen Bibliotheken gedeihen können«133 . Angesichts des enormen Bedarfs an bibliothekarischen Einrichtungen konnte – so der einstimmige Tenor der Seminarteilnehmer der 1953 im nigerianischen Ibadan ausgerichteten UNESCO-Tagung – in Afrika, Asien und Lateinamerika nicht auf ein natürliches, auf lokaler Ebene einsetzendes Wachstum des Bibliothekswesens gewartet werden, wie es sich in weiten Teilen Europas und den Vereinigten Staaten vollzogen hatte; vielmehr müsste die bibliothekarische Entwicklung in der Dritten Welt planvoll forciert werden. Der koordinierte Aufbau nationaler oder regionaler Bibliothekssysteme in den Entwicklungsländern wurde als ideal angesehen, ermöglichte dieser doch, Dienste wie Buchauswahl und -erwerb, Katalogisierung und Klassi-
133 Im englischen Original: »not so much to create libraries as to create the conditions in which libraries will flourish«. Frank M. Gardner: Lowering the Barriers. Ten Years of UNESCO. In: The Library Association Record 59 (1957), S. 10–12, hier S. 12.
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fizierung zu zentralisieren und somit eine effizientere, kostensparendere Organisation zu schaffen, als sie dem evolutionär gewachsenen »bibliothekarischen Flickenteppich«134 der westlichen Welt zugrunde lag.135 Die Vorschläge zu einer planvollen Gestaltung des Bibliothekswesens in Entwicklungsländern, wie sie während der UNESCO-Tagungen der fünfziger Jahre von vornehmlich westlichen Experten hervorgebracht wurden, wiesen – ohne dass diese Verbindung je explizit gemacht wurde – Ähnlichkeiten zu den Organisationsprinzipien der sowjetischen Bibliothekslandschaft auf. Die über 390.000 bibliothekarischen Einrichtungen des sozialistischen Landes, die Mitte der fünfziger Jahre existierten, waren in zwei miteinander verbundenen Systemen gruppiert, dem Netz der wissenschaftlichen Allgemein- und Fachbibliotheken und demjenigen der Massenbibliotheken, deren Dorf-, Stadt- und Gebietsbibliotheken von der seit 1925 mit zentralen Funktionen ausgestatteten Lenin-Bibliothek methodisch angeleitet wurden.136 Wichtige Impulse für die Bildung dieses hierarchisch aufgebauten Bibliothekssystems waren von Lenin ausgegangen, der im Mai 1919 auf einer Konferenz zur Erwachsenenbildung eine zentralisierte bibliothekarische Organisation angeregt hatte, um so die Entstehung teurer, paralleler Strukturen zu verhindern.137 Bereits im darauf folgenden Jahr ordnete man per Dekret die Zentralisierung des gesamten Bibliothekswesens an und setzte ein dem Volkskommissariat für Bildungswesen unterstelltes Komitee als verantwortliche Instanz für die bibliothekarische Entwicklung ein.138 Die zentral geplante Expansion des sowjetischen Bibliothekswesens wurde in den zwanziger Jahren im Rahmen der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Umgestaltung und der im Sinne der Kulturrevolution durchgeführten Maßnahmen zur Alphabetisierung und Massenbildung vorangetrieben und als Zielsetzung in die Fünfjahrespläne integriert. Im Verlauf eines halben Jahrhunderts konnte die Anzahl an Bibliotheken, die vor der Oktoberrevolution bei etwa 75.000 gelegen hatte, verfünffacht und eine annähernd flächendeckende Literaturversorgung der Sowjetbürger gewährleistet werden.
134 Im englischen Original: »the patchwork nature of library authorities«. S. H. Horrocks: Enugu Journey. In: The Library World 64 (1962), S. 81–83, hier S. 82. 135 Vgl. Edward Sydney: Group I. Organizing Public Library Services on a Regional or National Scale. Paris 1953 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Sem. 3/24); Houle: Libraries in Adult and Fundamental Education, S. 145. 136 Vgl. Vom Bibliothekswesen der Sowjetunion. Bericht über eine Studienreise nach Moskau. Leipzig VEB Otto Harrassowitz 1957, insbesondere S. 5–8; Gerhard Schwarz: Sowjetunion (UdSSR/SU). In: Lexikon des Bibliothekswesens. Band 2. Hrsg. von Horst Kunze und Gotthard Rückl. 2., neubearbeitete Auflage. Leipzig: VEB Verlag für Buch- und Bibliothekswesen 1975, S. 1245–1256. 137 Vgl. N. Lenin: Two Speeches to the First All-Russian Conference on Adult Education. Abgedruckt in: Lenin, Krupskaia and Libraries. Hrsg. von S. Simsova. London: Clive Bingley 1968 (World Classics on Librarianship), S. 21–24, hier S. 24. 138 Vgl. Decree of the Council of People’s Commissars on the Centralisations of Libraries in the RSFRS. Abgedruckt in: Lenin, Krupskaia and Libraries, S. 40–41.
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Mitte der fünfziger Jahre galt insbesondere für den afrikanischen Raum die Bibliotheksstruktur als Vorbild, die Evelyn Evans mit anfänglicher finanzieller Unterstützung des British Council für die Goldküste konzipiert und dort implementiert hatte. An der Spitze des innerhalb weniger Jahre aufgebauten hierarchischen Bibliotheksgefüges stand die Aglionby Library in der Hauptstadt Accra. Als größte Einrichtung des Landes erbrachte sie nicht nur die üblichen bibliothekarischen Leistungen, sondern war als Zentrale zudem für die Anschaffung und Katalogisierung aller für das Bibliothekssystem bestimmten Medien zuständig. Die der Aglionby Library unterstehenden regionalen Bibliotheken in den größeren Städten des Landes oblag es, die Literaturversorgung nicht nur vor Ort, sondern auch in ihrem jeweiligen Hinterland durch den Aufbau von Dependancen, den Einsatz von Fahrbüchereien, das Verleihen von Buchboxen139 und den postalischen Buchversand zu gewährleisten. Ein per Gesetz ins Leben gerufener nationaler Büchereiausschuss war als oberstes Lenkungsorgan für die bibliothekarische Entwicklung und Koordination verantwortlich. Er setzte sich unter anderem für die Einrichtung einer berufsbegleitenden Ausbildung ein.140
5.2.1 Bibliotheksentwicklungspläne: Instrumente für eine effiziente Gestaltung der öffentlichen Literaturversorgung? Die Anregung, den bibliothekarischen Aufbau in Entwicklungsländern durch Planung auf effiziente Weise zu gestalten, wurde Ende der fünfziger Jahre durch Carlos Víctor Penna aufgegriffen. Die dem Regionalbüro in Havanna obliegende Durchführung des Langzeitprojekts zur Erweiterung und Verbesserung der Grundschulbildung in Lateinamerika (1957–1966) und der Austausch mit dem chilenischen Bildungsexperten Óscar Vera inspirierten den argentinischen UNESCO-Mitarbeiter dazu, die Idee der systematischen Entwicklung von Bibliotheksinfrastrukturen mit den Instrumentarien der Bildungsplanung methodisch anzureichern und dafür zu werben, die Verbesserung des Bibliothekswesens als öffentliche Aufgaben in den nationalen (Bildungs-) Entwicklungsplänen festzuschreiben.141 Das Konzept der Planung von Bildung hatte als educational planning innerhalb des UNESCO-Bildungssektors in den fünfziger Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen: 139 Buchboxen (book boxes) waren insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent vielfach eingesetzte Instrumente, um ländliche Regionen mit Literatur zu versorgen. Eine kleine, meist zwischen fünfzig und hundert Titel umfassende Auswahl an Büchern wurde – in einer Kiste verpackt – einem Dorf oder einer Dorfschule für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung gestellt. 140 Vgl. Evelyn J. A. Evans: Library Resources in English-Speaking Countries of West Africa. In: UNESCO Bulletin for Libraries XV (1961), H. 5, S. 227–231; dies.: Public Library Distribution Techniques in Africa. Paris 1953 (UNESCO-Dokument: UNESCO/LBA/Sem.3/8). 141 Vgl. Carlos Víctor Penna: National Planning for Library and Information Service: Reality or Utopia? In: Third World Libraries 3 (1992), H. 1, S. 26–33, hier S. 26.
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There is no doubt that educational planning is a necessity [. . .] not only because of the vast economic, technical and intellectual efforts involved in all educational endeavour but, even more, because of the two features that distinguish our civilization, namely, its accelerated development and its growing complexity [. . .] [T]he complexity and urgency of balanced development have highlighted the value of planning as a means of forecasting needs, as a basis for rational and methodical action, in short, as an intellectual discipline for thinking out the present in the light of the future.142
Durch Bildungsplanung sollte in Zusammenarbeit mit Politik und Wissenschaft und in Abhängigkeit von demographischen Kennzahlen sowie wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen die Entwicklung des Bildungswesens auf nationaler Ebene gesteuert werden. Bildungsplanung basierte dabei vorwiegend auf statistischen Berechnungen, die Kosten, Nachfrage nach Bildungsabschlüssen und die prognostizierte wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigten. Die Bedeutung, die der Bildungsplanung innerhalb der UNESCO zugesprochen wurde, lässt sich unter anderem ablesen an der Gründung des Internationalen Instituts für Bildungsplanung (International Institute for Educational Planning, IIEP), das 1963 in Paris seine Arbeit aufnahm.143 Penna stellte seine Strategie einer auf statistisch-quantitativen Methoden gestützten, eine Bedarfsfeststellung und Kostenanalyse beinhaltenden Planung nationaler Bibliothekssysteme zunächst im lateinamerikanischen Raum publizistisch vor.144 Spätestens mit Pennas Wechsel von Havanna an die Zentrale in Paris im Jahr 1964 wurde sein Konzept zum neuen Leitmotiv der UNESCO-Bibliotheksprogramme; es wurde 1967 zunächst in einem umfangreichen Artikel im UNESCO Bulletin for Libraries präsentiert und in einer überarbeiteten Fassung 1970 in Monographieform als letzter Band der UNESCO Manuals for Libraries veröffentlicht.145 Unter Planung bibliothekarischer Systeme verstand Penna einen von öffentlicher Hand koordinierten, systematisch gestalteten Prozess, der einen mit der nationalen
142 René Maheu: Foreword. In: Problems and Strategies of Educational Planning. Lessons from Latin America. Hrsg. von Raymond F. Lyons. Paris: UNESCO, International Institute for Educational Planning 1965, S. V–VIII, hier S. V. 143 Das Konzept der Bildungsplanung erlebte vor allem in den sechziger Jahren seine Blüte. Dies spiegelt sich auch in einer Flut an Arbeitsdokumenten, Zeitschriften und Monographien wider, die die UNESCO bzw. das IIEP zum Thema veröffentlichten. Vgl. hierfür beispielhaft: Economic and Social Aspects of Educational Planning. Paris: UNESCO 1964. 144 Vgl. Carlos Víctor Penna: Los servicios bibliotecarios y el planeamiento de la educación. In: Proyecto principal de educación. Boletín trimestral II (1960), H. 6, S. 47–65; ders.: La bibliotecología latinoamericana. Algunas consideraciones sobre su pasado; esbozo de un plan para acelerar su desarrollo. Tucumán: Biblioteca Central de la Universidad Nacional de Tucumán [1959/1960] (Ciencia de Documentación, Serie O) (Anmerkung: Auf dem Buchumschlag ist 1959 als Erscheinungsdatum vermerkt, während im Impressum 1960 angegeben ist). 145 Vgl. Carlos Víctor Penna: Planning Library Services. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXI (1967), H. 2, S. 60–92; ders.: The Planning of Library and Documentation Services. Revised by Philip H. Sewell and Herman Liebaers. Paris: UNESCO 1970 (UNESCO Manuals for Libraries. 17).
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Bildungspolitik und den vorhandenen Ressourcen abgestimmten Aufbau bibliothekarischer Infrastrukturen mit dem Ziel der wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung einleitete: The planning of library and documentation services is regarded as one specific aspect of educational, scientific and cultural planning within the social and economic planning of a country or a region, for only within this context can library and documentation planning acquire the foundations of support which it needs if it is to be effective. Regarded in that way, planning of library services implies a continuous systematized process of studying educational problems at all levels, including adult education and the problems of scientific research from the standpoint of library needs; it also involves determining the aims of library services, setting targets for attaining those aims and preparing realistic decisions to ensure that these objectives will be reached through the rational and reasonable use of available resources.146
Penna war aufgrund seiner Erfahrungen in Lateinamerika – nicht zuletzt derjenigen, die er beim Aufbau der Medellíner Pilotbibliothek gemacht hatte – der Überzeugung, dass angesichts der knappen finanziellen Ressourcen in Entwicklungsländern ein staatlich finanzierter Ausbau des Bibliothekswesens nur unter zwei, einander wechselseitig beeinflussenden Bedingungen erreicht werden konnte: Einerseits stellte die politische Führungsklasse die notwendigen Mittel zum Ausbau und Erhalt der Bibliothekslandschaft erst bereit, wenn sie überzeugt war, dass Bibliotheken einen Beitrag zu wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt leisten. Andererseits konnte das Bibliothekswesen sein Leistungsvermögen nur dann demonstrieren und somit zum Advokaten seiner selbst werden, wenn es die Bildungsprioritäten des Landes bestmöglich bediente. Die Integration des Bibliotheksaufbaus in die nationalen Entwicklungspläne war nach Pennas Auffassung erforderlich, damit das Bibliothekswesen die notwendige finanzielle Unterstützung überhaupt erfahren und zugleich durch die Koordination mit den Bildungsprogrammen einen optimalen Beitrag zur Erreichung nationaler Entwicklungsziele leisten konnte. Es ging folglich darum, mit den eingeworbenen Mitteln durch Planung die maximale Wirkung zu erzielen und die Verwendung öffentlicher Gelder somit gleichermaßen zu legitimieren.147 Unabdingbar für eine Berücksichtigung des bibliothekarischen Aufbaus in der nationalen Planung und unverzichtbar für den Erhalt staatlicher Zuwendungen war es folglich, die öffentliche und vor allem politische Wertschätzung für die Institution Bibliothek weiter zu stärken.148 Zu diesem Zweck erschien es nicht mehr ausreichend,
146 Penna: Planning of Library and Documentation Services, S. 16. Penna griff auf eine Definition zurück, die auf dem iberoamerikanischen Seminar zur Planung bibliothekarischer Dienste 1968 in Madrid erarbeitet wurde. Vgl. Vicente Llorca Zaragoza: Ibero-American Seminar on Planning of Library and Documentation Services. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXII (1968), H. 4, S. 166–172 und S. 188, hier S. 168. 147 Vgl. Penna: Planning of Library and Documentation Services, S. 19–20. 148 Vgl. Penna: Bibliotecología latinoamericana, S. 65.
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die (öffentliche) Bibliothek ausschließlich als demokratische Bildungsinstanz in einem breiten humanistischen Verständnis darzustellen, dieser am prominentesten im Public Library Manifesto fixierten Charakterisierung, die der französische Philosoph André Maurois in einem 1961 für die UNESCO verfassten Beitrag nochmals hervorhob: Nothing, then, is more important for mankind than to bring within the reach of all these mans of broadening our horizons, escaping from ourselves and making discoveries which literally transform life and make the individual a more valuable member of society. And the only way to do this is through public libraries.149
Dagegen akzentuierte Penna in seinem Konzept die Bedeutung, die ein funktionierendes Bibliothekswesen für die wirtschaftliche Entwicklung haben kann.150 Das von Penna herausgestellte wirtschaftsfördernde Potenzial bibliothekarischer Einrichtungen war ausführlich bereits in einem 1962 erschienenen Schwerpunkt des UNESCO Bulletin for Libraries dargestellt wurden.151 Dort hieß es: »In addition to their cultural contribution, libraries have an essential role to play in the economic and social progress of every nation, state and community.«152 Die Tatsache, dass die UNESCO den Zustand des Bibliothekswesens und die Möglichkeiten wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts miteinander in Bezug setzte, muss im Lichte einer sich verändernden Konzeption von Bildung in einem zunehmend ökonomisch betrachteten Entwicklungsprozess verstanden werden. Spätestens seit der elften Generalversammlung (1960, Paris)153 legitimierte die UNESCO Projekte im Bildungsbereich verstärkt mit dem Verweis auf die Relevanz von Bildung für die wirtschaftliche Entwicklung: »[E]ducation is the major instrument in the entire complex of human resource development and so of economic growth.«154 Der von der UNESCO verwendete Begründungszusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Expansion des Bildungswesens basierte dabei auf eher vagen Annahmen, die in der an Präsenz gewinnenden Humankapitaltheorie seine wissenschaftliche Konkretisierung fanden.155 Bildung wurde, so umschrieb es der stellvertretende UNESCO-General-
149 André Maurois: Public Libraries and Their Mission. Paris: UNESCO 1961, S. 10. 150 Vgl. Penna: Planning of Library and Documentation Services, S. 39–41. 151 Vgl. Libraries and Economic and Social Development. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVI (1962), H. 5, S. 221–256. 152 John G. Lorenz: The Role of Libraries in Economic and Social Development. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVI (1962), H. 5, S. 226–233, hier S. 226. 153 Vgl. 11 C/Resolutions, Res. 1.01. 154 M. S. Adiseshiah: Human Resources and the Development Decade. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVI (1962), H. 5, S. 221–225, hier S. 224. 155 Eines der zentralen Werke der modernen Humankapitaltheorie ist: Theodore William Schultz: The Economic Value of Education. New York: Columbia University Press 1964. Vgl. auch: Mary Jean Bowman: The Human Investment Revolution in Economic Thought. In: Sociology of Education 39 (1966), S. 111–137.
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direktor, nicht mehr nur noch als individuelles Konsumgut, sondern zunehmend auch als eine volkswirtschaftliche Investition begriffen156 und – so könnte man ergänzen – Bibliotheken waren als Folge dieser Definitionserweiterung neben Bildungsinstanzen nun auch Katalysatoren für wirtschaftliches Wachstum in den Entwicklungsländern. Im Zuge dieser Neuakzentuierung der Funktionen wurde das durch die öffentliche Hand finanzierte Bibliothekswesen bei Penna somit sprachlich folgerichtig zu einer langfristigen »Kapitalanlage«157 . Die Idee des systematisch gestalteten Auf- und Ausbaus bibliothekarischer Infrastrukturen gewann nicht von ungefähr in den sechziger Jahren an Dominanz. Das vom Historiker van Laak als »historische Sattelzeit der Planung«158 charakterisierte Jahrzehnt war geprägt von einem Zutrauen in die Gestalt- und Steuerbarkeit der Zukunft und in das Entwicklungspotenzial der Dritte-Welt-Länder. Das Primat des Planens fand seinen Ausdruck in der Einrichtung von nationalen Planungsbüros sowie in der Aufstellung von Fünf-, Zehn- oder Zwanzigjahresplänen, in denen in deutlicher Anlehnung an das sowjetische Modell Strategien und Zielwerte für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in der Hoffnung festgelegt wurden, durch planerische Interventionen den Rückstand zur industriellen Welt aufzuholen und den Sprung in die Prosperität zu schaffen. Pennas Konzept zum Aufbau bibliothekarischer Infrastrukturen reflektiert eindeutig die euphorische Planung von Entwicklung jener Zeit. Es sah vor, eine durch ein nationales Bibliotheksgesetz legitimierte Behörde zu gründen, die sich für die Erstellung und Implementierung der nationalen Bibliotheksentwicklungspläne verantwortlich zeigte. In Abhängigkeit von den kurz-, mittel- und langfristigen Zielen der Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftspolitik sowie der geschätzten demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung sollte zunächst die erforderliche Anzahl an Einrichtungen getrennt nach den Typen Schul-, National-, wissenschaftliche und öffentliche Bibliothek ermittelt werden. Der derart prognostizierte Bedarf musste in einem weiteren Schritt mit den bestehenden bibliothekarischen Ressourcen abgeglichen werden. Zu diesem Zweck sollte die Planungsbehörde eine vorwiegend quantitativ-statistische Analyse der Bibliothekslandschaft erstellen, die Auskunft über deren Kostenstruktur sowie die geographische Verteilung der Einrichtungen, aber auch über deren Nutzung gab. Erst durch einen Soll-Ist-Vergleich konnten die Kosten für die als notwendig erachtete bibliothekarische Entwicklung der kommenden Jahre abgeschätzt und in Abhängigkeit von den vorhandenen finanziellen Mitteln – Penna regte an, dass gut vier Prozent des staatlichen Bildungsetats für das Bibliothekswesen
156 Vgl. Adiseshiah: Human Resources, S. 223. 157 Im englischen Original: »capital investment«. Penna: Planning of Library and Documentation Services, S. 19. 158 Dirk van Laak: Planung. Geschichte und Gegenwart des Vorgriffs auf die Zukunft. In: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 305–326, hier S. 325.
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zur Verfügung gestellt würde – Prioritäten im Aufbau der bibliothekarischen Infrastruktur in einem Zehnjahresplan festgelegt werden.159 Auf Basis dieser Pläne sollte eine rational durchgeplante Bibliothekslandschaft entstehen, in der unterschiedliche Bibliothekstypen (nämlich Schul-, National-, wissenschaftliche und öffentliche Bibliotheken) spezifische Funktionen wahrnehmen und somit als »zweckmäßig geordnete Gesamtheit wirksam werden«160 . Die eigentliche Neuerung, die das von Penna erarbeitete Konzept systematischer bibliothekarischer Entwicklung darstellte, bestand nicht in der Berücksichtigung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Ein derartiges Vorgehen war bereits in den fünfziger Jahren diskutiert und beispielsweise durch Evelyn Evans in Ghana umgesetzt worden. Das Neue an Pennas Ansatz war vielmehr, die Integration des bibliothekarischen Aufbaus in die nationalen Entwicklungspläne zu propagieren und dessen Struktur, Kosten und Finanzierung mit denselben Planungsinstrumentarien zu bestimmen, die der staatlichen Industrie-, Bildungs- oder Agrarpolitik zugrunde lagen. In Pennas Konzept wurde der Aufbau bibliothekarischer Strukturen folglich Teil eines umfassenden, vorwiegend quantitativ-statistisch gelenkten Planungsgedankens. Die »Verheißung einer planbaren Moderne«161 hatte sich somit deutlich auf die Konzeption der UNESCO-Bibliotheksprogramme niedergeschlagen. Es war zunächst im lateinamerikanischen Kontext, in dem Penna sein Konzept planvoller bibliothekarischer Entwicklung vorstellte und zur Umsetzung empfahl. Eine erste Gelegenheit dazu bot eine Tagung zu Fragen der nationalen Organisation des Schulbüchereiwesens, die im November 1961 vom Regionalbüro in Havanna in Zusammenarbeit mit den UNESCO-Kommissionen Ecuadors und Kolumbiens im Rahmen des Langzeitprojekts zur Verbesserung des Grundschulwesens in Bogotá durchgeführt wurde. Es war die erste von der UNESCO initiierte Bibliothekstagung, in der die nationale Planung bibliothekarischer Strukturen, wenn auch thematisch verengt auf den Typus der Schulbücherei, zum zentralen Gegenstand wurde und sich im Titel der Veranstaltung widerspiegelte.162 Penna präsentierte sein bereits fünf Jahre zuvor entwickeltes Schema zum Aufbau eines nationalen Schulbüchereisystems, das sich als Anleitung für die Errichtung eines Teilsystems innerhalb des bibliothekarischen Gesamtgeflechts lesen lässt und einige Jahre später die Basis für
159 Vgl. Penna: Planning of Library and Documentation Services, Kapitel 2. 160 Siegfried Goltz: Bibliothekssystem. In: Lexikon des Bibliothekswesens. Band 1. Hrsg. von Horst Kunze und Gotthard Rückl. 2., neubearbeitete Auflage. Leipzig: VEB Verlag für Buch- und Bibliothekswesen 1974, S. 259. 161 Andreas Eckert: »We Are All Planners Now.« Planung und Dekolonisation in Afrika. In: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 375–397, hier S. 377. 162 Vgl. Seminar on the Planning of National School Libraries Service. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVI (1963), H. 4, S. 210–211; Informe final. Seminario sobre Planeamiento de un Servicio Nacional de Bibliotecas Escolares, Bogotá, 9–11 de noviembre de 1961. Havanna: Centro Regional de la UNESCO en el Hemisferio Occidental 1961.
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ein UNESCO-finanziertes Pilotprojekt in den zentralamerikanischen Staaten lieferte.163 Auf der 1962 im argentinischen Mendoza stattfindenden regionalen UNESCOBibliothekstagung, die im Zeichen des Ausbaus universitärer und wissenschaftlicher Bibliotheken stand, wurde den Teilnehmern als Diskussionsgrundlage ebenfalls ein Entwicklungsplan vorgestellt, der in einer Perspektive von zehn Jahren die Bibliotheksdienste an der lokalen Universidad Nacional de Cuyo verbessern sollte.164 Die in Bogotá und Mendoza angewandte Methode, Fragen der Bibliotheksplanung exemplarisch anhand eines zuvor ausgearbeiteten Entwicklungsplanes zu diskutieren, wurde zur zentralen Strategie, mit der das UNESCO-Sekretariat ab Mitte der sechziger Jahre versuchte, den planvollen Aufbau nationaler Bibliotheksinfrastrukturen weltweit in die Wege zu leiten. Zwischen 1966 und 1974 organisierte die UN-Organisation insgesamt vier Regionaltagungen, in denen Regierungsvertretern, Bildungsplanern und Bibliothekaren ein auf Pennas Konzept basierender, von Experten erarbeiteter Bibliotheksentwicklungsplan als Modell und Diskussionsgrundlage vorgelegt wurde. Den Auftakt zu diesem neuen regionalen Tagungszyklus machte die 1966 im ecuadorianischen Quito stattfindende Tagung für den lateinamerikanischen Kontinent, der gleichartige Veranstaltungen 1967 in Ceylon und 1970 in Uganda folgten. Den Abschluss bildete die Konferenz zur Entwicklung nationaler Bibliotheksinfrastrukturen in den arabischen Staaten 1974 in Kairo, auf der erstmals kein Bibliotheksentwicklungsplan für das Gastland, sondern für den angrenzenden Sudan vorgestellt wurde.165 Neben der Durchführung regionaler Seminare setzte die UNESCOBibliotheksstrategie der sechziger und siebziger Jahre außerdem auf die Entsendung von Experten, die auf Antrag der Mitgliedsstaaten Pläne für nationale (Teil-) Bibliothekssysteme entwarfen und in weit geringerem Maßstab deren Implementierung begleiteten.166
163 Vgl. Antonieta Ballón: Primary School Library System in Honduras. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXIII (1969), H. 6, S. 293–299. 164 Vgl. Regional Seminar on the Development of University Libraries in Latin America. In: UNESCO Bulletin for Libraries XVII (1963), H. 2, Supplement, S. 123–136. 165 Vgl. die Übersicht über die UNESCO-Bibliothekstagungen in der Dokumentation F. 166 Die Dominanz des Planungsgedankens in der Bibliotheksförderungspolitik der UNESCO ließ Fragen der Professionalisierung und Standardisierung der internationalen Bibliotheksstatistiken wieder verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Für die Evaluation der Bibliotheksinfrastruktur und damit als Grundlage für die Planung nationaler bibliothekarischer Entwicklung waren statistische Daten ein unerlässliches Instrumentarium: »[I]nternational statistics [. . .] are an indispensable tool for analysis in all fields of human activity in which there is international cooperation, which explains their growing importance. They make it possible to determine the direction which the economic and social development of a country should take and to measure the work done.« International Standardization of Library Statistics: Advisability of International Regulations. Paris 1968 (UNESCODokument: 15 C/16), S. 3. Die fünfzehnte Generalversammlung der UNESCO (1968, Paris) beauftragte das Sekretariat, ein Instrumentarium für die internationale Standardisierung von Bibliotheksstatistiken zu erarbeiten. Vgl. 15 C/Resolutions, Res. 4.512.
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Als Beispiel für die insgesamt fast zwanzig Bibliotheksentwicklungspläne, die die UNESCO zwischen 1964 und 1975 erstellen ließ, soll nachfolgend das Konzept zum Ausbau des öffentlichen und schulischen Bibliothekswesens in Bolivien vorgestellt werden, das der argentinische Bibliothekar Italo Juan Luís Mettini im Rahmen einer dreimonatigen Mission im Herbst 1970 erarbeitete.167 Grundlage für die von Mettini auf zehn Jahre angelegte Entwicklungsstrategie bildeten die im nationalen Alphabetisierungs- und im Zwanzigjahresplan (1971–1991) fixierten sozio-ökonomischen Zielsetzungen sowie Prognosen zur demographischen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung des Landes, die durch eine vom UNESCOExperten auf Basis von Beobachtungen, Interviews und Fragebogen eigens erstellte Diagnose der vorhandenen Bibliotheksinfrastruktur ergänzt wurde. Die Analyse der gegebenen Verhältnisse unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen stellte den ersten Schritt im Planungsprozess bibliothekarischer Entwicklungen dar, der aufgrund fehlenden statistischen Materials jedoch nicht – wie von Penna gefordert – auf einer quantitativen Basis erfolgen konnte, sondern vorwiegend deskriptiv vorgenommen wurde. Bolivien, mit knapp fünf Millionen Einwohnern eines der ärmsten Länder des südamerikanischen Kontinents, verfügte 1970 über eine nur gering entwickelte Bibliothekslandschaft. In ihrem Zentrum stand die 1825 gegründete Nationalbibliothek in Sucre, deren sich auf gut einhunderttausend Einheiten belaufender, teils historischer Buchbestand jedoch aus Platzmangel nicht fachgerecht gelagert und aufgrund der prekären Personalsituation – die Nationalbibliothek hatte lediglich vierzehn Angestellte, von denen nur wenige eine bibliothekarische Ausbildung besaßen – auch nicht ausreichend betreut werden konnte. Geld für die Neuanschaffung von Büchern und elementaren technischen Ausrüstungsgegenständen wie Schreibmaschinen war nicht vorhanden. Dieser Ressourcenmangel personeller und finanzieller Natur kennzeichneten auch die wenigen, meist kommunal verwalteten öffentlichen Bibliotheken, die vor allem in den größeren Städten des Landes der bolivianischen Bevölkerung offenstanden. Trotz der Tatsache, dass bereits 1929 eine Verfügung erlassen worden war, die die im Bildungsministerium beheimatete Abteilung für Literatur, Bibliotheks- und Verlagswesen anwies, den Aufbau bibliothekarischer Einrichtungen in allen Provinzen des Landes einzuleiten, war eine öffentlich organisierte Literaturversorgung Ende der sechziger Jahre nur in einigen der insgesamt neun Regionen ansatzweise gewährleistet. Ausnahmen in einem generell als defizitär zu bezeichnenden öffentlichen Bibliothekswesen stellten die Stadtbüchereien von La Paz und Cochabamba dar, die laut UNESCO-Experten in adäquaten Gebäuden untergebracht waren
167 Vgl. I. J. L. Mettini: Plan para el desarrollo de las bibliotecas públicas y escolares. Mission: Septiembre–noviembre de 1970: Bolivia. Paris 1971 (UNESCO-Dokument: 2416/RMO.RD/DBA; IM/PP/Consultor). Vgl. für die anderen achtzehn Expertenmissionen im Bereich des library planning die Dokumentation G.
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Abb. 6: Planung des bolivianischen Bibliothekswesens: Geographische Verteilung der Bevölkerung Boliviens (links) sowie der vorgesehenen bibliothekarischen Einrichtungen (rechts).
und jeweils auch über Stadtteilbibliotheken verfügten. Noch größer als der Mangel an öffentlichen Bibliotheken war derjenige an Schulbüchereien, die, wenn überhaupt, lediglich in den Provinzhauptstädten existierten. Neben der Abwesenheit bibliothekarischer Einrichtungen in ländlichen Gegenden bestand in den Augen Mettinis das größte Defizit der bolivianischen Bibliotheksinfrastruktur darin, dass eine differenzierte Aufgabenteilung zwischen den unterschiedlichen Bibliothekstypen nicht vorhanden war und alle Bibliotheken, insbesondere die öffentlichen Büchereien, aber auch die Nationalbibliothek fast ausschließlich Schülern und Studenten dienten und folglich ihren eigentlichen Funktionen kaum gerecht werden konnten.168 Das Fehlen einer institutionalisierten Bibliotheksausbildung wurde als weiteres Hemmnis für die bibliothekarische Entfaltung angesehen. Auf Basis dieses Befundes entwarf Mettini in einem zweiten Schritt eine neue, zentralisierte Struktur für das öffentliche und schulische Bibliothekswesen, in der bereits bestehende Einrichtungen aufgenommen wurden und die geographische Verteilung der Bevölkerung Berücksichtigung fand (vgl. Abbildung 6). Die dem Entwicklungsplan beigegebenen graphischen Darstellungen, Organigramme und Statistiken verweisen als Beispiele typischer Planungsinstrumentarien dabei eindeutig auf die
168 Gemäß der Studien der OAS war ein nur schwach differenziertes Bibliothekswesen ein typisches Merkmal vieler lateinamerikanischer Staaten. Vgl. Análisis de la Situación Bibliotecaria en América Latina. Washington, D.C.: OAS 1970 (Cuadernos Bibliotecológicos. 52).
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Abb. 7: Bibliotheksplanung: Organigramm des öffentlichen und schulischen Bibliothekswesens in Bolivien.
Idee rational-gestaltbarer Strukturen. Gemäß des Vorschlages des UNESCO-Experten sollte mit dem Servicio Nacional de Lectura eine Abteilung innerhalb des Bildungsministeriums geschaffen werden, die die Zuständigkeit für die öffentlichen und schulischen Büchereien übertragen bekam und an den nationalen Rat zur Entwicklung des Dokumentations- und Bibliothekswesens, einer ebenfalls erst einzusetzenden Kontroll- und Koordinationsinstanz, berichtete. Die Einsetzung zentraler Institutionen zur Planung und Überwachung war Bestandteil fast aller von UNESCO-Experten erarbeiteten Bibliotheksentwicklungsstrategien; diese auf nationaler Ebene organisierten Einrichtungen wurden häufig als National Library Board bezeichnet und waren meist dem Planungs- oder Bildungsministerium unterstellt oder an die Nationalbibliothek angegliedert. Die von Mettini erarbeitete Organisation des öffentlichen Bibliothekswesens folgte streng hierarchischen Kriterien (vgl. Abbildung 7): Die größte Bücherei des Landes, die Biblioteca Municipal Mariscal Andrés de Santa Cruz in La Paz, sollte in eine Zentralbibliothek (Biblioteca Central) transformiert werden und als solche Erwerb, Klassifikation und Katalogisierung der für die Gesamtheit des öffentlichen Bibliothekswesens des Landes bestimmten Bücher übernehmen sowie zusätzlich Bibliotheksstatistiken aufstellen und den Fernleihverkehr aufbauen. Ihr unterstellt waren neun Regionalbüchereien (Bibliotecas Pilotos) mit Sitz in den Hauptstädten
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der Provinzen. Ihre Aufgabe bestand darin, durch die Errichtung von Niederlassungen (Sucursales) und Stadtteilbibliotheken sowie den Versand von Bücherkisten (Servicios Regionales) die bibliothekarische Versorgung ihres jeweiligen Hinterlandes zu gewährleisten. Drei dieser Regionalbüchereien existierten in Oruro, Cochabamba und Potosí bereits, die anderen sollten in einem Zeitraum von sechs Jahren errichtet werden. Die Anzahl an bibliothekarischen Filialen und Bücherkisten, die pro Provinz einzurichten bzw. einzusetzen geplant war, wurde in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte und -verteilung berechnet. Die Organisation des nationalen Schulbüchereiwesens erfolgte nach ähnlichen Gesichtspunkten. Im Zeitraum der schrittweisen Errichtung des Systems war geplant, dass das Servicio Nacional de Lectura die Versorgung der Bevölkerung und der Schulen mit Lesematerialien provisorisch, d. h. durch die Bereitstellung von Bücherkisten (Biblioteca Formación Cultural und Soporte Escolar) gewährleistete. Mettini empfahl ferner, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Organisationsstruktur, aber insbesondere auch die Finanzierung dieses Bibliothekssystems absicherte. Die Aufstellung des Finanzplanes war der dritte, entscheidende Schritt im Prozess bibliothekarischer Langzeitplanung. Dazu mussten die laufenden Betriebs- und Personalkosten sowie die Anschaffungskosten für Bücher für alle Bibliotheken des Landes kalkuliert, einmalige Ausgaben, wie sie z. B. beim Bau von Bibliotheksgebäuden anfielen, abgeschätzt und zeitversetzt terminiert werden. Ein Blick auf Mettinis Kostenplan zeigt, dass zwar zum einen die Ausgaben für technische Ausstattungsgegenstände wie Projektoren und Schreibmaschinen exakt beziffert, aber keine Posten für Strom, Wasser oder Büromaterialien vorgesehen waren, im Fall der Regionalbibliotheken die Personalkosten offensichtlich vergessen wurden und auch die Effekte einer erwartbaren Inflation keine Berücksichtigung fanden.169 Diese auch in anderen Bibliotheksentwicklungsplänen nachzuweisenden Inkonsistenzen und Fehler in den Kostenaufstellungen offenbaren, dass nur wenige der von der UNESCO engagierten Bibliotheksexperten Erfahrung in langfristiger Budget- und Haushaltsplanung besaßen. Einen präzisen Finanzierungsplan für die auf etwas mehr als 3,8 Millionen US-Dollar geschätzten Gesamtkosten für den Ausbau des Bibliothekswesens im Zeitraum zwischen 1971 und 1980 lieferte Mettini ebenfalls nicht. Er riet, einen festen, aber zahlenmäßig nicht näher definierten Prozentsatz des Staatshaushaltes bereitzustellen, eine Sondersteuer einzuführen und um Zuwendungen internationaler Organisationen zu werben. Nicht nur in diesen Empfehlungen glich Mettinis Vorschlag anderen Bibliotheksentwicklungsplänen, ihm war auch dasselbe Schicksal beschieden wie diesen: In der Mehrheit blieben sie Papierwerk oder wurden – wie beispielsweise die von Evelyn Evans erarbeitete Strategie zum Ausbau des ceylonesischen Bibliothekswesens – nur marginal umgesetzt.
169 Vgl. den ausführlichen Finanzplan bei: Mettini: Plan para el desarollo de las bibliotecas, S. 39– 42.
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Schon in den siebziger Jahren machte die anfängliche Planungseuphorie angesichts vieler unrealisiert gebliebener Vorhaben einer zunehmenden Ernüchterung Platz. Josefa Sabor, argentinische Bibliothekarin und Weggefährtin Pennas, stellte resigniert fest: La verdad es que al tratar de reunir un cierto número de proyectos cuya aplicación haya tenido éxito o por lo menos alguna continuidad, las manos quedan vacías. Esta dificultad para realizar lo que con tanto éxito se venía propiciando en las reuniones explica quizás la reiteración aludida, ya que una idea nueva necesita, para evolucionar y enriquecerse, del sustento de una realidad que se construye. De no corregirse esta situación, el planeamiento bibliotecario [. . .] puede terminar por ser la gran utopía de la escena real de la bibliotecología latinoamericana.170
Marietta Daniels, die als OAS-Beauftragte für das Bibliothekswesen über Jahrzehnte eng mit Penna zusammenarbeitete und die Programme ihrer Organisation in den sechziger Jahren ebenfalls sehr stark auf die koordinierte Entwicklung nationaler Bibliothekssysteme fokussiert hatte171 , stellte bereits 1970 in einer Analyse der lateinamerikanischen Bibliothekslandschaft fest, dass zwar in vielen Ländern innerhalb der Bildungsministerien oder an den Nationalbibliotheken Abteilungen eingerichtet worden waren, die sich offiziell für den planvollen Ausbau nationaler bibliothekarischer Strukturen verantwortlich zeigten, aber aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen und eines meist nicht für diese Arbeit qualifizierten Personals dieser Aufgabe nicht nachgehen konnten.172 Zumindest für den lateinamerikanischen Raum war somit in den sechziger und siebziger Jahren der verstärkte Aufbau von Bibliotheksplanungsbürokratien zu beobachten, die ebenso wie die Bibliotheksentwicklungspläne ihrer von der UNESCO und OAS erdachten Funktion nicht gerecht wurden. Es bestätigt sich damit für den Fall der Bibliotheksplanung der Befund der world polity-Forschung: »Blaupausen und Drehbücher«173 sind von internationalen Organisationen entworfen worden, ohne dass diese eine nachgewiesene Funktion für die Gesellschaften in der Dritten Welt gehabt hätten. Penna, der 1971 in den Ruhestand ging, hielt an seinem Konzept der Bibliotheksplanung als Teil koordinierter Bildungs- und Wirtschaftspolitik fest. In einem Rückblick gab er sich 1992 weiterhin zuversichtlich, dass die planvolle Errichtung bibliothekarischer Systeme keine Utopie bleiben müsse, wenn politische Entscheidungs-
170 Josefa E. Sabor: Desarrollo del planeamiento bibliotecario en América Latina. In: Revista de Biblioteconomia de Brasília 5(1977), H. 1, S. 45–90, hier S. 67. 171 Im Rahmen der Allianz für den Fortschritt unterstützte die OAS durch ihr Library Development Programme den planvollen Aufbau von schulischen und öffentlichen Bibliothekssystemen in Mittelund Südamerika. Ab 1966 publizierte die OAS die Reihe Planeamiento nacional de servicios bibliotecarios. 172 Vgl. Análisis de la Situación Bibliotecaria en América Latina. 173 Meyer/Ramirez: Institutionalisierung, S. 219.
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träger vom Beitrag der Institution Bibliothek zum sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt überzeugt werden können: [It] can be stated that planning library and information service will remain utopian, merely a dream, unless governments show interest in assuring the entire populace access to information, because they are convinced that the existence of a national infrastructure of those services is essential to achieving the goals mentioned for socio-economic planning.174
In den Augen Pennas waren vor allem internationale Organisationen wie die UNESCO in der Pflicht, sich als Advokaten für den weltweiten Ausbau des Bibliothekswesens einzusetzen und dessen Funktionen und Bedeutung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung prägnant zu verdeutlichen, um so die öffentliche Finanzierung für bibliothekarische Einrichtungen langfristig sicherzustellen.
5.2.2 Verbesserung der bibliothekarischen Ausbildung: Der Aufbau universitärer Bibliotheksschulen in Afrika und der Karibik Wie die Pilotprojekte der fünfziger Jahre gezeigt hatten, gab es neben den meist unzureichenden finanziellen Ressourcen, die vonseiten des Staates oder der Kommunen für die bibliothekarische Entwicklung zur Verfügung gestellt wurden, noch zwei weitere Faktoren, die den Aufbau des Bibliothekswesens in der Dritten Welt immens blockierten: erstens der Mangel an qualifiziertem Personal und zweitens die häufig unbedeutende einheimische Buchproduktion. Initiativen zur Beseitigung beider Hemmnisse wurden von der UNESCO in den sechziger Jahren gezielt ergriffen: Der Kommunikationssektor brachte mit dem Book Development-Programm ein Projekt auf den Weg, das den Ausbau und die Stärkung des Buchhandels in der Dritten Welt zum Ziel hatte175 , während die Bibliotheksabteilung die Entstehung formaler bibliothekarischer Ausbildungsstrukturen in den Entwicklungsländern unterstützte.176 Obgleich der UNESCO bereits 1950 – in einer von ihr protegierten, internationalen Studie zum Zustand der bibliothekarischen Aus- und Weiterbildung – die Gründung von Bibliotheksschulen nahegelegt wurde, um so die für die Bibliotheksexpansion notwendige Versorgung mit qualifiziertem Personal dauerhaft zu gewährleisten177 , waren Projekte, die auf einen Aufbau formaler Ausbildungsstätten in den Mitgliedsstaaten zielten, in den UNESCO-Programmen der fünfziger Jahre noch nicht zu fin-
174 Penna: National Planning for Library and Information Service, S. 31. 175 Vgl. Kapitel 7 dieser Arbeit. 176 Vgl. zur weltweiten Förderung der bibliothekarischen Aus- und Weiterbildung durch die UNESCO bis 1971 ausführlich: Keresztesi: Contribution of UNESCO to Library Education and Training. 177 Vgl. Suzanne Briet: Enquiry Concerning the Professional Education of Librarians and Documentalists. Final Report. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/2), S. 81.
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den.178 Dennoch lassen sich zahlreiche der in diesem Jahrzehnt initialisierten und in den nachfolgenden Dekaden weitergeführten Programme auch als Maßnahmen zur Verbesserung der bibliothekarischen Aus- und Weiterbildung lesen, wiewohl sie als solche nicht immer explizit gekennzeichnet waren: Die Publikationen und Arbeitsdokumente der UNESCO können ebenso wie die Seminare und Konferenzen nicht nur als internationale Kommunikations- und Austauschforen, sondern auch als Weiterbildungsmedien und -orte begriffen werden; das UNESCO-Stipendienprogramm bot ab 1948 zahlreichen Bibliothekaren aus Afrika, Asien und Lateinamerika die Möglichkeit, sich im Ausland, meist in Westeuropa, fortzubilden179 ; und die im Auftrag der UNESCO im Rahmen von Missionen in Mitgliedsländern tätigen Experten leisteten häufig ebenfalls einen Beitrag zur Professionalisierung des dortigen Bibliothekspersonals, indem sie – wie beispielsweise der britische Bibliothekar Harold Bonny 1958 im Irak – neben der Erfüllung ihres eigentlichen Auftrages zusätzlich auch Weiterbildungskurse oder Seminare anboten.180 Vor dem Hintergrund der Dekolonisation und im Zuge der ersten UN-Entwicklungsdekade (1961–1970), in welcher verstärkt Projekte zur Qualifizierung lokaler Arbeitskräfte aufgelegt wurden, entwickelte sich die Förderung der formalen Bibliothekarausbildung in Entwicklungsländern zu einem Schwerpunkt innerhalb des UNESCO-Bibliotheksprogramms. Die von der Pariser Organisation durchgeführten Projekte basierten auf zwei Grundannahmen. Erstens: Die Existenz formaler Ausbildungsstrukturen unterstützt die Expansion des Bibliothekswesens bzw. ist als Voraussetzung für diese unabdingbar. Zweitens: Die Ausbildung von Bibliothekaren sollte nicht nur wegen der Kosten, sondern vor allem wegen der Adäquanz der Ausbildungsinhalte möglichst nicht im westlichen Ausland, sondern lokal, zumindest aber in ähnlichen sozio-ökonomischen Umwelten erfolgen.181 Insbesondere in Afrika und in der Karibik existierten Mitte des 20. Jahrhunderts kaum bibliothekarische Ausbildungsmöglichkeiten: Einheimisches Personal wurde in den letzten Jahren der britischen Kolonialzeit entweder von ihren zumeist europäischen Vorgesetzten on the job ausgebildet oder musste zur beruflichen Qualifikation nach Übersee reisen. Eine dritte Ausbildungsmöglichkeit bestand in den vom
178 Einzige Ausnahme ist die Mission des US-amerikanischen Bibliothekars Carnovsky nach Israel im Jahr 1955. Dieser begleitete dort im Auftrag der UNESCO den Aufbau einer Bibliotheksschule. Vgl. Leon Carnovsky: Report on a Programme of Library Education in Israel. Reprint of a 1955 Report. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: UNESCO/WS/0866.48-CLT). 179 Zwischen 1948 und 1971 vergab die UNESCO insgesamt 563 Stipendien im Bibliotheks- und Dokumentationswesen, die Mehrheit davon an Stipendiaten aus Asien, dem arabischen Raum, Lateinamerika und Afrika. Vgl. ausführlich: Keresztesi: Diffusion of Modern Library Thought. 180 Vgl. Harold Bonny: Library Training in Iraq. In: UNESCO Bulletin for Libraries XII (1958), H. 5/6, S. 123–126. 181 Vgl. A Library Education Policy for the Developing Countries. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXII (1968), H. 4, S. 173–188.
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British Council oder nationalen Bibliotheksvereinigungen sporadisch durchgeführten lokalen Lehrgängen, die zumeist der Vorbereitung auf die Prüfung der British Library Association dienten. Über mehrere Jahrzehnte lang hatte der britische Verband Bibliothekspersonal aus den Commonwealth-Staaten ermöglicht, einen qualifizierten Abschluss zu erlangen, ohne je eine britische Bibliotheksschule besucht zu haben; erst 1964 wurde das Verfahren geändert und ein mindestens zweijähriger Besuch einer britischen Ausbildungseinrichtung Voraussetzung dafür, den Titel Fellow of the Library Association (F. L. A.) verliehen zu bekommen. Als Pendant zum British Council war das Institut Français zwar weit weniger aktiv, organisierte aber in Frankreich auch mehrmonatige Kurse für Bibliothekare aus dem französischsprachigen Afrika.182 Um die in Fragen der bibliothekarischen Qualifizierung auch nach der Unabhängigkeit weiterhin vorhandene Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten abzuschwächen und in den noch jungen afrikanischen und karibischen Staaten zügig und kosteneffizient lokale bibliothekarische Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen, unterstützte die UNESCO die Gründung regionaler, universitär verankerter Ausbildungszentren – eine Strategie, die bereits die Teilnehmer der ersten afrikanischen Bibliothekstagung in Ibadan zur Umsetzung empfohlen hatten: A limited number of library schools of high calibre be established to provide full-scale professional training at the leadership level, as soon as practical circumstances permit. For the foreseeable future, it would probably suffice if one such school could be established to serve each of the major regional language areas of Africa – English-speaking territories; French language areas; and Arabic for Egypt and the Sudan.183
Das Konzept, für Länder einer Region mit einer gemeinsamen Sprache eine (einzige) Bibliotheksschule aufzubauen, entsprach dem Weg, den die Organisation Amerikanischer Staaten und die Rockefeller Foundation mit der Gründung der interamerikanischen Bibliotheksschule an der Universidad de Antioquia in Medellín im Jahre 1956 für den lateinamerikanischen Raum bereits beschritten hatten.184 Das erste von der UNESCO subventionierte, regionale Bibliotheksausbildungszentrum (Centre Régional de Formation des Bibliothécaires) wurde für das franzö-
182 Vgl. zu den Möglichkeiten bibliothekarischer Ausbildung in den afrikanischen und karibischen Kolonien: Silvère Willemin: The Training of Librarians in Africa. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXI (1967), H. 6, S. 291–300; Wiliam Vernon Jackson: Education for Librarianship Abroad: Latin America. In: Library Trends 12 (1963), H. 2, S. 332–355, hier S. 344–345 (Karibik); Juan R. Freudenthal: Libraries in the West Indies. Encyclopedia of Library and Information Science. Band 33: The Wellesley College Library to Zoological Literature: A Review. Hrsg. von Allen Kent und Jay E. Daily. New York, Basel: Marcel Dekker 1982, S. 38–92. 183 Development of Public Libraries in Africa. The Ibadan Seminar. Paris: UNESCO 1954 (UNESCO Public Library Manuals. 6), S. 117. 184 Vgl. Manuel Salvador Alguero: The Inter-American Library School as a Major Training Facility for Latin America. In: Journal of Education for Librarianship 6 (1966), H. 4, S. 243–251.
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sischsprachige Afrika in Zusammenarbeit mit der senegalesischen Regierung 1963 in Dakar eröffnet.185 Die Leistungen der Pariser Organisation waren mit denjenigen vergleichbar, die sie bei der Gründung der Pilotbibliotheken zur Verfügung gestellt hatte: Während das Gastland die Kosten für Gebäude, Mobiliar und das Verwaltungspersonal trug, finanzierte die UNESCO in den ersten vier Jahren das Direktorengehalt, ermöglichte die Anwesenheit ausländischer Experten, die die Lehrpläne entwarfen und den Unterricht übernahmen, und vergab Stipendien für afrikanische Studenten sowie für den designierten senegalesischen Leiter des Zentrums, Amadou Bousso, der sich in Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und Dänemark weiterbildete.186 Zwischen 1963 und 1966 wurden in insgesamt drei jeweils achtmonatigen Kursen 64 Studenten aus sechzehn französischsprachigen Ländern in Grundlagen der Bibliotheksarbeit ausgebildet, 49 erhielten zu diesem Zweck ein Stipendium der UNESCO.187 In der Anfangsphase des Trainingszentrums waren die Schwierigkeiten groß: Der Beruf des Bibliothekars genoss in weiten Teilen Afrikas eine nur geringe Reputation, und es war entsprechend schwierig, Studenten mit einem höheren Bildungsabschluss von der Teilnahme an dem bibliothekarischen Lehrgang zu überzeugen. Schwerer wog allerdings, dass viele der in Dakar ausgebildeten Bibliothekare in ihren Heimatländern keine adäquate Anstellung fanden, da dort bibliothekarische Einrichtungen als Arbeitgeber fehlten. Nach drei Jahren war lediglich ein Drittel der Absolventen an einer Bibliothek tätig.188 Trotz dieser anfänglichen Probleme wurde das Ausbildungszentrum vonseiten des senegalesischen Staates nach Ablauf der Kooperationsphase mit der UNESCO dank des Einsatzes Boussos weitergeführt und 1967 in die Universität von Dakar als École de Bibliothécaires, Archivists et Documentalistes integriert, als die es auch heute noch existiert. Während die Gründung des bibliothekarischen Ausbildungszentrums für das französischsprachige Afrika auf die alleinige Initiative der UNESCO zurückging, waren am Aufbau der regionalen Bibliotheksschule in Ostafrika mit dem British Council, der Rockefeller Foundation, den Entwicklungshilfeagenturen Dänemarks und Schwedens sowie der UNESCO gleich mehrere (internationale) Organisationen beteiligt.189
185 Vgl. 11 C/5, Project 4.512.3: Aid to Countries in Africa for the Planning and Development of Library Services. 186 Vgl. F. Lalande Isnard: Amadou A. Bousso. In: World Encyclopedia of Library and Information Science. 3. Auflage. Chicago: American Library Association 1993, S. 140. 187 Vgl. S. Willemin: Sénégal. Développement des bibliothèques. Octobre 1964–Juin 1966. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: AT/AFRICAC/4), S. 5. 188 Vgl. ebd., S. 9. 189 Vgl. Knud Larsen: East African School of Librarianship. March 1963–December 1964. Paris 1964 (UNESCO-Dokument: UNESCO/EPTA/AFRICEM/2); S. S. Saith: East African School of Librarianship. In: Encyclopedia of Library and Information Science. Band 7: Derunov to Egypt, Libraries in. Hrsg. von Allen Kent und Harold Lancour. New York: Marcel Dekker 1972, S. 327–337; ders.: The East African School of Librarianship. Past, Present and Future. In: Libraries in East Africa. Hrsg. von Anna-Britta Wallenius. Uppsala: Nordiska Afrikainstitutet 1971, S. 171–189; S. A. H. Abidi: Library Training Pro-
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Die Idee, eine Bibliotheksschule für die ostafrikanischen Territorien zu gründen, ging auf einen Vorschlag Sidney Hockeys’ zurück, der als Experte des British Council 1960 eine Studie zum Bibliothekswesen in Tansania, Kenia und Uganda erstellte. Da es den Regierungen der drei Länder allerdings an finanziellen Mitteln für eine derartige Unternehmung fehlte, konnte Hockeys’ Empfehlung erst 1963 umgesetzt werden, als sich die Rockefeller Foundation und die UNESCO bereit erklärten, den Aufbau der Schule auf dem Campus der Makarere University in Kampala (Uganda) zu unterstützen. Dieser Förderungszusage lag indes ein gravierender Konstruktionsfehler zugrunde, der in den darauf folgenden Jahren beinahe zum Scheitern des Projekts geführt hätte: Im Gegensatz zu anderen UNESCO-Projekten waren im Fall der East African School of Librarianship die (finanziellen) Zuständigkeiten zwischen den beteiligten Regierungen, der University of East Africa und ihrer Dependance in Makarere sowie den internationalen Unterstützern vertraglich nicht geregelt worden. Regierungen und Universität fühlten sich folglich für das Projekt kaum verantwortlich; zwar wurden der Bibliotheksschule notdürftige Räumlichkeiten auf dem Campus zugewiesen, aber sie wurde zunächst nicht in die universitäre Verwaltung integriert. Finanziell wurde die Ausbildungsstätte fast ausschließlich durch die Zuwendungen der UNESCO, des Entwicklungshilfeprogramms der Vereinten Nationen und der Rockefeller Foundation am Leben erhalten. Das Personal stammte trotz Bestrebungen, einheimisches Personal zu rekrutieren, aus Übersee: In den als »bibliothekarische Wüste«190 bezeichneten Staaten Ostafrikas waren Fachkräfte, die als Dozenten an einer Bibliotheksschule hätten tätig werden können, kaum zu finden.191 Die dänische Regierung und das British Council finanzierten die Gehälter europäischer Lehrkräfte, während die Direktoren, der Däne Knut Larsen, der Brite Geoffrey Gomm sowie der Inder S. Saith, als von der UNESCO bezahlte Experten agierten. Die schwedische Entwicklungshilfeagentur übernahm den Bau eines neuen Gebäudes. Das Projekt lebte folglich während des ersten Jahrzehnts seines Bestehens ausschließlich von ausländischer Unterstützung, finanzieller und personeller Natur. Erst als 1970 einer Integration der Bibliotheksschule in die universitären Verwaltungsstrukturen zugestimmt wurde und man Weiterbildungsstipendien für afrikanische Bibliotheksdozenten vergab, schien sich die Schule langsam aus ihrer prekären Lage zu befreien und sich von einem Projekt des Westens in eine dauerhafte regionale Institution verwandeln zu können. Die dritte, mithilfe der UNESCO aufgebaute regionale Bibliotheksschule wurde 1971 in Kingston (Jamaika) als Ausbildungszentrum für den bibliothekarischen
grammes in East Africa: An Evaluation. In: UNESCO Journal of Information Science, Librarianship and Archives Administration II (1980), H. 3, S. 159–169. 190 Im englischen Original: »library wilderness«. S. W. Hockey: The Development of Library Services in East Africa. In: Libraries in East Africa. Hrsg. von Anna-Britta Wallenius. Uppsala: Nordiska Afrikainstitutet 1971, S. 163–170, hier S. 164. 191 Vgl. S. S. Saith: East African School of Librarianship: Uganda – (mission). July 1968–November 1972. Paris 1973 (UNESCO-Dokument: 2924/RMO.RD/DBA; FR/UNDP/UGANDA 1), S. 14.
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Nachwuchs der englischsprachigen Karibik an der University of the West Indies eröffnet.192 Nach der Unabhängigkeit der karibischen Inseln vom British Empire waren nicht nur die Unterstützungsleistungen für die regionalen Bibliotheken eingestellt worden, sondern es hatten auch die bis dahin an der Eastern Caribbean Regional Library durchgeführten, teils vom British Council finanzierten Bibliothekslehrgänge ein Ende gefunden. Die Bibliotheksvereinigungen Jamaikas sowie Trinidad und Tobagos setzten sich für die Gründung einer Bibliotheksschule an der regionalen Universität ein und ersuchten für dieses Projekt die (finanzielle) Unterstützung der UNESCO. Die Pariser Organisation beauftragte zunächst den US-Amerikaner Periam Danton mit einer Evaluation des Antrages und beantragte, nach Dantons positivem Bescheid und erfolgter Einigung mit den jamaikanischen Behörden, beim UNDP Mittel für den Aufbau der Schule. Mit dem Gesamtbudget von etwas mehr als einer halben Million US-Dollar wurden während der ersten vier Jahre die Gehälter des Direktors und weiterer Lehrkräfte sowie insgesamt dreißig Stipendien finanziert. Als Direktorin der karibischen Bibliotheksschule ernannte man Dorothy Collings, eine UNESCO-Veteranin, die bereits Ende der vierziger Jahre für die Organisation in Paris gearbeitet hatte, bevor sie zunächst als Bibliothekarin an das ägyptische Elementarbildungszentrum berufen und später bei der UN in New York tätig wurde. Sie richtete insgesamt drei unterschiedliche Curricula ein, ein einjähriges Aufbaustudium, eine dreijährige universitäre Grundausbildung und einen mehrwöchigen Sommerkurs, und übergab die Leitung der Bibliotheksschule nach Ablauf der UNESCO-Beteiligung an die Jamaikanerin Daphne Douglas, die bereits zuvor dem Lehrkörper angehört hatte. Die Einrichtung regionaler, an Universitäten angeschlossener Bibliotheksschulen stellte eine neue Form bibliothekarischer Ausbildungsstrukturen in der Dritten Welt dar, die durch das (finanzielle) Engagement international arbeitender Organisationen und Stiftungen in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren ermöglicht wurde. Ihr Entstehen ist vor dem Hintergrund einer politisch gewünschten Emanzipation von den ehemaligen Kolonialmächten zu verstehen, die auf eine lokale Ausbildung einheimischen Personals auch im Bereich der Bibliotheken zielte. Angesichts der geringen finanziellen und personellen Ressourcen, die für die bibliothekarische Ausbildung in den gerade erst unabhängig gewordenen Nationen zur Verfügung standen, konnte nur eine durch die gemeinsame Sprache ermöglichte, regionale Organisationsweise die Ausbildung qualifizierten Personals gewährleisten und somit die notwendige Voraussetzung für den Aufbau lokaler Bibliotheksstrukturen schaffen.
192 Vgl. Daphne Douglas: West Indies. University of the West Indies Department of Library Studies. In: Encyclopedia of Library and Information Science. Band 33: The Wellesley College Library to Zoological Literature: A Review. Hrsg. von Allen Kent und Jay E. Daily. New York, Basel: Dekker 1982, S. 92–101; Dorothy Collings: Library Education in the English-Speaking Caribbean. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXVII (1973), H. 1/2, S. 12–17; J. Periam Danton: Jamaica: Library Development. Paris 1968 (UNESCO-Dokument: 885/MSR.RD/DBA/DND).
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Beim Aufbau der Bibliotheksschulen ist dabei ein Paradox zu beobachten, das vielen Entwicklungshilfeprojekten zugrunde lag: Zum einen sollte durch den Aufbau der lokalen Kapazitäten die Abhängigkeit von den westlichen Industrieländern verringert werden; zum anderen stellte – zumindest in der Anfangsphase – der dafür als notwendig erachtete Einsatz und Transfer westlicher Expertise und Gelder eine Fortsetzung dieser Abhängigkeit dar. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten, die insbesondere in den Anfangsjahren der Ausbildungsstätten auftraten, muss der von der UNESCO und anderen internationalen Partnerorganisationen betriebene und teilfinanzierte Institutionenaufbau langfristig als erfolgreich bewertet werden: Alle drei Bibliotheksschulen existieren auch heute noch. Nicht zuletzt die Erfahrungen bei der Gründung der regionalen Bibliotheksschulen, insbesondere der East African School of Librarianship, hatten gezeigt, dass eine der größten Hürden beim Aufbau bibliothekarischer Ausbildungsstrukturen in Entwicklungsländern darin bestand, geeignetes einheimisches Lehrpersonal zu finden. Der UNESCO-Experte Periam Danton stellte 1968 fest: The recruitment of staff qualified in all educational, personal and professional respects to serve on a library school faculty is an exceedingly troublesome problem everywhere, including in countries with a long history of library education. The difficulty is compounded in countries where librarianship is less fully developed, where the tradition of local library education is nonexistent, and where library and educational salaries tend to be low.193
Ende der sechziger Jahre lancierte die UNESCO daher einige Projekte, die darauf zielten, die fachlichen Fähigkeiten der an den Bibliotheksschulen tätigen Lehrkräfte zu erhöhen. In Zusammenarbeit mit der dänischen Entwicklungshilfeagentur wurden 1968 und 1970 an der Königlichen Bibliotheksschule in Kopenhagen zwei Kurse für Dozenten aus Entwicklungsländern ausgerichtet: Die Verbesserung der Bibliotheksausbildung durch Schulung des Lehrpersonals in Lehrmethoden, Lehrplanerstellung und Organisation und Verwaltung sollte einen Beitrag zur Steigerung der Qualität bibliothekarischer Angebote in der unterentwickelten Welt leisten: Durch diese als »teaching the teacher«194 zu charakterisierende Strategie erhoffte man sich, moderne Techniken und Methoden des Betriebs bibliothekarischer Einrichtungen effizient verbreiten zu können. Als Teil dieser auf eine verbesserte fachliche Kompetenz der Dozenten zielenden Programme muss auch das Erscheinen des Lehrwerkes Methods of Teaching Librarianship195 in der UNESCO-eigenen Schriftenreihe verstanden werden, während der als Pilotprojekt für den lateinamerikanischen Raum produzierte audiovisuelle bibliothekarische Kurs eher als Notlösung konzipiert war, der insbesondere
193 Danton: Jamaica, S. 38. 194 Keresztesi: Contribution of UNESCO to Library Education, S. 219. 195 Vgl. Josefa E. Sabor: Teaching of Librarianship. Paris: UNESCO 1969 (UNESCO Manuals for Libraries. 16).
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Die öffentliche Bibliothek als Universität für das Volk
in den Ländern grundlegende bibliothekarische Kenntnisse in Bestandsaufbau und -pflege, Katalogisierung und Klassifizierung sowie Leserbetreuung vermitteln sollte, in denen keine Bibliotheksschulen bestanden. Er wurde vom Leiter der argentinischen Bibliotheksschule entwickelt und in Argentinien, Bolivien, Cuba, Ecuador und Honduras eingesetzt.196 Seit ihrer Gründung verstand sich die UNESCO als Advokat für ein staatlich finanziertes (öffentliches) Bibliothekswesen, dessen Funktion als Bildungsinstanz die Pariser Organisation schon 1949 durch das Public Library Manifesto exponierte und ab Mitte der sechziger Jahre durch die Forderung nochmals bekräftigte, den Aufbau bibliothekarischer Infrastrukturen in den nationalen Bildungsentwicklungsplänen zu berücksichtigen. Die UNESCO strebte von Anfang an an, mehr zu sein als ein rein mit der Kraft des Wortes argumentierender Fürsprecher für die Institution Bibliothek. Vielmehr beabsichtigte die Pariser Organisation, gerade in den Entwicklungsländern durch finanzielle Unterstützung sowie durch den Transfer von Expertenwissen Geburtshilfe für ein modernes, den westlichen Standards entsprechendes (öffentliches) Bibliothekswesen zu leisten. Der Aufbau von nach westlichen Merkmalen organisierten Pilotbibliotheken in Indien, Kolumbien, Nigeria und der Elfenbeinküste geschah in der Intention einer doppelten Demonstration: Der universelle Wert von Büchereien für die erzieherische und kulturelle Entwicklung sollte weltweit ebenso unter Beweis gestellt werden wie die praktische Relevanz der UNESCO. Die öffentliche Bibliothek als eine Institution der Volksbildung wurde ab Mitte der sechziger Jahre Teil eines systematisch geplanten nationalen Bibliothekssystems, durch das – vor dem Hintergrund eines zunehmend ökonomisch begriffenen Entwicklungsprozesses – die Lese- und Informationsbedürfnisse aller bestmöglich bedient werden sollte. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel und personellen Ressourcen sollten durch die Aufstellung nationaler Bibliotheksentwicklungspläne und den Aufbau lokaler Ausbildungsprogramme für Bibliothekare bereitgestellt werden. In diesem Schritt kommt nicht nur die zeitgenössische Euphorie zum Ausdruck, durch die Planung von Entwicklung den rückständigen Gebieten den Sprung in die Moderne zu ermöglichen, sondern es wird auch die Tendenz sichtbar, die bibliothekarischen Einrichtungen als Teil einer für das wirtschaftliche Wachstum essenziellen nationalen Informationsinfrastruktur zu begreifen.
196 Vgl. Carlos Víctor Penna: Library Training by Audio-Visual Means. A Conclusive Experiment. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXIV (1970), H. 5, S. 234–241; R. Juarroz: Curso audiovisual de bibliotecología. 15 de junio–15 de agosto de 1970. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: 1718/BMS-RD/DBA).
6 Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt »No schools today for one child in two.«1 Unter dieser eindringlichen Überschrift wurden den Lesern des UNESCO Courier die Ergebnisse einer internationalen Studie zur Situation des Grundschulwesens präsentiert, welche die UN-Organisation Ende der fünfziger Jahre erarbeitet hatte.2 Die Untersuchung war Teil einer ersten, groß angelegten, überwiegend statistischen Vermessung der weltweiten Bildungslandschaft, die Rückstände in der Bildungsinfrastruktur in den Entwicklungsländern plastisch werden ließ und deren Ergebnisse als Arbeitsgrundlage für die Anfang der sechziger Jahre stattfindenden Konferenzen in Asien, Afrika, Lateinamerika und Nahost dienten, auf denen die Bildungsminister der Region über Art und Umfang des Bedarfs im Bildungswesen berieten und ambitiöse Entwicklungspläne verabschiedeten.3 Diese sahen den Ausbau des Sekundar-, Berufs- und Hochschulwesens sowie die Einführung allgemeiner, kostenloser und obligatorischer Primarschulen innerhalb der kommenden zwei Dekaden vor: Bis zum Jahr 1980 sollte jedes Kind eine schulische Grundbildung erhalten.4 Die Ausweitung und Verbesserung des formalen Bildungswesens war neben den im Rahmen des Elementarbildungsansatzes eingeleiteten Maßnahmen zur Überwindung des Analphabetismus und zur Stärkung der Erwachsenenbildung der zweite Programmschwerpunkt im Bildungssektor der UNESCO. Seit Anfang der fünfziger Jahre setzte sich die Pariser Organisation dafür ein, dass der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte fixierte Anspruch eines jeden Menschen auf ein Mindestmaß an formaler Bildung zukünftig auch in den Entwicklungsländern gewährleistet werden konnte.5 Eine Vielzahl regionaler Tagungen – beispielsweise zur
1 Vgl. Leo Ferning: No Schools Today for One Child in Two. In: UNESCO Courier XIII (1960), H. 3, S. 11–13. 2 Vgl. World Survey of Education. Band 2: Primary Education. Paris: UNESCO 1958. Bis 1971 publizierte die UNESCO insgesamt fünf Bände mit überwiegend statistischer Information zur weltweiten Bildungsinfrastruktur. In den neunziger Jahren wurde diese Tradition mit den Weltbildungsberichten (World Education Reports) fortgesetzt. 3 Die ersten Bildungsministerkonferenzen fanden in den Jahren 1959 und 1960 in Karatschi, Beirut und Addis Abeba sowie 1962 in Paris, Tokio und Santiago de Chile statt. Weltweite Aufmerksamkeit erlangte vor allem die 1961 in Addis Abeba einberufene Konferenz zur Bildungsentwicklung in den subsaharischen Ländern, an der neben den afrikanischen Bildungsministern zahlreiche internationale Organisationen und bilaterale Entwicklungshilfeagenturen teilnahmen. Bis heute organisiert die UNESCO in regelmäßigen Rhythmen regionale Zusammenkünfte der Bildungsminister. 4 Vgl. die Bildungspläne von Karatschi und Addis Abeba: Report. Regional Meeting of Representatives of Asian Member States on Primary and Compulsory Education. Paris 1960 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/173); Final Report. Conference of African States on the Development of Education in Africa. Addis Ababa, 15–25 May 1961. Paris 1961 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/181). 5 Vgl. Artikel 26, Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.2.1948, wo es heißt: »Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschul-
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
Einführung der allgemeinen Schulpflicht und zum Fach- und Berufsschulwesen – markierte ebenso wie das Langzeitprojekt zur Erweiterung der Grundschulbildung in Lateinamerika (Major Project on the Extension of Primary Education in Latin America, 1957–1966) das wachsende Bemühen der UNESCO, die weltweite Angleichung der Bildungschancen zu beschleunigen und zusammen mit den verantwortlichen staatlichen Stellen Konzepte zu entwickeln, welche eine rasche Expansion schulischer und universitärer Bildung ermöglichen sollten.6 Die von der UNESCO zur Unterstützung der bildungspolitischen Aufbauarbeit vorangetriebene statistische Erschließung der weltweiten Bildungsinfrastruktur belegt erneut die Ausdehnung des Planungsprimats auf den Bildungsbereich: Die Expansion des Schulwesens war in den Augen der UN-Organisation nur dann zu erreichen, wenn sie mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes koordiniert und in nationalen Entwicklungsplänen festgeschrieben wurde. Die auf den regionalen Ministerkonferenzen verabschiedeten Bildungsentwicklungspläne sollten aber nicht nur der planvollen Entwicklung nationaler Bildungssysteme dienen, sondern die UNESCO verfolgte mit deren Erstellung und Veröffentlichung eine weitere Zielsetzung: Mithilfe der auf äußerst vagen Schätzungen beruhenden, empirischstatistischen Diagnosen des Entwicklungsbedarfs in den afrikanischen und asiatischen Mitgliedsstaaten sollte politischer Druck ausgeübt und die betroffenen Regierungen selbst, aber auch potenzielle Geberländer aus der westlichen Welt zum Handeln aufgefordert werden. René Ochs, führender Mitarbeiter im UNESCO-Bildungssektor, beschrieb das Zustandekommen des Planes von Addis Abeba über vierzig Jahre nach dessen Verabschiedung rückblickend wie folgt: Dans l’atmosphère créée par l’accession quasi simultanée à l’indépendance de tant de jeunes états africains, Malcolm Adiseshiah décida de frapper un grand coup pour mobiliser les gouvernements des pays d’Afrique et des autres régions. Tel fut l’objectif assigné au plan d’Addis-Abeba établi par lui en une nuit avec le concours d’un haut fonctionnaire au ministère de l’éducation de l’Inde, J. P. Naïk, d’un membre du service des statistiques de l’UNESCO, Erwin Salomon, et de moi-même. L’aperçu d’un plan de développement de l’éducation en Afrique à partir de tableaux relatifs à la situation existante, fixant des objectifs d’effectifs et des estimations des coûts correspondant à court terme (1961–1965) et à long terme (1961–1981) faisait apparaître le déficit résultant de la différence entre l’estimation des coûts et celle des ressources locales. Ces estimations ne reposaient sur aucune donnée fiable. Le Secrétariat connaissait très mal l’Afrique [. . .]
unterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muß allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.« 6 Zwischen 1952 und 1956 fanden Konferenzen zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Kairo, Lima und Bombay, dem heutigen Mumbai, statt. Der Ausbau der technischen und beruflichen Bildung stand unter anderem auf der Agenda einer 1959 in Kairo ausgerichteten Tagung.
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Aucun état africain, en outre, ne disposait de statistiques dignes de ce nom. Lorsque je fis remarquer à Malcolm combien il était difficile d’établir des prévisions dans de telles conditions il me répondit: ›Cela m’est parfaitement égal. Ils disent tous qu’ils aiment l’Afrique. Je veux qu’ils mettent une étiquette sur leur amour.‹7
Die quantitative Darstellung des Bildungsnotstandes in den Entwicklungsländern lässt sich somit als Ergänzung zum dominant werdenden Narrativ von Bildung als Katalysator für wirtschaftliche Modernisierung lesen. Während auf der Ebene des Diskurses die Notwendigkeit der Expansion schulischer Bildung als Voraussetzung für sozio-ökonomischen Fortschritt herausgestellt wurde, machten die statistischen Bestandsaufnahmen die Dringlichkeit des Handelns deutlich und exponierten die für die Ausbreitung des primären, sekundären und universitären Bildungswesens notwendigen finanziellen Mittel. Durch diese Strategie wollte die UNESCO eine stärkere Berücksichtigung von Bildungsprojekten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit erreichen, was ihr z. B. im Fall der Weltbank auch gelang: Die Bretton-Wood-Institution finanzierte ab 1962 offiziell Entwicklungsprogramme im Bildungssektor.8 Um die ambitiösen Entwicklungsziele im Bildungswesen zu erreichen, war eine Erweiterung der Bildungsinsfrastruktur in der Dritten Welt unabdingbar: Neben dem Bau zahlloser Schulgebäude und der Ausbildung und Beschäftigung zusätzlichen Lehrpersonals mussten Unterrichtsmaterialien und Lehrbücher produziert und an die Schulen verteilt werden; hierfür waren neue Konzepte und Strategien zu entwickeln, denn obwohl das Schulbuch als »Grundpfeiler der Lehre«9 und bedeutender Parameter im Unterricht in seiner inhaltlichen Dimension die Aufmerksamkeit der UNESCO erlangt hatte (Schulbuchrevision)10 , waren Projekte, die sich mit der materiellen Dimension der Schulbücher, also mit den Bedingungen ihrer Produktion und ihres Vertriebs beschäftigten, in den Programmen der UN-Organisation bisher kaum zu finden: Die beiden Anfang der fünfziger Jahre von der UNESCO finanzierten Missionen, in deren Rahmen Herstellungsspezialisten nach Indonesien und Jamaika reisten, um dort in Zusammenarbeit mit Behörden die lokalen Produktionskapazitäten für Unterrichtsmaterialien aufzubauen, blieben zunächst Ausnahmen.11 Erst mit der Fixierung der Ziele zum Ausbau des Bildungswesens in der Dritten Welt gewann
7 René Ochs: La conférence des Etats africains sur le développement de l’éducation en Afrique. In: 60 ans d’histoire de l’UNESCO. Actes du colloque international, Paris 16–18 novembre 2005. Paris: UNESCO 2007, S. 477–479, hier S. 478. 8 Vgl. Jones: International Policy for Third World Education, S. 101 und S. 111. 9 Im englischen Original: »keystone of teaching«. Looking at the World through Textbooks, S. 1. 10 Vgl. Kapitel 3.1 dieser Arbeit. 11 Vgl. Peter N. Neumann: Textbook Production: Indonesia – (mission). Final Report. Jakarta 1956 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr0466); A. T. McKay: Textbooks and Teaching Aids: Jamaica – (mission). Reports. Kingston 1957–1961 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 70fr0249).
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
die Frage an Relevanz, wie der Bedarf an schulischen und universitären Lehrbüchern und Fachliteratur in den Entwicklungsländern zu decken war, d. h. wie die Versorgung der Schüler mit adäquaten Lehr- und Lernmaterialien sichergestellt werden könnte. Da »ohne Lehrbücher [. . .] Bildungsarbeit kaum vorstellbar«12 war, bemühte sich die UNESCO Anfang der sechziger Jahre verstärkt darum, eine lokale Schulbuchproduktion, insbesondere in den gerade unabhängig gewordenen Ländern Asiens und Afrikas, zu ermöglichen, den Import westlicher Fachliteratur zu verbilligen und für Verleger aus Entwicklungsländern den Erwerb von Lizenzen für die Übersetzung oder den Nachdruck ausländischer Werke zu vereinfachen.
6.1 Fokus Afrika: Der Wunsch nach lokalen Schulbüchern Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Dekolonisation konzentrierte die UNESCO in den sechziger Jahren einen Großteil ihrer bildungspolitischen Aktivitäten auf den afrikanischen Kontinent; sie legte ein umfangreiches Nothilfeprogramm auf, das die noch jungen Mitgliedsstaaten bei der Reform und Expansion der Schul- und Universitätssysteme unterstützen sollte.13 Dem Ausbau des formalen Bildungswesens wurde allenthalben nicht nur deswegen ein hoher Stellenwert beigemessen, weil die angestrebte wirtschaftliche Modernisierung ausgebildete Arbeitskräfte benötigte, sondern auch, weil Bildung als wichtiges Instrument galt, um die fragilen nationalen Identitäten zu festigen und das nationale Selbstverständnis zu formen. In dem Maße, in dem Bildung zum Ausdruck nationaler Souveränität und zum Mittel zur Stärkung der sprachlichen und politischen Einheit wurde, war es notwendig, dass auch Curricula und Unterrichtsmaterialien der Realität der einzelnen Länder explizit Rechnung trugen. Die afrikanischen Bildungsminister wiesen während der UNESCO-Konferenz in Addis Abeba eindringlich auf die Notwendigkeit hin, Lehrbücher zu entwickeln, welche Gesellschaft, Geschichte und Kultur der Schüler und Studenten widerspiegelten: There exists a persistent need for the reform of teaching materials at all levels. School experiences should contribute to the learner’s greater understanding and appreciation both of his cultural heritage and that of all other nations and of all aspects of his nation’s present and probable future. His basic and supplementary materials for study should be born of African conditions and interests. Throughout the textbooks the African child studies should run the fabric of African life and culture. Production of such material will require considerable research, writ-
12 Grundzüge eines Plans für den Aufbau des Bildungswesens in Afrika. Köln: Deutsche UNESCOKommission 1962, S. 11. 13 Vgl. beispielhaft: Outline of a Plan for African Educational Development. Paris 1961 (UNESCODokument: UNESCO/ED/180); Richard Greenough: Africa Calls. Development of Education, the Needs and Problems. Paris: UNESCO 1961; Emergency Programme of Additional Aid for the Development of Education in Africa. Paris 1960 (UNESCO-Dokument: 11C/PRG/32).
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ing, and publication, but its importance to the development of proper concepts and of learning experiences appropriate to the African child makes it a need of crucial urgency.14
In der hier erhobenen Forderung nach einheimischen Lehrbüchern kam der politische Wille zur Selbstbestimmung und zur Loslösung von kolonialen Strukturen deutlich zum Ausdruck. Das Schulbuch sollte ein Manifest politischer und kultureller Unabhängigkeit, ein genuin nationales Produkt sein, das nicht nur von lokalen Autoren zu verfassen, sondern möglichst auch von einheimischen Institutionen zu produzieren und zu vertreiben war. Die angestrebte Entkolonialisierung im Schulbuchbereich erforderte somit nicht nur neue Inhalte, sondern ließ auch eine Beschneidung der Vormachtstellung britischer und französischer Verlagsunternehmen auf den afrikanischen (Schul-) Buchmärkten notwendig erscheinen. Die (Schul-) Buchmärkte in den jungen afrikanischen Staaten südlich der Sahara waren durch die lange koloniale Herrschaft im hohen Maße geprägt: Britische und französische Verlagshäuser wie Longman, Macmillan, Heinemann Educational Books und Oxford University Press sowie Hachette und Hatier dominierten den Handel mit Lehrmaterialien.15 Die europäischen Unternehmen wurden in der Regel durch Reprä-
14 Final Report. Conference of African States on the Development of Education in Africa, S. 8. Die Notwendigkeit einheimisch verfasster und produzierter Schulbücher betont auch: J. R. Davidson: Textbooks in Africa. Paris 1962 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/PUB/62/6). 15 Die Geschichte des Buchhandels im postkolonialen Afrika, insbesondere in den ehemals französischen Kolonien, ist bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Eine Ausnahme stellt eine 2009 am Mainzer Institut für Buchwissenschaft entstandene Magisterarbeit dar, die sich des gewaltigen Forschungsdefizites annimmt und auf Grundlage gedruckter Quellen die Entfaltung der anglophonen Buchmärkte im subsaharischen Afrika nach Ende des Zweiten Weltkrieges analysiert: Vgl. Merle Schierenberg: Von rücksichtsloser Dominanz zu verantwortungsbewussten Miteinander? Zur Rolle britisch-multinationaler Verlage in der Entwicklung der Buchmärkte des anglophonen Afrika. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Institut für Buchwissenschaft, Johannes GutenbergUniversität Mainz 2009. Auch im Oxford Companion to the Book ist ein Abriss über die Geschichte des Buches in Afrika erschienen: Vgl. Andrew van der Vlies: The History of the Book in Sub-Saharan Africa. In: Oxford Companion to the Book. Hrsg. von Michael F. Suarez, S. J. und H. R. Woudhuysen. Band 1: Essays A–C. Oxford: Oxford University Press 2010, S. 313–320. Die hier vorgenommene Skizzierung der Struktur der afrikanischen Buchmärkte, die angesichts der Forschungslücken nur als eine gewagte, gigantische und eigentlich unzulässige Generalisierung zu beschreiben ist, berücksichtigt die Ergebnisse der genannten Magisterarbeit und bezieht darüber hinaus noch folgende zeitgenössische Quellen und Erfahrungsberichte ein: Søren Andreas Klitgaard: Schul- und Lehrbücher in West-, Zentral- und Ostafrika. Hamburg: Verlag für Buchmarkt-Forschung 1968; John Nottingham: Establishing an African Publishing Industry. A Study in Decolonization. In: Africa Affairs 68 (1969), S. 139–144; Keith Smith: Who Controls Book Publishing in Anglophone Middle Africa? In: Annals of the American Academy of Political and Social Science 421 (1975), S. 140–150; Publishing in Africa in the Seventies. Proceedings of an International Conference on Publishing and Book Development Held at the University of Ife, Ile-Ife, Nigeria, 16–20 December 1973. Hrsg. von Edwina Oluwasanmi, Eva McLean und Hans Zell. Ile-Ife: University of Ife Press 1975; Alan Hill: In Pursuit of Publishing. London: John Murray 1988 (hier insbesondere Kapitel 10 bis 12); ders.: Educational
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sentanten vor Ort vertreten; einige von ihnen hatten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aber auch bereits Vertriebsniederlassungen gegründet, um die wachsenden afrikanischen Märkte besser bedienen zu können. Von wenigen, eigens für den afrikanischen Kontinent verfassten Unterrichtswerken abgesehen, bestand das Gros der aus London, Oxford und Paris nach Afrika exportierten Verlagsproduktionen aus Lehrbüchern, die für britische bzw. französische Schulen geschrieben worden waren und somit europäische Realitäten abbildeten. Ihre Inhalte waren mit afrikanischen Wirklichkeiten wenig kompatibel, wie der in den siebziger Jahren der Oxford University Press in Nigeria vorstehende T. T. Solaru anhand eines Beispiels aus seiner Kindheit verdeutlichte: Then came English reading. Despite the excitement we brought to learn the ›white man’s language‹, one of our early reading passages contained the unconnected phrase ›O Potato!‹ None of us (I doubt if the teacher himself) knew what it meant. There was not even a line drawing to assist recognition. But so well was it drilled into us, that the phrase ›O Potato!‹ was indelibly impressed on our memories.16
In keinem subsaharischen Land wurden zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit (Schul-) Bücher im nennenswerten Umfang hergestellt. Ein lokales Druck- und Verlagswesen hatte sich in der Kolonialzeit kaum herausbilden können. Von den christlichen Missionen abgesehen, die Druckereien unterhielten und ansatzweise verlegerische und buchhändlerische Funktionen übernommen hatten17 , waren neben den meist auf Herstellung amtlicher Mitteilungen und Formulare spezialisierten Regierungsdruckereien und den von den Kolonialregierungen finanzierten Literaturproduktionsbüros nur wenige Universitätsverlage und vor allem in den bevölkerungsreichen Staaten Kenia und Nigeria einige kleine lokale Pressen tätig. Die einheimischen Verlags- und Druckkapazitäten schienen somit kaum ausreichend zu sein, um den prognostizierten Bedarf an Schulbüchern zu decken: Legte man die Expansionspläne zugrunde, die von den afrikanischen Bildungsministern 1961 in Addis Abeba verabschiedet wor-
Publishing in Anglophone Africa. In: Education in Africa. Research and Action. Hrsg. von Richard Jolly. Nairobi: East African Publishing House 1969, S. 285–300; Julian Rea: Aspects of African Publishing 1945–74. In: African Studies Since 1945. A Tribute to Basil Davidson. Hrsg. von Christopher Fyfe. London: Longman 1976, S. 96–105. 16 T. T. Solaru: Educational Publishing and Textbook Production. In: Publishing in Africa in the Seventies. Proceedings of an International Conference on Publishing and Book Development Held at the University of Ife, Ile-Ife, Nigeria, 16–20 December 1973. Hrsg. von Edwina Oluwasanmi, Eva McLean und Hans Zell. Ile-Ife: University of Ife Press 1975, S. 297–306, hier S. 299. 17 Vgl. zur Rolle christlicher Verlage in Afrika Ende der sechziger Jahre: Modupe Oduyoye: The Role of Christian Publishing Houses in Africa Today. In: Publishing in Africa in the Seventies. Proceedings of an International Conference on Publishing and Book Development held at the University of Ife, IleIfe, Nigeria, 16–20 December 1973. Hrsg. von Edwina Oluwasanmi, Eva McLean und Hans Zell. Ile-Ife: University of Ife Press 1975, S. 209–232.
Fokus Afrika: Der Wunsch nach lokalen Schulbüchern
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den waren, würden bis 1980 mindestens 1,228 Milliarden sogenannter Bucheinheiten (book units, eine Bucheinheit entsprach 16 Seiten) benötigt werden.18 Innerhalb des UNESCO-Sekretariats vertrat man ebenfalls die Ansicht, dass Schulbücher idealerweise vor Ort verfasst und produziert werden müssten. Jim McDougall, in Paris für das Thema Bildungsmedien verantwortlich, hielt 1960 fest: A textbook is by its nature nationally and even locally oriented. It is designed to fit a particular course of study and reflect a certain background. The examples it gives are based on the local environment and fit into national ways of life and aspirations.19
Um die afrikanischen Staaten bei der Herstellung einheimischer Schulbücher zu unterstützen, plante die UNESCO, sogenannte Schulbuchproduktionszentren (Textbook Production Centre) auf nationaler bzw. subregionaler Ebene aufzubauen.20 Diese den Bildungsministerien unterstehenden Verlags- und Druckeinheiten sollten zusammen mit dem ebenfalls noch zu gründenden regionalen Schulbuchbüro eine Grundversorgung mit Lehrmaterialien sicherstellen.21 In ihrem ersten Konzeptentwurf sprach sich die UN-Organisation folglich für eine staatliche Übernahme der Schulbuchproduktion aus. Anders als in weiten Teilen Westeuropas und Nordamerikas, wo sich in der Regel privatwirtschaftliche Verlage für Redaktion und Herstellung von Lehrbüchern verantwortlich zeigten und die staatliche Kontrolle durch Prüfungsmechanismen und Zulassungsvorschriften ausgeübt wurde, wurde – in Ermangelung eines leistungsfähigen lokalen Verlagswesens – eine durch die öffentliche Hand gesteuerte und finanzierte Schulbuchproduktion als einzige Möglichkeit angesehen, um die afrikanischen Staaten rasch von der Abhängigkeit teurer Buchimporte zu befreien und es ihnen zu erlauben, kulturell selbstbestimmt zu agieren. Da der geringe Etat – wie so oft in der Geschichte der UN-Organisation – keine flächendeckende Umsetzung des Konzepts erlaubte, rief die UNESCO im Rahmen ihres Nothilfeprogramms für Afrika zunächst ein Pilotvorhaben ins Leben: Gemeinsam mit der kamerunischen Regierung gründete sie in der Hauptstadt Yaoundé ein Schulbuchproduktionszentrum, in dem sowohl für Kamerun als auch für die französischsprachigen Nachbarstaaten Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien gedruckt werden sollten.22 Die UNESCO finanzierte die Anschaffung der Druck-
18 Vgl. Book Development in Africa. Problems and Perspectives. Paris: UNESCO 1969 (Reports and Papers on Mass Communication. 56), S. 12–13. 19 J. F. McDougall an D’Arnold Davis am 27.7.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671, »–66«, Part V). 20 Vgl. Scheme for Textbook Production Centres in Tropical Africa. Paris 1960 (UNESCO-Dokument: 11C/PRG/33); sowie 11 C/5 Approved, Project 1.2323.2. 21 Vgl. Scheme for Textbook Production Centres in Tropical Africa. 22 Vgl. Agreement between the Government of the Republic of Cameroun and the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization for the Establishment of a Cameroun Centre for the Production of Textbooks and Teaching Aids. Paris 1962 (UNESCO-Dokument: WS/026.57).
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
maschinen und die Einrichtung der angeschlossenen Binderei, das Gastland stellte die Räumlichkeiten. Es wurde erwartet, dass die laufenden Produktionskosten von den Regierungen Kameruns, Gabuns, Kongos, der Zentralafrikanischen Republik und des Tschads getragen würden. Mit dem Aufbau des Zentrums verfolgte die Pariser Organisation zwei Ziele: Es sollte zum einen der Produktion von Schulbüchern und Lehrmaterialien dienen und zum anderen eine Ausbildungsstätte für einheimisches Personal sein. Obgleich nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche moderne Druckereien vor allem als Regierungspressen, aber auch als private Offizinen errichtet worden waren, existierten auf dem Kontinent kaum Ausbildungsprogramme für das graphische Gewerbe.23 Zur Überwindung dieser Ausbildungsproblematik im Druckwesen sollten die zeitwillig bis zu fünf im Auftrag der UNESCO am Zentrum tätigen Herstellungsspezialisten aus Frankreich und der Schweiz beitragen: Neben der Inbetriebnahme des Zentrums sowie der Produktionsplanung und -organisation zählten vor allem die Anleitung des einheimischen Personals und die Schulung zukünftiger Führungskräfte zu den Aufgaben der ausländischen Experten. Bis 1968 wurden insgesamt fast fünfzig Fachkräfte ausgebildet, unter diesen zwölf Buchdrucker und sechzehn Buchbinder.24 Während sich die Einrichtung als Ausbildungsstätte für das graphische Gewerbe bewährte, konnte sie sich als subregionales Schulbuchproduktionszentrum nicht etablieren. Zwar wurden im Auftrag der Bildungsministerien einige lokale Schulbücher gedruckt, so beispielsweise ein kamerunisches Geschichtsbuch und ein Geographiebuch des Kongos, überwiegend produzierte man in Yaoundé aber Alphabetisierungsmaterialien, pädagogische und kulturelle Zeitschriften sowie Informationsblätter für Lehrer.25 Das Direktorenduo, bestehend aus dem Franzosen Gilbert Dieux und seinem designierten kamerunischen Nachfolger Joseph Ndoubena, begründeten das gegenüber der ursprünglichen Zielsetzung stark abweichende Produktionsprofil 1965 wie folgt: At the moment we are not producing as many real textbooks for use by schoolchildren as we would like [. . .] This is simply because we don’t have enough good manuscripts for such textbooks submitted to us. We need many more African textbooks for use by children in our schools.26
23 Vgl. Klitgaard: Schul- und Lehrbücher, S. 74. 24 Vgl. UNESCO’s Inter-African Programme. Report of the Committee on the Evaluation of UNESCO Operated or Aided Regional Offices, Centres and Institutes in Africa. Paris 1968 (UNESCO-Dokument: BMS/MD/2), S. 49. 25 Vgl. R. Astier: Centre d’édition et de production de manuels scolaires et d’auxilaires de l’enseignement de Yaoundé. Juillet 1962–Décembre 1968. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1109/BMS, RD/EDM). 26 Zitiert nach: Richard Greenough: Africa Prospect. Progress in Education. Paris 1966 (UNESCODokument: MC.65/D.61/A), S. 94.
Fokus Afrika: Der Wunsch nach lokalen Schulbüchern
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Auch wenn die Verbesserung der personellen und materiellen Ressourcen im graphischen Gewerbe eine wesentliche Voraussetzung darstellte, um lokal Lehrbücher produzieren zu können, zeigten die Erfahrungen des kamerunischen Schulbuchproduktionszentrums eindringlich, dass der eigentliche Engpass in einem Mangel an verwertbaren Manuskripten bestand.27 Expertise im Verfassen von Schulbüchern war unter den afrikanischen Pädagogen kaum vorhanden; Anreize, um neben der Arbeit als Lehrer zusätzlich auch als Schulbuchautor tätig zu werden, gab es ebenso wenig wie adäquate Fortbildungsmöglichkeiten; das Fehlen von ausgearbeiteten, auf Dauer angelegten Lehrplänen erschwerte die Konzeption von Schulbüchern zusätzlich.28 Das von der UNESCO zur Unterstützung und Ausbildung von Schulbuchautoren geplante regionale Schulbuchbüro kam aus finanziellen Gründen nicht zustande, seine Aufgabe sollten stattdessen von dem 1961 in Ghana eröffneten Informationsund Forschungszentrum für Bildung (UNESCO Regional Centre for Educational Information and Research) wahrgenommen werden.29 Diese Einrichtung war die erste in einer Reihe regionaler Bildungsinstitute, die die Pariser Organisation in den sechziger Jahre quer über den gesamten afrikanischen Kontinent aufbaute. In ihren jeweiligen Schwerpunktthemen – im Sudan wurde ein Zentrum für Schulgebäude, in der Zentralafrikanischen Republik ein Trainingszentrum für Grundschullehrer eröffnet – sollten sie den Regierungen der afrikanischen Staaten beratend beiseite stehen bzw. das für die Expansion des Bildungswesens dringend benötigte Fachpersonal ausbilden. Das ghanaische Zentrum widmete sich in den ersten zwei Jahren nach seiner Gründung verstärkt der Schulbuchfrage: Bis Ende 1963 wurden drei Kurse für Schulbuchautoren in Tansania, Sierra Leone und im Senegal durchgeführt; es fanden Schulungsmaßnahmen zu Fragen der Illustration und der Gestaltung von Unterrichtsmaterialien statt; eine Ausstellung von Lehrbüchern tourte durch Westafrika, um jungen Schulbuchautoren Anschauungsmaterial zu liefern; ein Leitfaden für das Verfassen von Schulbüchern wurde veröffentlicht. Auch redigierten und illustrierten die insgesamt vier bis Ende 1963 am Zentrum tätigen Experten Manuskripte von Schulbüchern unter anderem aus Äthiopien, um diese dann im Zuge eines von der jugoslawischen Regierung finanzierten Entwicklungshilfeprojekts in Europa drucken zu lassen.30
27 Vgl. Guide on the Preparation of Textbooks Manuscripts for Developing Countries. Unveröffentlichtes Typoskript, o. D. [etwa 1965] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 A5). 28 Vgl. Klitgaard: Schul- und Lehrbücher, S. 16–22. Ab Mitte der sechziger Jahre bereitete die UNESCO ein Handbuch vor, das Schulbuchautoren in Entwicklungsländern bei der Manuskriptentwicklung unterstützen sollte. Vgl. Preparing Textbook Manuscripts. A Guide for Authors in Developing Countries. Hrsg. von A. J. Loverdige, Franz Cornelsen, L. J. Lewis und J. M. Terekhov. Paris: UNESCO 1970. 29 Vgl. 11C/5 Approved, Project 1.2321.2. 30 Vgl. R. N. Murray: UNESCO Regional Centre for Educational Information and Research in Africa: Ghana – (mission). Director’s Report on the Period June 1963 to December 1964. Accra 1965 (UNESCO-
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
Ende 1963 ordnete das UNESCO-Sekretariat eine thematische Reorganisation des Zentrums an: Die Förderung lokaler Schulbuchproduktionen sollte aufgegeben und den Regierungen stattdessen Unterstützung bei der Curriculumerstellung angeboten werden. Zum einen wurde das Vorhandensein von Lehr- und Unterrichtsplänen als Voraussetzung begriffen, um überhaupt Schulbücher verfassen zu können; zum anderen setzte sich innerhalb der UNESCO die Meinung durch, dass ein mit wenigen Experten und mit geringen finanziellen Ressourcen ausgestattetes, für insgesamt 34 Ländern zuständiges Zentrum keinen effizienten Beitrag zur Lösung der letztlich doch immer nationalen Schulbuchfrage leisten konnte. In einer Evaluation des Zentrums hieß es 1968: It is however clear that the preparation of [. . .] textbooks is a work of distinctly national character. It is also something fraught with difficulties of every kind, and requiring large resources. The Committee does not feel that the Centre can, at present, give much help in this field.31
Es ist für die UNESCO ein eher ungewöhnliches Vorgehen, das Scheitern von Projekten öffentlich einzugestehen. Die beiden regionalen Programme, die die Pariser Organisation im Rahmen ihres Bildungsnothilfepaketes im postkolonialen Afrika lancierte, um den jungen Nationen bei der Produktion lokaler Schulbücher behilflich zu sein, verfehlten ihre Zielsetzungen aus mehreren Gründen: Es zeigt sich deutlich, dass beide Projekte Ad-hoc-Maßnahmen waren, die eine sorgfältige Problemanalyse und profunde Konzepterstellung vermissen ließen. Der Ausbau der einheimischen Schulbuchproduktion war ein komplexer, kapitalintensiver Prozess, der in Abhängigkeit von politischen, pädagogischen und wirtschaftlichen Kriterien und in Koordination mit Autoren, Verlagswesen, graphischem Gewerbe, Buchhandel und Schulwesen geschehen musste. Eine Förderung bzw. der Aufbau einzelner Bestandteile dieses Systems, wie sie in Kamerun mit der Einrichtung von Druckkapazitäten und in Ghana mit der Professionalisierung der Schulbuchautoren erfolgte, konnte kaum zum Erfolg führen. Die Schulbuchproblematik setzte eine integrale Bearbeitung aller Komponenten voraus und war als solche Bestandteil zweier größerer Sachfragen: der Leistungsfähigkeit des einheimischen Buchhandels und der Druckindustrie sowie des Vorhandenseins von Autoren und Redaktionen, die auf Basis eines durch die zuständigen öffentlichen Instanzen erarbeiteten Curriculum Lehrbücher verfassen konnten. Schon im Herbst 1960 hatte der Leiter der UNESCO-Publikationsabteilung, der Franzose Emile Delavenay, intern davor gewarnt, sich mit den zur Verfügung stehenden,
Dokument: Microfiche: 70fr449+); S. A. Klitgaard: Book Production Training: Ghana – (mission). Paris 1962/1963 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 70fr0452+); J. R. Davidson: UNESCO Regional Centre for Education in Africa: Ghana – (mission). Paris 1962/1963 (UNESCO-Dokument: ED/4113/1). 31 UNESCO’s Inter-African Programme, S. 33.
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geringen Ressourcen der komplexen Schulbuchthematik anzunehmen: C’est un problème qui méritera une étude approfondie, l’UNESCO devant, à mon avis, éviter d’intervenir avec des moyens limités et du personnel relativement inexpérimenté dans une domaine où les ex-puissances coloniales et leur maisons d’édition ont déjà fortement préparé le terrain pour l’avenir.32
Wie vom UNESCO-Mitarbeiter prognostiziert, leiteten britische und französische Verlagshäuser Maßnahmen in die Wege, um ihre Position auf den afrikanischen Lehrbuchmärkten zu konsolidieren. Man bemühte sich, den Wunsch nach einheimischen Schulbüchern verstärkt zu entsprechen und speziell an die Bedürfnisse und Curricula der jungen Nationen angepasste Titel ins Verlagsprogramm aufzunehmen. Zu diesem Zweck wurde bei Hachette sogar eine neue Abteilung, das Bureau d’Etudes Africaines, eingerichtet.33 Unterrichtswerke wie das im größten französischen Schulbuchverlag erscheinende Calcul. Cours élémentaire des écoles d’Afrique noire34 oder das bei Longman publizierte Beginning English in West Africa35 zeugen davon, dass die europäischen Verlagshäuser anfänglich kaum länderspezifische Titel, sondern mehrheitlich entweder für den gesamten Kontinent oder zumindest für Regionen konzipierte Schulbücher vertrieben. Die Möglichkeit der regionalen Vermarktung und die damit höhere und folglich profitablere Auflage, die Erfahrung im Verlegen sowie die Zugänge zu Papier, Drucktechnologien und Finanzierungsmöglichkeiten waren einige der immensen Wettbewerbsvorteile, die die etablierten Verlagshäuser aus Europa gegenüber den afrikanischen Buchhandelsfirmen besaßen.36 Insbesondere die britischen Unternehmen setzten ihre Expansionsstrategie fort und gründeten weitere Niederlassungen: Diese fungierten anfangs lediglich als Auslieferungen, produzierten ab Ende der sechziger Jahre aber auch in zunehmendem Umfang vor Ort, nahmen afrikanische Autoren unter Vertrag und stellten einheimisches Personal ein.37 Die bei den europäischen Verlagen vorhandene Sachkenntnis im Publizieren sowie das Fehlen einheimischer Unternehmen führten dazu, dass die mit der Schulbuchfrage betrauten Bildungsminister die ausländischen Verlagsniederlassungen oftmals zu Partnern machten: So wurden beispielsweise in Kenia mehrere vom Kenya Institute for Education verfasste Schulbücher zur Produktion an
32 Emile Delavenay: Memorandum »Programme africain: formation de personnel pour les maisons d’édition« vom 27.10.1960 (Paris, UNESCO-Archiv, 2nd Series, AG 8: Secretariat Records, 371.671 »–66«, Part V). 33 Vgl. [Marcel Hignette]: Note sur les possibilités d’éditions africaines, o. D. [etwa 1960] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 »–66«, Part V). 34 Justin Auriol/Marcel Séguir: Calcul. Cours élémentaire des écoles d’Afrique noire. Paris: Hachette 1958. 35 John Wilson: Beginning English in West Africa. Wall Picture. London: Longman, Green & Co 1956. 36 Vgl. Nottingham: African Publishing Industries, S. 141. 37 Vgl. Smith: Who Controls Book Publishing, S. 144.
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
Heinemann und die Oxford University Press abgegeben.38 Eine andere Form der Zusammenarbeit ging der britische Verlag Macmillan mit der tansanischen Regierung ein: Gemeinsam gründete man das Tanzania Publishing House, das als Monopolist die Produktion und Distribution aller Schulbücher für den Grundschulsektor übernahm. Neben einer Beteiligung am jährlichen Gewinn konnte das britische Verlagshaus seine beratenden Dienstleistungen separat in Rechnung stellen. Eine derartige, für Macmillan äußerst profitable und in der Öffentlichkeit als neokolonialistisch kritisierte Kooperation ging die britische Buchhandelsfirma auch mit nationalen Autoritäten in Ghana, Uganda und Sambia ein, wo ebenfalls Staatsverlage gegründet wurden.39 Die Entwicklung der (Schul-) Buchmärkte in den Jahren nach der Unabhängigkeit zeigt sehr deutlich, dass sich in vielen afrikanischen Ländern die Loslösung von den kolonialen Strukturen und Inhalten im Schulbuchbereich schwierig gestaltete und letztlich nur in Teilen gelang: Zwar wurden immer mehr von einheimischen Autoren oder Redaktionsteams verfasste, teilweise in den lokalen Sprachen geschriebene Schulbücher verlegt, aber deren Produktion und Vertrieb (und damit auch die wirtschaftlichen Gewinne) blieben häufig in den Händen britischer oder französischer Verlagsunternehmen und ihrer Tochterfirmen, die gegenüber den wenigen lokalen, meist kapitalschwachen und unerfahrenen (Staats-) Verlagen deutliche Wettbewerbsvorteile besaßen und diese strategisch geschickt im Sinne ihres ökonomischen Eigeninteresses einzusetzen vermochten.40 Anfang der siebziger Jahre wurde nach Schätzungen rund neunzig Prozent der afrikanischen Buchproduktion durch ausländische Verlage auf den Markt gebracht.41 Die UNESCO besaß aufgrund ihres limitierten Haushaltes nur ein sehr begrenztes Handlungspotenzial im Bereich der kapitalintensiven Schulbuchproduktion: Die Entsendung von Experten stellte die einzige direkte Unterstützungsleistung dar, die die Pariser Organisation ihren überwiegend jungen Mitgliedsstaaten in Asien, Afrika und der Karibik anbieten konnte. Die etwa fünfzehn, bis Ende der sechziger Jahre in Mali, Äthiopien und dem Sudan, aber auch in Laos und Thailand im Auftrag der UNESCO tätigen Sachverständigen halfen den zuständigen Stellen in den nationalen Bildungsministerien bei der Suche nach Strategien, wie die wachsende Zahl an Schülern mit adäquaten Lehrmaterialien zu versorgen sei42 : Die zu entwickelnden Schulbücher
38 Vgl. Henry Chakava: Kenyan Publishing: Independence and Dependence. In: Publishing and Development in the Third World. Hrsg. von Philip G. Altbach. London, Melbourne, München u.a.: Hans Zell Publishers 1992 (Hans Zell Studies on Publishing. 1), S. 119–150, hier S. 123. 39 Vgl. ausführlich zu den in Kooperation mit Macmillan entstandenen Staatsverlagen: Schierenberg: Von rücksichtsloser Dominanz zu verantwortungsvollem Miteinander?, S. 50–57. 40 Vgl. hierzu auch Kapitel 10.2 dieser Arbeit. 41 Vgl. Jörg Becker: Massenmedien im Nord-Süd-Konflikt. Frankfurt/Main: Campus-Verlag 1985 (Campus-Forschung. 441), S. 76. 42 Vgl. die Übersicht über die Expertenmission im Bereich Schulbuchproduktion in den fünfziger und sechziger Jahren in der Dokumentation H.
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sollten dabei nicht nur lokal im Inhalt sein und – wie es der in Mali tätige Experte formulierte – »die Köpfe dekolonialisieren«43 , sondern zusätzlich auch rasch und preisgünstig herstellbar sein und möglichst »nicht mehr als eine Zigarettenschachtel«44 kosten. In allen Mitgliedsstaaten, die die UNESCO durch Expertenmissionen unterstützte, wurde der Weg einer staatlichen Schulbuchproduktion gewählt: Die Gründung eines Staatsverlages oder der Aufbau einer dem Bildungsministerium unterstehenden Lehrmittelproduktionsabteilung galt in Anbetracht der geringen einheimischen Verlags- und Druckkapazitäten als einzige Gestaltungsmöglichkeit, um die Versorgung mit national produzierten Unterrichtswerken zu gewährleisten. Die direkte Regierungskontrolle über die Herstellung von Schulbücher stieß jedoch auch auf Kritik45 : Die staatliche Lehrmittelproduktion wurde aufgrund des fehlenden Wettbewerbs und vermeintlicher Verwaltungsbürokratien als unrentabel und ineffizient angesehen und durch die politische Abhängigkeit die Herausbildung eines staatlichen Meinungsmonopols befürchtet. Weiterhin wertete man die Verstaatlichung als massives Hemmnis, das der Entfaltung eines privatwirtschaftlichen Buchhandels entgegenstand, als dessen ökonomisches Rückgrat Lehrbücher vielfach begriffen wurden. Die Entscheidung, wie die nationale Schulbuchproduktion organisiert werden sollte, war mithin komplex. War die nationale Produktion von Schulbüchern politisch gewünscht, schien die staatliche Verantwortung und Produktionsübernahme in vielen Teilen der Dritten Welt angesichts eines kümmerlichen lokalen Verlagswesens alternativlos. Zugleich vermutete man, dass eine zentralisierte, staatliche Herstellung von Schulbüchern die Ausbildung und Entfaltung des einheimischen, privatwirtschaftlichen Verlagswesens ersticken oder zumindest hemmen könnte, da dem privatwirtschaftlichen Sektor mit dem Schulbuch das gewinnträchtigste und größte Marktsegment genommen wurde. Während die UNESCO darauf setzte, durch den Aufbau des einheimischen Buchhandels Voraussetzungen zu schaffen, die zukünftig eine lokale, privatwirtschaftliche Schulbuchproduktion ermöglichen sollten, nahm sich auch die Weltbank im Rahmen ihres wachsenden Engagements im Bildungsbereich der Schulbuchfrage in
43 Im englischen Original: »decolonize the minds«. Gerard Lucas: Textbook Production in Mali – (mission). Report. Bamako 1965 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1096), S. 3. 44 Im englischen Original: »Thus one could aim at producing textbooks which would cost no more than a package of cigarettes.« Ebd., S. 4. 45 Vgl. Primary School Textbooks. Preparation – Selection – Use. Genf, Paris: International Bureau of Education, UNESCO 1959 (Publication No. 204). Neben den sozialistischen Wirtschaftssystemen, in denen die Schulbuchproduktion vollständig in staatlicher Hand lag, wurde die Herstellung von Lehrbüchern unter anderem auch in Guatemala, im Iran und in Panama staatlich organisiert. Mexiko verstaatlichte die Schulbuchproduktion für den Primarschulsektor im Jahr 1964. Siehe dazu Kapitel 8.1.1 dieser Arbeit.
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
der unterentwickelten Welt an.46 Nicht nur wies eine steigende Anzahl von der Weltbank finanzierter Bildungsprojekte eine Schulbuchkomponente auf, auch bemühte sich die Bretton-Woods-Institution ebenso wie die Pariser Organisation in den siebziger und achtziger Jahren, Strategien und Lösungsansätze für eine nachhaltige und kostengünstige Produktion und Distribution von Schulbüchern in Entwicklungsländern zu erarbeiten.47
6.2 Buchimporte und Lizenzausgaben: Wissenstransfer durch Fachliteratur Im Gegensatz zum Lehrbuch für die Primar- und Sekundarschule, das aus Gründen der kulturellen Relevanz und Selbstbestimmung in den Augen der UNESCO nicht aus dem Ausland importiert, sondern möglichst vor Ort produziert werden sollte, wurde der wissenschaftlichen und beruflichen Fachliteratur, insbesondere in den Bereichen Naturwissenschaft, Technik, Medizin und Handwerk, eine universelle Gültigkeit attestiert.48 Indem es Studenten an den Hoch- und Berufsschulen in der Dritten Welt möglich war, aus Europa oder Nordamerika stammende Literatur zu benutzen, konnten sie auf das in den Industrienationen zirkulierende Wissen zurückgreifen. Das für die wirtschaftliche und technische Modernisierung benötigte Wissen würde – so die Hoffnung – rasch Verbreitung finden und auf diese Weise der Anschluss an den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt gelingen49 : »[T]he economic de-
46 Vgl. Barbara Searle: The Provision of Textbooks by the World Bank. In: Textbooks in the Developing World. Economic and Educational Choices. Hrsg. von Joseph P. Farrell und Stephen P. Heyneman. Washington, D.C.: World Bank 1989 (EDI Seminar Series), S. 17–35. 47 Vgl. die von der Weltbank publizierten Studien: Heyneman/Farrell/Sepulvada-Stuardo: Textbooks and Achievement; Neumann: Publishing for Schools; Farrell/Heyneman (Hrsg.): Textbooks in the Developing World; Sosale (Hrsg.): Educational Publishing in Global Perspective. Die UNESCO publizierte in den achtziger Jahren ebenso zur Schulbuchproblematik. Vgl. Douglas Pearce: Textbook Production in Developing Countries. Some Problems of Preparation, Production and Distribution. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 7); ders.: A Guide to Planning and Administering Government School Textbook Projects. With Special Emphasis on Cost-Reduction Factors. Paris: UNESCO 1988. Neben der Weltbank und der UNESCO nahmen sich auch akademische Kreise, insbesondere der USAmerikaner Philip Altbach, der Schulbuchproblematik in Entwicklungsländern an. Vgl. Textbooks in the Third World. 48 Vgl. J. F. McDougall an Matta Akrawi am 9.5.1961 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 »–66«, Part VI). 49 Vgl. dazu kritisch: Philip G. Altbach/ Saravan Gopinathan: Textbooks in Third World Higher Education. In: Textbooks in the Third World. Policy, Content and Context. Hrsg. von Philip G. Altbach und Gail P. Kelly. New York, London: Garland Publishing 1988 (Reference Books in International Education. 4), S. 45–64.
Buchimporte und Lizenzausgaben: Wissenstransfer durch Fachliteratur
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velopment [. . .] depends directly on education and up-to-date information about the knowledge of the developed countries.«50 Für den angestrebten Wissens- und Technologietransfer durch den Konsum von Fachliteratur standen prinzipiell zwei Wege offen: Entweder konnten die Fachbücher in der Originalsprache aus dem Ausland importiert oder für diese Übersetzungsbzw. Nachdrucklizenzen erworben werden. Eine erhebliche Barriere für beide Arten des Wissenstransfers stellten allerdings die für Entwicklungsländer als hoch einzustufenden Kosten dar, die sowohl für den Import von Büchern als auch für den Lizenzerwerb anfielen. Die elfte Generalkonferenz (1960, Paris) beauftragte daher das UNESCO-Sekretariat mit einer Untersuchung, wie eine preiswerte Versorgung der Entwicklungsländer mit Fachliteratur und Lehrbüchern aus dem Ausland zu erreichen sei: The General Conference, Considering that one of the major problems confronting the development of higher scientific and technological education in the underdeveloped countries is the non-availability of reasonably priced books in various disciplines and that this obstructs and retards the advancement of scientific and technological knowledge in these countries, Considering further, that the prohibitive cost of scientific and technical books is mainly due to high production costs in the more advanced countries of the world and that this can be substantially reduced if these are freely allowed to be reprinted or translated by the underdeveloped country concerned, Realizing that the development of a programme for cheap production of these books would involve the question of copyright and payment of royalty and that it would be necessary to undertake an examination of the terms on which the publishers could be persuaded to part with copyright of their books and the arrangements that could be made for the payment of royalty in the currency of the country concerned, Authorizes the Director-General to undertake an early examination of these and allied problems in order to help in the formulation of suitable programmes for cheap production of scientific and technical books in the underdeveloped countries, on a national and a regional basis.51
Innerhalb der UNESCO setzte man eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe ein, deren Aufgabe es war, Strategien zur Lösung der Problematik zu entwickeln und Handlungsmöglichkeiten für die Pariser Organisation aufzuzeigen. Insbesondere wurde erwogen, ob sich die UNESCO nicht im größeren Umfang als »Literaturagentin«52 betätigen sollte, die für Verlage aus Entwicklungsländern den Kauf von Lizenzen vor-
50 Atiqullah Pazhwak: The Question of Copyright in Developing Countries. In: International Copyright. Needs of Developing Countries. Symposium. Neu-Delhi: Government of India, Ministry of Education 1967 (Publication. 797), S. 45–50, hier S. 46. 51 11 C/Res. 2.43. Vgl. auch 11 C/5, Project 2.43.1. 52 Im englischen Original: »literary agent«. Emile Delavenay: Memorandum »Request Made by the Government of India and Ceylon for Help in the Production of Science and Technology Books« vom 24.11.1959 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371-671 »–66«, Part IV).
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Lehr- und Fachbuchmangel in der Dritten Welt
bereitete und bestmögliche Konditionen verhandelte: Eine solche vermittelnde Rolle hatte die Pariser Organisation bereits einmal – im Rahmen eines Projekts zur Produktion von arabischsprachigen Lehrbüchern für Handwerk und Technik – erfolgreich übernommen.53 Nach Gesprächen mit Repräsentanten der Buchbranche kam die interne Arbeitsgruppe indes zu dem Schluss, dass ein direktes Eingreifen der UNOrganisation auf den internationalen Buchmärkten aus zwei Gründen wenig ratsam wäre: Firstly, if UNESCO were to become involved on a world-wide basis in the details of individual transactions between authors and publishers, it seems clear that this would be likely to grow fairly rapidly into an operation on a scale which would be beyond the resources of the UNESCO Secretariat. Secondly, there is the danger that an intervention in book trade matters which began as a necessity might tend to perpetuate itself as a matter of convenience long after the real need had passed.54
Anstatt sich in die Rolle einer Agentin zu begeben, sollte die Pariser Organisation lieber – so die Empfehlung der Arbeitsgruppe – Bewusstsein für die Problematik innerhalb des (westlichen) Buchhandels erzeugen sowie Möglichkeiten zum Austausch zwischen Buchhandelsvertretern aus den Industrienationen und den Entwicklungsländern schaffen.55 In diesem Sinne wurde über die Gründung einer internationalen Vereinigung von Schulbuch- und Wissenschaftsverlegern nachgedacht und die Veröffentlichung eines internationalen Verlegerverzeichnisses angestrebt.56 Die von der UNESCO 1961, 1962 und 1964 in Paris ausgerichteten Konferenzen von Schulbuchverlegern boten Raum, um Strategien zur Schulbuchproduktion zu erarbeiten und Kooperationen zwischen Verlegern der westlichen Welt und ihren Kollegen in Afrika, Asien und Lateinamerika auszuhandeln.57 Auch gelang es der UN-Organisation, die
53 Vgl. H. N. C. Stam: Final Report. Haarlem 1961 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1502); Report on the UNESCO Meeting of Educational Publishers 1961, S. 4–5. 54 Cheap Production of Scientific and Technical Books in the Underdeveloped Countries. Paris 1962 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CUA/119), S. 3. 55 Vgl. Rapport du groupe de travail pour l’examen des questions soulevées par la production à bon marché des livres scientifiques et techniques dans les pays sous-développés, o. D. [etwa Juli/August 1961] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 310 187 61 A 06 44, Part I). 56 Europäische Verleger wie beispielsweise der Generalsekretär der britischen Verlegervereinigung Barker sprachen sich gegenüber der UNESCO gegen die Gründung einer Vereinigung internationaler Schulbuchverlage aus und plädierten für die Eröffnung einer entsprechenden Sektion innerhalb der Internationalen Verleger-Union. Vgl. R. E. Barker an J. F. McDougall am 14.11.1962 (Paris, UNESCOArchiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 310 187 61 A 06 44, Part I). Erst 1972 wurde die International Association of Scholarly Publishers mit dem Ziel gegründet, Wissenschafts- und Schulbuchverleger in der Dritten Welt zu unterstützten. 1977 gab die UNESCO gemeinsam mit der Vereinigung ein Verlegeradressbuch heraus. Vgl. International Directory of Scholarly Publishers. Paris: UNESCO, International Association of Scholarly Publishers 1977. 57 Die erste Schulbuchverlegerkonferenz (Meeting of Educational Publishers) fand 1961 in Genf statt, es folgten Konferenzen 1962 und 1964, jeweils in Paris. Vgl. die entsprechenden Abschlussberich-
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Frage des Lizenzhandels mit der Dritten Welt auf die Agenda des sechzehnten Kongresses der Internationalen Verleger-Union in Barcelona zu setzen.58 Unterdessen verwies die von der UNESCO-internen Arbeitsgruppe vorgelegte Analyse darauf, dass die preiswerte Produktion wissenschaftlicher und technischer Literatur in Entwicklungsländern ein äußerst komplexes Problem darstellte und nicht ausschließlich – wie es die von der Generalkonferenz verabschiedete Resolution implizit vorschlug – durch eine Revision des internationalen Urheberrechts zu erreichen sei: [I]t was more difficult to arrive at a general and universally valid definition of the nature of the problem, and of how it might be solved [. . .] [Q]uestions of copyright are but one and rather minor aspect of a much bigger problem, namely that of the development of the means of producing and publishing books to meet the rapidly expanding needs of the newly emergent countries. This is a problem which by its very nature will require time for its solution.59
Die Möglichkeiten, wissenschaftliche Lehrbücher und Fachliteratur in Entwicklungsländern preiswert herzustellen, setzte – so das Ergebnis der Arbeitsgruppe – einen leistungsfähigen Buchhandel in den Entwicklungsländern voraus. Ebenso wie die Produktion von Schulbüchern und Alphabetisierungsmaterialien war auch diejenige von Fachliteratur für Wissenschaft und Beruf langfristig nur durch eine Stärkung des Buchhandels in der Dritten Welt zu lösen. Im Rahmen des zu diesem Zweck von der UNESCO Mitte der sechziger Jahre initiierten Programms zur Förderung des Verlagswesens in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Nahen Osten wurde auch die Frage neu verhandelt, wie innerhalb des globalen Urheberrechtssystems ein angemessener und fairer Zugang zu entwicklungsrelevanten Wissensbeständen gestaltet werden könnte.60
te: Report on the UNESCO Meeting of Educational Publishers. Geneva, 11–14 July 1961. Paris 1962 (UNESCO-Dokument: ES/0961.68); Report of the UNESCO Meeting of Educational Publishers. Paris, 1–5 October 1962. Paris 1962 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/198); Final Report. International Meeting of Educational Publishers. Paris 1964 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/209). 58 Vgl. Sigfred Taubert: Kongress der Internationalen Verleger-Union in Spanien vom 6–12. Mai 1962. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe Nr. 50 vom 22.6.1962, S. 1181– 1187. 59 Cheap Production of Scientific and Technical Books, S. 2. 60 Siehe zum Komplex Urheberrecht und Entwicklungsländer ausführlich Kapitel 10.1 dieser Arbeit.
»Goldener Schlüssel für nationales Wachstum«: Ein einheimischer Buchhandel als Voraussetzung für Modernisierung und kulturelle Selbstbestimmung
Die im Verlauf der fünfziger Jahre zunehmende Ausrichtung der UNESCO-Bildungsprogramme an entwicklungspolitischen Diskursen, Fragestellungen und Praktiken erfolgte im Rahmen eines sowohl das UN-System wie generell die gesamte globale Nachkriegsordnung prägenden Entwicklungsunterfangens, das auf die Linderung von Armut und Hunger sowie die Beseitigung wirtschaftlicher und sozialer Disparitäten in der Welt zielte und eine Verbesserung der (materiellen) Lebensbedingungen in Aussicht stellte. Die schon in den Zwischenkriegsjahren einsetzenden Bestrebungen, die sozio-ökonomischen Verhältnisse in den sogenannten rückständigen Gebieten der Welt gezielt zu verändern, verstärkten sich in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.1 Das Konzept Entwicklung – als dessen »ideengeschichtlicher Vorläufer [. . .] die Zivilisations- und Fortschrittsphilosophie der Aufklärung«2 gelten kann – wurde zu einem zentralen, globalen Deutungsraster und zu einer moralischen Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft: Die Überzeugung begann sich durchzusetzen, dass Armutsverminderung nur durch koordinierte Interventionen und Zusammenarbeit der Regierungen wohlhabender und armer Staaten sowie durch einen Nord-Süd-Transfer von Expertise, Technologie, Kapital und Sachmitteln erreicht werden könnte. Der Pfad der Entwicklung, den die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu folgen hatten, war derjenige, den die ›erfolgreichen‹ Gesellschaften vorgaben. Modernisierung als Anpassung an einen wesentlich durch die westliche Welt geprägten Standard und als Aufholen einer (ökonomischen) Rückständigkeit durch Wirtschaftswachstum und Industrialisierung konnte – so die Grundannahme der modernisierungstheoretischen Konzeptionen, die das entwicklungspolitische Denken und Handeln bis in die siebziger Jahre hinein nährten –
1 In den letzten fünfzehn Jahren ist eine Zunahme der historiographischen Auseinandersetzung mit Entstehung und Folgen des Entwicklungsgedankens feststellbar. Vgl. stellvertretend: Entwicklungswelten. Globalgeschichte der Entwicklungszusammenarbeit. Hrsg. von Hubertus Büschel und Daniel Speich. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2009 (Reihe Globalgeschichte. 6); International Development and the Social Sciences. Essays on the History and Politics of Knowledge. Hrsg. von Frederick Cooper und Randall Packard. Berkeley: University of California Press 1997. Vgl. auch die Beiträge des Themenschwerpunktes: Modernizing Missions. Approaches to »Developing« the NonWestern World. Hrsg. von Corinna R. Unger und Andreas Eckert. In: Journal of Modern European History 8 (2010), H. 1; siehe ebenso die Studien zum Rahmenthema: Dekolonisation: Prozesse und Verflechtungen 1945–1990, im: Archiv zur Sozialgeschichte 48 (2008). Zur Ideengeschichte des (ökonomischen) Entwicklungsgedankens vgl. die schon ältere, aber nach wie vor lesenswerte Studie von: Heinz Wolfgang Arndt: Economic Development. The History of an Idea. Chicago, London: University of Chicago Press 1987. Eine kritische Sicht aus postmoderner Perspektive bieten: Gilbert Rist: The History of Development. From Western Origins to Global Faith. Neue, revidierte und erweiterte Auflage. London: Zed Books 2002; Arturo Escobar: Encountering Development. The Making and Unmaking of the Third World. Princeton: Princeton University Press 1995 (Princeton Studies in Culture/Power/History). 2 Lepenies: Lernen vom Besserwisser, S. 49.
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von Menschen dirigiert und beschleunigt werden. Der Weg des Westens galt als reproduzierbar.3 Der Glaube an die Möglichkeit und Notwendigkeit von Entwicklung institutionalisierte sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene in Ministerien für Entwicklung, Hilfsagenturen und bi- oder multilateralen Entwicklungsprogrammen, aber auch in sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Instituten und universitären Forschungseinrichtungen. Entwicklung wurde so zu einer »veritablen Industrie«4 , die jedes Jahr weltweit Millionen US-Dollar umsetzte und eine wachsende Anzahl an Personen beschäftigte, die ihre Entwicklungsgrundsätze in eine zunehmend standardisierte Sprache fassten und durch ein statistischabstraktes Zahlenwerk untermauerten. Die Vereinten Nationen waren gewichtiger Teil dieser Entwicklungsmaschinerie: Ab Ende der vierziger Jahre wurden innerhalb des UN-Systems schrittweise Strukturen und Programme geschaffen, um Mitgliedsstaaten in Afrika, Asien und Lateinamerika in ihren Entwicklungsinitiativen zu unterstützen. Neben dem Expanded Programme of Technical Assistance richteten die Vereinten Nationen in den fünfziger Jahren mit dem Special Fund ein weiteres Finanzierungsprogramm für Entwicklungsprojekte ein; eine Kommission des Wirtschafts- und Sozialrats beschäftigte sich ab 1946 mit entwicklungspolitischen Strategien und Fragestellungen; erste UN-Studien erschienen, die Unterentwicklung anhand quantitativer Indikatoren maßen. Als im Zuge der fortschreitenden Dekolonisation mehr und mehr entwicklungsbedürftige Staaten in die Vereinten Nationen eintraten, gewann die Behandlung der Entwicklungsproblematik weiter an Bedeutung: Die Verkündung der ersten UN-Ent-
3 Der Aufstieg der Modernisierungstheorie prägt nicht nur das Konzept von Entwicklung und in der Folge von Entwickungstheorie und -politik in entscheidendem Maße, sondern liegt als Paradigma auch historischen Arbeiten zugrunde, die den Aufstieg des Westens als teleologisches Narrativ konzipieren und denen somit ein stark lineares, europäisch-dominiertes Verständnis von Geschichte immanent ist: Die Entwicklung der Welt wird dort als fortschreitende Verwestlichung gedeutet und (zumeist positiv) bewertet. Einer derart »partikulare und internalistische Sichtweise der Moderneals-Modernisierung« (Conrad/Randeria, S. 42) begegnen vor allem – meist als postkolonial bezeichnete – historische Studien. Vgl. Sebastian Conrad/Shalini Randeria: Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt. In: Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Sebastian Conrad und Shalini Randeria. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2002, S. 9–49. Vgl. zur historischen Lesart von Modernisierung einführend: Hans-Ulrich Wehler: Modernisierung und Modernisierungstheorien. In: ders.: Umbruch und Kontinuität. Essays zum 20. Jahrhundert. München: C. H. Beck 2000, S. 214–250; Thomas Mergel: Geht es weiterhin voran? Die Modernisierungstheorie auf dem Weg zu einer Theorie der Moderne. In: Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte. Hrsg. von Thomas Mergel und Thomas Welskopp. München: C. H. Beck 1997 (Beck’sche Reihe. 1211), S. 203–232. 4 Im englischen Original: »veritable industry«. Frederick Cooper/Randall Packard: Introduction. In: International Development and the Social Sciences. Essays on the History and Politics of Knowledge. Hrsg. von Frederick Cooper und Randall Packard. Berkeley: University of California Press 1997, S. 1–41, hier S. 1.
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wicklungsdekade (1961–1970) war gezeichnet vom Optimismus, durch Mobilisierung weltweiter Ressourcen und durch kooperatives Handeln die Wirtschaftskraft in den Ländern der Dritten Welt erheblich zu steigern und somit deren Rückständigkeit zu überwinden.5 Die UN-Entwicklungsbürokratie wurde weiter ausgebaut: 1964 etablierte sich mit der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development, UNCTAD) eine neue Arena für die Auseinandersetzung mit Fragen der (wirtschaftlichen) Entwicklung; ein Jahr später entstand mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) ein zentrales Finanzierungs- und Koordinierungsorgan für technische Zusammenarbeit, in welches EPTA und UN-Sonderfond aufgingen.6 Zu diesem Zeitpunkt, Mitte der sechziger Jahre, waren auch bereits zahlreiche Programme der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen auf Entwicklung und Armutsbekämpfung ausgerichtet. Dieses galt für die Weltgesundheitsorganisation ebenso wie für die Weltbank; der Entwicklungsimperativ war in den Programmen der Welternährungs- und Internationalen Arbeiterorganisation ebenso spürbar wie innerhalb der UNESCO, wo Projekte der Entwicklungshilfe auch aufgrund ihrer besseren Finanzierbarkeit durch das UNDP an Gewicht gewannen und zwei Drittel des Gesamtetats ausmachten.7 Die UN-Organisationen agierten als internationale Teilnehmer an Entwicklungsdebatten und in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich als operative Agenturen der Entwicklungshilfe. Der UNESCO-Generaldirektor René Maheu erläuterte 1966: [Operation] is concerned with special problems peculiar to certain specific situations found in various Member States and its aim is to modify those situations by direct intervention [. . .] This combined action – international in its motivations, methods and means, national in its conditions and at least the immediate objectives – is an original creation constituting the most characteristic and effective contribution which the technical Specialized Agencies like UNESCO are making towards development. It has to be admitted that this is action which the founders of UNESCO never contemplated. It must also be admitted that, when the Organization adopted
5 Vgl. The United Nations Development Decade. Proposals for Action. New York: United Nations 1962. 6 Vgl. ausführlich: Thomas George Weiss et al.: UN Voices. The Struggle for Development and Social Justice. Bloomington: Indiana University Press 2005 (United Nations Intellectual History Project); Jolly et. al.: UN Contributions to Development Thinking. 7 Vgl. stellvertretend: Amy L. S. Staples: The Birth of Development. How the World Bank, Food and Agriculture Organization, and World Health Organization Changed the World, 1945 – 1965. Kent: The Kent State University Press 2006 (New Studies in U. S. Foreign Relations. 1); Daniel Maul: Menschenrechte, Sozialpolitik und Dekolonisation. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) 1940–1970. Essen: Klartext Verlag 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Schriftenreihe A: Darstellungen. 35), hier insbesondere Kapitel 4 und 7. Die zunehmende Bedeutung entwicklungspolitischen Denkens und Handelns innerhalb der UNESCO thematisieren: Maurel: Histoire de l’UNESCO, S. 259–283; sowie: Jones: International Policies for Third World Education, S. 100–129. Jones stellt insbesondere den Einfluss der Finanzierungsmöglichkeiten auf den Wandel des Programmprofils heraus.
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it as a regular and essential method of work, this was due much more of its membership of the United Nations family than to independent evolution [. . .] The expansion of operational action [. . .] has brought about since 1960 such profound changes in the programme and machinery of the Organization that we have spoken without hesitation of a mutation.8
Die von Maheu als »Konvertierung zur Entwicklung«9 bezeichnete zunehmende Loslösung der Pariser Organisation von ihrem intellektuellen Gründungsauftrag hin zu einer stärkeren operativen und materiellen Orientierung wurde ab Ende der fünfziger Jahre auch im Kommunikationssektor deutlich sichtbar: Programme zur Stärkung des Pressewesens und zum Aufbau von Radio- und Fernsehstationen in Afrika, Asien und Lateinamerika sowie Projekte zur Verbesserung der Journalistenausbildung markieren die wachsende Ausrichtung auf Fragen von Entwicklung.10 In einem den Vereinten Nationen im Frühjahr 1961 vorgelegten Bericht wurde die Erweiterung der Medieninfrastruktur in den Entwicklungsländern als wesentliche Voraussetzung genannt, um sowohl dem Menschenrecht auf Information zu seiner weltweiten Durchsetzung zu verhelfen, als auch den Prozess der sozio-ökonomischen Modernisierung voranzutreiben: The first [premise] is that a prerequisite to freedom of information is the existence of adequate mass communication facilities. Nearly 70 per cent of the total population of the world, living in more than 100 countries, at present lack these facilities to a degree that denies them full enjoyment of this basic human right. The second premise is that development of the information media forms part of economic development as a whole and therefore may be assisted by resources drawn from the technical assistance programmes. Such assistance in the mass communication field is of growing importance at a time when the underdeveloped countries are seeking to attain in a matter of years a level of advancement which it has taken the developed countries centuries to achieve.11
8 René Maheu: UNESCO: A Personal Testimony for an Overall Appraisal. In: UNESCO Chronicle XII (1966), H. 9, S. 319–323, hier S. 320. 9 Im englischen Original: »conversion to development«. Ebd. 10 Nach einem Beschluss der achten Generalkonferenz (1954, Montevideo) konnten Mitgliedsstaaten bei der UNESCO bereits in den fünfziger Jahren technische Unterstützung für den Ausbau ihrer Mediensysteme beantragen (8 C/Resolution IV.1.5.6). Dieses anfangs stark begrenzte Programm wurde vom UNESCO-Sekretariat nach Aufforderung des Wirtschafts- und Sozialrats der UN zu einer umfangreichen, regional ansetzenden Medienentwicklungshilfe (Developing Information Media) ausgebaut. Den Auftakt bildeten Konferenzen zur Medienförderung, die 1960 in Bangkok, 1961 in Santiago de Chile sowie 1962 in Paris (für Afrika) stattfanden. Die praktische Medienentwicklungshilfe der fünfziger und sechziger Jahre ist vor allem im Rahmen der wissenschaftlichen Analyse der Kontroverse um die Neue Weltinformationsordnung nachgezeichnet wurden. Vgl. Maarten Rooy: Developing Media in Developing Countries. A Historical Review of Policies. In: International Communication Gazette 24 (1978), H. 2, S. 2–10; sowie: Breunig: Kommunikationspolitik der UNESCO. 11 Mass Media in the Developing Countries. A UNESCO Report to the United Nations. Paris: UNESCO 1961 (Reports and Papers on Mass Communication. 33), S. 3.
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Eine wissenschaftliche Fundierung der Bedeutung von Massenmedien in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen lieferte der US-amerikanische Kommunikationswissenschaftler Wilbur Schramm in seiner im Auftrag der UNESCO erstellten und 1964 publizierten Studie Mass Media and National Development12 . Wenn Medien mit Kenntnis der lokalen Kultur eingesetzt würden, könnten sie, so die Argumentation Schramms, das für die nationale Entwicklung notwendige Klima schaffen, indem sie Expertenwissen verfügbar machten, menschliche Ressourcen mobilisierten, Wertewandel stimulierten sowie Partizipation ermöglichten und somit die für Modernisierungsprozesse notwendigen Änderungen in den Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung hervorriefen: Perhaps the most general way to describe what the enormously increased flow of information does in a developing nation is to say that it provides a climate for national development. It makes the expert knowledge available where ist is needed, and provides a forum for discussion, leadership, and decision making. It helps to raise the general level of aspiration [. . .] Change will not take place smoothly or very efficiently unless people want change. It is generally the increasing flow of information that plants the seed of change. It is also the widened background of information that furnishes the climate for ›nation-ness‹ itself. By making one part of a country aware of other parts, their people arts, customs, and politics; by permitting the national leaders to talk to the people, and the people to the leaders and to each other; by making possible a nation-wide dialogue on national policy; by keeping the national goals and the national accomplishes always before the public – thus modern communication, wisely used, can help to weld together isolated communities, disparate subcultures, self-centered individuals and groups, and separate developments into a truly national development.13
Schramm folgte damit der 1958 durch Lerner in The Passing of Traditional Society14 vertretenen These, dass Einführung und Verbreitung von Medien in Entwicklungsländern eine zentrale Rolle für den Übergang von traditionellen hin zu modernen Gesellschaften spielten; er ging allerdings insofern über Lerners Vorstellung hinaus, als er nicht nur das Vorhandensein von Medienangeboten als Voraussetzung für soziale Transformationsprozesse deutete, sondern auch auf die Bedeutung der Qualität dieser Angebote, also der Medieninhalte, hinwies: Diese müssten an lokale Verhältnisse und Traditionen angepasst werden, um die Partizipation der Bevölkerung zu ermöglichen und somit die Chancen auf Entwicklung zu erhöhen.15 Schramms modernisierungstheoretische Konzeption von Medien im nationalen Entwicklungsprozess gab den UNESCO-Medienförderungsprogrammen nicht nur eine wissenschaftlich firmierte Legitimierung, sondern sie schürte nachhaltig die Hoff-
12 Wilbur Schramm: Mass Media and National Development. The Role of Information in the Developing Countries. Stanford, Paris: Stanford University Press, UNESCO 1964. 13 Ebd., S. 43–44. 14 Daniel Lerner: The Passing of Traditional Society. Modernizing the Middle East. Glencoe: Free Press 1958. 15 Vgl. Schramm: Mass Media, S. 114–126.
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Ein einheimischer Buchhandel als Voraussetzung für Modernisierung
nung, dass dank massenmedial vermittelter Kommunikation die endogenen Ursachen der Unterentwicklung rasch überwunden würden und das Entwicklungsniveau einer Gesellschaft steigen könnte.16 Massenmedien waren somit zu Motoren der Entwicklung geworden und Medienförderungsprogramme spätestens seit einer entsprechenden Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1962 als Entwicklungshilfe innerhalb des UN-Systems voll anerkannt.17
16 Lerners und Schramms Studien können als frühe Beiträge einer sich langsam herausbildenden, interdisziplinären Forschungsrichtung gewertet werden, die ab Ende der siebziger Jahre als Entwicklungskommunikation (development communication) bezeichnet wird. Entwicklungskommunikation lässt sich mit Grossenbacher definieren als »Kommunikation im Dienst geplanten sozialen Wandels« (René Grossenbacher: Journalismus in Entwicklungsländern: Medien als Träger des sozialen Wandels? Köln, Wien: Böhlau 1988, S. 7). Sie beschäftigt sich folglich mit der Rolle von Medien in Entwicklungs- und Transformationsprozessen. Während bei Lerner und Schramm Massenmedien ein starker, beinahe direkt-kausaler Einfluss auf die Änderung von Einstellungen und Verhalten attestiert wurde, sprechen spätere Untersuchungen Medien lediglich einen indirekten, unterstützenden Beitrag für gesellschaftliche Transformationsprozesse zu. Vgl. dazu stellvertretend die Fallstudie von: Ulrich Saxer/René Grossenbacher: Medien und Entwicklungsprozess. Eine empirische Studie im westafrikanischen Benin. Köln, Wien: Böhlau 1987; sowie die kritischen Überlegungen bei: Göran Hedebro: Communication and Social Change in Developing Nations. A Critical View. Ames: The Iowa State University Press 1984. Bereits Hedebro vermutete, dass Schramms und Lerners Ideen von Medien als Motoren der Modernisierung in der Praxis so stark rezipiert wurden, weil sie entwicklungspolitischen Wunschdenken entsprachen. Einen aktuellen Überblick über die Paradigmen der Entwicklungskommunikation liefert: Jan Servaes/Patchanee Malikhao: Development Communication. Approaches in an International Perspective. In: Communication for Development and Social Change. Hrsg. von Jan Servaes. Los Angeles u. a.: Sage Publications 2008, S. 158–198. 17 Vgl. Resolution 1778 (XVII) vom 7.12.1962: International Co-operation to Assist in the Development of Information Media in Less Developed Countries. Siehe auch: The United Nations Development Decade, S. 71–72.
7 Book development: Die Ausbreitung des Entwicklungsimperativs auf den Buchhandel In den sechziger Jahren erfuhr das Buch in Publikationen und Arbeitsdokumenten der UNESCO eine partielle Neucharakterisierung: Es wurde nun verstärkt als Massenmedium beschrieben und mit Presse, Radio, Film und Fernsehen gleichgestellt: »The traditional rôle [sic] of the book as a vehicle of individual communication has acquired new dimensions in our generation. Books have become a medium of mass communication, along with the press, radio, film and television.«1 Die im Zitat deutlich werdende These der Transformation des Buches in ein Massenkommunikationsorgan übernahm die UNESCO aus einer von ihr bei dem französischen Literatursoziologen Robert Escarpit in Auftrag gegebenen Studie, die 1965 im französischen Original erschien und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde: Die der Studie ihren Titel gebende Revolution des Buches bestand Escarpit zufolge darin, dass mit der Durchsetzung des Taschenbuches als einfachem und preisgünstigem Trägermedium von Informationen die Barrieren der geistigen Produktion erstmals vollständig niedergerissen worden seien und dank dieses »Blockadebrechers«2 der Zugang zum Buch damit prinzipiell allen offenstünde. Escarpit deutet die Geschichte des Buches als »eine Geschichte der Teilhabe immer weiterer Kreise der Bevölkerung an den literarischen Wechselbeziehungen«3 und somit als einen evolutionären, unidirektionalen Prozess, der durch die Taschenbuchrevolution gewissermaßen seine Vollendung gefunden hat. Bedeutende Wandlungen in der Geschichte des Buches seien, so argumentierte der französische Professor für Literatursoziologie, sowohl auf technische Innovationen als auch auf veränderte Bedürfnisse der Bevölkerung zurückzuführen und zögen stets neue Distributionsmöglichkeiten nach sich: In der Schriftrolle, dem Kodex und den in den mittelalterlichen Schreibwerkstätten hergestellten Handschriften sah er »Entwicklungsstufe[n]«4 des Buches, das durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern eine »neue Dimension eroberte«5 . Während bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das Buch nur einer sehr begrenzten sozialen Schicht zugänglich war, erfolgte im Zuge der Aufklärung, der Automatisierung und Mechanisierung der Buchproduktion und der Ausweitung des Bildungswesens eine schrittweise immer größer werdende »Verbreitung
1 Coordinated Programme on Book Development. Report and Proposals by the Director General. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: 14 C/24), S. 2. 2 Robert Escarpit: Das Buch und der Leser. Entwurf einer Literatursoziologie. Köln, Opladen: Westdeutscher Verlag 1961 (Kunst und Kommunikation. 2), S. 97. 3 Escarpit: Die Revolution des Buches, S. 42. 4 Ebd., S. 14. 5 Ebd., S. 17.
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Die Ausbreitung des Entwicklungsimperativs auf den Buchhandel
des Buches im Volk«6 . Aber die eigentliche Umwälzung erfolgte erst durch die von Escarpit an das Erscheinen der Penguin Books gekoppelte Durchsetzung des Taschenbuches: Dieser »neue Buchtypus«7 war potenziell erstmals für alle erschwinglich und wurde als ebenbürtig zu den sich seit Ende des Ersten Weltkrieges kontinuierlich ausbreitenden, attraktiven und relativ preisgünstigen audiovisuellen Massenmedien angesehen.8 Die UNESCO machte sich die Escarpit’sche Deutung des historischen Wandlungsprozesses des Buches hin zum Massenmedium zu eigen. In einer dem Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen im Jahr 1971 vorgelegten Studie über das Buch als Informationsmedium hieß es: This technological revolution brought about a radical transformation in books which was comparable in its implications with that brought about in the fifteenth century by the appearance of the printing press. The mass-audience book has placed within the grasp of countless readers immense treasures of science and culture hitherto denied to them. In addition, the boundaries between the various types of intellectual output have become less marked. The paperback is as much a vehicle for popular fiction as for educational material and as much for the classics as for technical handbooks and research publications. Nowadays, books can no longer be treated separately from other communications media.9
7.1 Eine Form von Armut: Book hunger Von der technologischen Revolution in der Buchproduktion, die – folgt man der Argumentation Escarpits – eine massenhafte Verbreitung des Buches zumindest potenziell möglich erscheinen ließ, hatten bis in die sechziger Jahre hinein insbesondere die Länder Europas und Nordamerikas profitieren können. Das Buch als einfaches, billiges und leicht nutzbares Instrument zur Informationsverbreitung war ebenso wie die anderen Massenmedien in der Welt (vgl. Abbildung 8) ungleich verteilt. Der von Escarpit unter Rückgriff auf die von der UNESCO erhobenen Buchstatistiken festgestellte, hauptsächlich auf die Durchsetzung des Taschenbuches zurückgeführte Anstieg in der weltweiten Buchproduktion (nach Titeln) um etwa vierzig Prozent zwischen 1952 und 1962 vollzog sich vor allem in den sogenannten Industrienationen, während im selben Zeitraum der Anteil der Entwicklungsländer an der Weltbuchproduktion von 36 auf 28 Prozent sank.10 Bereits eine Dekade zuvor hatte der Vorsitzende des britischen Verlegerverbandes, Ronald Barker, in der ersten von der Pariser Organisation
6 Ebd., S. 19. 7 Ebd., S. 24. 8 Vgl. ebd., S. 21–25. 9 Development of Information Media. Book Development in the Service of Education. Report by the UNESCO Secretariat. New York 1971 (United Nations Economic and Social Council: E/4958), S. 5. 10 Vgl. Escarpit: Revolution des Buches, S. 52 und S. 56.
Eine Form von Armut: Book hunger
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Abb. 8: Mit Massenmedien unterversorgte Regionen der Welt (etwa 1960).
in Auftrag gegebenen weltweiten Studie zum Buchhandel eine hohe Konzentration im Verlagswesen festgestellt: Seinen Schätzungen zufolge wurde Anfang der fünfziger Jahre drei Viertel aller Titel in nur zehn Ländern veröffentlicht.11 Zehn Jahre später konnte Escarpit zwölf »Riesen im Verlagswesen«12 ausmachen (die Sowjetunion, die Volksrepublik China, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, Japan, die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Indien, Spanien, Italien, die Niederlande und die Tschechoslowakei), die pro Jahr jeweils mehr als zehntausend Titel auf den Markt brachten und zusammengenommen gut zwei Drittel der Weltbuchproduktion auf sich vereinten. Demgegenüber existierte in den »literarische[n] Tiefdruckzonen«13 Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ein wenn überhaupt nur gering entfaltetes Verlagswesen, das der rasch wachsenden Bevölkerung lediglich eine äußerst geringe Menge an Büchern zur Verfügung stellen konnte. Die Diskrepanz, die sich hinsichtlich der Buchproduktion zwischen den entwickelten und unterentwickelten Ländern auftat und die die UNESCO als »book gap«14
11 Vgl. Barker: Books for All, S. 17. 12 Escarpit: Revolution des Buches, S. 51. 13 Ebd., S. 76. 14 Vgl. zum Beispiel die Nutzung des Begriffes in: An Assessment of Asia’s Book Needs. Prepared for the Meeting by the UNESCO Secretariat. Meeting of Experts on Book Production and Distribution in Asia. Tokyo 1966. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: UNESCO/BOOKDEV/24), S. 15. Der Begriff wurde wahrscheinlich im US-amerikanischen Raum geprägt und von der UNESCO übernommen. Vgl. Mem-
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begrifflich fasste, ließ sich in noch dramatischerer Weise hervorheben, wählte man – wie der führender Mitarbeiter des Kommunikationssektors Julian Behrstock – als statistische Einheit statt der Titelproduktion die pro Jahr produzierte Auflage und setzte letztere in Korrelation zur Bevölkerung: The economically advanced nations have an annual per capital book supply 30 to 60 times greater than that of the developing countries. To put the disproportion another way: in the major publishing countries book supply amounts to as many as seven copies per person per year; the corresponding figure in the developing regions is but a fraction of one book.15
Die als historischer Vorläufer der digitalen Spaltung (digital divide)16 deutbare ›Buchkluft‹ verbreiterte sich im Verlauf der sechziger Jahre; 1970 war der Abstand zwischen der entwickelten und der unterentwickelten Welt weiter gewachsen: Nach Darstellungen der Pariser Organisation wurden in jenem Jahr in Europa – die Sowjetunion nicht eingeschlossen – insgesamt 247.000 Titel veröffentlicht. Damit stand einer Region, in der lediglich 13 Prozent der Weltbevölkerung lebte, gut 45 Prozent der gesamten Buchproduktion (gemessen in Titeln) zur Verfügung. In Afrika, Lateinamerika und Asien (ohne Japan) wurden hingegen nur 19 Prozent aller Titel publiziert, obgleich in diesen Regionen die Hälfte der literaten, erwachsenen Bevölkerung lebte und 63 Prozent aller Kinder zur Schule gingen.17 Trotz der durch die Taschenbuchrevolution nun möglichen massenhaften Verbreitung des Buches blieben somit »Massen ohne Bücher«18 . Der im Vergleich mit dem Leistungsvermögen des europäischen Buchhandels diagnostizierte Mangel an Büchern in den Entwicklungsländern würde sich, so die Prognose der UNESCO und der von ihr konsultierten Experten, durch das erwartete Bevölkerungswachstum, die angestrebte Ausweitung schulischer und nicht schulischer Bildung sowie die erhoffte Verbesserung der Kaufkraft während der siebziger
orandum: Conference on Book Development (Washington, D.C., 11–15 September 1964), o. D. [etwa September 1964] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part IV). 15 Julian Behrstock: UNESCO’s Book Development Programme. In: UNESCO Chronicle XII (1966), H. 10, S. 383–387, hier S. 384. 16 Vgl. zum digital divide aus soziologischer Sicht: Nicole Zillien: Digitale Ungleichheit. Neue Technologien und alte Ungleichheiten in der Informations- und Wissensgesellschaft. 2. Auflage. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2009. 17 Vgl. Robert Escarpit: Reading Habits and Book Hunger. In: UNESCO Courier XXV (1972), H. 1, S. 6– 12, hier S. 10; Estimated World Book Production, 1955–1972. In: UNESCO Statistical Yearbook 1973. Paris: UNESCO 1973, S. 612. Eine ähnliche Darstellung findet sich auch in: Barker/Escarpit: Book Hunger, S. 16–17. Aktualisierte Angaben zur weltweiten Buchproduktion, aufgeteilt nach Weltregionen und in Bezug zur jeweiligen Bevölkerung gesetzt, finden sich in den nachfolgenden Ausgaben der Statistischen Jahrbücher der UNESCO. 18 Julian Behrstock: Massenbücher und Massen ohne Bücher. In: UNESCO Kurier 6 (1965), H. 9, S. 19– 20 und S. 30.
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Jahre weiter verschärfen.19 In den Gesellschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die sich durch die Expansion des Bildungswesens auf die Aufnahme des Buches vorbereiteten, waren die Produktions- und Distributionssysteme dem wachsenden Bedarf demnach noch nicht angepasst. Die für die Länder der Dritten Welt festgestellte Knappheit an Lesematerialien wurde von der UNESCO zunehmend als »Hungersnot«20 in der Öffentlichkeit präsentiert. Die Analogie zwischen Mangel an Nahrung und Mangel an Büchern als »geistiger Nahrung«21 und folglich von Hungersnot und ›Buchhungersnot‹ wurde von Escarpit vorbereitet, der im abschließenden Kapitel seiner Studie Die Revolution des Buches das Buch mit dem zumindest in der eurozentrischen Perspektive wichtigsten Grundnahrungsmittel – dem Brot – gleichsetzte: Es steht mit dem Buch nicht anders als mit dem Brot. Überall auf der Erde hat die Verfügung über das Getreide und die Grundnahrungsmittel den großen Sieg der vorzeitlichen Menschheit gegen den Hunger ermöglicht. Nicht zuletzt deshalb wurde das Brot zu etwas Geheiligtem, zum Symbol der befreienden Arbeit, des erretteten Lebens, der Glaubensgemeinschaft. Nicht wenige Menschen [. . .] bewahren auch heute noch eine unreflektierte Ehrfurcht vor dem Brot, an das ihr kollektives Gedächtnis sich dunkel wie an einen Retter erinnert. Dem Buch gilt eine vergleichbare, uneingestandene Verehrung, denn es war das Brot des Geistes, der große Sieg des damals bereits nicht mehr urtümlichen Menschen über die Unwissenheit und die damit verbundene Unfreiheit.22
Wenn gemäß Escarpit das Buch wie Brot ist, Brot des Geistes, dann führen die Abwesenheit und der Mangel an Gedrucktem zu Hunger, zu book hunger. Im Vorwort zu einer von der UNESCO 1973 unter diesem Titel publizierten Studie hieß es: »Twothirds of the men, women and children in the world today are handicapped in their
19 Vgl. Books for the Developing Countries. Paris: UNESCO 1965 (Reports and Papers on Mass Communication. 47), S. 3. So auch: Behrstock: Massenbücher, S. 20. 20 Im englischen Original: »book famine«. Dina N. Malhotra: The Book Famine in Developing Countries. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXIV (1970), H. 4, S. 211–215. Die UNESCO bezeichnete den Mangel an Büchern auch als »book hunger« bzw. »thirst for books«. Siehe exemplarisch: Delavenay: For Books, S. 15–16; Heriberto Schiro: Publishing and Book Distribution in Latin America. Some Problems. In: Library Trends 26 (1978), H. 4, S. 591–599, hier S. 599; Olympe Bhely-Quenum: Africa and International Book Year. In: UNESCO Chronicle XVIII (1972), H. 8/9, S. 323– 326, hier S. 324. 21 Im englischen Original: »intellectual nourishment«. Barker/Escarpit: Book Hunger, S. 130. Die von UNESCO-Experten verwendete Speisemetapher, d. h. die Beschreibung des Buches als Nahrung, ist historisch bereits früh nachweisbar. So charakterisierte beispielsweise Claude du Molinet, Bibliothekar der Bibliothèque Sainte-Geneviève, Ende des 17. Jahrhunderts das Buch als »l’aliment & la nourriture«. Zitiert nach: Werner Oechslin: Die Bibliothek, die Architektur und die ›Architektonik‹. In: Die Weisheit baut sich ein Haus. Architektur und Geschichte von Bibliotheken. Hrsg. von Winfried Nerdinger. München: Prestel 2011, S. 13–92, hier S. 20. 22 Escarpit: Revolution des Buches, S. 142–143.
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Die Ausbreitung des Entwicklungsimperativs auf den Buchhandel
search for a better and fuller life by lack of one of the essential tools of progress: books and reading materials.«23 In der Argumentation der UNESCO wurde das Buch – über die Charakterisierung Escarpits als Mittel zum Sieg über Ignoranz und Unfreiheit hinausgehend – generell zu einem Instrument des Fortschritts erhoben, als welches es einen direkten Beitrag zur Verbesserung der Lebensumstände leisten sollte.24 Der Mangel an Büchern in einer Gesellschaft wurde dementsprechend als eine Form von Armut bzw. als ein Ausdruck von Unterentwicklung gewertet und diesem durch die metaphorische Übersetzung als book hunger, book famine oder thirst for books eine stärkere Eindringlichkeit verliehen. Ebenso wie Maßnahmen zur Beseitigung des physischen Hungers zu ergreifen waren – so lässt sich die Argumentation der Pariser Organisation lesen – waren auch Strategien zur Überwindung des Hungers nach Büchern zu entwickeln. Das Buch als geistige Nahrung wurde damit zur Notwendigkeit, zu einem Grundbedarf, ohne den eine moderne Gesellschaft undenkbar und ein besseres Leben für alle nicht zu erreichen war. Während der ersten UN-Entwicklungsdekade etablierte die UNESCO das Buch auf diskursiver Ebene mithin als Ressource, deren Verfügbarkeit unabdingbar war, damit rückständige Gebiete den Sprung in die Prosperität schaffen konnten; zwischen Buchproduktion und -konsum auf der einen und Modernisierung auf der anderen Seite wurde eine ursächliche Beziehung stipuliert: »[I]t can be said that the lack of books and of reading materials in general have disastrous delaying effects on development.«25 Die Entwicklungsbestrebungen der Regierungen in der Dritten Welt müssten daher, so argumentierte beispielsweise der indische Verleger und langjährige Berater der UNESCO, Dina N. Malhotra, nicht nur in die Gründung von Fabriken, den Bau von Dämmen und Elektrizitätswerken sowie die Erweiterung des Straßenund Eisenbahnnetzes fließen, sondern auch das Buch als relativ preisgünstiges Mittel zum Aufbau von Humankapital berücksichtigen und somit Verlagswesen und Buchhandel als essenzielle Infrastruktur anerkennen: The last quarter of a century has witnessed the emergence of a large number of countries attaining political independence from colonial rule. During this period, these newly freed nations have been taking rapid strides in all spheres of life to make up for the back-log of centuries of foreign rule in order to reach somewhere near the levels of other advanced nations. This process of overrapid advancement has not only caused stresses and strains for these people but also resulted
23 Preface. In: Barker/Escarpit: Book Hunger, S. 5–6, hier S. 5. 24 Eine Charakterisierung des Buches als »tool of development« findet sich ebenso bei: Peter S. Jennison: Book Publishing and National Development. In: ALA Bulletin 57 (1963), H. 6, S. 512–517; Prem Kripal: Books as Tools of National Development. In: Books for All at Low Cost. A Report of the International Seminar Held During the 5th World Book Fair, New Delhi, 5–7 February 1982. Neu-Delhi: National Book Trust India 1982, S. 39–45. 25 Development of Information Media, S. 6.
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in certain important aspects of national economy receiving insufficient priorities. Unfortunately, few nations have given a place of priority to the field of books. In their quest for industrialization most nations gave preference to automobiles, armaments, steel, chemicals, oils, electronics, construction of dams and machines. They woefully forgot the power of the printed word and its fuller possibilities for the enlightenment of their people. 26
Noch weiter ging Gonzalo Canal Ramírez, der als Direktor des in den siebziger Jahren von der UNESCO in Bogotá gegründeten lateinamerikanischen Buchförderungszentrums die Strategie ausgab, den Regierungen die Idee des Buches als Entwicklungsfaktor zu verkaufen: »El CERLAL quiere vender [. . .] la idea del libro como factor elemental y primario de desarrollo al igual que [. . .] el alcantarillado, la energía, la salubridad, la higiene y otros.«27 Gemäß der Devise Wie im Westen so auf Erden28 galten auch im Hinblick auf die Buchproduktion die europäischen und nordamerikanischen Länder als Vorbilder: Aufgeklärte, moderne und entwickelte Gesellschaften, wie diejenigen Europas und Nordamerikas allgemein charakterisiert wurden, zeichneten sich in den Augen der Pariser Organisation durch einen hohen Gebrauch des Buches aus. Malhotra kommentierte in seinen autobiographischen Erinnerungen: »It was observed that the countries in which citizens were enlightened and advanced were those where book reading is popular and the library movement strong.«29 Die Verfügbarkeit von Büchern wurde somit zu einem Merkmal von Entwicklung und Fortschritt und die Buchproduktion, gemessen entweder an den pro Jahr veröffentlichten Titeln oder – aussagekräftiger – der im Jahr erschienenen Gesamtauflage, zum Gradmesser für den Entwicklungsstand eines Landes: No advanced economy or society can function, and no less developed society can advance, without making a major, intensive use of books. Indeed, a nation’s production and consumption of books is likely to be a very good index of its general stage of social and economic development.30
26 Malhotra: Book Famine in Developing Countries, S. 211. Ähnlich auch in seinen autobiographischen Erinnerungen: Ders.: Dare to Publish. Delhi: Clarion Books 2004, S. 210–211. 27 Informe del Director, o. D. [etwa September 1978] (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.VII–5), S. 7, Hervorhebungen durch die Verfasserin. Siehe auch: Gonzalo Canal Ramírez: El libro, instrumento de desarrollo. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 18 (1978), S. 1. 28 Wolfgang Sachs: Wie im Westen so auf Erden. Ein polemisches Handbuch zur Entwicklungspolitik. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1993 (Rororo-Handbuch. 6343). 29 Malhotra: Dare to Publish, S. 211. 30 Dan Lacy: Books in Human Development. The Problems and Needs in Perspective. In: Books in Human Development. The Final Report of the Conference on the Role of Books in Human Development Sponsored by The American University and the Agency for International Development. Hrsg. von Ray Eldon Hiebert. Washington, D.C.: Department of Journalism, American University under contract to U. S. Agency for International Development 1965, S. 11–18, hier S. 11.
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Der von der UNESCO entworfene Maßstab der Pro-Kopf-Buchproduktion erinnert nicht von ungefähr an andere Indikatoren wie beispielsweise das Pro-Kopf-Einkommen, mit denen Entwicklung und Unterentwicklung quantitativ-abstrakt dargestellt, grenzüberschreitend vergleichbar und die Rückständigkeit der Dritten Welt drastisch deutlich gemacht wurde.31 In einer Analyse der asiatischen Buchmärkte wurde zusammenfassend festgehalten: In conclusion, book production in the region in 1964 was about one-ninth of one book per person and per year. If pamphlets are included, the figure was still less than one-eight of one book. This compares with a production per person and per year of 7.7. books in the U.K., 6.2. in the USSR, and 5 in France (e.g. a level 77 to 45 times greater than that of the Asian region).32
Für den afrikanischen Kontinent wurde hinsichtlich der einheimischen Buchproduktion ein noch größeres Ausmaß an Unterentwicklung ausgemacht: Book production in the region is about one-thirtieth of one book per person per year. This per capita production contrasted with 7.7. books in the United Kingdom, 6.2 in the USSR and 5 in France.33
Einem zweiten Entwicklungsindikator zufolge – der Anzahl produzierter Titel pro einer Million Einwohner – schnitt der Nahe Osten 1965 mit 38 Titeln zwar deutlich besser ab als Afrika, wo im selben Zeitraum lediglich 18 Titel pro Jahr und pro einer Million Einwohner produziert wurden. Asien und Lateinamerika standen mit 58 bzw. 77 Titeln zwar im Vergleich mit den anderen beiden Entwicklungsregionen gut dar, lagen aber auch deutlich unter den Werten, die in Nordamerika (271) oder Europa (450) erzielt und die implizit als Orientierung und Maßstab gesetzt wurden.34 Die Pariser Organisation untermauerte ihren Diskurs von ›Bucharmut‹ und ›Buchhunger‹ in Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten somit anhand einer Aufbereitung der von ihr erhobenen Buchmarktdaten. Obgleich deren Lückenund Fehlerhaftigkeit bekannt waren35 , wurden die auf Basis der Buchmarktstatistiken
31 Vgl. zur quantitativen Erfassung sozialer Probleme: Daniel Speich: Der Entwicklungsautomatismus. Ökonomisches Wissen als Heilsversprechen in der ostafrikanischen Dekolonisation. In: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 183–212, hier S. 186–193; Nick Cullather: The Foreign Policy of the Calorie. In: American Historical Review 112 (2007), H. 2, S. 337–364; Ward: Quantifying the World, S. 31–34. 32 An Assessment of Asia’s Book Needs, S. 10. 33 Book Development in Africa, S. 9, Hervorhebungen im Original. 34 Vgl. UNESCO Statistical Yearbook 1978/1979. Paris: UNESCO 1980, S. 865. 35 1964 hatte die UNESCO ein Expertentreffen einberufen, um über Verbesserung und Standardisierung der Buchproduktionsstatistiken zu beraten. Die dort erarbeiteten Vorschläge wurden durch die dreizehnte Generalversammlung verabschiedet. Vgl. 13 C/Resolution: Recommendation Concerning the International Standardization of Statistics Relating to Book Production and Periodicals, S. 143–147; Report of the Special Intergovernmental Committee for the International Standardization of Statistics Relating to Book Production and Periodicals. Paris 1964 (UNESCO-Dokument:
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283
Abb. 9: Darstellung des book gap in den fünfziger Jahren.
berechneten Indikatoren wie die Pro-Kopf-Buchproduktion als Tatsachen präsentiert und Fragen der Validität dieser Daten nicht weiter problematisiert: Das Narrativ des ›Buchhungers‹ wurde durch das Rationale scheinbar aussagekräftiger, statistischer Informationen unterstützt. Die abstrakte Sprache der Statistiken schien ebenso wie deren graphische Repräsentationen (vgl. Abbildungen 9 und 10) unanzweifelbar zu sein, beide vermittelten Evidenz und Objektivität und waren somit besonders geeignet, um den Zusammenhang zwischen Unterentwicklung und Buchproduktion wirkmächtig und plastisch zu erhellen. Mit der von der UNESCO vorgenommenen Charakterisierung des Buches als Instrument des Fortschritts wurde eine kausale Beziehung zwischen Verfügbarkeit von Bü-
WS/0364.248/SS). Vgl. zu Inkonsistenzen und Lückenhaftigkeit der UNESCO-Buchproduktionsstatistiken ferner: Whitney: UNESCO Book Production Statistics; dies.: International Book Production Statistics.
284
Die Ausbreitung des Entwicklungsimperativs auf den Buchhandel
0,9% 1,4%
14,1% Europa und Sowjetunion – 62,6% Lateinamerika – 4,2% Nordamerika – 15,9% 15,9% Asien – 14,1% Arabische Länder – 0,9% 62,6% 4,2%
Afrika – 0,9% Ozeanien – 1,4%
Abb. 10: Darstellung des book gap im UNESCO Statistical Yearbook 1982.
chern einerseits und den Möglichkeiten der Modernisierung von Gesellschaften andererseits unterstellt.36 Wie aber kann das Buch als Agent bzw. Katalysator für wirtschaftliche und soziale Entwicklung wirken? Oder anders gefragt: Welchen (konkreten) Beitrag können Bücher zum sozio-ökonomischen Aufschwung in den Entwicklungsländern leisten? Im Diskurs der UNESCO verwandelte sich das Buch zu jenem Zeitpunkt in einen Entwicklungsfaktor, als Bildung zum bedeutenden Kapital in einem zunehmend ökonomisch begriffenen Entwicklungsprozess wurde: Vor dem Hintergrund dieser Neuakzentuierung der Funktionen von Bildung konvertierte das Buch vom Bildungsinstrument zum Fortschrittsagenten. Den Beitrag, den das Buch zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur gesellschaftlichen Modernisierung leisten sollte, war mithin ein indirekter: »Education is the basic capital investment for economic development; reading is the basic of education; books are the basic tools of reading.«37 Dadurch, dass das Buch als wichtiges Medium im Bildungsprozess anerkannt war und Bildung zunehmend als Mittel für Entwicklung angesehen wurde, konnte das Buch als Fak-
36 In der Argumentation der UNESCO fand keine Differenzierung statt: Alle Bücher wurden, unabhängig davon, ob es sich um Lehrwerke, Fach- und Sachliteratur oder Belletristik handelte, gleichermaßen als entwicklungsrelevant angesehen. 37 Datus C. Smith: Books and the Problems of Urbanization. In: Developmental Revolution. North Africa, Middle East, South Asia. Hrsg. von William R. Polk. Washington, D.C.: The Middle East Institute 1963, S. 198–210, hier S. 198–199.
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tor für Entwicklung charakterisiert und die Buchindustrie zum »goldenen Schlüssel für nationales Wachstum und nationale Entwicklung«38 ernannt werden.39 Wiewohl der Begründungszusammenhang zwischen Buch und Entwicklung über den Weg der Bildung als Voraussetzung für Modernisierung und Wohlstand erfolgte, erfolgen musste, wurde in der Darstellung der Funktionen des Buches und der Leistungen des Buchhandels ab Mitte der sechziger Jahre oftmals auf diesen Umweg verzichtet: »[I]n the most direct and immediate sense, books are indispensable to the social and economic progress.«40 Die Formung des Buches zum Entwicklungsinstrument wurde bestärkt durch die Aufnahme des Buches in den Verbund der Massenmedien. Letztere galten nicht nur aufgrund der ihnen attestierten Bildungsfunktionen als bedeutsame Unterstützer des Entwicklungsunterfangens, sondern auch deswegen, weil sie die für die Modernisierung als notwendig erachteten Informationen und Botschaften an die Bevölkerung übermitteln und diese somit in die Transformations- und Veränderungsprozesse einbinden konnten. Wenn der indische UNESCO-Experte Thapar in seiner Studie Book Development in National Communications and Planning schrieb, Books become vitally important in the developing world [. . .] as consolidators of the process of change, deepening understanding of the new social upsurges, providing an opportunity to new sections of the population to become active participants in the development of their countries41 ,
sind Parallelen zur Argumentation Schramms in Mass Media and National Development deutlich erkennbar: Social change of great magnitude is required. To achieve it, people must be informed, persuaded, educated. Information must flow not only to them, but also from them, so that their needs can be known and so that they may participate in the acts and decisions of nation building; and information must also flow vertically so that decision may be made, work organized, and skills learned at all levels of society. Here is where mass communication enters the calculs: the
38 Im englischen Original: »[T]he book industry can have status as a golden key to national growth and development.« Datus C. Smith: Research on Book Publishing in Asia. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: UNESCO/BOOKDEV/10), S. 2. 39 Vgl. UNESCO’s Policies and Programs in the Book Field. In: Books in Human Development. The Final Report of the Conference on the Role of Books in Human Development Sponsored by The American University and the Agency for International Development. Hrsg. von Ray Eldon Hiebert. Washington, D.C.: Department of Journalism, American University under contract to U. S. Agency for International Development 1965, S. 83–90, hier S. 83. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei: Thomas J. Wilson/William E. Spaulding/Datus C. Smith: Books and Economic Development. In: Human Resources. Training of Scientific and Technical Personnel. Washington, D.C.: Government Printing Office [1963] (Science, Technology, and Development. XI), S. 192–197, hier insbesondere S. 197. 40 Behrstock: UNESCO’s Book Development Programme, S. 383. 41 Romesh Thapar: Book Development in National Communications and Planning. Karatschi: UNESCO Regional Centre for Book Development in Asia 1975, S. 6.
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required amount of information and learning is so vast that only by making effective use of the great information multipliers, the mass media, can the developing countries hope to provide information at the rates their timetables for development demand.42
Bücher konnten, sofern sie wie das Taschenbuch preisgünstig und in hohen Auflagen produzierbar waren, in den Augen der UNESCO ebenso wie Presse, Radio und Fernsehen als Träger einer im Dienste des sozialen Wandels und der nationalen Entwicklung stehenden Kommunikation fungieren.43 Ähnlich sah es der US-Amerikaner Datus C. Smith, der Bücher als Agenten der Urbanisierung, einem Sinnbild der Modernisierung, charakterisierte: »Books are prime agents of urbanization [. . .] They stimulate urban development and urban grouping of the population, and they accelerate and enlarge the transfer of ideas, customs, and concepts from urban centres to rural areas.«44 In den Diskursen über die Bedeutung des Buches im Entwicklungsprozess wurde ab Anfang der siebziger Jahre eine weitere gesellschaftspolitische Funktion zunehmend herausgestellt: Bücher, wenn sie auf »lokalem Boden«45 wuchsen, also von einheimischen Autoren verfasst und von einem autochthonen Verlagswesen produziert wurden, konnten den Prozess der Identitäts- und Nationenbildung unterstützen und Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung bieten. Auf der 1978 von der UNESCO ausgerichteten, lateinamerikanischen Kulturministerkonferenz betonten die Teilnehmer, dass »kein Land über eine wahre nationale Kultur verfügen kann, wenn diese nicht durch eine angemessene Verlagsindustrie gestützt werde«46 . Ein einheimischer produzierender Buchhandel wurde als Voraussetzung dafür erachtet, die Dependenz der Entwicklungsländer von der geistigen Produktion der westlichen Industrieländer zu verringern und kulturell selbstbestimmt zu agieren. Der sich in den achtziger und neunziger Jahren größtenteils unabhängig von der UNESCO für den Ausbau des lokalen Buchhandels in Afrika engagierende US-amerikanische Universitätsprofessor Philip Altbach hob 1975 hervor: Without an indigenous publishing enterprise, a nation is doomed to a provincial status and will continue to be dependent on outside elements for its intellectual sustenance. The existence of a publishing enterprise does not guarantee an active intellectual life, but publishing is a necessary condition for indigenous scientific and literary activity.47
42 Schramm: Mass Media, S. 246–247. 43 Vgl. Development of Information Media. 44 Smith: Books and the Problems of Urbanization, S. 198. 45 Im englischen Original: »local soil«. Wilson/Spaulding/Smith: Books and Economic Development, S. 192. 46 Im spanischen Original: »[N]ingún país puede contar con una verdadera cultura nacional, sin que la misma esté respaldada por una industria editorial adecuada«. Recomendaciones de la Conferencia [Intergubernamental sobre Políticas Culturales en América Latina y el Caribe], relativas al Libro. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 17 (1978), S. 14–15, hier S. 15. 47 Altbach: Publishing and the Intellectual System, S. 7.
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Die Auslegung des lokal produzierten Buches als Grundlage für kulturelle Selbstbestimmung erfolgte nicht von ungefähr in den siebziger Jahren, als dependenztheoretische Entwicklungskonzeptionen, die die ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen armen und wohlhabenden Staaten als zentrale Ursache der Unterentwicklung ausmachten, auf den Kommunikations- und Kulturbereich übertragen wurden.48 Die Einfuhr von Medieninhalten aus den Zentren in die Peripherien geriet als Kultur- und Kommunikationsimperialismus in die Kritik, sah man durch diesen die eigenständige Entwicklung bedroht und befürchtete einen kulturellen Identitätsverlust bzw. eine Kulturzersetzung in den Entwicklungsländern. Die UNESCO selbst betonte seit Ende der sechziger Jahre im zunehmenden Maße die Bedeutung kultureller Identitäten und eigenständiger kultureller Manifestationen für Entwicklungsprozesse. Sie band das kulturelle Feld mit seinen ökonomischen und ästhetischen Seiten somit in Entwicklungsbestrebungen ein, ließ die kulturelle Identität zur »kollektive[n] Pflichtaufgabe«49 werden, wie im ersten mittelfristigen Plan der Pariser Organisation für die Jahre 1977 bis 1982 beispielhaft deutlich wird: The assertion of cultural identity is now widely recognized as a powerful factor in the life of the nations as well as in international relations. Firstly as a factor making for liberation, cultural identity provides a justification for independence movements and resistance to colonialism. The right to one’s own culture is invoked throughout the world, in the fight against racial, ethnic, linguistic or cultural discrimination, as a basic human right [. . .] Endogenous development, summoning up from within the whole spectrum of resources, beginning with the untapped energies and capabilities of the peoples themselves, must take full account of their specific cultural values and aspirations [. . .] The quantitative definition of growth is gradually being replaced by the richer concept of integrated development, which gives the cultural dimension its full significance.50
48 Vgl. zum Korrelat zwischen Kommunikations- und Dependenztheorie einführend: Anja Rullmann: Modernisierung und Dependenz. Paradigmen internationaler Kommunikationsforschung. In: Internationale Kommunikation. Eine Einführung. Hrsg. von Miriam Meckel und Markus Kriener. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, S. 19–47. Die Unausgewogenheit der internationalen Kommunikationsflüsse mit der Dominanz westlicher Nachrichtenagenturen und multinationaler Medienunternehmen ist durch die Forderung der Blockfreien Staaten nach einer Neuen Welt- und Informationsordnung im Rahmen der UNESCO zum Politikum geworden. Vgl. ausführlich: Breunig: Kommunikationspolitik der UNESCO. Siehe ebenso Kapitel 10 dieser Arbeit. 49 Ulrich Saxer: Kulturelle Identitätsmuster und Medienkommunikation. In: Kultur Identität Europa. Über die Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer Konstruktion. Hrsg. von Reinhold Viehoff und Rien T. Segers. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1999 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. 1330), S. 98–119, hier S. 100. 50 Medium-Term Plan (1977–1982). Paris 1977 (UNESCO-Dokument: 19 C/4 Approved), Objective 1.2: Promotion and Appreciation and Respect for the Cultural Identity of Individuals, Groups, Nations or Regions, S. 11. Siehe ferner: Monique Hecker: A New Concept: Cultural Development. In: UNESCO Chronicle XVIII (1972), H. 10, S. 375–381.
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Vor diesem Hintergrund bildeten sich während der siebziger Jahre Kulturpolitik und die Förderung lokaler Kulturen als neue Tätigkeitsschwerpunkte der UNESCO heraus, in deren Kontext auch das lokal produzierte Buch als Träger kultureller Manifestationen in die Aufmerksamkeit gerückt wurde.51 Das Buch als Bildungsinstrument, als Träger modernisierungsrelevanter Informationen und Botschaften sowie – ab den siebziger Jahren – als Grundlage für kulturelle Selbstbestimmung wurde als »Mittel, das uns voranführt«52 , als Fortschrittswerkzeug verstanden. Um den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas den Weg in die Prosperität zu ebnen, waren folglich Maßnahmen vonnöten, mit denen der auf diesen Kontinenten herrschende Hunger nach Büchern zu stillen war, die mit anderen Worten halfen, die ›Buchkluft‹ zu verringern, die sich zwischen den Industrieländern des Nordens und den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aufgetan hatte. Es stand von Anfang an fest, dass der enorme Bedarf an Büchern nicht durch Importe aus Europa und Nordamerika oder durch Schenkungen zu decken war. »Die Buchkluft konnte«, wie ein zeitgenössischer Kommentator feststellte, »nicht einfach durch Bücher verringert werden«.53 Ebenso wenig wie der (physische) Hunger in den Entwicklungsländern dauerhaft durch Nahrungslieferungen zu stillen war – dieses ist eine humanitäre Notfallmaßnahme, aber keine nachhaltige Strategie zur Verbesserung der Lebensmittelversorgung – konnten Buchspendenprogramme – wie sie auch vonseiten der Pariser Organisation weiterhin unterhalten wurden54 – den Mangel an Büchern zwar kurzfristig lindern, nicht aber als langfristige Lösung zur Behebung des ›Buchhungers‹ dienen.55 Vielmehr war in den Augen der UNESCO eine Stärkung des lokalen Buchhandels notwendig, um in den Entwicklungsländern auf Dauer eine konstante Versorgung mit solchen Büchern zu gewährleisten, die den Lese- und Informationsbedürfnissen der Bevölkerung optimal entsprachen. Julian Behrstock erläuterte 1965: Auch wenn die großen Buchproduktionszentren ständig mehr produzieren, kann das doch nur als vorläufige Lösung betrachtet werden, die mithilft, den Büchermangel in den Entwicklungsländern vorübergehend zu überbrücken. Die nationalen Ansprüche, der Aufschwung der einheimischen Industrie und vor allem die Herausgabe von Büchern, die auf die entsprechende
51 Vgl. zur Entwicklung des Kulturverständnisses bei der UNESCO ausführlich: Katérina Stenou: UNESCO and the Question of Cultural Diversity, 1946–2007. Review and Strategies. Paris: UNESCO 2007 (Cultural Diversity Series. 3). 52 Escarpit: Revolution des Buches, S. 9. 53 Im englischen Original: »Of one thing I’m fully convinced: You can’t fill book gaps with books.« Curtis G. Benjamin: The Economic Foundations of Book Publishing. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XI (1969), H. 2, S. 3–6, hier S. 3. Siehe ferner: Ders.: A Candid Critique of Book Publishing. New York, London: R. R. Bowker 1977, S. 120. 54 Die UNESCO lancierte Anfang der fünfziger Jahre ein (Buch-) Spendenprogramm. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.1 dieser Arbeit. 55 Vgl. Barker/Escarpit: Book Hunger, S. 26; Delavenay: For Books, S. 14.
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Kultur und den Geschmack des Lesers abgestimmt sind, stellen entscheidende Faktoren dar, die es als zwingend erscheinen lassen, daß die Entwicklungsländer schließlich ihre eigenen Bücher schreiben, verlegen und verkaufen.56
Diese Erkenntnis war für die UNESCO keineswegs neu. Bereits gut fünfzehn Jahre zuvor hatte die Pariser Organisation, wie dargestellt, im Rahmen ihrer Elementarbildungsoffensive hervorgehoben, dass kulturell relevante Lektürestoffe nur vor Ort erstellt werden könnten; zuletzt war vor allem in Afrika der Ruf nach lokal produzierten Unterrichtswerken immer lauter geworden. UNESCO-Projekte, die auf eine Ausweitung der Buchmärkte in den Entwicklungsländern zielten, waren erst kurz zuvor auf dem afrikanischen Kontinent mit dem Aufbau von Schulbuchproduktionszentren in die Wege geleitet worden57 ; das bereits seit 1954 durchgeführte Lesematerialienprogramm hatte nach seiner Neujustierung eine Verbesserung der Verfügbarkeit von Lektürestoffen in den asiatischen Ländern explizit auf seine Fahnen geschrieben.58 Dass durch den Beschluss der dreizehnten Generalkonferenz (1964, Paris) dem Vorschlag des UNESCO-Sekretariats stattgegeben wurde, ein neues Programm zu konzipieren, welches geeignet war, die Produktion und Distribution von Büchern in Entwicklungsländern zu verbessern, mag angesichts der bereits existierenden Projekte daher zunächst überraschen.59 Die zusammenfassende Charakterisierung des als book development getauften, im Kommunikationssektor der Pariser Organisation angesiedelten Programms, The main feature of this programme is assistance to the developing countries to increase their production and distribution of books. The objective is to help ensure that technological advances, which make it feasible to publish low-cost books in vast numbers of copies, are rapidly and effectively applied to meet the huge and growing needs of the developing regions60 ,
bestätigt eindrücklich, dass deren Essenz in anderen UNESCO-Projekten bereits angelegt war. Zielsetzung und – wie noch zu sehen sein wird – auch einzelne Programmkomponenten waren mit denjenigen des Lesematerialienprojekts fast nahezu identisch. Was sich gegenüber dem Lesematerialienprojekt hingegen änderte, war der (diskursive) Kontext, in den die Pariser Organisation ihr neues Programm stellte. Die gewählte Bezeichnung book development akzentuierte – nomen est omen – das Verständnis des Programms als eines der multilateralen Entwicklungshilfe. Mit dem Book Development-Programm, welches auf den geplanten und beschleunigten Aufbau buchhändlerischer Strukturen in den ärmsten Regionen der Welt zielte, definierte (sich) die UNESCO eine neue Aufgabe im größer werdenden UN-Gerüst ent-
56 Behrstock: Massenbücher, S. 20. 57 Vgl. Kapitel 6.1 dieser Arbeit. 58 Vgl. Kapitel 4.2 dieser Arbeit. 59 Vgl. 13 C/Resolution 4.12: Stimulation of Publication Activities. 60 Coordinated Programme on Book Development, S. 1.
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wicklungspolitischen Denkens und Handelns. Durch eine Reproduktion des Entwicklungsdiskurses wurden Maßnahmen, die die UN-Sonderorganisation seit über einem Jahrzehnt durchgeführt hatte, um Buchmärkte in der unterentwickelten Welt zu stärken, entsprechend des im UN-System mächtigen »Entwicklungszeitgeistes«61 umetikettiert und als Entwicklungshilfe neu ausgezeichnet.
7.2 »Books for All«: Programme zur Stärkung des Buchhandels in der Dritten Welt Den entscheidenden Impuls, der dreizehnten Generalversammlung den Vorschlag zu unterbreiten, im Kommunikationssektor ein langfristig angelegtes Programm zur Stärkung des einheimischen Buchhandels in den Entwicklungsländern anzusiedeln, erhielt das UNESCO-Sekretariat von außen. Die US-amerikanische Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID (United States Agency for International Development) kontaktierte die Pariser Organisation im Frühjahr 1964, um Möglichkeiten der Kooperation beim Ausbau des Buchhandels in der Dritten Welt auszuloten und die UNESCO zu einer Tagung nach Washington einzuladen, auf der die Rolle des Buches in Entwicklungsprogrammen erörtert werden sollte; ferner war geplant, Ideen für Pilotprojekte zusammenzutragen.62 Die im Kommunikationssektor bereits vorhandenen Überlegungen, das zu jenem Zeitpunkt Presse, Radio und Fernsehen umfassende Medienförderungsprogramm auf das Buch auszuweiten, wurden konkreter. Von der angestrebten Integration des Buches in das Ensemble der Massenmedien erhoffte sich die UNESCO insbesondere auch eine verbesserte Finanzierung buchhandelsfördernder Projekte durch das UN-Programm für technische Zusammenarbeit. In einem Memorandum des Gesamtabteilungsleiters für Kommunikation, des Norwegers Tor Gjesdal, hieß es: We informed Mr. Wakefield [Roman A. Wakefield war bei USAID als Abteilungsleiter für Bildung zuständig, CL] of the possibility that we might submit a report to the United Nations extending our mass media survey to the field of books and of our hope that this would result in increased U. N. Technical Assistance for book development.63
61 Im englischen Original: »developmentalist zeitgeist«. Cooper/Packard: Introduction, S. 1. 62 Vgl. Jean Guiton: Memorandum »Possible Cooperation with USAID in the Field of Textbook Production« vom 29.4.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 0 25 TA, Part IV); Lorna McPhee/Michael Wolfert: Memorandum »Visit of Mr. Roman Wakefield of USAID to UNESCO Secretariat, 4–6 May 1964«, o. D. [etwa Mai 1964] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 0 25 TA, Part IV). 63 Tor Gjesdal: Memorandum »Discussion with Mr. Wakefield of USAID on Publications Development Programmes« vom 5.5.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part IV).
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Der Prozess der Umetikettierung buchhandelsfördernder Projekte zum Book Development-Programm und dessen Ansiedelung im Kontext der Medienförderung muss mithin nicht nur als Ausdruck des Entwicklungszeitgeistes, sondern auch vor dem Hintergrund finanzieller Erwägungen verstanden werden. Da Medien im UN-System als Entwicklungsfaktor offiziell anerkannt waren, der Aufbau von Medieninfrastrukturen als Entwicklungsprogramm im Rahmen der UN-Entwicklungsdekade damit legitimiert war und folglich in größerem Umfang Mittel aus dem Topf des UN-Entwicklungsprogramms beantragt werden konnten, schienen die Subsumierung des Buches unter Medien und die Eingliederung der Buch- in die Medienförderung eine höhere Zuwendung von Geldern in Aussicht zu stellen. Zu der Tagung Books in Human Development, die Mitte September 1964 nahe der US-amerikanischen Hauptstadt ausgerichtet wurde, reisten aus Paris zwei führende Angestellte aus den Bereichen Bildung und Wissenschaft sowie Julian Behrstock als Leiter der Abteilung für freien Informationsfluss an; aus Karatschi war Akthar Husain nach Washington gekommen, aus Ghana der Direktor des Informations- und Forschungszentrums zu Bildungsfragen in Afrika. Die UNESCO-Abgesandten trafen mit Repräsentanten der gastgebenden US-amerikanischen Behörden für auswärtige Öffentlichkeitsarbeit USIA (U. S. Information Agency) und Entwicklungshilfe USAID sowie mit Vertretern der nordamerikanischen, europäischen und asiatischen Buchbranche zusammen.64 Zielsetzung der fünftägigen Konferenz war es, ausgehend von der Überzeugung, dass Bücher zentral für die Entwicklung von Humankapital und somit bedeutend für die wirtschaftliche und soziale Modernisierung seien, Strategien zu entwickeln, wie das Versorgungsdefizit an Büchern in der Dritten Welt schnellstmöglich überwunden werden könnte.65 Probleme und Bedürfnisse des Buchhandels in den Entwicklungsländern wurden in kleineren Arbeitsgruppen zum einen systematisch diskutiert – die Themenfelder waren hier unter anderen Aus- und Weiterbildung, Vertrieb und Schulbuchproduktion – sowie zum anderen regional (Lateinamerika, Nahost, Südasien und Afrika) aufgerollt. Als zentrales Ergebnis der Tagung wurde die Ausweitung der Buchmärkte als ein zwar komplexer, aber bedeutender Prozess herausgestellt, der in Entwicklungsprogrammen eine stärkere Berücksichtigung finden müsse:
64 Vgl. den Tagungsbericht: Books in Human Development. The Final Report of the Conference on the Role of Books in Human Development Sponsored by The American University and the Agency for International Development. Hrsg. von Ray Eldon Hiebert. Washington, D.C.: Department of Journalism, American University under contract to U. S. Agency for International Development 1965. 65 Vgl. Roman A. Wakefield: Preface. In: Books in Human Development. The Final Report of the Conference on the Role of Books in Human Development Sponsored by The American University and the Agency for International Development. Hrsg. von Ray Eldon Hiebert. Washington, D.C.: Department of Journalism, American University under contract to U. S. Agency for International Development 1965, S. 7–8, hier S. 7.
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[T]he creation and strengthening of book producing, distributing, and using capacities in a developing country is, on the one hand, central to its whole process of development, and, on the other hand, a complex process intimately related to educational and library programs, investment policy, and foreign exchange allocation and requiring close cooperation between developing and assisting countries as well as sound decisions with respect to public and private sector roles. It was the emphatic consensus of the [. . .] Conference that books programs should have a major and central role in general programs of economic and social development.66
In ihrem Bericht an den Generaldirektor griffen die fünf UNESCO-Konferenzteilnehmer die Washingtoner Empfehlungen auf und rieten, dass die Pariser Organisation als »Speerspitze«67 bei der Konzeption und Umsetzung eines Programms zum Ausbau des Buchhandels in den Entwicklungsländern agieren sollte. Sie setzten sich dafür ein, als einen ersten Schritt zu einem weltweit angelegten Book DevelopmentProgramm eine bereits im Rahmen des Lesematerialienprojekts geplante Veranstaltung in eine panasiatische Konferenz zur Buchmarktförderung umzuwandeln und im darauf folgenden Biennium eine gleichartige Regionaltagung in Afrika folgen zu lassen.68 Gegenüber Maheu wurde die Notwendigkeit betont, die bisher in verschiedenen Abteilungen durchgeführten, die Produktion und Distribution von Büchern in Entwicklungsländern betreffenden Projekte sowohl untereinander besser zu vernetzen als auch eines neues Programm aufzubauen, welches als Brennpunkt die buchbezogenen Aktivitäten koordinieren und ausbauen sollte: The Washington Conference confirmed our own impression – which we believe is shared by others also concerned with book programmes in UNESCO – that the Organization’s activities in this field need to be strengthened and linked. It seems to us that the individual activities have such a broad spectrum, ranging from the production of scientific literature to the development of booksellers’ associations, that it is not feasible to encompass them in any single administrative entity. Nevertheless, our experience in working together at Washington as a team provided for us practical evidence that, notwithstanding the diversity of our work, our common concern with book is conducive to a collective approach. We also consider that while UNESCO has a substantial programme dealing with the content and international flow of books [. . .] there is nevertheless a significant omission. Our programme has neglected thus far to deal on a world-wide basis with the whole problem of the development of national book production and distribution [. . .] It is our view that the Asian Conference and the attendant inter-departmental working arrangements in 1965–1966 should be followed by the establishment in 1967–1968 of a programme specially designed to promote book development. This programme, together with the necessary staff, should be assigned to a unit in the Secretariat which would assume responsibility for the follow-up of the Asian Conference, the convening of the African Conference and the leadership in book development. It would also serve as a focal point for the whole of UNESCO’s programme which,
66 Lacy: Books in Human Development, S. 17. 67 Im englischen Original: »spearhead«. Memorandum »Conference on Book Development (Washington, D.C., 11–15 September 1964)« vom 25.9.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A310 (5) 025 TA, Part IV), S. 6. 68 Vgl. ebd., S. 6–7.
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while retaining its present decentralized pattern, would thus have a continuing mechanism for inter-departmental consultation and action.69
Diese Vorschläge wurden auf der einen Monat nach der Washingtoner Konferenz tagenden dreizehnten Generalkonferenz vorgestellt und durch diese bewilligt: Innerhalb von zwei Jahren sollte ein langfristiges Programm zur Förderung des Buches in den Entwicklungsländern konzipiert werden.70 Die Leitung dieser Aufgabe übernahm Julian Behrstock. Federführend verantwortlich war der Kommunikationssektor, dessen Programmen zur Umsetzung des free flow of books mit dem Auftrag, den Buchhandel in den Entwicklungsländern zu stärken, eine komplementäre Maßnahme zur Seite gestellt wurde, die – wie bereits 1952 erstmals gefordert – jeden Mitgliedsstaat in die Lage versetzen sollte, mit eigenen Büchern an der ungehinderten, weltweiten Zirkulation von Büchern zu partizipieren.71 Eine Herausforderung und UNESCO-intern durchaus brisante Aufgabe bei der Projektentwicklung stellte die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem inhaltlich noch zu konkretisierenden Buchförderungsprogramm und dem im Kulturbereich etablierten, wesentlich älteren Lesematerialienprojekt dar.72 Bei nahezu identischen Zielsetzungen bestand der einzige markante Unterschied zwischen beiden Programmen in ihren geographischen Reichweiten: Während book development weltweit betrieben werden sollte, war das Lesematerialienprojekt lediglich in Asien implementiert. Eine Weiterführung des Reading Material-Projekts als asiatisches Buchförderungsprogramm und somit ein Aufgehen des alten Programms als Bestandteil des neuen wurde als Lösungsstrategie ebenso diskutiert wie eine komplette Einstellung des älteren Projekts zum Ende des Bienniums 1965/1966.73 Der Kultursektor, der um den Verlust ›seines‹ Programms und der damit verbundenen Ressourcen bangte, befürwortete hingegen eine konzeptionelle Neuorientierung: Das Lesematerialienprojekt sollte sich fortan auf Fragen der Autoren- und Übersetzungsförderung konzentrieren, während das Book Development-Programm die Stärkung des Buchhandels in der Region und somit die Durchführung der Weiterbildungsangebote
69 Ebd., S. 7–8, Hervorhebungen im Original. 70 Vgl. 13 C/Resolution 4.12 (b). 71 Vgl. Edward Wegman: Free Flow of Reading Materials. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XV (1973), H. 1, S. 9–13, hier S. 10; Access to Books, S. 12–13. Siehe auch Kapitel 2.3 dieser Arbeit. 72 Vgl. Aide-mémoire concerning CUA/PRM vom 10.12.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series 375 A 310 (5) TA, Part III). 73 Vgl. Will Zachau: Report on PRM Activities (confidential) vom 27.5.1966 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part III); Malcolm S. Adiseshiah: Memorandum vom 2.8.1966 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) TA, Part III).
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für die asiatische Buchbranche übernahm.74 Diese Aufteilung in eines auf die Inhalte der literarischen Produktion fokussierenden Lesematerialienprojekts sowie eines Buchförderungsprogramms, in dessen Zentrum die Verbesserung der (technischen) Bedingungen der Buchproduktion und -distribution standen, wurde im Programm- und Haushaltsplan für die Jahre 1967 und 1968 fixiert. Die Autonomie des Lesematerialienprojekts war damit trotzdem aufgehoben: Zwar wurde es noch als Programm der Kulturabteilung separat ausgewiesen und mit einem eigenständigen, aber deutlich reduzierten Budget versehen, die Charakterisierung als Teil des Book Development-Programms deutete aber bereits an, dass das Lesematerialienprojekt im darauf folgenden Biennium vollständig in das Buchförderungsprogramm aufgelöst, die begonnenen Projekte der Autoren- und Übersetzungsförderung nach und nach eingestellt und in diesem Zuge im Januar 1969 die Verantwortung für das KaratschiBüro ebenfalls dem Kommunikationssektor übertragen werden würde.75 Es blieb somit ein Projekt bestehen, das neu erschien, aber im Grunde alt war, dessen Name und Begründungszusammenhang dem Entwicklungsimperativ der Zeit entsprachen und das daher eine bessere Aussicht auf Finanzierung hatte. Das Langzeitprogramm zur Buchförderung in den Entwicklungsländern, das Generaldirektor Maheu der vierzehnten Generalversammlung (1966, Paris) vorstellte, zeugt auf der einen Seite von der inhaltlichen Kontinuität des Lesematerialienprojekts unter neuem Namen: Der Ausbau der Buchmärkte in den Entwicklungsländern sollte durch Unterstützung von Verleger- und Buchhändlervereinigungen und Aufbau nationaler Buchzentren gefördert, Aus- und Weiterbildungskurse für die Buchbranche angeboten, Strategien für den Buchvertrieb insbesondere in ländlichen Gegenden erarbeitet, Buchmarktstudien finanziert sowie Maßnahmen zur Steigerung der book consciousness ergriffen werden.76 Die Verantwortlichen des Lesematerialienprojekts konnten somit zu Recht für sich in Anspruch nehmen, die eigentlichen Pioniere des book development gewesen zu sein.77 Auf der anderen Seite wurden im Programmentwurf die geplanten Maßnahmen deutlich als Entwicklungshilfe klassifiziert: Es war vorgesehen, dass die Stärkung des Buchhandels – in gleicher Weise wie der Aufbau von Bibliotheken78 – planvoll, d. h. in Abstimmung mit nationalen Entwicklungs-
74 Vgl. Aide-mémoire concerning CUA/PRM vom 10.12.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series 375 A 310 (5) TA, Part III); L. Machacho an M. A. Djoehana am 3.1.1966 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part V). 75 Vgl. 14 C/5, Project 3.35.3 und Projects 4.221.1–4.221.5. Vgl. für die Übernahme des KaratschiZentrums durch das Book Development-Programm: 15 C/Resolution 4.23 (b). 76 Vgl. Coordinated Programme on Book Development, S. 4–5. 77 Vgl. die Evaluation des Karatschi-Zentrums: UNESCO Regional Centre for Reading Materials in Asia. Karatschi, o. D. [etwa Ende 1966] (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 310 (5) 025 TA, Part VI). Dort heißt es: »The Reading Material Project [. . .] may lay fair claim to have pioneered from its inception the very concept of the Book Development Programme.« 78 Vgl. Kapitel 5.2 dieser Arbeit.
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plänen erfolgte, ferner, dass Gelder für buchmarktfördernde Maßnahmen verstärkt beim UN-Entwicklungsprogramm eingeworben und Kredite für den Aufbau von Verlagen und Buchhandlungen bei der Weltbank beantragt würden.79 Das Book Development-Programm, für welches eine Laufzeit von zunächst vierzehn Jahren veranschlagt war, sollte schrittweise weltweit implementiert werden; dafür war – UNESCO-typisch – eine regionale Herangehensweise vorgesehen. In einem ersten Schritt wurden, wie auf der Washingtoner Tagung empfohlen, Expertentreffen einberufen80 : One regional activity that could mobilize interest in and gain support for book programs would be a high-level regional meeting of experts. Representing various aspects of book work, they should survey needs and problems in the region, make projections and develop planning. Such a report, going to governments, agencies and the UN, could bring about achievement of the goals set out. It is recommended that the first regional meeting held in Asia, to be followed by similar one in Africa and Latin America.81
Auf Einladung der Pariser Organisation kamen 1966 in Tokio, 1968 in Accra, 1969 in Bogotá und 1972 in Kairo Vertreter aus Verlagswesen und Buchhandel, aber auch Repräsentanten des UN-Entwicklungsprogramms, der Weltbank und der für wirtschaftliche und soziale Entwicklung zuständigen, regionalen Wirtschaftskommissionen der Vereinten Nationen sowie Abgesandte der Internationalen Verleger-Union zusammen, um grundlegend über die Förderung des Buches im Kontext von Entwicklung zu beraten.82 Im Mittelpunkt aller vier Tagungen stand die Bestimmung derjenigen Probleme und strukturellen Schwächen, die in Afrika, Asien, Lateinamerika und Nahost einer angemessenen Versorgung der Bevölkerung mit lokal verlegten Büchern entgegenstanden. Die Tagungen zeigten, dass es zwar durchaus spezifische Faktoren gab, die die Entfaltung der Buchmärkte hemmten (etwa die Entwicklung von einfachen Druckschriften für einige asiatische Sprachen), dass daneben aber auch eine Vielzahl von
79 Vgl. Coordinated Programme on Book Development, S. 2–4; Development of Information Media, S. 7. Zur Verbindung von Planungsgedanken und Buchförderung siehe auch: The Methodology for Establishing Book Supply Targets. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XI (1969), H. 2, S. 28–31; Meeting on Planning for Book Development in Asia. Report. Tokio: Asian Cultural Centre for UNESCO, Japanese National Commission for UNESCO, Japan Book Publishers Association 1976. 80 Vgl. Coordinated Programme on Book Development, S. 3. 81 Books in Human Development, S. 45. 82 Vgl. die Abschlussberichte der vier Tagungen: Book Development in Asia. A Report on the Production and Distribution of Books in the Region. Paris: UNESCO 1967 (Reports and Papers on Mass Communication. 52); Book Development in Africa; Meeting of Experts on Book Development in Latin America, Bogotá, 9–15 September 1969. Final Report. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: COM/MD/10); Meeting of Experts on Book Development in the Arab Countries, Cairo, 1–6 May 1972. Final Report. Paris 1972 (UNESCO-Dokument: COM/MD/23).
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Problemen in allen vier Regionen gleichermaßen existierte. Zu letzteren zählten neben einem Mangel an Fachkenntnissen, der sich durch fehlende Aus- und Weiterbildungsstrukturen stetig verschärfte, die Unterkapitalisierung buchhändlerischer Betriebe sowie eine unzureichende Kreditvergabe durch Banken, die gedruckte Bücher generell nicht als Sicherheit anerkannten.83 Ein erhebliches Hindernis für den Ausbau der Buchproduktion stellten in vielen unterentwickelten Ländern ferner die Kosten für Papier, Druckfarben und Druckmaschinen dar: Oftmals wurden diese aus dem Ausland bezogen und bei der Einfuhr – im Gegensatz zu importierten Bücher, die gemäß des Florenz-Abkommens zollfrei eingeführt werden konnten – mit erheblichen Abgaben belastet. Dieses hatte vielerorts die paradoxe Folge, dass im Ausland hergestellte Bücher erheblich preiswerter waren als einheimisch produzierte. Das Prinzip der freien Zirkulation von Büchern konnte somit zum Hemmnis für den Ausbau nationaler Verlagskapazitäten werden, wenn die Einfuhr der ›Buchrohstoffe‹ mit Zöllen belegt blieb. Nicht nur Malhotra forderte als Ergänzung zum free flow of books daher ein free flow of raw materials for books84 , welcher 1976 mit dem Nairobi-Protokoll umgesetzt wurde.85 Ein weiteres zentrales Problem stellte vielerorts der Absatzmarkt dar: Beklagt wurde neben einem unzureichenden Vertriebsnetz in ländlichen Gegenden vor allem ein schlecht ausgebautes, unterfinanziertes Bibliothekswesen, das nicht – wie etwa in den Ländern des Nordens – als fester Abnehmer in den Verlagskalkulationen angesetzt werden konnte. Die Teilnehmer aller vier Expertentreffen sprachen sich einstimmig für die Gründung von regionalen Buchförderungszentren (Regional Book Development Centre) aus, welche die nationalen Bestrebungen zur Überwindung des ›Buchhungers‹ unterstützen, Buchmarktforschung betreiben und Schulungsmaßnahmen anbieten sollten. Ähnlich der Funktionen, die das Karatschi-Zentrum im Rahmen des Lesematerialienprojekts ausgeübt hatte, war vorgesehen, dass diese mit der Pariser Zentrale eng zusammenarbeitenden Institutionen die Verantwortung für die regionale Konzeption und Ausführung der Programme übernahmen. Innerhalb des folgenden Jahrzehnts wurden insgesamt fünf Buchförderungszentren gegründet. Das erste ›entstand‹ durch Umbenennung der ›Pariser Dependenz‹ in Karatschi, die ab Januar 1969 als UNESCO Regional Centre for Book Development in Asia neu firmierte.86 Im Frühjahr desselben Jahres wurde auf Initiative des Vor-
83 Vgl. zum Problem der Unterkapitalisierung: Abul Hasan: Financing. A Basic Problem for the Asian Publishers. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XV (1973), H. 2, S. 12–14. 84 Dina N. Malhotra: Free Flow of Raw Materials for Books. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XV (1973), H. 1, S. 17–21. 85 Vgl. hierzu Kapitel 2.3 dieser Arbeit. 86 Vgl. Tor Gjesdal: The New Role of the Karachi Centre. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XI (1969), H. 1, S. 2.
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sitzenden des japanischen Verlegerverbandes, Shoichi Noma, das Tokyo Book Development Centre (TBDC) ins Leben gerufen, welches als panasiatisches Schulungsund Forschungszentrum für den Buchhandel konzipiert war und insbesondere für die jährlich stattfindenden praktischen Ausbildungskurse (Training Courses on Book Production) Zuwendungen von der UNESCO erhielt. 1971 wurde das Tokioer Kompetenzzentrum in das Asian Cultural Centre for UNESCO (ACCU) integriert, das die japanische Nationalkommission kurz zuvor gegründet hatte, um durch einen institutionalisierten kulturellen Austausch die Beziehungen zu den Nachbarländern zu verbessern.87 Bereits 1969 hatte Noma den Leitgedanken des TBDC wie folgt definiert: We deemed it most important that the centre should above all be based on the spirit of peace and friendship among the Asian peoples, and that it should contribute to book development in Asia from an Asian publisher’s point of view.88
Während das Tokyo Book Development Centre neben dem Ausbau der Buchmärkte zusätzlich auch eine Annäherung zwischen den Ländern Asiens anstrebte und seine Gründung zudem auf eine private, nationale Initiative zurückging, die erst später die (finanzielle) Unterstützung der Pariser Organisation erhielt, das zweite Buchförderungszentrum also einen singulären Entstehungshintergrund aufwies, verlief die Gründung der Einrichtungen in Lateinamerika, Afrika und Nahost nach einem ähnlichen, UNESCO-typischen Prozedere: Auf Basis eines Kooperationsabkommens zwischen der UN-Sonderorganisation und einem Mitgliedsland der Region wurde eine zunächst nationale Institution ins Leben gerufen, die durch Beitritte weiterer Staaten regionale Wirkung entfalten und Verantwortung für das book development in ihrer jeweiligen Region übernehmen sollte. 1972 wurde mit dem Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina (CERLALC)89 das lateinamerikanische Buchförderungszentrum mit Sitz in Bogotá gegründet, zwei Jahre später die Grundlage für das Centre Régional de Promotion du Livre en Afrique (CREPLA) mit Sitz im kamerunischen
Im Rahmen des Buchförderungsprogramms wurde auch die vierteljährliche Veröffentlichung des Karatschi-Büros fortgeführt, zunächst als Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia (1969–1976), dann als Newsletter. Regional Office for Culture and Book Development in Asia (1977– 1984). Der genaue Zeitpunkt der Auflösung des Karatschi-Zentrums war nicht zu ermitteln. 1984 wurde noch über eine Neuausrichtung berichtet: Manuel Valdehuesa: UNESCO Book Development Centre in Karachi. In: Asian Book Development XV (1984), H. 4, S. 9. 87 Das Tokioer Buchförderungszentrum gab als Teil des ACCU bis 2004 ebenfalls einen Newsletter heraus. Dieser erschien unter wechselnden Namen erst als Newsletter. Tokyo Book Development Centre (1969–1977), dann als Asian Book Development (1978–1984) und zuletzt als Asia Pacific Book Development (bis 2004). Das ACCU existiert noch heute und bemüht sich weiterhin, wenn auch in begrenztem Umfang, um die Entwicklung des asiatischen Buchhandels. 88 Shoichi Noma: On the Establishment of the Tokyo Book Development Centre. Based on Friendship among the Asian Peoples. In: Newsletter. Tokyo Book Development Centre I (1969), H. 1, S. 1–2, hier S. 2. 89 Vgl. zur Gründung des CERLALC Kapitel 8.2 dieser Arbeit.
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Yaoundé gelegt.90 In Kairo wurde im Anschluss an das arabische Expertentreffen ebenfalls ein nationales Buchförderungszentrum eingerichtet, das trotz technischer und finanzieller Unterstützung durch die UNESCO allerdings nie regionale Strahlkraft entwickeln konnte.91 Während Ende der sechziger Jahre die regionale Verankerung des Buchförderungsprogramms angelaufen war, setzten im UNESCO-Sekretariat Überlegungen ein, als abschließenden Höhepunkt der ersten Projektphase ein Internationales Buchjahr (International Book Year, IBY) auszurufen. Julian Behrstock beschrieb rückblickend: As the cycle of regional meetings was drawing to a close, with glowing reports from governments and the book professions, it was felt that a culminating event, on a world scale, should be explored. How to compare the conclusions and recommendations of these far-flung gatherings and to put the initiative into international perspective? How to channel and give further impetus to the powerful movement that the meetings had generated? A world conference on books was considered and discarded, partly because it was felt that, while the regional meetings had been free of controversy, a world conference might be hindered by conflicting views as to the place of books in society. It was also felt that something more dramatic than yet another conference was needed. At this juncture, the idea arose for an International Book Year.92
Obgleich erhebliche Zweifel bestanden, ob angesichts einer innerhalb des UN-Systems inflationär werdenden Ausrufung von internationalen Jahren – 1957 beging man das Internationale Geophysikalische Jahr, 1966 das Reisjahr, 1968 wurde das Internationale Jahr der Menschenrechte gefeiert, zwei Jahre später das der Bildung – eine
90 Die Verhandlungen über die Gründung des afrikanischen Buchförderungszentrums wurden im Herbst 1974 in Yaoundé geführt. 1975 wurde das CREPLA auf nationaler Ebene gegründet und 1977 das internationale Kooperationsabkommen zwischen der UNESCO und der Regierung Kameruns unterzeichnet. Vgl. Regional Book Promotion in Africa. In: Book Promotion News 5 (1974), S. 3; William Moutchia: The Regional Centre for Book Distribution in Africa. In: Report. Regional Meeting of Experts on National Book Strategies in Africa (Dakar, Senegal, 2–5 February 1981). Paris 1981 (UNESCODokument: CC.81/WS/37), S. 15–18. Das CREPLA gab in sehr unregelmäßigen Abständen den zweisprachigen Bulletin d’Information Centre Régional de Promotion du Livre en Afrique heraus, aus dessen Beiträgen sich schließen lässt, dass das afrikanische Buchförderungszentrum nur wenige Projekte durchführte. Bis Mitte der achtziger Jahre lassen sich in den Haushalts- und Budgetaufstellungen der UNESCO Zuwendungen für das CREPLA nachweisen. Im Verlauf der achtziger Jahre muss das afrikanische Buchförderungszentrum aufgelöst worden sein. Der genaue Zeitpunkt ließ sich nicht bestimmen. 91 Vgl. Preliminary Project for a Regional Book Centre in the Arab Countries. Prepared by the Egyptian Government. Paris 1972 (UNESCO-Dokument: COM-72/Conf.9/5); Arab Republic of Egypt. In: Book Promotion News 7 (1975), S. 6. Von der Gründung abgesehen, ist die Entwicklung des arabischen Buchförderungszentrums nicht weiter dokumentiert. Laut Behrstock blieb die in Kairo ansässige Institution ein rein nationales Organ. Vgl. Julian Behrstock: Books for All? UNESCO’s Long Love Affair with the Book. In: Logos. The Professional Journal of the Book World 2 (1991), H. 1, S. 29–36, hier S. 33. 92 Behrstock: Books for All?, S. 34.
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weitere derartige Veranstaltung wirklich geeignet war93 , die weltweite Aufmerksamkeit auf das Buch zu lenken, erklärte die sechzehnte Generalkonferenz (1970, Paris) 1972 zum Internationalen Buchjahr, eine Entscheidung, die der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen bestätigte.94 Ein internationales Komitee, bestehend aus Repräsentanten der UNESCO, Vertretern der internationalen Verbände der Buchhändler, Bibliothekare und Verleger sowie Teilnehmern der regionalen Expertentagungen, wurde einberufen, um die Planungen für das Internationale Buchjahr professionell zu unterstützen.95 Sehr bald zeichnete sich ab, dass die Pariser Organisation auch aufgrund des knapp bemessenen Budgets von lediglich mehreren Zehntausend US-Dollar96 in der Hauptsache stimulierend und koordinierend agieren würde, um so auf breiter Basis ein Zusammenwirken lokaler, nationaler und regionaler Initiativen zu erzielen. Durch die additive Wirkung einer Vielzahl dezentral durchgeführter Projekte, die von nationalen UNESCO-Kommissionen, Buchhändler- und Verlegerverbänden, Bibliotheken oder eigens für das Internationale Buchjahr eingesetzten Gremien zu konzipieren, organisieren und finanzieren waren, sollte eine globale book consciousness, ein Bewusstsein für die Rolle des Buches in der Gesellschaft, entstehen bzw. gefestigt werden. Das Internationale Buchjahr zielte mit anderen Worten als eine globale, kulturpolitische Aktion auf eine weltumfassende Kollektivwerbung für Bücher. Die Pariser Organisation setzte den Referenzrahmen, an dem sich die nationalen und lokalen Programme orientieren konnten: Die von der UNESCO benannten Themen – Förderung des literarischen Schaffens und der Übersetzung; Verbesserung der Produktion und Distribution des Buches inklusive Ausbau des Bibliothekswesens; Stärkung des Lesehabitus in der Bevölkerung; das Buch im Dienste von Bildung, internationaler Verständigung und friedvoller Zusammenarbeit – und die diesen zugeordneten Projektvorschläge ließen Originalität gewiss vermissen, waren aber breit genug gefasst, um angesichts deutlich unterschiedlicher Organisationsprinzipien und Entwicklungsgrade der weltweiten Buchmärkte – man denke hier zum Beispiel an
93 Vgl. ebd., S. 34; Anatomy of an International Year. Book Year – 1972. Paris: UNESCO 1974 (Reports and Papers on Mass Communication. 71), S. 10. 94 Vgl. 16 C/Resolution 4.121; International Book Year. ECOSOC Res. 1575 (L) vom 20.5.1971. 95 Vgl. Planning Committee for International Book Year 1972. Report 1971 (UNESCO-Dokument: COM/ MD/19); Support Committee for International Book Year 1972, Brussels, 20–22 October 1971. Report of the Meeting. Paris 1971 (UNESCO-Dokument: COM/IBY/2778/10.11.71); Support Committee for International Book Year 1972, Second Session, Vienna, 8 to 10 May 1972. Report. Paris 1972 (UNESCODokument: COM/IBY/01371/19.5.72). 96 Behrstock nennt als Gesamtbudget 100.000 US-Dollar. Vgl. Behrstock: Books for All?, S. 34. Im verabschiedeten Haushaltsplan für das Biennium 1971/1972 waren für die Aktivitäten des IBY allerdings lediglich 46.000 US-Dollar veranschlagt. Vgl. 16 C/5, Project 4.12.1 und 4.12.2.
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Abb. 11: Logo des Internationalen Buchjahres.
den Gegensatz zwischen kapitalistischem und sozialistischem Buchhandel – länderund ideologiespezifische Schwerpunkte zu ermöglichen.97 Während der von der Pariser Organisation zur Verfügung gestellte Maßnahmenkatalog lediglich empfehlenden Charakter hatte, war das Narrativ, das die UNESCO für das Internationale Buchjahr vorgab, global bindend. Das als Auftragsarbeit von dem belgischen Künstler Michel Olyff entworfene Logo des Buchjahres – ein Piktogramm zweier sich die Hand reichender Menschen, die auf den Seiten eines aufgeschlagenen Buches stehen (vgl. Abbildung 11) – reflektierte nach Ansicht der UNESCO die beiden bedeutendsten gesellschaftlichen Funktionen des Buches: »The two men linking hand on the pages of an open book symbolize international co-operation, and their study, upright figures, the importance of books in national development.«98 Als Devise des Internationalen Buchjahres wurde mit »Books for All!«, »Livres pour tous!«, »¡Libros para todos!«, »Bücher für alle!« eine Losung wiederbelebt, mit der bereits in den fünfziger Jahren der Werbefilm über die indische Pilotbibliothek überschrieben worden war und die ebenso der Buchmarktstudie von Ronald Barker ihren Titel gegeben hatte. Diese Formel brachte mit ihrer demokratischen Botschaft, die alle Erdenbürger einschloss, konzis die Vision zum Ausdruck, die dem Internationalen Buchjahr im Speziellen als auch dem Book Development-Programm im Allgemeinen zugrunde lag und die René Maheu in seiner gleichlautenden Nachricht zum Auftakt des Internationalen Buchjahres nochmals hervorhob: For thousands of years the written word and for centuries the printed word have played a vital role in the preservation and transmission of knowledge. They have been man’s most effective ally in fashioning this thought and in his conquest for freedom. Even if certain cultures have been founded on communication by word and gesture these cultures can no longer hope to survive or indeed develop in the modern world without recourse to the written word.
97 Vgl. International Book Year 1972. A Programme of Action. Paris: UNESCO 1971; International Book Year. Report and Proposals by the Director-General. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: 16 C/83). 98 Editorial. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XIV (1972), H. 1/2, S. 2.
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The book is the most dependable and the most convenient instrument of communication ever devised by man. With the book the human mind for the first time was able to conquer time and then space. In the past quarter of a century we have witnessed the development of the books as one of the means of mass communication and we must not fail to recognize the role and place of the book in the service of the new spirit of community that the mass media have made possible. There exists in the world today a tremendous need for reading. So great is this need that for large portions of the world’s population one can speak of a veritable ›book famine‹. Yet while the technical revolution that has taken place in the production and distribution of books has made it possible to place on the market an ever-increasing number of relatively inexpensive, good quality book the developing countries are suffering form a scarcity of books that is becoming more acute as educational opportunities grow. [. . .] UNESCO’s world programme for the promotion of books aims specifically to redress this serious imbalance between the developed and the developing countries. But the problem is not only one of quantity. It is equally important or more important that the book [. . .] promote individual fulfillment and social progress; that it give all persons a chance to appreciate the best that human mind has to offer the world over; and that it serve to create a better understanding between peoples as necessary step toward a true and lasting peace. Let us all work and act together to make ›Books for All‹ a reality for all. 99
Bereits wenige Monate zuvor, im Oktober 1971, hatte das beratende internationale Komitee mit der »Charta des Buches« (Charter of the Book) eine Grundsatzerklärung verabschiedet, in der anhand von zehn Leitsätzen wie »Everybody has the right to read« oder »A sound publishing industry is essential to national development« die Bedeutung des Buches für individuelle Selbstverwirklichung, sozio-ökonomische Entwicklung und internationale Verständigung herausgestellt wurde. Die Charta sollte – wie es in der Präambel hieß – als Selbstverpflichtung der Buchbranche und politischer Instanzen nicht nur die Aktivitäten des Internationalen Buchjahres anleiten, sondern auch spätere buchpolitische Maßnahmen zu legitimieren helfen.100 Nach Beendigung des Internationalen Buchjahres zog die UNESCO eine äußerst positive Bilanz. Der innerhalb des Sekretariats für die Durchführung und Koordination des IBY zuständige Edward Wegman scheute sogar den Vergleich mit einem Hollywoodspektakel nicht: Six years in the making . . . a cast of thousands . . . a galaxy of world-renowned performers . . . International Book Year 1972 sounds in retrospect like a Hollywood spectacular. And yet, as in many blurbs, there is more than a kernel of truth in the billing.101
99 René Maheu: Books for All. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XIV (1972), H. 1/2, S. 3–4. 100 Die »Charta des Buches« wurde an verschiedener Stelle publiziert, vgl. u. a.: Charter of the Book. In: UNESCO Bulletin for Libraries XXVI (1972), H. 5, S. 238–240. 101 Edward Wegman: Anatomy of an International Year. In: Scholarly Publishing 4 (1973), H. 3, S. 211– 218, hier S. 211.
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Die UNESCO präsentierte das Internationale Buchjahr zum einen als einen erfolgreichen Werbefeldzug in Sachen Buch und betonte die weltweite Durchschlagskraft und Dimension des Ereignisses: In mehr als 130 Ländern, Industrie- und Entwicklungsländern, sozialistischen wie kapitalistischen Staaten gleichermaßen, wurden Veranstaltungen durchgeführt; über zehntausend Zeitungsartikel erreichten die Pariser Zentrale; siebzig Länder produzierten ihre eigenen Poster; in 46 Ländern wurden IBY-Briefmarken herausgegeben; in über achtzig Mitgliedsstaaten der von der Pariser Zentrale produzierte Film Open Book gezeigt.102 Logo und Motto des Buchjahres waren auf Krawattennadeln, Aufklebern und Zigarettenpackungen sowie auf Einkaufstüten und T-Shirts gegenwärtig. Teilweise wurden nationale Werbebotschaften wie »Books Bring People Together«, »The Book, an Answer« oder »Read More – Guess Less« entwickelt, die die von der Pariser Organisation vorgegebene Losung »Books for All« ergänzten und an nationale Bedürfnisse anpassten. Brasilien warb mit »A developed nation is a people who read« für das Lesen. Neben diesen klassischen Elementen von Werbekampagnen sollte ebenso durch Diskussionsrunden, Vorträge und Wettbewerbe das Bewusstsein der Bevölkerung für die (gesellschaftliche) Bedeutung des Buches geschärft werden. Auf den Bermudas wurde von einem bekannten Calypsosänger sogar ein Lied für das Internationale Buchjahr komponiert; Staatsoberhäupter und Politiker wie die belgische Königin oder der senegalesische Präsident Senghor machten in Ansprachen auf das Leistungsvermögen von Büchern aufmerksam.103 Zum anderen gab das Internationale Buchjahr Anlass, Maßnahmen zu ergreifen, um das literarische Schaffen sowie die Produktion und Distribution von Büchern zu stärken. Einige sozialistische Länder erhöhten planmäßig ihre Buchproduktion; in Pakistan wurde eine nationale Stiftung eingerichtet, die Kinderbücher verlegte; auf der ganzen Welt entstanden Buchmarkt- und Lesestudien, so auch in Indonesien, wo erstmals die Bevölkerung zu ihrem Leseverhalten befragt wurde; Seminare und Schulungsmaßnahmen zu Fragen des Verlegens und des Buchvertriebs fanden vor allem in den sogenannten unterentwickelten Weltregionen statt; Buchmessen und Buchwochen wurden quer über den Globus organisiert, Buchausstellungen in Schulen und Gefängnissen gezeigt; in Weißrussland organisierten Freiwillige in Fabriken einen Bücherverkauf; der französische Staat überreichte jedem neuvermählten Ehepaar im Jahr 1972 ein Buch; in Bulgarien wurden im Mai Klassiker der Weltliteratur zu vergünstigten Preisen verkauft; wie im Tschad waren auch in anderen Ländern Wettbewerbe ausgeschrieben, um mündliche Überlieferungen niederzuschreiben; in zwanzig Mitgliedsstaaten wurden nationale Literaturpreise geschaffen; die österreichische Regierung finanzierte Stipendien für Schriftsteller; in Afghanistan gründete
102 Vgl. ebd., S. 214; Anatomy of an International Year. Book Year – 1972, S. 23–24. 103 Vgl. Anatomy of an International Year. Book Year – 1972, S. 23–24; International Book Year – 1972. Report by the Director-General. Paris 1972 (UNESCO-Dokument: 17 C/75), S. 7–10.
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sich die erste nationale Bibliotheksvereinigung des Landes; und in Malaysia begann man, eine Nationalbibliothek zu errichten.104 Trotz unterschiedlicher politischer Systeme, wirtschaftlicher Voraussetzungen und gesellschaftlicher Strukturen und ungeachtet einer Vielzahl sehr divergenter Projekte und Aktionen sei – so das Resümee der UNESCO – das Internationale Buchjahr letztlich ein weltumspannendes Ereignis mit einer einzigen Botschaft gewesen: [The] International Book Year has provided a unique opportunity to promulgate in countries at different levels of development, of different social and political ideas, with different histories and different traditions a single conviction and a single aim opening up vast horizons for the future: not only to ensure that there may be books for all, but also that all may profit by them.105
Bereits im letzten Drittel des Jahres 1972 setzten innerhalb des UNESCO-Sekretariats Überlegungen ein, wie die Impulse, die vom Internationalen Buchjahr ausgegangen waren, beibehalten und in Langzeitprogramme umgewandelt werden konnten. Aus dem Buchjahr, so die Vision der Pariser Organisation, sollte eine Buchdekade werden – denn: Every step taken during Book Year, every act accomplished, pointed to the need for more of the same. Few individuals or organizations involved failed to take out of their experience the conviction that the work had to go on. Often the same ideas, the same methods, the same infrastructure would serve [. . .] International Book Year was the encouraging beginning. It focused attention on the needs, marshalled the energies of interested forces – often discovering allies in institutions and individuals who should have been concerned but were not aware of the problems, or who had not realized that the challenge concerned them, and that they could help. But it was only the beginning.106
Bereits die siebzehnte Generalkonferenz, die im November 1972 in Paris tagte, lud Mitgliedsstaaten, interessierte Organisationen und UNESCO ein, die während des IBY eingeleiteten Aktionsprogramme fortzusetzen.107 Zu diesem Zweck wurde 1973 vom UNESCO-Sekretariat ein Weltprogramm zur Förderung des Buches mit dem Titel Books for All vorgelegt, mit dem die zweite Phase des Book Development-Programms begann.108 Die Verbesserung des Zugangs zum Buch wurde als gemeinsame Aufgabe von nationalen Institutionen, internationalen Organisationen und der UNESCO definiert, wobei die Pariser Organisation als Ideengeber und Koordinationsinstanz fungieren sowie im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten die Arbeit der regio-
104 Vgl. Anatomy of an International Year. Book Year – 1972, S. 15–21; International Book Year – 1972, S. 10–12 und S. 16–23. 105 Delavenay: For Books, S. 74. 106 Anatomy of an International Year. Book Year – 1972, S. 27. 107 Vgl. 17 C/Resolution 4.132. 108 Vgl. Books for All. A Programme of Action. Paris: UNESCO 1973.
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nalen Buchförderungszentren unterstützen sollte.109 Tätigkeitsschwerpunkte der UNESCO waren, nachdem während des Internationalen Buchjahres die gesamte Welt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt war, somit erneut die ›bucharmen‹ Entwicklungsländer. Mit dem Ende des Internationalen Buchjahres war das Book Development-Programm sechs Jahre nach seinem offiziellen Beginn fest institutionalisiert: Ein innerhalb des Kommunikationssektors der UNESCO angesiedeltes Referat, dessen personelle und finanzielle Ressourcen aufgestockt worden waren, zeichnete sich für die Zusammenarbeit mit den bereits gegründeten oder im Entstehen begriffenen regionalen Buchförderungszentren verantwortlich. Es wurde dabei von einem Beratergremium, dem International Book Committee, unterstützt, das aus dem Planungskomitee des Internationalen Buchjahres hervorgegangen war.110 Ebenfalls seit 1972 verfügte das Progamm mit dem International Book Year Newsletter über ein eigenständiges Organ, das ab 1973 als Book Promotion News fortgeführt wurde.111 Logo und Losung des Internationalen Buchjahres wurden beibehalten.112 Nicht zuletzt lag mit der »Charta des Buches« ein Leitbild und Glaubensbekenntnis vor, das das Programm an sich nicht nur legitimierte, sondern auch gleichzeitig dessen Ziel vorgab: »Bücher für alle« sollte durch book development Realität werden – oder in den Worten der UNESCO: »›Books for All‹ is the keynote for the future.«113
109 Vgl. ebd., S. 31–37. 110 Vgl. Committee of Experts on Book Promotion and Development. Report of the Meeting. Paris 1973 (UNESCO-Dokument: COM.73/CONF.606/4); Jorge Cárdenas Nannetti: Comité Internacional del Libro 1971–1982. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 33 (1982), S. 30–32. Dem UNESCO-Beratungsgremium gehörten u. a. Sigfred Taubert, Herman Liebaers und Ronald Barker an. 111 Während des Internationalen Buchjahres wurden insgesamt fünfzehn Ausgaben des Newsletters mit einer Auflage von jeweils 21.000 Exemplaren herausgegeben. Ab 1973 bis 1984 erschienen insgesamt 32 Ausgaben der Book Promotion News. 112 Vgl. Anatomy of an International Year. Book Year – 1972 , S. 26. 113 Books for All, S. 36.
8 Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie Mit den regionalen Arbeitstagungen zu Fragen des book development und der Gründung der Buchförderungszentren für Asien, Afrika, Lateinamerika und den arabischen Raum wurde ein Prozess eingeleitet, der die Zuständigkeit, die Produktion und Distribution des Buches in den Entwicklungsländern zu verbessern, von der UNESCOZentrale in Paris in die betroffenen Gebiete verlagerte. Diese Dezentralisierungsmaßnahme sollte eine größere Nähe zu den Buchmärkten der jeweiligen Region gewährleisten und somit die Entwicklung und Durchführung effizienter und wirkungsvoller Programmen ermöglichen. Anhand des zunächst ausschließlich für die Länder Lateinamerikas, später zusätzlich auch für die Karibik1 verantwortlichen Zentrums in Bogotá, des Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina y el Caribe (CERLALC)2 , wird exemplarisch untersucht, wie die Aufgaben, die Buchmärkte auszuweiten und eine bessere Zugänglichkeit von Büchern zu erreichen, in der Region selbst gestaltet und operationalisiert wurden.
8.1 Strukturen des Buchhandels in Lateinamerika Legt man die Indikatoren zugrunde, mit denen die UNESCO die immer größer werdende ›Buchkluft‹ zwischen Industrie- und Entwicklungsländern maß, zählte Lateinamerika Ende der sechziger Jahre zu den Weltregionen, deren Bewohner mit Büchern unterversorgt waren: Die Produktion von etwa 18.000 Titeln im Jahr 1966 entsprach nur 3,8 Prozent der weltweiten Gesamtproduktion, während 6,1 Prozent der Weltbevölkerung in dieser Region lebte.3 Fiel der Mangel an Büchern in Lateinamerika auch weniger drastisch aus als in Afrika und Asien, wo im selben Zeitraum lediglich 1,5 Pro-
1 1977 wurde der Zuständigkeitsbereich des CERLALC offiziell ausgedehnt. Da im Betrachtungszeitraum allerdings kein Karibikstaat Mitglied des CERLALC wurde und das Zentrum dort auch keine nennenswerten Projekte durchführte, wird die Karibik im Rahmen dieser Untersuchung nicht berücksichtigt. 2 Das CERLALC ist bisher noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten geworden. Entstehung und Entwicklung der Institution wurden jedoch in einigen wenigen Beiträgen skizziert: Vgl. Edgar Bustamente Delgado: 15 años CERLALC. 1972–1987. Bogotá: CERLALC 1987; Fernando Ainsa: Las políticas del libro en América Latina. La perspectiva de la UNESCO. In: Le livre et la lecture. Hrsg. von Christian Giudicelli. Paris: Presses de la Sorbonne Nouvelle 1999 (América. Cahiers du CRICCAL. 23), S. 17–36. Aus Anlass des vierzigjährigen Bestehens des CERLALC im Jahr 2011 ist eine Festschrift erschienen: CERLALC. Una historia del libro e integración. Hrsg. von Álvaro Garzón López und Bernardo Jaramillo Hoyos. Bogotá: CERLALC/UNESCO 2011. 3 Vgl. Los Problemas del Fomento del Libro en América Latina. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: COM/CONF.6/3, zu finden in: Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–14), S. 5.
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zent der Weltbuchproduktion bei einem Bevölkerungsanteil von 9,5 Prozent (Afrika) bzw. 20,7 Prozent bei für einen Bevölkerungsanteil von 55,7 Prozent (Asien) veröffentlicht wurden4 , galt mit anderen Worten der lateinamerikanische Buchhandel im Vergleich zu demjenigen in den meist noch relativ jungen afrikanischen und asiatischen Nationen als weniger »drittweltzugehörig«5 , wurden auch in Lateinamerika nicht ausreichend Bücher publiziert, um den Bedarf einer stetig wachsenden Bevölkerung zu decken. Nicht nur den Kriterien der UNESCO gemäß, sondern auch in den Augen führender Branchenvertreter war der Buchhandel in Lateinamerika entwicklungsbedürftig. Im Mai 1964, wenige Monate bevor die UNESCO-Generalkonferenz das weltweite Programm zur Buchförderung verabschiedete, waren in Mexiko-Stadt die Verlegerverbände Hispanoamerikas zusammengekommen, um Probleme und Zukunftsperspektiven der Branche zu diskutieren. Während dieser Tagung wurde nicht nur die zentrale Rolle des Buches in nationalen Entwicklungsprozessen herausgestellt, sondern anhand von Berechnungen über die Versorgungslage mit Büchern auch aufgezeigt, dass – mit den Worten des Präsidenten der argentinischen Buchhandelskammer (Cámara Argentina del Libro) – Lateinamerika mit einer Jahresproduktion von 0,16 Exemplaren pro Einwohner ein aus buchhändlerischer Sicht »jungfräulicher Kontinent« war, den es zu »befruchten« galt: Nuestros pueblos están en pleno desarrollo o, al menos, buscando el camino que lo haga posible. Desarrollo económico, social y político. Pero, y esto debe entenderse claramente, no será posible el desarrollo en ninguno de esos aspectos sin un concomitante y, en muchos casos, previo desarrollo cultural, moral y espiritual, en el que el libro desempeñará un papel decisivo como vehículo difusor de técnica y ciencia [. . .] Si admitimos como razonable un promedio de 2,5 volúmenes por persona como índice estimativo de los recursos bibliográficos, sería necesario para América Latina 450.000.000 de volúmenes. Un cálculo bastante certero nos permite estimar en 28.000.000 los volúmenes existentes, con lo que se llega a un índice de 0,16 de volumen por persona. La elocuencia de las cifras nos exime de mayores consideraciones y nos pone de bruces sobre la realidad viva y esencial: América Latina es un continente virgen aún en materia bibliográfica y bibliotecológica. Por eso es que el libro habrá de fecundarla.6
Die Berufung auf einen lateinamerikanischen Buchmarkt und die damit einhergehende, auf Statistiken basierende Beschreibung desselben als entwicklungsbedürftig – wie sie nicht nur bei dem argentinischen Branchenvertreter, sondern beständig auch bei der UNESCO zu finden sind – suggerieren, dass der Buchhandel in den latein-
4 Vgl. ebd. 5 Im spanischen Original: »tercermundista«. Informe del Director, September 1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.VII–5), S. 7–8. 6 Gustavo A. Marini: América y el libro. Un desafío. In: Biblos 115 (1964), S. 12–13, hier S. 12.
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amerikanischen Ländern strukturell gleich oder zumindest ähnlich beschaffen war.7 Durch diese pauschalisierende Gesamtcharakterisierung wurden jedoch die teilweise beträchtlichen Unterschiede nivelliert, die in der Region hinsichtlich der Produktion von Büchern und im geringeren Maße auch bezüglich deren Distribution bestanden, Unterschiede, die nachfolgend deutlich gemacht werden sollen. Die anschließende Analyse der Buchmärkte Lateinamerikas verfolgt mehrere Ziele: Erstens werden Strukturen, Schwächen und Potenziale des lateinamerikanischen Buchhandels zum Zeitpunkt der Gründung des CERLALC beschrieben und damit die Handlungsspielräume aufgezeigt, innerhalb derer Strategien und Konzepte zur Buchförderung entwickelt werden konnten. Zweitens soll durch die Berücksichtigung zeitgenössischer Bewertungen und Einschätzungen deutlich werden, was gemeinhin unter entwicklungsbedürftigen oder auch unterentwickelten Buchmärkten verstanden wurde. Nicht zuletzt verweist die Analyse des Buchhandels in Lateinamerika bereits auf eine der zentralen Tätigkeitsbereiche des CERLALC, die Erstellung quantitativer und qualitativer Buchmarktstudien, die Voraussetzung nicht nur für die eigene Programm- und Projektformulierung waren, sondern mit denen auch der Branche wichtige Marktinformationen zur Verfügung gestellt wurden.8
8.1.1 Zwischen hegemonialen Ansprüchen, materiellen Interessen und strukturellen Abhängigkeiten: Wettbewerb um die Vormacht und das Ringen um Autonomie auf den Buchmärkten Hispanoamerikas Die beständig verwendeten Referenzrahmen Nation und Staat können den Blick darauf verstellen, dass Buchmärkte nicht ausschließlich national organisiert, sondern zunächst anhand des Kriteriums Sprache voneinander abzugrenzen sind.9 Sprachraum- und Staatsgrenzen verlaufen nicht immer kongruent, so auch nicht im Fall der Länder Lateinamerikas, welche Sprachräumen zuzuordnen sind, die weit über die Grenzen des jeweiligen Landes sowie aufgrund der kolonialen Geschichte auch weit über die Grenzen der Region hinausreichen. Dieser Sachverhalt hatte – und hat – erheblichen Einfluss auf Verfasstheit und Strukturen des Buchhandels in Lateinamerika. Innerhalb eines Sprachraums ist der massenhafte Handel mit Büchern über die nationalen Grenzen hinweg trotz regionaler oder nationaler Varietäten in der Sprache prinzipiell möglich. Bücher, die in einem Land veröffentlicht werden, können von
7 Vgl. zur Konstruktion von Kontinenten als homogenen Räumen, in denen mehr oder minder gleiche Grade der (Unter-) Entwicklung walten: Martin W. Lewis/Kären E. Wigen: The Myth of Continents. A Critique of Metageography. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 1997. 8 Vgl. hierzu Kapitel 8.3 dieser Arbeit. 9 Vgl. ähnlich: Gordon Graham: Multinationals and Third World Publishing. In: Publishing and Development in the Third World. Hrsg. von Philip G. Altbach. London, Melbourne, München u. a.: Hans Zell Publishers 1992 (Hans Zell Studies on Publishing. 1), S. 30–41, hier S. 31.
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der Bevölkerung eines anderen Landes mit derselben Sprache problemlos, d. h. ohne zusätzliche Fremdsprachenkenntnisse, gelesen werden. Es besteht innerhalb eines Sprachraums somit die Möglichkeit, die nationale Buchproduktion einerseits durch Importe zu ergänzen oder zu substituieren bzw. sie andererseits durch Exporte rentabler zu gestalten. Damit gewinnt der Buchaußenhandel an Bedeutung: Die Buchmärkte der zu einem Sprachraum gehörenden Länder sind miteinander verflochten, sofern nicht Handelsembargos oder Zensurvorschriften der freien, grenzüberschreitenden Zirkulation entgegenstehen. Einschränkend ist zu vermerken, dass nicht alle Bücher gleichermaßen geeignet sind, nationenübergreifend gehandelt zu werden: Die Vertriebsmöglichkeiten sind bei denjenigen Sachgebieten eingeschränkt, die einen nationalen Charakter aufweisen bzw. nationale Identität vermitteln (sollen). Dazu zählen insbesondere Schulbücher, Werke zur nationalen Geschichte, Kultur und Politik, Nationalliteratur sowie juristische Publikationen. Demgegenüber haben vor allem das universitäre Lehrbuch sowie Sach- und Fachliteratur, insbesondere technischer, naturwissenschaftlicher und medizinischer Ausrichtung, aber auch die sogenannte Weltliteratur einen universellen Charakter und können problemlos länderübergreifend vertrieben werden. Die Möglichkeit des transnationalen Buchhandels zwischen Ländern derselben Sprache führt dazu, dass man deren Buchmärkte nicht ausschließlich als in sich geschlossene Einheiten begreifen und analysieren kann, sondern diese immer auch im Zusammenhang mit dem durch die jeweilige Sprache konstituierten Gesamtbuchmarkt betrachten muss. Die Buchproduktion in der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten ist folglich im Kontext des spanischsprachigen Gesamtbuchmarktes zu sehen, zu dem neben den nationalen Märkten der hispanoamerikanischen Staaten vor allem derjenige der einstigen Kolonialmacht Spanien, aber auch der der Philippinen sowie der wachsende Markt für spanische Publikationen in den Vereinigten Staaten von Amerika zählen. Der Buchmarkt Brasiliens, des einzig portugiesischsprachigen Landes des Kontinents, bedient zusammen mit den Verlagen in Portugal und einigen wenigen, ehemals unter portugiesischer Kolonialherrschaft stehenden afrikanischen und asiatischen Staaten den lusophonen Gesamtbuchmarkt. Die in vielen lateinamerikanischen Ländern verbreiteten, teilweise auch offiziell als Amtssprache anerkannten indigenen Sprachen wie beispielsweise Quechua, Aymará, Guaraní oder Nauhúatl spielen hingegen für die kommerzielle Buchproduktion keine Rolle. Die Handelsbeziehungen zwischen den spanischsprachigen Buchmärkten waren Ende der sechziger Jahre durch deutliche Dominanz- und Abhängigkeitsstrukturen geprägt: Spanien, Argentinien und Mexiko exportierten große Teile ihrer Buchproduktion in die übrigen hispanoamerikanischen Staaten, deren Buchhandel teils mehrheitlich, teils zumindest partiell durch Importe bestritten wurde, ein Sachverhalt, der die Entfaltung nationaler Buchhandelsunternehmen in diesen Ländern erheblich hemmte.
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Schon Ende der vierziger Jahre hatte Daniel Cosío Villegas, Mitgründer des Fondo de Cultura Económica, eines der bedeutendsten geistes- und sozialwissenschaftlichen Verlagshäuser des Kontinents, festgestellt, dass kein nationaler Markt der spanischsprachigen Welt groß genug sei, damit dort eine ausdifferenzierte, bedeutende Verlagslandschaft entstehen könnte: [N]ingún país de habla española – España misma, Argentina, México o Chile, para citar los cuatro que tienen ya una actividad editorial de consideración – es un mercado lo suficientemente amplio y rico para mantener por sí solo ya una industria editorial (lo que supone varias firmas que trabajan en ese campo), pero ni siquiera una empresa editorial importante.10
In seiner weiteren Argumentation wies Cosío Villegas nach, dass die Bedeutung, die die Verlagswirtschaft in Argentinien, Mexiko und Spanien erlangt hatte, zu einem erheblichen Teil auf Buchausfuhren beruhte: Die argentinischen Verlage setzten nur gut ein Viertel ihrer Auflage innerhalb Argentiniens ab, eine ähnliche Quote galt für mexikanische Unternehmen; in Spanien waren etwa vierzig Prozent aller erschienenen Bücher für den einheimischen Markt bestimmt, die übrigen sechzig Prozent wurden exportiert.11 Ende der sechziger Jahre war der Buchhandel in Argentinien, Mexiko und Spanien in ähnlichen Größenordnungen vom Exportgeschäft abhängig wie zwei Dekaden zuvor. Auch wenn exakte und kontinuierlich erstellte Exportstatistiken nicht vorliegen bzw. das Verhältnis zwischen der Gesamtbuchproduktion und dem Exportanteil aufgrund nicht-kompatibler Maßeinheiten nur unpräzise bestimmt werden kann – das Produktionsvolumen des Buchhandels wurde zumeist in Titelund Auflagenzahlen angegeben, die Exportbilanzen arbeiteten mit Angaben zu Gewicht und Umsatz –, war Schätzungen zufolge etwa die Hälfte der jeweiligen Verlagsproduktion für den Export bestimmt. Die in Spanien, Argentinien oder Mexiko publizierten Bücher profitierten auf den ausländischen Märkten von beträchtlichen Wettbewerbsvorteilen: Die im Vergleich zu den übrigen hispanoamerikanischen Ländern deutlich größeren Binnenmärkte erlaubten ein umfangreicheres Titelangebot und höhere Auflagen, die aufgrund der Skaleneffekte günstigere Preise ermöglichten. Die stark begrenzten Märkte der bevölkerungsärmeren Länder Hispanoamerikas hatten hingegen ein derart geringes Aufnahmevermögen, dass eine dem Bedarf entsprechende Diversifikation von Titeln in rentabler Auflagenhöhe nicht möglich erschien. Die Struktur des panamaischen Buchhandels – wie sie Mitte der siebziger Jahre der Geschäftsführer der dortigen Universitätsbuchhandlung beschrieb – kann als repräsentativ für die Buchmärkte der kleinen Staaten Hispanoamerikas gelten:
10 Daniel Cosío Villegas: La industria editorial y la cultura. In: Ders.: Extremos de América. MexikoStadt: Tezontle 1949, S. 275–303, hier S. 280–281. 11 Vgl. ebd., S. 281.
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Aunque se ha incrementado la productividad literaria y editorial en todos los aspectos, aunque se ha aumentado la producción de textos escolares por autores locales e impresos en el país, tengo que reconocer que la diferencia entre el número de libros importados en el país es extraordinariamente superior, en calidad y variedad al producido a nivel local.12
Die Verlagsproduktion in den kleinen und mittelgroßen Ländern Hispanoamerikas war in der Regel wenig vielfältig und bestand vor allem aus Unterrichtswerken. Einheimisch publizierte Bücher, häufig schlechter ausgestattet und teurer hergestellt, waren den importierten Verlagserzeugnissen in der Regel deutlich unterlegen. Die Unterschiede, die in den sechziger und siebziger Jahren im Hinblick auf die buchhändlerischen Strukturen in Lateinamerika bestanden, spiegeln sich auch in den wenigen quantitativen Buchmarktdaten wider, die für diesen Zeitraum vorliegen. Im gesamten mittel- und südamerikanischen Raum war das buchhändlerische und bibliothekarische Berichts- und Dokumentationswesen noch kaum entwickelt: Daten über Art und Umfang der nationalen Buchproduktion wurden nur sporadisch erhoben und veröffentlicht, ein Tatbestand, der in den UNESCO-Statistiken große Lücken hinterlassen hat; nur wenige lateinamerikanische Länder besaßen kontinuierlich geführte Nationalbibliographien13 ; nationale oder regionale Adressbücher des Buchhandels oder Bibliothekswesens wurden nur äußerst sporadisch herausgegeben. Damit ist die Möglichkeit begrenzt, die Verfasstheit der lateinamerikanischen Buchmärkte der sechziger und siebziger Jahre in quantitativer Hinsicht zu rekonstruieren. Erst für die neunziger Jahre, als die Internationale Standardbuchnummer (ISBN) konstanter genutzt14 und die bibliographische Erfassung stetiger wurde, lassen sich umfassende und gleichermaßen konsistente Buchmarktstatistiken für die Region erstellen. Wenngleich eine präzise statistische Beschreibung der lateinamerikanischen Buchmärkte der sechziger und siebziger Jahre folglich nicht möglich ist, können die zur Verfügung stehenden lückenhaften, teils inkonsistenten Daten dennoch als Indikator für die deutlich unterschiedlichen Produktionsniveaus des Verlagswesens herangezogen werden, wie 1960 bereits Peter S. Jennison und William H. Kurth in ihrer im Auftrag der Organisation Amerikanischer Staaten erstellten Studie zur Situation des Buchhandels in Lateinamerika argumentierten:
12 Carlos A. de Diego: Breve resumen sobre la situación del libro en Panamá. In: América Latina. Acción del libro en los procesos de cambio. Band III. San José: Biblioteca del CEDAL 1974 (Materiales de Estudios. 75), keine Seitenzählung. 13 Vgl. die bibliographische Übersicht über laufende Nationalbibliographien in Lateinamerika bei Irene Zimmerman: Current National Bibliographies of Latin America. A State of the Art Study. Gainesville: Center for Latin American Studies, University of Florida 1971. 14 Vgl. zur Einführung der ISBN in Lateinamerika Kapitel 8.3 dieser Arbeit.
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But if these figures are used as indicators rather than as precise statements, they serve an illustrative purpose, and provide approximate quantitative information with respect to the nature and scope of book publication in the area.15
Betrachtet man unter dieser Prämisse die von der UNESCO dokumentierte Entwicklung der Titelproduktion, d. h. der pro Jahr in einem Land veröffentlichten Erst- und Neuauflagen (vgl. Tabelle 6), so lässt sich anhand der Zahlen die Bedeutung des argentinischen und mexikanischen Verlagswesens ablesen: Mitte der siebziger Jahre erschienen in beiden Ländern jeweils mehr als fünftausend Titel. Die mexikanische Verlagsindustrie konnte zwischen 1955 und 1975 ihr Produktionsniveau von 923 auf 5.822 Titel steigern, in Argentinien wuchs es im selben Zeitraum von 2.617 auf 5.141 Titel. Die für Argentinien und Mexiko relativ durchgängig vorliegenden Daten, die sich als ein konstantes Berichts- und Dokumentationswesen fassen lassen, deuten auf eine fortgeschrittene Professionalisierung des Buchhandels hin und untermauern, dass die mexikanische und argentinische Verlagswirtschaft in Hispanoamerika führend war. Im Vergleich zu Spanien hingegen, wo der Buchhandel sich nach dem Bürgerkrieg zunächst nur langsam erholte, dann in den sechziger Jahren allerdings rapide wuchs, mutet das Produktionsniveau des argentinischen und mexikanischen Buchhandels gering an: Erschienen 1955 in Spanien noch weniger als fünftausend Titel, waren es zwei Jahrzehnte später über 23.000. Damit wurden 1975 auf der Iberischen Halbinsel doppelt so viele spanischsprachige Titel auf den Markt gebracht als in Mexiko und Argentinien sowie deutlich mehr Titel, als im Verlauf des Jahres in allen hispanoamerikanischen Staaten insgesamt erschienen. Im Vergleich zu Mexiko und Argentinien wurden in den übrigen spanischsprachigen Staaten des Kontinents nur sehr wenige Titel verlegt, je nach Land schwankte die Titelproduktion zwischen weniger als hundert und knapp über eintausend: Während in Chile die Zahl der veröffentlichten Titel von 1.500 Anfang der sechziger Jahre stetig auf weniger als siebenhundert Mitte der nachfolgenden Dekade fiel, stieg die Produktionshöhe in Peru, Kolumbien sowie im sozialistischen Kuba konstant; sie betrug 1975 für die beiden Andenländer mehr als eintausend Titel, für die Karibikinsel mehr als achthundert. In den kleinen mittelamerikanischen Staaten Costa Rica, Guatemala und Panama wurden pro Jahr etwa zwischen einhundert und zweihundert Titel auf den Markt gebracht, die dortige Verlagsproduktion fiel damit weitaus höher aus als bei den zentralamerikanischen Nachbarn. Die teils fragmentarischen, teils starke Divergenzen aufweisenden Zahlen, die für Honduras und El Salvador sowie für die Dominikanische Republik vorliegen, deuten mit einem jährlichen Ausschuss von weniger als einhundert Titeln auf ein nur schwach entwickeltes Verlagswesen hin. 15 Peter S. Jennison/William H. Kurth: Books in the Americas. A Study of the Principal Barriers to the Booktrade in the Americas. Prepared for the American Book Publisher’s Council of the Organization of American States. Washington, D.C.: Pan American Union, General Secretariat, Organization of American States 1960 (Estudios bibliotecarios. 2), S. 20.
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
Tabelle 6: Titelproduktion in Lateinamerika, Portugal und Spanien zwischen 1955 und 1975.
Lateinamerika gesamt Argentinien Bolivien Brasilien Chile Costa Rica Dom. Republik Ecuador El Salvador Guatemala Honduras Kolumbien Kuba Mexiko Nicaragua Panama Paraguay Peru Portugal Spanien Uruguay Venezuela
1955
1960
1965
1970
1975
2.617
17.000 4.063
19.000 3.539
5.377 1.518 164 (1962)
4.975 (1964) 1.497 71 (1963)
22.000 4.627 104 6.392 (1969) 1.370 284 (1969) 39
17 (1966) 336 (1966)
39 (1969) 188 (1971)
709 724 4.851
995 (1969) 4.812
29.000 5.141 339 12.296 628 186 20 31 14 84 (1974) 30 (1974) 1.272 851 5.822
132
226
885 5.956 19.717
1.090 5.943 23.527 481
3.385
136 (1957)
104 130 438 623 923
165 (1961) 235 189 (1962) 394 1.964
22 772 4.754 4.812 65 538
653 6.646 6.085 266 (1961) 338 (1961)
927 5.639 17.342 141
Quelle: UNESCO Statistical Yearbook 1 (1963) – 18 (1980). Eigene Auswertung und Darstellung.
Gleiches gilt für Ecuador, für das 1975 eine Buchproduktion von lediglich 33 Titeln gemeldet wurde. Für Paraguay liegen im Zeitraum zwischen 1955 und 1975 überhaupt keine Zahlen vor, ein Sachverhalt, der vermuten lässt, dass in dem lateinamerikanischen Binnenland kaum Verlage tätig waren. Die Daten für Bolivien, Uruguay und Venezuela sind ebenfalls sehr lückenhaft und weisen, insbesondere im Fall von Uruguay, starke Schwankungen auf: Mit mehreren Hundert Titeln hatte die Verlagswirtschaft dieser Staaten ein Produktionsniveau, das im Vergleich zu ihren Nachbarn im unteren Mittelfeld angesiedelt war. Es greift selbstverständlich zu kurz und ist nur bedingt aussagekräftig, die Strukturen des herstellenden Buchhandels lediglich auf Basis der Titelproduktion abbilden und bemessen zu wollen: Eine umfassende Analyse der Leistungsbilanzen der Verlagswirtschaft in den hispanoamerikanischen Staaten erfordert sowohl die Berücksichtigung von Auflagenzahlen und Umsätzen als auch die Inbezugsetzung zur Größe des jeweiligen Landes.16 Allerdings existieren Statistiken zu Auflagen und Um16 Es mutet unmittelbar einsichtig an, dass die Produktionshöhe des herstellenden Buchhandels in bevölkerungsreichen Ländern wie Brasilien oder Mexiko mit der in kleinen Staaten wie Honduras oder Paraguay nicht überzeugend absolut miteinander vergleichen werden kann: Je größer der Markt, desto wahrscheinlich ist ein absolut betrachtet differenzierteres, umfangreicheres Titelangebot.
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sätzen für den hier betrachteten Zeitraum entweder gar nicht oder sind, in den seltenen Fällen, in denen sie vorliegen, noch fragmentarischer und inkonsistenter als die Daten zur Titelproduktion und damit in eine quantitative Analyse kaum sinnvoll integrierbar. Um die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus des Buchhandels in der Region zu verdeutlichen, wurden in mehreren, in den siebziger Jahren angefertigten Analysen die Buchmärkte der hispanoamerikanischen Staaten drei Kategorien zugeteilt.17 Eine derartige Klassifizierung lag auch der Studie zugrunde, die der langjährige Berater des CERLALC, Alberto Augsburger, im Auftrag der UNESCO für den 1982 in London ausgerichteten World Congress on Books erstellte: Countries such as Argentina [. . .] and Mexico have highly developed book industries whose output is, comparatively speaking, satisfactory in quantitative and qualitative terms. A larger group of countries, such as Colombia, Chile, Cuba, Peru, Uruguay and Venezuela, make small contribution to the overall publishing output in the region. They are followed by the other countries in which, according to the statistics, very little publishing is done.18
Diese auf der jährlichen Titelproduktion gegründete Rangordnung der buchhändlerischen Verhältnisse, in der Argentinien und Mexiko in den vorderen Positionen um die Auszeichnung zum führenden Buchproduzenten Hispanoamerikas konkurrierten, während Kolumbien, Chile, Kuba, Peru, Uruguay und Venezuela im buchhändlerischen Mittelfeld agierten und der Rest ohne nennenswerte eigene Buchproduktion im Abseits zu stehen schien, stellt sich ebenfalls ein, wenn man die Anzahl der in den jeweiligen Ländern ansässigen Verlage betrachtet (vgl. Tabelle 7), die in den drei regionalen, von der Organisation Amerikanischer Staaten 1958 und der Südamerika-Filiale des US-amerikanischen Bowker-Verlages 1968 und 1974 herausgegebenen Adressbüchern des lateinamerikanischen Buchhandels erfasst sind: Für die Buchhandelsnationen Argentinien und Mexiko sind in den jeweiligen Adressbüchern mehr als einhundert Verlage aufgeführt, für die buchproduktionsmäßig im Mittelfeld agierenden Staaten jeweils zwischen zwanzig und dreißig; für die hispanoamerikanischen Staaten ohne eigene größere Buchproduktion sind nur wenige, häufig deutlich weniger als zehn Verlage verzeichnet. Wenn man auch davon ausgehen
17 Vgl. Problemática del desarrollo integrado de la industria editorial. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 25 (1980), S. 5–7, hier S. 5; La Edición en América Latina. Informe sobre la actividad editorial y bases para una encuesta sobre aspectos vinculados con la producción y la circulación de libros en la región. Unveröffentliches Typoskript, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E2–23); Informe preliminar sobre la situación actual del libro en América Latina, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–008); Inventario de necesidades de algunos países en desarrollo en materia de obras impresas y audiovisuales. Encuesta realizada sobre los Estados de América Latina y El Caribe. In: Noticias sobre el libro 39/40 (1983), S. 5–8. 18 Alberto E. Augsburger: The Latin American Book Market. Problems and Prospects. Paris: UNESCO 1981 (Studies on Books and Reading. 2), S. 37.
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Tabelle 7: Anzahl der Verlage in Lateinamerika, Mitte der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre.
Argentinien Bolivien Brasilien Chile Costa Rica Dom. Republik Ecuador El Salvador Guatemala Honduras Kolumbien Kuba Mexiko Nicaragua Panama Paraguay Peru Puerto Rico Uruguay Venezuela
1958
1968
1974
180 18 176 25 8 13 20 5 10 5 77 35 142 10 10 5 27 4 25 39
121 5 80 13 8 4 7 1 5 1 23
185 11 101 13 9 4 4 2 4 1 17
103 3 4 5 18 7 21 11
91 1 7 4 32 8 22 18
Quellen: Directorio de Librerias y Casas Editoriales en América Latina. 6. Auflage. Washington, D.C.: Unión Panamericana, Secretaría General de la Organización de los Estados Americanos 1958 (Bibliographic Series 2. Part 3); La empresa del libro en América Latina. Una guía seleccionada de las editoriales, distribuidores, y librerías en América Latina. Buenos Aires: Bowker Ediciones 1968 und 1974. Eigene Auswertung und Darstellung.
muss, dass in den Adressbüchern insbesondere kleine Verlage nicht erfasst sind und ferner Buchhandlungen, Druckereien und öffentliche Einrichtungen, die im geringen Umfang Bücher herausgaben, nicht als Verlage aufgelistet wurden, mithin ein auf den Adressbüchern basierender statistischer Überblick nicht vollständig ist, bestätigt dieser doch den Eindruck von deutlich unterschiedlich ausgeprägten Entwicklungsniveaus im Verlagswesen der Region. So markant die Unterschiede zwischen den Buchproduktionsverhältnissen in den einzelnen hispanoamerikanischen Ländern auch ausfielen, der Kontrast zur einstigen Kolonialmacht war deutlich größer: In Spanien waren Anfang der siebziger Jahre etwas mehr als neunhundert Verlage tätig, eine Tatsache, die die machtvolle Position des iberischen Buchhandels auf dem spanischsprachigen Gesamtbuchmarkt und damit auch in Hispanoamerika erneut unterstreicht.19
19 Vgl. Fernando Cendán Pazos: Edición y comercio del libro español (1900–1972). Madrid: Editora Nacional 1972, S. 112.
Strukturen des Buchhandels in Lateinamerika
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Der hohe Anteil an Büchern, die außerhalb des Kontinents produziert und dann in Lateinamerika abgesetzt wurden, ist konstitutives Merkmal der Buchhandelsgeschichte dieser Region und in engem Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit zu sehen: Während der Kolonialherrschaft diente das Buch der Festigung der politischen und ideologischen Macht Spaniens, der Christianisierung und Konversion der indigenen Bevölkerung sowie der Bildung und Ausbildung europäischer Einwanderer. Der Zugang zum Buch war über Jahrhunderte stark reglementiert. Die Buchproduktion in den Kolonien – 1539 wurde in Mexiko die erste Druckerpresse in Betrieb genommen, eine zweite folgte 1581 in Peru – war äußerst beschränkt und umfasste vor allem religiöse Traktate sowie amtliche Schriften. Die übrigen, aus Spanien importierten Bücher unterlagen einem strengen Zensursystem, das allerdings immer wieder umgangen wurde.20 Während im Verlauf der Unabhängigkeitskriege und in den nachfolgenden Dekaden des 19. Jahrhunderts die periodische Presse einen bedeutenden Aufschwung erfuhr, blieb der Buchhandel weitgehend fremdbestimmt: Ein Verlagswesen konnte sich in den jungen hispanoamerikanischen Staaten nur bedingt entwickeln, der Buchhandel wurde im 19. Jahrhundert und auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend durch Importe aus Europa und den USA bestritten: Neben spanischen Verlagshäusern lieferten vor allem französische, aber auch britische, deutsche und US-amerikanische Buchhandelsfirmen ihre Produkte teils in extra angefertigten Übersetzungen, teils in der Originalsprache nach Lateinamerika.21
20 Eine ausführliche Darstellung der kolonialen Buchhandelsgeschichte ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Interessierte Leser seien verwiesen auf den Forschungsüberblick bei: Hortensia Calvo: Latin America. In: A Companion to the History of the Book. Hrsg. von Simon Eliot und Jonathan Rose. 1. Auflage. Malden, Oxford: Blackwell Publishing 2007 (Blackwell Companions to Literature and Culture. 48), S. 138–152. 21 Vgl. zur Bedeutung des spanischen Buchhandels in Lateinamerika vor 1936: Ana Martínez Rus: La industria editorial española ante los mercados americanos del libro 1892–1936. In: Hispania. Revista española de historia 62 (2002), H. 3, S. 1021–1058; dies.: La política del libro, S. 337–421. Vgl. ebenso die Erinnerungen des spanischen Buchhändlers Joaquín de Oteyza, der in den zwanziger und dreißiger Jahren als Verlagsvertreter durch Lateinamerika reiste: Alfonso Mangada/Jesús Pol: Libreros y editores (1920–1960). Joaquín de Oteyza. Biografía de un empresario del libro. Madrid: Editorial Paraninfo 1997. Bereits im 19. Jahrhundert hatten teils aus kommerziellen Motiven, teils aus kulturellen Bestrebungen heraus französische, britische und deutsche Verlagshäuser spanischsprachige Titel produziert und exportiert. Vgl. die sehr inspirierenden Studien von: Eugenia Roldán Vera: The British Book Trade and Spanish American Independence. Education and Knowledge Transmission in Transcontinental Perspective. Hampshire, Burlington: Ashgate 2003; und: Álvaro Ceballos Viro: Ediciones alemanas en español (1850–1900). Madrid, Frankfurt/Main: Iberoamericana, Vervuert Verlag 2009 (Ediciones de Iberoamericana, Serie A: Historia y crítica de la literatura. 45). Vgl. zur Dominanz französischer Verlagshäuser einführend: Pura Fernández: El monopolio del mercado internacional de impresos en castellano en el siglo XIX. Francia y España y la »ruta« de Hispanoamérica. In: Bulletin Hispanique 100 (1998), H. 1, S. 165–190.
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In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begannen sich die Kräfteverhältnisse auf den hispanoamerikanischen Märkten zugunsten des in Argentinien und Mexiko verlegten Buches zu ändern. Nachdem bereits während der Weltwirtschaftskrise aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten einiger lateinamerikanischer Länder die Bucheinfuhren aus Europa zurückgegangen waren, führte der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges sowie des Zweiten Weltkrieges zu einem fast vollständigen Erliegen des transatlantischen Buchhandels: Die hispanoamerikanischen Staaten waren erstmals auf buchhändlerische Selbstversorgung angewiesen. Die Lücke, die mit dem Ausfall der europäischen Einfuhren entstand, wurde insbesondere von Argentinien, Chile und Mexiko gefüllt. Diese drei Länder verfügten nicht nur über eine relativ große Binnennachfrage nach Büchern, sondern vor allem auch über eine vergleichsweise solide Verlags- und Druckindustrie, die zusammen eine gute Grundlage darstellten, um den drastischen Rückgang der Buchlieferungen aus Spanien zu kompensieren. Zusätzlich begünstigte die Emigration spanischer Bürgerkriegsflüchtlinge nach Lateinamerika den Modernisierungs- und Wachstumsprozess des Buchhandels: Sie gründeten vor allem in Argentinien und Mexiko Verlage oder stellten ihr Fachwissen bereits existierenden Buchhandelsfirmen zur Verfügung.22 Argentinien und Mexiko: Führende Buchhandelsnationen in Hispanoamerika Die Bilanz des argentinischen Buchhandels23 in den dreißiger und vierziger Jahren, jenen zwei Dekaden, die in der nationalen Buchhandelsgeschichte häufig als goldenes Zeitalter bezeichnet werden, liest sich beeindruckend: Erschienen 1937 noch
22 Der Beitrag des spanischen Exils zur Professionalisierung der lateinamerikanischen Buchbranche ist vielfach gewürdigt worden, vgl. u. a.: Fernando Larraz: Una historia transatlántica del libro. Relaciones editoriales entre España y América latina (1936–1950). Gijón: Ediciones Trea 2010. Un viaje de ida y vuelta. La edición española e iberoamericana (1936–1975). Hrsg. von Antonio Lago Carballo und Nicanor Gómez Villegas. Madrid: Siruela 2006 (El Ojo del Tiempo. 9); El exilio español y el mundo de los libros. Hrsg. von Armida de La González Vara und Álvaro Matute. Guadalajara: Universidad de Guadalajara 2002. Einen guten Überblick gibt die schon ältere Darstellung von: Laurence Hallewell: The Impact of the Spanish Civil War on Latin American Publishing. In: Intellectual Migrations: Transcultural Contributions of European and Latin American Emigres. Papers of the Thirty-First Annual Meeting of the Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. Ibero-Amerikanisches Institut Preussischer Kulturbesitz, Berlin, Federal Republic of Germany, April 20–25, 1986. Hrsg. von Iliana L. Sonntag. Madison: SALALM Secretariat, Memorial Library, University of Wisconsin 1987 (Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. 31), S. 139–150. 23 Falls nicht anders angegeben, basiert die komprimierte Darstellung der Entwicklung des argentinischen Buchhandels auf: Eustasio Antonio García: Historia de la empresa editorial en Argentina. Siglo XX. In: Historia de las empresas editoriales de América Latina siglo XX. Hrsg. von Juan Gustavo Cobo Borda. Bogotá: CERLALC 2000, S. 15–104; Leandro de Sagastizábal: La edición de libros en la Argentina. Una empresa de cultura. Buenos Aires: Editorial Universitaria de Buenos Aires 1995; Diego (Hrsg.): Editores y políticas editoriales en Argentina. Herangezogen wurden ferner die folgenden zeitgenössischen Analysen: Raúl H. Bottaro: La edición de libros en Argentina. Buenos Aires: Troquel 1964; Eustasio Antonio García: Desarrollo de la industria editorial argentina. Buenos Aires:
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817 Titel, verdoppelte sich die Verlagsproduktion im darauf folgenden Jahr auf 1.736 Titel. Im selben Zeitraum stieg die Auflage von 2,8 Millionen Exemplare auf knapp sieben Millionen an. 1944 erreichte die Titelproduktion mit 5.323 Titeln einen Höchststand, der über dreißig Jahre unerreicht bleiben sollte.24 Der enorme Anstieg in der Produktion korrespondierte mit wachsenden Buchausfuhren: Wurden 1936 lediglich 48.000 Exemplare exportiert, waren es zehn Jahre später über 24 Millionen.25 Argentinien war somit innerhalb einer Dekade nicht nur zum führenden Buchproduzenten, sondern auch zum bedeutendsten Buchlieferanten der spanischsprachigen Welt avanciert. Die vorwiegend literarisch ausgerichteten Verlagshäuser Emecé, Sudamericana, Losada und die argentinische Niederlassung des spanischen Verlages Espasa Calpe mit der 1938 gegründeten, preisgünstigen Taschenbuchreihe Colección Austral waren über die Grenzen der Region hinaus berühmt.26 Die Expansion des argentinischen Buches in Lateinamerika ging einher mit der Eröffnung von Filialen und Vertriebsniederlassungen in den wichtigsten Metropolen des Kontinents sowie mit einer wachsenden Bedeutung von distribuidoras, Grossisten und Zwischenbuchhändlern, die den kontinentalen Vertrieb organisierten. Mitte der fünfziger Jahre begann sich abzuzeichnen, dass der argentinische Buchhandel seine fast monopolartige Stellung auf den Buchmärkten Hispanoamerikas nicht würde halten können. Der Anteil der Buchausfuhren an der Gesamtproduktion sank: Waren im Jahre 1947 etwa achtzig Prozent der Bücher für ausländische Märkte bestimmt, waren es 1955 nur noch etwa vierzig Prozent.27 Das Exportgeschäft ging auch deswegen zurück, weil mit dem Wiedererstarken des spanischen und des an Bedeutung gewinnenden mexikanischen Buchhandels die Konkurrenz für das argentinische Buch auf den hispanoamerikanischen Absatzmärkten wuchs. Die aufgrund von beträchtlichen Importzöllen auf Papier und einer veralteten Druckindustrie ge-
Fundación Interamericana de Bibliotecología Franklin 1965; Pierre Lagarde: La politique de l’édition du livre en Argentine. Toulouse: Service de Publications de l’Université de Toulouse-Le-Mirail 1981 (Série A. 15). 24 Die Angaben beruhen auf der statistischen Beschreibung der argentinischen Verlagsproduktion zwischen 1900 und 1998, die Eustasio García vorgelegt hat. Basis seiner Berechnungen ist das 1933 eingeführte Pflichtexemplarrecht (Registro Nacional de la Propiedad Intelectual) sowie die ab 1982 erstellten nationalen ISBN-Statistiken. Vgl. die tabellarische Darstellung 1 in: García: Historia de la empresa editorial, S. 94–95. 25 Vgl. ebd., S. 98–99. 26 Wissenschaftliche Arbeiten über die Geschichte dieser bedeutenden literarischen Verlagshäuser liegen bis dato nicht vor. Allerdings gibt ein schmaler, in der Reihe El aporte de los editores españoles en el Río de la Plata publizierter Band einen ersten Überblick über die Entwicklung von Sudamericana. Vgl. Gloria López Llovet: Sudamericana. Antonio López Llausás, un editor con los pies en la tierra. Buenos Aires: Editorial Dunken 2004 (El aporte de los editores españoles en el Río de la Plata). Siehe auch die Festschrift: La Editorial Losada. Una historia abierta desde 1938. Buenos Aires: Editorial Losada 2010. 27 Eigene Berechnungen nach García: Historia de la empresa editorial, S. 94–99.
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stiegenen Herstellungskosten sowie hohe Transportkosten verringerten zusätzlich die regionale Wettbewerbsfähigkeit des argentinischen Buches. Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse in einigen lateinamerikanischen Nachbarstaaten und die dadurch verursachten Zahlungsschwierigkeiten und Devisenknappheiten wirkten sich zudem negativ auf die argentinischen Buchausfuhren aus. Staatliche Exportkontrollen und -restriktionen belasteten den Buchaußenhandel. Zu Beginn der sechziger Jahre befand sich – glaubt man den buchhändlerischen Klagen dieser Zeit – die argentinische Verlagswirtschaft in einer massiven (Export-) Krise.28 Neben Rückgängen bei den Buchausfuhren wurde die Verlagsarbeit durch die wirtschaftliche Situation des Landes, insbesondere durch die teilweise galoppierende Inflation erschwert. Devisenknappheiten machten den Erwerb von Lizenzen und die Zahlung ausländischer Autorenhonorare zeitweise unmöglich. Vor diesem Hintergrund forderte die Buchbranche vor allem durch ihre Standesvertretung, die 1938 gegründete Cámara del Libro Argentino29 , staatliche Unterstützung und eine nationale Politik für den Buchhandel. Der Regierung wurde insbesondere angelastet, die nationale Papierindustrie durch protektionistische Maßnahmen zu schützen und die Papierpreise durch Importzölle in die Höhe zu treiben.30 Auch das Fehlen einer staatlichen Exportförderung für Verlagserzeugnisse wurde bemängelt. Obgleich die Entwürfe für eine nationale Gesetzgebung zur Förderung des Buches in den sechziger Jahren nicht umgesetzt wurden, zeigten die Bemühungen der Branche um eine Verbesserung der Exportbedingungen 1964 erste Früchte: Nach einem Abkommen mit der staatlichen Fluggesellschaft profitierte der Buchversand ins Ausland von günstigen Tarifen, der Buchexport sollte – wie der Slogan der Kampagne »Póngase alas a los libros« verhieß – beflügelt werden.31 Trotz zunehmender Importe – insbesondere aus Spanien und den USA wurde wissenschaftliche Literatur eingeführt – und trotz immenser Schwierigkeiten im Buchexport war die buchhändlerische Außenhandelsbilanz Argentiniens in den sechziger Jahren immer noch positiv. Allerdings wurden zu Beginn des nachfolgenden Jahrzehnts die Probleme auf dem argentinischen Buchmarkt auch aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage, in die das Land geraten war, immer größer: Die im Herbst 1971 eingeführten Zölle für Bucheinfuhren nach Argentinien und die Festlegung von ungünstigen Wechselkursen für den Buchimport bedeuteten nicht nur eine Aussetzung des Prinzips der freien Zirkulation von Büchern, sondern gefährdeten nach Ansicht der argentinischen Buchbranche auch im erheblichen Maße das
28 Vgl. exemplarisch den Leitartikel: Libro en Crisis, Cultura en Crisis. In: Biblos 111 (1963), S. 1–2. 29 Weitere buchhändlerische Vereinigungen sind die 1958 gegründete Cámara Argentina de Editoriales Técnicas sowie die 1970 gegründete Cámara Argentina de Publicaciones. 30 Vgl. exemplarisch: Encarecer el papel es matar muchas cosas. In: Biblos 108 (1962), S. 1; sowie: Papeleros y libros argentinos. In: Biblos 111 (1963), S. 8–9. 31 Vgl. Lagarde: Politique de l’édition, S. 50.
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Exportgeschäft, da davon ausgegangen werden musste, dass andere lateinamerikanische Staaten den protektionistischen Maßnahmen Argentiniens mit ähnlichen Bestimmungen begegnen und den Export argentinischer Verlagsprodukte somit erschweren könnten.32 Weiterhin belasteten hohe Papierpreise die Buchproduktion; zu einer veritablen Krise führte 1973 der Anstieg der Preise für Papier um 120 bis 150 Prozent.33 Die Verabschiedung des Ley del Libro Ende 1973, einer der ersten umfangreichen gesetzlichen Regelungen Lateinamerikas, in der die Förderung des Buches als zentrales, nationales Interesse deklariert wurde und der Buchbranche unter anderem verbesserte Kreditbedingungen in Aussicht gestellt wurden, ließ die argentinische Buchbranche auf eine Verbesserung der Export- und Produktionsbedingungen hoffen. Die von der Buchbranche rhetorisch deutlich zur Schau gestellten Symptome einer buchhändlerischen Krise dürfen indes nicht darüber hinweg täuschen, dass der wachsende nationale Markt ein relativ großes Absatzgebiet für die Verlagsproduktion darstellte und die rücklaufenden Ausfuhren ins Ausland jedenfalls teilweise kompensieren konnte.34 Zwar war die Zeit des rasanten Aufschwungs vorbei, aber die Jahresproduktion, die zwischen 2.530 (1955) und 5.096 Titeln (1976) schwankte und eine Gesamtauflage von fünfzehn bis fünfzig Millionen Exemplaren hatte, zeugt nicht nur von einer Phase relativer Stabilität und Konsolidierung, sondern auch von einem gut entwickelten Binnenmarkt. Eine der geringsten Analphabetenquoten Lateinamerikas und ein im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Staaten gut ausgebautes Bildungssystem sorgten für eine steigende Nachfrage nach der Ware Buch. Auch wenn für die Zeit der sechziger und siebziger Jahre keine Umsatzstatistiken für den argentinischen Buchhandel vorliegen und auch die Buchmarkt- und Leserforschung zu diesem Zeitpunkt noch nicht institutionalisiert war, deuten die Indikatoren doch auf ein vergleichsweise großes Lesepublikum hin. Es entsprach allerdings auch dem argentinischen Duktus und Selbstverständnis als Hort des südamerikanischen Geisteslebens, sich als Leseland zu sehen und entsprechend zu inszenieren:
32 Die spanische Branchenzeitschrift El libro español stellte die Kritik der argentinischen Buchbranche an der Aufkündigung des Prinzips der freien Zirkulation von Büchern wie folgt dar: »Desde luego, a ninguna persona dotada de una razonable dosis de sentido común puede pasársele por la cabeza que tan descabelladas medidas han de redundar el beneficio de la industria editorial local. En todo caso, no es a ese precio que los editores argentinos piden apoyo al Estado. Por lo pronto, a la ya nada próspera economía del país, donde la inflación correo más veloz que los aumentos de salarios, no tardará en sumarse ahora otro deterioro: el principio de reciprocidad de trato de los países afectados, el que hará aún más difícil la ya nada fácil colación del libro argentino en el exterior.« Crecientes trabas y gravámenes a la importación de libros. In: El libro español XV (1972), H. 171, S. 152–155, hier S. 153. 33 Vgl. Lagarde: Politique de l’édition, S. 115. 34 Vgl. Amelia Aguado: 1956–1975. La consolidación del mercado interno. In: Editores y políticas editoriales en Argentina, 1880–2000. Hrsg. von José Luis de Diego. Buenos Aires: Fondo de Cultura Económica 2006 (Libros sobre libros), S. 125–162, hier S. 158.
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Ueber die Zahl der Bücher, die in Buenos Aires gelesen werden, können wir uns vielleicht kein genaues Urteil bilden [. . .] Aber die Bücher selbst beweisen, daß eine dauernde, starke Nachfrage besteht, denn die Auflagen werden vergriffen, fast alle Leute sind über die Neuerscheinungen auf dem Laufenden und über Bücher und Autoren wird viel gesprochen. Es ist daher anzunehmen, daß in Buenos Aires viel [. . .] gelesen wird [. . .] Auf der populärsten Straße im Zentrum von Buenos Aires, der Corrientes, befinden sich die Gelegenheitsbuchhandlungen, die Tag und Nacht geöffnet sind. Nach den Abendvorstellungen besuchen dichte Scharen diese Lokale ebenso traditionsgemäß wie die Restaurants, in denen die klassische mitternächtliche Hühnersuppe serviert wird.35
Mit dem Aufschwung des argentinischen Buchhandels schritt auch dessen Professionalisierung voran: Bereits 1943 wurde in Buenos Aires die erste Buchhändlerschule Lateinamerikas eröffnet, die allerdings kurz danach wieder einging. Die von der Cámara del Libro herausgegebene Zeitschrift Biblos unterstützte die Branchenkommunikation. 1975 wurde in Buenos Aires erstmals eine Buchmesse ausgerichtet, die nicht nur national orientiert war, sondern eine internationale, zumindest aber regionale Ausstrahlung aufwies und den Anspruch Argentiniens unterstrich, führende Buchhandelsnation Lateinamerikas zu sein.36 Im Vergleich zu Argentinien wuchs der mexikanische Buchmarkt37 in den dreißiger und vierziger Jahren weniger fulminant, aber dennoch kontinuierlich: Wurde die Produktion im Jahr 1930 auf etwa fünfhundert Titel geschätzt, so sollen laut Angaben der mexikanischen Verlagsbranche 1945 bereits etwa 1.800 Titel erschienen sein. Urheberrechtlich registriert wurden in diesem Jahr allerdings nur 367 Bücher.38 Die Diskrepanz in den Daten ist zum einen auf unzureichende und fehlerhafte Buchhandelsstatistiken zurückzuführen, zum anderen weist sie deutlich darauf hin, dass die mexikanische Verlagsproduktion in den Kriegsjahren zu einem nicht unerheblichen Teil auf unrechtmäßigen Nachdrucken beruhte. Der Ausfall der Bucheinfuhren aus Spanien und Frankreich und die langen Lieferzeiten für Bücher aus Argentinien veranlassten zahlreiche Verlage dazu, Bücher unautorisiert, d. h. ohne vorherigen Lizenzer-
35 David Almirón: Das Buch in Argentinien. In: Boletín de la Cámara de Comercio Argentino-Alemana 1956, S. 396–403, hier S. 402. 36 Vgl. exemplarisch: C. Duelo Cavero: La Argentina tiene ya su festival del libro. In: El libro español XVIII (1975), H. 210, S. 253–258. Bereits 1943 fand in Buenos Aires eine erste nationale Buchmesse statt. 37 Die Darstellung der Entwicklung des mexikanischen Buchhandels orientiert sich, wenn nicht anders angegeben, an: Historia de la lectura en México. Mexiko-Stadt: El Colegio de México 1997; Eduardo Mejía: La industria editorial en México, obra de personas más que de instituciones. In: Historia de las empresas editoriales de América Latina siglo XX. Hrsg. von Juan Gustavo Cobo Borda. Bogotá: CERLALC 2000, S. 207–238. Einbezogen wurden ebenfalls die zeitgenössischen Untersuchungen von: Fernando Peñalosa: The Mexican Book Industry. New York: The Scarecrow Press 1957; Jean Rose: Rapport sur l’industrie du livre au Mexique. Mexiko-Stadt: Instituto Francés de América Latina, Departamento de Investigación y Documentación 1971. 38 Vgl. Peñalosa: Mexican Book Industry, S. 135–137.
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werb, auf den Markt zu bringen, um so die Nachfrage nach insbesondere technischer und wissenschaftlicher Literatur zu befriedigen.39 Aber auch jenseits des Nachdrucks prosperierte die mexikanische Verlagswirtschaft, so bauten zum Beispiel die traditionsreichen Buchhandlungen Porrúa und Botas ihre Verlagsprogramme aus und die auf populäre Lesestoffe, insbesondere historietas (Comics) spezialisierten Firmen florierten. Charakteristisch für die mexikanische Verlagslandschaft war die aktive Rolle des Staates.40 Insbesondere die Secretaría de Educación Pública, das mexikanische Bildungsministerium, war seit ihrer Gründung im Jahr 1921 verlegerisch tätig. Das Bestreben, die Bildungschancen der armen Bevölkerungsteile durch die Herausgabe preiswerter, teils literarischer, teils didaktischer Lesestoffe zu verbessern, spiegelte sich unter anderem in der vom späteren UNESCO-Generaldirektor Torres Bodet konzipierten Reihe Biblioteca Enciclopédica Popular wider, deren Bände ab 1944 wöchentlich in großen Auflagen erschienen.41 Zu den Aufgaben des Ministeriums zählte ferner auch die Publikation von Alphabetisierungsmaterialien, zunehmend auch in indigenen Sprachen bzw. bilingualen Ausgaben. Zu Beginn der sechziger Jahre wurde innerhalb des Bildungsministeriums die Comisión Nacional del Libro de Texto Gratuito geschaffen, die für Konzeption, Herstellung und Vertrieb aller Lehrbücher für den Primarschulbereich zuständig war. Nachdem Pläne zu einer umfassenden Reform des Schulbuchwesens schon in den vierziger Jahren diskutiert worden waren, hatte Präsident López Mateos 1959 dessen Verstaatlichung angeordnet: Das in der mexikanischen Verfassung verankerte Recht auf freien Zugang zur Bildung umfasse, so die Argumentation der staatlichen Instanzen, auch Schulbücher; da privatwirtschaftliche Verlage aber deren Produktion nicht in ausreichender Qualität und Menge sowie zu akzeptablen Preisen gewährleisten könnten, werde die Schulbuchproduktion staatlichen Stellen übertragen, welche jeweils ein einziges Schulbuch pro Fach und pro Klasse erarbeiten, produzieren und jedem Schüler kostenlos zur Verfügung stellen sollten (texto único). Nach Ansicht des mexikanischen Bildungsministeriums mussten die wirtschaftlichen Interessen der Privatverlage hinter den Interessen des Gemeinwohls zurücktreten: »[S]i bien es legítimo y plausible que la industria editorial busque la ganancia lícita de sus activi-
39 Bekannte Nachdrucker waren die Verlagshäuser Diana und Nacional. Vgl. ebd., S. 59–63, sowie: Walter Bara: Piracy and Other Problems That Beset the Latin American Book Trade. In: Publishers’ Weekly vom 27.8.1949, S. 808–811. 40 Vgl. zur Rolle des Staates auf dem mexikanischen Buchmarkt: Antonio Carillo Flores: El estado y la industria editorial con referencia especial a México. In: Cuadernos Americanos (1972), H. 181, S. 110–124. 41 Vgl. Antonio Acevedo Escobedo: El Desarrollo Editorial. In: México. Cincuenta Años de Revolución. Mexiko-Stadt: Fondo de Cultura Económica 1963, S. 468–473, hier insbesondere S. 470. Vgl. zur verlegerischen Tätigkeit der Secretaría de Educación Pública ausführlich: Engracia Loyo: Lectura para el pueblo, 1921–1940. In: Historia mexicana 33 (1984), H. 3, S. 298–345.
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dades, es notorio que tal provecho puede y debe reducirse a límites mínimos cuando se trate de las obras esenciales para la educación popular.«42 Die Verstaatlichung der Schulbuchproduktion, die auch auf eine Stärkung der nationalen Einheit zielte, sorgte für heftige Kontroversen innerhalb der mexikanischen Gesellschaft. Während vor allem Lehrergewerkschaften und die katholische Kirche die Nationalisierung des Schulbuches als einen Eingriff in die Freiheit der Lehre und als Politisierung der Bildung deuteten, fürchtete die mexikanische Verlagswirtschaft mit dem Wegfall ihres größten und profitabelsten Sektors um ihre Existenz.43 Diese Sorge schien – blickt man auf die Entwicklung des mexikanischen Buchmarktes in den sechziger Jahren – unbegründet: Erstens wurde der Markt für Lehrbücher für weiterführende Schulen und Universitäten weiterhin von privatwirtschaftlichen Verlagen bedient; zweitens bildeten eine prosperierende Wirtschaft, eine geringe Inflation und das sich durch das expandierende Bildungswesen ausweitende Lesepublikum gute Grundlagen für Wachstum und Ausdifferenzierung der Verlagslandschaft: 1962 wurde mit Joaquín Mortiz ein Verlag literarischer Ausrichtung gegründet, der in der Tradition des Kulturverlegers stehend vor allem zeitgenössischen mexikanischen Schriftstellern eine publizistische Heimat bot und Werke des lateinamerikanischen booms veröffentlichte.44 Die Verlage Era (gegründet 1960) und Siglo XXI (gegründet 1966)45 führten zwar auch literarische Titel in ihrem Verlagskatalog, ihr Schwerpunkt lag allerdings auf Schriften zu Politik und Geschichte (Era) bzw. sozialwissenschaftlichen Publikationen (Siglo XXI). Der Fondo de Cultura Económica, 1934 von einer Gruppe junger Intellektueller um Daniel Cosío Villegas mit dem Ziel ins Leben gerufen, den mexikanischen Studenten der Wirtschaftswissenschaften preisgünstige Lehrbücher in passabler Übersetzung zur Verfügung zu stellen, war in den sechziger Jahren längst zum größten mexikanischen Verlag avanciert: Niederlassungen in Buenos Aires, Santiago de Chile, Bogotá und Madrid zeugten von seiner Bedeutung und seinem enormen Ansehen in der spanischsprachigen Welt. Staatlich subventioniert und auch staatlich gesteuert, hatte das bedeutendste Verlagshaus Mexikos schon in den dreißiger Jahren sein verlegerisches Portfolio um Soziologie, Geschichte, Pädagogik, Naturwissenschaften und
42 Ernesto Enriquez: La actividad editorial frente al provecho colectivo. In: El libro y el pueblo 13 (1964), S. 10–11. 43 Vgl. zur Verstaatlichung des Schulbuchwesens in Mexiko die Analyse der Weltbank: Peter H. Neumann/Maureen A. Cunningham: Mexico’s Free Textbooks. Nationalism and the Urgency to Educate. Washington, D.C.: World Bank 1982 (World Bank Staff Working Papers. 541). Für die mexikanische Perspektive siehe: Lorenza Villa Lever: Los libros de texto gratuitos. La disputa por la educación en México. Guadalajara: Universidad de Guadalajara 1988. 44 Vgl. Danny J. Anderson: Creating Cultural Prestige. Editorial Joaquín Mortiz. In: Latin American Research Review 31 (1996), H. 2, S. 3–41. 45 Siglo XXI wurde vom ehemaligen Verlagsleiter des Fondo de Cultura Económica, Arnaldo Orfila Reynal, gegründet. Vgl.: Carlos E. Díaz/Alejandro Dujovne: »Todo está en el catálogo«. Notas sobre Arnaldo Orfila Reynal y Siglo XXI Editores. In: La Biblioteca 4/5 (2006), S. 490–498.
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Literatur erweitert.46 Neben dem Fondo de Cultura Económica waren im geistes- und sozialwissenschaftlichen Publikationswesen die ebenfalls durch öffentliche Gelder finanzierten Universitätsverlage von Einfluss, insbesondere der Verlag der Universidad Nacional Autónoma de México. Trotz des Wachstums der einheimischen Verlagsproduktion war der mexikanische Buchhandel importabhängig. Während aus Spanien, Argentinien und den USA mehr Bücher ein- als dorthin ausgeführt wurden, bestand im Buchhandel mit den übrigen Ländern Zentral- und Südamerikas ein Exportüberschuss. Obwohl die Buchausfuhren in den sechziger Jahren weiter zunahmen, blieb die Buchhandelsaußenbilanz negativ. Als der Beitrag des Buchhandels zum Außenhandelsdefizit Anfang der folgenden Dekade weiter wuchs, verstärkte sich innerhalb der mexikanischen Buchbranche die Diskussion über die Einführung protektionistischer Maßnahmen zum Schutz des der nationalen Verlagswirtschaft. Die Überlegungen zielten auf eine quantitative Begrenzung der Bucheinfuhren: Sobald mehr als 1.500 Exemplare eines Titels nach Mexiko exportiert würden, sollte der exportierende Verlag gesetzlich gezwungen werden, den entsprechenden Titel in Mexiko zu produzieren oder eine Lizenz an eine Buchhandelsfirma zu verkaufen. Während insbesondere die 1964 gegründete mexikanische Verlegervereinigung (Cámara Nacional de la Industria Editorial de México, CANIEM) die Einführung einer Importquote propagierte und diese als notwendige Maßnahme zum Schutz der nationalen Kultur vor der Invasion ausländischen Gedankenguts darstellte47 , erhoben sich innerhalb der mexikanischen Buchbranche Gegenstimmen, welche die geplanten Schritte als unzulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit und des Prinzips der freien Zirkulation von Büchern deu-
46 Vgl. zur Geschichte des Fondo de Cultura Económica die Festschrift: Libro Conmemorativo del 45 Aniversario Fondo de Cultura Económica. Mexiko-Stadt: Fondo de Cultura Económica 1980. Vgl. ebenso: Gustavo Sorá: Édition et politique. La guerre froide dans la culture latino-américaine des années 1960. In: La diplomatie par le livre. Réseaux et circulation internationale de l’imprimé de 1880 à nos jours. Hrsg. von Claude Hauser, Thomas Loué, Jean-Yves Mollier et al. Paris: Nouveau Monde 2011, S. 89–113. 47 Der Präsident der CANIEM, Angel González Avelar, begründet die Notwendigkeit protektionistischer Maßnahmen 1974 wie folgt: »A nosotros, como editores mexicanos, nos preocupa el que, como consecuencias de estas enormes importaciones, se estén desdibujando las esencias de nuestra cultura, de nuestro más puro nacionalismo, porque nuestros jóvenes, nuestros hijos, están aprendiendo a conocer y a enterarse del mundo a través de otras idiosincrasias que son diferentes a la nuestra. Es necesario hacer notar que independientemente de este aspecto que consideramos trascendental, si el gobierno mexicano no abandona esa política ingenua que durante tantos años ha tenido de mantener abiertas indiscriminadamente nuestras fronteras para que entren en nuestro país los libros editados en cualquier parte del mundo, sin recurrir ni a un permiso de importación y sin pagar ningún arancel, dará también como consecuencia la marginación y la eventual desaparición de la auténtica industria editorial mexicana: dará también como consecuencia que seamos un país que se quede sin voces y sin pensamientos que proyectar hacia nuestros países hermanos, lo que resultaría verdaderamente trágico.« Informe: La importación de libros extranjeros en México. Problema de política interior mexicana. In: El libro español XVII (1974), H. 197, S. 246–252, hier S. 247.
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teten, die der geistigen Entwicklung Mexikos nicht helfen, sondern vielmehr Schaden zufügen würden.48 1975 wurde schließlich ein nationaler Ausschuss, das Comité para el Desarrollo de la Industria Editorial y Comercio del Libro ins Leben gerufen, in dem Vertreter aus Regierung und Buchbranche über Möglichkeiten berieten, wie der mexikanische Buchhandel zu stärken war und wie dessen Exportmöglichkeiten verbessert werden könnten.49 Konkurrenz aus den Metropolen: Die ökonomischen Interessen der spanischen und US-amerikanischen Verlagswirtschaft Der spanische Buchhandel begann ab Mitte der fünfziger Jahre, seinen infolge der Kriege verloren gegangenen Marktanteil auf den Buchmärkten Hispanoamerikas sukzessive wieder zurückzugewinnen.50 Die Exporte, vor allem von Fach- und Sachbüchern, stiegen kontinuierlich an. Mitte der sechziger Jahre wurde bereits die Hälfte der Verlagsproduktion außerhalb der Iberischen Halbinsel abgesetzt, mehr als drei Viertel davon in Lateinamerika.51 Die spanische Buchindustrie war auf die Ausfuhr eines großen Teils ihrer Produktion angewiesen, ja von dieser abhängig, kompensierten sie doch die schwache Binnennachfrage und erlaubten, wegen der höheren Auflagen kostengünstiger zu produzieren.52
48 Francisco Porrúa, Eigentümer einer der größten Verlagsbuchhandlungen Mexikos, war tiefer Verfechter des Prinzips des freien ungehinderten Flusses von Büchern: »Si algún país trata de poner un valladar cualquiera que éste sea, a la entrada de libros publicados en otras regiones geográficas, causaría un daño irreparable a su cultura. Resulta curioso oír hablar, como en algunas ocasiones hemos escuchado del coloniaje cultural. La cultura no coloniza a nadie. Alimenta a los espíritus y les da grandeza [...] Lo que se advierte es que, al establecer un sistema de control, prácticamente se impedirá la entrada de libros publicados en el extranjero. Equivale a leveatar una muralla que será infranqueable.« Ebd., S. 250–251. 49 Vgl. Mexico fomenta su industria editorial. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 8 (1975), S. 13–15; Reportaje a Oscar René Cruz, secretario técnico del Comité para el Desarrollo de la Industria Editorial y el Comercio del Libro en México. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 24 (1979), S. 7–9. 50 Die franquistische Buchpolitik und die Bedeutung der lateinamerikanischen Märkte für die spanische Verlagswirtschaft analysiert: Burkhard Pohl: Bücher ohne Grenzen. Der Verlag Seix Barral und die Vermittlung lateinamerikanischer Erzählliteratur im Spanien des Franquismus. Frankfurt/Main: Vervuert 2003 (Editionen der Iberoamericana. Serie A: Literaturgeschichte und -kritik. 29), insbesondere Kapitel 2. Auf die Entwicklung des spanischen Buchhandels im Franquismus kann im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich eingegangen werden. Interessierte Leser seien einführend verwiesen auf: Xavier Moret: Tiempo de editores. Historia de la edición en España (1939–1975). Barcelona: Destino 2002 (Colección imago mundi. 19). 51 Vgl. die Exportstatistiken des spanischen Buchhandels in: Cendán Pazos: Edición y comercio del libro, hier insbesondere die Tabellen 23 auf S. 149 und 24 auf S. 150. 52 So hieß es in einem 1971 veröffentlichten Bericht zu Problemen des Buchaußenhandels: »No es fácil imaginar la existencia de una industria editorial en España si no existiese el mercado exterior [. . .] La exportación ha permitido una gran difusión del libro en nuestro propio país.« Problemas del comercio exterior. In: El libro español XIV (1971), H. 162, S. 283–284, hier S. 284.
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Buchhandel und franquistischer Staat, zwischen denen aufgrund der repressiven Kulturpolitik, insbesondere der Zensurmaßnahmen, ein durchaus konfliktträchtiges Verhältnis bestand, verfolgten in Bezug auf den Buchexport gemeinsame materielle Interessen, denn der Buchexport war nicht nur für die spanische Verlagswirtschaft essenziell, sondern auch für die Volkswirtschaft bedeutsam: Mit einem Anteil von drei Prozent am Exportvolumen trug der Buchhandel Mitte der sechziger Jahre positiv zur Außenhandelsbilanz bei und ermöglichte im Gegenzug die Einfuhr von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten wie Kaffee oder Zucker.53 Obgleich ökonomische Interessen beim transatlantischen Buchhandel deutlich im Vordergrund zu stehen schienen, entsprach die Expansion des spanischen Buches in Lateinamerika auch den Zielen der auswärtigen Kulturpolitik des Franquismus. In der Tradition panhispanischer Rhetorik wurde dem Buch eine »kulturimperiale Funktion zugeschrieben, demnach der Export spanischer Bücher nach Lateinamerika der kulturellen Rückeroberung der entkolonisierten Staaten«54 diente. Aufgrund der politischen, vor allem aber der wirtschaftlichen Bedeutung des Buchexports wurden im Rahmen des Wiederaufbaus dem vom Krieg geschwächten nationalen Buchhandel neben Maßnahmen zur Ankurbelung der Binnennachfrage auch Strategien zur Wiedererschließung der hispanoamerikanischen Absatzmärkte entwickelt und zu diesem Zweck 1951 das Comité Ejecutivo para el Comercio Exterior del Libro gegründet, dessen Aufgaben 1958 das staatliche Instituto Nacional del Libro Español übernahm. Innerhalb des spanischen Buchinstituts war die LateinamerikaAbteilung für den Ausbau des Exportgeschäfts zuständig. Zu den angebotenen Leistungen zählten die Vergabe von Exportkrediten zu günstigen Konditionen und die Subventionierung von Papier, die gewährleisten sollte, dass die (Herstellungs-) Preise der spanischen Bücher niedrig und letztere somit auf den lateinamerikanischen Absatzmärkten im hohen Maße konkurrenzfähig waren. Auch der Aufbau von Filialen und Vertriebsniederlassungen spanischer Verlage in Hispanoamerika wurde durch Kredite unterstützt.55 Auch wenn die Effizienz der franquistischen Förderungspolitik
53 »Gracias a los libros, en muy considerable medida, España puede adquirir café, azúcar, abonos, cobre, etcétera, y difícilmente podría sustituir nuestras publicaciones por productos distintos. Y es bien sabido que en el conjunto de las ventas de productos españoles al extranjero los libros suponen casi un 3 por 100, proporción no alcanzada por ningún país, lo que demuestra, si hubiera necesidad de demostrarlo así, que todo proyecto de desarrollo de las exportaciones españolas ha de tener en cuenta el papel importantísimo e insustituible representado por los libros.« Ebd. Siehe zur volkswirtschaftlichen Bedeutung des Buchexports ferner: Desarrollo editorial español. In: El libro español VIII (1965), H. 92/93, S. 478–481. 54 Pohl: Bücher ohne Grenzen, S. 59. 55 Erste Maßnahmen zur Förderung des Buchexports wurden bereits im 1946 verabschiedeten Ley de Protección al Libro Español gesetzlich geregelt. Die nationalen Entwicklungspläne (Planes nacionales de desarrollo) enthielten weitere Bestimmungen zur Exportsubventionierung. Vgl. Cendán Pazos: Edición y comercio del libro, S. 205–210.
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immer wieder diskutiert wurde, verschaffte sie den spanischen Verlagen gegenüber ihren Konkurrenten in Argentinien und Mexiko erhebliche Wettbewerbsvorteile. Diese trugen zusammen mit im Vergleich zu den lateinamerikanischen Ländern moderneren Produktionsanlagen, einem besser qualifizierten Personal und einer stabileren Wirtschaftslage dazu bei, dass der spanische Buchhandel seine Position auf den lateinamerikanischen Buchmärkten zunehmend festigen konnte. Angesichts der Abhängigkeit der spanischen Verlagsbranche von den Verkaufserlösen auf den Absatzmärkten in Übersee verwundert es nicht, dass sie die Entwicklungen in Lateinamerika aufmerksam beobachtete. Obwohl der Absatz spanischer Bücher im Verlauf der sechziger Jahre deutlich zunahm, befürchtete man, dass sich die langen Transportzeiten und hohen Transportkosten und auch die franquistische Zensurpolitik56 nachteilig auf den Absatz der eigenen Erzeugnisse auswirken könnten. Auch die infolge von Devisenknappheiten und Zahlungsschwierigkeiten verhängten Importrestriktionen einiger Länder Lateinamerikas sowie die protektionistischen Maßnahmen Argentiniens und Mexikos beunruhigten die spanische Buchbranche. Als weitere Gefahr für das eigene Verlagswesen wurde zudem die zunehmende Produktion spanischsprachiger Bücher durch Verlage aus den USA und in geringerem Maße auch aus der Sowjetunion und Japan angesehen.57 Während das US-amerikanische Interesse auf den Buchmärkten Lateinamerikas als »imperialistisch«58 sowie als »wissenschaftlicher Kolonialismus«59 gewertet wurde, stellte man die eigene buchhändlerische Tätigkeit in den Dienst der hispanidad. Die spanischen Bücher könnten, so der Diskurs, im Gegensatz zu denjenigen US-amerikanischer Herkunft die gemeinsame Kultur und Sprache viel besser bewahren und
56 In Kolumbien wurden – so ein Bericht in El libro español – spanische Bücher als ideologisch vorbelastet und daher als bedenklich eingestuft. Vgl. Arturo Fuentes García: Situación y perspectivas del comercio librero entre España y Colombia. In: El libro español VII (1963), H. 69/70, S. 243–251, hier S. 247. 57 Die Situation des spanischen Buches auf den lateinamerikanischen Absatzmärkten wurde im Jahresbericht des spanischen Buchhandels 1968 wie folgt beschrieben: »Nuestra situación en el mercado hispanoamericano es firme, pero está sujeta a contingencias que pueden determinar su debilitamiento. En efecto, la cifra de nuestras exportaciones continúa creciendo [...] Pero tal crecimiento es muy inferior al que experimentan, en forma cada vez más clara, las exportaciones norteamericanas a esos mismos países. Están en marcha programas muy elaborados para desplazar completamente a los libros españoles de los países iberoamericanos.« Informe sobre la producción y el comercio del libro. Madrid: Ministerio de Información y Turismo, Instituto Nacional del Libro Español 1968, S. 14. Ähnliche Einschätzungen finden sich in zahlreichen Artikeln, die Mitte bis Ende der sechziger Jahre in der Branchenzeitschrift El libro español erschienen. Exemplarisch sei hier verwiesen auf: El libro norteamericano en Hispanoamérica. In: El libro español VIII (1965), H. 85, S. 40. 58 Im spanischen Original: »tendencia imperialista«. Informe sobre el comercio del libro durante el año 1966. In: El libro español X (1967), H. 112, S. 333–355, hier S. 336. 59 Im spanischen Original: »colonialismo científico«. Juan Romero González: Excelente futuro del libro español escolar en el mercado peruano. In: El libro español XVII (1974), H. 200, S. 413–417, hier S. 416.
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vermitteln.60 Diese Konstruktion, mit der Spanien seine Zugehörigkeit zur comunidad hispánica hervorhob, diente dabei nicht nur der Verschleierung materieller Interessen, sondern versuchte vor allem den Eindruck einer »verlegerischen reconquista«61 zu zerstreuen, als die der wachsende Einfluss des spanischen Buches von lateinamerikanischer Seite durchaus gedeutet wurde. Obgleich die Besorgnis – man könnte auch von Angst sprechen – der spanischen Buchbranche über die wachsende Präsenz US-amerikanischer Verlagserzeugnisse auf den lateinamerikanischen Märkten übertrieben schien, ist nicht zu leugnen, dass nach Ende des Zweiten Weltkrieges Buchhandelsunternehmen aus den Vereinigten Staaten, insbesondere Bildungsverlage wie McGraw Hill oder Addison-Wesley, auch angesichts einer stagnierenden Binnennachfrage begonnen hatten, Lateinamerika als Absatzgebiet zu erschließen.62 Ein führender Mitarbeiter von McGraw Hill kam Ende der vierziger Jahre zu folgender Einschätzung: »[T]he lands of our New World neighbors gave every promise of continuing to develop into one of our biggest markets [. . .] Today [we] firmly believe that south of the Rio Grande exist some of our most exciting foreign potentials.«63 Große Marktchancen witterte man vor allem für in spanischer Sprache produzierte Unterrichtsmaterialien sowie universitäre Lehrbücher, aber auch für technische und wissenschaftliche Literatur. Die US-amerikanischen Verlagshäuser ›eroberten‹ die lateinamerikanischen Märkte zunächst vor allem mit Hilfe von Vertretern und Außendienstmitarbeitern. 1963 wurden bereits Bücher im Wert von knapp sieben Millionen US-Dollar aus den USA nach Lateinamerika ausgeführt, wichtigster Absatzmarkt war Brasilien, gefolgt von Mexiko. Um den Vertrieb der Bücher zu erleichtern, wurden zunehmend Verkaufsniederlassungen unter anderem in der unter US-amerikanischer Kontrolle stehenden Panama-Kanalzone gegründet. Der Aufbau eigener Verlagsunternehmen, teils in Kooperation mit einheimischen Buchhandelsfirmen, folgte. Ende der sechziger Jahre besaß McGraw Hill bereits Filialen in Mexiko, Panama, Brasilien, Puerto Rico und Kolumbien. Die materiellen Interessen der US-amerikanischen Verlagswirtschaft korrespondierten mit den politischen Zielen der US-Regierung: Die vor dem Hintergrund der Kubanischen Revolution und dem Kampf gegen die Ausbreitung des Kommunismus
60 So sah man die Präsenz des spanischen Buches auf den Buchmärkten Hispanoamerikas als Beitrag für die kulturelle Entwicklung der lateinamerikanischen Bruderstaaten: »Ello [la exportación a América Latina, CL] supone una muy considerable aportación a la cultura de los países hermanos del otro lado del Atlántico, sin cuya aportación no podría pensarse en llevar a cabo ningún programa de realizaciones en el orden cultura.« Problemas del comercio exterior, S. 283. 61 Pohl: Bücher ohne Grenzen, S. 56, Hervorhebungen durch Verfasserin. 62 Vgl. Sherry Keith: United States Publishers and Textbooks in Latin America. In: Publishing in the Third World. Knowledge and Development. Hrsg. von Philip G. Altbach, Amadio Antonio Arboleda und Saravan Gopinathan. Portsmouth, London: Heinemann, Mansell 1985, S. 175–187. 63 Bara: Piracy, S. 808.
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ins Leben gerufene Allianz für den Fortschritt (Alliance for Progress) stellte umfangreiche finanzielle Mittel auch zur Verbesserung der Bildung und zur Reduzierung des Analphabetismus bereit, welche US-amerikanischen Bildungsverlagen lukrative Geschäfte ermöglichten.64 Strukturen des Verlagswesens in den ›buchhändlerischen Peripherien‹ Hispanoamerikas Ende der sechziger Jahre standen die Buchmärkte Hispanoamerikas im Zeichen verdichteter Konkurrenz zwischen Argentinien, Mexiko und Spanien sowie in geringerem Umfang den USA. Die jeweiligen hegemonialen Ansprüche schlugen sich in der Wahl der Worte wider, mit denen Importrestriktionen erlassen, protektionistische Maßnahmen begründet sowie Exportsubventionen für den Buchhandel eingefordert wurden: Man sprach von expansión, rivalidad und lucha. Materielle Interessen der argentinischen, mexikanischen und spanischen Buchbranche wurden durch ideologische bzw. nationalistisch anmutende Argumente unterfüttert und begründeten neben Devisenproblemen direkte oder indirekte Importrestriktionen. Die hegemoniale Stellung des spanischen Buches in Hispanoamerika wurde zunehmend als Form des Imperialismus gewertet. Schon Ende der vierziger Jahre hatte Daniel Cosío Villegas in einem Beitrag mit dem markanten wie gleichermaßen eindrücklichen Titel España contra América en la industria editorial auf die Gefahr eines neuen Kolonialismus aufmerksam gemacht: [L]os editores españoles, y muy particularmente el actual gobierno de España, han reconocido desde un principio que además de los millones invertidos [. . .], en la lucha va de por medio reconquistar para España la hegemonía espiritual sobre América, hegemonía que perdió, por lo menos, hace cien años.65
Abhängigkeits- und Hegemonialmuster bestanden jedoch nicht allein in der Beziehung zwischen hispanoamerikanischem und spanischem Buchhandel, sondern klare Dependenzstrukturen fanden sich auch – wie bereits dargestellt – innerhalb des Kontinents selbst. So forderte ein peruanischer Kommentator angesichts der massiven Abhängigkeit seines Landes von Bucheinfuhren aus dem Ausland den raschen Ausbau des lokalen Verlagswesens, durch den der nationalen Kultur eigenständige, für die weitere Entwicklung als essenziell empfundene Publikationsräume eröffnet werden sollten: La actividad editorial tiene valor estratégico en un país cuya condición económica y social está determinada por su capacidad de respuesta, con decisiones propias, a la dominación y depen-
64 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 9 dieser Arbeit. 65 Daniel Cosío Villegas: España contra América en la industria editorial. In: Ders.: Extremos de América. Mexiko-Stadt: Tezontle 1949, S. 307–328, hier S. 307.
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dencia. Es importante porque ella actúa sobre todo en la conciencia de las personas, haciéndola indestructible. Como tal es arma eficaz en la consecución de un hombre en un orden nuevo [. . .] Así, ¿dónde podremos encontrar, para nuestra educación y práctica social, el carácter nacional que nos es propio? Lo doloroso y evidente es que ahora existe en nuestro caso una relación de extrema dependencia con respecto a la producción de libros, revistas, folletos, discos y demás impresos.66
Die Emanzipations- und Autonomiebestrebungen der kleineren Staaten Hispanoamerikas blieben allerdings zumeist rhetorisch: Der Auf- und Ausbau eines lokalen, rentabel arbeitenden Verlagswesens scheiterte in der Umsetzung häufig an den wirtschaftlichen Realitäten der Buchproduktion. Am Beispiel Chiles lässt sich der Einfluss der Ökonomie des Buches auf den produzierenden Buchhandel in den kleinen Nationen Hispanoamerikas besonders gut nachvollziehen.67 In den dreißiger Jahren expandierte die chilenische Verlagswirtschaft zunächst wesentlich rascher als die argentinische und die mexikanische. Schon während der Weltwirtschaftskrise, als die Buchimporte aus Europa zu versiegen begannen, bauten die chilenischen Verlage ihre Produktion aus: Die beiden größten Buchhandelsfirmen, Zig Zag und Ercilla, waren nicht nur auf dem einheimischen Markt erfolgreich, sondern exportierten ihre Erzeugnisse nach ganz Lateinamerika. 1936 wurden in Santiago de Chile mehr Bücher produziert als in irgendeiner anderen spanischsprachigen Metropole68 ; Chile galt als »lateinamerikanischer Pionier im Verlagswesen«69 . Die Blütezeit des chilenischen Verlagswesens dauerte allerdings kaum mehr als ein Jahrzehnt: Spätestens Ende der vierziger Jahre hatte es seine führende Position auf den Buchmärkten Lateinamerikas an den argentinischen Nachbarn abgegeben. Nachteilig für den chilenischen Buchhandel wirkte sich nicht nur der im Vergleich zu Argentinien drei Mal kleinere Binnenmarkt, sondern auch seine Lage am Rande des Kontinents aus.
66 Danilo Sánchez Lihón: El libro y la lectura en el Perú. Lima: Editorial Mantaro, Grafital Editores 1978, S. 12–13. 67 Wenn nicht anders angegeben, orientiert sich die nachfolgende Analyse des chilenischen Verlagswesens an: Bernardo Subercaseaux: La industria editorial y el libro en Chile (1930–1984). Ensayo de interpretación de una crisis. Santiago de Chile: Centro de Indagación y Expresión Cultural y Artístico 1984; Eduardo Castillo García: Reseña histórica de la industria editorial en Chile. In: Historia de las empresas editoriales de América Latina siglo XX. Hrsg. von Juan Gustavo Cobo Borda. Bogotá: CERLALC 2000, S. 189–206. Ferner wurde herangezogen die zeitgenössische Studie von: Paul Watson et al.: A Study of Present and Needed Book Activities in National Development – Chile. Pittsburgh, Washington, D.C.: Pittsburgh University, Agency for International Development 1967. 68 Vgl. Gary MacEoin: Published in Latin America. In: Americas 4 (1952), H. 10, S. 3–5 und S. 41–43, hier S. 5. 69 Im englischen Original: »Latin American pioneer in the national publishing business«. Amanda Labarca: Chile and Its Books. In: Bulletin of the Pan American Union 79 (1945), H. 9, S. 567–573, hier S. 572.
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Im darauf folgenden Jahrzehnt geriet die Verlagswirtschaft in eine Phase der Rezession, die zu einem massiven Verlagssterben führte: Über dreißig Prozent der Unternehmen, die in den vierziger Jahren aktiv waren, hatten eine Dekade später ihre Tätigkeit eingestellt. Die Buchbranche, die sich 1950 zu einer Interessengemeinschaft, der Cámara Chilena del Libro, zusammengeschlossen hatte, machte die fehlende staatliche Unterstützung wesentlich für die Probleme des chilenischen Buchhandels verantwortlich und forderte – allerdings vergeblich – eine Wirtschaftsförderung für das Buch.70 In diesem Kontext verwies sie immer wieder auf die argentinischen und spanischen Subventionen, die dazu beitrugen, dass die dortigen Verlagsprodukte wesentlich preiswerter waren als die chilenischen. Der Leiter der Frankfurter Buchmesse, Sigfred Taubert, sah Anfang der sechziger Jahre den Aufbau eines eigenen Buchgewerbes durch die preisgünstigen Importmöglichkeiten aus spanischsprachigen Ländern dieses Kontinents und durch Einfuhren aus Spanien selbst gebremst. Die spanischen Bücher sind nach der Abwertung der Peseta im Preis so gesunken, dass die Herstellung in Chile in der Regel damit nicht konkurrieren kann.71
Am Ende des Jahrzehnts bezifferte die chilenische Buchhandelskammer die Produktionskosten für Taschenbücher in Chile auf 1,4 bis 1,8 Mal so hoch wie in Spanien. Neben der bevorzugten steuerlichen Behandlung in Spanien und den hohen Personalkosten in Chile wurde der Kostenunterschied vor allem auf Skaleneffekte zurückgeführt: Si de un libro se editan 1.000 ejemplares, su costo de producción puede ser E°5. Si del mismo libro se hacen 20.000 ejemplares, su costo baja a E°1,33. Sabemos que España hace ediciones de 30.000 a 40.000 ejemplares de determinados títulos, en circunstancias de que en Chile, en casos similares, el tiraje fluctúa de 3.000 a 7.000 ejemplares.72
Mitte der sechziger Jahre waren in Chile nur noch siebzehn Verlage tätig, von denen etwa die Hälfte Parteien oder kirchlichen Organisationen gehörte. Während der Präsidentschaft Salvador Allendes (1970–1973) kam es durch die Verstaatlichung des größten Verlages des Landes Zig Zag und dessen Umbenennung in Quimantú zu einschneidenden Veränderungen auf dem chilenischen Buchmarkt. Der Name des neuen Staatsverlages – quim bedeutet in der indigenen Sprache Mapu-
70 Vgl. Joaquín Almendros Jiménez: El libro y el problema editorial en Chile. In: Revista literaria de la Sociedad de Escritores de Chile 3 (1959), H. 6, S. 28–31. 71 Sigfred Taubert: Lateinamerika als Absatzmarkt für deutsche Bücher. Ein Erfahrungsbericht. Frankfurt/Main: Auslands- u. Messebüro des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V. 1961, S. 97. Zu derselben Einschätzung gelangte auch Robert Escarpit, der im Auftrag der UNESCO Ende der sechziger Jahre nach Chile reiste: Robert Escarpit: Rapport de mission au Chili (27 décembre 1968–1er janvier 1969). Programme de promotion du livre en Amérique latine. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1298/BMS.RD/COM.FF; FF/1902/2606), S. 5–6. 72 Chile. El mayor costo de la edición. In: El libro español XII (1969), H. 135, S. 208–209.
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che wissen bzw. kennen, antú Sonne – war Programm: Damit allen Bevölkerungsschichten der Zugang zum Buch und zur gesamten Kultur möglich war, wurden die einzelnen Bände der neu konzipierten Reihen Quimantú para todos und Nosotros los chilenos in Massenauflagen von über 50.000 Exemplaren produziert – üblich waren bis dato, von Schulbüchern abgesehen, eine Auflage von 3.000 bis maximal 7.000 Exemplaren gewesen. 1973 brachte Quimantú 3,6 Millionen Bücher auf den Markt, dies entsprach einer Verdopplung der Produktion, die 1969 die vier größten Verlagshäuser insgesamt erzielt hatten. Die einzelnen Bände der Reihen wurden nicht über den traditionellen Weg der Buchhandlung vertrieben, sondern zu sehr niedrigen Preisen vor allem über Kioske und im Direktverkauf in Fabriken und Universitäten abgesetzt. In der Ausrichtung von Quimantú spiegelten sich Ziele und Ideale der Regierung Allendes wider, sodass es nicht überraschen mag, dass der Verlag nach dem Militärputsch mit sofortiger Wirkung der Militärjunta unterstellt und in Editora Nacional Gabriela Mistral umbenannt wurde. Während das staatliche Engagement sozialistischer Prägung im chilenischen Verlagswesen ein Phänomen kurzer Dauer war, wurde auf Kuba der Buchmarkt nach 1959 vollständig umgestaltet: Die Transformationsprozesse, die Lesen in den Mittelpunkt der sozialen Entwicklung und in den Dienst der Revolution stellten, umfassten Produktions- und Distributionssysteme gleichermaßen und werden in Kapitel 8.6 ausführlich dargestellt. Sind die Neuausrichtung des Verlagswesens auf Kuba und der Aufbau eines chilenischen Staatsverlages unter Allende im engen Zusammenhang mit den sozialistischen Zielsetzungen der jeweiligen Regierungen zu sehen, wurden auch in anderen hispanoamerikanischen Staaten angesichts eines häufig nur schwach entwickelten Buchhandels verlegerische Aufgaben von Behörden, häufig von den für Bildung oder Kultur zuständigen Ministerien, aber auch von Universitäten und Kultureinrichtungen sowie in geringerem Maßstab von Staatsverlagen wahrgenommen. Auf die aktive Rolle, die das mexikanische Bildungsministerium auf dem Buchmarkt seines Landes insbesondere im Anschluss an die Verstaatlichung der Schulbuchproduktion einnahm, ist ebenso bereits verwiesen worden wie auf den staatlichen Charakter des Fondo de Cultura Económica. Auch in Venezuela engagierte sich die öffentliche Hand zunehmend für das Buch. Nachdem im Bildungsministerium bereits in den dreißiger Jahre eine Publikationsabteilung eingerichtet worden war, unterstützte die venezolanische Regierung Ende der sechziger Jahre, in Zeiten, in denen die Wirtschaft dank der Erdölvorkommen florierte, zahlreiche Kulturinstitutionen, so auch das 1968 gegründete Verlagshaus Monte Ávila, das in seinen literarischen Reihen venezolanischen Autoren staatlich subventionierte Publikationsmöglichkeiten bot. Sieben Jahre zuvor war an der Universidad Central de Venezuela ein Universitätsverlag entstanden, der neben Lehrbüchern und wissenschaftlichen Monographien auch populärwissenschaftliche Werke und schöngeistige Literatur veröffentlichte und sich rasch zum bedeutendsten
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Verlagshaus des Landes entwickeln sollte. Während die Schulbuchproduktion als größtes Marktsegment in den Händen privatwirtschaftlicher Unternehmen blieb, waren es die beiden durch öffentliche Gelder finanzierten Verlage, die die Bevölkerung mit Werken nationaler Autoren sowie Veröffentlichungen zur venezolanischen Kultur und Geschichte versorgten.73 Öffentliche Einrichtungen zeigten sich ebenso auch in Costa Rica74 für einen beachtlichen Teil der Verlagsproduktion verantwortlich. Bevor 1959 per Gesetz das Verlagshaus Editorial Costa Rica gegründet wurde, waren in dem mittelamerikanischen Land, von Schulbüchern abgesehen, nur vereinzelt Bücher erschienen, zumeist als Nebenprodukte in Druckereien. Dem neu gegründeten, gemeinnützigen Verlag wurde die Aufgabe übertragen, durch ein entsprechend gestaltetes Programm die kulturelle Entwicklung des Landes zu unterstützen und costa-ricanischen Schriftstellern eine Möglichkeit zur Veröffentlichung ihrer Werke zu bieten: La Editorial tiene como fin principal el fomento de la cultura del país mediante la edición de obras literarias, artísticas y científicas de costarricenses y de extranjeros de mérito especial [. . .] La Editorial deberá: (a) estimular a los autores costarricenses, para lo cual les publicará sus libros, procurando el menor costo y la mayor divulgación, y (b) anteponer, en beneficio de la cultura costarricense, las metas de divulgación cultural, a las de tipo comercial.75
Das Programm des Editorial Costa Rica umfasste vor allem Werke der nationalen Literatur, Veröffentlichungen zu Kultur und Geschichte, Kinder- und Jugendliteratur sowie einige Schulbücher. Auch die Publikationsabteilungen des Bildungsministeriums, des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport und der nationalen Universität brachten Bücher auf den Markt. Als Verlagszentrum Mittelamerikas war Costa Rica
73 Vgl. zum Buchhandel in Venezuela: Rafael Arráiz Lucca: Imprentas y editoriales en Venezuela en el siglo XX. Mínima crónica del furor por los libros. In: Historia de las empresas editoriales de América Latina siglo XX. Hrsg. von Juan Gustavo Cobo Borda. Bogotá: CERLALC 2000, S. 253–270; Norma Arocha Saturno: El libro en Venezuela. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1985 (Monografías CERLALC); Pedro Grases: Caracteres de la realidad editorial en Venezuela. In: Boletín de la Biblioteca General 2 (1962), H. 2/3, S. 53–61. 74 Vgl. zum Buchhandel in Costa Rica: Deyanira de Vargas Bonilla: Mercado del libro en Costa Rica. In: The Multifaceted Role of the Latin American Subject Specialist. Final Report and Working Papers of the Twenty-Second Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. University of Florida Gainesville, Florida, June 12–17, 1977. Hrsg. von Anne H. Jordan. Austin: Secretariat SALALM 1979, S. 220–223; Marco Retana: Situación editorial de la República de Costa Rica. In: Políticas nacionales del libro en Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panamá, República Dominicana. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías CERLAL), S. 9–19; Julio Escoto: El proceso del libro en Costa Rica. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 26 (1980), S. 9–11; Álvaro Garzón: La promoción del libro y de la lectura. La República de Costa Rica. Paris 1981 (UNESCO-Dokument: FMR/CC/BCE/81/151; RP/197980/4/3/5/07/Informe técnico). 75 Gesetz Nr. 2366 von 1959 (Gründung des Editorial Costa Rica), abgedruckt in: Retana: Situación editorial de la República de Costa Rica, S. 11–12.
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ferner Sitz des 1969 gegründeten Zusammenschlusses mittelamerikanischer Universitätsverlage, des Editorial Universitaria Centroamericana (EDUCA). Diese Konföderation sollte die Isolation der einzelnen Universitätsverlage der Region verringern und durch Überwindung der kleinen, nationalen Märkte die Produktion von preiswerteren Lehrbüchern und wissenschaftlichen Abhandlungen für ganz Zentralamerika ermöglichen. Auch in anderen Ländern Hispanoamerikas engagierten sich Ministerien, öffentliche Einrichtungen, staatliche Universitäten sowie private Institutionen wie Banken oder Stiftungen auf dem Buchmarkt, indem sie selbst Bücher verlegten oder die Herausgabe von Reihen finanziell unterstützten: Beispiele sind in Kolumbien das Instituto Colombiana de Cultura, das Instituto Caro y Cuervo sowie die Banco de la República; in Ecuador die Casa de Cultura Ecuatoriana; in Puerto Rico das Instituto de Cultura Puertorriqueña und in El Salvador der Verlag des Kultusministeriums, Editorial del Ministerio de Cultura de El Salvador. Wie am Beispiel Venezuelas und Costa Ricas dargestellt, zielte das verlegerische Engagement staatlicher Stellen und öffentlicher Einrichtungen vor allem darauf, Werke zur Politik, Geschichte und Kultur sowie schöngeistige Literatur nationaler Autoren herauszugeben. Diese Publikationen sollten der Verbreitung der eigenen Kultur dienen und können als essenzieller Bestandteil des Nation-Seins76 gedeutet werden. Mit ihrem verlegerischen Engagement füllten die öffentlichen Einrichtungen und Staatsverlage oftmals ein Vakuum, denn sie brachten Bücher auf den Markt, die von dem meist nur schwach entwickelten privatwirtschaftlichen Verlagswesen aus Rentabilitätsgründen nicht veröffentlicht wurden und aufgrund ihres dezidiert nationalen Charakters auch nicht aus Spanien, Argentinien oder Mexiko importiert werden konnten. In einer Anfang der achtziger Jahre erstellten Analyse zum lateinamerikanischen Buchmarkt deutete der CERLALC-Berater Jorge Cárdenas Nannetti die verlegerischen Aktivitäten der öffentlichen Hand folglich als notwendige Ergänzung zum Angebot privatwirtschaftlicher Verlage, da nur auf diese Weise das Erscheinen von Büchern gewährleistet werden könnte, die für die nationale kulturelle Entwicklung wichtig waren: No permitiendo las circunstancias la creación y el desarrollo de editoriales privadas importantes, el sector público y universitario ha tenido que entrar en el campo de la edición para producir los libros que el progreso cultural de país requiere.77
Neben dem verlegerischen Engagement öffentlicher Einrichtungen und staatlicher Stellen ist der hohe Anteil des Schulbuches an der Gesamtbuchproduktion ein
76 Vgl. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. 2. Auflage. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2005 (Campus Bibliothek). 77 Jorge Cárdenas Nannetti: Hacia una sociedad lectora en América Latina. In: El desarrollo del libro en América Latina y el Caribe. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías), S. 7–98, hier S. 28.
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weiteres, wesentliches Charakteristikum der hispanoamerikanischen Buchmärkte der sechziger und siebziger Jahre. Die fast in allen Ländern des Kontinents zu beobachtende Expansion des Bildungssystems belebte die Produktion von Unterrichtsmaterialien, die in einigen kleineren Staaten fast deckungsgleich mit dem gesamten bibliographischen Ausschuss war. Insbesondere die Produktion von Schulbüchern für den Primarbereich erfolgte größtenteils auf nationaler Ebene, während Lehrwerke für weiterführende Schulen sowie für die universitäre Ausbildung oftmals aus Spanien oder den Vereinigten Staaten importiert wurden. In Kolumbien, dem viertgrößten Land Lateinamerikas und Sitz des CERLALC, bildete sich ab den dreißiger Jahren parallel zum Wachstum der Bevölkerung und der Entfaltung der Bildungssysteme allmählich ein Schulbuchmarkt heraus, der unter anderem von dem Unternehmen Carvajal bedient wurde, das sich ausgehend vom Handel mit Papier zum größten graphischen Betrieb des Landes entwickeln konnte: 1960 gründete Carvajal den Verlag Norma, der sich auf die Herausgabe didaktischer Werke spezialisierte.78 Ab den fünfziger Jahren begann sich die einheimische Buchproduktion auf Grundlage des prosperierenden Schulbuchmarktes langsam zu diversifizieren. Zur Professionalisierung und Dynamisierung des Buchhandels trug die 1951 gegründete Cámara Colombiana del Libro ebenso bei wie das 1958 von der kolumbianischen Regierung verabschiedete Gesetz zur Förderung des Buches, das Steuer- und Exporterleichterungen sowie preiswertere Tarife für den Buchversand vorsah und als erster Schritt einer sich intensivierenden Buchpolitik der kolumbianischen Regierung angesehen werden kann.79 In Peru machten in den sechziger und siebziger Jahren Schulbücher den Hauptteil der Verlagsproduktion aus. Nach Schätzungen der Cámara Peruana del Libro wurden 1965 Bücher in einer Gesamtauflage von zehn Millionen produziert, zehn Jahre später waren es 25 Millionen, von denen achtzig Prozent auf Schulbücher entfielen. Im Vergleich mit dem kolumbianischen Verlagswesen verlief die Diversifizierung der Buchproduktion in Peru wesentlich langsamer: Die Zweisprachigkeit des Landes – Quechua wurde von etwa sieben Millionen Peruanern, also etwa der Hälfte der Bevölkerung gesprochen – erschwerte die Entfaltung des einheimischen Ver-
78 Vgl. zum Buchmarkt in Kolumbien: Margarita de Amaya Heredia: Distribución, Producción, Comercio del Libro y Bibliotecas en Colombia 1955–1971. In: New Writers of Latin America. Final Report and Working Papers of the Twentieth Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. Biblioteca Luis Angel Arango, Bogotá, Colombia, June 15–20, 1975. Hrsg. von Pauline P. Collins. Austin: Secretariat SALALM 1978, S. 204–260; Juan Ignacio Arango: El libro en Colombia. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1991 (Monografías CERLALC); Juan Gustavo Cobo Borda: Historia de la industria editorial colombiana. In: Historia de las empresas editoriales de América Latina siglo XX. Hrsg. von Juan Gustavo Cobo Borda. Bogotá: CERLALC 2000, S. 161–188. Vgl. zum gegenwärtigen kolumbianischen Buchmarkt: Inka Ihmels: Bogotá: Welthauptstadt des Buches 2007. Eine Analyse der Buchkultur in Kolumbien. Wiesbaden: Harrassowitz 2007 (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft. 14). 79 Vgl. ausführlich Kapitel 8.2 dieser Arbeit.
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lagswesens, da sie den ohnehin begrenzten peruanischen Markt weiter fragmentierte.80 Der hohe Anteil an Büchern, die im Selbstverlag erschienen, sowie die häufig noch nicht erfolgte funktionale Ausdifferenzierung von Druck, Verlag und Sortiment sind kennzeichnend für die nur gering ausgebildeten verlegerischen Strukturen in den kleineren Staaten Hispanoamerikas mit den im Vergleich zur nationalen Buchproduktion hohen Importvolumina: In Paraguay, Uruguay, Ecuador, Bolivien, den Staaten Zentralamerikas sowie der Dominikanischen Republik erfolgte die Publikation von Büchern teils in Prozessen, die man nicht als planvolles, professionelles Verlegen charakterisieren kann, da vor allem kleinere graphische Betriebe sporadisch Bücher produzierten und Buchhandlungen gelegentlich Bücher herausgaben.81 Während Bolivien mit dem Editorial Los Amigos del Libro über einen bedeutenden, kontinuierlich arbeitenden Verlag verfügte82 , fehlten derartige privatwirtschaftliche Initiativen in den anderen Staaten fast vollständig. Für viele Autoren, die ihre Schriften publizieren wollten, blieb aufgrund der mangelhaften Verlagsinfrastruktur meistens nur die Alternative, im Selbstverlag zu veröffentlichen, so auch in Panama: En Panamá, en el sentido en que debe entenderse una verdadera empresa editorial, no ha existido tal empresa propiamente dicho. Ha sido tradicional allá que el autor de una obra, por su propio esfuerzo costee su impresión dentro o fuera del país y, por sí mismo, realice la labor de
80 Vgl. zum Buchhandel in Peru: Bettina Summers Pagés: The Publishing Industry in Peru. In: Ninth Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. St. Louis, Missouri, June 25–26, 1964. Final Report and Working Papers. Hrsg. von Peter J. de La Garza. Washington, D.C.: Pan American Union, General Secretariat 1965, S. 115–119; Luis Muelle López: El libro en Perú. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1986; Sánchez Lihón: Libro y lectura. Siehe ferner: Seth Spaulding et al.: A Study of Present and Needed Book Activities in National Development – Peru. Pittsburgh, Washington, D.C.: Pittsburgh University, Agency for International Development 1967. 81 Es liegen nur sehr wenige Studien zum Buchhandel in diesen Ländern vor, die meisten davon wurden vom CERLALC in den achtziger Jahren in Auftrag gegeben. Vgl. für Ecuador: Francisco Delgado Santos: El libro en Ecuador. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1987 (Monografías CERLALC). Vgl. für Uruguay: El libro en el Uruguay. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1987. Vgl. für das Verlagswesen in Paraguay: Sofía Mareski: The Present Situation of Book Publication. In: Ninth Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. St. Louis, Missouri, June 25–26, 1964. Final Report and Working Papers. Hrsg. von Peter J. de La Garza. Washington, D.C.: Pan American Union, General Secretariat 1965, S. 173–186. 82 Vgl. zum Buchhandel in Bolivien: Alcides Parejas Moreno: Situación del libro en Bolivia. In: América Latina. Acción del libro en los procesos de cambio. Band III. San José: Biblioteca del CEDAL 1974 (Materiales de Estudios. 75), keine Seitenzählung; Marcela Meneses/Werner Guttentag Tichauer: Present Status of the Publishing Industry in Bolivia. In: Ninth Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. St. Louis, Missouri, June 25–26, 1964. Final Report and Working Papers. Hrsg. von Peter J. de La Garza. Washington, D.C.: Pan American Union, General Secretariat 1965, S. 79– 112; Jaime Julián Flores Zamuriano: El libro en Bolivia. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1989 (Monografías CERLALC).
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distribución y venta. Sólo en contadas ocasiones, especialmente las antes citadas, un librero o dueño de imprenta ha asumido en forma responsable la misión de editor.83
Die im Selbstverlag erschienenen Publikationen wurden normalerweise privat vertrieben und gelangten nur schwer in das Distributionsnetz des verbreitenden Buchhandels. In einer Schlussfolgerung soll noch einmal auf die deutlich unterschiedlichen Realitäten und Strukturen des Verlagswesens in den hispanoamerikanischen Staaten hingewiesen werden. Die durch die gemeinsame Sprache gegebene wechselseitige Abhängigkeit der Buchmärkte aller spanischsprachigen Länder sowie die wirtschaftlichen Logiken der Buchproduktion hatten zur Folge, dass in Ländern mit einer vergleichsweise großen Binnennachfrage ein prosperierender Buchhandel entstehen konnte. So bildete sich in Argentinien, Mexiko und Spanien ein ausdifferenziertes Verlagswesen heraus, das den eigenen nationalen Markt auch deshalb mit einem umfangreichen Angebot an Büchern zu akzeptablen Preisen versorgen konnte, weil etwa die Hälfte der Auflage für den Export bestimmt war. Der argentinische, mexikanische und spanische Buchhandel ernährte in kleinerem oder größerem Umfang die Buchmärkte in den anderen hispanoamerikanischen Staaten und profitierte davon, dass seine Bücher aufgrund der höheren Auflage und der sich daraus ergebenen Skaleneffekte meist preiswerter waren als die im Importland selbst hergestellten. Diese Tatsache erschwerte wesentlich die Herausbildung eines privatwirtschaftlichen Verlagswesens in den kleinen und mittelgroßen Staaten des Kontinents. Deren Buchproduktion beschränkte sich im Wesentlichen auf Schulbücher, die dem Konkurrenzdruck aufgrund ihres nationalen Charakters weniger stark ausgesetzt waren und in einer sicher zu kalkulierenden Menge abgesetzt werden konnten. Öffentliche Einrichtungen, Behörden, Kulturstiftungen und vor allem auch Universitäten traten in diesen Ländern oftmals an die Stelle privatwirtschaftlicher Verlage und übernahmen die (subventionierte) Publikation von für die Stärkung der nationalen Identität bedeutenden Werken. Struktur und Leistungsfähigkeit des herstellenden Buchhandels waren somit bedingt durch die sich aus der Größe der Bevölkerung, den Bildungsvoraussetzungen und der Kaufkraft ergebenden Nachfrage im eigenen Land sowie der Position der nationalen Verlagswirtschaft in den Buchaustauschbeziehungen innerhalb der spanischsprachigen Welt.
8.1.2 Der Buchmarkt Brasiliens: Wachstum und Expansion Der Buchhandel Brasiliens wies im Vergleich zu dem seiner spanischsprachigen Nachbarländer in den sechziger und siebziger Jahren einen höheren Grad an Auto-
83 Diego: Breve resumen sobre la situación del libro en Panamá, keine Seitenzählung.
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nomie auf.84 Der Absatzmarkt in dem bevölkerungsreichsten und einzig portugiesischsprachigen Land des Kontinents war trotz einer beträchtlichen Analphabetenquote so groß, dass die brasilianische Verlagsindustrie Bücher in rentabler Auflagenhöhe produzieren und im eigenen Land absetzen konnte, ohne auf den Verkauf ihrer Erzeugnisse auf anderen lusophonen Märkten wesentlich angewiesen zu sein. Das Wachstum des brasilianischen Verlagswesens – 1955 erschienen laut UNESCO-Statistiken 3.385 Titel, zwanzig Jahre später waren es mit über 12.000 fast vier Mal so viele85 – beruhte nicht, wie es teilweise für den argentinischen, mexikanischen und spanischen Buchhandel der Fall war, auf Exporten, sondern war einer infolge der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, der Explosion der Bevölkerung und der Expansion des Bildungswesens wachsenden Binnennachfrage geschuldet, mithin endogen verursacht. Zwischen 1940 und 1970 verdoppelte sich die Bevölkerung von 41 Millionen auf über 93 Millionen86 ; trotz einer Analphabetenquote von über dreißig Prozent war der potenzielle Abnehmerkreis von Büchern in Brasilien absolut betrachtet deutlich größer als im benachbarten Argentinien, wo 1970 knapp 23 Millionen Menschen lebten und die Analphabetenquote sieben Prozent betrug, oder
84 Die Buchhandelsgeschichte Brasiliens im 20. Jahrhundert ist relativ gut erforscht. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich, sofern nicht anders angegeben, an: Laurence Hallewell: Books in Brazil. A History of the Publishing Trade. Metuchen, London: The Scarecrow Press 1982; Felipe José Lindoso: La industria editorial del Brasil en el siglo XX. In: Historia de las empresas editoriales de América Latina siglo XX. Hrsg. von Juan Gustavo Cobo Borda. Bogotá: CERLALC 2000, S. 135–160; Claudia Neves Lopes: Les relations editoriales entre le Brésil et le Portugal. La place du livre et de l’édition dans le processus de la colonisation et de la décolonisation culturel 1889/1989. Villeneuve d’Ascq: Presses Universitaires du Septentrion 2001. Ebenso herangezogen wurden die nachfolgenden zeitgenössischen Analysen und Studien: Olímpio Sousa de Andrade: O livro brasileiro desde 1920. 2. Auflage. Rio de Janeiro, Brasilia: Livraria Editora Cátedra, Instituto Nacional do Livro 1978; Produção de livros no Brasil. Rio de Janeiro: Fundação Getúlio Vargas 1971; Moacir Costa Lopes: A situação do escritor e do livro no Brasil. Rio de Janeiro: Cátedra 1978. 85 Die Zahlen zur Titelproduktion, die Hallewell und Neves Lopes unter Rückgriff auf das Anuario Estadistico do Brasil sowie Angaben des Instituto Brasileiro de Geografía e Estadística sowie des Sindicato Nacional dos Editores de Livros ermittelt haben, weisen in sich erhebliche Abweichungen auf, sind aber auch deutlich divergent zu denjenigen, die die UNESCO veröffentlicht hat. So erschienen in Brasilien 1955 laut Neves Lopes 2.713 Titel, laut Hallewell waren es 3.492, in den UNESCO-Statistiken findet man die Zahl von 3.385. Für das Jahr 1975 beziffert die UNESCO die Buchproduktion in Brasilien auf 12.296 Titel; Hallewell unterscheidet zwischen Produktion von Büchern, die er für 1975 unter Berufung auf zwei Statistiken zwischen 6.833 und 10.198 Titeln ansetzt, und der Produktion von Büchern und Broschüren, die zwischen 9.998 und 16.057 schwankt. Trotz der teilweise erheblichen Divergenzen, die zum einen auf ein noch nicht vollständig entwickeltes Informations- und Dokumentationswesen hinweisen, zum anderen die Schwierigkeiten der exakten Unterscheidung zwischen Buch und Broschüre aufzeigen, lässt sich am vorliegenden Material die Expansion des brasilianischen Verlagswesens dennoch eindrücklich zeigen. Vgl. für die UNESCO-Statistiken die Tabelle 6. Vgl. die Angaben zur Titelproduktion bei Hallewell: Books in Brazil, S. 314, S. 353 und S. 409; und bei Neves Lopes: Les relations editoriales, S. 458. 86 Vgl. zur Bevölkerungsentwicklung Brasiliens: Neves Lopes: Les relations editoriales, S. 258.
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in Mexiko, wo 26 Prozent der 52 Millionen Bewohner als Analphabeten eingestuft wurden. Historisch betrachtet war die Versorgung der Bevölkerung mit Büchern, die im Land selbst verlegt wurden, ein sehr junges Phänomen: Noch in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts dominierten Buchimporte aus Frankreich und Portugal den brasilianischen Markt; erst in den dreißiger und vierziger Jahren begann sich allmählich ein einheimisches, professionell arbeitendes Verlagswesen herauszubilden. Ähnlich wie in Argentinien, Chile und Mexiko hatte der Aufschwung des brasilianischen Buchhandels zum einen exogene Ursachen: Als Konsequenz der Weltwirtschaftskrise und der gravierenden Inflation in Brasilien verteuerten sich die aus Europa importierten Bücher dermaßen, dass lokale Verlagserzeugnisse erstmals konkurrenzfähig wurden. Der Rückgang der Bucheinfuhren aus Portugal und Frankreich, der sich durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges noch verschärfte, veranlasste den brasilianischen Buchhandel, Bücher zunehmend selbst zu produzieren. Zahlreiche Sortimentsbuchhandlungen erweiterten ihr Tätigkeitsgebiet und expandierten ins Verlagswesen. Die Zahl der in Brasilien ansässigen Verlage verdoppelte sich im Zeitraum zwischen 1936 und 1948 von 146 auf 280.87 Neben dem drastischen Rückgang der Buchimporte aus Europa begünstigte zum anderen ein nach der Revolution von 1930 veränderter politischer Kurs das Wachstum des Verlagswesens: Unter dem autoritär regierenden Gertúlio Vargas (1930–1945) avancierten Bildung, Wissenschaft und Kultur zu zentralen politischen Handlungsfeldern, mit denen das Land modernisiert und eine gemeinsame brasilianische Identität, die brasilidade, geschaffen werden sollte. Neben Radio und Film wurde auch das Buch als Instrument einer auf Identifikation mit der Nation Brasilien zielenden Kulturpolitik eingesetzt. Die Maxime des bedeutenden Verlegers Monteiro Lobato »Um país se faz con homens e livros« (Ein Land wird aus Menschen und Büchern gemacht) lässt sich sinnbildlich für die integrative und identitätsstiftende Funktion lesen, die dem Buch in der Konzeption des Estado Novo zugewiesen wurde. Das 1937 gegründete Instituto Nacional do Livro war als staatliche Institution damit betraut, bedeutende literarische und historische Werke wiederaufzulegen, eine brasilianische Enzyklopädie zu konzipieren sowie eine Nationalbibliographie herauszugeben; das nationale Buchinstitut agierte in der »Entwicklungs- und Erziehungsdiktatur«88 des Estado Novo zugleich aber auch als Zensurbehörde.89 Das zunehmende Interesse an nationalen
87 Vgl. Hallewell: Books in Brazil, S. 297. 88 Jens R. Hentschke: Die Ursprünge der Ära Vargas. Rio Grande do Suls positivistische Entwicklungs- und Erziehungsdiktatur. In: Lateinamerika. Gesellschaft – Raum – Kooperation. Festschrift für Achim Schrader zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Rolf Eschenburg, Heinz Heineberg, Ulrich Pfister und Christoph Strosetzki. Frankfurt/Main: Vervuert Verlag 1999, S. 155–173. 89 Vgl. Instituto Nacional do Livro 1937 – 1987. 50 anos de publicações. Brasilia: Instituto Nacional do Livro 1987.
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Fragen spiegelte sich auch in zahlreichen Publikationsprojekten privatwirtschaftlicher Verlage wider, die in den dreißiger Jahre auf den Markt gelangten, so beispielsweise in der ab 1931 in der Reihe Companhia Editora Nacional erschienenen Reihe Brasiliana oder in den Documentos Brasileiros, die ab 1936 im Verlag José Olympio, einer der bedeutendsten Institutionen des literarischen Lebens des Landes, veröffentlicht wurden.90 Stärker als das durch die Ideologie des Estado Novo geförderte Interesse an nationaler Literatur und Werken zur Geschichte und Kultur Brasiliens profitierte das einheimische Verlagswesen allerdings von der umfassenden Reform und dem Ausbau des Bildungswesens: In den dreißiger und vierziger Jahren entstanden zahlreiche weiterführende und berufsbildende Schulen sowie die staatlichen Universitäten von São Paulo und Rio de Janeiro. Die Produktion von Schul- und Lehrbüchern wurde zum entscheidenden Motor der brasilianischen Verlagsindustrie und blieb bis in die siebziger Jahre hinein dessen bedeutendster Produktionssektor. 1950 betrug der Anteil der Schulbücher an der Gesamtauflage aller Verlage über 45 Prozent, 1979 waren es immerhin noch etwas mehr als 36 Prozent.91 Auflagen von einhunderttausend, teilweise auch über zwei- bis dreihunderttausend Exemplaren waren angesichts einer stetig wachsenden schulpflichtigen Bevölkerung – 1945 besuchten etwa 3,5 Millionen brasilianische Kinder die Grundschule, zwei Dekaden später waren es fast zehn Millionen92 – keine Seltenheit. Im Gegensatz zu Mexiko bestand in Brasilien freie Schulbuchwahl, Herstellung und Vertrieb blieben in den Händen privatwirtschaftlicher Verlage, die sich teilweise ausschließlich auf das lukrative Schulbuchgeschäft spezialisiert hatten. Nach dem Aufschwung in den dreißiger Jahren hatte das brasilianische Verlagswesen am Ende der folgenden Dekade zunächst eine Rezession erlebt: Eine die gesamte brasilianische Wirtschaft erfassende Krise drosselte auch das Wachstum des Buchhandels; der Import von Druckschriften aus Europa und den USA nahm nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder zu. Die Bucheinfuhren aus Übersee profitierten von günstigen Wechselkursen, mit denen die politische Führung die Einfuhr technischer und wissenschaftlicher Literatur subventionieren und gleichermaßen stimulieren wollte.
90 Vgl. Heloísa Pontes: Retratos do Brasil. Editores, Editoras e »Coleções Brasiliana« nas décadas de 30, 40 e 50. In: História das Ciências Sociais No Brasil. 2 Bände. Hrsg. von Sergio Miceli. São Paulo: Editora Revista Dos Tribunais 1989, Band 1, S. 359–409; Eliana de Freitas Dutra: Le Brésil au-delà des frontières: La »Collection Brésilienne« et l’Institut national du livre dans les circuits diplomatiques du livre brésilien. In: La diplomatie par le livre. Réseaux et circulation internationale de l’imprimé de 1880 à nos jours. Hrsg. von Claude Hauser, Thomas Loué, Jean-Yves Mollier et al. Paris: Nouveau Monde 2011, S. 393–409. Siehe zur Verlagsgeschichte von José Olympio ausführlich: Gustavo Sorá: La maison et l’entreprise. José Olympio et l’évolution de l’édition brésilienne. In: Actes de la recherche en sciences sociales 126/127 (1999), S. 90–102. 91 Vgl. Hallewell: Books in Brazil, S. 422. 92 Vgl. ebd., S. 212–213.
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
Bis 1957 wurde die Bezahlung von Buchimporten zum Paritätskurs zwischen US-Dollar und der einheimischen Währung abgewickelt, während für den Import von Papier und Druckmaschinen deutlich höhere Wechselkurse galten. Diese ungleichen Devisenbestimmungen führten dazu, dass es in den fünfziger Jahren deutlich preiswerter war, Bücher zu importieren als Papier einzuführen, welches den Druck einheimischer Bücher ermöglicht hätte. Von 1938 bis 1957 erhöhte sich die Bucheinfuhr nach Brasilien mengenmäßig um das Vierfache; vor allem aus den USA, aber auch aus den führenden spanischsprachigen Buchhandelsnationen und Frankreich wurden Bücher importiert.93 Erst unter Präsident Kubitschek (1956–1959) wurde diese für das brasilianische Verlagswesen nachteilige Situation behoben, indem der Import von Maschinen und Papier deutlich erleichtert und gleichzeitig die Einfuhr von Büchern mit erheblichen Restriktionen und ungünstigeren Devisenbestimmungen begrenzt wurde. Der Auf- und Ausbau einer nationalen Verlagsindustrie geriet in den fünfziger auch dank der Öffentlichkeitsarbeit der brasilianischen Verlegervereinigung zunehmend in den Fokus der Politik: Die Gründung der Grupo Executivo da Indústria do Livro 1959 markierte den Beginn eines wachsenden wirtschaftspolitischen Interesses am Buchmarkt. Repräsentanten aus Verlagswesen, Sortimentsbuchhandel, graphischem Gewerbe, dem Schriftstellerverband, dem Instituto Nacional do Livro sowie Vertreter aus den Ministerien für Bildung, Finanzen und Verkehr berieten in den sechziger Jahren über Maßnahmen zur Förderung des brasilianischen Buchhandels. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region gab es in Brasilien keinen Staatsverlag und auch die verlegerischen Tätigkeiten öffentlicher Einrichtungen und staatlicher Stellen fielen vergleichsweise gering aus. Die Unterstützungsleistungen für den Buchhandel erfolgten durch Kopublikationsprojekte: Seit Beginn der siebziger Jahre subventionierte das Instituto Nacional do Livro die Veröffentlichung von als kulturell wertvoll erachteten Büchern sowie von Lehrwerken für die Berufsschulen und die Sekundarstufe, indem sie Verlagen die Abnahme einer Teilauflage zusicherte, die dann an die dem Institut unterstellten öffentlichen Büchereien verteilt wurde. In ähnlicher Weise agierten die Universitäten, welche, anstatt einen eigenen Universitätsverlag zu betreiben, mit Verlagen bei der Veröffentlichung ihrer akademischen Schriften zusammenarbeiteten. Neben den von den öffentlichen Universitäten und dem Instituto Nacional do Livro propagierten Kopublikationsprojekten zielten die staatlichen Förderungsmaßnahmen ferner darauf, den Buchhandel günstige Rahmenbedingungen zu schaffen: Dazu zählten Importerleichterungen für Papier und Druckmaschinen, steuerliche Vorteile für Buchhandlungen, die Abschaffung der Konsumsteuer auf Bücher und reduzierte Posttarife. Das Instituto Nacional do Livro war spätestens Anfang der
93 Vgl. die Statistiken zum Buchimport bei Hallewell: Books in Brazil, S. 240–242, S. 292–295 und S. 312–313.
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siebziger Jahre zur zentralen Koordinationsinstitution staatlicher Förderungspolitik zugunsten des Buches avanciert.94 Trotz einer kontinuierlich wachsenden Buchproduktion konnte die brasilianische Verlagsbranche in den sechziger und siebziger Jahre den Bedarf an Büchern im eigenen Land nicht vollständig decken. Anders als vor dem Krieg wurden nicht in erster Linie Publikationen aus Portugal und Frankreich importiert, sondern technische und wissenschaftliche Fachbücher aus Spanien und Argentinen und verstärkt auch aus den USA bezogen. Die US-amerikanische Verlagswirtschaft konnte auch dank eines von der US-amerikanischen Hilfsorganisation USAID unterstützten und durch die Comição Nacional do Livro Técnico y Didáctico (COLTED) durchgeführten Schulbuchprogramms zunehmend an Einfluss gewann. Nachdem zunächst vor allem englischsprachige Lehrwerke nach Brasilien exportiert worden waren, begannen US-amerikanische Bildungsverlage in den sechziger Jahren, verstärkt portugiesische Übersetzungen herauszugeben. Sie gründeten zu diesem Zweck entweder Niederlassungen in Brasilien oder beteiligten sich an bereits bestehenden brasilianischen Unternehmen: So war beispielsweise Addison-Wesley an Fundo Educativo Brasileiro und Wiley an Livros Técnicos e Científicos beteiligt; McGraw Hill do Brasil wurde 1970 gegründet. Auf brasilianischer Seite wurde zunehmend Kritik an der wachsenden Präsenz US-amerikanischer Verlagserzeugnisse laut: War in den fünfziger Jahre der Import wissenschaftlicher und technischer Literatur aus dem Fortschrittsland USA noch als unabdingbar für die Modernisierung des Landes angesehen worden, deutete vor allem die linke Intelligenz die Internationalisierungs- bzw. Amerikanisierungstendenzen in den sechziger und siebziger Jahren als Form von Imperialismus. Vor diesem Hintergrund bemühte sich die brasilianische Regierung darum, den Aufkauf buchhändlerischer Betriebe durch US-amerikanische Verlage oder Investoren zu unterbinden. So wurde die Übernahme des bedeutenden Unternehmens Editora Nacional durch McGraw Hill verhindert.95 Eine Phase großer wirtschaftlicher Prosperität zwischen 1969 und 1973, das sogenannte milagre brasileiro, bescherte auch dem brasilianischen Verlagswesen enorme Wachstumsraten: Innerhalb weniger Jahre konnte sich die Anzahl der produzierten Titel auf über 12.000 Titel verdoppeln, die Auflage steigerte sich zwischen 1969 und 1972 um über zwanzig Prozent. Die Verlagstätigkeit konzentrierte sich auf die beiden großen kulturellen wie wirtschaftlichen Zentren Rio de Janeiro und São Paulo, in denen über drei Viertel aller in Brasilien produzierten Titel veröffentlicht wurden,
94 Vgl. zum Aufgabenspektrum des Instituto Nacional do Livro in den siebziger Jahren: Herberto Sales: Das Buch in der brasilianischen Kulturpolitik. In: Deutsch-Brasilianische Hefte XIV (1975), H. 3, S. 148–157; ders.: Aspectos de la política gubernamental del libro en el Brasil. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 27 (1980), S. 17–20. 95 Vgl. zum Einfluss US-amerikanischer Verlagshäuser in Brasilien kritisch: Inês Pereira da Luz: A indústria do livro no Brasil. A presença das multinacionais. In: Comunicão e Sociedade 5 (1983), H. 9, S. 120–137.
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während im übrigen Land, von Pôrto Alegre einmal abgesehen, kaum Verlage ansässig waren. In São Paulo, dem größten industriellen Zentrum Lateinamerikas, hatte sich auch ein bedeutendes graphisches Gewerbe angesiedelt. Eine explosionsartig wachsende Bevölkerung, eine forcierte Industrialisierung, eine zunehmende Urbanisierung und eine größer werdende Mittelschicht bildeten die Koordinaten, innerhalb derer sich die brasilianische Verlagsindustrie ungeachtet wirtschaftlicher und politischer Instabilitäten, einer zeitweise galoppierenden Inflation und trotz der während der Militärdiktatur erlassenen, drastischen Zensurbestimmungen entfalten und entwickeln konnte. Wenn Brasilien absolut betrachtet der führende Buchproduzent Lateinamerikas war, darf dieser Superlativ allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass eine weiterhin hohe Analphabetenquote und geringe Kaufkraft den Zugang zum Buch für weite Teile der Bevölkerung, insbesondere für diejenige, die in ländlichen Gebieten lebte, unmöglich machte.
8.1.3 Defizitäre Vertriebsstrukturen: Das Manko im lateinamerikanischen Buchhandel Nach Einschätzung der Experten, die von UNESCO und CERLALC mit der Analyse der Buchmärkte Lateinamerikas beauftragt wurden, stellte nicht primär die Buchproduktion, sondern vielmehr eine ineffiziente und unzureichende Distribution die zentrale strukturelle Schwäche der Buchmärkte dar: »[I]t may perhaps be argued that the major problem in Latin America resides not so much in low production as in the inefficient distribution and circulation of books.«96 Bei der Analyse der Vertriebswege des Buches in Lateinamerika muss zwischen der nationalen Organisation einerseits und dem grenzüberschreitenden Handel andererseits unterschieden werden. In zahlreichen Analysen wurde diesem Sachverhalt durch sprachliche Differenzierung Rechnung getragen: Die Bedingungen des Im- und Exports von Büchern wurden unter dem Begriff circulación bzw. circulation diskutiert, das Vertriebssystem innerhalb eines Landes als distribución bzw. distribution bezeichnet. Unter Distribution wurden dabei in einem umfassenden Sinn alle diejenigen Kanäle verstanden, die der Bevölkerung den Zugang zum Buch ermöglichten. Zu letzteren zählten Zwischenbuchhandel und traditionelle Sortimentsbuchhandlun-
96 Augsburger: Latin American Book Market, S. 45. Ähnlich: Cárdenas Nannetti: Hacia una sociedad lectora en América Latina, S. 73. Auch Robert Escarpit, der Ende der sechziger Jahre im Auftrag der UNESCO einige lateinamerikanischen Länder bereiste, sah den Vertrieb als zentrales Problem der lateinamerikanischen Buchmärkte an: Vgl. Robert Escarpit: Rappport de mission au Mexique (11–19 janvier 1969). Programme de promotion du livre en Amérique latine. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1301/BMS.RD/COM.FF; FF/1904/2606), S. 2. Eine ähnliche Einschätzung liefert Álvaro Garzón: La problemática del libro en América Latina, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–36).
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gen, aber auch sonstige Buchverkaufsstellen wie Schreibwarenläden und Supermärkte sowie Institutionen der Literaturvermittlung wie vor allem Bibliotheken. Hürden und Hemmnisse des Buchaußenhandels Wie die Analyse der Buchproduktion in den lateinamerikanischen Ländern gezeigt hat, war die Einfuhr von Büchern insbesondere aus Europa und den USA nicht unumstritten. Einerseits wurde der Import von vor allem wissenschaftlicher und technischer Literatur als essenziell für den nationalen Fortschritt bewertet und – wie am Beispiel Brasiliens illustriert – zeitweise von Zollabgaben befreit und mit vorteilhaften Wechselkursen zusätzlich begünstigt. Andererseits witterte man in der Einfuhr von im Ausland produzierten Büchern die Gefahr kultureller Überfremdung und wertete sie als massives Hemmnis für die Entwicklung einheimischer Verlage. Zur Wahrung nationaler Interessen konnte der Im- und Export von Büchern sowohl mit traditionellen außenhandelspolitischen Instrumenten wie Zöllen, Einfuhrkontingenten und Exportsubventionen als auch durch die Festlegung von Wechselkursen gesteuert werden. Obgleich bis Ende der sechziger Jahre nur sehr wenige lateinamerikanische Staaten das Abkommen von Florenz ratifiziert hatten, beschränkten Importzölle den grenzüberschreitenden Buchhandel in Lateinamerika nur bedingt. Erschwert wurde die Bucheinfuhr im stärkeren Ausmaß durch umständliche Verfahrenswege und bürokratische Regelungen, wie sie etwa bei der Bewilligung von Ein- und Ausfuhrlizenzen oder bei der Beantragung von Devisen auftreten konnten. So wurde beispielsweise Mitte der sechziger Jahre aus Kolumbien berichtet, dass zur Abwicklung eines Imports von Büchern im Wert von 25 US-Dollar 140 Unterschriften benötigt und sechs Monate Bearbeitungszeit veranschlagt wurden: [P]ara una importación de veinticinco dólares se necesitan: 40 documentos en originales o copias; 140 firmas; 20 viajes al Banco de la República, los correos, la aduana y el banco comercial correspondiente. Entre idas y venidas, los documentos viajan no menos de veinte kilómetros. Un pedido tarda seis meses para ser ultimado.97
Auch die Zollabfertigung konnte die Einfuhr von Büchern erheblich verzögern, wie Sigfred Tauberts Schilderung der Situation am Hauptzollamt von Buenos Aires Anfang der sechziger Jahre eindringlich zeigt: Wir wollen uns hier nicht in Einzelheiten verlieren, möchten vielmehr betonen, dass die Bedingungen, unter denen sich die Post- und Zollerfahrungen der Importeure abspielen, nur als äußerst primitiv zu bezeichnen sind. Das betrifft Sortierung, Lagerhaltung, Behandlung der Sendungen und alle technischen und personalmässigen Vorgänge, die gemeinhin zum Ablauf einer solchen Arbeit gehören. Zum Zeitpunkt unseres Aufenthaltes in Buenos Aires war, um ein Beispiel zu nennen, gerade ein großer Post- und Zollbeamtenstreik zu Ende gegangen. Diesen
97 Pasión y Muerte del Libro en Colombia. In: El libro español VIII (1965), H. 40, S. 557–559, hier S. 559.
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vierwöchentlichen Streik hatte man wohlweislich in die Hauptandrangszeit vor Weihnachten gelegt, und das bedeutet nun, dass eine Post- und Zollverwaltung, die schon unter Normalbedingungen nicht zu Rande kommt, nun plötzlich noch eine viel größere Arbeitslast zu bewältigen hatte. Die alten Sendungen blieben in den großen Lagerhallen unten liegen, die neuen wurden einfach draufgeschüttet. Niemand vermochte zu sagen, wann die alten Sendungen einmal die Chance haben würden, erledigt zu werden. Ähnliche Bilder fand man überall. Die Lagerräume sind unzureichend, häufig von Rattenfrass, Ungeziefer und von Feuchtigkeit bedroht, und die dort arbeitenden Menschen verdienen so wenig, dass man von ihnen kaum mehr erwarten kann, als das tatsächlich geleistete. Allerdings bietet die mangelhafte Bezahlung das Regulativ, das es dem anpassungsfähigen und wendigen Importbuchhändler erleichtert, rasch und reibungslos an seine Sendungen zu gelangen. In diesem Sinne sind Schmiergelder aller Art durchaus nichts Unehrenhaftes, wenngleich sie auch kostenmässig eine sehr große Belastung darstellen.98
Wenn die vorgestellten Schilderungen der Importbedingungen in Kolumbien und Argentinien lediglich Momentaufnahmen waren und von ihren Verfassern etwas überspitzt dargestellt sein mögen, illustrieren sie dennoch den beträchtlichen Aufwand, den die Einfuhr von Büchern verursachen konnte. Neben den genannten, der Steuerung und Regulierung des Außenhandels dienenden Faktoren bedingten ferner die volkswirtschaftlichen Realitäten die Möglichkeiten, Bücher aus dem Ausland einzuführen, denn der Import von Gütern und deren Bezahlung war direkt an nationale Devisenvorräte gekoppelt: Gingen die Devisen aus oder wurden knapp, konnten Bücher nicht importiert bzw. importierte Bücher nicht bezahlt werden. So wurde mehrfach aus Argentinien berichtet, dass Regierungsstellen die Zahlungen für bereits importierte Bücher blockierten. Mitte der sechziger Jahre lagen etwa 90.000 Bücher unabgefertigt im Zollamt von Buenos Aires, um den Abfluss von Devisen zu verhindern.99 Zusätzlich zu den skizzierten komplizierten Verfahrenswegen und der Abhängigkeit von Devisenvorräten war es vor allem eine unzureichende Infrastruktur, die den grenzüberschreitenden Buchhandel massiv beeinträchtigte. Der Transport von Büchern aus Europa nach Lateinamerika war langsam und kostenintensiv, Transportzeiten von sechs Monaten und mehr durchaus üblich. Der Verleger einer der führenden Wissenschafts- und Fachbuchverlage Spaniens Manuel Aguilar berichtete 1972, dass aufgrund der langen Transportzeiten die Novitäten mit einer Verzögerung von einem Jahr in die Buchhandlungen Hispanoamerikas kamen.100 Der intraregionale Handel zwischen den lateinamerikanischen Staaten litt unter den unzureichenden Transportbedingungen in noch größerem Ausmaß als der transatlantische Buchhandel. Profitierten die spanischen und US-amerikanischen Buchexporteure von einer
98 Taubert: Lateinamerika, S. 36. 99 Vgl. Los libros y las trabas aduaneras. In: El libro español VIII (1965), H. 94, S. 579–581, hier S. 581; vgl. auch: Noventa mil libros rentenidos. In: El libro español VIII (1965), H. 96, S. 693. 100 Vgl. Manuel Aguilar: Problemas de la comercialización del libro técnico y científico en países de lengua española. In: El libro español XV (1972), H. 177, S. 441–445, hier S. 444.
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relativ guten Verbindung per Schiff und Flugzeug nach Lateinamerika, waren die lateinamerikanischen Länder untereinander äußerst schlecht vernetzt: Die Post funktionierte nur bedingt; präferenzielle Tarife für den Buchversand gab es lediglich in wenigen Ländern, so etwa in Argentinien und Kolumbien. Hinzu kam, dass die kleineren lateinamerikanischen Verlage nicht über eine professionelle, flächendeckende Vertriebsorganisation verfügten, wie sie die großen spanischen Verlage mit finanzieller Unterstützung des Franco-Regimes und auch die großen, multinational agierenden US-amerikanischen Verlagshäuser hatten aufbauen können. Die mangelhaften Informations- und Kommunikationsstrukturen erschwerten den Außenhandel innerhalb Lateinamerikas zusätzlich: Ohne aktuelle Informationen über existierende Buchhandelsfirmen und lieferbare Titel war ein koordinierter transnationaler Buchhandel kaum denkbar. Innerhalb der Panamerikanischen Union, des Zentralorgans der Organisation Amerikanischer Staaten, bemühte man sich daher, zur Verbesserung der brancheninternen Kommunikation beizutragen. Das 1958 in sechster Auflage veröffentlichte Adressbuch lateinamerikanischer Buchhandlungen und Verlage und die zwei Jahre später erschienene Studie über die Situation des lateinamerikanischen Buchhandels waren ebenso Ausdruck dieser Bestrebungen wie die Ausrichtung von Buchaustellungen und Buchwochen wie beispielsweise dem Festival del Libro en América, das erstmals 1956 in Caracas stattfand.101 Neben der Organisation Amerikanischer Staaten trug auch das US-amerikanische Verlagshaus Bowker zu einer Verbesserung des Informationsflusses zwischen den lateinamerikanischen Buchmärkten bei: Der auf Fachinformationen vorwiegend für die USamerikanische Buchbranche spezialisierte Traditionsverlag – Bowker gab seit 1872 die Zeitschrift Publishers’ Weekly heraus – expandierte Anfang der sechziger Jahre auf den lateinamerikanischen Markt: Zunächst vom Verlagssitz in New York, ab 1964 von der neu gegründeten Lateinamerika-Dependenz in Buenos Aires wurde vierteljährlich das bibliographische Verzeichnis Fichero bibliográfico hispanoamericano herausgegeben und auch ein Verzeichnis lieferbarer Bücher (Libros en Venta) erstellt. Außerdem publizierte Bowker 1968 und 1974 die bereits mehrfach zitierten Adressbücher des lateinamerikanischen Buchhandels.102 Im Vorwort zur ersten Ausgabe des Fichero wurde nicht nur dessen Zielsetzung herausgestellt, sondern auch eindringlich darauf verwiesen, dass aktuelle Informationen über die Verlagsproduktionen
101 Vgl. Directorio de librerías y casas editoriales en América Latina. 6. Auflage. Washington, D.C.: Unión Panamericana, Secretaría General de la Organización de los Estados Americanos 1958 (Bibliographic Series 2. Part 3); Jennison/Kurth: Books in the Americas. Siehe ferner: La O.E.A. y los festivales del libro. In: Tercer festival del libro de América. Organizado por la Universidad de Buenos Aires con el auspicio de la O.E.A. Buenos Aires: Universidad de Buenos Aires 1960 (Boletín Informativo No. 2), S. 1–2. 102 Vgl. La empresa del libro en América Latina. Una guía seleccionada de las editoriales, distribuidores, y librerías en América Latina. Buenos Aires: Bowker Editores Argentina 1968; La empresa del libro en America Latina. Hrsg. von Mary C. Turner. Buenos Aires: Bowker Editores Argentina 1974.
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Hispanoamerikas für das Funktionieren eines regionalen Buchhandels konstitutiv waren: Este fichero se propone proveer a Hispanoamérica de un acceso expedito a sus propias fuentes intelectuales [. . .] La América Hispana necesita un medio efectivo y rápido para informarse de sus libros [. . .] Se le presentan las dificultades de su medio geográfico; pero, contando con la enorme ventaja del idioma común, no debe esperar más tiempo un servicio que le permita saber de sus propias obras literarias, científicas, económicas, pedagógicas, etc. mientras éstas se hallan aún en venta, y sea tiempo todavía de que las comprenden quienes las quieran y necesiten, dando así estímulo y apoyo a los editores, libreros y autores [. . .] Lo que se necesita es una bibliografía que actúe como un estimulante eficaz de la actividad editorial y no como un mero observador pasivo de la misma; una bibliografía que ayuda al nacimiento del libro y no que escriba simplemente su epitafio.103
Sortimentsbuchhandlungen, Kioske, Supermärkte, Schreibwarenläden und Tankstellen: Vertriebswege des Buches Informationen zum Buchvertrieb in den lateinamerikanischen Staaten sind für die sechziger und siebziger Jahre nur sehr spärlich vorhanden. Umsatzstatistiken, die Aufschluss über die Bedeutung der unterschiedlichen Vertriebswege geben könnten, liegen nicht vor; die Anzahl an Buchhandlungen und Buchverkaufsstellen wurde – wenn überhaupt – geschätzt; nationale Adressbücher des Buchhandels existierten nicht; nur in wenigen Ländern, wie beispielsweise in Mexiko, hatten sich Buchhändler zu Berufsverbänden zusammengeschlossen. Eine Auswertung der in den regionalen Adressbüchern aufgeführten Buchhandlungen (vgl. Tabelle 8) bestätigt eine vielfach diagnostizierte, zentrale Schwäche der lateinamerikanischen Buchmärkte: Nicht nur die Verlage, sondern auch die Sortimentsbuchhandlungen waren hauptsächlich in den Hauptstädten und Metropolen konzentriert: In fast allen lateinamerikanischen Staaten waren mehr als fünfzig Prozent der in den Adressbüchern verzeichneten Buchhandlungen in der jeweiligen Hauptstadt bzw. im Fall von Brasilien in den beiden Großstädten Rio de Janeiro und São Paulo niedergelassen. In vielen Ländern lag der Anteil der in der Hauptstadt ansässigen Buchhandlungen sogar bei weit über siebzig Prozent. Auch wenn in den regionalen Adressbüchern hauptsächlich der traditionelle Vertriebszweig der Sortimentsbuchhandlung erfasst wurde, also Zeitungskioske, Schreibwarenläden und andere Buchverkaufsstellen als Vertriebsformen nicht aufgenommen waren, deuten die Zahlen auf eine vergleichsweise große buchhändlerische Betriebsdichte in den Hauptstädten und ein Versorgungsdefizit in ländlichen Regionen hin, zumal vielerorts die Transportmöglichkeiten per Post derart mangelhaft waren, dass diese einen sicheren und schnellen Versand von Büchern aus den Zentren in die Provinzen nicht erlaubten.
103 [Editorial]. In: Fichero bibliográfico hispanoamericano 1 (1961), S. 1–2, hier S. 1.
149 22 170 94 11 13 34 26 19 6 109 56 135 10 25 21 43 25 53 62
286 22 97 61 11 15 18 14 20 15 52 k.A. 119 16 11 15 54 20 36 67
Anzahl der verzeichneten Buchhandlungen 47% 64% 77% 74% 100% 100% 67% 93% 95% 53% 48% k.A. 47% 88% 100% 100% 74% k.A. 97% 73%
Anteil der Buchhandlungen in der Hauptstadt
La empresa del libro en América Latina (1968)
385 38 169 60 13 19 19 6 18 6 65 k.A. 240 10 16 9 52 27 31 59
Anzahl der verzeichneten Buchhandlungen 57% 39% 79% 68% 92% 79% 63% 83% 100% 83% 45% k.A. 49% 70% 100% 100% 75% 30% 100% 75%
Anteil der Buchhandlungen in der Hauptstadt 2,27 1,58 0,31 1,04 1,39 0,82 0,57 0,31 0,63 0,45 0,53 k.A. 0,89 0,91 1,89 0,69 0,70 1,57 1,53 1,01
Anzahl Buchhandlungen pro 100.000 alphabetisierter Erwachsener
La empresa del libro en América Latina (1974)
Quellen: Directorio de Librerias y Casas Editoriales en América Latina. Sexta Edición. Washington, D.C.: Unión Panamericana, Secretaría General de la Organización de los Estados Americanos 1958 (Bibliographic Series 2. Part 3); La empresa del libro en América Latina. Una guía seleccionada de las editoriales, distribuidores, y librerías en América Latina. Buenos Aires: Bowker Ediciones 1968 und 1974. Im Fall Brasiliens wurden nicht die Buchhandlungen in der Hauptstadt Brasilia, sondern in den Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo erfasst. Eigene Auswertung und Darstellung.
Argentinien Bolivien Brasilien Chile Costa Rica Dom. Republik Ecuador El Salvador Guatemala Honduras Kolumbien Kuba Mexiko Nicaragua Panama Paraguay Peru Puerto Rico Uruguay Venezuela
Anzahl der verzeichneten Buchhandlungen
Directorio de Librerías y Casas Editoriales (1958)
Tabelle 8: Struktur des Sortimentsbuchhandels in Lateinamerika, Mitte der fünfziger bis Mitte der siebziger Jahre.
Strukturen des Buchhandels in Lateinamerika
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348
Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
Exemplarisch sei die Situation der Buchhandlungen in Mexiko dargestellt. Während in Mexiko-Stadt eine vielseitige Buchhandelslandschaft existierte104 , nahm die Dichte der Buchhandlungen außerhalb der Metropole rapide ab: Selbst Provinzhauptstädte wie Monterrey, Guadalajara oder Puebla verfügten nur über wenige Buchhandlungen, in einigen der insgesamt 29 Bundesstaaten existierte ein einziger, manchmal aber auch gar kein Betrieb, der ausschließlich Bücher verkaufte und somit als klassische Sortimentsbuchhandlung zu bezeichnen wäre. Verbreiteter als Buchhandlungen waren Papier- und Schreibwarenläden, die hauptsächlich Büroartikel und Spielwaren, häufig aber auch ein kleines Sortiment an Büchern führten. Schätzungen zufolge existierten Ende der sechziger Jahre in Mexiko etwa zweitausend Schreibwarengeschäfte mit (stark) reduziertem Buchangebot, davon befanden sich gut ein Drittel in der Hauptstadt.105 Die mexikanischen Verlage, die einen Großteil ihres Umsatzes in Mexiko-Stadt tätigten, waren am kostenintensiven Aufbau eines funktionierenden Vertriebs in den Provinzen kaum interessiert. Weiterhin schwächte das staatliche Schulbuchmonopol die Vertriebsstrukturen auf dem Land, da das Schulbuch ohne Einbeziehung des lokalen Buchhandels direkt an die Schulen verteilt wurde. Ähnlich wie in Mexiko stellte sich die Situation in Brasilien dar, wo abseits der großen Städte kaum Möglichkeiten zum Bucherwerb vorhanden waren. Schätzungen des Sindicato Nacional dos Editores de Livros zufolge existierten 1972 in Brasilien etwa 600 Buchhandlungen und 1.200 Buchverkaufsstellen.106 Über drei Viertel aller brasilianischen Buchhandlungen waren in den Ballungszentren Rio de Janeiro und São Paulo ansässig, wo sich eine relativ gesehen geringere Analphabetenquote, eine größere Kaufkraft und eine höhere Bevölkerungsdichte positiv auf den Buchabsatz auswirkten. Der Buchvertrieb in andere, weit entlegene Regionen Brasiliens war aufgrund der schlechten Infrastruktur und der im Vergleich zu den urbanen Zentren viel geringeren Umsätzen zumeist so teuer, dass er von vielen Verlagen nicht in Erwägung gezogen wurde. Um das insbesondere in den ruralen Gegenden sehr dünne Netz an Buchhandlungen und Buchverkaufsstellen auszubauen, wurden in einigen Staaten zunehmend unkonventionelle Vertriebsformen erschlossen. So weitete die brasilianische Regierung 1968 die dem Sortimentsbuchhandel gewährten steuerlichen Vorteile auf Apotheken und Tankstellen aus, um diese zum Verkauf von Büchern zu animieren.107 In
104 Vgl. Juana Zahar Vergara: Historia de las librerías de la Ciudad de México. Una evocación. Mexiko-Stadt: Universidad Nacional Autónoma de México, Centro Universitario de Investigaciones Bibliotecológicas 1995 (Monografías. 18). 105 Vgl. Rose: Rapport sur l’industrie du livre au Mexique, S. 14. 106 Vgl. Hallewelll: Books in Brazil, S. 373. 107 Vgl. ebd., S. 399.
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Mexiko kam zeitweise eine mobile Buchhandlung zum Einsatz. In Nicaragua wurden in Supermärkten zunehmend Buchabteilungen integriert.108 Einer Verbesserung der Vertriebsstrukturen außerhalb der großen Städte stand in vielen lateinamerikanischen Ländern neben den bereits mehrfach erwähnten unzureichenden Transportbedingungen ein kaum entwickelter Zwischenbuchhandel entgegen. Insbesondere die wenigen kleinen einheimischen Verlage verfügten nur selten über Auslieferungen oder Verlagsvertreter, die auch in den Provinzen operierten. Lediglich größere Verlagshäuser, insbesondere solcher spanischer Herkunft, bedienten systematisch auch das Hinterland, wie etwa aus Peru berichtet wurde: Otra característica del comercio del libro en el país es el mercado casi exclusivamente constreñido a la capital de la República. En provincias sólo se venden algunas revistas y de vez en cuando el libro importado, que tiene una cobertura mayor dado que utilizan agencias y distribuidoras que implementan las mismas editoriales extranjeras. Es así como copan nuestro mercado de provincias.109
Die argentinische Verlagswirtschaft konnte zum Absatz ihrer Waren auf ein relativ enges Vertriebsnetz zurückgreifen. 1979 hatte die Cámara del Libro Argentino neben zweitausend Buchhandlungen knapp 15.000 Buchverkaufsstellen registriert, über die vor allem populäre Lesestoffe und preisgünstige Taschenbuchausgaben abgesetzt wurden.110 Wie im Rest der südamerikanischen Staaten konzentrierte sich auch im Buchhandelsmekka Lateinamerikas der Buchverkauf auf die Hauptstadt. Die Buchhandlungen in den Straßen Florida und Corrientes in Buenos Aires waren über die Landesgrenzen hinaus bekannt, vor allem die Buchhandlung El Ateneo – gleichzeitig auch ein bedeutender Wissenschaftsverlag – genoss internationales Renommee.111 Schon früh bemühte sich die argentinische Buchbranche um neue Vertriebsformen und die Erschließung neuer Käuferschichten. Die Ausrichtung einer Kinderbuchwoche (seit 1947) sowie einer jährlichen Buchwoche (seit 1958) sind als Maßnahmen zu werten, die nicht nur für das Medium Buch werben, sondern auch Kaufanreize schaffen wollten. Unkonventionelle Wege im Vertrieb gingen von verlegerischer Seite her vor allem der Universitätsverlag EUDEBA (gegründet 1958) und der von ehemali-
108 Vgl. Ellen H. Brow: First Impressions on the Panamanian and Nicaraguan Book Scene: 1976. In: The Multifaceted Role of the Latin American Subject Specialist. Final Report and Working Papers of the Twenty-Second Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. University of Florida Gainesville, Florida, June 12–17, 1977. Hrsg. von Anne H. Jordan. Austin: Secretariat SALALM 1979, S. 215–219, hier S. 218. 109 Sánchez Lihón: Libro y lectura, S. 82. 110 Vgl. Le marché du livre en Argentine 1979. Hrsg. vom Syndicat National de l’Edition und Bureau d’Information et de Liaison pour l’Exportation. Paris: Cercle de la Librairie 1980, S. 59. 111 Vgl. zur Geschichte von El Ateneo: Eustasio Antonio García: El Ateneo. Vida y obra de Pedro García. Buenos Aires: Editorial Dunken 2004 (El aporte de los editores españoles en el Río de la Plata).
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
gen EUDEBA-Mitarbeitern 1966 gegründete Verlag Centro Editor de América Latina.112 Gemäß ihrer Devise, mit preisgünstigen, für ein breites Publikum konzipierten Reihen auch kaufkraftschwachen Bevölkerungsschichten den Zugang zur Lektüre zu ermöglichen – EUDEBA folgte dem Motto »Libros para todos«, das Centro Editor de América Latina dem Grundsatz »Más libros para más« – wurden neue Vertriebswege beschritten: EUDEBA eröffnete Verkaufsstellen nicht nur in den Fakultäten von Universitäten, sondern richtete auch Kioske an strategisch bedeutsamen Stellen wie Bahnhöfen und in U-Bahn-Stationen ein. Die Absatzmethoden des Centro Editor de América Latina bestanden in einer Zusammenarbeit mit dem Pressegroßhandel – zeitweise wurde pro Woche ein Kapitel eines Buches an Zeitungskiosken verkauft – und im Vertrieb ihrer Ware auf Subskriptionsbasis und durch den Kolportagebuchhandel. Buchklubs hingegen hatten sich aufgrund unzureichender und unzuverlässiger Postdienstleistungen weder in Argentinien noch in anderen Ländern Lateinamerikas durchsetzen können. Bibliothekslandschaften in Lateinamerika Die Situation der (öffentlichen) Bibliotheken hatte sich im lateinamerikanischen Raum im Anschluss an das 1951 in São Paulo ausgerichtete UNESCO-Bibliotheksseminar und die Eröffnung der Pilotbibliothek im kolumbianischen Medellín nicht wesentlich verbessert.113 Der an die Bibliothek als bedeutende Institution der Literaturvermittlung formulierte Anspruch, jedem Bürger den freien Zugang zum Buch zu ermöglichen und somit zur kulturellen und sozialen Demokratisierung beizutragen, wurde in den Ländern Lateinamerikas nur bedingt eingelöst: Die Bibliotheksdichte, insbesondere außerhalb der urbanen Zentren, war gering. Nach Schätzungen der OAS-Beauftragten für Bibliotheken Marietta Daniels gab es Anfang der sechziger Jahre in Lateinamerika etwa in einer von fünf Städten über zweitausend Einwohner eine öffentliche Bibliothek.114 Das 1963 von der Organisation Amerikanischer Staaten herausgegebene Adressbuch lateinamerikanischer Bibliotheken verzeichnete 2.300 Einrichtungen mit einem Bestand von über zweitausend Büchern, davon waren 528 öffentliche Büchereien.115 Der von Daniels auf Basis von Berechnungen und Schätzungen ermittelte Quotient zwischen dem Gesamtbestand aller öffentlichen Büchereien eines Landes auf der einen und der Größe der Bevölkerung auf der 112 Das Lebenswerk Boris Spivacows, des ersten Geschäftsführers von EUDEBA und späterem Gründers des Centro Editor de América Latina, wird gewürdigt in: Boris Spivacow. Memoria de un sueño argentino. Hrsg. von Delia Maunás. Buenos Aires: Ediciones Colihue 1993 (Colección Signos y Cultura). Vgl. ferner: Leandro de Sagastizábal: Breve historia de la Editorial Universitaria de Buenos Aires (EUDEBA). In: La Biblioteca 4/5 (2006), S. 472–480. 113 Vgl. hierzu Kapitel 5.1 dieser Arbeit. 114 Vgl. Marietta Daniels: Bibliotecas públicas y escolares en América Latina. Washington, D.C.: Unión Panamericana, Secretaría General, Organización de los Estados Americanos 1963 (Estudios bibliotecarios. 5), S. 5. 115 Vgl. Guía de bibliotecas de la América Latina.
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Tabelle 9: Struktur des öffentlichen Bibliothekswesens in Lateinamerika um 1960.
Argentinien Bolivien Brasilien Chile Costa Rica Dom. Republik Ecuador El Salvador Guatemala Honduras Kolumbien Mexiko Nicaragua Panama Paraguay Peru Uruguay Venezuela
Anzahl öffentlicher Bibliotheken
Gesamtbuchbestand (Schätzung)
Bücher pro Einwohner
1.324 11 444 185 13 7 24 5 75 32 118 59 3 69 1 163 34 27
4.183.000 258.000 2.858.000 1.205.000 45.000 15.000 207.000 15.000 79.000 17.000 591.000 631.000 16.000 122.000 7.000 166.000 284.000 148.000
0,20 0,07 0,04 0,16 0,04 0,01 0,05 0,01 0,02 0,01 0,04 0,02 0,01 0,12 0,004 0,02 0,10 0,02
Quelle: Marietta Daniels: Bibliotecas públicas y escolares en América Latina. Washington, D.C.: Unión Panamericana, Secretaría General, Organización de los Estados Americanos 1963 (Estudios bibliotecarios. 5), S. 115. Eigene Darstellung.
anderen Seite zeugt eindrücklich von nur bedingt entwickelten Bibliothekssystemen in den lateinamerikanischen Staaten (vgl. Tabelle 9): Pro Einwohner standen zwischen 0,2 und 0,01 Bücher zur Verfügung. Im regionalen Vergleich ergaben sich dabei durchaus beträchtliche Unterschiede: Die Bibliotheken in den Ländern des Cono Sur, allen voran in Argentinien, waren verhältnismäßig gut ausgestattet. Gleiches galt für Panama. In den flächenmäßig großen Staaten wie Brasilien und Mexiko standen der Bevölkerung nur wenig Bücher zur Verfügung: In Brasilien waren 0,04 Bücher pro Einwohner vorhanden, in Mexiko lag die Quote bei 0,02 Büchern pro Einwohner. Eine schlechte finanzielle Ausstattung schränkte das Leistungspotenzial der vorhandenen Bibliotheken weiter ein. Nur wenige Einrichtungen verfügten über ein Budget zur Anschaffung von Büchern, die meisten konnten ihre häufig sehr alten Bestände nur durch Austausch oder Schenkungen erweitern. Die geringen Etats vieler lateinamerikanischer Bibliotheken wirkten auch auf das Verlagswesen zurück, denn die (gesicherte) Abnahme einer Teilauflage durch die öffentliche Hand, also ein institutioneller Markt, war meist nicht gegeben; dies belegen unter anderem Interviews, die Paul Bixler mit Vertretern der mexikanischen Buchbranche führte: The chief impression of this interview was Sr. Fernando Rodriguez’ astonishment when I said that many North American publisher took into account the possible sale to libraries when he
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
considered the publication of a book of significance but of limited sales appeal. His astonishment arose out of the absurd idea that libraries ever bought books. His Mexican experience had taught him that libraries never approached publishers or booksellers except to be for free copies.116
Eine Ausnahme stellte die Bibliothekspolitik Brasiliens dar. Nicht nur war durch die Kopublikationsprogramme des Instituto Nacional do Livro ein institutioneller Markt entstanden, sondern zudem wurde mit dem 1961 erlassenen Gesetz zur Bibliotheksförderung in den Regionen die Integration aller öffentlichen Bibliotheken im Sistema Nacional de Bibliotecas und somit eine professionelle und systematische Weiterentwicklung des nationalen Bibliothekswesens angestrebt.117 1957 wies der bereits mehrfach zitierte Gründungsvater des mexikanischen Verlages Fondo de Cultura Ecónomica Daniel Cosío Villegas in einem Beitrag auf den Zusammenhang zwischen Bibliotheksetats, Auflagenhöhe und Buchpreisen hin: »Si las bibliotecas compraran un número importante, el tiraje de cada libro sería mayor y su precio, en consecuencia, menor.«118 Trotz der Bedeutung, die Bibliotheken von internationalen Organisationen und Regierungen stetig attestiert bekamen, wurden die (finanziellen) Rahmenbedingungen nicht geschaffen, die den Bibliotheken die Erfüllung der zugedachten Aufgaben jedenfalls teilweise möglich gemacht hätten und die in der Folge auch der nationalen Verlagsindustrie die Abnahme eine Teilauflage garantiert hätte. Kommunikative und wirtschaftliche Austauschbeziehungen zwischen einem staatlich finanzierten Bibliothekswesen und einem mehrheitlich privatwirtschaftlich organisierten Buchmarkt waren damit in der Regel nicht gegeben.
8.1.4 Vielversprechende Aussichten für das Buch? Prognosen über wachsende Leser- und Käuferschichten Zeitgenössischen Einschätzungen zufolge las nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung in den lateinamerikanischen Ländern regelmäßig Bücher. So bezifferte beispielsweise der peruanische Schriftsteller und Chronist Enrique López Albujar in einer kulturkritischen Glosse das Verhältnis zwischen dem Teil der Bevölkerung, der las, und demjenigen, der regelmäßig dem Alkohol zusprach, auf eins zu zehn: Si por cada cantina que aquí se abre se abriera una librería, ya no podríamos ver con menos prevención la obra embrutecedora del alcoholismo. Que aquí se bebe más que se lee no es una cosa de ponerla en duda. Por cada lector hay por lo menos diez bebedores, y de todos los que leen, apenas si la cuarta parte se va por la lectura seria y sustanciosa. El resto sólo lee periódicos y cartas de familia.119 116 Paul Bixler: The Mexican Library. Metuchen: The Scarecrow Press 1969, S. 27. 117 Vgl. Daniels: Bibliotecas públicas y escolares, S. 50. 118 Daniel Cosío Villegas: Los problemas del libro en México. In: Mirador, April–Juni 1957, S. 8. 119 Enrique López Albujar: Libros, ¿para quién? In: Ders.: La mujer Diógenes – Cuentos de arena y sol – Palos al viento. Lima: Consejo Nacional de la Universidad Peruana 1972, S. 140–142, hier S. 140.
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Meist wurde die lesende Bevölkerung stark verallgemeinernd als urban, gebildet und zur Mittel- oder Oberschicht gehörend beschrieben; empirische Untersuchungen über Lesestoffe und -praktiken sowie soziodemographische Charakteristika der Buchkonsumenten, mit denen sich diese Einschätzungen verifizieren ließen, existieren jedoch nicht: Die Praxis der Buchmarkt- bzw. Buchleser(r)forschung hatte sich in den sechziger und siebziger Jahren noch in keinem Land der Region etabliert. Auch auf Grundlage der Buchproduktion und der Vertriebsorganisation konnten (und können) Rückschlüsse über die Größe und Zusammensetzung des Leser- und Käuferpublikums nur mit großer Zurückhaltung getroffen werden. Fehlende Auflagen- und Umsatzstatistiken des Buchhandels, unzureichende Aufzeichnungen über die Menge im- und exportierter Bücher sowie fehlende Nutzerstatistiken der Bibliotheken machen eine fundierte (quantitative) Aussage über den Buchgebrauch in Lateinamerika kaum möglich. Annäherungen an die potenzielle Leser- und Käuferschaft können für den hier relevanten Zeitraum daher nur mittels sozialer und kultureller Indikatoren erfolgen, die Bildung, persönliche Interessen und wirtschaftliche Möglichkeiten der Bevölkerung abbilden. In ihrer im Auftrag der Organisation Amerikanischer Staaten Ende der fünfziger Jahre erstellten Studie nähern sich Jennison und Kurth der Größe des Buchlesepublikums in Lateinamerika anhand der Auflage der Tageszeitungen an: The estimated circulation per 1,000 inhabitants of each country provide a crude index of literates who read, even at a fairly low level [. . .] Literary figures are difficult to analyze accurately, because of the varying criteria used in their construction, and because the years reported may not be the same for all countries. These data are analyzed in terms of the probable number of persons which comprise the market for books.120
Die Berechnungen, die auf Kennzahlen der Statistischen Jahrbücher der UNESCO beruhen, zeigen, dass der Anteil der Bevölkerung, der sowohl den Wunsch als auch die notwendigen finanziellen Mittel hatte, um eine Tageszeitung zu kaufen, zwischen zwanzig Prozent in Uruguay und gerade einmal 1,2 Prozent in Paraguay changierte. Auf ganz Lateinamerika bezogen erwarb Ende der fünfziger Jahre lediglich ein Siebtel der Bevölkerung regelmäßig eine Tageszeitung. Wenn selbstredend vom Kauf- und Leseverhalten von Zeitungen nicht unmittelbar auf dasjenige von Büchern geschlossen werden kann und die auf Zeitungskonsum basierenden Berechnungen daher nur als eine grobe Annäherung an das Buchleser- und -käuferpublikum zu werten sind, ist – wie Jennison und Kurth überzeugend argumentierten – ein auf Zeitungskonsum basierender Indikator dennoch weitaus aussagekräftiger als die häufig zu findende Berufung auf den alphabetisierten Teil der Bevölkerung als potenzielle Buchkonsumenten. Der Vergleich zwischen Alphabetisierungsquote und Zeitungsnutzung macht deutlich, dass zwischen der Fähigkeit zu lesen (potenzielle Leser) und dem
120 Jennison/Kurth: Books in the Americas, S. 13.
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
Tabelle 10: Tageszeitungsauflage als Indikator für die Größe des Lesepublikums in Lateinamerika 1970–1971.
Argentinien Bolivien Brasilien Chile Costa Rica Dom. Republik Ecuador El Salvador Guatemala Honduras Kolumbien Kuba Mexiko Nicaragua Panama Paraguay Peru Puerto Rico Uruguay Venezuela
Alphabetisierte Bevölkerung über 15 Jahre
Zeitungsexemplare pro 1.000 Einwohner
93% 58% 68% 88% 88% 74% 58% 4% 51% 78% 89% 67% 74% 55% 79% 80% 72% 85% 93% 76%
182 42* 37* 89 101 36 41 103 28 42* 109 94* k.A. 28* 92 41 122 182 k.A. 93*
Quellen: UNESCO Statistical Yearbook 1973. Paris: UNESCO 1974 (Newspaper circulation per 1,000 population); UNESCO Statistical Institute, Datenbank: Estimated illiteracy rate and illiterate population aged 15 years and older, by country, 1970–2015. Die mit * versehenen Angaben stammen aus dem Jahr 1971. Eigene Auswertung und Darstellung.
Wunsch und der finanziellen Möglichkeit, diese Fähigkeit auch anzuwenden (tatsächliche Leser), gravierende Unterschiede bestehen können: Während beispielsweise in Mexiko nach offiziellen Angaben Ende der fünfziger Jahre 57 Prozent der Bevölkerung des Lesens und Schreibens mächtig war, las lediglich 4,8 Prozent eine Tageszeitung. Betrachtet man die von Jennison und Kurth gewählten Indikatoren zur Einschätzung der Größe des Lesepublikums für das Jahr 1970, also gut fünfzehn Jahre nachdem die Studie für die OAS erstellt wurde, dann zeigt sich ein kaum verändertes Bild (vgl. Tabelle 10): Laut UNESCO-Daten betrug in nur wenigen lateinamerikanischen Staaten die Auflage von Tageszeitungen pro eintausend Einwohner mehr als einhundert Exemplare: In Puerto Rico und Argentinien erwarb gut ein Fünftel der Bevölkerung eine Tageszeitung; in Costa Rica, Kolumbien und Peru war es etwas mehr als zehn Prozent.121 Während in Chile, Panama und Venezuela sowie auf Ku-
121 Legt man die im Statistischen Jahrbuch der UNESCO dokumentierten Daten zugrunde, zirkulierten 1970 auch in El Salvador etwas mehr als zehn Zeitungsexemplare pro einhundert Einwohner. Es
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ba durchschnittlich knapp unter zehn Prozent der Bevölkerung eine Zeitung erstand, zirkulierten in Bolivien, Brasilien, der Dominikanischen Republik, Ecuador, Guatemala, Honduras und Paraguay weniger als fünfzig Zeitungsexemplare pro eintausend Einwohner. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass ein Zeitungsexemplar von mehreren Personen konsumiert wurde, zeigen sich große Abweichungen zwischen der zumindest offiziell des Lesens und Schreibens fähigen Bevölkerung und derjenigen, die Zeitungen las bzw. erwarb und damit seine Lesefähigkeiten auch nutzte. Trotz der eingeschränkten Aussagekraft weisen die Zahlen über den Zeitungskonsum Anfang der siebziger Jahre darauf hin, dass das Lese- und Kaufpublikum von Büchern in Lateinamerika stark begrenzt war und lediglich einen geringen Teil der Bevölkerung umfasste. Bildungsvoraussetzungen und finanzielle Möglichkeiten waren Faktoren, die die Nachfrage nach Gedrucktem wesentlich bedingten und auch die Produktions- und Distributionsbedingungen des Buches beeinflussten. Insbesondere die geringe Kaufkraft weiter Teile der Bevölkerung begrenzte den Bücherkonsum erheblich: Among the obstacles which keep this number of readers potential and not real, is, in the first place, the limited buying power of the people. In a geographic area in which 85 per cent of the work force earns the minimum wage, it is difficult to have any money left over which would permit access to the book market. Consequently, even if reading were to figure among our people’s habit, they have no access to books, because books are too expansive.122
Bei einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich etwa eintausend USDollar waren Bücher, deren Preis im Mittel umgerechnet zwischen vier und sechs USDollar betrug, für breite Bevölkerungsschichten in den siebziger Jahren ein schlichtweg unerschwingliches Luxusgut.123 Trotz des geringen Buchkonsums blickte die lateinamerikanische Buchbranche zuversichtlich in die Zukunft. Prognosen über eine schnell wachsende Bevölkerung, wirtschaftlichen Aufschwung und zunehmende Investitionen im Bildungsbereich stimmten positiv und ließen auf absolutes Wachstum sowie eine Ausweitung der Leser- und Käuferschichten hoffen: Nach Schätzungen des lateinamerikanischen
ist möglich, dass es sich hierbei um einen Fehler im Datenmaterial handelt, da es sieben Jahre zuvor lediglich 4,7 Exemplare pro einhundert Einwohner waren. Vgl. UNESCO Statistical Yearbook 1965. Paris: UNESCO 1966, S. 529. 122 Flor de Romero Nohra: The Writer, the Public, and Publishing in Latin America. In: Cultures 4 (1977), H. 2, S. 36–50, hier S. 38. 123 Vgl. Übersicht der durchschnittlichen Buchpreise in Lateinamerika in den siebziger Jahren: Robert C. Sullivan: Latin American Books: Average Costs for Fiscal Years 1973, 1974, 1975, and 1976. In: The Multifaceted Role of the Latin American Subject Specialist. Final Report and Working Papers of the Twenty-Second Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. University of Florida Gainesville, Florida, June 12–17, 1977. Hrsg. von Anne H. Jordan. Austin: Secretariat SALALM 1979, S. 112–113.
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Zentrums für Demographie und der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika sollte sich die Bevölkerung zwischen 1975 und 2000 verdoppeln.124 Mitte der siebziger Jahre war etwa die Hälfte der lateinamerikanischen Bevölkerung unter zwanzig Jahre alt. Der Bildungssektor hatte sich stark dynamisiert, das Schulwesen expandierte: Besuchten 1960 noch etwas weniger als 26 Millionen Kinder lateinamerikanische Grundschulen, waren es ein Jahrzehnt später fast 43 Millionen.125 Der Anteil der Ausgaben für Bildung am Bruttosozialprodukt stieg im lateinamerikanischen Durchschnitt von 2,8 Prozent im Jahr 1960 auf 3,7 Prozent im Jahr 1969 an.126 Angesichts dieser Entwicklungen mag es nicht verwundern, dass insbesondere die Schul- und Lehrbuchmärkte als Wachstumsmärkte gewertet wurden und, wie bereits dargestellt, das Interesse spanischer und US-amerikanischer Bildungsverlage weckten. Auch eine Steigerung der Kaufkraft gab Anlass zur Hoffnung: Die Wirtschaft wuchs und das reale Pro-Kopf-Einkommen stieg von 645 US-Dollar im Jahr 1960 auf 1.040 US-Dollar im Jahr 1978.127 Außerdem prägte die allgemeine Entwicklungs-, Modernisierungs- und Fortschrittseuphorie jener Jahre nachhaltig auch die Stimmung auf den lateinamerikanischen Buchmärkten. Als intellektueller Begleiter und Motor wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Transformationsprozesse wurde dem Buch vielfach eine verheißungsvolle Zukunft bescheinigt, wie die folgende Einschätzung des argentinischen Buchhändlers García exemplarisch illustriert: ¿Qué futuro se avecina en América, para la industria editora? Indudablemente, cabe una sola respuesta: un futuro promisor ¿Qué otro futuro puede esperar la industria creadora de tan noble instrumento si todo el continente está ávido de progreso? Palmo a palmo en su tierra se levantan y crecen nuevas y prósperas actividades. Crece su población [. . .], se combate su analfabetismo, se eleva su índice cultural y se promueve una política de desarrollo a través de los distintos programas de gobierno. Toda esta euforia en el orden económico social exige una paralela elevación cultural de los pueblos y, por consiguiente, una mayor necesidad de los medios de información y comunicación, y todo vehículo del pensamiento escrito, como diarios, revistas, folletos y libros. Ninguna duda queda con respecto al futuro que le pueda caber al libro y de su responsabilidad como alimento intelectual para los pueblos de América.128
124 Vgl. Augsburger: Latin American Book Market, S. 7. 125 Vgl. Evolución reciente de la educación en América Latina. II: Crecimiento y patrocinio. Un estudio de la UNESCO. Mexiko-Stadt: SepSetentas 1976, S. 13. 126 Vgl. ebd., S. 93. 127 Vgl. Augsburger: Latin American Book Market, S. 12. 128 García: Desarrollo de la industria editorial argentina, S. 158–159.
Gründung und Institutionalisierung des CERLALC
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8.2 Gründung und Institutionalisierung des CERLALC als Trägerinstitution für die regionale Buchförderung Auch die über zwanzig Experten aus Lateinamerika sowie die zahlreichen Beobachter, die auf Einladung der UNESCO im September 1969 in Bogotá zusammenkamen, um über Probleme des Buchhandels in der Region zu diskutieren und Maßnahmen zu dessen Stärkung zu beschließen, waren überzeugt – so ist es in der Abschlusserklärung zu lesen – dass ein Programm zur Förderung des Buches einen substanziellen Beitrag zum intellektuellen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt in der westlichen Hemisphäre leisten könne.129 Eine verbesserte regionale Zusammenarbeit und ein gemeinsamer, kontinentaler Buchmarkt ohne Handels- und Zollbeschränkungen wurden als Eckpfeiler eines im Detail noch zu formulierenden Programms definiert; der Vorschlag der kolumbianischen Regierung, eine Koordinationsinstanz in Bogotá ins Leben zu rufen, wurde einstimmig angenommen.130 In der Eröffnungsrede der Bogotá-Tagung deutete der Bildungsminister Kolumbiens das geplante Buchförderungszentrum als Teil des kulturellen und wirtschaftlichen Integrationsprozesses in Lateinamerika. Er stellte heraus, dass es sich um eine altruistische Organisation handele, die nicht in Konkurrenz zu den bestehenden buchhändlerischen Betrieben tätig werde, sondern vielmehr als deren Dienstleister fungiere: En realidad, lo que Colombia ha considerado necesario es la existencia de un [...] organismo multinacional concebido para un ámbito de trabajo regional con participación de expertos de diversas nacionalidades, que sin ánimo de competir con los grupos de instituciones que producen, distribuyen, importan o exportan libros, les ayuda a todos a mejorar la calidad de su trabajo, a fin de estructura debidamente lo que podríamos llamar el mercado común del libro en el continente.131
Das Zentrum wurde als eine integrative Institution konzipiert, deren Zielsetzung gemäß des Abschlussberichtes der Expertentagung darin bestehen sollte, den Buchhandel in den Ländern der Region zu stärken und langfristig auf eine Harmonisierung der lateinamerikanischen Buchmärkte hinzuwirken.132 Nachdem die Teilnehmer der Bogotá-Tagung die Entstehung eines Buchförderungszentrums einhellig begrüßt hatten, trieb die kolumbianische Regierung das Pro-
129 Vgl. Meeting of Experts on Book Development in Latin America, S. 19. 130 Vgl. Anteproyecto del Centro Regional del Libro en América Latina, preparado por el Gobierno de Colombia vom 27.7.1969 (UNESCO-Dokument: COM/CONF. 6/5, zu finden in: Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–014). 131 Octavio Arizmendi Posada: La infraestructura espiritual de la integración. Herencia cultural común de nuestro continente. Ofrecimiento de Colombia para el Centro de Fomento del libro. In: Noticias culturales 107 (1969), S. 10–12, hier S. 11. 132 Vgl. Meeting of Experts on Book Development in Latin America, S. 16–17.
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
jekt zügig voran. Noch bevor sich die Verhandlungen mit der UNESCO konkretisieren konnten, wurde im Februar 1970 die Gründung des Zentrums per Dekret verfügt und ein aus Vertretern kolumbianischer Kultur- und Bildungseinrichtungen bestehendes Gremium eingesetzt, das den Aufbau der Institution in die Wege leiten sollte.133 Mit der Unterzeichnung der Gründungsurkunde am 3. März 1970 war das Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina als nationale Organisation ins Leben gerufen.134 Das rege Interesse der Regierung in Bogotá, das lateinamerikanische Buchförderungsprogramm auf kolumbianischen Boden zu institutionalisieren, muss in direktem Zusammenhang mit den wirtschaftspolitischen Bestrebungen des Landes gesehen werden: Durch den staatlich geförderten Aufbau alternativer Wirtschaftszweige, unter anderem der Druck- und Verlagsindustrie, sollte die vom Kaffeeanbau äußerst abhängige kolumbianische Wirtschafts- und Exportstruktur diversifiziert werden.135 Die im 1958 verabschiedeten sogenannten Ley Esmeralda für einen Zeitraum von zunächst zehn Jahren vorgesehenen Begünstigungen – diese umfassten Steuererleichterungen (Befreiung buchhändlerischer und graphischer Betriebe von der Einkommens- bzw. Kapitalsteuer), Vereinfachungen beim Export, präferenzielle Posttarife und zollfreie Einfuhr von Druckmaschinen und Papier – gingen der Buchbranche indes nicht weit genug.136 Neben einer Verlängerung der bestehenden Regelungen forderte sie zusätzliche staatliche Unterstützungsleistungen, die helfen würden, die Wettbewerbsfähigkeit des kolumbianischen Buchhandels weiter zu verbessern: Kolumbien sollte in ihren Augen zur viertgrößten Buchhandelsnation des Kontinents nach Argentinien, Brasilien und Mexiko aufsteigen.137 Ein prosperierender Buchhandel würde, so legitimierte die Branche ihre Forderung nach einem nachgebesserten Buchförderungsgesetz, nicht nur der Verbreitung der nationalen Kultur dienen und
133 Vgl. Decreto 253 vom 20.2.1970 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). 134 Vgl. Acta de fundación vom 3.3.1970 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). Vgl. zur Gründungsgeschichte des CERLALC ferner: Informe del presidente de la Junta Directiva, August 1972 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALCDokument: CERLALC/C.I–02). 135 Vgl. einführend zur kolumbianischen Wirtschaftspolitik, insbesondere zur Diversifizierung der Exporte: José Antonio Ocampo Gaviria/Mauricio Avella Gómez/Joaquín Bernal Ramírez/Maria Errázuriz Cox: La industrialización y el intervencionismo estatal (1945–1980). In: Historia Económica de Colombia. Hrsg. von José Antonio Ocampo Gaviria. Bogotá: Editorial Planeta Colombiana, Fedesarrollo 2007, S. 271–339. 136 Vgl. Ley Esmeralda (Ley 74 de 1958) abgedruckt im Appendice II »Las Leyes del Libro« in: Arcadio Plazas: La industria editorial en Colombia. In: Políticas nacionales del libro. Colombia, Chile. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías CERLAL), S. 11–112, hier S. 75. 137 Vgl. Tito Livio Caldas: Industria editorial, cultura y desarrollo en Colombia. Bogotá: Editorial Minerva 1970; Antonio Cacua Prada: Sobre la propiedad intelectual y la industria editorial en Colombia. In: Arco 72 (1966), S. 774–776.
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dem kulturellen Kolonialismus entgegenwirken, sondern außerdem auch Arbeitsplätze schaffen: Ha sido por decidido apoyo del Estado como en otros países se ha fomentado la gran industria del libro, que ha venido a beneficiar no solamente los aspectos de cultura, de progreso y de divulgación de los valores nacionales, sino a crear fuentes de trabajo que ocupan millares de manos de obra.138
Vor diesem Hintergrund wurde 1969 im Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in der Vertreter aus Politik und Buchhandel über weitergehende wirtschaftsfördernde Schritte berieten.139 1973 wurde schließlich mit dem Ley del Libro Colombiano ein umfangreicher Maßnahmenkatalog verabschiedet, der zusätzlich zu den im Ley Esmeralda enthaltenen Begünstigungen eine Befreiung von Büchern von der Mehrwertsteuer, die Einrichtung eines nationalen Bibliotheksverbundes, die Abnahme einer Teilauflage von jedem in Kolumbien verlegten Buch durch das kolumbianische Kulturinstitut sowie die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen wie Ausstellungen, Buchmessen und Buchwochen festlegte.140 Während die kolumbianische Regierung die Gründung des lateinamerikanischen Buchförderungszentrums forcierte, ließ die UNESCO das Potenzial einer derartigen Institution durch zwei externe Berater prüfen: Bereits im Vorfeld der Bogotá-Tagung hatte Robert Escarpit nach einer mehrwöchigen Mission in der Region die Ausweitung des Book Development-Programms und den Aufbau eines Regionalzentrums in Lateinamerika grundsätzlich befürwortet.141 Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangte der Vertriebsleiter des argentinischen Universitätsverlages EUDEBA Heriberto Schiro, der im Auftrag der Pariser Organisation in der ersten Hälfte des Jahres 1970 in Mittel- und Südamerika Gespräche mit Regierungsvertretern und Repräsentanten der Buchbranche geführt hatte, um deren Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem geplanten Buchförderungszentrum zu prüfen.142
138 Cacua Prada: Industria editorial en Colombia, S. 776. Vgl. ähnlich auch das Kapitel »Colonialismo cultural. Nuestra ínfima posición editorial en el mundo y en nuestra área« in: Livio Caldas: Industria editorial, S. 21–22. 139 Vgl. Amaya de Heredia: Distribución, Producción, Comercio del Libro, S. 7–8; Jorge Guerrero: Consideraciones en torno a la industria editorial colombiana y a su desarrollo en los últimos diez años. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 25 (1980), S. 11–13, hier S. 12. 140 Vgl. Ley del Libro Colombiano (Ley 34 de 1973), abgedruckt im Appendice II »Las Leyes del Libro« in: Plazas: La industria editorial en Colombia, S. 76–78. 141 Vgl. Robert Escarpit: Programa de fomento del libro. América Latina. 27 de diciembre de 1968 a 25 de enero de 1969. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1332 BMS-RD/COM.FF; IM/TA/CONSULTOR). 142 Vgl. Proyecto de Informe de la Reunión de la Mesa Directiva de Expertos sobre el Fomento del Libro en América Latina, Anexo 3: Discurso del Señor Julian Behrstock, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–015), S. 6. Vgl. ebenso die Berichte Heriberto Schiros: Informes de Misiones de
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
Nach der insgesamt positiven Beurteilung des Projekts fand im Herbst 1970 eine zweite, kleinere Tagung in Bogotá statt, auf der die programmatische Ausrichtung, die Organisationsstruktur sowie die Finanzierung des Zentrums konkretisiert und die Basis für das im April des folgenden Jahres unterzeichnete Abkommen zwischen der UNESCO und der Regierung Kolumbiens gelegt wurde.143 Mit der Ratifizierung der Übereinkunft durch die kolumbianische Legislative im Dezember 1971 verwandelte sich das CERLALC von einer nationalen in eine regionale Organisation.144 Gemäß des Gründungsvertrags bestand die Zielsetzung des CERLALC in der Förderung der Produktion und Distribution des Buches in den Ländern Lateinamerikas sowie in einer Ausweitung und Verbesserung lesefördernder Maßnahmen.145 Ordentliche Mitglieder des Zentrums konnten alle lateinamerikanischen Staaten werden. Ferner sah das Abkommen die Möglichkeit einer assoziierten Mitgliedschaft vor, die Länder mit denselben Amtssprachen offenstand, die außerhalb des lateinamerikanischen Kontinents lagen – gedacht war hier ersichtlich vor allem an Spanien, aber auch an Portugal.146 Der Haushalt des CERLALC setzte sich aus dem in nationaler Währung zu entrichtenden Beitrag der kolumbianischen Regierung zusammen, mit dem vor allem Betriebs- und Personalkosten zu bestreiten waren, während die in US-Dollar zu zahlenden, nach Größe des Landes gestaffelten Mitgliedsbeiträge sowie die beim UN-Entwicklungsprogramm bereits beantragten Mittel für die Durchführung von Projekten und die Einstellung von Experten verwendet werden sollten.147 Konzeption und Umsetzung der buchfördernden Maßnahmen, insbesondere derjenigen, die durch Zuwendungen internationaler Organisationen finanziert wurden, sollten durch die UNESCO beratend begleitet werden.148
Adhesión de Heriberto Schiro a los países 1970–1971 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1). Vgl. ebenso dessen Abschlussbericht: Ders.: Informe de Misión, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). 143 Vgl. Proyecto de Informe de la Reunión de la Mesa Directiva de Expertos sobre el Fomento del Libro en América Latina, 31.8.–5.9.1970 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). 144 Vgl. Artzri Camacho Ramírez an René Maheu am 15.12.1971 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). 145 Vgl. Acuerdo de Cooperación Internacional Entre el Gobierno de Colombia y la UNESCO Relativo al Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina vom 23.4.1971 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.I–14), Artículo 4. 146 Vgl. ebd., Artículo 3. 147 Vgl. ebd., Artículo 18; sowie ferner: Programa y financiación del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). 148 Vgl. Acuerdo de Cooperación Internacional Entre el Gobierno de Colombia y la UNESCO Relativo al Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina, 23.4.1971 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.I–14), Artículo 20.
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Durch den Vertrag wurde eine Institution geschaffen, deren Organisationsstruktur ein Abbild derjenigen der UNESCO war:149 In Entsprechung der Generalkonferenz der ›großen Schwester‹ wurde der Consejo des CERLALC als oberstes Entscheidungsund Kontrollorgan konzipiert, das alle zwei Jahre tagen sollte.150 Als Plenarorgan, in dem neben einem Vertreter aus jedem Mitgliedsland ein Gesandter der UNESCO und drei kolumbianische Repräsentanten stimmberechtigt waren, setzte der Consejo die programmatischen Leitlinien des CERLALC fest, entschied über den Beitritt neuer Mitgliedsländer und wählte die Vertreter des Comité Ejecutivo, der vergleichbar mit dem Exekutivrat der UNESCO das reibungslose Funktionieren des Zentrums sicherstellen sollte.151 Die Aufgaben dieses zwei Mal im Jahr tagenden Gremiums umfassten die Genehmigung von Programm und Haushalt sowie die Kontrolle von Finanz- und Personalwesen.152 Die Leitung des CERLALC oblag dem Direktor, der als Verantwortlicher für Entwurf und Umsetzung des Arbeitsprogramms vom Präsidenten des Consejo nach Rücksprache mit der kolumbianischen Regierung und der UNESCO für eine Amtszeit von zwei Jahren ernannt wurde. Parallel zu dem sich über eineinhalb Jahre hinziehenden Gründungsvorgang hatten der UNESCO-Experte Heriberto Schiro und Álvaro Garzón als kolumbianischer Projektleiter mit der Programmplanung und dem Organisationsaufbau des Zentrums begonnen.153 Der Institutionalisierungsprozess war somit bereits eingeleitet, als der Consejo in seiner ersten Sitzung im August 1972 den Urheberrechtsspezialisten und Vorsitzenden der kolumbianischen Verlegervereinigung Arcadio Plazas154 zum Direktor ernannte, die Satzung des Zentrums verabschiedete und das CERLALC offiziell seine Arbeit aufnahm.155
149 Vgl. ebd., Artículo 21–39. 150 Bis zur Konstituierung des Exekutivkomitees im Jahr 1975 kam der Consejo in der Regel halbjährlich zusammen. 151 Die Dokumente des Consejo werden im Rahmen dieser Arbeit mit dem Kürzel CERLALC/C belegt. CERLALC/C.II–01 verweist auf das erste Dokument der zweiten Sitzung des Consejo. Die Dokumente des Consejo Ejecutivo werden mit CERLALC/C.E. abgekürzt. Bei einem Dokument, das das Kürzel CERLALC/C.E.IV–09 trägt, handelt es sich um das Dokument Nr. 9 der vierten Exekutivratssitzung des CERLALC. 152 Das Comité Ejecutivo konstituierte sich im Juli 1975. Bis 1980 tagte es zwei Mal im Jahr, seit 1981 finden die Sitzungen jährlich statt. 153 Vgl. vertraulicher Bericht von Jaime Villegas für Will Zachau, o. D. [etwa September/Oktober 1971] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, cursos y seminarios, Caja 1, Carpeta 8, Primer Curso Latinoamericano sobre Producción y Administración Editorial 1971). 154 Arcadio Plazas blieb bis 1976 Direktor des CERLALC. Es folgten ihm die Kolumbianer Carlos Eslava Flechas (1976–1978), Gonzalo Canal Ramírez (1978–1980), Jaime Jaramillo Uribe (1980–1985), Edgar Bustamente Delgado (1985–1987), Oscar Delgado Sánchez (1988) und Luis Horacio López Domínguez (1989–1990) nach. 155 Vgl. Primera Reunión del Consejo, Acta No.1–4, August 1972 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.I–23–26).
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Die regionale Verankerung des CERLALC war Gegenstand der Akquisereisen, die Heriberto Schiro 1970 und 1971 durch ganz Lateinamerika führten und die rasch erste Früchte trugen: Bis 1974 waren mit Argentinien, Panama, Paraguay, Bolivien, Ecuador sowie der Dominikanischen Republik, Brasilien, Chile, Costa Rica und Venezuela zehn lateinamerikanische Staaten dem CERLALC beigetreten.156 Die Gründung des regionalen Buchförderungszentrums stieß insbesondere bei den bevölkerungsarmen Ländern mit ihrem nur gering entwickelten Buchhandel auf großen Zuspruch. Derweil standen die führenden Buchhandelsnationen der Institution durchaus kritisch gegenüber, wohl auch, weil sie den Verlust, zumindest aber eine Beschneidung ihrer Exportmöglichkeiten befürchteten.157 Während es Schiro gelang, die zuständigen Stellen in seinem Heimatland Argentinien von der Notwendigkeit zu überzeugen, als einer der bedeutendsten Buchproduzenten des Kontinents die Arbeit des CERLALC aktiv mitzugestalten158 , konnte der UNESCO-Experte das Misstrauen, das der neuen Institution von mexikanischer Seite entgegengebracht wurde, nicht zerstreuen. Vertreter der dortigen Branchenverbände äußerten starke Vorbehalte, eine Organisation zu unterstützen, die »Wettbewerber«159 heranzog und somit die starke Position Mexikos auf den lateinamerikanischen Buchmärkten langfristig gefährden könnte. Unterdessen signalisierte Spanien nachdrücklich Interesse an einer Mitgliedschaft am CERLALC. Ähnlich wie Argentinien erhoffte sich die einflussreichste buchhändlerische Nation der spanischsprachigen Welt, durch einen Beitritt auf die Entwicklung des Zentrums einwirken und so eine Politikformulierung zu ihren Ungunsten verhindern zu können.160 Nach kontroversen Diskussionen wurde Spanien in der sechsten Sitzung des Consejo als assoziiertes Mitglied aufgenommen.161
156 Uruguay und Peru waren durch Repräsentanten in den ersten Sitzungen des Consejo zwar vertreten, traten dem CERLALC jedoch offiziell erst Jahre später bei, Uruguay 1985 und Peru 1994. 157 Vgl. [Heriberto Schiro]: Informe sobre la misión en Bogotá, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1, Informes de Misiones de Adhesión de Heriberto Schiro a los países, 1970–1971). 158 Vgl. [Heriberto Schiro]: Misión en la Argentina, 16.–24.5.[1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1, Informes de Misiones de Adhesión de Heriberto Schiro a los países, 1970–1971). 159 Im spanischen Original: »competidores«. Heriberto Schiro: Misión en Méjico, 13.–27.9.1971 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1, Informes de Misiones de Adhesión de Heriberto Schiro a los países, 1970–1971). Mexiko trat trotz vehementen Werbens dem CERLALC erst 1993 bei. 160 Vgl. [Heriberto Schiro]: Misión en España, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1, Informes de Misiones de Adhesión de Heriberto Schiro a los países, 1970–1971). 161 Vgl. Acta No. 1 de la quinta reunión del Consejo vom 4.2.1975 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.V–10), S. 5–9; Acuerdo No. 26 vom 15.4.1975 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.VI–11).
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Die mit den Beitritten der lateinamerikanischen Länder einsetzenden Zahlungen der Mitgliedsbeiträge erhöhten den Etat des CERLALC, der bislang vor allem aus Zuwendungen der kolumbianischen Regierung bestritten wurde. Die hoffnungsvollen Erwartungen, die durch den Antrag beim UN-Entwicklungsprogramm geschürt worden waren, erfüllten sich indes nicht.162 Anstatt der im Finanzierungsplan ursprünglich vorgesehenen Haushaltsgröße von jährlich gut 800.000 US-Dollar stand dem CERLALC in den siebziger Jahren per annum durchschnittlich etwa eine Viertelmillion US-Dollar zur Verfügung, mehrheitlich in kolumbianischen Pesos. Nachdem bereits 1972 und 1973 weniger Mittel aus dem UN-Entwicklungsprogramm geflossen waren als beantragt, führte die Ölkrise und die Abwertung des US-Dollar mit seinen dramatischen Auswirkungen auf die Haushalte aller UN-Organisationen dazu, dass das UNDP seine Zahlungen an das CERLALC mit Jahresende 1974 komplett einstellte und auch die UNESCO nur wenige Mittel anweisen konnte.163 Die prekäre Haushaltslage des CERLALC wurde durch eine Verminderung der Zuwendungen seitens der kolumbianischen Regierung weiter verschärft. Der fast vollständige Ausfall der Unterstützungsleistungen der internationalen Gemeinschaft hatte für die noch junge Institution verheerende Folgen, sollten doch gemäß der ursprünglichen Planungen durch die Zuwendungen des UNDP und der UNESCO sowohl die Programmgestaltung und -durchführung als auch die diese besorgenden Spezialisten finanziert werden. Anstatt der geplanten fünf Expertenstellen konnte nur eine einzige langfristig eingerichtet werden: Heriberto Schiro blieb bis Ende 1979 als UNESCO-Vertriebsexperte in Bogotá tätig, ihm stand lediglich in den Jahren 1973 und 1974 der Franzose Henri Vignes als Herstellungsspezialist zur Seite.164 Obgleich auch der übrige, durch die Beiträge des kolumbianischen Staates bestrittene Personalbestand dünn blieb (in der Anfangsphase wurde der Direktor des CERLALC lediglich durch seinen Generalsekretär Álvaro Garzón165 und die Bibliothekarin Blanca Riascos Sánchez (ab März 1974) sowie zwei Verwaltungskräfte unterstützt; geplant waren einst 27 Stellen), banden die Betriebs- und Personalkosten einen erheblichen Teil des Budgets. Gelder für das technische Programm, insbesondere die für dessen regionale Umsetzung notwendigen Devisen, waren nach dem
162 Vgl. den Antrag beim UN-Entwicklungsprogramm: Proyecto del Centro Regional de Fomento del libro en América Latina, November 1969 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1). 163 Vgl. Informe Especial del Director, September 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.IV–04); Informe del Director, April 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALCDokument: CERLALC/C.III–03). 164 Vgl. Nuevo experto en producción designado por UNESCO. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 3 (1973), S. 5. 165 Garzón war zunächst Secretario Administrativo, später Secretario General des CERLALC. Er wechselte 1979 zur UNESCO nach Paris, blieb aber für die Entwicklung des CERLALC eine zentrale Figur. Seine Nachfolgerin wurde die Bibliothekarin Lucila de Jiménez.
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Wegfall der UNDP-Zuwendungen in nur geringem Maße verfügbar. Diese Situation besserte sich erst, als die UNESCO ab 1977 ihre projektbezogenen Mittel wieder erhöhte, die Mitgliedsländer ihre Beiträge zuverlässiger anwiesen und sich damit das Budget des CERLALC, wenn auch auf äußerst niedrigem Niveau, stabilisierte.166 Die Ausformung und Ausgestaltung des Arbeitsprogramms des CERLALC war ein langwieriger Prozess, der durch die geringen personellen und finanziellen Ressourcen erheblich erschwert wurde, vor allem aber durch die Novität der Aufgabe begründet war, denn den Angestellten des CERLALC standen – wie Álvaro Garzón rückblickend festhielt – keinerlei Referenzen und Erfahrungen zur Verfügung, wie Bücher zu entwickeln seien: »CERLALC’s mandate was discouragingly succinct, simply ›to develop books‹. The question was how to do this when there was no precedent to follow.«167 In Lateinamerika war, mit anderen Worten, book development eine neue Problemstellung, für die Verfahren und Blaupausen erst gefunden und bestimmt werden mussten. Das CERLALC erstellte zunächst umfangreiche Analysen über die Situation des Buchhandels in der Region, anhand derer die dringlichsten Probleme identifiziert werden und die als Grundlage für die Konzeption buchmarktfördernder Maßnahmen dienen sollten.168 Indes ließen die Studien – wie in einem internen Bericht aus dem Jahre 1973 herausgestellt wurde – vor allem die Grenzen des book development erkennbar werden: En gran medida, la solución de los problemas del libro no está en el libro, sino que tiene su raíz en la situación cultural, política, económica y social de los países. En otros términos, existen condicionamientos externos, que escapan a nuestra acción, se insertan en la realidad de cada país, y tienen mucho que ver con el grado de desarrollo alcanzado. No por acaso el desarrollo de la industria editorial guarda cierto paralelismo con el desarrollo del país.169
Der Ausweitung der Buchmärkte in Lateinamerika standen, so das Ergebnis der Untersuchungen, Hemmnisse struktureller Natur entgegen: Der Zustand des Buchhandels und die Möglichkeiten seiner weiteren Entfaltung waren einerseits abhängig von
166 Der Etat des CERLALC blieb auch im nachfolgenden Jahrzehnt schmal. Fragen der Finanzierung und Haushaltskonsolidierung standen vor allem auf dem Höhepunkt der lateinamerikanischen Verschuldungskrise und Hyperinflation Mitte der achtziger Jahre verstärkt auf der Agenda der Exekutivratssitzungen. Vgl. dazu: Breve informe sobre la situación financiera y el desarrollo de programas vom 31.7.1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.XVI–04). 167 Álvaro Garzón: National Book Policy. A Guide for Users in the Field. 2., revidierte Auflage. Paris: UNESCO 2005 (The Professional Training Library), S. 9. 168 Vgl. Plan Básico, o. D. [etwa 1971] (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.I–11). 169 [Informe], o. D. [etwa 1973] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón 1972–1974).
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der wirtschaftlichen Leistungskraft des jeweiligen Landes und der Beschaffenheit seines Bildungswesens; andererseits schien aufgrund der Ökonomie der Buchproduktion ein hinlänglich großer Binnenmarkt eine essenzielle Voraussetzung für ein rentabel arbeitendes Verlagswesen zu sein. Die Struktur der Buchmärkte in den lateinamerikanischen Staaten wurde maßgeblich durch ökonomische, soziale und demographische Faktoren bestimmt, die deutlich außerhalb der Einflussmöglichkeiten des CERLALC lagen. Angesichts noch nicht vorhandener Erfahrungswerte im book development müssen die relativ kleinteilig und diffus wirkenden Programme, die das CERLALC in den Anfangsjahren auflegte, als Ausdruck des Suchens nach Strategien gedeutet werden, wie der Auftrag, den Buchhandel in Lateinamerika zu stärken, mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und personellen Kapazitäten und trotz des Befundes der strukturellen Begrenztheit buchfördernder Maßnahmen bestmöglich umgesetzt werden konnte: Verhandlungen über Stipendien für das graphische Gewerbe und den Buchhandel wurden geführt, eine Pilotstudie zum Leseverhalten in Kolumbien initiiert, die Arbeit an einer iberoamerikanischen Bibliographie und an der Etablierung der Internationalen Standardbuchnummer aufgenommen, das Schulbuchwesen in Kolumbien untersucht, die ersten Hefte der eigenen Zeitschrift Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina herausgegeben, ein Programm für buchhändlerische Lehr- und Nachschlagewerke aufgelegt, ein Zentrum zu urheberrechtlichen Fragen in Zusammenarbeit mit der UNESCO eingerichtet, ein Projekt zum Aufbau eines Schulbibliothekssystems in Kolumbien auf den Weg gebracht sowie die Veröffentlichung eines Adressbuches des Buchhandels in Bogotá geplant.170 Während einige Projekte, wie beispielsweise die Organisation einer lateinamerikanischen Buchmesse, aufgrund der Budgetsituation nicht realisierbar waren und andere, wie etwa das Kopublikationsprojekt für Kinderbücher, immer wieder verschoben wurden, waren die Ausrichtung von Fortbildungsveranstaltungen und die vorwiegend von Schiro vorangetriebenen Bemühungen um die Etablierung eines kontinen-
170 Vgl. hierzu die dem Consejo bzw. dem Comité Ejecutivo vorgelegten Tätigkeitsberichte und Programmplanungen: Informe del Director, Januar 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.II–03); Programa 1973, Januar 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALCDokument: CERLALC/C.II–06); Informe del Director, September 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.IV–03); Informe del Director, Januar 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.V–03); Informe del Director, April 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.VI–04); Informe del Director, Juli 1975 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.I–06); Informe del Director, Februar 1976 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.II–03); Informe del Director, August 1976 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.III–02); Informe del Director, Februar 1977 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.IV–02); Informe del Director, September 1977 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/ C.E.V–02).
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talen Gesamtbuchmarktes ebenso wegweisend für die zukünftigen Tätigkeitsschwerpunkte des CERLALC wie die Bestrebungen, im Anschluss an die Verabschiedung des kolumbianischen Buchgesetzes im Jahr 1973 ähnliche Gesetzesvorhaben auch in den anderen lateinamerikanischen Ländern auf den Weg zu bringen.171 In den Anfangsjahren des CERLALC geriet neben dem torsohaften Charakter des Programms vor allem dessen vorrangige Umsetzung in Kolumbien in den Fokus der Kritik, stand sie doch der Verwirklichung des regionalen Anspruchs des Zentrums entgegen.172 Die Konzentration der Projekte im Gastland war zum einen Resultat der Devisenknappheit, die die Durchführung von Projekten in den Mitgliedsstaaten erheblich erschwerte, während der in der Landeswährung beglichene Beitrag der kolumbianischen Regierung die Finanzierung von Projekten vor Ort möglich machte. Die Fokussierung auf Kolumbien wurde zum anderen aber auch dadurch bedingt, dass der Prozess der regionalen Institutionalisierung des CERLALC noch nicht abgeschlossen war und somit Kooperationspartner, mit denen Projekte gemeinsam hätten konzipiert und realisiert werden können, in den meisten Mitgliedsländern fehlten. Arcadio Plazas machte auf dieses Problem bereits in seinem ersten Tätigkeitsbericht im Januar 1973 aufmerksam: Otro punto que ha sido motivo de inicial preocupación para el Director, es el de la ausencia de organismos que sirvan, no sólo como medios de comunicación entre el Centro y las entidades públicas y privadas interesadas en el desarrollo del libro, sino como asesores de la Dirección y, eventualmente, como ejecutores de programas que deban realizarse dentro de las fronteras de cada país.173
Austausch und Kontaktpflege mit der Buchbranche in den Mitgliedsländern gestalteten sich auch deswegen als schwierig, weil die Natur des CERLALC als einer regional operierenden Regierungsorganisation der Zusammenarbeit mit einem in den meisten Mitgliedsländern mehrheitlich privatwirtschaftlich organisierten Buchhandel entgegenstand. In nur wenigen Ländern der Region (unter anderem in Argentinien und Brasilien) existierten staatliche Institutionen oder Referate im Bildungs- bzw. Kulturministerium, die aktiv Politik zugunsten des Buches betrieben, im Dialog mit dem Buchhandel standen und die Interessen und Bedürfnisse der Branche in den Gremien des CERLALC vertreten konnten.174 Die Bemühungen des CERLALC, die von der Pariser Mutterorganisation propagierte Gründung sogenannter Book Development Councils auch in Lateinamerika anzustoßen, also eine Art nationalen Buchrat ins Le-
171 Vgl. dazu Kapitel 8.3 und 8.5 dieser Arbeit. 172 Vgl. Informe del Director, Februar 1977 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.IV–02), S. 1. 173 Informe del Director, Januar 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.II–03), S. 9. 174 Vgl. Acta No. 13, Decimatercera Reunión del Comité Ejecutivo del CERLALC, 8.–10.3.1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.XIII–01), S. 18.
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ben zu rufen, in denen sich staatliche und privatwirtschaftliche Vertreter mit dem Ziel der Buchförderung treffen sollten, hatten wenig Wirkung gezeigt.175 Plazas stellte in der sechsten Sitzung des Consejo 1975 fest: El programa trazado por la UNESCO, a nivel mundial, para la creación de Asociaciones Nacionales que involucren la efectiva representación de todos los sectores interesados [. . .] ha tenido poco éxito en América Latina. Las proposiciones hechas por CERLAL en este sentido han encontrado resistencia, tanto en los organismos oficiales como en las agremiaciones privadas. En aquellos, porque se teme el menoscabo de la autoridad decisoria de los gobiernos y, en estas, porque las cámaras o asociaciones de editores y libreros, algunas de meritoria tradición, prefieren conservar su autonomía para el estudio y gestión de los asuntos que competen a los intereses privados confiados a ellas. El CERLAL deberá estudiar mejor solución en busca de la creación de organismos representativos a nivel nacional, que sirvan de canal de comunicación y de asesoramiento para las múltiples actividades que debemos desarrollar en cada país.176
1977 wurde ein Konsolidierungs- und Restrukturierungsprozess eingeleitet, der zu einem stringenten, kohärenten Programm und einer stärkeren Präsenz des CERLALC in den Mitgliedsstaaten führen sollte. Die Bestrebungen dazu gingen von der Institution in Bogotá selbst aus, die nicht nur die Erstellung eines Fünfjahresplans in Auftrag gab, sondern auch Treffen mit Branchenvertretern und Repräsentanten der buchhändlerischen Verbände anberaumte, um den mittelfristigen Plan zur Buchförderung zu diskutieren und die Zusammenarbeit mit der Buchbranche zu intensivieren.177 Auch die UNESCO, die das Ende 1976 auslaufende Abkommen mit der kolumbianischen Regierung um weitere fünf Jahre verlängert hatte178 , griff nun energischer in die Entwicklung des lateinamerikanischen Zentrums ein: Obschon die Pariser Organisation als Mitinitiatorin und Schirmherrin des CERLALC sowohl den Experten Schiro finanzierte als auch mehrheitlich die Kosten für die Ausrichtung der regionalen Weiterbildungsmaßnahmen trug, hatte sie dem CERLALC in seinen Anfangsjahren freie Hand gelassen und kaum Einfluss auf die interne Entwicklung und die Ausgestal-
175 Vgl. hierzu Kapitel 10.3 dieser Arbeit. 176 Informe del Director, April 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.VI–04), S. 7. 177 Vgl. Camilo Cárdenas Giraldo: Plan de Desarrollo del CERLAL a mediano plazo. Bases para su elaboración, Februar 1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Documentos CERLALC 22); Heriberto Schiro: Seminario sobre el Plan de Desarrollo del CERLAL a mediano plazo, 30.3.–1.4.1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de misiones y cursos 1976–1978); Informe de reunión de presidentes de Cámaras del Libro convocado por el CERLAL, o. D. [etwa 1977] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de misiones y cursos 1976–1978). Vgl. ferner: Seminario internacional para planificación de actividades. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 18 (1978), S. 32. 178 Am 10.2.1977 wurde der Vertrag zwischen der UNESCO und der kolumbianischen Regierung in leicht modifizierter Form verlängert. Ein neues Abkommen trat am 10.8.1984 in Kraft.
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tung der Projekte genommen. Dies änderte sich Ende der siebziger Jahre, als aus Paris nicht nur ein besserer Informations- und Erfahrungsaustausch eingefordert wurde, sondern die UNESCO-Zentrale auch verstärkt Handlungsfelder und Programme vorgab, an denen sich das CERLALC wie auch die anderen Buchförderungszentren in Asien und Afrika orientieren sollten.179 Die veränderte Politik der UNESCO-Zentrale gegenüber dem CERLALC ist vor dem Hintergrund eines Personalwechsels in Paris zu sehen: Der Initiator und Gründervater des Book Development-Programms Julian Behrstock ging Anfang 1977 nach 28 Dienstjahren in den Ruhestand.180 Seine Nachfolgerin an der Spitze des nun als Division of the Book and Cultural Exchange firmierenden Referats wurde die brasilianische Bibliothekarin Celia Zaher181 , die bereits 1978, während der achten Sitzung des Exekutivrats des CERLALC, die neue Position klar zum Ausdruck brachte: »La UNESCO, a través de la División del Libro, considera que es el momento de dejar discutir [. . .] y de pasar a acciones concretas.«182 Die Neujustierung der Beziehung zwischen der UNESCO-Zentrale und ihrem lateinamerikanischen Buchförderungszentrum spiegelte sich auch im Einsatz der Experten wider. Nachdem der Vertrag von Heriberto Schiro im Herbst 1979 ausgelaufen war, wirkte kein UNESCO-Spezialist mehr langfristig in Bogotá183 , sondern die lateinamerikanischen Mitgliedsstaaten konnten nun lediglich gemeinsam mit dem CERLALC projektbezogen kurze Expertenmissionen in Paris beantragen.184 Unterdessen stockte das CERLALC sein Personal auf und richtete 1978 mit dem Departamento de Investigaciones sobre Ciencias, Artes y Técnicas del Libro eine neue Abteilung ein, die sich für Konzeption und Umsetzung des technischen Programms verantwortlich zeigte.185
179 Vgl. Informe Viaje Director a Europa, Replanteamientos CERLAL–UNESCO vom 2.8.1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.VII–06); Novena Reunión del Comité Ejecutivo, Acta No. 9, Informe del Representante de la UNESCO (Alonso Aznar), 19.–21.11.1979 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.IX–04). 180 Vgl. Á[lvaro] G[arzón]: Julián Behrstock se retiró de la UNESCO. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 13 (1977), S. 7. 181 Vgl. Celia Zaher en la División del Libro. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 14 (1977), S. 11. 182 Acta de la Octava Reunión del Comité Ejecutivo, März 1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.VIII–1), S. 14–15. 183 In der Nachfolge Schiros waren u. a. die Brasilianerin Lucy Werneck und der Argentinier Alberto Augsburger als UNESCO-Experten kurzzeitig am CERLALC beschäftigt. 184 Vgl. Álvaro Garzón: Aide-Mémoire. XII Reunión del Comité Ejecutivo del CERLAL/IX Reunión del Consejo del CERLAL. Acta No. 12, 9.–11.3.1981 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.XII–03). 185 Vgl. Gonzalo Canal Ramírez: Ciencias, artes y técnicas del libro. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 19/20 (1978), S. 1; Comienza a funcionar el Departamento de Ciencias, Artes y Técnicas del Libro en el CERLAL. In: Noticias del Centro Regional para el
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Ende der siebziger Jahre kann der Institutionalisierungsprozess des CERLALC als abgeschlossen gelten. Mit der Professionalisierung des Buchhandels in Lateinamerika und der Stärkung der nationalen Buchproduktion bei gleichzeitiger Harmonisierung der Märkte hatten sich zentrale Tätigkeitsfelder herauskristallisiert, deren Bearbeitung angesichts der nach wie vor keineswegs als ideal zu bezeichnenden finanziellen und personellen Ausstattung des Zentrums die bestmögliche Umsetzung des Auftrags zu gewährleisten schien, den Buchhandel in Lateinamerika zu entwickeln bzw. zu stärken.
8.3 Professionalisierung des lateinamerikanischen Buchhandels: Dienstleistungen für die Branche Die in den ersten Jahren nach der Gründung des CERLALC wiederholt geäußerten Vorschläge, an das Zentrum in Bogotá sowohl eine Ausbildungsstätte als auch ein regionales Forschungsinstitut anzugliedern, lassen erkennen, welche Rolle das CERLALC beabsichtigte, auf dem lateinamerikanischen Buchmarkt zu übernehmen186 : Als regionale Institution strebte es an, den Buchhandel bei der Verbesserung der Berufsbildung als auch bei der Etablierung der Marktforschung zu unterstützen, also dessen Professionalisierung – verstanden als Prozess der Effizienz- und Qualitätssteigerung, der Organisation in beruflichen Berufsverbänden sowie der Standardisierung und Verwissenschaftlichung – voranzutreiben. Neben Konzeption und Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen und der Bereitstellung relevanter Marktinformationen umfassten die Professionalisierungsstrategien, die das CERLALC in den ersten knapp zwei Dekaden seines Bestehens entwickelte, auch Maßnahmen zur Stärkung der Branchenkommunikation und zur Unterstützung nationaler buchhändlerischer Verbände. Verbesserung der buchhändlerischen Aus- und Weiterbildung Der Mangel an buchhändlerischen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten auf dem lateinamerikanischen Kontinent war Ende der sechziger Jahre eklatant und wurde sowohl von den Teilnehmern der Bogotá-Konferenz als auch vom UNESCO-Experten Schiro als massives Hemmnis für eine weitere Entfaltung des Buchhandels einge-
Fomento del Libro en América Latina 19/20 (1978), S. 36. Vgl. auch: Informe del Director, September 1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.VII–5), S. 1; Acta No. 9: Fortalecimiento de la estructura interna del CERLAL, Novena Reunión del Comité Ejecutivo 19.–21.11.1979 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.IX–04). 186 Vgl. Heriberto Schiro: Seminario sobre el Plan de Desarrollo del CERLAL a mediano plazo, 30.3.–1.4.1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de Misiones y Cursos 1976–1978); Acta de la séptima reunión del Comité Ejecutivo, 11.–12.9.1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.VII–01), S. 15–18.
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stuft: »No hay industria editorial porque no hay personal capaz.«187 Die buchhändlerische und verlegerische Ausbildung in Lateinamerika der sechziger Jahre erfolgte ausschließlich in der Berufspraxis, da es an institutionalisierten, professionellen beruflichen Bildungsstrukturen fehlte.188 Selbst in den großen Buchhandelsnationen Argentinien und Brasilien boten die nationalen Branchenverbände lediglich sporadisch Kurse und Fachveranstaltungen an, in Mexiko wie auch in den kleineren Staaten Mittel- und Südamerikas existierten noch nicht einmal diese.189 Anders stellte sich die Situation in Spanien dar: Anfang der sechziger Jahre waren in Madrid, Barcelona und Valencia Buchhändlerschulen gegründet worden, die in Anlehnung an ihre Vorbilder in Paris, London und Frankfurt regelmäßig Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten anboten.190 Diese dem staatlichen Instituto Nacional del Libro unterstellten Einrichtungen standen auch Branchenvertretern aus Lateinamerika offen.191 Obgleich sich der Aufbau eines den spanischen Institutionen vergleichbaren regionalen Ausbildungsinstituts in Bogotá aufgrund der geringen finanziellen Mittel des CERLALC nicht umsetzen ließ, zählte die Verbesserung der buchhändlerischen Aus- und Fortbildung von Beginn an zu den zentralen Tätigkeitsfeldern des lateinamerikanischen Buchförderungszentrums. Nachdem ein in den Anfangsjahren in Zusammenarbeit mit dem spanischen Buchinstitut aufgelegtes Stipendienprogramm zunehmend in Kritik geraten war, weil es keine nachhaltigen Strukturen in der Region selbst schuf192 , konzentrierte sich das CERLALC fortan auf die Organisation von Kursen und Seminaren in Lateinamerika. Ähnlich den Qualifizierungsangeboten, die sich im asiatischen Raum im Rahmen des Lesematerialienprojekts bereits bewährt hatten und seit 1967 in Form jährlicher Fortbildungsveranstaltungen am Tokyo Book Development Centre fortgeführt wurden193 , richtete das CERLALC, meist mit
187 [Heriberto Schiro]: Informe final de la misión por América Latina, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1, Informes de Misiones de Adhesión de Heriberto Schiro a los países, 1970–1971). Vgl. auch: Meeting of Experts on Book Development in Latin America, S. 14. 188 Vgl. La Edición en América Latina. Informe sobre la actividad editorial y bases para una encuesta sobre aspectos vinculados con la producción y la circulación de libros en la región. Unveröffentliches Typoskript, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E2–23). 189 Vgl. Klaus Thiele: Latin America. In: The Book Trade of the World. Band II: The Americas, Australia, New Zealand. Hrsg. von Sigfred Taubert. Gütersloh, London, New York: Verlag für Buchmarktforschung, André Deutsch, R. R. Bowker 1976, S. 11–31, hier S. 18–19. 190 Vgl. Cendán Pazos: Edición y comercio del libro, S. 193–196; Las escuelas de librería en España. In: Fichero bibliográfico hispanoamericano 10 (1972), H. 11, S. 20–24. 191 Vgl. Primer curso de especialización para libreros iberoamericanos. In: El libro español XII (1969), H. 141, S. 556–570. 192 Vgl. Acta No. 1, Quinta reunión del Consejo, vom 1.12.1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.V–10), S. 5. 193 Vgl. Training Course in Book Production in Asia. In: Newsletter. Tokyo Book Development Centre I (1969), H. 1, S. 10–13; Report. Experts Meeting on Book Development in Asia (3.–13.7.1972). Tokio:
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finanzieller Unterstützung aus Paris, ab 1971 Schulungsmaßnahmen aus, die schwerpunktmäßig die Themenbereiche Herstellung und Vertrieb abdeckten, sich aber auch Aspekten des Bibliothekswesens und des Urheberrechts widmeten. Bis 1978 nahmen insgesamt 560 Branchenvertreter194 an den Kursen teil.195 Im Verlauf der siebziger Jahre differenzierte sich das Kursangebot allmählich aus. Zum einen wurden Schulungsveranstaltungen zu spezifischeren Themen wie beispielsweise zur Herstellung von Kinderbüchern durchgeführt. Zum anderen reagierte das CERLALC auf die unterschiedlichen Entwicklungsgrade innerhalb der lateinamerikanischen Buchbranche, indem es vermehrt nationale anstelle von regionalen Kursen sowie zusätzlich auch Seminare für Fach- und Führungskräfte anbot.196 Neben der Organisation von Fortbildungsmaßnahmen vor Ort ließ das CERLALC Anfang der achtziger Jahre audiovisuelle Grundkurse konzipieren, die Grundkenntnisse zu Buchvertrieb bzw. Buchgestaltung vermitteln sollten. Aufgrund der sprachlichen Homogenität weiter Teile des lateinamerikanischen Kontinents versprachen diese Kurse bei verhältnismäßig geringen Produktionskosten eine hohe Reichweite.197 Sie ergänzten das Publikationsprogramm buchhändlerischer Fachliteratur, das das CERLALC kurz nach seiner Gründung lancierte und das – obwohl mehrfach unterbrochen und in unterschiedlichen Reihen fortgesetzt – den notorischen Mangel an Lehr- und Fachbüchern auf dem Kontinent teilweise Abhilfe schaffen konnte: So wurden Anfang der siebziger Jahre als Kooperationsprojekt mit dem spanischen Verlag Paraninfo zwei Fachbücher zur Buchgestaltung und Buchkalkulation nach Lateinamerika gebracht198 , welche die aus dem Englischen übersetzten Handbücher für Ver-
Tokyo Book Development Centre 1972, S. 124–129; Reunión de Expertos sobre el Fomento del Libro en Asia, o. D. [etwa 1972] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón 1972–1974). 194 Vgl. Algunas cifras del CERLAL. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 18 (1978), S. 31. 195 Vgl. die Übersicht über buchhändlerische Fortbildungen des CERLALC in der Dokumentation I. In den ersten Jahren vergab das CERLALC auch Stipendien für die Schule für graphisches Gewerbe in São Paulo. Dieses Programm wurde aus Budgetgründen allerdings zu Beginn des Jahres 1975 eingestellt. 196 Vgl. dazu die Überlegungen zur Ausdifferenzierung des Kursangebotes: Informe sobre la reunión de Presidentes de Cámaras del Libro convocada por el CERLAL. Buenos Aires, 18.–21.4.1977 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de Misiones y Cursos 1976–1978); [Heriberto Schiro]: Curso sobre Distribución y Circulación Internacional del Libro, o. D. [etwa 1972] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón 1972–1974). 197 Vgl. Curso audiovisual para capacitación de libreros. Bogotá: CERLALC 1983; Curso sobre el diseño y la ilustración del libro. Bogotá: CERLALC 1989. Ferner ließ das CERLALC audiovisuelle Kursmaterialien für die Ausbildung von Schulbibliothekaren entwickeln. 198 Vgl. Alfonso Mangada Sanz: Cálculo editorial. Fundamentos económicos de la edición. Madrid: Editorial Paraninfo 1972 (Edición especial para el CERLAL); Cyril Spector: La dirección en la industria gráfica. Madrid: Editorial Paraninfo 1973 (Edición especial para el CERLAL).
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leger und Buchhändler sinnvoll ergänzten, die die Lateinamerikaniederlassung von Bowker kurz zuvor publiziert hatte.199 Nachdem das CERLALC aufgrund seiner miserablen finanziellen Situation die Zusammenarbeit mit dem spanischen Verlag schon Mitte der siebziger Jahre einstellen musste, wurde das Publikationsprogramm erst im darauf folgenden Jahrzehnt durch die Herausgabe von Schriftenreihen wie Lectura y Educación (ab 1983) und Manuales de Capacitación (ab 1989) wieder belebt.200 Standardisierung und Rationalisierung des Buchhandels: Werben für die Einführung der ISBN Im Jahr der Gründung des CERLALC wurde die Internationale Standardbuchnummer (ISBN) als ISO-Standard 2108 global genormt. Im Auftrag des britischen Buchhandels hatte der an der London School of Economics tätige Professor für Wirtschaftswissenschaften Gordon Foster Mitte der sechziger Jahre ein kurzes und eindeutiges Identifikationsmerkmal für jede Veröffentlichung entwickelt, mit dessen Hilfe das Bestands- und Bestellsystem sowie das Rechnungswesen effizienter gestaltet werden konnten.201 Als zentrales Rationalisierungsmittel ermöglichte die ISB-Nummer nicht nur eine einfache Handhabe betriebsinterner Kontrollprozesse über Produktion, Absatz und Umsatz, sondern erleichterte auch wesentlich die Geschäftsbeziehungen zwischen herstellendem und verbreitendem Buchhandel.202 Während sich das internationale Nummerierungssystem vor allem auf den europäischen und nordamerikanischen Buchmärkten rasch etablierte, bemühte sich das CERLALC seit 1975 verstärkt um dessen Anwendung im lateinamerikanischen Raum.203 In Zusammenarbeit mit der internationalen ISBN-Agentur führte das Im Verlag Paraninfo erschienen in den sechziger und siebziger Jahren einige buchhändlerische Lehrwerke, welche teilweise auf Betreiben der spanischen Buchhändlervereinigung publiziert wurden, die so den auch auf der Iberischen Halbinsel herrschenden Mangel an Fachliteratur begegnen wollte. Vgl. Jesús Pol Arrojo: El libro y su comercialización. Madrid: Editorial Paraninfo 1970, S. 9–11. 199 Vgl. Datus C. Smith: Guía para editores. Buenos Aires: Bowker Editores Argentina 1968; Manual del librero. Artículos traducidos del ABA Handbook de la American Booksellers Association y publicados en Fichero Bibliográfico Hispanoamericano. Buenos Aires: Bowker Editores Argentina 1968. 200 Vgl. die Übersicht der vom CERLALC herausgegebenen oder kopublizierten buchhändlerischen Fachliteratur in der Dokumentation J. 201 Vgl. F. Gordon Foster: Standard Numbering in the Book Trade. London: Publishers Association 1967. 202 Vgl. Internationale Standard-Buchnummer (ISBN). Leitfaden. Frankfurt/Main: BuchhändlerVereinigung GmbH 1970. 203 Das Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials (SALALM), das 1975 in Bogotá stattfand, empfahl dem CERLALC, sich für die Anwendung der ISBN in Lateinamerika einzusetzen. Vgl. Seminario Latinoamericano sobre control de material bibliográfico. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 9 (1975), S. 19–21. Siehe auch: Luis Eduardo Espinal: El ISBN. Su origen y su realidad en el mundo. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 15 (1977), S. 14–15; Clemencia Téllez: El Sistema ISBN en América Latina y el Caribe. Situación actual y estrategías de desarrollo. In: Noticias sobre el libro 50 (1986), Suplemento, S. 1–32.
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UNESCO-Buchförderungszentrum zu Beginn der achtziger Jahre eine Werbekampagne in Mittel- und Südamerika durch und bereitete die Einführung des Buchnummerierungssystems in Argentinien vor.204 Weitere vergleichbare Missionen folgten in Kolumbien (1984 und 1986) und Ecuador (1986). Sie wurden ergänzt durch regionale ISBN-Tagungen, die das CERLALC seit 1986 zusammen mit der UNESCO in unregelmäßigen Abständen in Lateinamerika ausrichtete, um so die Verwendung des Nummerierungssystems in Lateinamerika zu koordinieren und zu standardisieren.205 Das CERLALC hob in seinem Werben für die Implementierung des ISBN-Systems nicht nur deren Leistungen für die einzelnen Betriebe hervor, sondern verwies insbesondere auch auf die zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten für die Informationsgenerierung auf der buchhändlerischen Makroebene: El uso del ISBN, además de facilitar el manejo de inventarios y el mercado del libro permite, a quienes lo utilizan, una visión general sobre la producción editorial, sus tendencias y futuras proyecciones. Como fuente permanente de información, el ISBN es pilar clave del desarrollo de la industria editorial, en los niveles público y privado, en la medida en que permite concebir estrategias de desarrollo del libro, realistas y viables.206
Als statistisches Analyseinstrument erlaubte die ISBN nicht nur die Erstellung betriebsinterner Verkaufs- und Absatzstatistiken, sondern sie rationalisierte auch die Zusammenstellung bibliographischer Kataloge und Datenbanken sowie nationaler oder regionaler Adressbücher und ließ eine Verbesserung der Buchmarktstatistiken möglich erscheinen. Eine gesamtkontinentale Implementierung des internationalen Nummerierungssystems – wie es das CERLALC anstrebte – versprach somit eine wesentliche Verbesserung der buchhändlerischen Kommunikations- und Informationsstrukturen in Lateinamerika. Die Realität des Buches und seiner Leser: Branchenmarktforschung Als die UNESCO 1969 nach Kolumbien einlud, um über Art und Umfang eines lateinamerikanischen Buchförderungsprogramms zu beraten, lagen von der knappen Momentaufnahme abgesehen, die das Pariser Sekretariat anlässlich der Bogotá-Kon-
204 Vgl. K. W. Neubauer: ISBN System in Latin America and the Caribbean Community. In: ISBN Review 5 (1981/1983), S. 73–78. Vgl. auch: Informe del Director sobre las actividades, realizaciones y situación del CERLAL en 1982, März 1983 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.XIV–04). 205 Die beiden ersten regionalen ISBN-Konferenzen fanden 1986 und 1988 jeweils in Bogotá statt; es folgten Tagungen 1991 in Havanna und 1993 in Santiago de Chile. Die ISB-Nummer wurde zunächst 1977 in Mexiko eingeführt, ein Jahr später in Brasilien und 1981 schließlich in Argentinien. 1983 wurde in Costa Rica, 1984 in Kolumbien und 1985 in Venezuela eine nationale ISBN-Agentur ins Leben gerufen. 206 Reunión Regional sobre el uso del ISBN en América Latina. Palabras pronunciadas por el Señor Edgar Bustamante Delgado, Director de CERLALC. In: Noticias sobre el libro 50 (1986), S. 4–5, hier S. 4.
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ferenz erarbeitet hatte, keine aktuellen nationalen oder regionalen Analysen vor, die die Realität der Buchmärkte in Mittel- und Südamerika beschrieben sowie Entwicklungen und Tendenzen im Buchhandel aufzeigten.207 Damit fehlte nicht nur dem CERLALC eine Grundlage, um ein effektives Programm zur Entwicklung des Buchhandels zu erarbeiten, sondern es mangelte auch den Buchhandelsfirmen der Region an Informationen zum Marktgeschehen. Eine Erforschung von Märkten und Konsumverhalten war allerdings, wie in einem internen Bericht des CERLALC Mitte der siebziger Jahre deutlich herausgestellt wurde, Bedingung für eine nachfragegerechte Buchproduktion und eine planvolle Erschließung neuer Absatzmärkte: Los estudios de mercado son prácticamente desconocidos en la actividad editorial [. . .] en todos los países del área [. . .] Sin embargo, cabe preguntarse por que otras actividades gastan ingentes sumas en estudios de mercado y no arriesgan el lanzamiento de un producto sin explorar la magnitud de la demanda y prepara una buena campaña publicitaria. Porque una cosa es que el estudio de mercado en el campo del libro sea específicamente diverso, y otro que sea imposible o inútil. Sin perjuicio de que ciertos editores tienen un talento especial para interpretar los gustos del público, es indudable que los demás verían reducidos los riesgos de la edición, si se tomaran el trabajo de explorar las respuestas de la demanda aprovechando las técnicas modernas de estudio de mercado y cargando en los costas, estos gastos, como parte insustituible de la estrategia de ventas. Nunca se logrará captar el mercado potencial si no se explora la demanda con técnicas adecuadas, ni el libro llegará a las grandes masas populares, si no se adoptan las técnicas de propagandas que facilitan la colación de otros productos.208
Bereits auf der Bogotá-Tagung wurde empfohlen, dass das Buchförderungszentrum nicht nur Buchmarkt-, sondern auch Buchlese(r)forschung betreiben sollte, die ähnlich derjenigen Studien, die Verlage und Branchenverbände in Europa und Nordamerika seit den fünfziger Jahren zunehmend erstellen ließen209 , das Lesepublikum
207 Vgl. Los Problemas del Fomento del Libro en América Latina. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: COM/CONF.6/3, zu finden in: Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–14). Anfang der sechziger Jahre war im Auftrag der OAS die erste Gesamtschau über den lateinamerikanischen Buchmarkt erschienen, zwei Jahre später publizierte das Franklin Book Programs eine weitere Analyse des Buchhandels in Lateinamerika. Vgl. Jennison/Kurth: Books in the Americas; Books in Latin America. A Report to Franklin Publications, Inc. New York: Franklin Publications Inc. 1962. 208 El libro en Venezuela, o. D. [etwa 1977] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de Misiones y Cursos 1976–1978). Eine ähnliche Argumentation findet sich auch in: Informe preliminar sobre la situación actual del libro en América Latina, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–008); sowie: Investigación regional sobre hábitos de lectura. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 24 (1979), S. 29–30, hier S. 29. 209 Beispielsweise betrieben in den USA die Book Industry Study Group und das Center for Book Research an der Universität von Scranton Buchmarktforschung; in Deutschland wurde 1961 das durch die Bertelsmann-Stiftung finanzierte Institut für Buchmarkt-Forschung gegründet. Vgl. einführend zu Forschungsfeldern und Methodik der Buchmarktforschung aus zeitgenössischer Sicht: Franz Hinze: Buchmarkt-Forschung. In: Buchhandel und Wissenschaft. Hrsg. von Friedrich Uhlig. Gütersloh: C. Bertelsmann Verlag 1965 (Schriften zur Buchmarkt-Forschung. 5), S. 173–187. Siehe zu Buch und Leser als Objekten sozialwissenschaftlicher Forschung in den sechziger Jahren exemplarisch: Etudes sur la
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identifizierte und dessen Lesehabitus, -motivation und -interessen in Abhängigkeit von demographischen und sozioökonomischen Faktoren beschrieb.210 1972 setzte innerhalb des CERLALC eine entsprechende Projektplanung ein: In einer Pilotstudie sollte das Leseverhalten der kolumbianischen Bevölkerung empirisch erhoben und gleichzeitig eine Methodologie erarbeitet werden, die späteren, vergleichbaren Untersuchungen in anderen Ländern zugrunde gelegt werden konnte.211 Die Realisierung der Leseverhaltensstudie zog sich über ein Jahrzehnt hin und wurde erst Anfang 1983 beendet. Zum einen war es die aufwendige Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten, die die Durchführung immer wieder verzögerte.212 Zum anderen lähmte die kaum vorhandene Expertise in empirischer Sozialforschung das Projekt gehörig, obwohl im Verlauf des Jahres 1978 ein Forschungsreferat innerhalb des CERLALC eingerichtet und eine argentinische Soziologin für die Entwicklung der Fragebögen und die Koordination der Test- und Erhebungsphase eingestellt worden war. Die ursprünglichen Erwartungen, die sich mit der Pilotstudie verbunden hatten, konnten sich unter diesen Voraussetzungen nicht erfüllen.213 Wie im internen Abschlussbericht eingeräumt wurde, führten zahlreiche methodische Mängel sowie ein generell unstrukturiertes Vorgehen dazu, dass keine aussagekräftige Studie zum Leseverhalten der kolumbianischen Bevölkerung entstand.214 Als Konsequenz aus dem ›Forschungsdesaster‹ wurde die Realisierung von Buchmarkt- und Lesestudien durch
lecture et le livre en France. Paris: Syndicat national des éditeurs 1960; Rolf Fröhner: Das Buch in der Gegenwart. Eine empirisch-sozialwissenschaftliche Untersuchung. Gütersloh: Bertelsmann 1961 (Veröffentlichungen für den Buchhandel). Vgl. ferner auch: Gisela Lang: Grundzüge der Leserforschung in den USA von ihren Anfängen bis 1972. Wiesbaden: Harrassowitz 1992 (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München. 37). 210 Vgl. Meeting of Experts on Book Development in Latin America, S. 17. Auch im Gründungsvertrag wurde Buchlese(r)forschung als ein Aufgabenschwerpunkt des CERLALC definiert: Vgl. Acta de fundación vom 3.3.1970 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1), S. 3. 211 Vgl. Relevamiento sobre hábitos de lectura. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 3 (1973), S. 8–9. Im November 1973 fand in Bogotá eine Tagung statt, auf der Zielsetzung und Methodik der Studie festgelegt wurden. Vgl. Informe del Director, Februar 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.V–04). 212 Der kanadische International Development Research Council beteiligte sich ab 1979 an der Finanzierung der Studie. Er kooperierte mit dem CERLALC auch in weiteren Projekten, beispielsweise bei der Erstellung nationaler Buchmarktstudien und der Durchführung der ersten ISBN-Tagung. 213 Anstatt einer Studie zum Leseverhalten der Gesamtbevölkerung Kolumbiens wurde letztlich nur eine zum Leseverhalten von Grundschülern im Großraum Bogotá durchgeführt und publiziert: Los escolares y la lectura. El comportamiento lector de los niños en la escuela primaria en Colombia. Investigación realizada por el Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina y el Caribe. Bogotá: Procultura, CERLALC, Kapelusz 1983 (Lectura y Educación. 4). 214 Vgl. Ricardo Daza: Informe final evaluativo sobre la investigación de hábitos de lectura vom 31.1.1983 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 11, Funcionarios del CERLAL).
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das CERLALC selbst und damit auch die Idee aufgegeben, das Buchförderungszentrum als ein regionales Institut für Buchmarkt- und Buchlese(r)forschung zu etablieren: El CERLAL asumió una tarea que superaba sus fuerzas, esto fue cada vez más evidente a lo largo de la investigación. Las evaluaciones hechas por el personal directivo del Centro en los últimos años han analizado exhaustivamente lo erróneo de pretender que el Centro sea un instituto de investigaciones, lo cual exigiría modificar radicalmente su naturaleza.215
Aufgrund der begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten und angesichts der Bedeutung, die der Buchmarkt- und Buchlese(r)forschung für die Entwicklung der lateinamerikanischen Buchmärkte besaß, konzentrierte sich das CERLALC in der Folgezeit darauf, in seinen Mitgliedsstaaten für die Durchführung von Studien zu werben und bei externen Beratern Analysen zum Buchhandel in Lateinamerika in Auftrag zu geben; es lagerte die Buchmarkt- und Buchlese(-r)forschung mithin aus. Neben den in unregelmäßigen Abständen immer wieder erstellten Gesamtschauen über die Entwicklung der lateinamerikanischen Buchmärkte, die insbesondere in der Anfangsphase des Zentrums der Definition und Begründung buchpolitischer und buchfördernder Maßnahmen dienten, ließ das Buchförderungszentrum in Bogotá ab Ende der siebziger Jahre vermehrt Länderstudien erstellen.216 Die Analyse nationaler Buchmärkte entsprach den Vorgaben aus Paris: Neben globalen bzw. regionalen Perspektiven auf den Buchhandel sollten durch detaillierte Länderstudien spezifische Probleme aufgespürt werden, die der Entfaltung der nationalen Buchmärkte entgegenstanden.217 Auch im Fall der nationalen Analysen wurde auf den doppelten Ertrag der Buchmarkt- und Buchlese(r)forschung hingewiesen: Erstens waren die Studien eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Buchbranche und zweitens wurden durch sie die Definition buchfördernder Maßnahmen und der Entwurf einer effizienten Buchpolitik erst ermöglicht. Servicio Regional de Información sobre el Libro: Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen Das CERLALC übernahm neben der Erarbeitung auch die Verbreitung buchmarktbezogener Informationen und etablierte sich damit als regionaler Informationsdienstleister für die lateinamerikanische Buchbranche. In der Anfangsphase war es vor allem die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift, die diesem Zweck diente. In den
215 Ebd. 216 Vgl. die Übersicht über die im Auftrag des CERLALC angefertigten Buchmarkt- und Buchlese(r)studien in der Dokumentation K. 217 Vgl. Guías para el establecimiento de monografías nacionales, o. D. [etwa 1981] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–42). Vgl. auch: 21 C/5 Appr., Theme 4/3.05/06: Promotion and Dissemination of Research on Books and Reading.
Professionalisierung des lateinamerikanischen Buchhandels
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Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina wurden neben der Berichterstattung über die Aktivitäten des CERLALC auch Ankündigungen, Hintergrundartikel und Analysen spezifischer Buchmarktprobleme und -phänomene veröffentlicht, wie sie beispielsweise der wachsende unbefugte Nachdruck von Büchern – piratería genannt – oder die Frage der zunehmenden Konkurrenz durch audiovisuelle Medien darstellten.218 Ergänzt wurde das Periodikum durch ein bibliographisches Organ, den Boletín Bibliográfico, der Neuerscheinungen in Mittel- und Südamerika verzeichnete und mithin anstrebte, eine aktuelle, fortlaufende regionale Bibliographie zu liefern, welche später durch die Publikation eines gesamtlateinamerikanischen Verzeichnisses lieferbarer Bücher ergänzt wurde.219 Im Laufe der Jahre erfolgte ein systematischer Ausbau der Informationsdienstleistungen. Bereits 1979 wurde zu diesem Zweck eine eigenständige Abteilung namens Servicio Regional de Información sobre el Libro, la Lectura y el Derecho de Autor (SRI) geschaffen, welche sich für die Distribution der Publikationen und Arbeitsdokumente des CERLALC und für den Ausbau der ein Jahr zuvor gegründeten Fachbibliothek verantwortlich zeigte sowie eine Adress- und Veranstaltungsdatenbank über den Buchhandel in Lateinamerika anlegte und pflegte.220 Die dort zusammengetragenen Informationen wurden teilweise in Form eigenständiger Publikationen veröffentlicht und der Branche zur Verfügung gestellt: So erschienen ein Adressbuch zum lateinamerikanischen Buchhandel und eine Übersicht über die auf dem Kontinent stattfindenden Buchmessen und -ausstellungen.221 Ein regionaler Branchendienstleister zur Unterstützung der nationalen buchhändlerischen Verbände In seinen Bestrebungen, den lateinamerikanischen Buchhandel zu professionalisieren, übernahm das CERLALC Aufgaben, die in der Regel von nationalen Branchenverbänden oder von den Unternehmen selbst erfüllt werden. Obgleich in fast allen lateinamerikanischen Ländern buchhändlerische Standesorganisationen existierten, verfügten diese häufig als Cámara del Libro, also als Buchhandelskammern, firmierenden Berufsvertretungen mit Ausnahme des argentinischen, mexikanischen und brasilianischen Verbandes in den siebziger und achtziger Jahren meist über keine
218 Die Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina erschienen zunächst vierteljährlich. Sie wurden mit der Ausgabe 18 (1978) in Noticias sobre el libro y bibliografía umbenannt; ab 41 (1984) als Noticias sobre el libro sowie ab Ausgabe 56/57 (1987) als El libro en América Latina y el Caribe fortgesetzt und 1999 eingestellt. 219 Vgl. Boletín bibliográfico 1 (1974) – 15 (1988); Libros en venta y novedades bibliográficos de América Latina y el Caribe 1985/1987. Bogotá: CERLALC, CIID 1988. 220 Vgl. zu den Tätigkeitsfeldern des SRI: Clemencia Téllez: Servicio Regional de Información sobre el libro, la lectura y el derecho de autor. In: Noticias sobre el libro 50 (1986), S. 39–40. 221 Vgl. Directorio latinoamericano de editoriales, distribuidoras y librerías. Bogotá: CERLALC, CIID 1986; Ferias y exposiciones internacionales del libro en América Latina. Bogotá: CERLALC 1983.
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ausreichenden Mittel, um Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu finanzieren, ein eigenes Branchenblatt zu unterhalten oder Buchmarktforschung zu betreiben. Indem sich das CERLALC – teilweise in Zusammenarbeit mit den nationalen Buchhandelskammern – dieser Aufgaben annahm, agierte es als regionaler Branchendienstleister und Professionalisierungsagent des lateinamerikanischen Buchhandels.
8.4 Kopublikation von Kinderbüchern: Stärkung nationaler Verlage durch regionale Zusammenarbeit Die Bedeutung, die einer in Quantität und Qualität angemessenen Kinder- und Jugendbuchproduktion für die Herausbildung eines lebenslangen Lesehabitus zukommt, hob der UNESCO-Experte Heriberto Schiro in einem Vortrag hervor, den er im Herbst 1974 im Rahmen des vierzehnten Kongresses des Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch IBBY in Rio de Janeiro hielt: »Qualitative and quantitative improvement in children’s literature is essential for establishing reading habits in today’s child since the reading habit is acquired in childhood or not at all.«222 In seinen Ausführungen bezog sich Schiro auf die US-amerikanische Kinderbuchspezialistin Anne Pellowski, den französischen Perrault-Experten Marc Soriano sowie die argentinische Pädagogin Frida Schultz de Mantovani223 , die sich alle Drei für eine authentische, kulturell originäre Kinder- und Jugendliteratur starkmachten. Belletristische Publikationen für Kinder sollten als Vermittler von Welt und Wirklichkeit ebenso wie das Schulbuch zunächst und primär die Realitäten widerspiegeln, in denen sich die kindlichen Leser bewegten und die diesen vertraut seien, wie Schiro unter Rückgriff auf ein Zitat aus Sorianos Guide de la Littérature pour la Jeunesse argumentierte: The acculturation of young people cannot be successfully achieved unless they are exposed to books that will not confuse them, that talk about their country and the customs with which they are familiar. Only then will young readers have the possibility of becoming interested in other books and other countries. What happens with reading is, in short, comparable to what occurs with their affective, intellectual and motor development. The child must first acquire a clear awareness of his own body, knowledge of his image and potentialities. If not, he will be unable to establish any sort of communication with the outer world, nor will he understand or live his fellow men. Very definitely, the shortest path between the child and universal culture involves the discovery of his own culture.224
222 Heriberto Schiro: Children’s Literature in Developing Countries and International Co-operation. In: Bookbird XIII (1975), H. 1, S. 3–9, hier S. 3. 223 Vgl. Fryda Schultz de Mantovani: Nuevas corrientes de la literatura infantil. Buenos Aires: Ángel Estrada y Cía 1970 (Biblioteca de ciencias de la educación), hier insbesondere S. 33–37. 224 Schiro: Children’s Literature in Developing Countries, S. 6. Das französische Originalzitat findet sich bei Marc Soriano: Guide de littérature pour la jeunesse. Courants, problèmes, choix d’auteurs. Paris: Flammarion 1975, S. 205.
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Erzählstoffe, die die eigene Kultur, Tradition und Geschichte reflektierten, wurden als Voraussetzung angesehen, ohne die der ›Blick über den Tellerrand‹ nicht gelingen konnte und ohne die das Kinder- und Jugendbuch nicht – wie von der UNESCO angestrebt – als Gesandter der Nationen und als Instrument der Völkerverständigung einsetzbar war.225 Dem Fremden und Anderem, so die im Zitat deutlich werdende Überzeugung, konnte ein Kind nur dann begegnen, wenn es sich seiner eigenen Identität und Kultur bewusst war. Allerdings war die Produktion von Kinder- und Jugendbüchern in Lateinamerika – wie auch in den Entwicklungsländern in Asien und Afrika226 – marginal und machte trotz des hohen Anteils von Kindern an der Gesamtbevölkerung nur einen äußerst geringen Prozentsatz an dem ohnehin schmalen nationalen Buchausstoß aus.227 In Peru beispielsweise wurden während der siebziger Jahre deutlich weniger als zehn Kinderbücher pro Jahr veröffentlicht, 1975 erschien in dem Andenland laut Nationalbibliographie sogar nur ein einziges kinderliterarisches Werk.228 Struktur und Entwicklungsgrad der Kinder- und Jugendbuchmärkte in Lateinamerika entsprachen im Wesentlichen denjenigen der allgemeinen Buchmärkte: Abgesehen von Argentinien und Brasilien, wo sich einige Verlage wie Sigmar, Plus Ultra oder Editorial Comunicação auf die Publikation von Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert bzw. größere kinderliterarische Programmbereiche aufgebaut hatten, sowie
225 Vgl. Meeting of Experts on the Promotion of International Understanding through Reading Material for Children and Young People, Paris, UNESCO House, 25–28 November, 1969. Report. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: ED/MD/10). 226 Vgl. Datus C. Smith: Children’s Books in Developing Countries. In: International Development Review 5 (1963), H. 1, S. 17–20; siehe ferner: Tony Read: Developing Capacity for Children’s Literature. In: Promoting Reading in Developing Countries. Views on Making Reading Materials Accessible to Increase Literarcy Levels. Hrsg. von Vincent Greaney. Newark: International Reading Association 1996, S. 91–108. 227 Vgl. zur Produktion von Kinder- und Jugendliteratur in Lateinamerika: Panorama de la literatura infantil en América Latina. Hrsg. von Verónica Uribe und Marianne Delon. Caracas: Banco del Libro 1984 (Parapara Edicicón Especial. 1984); Efraín Subero: La literatura infantil en el mundo hispanoamericano. Discurso de incorporación a la Academia Venezolana de la Lengua como individuo de número de don Efraín Subero. In: Boletín de la Academía Venezolana Correspondiente de la Real Española XLIII (1977), H. 139, S. 52–100; Sarah Corona Berkin: Los libros para niños en México. Las políticas editoriales de 1956 a 1993. In: Modernity and Tradition. The New Latin American and Caribbean Literature, 1956–1994. Papers of the 39th Annual Meeting of the Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials 1994. Austin: SALALM Secretariat, Benson Latin American Collection, The General Libraries, The University of Texas at Austin 1996 (Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials. XXXIX), S. 54–65; Gloria Cecilia Diaz: Literatura infantil colombiana. El reconocimiento de su diferencia. In: Le livre et la lecture. Hrsg. von Christian Giudicelli. Paris: Presses de la Sorbonne Nouvelle 1999 (América. Cahiers du CRICCAL. 23), S. 123–136. 228 Vgl. Muelle López: El libro en el Perú, S. 30.
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von Mexiko, wo die Produktion von historietas – Comics – florierte229 , überwogen auf dem Kontinent, insbesondere in den kleineren Buchhandelsnationen, kinder- und jugendliterarische Gelegenheitsproduktionen, die häufig auf Eigeninitiative der Autoren zustande kamen, nicht selten im Selbstverlag erschienen und dann auch eigenhändig vermarktet wurden: Das Beispiel des Bolivianers José Carmalinghi, der seine Kinderbücher selbst druckte und per Motorrad im Land vertrieb, spiegelt wider, wie amateurhaft in weiten Teilen Lateinamerikas Produktion und Distribution von Lektürestoffen für Kinder und Jugendliche vonstattengingen.230 Letztere waren, was Preis, Ausstattung und Verfügbarkeit anbetraf, ihren aus Spanien importierten ›Konkurrenten‹ zumeist deutlich unterlegen. Auf der Iberischen Halbinsel hatte sich ein beträchtlicher Buchmarkt für Kinder und Jugendliche herausgebildet, der von mehr als fünfzig Verlagen bedient wurde, die ihre kinderliterarischen Werke auch in Lateinamerika absetzten.231 Die Dominanz spanischer Lesematerialien in lateinamerikanischen Kinderzimmern wurde durchaus kritisch gesehen, weil nicht nur die Divergenzen zwischen europäischem und lateinamerikanischem Spanisch zu Konfusionen bei jungen Lesern führten, sondern die Importe aus Europa vor allem eine Übermacht fremdkultureller Inhalte implizierte, die im Sinne einer Überfremdung und einer neuen Form von Kolonialismus zunehmend als Gefahren für die kulturelle Autonomie wahrgenommen wurden.232 Die venezolanische Kinderbuchspezialistin Virginia Betancourt fasste in
229 In Mexiko sollen Mitte der sechziger Jahre monatlich etwa 27 Millionen Comic-Hefte produziert worden sein, von denen ein Großteil nach Südamerika exportiert wurde. Vgl. Alfredo Grassi: Qué es la historieta? Buenos Aires: Editorial Columba 1968 (Colección Esquemas. 88), S. 36. Vgl. zur ComicIndustrie in Mexiko auch: Harold E. Hinds/Charles M. Tatum: Not Just for Children. The Mexican Comic Book in the Late 1960s and 1970s. Westport, London: Greenwood Press 1992 (Contributions to the Study of Popular Culture. 30), S. 7–10 und S. 13–16. 230 Vgl. Heriberto Schiro: Misión de consulta sobre coediciones de libros infantiles en Quita, Lima y La Paz, 1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de Misiones y Cursos 1976–1978). 231 Vgl. Carmen Bravo-Villasante: Libros infantiles españoles y su proyección internacional. In: El libro español X (1967), H. 111, S. 159–162. 232 Vgl. exemplarisch den Vortrag von Germán Ramos: Nuestra literatura infantil, lógico fruto de un proceso cultural llamado dependencia, o. D. [etwa 1979] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E62–005), wo es heißt: »Ese hendimiento de inferioridad que convenía crearnos en torno a todo lo nuestro, dio, da y seguirá dando los resultados esperados por los ›superiores‹, él nos llenó el mundo de castillos encantados, de hadas, y de brujas, de maravillas que provenían siempre de las tierras del hombre blanco. El, como un brebaje que hemos consumo dio por siglos, nos lleva a sentir como propias las necesidades y expectativas de los saqueadores. Y su magia y su fantasía brotan de nosotros como propias; con la misma facilidad con que estas palabras sustituyen hoy las voces perdidas de los abuelos indios; con la misma naturalidad con que estas ropas cubren hoy el cuerpo de un hombre americano que quizá de otra forma debería estar vestido de soles y de vientos.« Vgl. dazu auch die Einschätzungen der spanischen Kinderbuchspezialistin Carmen Bravo-Villasante: La literatura infantil al servicio de la paz. In: El libro español XVIII (1975), H. 210, S. 236–240.
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einem Vortrag in den USA die Problematik importierter Literatur aus Spanien folgendermaßen zusammen: We have a common language, but many idiomatic forms and the words for certain objects and everyday actions are very different in Latin America and in Spain. This presents difficulties, particularly for small children [. . .] But the essential problem arises from a larger phenomenon. References to cultural, social, and geographic realities in imported reading material have little in common with what Venezuelan children see, feel and live daily.233
Die Vorherrschaft (übersetzter) europäischer und nordamerikanischer Kinderliteratur – so glaubte der brasilianische Verleger Wander Soares zu beobachten – hatte zur Konsequenz, dass den Kindern Lateinamerikas Ritter, blonde Wikinger, Rothäuter und Außerirdische vertrauter waren als Figuren der einheimischen Mythologie und Geschichte wie etwa Pedro Urdemales oder Martín Fierro.234 In Anbetracht fehlender lokaler Lektürestoffe riefen lateinamerikanische Pädagogen, Verleger und Bibliothekare verstärkt Initiativen ins Leben, die auf eine Produktionserhöhung einheimischer Kinderliteratur zielten und sich als solche in eine global intensivierte Aufmerksamkeit für die Kinder- und Jugendliteratur fügten, welche beispielsweise in der Gründung des Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch IBBY (1953) und der Kinderbuchmesse in Bologna (seit 1964) sowie in einer Institutionalisierung des Kinder- und Jugendbuches als bedeutenden Teilbuchmärkten in Europa und Nordamerika sichtbar wurde. Neben der Etablierung nationaler IBBY-Sektionen235 belegen die Durchführung von Veranstaltungen rund um das Kinderbuch236 , die Einrichtung von Preisen für Kinderbuchautoren237 sowie der Aufbau von (universitären) Dokumentations- und Forschungszentren für kinderliterarische Werke238 das wachsende Interesse an Lesestoffen für Kinder und Jugendliche in La-
233 Virginia Betancourt: Information: A Necessity for Survival: Strategies for the Promotion of Children’s Books in a Developing Country, o. D. [etwa 1981] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B4–21). 234 Vgl. Wander Soares: Coedición latinoamericana de libros para niños. Un proyecto experimental. In: Noticias sobre el libro 45 (1985), S. 4–7, hier S. 4. 235 Als eine der ersten nationalen IBBY-Sektionen wurde 1964 das IBBY Chile gegründet. Es folgten unter anderem die brasilanische Sektion (Fundação Nacional do Livro Infantil e Juvenil) im Jahr 1968 sowie die Fundación Ecuatoriana para el Libro Infantil y Juvenil 1976. 236 Beispielsweise wurde 1965 in Venezuela zum ersten Mal ein Kinderbuchfestival durchgeführt, vier Jahre später fand in Costa Rica ein zentralamerikanisches Seminar zum Kinderbuch (Seminario Centroamericano de Literatura Infantil) statt, 1972 wurde im Rahmen der Buchmesse in São Paulo erstmals eine gesamtlateinamerikanische Kinderbuchtagung ausgerichtet. Bereits seit 1947 wurde in Argentinien eine Kinderbuchwoche durchgeführt. 237 Beispiele sind der Concurso Enka de Literatura Infantil in Kolumbien (seit 1976) und der Premio Carmen Lyra de Literatura Infantil y Juvenil in Costa Rica (seit 1975). 238 Exemplarisch seien hier das Centro de Asesoramiento y Promoción para la Literatura InfantilJuvenil (Argentinien, seit 1969) sowie das Kinder- und Jugendbuchinstitut von Costa Rica (seit 1979) genannt. In Venezuela stand das Kinderbuch im Centro de Capacitación Docente El Mácaro (seit 1961) im Fokus der Aufmerksamkeit.
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teinamerika der sechziger und siebziger Jahre.239 In diesem Zeitraum kamen zudem neue Kinderbuchreihen und -zeitschriften auf den Markt.240 In Rio de Janeiro und Buenos Aires öffneten erste spezialisierte Kinderbuchhandlungen ihre Türen, während in Venezuela, dessen Wirtschaft dank der Erdölvorkommen prosperierte, mit der Banco del Libro 1960 eine beispielhafte, gemeinnützige Institution gegründet wurde, die eine Vielzahl von Projekten entwickelte, um für Kinder und Jugendliche den Zugang zum Buch zu verbessern: In Ciudad Guayana richtete man im Rahmen eines Pilotvorhabens Schulbibliotheken ein; im gesamten Land wurde der kostenlose Verleih von Schulbüchern für Kinder von bedürftigen Familien organisiert; ferner entstand ein Publikationsprogramm, welches 1978 in die Gründung der Ediciones Ekaré, des ersten Kinderbuchverlages Venezuelas, mündete.241 Die Produktion einheimischer Kinder- und Jugendliteratur wurde insbesondere in den bevölkerungsarmen Staaten des Kontinents durch jene strukturellen Faktoren behindert, die im Allgemeinen der Entfaltung der Buchmärkte entgegenstanden. Die Begrenztheit der nationalen Märkte und die geringe Kaufkraft weiter Teile der Bevölkerung ließen eine rentable Veröffentlichung von Kinderliteratur kaum möglich erscheinen: Die Auflagen waren gering, die Gestaltung aufwendig und die Preise in der Folge so hoch, dass die einheimisch publizierten Werke, aber auch ihre spanischen Pendants Luxusgüter waren, die sich lediglich die Oberschichten leisten konnten. Heriberto Schiro bekräftigte: »[M]ost books are totally out of reach for the underprivileged classes and are therefore available only to a small minority.«242 Zur Einlösung des gesellschaftspolitischen Desiderats, kulturell originäre Lektürestoffe für Kinder und Jugendliche zu Preisen zu produzieren, die für die Mehrheit der lateinamerikanischen Bevölkerung erschwinglich waren, schlug Heriberto Schiro in seinem Vortrag in Rio de Janeiro in Anlehnung an das vom Tokioer Buchförderungszentrum koordinierte asiatische Programm die Lancierung eines lateinamerikanischen Kopublikationsprojekts vor.243 Durch die in Europa und Nordamerika durch-
239 So auch: Uribe/Delon (Hrsg.): Panorama de la literatura infantil, S. 8. 240 Beispielsweise erschien in Guatemala ab 1974 die Kinderzeitschrift Chiquirín, im zentralamerikanischen Universitätsverlag EDUCA ab 1976 die Colección Cuminche. 241 Vgl. zur Geschichte der Banco del Libro und der Ediciones Ekaré: Verónica Uribe/Carmen Diana Dearden: Children’s Book Production, Distribution and Reception in Latin America. In: IJB-Report 1 (1985), S. 3–12; Verónica Uribe: Banco del Libro of Venezuela. An Institution of Firsts. In: Bookbird 26 (1988), S. 5–8; El Banco del Libro. Una ejemplar institución cultural venezolana. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 15 (1977), S. 8–9. Vgl. zum Kinderbuch in Venezuela ferner auch: Yurinis Prieto: Algunos apuntes sobre el cuento para niños en la década de los ochenta en Venezuela. In: Le livre et la lecture. Hrsg. von Christian Giudicelli. Paris: Presses de la Sorbonne Nouvelle 1999 (América. Cahiers du CRICCAL. 23), S. 137–146. 242 Schiro: Children’s Literature in Developing Countries, S. 3. Vgl. ebenso: Subero: La literatura infantil, S. 83. 243 Vgl. Schiro: Children’s Literature in Developing Countries, S. 8; ders.: Informe. Congreso Mundial de Literatura Infantil, Rio de Janeiro, 21.–26.10.1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo,
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aus übliche Form der Zusammenarbeit zwischen Verlagen unterschiedlicher Länder bei vor allem illustrationsreichen Publikationen wie Bilder-, Kinder- oder Kunstbüchern konnten deren Herstellungskosten bedeutend gesenkt werden, da die titelfixen Kosten, wie sie beispielsweise für die Erstellung von Abbildungen und für das Layout anfielen, auf eine größere Menge von Exemplaren umgelegt wurden. Durch die Zusammenfassung von Druckvorgängen ließen sich darüber hinaus zusätzliche kalkulatorische Vorteile erzielen.244 Die Praxis der Kopublikation, also der Veröffentlichung eines Werkes als gemeinsames Projekt mehrerer Verlage, konnte – so verwies Schiro in einer dem Exekutivrat des CERLALC 1975 vorgelegten Einschätzung – die Begrenztheit der nationalen Buchmärkte in Lateinamerika überwinden: Die Erhöhung der Auflage, die sich durch die regionale Herausgabe von Kinderbüchern ergab, bedeutete eine Kostenverminderung und erhöhte somit die Konkurrenzfähigkeit der einheimisch produzierten Lesestoffe gegenüber den Importen aus Europa.245 Aufgrund
Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón, 1972–1974). Der CERLALC-Direktor Arcadio Plazas und Heriberto Schiro hatten 1972 während eines Besuchs am Tokioer Buchförderungszentrum das asiatische Kopublikationsprogramm kennengelernt. Vgl. [Heriberto Schiro]: [Informe]. Reunión de Expertos sobre el Fomento del Libro en Asia. Tokio, 3.–10.7.1972 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón, 1972–1974). Auf einer vom CERLALC organisierten Konferenz zu Kinderbüchern in Lateinamerika, die der Vorbereitung des IBBY-Kongresses diente und im Frühjahr 1974 in Buenos Aires stattfand, war die Idee eines lateinamerikanischen Kopublikationsprogramms ebenfalls diskutiert worden. Vgl. Heriberto Schiro: Informe sobre el Seminario de Literatura Infantil realizado en Buenos Aires del 22 al 27 de abril de 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón, 1972–1974). 244 Vgl. Ramón Nieto: Reflexiones acerca de la coproducción de libros infantiles y juveniles. 1979 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–10); Datus C. Smith: The Economics of Book Publishing in Developing Countries. Paris: UNESCO 1977 (Reports and Papers on Mass Communication. 79), S. 35–36. Die Praxis der Kopublikation begann sich auf dem internationalen Buchmarkt seit den sechziger Jahren allmählich durchzusetzen. Vgl. dazu die Reflexionen bei: Hélène Buzelin: Les contradictions de la coédition internationale. Des pratiques aux représentations. In: Les contradictions de la globalisation éditoriale. Hrsg. von Gisèle Sapiro. Paris: Nouveau Monde 2009, S. 45–79; siehe zu unterschiedlichen Arten der Kopublikation ferner: Philippe Schuwer: L’édition internationale. Coéditions et coproductions. Nouvelle pratiques et stratégies. Paris: Editions du Cercle de la Librairie 1991. 245 Vgl. Informe Especial para el Comité Ejecutivo sobre un proyecto de Coediciones de libros infantiles, o. D. [etwa 1975] (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.I–07). Robert Escarpit hatte bereits 1969 im Anschluss an seine mehrwöchige Mission in Lateinamerika vorgeschlagen, die Übermacht europäischer Bücher auf dem lateinamerikanischen Kontinent durch regionale Kopublikationen zu begegnen: »[D]es accords de co-édition latino-américains pouvaient combattre efficacement cette invasion.« Robert Escarpit: Rapport de mission en Brésil (6–11 janvier 1969). Programme de promotion du livre en Amérique latine. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1300/BMS.RD/COM.FF; FF/1903/2608), S. 5. Die Kopublikation von Kinderbüchern wurde auch im UNESCO-Bericht für die UN aus dem Jahr 1971 als mögliches Betätigungsfeld des book development genannt: Vgl. Development of Information Media, S. 13.
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der sprachlichen Geschlossenheit des lateinamerikanischen Raums mit seinen zwei Hauptidiomen Spanisch und Portugiesisch schienen durch das Kopublikationsprojekt sogar noch weitreichendere Einsparungseffekte möglich, als dies in Asien der Fall war, wo aufgrund der Sprachenvielfalt lediglich die Illustrationen, nicht aber die Texte gemeinsam gedruckt werden konnten. Da der Vorschlag eines Kopublikationsprojekts sowohl unter den Teilnehmern in Rio de Janeiro als auch vom Exekutivrat des CERLALC wohlwollend aufgenommen worden war, bemühte sich das CERLALC unter Federführung von Schiro um die Realisierung des Vorhabens. Mit dem asiatischen Kopublikationsprogramm stand dem CERLALC zwar ein Modell zur Verfügung, an dem man sich orientieren konnte, das aber gleichwohl an die lateinamerikanischen Realitäten angepasst werden musste.246 Dies galt insbesondere im Hinblick auf Finanzierungsfragen, denn Zuwendungen, wie sie das asiatische Programm in beträchtlichem Maße vonseiten des japanischen Verlegerverbandes erfahren hatte, waren in Lateinamerika kaum zu erwarten, und auch das CERLALC selbst verfügte nicht über die notwendigen Mittel, die eine Anschubfinanzierung der ersten Kinderbücher ermöglicht hätte.247 Nachdem das lateinamerikanische Buchförderungszentrum 1975 und 1976 Tagungen zum Thema veranstaltet und Schiro in den darauf folgenden zwei Jahren den Kontinent bereist hatte, um für die Realisierung des Projekts zu werben, kam der entscheidende Impuls zu dessen Umsetzung von der Pariser Mutterorganisation, die 1979 zum Internationalen Jahr des Kindes erklärt hatte.248 Als Verkörperung der Hoffnung auf eine materiell und intellektuell bessere Zukunft sollten das Kind und die Verbesserung seiner Lebensbedingungen zwölf Monate lang in den Fokus der globalen Aufmerksamkeit gerückt werden: Assuming that the world of the future will be shaped by the minds and hands of our children, surely we want these children to be equipped with the ideas and ideals, the information and inspiration they need in order to make of it a better place. Our concern must reach beyond their physical and material well-being to include their social, psychological and cultural devel-
246 In den Projektunterlagen des CERLALC finden sich einige (ins Spanische übersetzte) Unterlagen, die die Arbeit des asiatischen Kopublikationsprogramms dokumentieren: Informe de la segunda reunión del Comité de Planeamiento y edición de coproducción de libros para niños, 19.–24.6.1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E2–031); Informe de la Reunión del Comité Organizador sobre el Programa de Copublicación Asiática, 1.–5.7.1978 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E3–44). 247 Vgl. Informe Especial para el Comité Ejecutivo sobre un proyecto de Coediciones de libros infantiles, o. D. [etwa 1975] (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.I–07). 248 1975 fand eine Tagung zum Kopublizieren in Montevideo statt, ein Jahr später eine kleinere Konferenz in Bogotá zum selben Thema. 1977 und 1978 war Schiro unter anderem in Argentinien, Brasilien, Ecuador und Bolivien, um Partner für das geplante Projekt zu finden. Vgl. Seminario sobre Coediciones en Montevideo, November 1975 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–011). Die Berichte der Missionen Heriberto Schiros finden sich im Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 4, Informes de Misiones y Cursos 1976–1978.
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opment. In these children is the whole potentiality of the human race. Therefore all children must be given the freedom and the means to develop their individual potentialities – spiritual, material and intellectual – to the fullest.249
Den Empfehlungen des International Book Committee folgend wurden für das Biennium 1979/1980 Gelder bereitgestellt, um das erfolgreiche asiatische Kopublikationsprogramm auch in anderen Weltregionen durchzuführen250 : In the International Year of the Child, we should pledge ourselves to work to ensure that all children everywhere have, first, the ability to read, and second, a wide and rich selection of books at the level of their needs and interests.251
Auf der im Februar 1979 ausgerichteten Kinderbuchtagung, zu der das CERLALC dank entsprechender Zuwendungen der UNESCO über zwei Dutzend lateinamerikanische Verleger nach Bogotá einladen konnte, wurde die Lancierung eines Kopublikationsprojekts befürwortet252 und die Notwendigkeit kulturell originärer, qualitätsvoller und für alle erschwinglicher Kinderliteratur nochmals bekräftigt: Debemos encontrar los medios para crear, producir y distribuir libros de buena calidad gráfica y visual, de buena calidad literaria y de contenido de buen nivel; libros que posibiliten la identificación del lector consigo mismo, con su cultura y con sus valores universales de vida humana, constituyéndose un desafío intelectual y un estímulo a la imaginación; libros que ayuden a los niños a vivir en su época y a crecer dignos y conscientes de sus derechos; libros, sobre todo, que sean accesibles a todos los lectores donde quiera que se encuentren y que no constituyan un privilegio de una minoría económicamente bien acomodada.253
249 Books for Young People and the International Year of the Child (IYC). In: Book Promotion News 15 (1978), S. 4–5, hier S. 4. 250 Vgl. Se inicia la era de las coediciones en los países en desarrollo. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 23 (1979), S. 9; Regional Co-Publication Programmes. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XXIII (1981), H. 1, S. 3–4. Die Bemühungen der UNESCO, ein Kopublikationsprogramm im arabischen Raum in Gang zu bringen, scheiterten. Am afrikanischen Buchförderungszentrum CREPLA in Yaoundé konstituierte sich ein Kopublikationsausschuss, der einige wenige Kinderbücher herausbrachte. Vgl. Planning Committee of African Co-Publishing Meet. In: Bulletin of Information. Regional Centre for Book Development in Africa 2 (1979), H. 2/3, S. 2. 251 Books for Young People and the International Year of the Child, S. 4, Hervorhebungen im Original. 252 Vgl. Leny Werneck: Sugerencias para un proyecto de coedición atendiendo las recomendaciones del seminario sobre edición de libros infantiles, o. D. [etwa März 1979] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 4, Carpeta 51, Coedición de libros infantiles 1979). 253 Leny Werneck: Documento de base. Seminario sobre edición de libros infantiles y juveniles, 19.–23.2.1979, enthalten in: Documentación. Seminario sobre edición de libros infantiles (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E62–004). Die brasilanische Kinderbuchexpertin Leny Werneck war im Rahmen des Kopublikationsprojekts als UNESCO-Expertin am CERLALC tätig.
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Ein halbes Jahr später kamen die neun Verlagshäuser254 , die Interesse am Kopublikationsprogramm bekundet hatten, erneut in der kolumbianischen Hauptstadt zusammen, um die Usancen des Projekts vertraglich festzuschreiben.255 Während die Verlage für Redaktion und Herstellung verantwortlich waren, verpflichtete sich das CERLALC, Gelder für die Einrichtung eines Fonds ausfindig zu machen, durch den die Produktion der ersten Bände vorfinanziert würde.256 Die chronisch kapitalschwachen Verlage sollten entlastet werden, indem sie ihren Anteil an den Herstellungsund Redaktionskosten erst nach Abverkauf der Auflage zu begleichen hätten. Nachdem die beim Internationalen Kulturfond der UNESCO (International Fund for the Promotion of Culture) als auch bei der kolumbianischen Nationalbank gestellten Finanzierungsanträge im Verlauf des Jahres 1980 abgelehnt worden waren, stand das Projekt kurz vor dem Aus.257 Erst die Bereitschaft der Verleger von Plus Ultra (Argentinien), Ática (Brasilien), Norma (Kolumbien) sowie Ediciones Ekaré (Venezuela), die Kosten für den ersten Band selbst zu tragen und somit das finanzielle Risiko komplett zu übernehmen, ermöglichte die Fortsetzung des Vorhabens unter nun geänderten Modalitäten: Das CERLALC gewährleistete nicht mehr die Vorfinanzierung der kinderliterarischen Verlagserzeugnisse, sondern trat lediglich noch als Unterstützer auf, der zwar die ein bis zwei Mal im Jahr stattfindenden Treffen des Kopublikationsausschusses, nicht aber die Produktion der Bücher selbst bezuschusste.258 Im Gegensatz zu den Usancen des asiatischen Lesematerialienprojekts, das Erscheinen von Büchern durch die Übernahme der Autorenhonorare und den vertraglich zugesicherten Kauf einer Teilauflage zu subventionieren, fand im Rahmen des lateinamerikanischen Kopublikationsprojekts kein direkter Eingriff in den Buchmarkt von außen, d. h. durch buchmarktfremde Organisationen, und somit auch keine Wettbewerbsverzerrung statt. Die Rolle des CERLALC beschränkte sich auf die eines unterstützenden Beobachters, der den Raum für die Zusammenarbeit zwischen den lateinamerikani-
254 Dieses waren aus Kolumbien Editorial Norma und Voluntad Editores, aus Mexiko Editorial Extemporáneos, aus Brasilien Editorial Ática, aus Chile Editorial Zig Zag, aus Argentinien Editorial Plus Ultra, aus Venezuela Editorial Ekaré sowie Editorial Círculo de Lectores aus Ecuador und Editora Taller aus der Dominikanischen Republik. 255 Vgl. Comité de Planeación. Proyecto de Coediciones de libros para niños en América Latina. Primera reunión, 23.–25.8.1979 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–003). 256 Vgl. La primera gran edición en América Latina. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 23 (1979), S. 30–32. 257 Vgl. Rundschreiben von Jaime Jaramillo Uribe vom 10.12.1980 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 5, Carpeta 53, Coedición de libros infantiles, Correspondencia 1980). 258 Es waren die am Kopublikationsprojekt beteiligten Verleger von Ática und Ekaré (Banco del Libro), die dem CERLALC diese neue, reduzierte Rolle vorschlugen. Vgl. Wander Soares an Jaime Jaramillo Uribe am 20.1.1981 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 5, Carpeta 53, Coedición de libros infantiles, Correspondencia 1980); Carmen Diana Dearden an Jaime Jaramillo Uribe am 22.1.1981 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 5, Carpeta 53, Coedición de libros infantiles, Correspondencia 1980).
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schen Buchhandelsfirmen schuf, der die strategischen Entscheidungen über inhaltliche Ausrichtung und Produktionsprozess aber gänzlich in der Verantwortung der beteiligten Verlage beließ: »El papel de los dos organismos [CERLALC y UNESCO, CL] es el de promover los acuerdos entre los editores dejando a ellos plena libertad de decisión.«259 Nachdem im März 1982, also etwa gut zweieinhalb Jahre nach offiziellem Projektstart, der erste Titel unter dem Imprint der vier Verlagshäuser (Ática, Ekaré, Norma und Plus Ultra) erschienen war, weitete sich in den darauf folgenden Jahren der Kreis der Beteiligten auch dank des Werbens des CERLALC stetig aus: Am zweiten Band waren bereits sieben Verlage beteiligt, der dritte kam zeitgleich in elf lateinamerikanischen Ländern auf den Markt. Auf dem Höhepunkt des Kopublikationsprojekts waren vierzehn Buchhandelsfirmen aus ebenso vielen lateinamerikanischen Ländern involviert. Aufgrund der steigenden Anzahl der Projektteilnehmer wurde ein Planungskomitee eingerichtet, dessen auf zwei Jahre gewählte Mitglieder für die Gesamtheit der verlegerischen Gemeinschaft die Manuskripte begutachteten und über zukünftige Titel berieten. Aus dem Kreis der beteiligten Verlage wurden jeweils zwei Koordinatoren bestimmt, die sich für das Lektorat (editor-piloto) bzw. die Koordination des Herstellungsprozesses (impresor-piloto) verantwortlich zeigten. Die Verlagshäuser verpflichteten sich zur Abnahme einer Teilauflage, die 1984 auf eine Höhe von mindestens dreitausend Exemplaren festgelegt wurde, und erhielten im Gegenzug das exklusive Distributionsrecht innerhalb ihrer jeweiligen Landesgrenzen.260 Während die redaktionellen Fixkosten zu gleichen Teilen auf die Verlage und somit unabhängig von der von diesen georderten Menge umgelegt wurden, ergaben sich die variablen Kosten aus der bestellten Anzahl an Exemplaren.261 Jeder der Projektpartner hatte die Möglichkeit, sich durch das Einreichen einer Geschichte und dazu passender Illustrationen an den anthologieartigen Bänden des Kopublikationsprojekts zu beteiligen, wobei er für die Untervertragnahme der Autoren und Illustratoren und die anfallenden Honorare verantwortlich war. Folgt man den sicherlich etwas subjektiv gefärbten Urteilen der am Projekt beteiligten Verlage, verkauften sich die kopublizierten Bücher äußerst zufriedenstellend: »Los libros se venden muy bien, tanto o mejor que los libros más exitosos de cada
259 Jaime Jaramillo Uribe an Ione María Artigas de Sierra am 15.10.1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 7, Carpeta 74, Coediciones 1982). 260 Vgl. Acta. Reunión de Madrid. Coedición Latinoamericana de libros para niños, 31.3.–2.4.1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 8, Carpeta 84, Coediciones Actas). 261 Vgl. exemplarisch Endabrechnung für den sechsten Band Cómo surgieron los seres y las cosas, o. D. [etwa 1986] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 10, Carpeta 110, Coedición Latinoamericana de Libros para Niños, Correspondencia Enviada y Recibida, 1986–1987).
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editorial«262 , stellte die venezolanische Vertreterin Verónica Uribe stellvertretend für ihre Kollegen in einer Projektevaluation 1986 fest. Ihr brasilianischer Kollege Wander Soares führte die Verkaufserfolge auch auf »die Glaubwürdigkeit und das Prestige«263 zurück, das den Büchern durch die Beteiligung der UNESCO und des CERLALC verliehen wurde. Bis Ende 1985 betrug die Gesamtauflage der bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen fünf Bände 312.000 Exemplare, wovon auf die portugiesischsprachigen Ausgaben allein 130.000 entfielen, die der brasilianische Verlag Ática geschickt in den nationalen Programmen zum Aufbau von Schulbibliotheken zu platzieren wusste.264 Ende 1989 waren insgesamt etwas mehr als 700.000 Exemplare erschienen, davon rund ein Drittel auf Portugiesisch.265 Insbesondere für die kleinen Verlage aus den mittelamerikanischen Ländern, die bisher kaum oder sogar gar keine Erfahrung in der Publikation von Kinderliteratur hatten, bedeutete die Projektteilnahme nicht nur die Möglichkeit, Bücher preiswerter herzustellen, sondern sie profitierten auch von der Erfahrung, die insbesondere der venezolanische Kooperationspartner Ediciones Ekaré und das brasilianische Verlagshaus Ática in das Projekt einbrachten. Das Kopublikationsprogramm wurde somit auch zu einer informellen »Instanz der Weiterbildung«266 , von der sich der dominikanische Verleger José Israel erhoffte, das verlegerische Handwerk der Kinderbuchproduktion überhaupt erst zu erlernen: »Nuestra experiencia en literatura infantil es nula y el proyecto de más en más se define como de ese tipo exclusivamente. Iremos aprendiendo con ustedes ese difícil oficio.«267 Auch die guatemaltekische Vertreterin Irene Piedra Santa hob den Erfahrungszugewinn hervor, den die Teilnahme am Kopublikationsprojekt bedeutete:
262 Verónica Uribe: La Coedición Latinoamericana. Inicios, logros, problemas y algunas recomendaciones, November 1986 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–7), S. 16. 263 Im spanischen Original: »credibilidad y prestigio«. Wander Soares: Breve informe, enthalten in: Anexo 3: Breve informe de los coeditores acerca de los resultados del programa de coedición latinoamericana en sus respectivos países. Acta de la VI reunión del comité de planeamiento coedición latinoamericana, 2.–6.6.1986 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–8). 264 Vgl. Verónica Uribe: La Coedición Latinoamericana. Inicios, logros, problemas y algunas recomendaciones, November 1986 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–7), S. 11. 265 Vgl. Nuevo título de la coedición latinoamericana. In: El libro en América Latina y el Caribe 61 (1990), S. 49. Der langfristige Erfolg des Kopublikationsprogramms zeigt sich darin, dass einige Bände immer wieder nachgedruckt wurden und sich teilweise noch heute in den Verlagsprogrammen, u.a. von Piedra Santa (Guatemala) und CIDCLI (Mexiko), finden. 266 Im spanischen Original: »instancias de capacitación«. Informe del Director sobre las actividades y situación general del CERLAL en 1983, März 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.XV–04). 267 José Israel an Verónica Uribe im Februar 1987 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 10, Carpeta 119, Coedición Latinoamericana de Libros para niños, correspondencia enviada y recibida, 1986–1987).
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Se aprende mucho co-editando, y al margen de la co-edición oficial afloran y surgen otras publicaciones no menos importantes. Precisamente a finales de este año, Editorial Piedra Santa publicará diez cuentos infantiles [. . .] lo que, aun cuando independientes del proyecto patrocinado por CERLAL, se han derivado de éste. Consideramos que, a partir de ahora, aumentamos nuestra línea de títulos infantiles, con ediciones muy mejoradas.268
Wie für Piedra Santa war auch für ihre Kollegin Carmen Rivera Iscoa vom puertoricanischen Verlag Huracán das Kopublikationsprojekt der entscheidende Impuls, um einen kinderliterarischen Programmbereich aufzubauen. In einer Evaluation der am Projekt beteiligten Buchhandelsfirmen hob sie 1986 hervor: Aunque Ediciones Huracán había intentado anteriormente realizar publicaciones para niños, estos intentos no dieron los resultados esperados, debido entre otras razones, a la falta de experiencia y conocimiento especializado. El trabajo de la Coedición ha sido importante como aprendizaje y Huracán ha retomado una línea infantil propia, con un perfil más definido.269
Im Verlauf seiner Entwicklung war das Kopublikationsprogramm somit weit mehr als ein Mechanismus zur Herstellung einheimischer und verhältnismäßig preisgünstiger Kinderbücher270 , sondern es trug auch zur Fortbildung und Vernetzung der lateinamerikanischen Verleger sowie zum Erscheinen weiterer kinderliterarischer Werke bei. Die im Rahmen des Kopublikationsprojekts produzierten Lektürestoffe unterlagen beträchtlichen Funktionserwartungen. Als Repräsentanten der eigenen kulturellen Identität und Geschichte sollten sie – so stellte es der zum Zeitpunkt der Lancierung des Projekts amtierende Direktor des CERLALC Gonzalo Canal Ramírez heraus – zur nationalen Gesinnungsbildung und zur Ausformung eines Zivilbewusstseins beitragen: »[L]a producción de libros indígenas, con temas autóctonos para niños, [es] instrumento de formación del propio patrimonio cultural y desarrollo de una conciencia ciudadana y nacional en los niños.«271 Die hier deutlich werdende Instrumentalisierung der Kinderliteratur im Sinne einer politisch-gesellschaftlichen Erziehung272 spiegelte sich auch im Selbstverständnis der lateinamerikanischen Verleger
268 Irene Piedra Santa: Panorama de la literatura infantil. Guatemala. In: Uribe/Delon (Hrsg.): Panorama de la literatura infantil, S. 161–182, hier S. 168–169. 269 Carmen Rivera Iscoa: Breve informe, enthalten in: Anexo 3: Breve informe de los coeditores acerca de los resultados del programa de coedición latinoamericana en sus respectivos países. Acta de la VI reunión del comité de planeamiento coedición latinoamericana, 2.–6.6.1986 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–8). 270 Der Verkaufspreis für die kopublizierten Kinderbücher lag bei umgerechnet etwa zwei US-Dollar. 271 Gonzalo Canal Ramírez: Libros infantiles indígenas y libros universales. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 23 (1979), S. 1–2. 272 Nach Ansicht der spanischen Kinderbuchexpertin Carmen Bravo-Villasante wurde in Entwicklungsländern Kinderliteratur tendenziell eher als zweckorientiert im Sinne einer moralisch-gesellschaftlichen Erziehung konzipiert, während in Europa und Nordamerika verstärkt ästhetisch-litera-
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wider, die ihre literarischen Produkte als Dienst an der sozialen Entwicklung deuteten und sich selbst als »Agenten des Wandel«273 sahen. Julio Escoto, honduranischer Geschäftsführer des zentralamerikanischen Universitätsverlages EDUCA, erklärte im Rahmen der Kinderliteraturtagung im Februar 1979 in Bogotá: [L]os editores latinoamericanos tenemos en nuestras manos la potencialidad de impulsar el desarrollo social latinoamericano mediante la organización y estructura de un válido y universal esquema que sirva de código de conducta en la elaboración de obras infantiles, de tal forma que, conscientes los editores de las metas y objetivos que se buscan, el proceso cultural mismo sea más definido y preciso. Porque si bien no podemos atacar siquiera medianamente el complejo status de la condición social latinoamericana, privativo de la mentalidad adulta, sí podemos, en cambio, enseñar a los niños y a los jóvenes que esas condiciones sociales actuales son injustas, desequilibradas, irrespetuosas a la razón humana y posibles de ser modificadas [. . .] [L]as obras infantiles publicadas en Latinoamérica deben ser portadoras de un contenido ideológico (en el mejor sentido de la palabra) y tener como objetivo prioritario formar, educar, integrar personalidades capaces de comprender y analizar una determinada visión de mundo [. . .] Mientras generaciones tras generaciones nacen, sobreviven y mueren en un total y albo desconocimiento de su historia, de sus raíces culturales, de los valores de la nacionalidad, de su ubicación en la existencia, los editores latinoamericanos no podemos continuar repitiendo lo que yo llamaría los ›traumas culturales‹ de nuestra propia niñez: aquella en que los valores adquiridos a través de la lectura fueron los de culturas extrañas pobladas de reyes y reinas condecorados y versallescos, de hadas madrinas recargadas de fulgurantes joyas, de maravillosos superhombres [. . .] La función de este Seminario [. . .] debe ser entonces la de asentar un código de prioridades editoriales en cuanto a la transmisión de valores por medio del libro infantil. Un código que [. . .] sea capaz de establecer una norma de preferencias editoriales capaz de acoplarse tanto a las necesidades nacionales como al espirito de regionalidad y convivencia americanas.274
Neben der Funktion, Werte und Botschaften gesellschaftlich-politischer bzw. kulturell-historischer Natur zu kommunizieren, wurden an die im Rahmen des Projekts zu publizierende Kinderliteratur auch pädagogische Ambitionen herangetragen. In den Augen der argentinischen Verlegerin Ione María Artigas de Sierra Ochoa sollte sowohl ein ästhetischer als auch ein inhaltlicher Kontrapunkt gegen »billige Pseudoliteratur«275 wie Comics, aber auch gegen das Leitmedium Fernsehen gesetzt werden,
rische Wertmaßstäbe angelegt wurden: »El tono social, el mensaje o contenido era muy importante para los países en vías de desarrollo. El puro entretenimiento, la libertad de creación tenía más importancia para los otros.« Bravo-Villasante: La literatura infantil, S. 239. 273 Im englischen Original: »the editor as a transforming agent« bzw. »as an agent of change«. Seminar on Literature for Youth in Latin America and the Caribbean. Aims, Conclusions and Recommendations, enthalten in: Co-Edition of Children’s Books in Latin America. A programme sponsored by UNESCO & CERLAL, Juli 1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–2). 274 Julio Escoto: Literatura infantil y proceso cultural. Enthalten in: Documentación. Seminario sobre edición de libros infantiles, 1979 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E62–004), S. 7–11. 275 Im spanischen Original: »pseudoliteratura barata«. María Clemencia Venegas: Panorama de la literatura infantil. Colombia. In: Uribe/Delon (Hrsg.): Panorama de la literatura infantil, S. 71–88, hier S. 78.
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indem man den Kindern ein Mittel in die Hand gab, mit dessen Hilfe sie ihre kognitiven Fähigkeiten ausbauen und eigenständiges Denken erlernen konnten: Creo llegado el momento de plantearla importancia de realizar un programa de coediciones de libros infantiles en América Latina y el Caribe, tratando de proveer a los niños de un material de lectura apropiado que llegue a sus manos, ya que, al no estar adecuadamente alfabetizados, no logran dominar el instrumental básico de lectura y, en muchos casos, lo pierden al no entrenarlo a de T.V. y en lecturas de ›consumo‹, como [. . .] historietas, tiras cómicas, superficial recreación de la ›industria cultural‹, que no ayuda al individuo a elaborar su pensamiento permitiéndole, de acuerdo con sus posibilidades, una libre elección y elaboración de opiniones, sino que lo signa con estereotipos alienantes.276
Auf der Suche nach Erzählstoffen, die geeignet waren, in kindlichen Lesern ein Bewusstsein für die eigene Geschichte und Kultur zu wecken, und ebenso auch den literarisch-ästhetischen Ansprüchen genügten, sprachen sich die in Bogotá anwesenden Verleger dafür aus, das Potenzial lateinamerikanischer Volkspoesie (Märchen, Sagen, Legenden) für kinderliterarische Werke wieder zu entdecken: If we wish to offer our children proper food for their creative thought, as an arm against extraneous influence that today surround him, the Latin-American creative spirit cannot put off re-examining the values which are fed into it, and re-evaluating the background of our tradition and folklore as a means of discovering our historical identity.277
Die lateinamerikanischen Verleger folgten somit Argumenten Marc Sorianos, der fünf Jahre zuvor auf einer Tagung in Buenos Aires die Besinnung auf die nationale folkloristische Kultur als nützlich und gewinnbringend für die Festigung der lateinamerikanischen Identitäten gegen das Vordringen einer industriell gefertigten und sich weltweit homogenisierenden Literatur charakterisiert hatte.278 Die geplante Publikation von zumeist oral tradierten volkstümlichen Erzählungen lässt sich marktstrategisch als Distinktionsmerkmal – sowohl gegenüber den Inhalten der audiovisuellen Medien als auch im Hinblick auf die importierte spanische Kinderliteratur – und ideologisch als Beitrag zur Betonung der kulturellen Autonomie und der eigenen Geschichte verstehen. Die verlegerische Entscheidung zugunsten traditioneller Erzählstoffe muss allerdings auch – wie die venezolanische Ekaré-Ver-
276 Ione María Artigas de Sierra Ochoa: Coedición de libros infantiles en América Latina y el Caribe, o. D. [etwa 1979] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–14). 277 Seminar on Literature for Youth in Latin America and the Caribbean. Aims, Conclusions and Recommendations, enthalten in: Co-Edition of Children’s Books in Latin America. A programme sponsored by UNESCO & CERLAL, Juli 1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–2). 278 Vgl. La literatura infantil despierta el interés internacional. In: El libro español XVII (1974), H. 199, S. 364–367, hier S. 366; Seminario internacional sobre literatura infantil en Buenos Aires. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 6 (1974), S. 2–4 und S. 7–8. Siehe ferner: Marc Soriano: Children’s Book and Human Rights. In: Prospects. Quarterly Review of Education VII (1977), S. 204–225, hier insbesondere S. 212; ders.: Guide de littérature pour la jeunesse, S. 206.
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legerin Verónica Uribe in einer von Anne Pellowski für die UNESCO durchgeführten Studie darlegte – auf den akuten Mangel an Kinderbuchautoren in Lateinamerika zurückgeführt werden, der die Publikation moderner Geschichten für Kinder erschwerte bis unmöglich machte: Traditional materials help children in getting to know and appreciate their own culture. This is important in developing countries, where there is a tendency to underestimate what is ours and to consider good anything that comes from developed countries. Also [. . .] old stories and legends are rich in knowledge of human nature, wise in the problems humans encounter when learning to live together. In most cases, their message is one that is still alive today and one that children easily grasp. Modern materials related to current themes, close to what the child sees and hears every day, are indispensable for promoting reading, and also for helping children to recognize themselves, their surroundings and their circumstances. It is a unique emotional experience for children [. . .] to realize that children like themselves or their friends can be the characters of a story that happens in a street like the one nearby. That is, that the world and people surrounding them, and not always strange and faraway people and lands, can be described in written language and published, for all to read. Modern materials are much more difficult to obtain, at least in our experience, compared with the easily available and very good traditional stories.279
Die Wahl der am Projekt beteiligten Verlagshäuser, Märchen, Legenden und Sagen kinderliterarisch aufzuarbeiten und durch einheimische Künstler illustrieren zu lassen280 , entsprach der Ausrichtung, die das asiatische Programm bereits Anfang der siebziger Jahre mit der Veröffentlichung der Reihe Folk Tales in Asia erfolgreich eingeschlagen hatte und die mit der Publikation von Cuentos, Mitos y Leyendas para Niños de América Latina sein Pendant in der westlichen Hemisphäre fand. Auch die nachfolgenden Bände des lateinamerikanischen Kopublikationsprojekts verarbeiteten volkstümliche Erzählstoffe, allerdings wurden im Vergleich zum ersten Buch mit Geschichten über Liebe oder fantastische Tiere die Themen deutlich enger gefasst.281 In den anthologieartigen Bänden des Kopublikationsprojekts war in der Regel ein Land mit jeweils einer Geschichte repräsentiert, sodass zusammengenommen eine Art Gesamtschau der Volkspoesie Lateinamerikas – erzählt für Kinder – entstand
279 Zitiert nach: Anne Pellowski: Made to Measure. Children’s Books in Developing Countries. Paris: UNESCO 1980 (Books about Books), S. 42–43 und S. 67. 280 Auch bei den Illustrationen wurde auf ursprüngliche, einheimische Motive gesetzt, die die lateinamerikanische Wirklichkeit repräsentierten: »[L]as ilustraciones deben responder al espíritu de representación de la realidad latinoamericana y no seguir estereotipos extranjeros.« Acta de la cuarta reunión de coedición latinoamericana de libros para niños, Sosua, República Dominicana, 15.–17.6.1983 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 8, Carpeta 84, Coediciones Actas, 1983). 281 Erst bei den letzten kopublizierten Bänden kam es zu einer Loslösung von volkstümlichen Erzählstoffen. Mit Anthologien lateinamerikanischer Gegenwartsliteratur wurde nun verstärkt auf ein jugendliches Zielpublikum gesetzt. Vgl. zu den im Rahmen des Kopublikationsprogramms erschienenen Titel die Übersicht in der Dokumentation L.
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Abb. 12: Umschlaggestaltung von Cuentos y leyendas de amor para niños, dem fünften Band des lateinamerikanischen Kopublikationsprogramms.
(vgl. Abbildung 12). Die Bände des Kopublikationsprogramms schufen somit keine National-, sondern vielmehr eine Regionalkinderliteratur, die im Sinne einer hermanidad die Verbundenheit zwischen den einzelnen lateinamerikanischen Ländern ganz bewusst zum Ausdruck bringen und der Verständigung zwischen den Nationen dienen wollte.282 Diese Intention wurde im Paratext des dritten kopublizierten Buches Cuentos de Espantos y Aparecidos explizit gemacht. Dort hieß es: »Queremos también que los lectores descubran que los países latinoamericanos somos una gran comunidad que comparte creencias, costumbres, relatos, alegrías, y más de un susto.«283
282 Der Venezolaner Efraín Subero schlug bereits 1977 vor, dass durch Kopublikationen »die Kinder des gesamten Kontinents vereint und verbrüdert« werden könnten (im spanischen Original: »Coediciones que acercaran y hermanaran a los niños de todo el continente«). Subero: La literatura infantil, S. 67. 283 Presentación. In: Cuentos de espantos y aparecidos. Caracas: Ediciones Ekaré 1984 (Coedición Latinoamericana. 3), S. 7.
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Es konnte jedoch nicht nur das kinderliterarische Endprodukt als »Brücke des interkulturellen Dialogs«284 und somit als Element in einem lateinamerikanischen Integrationsprozess begriffen werden, sondern vor allem auch der Vorgang des Kopublizierens selbst: Denn die Überwindung der begrenzten nationalen Märkte durch die gemeinsame Herausgabe eines Werkes bedeutete nicht nur, dass das Ziel der Produktion qualitätsvoller, erschwinglicher Kinderbücher autochthoner Inhalte erreicht, sondern gleichzeitig auch – durch das exklusive Distributionsrecht der Verleger innerhalb ihrer Landesgrenzen – die Autonomie der nationalen Buchmärkte gewahrt wurde, also in »Harmonie und Eintracht ein gemeinsamer Markt geteilt«285 wurde. Insbesondere in den bevölkerungsarmen Staaten des Kontinents ermöglichte das Kopublikationsprojekt eine eigene rentable Kinderbuchproduktion, die – was den Ladenverkaufspreis anbetraf – der importierten Literatur aus den großen hispanischen Buchhandelsnationen erstmals ebenbürtig war. Die sich aus der Ökonomie der Buchproduktion logisch ergebenen Wettbewerbsvorteile für die innerhalb eines Sprachraums bevölkerungsreicheren Nationen wurden durch das Projekt eliminiert, da alle Projektpartner von den kalkulatorischen Kostenvorteile höherer Auflagen in gleichem Umfang profitierten. Ohne dass das Prinzip der freien Zirkulation von Büchern verletzt wurde, ermöglichte das Kopublikationsprogramm somit die Stärkung und Festigung nationaler Verlagshäuser auf Basis regionaler Zusammenarbeit. Letztere bestand fort, nachdem UNESCO und CERLALC ihre finanzielle Unterstützung für das Projekt mit dem Jahr 1991 eingestellt hatten286 : Wenn auch in geringerer Intensität und Frequenz arbeiteten die Verlage weiterhin zusammen – ein Beleg dafür stellt beispielsweise die Anthologie lateinamerikanischer Kriminalgeschichten dar, die 2006 anlässlich des 25. Jubiläums des Projekts erschien.287 Damit trug ein Programm, das sich insofern als eines der Entwicklungshilfe begreifen lässt, als sein Zustandekommen wesentlich von finanziellen Mitteln von CERLALC und UNESCO abhängig war, auch dann noch Früchte, als die Zuwendungen internationaler Geberorganisationen versiegten.
284 Im spanischen Original: »puente del diálogo intercultural«. Álvaro Garzón López: El libro. Puente del diálogo intercultural de la hispanidad. In: El libro en América Latina y el Caribe 62 (1990), S. 9–19. 285 Im spanischen Original: »compartiendo en armonía, un mismo mercado«. Verónica Uribe: La Coedición Latinoamericana. Inicios, logros, problemas y algunas recomendaciones, November 1986 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E5–7), S. 16. 286 Vgl. Peter Lewy an Milagros del Corral am 18.1.1991 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Instituciones 42, Caja 4, Carpeta 35, 41.14, UNESCO Correspondencia 1991); Informe final. Coedición Latinoamericana de Libros para Niños, o. D. [etwa 1991] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Instituciones 42, Caja 4, Carpeta 35, 41.14, UNESCO Correspondencia 1991). 287 Vgl. El que la hace... ¿la paga? Cuentos policíacos latinoamericanos. Mexiko-Stadt: CIDCLI 2006 (Coedición Latinoamericana. 25 aniversario).
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8.5 Wirtschaftspolitik für den Buchhandel: Das Projekt eines Gemeinsamen Buchmarktes und Werben für nationale Buchgesetze Eine unzureichende Nachfrage nach Gedrucktem einerseits und zu hohe Verkaufspreise für Bücher andererseits machte das CERLALC als zentrale, sich wechselseitig verstärkende Faktoren aus, die sowohl die Ausbildung eines Lesehabitus in den lateinamerikanischen Gesellschaften als auch das Wachstum des Buchhandels massiv behinderten. Jener als »Teufelskreis«288 beschriebene Wirkungszusammenhang zwischen geringer Nachfrage, niedriger Auflage und hohen Buchpreisen war, so die Einschätzung des lateinamerikanischen Buchförderungszentrums, nur dann zu durchbrechen, wenn die Auflage gesteigert und das Preisniveau entsprechend gesenkt werden könnte, sodass Bücher für weite Kreise der Bevölkerung erschwinglich würden. Im Gegensatz zum Kopublikationsprojekt, in dessen Rahmen eine Auflagenerhöhung durch regionale Zusammenarbeit und nicht durch eine Erweiterung der Absatzmärkte erreicht wurde, zielte das Vorhaben des CERLALC, in Lateinamerika einen Mercado Común de Libros, also einen Gemeinsamen Buchmarkt289 zu schaffen, auf eine Überwindung der begrenzten nationalen Märkte und damit auf eine Marktausweitung: »La única manera segura de abaratar el costo de venta al consumidor serían los tirajes en gran escala que abarcaran un mercado multinacional.«290 Durch den freien Verkehr von Büchern und Kapital und eine koordinierte Wirtschaftspolitik sollte ein (einziger) lateinamerikanischer Markt entstehen, den alle Verlagshäuser gleichermaßen und gleichberechtigt bedienen konnten.291 Während der brasilianische Buchhandel aufgrund seiner in der Sprache begründeten Sonderrolle von der angestrebten sektoralen Integration kaum profitieren würde, sollte die Öffnung der Märkte den hispanoamerikanischen Verlage Effizienzsteigerungen und Kostenvorteile bescheren und auf lange Sicht auch zu einer Belebung des lokalen Buchhandels in den Nationen beitragen, die bisher nur über
288 Im spanischen Original: »circulo vicioso«. Informe. Seminario sobre el establecimiento de estrategias nacionales para el desarrollo del libro en América Latina, Santiago de Chile, 1979. Paris 1982 (UNESCO-Dokument: COM-82/WS/9), S. 46. 289 Die hier gewählte Schreibweise orientiert sich im Hinblick auf die Großschreibung sowohl am spanischen Original als auch an der in der Volkswirtschaft üblichen Praxis: Dort ist ein »Gemeinsamer Markt« ein feststehender Begriff. 290 Álvaro Garzón: La problemática del libro en América Latina. Unveröffentlichtes Typoskript, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–36), S. 16. Ähnlich auch bereits: García: Desarrollo de la industria editorial argentina, S. 108–109. 291 Vgl. Acuerdo de Libre Circulación para un Mercado Común del Libro en América Latina. [Projektbeschreibung], o. D. [etwa 1979] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Proyectos, Caja 7, Carpeta 76).
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ein schwach entwickeltes Verlagswesen verfügten.292 Die regionalen Unterschiede in den Entwicklungsniveaus des Buchhandels würden, so argumentierte das CERLALC, durch einen freien grenzüberschreitenden Buchverkehr nicht verfestigt werden, sondern sich langfristig abschwächen: Una amplia difusión de libros importados puede ser condición de aceleración del desarrollo de la producción del libro nacional. El problema que enfrentamos nace, en muchas ocasiones, de tratar la industria editorial con el mismo criterio proteccionista que se usa para la industria textil o de alimentos. La disponibilidad de libros a precios accesibles, de procedencia extranjera, tiene como efecto inicial la creación y ampliación de un mercado consumidor de libros. Por supuesto esto es inseparable de las políticas de educación y reducción del analfabetismo. Pero una demanda de libros así lograda es el terreno sobre el cual puede desarrollarse la industria del libro nacional.293
Neben der für die Branche ökonomisch vorteilhaften Marktausweitung und der damit verbundenen Erwartung niedrigerer Buchpreise begründete das CERLALC die Notwendigkeit, einen Gemeinsamen Buchmarkt zu schaffen, auch politisch: Durch einen lateinamerikanischen Buchbinnenmarkt sollte die kulturelle Integration des Subkontinents beschleunigt werden. Der viel beschworene lateinamerikanische Einheitsgedanke, dessen ideengeschichtliche Tradition bis zu den Unabhängigkeitsbewegungen zurückreicht, basiert auf Gemeinsamkeiten in Sprache, Kultur und Geschichte294 , Gemeinsamkeiten, die durch das regional frei zirkulierende Buch verstärkt ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden könnten: [S]i algún vehículo es efectivo para la formación de una conciencia sobre los intereses comunes de nuestras naciones, tal vehículo es el libro. El libro que llega a la escuela, a las universidades, al gabinete de trabajo de los hombres de estudio y a las bibliotecas públicas y privadas que son los crisoles en que se forja la conciencia de tener los pueblos latinoamericanos un pasado y un futuro que los obligan a ser solidarios.295
292 Vgl. zu den erwartbaren (volks-)wirtschaftlichen Vorteilen gemeinsamer Märkte einführend die ›klassische Abhandlung‹ von: Bela Balassa: The Theory of Economic Integration. London: George Allen & Unwin 1962; siehe ferner: Jürgen E. Blank/Hartmut Clausen/Holger Wacker: Internationale ökonomische Integration. Von der Freihandelszone zur Wirtschafts- und Währungsunion. München: Franz Vahlen 1998. 293 Hacia la libre circulación del libro en América Latina. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 34 (1982), Separata, S. 1–12, hier S. 4–5. 294 Vgl. Bernd Hausberger: Die Teile und das Ganze. Entwürfe kontinentaler Identität und transnationaler Integration in und für Lateiamerika von Simón Bolívar bis George W. Bush. In: Lateinamerika. Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Martina Kaller-Dietrich, Barbara Potthast und Hans Werner Tobler. Wien: Promedia 2004 (Edition Weltreligionen), S. 115–134. Vgl. ferner: Jaime Delgado Rojas: Construcciones supranacionales e integración regional latinoamericana. San José: Editorial Universidad de Costa Rica 2009. 295 Jaime Jaramillo Uribe: La integración latinoamericano y la libre circulación del libro. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 38 (1983), S. 3–4, hier S. 3.
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Indem im Narrativ des CERLALC die »lateinamerikanische Integration durch das Buch«296 erst ermöglicht, d. h. das Buch ein bedeutender »Faktor für kulturelle Integration«297 wurde, indem, mit anderen Worten, das CERLALC das Buch zu einem essenziellen, identitätsstiftenden Element innerhalb des lateinamerikanischen Solidaritätsprojekts machte, wurde die auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten basierende Begründung für die Schaffung eines gesamtlateinamerikanischen Buchmarktes um ein gewichtiges, kulturelles Argument ergänzt und die Legitimationsbasis des Vorhabens somit entschieden erweitert. Der im Finanzierungsantrag für das UN-Entwicklungsprogramm erstmals formulierte Vorschlag des CERLALC, durch die Bildung eines Gemeinsamen Buchmarktes die Wachstumsmöglichkeiten des Buchhandels in der Region zu verbessern298 , entsprach in seinen Prämissen der wirtschaftspolitischen Entwicklungskonzeption der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (Comisión Económica Para América Latina, CEPAL), dem sogenannten cepalismo, der für eine unter staatlicher Direktive erfolgende, nach innen gerichtete, autozentristische Entwicklung (desarrollo hacia adentro) plädierte, die auf einer Substitution von Einfuhren durch eine lokale Industrialisierungspolitik sowie auf Exportförderung beruhte.299 Da die meisten la-
296 Im spanischen Original: »la integración latinoamericana a través del libro«. In: Hacia un Mercado Común del Libro en América Latina. La integración latinoamericana a través del libro. Una meta del CERLAL. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 19/20 (1979), S. 21. 297 Im spanischen Original: »factor de integración cultural«. Alberto E. Augsburger: El libro como factor de integración cultural en América Latina. Situación y referencias actuales. In: Integración latinoamericana 17 (1992), H. 177, S. 17–35. Vgl. ferner zu diesem Narrativ, das auch historisch begründet wurde: Garzón: El libro. Puente del diálogo intercultural de la hispanidad; Jorge Sálazar Ferro: El libro en el proceso de integración Latinoamericana. In: El libro en América Latina y el Caribe 70 (1992), S. 32–33; Ernesto Sábato: Los libros y su misión en la liberación e integración de América Latina. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 24 (1979), S. 10; Víctor Flores Olea: El libro como elemento de integración cultural latinoamericana. In: Libros de México 21 (1990), S. 11–14. 298 Vgl. Proyecto del Centro Regional de Fomento del libro en América Latina vom November 1969 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Memoria Institucional, Documentos de Creación, Caja 1), S. 7–8. 299 In vielen Ländern Lateinamerikas wurde bereits seit den dreißiger Jahren auf importsubstituierende Industrialisierung gesetzt, die theoretische und strategische Begründung dieser Entwicklungsstrategie erarbeitete allerdings erst das CEPAL Ende der vierziger Jahre. Vgl. einführend: Walther L. Bernecker: Cepalismo, Desarrollismo, Dependencia. Regionale Wirtschaftstheorien und Entwicklungsstrategien in Lateinamerika. In: Kultur und Region im Zeichen der Globalisierung. Wohin treiben die Regionalkulturen? Beiträge zum 14. Interdisziplinären Kolloquium des Zentralinstituts. Hrsg. von Sefik ¸ Alp Bahadır. Neustadt an der Aisch: Verlag Degener & Co 2000 (Schriften des Zentralinstituts für Regionalforschung der Universität Erlangen-Nürnberg. 36), S. 247–261; Manfred von Wilhelmy Wolff: CEPAL und die entwicklungspolitische Debatte in Lateinamerika. In: Entwicklungsstrategien in Lateinamerika in Vergangenheit und Gegenwart. Hrsg. von Inge Buisson und Manfred Mols. Paderborn u.a.: Ferdinand Schönigh 1983 (Internationale Gegenwart. 4), S. 217–225. Vgl. zur wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas einführend: Dieter Boris: Zur politischen Ökonomie Lateinamerikas. Der Kontinent in der Weltwirtschaft des 20. Jahrhunderts. Hamburg: VSA-Verlag 2001.
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teinamerikanischen Länder für eine derartige Reformstrategie zu klein waren, wurde Integration als probates Mittel angesehen, um einen größeren, protektionistisch abgeschotteten Binnenmarkt zu schaffen, der auf regionaler Ebene eine Weiterführung der importsubstituierenden Industrialisierung erlauben sollte.300 Der cepalistische Entwicklungsvorschlag eines geschlossenen Regionalismus führte in den sechziger Jahren mit der Gründung der Lateinamerikanischen Freihandelsvereinigung (Asociación Latinoamericana del Libro Comercio, ALALC) und der Schaffung eines Mercado Común Centroamericano zu ersten konkreten Ergebnissen. Er wurde – wie Diskussionen während des iberoamerikanischen Kongresses buchhändlerischer Vereinigungen in Mexiko-Stadt (1964) belegen – auch von der lateinamerikanischen Buchbranche rezipiert. Die Herausbildung eines gemeinsamen, einheitlichen Wirtschaftsraums für Bücher, war – so argumentierte der Präsident der argentinischen Buchhandelskammer Gustavo A. Marini in seinem Vortrag – für ein weiteres Wachstum des iberoamerikanischen Buchhandels unerlässlich: Debemos producir una enorme cantidad de libros y, obviamente, debemos producirlos a bajo costo. Para ello se impone en primer lugar una condición: hay que concebir el área hispanoparlante como una unidad sin fronteras, de modo que la industria editorial pueda alcanzar la dimensión óptima del mercado.301
Die in Mexiko-Stadt anwesenden Branchenvertreter sprachen sich ganz im Sinne des cepalismo nicht nur für eine Binnenmarktausweitung im Zuge wirtschaftlicher Integration aus, sondern forderten auch die Ergreifung protektionistischer Maßnahmen zum Schutz des einheimischen Verlagswesens: Ciertamente, la industria editorial hispanoamericana necesita algún mecanismo de defensa que impida su aplastamiento por la actividad editorial ajena a Hispanoamérica, [. . .] que [. . .] está utilizando todos los medios de penetración posibles con el resultado previsible de anular o limitar gravemente las ediciones indígenas.302 300 Vgl. Edgar Vieira Posada: La formación de espacios regionales en la integración de América Latina. Bogotá: Convenio Andrés Bello 2008, S. 95–98. Siehe auch: Hartmut Sangmeister: Stand und Perspektiven der Integration Südamerikas: Wirtschaftliche Ausgangslage und Aussichten. In: Südamerika zwischen US-amerikanischer Hegemonie und brasilianischem Führungsanspruch. Konkurrenz und Kongruenz der Integrationsprozesse in den Amerikas. Hrsg. von Gilberto Calcagnotto und Detlef Nolte. Frankfurt/Main: Vervuert Verlag 2002 (Schriften des Instituts für Iberoamerika-Kunde Hamburg. 56), S. 38–60, hier S. 39. Regionale Kooperation, wie sie auch der cepalismo propagierte, galt – und gilt heute noch – im entwicklungstheoretischen Denken allgemein als erfolgsversprechender Ansatz, um das wirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungsländern anzukurbeln. Vgl. einführend: Stefan Collignon: Regionale Integration und Entwicklung in Ostafrika. Hamburg: Institut für Afrika-Kunde 1990 (Hamburger Beiträge zur Afrika-Kunde. 38), hier insbesondere Kapitel 2: Elemente einer Theorie der Wirtschaftsintegration von Entwicklungsländern. 301 Marini: América y el libro, S. 13. 302 Primer Congreso Ibéroamericano de Asociaciones y Cámaras del Libro. In: El libro español VII (1964), H. 79, S. 357–361, hier S. 359.
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Als bedrohlich für die lateinamerikanische Verlagswirtschaft wurde nicht so sehr der Buchimport aus Spanien, sondern vor allem die wachsende Produktion spanischsprachiger Bücher im nicht-spanischsprachigen Ausland eingestuft.303 Der argentinische Verleger Losada wertete diese sogar als Ausdruck eines »Handelskrieges«304 , der in seinen Augen den Aufbau von Zollschranken und somit eine Einschränkung des Prinzips der freien Buchzirkulation legitimiere, stünden derartige Bucheinfuhren aus den wirtschaftsstarken Ländern der kulturellen Selbstbestimmung der hispanoamerikanischen Völker entgegen und festigten die Unterentwicklung des lokalen Buchhandels: [N]o se puede invadir con libros que son producto de áreas desarrolladas, el territorio de aquellas áreas que aún no han concebido al libro como un producto de consumo corriente y mucho menos cuando las nacientes industrias nacionales ya abastecen una gran parte de esas necesidades. Ello no obsta a admitir como justo que el progreso cultural de una comunidad se halle sostenido por el aporte de una normal corriente importadora, sobre todo en aquellas materias relacionadas con la actualización permanente que es necesario proporcionar a los elencos dirigentes. Pero si, lejos de ello, lo que se pretende es hacer de este intercambio cultural un negocio masivo de gran volumen comercial, los libros dejan de tener la entidad cultural que los distingue y los hace admisibles sin barreras, y adquieren la forma de una agresión comercial como cualquiera otra. La naturaleza de una acción comercial que revista tales características engendra en quien la padece el legítimo derecho de defensa que, en este caso concreto, se materializa en una barrera aduanera [. . .] [P]ara los editores de libros en español, la edición de libros en idioma ajeno al que se expresa una comunidad no puede entenderse como una expresión propia de la cultura de esa comunidad, destinada a sostener su propio desarrollo, si los destinatarios no son los propios integrantes de ella. Tales ediciones, destinadas in toto a la exportación para el consumo de comunidades de idioma distinto, están generalmente pensadas en función de costos y no determinadas por razones culturales. Va de suyo que ello violenta la razón cultural que legitima el principio de libertad de circulación.305
Entwicklungsstrategien für den lateinamerikanischen Buchhandel, die dem cepalismo entsprechend in der regionalen Integration und der Abgrenzung vom Weltmarkt einen emanzipatorischen Weg zur Überwindung der Unterentwicklung sahen, waren folglich bereits vorhanden, als das CERLALC seine Arbeit aufnahm und die Bildung eines Gemeinsamen Buchmarktes zu einer seiner zentralen Zielsetzungen erklärte.
303 Im Fokus der Kritik stand vor allem die Politik US-amerikanischer Verlage, die die preiswerten Herstellungskosten in den asiatischen Ländern nutzten, um spanischsprachige Bücher billig produzieren zu lassen und dann in Lateinamerika auf den Markt zu bringen. Aber auch in der Sowjetunion und der Tschechslowakei wurden spanischsprachige Bücher für den Export produziert. Vgl. Jorge Cárdenas Nannetti: Defensa del área idiomática. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 6 (1974), S. 13. Vgl. dazu auch ausführlich Kapitel 9 dieser Arbeit. 304 Im spanischen Original: »guerra comercial«. Gonzalo Losada: Defensa de las áreas idiomáticas. Ponencia de la Cámara Argentina del Libro ante el Congreso de la Unión Internacional de Editores, Amsterdam 1968. In: El libro español XI (1968), H. 122, S. 120–127, hier S. 126. 305 Ebd., S. 122–123, Hervorhebungen im Original.
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Als eine Organisation, die von der UNESCO gegründet und teilfinanziert wurde, war es für das Buchförderungszentrum allerdings undenkbar, sich offen und direkt für Maßnahmen zum Schutz des lateinamerikanischen Buchhandels wie beispielsweise den Aufbau von Zollschranken oder die Festlegung von Einfuhrkontingenten für Bücher aus Drittländern einzusetzen, da eine derartige Außenhandelspolitik dem UNESCO-Paradigma des freien Flusses von Büchern ganz entschieden widerspräche306 : »[N]unca debe hacerse el fomento del libro a expensas de una libre circulación que es fundamental.«307 Dadurch, dass das CERLALC sich allerdings bemühte, unter dem Dach der ALALC eine lateinamerikanische Freihandelszone für Bücher zu initiieren308 anstatt verstärkt bei den Mitgliedsstaaten für eine Ratifizierung des internationalen Florenz-Abkommens zu werben309 , räumte das Buchförderungszentrum dem Abbau von Handelshemmnissen in Lateinamerika und somit einer Intensivierung der regionalen buchhändlerischen Beziehungen Priorität gegenüber einer Verbesserung des internationalen Warenaustausches ein. Dies lässt sich durchaus als eine, wenn auch indirekte protektionistische Maßnahme zugunsten der regionalen Verlagswirtschaft lesen, da eine rein lateinamerikanische Freihandelszone Buchimporte aus Nichtmitgliedsländern ökonomisch diskriminieren würde.310 Indes waren – wie die Probleme des intraregionalen Buchaußenhandels in Lateinamerika der sechziger und siebziger Jahre deutlich zeigen311 – die Bildung eines Freihandelsblocks und die Beseitigung regionaler Handelshemmnisse keineswegs ausreichend, um einen effizienten Warenverkehr innerhalb eines Gemeinsamen Buchmarktes zu gewährleisten. Eine Verminderung der Kosten für den intraregionalen Transport – wie ihn das CERLALC bei der Internationalen Flugtransportvereinigung IATA für regionale Luftfrachtsendungen zu erreichen versuchte312 – und
306 Vgl. dazu Kapitel 2.3. dieser Arbeit. 307 Augsburger: El libro como factor de integración cultural, S. 28. 308 Vgl. Heriberto Schiro: Primera reunión sectorial de libros, fasículos y revistas celebrada en Montevideo del 28 de mayo al 1 de junio de 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de Misión Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón 1972–1974); ders.: Segunda Sectorial del Libro convodada por la ALALC. Montevideo, 13 al 16 de mayo 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de Misión Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón 1972–1974). 309 Lediglich vier lateinamerikanische Staaten waren bis Ende der sechziger Jahre dem Abkommen von Florenz beigetreten, dabei handelt es sich um Kuba (1952), El Salvador (1953), Guatemala (1960) und Nicaragua (1963). 310 Wirtschaftliche Integration hat per se immer auch einen protektionistischen Aspekt, da sie eine Abgrenzung gegenüber Drittstaaten impliziert. 311 Vgl. dazu Kapitel 8.1.3 dieser Arbeit. 312 Vgl. Heriberto Schiro: Gestiones sobre tarifas aéreas. Uruguay, 8 de junio 1973, Chile, 11 a 13 de junio 1973, Perú, 14 a 16 de junio 1973 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de Misión Caja 1, Carpeta 2, Informes de misión sobre los cursos y seminarios de los expertos y consultores Schiro y Garzón 1972–1974).
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das Vorhandensein von stets aktuellen, regionalen Informationsorganen – zu dem das CERLALC durch die Herausgabe einer gesamtlateinamerikanischen Bibliographie und eines Verzeichnisses lieferbarer Bücher beizutragen bemüht war – stellten für die Herausbildung eines leistungsfähigen regionalen Buchhandels ebenso wichtige Voraussetzungen dar wie die Gewährleistung urheberrechtlichen Schutzes und eine Angleichung der nationalen Wirtschaftsförderungsprogramme für Verlag und Sortiment. Von der Erstellung regionaler Informationsmedien abgesehen, lag es in den Händen der Politik, die Voraussetzungen für einen lateinamerikanischen Binnenmarkt für Bücher zu schaffen; die Umsetzung der CERLALC’schen Wachstumsstrategie für den Buchhandel war, mit anderen Worten, abhängig vom Willen der Regierungen, ein derartiges Integrationsprojekt zu realisieren. Das lateinamerikanische Buchförderungszentrum als regionale Organisation konnte lediglich versuchen, auf die Entstehung eines Gemeinsamen Buchmarktes hinzuwirken, indem es bei den Regierungen für das Vorhaben warb, durch Studien belegte Vorteile des Integrationsmodells herausstellte oder – wie mit dem 1977 vorgelegten Entwurf für einen multilateralen Vertrag zur freien Zirkulation von Büchern geschehen – juristische Vorarbeiten leistete.313 Als zu Beginn der achtziger Jahre angesichts von politischen Instabilitäten, Verschuldungskrise und Hyperinflation ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel stattfand und die regionale Integrationsdynamik fast vollständig zum Erliegen kam, da kurzfristige Zielsetzungen wie die hauptsächlich durch Importrestriktionen angestrebte Sicherung des Zahlungsbilanzgleichgewichts Priorität gewannen und neoliberale Reformkonzepte die Visionen des cepalismo verblassen ließen, bedeutete dies auch für das Vorhaben des CERLALC, einen Gemeinsamen Buchmarkt, zumindest aber eine Freihandelszone für Bücher zu schaffen, einen herben Rückschlag: Das vom CERLALC entworfene Abkommen zum freien Verkehr von Büchern in Lateinamerika wurde nicht ratifiziert, der intraregionale Buchaustausch ging angesichts der Zahlungs- und Devisenschwierigkeiten vieler lateinamerikanischer Länder drastisch zurück314:
313 Vgl. Heriberto Schiro: Memorandum »Posibilidad de un acuerdo iberoamericano sobre libre circulación del libro« vom 8.7.1975 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.I– 08); vgl. den Entwurf zum Abkommen über freien Buchverkehr: Anteproyecto para un acuerdo de libre circulación de libros y material impreso etre los países iberoamericanos, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.II–11). Vgl. für die vom CERLALC angefertigten Studien stellvertretend: Norberto Insuasty: Hacia la libre circulación del libro en América Latina. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 34 (1982), Separata, S. 13–44. 314 So hat Argentinien 1982 48 Prozent weniger Bücher ausgeführt als im Vorjahr; Guatemala musste seine Importe auf die Hälfte des Vorjahresniveaus reduzieren. Vgl. Propicio Machado Alves: Publishing in Latin America. In: International Publishing Today. Problems and Prospects. A Festschrift in Honour of Manuel Salvat. Hrsg. von Om Prakash Ghai und Narendra Kumar. Delhi: The Bookman’s Club 1984, S. 162–177, hier S. 173–174.
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La situación universal de crisis económica por la que atraviesan los países de América Latina y el Caribe ha repercutido en la producción y distribución de libros en la región. A pesar de que el libro sigue siendo instrumento insustituible de la educación, vehículo de la cultura y factor del desarrollo económico de nuestros pueblos, las limitaciones de tipo financiero y los obstáculos a su libre circulación internacional, han venido prácticamente a paralizar el intercambio y el comercio del libro en toda el área.315
Trotz der für Integrationsprozesse äußerst ungünstigen wirtschaftlichen und politischen Konjunktur in der auch in dieser Hinsicht ›verlorenen Dekade‹ hielt das CERLALC am Ziel des Zusammenwachsens der lateinamerikanischen Buchmärkte fest und konnte Ende der achtziger Jahre im Rahmen eines Teilabkommens der Vereinigung Lateinamerikas für die Integration (Asociación Latinoamericana de Integración, ALADI), der Rechtsnachfolgerin des ALALC, einen wenn auch dürftigen Teilerfolg vermelden316 : Güter von kulturellem, wissenschaftlichem oder erzieherischem Wert sollten nach Inkrafttreten des Acuerdo de Alcance Parcial sobre Libre Circulación ohne Handelshemmnisse zwischen den Unterzeichnerstaaten zirkulieren können.317 Das Teilabkommen enthielt allerdings derart viele Beschränkungen und Ausnahmeregelungen – unter anderem fielen lediglich von nationalen Autoren verfasste Bücher unter die Bestimmungen –, dass dieses keineswegs als freihandelsrechtlicher Meilenstein auf dem Weg zu einem Gemeinsamen Buchmarkt gewertet werden konnte.318
315 Información general. Reunión Regional sobre Intercambio y Comercio del Libro en América Latina y el Caribe (RICLAC), Santo Domingo, 4.–7.12.1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–035). 316 Die nie vollendete ALALC wurde 1980 zur ALADI umgewandelt, die als neuer Versuch der SüdSüd-Kooperation die Errichtung eines gemeinsamen Marktes in Lateinamerika zum ehrgeizigen Fernziel hatte. Vgl. Vieira Posada: La formación de espacios regionales, S. 103–111. Am Ende der achtziger Jahre, als sich die Volkswirtschaften Lateinamerikas langsam erholten, setzten eine Revitalisierung und Reformulierung der Integrationsprozesse ein: Die geschlossenen, defensiven Regionalismuskonzepte der vergangenen Dekaden machten gemäß der vorherrschenden neoliberalen Agenda einer Integrationsstrategie Platz, die nicht mehr auf Importsubstitution und Abgrenzung als Schutz zielte, sondern der Unterstützung marktwirtschaftlicher nationaler Reformen, einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und einer Eingliederung in die Weltwirtschaft dienen sollte. Vor diesem Hintergrund entstanden in den neunziger Jahren vorwiegend subregionale Integrationsbündnisse wie der Mercosur (1991) oder die Grupo de los Tres (1995). Vgl. Sangmeister: Stand und Perspektiven der Integration Südamerikas, S. 41–45. Vgl. zu den Bemühungen des CERLALC, bereits bestehende wirtschaftliche Integrationsprojekte auf den Buchhandel auszudehnen: Los acuerdos económicos latinoamericanos y su posible aplicación al comercio del libro. In: Noticias sobre el libro 47 (1985), Separata, S. 1–20. 317 Vgl. Acuerdo de Alcance Parcial de Cooperación e Intercambio de Bienes en las Áreas Cultural, Educacional y Cientifíca. In: El libro en América Latina y el Caribe 73 (1993), S. 64–69. Siehe zur Einschätzung dieses Teilabkommens: Augsburger: El libro como factor de integración cultural; Juan Ignacio Arango: Apuntes sobre el Acuerdo de Alcance Parcial. In: El libro en América Latina y el Caribe 74 (1993), S. 6–13. 318 Das CERLALC bemühte sich in den neunziger Jahren um ein Zusatzprotokoll, mit dem der Geltungsbereich des Teilabkommens ausgeweitet werden sollte. Vgl. Anteproyecto Modificatorio del
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Wie schon Anfang der sechziger Jahre in einer US-amerikanischen Studie zum lateinamerikanischen Buchhandel prophezeit worden war, blieb die Schaffung eines gesamtlateinamerikanischen Wirtschaftsraums für Bücher, trotz der Tatsache, dass dieser ökonomisch vorteilhaft wäre, ein (wirtschafts-)politisch kaum durchsetzbares Vorhaben: The establishment of a true ›common market‹ for Spanish-language books in Latin America would produce great economic advantages for publishers, but it seems unlikely that effective international action or cooperation will come in this area in the foreseeable future. National needs, national pride, and strong competitive spirits lead each country to strive for the highest possible degree of self-sufficiency in publishing. And naturally each of the larger countries hopes to become the chief supplier of all its smaller neighbors.319
Neben den Bemühungen, auf das Entstehen eines Gemeinsamen Buchmarktes hinzuwirken, machte sich das CERLALC auch für eine gesetzlich verankerte wirtschaftspolitische Förderung des Buchhandels in Lateinamerika stark. Bereits 1970 plädierte Schiro dafür, in ein zukünftiges regionales Abkommen zur freien Zirkulation von Büchern die Verpflichtung zu einer lateinamerikaweit einheitlichen Regelung aufzunehmen: [S]e elaborarían leyes modelos, si es posible, similares con todos los países miembros del Centro y se las pondría como parte del tratado de libre circulación. De esa forma, ningún país podría aducir ventajas eventuales disfrutadas por otros.320
Zum einen verlangte der angestrebte Integrationsprozess eine Harmonisierung der buchbranchenspezifischen, staatlichen Unterstützungsleistungen, sodass alle Verlage und Buchhandlungen – unabhängig von ihrem Sitz – unter denselben Wettbewerbsbedingungen auf dem lateinamerikanischen Markt agieren könnten. Zum anderen setzte das jedem Staat zustehende Recht auf eigene kulturelle Entfaltung das Vorhandensein eines nationalen Buchhandels voraus, dessen Entwicklung durch staatliche Wirtschaftsförderung angekurbelt werden sollte. So empfahlen die lateinamerikanischen Kultusminister, die 1978 auf Einladung der UNESCO zu einer Regionaltagung in Bogotá zusammengekommen waren, dem CERLALC, die Regierungen bei der Formulierung nationaler Buchpolitiken, verstanden als Politik zugunsten des Buches und des Buchhandels321 , zu unterstützen: Acuerdo de Alcance Parcial de Cooperación e Intercambio de Bienes en la Áreas Cultural, Educacional y Científica, 1994 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Instituciones 42, Caja 8, Carpeta 59, 42.22 ALADI 1993–1997). 319 Books in Latin America, S. 10. 320 Proyecto de Informe de la Reunión de la Mesa Directiva de Expertos sobre el Fomento del Libro en América Latina, Anexo 5: Informe de Misión preparado por el Dr. Heriberto Schiro, Consultor de la UNESCO, o. D. [etwa 1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–015), S. 7. 321 In sehr ähnlicher Weise definiert Ernst Fischer Buchpolitik als »Politik für das Buch«. Fischer: Buchpolitik in europäischer Perspektive, S. 99.
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Considerando que ningún país puede contar con una verdadera cultura nacional, sin que la misma esté respaldada por una industria editorial adecuada, ya que el libro constituye uno de los elementos esenciales para la creación y difusión científica, literaria y artística [. . .] Considerando que el libro constituye una de las formas más eficaces y permanentes de la creación y difusión de la cultura [. . .] [y] que mediante la implantación de políticas de fomento del libro, se propende a un mejor reconocimiento de nuestro patrimonio cultural y se facilita el acceso al mismo a todos los pueblos y a todos los niveles de la población [. . .] [Recomienda a] la UNESCO que, a través del Centro, coadyuve en la formulación de una política de coordinación editorial en el área, la cual no solamente favorezca el libre flujo de las corrientes culturales en la región, sino que logre fortalecer la creación local.322
Bereits Mitte der siebziger Jahre hatte das Buchförderungszentrum in Bogotá begonnen, sich für eine gesetzlich fixierte Förderung des Buchhandels einzusetzen, also dafür zu werben, dass sogenannte Buchgesetze (leyes del libro) in allen Ländern Lateinamerikas verabschiedet würden.323 Die den angestrebten gesetzlichen Regelungen zugrunde liegende Idee eines interventionistischen Staates, der aktiv Wirtschaftsförderung betreibt und somit die optimalen Marktbedingungen für die Entfaltung der einheimischen Industrie schafft, entsprach den wirtschaftspolitischen Prämissen des cepalismo; es stellte sich indes als schwierig heraus, die politische Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse eines volkswirtschaftlich betrachtet unbedeutenden Wirtschaftszweigs wie des Buchhandels zu lenken: Una dificultad que siempre se encuentra para interesar a las autoridades en la protección de la industria editorial es que, en términos puramente económicos, ésta tiene una importancia relativamente secundaria. En una publicación reciente se observa que en el Brasil una sola fábrica de automóviles tiene un patrimonio líquido, facturación, utilidades y número de empleados mayores que las 73 empresas más grandes del sector editorial.324
Am Ende der Dekade intensivierte das CERLALC – auch aufgrund entsprechender Vorgaben aus Paris – seine Bemühungen um eine wirtschaftspolitische Förderung des Buchhandels in Lateinamerika. Umfassende, länderspezifische Studien, die bereits existierende Unterstützungsleistungen mit den Bedürfnissen der Buchbranche im Land kontrastierten325 , und in Kooperation mit der UNESCO durchgeführte Ta-
322 Recomendaciones de la Conferencia [Intergubernamental sobre Políticas Culturales en América Latina y el Caribe], relativas al Libro, S. 15. 323 Vgl. Informe del presidente de la Junta Directiva, August 1972 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.I–02); Informe del Director. In: Noticias del Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina 8 (1975), S. 4–7, hier S. 5. 324 América Latina. Hacia una sociedad lectora. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 33 (1982), S. 5–14, hier S. 12. 325 Vgl. Políticas nacionales del libro en Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panamá, República Dominicana. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías CERLAL); Políticas nacionales del libro. Colombia, Chile. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías CERLAL); Políticas nacionales del libro. Argentina, Brasil, México. Bogotá: CERLAL 1980 (Monografías CERLAL).
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gungen dienten wesentlich der Erarbeitung von Strategien zur Stärkung des nationalen Buchhandels.326 Zusätzlich konnte das CERLALC dank entsprechender Zuwendungen der UNESCO seinen Mitgliedsstaaten eine individuelle Unterstützung bei der Formulierung nationaler Buchpolitiken anbieten.327 Diese umfasste insbesondere die Entsendung von Experten, die den nationalen Autoritäten bei der Erstellung bzw. Implementierung buchhandelsfördernder Gesetze assistierten oder nationale Seminare leiteten, die als Austauschforen zwischen Buchhandel und Regierung der Diskussion geeigneter Unterstützungsleistungen dienten. Es waren insbesondere die kleinen Mitgliedsstaaten mit einem nur schwach entwickelten einheimischen Verlagswesen, die von diesem Angebot Gebrauch machten. Bis Mitte der achtziger Jahre reisten CERLALC-Experten nach Costa Rica, Nicaragua, Panama, Ecuador sowie in die Dominikanische Republik, um in Zusammenarbeit mit Regierungen und Vertretern der Buchbranche Entwicklungsstrategien zu erarbeiten bzw. Entwürfe buchmarktfördernder Gesetzgebungen zu verfassen.328 Die über die Jahre auf nationalen und regionalen Tagungen zusammengetragenen Vorschläge und im Rahmen der Expertenmissionen entworfenen Strategien dienten ebenso wie die in Spanien, Argentinien und Kolumbien bereits zu Beginn der siebziger Jahre in Kraft getretenen Buchgesetze als Grundlage und Referenz, um für eine effiziente wirtschafts- und kulturpolitische Förderung des Buchhandels zunächst einen umfassenden Maßnahmenkatalog zu erarbeiten und Anfang der neunziger Jahre schließlich ein Modellgesetz vorzulegen, das Regierungen bei der Formulierung oder Modifizierung ihrer nationalen Gesetzgebungen unterstützen sollte329 :
326 Vgl. die Übersicht der vom CERLALC organisierten regionalen Tagungen zur wirtschaftspolitischen Förderung des Buchhandels in der Dokumentation M. 327 Vgl. Informe del Director sobre actividades y situación general del CERLAL en 1983, März 1974 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.XV–04), S. 4–5; Informe del Representante de la UNESCO (Alonso Aznar), Acta No. 9, Novena Reunión del Comité Ejecutivo, 19.–21.11.1979 (Bogotá, Archiv des CERLALC, CERLALC-Dokument: CERLALC/C.E.IX–04), S. 19. 328 Vgl. die Aufstellung der Missionen, die das CERLALC zwischen 1980 und 1986 durchführte, um Strategien und Politiken zur Stärkung des nationalen Buchhandels zu erarbeiten: Acciones que el CERLALC ha cumplido en los distintos países para el establecimiento de políticas nacionales del libro (Cuadro No. 1) in: Edgar Bustamante Delgado: Reunión de Evaluación de Políticas del Libro en América Latina y el Caribe (REPLALC), Montevideo, Diciembre 1 al 3 de 1986. In: Noticias sobre el libro 52 (1986), Separata, S. 1–19, hier S. 7–10. 329 1993 fand im ecuadorianischen Guayaquil eine vom CERLALC und der UNESCO organisierte, internationale Konferenz zum Thema Buchpolitiken statt, auf der das Modellgesetz erstmals vorgestellt wurde. Vgl. Hacia una Ley Tipo del Libro para Iberoamérica. Texto del anteproyecto. In: El libro en América Latina y el Caribe 73 (1993), S. 35–39; Jorge Valencia Restrepo: Políticas nacionales del libro en América Latina y el Caribe. In: El libro en América Latina y el Caribe 73 (1993), S. 24–33. Für frühere Maßnahmenkataloge vgl. stellvertretend: La Edición en América Latina. Informe sobre la actividad editorial y bases para una encuesta sobre aspectos vinculados con la producción y la circulación de libros en la región. Unveröffentliches Typoskript, o. D. [etwa 1976], Capítulo II: Elementos para
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El ley tipo es una contribución a la integración legislativa iberoamericana en el sector editorial. Ha sido concebido como un estatuto de carácter general o ley marco, que puede ser adoptado por países con diferentes regímenes políticos, sistemas legales y políticas económicas y culturales.330
Kerngedanke des vom CERLALC zur Umsetzung empfohlenen Regelwerks war ein ganzheitlicher Förderungsansatz, mit dem alle Stufen der Produktions-, Handelsund Konsumkette des Buches parallel und gleichberechtigt gestärkt werden. Es sollten also Anreize gesetzt werden, die Angebot und Nachfrage zeitgleich ansteigen ließen. Álvaro Garzón, der in Bogotá und Paris maßgeblich an der Erarbeitung des Modellgesetzes beteiligt war, begründete dies wie folgt: [L]as soluciones parciales no tienen mayor significación; [. . .] los componentes del proceso, que va desde el autor hasta el lector, son vasos comunicantes, resortes que es necesario pulsar simultáneamente, cuyo tratamiento aislado no sirve para nada. No se llega muy lejos ocupándose únicamente del programa gráfico sin pensar en darle fluidez a la distribución, o solamente del problema del autor si no se refuerza al editor y a la lectura.331
Produktion, Distribution und Rezeption waren, so die Prämisse, sich wechselseitig bedingende Prozesse, die gleichzeitig belebt werden mussten, um die Unterversorgung mit Büchern zu überwinden und somit jenen Teufelskreis zu durchbrechen, den ein zentralamerikanischer Kommentator wie folgt auf den Punkt brachte: »[N]o hay mercado porque no hay producción, y no hay producción porque no hay mercado.«332 Kulturpolitische Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Autoren und Übersetzern wie z. B. die Vergabe von Stipendien und die Einrichtung von Preisen und Literaturwettbewerben waren in dem Modellgesetz zur Buchförderung daher ebenso enthalten wie klassische Instrumente der Wirtschaftsförderung wie Steuererleichterungen sowie eine vereinfachte und verbilligte Kreditaufnahme für Verlage, Buchhandlungen und Druckereien.333 Ferner sollten in einem nationalen Buchgesetz der urheberrechtliche Schutz und der zollfreie Import der ›Rohstoffe des Buches‹ (Papier, Druckerfarbe) und der für die Buchherstellung benötigten Maschinen gesetzlich garantiert werden.334 Auch sah das Regelwerk vor, dass sich der Staat sowohl zur Finanzierung einer angemessenen Bibliothekslandschaft verpflichtete als auch öf-
una política nacional de la edición (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, E2–23); Álvaro Garzón López: Políticas de desarrollo del libro. In: Noticias sobre el libro 49 (1986), Separata, S. 1–8. 330 Hernando Valencia Villa: Hacia una ley tipo del libro para Iberoamérica. Informe de consultoría presentado al CERLALC, Juni 1992 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–034), S. 23. 331 Garzón López: Políticas de desarrollo del libro, S. 5. 332 Marco Antonio Flores: La difusión del libro en Centro América. In: Revista Alero (1971), H. 2, S. 21– 25, hier S. 24. 333 Vgl. Hacia una Ley Tipo del Libro para Iberoamérica. Texto del anteproyecto, Artikel 5, 6 und 10. 334 Vgl. ebd., Artikel 7.
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fentliche Gelder für lesefördernde Maßnahmen bereitstellte.335 Wiewohl diese vom CERLALC zusammengestellten Strategien zur Förderung des Buchhandels von ihrem Inhalt her keineswegs innovativ waren – erinnert sei an ähnliche Vorschläge, die Anfang der sechziger Jahre im Rahmen des asiatischen Lesematerialienprojekts aufkamen –, bestand die Neuerung darin, die Maßnahmen in einem Gesetz zu bündeln und somit die Chancen auf ihre tatsächliche Umsetzung zu erhöhen. Neben dem Gesetzestext legte das CERLALC auch eine Art Leitfaden vor, in dem beschrieben stand, wie der Prozess der Formulierung und Implementierung nationaler Buchpolitiken zu gestalten war. In einer idealerweise in Form nationaler Buchräte zu institutionalisierenden Zusammenarbeit zwischen staatlichen Stellen, Vertretern der Buchbranche, Bibliothekaren und Autoren336 sollte im Anschluss an eine Diagnose des Zustandes des einheimischen Buchmarktes eine mit Unterstützung des CERLALC’schen Maßnahmenkatalogs geeignete Strategie zur Ausweitung des Buchhandels erarbeitet und in Form eines Buchgesetzes verabschiedet werden. Die Verantwortung für die Entfaltung des Buchmarktes lag somit gleichermaßen in den Händen von Staat und Privatwirtschaft: En los países en vía de desarrollo donde los libros son escasos y los medios de producirlos limitados, es aún mayor la necesidad de un acercamiento integrado. El gobierno y el sector privado necesitan compartir la responsabilidad de la producción y distribución de los libros, identificar las áreas donde se requiere con urgencia una expansión y estimular el crecimiento de una industria del libro equilibrada y fuerte.337
Das CERLALC’sche Konzept nationaler Buchpolitiken definierte somit auch die Rolle, die staatliche Instanzen auf dem Buchmarkt idealiter einnehmen sollten: In den Augen des lateinamerikanischen Buchförderungszentrums war es Aufgabe des Staates, die optimalen Rahmenbedingungen für eine rasche Entfaltung des privatwirtschaftlich organisierten Buchhandels zu schaffen, und nicht, zumindest nicht in größerem Umfang, selbst verlegerisch tätig zu werden.338 Das CERLALC lehnte staatliche Verleger aus zweierlei Gründen ab: Zum einen entsprach es nicht den Grundsätzen freiheitlich-demokratischer Ordnungen, die für die Gewährleistung der freien Meinungsäußerung durchaus bedeutsame Buchproduktion in die Verantwortung des Staates zu legen und diesem somit die Möglichkeit der direkten Einflussnahme und Kontrolle zu geben.339 Zum anderen behinderte ein staatliches Verlagswesen die Entwicklung privatwirtschaftlicher buchhändlerischer Unternehmungen, die – wie eine von UNESCO
335 Vgl. ebd., Artikel 10 und 12. 336 Vgl. ebd., Artikel 3 und 4. 337 Metas para los años 80. Un programa de acción. In: Noticias sobre el libro y bibliografía 32 (1982), S. 10–20, hier S. 11. 338 Vgl. Valencia Restrepo: Políticas nacionales del libro, S. 27. 339 Vgl. América Latina. Hacia una sociedad lectora, S. 9.
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und CERLALC 1983 mit Partnern durchgeführte Studie zu zeigen schien – effizienter und rentabler arbeiteten als öffentliche Stellen, die sich als Verleger versuchten: De tiempo atrás, el Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina y el Caribe y la UNESCO se han venido preocupando por el problema de la edición en las instituciones públicas y en las llamadas de economía mixta, es decir de aquellas en que toman parte el Estado y las personas o entidades privadas, unas y otras cada vez más activas y cada vez menos numerosas en nuestros países [. . .] La investigación comprobó que en la mayoría de ellas, casi en su totalidad, había inapropiada utilización de los recursos, baja calidad en la producción, ausencia de normas esenciales de organización, falta de claros objetivos y planes de desarrollo, y lo que resulta más preocupante, deficiente y en no pocas ocasiones nula distribución del producto. Es una palabra, se producen libros, a veces muchos y buenos libros, pero éstos se quedan en depósitos y oficinas.340
Das CERLALC sprach sich somit eindeutig zugunsten eines privatwirtschaftlich organisierten Buchhandels aus. Dessen Entwicklung sollte durch eine angemessene staatliche Wirtschafts- und Kulturförderung unterstützt werden, für die sich das lateinamerikanische Buchförderungszentrum in den siebziger und achtziger Jahren starkmachte und somit zum regionalen Interessenvertreter der lateinamerikanischen Buchbranche avancierte. Im Gegensatz zu dem Vorhaben, einen Gemeinsamen Buchmarkt in Lateinamerika zu schaffen, ein Projekt, dessen Realisierung aufgrund einer adversen wirtschaftlichen und politischen Großwetterlage nur äußerst schleppend vorankam, stellten sich die Bemühungen des CERLALC um ein Inkrafttreten nationaler Buchpolitiken langfristig betrachtet als erfolgreicher heraus: Bis Mitte der neunziger Jahre sollten etwas mehr als ein halbes Dutzend lateinamerikanischer Staaten nationale Buchgesetze verabschiedet oder bereits bestehende Regelwerke modifiziert haben.341 Auch die UNESCO zeigte sich von dem in Lateinamerika erarbeiteten Konzept überzeugt und erhob die Erarbeitung nationaler Buchpolitiken unter der Richtlinie des CERLALC’schen Modellgesetzes zu einer zentralen, weltweit anwendbaren Entwicklungsstrategie für den Buchhandel, an der die Pariser Organisation bis heute festhält.342
340 Jaime Jaramillo Uribe: Los problemas de la edición institucional. In: Noticias sobre el libro 43/44 (1984), S. 4–5. Vgl. auch: Fondos editoriales institucionales. Problemas y alternativas. In: Noticias sobre el libro 43/44 (1984), S. 13–15. 341 In folgenden lateinamerikanischen Ländern wurden Buchgesetze erlassen: Brasilien (1986), Uruguay (1987), Guatemala (1989), Venezuela (1987/1990), Panama (1991), Kolumbien (1993), Chile (1993) und Bolivien (1994). Vgl. Legislación sobre el fomento del libro en los países miembros del CERLALC. In: El libro en América Latina y el Caribe 81 (1996), S. 20–21. 342 1997 veröffentlichte die UNESCO den von Garzón verfassten Leitfaden zur Erarbeitung nationaler Buchpolitiken sowie das CERLALC’sche Modellgesetz erstmals auf Englisch. Eine zweite, überarbeitete Auflage folgte 2005. Vgl. Álvaro Garzón: National Book Policy. A Guide for Users in the Field. Paris: UNESCO 1997 (The Professional Training Library); ders.: National Book Policy. 2., revidierte Auflage.
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8.6 »Los libros baratos y la cerveza cara«: Kubas revolutionäre Variante des book development [L]a experiencia real de Cuba demuestra que no son pequeñas modificaciones en el propio terreno de editorial los que cambiarían la situación del libro en América Latina sino que son las verdaderas y profundas transformaciones sociales, políticas y económicas, [. . .] las que darán por resultado el verdadero fomento de su industria editorial, y por tanto de la producción de libros.343
Die selbstbewusste Botschaft, mit der der kubanische Vertreter Rolando Rodríguez seinen Vortrag auf der UNESCO-Expertentagung in Bogotá schloss, hätte eindringlicher kaum sein können: Erst durch einen tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungsprozess, wie ihn Kuba seit der Revolution 1959 erfahren hatte, entstünden Voraussetzungen, die eine nachhaltige Entwicklung des Buchhandels möglich machten. In der Tat konnte Rodríguez 1969 in Bogotá auf eine beachtliche Bilanz verweisen: Folgt man offiziellen Angaben344 , erschienen auf der Karibikinsel Ende der sechziger Jahre jährlich fast siebenhundert Titel in einer Gesamtauflage von mehr als fünfzehn Millionen Exemplaren345 , während einheimische Verlage in der Zeit vor der Revolution lediglich zweihundert Titel in einer Gesamtauflage von etwa einer Million Exem-
343 Rolando Rodríguez: Situación del libro en América Latina, September 1969 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–012), S. 14. 344 Die (statistischen) Angaben zur Entwicklung des kubanischen Buchhandels in den Jahren unmittelbar nach der Revolution sind nicht verifizierbar, auch weil auf Kuba selbst eine entsprechende Dokumentation fehlt, wie die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Smorkaloff feststellen musste, als sie 1984 und 1985 auf der Karibikinsel recherchierte: »[I]n the initial years of the Revolution when an infrastructure for literature was being laid, problem-solving and the urgent need to do, to act, to create, was so great it left no room or resources for the meticulous and far less exhilarating task of documentation.« Pamela Maria Smorkaloff: Readers and Writers in Cuba. A Social History of Print Culture, 1830s–1990s. New York, London: Garland 1997 (Latin American Studies. 10), S. 71, Hervorhebungen im Original. Smorkaloffs Studie ist die bislang einzige wissenschaftliche Arbeit, die die kubanische Buchkultur im 19. und 20. Jahrhundert sozialhistorisch analysiert und dabei der Entwicklung des Verlagswesens nach 1959 einen großen Platz einräumt. Ihre auch auf Interviews gestützte, mit den kulturellen Errungenschaften der Revolution durchaus sympathisierende Untersuchung (eine Auseinandersetzung mit den Einschränkungen der Meinungs- und Kunstfreiheit unter Castro findet nicht statt) wurde in leicht unterschiedlichen Fassungen sowohl 1987 auf Kuba als auch ein Jahrzehnt später in den USA publiziert. Die vorliegende Arbeit bezieht sich, wenn nicht anders angegeben, auf die englischsprachige Ausgabe. Vgl. auch die spanischsprachige Fassung: Pamela María Smorkaloff: Literatura y edición de libro. La cultura literaria y el proceso social en Cuba. 1900–1987. Havanna: Letras Cubanas 1987. 345 Vgl. Instituto Cubano del Libro: Wesentliche Bereicherung der Kultur des Volkes. In: Internationale Buchkunst-Ausstellung Leipzig 1971. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut 1971, S. 120–125, hier S. 120.
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plaren auf den Markt gebracht hatten346 . Mit einer Produktion von zwei Exemplaren pro Einwohner pro Jahr nahm Kuba die Spitzenposition in Lateinamerika ein, wie der UNESCO-Experto Schiro zu berichten wusste, der 1970 im Rahmen seiner Lateinamerikareise Kuba besuchte und sich vor Ort selbst ein Bild davon machen konnte, in welchem beträchtlichen Maße die Buchlektüre im Alltag der Bevölkerung verankert war: [E]s evidente que gracias a una enérgica y exitosa campaña de alfabetización [. . .] y a la promoción del hábito de la lectura, unida a los precios bajísimos del material bibliográfico (he visto un libro de 300 páginas con una tirada de 80.000 ejemplares que se vendía a 0.20 US$), la demanda de libros es muy elevada, y se lee mucho más que antes.347
Innerhalb einer Dekade hatte die kubanische (Buch-)Revolution das erreicht, was die UNESCO im Rahmen ihres Book Development-Programms als Zielsetzung für alle Entwicklungsländer ausgegeben hatte: Ein Angebot an lokal produzierten und dank großer Auflagen preiswerten und für jedermann erschwinglichen Büchern korrespondierte mit einer hohen Nachfrage nach Gedrucktem seitens einer lesehungrigen Bevölkerung. »Bücher für alle« schien im revolutionären Kuba nicht länger Vision, sondern Realität geworden zu sein. Zum Zeitpunkt der Revolution348 war Kubas Buchhandel nur geringfügig entwickelt. Wie in anderen kleineren Staaten Lateinamerikas auch dominierten importierte Bücher den lokalen Markt, einheimische Buchhandelsfirmen verlegten hauptsächlich Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien.349 Die kubanische Buchhandelskammer (Cámara Cubana del Libro) führte die unterentwickelte Buch- und Lesekultur auf der Insel vor allem auf das Desinteresse seitens des Staates zurück: »En Cuba se lee poco o no se lee nada [. . .] El Estado cubano no tiene una política del libro, no siente una preocupación ante los problemas del libro.«350
346 Vgl. Rolando Rodríguez: Génesis y desarrollo del Instituto Cubano del Libro (1965–1980). Memoria y reflexión. In: Debates americanos. Revista semestral de estudios históricos y socioculturales 11 (2001), S. 65–80, hier S. 66. 347 Heriberto Schiro: Informe sobre Cuba, 15.–28.5.[1970] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 1, Informes de Misiones de Adhesión de Heriberto Schiro a los países 1970–1971). 348 Vgl. zur Geschichte Kubas einführend: Michael Zeuske: Insel der Extreme. Kuba im 20. Jahrhundert. 2., aktualisierte und stark erweiterte Auflage. Zürich: Rotpunktverlag 2004. Vgl. ferner zur Kubanischen Revolution: Marifeli Pérez-Stable: The Cuban Revolution. Origins, Course, and Legacy. 2. Auflage. New York, Oxford: Oxford University Press 1999. 349 Vgl. zum vorrevolutionären Buchhandel auf Kuba ausführlich: Smorkaloff: Readers and Writers in Cuba, insbesondere S. 37–70. Siehe auch: Fermín Peraza Sarausa: La imprenta y el estado en Cuba. Matanzas: Estrada 1936 (Amigos de la cultura cubana. 1). 350 Zitiert nach: Alejandro Ríos: El libro en Cuba. Unveröffentliches Typoskript, 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–56), S. 6. Das Originalzitat stammt aus: El libro en Cuba. Havanna: Cámara Cubana del Libro 1949.
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Abb. 13: Lesende Revolutionäre um 1960 (links), Revolutionsführer Fidel Castro beim Lesen um 1965 (rechts).
Diese Ende der vierziger Jahre konstatierte politische Gleichgültigkeit gegenüber dem Buchhandel verschwand mit dem Triumph der Revolution eine Dekade später. Nach 1959 setzte ein zentral gesteuerter Ausbau des kubanischen Buchhandels und Bibliothekswesens wie gleichsam des gesamten Kulturbereichs ein, der – in Wort und Bild (vgl. Abbildung 13) – auf das Engste mit den Zielen der Revolution in Verbindung gesetzt wurde: »Nosotros no le decimos al pueblo: cree, le decimos: ¡lee!«351 Buch und Lesen wurden eine bedeutende Rolle im revolutionären Gesellschaftsprojekt zugewiesen. Sie sollten zum einen dem Volk die Partizipation am kulturellen Leben ermög-
351 Diese Fidel Castro zugeschriebene Äußerung wird vielfach zitiert, ohne dass allerdings die Quelle benannt wird – so u. a. in: Alejandro Ríos: Leer para crecer. In: Revolución y Cultura (1985), H. 2, S. 2– 7, hier S. 7.
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lichen und somit der Herausbildung eines »neuen Menschen«352 den Weg bereiten, zum anderen als »preiswerteste Universität der Welt«353 zur Erreichung konkreter bildungs- und wirtschaftspolitischer Zielsetzungen beitragen – denn im revolutionären Kuba wurde ebenso wie bei der UNESCO die Verbesserung des Bildungsniveaus der Bevölkerung als Voraussetzung angesehen, um die Wirtschaftsleistung des Landes zu steigern und die Unterentwicklung zu überwinden: Imposible elevar la capacidad de producción de nuestro pueblo, sin educación; imposible convertirnos en un pueblo altamente industrializado, sin educación; imposible desarrollar nuestra economía agraria, sin educación; imposible organizar un pueblo y un país hacia los grados más altos, sin educación.354
Sowohl die 1961 durchgeführte nationale Alphabetisierungskampagne, die die Karibikinsel zu »einem vom Analphabetismus befreiten Territorium«355 machte, als auch der konsequente, rasche Ausbau des Schul- und Universitätssystems wurden zu Inbegriffen der Revolution, in deren Kontext auch die Buchproduktion anstieg – denn Alphabetisierungsmaßnahmen und eine Verbesserung der Schulbildung bedurften Lehr- und Lesematerialien. In den Jahren unmittelbar nach dem politischen Umsturz waren es die Nationaldruckerei (Imprenta Nacional de Cuba, 1959/1960–1962) sowie der von Alejo Carpentier geleitete Nationalverlag (Editorial Nacional de Cuba, 1962– 1966), die die unmittelbarsten bibliographischen Bedürfnisse zu befriedigen versuchten und vor allem Schulbücher für den Primar- und Sekundarbereich sowie Alphabetisierungsmaterialien produzierten.356
352 Im spanischen Original: »hombre nuevo«. Ernesto Guevara: El socialismo y el hombre nuevo. Mexiko-Stadt: Siglo XXI 1977. 353 Im spanischen Original: »la universidad más económica del mundo«. Basilia Papastamatíu: La universidad más económica: el libro. Sobre la próxima Campaña Nacional por la Lectura, nos habla Raúl Ferrer. In: Juventud Rebelde vom 30.9.1984, keine Seitenzählung. 354 La Educación en Revolución. Havanna: Instituto Cubano del Libro 1974, S. 23. 355 Im spanischen Original: »Territorio Libre de Analphabetismo«. Fidel Castro Ruz: El pueblo cubano proclama ante el mundo que Cuba es Territorio Libre de Analfabetismo. Discurso pronunciado por el Comandante Fidel Castro Ruz al concluir la Campaña Nacional de Alfabetización, el 22 de diciembre de 1961. In: Pensamiento y política cultural cubanos. Antología. Band II. Havanna: Editorial Pueblo y Educación 1987, S. 80–89. Die fast vollständige Beseitigung des Analphabetismus innerhalb kürzester Zeit gilt auch international als eine der größten Errungenschaften der Revolution, so ließ beispielsweise die UNESCO die Organisation und Durchführung der Alphabetisierungskampagne von Experten analysieren und dokumentieren. Auf Kuba selbst wurde die erfolgreiche Alphabetisierungskampagne als Teil offizieller Erinnerungspolitik in Form eines Bildbandes und eines Museums (Museo Nacional de la Campaña de Alfabetización) historisiert. Vgl. Anna Lorenzetto/Karel Neys: Report on the Methods and Means Utilized in Cuba to Eliminate Illiteracy. UNESCO Report. Paris 1965 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 91s0089); Cuba, territorio libre de analfabetismo. Havanna: Editorial de Ciencias Sociales 1981. 356 In den ersten Jahren der Revolution existierten neben der staatlichen Nationaldruckerei und dem Nationalverlag auch noch einige kleine unabhängige Verlage und Druckereien. Vgl. ausführlich zur
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Abb. 14: Edición Revolucionaria: Original (links) und unerlaubter Nachdruck (rechts).
Um den Mangel an Fachbüchern für die universitäre und technische Ausbildung zu beseitigen, entstand Ende 1965 ein verlegerisches Projekt, dessen Name – Edición Revolucionaria – Programm war: Ausländische Lehrwerke wurden, ohne hierfür Lizenzgebühren zu zahlen, fotomechanisch reproduziert und nachgedruckt (vgl. Abbildung 14), ein Vorgang, der in Kuba überaus makaber als fusilar, also als hinrichten, bezeichnet wurde.357 Die US-amerikanische Handelsblockade und die für das devisenarme Kuba zu hohen Lizenzforderungen vonseiten spanischer Verlagshäuser einerseits sowie die Bedürfnisse eines unterentwickelten Landes andererseits legitimierten in den Augen Castros eine Veränderung der traditionellen, international kodifizierten Auffassung von Urheberrecht und geistigem Eigentum: Un país subdesarrollado, un país que carecía en absoluto de conocimientos técnicos [. . .]; un país que tenía que empezar por asumir la tarea de enseñar a leer y a escribir un millón de ciu-
Entwicklung des Buchhandels in den Jahren unmittelbar nach der Revolution: Smorkaloff: Readers and Writers in Cuba, S. 83–106. 357 Vgl. Rodríguez: Génesis y desarrollo del Instituto Cubano del Libro, S. 77.
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dadanos [. . .]; un país que tenía que emprender el camino de formar decenas de miles, cientos de miles de trabajadores calificados y de técnicos para salir de la miseria, para salir del subdesarrollo [. . .]; un país que entonces tiene que invertir cada centavo, muchas veces una gran parte de los escasos recursos con que cuenta, en construcciones, en adquirir medios de producción, fábricas, equipos, que tiene que hacer incontables inversiones, se encontraba con el hecho de que no podía educar al pueblo. ¿Por qué? Porque en la medida que aprendían a leer y a escribir nuestros ciudadanos, en la medida en que todos los niños empezaban a ir a la escuela [. . .], en la medida en que aspirábamos a vencer el subdesarrollo y la ignorancia, el número de libros que necesitábamos era cada vez mayor. Y los libros eran —y son— carísimos. En virtud de todos esos conceptos de la propiedad intelectual nos veíamos en la necesidad, si queríamos satisfacer toda la demanda de libros que existía, de gastar decenas de millones de pesos en libros. Y sin embargo, es tan difícil establecer en la práctica eso que se llama propiedad intelectual, que ya no era la propiedad intelectual de los autores, del producto espiritual, sino de los que en el mercado, con dinero contante y sonante, y a cualquier precio, es decir, por lo general a bajos precios, habían pagado ese producto de la inteligencia. Los que tenían el monopolio de los libros tenían el derecho de venderlo al precio que estimaran pertinente. Era necesario tomar una decisión, una decisión desafiante, sí, pero justa. Y nuestro país adoptó, de hecho, la decisión de abolir también la propiedad intelectual.358
Die kubanische Regierung schuf Mitte der sechziger Jahre das Urheberrecht ab: Sie zahlte keinerlei Lizenzgebühren und Honorare für ausländische Bücher und stellte im Gegenzug die kubanischen Werke frei und kostenlos zur Verfügung. Erst gut zehn Jahre später, als die Revolution sich institutionalisiert hatte, wurde ein nationales Urheberrecht359 verabschiedet, welches unter anderem die Gründung eines Urheberrechtszentrums (Centro Nacional de Derechos de Autor) vorsah, einer Institution, die mit ausländischen Partnerverlagen Lizenzverhandlungen im Rahmen der geltenden internationalen Konventionen führte, während sich das Honorar für nationale Autoren nicht, wie weltweit gemeinhin üblich, nach der verkauften Auflage, also dem kommerziellen Erfolg der Publikation richtete, sondern anhand spezieller Sätze berechnet wurde, die sich aus Umfang, Qualität und Auflage ergaben.360 Mit der Gründung des Buchinstituts (Instituto del Libro) im Jahr 1967 wurde die Basis für einen systematischen, weiteren Ausbau des Buchhandels geschaffen. Als ökonomisch-ideologische Steuerungszentrale oblag der neu geschaffenen Institution nicht
358 Fidel Castro Ruz: Discurso pronunciado por el Comandante Fidel Castro Ruz, Primer Secretario del Comite Central del Partido Comunista de Cuba y Primer Ministro del Gobierno Revolucionario, en la despedida a las becarias que han laborado en diversas tareas del regional Guane-Mantua y en la inauguración de distintas obras en Guane, Pinar del Río, en el estadio deportivo, el 29 de abril de 1967. In: Discursos e intervenciones del Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz, Presidente del Consejo de Estado de la República de Cuba. Webseite der kubanischen Regierung. URL: http: //www.cuba.cu/gobierno/discursos/1967/esp/f290467e.html [15.4.2013]. Ähnlich argumentiert auch: Rodríguez: Génesis y desarrollo del Instituto Cubano del Libro, S. 69. 359 Vgl. Derecho de autor. Ley No. 14, del 28 de diciembre de 1977. In: Pensamiento y política cultural cubanos. Antología. Band IV. Havanna: Editorial Pueblo y Educación 1987, S. 53–62. 360 Vgl. Smorkaloff: Literatura y edición de libro, S. 258.
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nur die Generalplanung der staatlichen Verlagspolitik inklusive Themen- und Auflagenkoordinierung, sondern auch die Vertriebsorganisation, also der Aufbau eines Buchhandelsnetzes, das 1984, fünfundzwanzig Jahre nach der Revolution, aus knapp dreihundert Sortimentsbuchhandlungen bestand, die ebenso wie die über eintausend sonstigen Buchverkaufsstellen in Krankenhäusern, Schulen, Fabriken und Tante-Emma-Läden durch die zentrale nationale Buchauslieferung (Empresa Nacional Distribuidora del Libro) mit Ware versorgt wurden.361 Entsprechend des Leitgedankens der revolutionären Kulturpolitik, den bisher benachteiligten Massen den Zugang zur Kultur zu ermöglichen und somit »die Kultur zum Besitz aller«362 zu machen, wurden insbesondere in ländlichen Gegenden neben Buchhandlungen auch vermehrt öffentliche Bibliotheken geschaffen: 1980 standen der kubanischen Bevölkerung auf der ganzen Insel neben knapp zweihundert Büchereien über zweitausend Schulbibliotheken und eintausend sogenannter minibibliotecas zur Nutzung offen.363 »Das Volk als der große Schöpfer«364 sollte dabei nicht nur als Rezipient, sondern auch als Produzent aktiv ins literarische Leben eingebunden werden: The greatest asset of a country engaged in the building of socialism is the people. Cultural expansion is inconceivable without the active involvement of the workers, peasants, students and, in particular, children and adolescents. This involvement has occurred in both of the aspects inherent in art and literature: that of the creator and that of the recipient.365
Neben öffentlichen Lesungen und Diskussionsabenden mit Schriftstellern, die in Buchhandlungen, Bibliotheken und den nach sowjetischen Vorbild entstehenden Gemeindekulturhäusern (Casa de Cultura) ausgerichtet wurden, konnte sich der gemeine Leser in Schreibkursen und durch die Teilnahme an Wettbewerben als Laienschriftsteller versuchen.366
361 Vgl. Álvaro Garzón: Informe de Misión – Cuba – Política Nacional de Desarrollo del Libro, 9.–25.4.1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–038), S. 11–12; Alejandro Ríos: El libro en Cuba. Unveröffentliches Typoskript, 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–56), S. 24. 362 Armando Hart Dávalos: Die Spielregeln ändern sich. Kulturpolitik im Sozialismus. Köln: Weltkreis 1987, S. 23. 363 Vgl. R. W. Howes: Publishing and Libraries in Cuba. In: International Library Review 14 (1982), H. 3, S. 317–334, hier S. 322–323. 364 Im spanischen Original: »el pueblo es el gran creador«. Fidel Castro Ruz: Palabras a los intelectuales. In: Política cultural de la revolución cubana. Documentos. Havanna: Editorial de Ciencias Sociales 1977, S. 3–47, hier S. 37. 365 Jaime Saruski/Gerardo Mosquera: The Cultural Policy of Cuba. Paris: UNESCO 1979 (Studies and Documents on Cultural Policy), S. 15. 366 Vgl. Lisandro Otero: Cultural Policy in Cuba. Paris: UNESCO 1972 (Studies and Documents on Cultural Policy), S. 33; Smorkaloff: Readers and Writers in Cuba, S. 137–144. Vgl. zu den Schreibwerkstätten: Imeldo Álvarez: Del taller a los libros. In: Revolución y Cultura (1985), H. 3, S. 20–25. Die Institutionalisierung einer künstlerischen Laienbewegung (Movimiento de Aficionados) setzte gleich nach dem Sieg der Revolution ein und umfasste neben der Literatur insbesondere auch die Musik und die bildende Kunst.
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Ein zentrales Element, um breiten Schichten den Erwerb von Büchern zu ermöglichen und somit die kubanische Bevölkerung in ein »Volk von Lesern«367 zu verwandeln, waren die im Verhältnis zur Kaufkraft äußerst niedrigen Buchpreise. Der in Mexiko als Verleger tätige Argentinier Guillermo Schavelzon berechnete, dass der gesetzliche Mindestlohn auf Kuba während der achtziger Jahre dem Preis von zweihundert Büchern entsprach: Yo saqué una comparación entre el costo del libro y el salario mínimo en Cuba y me dio una equivalencia de 200 libros mensuales; mientras que en países como México, un obrero con un sueldo mínimo solamente podría adquirir de 20 a 25 títulos al mes.368
Die Castro’sche Devise von »billigen Büchern und teurem Bier«369 war zum einen dank der großen Produktionsumfänge umsetzbar, die ein durch Alphabetisierungsund Bildungsmaßnahmen wachsendes nationales Lesepublikum konsumierte. Auflagen von mehreren zehntausend Exemplaren stellten keine Seltenheit dar. Von Márquez’ Hundert Jahre Einsamkeit erschienen 250.000 Exemplare, die Auflage von Ernesto ›Che‹ Guevaras Bolivianischem Tagebuch überschritt ebenso wie diejenige von Castros berühmtem Manifest Die Geschichte wird mich freisprechen die Millionengrenze.370 Zum anderen senkten staatliche Subventionen die Verkaufspreise, so bereits im Fall des ersten in der Nationaldruckerei hergestellten Buches, einer vierbändigen Volksausgabe des Don Quijote.371 Die Kombination aus staatlicher Preispolitik und Ausnutzung der Skaleneffekte wurde 1968 in der Reihe Ediciones Huracán institutionalisiert, deren Bände man im Rotationsdruck herstellte und die der kubanischen Bevölkerung sowohl Klassiker als auch kubanische und internationale Gegenwartsliteratur vorstellte.372 Das in Massenauflage gedruckte, preiswerte Buch wurde neben den kostenlos zur Verfügung gestellten Schul- und Universitätslehrbüchern zum Markenzeichen der staatlich protegierten ›kubanischen Buchrevolution‹. Deren Errungenschaften fanden auch international durchaus Anerkennung. So rühmte Mitte der achtziger Jahre beispielsweise Arnaldo Orfila Reynal, Leiter des links gerichteten mexikanischen Verlages Siglo XXI:
367 Im spanischen Original: »pueblo de lectores«. Rodríguez: Génesis y desarrollo del Instituto Cubano del Libro, S. 80. 368 Zitiert nach: Alejandro Ríos: El libro en Cuba. Unveröffentliches Typoskript, 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–56), S. 48–49. 369 Im spanischen Original: »los libros baratos y la cerveza cara«. Fidel Castro: Discurso pronunciado el Primero de Mayo de 1966. In: Política internacional de la revolución cubana. Documentos políticos. Band II. Havanna: Editora Política 1966, S. 13–51, hier S. 38. 370 Vgl. Rodríguez: Génesis y desarrollo del Instituto Cubano del Libro, S. 75–76. 371 Vgl. Alejandro Ríos: El libro en Cuba. Unveröffentliches Typoskript, 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–56), S. 24; Otero: Cultural Policy in Cuba, S. 48. 372 Vgl. Rubén Martí: Evocación nostálgica de un cuasi meteoro o los huracanes son recurrentes. In: Revista del Libro Cubano 2 (1998), Suplemento Especial, S. 15–17.
Kubas revolutionäre Variante des book development
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La primera sorpresa que tiene el extranjero en Cuba es la posibilidad que ha tenido un país pequeño, en tan poco tiempo, de hacer que el libro sea un instrumento y un objeto de consumo popular en la dimensión que lo ha logrado. Es sorprendente saber que cuando nosotros hacemos de 5 mil a 4 mil ejemplares de un libro para la gran población latinoamericana y española: en Cuba, no se concibe la incógnita de cuantos lectores podrá tener el nuevo libro; es admirable que haya un público de 10 millones de habitantes que absorbe casi diez veces más libros que el continente americano. Los libros cubanos que veo son de alta calidad técnica, no desmerecen de ningún otro nivel editorial internacional. Todo eso se ha logrado gracias a la Revolución; la alfabetización por un lado, y la preparación para despertar intereses por la cultura en Cuba que no se aprecia en ningún otro país latinoamericano.373
Bei aller Bewunderung, die man der Entfaltung des kubanischen Buchhandels entgegenbringen kann, darf indes nicht vergessen werden, dass sich die ›Buchrevolution‹ innerhalb der Logiken eines zentralistischen Regimes vollzog, das sich zunehmend in ein totalitäres »System der Intoleranz«374 verwandelte und die öffentlichen Sinnbildungskonzepte entsprechend Castros viel zitiertem Diktum »innerhalb der Revolution alles, gegen die Revolution nichts«375 zunehmend monopolisierte: Die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks war nur dann gewährleistet, wenn sich sein Inhalt nicht gegen die Revolution wendete. Während im ersten Jahrzehnt nach Castros Sieg kulturpolitische Debatten immer noch möglich waren, setzten vor allem im ›grauen Jahrfünft‹ (quinquenio gris, 1971–1975) staatliche Repressalien und ein großer Uniformierungsdruck ein, der zahlreiche Schriftsteller und Künstler ins Exil gehen ließ.376 Der Staat schuf somit nicht nur die buchhändlerische Infrastruktur, sondern griff auch in die inhaltliche Produktion und Vermittlung kultureller Manifestationen ein: Die Kultur – und der Buchhandel war Teil derselben – wurde in den Dienst der Ideologie und des Systemerhalts gestellt. Im Laufe der Zeit entstand im revolutionären Kuba eine funktional differenzierte Verlagslandschaft, deren Organisationsprinzipien denjenigen des Verlagswesens in der Sowjetunion sowie generell des Ostblocks sehr ähnlich waren: Aus Reihen hervorgehend, die unterschiedliche Zielgruppen und Sachgebiete bedienten, bildeten sich unter dem Dach des kubanischen Buchinstituts zunächst einzelne Programmsegmente heraus, die mit der Neuordnung des Kultursektors im Anschluss an die Gründung des
373 Zitiert nach: Alejandro Ríos: El libro en Cuba. Unveröffentliches Typoskript, 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–56), S. 48. 374 Peter B. Schumann: Der kubanische Film im Kontext der Kulturpolitik. In: Kuba heute. Politik, Wirtschaft, Kultur. Hrsg. von Ottmar Ette und Martin Franzbach. Frankfurt/Main: Vervuert Verlag 2001 (Biblioteca Ibero-Americana. 75), S. 669–682, hier S. 670. 375 Im spanischen Original: »dentro de la Revolución, todo; contra la Revolución, nada«. Castro Ruz: Palabras a los intelectuales, S. 17. 376 Vgl. einführend: Torsten Eßer: Sozialismus mit Rhythmus. Kubanische Kulturpolitik seit 1959 und ihre Auswirkungen auf die Musik. In: »Alles in meinem Dasein ist Musik . . .«. Kubanische Musik von Rumba bis Techno. Hrsg. von Torsten Eßer und Patrick Frölicher. Frankfurt/Main: Vervuert Verlag 2004 (Biblioteca Ibero-Americana. 100), S. 33–74.
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Kulturministeriums 1976 und die Auflösung des Buchinstituts im selben Jahr zu eigenständigen Verlagen mit klar definierten Programmschwerpunkten wurden.377 Zu den wichtigsten Verlagshäusern zählten Pueblo y Educación, zuständig für die Produktion von Schul- und Lehrbüchern, und das mit der Herausgabe von Weltliteratur betraute Verlagshaus Arte y Literatura. Letras Cubanas verlegte nationale schöngeistige Literatur, während Gente Nueva Kinder- und Jugendbücher herausbrachte. Neben den ebenfalls dem Kulturministerium direkt unterstellten Häusern für Naturwissenschaften und Technik sowie für Sozialwissenschaften (Editorial Científico Técnico und Editorial Ciencias Sociales) existierten einige wenige Verlage, die wie Editora Política, Ediciones Unión oder Editorial Casa de las Américas der Partei oder anderen gesellschaftlichen bzw. kulturellen Organisationen zugeordnet waren. Anders als in einem marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystem diente diese eindeutige Profilierung der Verlage nicht einer erleichterten Wiedererkennung durch den Konsumenten und der Abgrenzung gegenüber der Konkurrenz, sondern der Planbarkeit und Rationalisierung der Buchproduktion: Auch im Buchsektor hatte sich nach Castros Bekenntnis zum Sozialismus damit eine zunehmende Ausrichtung am sowjetischen Wirtschaftsmodell niedergeschlagen. Verlagsproduktion und Buchvertrieb wurden zentral gesteuert und geplant; sie waren Teile der staatssozialistischen Ökonomie. Der staatlich organisierte Literaturbetrieb, der auf Kuba in den knapp zwei Jahrzehnten nach der Revolution entstand, orientierte sich nicht nur am sowjetischen Vorbild, sondern er wurde in seiner Entwicklung von der Sowjetunion und den anderen Ostblockstaaten massiv unterstützt. Die sozialistischen Bruderländer stellten kostenlos Schul- und Lehrbücher, Atlanten sowie Kinderliteratur für die weit entfernte Karibikinsel her und entsandten Experten, die bei der Professionalisierung des kubanischen Buchhandels halfen.378 Die Druckindustrie konnte dank des (verbilligten) Imports von Maschinen, insbesondere aus der DDR, modernisiert werden.379 Besonders groß war die Abhängigkeit Kubas von Papierlieferungen aus dem sozialistischen Ausland: Obgleich man sich bemühte, aus der Zuckerrohrpflanze Papier zu gewinnen, stammte ein Großteil des Papiers und der Druckerfarbe, die auf der Karibikinsel für die Buch- und Zeitungsproduktion benötigt wurden, aus Osteuropa und wurde dem Castro’schen Regime zu Vorzugskonditionen zur Verfügung gestellt.380
377 Vgl. Smorkaloff: Readers and Writers in Cuba, S. 123–127. 378 Vgl. die persönlichen Erinnerungen von: Karlheinz Selle: Verlegerische Zusammenarbeit zwischen der DDR und Kuba 1964–1990. In: Entweder es geht demokratisch – oder es geht nicht. Klaus Höpcke. »Bücherminister« der DDR. Parlamentarier in Thüringen. Unbotmäßiger Streiter für sozialistische Politik. Kolloquium anlässlich seines 70. Geburtstags. Hrsg. von Detlef Nakath und GerdRüdiger Stephan. Schkeuditz: GNN Verlag 2004, S. 64–73, hier S. 67–69 und S. 71. Siehe auch: Ana María Santana: Über die Situation und Probleme des kubanischen Schulbuchverlages. In: Information zu Schulbuchfragen. Hrsg. von der Forschungsstelle im volkseigenen Verlag Volk und Welt. Berlin: Volk und Wissen. Volkseigener Verlag 1979, S. 57–69, hier S. 57–58. 379 Vgl. Selle: Verlegerische Zusammenarbeit, S. 69. 380 Vgl. Smorkaloff: Readers and Writers in Cuba, S. 175–177.
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60.000
2.500
50.000
2.000
40.000
1.500 30.000
1.000 20.000
500
0 1960
10.000
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
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Abb. 15: Entwicklung der Buchproduktion auf Kuba nach Titeln (links) und Auflage (rechts).
In welchem beträchtlichen Maßstab das Wachstum, das der kubanische Buchhandel insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren erfuhr, auf der Einbindung Kubas in den sozialistischen Wirtschaftsblock basierte, zeigt ein Blick auf die Situation nach 1989.381 Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks schrumpfte die Titelproduktion drastisch (vgl. Abbildung 15). Wurden Anfang der achtziger Jahre noch fast 1.600 Titel in einer Gesamtauflage von mehr als 44 Millionen Exemplaren produziert382 , waren es zehn Jahre später in wirtschaftlich sehr harten Zeiten, der sogenannten período especial, gerade einmal fünfhundert Titel in einer Auflage von knapp zwei Millionen Exemplaren. Devisen für den Papiereinkauf auf dem Weltmarkt waren nicht verfügbar.383 Indes war es nicht allein der Wegfall der subventionierten Papierlieferungen, die dem kubanischen Buchhandel zu schaffen machte, sondern auch der zunehmende Rückzug des Staates aus der Kulturförderung. Das durch das Bündnis mit der sozialistischen Welt gestützte, kontinuierliche Wachstum der kubanischen Wirtschaft hatte steigende öffentliche Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Kultur erlaubt, Ausgaben, die in diesem Ausmaße nicht mehr finanzierbar waren, als das kubanische Entwicklungsmodell nach dem Untergang der Sowjetunion in eine veritable Krise geriet.
381 Vgl. zur wirtschaftlichen Entwicklung Kubas: Carmelo Mesa-Lago: Breve historia económica de la Cuba socialista. Políticas, resultados y perspectivas. Madrid: Alianza Editorial 1994 (Alianza América). Vgl. insbesondere zur wirtschaftlichen Unterstützung durch die Sowjetunion: Carmelo Mesa-Lago/Fernando Gil: Soviet Economic Relations with Cuba. In: The USSR and Latin America. A Developing Relationship. Hrsg. von Eusebio Mujal-León. Boston, London, Sydney: Unwin Hyman 1989, S. 183–232. 382 Vgl. Alejandro Ríos: El libro en Cuba. Unveröffentliches Typoskript, 1984 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B1–56), S. 50. 383 Vgl. zur schwierigen Lage des kubanischen Buchhandels in den neunziger Jahren: Michi Strausfeld: »Período especial«. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Nr. 18 vom 3.3.1998, S. 15–16; Christoph Links: Buchlandschaft heimlich vor dem Umbruch. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Nr. 18 vom 1.3.1996, S. 18–19.
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8.7 Möglichkeiten und Grenzen des book development in Lateinamerika Die Analyse der Buchmarktstrukturen in Lateinamerika sowie die Studien zu den buchhandelsfördernden Programmen des CERLALC und zum Ausbau des kubanischen Buchhandels im Anschluss an die Revolution 1959 lassen Rückschlüsse über die Bedingungen zu, unter denen Buchmärkte wachsen und sich entfalten können. Sie verweisen somit auf Möglichkeiten und Grenzen des book development, verstanden als geplanter, beschleunigter Ausbau des Buchhandels mit dem Ziel, der Bevölkerung den Zugang zum lokal verlegten Buch zu ermöglichen. Es ist auffällig, dass die Prämissen, die den Maßnahmen zur Entwicklung des Buchhandels zugrunde lagen, in beiden Ansätzen – der kubanischen und der CERLALC’schen Variante – nahezu identisch waren, die gesellschaftspolitischen Entwürfe des Buches sich also glichen. In beiden Systemen wurde zum einen das Buch qua seiner Funktion als Bildungsmedium zum Werkzeug des Fortschritts erhoben; zum anderen sollten durch das lokal verlegte Buch Überfremdung vermieden und kulturelle Autonomie erlangt werden. Sowohl das CERLALC als regionales Sprachrohr der UNESCO als auch das kubanische Regime betonten die generelle Unverzichtbarkeit des Buches für wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsprozesse und stipulierten einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Entfaltung des Buchhandels und Wachstum: »Culture cannot expand without concomitant economic growth, nor can this growth occur independently of the social and cultural progress of the masses.«384 Unterschiedlich dahingegen waren die Maßnahmen, mit denen das CERLALC einerseits und das Castro’sche Regime andererseits den Kampf gegen ›Bucharmut‹ und ›Buchhunger‹ führten bzw. führen konnten. Auf der Karibikinsel wurde der Buchhandel im Kontext eines revolutionären Gesamtprojekts ausgebaut, das auf eine komplette Transformation der Gesellschaft zielte. Als Teil der staatssozialistischen Ökonomie profitierte der kubanische Buchhandel erstens erheblich von den als Entwicklungshilfe zu charakterisierenden privilegierten Handelsbeziehungen zur restlichen sozialistischen Welt und zweitens von einem Regime, das dem Buch nicht nur einen hohen gesellschaftspolitischen Stellenwert zumaß, sondern den Ausbau des Buchhandels im Rahmen der revolutionären Kulturpolitik priorisierte und subventionierte und dank des wirtschaftlichen Wachstums auch massiv vorantreiben konnte. Drittens war auf der Karibikinsel aufgrund der erfolgreichen Alphabetisierungskampagne und dem raschen Ausbau des Bildungswesens eine hohe Nachfrage nach Gedrucktem vonseiten weiter Bevölkerungskreise vorhanden. Während auf Kuba das Ideal der universellen Zugänglichkeit und Verfügbarkeit lokal produzierter Bücher zumindest bis zum Zusammenbruch des Ostblocks 1989 da-
384 Saruski/Mosquera: The Cultural Policy of Cuba, S. 16.
Möglichkeiten und Grenzen des book development in Lateinamerika
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durch verwirklicht wurde, dass der Staat den Ausbau des Buchhandels organisierte und zentral steuerte – und sich damit auch die Kontrolle über die inhaltliche Produktion kultureller Manifestationen sicherte –, konnte eine regionale Organisation wie das CERLALC nur begrenzt auf die Entfaltung des lokalen Buchhandels Einfluss nehmen. So hieß in einer vom lateinamerikanischen Buchförderungszentrum Mitte der siebziger Jahre erstellten Studie: »Los problemas del libro están intimistamente vinculados a la realidad política, ecónomica y social de cada país y condicionados por el grado de desarrollo.«385 In dieser Feststellung deutet sich das Dilemma des book development bereits an: Denn der Mangel an Büchern in einer Gesellschaft war nicht nur Ausdruck und Ursache von Unterentwicklung, sondern auch dessen Folge. In einer kapitalistisch orientierten Wirtschaftsordnung bedurfte es gewisser Voraussetzungen, damit der Buchhandel florieren konnte; eine Ausweitung der Buchmärkte würde sich nur dann einstellen, wenn eine genügend große Nachfrage bestand, d. h. wenn eine hinlänglich große Leserschaft vorhanden war, die sich den Kauf von Büchern auch leisten konnte. Letztere wurde allerdings erstens durch demographische Faktoren wie die Bevölkerungsgröße bedingt und zweitens durch den Zustand des Bildungssystems und die allgemeine wirtschaftliche Situation, also durch die Kaufkraft der Bevölkerung, determiniert. Um zur Erreichung der Vision »Bücher für alle« trotz des Befundes der strukturellen Begrenztheit buchhandelsfördernder Maßnahmen beizutragen, übte das CERLALC zum einen die Funktion eines durch staatliche Beiträge und Gelder aus dem UN-System finanzierten, regionalen Branchenverbandes aus, der sich sowohl als Professionalisierungsagent auf den lateinamerikanischen Buchmärkten betätigte als sich auch – quasi als Lobbyist – bei den Regierungen für eine buchhandelsfreundliche Wirtschafts-, Kultur- und Bildungspolitik einsetzte. Die Aufgabe des Staates bestand in den Augen des UNESCO-Buchförderungszentrums darin, durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen – das meinte vor allem eine rasche Überwindung der Alphabetisierung und einen zügigen Ausbau der (Schul-)Bildung – sowie durch Wirtschaftsförderung und den Ausbau des Bibliothekswesens zur Entfaltung des privatwirtschaftlichen Buchhandels beizutragen. Zum anderen entwickelte das CERLALC Konzepte, mit deren Hilfe die Begrenztheit der nationalen Buchmärkte überwunden und in ganz Hispanoamerika eine rentable, vergleichsweise erschwingliche und diversifizierte Titelproduktion ermöglicht werden sollte. Sowohl das Kopublikationsprojekt als auch das Vorhaben, einen Gemeinsamen Buchmarkt in Lateinamerika zu etablieren, zielten darauf, die innerhalb der lateinamerikanischen Buchmärkte bestehenden Dominanz- und Abhängigkeitsstrukturen zu durchbrechen und dafür zu sorgen, dass durch Zusammenarbeit und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen Verlage in allen hispanoamerikanischen
385 Informe preliminar sobre la situación actual del libro en América Latina, o. D. [etwa 1976] (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–008).
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Book development in Lateinamerika: Eine Fallstudie
Staaten – und nicht nur ausschließlich in den bevölkerungsreichen Ländern – gleichberechtigt von den Vorteilen des großen, durch die gemeinsame Sprache bedingten übernationalen Wirtschaftsraumes für Bücher profitieren könnten. Dabei verweist insbesondere das Kopublikationsprojekt darauf, dass das harmonische Teilen eines gemeinsamen Marktes mit Benefiz für alle Beteiligten prinzipiell möglich war, vorausgesetzt, die stärkeren Marktteilnehmer verzichteten darauf, alle Absatzpotenziale selbst ausschöpfen zu wollen. War die gemeinsame spanische Sprache die Voraussetzung, die die Konzeption vieler Maßnahmen zum book development für den hispanoamerikanischen Raum erst ermöglichten, war sie gleichsam auch die Ursache dafür, dass sich – insbesondere in den kleineren Staaten des Kontinents – ein einheimisches, privatwirtschaftlich organisiertes Verlagswesen kaum entwickeln konnte. Denn den gesamtiberoamerikanischen Absatzmarkt mit seinen Wachstumspotenzialen insbesondere im Lehrbuchsegment zu bedienen, schien nicht nur für Verlage in Mexiko und Argentinien, sondern insbesondere auch für den spanischen und US-amerikanischen Buchhandel wirtschaftlich äußerst lukrativ. Die Expansion dieser Akteure auf die lateinamerikanischen Buchmärkte war in einem kapitalistisch organisierten, sich zunehmend international verflechtenden System auch aufgrund des als unantastbar geltenden Grundsatzes des freien Flusses von Büchern und Kapital und ungeachtet der vom CERLALC propagierten und einigen Ländern auch umgesetzten Unterstützungsleistungen für die nationale Buchbranche letztlich kaum aufzuhalten.
9 Exkurs: Zwischen Ideologie und Geschäft – Bücher im Kalten Kulturkrieg Im Oktober 1962, als der Kalte Krieg in der Kubakrise auf einen dramatischen Höhepunkt zusteuerte, setzte die US-amerikanische Regierung einen Beirat für ihr internationales Buchprogramm ein: Repräsentanten der Verlagswirtschaft sollten zusammen mit Vertretern der United States Information Agency und der nationalen Behörde für internationale Entwicklung USAID über Wege beraten, wie die Präsenz US-amerikanischer Bücher im Ausland erhöht werden könnte.1 In der Pressemitteilung hieß es: [T]he communist deluge of printed matter is disturbing [. . .] [W]e in this country can compete with anyone in communicating ideas. We should not shrink from a contest in the form of a printed word [. . .] Our greatest advantage is that we are a free society [. . .] Thus [. . .] [books] are good ambassadors for us [. . .] We in the government must do more, and we are calling upon you in the book industry.2
Bücher waren Teil einer in den fünfziger und sechziger Jahren stark expandierenden Kulturoffensive, die als Instrument US-amerikanischer Außenpolitik auf einen Transfer weltanschaulicher Vorstellungen und westlicher Werte zielte, um Gesellschaften gegen die Einflüsse des Kommunismus zu immunisieren und deren Modernisierung im Sinne des kapitalistisch-liberalen Fortschrittsmodells voranzutreiben.3 Wurden 1 Vgl. Stanley A. Barnett/Roland R. Piggford: Manual on Book and Library Activities in Developing Countries. Washington, D.C.: Agency for International Development 1969, S. 20–21. Siehe umfassend zu den Tätigkeiten des Government Advisory Committee und der Verabschiedung der National Policy on International Book and Library Activities im Jahr 1967: Mokia: National Policy on International Book and Library Activities; sowie die komprimierte Fassung dieser Dissertation: Dies.: Publishers, United States Foreign Policy and the Third World, 1960–1967. In: Publishing Research Quarterly 11 (1995), H. 2, S. 36–51. 2 Secretary Names Advisory Committee on International Book Programs. In: Department of State Bulletin 47 (1962), H. 1218 vom 29.10.1962, S. 666. 3 Die auswärtige Kulturpolitik der USA im Kalten Krieg ist in zahlreichen Studien unter unterschiedlichen Perspektiven und Gesichtspunkten untersucht worden, es sei hier stellvertretend verwiesen auf: Laura Belmonte: Selling Capitalism. Modernization and U. S. Overseas Propaganda 1945–1959. In: Staging Growth. Modernization, Development, and the Global Cold War. Hrsg. von David C. Engerman. Amherst, Boston: University of Massachusetts Press 2003 (Culture, Politics, and the Cold War), S. 107–128; Marc Frey: Dekolonisierung in Südostasien. Die Vereinigten Staaten und die Auflösung der europäischen Kolonialreiche. München: Oldenbourg 2006 (Studien zur Internationalen Geschichte. 17), insbesondere S. 121–133; Udo M. Metzinger: Hegemonie und Kultur. Die Rolle der kulturellen soft-power in der US-Außenpolitik. Frankfurt/Main: Peter Lang 2005 (Europäische Hochschulschriften; Reihe 31: Politikwissenschaft. 513). Vgl. auch die Fallstudien: Seth Fein: Everyday Forms of Transnational Collaboration. U. S. Film Propaganda in Cold War Mexico. In: Close Encounters of Empire. Writing the Cultural History of U. S.–Latin American Relations. Hrsg. von Gilbert Michael Joseph, Catherine Carlisle LeGrand und Ricardo Donato Salvatore. Durham, London: Duke University Press 1998 (American Encounters/Global Interactions), S. 400–450; Christina Klein: Musicals and
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Exkurs: Zwischen Ideologie und Geschäft – Bücher im Kalten Kulturkrieg
Radio- und Fernsehsendungen sowie Filmvorführungen als Voice of America gemeinhin eine höhere Wirkkraft und Reichweite als Büchern zugesprochen, kamen letztere ebenso als Propagandawerkzeuge und Modernisierungsagenten im Systemkonflikt mit der Sowjetunion zum Tragen.4 Damit fand die außenpolitisch-propagandistische Instrumentalisierung des Buches, die während des Zweiten Weltkrieges mit dem Aufbau von Informationsbibliotheken in Lateinamerika und Publikationsprojekten für das befreite Europa begonnen und in »Books are weapons in the war of ideas«5 eine wirkmächtige Losung gefunden hatte, im Kalten Krieg eine intensivierte Fortsetzung: Programme für Übersetzung und Export US-amerikanischer Bücher wurden ausgebaut; das Netz der Bibliotheken im Ausland wurde erweitert. Die ›Waffe Buch‹ diente nicht mehr der Entgiftung Europas vom Faschismus, sondern der Eindämmung kommunistischen Gedankenguts; ihr Einsatzort verlagerte sich in der globalisierten Systemauseinandersetzung nach 1945 rasch in die Länder der Dritten Welt, deren Integration in eine kapitalistische Weltordnung die USA nicht nur durch eine entsprechende Informations- und Kulturpolitik, sondern auch durch Entwicklungshilfe sicherstellen wollte. Dabei wurde die eigene wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsgeschichte nicht zuletzt in Rostows The Stages of Economic Growth. A Non-Communist Manifesto zur »Meistererzählung«6 erhoben, Modernisierung nach US-amerikanischem Vorbild zum Heils-
Modernization. Rodgers and Hammerstein’s The King and I. In: Staging Growth. Modernization, Development, and the Global Cold War. Hrsg. von David C. Engerman. Amherst, Boston: University of Massachusetts Press 2003 (Culture, Politics, and the Cold War), S. 129–162. Dass Kultur als effiziente Waffe in der Systemauseinandersetzung mit der Sowjetunion angesehen wurde, zeigt sich auch darin, dass das kulturelle Feld Teil verdeckter Operationen wurde, die diskret für die Verbreitung US-amerikanischer Werte sorgen sollten, am bekanntesten ist der von der CIA finanzierte Kongress für Kulturelle Freiheit. Vgl. hierzu stellvertretend für andere Arbeiten: Volker Rolf Berghahn: Transatlantische Kulturkriege. Shepard Stone, die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus. Stuttgart: Steiner 2004 (Transatlantische Historische Studien. 21). 4 Auswärtige Buch- und Bibliotheksprogramme US-amerikanischer Provenienz analysieren: Mokia: National Policy on International Book and Library Activities; Maymí-Sugrañes: Modernizing Underdevelopment; Kraske: Missionaries of the Book; Hench: Books as Weapons. Dokumentationen der US-amerikanischen Buch- und Bibliothekspolitik liegen vor und bieten zusammen mit Zeitschriftenartikeln einen bisher kaum genutzten Quellenfundus. Vgl.: Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities; Paxton P. Price: International Book and Library Activities. The History of a U. S. Foreign Policy. Metuchen, London: The Scarecrow Press 1982; Curtis G. Benjamin: Books Abroad. Neglected Ambassadors. Washington, D.C.: Library of Congress 1984; American Books Abroad. Toward a National Policy. Hrsg. von William M. Childs und Donald E. McNeil. Washington, D.C.: Helen Dwight Reid Educational Foundation 1986. 5 Diese Losung geht auf den Verleger Warder Norton zurück und wurde von Präsident Roosevelt aufgegriffen und verbreitet. Vgl. Robert O. Ballou: A History of the Council on Books in Wartime. 1942– 1946. New York: Country Life Press 1946, S. 5. 6 Bernd Greiner: Wirtschaft im Kalten Krieg. Bilanz und Ausblick. In: Ökonomie im Kalten Krieg. Studien zum Kalten Krieg. Band 4. Hrsg. von Bernd Greiner, Christian Th. Müller und Claudia Weber. Hamburg: Hamburger Edition 2010, S. 7–28, hier S. 21.
Exkurs: Zwischen Ideologie und Geschäft – Bücher im Kalten Kulturkrieg
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versprechen erklärt, welche nicht nur den Entwicklungsländern Prosperität garantieren, sondern auch die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gewährleisten sollte.7 Ideologische Indoktrinierung, seit 1953 in der United States Information Agency institutionalisiert, und eine modernisierende »Transformationspolitik«8 gingen vielerorts Hand in Hand, um die hegemonialen Interessen der USA durchzusetzen und die Einflüsse des kommunistischen Lagers in Asien, Nahost, Afrika und Lateinamerika zurückzudrängen.9 Buchprogramme waren in beiden dieser Instrumentarien US-amerikanischer Außenpolitik gleichermaßen vertreten, ließen sich Bücher doch sowohl als Träger und ›Botschafter‹ US-amerikanischer Werte wie Freiheit, Demokratie und privates Unternehmertum konzipieren, als auch in der Rolle des Wissensvermittlers als bedeutendes Element in jenen sozio-ökonomischen Transformationsprozessen begreifen, die stabile, wirtschaftlich prosperierende und somit gegen kommunistische Einflüsse widerständige Gesellschaften in der Dritten Welt entstehen lassen sollten: In nearly all underdeveloped countries there is an extreme shortage of books in all fields of knowledge, and [. . .] in order to achieve our goal of helping to develop economically-viable democratic societies, we need to assure that people in developing countries have access to the intellectual resources and technical skills of the Western world.10
Ein umfangreicher Teil der USIA-finanzierten Buch- und Bibliotheksprogramme zielte – auch als Gegenmaßnahme zu vermeintlichen oder tatsächlichen sowjetischen Propagandatätigkeiten – auf eine wachsende Präsenz US-amerikanischer Bücher in Originalsprache in der Dritten Welt. Das im Anschluss an die Eröffnung der Biblioteca Benjamin Franklin in Mexiko-Stadt im Jahr 1942 rasch wachsende Netz US-amerikanischer Auslandsbibliotheken11 sollte mit seinem Angebot an aktuellen Zeitungen
7 Vgl. Staging Growth. Modernization, Development, and the Global Cold War. Hrsg. von David C. Engerman. Amherst, Boston: University of Massachusetts Press 2003 (Culture, Politics, and the Cold War); Sönke Kunkel: Systeme des Wissens, Visionen von Fortschritt. Die Vereinigten Staaten, das Jahrzehnt der Modernisierungstheorie und die Planung Nigerias 1954–1965. In: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 155–182. 8 Zum Begriff der US-amerikanischen Transformationspolitik vgl.: Marc Frey: Die Vereinigten Staaten und die Dritte Welt im Kalten Krieg. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg. Studien zum Kalten Krieg. Band 1. Hrsg. von Bernd Greiner, Christian Th. Müller und Dierk Walter. Hamburg: Hamburger Edition 2006, S. 35–60. 9 Vgl. zur Dritten Welt als Schauplatz des Kalten Krieges ausführlich: Odd Arne Westad: The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2007. 10 U. S. Government’s International Book Activities, o. D. [1967], abgedruckt in: Price: International Book and Library Activities, S. 18–33, hier S. 19. Eine ähnliche Argumentation findet sich auch in: American Books Abroad. A Report of a Conference Called by the National Book Committee. New York: R. R. Bowker 1956, S. 3. 11 1954 gab es bereits gut zweihundert US-amerikanische Auslandsbibliotheken in mehr als sechzig Ländern. Vgl. Joan Collett: American Libraries Abroad. United States Information Agency Activities.
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und Magazinen sowie einem Buchbestand, der sich an landeskundlichen Themen orientierte, aber auch antikommunistisches Material präsentierte, ein »Fenster zur US-amerikanischen Seele«12 sein und als solches, wie im Smith Mundt-Act von 1948 als Zielsetzung festgehalten war, zu einem besseren Verständnis der USA im Ausland beitragen. In vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas waren diese Bibliotheken jedoch nicht ausschließlich als bibliographische Repräsentationen des US-amerikanischen Glaubenssystems konzipiert, sondern sie sollten in Ermangelung entsprechender lokaler Einrichtungen ähnlich wie die UNESCO-Pilotvorhaben Modelle sein, mit denen die Bedeutung der Bibliothek im Prozess der Wissensvermittlung und des gesellschaftlichen Wandels demonstriert wurde.13 Die ebenfalls USIA-finanzierten Buchpräsentations- und -schenkungsprogramme waren in gleicher Weise wie die Auslandsbibliotheken sowohl Teil des US-amerikanischen Progapandaapparats als auch Element des Modernisierungsprojekts.14 Während das Buchpräsentationsprogramm auf eine Beeinflussung lokaler Meinungsführer und Intellektueller setzte, indem – wie ein ehemalige Mitarbeiter der USIA beschrieb – einem einflussreichen Universitätsrektor ein Referenzwerk über höhere Bildung in den USA überreicht oder ein aufstrebender Künstler mit einem Bildband zur modernen Malerei bedacht wurde15 , waren die Bücher, die im Rahmen der USIASpendenprogramme sowie ähnlicher Projekte zivilgesellschaftlicher Initiativen wie CARE, Books USA oder Freedom House Bookshelf aus den Vereinigten Staaten zunächst nach Europa und später nach Asien und Afrika verschifft wurden, vor allem für Institutionen wie Ministerien, Forschungseinrichtungen und Universitätsbibliotheken, aber auch für öffentliche Büchereien, Schulbibliotheken oder Leseräume bestimmt, denen je nach Bedarf Unterrichtswerke und Fachliteratur oder Belletristik und Sachbücher aus den USA zur Verfügung gestellt wurden. Obgleich die Lingua franca Englisch insbesondere in den ehemaligen britischen Kolonien weit verbreitet war, profitierte letztlich nur eine Minderheit von Projekten, die englischsprachige Bücher in der Dritten Welt verfügbar machten – denn: »[P]ublic enlightenment [. . .] in the near future is simply impossible unless there
In: Library Trends 20 (1972), H. 3, S. 538–547; Mauda M. Sandvig/Lucile Dudgeon: The Library Program of the U. S. Information Agency in Latin America. In: Revista Interamericana de Bibliografía 5 (1955), H. 4, S. 291–298. Siehe zu den US-amerikanischen Bibliotheken in Lateinamerika insbesondere auch: Maymí-Sugrañes: Modernizing Underdevelopment, S. 195–210. 12 Im englischen Original: »windows to a nation’s soul and spirit«. Preface: »The Candid Communication of Ideas and Opinions Among Peoples«. In: American Books Abroad, S. i–iii, hier S. ii. 13 Vgl. Maymí-Sugrañes: Modernizing Underdevelopment, S. 196. 14 Vgl. Paul Bixler: The Charity of Books. In: Library Trends 20 (1972), H. 3, S. 478–499; Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities, S. 80–81. 15 Vgl. John W. Henderson: The United States Information Agency. New York, London: Frederick A. Praeger Publishers 1969 (Praeger Library of U. S. Government Departments and Agencies), S. 161.
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are vast quantities of books in local languages.«16 Um größeren Bevölkerungskreisen die Lektüre US-amerikanischer Bücher zu ermöglichen, wurden im Rahmen des USIA-Publikationsprogramms Übersetzungen unter anderem ins Arabische, Persische, Spanische, Portugiesische und Französische sowie in die Sprachen Urdu, Farsi und Thai finanziert. Die über 150 Millionen Exemplare, die zwischen 1950 und Mitte der achtziger Jahre in mehr als fünfzig Sprachen erschienen17 , wurden mehrheitlich von Verlagen vor Ort herausgegeben, welche hierfür Konditionen angeboten bekamen, die denjenigen des UNESCO-Lesematerialienprojekts weitgehend entsprachen: Übersetzungskosten und anfallende Lizenzgebühren übernahm die USIA, die die Veröffentlichung des Werkes durch die Abnahme einer Teilauflage in der Regel zusätzlich subventionierte.18 Während der fünfziger Jahre experimentierte die USIA auch mit in hohen Auflagen produzierten Taschenbüchern in Originalsprache und Übersetzung: Durch entsprechende Zuschüsse wurden die Verkaufspreise der ohnehin preiswert hergestellten Taschenbuchausgaben weiter gesenkt, um so den kaufkraftschwachen Bevölkerungsmehrheiten in der Dritten Welt den Erwerb US-amerikanischer Literatur zu erlauben. Da das Programm aufgrund fehlender bzw. unzureichender Vertriebsstrukturen in vielen Entwicklungsregionen die an es gestellten Erwartungen, ein ›Massenpublikum‹ zu erreichen, jedoch nicht erfüllen konnte, wurde es nach fünfjähriger Laufzeit 1960 wieder eingestellt.19 Ein besonders wirkungsvolles Mittel, um US-amerikanische Werte, Einstellungen und Wissensbestände in die Entwicklungsländer zu transportieren, stellte die Verbreitung von Schulbüchern und Fachliteratur dar. Eine Mitarbeiterin der Weltbank erläuterte in den achtziger Jahren: The publishing industry also exercises power and influence in the cultural-ideological sphere, the ways books and information mold the ideas, attitudes, and actions of those who consume them [. . .] Publishing is the major mechanisms for disseminating U. S. scientific and technological information. Through the ever increasing spread of science and technology textbooks to Latin American intellectuals, the growing hegemony of U. S. ideas and technology is assured within the region. The extensive use of U. S. text and source materials in the universities and technical schools of Latin America also helps to develop a cadre of intellectuals and technocrats favorable to and trained in he application of U. S. technology. These texts play a key role in establishing the authoritative position of the United States in these fields.20
16 Datus C. Smith: American Books in the Non-Western World. Some Moral Issues. New York: New York Public Library 1958 (Richards Rogers Bowkers Memorial Lectures. 18), S. 10. 17 Vgl. William M. Childs: A Book Publishing Program for USIA. In: American Books Abroad. Toward a National Policy. Hrsg. von William M. Childs und Donald E. McNeil. Washington, D.C.: Helen Dwight Reid Educational Foundation 1986, S. 161–179, hier S. 161 und S. 178. 18 Vgl. Henderson: The United States Information Agency, S. 75–76. 19 Vgl. Childs: A Book Publishing Program for USIA, S. 162–163. 20 Keith: United States Publishers and Textbooks in Latin America, S. 186.
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Um die Hegemonialbildungsprozesse durch US-amerikanische Lehrbücher zu befördern, stellten USIA und USAID umfangreiche Gelder für die Produktion von Schulbüchern bereit.21 Neben Asien wurde in den sechziger Jahren insbesondere Lateinamerika zu einer Schwerpunktregion: USAID trug zum Aufbau eines Schulbuchentwicklungszentrums in Mittelamerika bei und war durch finanzielle und technische Unterstützung auch wesentlich am brasilianischen Lehrbuchprojekt COLTED beteiligt.22 Zuständig für spanischsprachige Veröffentlichungen sozial- und naturwissenschaftlich-technischer Fachliteratur war das 1957 in Mexiko-Stadt gegründete Regional Technical Aids Centre (RTAC): Auf Geheiß US-amerikanischer Entwicklungshelfer veranlasste das Zentrum die Übersetzung und kleinauflagige Produktion von Publikationen wie z. B. einem Handbuch der Milchwirtschaft oder einer Anleitung zur Überprüfung von Flugzeugunfällen.23 Ferner war das RTAC auch für die Veröffentlichung von Regierungsschriften zuständig, so unter anderem einer Studie über die Auswirkungen des Mindestlohns in einer sozialistisch orientierten Gesellschaft.24 Während diese Publikationen nicht in den regulären Buchhandel kamen, arbeitete das RTAC bei kommerziell lohnenswerten Projekten wie im Fall eines Anatomielehrbuches für Medizinstudenten mit lokalen Verlagen zusammen, die bei der Herausgabe entsprechend der skizzierten Konditionen des Übersetzungsprogramms unterstützt wurden.25 Von den durch öffentliche Gelder finanzierten Projekten zur Verbesserung der Präsenz US-amerikanischer Bücher weltweit profitierte nicht zuletzt die nationale Verlagswirtschaft, die schon während des Zweiten Weltkrieges mit der Erschließung neuer Absatzmärkte außerhalb der Vereinigten Staaten und Kanadas begonnen hatte. »The opportunity exists as it never may again for American books to have an inside track to the world’s bookshelves«26 , hieß es vielsagend in einer 1944 erstellten, internen Studie des Office for War Information, der Vorgängerorganisation des USIA, die in den Kriegsjahren mit der Buchbranche eng zusammenarbeitete, um die zur
21 Vgl. Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities, S. 28–29 und S. 167–178; Benjamin: Books Abroad, S. 27–31. 22 Vgl. William V. Jackson: Fifty Million Books for Brazil. In: Wilson Library Bulletin 44 (1969), H. 2, S. 197–202. 23 Vgl. Max K. Hinds/William F. Johnstone: Manual de Economía Lechera. 2. Auflage. Mexiko-Stadt: Centro Regional de Ayuda Técnica, Agencia para el Desarrollo Internacional 1965; Clinton E. Searle: Manual de investigador de accidentes de aviación. Mexiko-Stadt: Centro Regional de Ayuda Técnica, Agencia para el Desarrollo Internacional 1964. 24 Vgl. Carlos J. Lastra: Impacto del salario mínimo en la industria socialmente orientada. MexikoStadt: Centro Regional de Ayuda Técnica, Agencia para el Desarrollo Internacional 1969. 25 Vgl. Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities, S. 154–159. 26 Revised Draft of Operational Memorandum for Books, o. D. [August 1944], zitiert nach: Hench: Books as Weapons, S. 8.
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Entnazifizierung Europas bestimmten Overseas Editions und Transatlantic Editions herauszubringen.27 Auch nach dem Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit stimmten die Zielsetzungen der auswärtigen Kulturpolitik der westlichen Supermacht mit den wirtschaftlichen Interessen und Expansionsabsichten der einheimischen Verlage weitgehend überein: Dank des im Kontext des Marshallplans entstandenen, auf den Devisenmangel vieler Länder reagierenden Informational Media Guarantee Program konnten amerikanische Buchhandelsfirmen ihre Produkte in lokalen Währungen verkaufen, da das US-Finanzministerium für deren Umtausch in US-Dollar garantierte.28 Während die Exportchancen für US-amerikanische Bücher durch das Währungsumtauschprogramm deutlich erhöht wurden und die Übersetzungs- und Publikationsprogramme die Lizenzeinnahmen ansteigen ließen, waren – entgegen erster intuitiver Vermutungen – auch die diversen Schenkungsprogramme für US-amerikanische Verlage durchaus lukrativ, da diese nicht nur im zunehmenden Maße auf neue statt auf gebrauchte Bücher zurückgriffen, sondern das USIA auch Lager- und Restbestände abnahm, für die die Unternehmen dann Steuergutschriften erhielten.29 Angesichts der materiellen Vorteile, die das außenpolitische Engagement der USA für die Buchbranche hatte, verwundert es nicht, dass sich diese für einen Ausbau der Programme starkmachte und immer wieder auf die Bedeutung ihrer Produkte als Abwehrmechanismen kommunistischer Propaganda sowie als Unterstützungsleister modernisierender Transformationsprozesse hinwies.30 Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass gerade das in den sechziger und siebziger Jahren international kräftig expandierende Verlagshaus McGraw Hill 1951 eine Broschüre mit dem Titel The Importance of Scientific and Technical Books and Magazines in the Point Four Program vorlegte, in der der Stellenwert von Fachliteratur für die Durchführung des ersten US-amerikanischen Entwicklungshilfeprogramms herausgestellt wurde, das Präsident Truman in einer außenpolitischen Grundsatzrede 1949 als vierten Punkt angekündigt hatte: American technical books must play a major role in the advancement of education, which in the long run may be one of our best weapons against Communism [. . .] For many practical and important reasons, therefore, American scientific and technical literature must be given a major
27 Vgl. zur Zusammenarbeit zwischen dem Office for War Information und dem von der US-amerikanischen Buchbranche gegründeten Council on Books in Wartime umfassend: Hench: Books as Weapons, insbesondere S. 57–60 und S. 82–93. 28 Das Informational Media Guarantee Program bestand zwischen 1948 und 1968. Vgl. Donald E. McNeil: Current Convertibility as a Barrier to Book Exports. In: American Books Abroad. Toward a National Policy. Hrsg. von William M. Childs und Donald E. McNeil. Washington, D.C.: Helen Dwight Reid Educational Foundation 1986, S. 51–65, hier S. 55–62. 29 Vgl. Henderson: The United States Information Agency, S. 229. 30 Vgl. exemplarisch: Lawrance S. Thompson: Books Are Basic beyond the Bosphorus. In: ALA Bulletin 46 (1952), H. 6, S. 193–195; American Books Abroad, S. 18 und S. 20; Benjamin: Books Abroad, S. 72.
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role in the Point Four Program for aid to underdeveloped areas. This may be accomplished only through the allotment of Point Four funds for the purchase of books and magazines and for their distribution to the areas where they are so badly needed. These books and magazines, whose dollar cost is negligible and yet whose lasting value and effectiveness are immeasurable, are the indispensable basis for a successful Technical Assistance Program; they are tools of freedom and emissaries of democracy.31
Die US-amerikanische Verlagsbranche beschränkte sich jedoch nicht darauf, lediglich im Rahmen außenpolitischer Projekte neue Absatzmärkte und -kanäle zu erschließen, sondern wurde zunehmend selbst aktiv; das galt insbesondere für diejenigen Häuser, die sich wie McGraw Hill, John Wiley oder Prentice Hall auf die Herausgabe wissenschaftlicher Fachliteratur und (universitärer) Lehrbücher spezialisiert hatten.32 Waren diese Unternehmen vor dem Zweiten Weltkrieg fast ausschließlich national orientiert, betrieben sie nach 1945 eine konzentrierte Internationalisierungspolitik, die zunächst vor allem in Form steigender Exporte zum Ausdruck kam: Während der Buchaußenhandel vor dem Krieg lediglich fünf Millionen US-Dollar erwirtschaftet hatte, wurden 1962 bereits Bücher im Wert von über einhundert Millionen US-Dollar aus den Vereinigten Staaten ausgeführt. Im Durchschnitt setzten USamerikanische Verlagshäuser Anfang der sechziger Jahre damit rund zehn Prozent ihrer Gesamtproduktion auf Auslandsmärkten ab, bei Fach- und Universitätsverlagen lag dieser Anteil sogar bei zwei Fünfteln.33 Bis 1975 wuchs das Gesamtexportvolumen von Büchern auf 280 Millionen US-Dollar, fünf Jahre später betrug es fast 600 Millionen US-Dollar. Die USA war damit vor Großbritannien der größte Buchexporteur der Welt.34 Erklärt sich der enorme Anstieg der US-Exporte daraus, dass Englisch die Lingua franca im globalen Wissenschaftsbetrieb und zudem in vielen ehemaligen Kolonien des Empire als Amts- und Alltagssprache weit verbreitet war, dass also große Märkte für englischsprachige Bücher existierten, die die US-Branche bis dato ihrer britischen Konkurrenz überlassen hatte und nun zunehmend zu bedienen suchte, zeigte sich schnell, dass trotz der Universalität der englischen Sprache die Exporte US-amerikanischer Bücher nicht unbegrenzt zu steigern waren: Vor allem in der Drit-
31 The Importance of Scientific and Technical Books and Magazines in the Point Four Program. New York: McGraw Hill [1951], zitiert nach: Maymí-Sugrañes: Modernizing Underdevelopment, S. 310–311. 32 Vgl. zur Internationalisierung des US-amerikanischen Buchhandels: Beth Luey: The Organization of the Book Publishing Industry. In: A History of the Book in America. Volume 5: The Enduring Book. Print Cuture in Postwar America. Hrsg. von David Paul Nord, Joan Shelley Rubin und Michael Schudson. Chapel Hill: The University of North Carolina Press, American Antiquarian Society 2009, S. 29–54, hier S. 30–34. 33 Vgl. Peter S. Jennison: American Books Abroad. In: Bulletin of the Atomic Scientists (1963), H. 12, S. 31–33, hier S. 31. 34 Vgl. Fariba Razavi-Tavakoli: International Flows of Selected Cultural Goods, 1970–1987. Paris: UNESCO 1992 (Statistical Reports and Studies. 32), S. 13.
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ten Welt waren es zum einen die geringe Kaufkraft, zum anderen die unzureichenden Vertriebsstrukturen, die einer größeren Abnahme der hochpreisigen Bücher aus den USA entgegenstanden. Da aber gerade die Buchmärkte in der unterentwickelten Welt, insbesondere in bevölkerungsreichen Staaten wie Indien, Mexiko und Brasilien, aufgrund steigender Bildungsausgaben große Wachstumsraten versprachen und daher im höchsten Maße attraktiv für die US-amerikanische Bildungsverlage waren, die sich mit einem weitgehend gesättigten Binnenmarkt konfrontiert sahen, mussten Strategien entwickelt werden, wie der wachsende Bedarf über den Export hinaus bedient werden konnte. Als einer der Pioniere in der globalen Erschließung neuer Absatzmärkte, in deren Folge multinationale Verlagskonglomerate entstanden, darf das Verlagshaus McGraw Hill gelten, das unter seinem langjährigen leitenden Mitarbeiter und späteren Geschäftsführer Curtis Benjamin in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem globalen Akteur aufstieg.35 Die Internationalisierungsstrategien von McGraw Hill umfassten zum einen die Herausgabe sogenannter International Students Editions, Reprints von Lehrbüchern, die frühestens achtzehn Monate nach Erscheinen der Originalausgabe in Zusammenarbeit mit Partnerverlagen als Lizenzausgaben in Asien gedruckt und zu Preisen verkauft wurden, die deutlich unter denjenigen lagen, die auf dem US-amerikanischen Markt erzielt wurden.36 Zum anderen baute McGraw Hill in zahlreichen Ländern eigenständige Verlage auf, die wie etwa in Mexiko aus Vertriebsniederlassungen hervorgingen und als hundertprozentige Tochterverlage vor allem Übersetzungen US-amerikanischer Bücher in ihrem Programm hatten, oder aber, wie beispielsweise in Indien, aufgrund entsprechender gesetzlicher Bestimmungen als Gemeinschaftsunternehmen mit einheimischen Partnern gegründet wurden.37 Das Engagement US-amerikanischer Verlage in Ländern der Dritten Welt – wie hier am Beispiel von McGraw Hill skizziert – wurde im gleichen Zuge sowohl als kommerziell motiviert als auch als Beitrag zur Entwicklung des Buchhandels vor Ort begriffen: In engaging in publishing ventures in developing countries, the U. S. publisher must in most instances look to long-range rather than immediate benefits. He must also look to intangible as well as tangible benefits, and to societal as well as personal or corporate benefits [. . .] Through
35 Vgl. Benjamin: Candid Critique of Book Publishing, hier insbesondere Kapitel 15 (S. 105–111) und Kapitel 16 (S. 112–118). 36 Vgl. Ders.: Producing English-Language Reprints of University Textbooks and Reference Books. In: Book Publishing in Asia. Report on the Regional Seminar on Book Publishing Held on 21–25 March, 1969 in Singapore. Sponsored Jointly by Franklin Book Programs Inc. USA and Singapore Book Publishers Association. Singapore: Eurasia Press, Singapore Book Publishers Association 1970, S. 44–45; Leo N. Albert: Multinational Publishing. In: International Publishing Today. Problems and Prospects. A Festschrift in Honour of Manuel Salvat. Hrsg. von Om Prakash Ghai und Narendra Kumar. Delhi: The Bookman’s Club 1984, S. 44–52, hier S. 46–47. 37 Vgl. McGraw-Hill de México. In: Fichero bibliográfico hispanoamericano 10 (1971), H. 6, S. 2–3.
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the experience a U. S. publisher gains in a country’s trading practices and local markets, and by establishing the company’s imprint and ›presence‹ in the country, he is very soon much better to promote export sales to the country. Furthermore, in helping to build and support book publishing skills, and by increasing literacy and improving education, he is promoting economic progress and political stability in nations that will eventually provide extensive export markets for U. S. books. This is a long-range benefit, but in several developing nations the potential can eventually be large.38
Eine ähnliche Verbindung materieller Interessen und altruistisch-philanthropischer Wohltaten, wie sie der internationalen Expansion US-amerikanischer Verlage rhetorisch zugeschrieben wurde, lag auch der Gründung von Franklin Publications (später: Franklin Book Programs) zugrunde, einer zumindest offiziell als gemeinnützig firmierenden, 1952 von führenden Vertretern der US-amerikanischen Buchbranche ins Leben gerufenen Organisation, die sich bis zu ihrer Auflösung 1979 für die Ausweitung des Buchhandels in der Dritten Welt einsetzte.39 Während der ehemalige Leiter der Princeton University Press und langjährige Franklin-Präsident Datus C. Smith 1958 in einem Vortrag an der New York Public Library hervorhob, dass die Stärkung des Verlagswesens in den Entwicklungsländern langfristig auch dem US-amerikanischen Buchhandel zugutekomme, America will sell more books to a country which has a vigorous publishing industry of its own than to one which is entirely dependent upon imports. This is because the elite who are bookreaders in English do not rise from nothing. They rest on a foundation. They represent the top portion of an educational pyramid with a broad base. The weight at the top cannot be increased unless the base is broadened first. The customers for American books cannot become much more numerous unless there is first a general broadening of literacy and education in the local languages40 ,
wurde in den Selbstbeschreibungen des Programms dessen Uneigennützigkeit stets hervorgehoben: »Franklin’s fundamental purpose [. . .] [is] helping countries towards self-determined development.«41 In den Anfangsjahren war Franklin vor allem für die USIA in der Vermittlung von Übersetzungen tätig und sorgte dafür, dass »amerikanische Werte verlegt wurden«42 . Die Publikation US-amerikanischer Bücher in lokalen Sprachen wurde in erster Linie
38 Books for Developing Countries. A Guide for Enlisting Private-Industry Assistance. New York, Washington, D.C.: Franklin Book Programs, Agency for International Development 1969, S. 25–26. Ähnlich auch: Benjamin: Candid Critique of Book Publishing, S. 119–120. 39 Vgl. zum Franklin Book Programs: Laugesen: Books for the World; Robbins: Publishing American Values. Beide Aufsätze beruhen wesentlich auf den Archivbeständen des Programms, die sich an der Mudd Manuscript Library (Princeton University) befinden. 40 Smith: American Books in the Non-Western World, S. 20. 41 J. M. Filstrup: Franklin Book Programs/Tehran. In: International Library Review 8 (1976), H. 4, S. 431–450, hier S. 432. 42 Robbins: Publishing American Values.
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an den Brennpunkten des Kalten Krieges arrangiert: Das erste Franklin-Büro eröffnete 1952 in Kairo, weitere folgten unter anderem in Kabul, Teheran, Bagdad und Beirut. Wenn Franklin in den sechziger Jahren seine Tätigkeiten auch auf den afrikanischen und lateinamerikanischen Raum ausdehnte und in Buenos Aires, Rio de Janeiro und Lagos Büros unterhielt, blieben die im Systemkonflikt mit der Sowjetunion geostrategisch besonders bedeutenden Länder des Nahen und Mittleren Ostens und Asiens Hauptaktionsorte des Programms.43 In den ersten zehn Jahren seines Bestehens vermittelte Franklin über 1.600 Übersetzungen aus dem US-Amerikanischen, die in einer Gesamtauflage von 29 Millionen Exemplaren weltweit erschienen.44 Der zentrale Grundsatz des Projekts bestand in seiner lokalen Ausrichtung. Von den wenigen Angestellten der New Yorker Zentrale abgesehen waren die Mitarbeiter der Auslandsbüros inklusive der Geschäftsführer Einheimische. Auch die Titelauswahl, also die Frage, welche US-amerikanischen Bücher überhaupt übersetzt werden sollten, lag in den Händen nationaler Auswahlkomitees.45 Mit diesem »antiimperialistischen Ansatz«46 sollte gewährleistet werden, dass ausschließlich solche Bücher erschienen, die dem tatsächlichen Bedarf in dem jeweiligen Land entsprachen und nicht nur wegen ihrer pro-amerikanischen Positionen oder anti-kommunistischen Tendenzen ausgesucht wurden: In considering Soviet vs. U. S. cultural activity, there is always the danger of coming to feel it is a kind of international popularity contest. But the interest of the United States should not be to persuade [. . .] that Americans are fine fellows. Rather, the whole effort should be directed toward helping [. . .] to attain the intellectual and moral and spiritual strength which gives the insight to expose Communist hypocrisy, just as economic strength gives the inner fiber which prevents countries from being pushed around in other ways.47
Zu den von den lokalen Auswahlkomitees am meisten nachgefragten Sachgebieten zählten Kinderbücher, Ratgeber und historisch-geographische Länderstudien über den Mittleren Osten und Asien; aber auch Belletristik war beliebt. Eines der umfangreichsten Buchprojekte, das Franklin unterstützte, war die Übersetzung und inhaltliche Anpassung der Columbia-Viking Encyclopedia, die unter anderem ins Urdu und Persische übertragen wurde.48
43 Vgl. ebd., S. 639. 44 Vgl. Datus Smith: Ten Years of Franklin Publications. In: ALA Bulletin 57 (1963), H. 6, S. 507–512, hier S. 507. 45 Vgl. Ders.: Books for Developing Countries. The Franklin Book Programs. In: Quarterly Journal of the Library of Congress 40 (1983), H. 3, S. 255–265, hier S. 257–258. 46 Im englischen Original: »nonimperialistic approach«. Hench: Books as Weapons, S. 262. 47 Datus C. Smith: American Books in the Middle East. In: Library Trends 5 (1956), H. 1, S. 46–72, hier S. 56. 48 Vgl. Ders.: Books for Developing Countries, S. 261–265. Eine Analyse der durch das Franklin Book Programs übersetzten Bücher, die sich als Sammlung an der Library of Congress befinden, steht noch aus.
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Das bereits in der lokalen Verankerung des Programms deutlich werdende Franklin’sche Selbstverständnis, im Dienst des lokalen Buchhandels zu stehen und die bibliographischen Bedürfnisse des jeweiligen Landes zu bedienen, anstatt sich als direkter, unmittelbarer Teil des US-amerikanischen Propagandaapparats zu begreifen, wurde auch darin manifest, dass sich Franklin in den sechziger Jahren diskursiv eindeutig dem Modernisierungsprojekt verschrieb, indem es das Buch – in ähnlicher Weise wie die UNESCO – als bedeutendes Element in Transformationsprozessen sowie das Vorhandensein eines lokalen Buchhandels als unabdingbar für nationale Entwicklung und die Entstehung demokratischer Strukturen begriff, eine Position, die den modernisierungstheoretischen Paradigmen des USAID entsprach: No industrialized economy can function, and no developing nation can advance, without making important, intensive use of books. For the developing countries [. . .] books are a most important (and in most cases the only practical) tool through which the citizens of the country can develop en masse the knowledge and skills required to accelerate effectively the national growth process.49
In dem Maße, in dem sich Franklin mehr und mehr als Entwicklungshilfeorganisation verstand, die den Aufbau des lokalen Buchhandels vorantrieb, erweiterte sich auch sein Tätigkeitsfeld.50 Zwar blieb die Vermittlung von Übersetzungen US-amerikanischer Bücher zentral, das Programm wurde jedoch durch die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen, die Erarbeitung umfangreicher Buchmarktanalysen und die Publikation von Handbüchern ergänzt, Projekte, die mehrheitlich durch Gelder der US-amerikanischen Entwicklungsagentur finanziert waren.51 Franklin wurde damit zu einer ausführenden Instanz des USAID-Buchprogramms, das zwischen 1962 und 1969 von einer eigenständigen Abteilung, der Central Book Activities Unit, verantwortet wurde. Diese betreute Schulbuchprojekte, ließ Studien erstellen und organisierte Tagungen, so auch jene Washingtoner Konferenz, die den entscheidenden Anstoß zum Book Development-Programm der UNESCO gab.52 Wurden somit die Mehrheit der Franklin-Projekte in nicht unerheblicher Weise durch USIA und USAID finanziert, konnten die Büros in Teheran und Kabul eine größere finanzielle Unabhängigkeit erlangen: Sie wurden von den Bildungsministerien als Dienstleister und Berater engagiert und als solche mit dem Aufbau von Druckkapazitäten und der Schulbuchproduktion betraut.53
49 Stanley A. Barnett: Role of Books as Tools of National Development. In: Books and National Development. Seminar Report. April 27–29, 1968, Seoul. Seoul: Korean Publishers Association 1968, S. 19–23, hier S. 19. Vgl. ähnlich auch: Smith: Books and Problems of Urbanization. 50 Vgl. Laugesen: Books for the World, S. 127–128. 51 Vgl. Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities, S. 152. 52 Vgl. zu den USAID-Buchprogrammen: Mokia: National Policy on International Book and Library Activities, S. 112–120; Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities, S. 22–26. 53 Vgl. Filstrup: Franklin Book Programs.
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Im Franklin Book Programs spiegelt sich auf besonders anschauliche Weise wider, wie nach 1945 die außenpolitischen Zielsetzungen der US-Regierung und die Interessen der amerikanischen Buchbranche ineinandergriffen und sich materielle, ideologische und altruistisch-philantrophische Motive miteinander verbanden.54 Das Zusammenspiel zwischen Regierungsorganisationen und Verlagswirtschaft war für beide Seiten gleichermaßen vorteilhaft. Die Buchbranche profitierte von einer staatlichen Teilfinanzierung ihrer globalen Expansionsbestrebungen. Dieses galt sowohl für die Programme, die im direkten, propagandistischen Systemkonflikt mit der sozialistischen Welt auf eine höhere Präsenz US-amerikanischer Bücher im Ausland zielten und die Export- und Lizenzeinnahmen der US-amerikanischen Verlage anstiegen ließen, als auch für jene Maßnahmen, die im Sinne einer modernisierenden Transformationspolitik ein subtileres Instrument der Eindämmungspolitik darstellten: Die Ausweitung des einheimischen Buchhandels wurde als Teil eines umfangreichen Projekts zum Aufbau wirtschaftlich prosperierender, demokratischer Gesellschaften in der Dritten Welt konzipiert, die derart nicht nur immun gegen den Kommunismus, sondern auch zu einem Absatzmarkt für US-amerikanische Güter, in diesem Fall Bücher, werden sollten. Für die US-amerikanischen Regierungsorganisationen, insbesondere für die USIA, war die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Institutionen und Stiftungen ebenfalls nützlich, standen die Leitsterne des US-amerikanischen Glaubenssystems wie freie Marktwirtschaft, privates Unternehmertum, Meinungsfreiheit und eine geringe staatliche Intervention doch einer massiven staatlichen Propagandamaschinerie, wie sie die Sowjetunion betrieb, diametral entgegen: Die Ermunterung zu privaten Initiativen und deren kaum publik gemachte Unterstützung durch öffentliche Gelder stellten wie im Fall von Franklin eine Möglichkeit dar, in der öffentlichen Sphäre im Sinne der Vereinigten Staaten zu wirken, ohne durch Propagandamaßnahmen, die sichtbar staatlich organisiert waren, die zu verbreitenden US-amerikanischen Werte zu konterkarieren.55 Dem britischen Buchhandel, der bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die englischsprachigen Märkte in Übersee quasi als Monopolist bedient hatte, wuchs mit der international expandierenden US-amerikanischen Verlagsbranche ein ernst zu nehmender und ungeliebter Wettbewerber heran.56 Die durch die Kriegsjahre geschwäch-
54 Vgl. Laugesen: Books for the World, S. 140. 55 Vgl. Robbins: Publishing American Values, S. 643; Laugesen: Books for the World, S. 132. Im Bereich der Buchhandels- und vor allem der Bibliotheksförderung in Ländern der Dritten Welt waren neben Franklin auch die US-amerikanische Bibliotheksvereinigung ALA sowie philantrophische Stiftungen wie Rockefeller, Ford und die Asia Foundation aktiv. Vgl. dazu: Beverly J. Brewster: American Overseas Library Technical Assistance, 1940–1970. Metuchen: The Scarecrow Press 1976; Books in Human Development, darin das Kapitel »U. S. Private Agency Programs«, S. 103–127. 56 Bereits während des Zweiten Weltkrieges war es zwischen britischen und US-amerikanischen Branchenvertretern zu heftigen Meinungsverschiedenheiten gekommen, weil aus den Vereinigten Staaten Bücher nach Südafrika und Australien, also in Territorien des Commonwealth, exportiert wur-
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te und unter dem (Papier-) Mangel der Nachkriegszeit leidende britische Verlagsindustrie befürchtete, große Teile ihres Exportgeschäfts an die USA zu verlieren: The situation is [. . .] serious. It arises from the paper shortage and the production bottleneck in book manufacture. In a word, British publishers, through no fault of their own, are now faced with overseas competition which is unfair in the sense that while labour, power and raw materials continue in short supply, British publishers can do virtually nothing to meet it. The dimensions of the problem which must be resolved in a spirit of urgency can be indicated from illuminating statistics quoted by Mr. Edmund Penning-Rowsell [. . .] He points our that ›to-day we have not only fewer books to sell but have to compete, usually with inferior-looking books, with a vastly increased stream of American books. In 1938 American exports of books totalled $ 5,200,000. By 1945 they had risen to $ 11,600,000, and last year to $ 18,600,000. British figures at ₤ 3,100,000 (1938) to ₤ 5,100,000 (1945) show nothing like the same proportional increase. In the Dominions in particular the challenge is growing acute.‹57
Da auf ausländischen Märkten traditionell etwa ein Drittel der britischen Buchproduktion abgesetzt wurde58 , der Auslandsbuchhandel mithin äußerst bedeutsam war, intensivierte die Branche in der unmittelbaren Nachkriegszeit ihre Bemühungen, den Anteil britischer Bücher auf den Weltmärkten und insbesondere in den (ehemaligen) Kolonien zu konsolidieren.59 Innerhalb der Verlegervereinigung richtete man zunächst einen Export Research Service ein, der Analysen von Auslandsmärkten anfertigte und den britischen Unternehmen exportrelevante Informationen zur Verfügung stellte60 ; 1965 wurde schließlich der Book Development Council mit dem Ziel ins Leben gerufen, exportfördernde Maßnahmen für die Branche zu erarbeiten und durchzuführen.61 Ähnlich wie die US-amerikanische Konkurrenz bauten auch die großen britischen Bildungs- und Fachbuchverlage wie die Oxford University Press, Longman, Macmillan und Heinemann ihre Präsenz in der Dritten Welt durch die Gründung von Vertriebsniederlassungen oder Tochterverlagen aus.62 Kampagnen wurden gestartet, die den Buchaußenhandel nicht nur als wirtschaftlich essenziell für eine gesunde, nationale Verlagsindustrie darstellten, sondern auch auf die außenpolitische Qualität von Büchern als Botschafter abhoben, und in denen nicht zuletzt im Sinne des von
den, deren Belieferung die Briten exklusiv für sich beanspruchten. Vgl. umfassend: Hench: Books as Weapons, Kapitel 10 und 11. Vgl. zur Situation des Buchhandels in Großbritannien nach 1939: Holman: Print for Victory. Book Publishing in England 1939–1945. 57 Cecil Palmer: Export or Starve – Culturally. In: Publishers’ Circular and Booksellers’ Record 161 (1947), H. 4222, S. 459–460, hier S. 460. 58 Vgl. R. J. L. Kingsford: The Publishers Association. 1896–1946. Cambridge: Cambridge University Press 1970, S. 187. 59 Vgl. Amy Flanders: »Our Ambassadors«: British Books, American Competition and the Great Book Export Drive 1940–60. In: English Historical Review CXXV (2010), H. 515, S. 875–911. 60 Vgl. ebd., S. 900–902. 61 Vgl. Benjamin: Books Abroad, S. 59–60. 62 Vgl. Feather: A History of British Publishing, S. 181–193.
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der Verlegerikone Stanley Unwin geprägten Mottos »Trade follows the book« Buchausfuhren als Türöffner für einen prosperierenden Export anderer britischer Güter präsentiert wurden. Dies sollte Regierung zu staatlichen Unterstützungsleistungen für den Auslandsbuchhandel bewegen, Unterstützungsleistungen, die, wie beständig betont, die US-amerikanische Konkurrenz von ihrer Regierung längst erhalte.63 Wie groß die Konkurrenz zwischen britischen und US-amerikanischen (Bildungs-) Verlagen um Marktanteile in den Entwicklungsregionen war und in welchem Maß staatlich subventionierte Buchprogramme immer auch als Abwehrreaktion auf die ›rote Bedrohung‹ aus China, vor allem aber aus der Sowjetunion entstanden, zeigt der Blick auf Indien, das als ehemalige Kolonie zwar ein traditioneller Absatzmarkt für britische Produkte war, das aber auch für die US-Verlagsbranche als bevölkerungsreiche Wachstumsregion eine hohe Attraktivität besaß und zudem als strategisch bedeutsamer blockfreier Staat ein Schlachtfeld des Kalten Krieges wurde.64 Auf der britischen Insel und in den Vereinigten Staaten beobachtete man Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre die »Buchoffensive Moskaus«65 und insbesondere den Vertrieb stark subventionierter sowjetischer Lehrwerke in englischer Sprache mit großer Besorgnis: In India, as elsewhere in the emerging world, the Communists have distributed textbooks, with heavy ideological content, for college and high-school use. These textbooks are fantastically cheap, selling for about one-fourth of their production costs. State control of both Soviet and Chinese production facilities permits other sectors of the economy to absorb the losses generated in the publishing industry. It may be part of the Communist design to show the underdeveloped world how cheaply goods can be produced in a ›workers’ state‹.66
Die massive Präsenz von Lehrbüchern sowjetischer Herkunft veranlasste offizielle Stellen dazu, 1959 ein British Books Overseas Advisory Committee einzusetzen, das über Maßnahmen beriet, wie die Konkurrenzfähigkeit britischer Bücher in den Märk-
63 Vgl. Books Our Ambassadors – Viscount Chandos. Earnest Plea for Government Aid for Our Book Exports. In: Publishers’ Circular and Booksellers’ Record 172 (1958), H. 4814, S. 1283 und S. 1289. Siehe auch: Barker: Books for All, S. 38. 64 Vgl. Philip G. Altbach: Publishing in India. An Analysis. Delhi u.a.: Oxford University Press 1975, S. 63–64. 65 Im englischen Original: »Moscow-based book offensive«. Peter S. Jennison: American Books in Europe. In: Library Trends 5 (1956), H. 1, S. 73–97, hier S. 74. 66 Daniel P. Bergen: Communist and American Cultural Strategy in Asia, Africa, and Latin America. In: Library Quarterly 32 (1962), H. 2, S. 111–132, hier S. 126. Vgl. ähnliche Beobachtungen bei: William Rutter: American Books in South Asia. In: Library Trends 5 (1956), H. 1, S. 98–120, hier S. 110–111 und S. 118; Year of Crisis. Communist Propaganda Activities in 1956. Hrsg. von Evron Maurice Kirkpatrick. New York: Macmillan 1957, S. 179–181; Frederick Charles Barghoorn: The Soviet Cultural Offensive. The Role of Cultural Diplomacy in Soviet Foreign Policy. Princeton: Princeton University Press 1960, S. 168.
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ten der Dritten Welt zu verbessern sei.67 Während durch eine Wiederbelebung des bereits zwischen 1940 und 1947 operierenden British Book Export Scheme reguläre Buchausfuhren dadurch erleichtert werden sollten, dass Niederlassungen des British Council als Koordinationsinstanzen fungierten, die lokalen Buchhändlern aktuelle bibliographische Informationen zur Verfügung stellten und bei Problemen des Währungsumtauschs behilflich waren, stellte die 1960 lancierte English Language Book Society (ELBS) ein Novum dar.68 Im Rahmen dieses später auch als Educational LowPriced Book Scheme firmierenden Programms subventionierte die Regierung die Herausgabe von internationalen Ausgaben britischer College- und Universitätslehrbücher, die für ein Drittel oder sogar ein Fünftel des Originalpreises in die Entwicklungsregionen exportiert wurden.69 Über eine Million britischer Lehrbücher sollen so jedes Jahr in der ganzen Welt abgesetzt worden sein, über sechzig Prozent davon allein in Indien.70 Während die ELBS-Lehrbücher in Großbritannien hergestellt wurden und somit weder die Verlagsindustrie Indiens an der Produktion beteiligt war, noch indische Curricula Berücksichtigung fanden, setzte das US-amerikanische ›Gegenprojekt‹ auf eine Einbindung einheimischer Kräfte. Im Rahmen des 1962 als Teil der amerikanischen Entwicklungshilfe ins Leben gerufenen US-indischen Lehrbuchprogramms (Joint Indo-American Textbook Program) erhielten lokale Buchhandelsfirmen hohe Zuwendungen, um diejenigen nordamerikanischen Bücher nachzudrucken und zu niedrigen Preisen auf den Markt zu bringen, die ein indisches Gremium zuvor unter Berücksichtigung der Lehrpläne und der bereits vorhandenen Unterrichtsmaterialien ausgewählt hatte.71 Zwischen 1962 und 1981 wurden auf dem Subkontinent auf diese Weise über 1.800 US-amerikanische Lehrbücher in einer Gesamtauflage von über acht Millionen Exemplaren produziert.72 Die Verlage in den USA profitierten dabei nicht nur von den Lizenzgebühren, die ihnen USIA und USAID bezahlten, sondern nutzten die attraktiven Konditionen des Programms – bis zu achtzig Prozent der Produktionskosten wurden durch Subventionen gedeckt – auch, um selbst auf dem indischen Markt zu expandieren: Mit indischen Partnern wurden Affiliated East-West Press unter Beteiligung von Van Nostrand (1962), Prentice-Hall of India (1963), Wiley Eastern
67 Vgl. Government Aid for Book Exports. In: British Books 173 (1959), H. 4849, S. 3; Coombs: Spreading the Word, S. 121. Vgl. auch: Hill: In Pursuit of Publishing, S. 315. 68 Vgl. Coombs: Spreading the Word, S. 121 und S. 134–135. 69 Vgl. Amanda Buchan: Book Development in the Third World. The British Experience. In: Publishing and Development in the Third World. Hrsg. von Philip G. Altbach. London, Melbourne, München u. a.: Hans Zell Publishers 1992 (Hans Zell Studies on Publishing. 1), S. 349–363, hier S. 355–356; Read: International Donor Agencies and Book Development, S. 208. 70 Vgl. Altbach: Publishing in India, S. 67. 71 Vgl. Barnett/Piggford: Manual on Book and Library Activities, S. 28–29; Altbach: Publishing in India, S. 70–72. 72 Vgl. Benjamin: Books Abroad, Appendix E: Joint Indo-American Textbook Program, S. 90.
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(1966) und Tata McGraw Hill (1970) gegründet.73 Zusammen mit den teilweise bereits seit Jahrzehnten bestehenden Niederlassungen britischer Verlage wie der Oxford University Press, Macmillan und Orient Longman dominierten sie den Lehrbuchmarkt des Subkontinents.74 Die US-amerikanischen und britischen Buchprogramme wurden in Indien nicht ausschließlich positiv wahrgenommen, sondern stießen teilweise auf massive Kritik.75 So wiesen lokale Verleger darauf hin, dass durch die angelsächsischen Projekte der Lehrbuchmarkt für die Sekundarstufe und die Universitäten nahezu vollständig durch in den USA und Großbritannien verfasste, hoch bezuschusste Werke bedient wurde, eine Tatsache, die die Konzeption lokaler Bücher und deren Herstellung durch einheimische Verlage stark beeinträchtigte: Publishers already established as textbook publishers and having substantial textbook lists felt that their interests and those of their authors were threatened by the competition of this subsidized reprints of foreign books. Without receiving subsidies themselves, they could not possibly, even with depressed production standards, match the prices of the admittedly good and standard subsidized books [. . .] Indian authors, it was argued, would find it difficult to get their books published by Indian publishers if their books happened to be on subjects already covered by subsidized books [. . .] While it is impossible to deny the benefit the U. S scheme of assistance has brought to the Indian student in terms of making standard books available to him at prices within his capacity, it is equally impossible to deny the difficult position in which the publisher of original Indian textbooks is placed, especially if it is born in mind that he has also to face the competition of British textbooks published by the officially sponsored English Language Society.76
In der Dominanz fremder Inhalte an indischen Schulen und Universitäten sah der USAmerikaner Philip G. Altbach eine Verfestigung intellektueller Abhängigkeitsstrukturen zwischen der westlichen Welt und den Entwicklungsländern und bewertete die Schulbuchprogramme der Supermächte folglich als Neokolonialismus.77 Auch anderenorts gerieten US-amerikanische Buchprogramme angesichts der Verquickung geostrategischer Interessen, wirtschaftlicher Expansionsbestrebungen und (vermeintlich altruistischer) Entwicklungshilfe in Kritik und wurden nicht selten als Ausfluss kulturimperialistischer Absichten gewertet.78
73 Vgl. Childs: A Book Publishing Program for USIA, S. 165–166. 74 Vgl. Samuel Israel: Indian Publishing. The Changing Scence. In: Quest 1971, H. 68, S. 50–58, hier S. 52. 75 Vgl. Survey of Indian Book Industry. Neu-Delhi: National Council of Applied Economic Research 1976, S. 89–100. 76 Ebd. 77 Vgl. Philip G. Altbach: »Neocolonialism« and Indian Publishing. In: Economic and Political Weekly 6 (1971), H. 18, S. 902–903. 78 Vgl. exemplarisch: Rolando Rodríguez: Situación del libro en América Latina. September 1969 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B2–012), S. 2; Amadi: African Libraries, S. 164–166; Warren Dean: The USIA Book Program. How Translations of ›Politically Correct‹ Books Are (Secretly?) Subsidized for Sale in Latin America. In: Punto de Contacto/Points of Contact 1 (1976), H. 3, S. 4–14.
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Die sowjetische Buchoffensive, die – wie am Beispiel Indiens gezeigt – zumindest als ein Beweggrund für die Lancierung bzw. Intensivierung der subventionierten Übersetzungs- und Publikationsprogramme der westlichen Supermächte gelten darf, zeichnete sich durch die Verbreitung äußerst preisgünstiger Ausgaben russischer Literatur und Lehrbücher aus, die in den Entwicklungsländern nicht nur in der Lingua franca Englisch angeboten, sondern im zunehmenden Maße auch in lokalen Sprachen wie etwa in Hindi, Arabisch, Koreanisch oder Urdu produziert wurden.79 Anders als im Fall des US-amerikanischen Franklin Book Programs wurden die Übersetzungen allerdings nicht in den betreffenden Ländern selbst hergestellt, sondern in Moskau angefertigt und dort auch gedruckt. Im zentralistisch organisierten sowjetischen Verlagssystem war für die Veröffentlichung von Büchern, die für den Export bestimmt waren, zunächst das 1946 gegründete Gosudarstvennoe Isdatel‘stvo Inostrannoi Literatury, kurz Inoizdat (deutsch: Verlag für ausländische Literatur) zuständig.80 Nach einer Neuordnung des Buchhandels in den sechziger Jahren übernahmen die Häuser Mir (naturwissenschaftlich-technische Fachliteratur) und Progress (sozial- und geisteswissenschaftliche Werke sowie Belletristik) diese Aufgabe.81 Ende der fünfziger Jahre wurden in Moskau durchschnittlich etwa eintausend Bücher pro Jahr aus dem Russischen in auswärtige Sprachen übertragen und
79 Die sowjetische Buchpolitik zwischen 1945 und 1989 ist als Instrument der auswärtigen Kulturdiplomatie und Teil des Propagandaapparats der sozialistischen Supermacht bisher noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden, zumindest nicht in Sprachen, die die Verfasserin beherrscht. Eine Ausnahme stellt dar: Christian Kanig: Literature and Reeducation in Occupied Germany, 1945–1949. In: Pressing the Fight. Print, Propaganda, and the Cold War. Hrsg. von Greg Barnhisel und Catherine Turner. Amherst, Boston: University of Massachusetts Press 2010 (Studies in Print Culture and the History of the Book), S. 71–88. Vgl. zu den sowjetischen Beziehungen zur Dritten Welt im Allgemeinen: Die Sowjetunion und die Dritte Welt. UdSSR, Staatssozialismus und Antikolonialismus im Kalten Krieg 1945–1991. Hrsg. von Andreas Hilger. München: Oldenbourg 2009 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 99). Anders als im Fall der US-amerikanischen und britischen Publikations- und Übersetzungsprogramme konnte für die Analyse der sowjetischen Buchpolitik lediglich in äußerst begrenztem Umfang auf gedrucktes Quellenmaterial zurückgegriffen werden: Auch hier stellen fehlende Russischkenntnisse unüberwindbare Grenzen dar, der sich die Verfasserin schmerzlich bewusst ist. Dank weniger englischsprachiger Selbstdarstellungen, zeitgenössischer Beurteilungen seitens des Systemfeindes USA und einer exemplarischen Untersuchung der spanischsprachigen, hauptsächlich für den lateinamerikanischen Kontinent bestimmten sowjetischen Buchproduktion konnten dennoch einige zentrale Koordinaten der sowjetischen Buchpolitik im Ausland bestimmt werden, deren umfassende Analyse ebenso wie die der hier nicht berücksichtigten chinesischen Buchprogramme ein Desiderat bleiben. 80 Vgl. Yuri Gvosdev: Publishing and Book Distribution in the U.S.S.R. In: Library Quarterly 28 (1958), H. 4, S. 269–276, hier S. 274. 81 Vgl. Gregory Walker: Soviet Book Publishing Policy. Cambridge: Cambridge University Press 1978 (Soviet and East European Studies), S. 101; Iosif E. Barenbaum: Geschichte des Buchhandels in Russland und der Sowjetunion. Wiesbaden: Otto Harrassowitz 1991 (Geschichte des Buchhandels. IV), S. 171.
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7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 1960
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
Abb. 16: Sowjetische Buchproduktion in Fremdsprachen zwischen 1966 und 1989.
publiziert82 ; laut Statistischer Jahrbücher der UNESCO erhöhte sich die Zahl der in Moskau angefertigten Übersetzungen in Sprachen, die nicht als Nationalsprachen galten, 1965 auf fast 2.900 Titel, 1971 erreichte sie mit über sechstausend Titeln einen historischen Höchststand (vgl. Abbildung 16). In den späten siebziger und achtziger Jahren pendelte sich die Anzahl der für den Export bestimmten Übersetzungen auf etwa viertausend Titel pro Jahr ein, rund ein Drittel davon erschien in englischer Sprache. Nach offiziellen Angaben wurden 1981 65 Millionen sowjetischer Bücher in über 140 Länder exportiert.83 Der Buchexport in die sozialistischen Bruderländer, die blockfreien Staaten der Dritten Welt als auch in das kapitalistische Europa und Nordamerika wurde durch die zentrale Vertriebsgesellschaft Mezhdunarodnaja Kniga, kurz Mezhkniga (deutsch: Das Internationale Buch)84 organisiert, die Universitätsbuchhandlungen in Entwicklungsländern mit den sehr preiswerten sowjetischen Lehrbüchern direkt belieferte, zum Vertrieb im Ausland aber insbesondere auch auf die diplomatischen Vertretun82 Vgl. Book Publishing in the U.S.S.R. Report of the Delegation of U. S. Book Publishers Visiting the U.S.S.R. August 20–September 17, 1962. New York: American Book Publishers Council, American Textbook Publishers Institute 1963, S. 93. 83 Vgl. Publishing in the USSR and its Economics: Textbooks and Children’s Books. Presented by the Delegation of the USSR, Headed by Dr. Ivan Petrovick Korovikin. In: Books for All at Low Cost. A Report of the International Seminar Held During the 5th World Book Fair, New Delhi, 5–7 February 1982. Neu-Delhi: National Book Trust India 1982, S. 68–76 und S. 79, hier S. 69. 84 Vgl. 50 Jahre »Meshdunaridnaja Kniga« in Moskau. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe Nr. 28 vom 10.4.1973, S. 553–554.
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gen der UdSSR zurückgriff, lokale Netzwerke nutzte sowie mit kommunistischen Parteiverlagen oder parteinahen Verlagen und Buchhandlungen zusammenarbeitete, so auch in Indien, wo das mit der kommunistischen Partei Indiens lose verbundene People Publishing House nicht nur als Distributionsinstanz für sowjetische Publikationen fungierte, sondern in Zusammenarbeit mit offiziellen sowjetischen Stellen teilweise auch Bücher vor Ort produzierte.85 Eine ähnliche Funktion als Vertriebs- und geringerem Maße Publikationsagentur für sowjetische Bücher übernahmen in Lateinamerika die Ediciones Pueblos Unidos, eine kommunistische Verlagsbuchhandlung mit Sitz im uruguayischen Montevideo, und in Mexiko das Instituto de Intercambio Cultural México/URSS und das Verlagshaus Fondo de Cultura Popular.86 Nachdem die Sowjetunion die internationalen urheberrechtlichen Bestimmungen 1973 anerkannt hatte, nahm die Zusammenarbeit mit Verlagen im Ausland zu: Die nationale Urheberrechtsagentur VAAP agierte dabei auch als staatliche Literaturagentur, die ausländischen Buchhandelsfirmen Lizenzen zur Herausgabe sowjetischer Bücher anbot und deren Produktion stark bezuschusste.87 US-amerikanische Branchenvertreter kamen Mitte der achtziger Jahre zu folgender Einschätzung: VAAP has become a cutting edge of the Soviet effort to disseminate information on Soviet society and culture in book form and, of course, pursuing the global objectives of the socialist system [. . .] Despite publishers exchanges at the Frankfurt fair in which VAAP give-away prices are sometimes used half jokingly as a ›negotiating point‹ by Third World publishers seeking rights to an American title, it would be a mistake to underestimate the effectiveness of VAAP. It is a primary avenue for subsidization of the many Soviet books published outside of the U.S.S.R. – books seen in bookstores throughout the world but especially in the developing world. They bear the imprint of legitimate, usually private sector publishers, whose editions may contain little to identify their original source beyond the fact that the authors are Soviet and the subject matter is much in accord with Soviet thinking [. . .] Books may be translated in the intended country of publication, with VAAP funding the translation, the printing, or both. In some arrangements, VAAP offers the foreign publisher both a translated manuscript in the appropriate language, and rights to publish in that language, delivered as a package.88
In den siebziger und achtziger Jahren entstand somit ein den USIA-Projekten ähnliches, stark subventioniertes Übersetzungs- und Publikationsprogramm, das die glo-
85 Vgl. Altbach: Publishing in India, S. 67. 86 Vgl. Year of Crisis. Communist Propaganda Activities in 1956, S. 249–251. 87 Vgl. The Activities of VAAP as a Copyright Information Centre. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 9 (1979), S. 15. Die VAAP gab eine periodische Publikation in mehreren Sprachen heraus, in der ausländischen Lesern und Branchenvertretern Neuerscheinungen aus dem sowjetischen Verlagswesen vorgestellt wurden. Zwischen 1977 und 1990 erschien Buch und Kunst in der UdSSR auf Englisch und Spanisch, ab 1979 auch auf Deutsch; zuvor war ab 1974 der Information Bulletin of the Copyright Agency of the USSR in englischer, französischer und russischer Sprache veröffentlicht worden. 88 Donald E. McNeil: International Book Programs of Major World Powers. In: Childs/McNeil (Hrsg.): American Books Abroad, S. 193–220, hier S. 203–204.
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bale Verbreitung sowjetischer Werte und kommunistischer Inhalte zusätzlich unterstützte. Die für die Länder der Dritten Welt bestimmten, in Moskau produzierten Bücher umfassten – wie eine Werbeanzeige von Mezhdunarodnaja Kniga in der Wochenzeitschrift der kommunistischen Partei Indiens Mitte der fünfziger Jahre (vgl. Abbildung 17) ebenso zeigt wie eine exemplarische Analyse spanischsprachiger Titel, die bei Inoizdat, Mir und Progress veröffentlicht wurden89 – erstens kanonisierte Werke der russischen National- sowie im geringeren Umfang der Weltliteratur als auch Kinderbücher.90 So erschienen beispielsweise Werke von Alexander Sergejewitsch Puschkin, Maxim Gorki, Mark Twain und Federico García Lorca. Zweitens bestand das Angebot aus Büchern, die als pro-sowjetische oder anti-westliche Darstellungen einen direkteren, propagandistischen Charakter aufwiesen und häufig wie zum Beispiel URSS. Una gran familia de pueblos91 das eigene Gesellschafts- und Politiksystem glorifizierten oder wie im Fall von La CIA contra América Latina92 den Systemfeind USA zu entblößen suchten. Die Tatsache, dass Lenin mit deutlichem Abstand vor Agatha Christie (!) und auch vor Walt Disney, dem Inbegriff westlichen Kapitalismus, Anfang der achtziger Jahre weltweit der meist übersetzte Autor war, lässt sich auf die immensen sowjetischen Übersetzungstätigkeiten zurückführen – denn Klassiker des Marxismus-Leninismus nahmen einen gewichtigen Platz in der für den Export bestimmten Verlagsproduktion ein.93 Die Editionen der philosophischen Werke von Lenin, Marx und Engels wurden durch entsprechende Biographien und historische Einordnungen ergänzt. Viertens übertrug man sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Analysen aus dem Russischen in die Weltsprachen, die als Leitfaden für eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation dienen sollten, so beispielsweise das Handbuch Planificación de la economía socialista94 . Fünftens spielten Lehrbücher und Fachliteratur, insbesondere aus den Bereichen Technik, Naturwissenschaft und Medizin, eine zentrale Rolle, denn Bildung und technologischer Fortschritt waren auch im realsozialistischen Modernisierungsprojekt der Sowjetunion Schlüsselkonzepte, mit denen das Land seine eigene Rückständigkeit überwunden hatte und sogar 89 In den Katalogen der mexikanischen, argentinischen und spanischen Nationalbibliothek sowie des Iberoamerikanischen Instituts in Berlin wurde anhand einer Suche über Verlagsort (Moskau/Moscú) und Verlagsangabe (Mir, Progreso, Editorial en Lenguas Extranjeras) ein Teil der sowjetischen Buchproduktion in spanischer Sprache exemplarisch ermittelt. Während in Berlin das Autopsieprinzip zur Anwendung kann, konnten die Titel in Mexiko-Stadt, Buenos Aires und Madrid nicht persönlich in Augenschein genommen werden. 90 Vgl. Gvosdev: Publishing and Book Distribution in the U.S.S.R., S. 274–275. 91 L. Dróbizheva: URSS. Una gran familia de pueblos. Moskau: Progreso 1980. 92 Viacheslav Zubenko/Konstatín Tarásov: La CIA contra América Latina. Moskau: Progreso 1984. 93 Vgl. Authors Most Frequently Translated. In: UNESCO Statistical Yearbook 1987. Paris: UNESCO 1987, S. 7/146; Ivan Korovin: Book Publishing in the USSR. In: International Publishing Today. Problems and Prospects. A Festschrift in Honour of Manuel Salvat. Hrsg. von Om Prakash Ghai und Narendra Kumar. Delhi: The Bookman’s Club 1984, S. 64–80, hier S. 66–67. 94 L. Berri: Planificación de la economía socialista. Moskau: Progreso 1975.
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Abb. 17: Werbeanzeige für sowjetische Bücher in der Wochenzeitschrift der kommunistischen Partei Indiens New Age (Mitte der fünfziger Jahre).
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eine Sputnik ins All schicken konnte, eine Erfolgsgeschichte und zudem ein durchaus attraktives Entwicklungsmodell, an dem man die Länder der Dritten Welt durch preiswerte Fachliteratur solidarisch teilhaben lassen wollte. Wenn insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren, als die Buchexporte aus der UdSSR anzusteigen schienen, die westliche Seite auch kommerzielle Interessen hinter der auswärtigen Buchpolitik des Systemfeindes vermutete95 , muss man doch davon ausgehen, dass diese primär ideologisch motiviert war. Ähnlich wie bei den US-amerikanischen Buchprogrammen der fünfziger und sechziger Jahre stand die positive Selbstdarstellung des eigenen Gesellschaftsmodells bei gleichzeitiger Diffamierung des Feindes im Vordergrund. Dieses geschah allerdings nicht ausschließlich durch Transfer und Verbreitung entsprechender Inhalte und Ideen, sondern die Verfügbarkeit preiswerter, für jedermann erschwinglicher Bücher wurde an sich als zentrale Errungenschaft der sozialistischen Revolution und als Inbegriff des (kulturellen) Fortschritts gewertet: Foreign visitors are always surprised at the sight of so many bookstalls in the streets of Soviet cities, in the vestibules of office buildings, and inside factories, along with the more usual bookshops. They all do a brisk trade. While riding a subway train or bus you can always see many people of different ages reading books. Reading has become an essential part of Soviet life, and book-buying is universal throughout the country, even in remote parts. Home libraries for a large number of people of all degrees of educational background, factory workers and farmers included, have become as important a part of home furnishings as radio. It can be safely said that the book has played an outstanding part in the cultural revolution accomplished in the U.S.S.R. Being accessible to the people, becoming part and parcel of the Soviet man’s everyday life, the book is now a thing of prime necessity.96
Im Konflikt mit dem kapitalistisch-liberalen System stellte die sozialistische Buchund Lesekultur ein Merkmal dar, mit der sich die Überlegenheit der eigenen Gesellschaftsordnung demonstrieren ließ. Parallel zu Strukturen in Wirtschaft, Sicherheit, Wissenschaft, Technik und Kultur war auch der Buchhandel Gegenstand konkurrierender Systemvergleiche; im Wettbewerb mit den USA feierte sich die Sowjetunion als einer der bedeutendsten Buchproduzenten weltweit: »The Soviet Union is a world leader in book output.«97 Preiswerte Bücher – und die sowjetischen waren im Vergleich zu US- oder UK-Exporten in den Entwicklungsländern deutlich billiger98 – wur95 Vgl. Walker: Soviet Book Publishing Policy, S. 100; McNeil: International Book Programs, S. 201. 96 Gvosdev: Publishing and Book Distribution in the U.S.S.R., S. 269. 97 Union of Soviet Socialist Republics. By the Committee for Publishing and the Press under the Council of Ministers, All Union Book Chamber, Research Department for Problems in the Book Trade, Moscow. In: The Book Trade of the World. Band I: Europe and International Section. Hrsg. von Sigfred Taubert. Hamburg, London, New York: Verlag für Buchmarktforschung, André Deutsch, R. R. Bowker 1972, S. 467–497, hier S. 481. Vgl. dazu auch: McNeil: International Book Programs, S. 200–201; ähnlich: Korovin: Book Publishing in the USSR, S. 64. 98 So berichtete Rutter Mitte der fünfziger Jahre aus Südostasien, dass gebundene Bücher sowjetischer Provenienz für umgerechnet 24 Cent zu kaufen waren, während US-amerikanische und britische
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Exkurs: Zwischen Ideologie und Geschäft – Bücher im Kalten Kulturkrieg
den als Charakteristikum einer höheren kulturellen Entwicklung sozialistischer Gesellschaften und somit als Ausdruck von Superiorität begriffen, welche man den Ländern der Dritten Welt nicht nur vorführen, sondern an der man sie beteiligen wollte und ihnen deshalb stark subventionierte, teilweise prächtig eingebundene Bücher zur Verfügung stellte.99 Buchspenden, subventionierte Übersetzungs- und Publikationsprogramme sowie Maßnahmen zur Stärkung von Bibliothekswesen und Buchhandel in der Dritten Welt zählten nicht nur zu den Mitteln, mit denen die UNESCO zur Sicherung des weltweiten Friedens und zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Asien, Nahost, Afrika und Lateinamerika beitragen wollte, sondern sie waren in dem sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges intensivierenden Systemkonflikt zwischen der USA und der UdSSR auch Bestandteile der Entwicklungs- und auswärtigen Kulturpolitik der Supermächte. Die im Vergleich mit den Projekten der UNESCO teilweise ähnlich strukturierten Programme – besonders offensichtlich ist die Übereinstimmung zwischen den Ansätzen des Franklin Book Programs und des Pariser Book Development-Konzepts – huldigten zumindest vordergründig denselben Visionen, nämlich zu Entwicklung und Modernisierung der Dritten Welt beizutragen. Im Gegensatz zur Pariser Perspektive wurden Bücher in den Programmen der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion jedoch zusätzlich auch als »Instrumentelle des informellen Imperiums«100 verstanden, als welche sie dazu beitragen sollten, Hegemonialbildungsprozesse zu flankieren und die Überlegenheit der eigenen Weltsicht und des entsprechenden Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells zu demonstrieren. Das Buch wurde in beiden Lagern als (ideologische) Waffe angesehen, das auf den propagandistischen Schlachtfeldern des Kalten Kulturkrieges zur gesellschaftspolitischen Steuerung durch den Transfer von Werten eingesetzt wurde, ein Einsatz, der durchaus auch aus materiellen Gründen vonseiten US-amerikanischer und britischer Verlagshäuser eingefordert und vorangetrieben wurde.
Taschenbuchausgaben 30 Cent kosteten. Vgl. Rutter: American Books in South Asia, S. 118. Vgl. ähnliche Beobachtungen auch bei: Barghoorn: The Soviet Cultural Offensive, S. 168; William Childs: Low-Priced Books for the Developing World. In: American Books Abroad. Toward a National Policy. Hrsg. von William M. Childs und Donald E. McNeil. Washington, D.C.: Helen Dwight Reid Educational Foundation 1986, S. 67–74, hier S. 68. 99 Vgl. zur Funktion und Position des Buches im sozialistischen Gesellschaftsverständnis: Walker: ´ Soviet Book Publishing Policy, S. 6–9; Alfred Gerard Swierk: Zur sozialistischen Theorie und Praxis des Buchwesens in Osteuropa. Wiesbaden: Ludwig Reichert Verlag 1981 (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens. 6), S. 9–13. Vgl. zur Funktion der Bibliothek im Sozialismus aus zeitgenössischer Sicht: K. I. Abramov: Gegenstand und Aufgaben der sowjetischen Bibliothekswissenschaft in der Periode des umfassenden Aufbaus des Kommunismus. Leitsätze. In: Gegenstand und Methoden der Bibliothekswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Bibliothekswissenschaft als Hochschuldisziplin. Zweite Konferenz der bibliothekswissenschaftlichen Hochschulen und Institute in den sozialistischen Ländern. Leipzig: VEB Verlag für Buch- und Bibliothekswesen 1963, S. 81–84. 100 Frey: Dekolonisierung in Südostasien, S. 121.
10 Die Weltbuchdekade (1972–1982): Rechtliche, wirtschaftliche und politische Spannungsfelder der Buchmarktentwicklung in der Dritten Welt In den siebziger Jahre machten die in der Blockfreien Bewegung zusammengeschlossenen Entwicklungsländer, unterstützt sowohl durch die Staaten des Ostblocks als auch durch nordamerikanische und europäische Wissenschaftler, auf Probleme und Ungleichgewichte in den internationalen Medienbeziehungen aufmerksam und verlangten – nicht zuletzt während der UNESCO-Generalkonferenzen – mit Vehemenz nach einer neuen, gerechteren Weltinformationsordnung. Sie kritisierten die Dominanz westlicher Medienunternehmen im internationalen Kommunikationssystem, die durch die Akkumulation von Kapital und Technologien von ihnen bestimmte Inhalte weltweit verbreiten konnten und damit nicht nur eine kulturelle und ideologische Vorherrschaft ausübten, sondern auch die Abhängigkeit der Entwicklungsländer verstärkten und deren Handlungsspielräume beschnitten: The dependence of information which the developing countries suffer internationally is the reflection of the dependence they live under in the economic and political fields [. . .] Since information in the world shows a disequilibrium favouring some and ignoring others, it is the duty of the non-aligned countries and the other developing countries to change this situation and obtain the decolonization of information and initiate a new international order in information.1
Durch die Etablierung einer neuen Weltinformationsordnung sollte das gesamte globale Kommunikationswesen entkolonialisiert und die mit der Medienmacht Nordamerikas und Europas einhergehende »Meinungs-, Informations- und Konsumdiktatur«2 durchbrochen werden. Zu diesem Zweck forderte man, den Grundsatz des freien Informationsflusses zugunsten eines balanced flow of information aufzugeben und die Länder der Dritten Welt beim Aufbau lokaler Medien- und Kommunikationsinfrastrukturen sowie bei der Formulierung nationaler Medienpolitiken in größerem Umfang als bisher zu unterstützen.3 1 Report of the Non-Aligned Symposium on Information. 30 March 1976, Tunis. In: New International Information and Communication Order. Sourcebook. With a Foreword by Sean MacBride. Hrsg. von Kaarle Nordenstreng, Enrique Gonzales Manet und Wolfgang Kleinwächter. Prag: International Organization of Journalists 1986, S. 276–284, hier S. 282. 2 Medienmacht im Nord-Süd-Konflikt. Die Neue Internationale Informationsordnung. Hrsg. von Reiner Steinweg und Jörg Becker. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1984 (Edition Suhrkamp. 1166; Friedensanalysen. 18), S. 8. 3 Die Forderung nach einer Neuordnung des internationalen Medien- und Kommunikationssystems wurde in den siebziger Jahren zunächst auf Tagungen der Blockfreien Bewegung bekräftigt, namentlich auf dem 1976 in Tunis stattfindenden Symposium über Massenmedien. Sie muss als Teil des Emanzipationsbemühungen der Dritten Welt von imperialen, kolonialistischen Strukturen und als Wunsch nach vollständiger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Unabhängigkeit verstanden werden. Am Ende des Jahrzehnts polarisierten die Debatten um die Reorganisation der globalen
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Wenn im Mittelpunkt des Nord-Süd-Konflikts im Medienbereich vor allem die Unausgewogenheit und Verzerrungen im internationalen Nachrichtenfluss standen, spiegelten sich die strukturellen Ungleichgewichte und die »Einbahnstraße der Kommunikation«4 zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auch in der Buchproduktion wider. Zum einen hatte sich – trotz intensiver Bemühungen um eine nachholende Modernisierung des Buchhandels in der Dritten Welt – die book gap nicht verkleinert: Der kontinuierlichen und raschen Expansion der Buchproduktion in den Industrieländern stand ein vergleichsweise geringer Anstieg in den Entwicklungsländern gegenüber, der überdies mit der schnell wachsenden Bevölkerung kaum Schritt halten konnte, sodass sich relativ gesehen die Versorgung mit Büchern in der Dritten Welt tendenziell weiter verschlechterte. Legt man die von der UNESCO erstellten Statistiken zugrunde, so war 1955 die Produktion von Büchern, gemessen in Titeln pro einer Million Einwohner, in den Industrienationen etwa 6,5 Mal höher als in den Entwicklungsländern; 1975 produzierten die Industrienationen 9,4 Mal so viele Buchtitel, als in der Dritten Welt auf dem Markt kamen (vgl. Tabelle 11). Zum anderen gewann der Auslandsbuchhandel insbesondere für Verlage aus der westlichen Welt immer mehr an Bedeutung.5 Obwohl die westlichen Buchhandelsnationen einen Großteil der Buchexporte untereinander tätigten6 , stiegen auch die BuchausfuhMedienbeziehungen die UNESCO, insbesondere die geplante Mediendeklaration und die Arbeit der Internationalen Kommission zum Studium der Kommunikationsprobleme (MacBride-Kommission) führten zu teilweise hitzigen Debatten: Während die sozialistischen Staaten die Forderungen der Entwicklungsländer nach einem ausgewogenen Informationsfluss unterstützten, sahen die westlichen Staaten den freien Informationsfluss als essenzielles Grundprinzip der Meinungs- und Informationsfreiheit an und befürchteten, dass eine neue Weltinformationsordnung der staatlichen Zensur in der Dritten Welt Tür und Tor öffnen würde. Die 1978 verabschiedete Mediendeklaration muss als Kompromiss zwischen diesen unterschiedlichen Positionen gewertet werden: Man stellte mit dem free flow and a wider and better balanced dissemination of information ein Konglomarat aus dem Medienverständnis der westlichen, sozialistischen und der Staaten der Dritten Welt her. Außerdem wurde mit dem International Programme for the Development of Communication (IPDC) ein neues Medienentwicklungsprogramm lanciert. Vgl. hierzu ausführlich: Breunig: Kommunikationspolitik der UNESCO. Siehe ferner die Dokumentation: A Documentary History of a New World Information and Communication Order Seen as an Evolving and Continuous Process 1975–1986. Paris: UNESCO 1988 (Communication and Society. 19). 4 Viele Stimmen – eine Welt. Kommunikation und Gesellschaft – Heute und morgen. Bericht der Internationalen Kommission zum Studium der Kommunikationsprobleme unter dem Vorsitz von Sean MacBride an die UNESCO. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz, UNESCO 1981, S. 192. 5 Vgl. Edward Wegman: International Circulation of Books. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 3), S. 6–14. 6 85 Prozent des Gesamtexportvolumens in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar (1975) stammte aus elf Ländern, 1980 stieg das Gesamtexportvolumen auf 3,5 Milliarden US-Dollar, wovon 87 Prozent auf wiederum elf Länder entfielen, unter ihnen die USA (17 Prozent) und Großbritannien (16 Prozent). Die Länder, die am meisten Bücher exportierten, waren auch diejenigen, die am meisten Bücher importierten: 80 Prozent aller 1975 und 1980 getätigten Importe gingen in 17 Länder, u. a. nach Kanada (12 Prozent, 1975), in die USA (8,5 Prozent, 1975) und nach Großbritannien (6,9 Prozent, 1975). Vgl. Razavi-Tavakoli: International Flows of Selected Cultural Goods, S. 13–14.
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Tabelle 11: Produzierte Titel pro einer Million Einwohner zwischen 1960 und 1975.
Welt Industrienationen Entwicklungsländer Afrika (ohne arabischsprachige Staaten) Lateinamerika Asien (ohne arabischsprachige Staaten) Arabische Länder
1955
1960
1965
1970
1975
131 249 38 10 60 65 27
144 296 35 12 79 53 40
168 357 40 18 77 58 38
187 420 41 17 78 63 38
185 424 45 27 89 65 35
Quelle: UNESCO Statistical Yearbook 1977. Paris: UNESCO 1977, S. 790. Eigene Darstellung. Tabelle 12: Anteil der Entwicklungsländer am Weltbuchhandel (Export/Import) in Prozent zwischen 1970 und 1980.
Entwicklungsländer Afrika Asien Lateinamerika und Karibik
1970 Export Import
1975 Export Import
1980 Export Import
6,24% 1,14% 1,39% 4,28%
6,66% 0,71% 1,6% 4,27%
8,03% 0,15% 3,88% 3,88%
16,89% 3,78% 3,52% 9,55%
18,76% 3,54% 3,43% 9,76%
19,61% 2,96% 3,94% 10,98%
Quelle: Razavi-Tavakoli: International Flows of Selected Cultural Goods, Annex IV, S. IV-2–IV-7. Eigene Darstellung.
ren aus den Metropolen nach Asien, Afrika und Lateinamerika weiter an.7 Dagegen war der Anteil der Bücher, die aus Entwicklungsländern auf den Weltbuchmarkt gelangten, marginal; die Importe überwogen bei Weitem die Exporte (vgl. Tabelle 12). Während beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland 1979 Bücher im Wert von knapp acht Millionen DM nach Afrika exportierte, bezog sie aus afrikanischen Ländern Bücher im Wert von nur 200.000 DM.8 Die Durchsetzung des Grundsatzes des free flow of books führte somit zu einem größer werdenden Fluss von Büchern aus finanzkräftigen, in der Buchproduktion über viel Erfahrung verfügenden Nationen in die Länder, in denen ein lokales Verlagswesen gerade erst im Entstehen war. Dieser Nord-Süd-Buchfluss leistete in den Augen der Kritiker nicht nur Kulturund Identitätskonflikten Vorschub, sondern konterkarierte auch, zumindest in Tei-
7 Vgl. Peter Golding: The International Media and the Political Economy of Publishing. In: Library Trends 26 (1978), H. 4, S. 453–467, hier S. 457–458. 8 Vgl. Jörg Becker: Papiertechnologie und Dritte Welt. Ökonomische Rahmenbedingungen und technische Alternativen für die Produktion von Kulturpapier. Eine Veröffentlichung vom Deutschen Zentrum für Entwicklungstechnologien – GATE und Abteilung 32 – Kommunikationswesen in: Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH. Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg 1986, S. 100.
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len, die Bemühungen, die buchhändlerischen Strukturen in den Entwicklungsländern zu stärken.9 Importierte Bücher verdrängten die lokal produzierten; multinationale Verlage besaßen – insbesondere was den Zugang zu Kapital und Technologien betraf – gegenüber den kleinen Buchhandelsfirmen in den Entwicklungsländern so große Vorteile, dass letztere dem Wettbewerb kaum standhalten konnten: [Book development, CL] is handicapped largely by the existence of forces beyond its control, and in particular, the strong competition that has to be faced from more affluent, experienced and better organized publishers in the privileged world languages operating within or outside the national frontiers.10
Die von westlichen Buchhandelsnationen dominierte, vorangetriebene und teilweise auch durch Entwicklungshilfeprojekte begünstigte Internationalisierung des Buchhandels, die sich in wachsenden Buchexporten ebenso manifestierte wie im Entstehen transnationaler Verlagskonzerne, lief – zumindest partiell – dem Vorhaben des book development, also des Ausbaus einheimischer Buchmärkte als selbst definierten kulturellen Identifikations- und Resonanzräumen entgegen. Der Wunsch der Entwicklungsländer, über einen nationalen Buchhandel souverän zu verfügen, stand im Gegensatz zum Profistreben der Buchhandelsfirmen aus den westlichen Industrienationen. Dichotomien wie Export und Import, Urheberrecht und Raubdruck, Zentrum und Peripherie, multinationale Buchkonzerne und lokale Verlagshäuser beschreiben das transnationale Spannungsfeld, mit denen sich die Bemühungen um book development konfrontiert sahen. Damit einher ging ein Zielkonflikt innerhalb der UNESCO selbst, denn einerseits war der internationale Buchverkehr, begünstigt durch den Grundsatz des free flow of books und die Gewährleistung eines weltweiten Mindestschutz für Autoren, von der UNESCO als Maßnahme zur Stärkung des internationalen Kulturaustausches und der Völkerverständigung als auch als Mittel des Wissenstransfers durchaus gewollt; andererseits beeinträchtigte gerade diese Internationalisierung die Ausbildung eines nationalen Buchhandels in den DritteWelt-Ländern. Der Interessensgegensatz, in dem sich die UNESCO befand, wurde bei Fragen nach der Anwendung des internationalen Urheberrechts in Entwicklungsländern in besonderer Weise deutlich.
9 Vgl. Abul Hasan: The Book in Multilingual Countries. A Survey Based on the Proceedings of the Symposium on the Publication of Books in the Various Languages of Multilingual Countries (Moscow, Alma Ata, USSR, 6–10 September 1976). Paris: UNESCO 1978, S. 30; Golding: The International Media, S. 460; Dominique Zidouemba: Book Problems in Africa. In: Report. Regional Meeting of Experts on National Book Strategies in Africa (Dakar, Senegal, 2–5 February 1981). Paris 1981 (UNESCODokument: CC.81/WS/37), S. 19–32, hier S. 25. 10 Book Publishing in National Languages. Background Paper. In: Final Report. Regional Seminar on Book Publishing in National Languages. Karachi, Pakistan, 20–24 January 1980. Karatschi 1980 (UNESCO-Dokument, ROCBA– 80/RSBPNL/4), Annex I, S. 17.
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10.1 Die Einbindung der Entwicklungsländer in das internationale Urheberrechtsregime »Wenn man sich vorstellte, dass die gesamte Kultur der Menschheit in einer großen, im Dienste aller stehenden Bibliothek vereinigt wäre«, so leitete der am CERLALC tätige UNESCO-Experte Vicente Garibaldi Camacho seinen Vortrag auf einer 1981 in Buenos Aires stattfindenden Urheberrechtskonferenz ein, »dann wäre die UNESCO an zwei Sachverhalten interessiert, [daran], dass [erstens] alle Welt Zugang zu der Bibliothek hätte und dass [zweitens] jedermann von dieser Gebrauch machte, indem er sie während der Öffnungszeiten durch den Haupteingang beträte und sich an die Benutzungsordnung hielte.«11 Regelwidriges Verhalten lehnte die Pariser Organisation strikt ab: »Sie wäre«, so führte Garibaldi weiter aus, »nicht damit einverstanden, dass man nachts die Schlösser und Fenster aufbrechen und sich Bücher aneignen würde mit der Begründung, dass einem dieses Recht als Teil der Menschheit zustände.«12 Mit diesem Bild – der universellen Bibliothek als Zugangsort zu sämtlichen Kultur- und Wissensbeständen und den Benutzungsvorschriften und -gebühren als Zeichen für den weltumspannenden Schutz geistigen Eigentums – beschrieb Garibaldi die Position seiner Arbeitgeberin zum internationalen Urheberrecht und deutet gleichsam das Konfliktfeld an, in dem sich die Pariser Organisation bewegte: Denn einerseits sah sie die Gewährleistung eines globalen Rechtsstandards für Kulturschaffende und deren Verwerter einschließlich einer angemessenen, materiellen Entlohnung als zwingend erforderlich an, um kreatives Vermögen und schöpferische Gestaltungskraft zu fördern sowie die weltweite Ideenzirkulation zu garantieren.13 Andererseits verstand es die UNESCO als Notwendigkeit, für alle einen raschen, unkomplizierten und kostengünstigen Zugang zu Wissen und Kultur zu gewährleisten:
11 Im spanischen Original: »Si pudiéramos imaginar toda la cultura de la humanidad reunida en una gran biblioteca para el servicio de todo el mundo, la UNESCO estaría interesada en dos cosas: a. que el mundo tuviera acceso a ella; b. que todo el mundo hiciera uso de esta biblioteca entrando por su puerto principal en las horas laborales y con los reglamentos establecidos.« Vicente Garibaldi Camacho: Informe de Misión. II Conferencia Continental y I Nacional de Derecho de Autor del Instituto Interamericano de Derecho de Autor y del Centro Argentino del mismo, Buenos Aires, 6.–10.4.1981 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 8: Informes Comisiones, Consultores 1981–1982). 12 Im spanischen Original: »La UNESCO no estaría de acuerdo con que alguien rompiera las cerraduras y ventanas por la noche, sacara las obras y se apropiara [. . .] de ellas alegando que a él le corresponden ese derecho por ser parte de la humanidad.« Ebd. 13 Vgl. International Book Year and UNESCO’s Role in the Field of Copyright. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review VI (1972), H. 3, S. 4–11, hier S. 5. Siehe hierzu auch Kapitel 2.3 dieser Arbeit.
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Die Weltbuchdekade (1972–1982)
UNESCO does not consider copyright at either international or national level solely from the point of view of communicative justice towards authors in their relations with users of their works; it also takes into account the educational and cultural needs of the international community, particularly the least favoured members of that community, and strives to find solutions that reconcile authors’ rights and users interests.14
Dass auf Grundlage der bestehenden internationalen Regelungen allerdings tatsächlich ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber und denjenigen der Allgemeinheit hergestellt wurde, zogen einige Entwicklungsländer in den sechziger Jahren zunehmend in Zweifel; sie stellten die Legitimität des gesamten globalen Urheberrechtsregimes infrage.15 Insbesondere die jungen asiatischen und afrikanischen Staaten sahen sich durch die internationalen Bestimmungen zum Schutz des geistigen Eigentums benachteiligt und bezeichneten diese als »Fesseln bei der Verbreitung von Wissen«16 und als Bremsen für die eigene Modernisierung. Sie fühlten sich von entwicklungsrelevanten Wissensbeständen der Industrienationen abgeschnitten, weil nicht nur der Import von Büchern aus dem Ausland für ihre Verhältnisse teuer und zudem in stets knappen Devisen zu bezahlen war, sondern sich zudem für viele Verleger in der Dritten Welt der Erwerb von (Übersetzungs-/Nachdruck-) Lizenzen für Fachliteratur und Unterrichtswerke als schwierig darstellte.17 Die Teilnehmer einer 1963 im kongolesischen Brazzaville gemeinsam von UNESCO und Berner Union ausgerichteten Urheberrechtstagung charakterisierten die beiden internationalen Konventionen als Mechanismen, die bislang lediglich den Interessen der exportierenden (westlichen) Buchhandelsnationen dienten und daher unverzüglich an die Bedürfnisse der jungen Staaten angepasst werden müssten:
14 A. M. N. Alam: UNESCO’s Activities to Facilitate Access of Developing Countries to Protected Works. In: UNESCO Journal of Information Science, Librarianship and Archives Administration 1 (1979), H. 3, S. 191–200, hier S. 191. 15 Vgl. Eva Hemmungs Wirtén: Colonial Copyright, Postcolonial Publics: The Berne Convention and the 1967 Stockholm Diplomatic Conference Revisited. In: SCRIPTed 7 (2010), H. 3, S. 532–550; Philip G. Altbach: Copyright in the Developing World. In: Textbooks in the Developing World. Economic and Educational Choices. Hrsg. von Joseph P. Farrell und Stephen P. Heyneman. Washington, D.C.: World Bank 1989 (EDI Seminar Series), S. 88–101; Ruth L. Okediji: The International Relations of Intellectual Property, Narratives of Developing Countries Participation in the Global Intellectual Property System. In: Singapore Journal of International & Comparative Law 7 (2003), S. 315–385; Salah Basalamah: Compulsory Licensing for Translation: An Instrument of Development? In: IDEA. The Journal of Law & Technology 40 (2000), H. 4, S. 503–547. Vgl. aus zeitgenössischer Sicht beispielhaft: Irwin A. Olian: International Copyright and the Needs of Developing Countries. The Awakening at Stockholm and Paris. In: Cornell International Law Journal 7 (1974), H. 2, S. 81–112; Abul Hasan: Copyright and Development. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XVI (1982), H. 1/2, S. 10–15; Mihály Ficsor: Copyright and Transfer of Knowledge. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XVII (1983), H. 3, S. 6–16. 16 Im englischen Original: »obstacles to the spread of knowledge«. Delavenay: For Books, S. 38. 17 Vgl. dazu Kapitel 6.2 dieser Arbeit.
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Les conventions internationales sur le droit d’auteur sont, dans leur forme actuelle, conçues pour répondre aux besoins des pays exportateurs d’œuvres de l’esprit. Ces conventions – pour trouver une application générale et universelle – doivent être repensées et reconsidérées en fonction des besoins spécifiques du continent africain.18
Viele der nach 1945 unabhängig gewordenen Staaten waren als ehemalige Kolonien von Mitgliedsländern der Berner Konvention den dort kodifizierten Schutzstandards verpflichtet; selbst wenn sie zusätzlich auch dem Welturheberrechtsabkommen angehörten, konnten sie dessen geringeres Schutzniveau nicht für sich in Anspruch nehmen: Gemäß Artikel XVII (UCC), der sogenannten Berne Safeguard Clause, trat im Verhältnis von Berner Übereinkunft und Welturheberrechtsabkommen Letzteres immer dann zurück, wenn ein Werk durch beide Konventionen geschützt war und sich die maßgeblichen Regelungen widersprachen. Damit blieb es Staaten, die beiden Abkommen beigetreten waren, verwehrt, von den im Welturheberrechtsabkommen vorgesehenen Erleichterungen Gebrauch zu machen, so namentlich von der in Artikel V (UCC) vorgesehenen Möglichkeit einer Zwangslizenz für die Übersetzung eines Werkes in die Nationalsprache nach einer Frist von sieben Jahren nach Ersterscheinung.19 Insbesondere Indien, das beiden Konventionen angehörte, fühlte sich durch die bestehenden Regelungen in seinen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt.20 Es prangerte die Ungerechtigkeit des internationalen Urheberrechtsregimes an und drängte auf dessen Revision: [W]e cannot have ›One World‹ on the economic or political level till after we have achieved ›One World‹ on the intellectual plane. If we sincerely believe in the aims of the United Nations and UNESCO to remove the barriers to the spread of knowledge, we shall first have to remove the intangible barriers of which the foremost is the concept of copyright as now applied.21
Zusammen mit anderen Entwicklungsländern verlangte die ehemalige britische Kolonie, dass in beide Konventionen umfassende, über die Bestimmungen des Welturheberrechtsabkommens hinausgehende Vorbehalte integriert würden, welche einen 18 Reunión africaine d’étude sur le droit d’auteur (Brazzaville, 5–10 août 1963). Rapport présenté par M. l’Abbé Ntahokaja (Burundi) Rapporteur général. In: Le droit d’auteur. Revue du Bureau de l’Union internationale pour la protection des oeuvres littéraries et artistiques 76 (1963), H. 10, S. 250– 259, hier Annex B: Recommandations, S. 258. Vgl. zur Konferenz in Brazzaville ferner: Hemmungs Wirtén: Colonial Copyright, S. 537–539. 19 Vgl. Paul Goldstein/Bernt Hugenholtz: International Copyright. Principles, Law, and Practice. 2. Auflage. Oxford u. a.: Oxford University Press 2010, hier S. 44 und S. 389; Sam Ricketson/Jane C. Ginsburg: International Copyright and Neighbouring Rights. 2 Bände. 2. Auflage. Oxford: Oxford University Press 2006, S. 884–887. 20 Vgl. International Copyright. Needs of Developing Countries. Symposium. Neu-Delhi: Government of India, Ministry of Education 1967 (Publication. 797); Survey of Indian Book Industry, S. 122–129. 21 T. S. Krishnamurti: Copyright – Another View. In: Bulletin of the Copyright Society of the U.S.A. 15 (1968), H. 3, S. 217–234, hier S. 230–231.
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erleichterten Zugang zu denjenigen Werken (in Original und Übersetzung) ermöglichten, die für eine rasche sozio-ökonomische Modernisierung sowie für Unterrichtsund Studienzwecke benötigt würden.22 Die Forderungen wurden mit dem moralischen Recht auf nachholende Entwicklung begründet; im Falle einer Ablehnung drohte man unverhohlen damit, aus der Berner Union bzw. dem Welturheberrechtsabkommen aus- bzw. diesen beiden Konventionen gar nicht erst beizutreten.23 Ein solcher Schritt hätte einen herben Rückschlag für das Ziel eines weltumspannend garantierten Schutzes geistigen Eigentums bedeutet, denn in außerhalb der beiden internationalen Systeme stehenden Staaten war – sofern dies nicht durch nationales Recht anders geregelt war – der unautorisierte Nachdruck ausländischer Werke uneingeschränkt möglich und konnte mit rechtlichen Mitteln nicht unterbunden werden. Je mehr Länder die bestehenden weltweiten Regelungen nicht ratifizierten, desto mehr, so die Befürchtung, würde sich die Praxis des Raubdrucks ausbreiten, welcher durch die vereinfachten, photomechanischen Reproduktionsmöglichkeiten als Geschäfts- und Entwicklungsmodell für den Buchhandel in der Dritten Welt zunehmend an Attraktivität gewonnen hatte. So war auf Kuba die Edición Revolucionaria als philanthropisches Raubdruckprojekt mit dem Ziel entstanden, Studenten und Fachkräfte mit preiswerter wissenschaftlicher und technischer Literatur zu versorgen. Im asiatischen Raum entwickelte sich Taiwan, das ebenso wie die Karibikinsel keiner internationalen Konvention angehörte, in den fünfziger und sechziger Jahren zum »Eldorado der Raubdrucker«24 , aus dem Nachdrucke US-amerikanischer und britischer Lehrwerke nach ganz Asien, ja sogar in die USA selbst exportiert wurden.25 Angesichts anhaltender Proteste gegen die Beschaffenheit des internationalen Urheberrechtssystems wurden innerhalb der Berner Union Maßnahmen erörtert, wie man den Forderungen der Entwicklungsländer entsprechen und diese somit in der Konvention halten bzw. überhaupt erst zu einem Beitritt zu dieser bewegen könne: Auf der Stockholmer Revisionskonferenz (1967) wurde schließlich ein Protokoll verabschiedet, welches umfangreiche Erleichterungen für diejenigen Mitgliedsstaaten der Konvention vorsah, die gemäß der Praxis der Vereinten Nationen als Entwicklungs-
22 Vgl. Resolution No. 8/51 (VII) Resolution Concerning the Possibility for Compulsory Licences to Reproduce and/or Translate Copyright Works for Educational Purposes. In: Records. Intergovernmental Copyright Committee. Seventh Session, New Delhi, 2 to 7 December 1963. In: Copyright Bulletin XVII (1964), S. 11–28, hier S. 25. 23 Vgl. Demetrius S. Oekonomidis: Zum Protokoll betreffend die Entwicklungsländer. In: Das Stockholmer Vertragswerk zum internationalen Urheberrecht. Hrsg. von Georg Roeber. München: Verlag Dokumentation 1969 (Schriftenreihe der UFITA. 35), S. 217–256, hier S. 236–237. 24 Franz-Wilhelm Peter: Das Stockholmer Protokoll für die Entwicklungsländer. Gefahr für das internationale Urheberrecht. Frankfurt/Main: Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1970 (Schriftenreihe des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. 5), S. 26. 25 Vgl. ausführlich: David Kaser: Book Pirating in Taiwan. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1969.
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länder eingestuft wurden26 : Diese sollten mit Verweis auf ihre wirtschaftliche Lage und ihre kulturellen Bedürfnisse in den ersten zehn Jahren ihrer Zugehörigkeit zur Übereinkunft diverse Vorbehalte und Sonderregelungen für sich in Anspruch nehmen können, unter anderem die Verkürzung der Schutzfrist von fünfzig auf fünfundzwanzig Jahre. Besonders umstritten war die in Artikel 1 fixierte Möglichkeit einer Zwangslizenz, die zu Zwecken der Bildung und Wissenschaft nach Ablauf von drei Jahren von nationalen Behörden für die Übersetzung von ausländischen Werken erteilt werden konnte, sofern der Antragssteller nachwies, dass er vom Urheber das Übersetzungsrecht nicht erhalten hatte.27 Obgleich eine Vergütung der Urheber nach inländischen Grundsätzen vorgesehen war, beunruhigte die buchhändlerischen Branchenvertretungen und Autorenverbände in Europa und Nordamerika insbesondere die Tatsache, dass die mit einer Zwangslizenz übersetzten ausländischen Werke auch exportiert werden durften. Britische Verleger bezeichneten das Entwicklungsländer-Protokoll als »Aufforderung zu legalisiertem Piratentum«28 und lehnten es ebenso entschieden ab wie der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der den Standpunkt vertrat, dass eine Unterstützung für die Entwicklungsländer zwar prinzipiell wünschenswert sei, aber Urheber und Verleger nicht benachteiligen dürfe: Diese Art von Entwicklungshilfe aber geht ausschließlich zu Lasten einer Gruppe – was niemand gutheißen würde, wenn es sich nicht um geistiges Eigentum, sondern um Flugzeuge, Autos, Maschinen und andere Warenlieferungen oder Dienstleistungen handelte –, während die Entwicklungshilfe Aufgabe der Allgemeinheit ist.29
Die Gegner des Entwicklungsländer-Protokolls sahen in den Sonderregelungen für Entwicklungsländer eine Aufweichung der globalen Schutzstandards und werteten die geplanten Einschränkungen als Gefahr für den Fortbestand des internationalen Urheberrechtssystems. In ihren Augen war es auch im Hinblick auf die Stärkung der Buchhandelsinfrastrukturen in der Dritten Welt ein schwerwiegender Fehler, Urheberrecht und Entwicklungshilfe miteinander zu verknüpfen: »Das Protokoll ist [. . .] 26 Vgl. Hemmungs Wirtén: Colonial Copyright, S. 539–544; Ricketson/Ginsburg: International Copyright and Neighbouring Rights, S. 888–913. Vgl. ferner die offizielle Dokumentation der Konferenz: Records of the Intellectual Property Conference of Stockholm. June 11 to July 14, 1967. 2 Bände. Genf: World Intellectual Property Organization 1971, insbesondere S. 947–985. Siehe zudem: Erich Schulze: Stockholmer Konferenz für Geistiges Eigentum 1967. Berlin, Frankfurt/Main: Verlag Franz Vahlen 1967 (Schriftenreihe. Internationale Gesellschaft für Urheberrecht. 39); ders.: Förderung des Welturheberrechts durch Entwicklungshilfe. Berlin, Frankfurt/Main: Verlag Franz Vahlen 1970 (Schriftenreihe. Internationale Gesellschaft für Urheberrecht. 44); Daniel Vignes: Droit d’auteur et aide au développement: Le protocole a l’acte de Stockholm pour la protection des oeuvres littéraires et artistiques. In: Annuaire français de droit international XIII (1967), S. 716–741. 27 Vgl. Protokoll betreffend die Entwicklungsländer. Abgedruckt als Anhang 3 in: Peter: Das Stockholmer Protokoll, S. 71–73. 28 Schulze: Stockholmer Konferenz für Geistiges Eigentum, S. 31. 29 Ders.: Förderung des Welturheberrechts durch Entwicklungshilfe, S. 16.
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kein geeignetes Mittel zur Entwicklungshilfe. Es schadet [. . .] den Autoren der Entwicklungsländer selbst; denn nur ein umfassendes, vorbehaltloses Urheberrecht [. . .] sichern Aufbau und Entwicklung.«30 Die UNESCO, die sich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ebenfalls intensiv mit der Frage auseinandersetzte, ob angesichts der Bedürfnisse der Entwicklungsländer das Welturheberrechtsabkommen nachzubessern sei31 , rief 1969 zusammen mit der Berner Union eine internationale Arbeitsgruppe (International Copyright Joint Study Group) ein. Diese sollte in Anbetracht der geringen Akzeptanz des Stockholmer Protokolls32 neue Vorschläge erarbeiten, wie den Entwicklungsländern ein vereinfachter Zugang zu geschützten Werken ermöglicht werden könne, ohne die Rechte der Urheber einzuschränken.33 Das von dieser Arbeitsgruppe vorgelegte Zweipunkteprogramm wurde in den kommenden Jahren zügig umgesetzt34 : Zum einen gründete die UNESCO 1970 ein Internationales Urheberrechtsinformationszentrum (International Copyright Information Centre, ICIC), das Verleger aus Entwicklungsländern beim Rechteerwerb beraten und bei der Überwindung der dabei auftretenden technischen und finanziellen Schwierigkeiten unterstützen sollte.35 Zum anderen fand 1971 in der französischen Hauptstadt eine gemeinsame Revisionskonferenz von Berner Konvention und Welturheberrechtsabkommen statt, auf der Erleichterungen für Entwicklungsländer neu ausgehandelt und die maßgeblichen Bestimmungen der beiden Konventionen aneinander angeglichen wurden, indem man die Gültigkeit der Berner Schutzklausel für Entwicklungsländer aufhob.36 Obgleich in Paris in beiden Konven30 Ebd., S. 17. 31 Vgl. die entsprechenden Beschlüsse der vierzehnten und fünfzehnten Generalkonferenz: 14 C/ Res. 5.122 und 15 C/Res. 5.121 und 5.122. Siehe ebenso: Report by the Director-General on the Examination by Competent Bodies of the International Copyright Problems Raised by the Various Multilateral Conventions. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: 16 C/85). 32 Lediglich drei Staaten – Schweden, die DDR und Ungarn – hatten das Stockholmer Protokoll umgehend ratifiziert. 33 Vgl. International Copyright Joint Study Group. First Session, Washington, 29 September to 3 October 1969. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review III (1969), H. 4, S. 4–31. 34 Vgl. die Empfehlungen der Washingtoner Tagung. Annex VI und VII in: Report by the DirectorGeneral on the Examination by Competent Bodies of the International Copyright Problems. 35 Vgl. 16 C/Res. 4.122; Rundschreiben CL/2138: UNESCO International Copyright Information Centre, o. D. [etwa 1971] (Pátzcuaro, Archiv des CREFAL, Catálogo de Generalidades, Caja 474 (34), Expendiente 1, Año International del Libro, Período 1971–72); José Miguel de Azaola: The International Copyright Information Centre. In: UNESCO Chronicle XIX (1972), H. 6/7, S. 252–256. Die Idee zur Einrichtung eines Copyright Information Centre geht auf die asiatische Book DevelopmentTagung 1966 in Tokio zurück. Vgl. Book Development in Asia, S. 23. 36 Vgl. Goldstein/Hugenholtz: International Copyright, S. 389–390; Hemmungs Wirtén: Colonial Copyright, S. 547–549. Siehe ebenso die offizielle Dokumentation: Records of the Conference for Revision of the Universal Copyright Convention. UNESCO House, Paris, 5 to 24 July 1971. Paris: UNESCO 1973; Conférence diplomatique de revision de la Convention de Berne (Paris, 5 au 24 juillet 1971). In: Le droit d’Auteur. Revue de l’Organisation mondiale de la propriété intellectuelle (OMPI) 84 (1971), H. 8, S. 135–161.
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tionen Sonderregelungen für Entwicklungsländer aufgenommen wurden, fielen diese im Vergleich zu denen des Stockholmer Protokolls deutlich reduziert aus.37 Die gewährten Zugeständnisse stellten sich zudem – auf längere Sicht betrachtet – als fast völlig unerheblich heraus, denn in den ersten zwanzig Jahren nach der Revision der internationalen Konventionen wurden die Erleichterungen von den Entwicklungsländern kaum in Anspruch genommen.38 Die führenden Buchhandelsnationen hatten in den jahrelangen Auseinandersetzungen über die Tragfähigkeit des globalen Urheberrechtsregimes damit ihre Interessen durchsetzen können, denn Letzteres blieb de facto – trotz der formalen Aufnahme von Zugeständnissen für Länder der Dritten Welt – in seiner Substanz unverändert und als ein globales Mindestschutzniveau für Werke und ihre Urheber und Verwerter für alle Signatarstaaten unabhängig von ihrem Entwicklungsgrad in gleicher Weise bindend. Den Forderungen der Entwicklungsländer nach einem erleichterten Zugang zu entwicklungsrelevanten Wissensbeständen sollte losgelöst von globalen urheberrechtlichen Regelungen entsprochen werden, und zwar durch Unterstützungsleistungen technischer und finanzieller Art, die das Internationale Urheberrechtszentrum der UNESCO vermittelte. Die Staaten der Dritten Welt waren somit fortan beim Erwerb von Lizenzen auf eine in Grad und Umfang nicht näher bestimmte Hilfe und eine in
37 So war zwar sowohl im Welturheberrechtsabkommen als auch in der Berner Konvention die Möglichkeit einer Zwangslizenz für Übersetzungen nach einem Ablauf von drei Jahren vorgesehen; die auf Basis einer solchen Lizenz in den Entwicklungsländern produzierten Bücher durften allerdings nicht, wie es im Stockholmer Protokoll noch vorgesehen war, exportiert werden. Zudem waren Zwangslizenzen für Übersetzungen aus der englischen, französischen und spanischen Sprache ausgeschlossen. Die Erleichterungen für Entwicklungsländer waren in den Artikeln Vbis bis Vquater (UCC) sowie im Appendix der Berner Übereinkunft »Special Provisions Regarding Developing Countries« kodifiziert. Vgl. Berne Convention for the Protection of Literary and Artistic Works. Paris Act of July 14, 1971. Genf: World Intellectual Property Organization 1977, S. 45–57; Universal Copyright Convention as Revised at Paris on 24 July 1971. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review V (1971), H. 3, S. 4–17, hier S. 7–12. Siehe ferner: Ricketson/Ginsburg: International Copyright and Neighbouring Rights, S. 923–956; Basalamah: Compulsory Licensing for Translation, S. 511–522. 38 Vgl. Ricketson/Ginsburg: International Copyright and Neighbouring Rights, S. 957–960. Von der Nichtanspruchnahme der Sonderregelungen für Entwicklungsländer berichten ebenfalls: Implementation of the Revised Paris Texts of 1971 of the Berne Convention and of the Universal Copyright Conventions in Respect of their Application to Developing Countries. Paris 1977 (UNESCO-Dokument: IGC (1971)/II/12); Ficsor: Copyright and Transfer of Knowledge, S. 11–12; Developing Country Publishing Needs Support. In: RIGHTS. Copyright and Related Rights in the Service of Creativity 4 (1990), H. 2, S. 5–7, hier S. 7. Während die Entwicklungsländer den Grund für die Nichtinanspruchnahme der Erleichterungen vor allem in dem äußerst aufwendigen Verfahren sahen, war es in den Augen von Vertretern führender Buchhandelsnationen gerade die rechtlich zugesicherte Möglichkeit einer Zwangslizenz, die viele Verleger bewegte, an ihre Kollegen in der Dritten Welt lieber freiwillig Lizenzen zu verkaufen. Vgl. Lynette Owen: Licensing: A Look at Developed Country-Third World Relations. In: RIGHTS. Copyright and Related Rights in the Service of Creativity 1 (1987), H. 2, S. 2–4 und H. 3, S. 11–14, hier S. 4.
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Aussicht gestellte, aber vertraglich nicht fixierte Solidarität der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Die UNESCO verfolgte, um dem Buchhandel in der Dritten Welt die Teilnahme am internationalen Lizenzgeschäft zu ermöglichen bzw. zu vereinfachen, eine ähnliche Strategie, wie sie sie bereits Jahre zuvor bei den Bemühungen um eine Stärkung der bibliothekarischen Austausch- und Dokumentationssysteme angewandt hatte.39 Sie setzte sich für die Gründung von nationalen bzw. regionalen Urheberrechtszentren und damit für den Aufbau eines weltumspannenden Netzwerkes ein, als dessen Mittelpunkt das Internationale Urheberrechtszentrum in Paris fungierte.40 Bis Anfang der achtziger Jahre entstanden weltweit mehr als zwanzig nationale sowie zwei an den Buchförderungszentren in Karatschi und Bogotá angesiedelte regionale Urheberrechtszentren.41 Deren Vertreter kamen etwa alle drei Jahre in Paris zusammen, um gemeinsam mit Mitarbeitern des ICIC, Urheberrechtsexperten und Buchhandelsvertretern über Maßnahmen zu beraten, wie die Informations- und Expertisedefizite sowie die finanziellen Restriktionen überwunden werden konnten, die Verlegern aus Entwicklungsländern den Erwerb von Rechten aus dem Ausland erschwerten.42
39 Die Bemühungen der UNESCO, die Entwicklungsländer am internationalen Lizenzgeschäft zu beteiligen, umfassten auch den Bereich der audiovisuellen Medien; im Rahmen dieser Arbeit wird allerdings der Fokus ausschließlich auf den Rechteerwerb von Buchtiteln gelegt. 40 Vgl. Alam: UNESCO’s Activities to Facilitate Access, S. 196; Guidelines for the Creation of National and Regional Copyright Information Centres. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XI (1977), H. 3, S. 43–49. 41 Vgl. UNESCO and the Promotion of Access to Works Protected by Copyright (Activities Carried out between 1 January 1971 and 31 December 1979). Paris 1980 (UNESCO-Dokument: UNESCO/TCC/I/1), S. 2. Urheberrechtsinformationszentren entstanden u. a. in der Bundesrepublik Deutschland (Deutsches Informationszentrum für internationale Urheberrechtskontakte am Börsenverein des deutschen Buchhandels), in Frankreich und Großbritannien, aber auch im Senegal, in Mexiko, Bangladesch und Ägypten. 42 In den siebziger Jahren fanden die Treffen der Urheberrechtszentren 1973, 1975 und 1978 jeweils in Paris statt. 1981 wurde die Zusammenarbeit der UNESCO mit der 1967 gegründeten Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) gestärkt. Gemeinsam mit dieser die Berner Konvention verwaltenden Institution setzte die UNESCO ein Joint UNESCO/WIPO Consultative Committee on the Access by Developing Countries to Works Protected by Copyright ein, das im Zweijahresrhythmus zusammenkam und die Tagungen der Urheberrechtszentren ersetzte. Vgl. C. H. Bebbe: Report. Meeting of Officials of Regional or National Copyright Information Centres, Publishing Associations or Agencies and Organizations Representing Authors (UNESCO House, 21–25 May 1973). Paris 1973 (UNESCO-Dokument: LA/MD/1); Final Report. Meeting of Officials of Regional or National Copyright Information Centres and Specialists in the Field of Copyright or Publishing (UNESCO-House, 20 June–4 July 1975). Paris 1975 (UNESCO-Dokument: LA/ICIC/II/7); Final Report. Meeting of Officials of Regional or National Copyright Information Centres and Specialists in the Field of Copyright or Publishing (UNESCO House, 9–12 October 1978). Paris 1978 (UNESCO-Dokument: CPY/ICIC/III/10); Report. Joint UNESCO/WIPO Consultative Committee on the Access by Developing Countries to Works Protected by Copyright. First ordinary session (UNESCO House, 2–4 September 1981). Paris 1981 (UNESCO-Dokument: UNESCO/WPI/CCC/I/6).
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Zum einen boten das Internationale Urheberrechtszentrum der UNESCO und seine nationalen Partnerinstitutionen dem Buchhandel in der Dritten Welt technische Unterstützung an: Sie halfen auf Wunsch bei der Identifizierung von Urhebern und berieten bei der Auswahl von ausländischen Werken.43 Zudem ließ das ICIC einfache Musterverträge für Übersetzungs- bzw. Nachdrucklizenzen erarbeiten44 , führte Fortbildungsmaßnahmen zum Rechtehandel durch45 und veröffentlichte im eigens gegründeten Information Bulletin46 nützliche Informationen zum Urheberrecht. Zum anderen strebte das UNESCO-Zentrum an, für Buchhandelsunternehmen aus Entwicklungsländern den Zugang zu ausländischen Rechten auch in materieller Hinsicht zu erleichtern. Vor allem für Schulbücher und Fachliteratur sollte eine Ermäßigung oder sogar ein vollständiger Erlass der anfallenden Lizenzgebühren bewirkt werden47 : So kamen einige Regierungen – wie z. B. die ungarische – den Aufforderungen der Pariser Organisation nach, im Rahmen von Entwicklungshilfeprogrammen den Erwerb von Rechten zu finanzieren.48 Auch private Buchhandelsfirmen boten günstigere Konditionen für ihre Kollegen in der Dritten Welt an. So folgten mehr als siebenhundert Verlagshäuser in mehr als fünfzehn Ländern dem Aufruf der UNESCO, anlässlich des Internationalen Jahres des Kindes die Lizenzgebühren für kinderliterarische Werke deutlich zu senken oder ganz zu erlassen.49 Eine Übersicht der Werke, deren Rechte zu günstigeren Bedingungen oder sogar kostenfrei abgegeben wurden,
43 Vgl. beispielhaft: Progress Report on the Negotiations Conducted by The UNESCO Centre in 1976, 1977 and 1978. In: Assistance to Developing States for the Purpose of Obtaining the Necessary Authorizations. Meeting of Officials of Regional or National Copyright Information Centres and Specialists in the Field of Copyright and Publishing (UNESCO-House, 9–13 October 1978). Paris 1978 (UNESCODokument: CPY/ICI/III/7), Annex I. 44 Vgl. Model Contract for the Publication of a Reproduction of an Edition of a Work/Model Contract for the Publication of the Translation of a Work. Paris 1979 (UNESCO-Dokument: CPY-79/WS/8). 45 Vgl. beispielhaft: Group Training Course on Copyright. UNESCO House, 12–16 June 1978. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XXI (1979), H. 1, S. 8–9; Training Course in the Field of Competence of National Copyright Information Centres. Moscow, 19–31 May 1980. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XIII (1981), H. 2, S. 12–13; Training Course in the Field of Copyright for Arab Countries. Algiers, 31 May–5 June 1980. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XXIII (1981), H. 2, S. 13. 46 Vgl. Information Bulletin. International Copyright Information Centre 1 (1973)–13 (1980). Vgl. zur Zielsetzung der Publikation: Foreword. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 1 (1973), S. 1. 47 Vgl. Books for All. A Programme of Action, S. 19. 48 Vgl. News in Brief. Hungary. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 1 (1973), S. 8. Ein ähnliches Angebot unterbreitete auch der polnische Staat: News in Brief. Poland. Statement of the Government of Poland on the Transfer of Rights to Developing Countries. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 6 (1977), S. 9. 49 Vgl. List of Children’s Books Whose Copyright Might Be Transferred on Special Terms to Publishers in Developing Countries. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 11 (1979), S. 1–52 und 13 (1980), S. 4–24.
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veröffentlichte das ICIC ebenso in regelmäßigen Abständen wie Aufstellungen des bibliographischen Bedarfs in der Dritten Welt.50 Zusätzlich zu den materiellen Vergünstigungen, die punktuell und für spezifische Titel dank der Solidarität privater Verlagsunternehmen und Urheber bzw. im Rahmen von staatlichen Entwicklungshilfeprogrammen vermittelt wurden, richtete die UNESCO 1981 den International Copyright Funds (COFIDA) ein, bei dem Verleger aus Dritte-Welt-Ländern Mittel für den Kauf von Rechten beantragen konnten, die sie langfristig, nach Abverkauf einer bestimmten Auflage, zurückzahlen mussten. Ferner war vorgesehen, über den Urheberrechtsfond auch Übersetzungskosten vorzustrecken.51 Der aus Spenden von Privatpersonen, Regierungen, internationalen Organisationen und Verbände zu bestreitende COFIDA sollte mithin die »Kosten des Urheberrechts«52 für die Entwicklungsländer vorfinanzieren bzw. partiell übernehmen. Da die Zuwendungen allerdings äußerst gering waren – Ende 1985 belief sich der Finanzmittelstatus des Fonds auf weniger als 18.000 US-Dollar53 –, blieb dessen Wirkung stark begrenzt.54 Die UNESCO verstand die durch das ICIC getragenen Bemühungen, den Rechteerwerb für Verlage aus Entwicklungsländern zu vereinfachen, als eine das Book Development-Programm unterstützende Maßnahme: »Access to copyright is an important fac-
50 Vgl. beipielhaft: Inventory of Developing Countries’ Needs in Respect of Printed and Audio-Visual Works. Meeting of Officials of Regional or National Copyright Information Centres and Specialists in the Field of Copyright and Publishing (UNESCO-House, 9–13 October 1978). Paris 1978 (UNESCODokument: CPY/ICI/III/3); Physics and/or Chemistry Books for which the Copyright Can Be Transferred to Governments or Publishers in Developing Countries. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 3 (1974), S. 2–14. Siehe auch: Alam: UNESCO’s Activities to Facilitate Access, S. 194–195. 51 Vgl. Committee for International Copyright Funds (COFIDA). A Subsidary Organ of the International Fund for the Promotion of Culture. Paris: UNESCO 1981, S. 15–16; Committee for International Copyright Funds. Document Prepared by the Secretariat of UNESCO. Joint UNESCO-WIPO Consultative Committee on the Access by Developing Countries to Works Protected by Copyright (UNESCO House, 2–4 September 1981). Paris 1981 (UNESCO-Dokument: UNESCO/WIPO/CCC/I/4); Questions of Operational Policy. In: Mechanism for Financing Payment of Royalties by Users in Developing Countries to Copyright Owners in Foreign Countries. Paris (UNESCO-Dokument: UNESCO/WIPO/CCC/II/9), Annex II. 52 Im englischen Original: »cost of copyright«. Committee for International Copyright Funds (COFIDA), S. 16. 53 Vgl. Financial Position of COFIDA as of January 1985. Annex zu: Mechanism for Financing Payment of Royalties by Users in Developing Countries to Copyright Owners in Foreign Countries. Document Prepared by the Secretariat of UNESCO. Joint UNESCO-WIPO Consultative Committee on the Access by Developing Countries to Works Protected by Copyright. Third Ordinary Session (UNESCO House, 22–26 April 1985). Paris 1985 (UNESCO-Dokument: UNESCO/WIPO/CCC/III/9). 54 Für das Jahr 1989 konnte noch eine Finanzübersicht des COFIDA gefunden werden, danach verlieren sich seine Spuren. Ob er ganz aufgelöst oder in den ebenfalls finanzschwachen International Fund for the Promotion of Culture integriert wurde, ließ sich nicht ermitteln.
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tor in national book development.«55 Die Publikation ausländischer Werke durch lokale Verlagshäuser war in den Augen der Pariser Organisation der Einfuhr von Büchern aus dem Ausland immer dann vorzuziehen, wenn eine genügend große Binnennachfrage eine Produktion vor Ort rentabel machte. Um sowohl die Produktion von Lizenzausgaben in Entwicklungsländern zu ermöglichen als auch die Entstehung einheimischer Werke bestmöglich zu fördern, war die Gewährleistung eines urheberrechtlichen Schutzes unabdingbar, der im selben Umfang und Maße sowohl für inals auch für ausländische Autoren gelten musste: At the national level, recognition of domestic copyright protection seems to be mandatory of a country that hopes to create an atmosphere congenial to the promotion of intellectual creation on the part of its authors [. . .] Just as domestic copyright protection appears indispensable to the encouragement of a professional class of writers in developing countries, so too does recognition by such countries to the rights of foreign authors in their works. Indeed, if books by foreign authors could be pirated for nothing while compensation was required for the use of domestic works, rare would be the publisher in a developing country who would bother to give the local unrecognized writer any attention at all.56
Erst die Garantie eines umfassenden urheberrechtlichen Schutzes schuf – so die Pariser Organisation – ein Klima, in dem nationale literarische Schöpfungen entstehen konnten; die Achtung geistigen Eigentums war in ihren Augen damit auch ein Mechanismus zur Gewinnung kultureller Unabhängigkeit: Examining the current world situation, it is impossible to overlook the great disparity between the different countries as regards intellectual production, and the developing countries’ growing dependence on the developed countries for the works most essential to the advance of education, science and culture [. . .] It should therefore be realized that the process of transfer of knowledge without adaptation is in the long term fraught with potential danger, and it should be replaced by an indigenous action [. . .], centered on the needs of a culture and respectful of the cultural context which stimulates and encourages local creativity. Their own cultural values depends on a country’s intellectual and artistic creativity, which to a large extent reflects the encouragement and protection extended to those who create.57
55 UNESCO International Copyright Information Centre. Its Purpose and Operation. Annex zu: Rundschreiben CL/2138: UNESCO International Copyright Information Centre, o. D. [etwa 1971] (Pátzcuaro, Archiv des CREFAL, Catálogo de Generalidades, Caja 474 (34), Expendiente 1, Año International del Libro, Período 1971–72); ähnlich auch: Suggestions Concerning the Measures which Might Be Taken in Order to Facilitate the Access of Developing Countries to Protected Works with Respect to Copyright. In: Information Bulletin. International Copyright Information Centre 2 (1974), S. 1–15, hier S. 1–2. 56 Olian: International Copyright and the Needs of the Developing Countries, S. 92–93. Ähnlich u. a. auch in: The ABC of Copyright. Paris: Unsco 1981, S. 67; Marie-Claude Dock: Copyright and the Developing Countries. In: Newsletter. Regional Centre for Reading Materials IX (1967), H. 3, S. 2–5, hier S. 2. 57 The Role of Copyright and Its Impact on National Creativity. Paris 1982 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CPY/CZC/IV/1), S. 5.
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Als Ergänzung zum Book Development-Programm bot die UNESCO ihren Mitgliedsstaaten daher Unterstützung bei Entwurf und Implementierung eines sich an internationalen Standards orientierenden nationalen Urheberrechts an. Zu diesem Zweck ließ die UN-Organisation ein Modellgesetz, das sogenannte Tunis Model Law on Copyright, erarbeiten58 und organisierte – zumeist in Kooperation mit den regionalen Buchförderungszentren oder nationalen Behörden – Seminare und Konferenzen, auf denen aktuelle Herausforderungen und Probleme des Urheberrechts verhandelt wurden.59 Weiterhin war die Vergabe von Weiterbildungsstipendien für Urheberrechtsexperten aus der Dritten Welt vorgesehen; ferner konnten – auf Wunsch der Mitgliedsstaaten – Sachverständige vor Ort tätig werden und die Regierung beispielsweise bei der Überarbeitung der nationalen Gesetzgebung oder beim Aufbau eines Urheberrechtszentrums beraten.60 Gleich mehrere derartige Expertenmissionen fanden Anfang der achtziger Jahre in der Dominikanischen Republik statt.61 Die dortige Regierung war zunehmend
58 Vgl. Tunis Model Law on Copyright and Commentary. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review X (1976), H. 2, S. 10–43. 59 Es fanden regionale Urheberrechtstagungen 1978 in Neu-Delhi (Indien), 1979 in Buenos Aires (Argentinien), 1980 in Lomé (Togo) und 1981 in Kingston (Jamaika) statt. Vgl. Regional Seminar on Copyright and Neighbouring Rights for Asian and Pacific States and Territories. (New Delhi, 18–22 December 1978). In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XIII (1979), H. 1, S. 39–44; Regional Copyright Seminar for Latin American and Caribbean Countries. (Buenos Aires, 5–9 November 1979). In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XIII (1979), H. 4, S. 38–42; African Regional Seminar on Copyright. (Lomé, Togo, 1–3 December 1980). In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XV (1981), H. 1, S. 25–27; Regional Seminar on Copyright for English-speaking Caribbean States. (Kingston, Jamaica, 19–23 October 1981). In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XVI (1982), H. 1/2, S. 71–75. Vgl. für eine nationale Konferenz beispielhaft: Copyright Training Course for Nationals of China. Shanghai, China, 3–14 July 1984. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XVIII (1984), H. 4, S. 53– 54. 60 Vgl. Legal and Technical Assistance to States in Developing Their National Coypright Legislation. Paris 1977 (UNESCO-Dokument: IGC(1971)/II/6); Legal and Technical Assistance to States in Developing Their National Coypright Legislation. Paris 1979 (UNESCO-Dokument: IGC(1971)/III/6); Legal and Technical Assistance to States to Develop National Legislation and Infrastructures in the Field of Copyright. Paris 1981 (UNESCO-Dokument: IGC(1971)/IV/7). Vgl. beispielhaft für eine Mission in Sachen Urheberrecht: José Miguel de Azaola: Creación de un centro nacional de información sobre el derecho de autor. Perú. Paris 1979 (UNESCO-Dokument: FMR/CPY/ICIC/81/118). 61 1978/1979 reiste Álvaro Garzón in seiner Funktion als CERLALC-Mitarbeiter in die Dominikanische Republik, um den sich dort rasant ausbreitenden Raubdruck zu analysieren. Als UNESCO-Experte kam er 1982 zurück, um ein Gesetz zugunsten des Buches zu erarbeiten, bei dem der Schutz des geistigen Eigentums und Strategien zur Eindämmung der piratería eine gewichtige Rolle einnahmen. Im selben Jahr war auch der CERLALC-UNESCO-Experte Vicente Garibaldi Camacho auf der Karibikinsel zugegen, wo er im Auftrag der Regierung an einem Entwurf für ein neues Urheberrecht arbeitete. Ein Jahr später kam der ehemalige CERLALC-Direktor Arcadio Plazas in die Dominikanische Republik, um das von seinem Kollegen und einheimischen Regierungsbeamten entworfene Gesetz zu revidieren und zur Implementierung vorzubereiten.
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unter Druck geraten, ihr aus dem Jahr 1947 stammendes Urheberrecht zu modernisieren und an international übliche Maßstäbe anzupassen. Da nach geltendem nationalem Gesetz ausländische Autoren auf der Karibikinsel keinerlei urheberrechtlichen Schutz genossen und die Dominikanische Republik zudem als einziges lateinamerikanisches Land keiner der beiden internationalen Urheberrechtskonventionen beigetreten war, stellte der unautorisierte Nachdruck ausländischer Werke keine Rechtsverletzung dar und war somit international nicht zu ahnden. Obgleich die piratería in ganz Lateinamerika in den siebziger Jahren aufgrund der preiswerten Reproduktionsmöglichkeiten durch den Offsetdruck florierte – der am CERLALC tätige UNESCOExperte Camacho schätzte, dass in einigen Ländern der Region fast 25 Prozent des Gesamtumsatzes des Buchhandels mit Raubdrucken erzielt wurde62 –, galt die Dominikanische Republik als Mekka der Raubdrucker schlechthin, als »Piratengebiet«63 par excellence, in welchem US-amerikanische und spanische, aber auch argentinische, mexikanische und kolumbianische Literatur nachgedruckt und nicht nur auf dem einheimischen Markt abgesetzt, sondern auch in andere Länder der Region exportiert wurde. Die betroffenen Verlage sowie nationale Autorenverbände und Buchhandelskammern, namentlich aus Mexiko, protestierten gegen die expandierende Raubdruckpraxis in dem Karibikstaat und verlangten eine rasche Beseitigung der Missstände.64 Die CERLALC-Experten, die auf Gesuch der dominikanischen Regierung zusammen mit einheimischen Sachverständigen und Vertretern der Buchbranche die piratería analysierten und als deren Hauptursachen die Abgeschnittenheit der Insel vom internationalen bzw. regionalen Buchhandel, die Überausstattung des graphischen Gewerbes, ein unzureichendes nationales Urheberrecht und generell zu hohe Buchpreise ausmachten, kamen zu dem Schluss, dass eine Neufassung des Urheberrechts und ein Beitritt zum Welturheberrechtsabkommen zwar unabdingbar seien, aber für
62 Vgl. Vicente Garibaldi Camacho: Informe. Derecho de Autor y Piratería (en América Latina y el Caribe) vom 3.2.1981 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 8, Informes Comisiones, Consultores 1981–1982). 63 Im spanischen Original: »territorio pirata«. Noticias sobre el libro y bibliografía 34 (1982), Titelinnenseite. 64 Vgl. Álvaro Garzón López: Informe de Misión: Piratería Editorial en República Dominicana, o. D. [etwa 1979] (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 3); ders.: Informe de Consultoría. Asesoría para la formulación de una política de desarrollo del libro en República Dominicana. Santo Domingo, 20.4.–20.5.1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 6, Informes de Misión a Costa Rica, República Dominicana y Nicaragua 1982), S. 5 und S. 22–30; Arcadio Plazas: Informe de Misión en la República Dominicana (21.8.–3.9.1983) vom 21.9.1983 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 9, Informe Misiones a varios países, 1982–1983); Qué hacer? Recomendaciones de la AIE. In: Noticias sobre el libro 34 (1982), S. 11–16, hier S. 15; Statement by Mr. William C. Headrick. Lawyer, Santo Domingo, Dominican Republic. In: WIPO Worldwide Forum on the Piracy of Broadcasts and of the Printed Word. Geneva, March 16 to 18, 1983. Genf: World Intellectual Property Organization 1983 (WIPO Publication. 646 (E)), Dokument: PF/II/S/8.
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sich genommen nicht ausreichten, um den Raubdruck wirksam einzugrenzen.65 Vielmehr musste ein adäquater Autorenschutz Teil einer Gesamtstrategie sein, die zum einen dem insularen Buchhandel und graphischen Gewerbe eine wirtschaftliche attraktive Perspektive bot, sodass diese zur Aufgabe der Raubdruckpraxis bereit waren, und die zum anderen sicherstellte, dass der Bevölkerung ein der Nachfrage entsprechendes, ›legales‹ Buchangebot zu angemessenen Preisen zur Verfügung stand.66 Eine wirksame Strategie zu formulieren und umzusetzen, gelang allerdings weder für das ›Piratenparadies‹ Dominikanische Republik noch für andere Entwicklungsländer wie Indonesien, die Philippinen oder Nigeria, in denen der Handel mit raubgedruckten Büchern ebenso gedieh. Zwar wurde in Arbeitspapieren immer wieder herausgestellt, dass auf Grundlage nationaler und internationaler Urheberrechtsbestimmungen beschlagnahmte Waren zu vernichten, gegen Raubdrucker gerichtliche Verfahren einzuleiten und diese mit empfindlichen finanziellen Strafen maßzuregeln seien und dass zusätzlich in der Bevölkerung das Bewusstsein für die Unrechtmäßigkeit und die negativen Folgen von Raubdruck mithilfe von Aufklärungskampagnen67 gestärkt werden müsse, aber solange der Raubdruck insbesondere von Schulbüchern und Bestsellern ein äußerst lukratives Geschäft mit sehr hohen Gewinnmargen war68 und auf strukturellen Ungleichheiten im Verlagsund Druckwesen beruhte, schienen derartige Maßnahmen kaum durchschlagenden Erfolg zu haben.69
65 Vgl. Vicente Garibaldi Camacho: Informe de Misión. Asesoría para la formulación de una política de desarrollo integral del derecho de autor, Mai und Juni 1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, D4–64). 66 Vgl. Álvaro Garzón: Informe de Consultoría. Asesoría para la formulación de una política de desarrollo del libro en República Dominicana. Santo Domingo, 20.4.–20.5.1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 6, Informes de Misión a Costa Rica, República Dominicana y Nicaragua 1982), S. 29–30. 67 Die Internationale Verleger-Union startete 1982 eine Kampagne unter der Losung »Can Publishing Survive Book Piracy?«. Vgl. M. H. Mirza: Anti-Piracy Programme of the Pakistan Publishers and Booksellers Association. In: Copyright Bulletin. Quarterly Review XVII (1983), H. 4, S. 45–46, hier S. 45. 68 Mitte der achtziger Jahre sollen weltweit englischsprachige Bücher im Wert von über einer Milliarde US-Dollar illegal nachgedruckt worden sein. Der Gewinnanteil eines Raubdruckers machte nach Schätzungen etwa sechzig Prozent des Verkaufspreises aus, während er beim Originalverleger bei lediglich etwa zehn Prozent lag. Vgl. Donald E. McNeil: Copyright Law and the Protection of Intellectual Property. In: American Books Abroad. Toward a National Policy. Hrsg. von William M. Childs und Donald E. McNeil. Washington, D.C.: Helen Dwight Reid Educational Foundation 1986, S. 21–34, hier S. 21; Altbach: Copyright in the Developing World, S. 94; Shahid Alikhan: The Problem of Piracy. In: International Publishing Today. Problems and Prospects. A Festschrift in Honour of Manuel Salvat. Hrsg. von Om Prakash Ghai und Narendra Kumar. Delhi: The Bookman’s Club 1984, S. 53–63, hier S. 56. 69 Die Bekämpfung des Raubdrucks stand in den achtziger Jahren insbesondere auf der Agenda der IVU, aber auch der WIPO und der UNESCO. Vgl. Álvaro Garzón: Piracy. Contribution to an Analysis of the Phenomenon. Paris 1983 (UNESCO-Dokument: CPY-83/WS/1); WIPO Worldwide Forum on the Piracy of Broadcasts and of the Printed Word. Geneva, March 16 to 18, 1983. Genf: World Intellectual
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Häufig legitimierten die Raubdrucker ihre Tätigkeiten als Dienst am Gemeinwohl, so auch in der Dominikanischen Republik, wo sich Verleger gegen das Inkrafttreten des neuen, den unautorisierten Nachdruck ausländischer Werke untersagenden Urheberrechts zur Wehr setzten: »[S]i no hubiese sido por la piratería en el país, la inmensa mayoría de los estudiantes de primaria, secundaria y universitarios hubiesen prescindido del libro para su estudio ya que los importados son sumamentde [sic!] caros.«70 Sie machten darauf aufmerksam, dass dank der Raubdrucke die Preise für Fach- und Studienliteratur um mehr als die Hälfte gesunken waren und dadurch kaufkraftschwächeren Schichten erstmals die Möglichkeit zum Buchkauf gegeben wurde, und beschuldigten die UNESCO, durch ihre globale Urheberrechtspolitik die großen internationalen Verlagskonzerne zu begünstigen, wohingegen der junge Buchhandel in der Dritten Welt in seiner Entwicklung gehemmt werde, zum Schaden für Land und Bevölkerung.71 Um ihr Tun zu rechtfertigen, verwiesen viele Raubdrucker außerdem darauf, dass führende Buchhandelsnationen, allen voran die USA, in der frühen Wachstumsphase ihres Buchhandels ebenfalls massiv nachgedruckt hätten, und kritisierten, dass dieses Frühstadium der Entwicklung dem noch jungen Buchhandel in Afrika, Asien und Lateinamerika nicht zugebilligt werde, sondern dieser sich vielmehr von Anfang an den von den entwickelten Nationen vorgegebenen Standards unterordnen müsse. Damit stellte das internationale Urheberrechtsregime nicht nur in den Augen der Raubdrucker einen Kontrollmechanismus für die Produktion und vor allem für die Verbreitung von Wissen dar, der als neokolonialistisches Raster die Ungleichheiten zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern verstärkte: Copyright functions in an interdependent international system of intellectual and commercial relations [. . .] The nations of the developing world find themselves at a considerable disadvantage when building their own knowledge system in this network of inequality. Copyright is but a small part of a much larger international system that control resources, trade, foreign assistance, and many other factors. But looking at copyright as a microcosm of the larger system, it is possible to see in some detail the nature of the disadvantages faced by the developing world.72
Die UNESCO selbst hat sich nie ganz befreien können aus dem Spannungs- und Konfliktfeld, das aus ihrem Einsatz zum Schutz des geistigen Eigentums resultierte und Property Organization 1983 (WIPO Publication. 646 (E)); La Piratería. Reflexiones para un examen del fenómeno. In: Noticias sobre el libro 46 (1985), S. 6–13; Working Document. Symposium on Piracy. Efforts to Find Ways of Protecting the Interests of Copyright Holders and of Users of Intellectual Works (UNESCO House, 18–20 September 1989). Paris 1989 (UNESCO-Dokument: UNESCO/CC/CPY/CP/2). 70 Virgina Álvarez: Editores libreros se oponen a que la RD suscriba el convenio de »Derecho de Autor«. In: El nuevo diario vom 5.11.1982. Artikel enthalten in den Seminarunterlagen: Seminario Taller sobre Desarrollo del Libro y la lectura en República Dominicana, organizado por Secretario Técnico de la Presencia, ONAP, UNESCO, CERLAL (3.–5.11.1982) (Bogotá, Archiv des CERLALC, SRI, B3–45). 71 Vgl. ebd; Álvaro Garzón: Informe de Consultoría, República Dominicana, 1.–5.11.1982 (Bogotá, Archiv des CERLALC, Archivo Inactivo, Informes de misiones, Caja 1, Carpeta 6, Informes de Misión a Costa Rica, República Dominicana y Nicaragua 1982). 72 Altbach: Copyright in the Developing World, S. 92.
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das die Probleme und Herausforderungen widerspiegelte, den der Urheberschutz in Entwicklungsländern mit sich brachte. Mit der Aufrechterhaltung und Erweiterung des internationalen Urheberrechtsregimes, das gleichzeitig auch den entwicklungsbedürftigen Buchhandel in der Dritten Welt voranbringen sollte, verfolgte sie drei, sich teils gegenseitig bedingende, teils aber auch miteinander unvereinbare Zielsetzungen: die Garantie der Universalität des Urheberrechts, die Stärkung der Urheber und des Buchhandels in der Dritten Welt sowie die Gewährleistung eines einfachen Zugangs der Entwicklungsländer zu entwicklungsrelevanten Wissensbeständen der Industrienationen. Die Pariser Organisation war bemüht, die auftretenden Zielkonflikte dadurch auszugleichen, dass sie sich zum einen für die Einbindung der Entwicklungsländer in das globale Urheberrechtsregime aussprach und für ein umfassendes nationales Urheberrecht warb, welches in ihren Augen Garant für die Entstehung geistiger Kreationen und Innovationen sowie für die nachhaltige Entwicklung des Buchhandels in der Dritten Welt war. Zum anderen gewährte und vermittelte die UNESCO technische wie finanzielle Unterstützungsleistungen, welche Verlegern in Afrika, Asien und Lateinamerika den Erwerb von Rechten ausländischer Werke und damit den Zugang zu westlichen Wissensbeständen erleichtern sollte. Damit befürwortete die UN-Organisation schlussendlich die Existenz eines globalen Urheberrechtsschutzes, dessen Standards durch die westliche Welt, durch die alten, machtvollen Buchhandelsnationen in Europa geprägt worden waren, während sie gleichzeitig bemüht war, die Nachteile, die sich für die jungen, unabhängigen Nationen aus dessen Achtung ergaben, durch Entwicklungshilfe technischer und finanzieller Art zu kompensieren.
10.2 Mächtige Wettbewerber und kleine Märkte: Schwierigkeiten privatwirtschaftlichen Verlegens in der Dritten Welt Neben der Einbindung der Entwicklungsländer in die internationale Urheberrechtsordnung hatte die UNESCO als weitere zentrale Zielsetzung für die Weltbuchdekade formuliert, »in jedem Land ein rentables nationales Verlagswesen zu schaffen«73 . Studien, die die Machbarkeit dieses Vorhaben prüften bzw. Strategien formulierten, wie dieses umzusetzen sei und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssten, legte die UN-Organisation allerdings nicht vor. Dass in jedem Land und unter jedweden sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen ein solider Buchhandel entstehen könne, daran schienen innerhalb der UNESCO überhaupt keine grundsätzlichen Zweifel bestanden zu haben, obwohl bereits Mitte der sechziger Jahre – also zu einem Zeitpunkt, als das Book Development-Programm in Paris gerade konzipiert wurde – der UNESCO-
73 Im englischen Original: »The final aim is to create in each country a viable national publishing industry.« Books for All. A Programme of Action, S. 20.
Mächtige Wettbewerber und kleine Märkte
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Experte Clifford Fyle auf die »wirtschaftlich unlösbare[n] Probleme«74 aufmerksam gemacht hatte, mit denen sich Verleger in Entwicklungsländern konfrontiert sahen: den aufgrund der Einwohnerzahl, der Sprachenvielfalt, dem Bildungsniveau und der Kaufkraft meist äußerst begrenzten (nationalen) Absatzmärkten und der verlegerischen Konkurrenz aus dem Ausland. Wie anhand der afrikanischen und lateinamerikanischen (Schul-) Buchmärkte bereits dargestellt wurde, waren ausländische Verlagsunternehmen in der Dritten Welt präsent und versorgten die Bevölkerung mit ihren Waren. Ebenso wie spanische Firmen aufgrund der gemeinsamen Sprache lukrative Geschäfte in Lateinamerika tätigten, profitierten Verlagshäuser aus den USA, Großbritannien und Frankreich davon, dass in zahlreichen asiatischen, afrikanischen und karibischen Ländern die Metropolsprachen Englisch und Französisch auch nach der politischen Unabhängigkeit gebräuchlich blieben.75 Zwar wurden vielerorts einheimische Sprachen zu Nationalsprachen erhoben, dennoch war in nicht wenigen Fällen die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht weiterhin anerkannt, insbesondere in jenen Ländern, in denen eine »Balkanisierung«76 durch eine große Vielfalt lokaler Sprachen drohte, wie etwa im westafrikanischen Nigeria, wo mehr als 350 unterschiedliche Sprachen und Dialekte gezählt wurden und Englisch neben Igbo, Yoruba und Haussa de facto nicht nur offizielle Amts- und Unterrichtssprache, sondern auch für die Buchproduktion maßgeblich blieb.77 Ähnlich stellte sich die Situation im ostafrikanischen Kenia dar, wo die Mehrheit der lokal verlegten Bücher in englischer Sprache auf dem Markt kam. Henry Chavaka, einer der Pioniere des kenianischen Verlagswesens, erläuterte Mitte der siebziger Jahre: A decision to publish in English not only means sacrificing a certain amount of cultural authenticity, but also shutting out the majority of Kenya’s population who cannot read the language. It also means identifying with the language of our colonial masters, instead of developing our own. Yet, this language [. . .] guarantees greater sales on the local market, more than any other.78
74 Clifford M. Fyle: Afrika auf der Suche nach Verlegern. In: UNESCO Kurier 6 (1965), H. 9, S. 26–30, hier S. 27. 75 Vgl. hierzu ausführlich die soziolinguistischen Übersichtsdarstellungen: Language & National Identity in Africa. Hrsg. von Andrew Simpson. Oxford u.a.: Oxford University Press 2008; Language & National Identity in Asia. Hrsg. von Andrew Simpson. Oxford u.a.: Oxford University Press 2007. 76 Im englischen Original: »Balkanization of local languages«. Hasan: The Book in Multilingual Countries, S. 10. 77 Vgl. Andrew Simpson/B. Akíntúndé Oyètádé: Nigeria: Ethno-linguistic Competition in the Giant of Afria. In: Language & National Identity in Africa. Hrsg. von Andrew Simpson. Oxford u.a.: Oxford University Press 2008, S. 172–198. 78 Henry Chakava: Publishing in a Multilingual Situation: The Kenya Case. Paris 1976 (UNESCODokument: COM-76/804/3), S. 5. 1978 kamen insgesamt 147 Bücher in Kenia auf den Markt, davon 119 in englischer Sprache und lediglich zehn auf Suaheli. Vgl. Ders.: A National Book Strategy for Kenya. In: Report. Regional Meeting of Experts on National Book Strategies in Africa (Dakar, Senegal, 2–5 February 1981). Paris 1981 (UNESCO-Dokument, CC.81/WS/37), S. 51–62, hier S. 51–52 und S. 61.
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In der Begründung Chakavas wird deutlich, dass die Entscheidung, auf Englisch zu verlegen, ausschließlich ökonomisch bedingt war und kulturelle Argumente wie die Förderung der einheimischen Sprache(n) und die Überwindung kolonialer Kontinuitäten im Kultur- und Medienbereich unberücksichtigt blieben bzw. bleiben mussten. Durch englischsprachige Veröffentlichungen konnte die Mehrheit der ohnehin kleinen Leserschaft in Kenia erreicht und nur so eine Auflage gewährleistet werden, die eine hinlänglich rentable Buchproduktion erst möglich machte. Auch in Indien, wo Mitte der siebziger Jahre etwa vierzig Prozent der Gesamtbuchproduktion auf Englisch erschien79 , war die Sprache der einstigen Kolonialmacht für den Buchhandel von zentraler Bedeutung, und zwar nicht nur weil der nationale nicht-englischsprachige Buchmarkt durch die Vielzahl lokaler und regionaler Sprachen stark fragmentiert war, sondern vor allem weil die Eliten des Landes am Englischen festhielten: In most countries of South and South East Asia, English continues to be at a premium. It is the language of the élite and the medium of better known schools and colleges. In India for example, English continues to be the lingua franca, the medium of administration at the centre and the most acceptable vehicle of intellectual communication, although it does not have recognition as a national language. That explains why in 1975, out of a total of 12,708 titles, 4,800 – or more than one-third – were in English, the remainder being in the 15 or so recognized national languages. This may surprise those who know that hardly two per cent of India’s population is literate in English, but it is this population which can most afford to buy books. Scattered throughout the country in urban centres where books can reach easily, it is a safe market for the local publisher. Indigenous authorship and publishing in local languages are thus handicapped by the built-in resistance of the English-speaking minority.80
Die hier beschriebene Orientierung der einheimischen Verlage an den Bedürfnissen der politischen und gesellschaftlichen Eliten lässt sich auch für den Buchhandel auf den Philippinen nachweisen, wo sich nach einer wechselvollen Kolonialgeschichte die National- und Amtssprache Filipino auf dem Buchmarkt nicht durchzusetzen vermochte: There are no official and verified figures as to the number of books in Filipino in relation to those in English and other foreign languages (Spanish, Chinese, etc.) published in our country, except the UNESCO listing of 1976, which lists a total of 1609 titles, 145 in Filipino and vernaculars. A cursory look at bookstores and libraries will indeed reveal quite a dismal picture for books in Filipino. Is it because as one book authority said, of the overweening English-orientation of our serious readers? If you’re serious, you think in English. Knowledge of all kinds is still imparted in English.81 79 Vgl. Indian Book Survey, S. 3. 80 Hasan: The Book in Multilingual Countries, S. 11. 81 Summary of Country Reports. Book Development in the National Language in the Philippines. In: Final Report. Regional Seminar on Book Publishing in National Languages. Karachi, Pakistan, 20–24 January 1980. Karatschi 1980 (UNESCO-Dokument, ROCBA - 80/RSBPNL/4), Annex II, S. 51–54, hier S. 53.
Mächtige Wettbewerber und kleine Märkte
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Die Verleger in Asien und Afrika, die sich zumeist aus wirtschaftlichen Motiven dafür entschieden, in den Metropolsprachen Englisch oder Französisch zu publizieren, um so die größtmögliche, zumindest aber die kaufkraftstärkste Zielgruppe ihres Landes zu bedienen, sahen sich einer harten Konkurrenz aus dem Ausland gegenüber: Die Verlagshäuser aus Westeuropa und den USA verfügten über teils so große strukturelle Wettbewerbsvorteile, dass – so jedenfalls urteilte der britische Medienwissenschaftler Peter Golding Ende der siebziger Jahre – die lokalen Buchhandelsfirmen in der Dritten Welt mit ihnen kaum effektiv konkurrieren konnten: »The growth and diversification of the multinational publishers is already too advanced to rely on blithe optimism in predicting the future of domestic autonomous publishing in the Third World.«82 Die westlichen Buchhandelsunternehmen mit ihren langen Traditionen, klangvollen Namen, ausdifferenzierten Verlagsprogrammen und etablierten (internationalen) Handelsnetzen besaßen ein hohes kulturelles und ökonomisches Kapital, das sie für Autoren aus der Dritten Welt als Publikationsorte besonders attraktiv machte. Die unbekannten, jungen Verlage in den Entwicklungsländern konnten dem »literarischen Exodus«83 der angesehensten Schriftsteller und Wissenschaftler kaum etwas entgegensetzen: A[n] [. . .] obstacle for local publishers is the difficulty they face in attracting authors. Writers naturally seek wide sales, which only the distribution networks of the multinational can offer them. The prestige of publication by a famous established house in London, Paris or New York is a powerful lure away from patriotic or political support for a local publisher [. . .] Even indigenous university presses are caught in this trap: The local university presses seldom get a manuscript that has not been rejected by at least one overseas publishers.84
Das Fehlen renommierter, bekannter Autoren in den Verlagsprogrammen der einheimischen Häuser führte dazu, dass auch Leser in Entwicklungsländern dazu neigten, eher zu Büchern aus dem Ausland zu greifen als zu Veröffentlichungen lokaler Häuser. Ein Verleger aus Pakistan berichtete: The absence of quality writers compels the readers to read foreign books and patronize import to the detriment of local publishing. It is a fact that popular English imported titles sell more than the best sellers [sic!] in national languages.85
Im Vergleich zu ihren Konkurrenten aus der Dritten Welt besaßen die ausländischen Verlage nicht nur erheblich mehr Renommee und Prestige, sondern auch immense 82 Golding: The International Media, S. 463. 83 Im englischen Original: »literary exodus«. Hasan: The Book in Multilingual Countries, S. 18. 84 Golding: The International Media, S. 461. Vgl. dazu ferner: Keith B. Smith: The Impact of Transnational Book Publishing on Intellectual Knowledge in Less Developed Countries. Paris 1976 (UNESCODokument: SHC.76/CONF.635/10), insbesondere S. 7–8. 85 Summary of Country Reports. Publishing in National Languages in Pakistan. In: Final Report. Regional Seminar on Book Publishing in National Languages. Karachi, Pakistan, 20–24 January 1980. Karatschi 1980 (UNESCO-Dokument, ROCBA - 80/RSBPNL/4), Annex II, S. 45–50, hier S. 49.
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Die Weltbuchdekade (1972–1982)
wirtschaftliche Vorteile: Sie verfügten über deutlich mehr Kapital, hatten leichteren Zugang zu Krediten und neuesten Technologien und konnten Druckereien in Niedriglohnländern beauftragen, Bücher in hoher Auflage für den Weltmarkt zu produzieren.86 Demgegenüber waren zahlreiche Verlage in den Entwicklungsländern unterkapitalisiert, hatten Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme87 , litten unter hohen Bezugskosten für Papier und sahen sich einer teilweise starken Inflation und kleinen (nationalen) Absatzmärkten gegenüber. Die Studie The Economics of Book Publishing in Developing Countries – die die UNESCO Mitte der siebziger Jahre beim langjährigen Präsidenten des Franklin Book Programs Datus C. Smith in Auftrag gab und die erstmals im Rahmen des mittlerweile fast zehn Jahre alten Buchmarktentwicklungsprojekts ein Interesse an den ökonomischen Prämissen des book development erkennen lässt – wies auf die verhältnismäßig hohen Herstellungskosten in Entwicklungsländern hin.88 Während in Europa und Nordamerika bei einer Auflage von 10.000 Exemplaren die Herstellungskosten etwas mehr als zwanzig Prozent des Listenverkaufspreises betrugen89 , machten sie in der Dritten Welt bedingt vor allem durch hohe Papierpreise gut dreißig Prozent aus.90 In kaum einem Entwicklungsland existierte eine nennenswerte Papierindustrie91 , sodass dieser bedeutende Buchrohstoff ebenso aus dem Ausland importiert 86 Vgl. Becker: Papiertechnologie und Dritte Welt, S. 100–101. 87 Vgl. zu Unterkapitalisierung im Buchhandel und den Schwierigkeiten der Kreditaufnahme exemplarisch: Viswanath: Economics of Book Production: Text Books and Children Books. In: Books for All at Low Cost. A Report of the International Seminar Held During the 5th World Book Fair, New Delhi, 5–7 February 1982. Neu-Delhi: National Book Trust India 1982, S. 48–51; Summary of Country Reports. The State of Book Publishing in Indonesia. In: Final Report. Regional Seminar on Book Publishing in National Languages. Karachi, Pakistan, 20–24 January 1980. Karatschi 1980 (UNESCO-Dokument, ROCBA - 80/RSBPNL/4), Annex II, S. 29–33; Nottingham: African Publishing Industry, S. 141. 88 Smiths Studie basiert auf einer Befragung von Verlegern aus dreißig asiatischen, afrikanischen, arabischen und lateinamerikanischen Ländern. Die Kostenstrukturen des Verlegens wurden per Fragebogen ermittelt. Auch wenn die Datenbasis – von 144 versandten Fragebögen wurden 55 beantwortet – vor allem für Afrika (neun teilnehmende Verlage) und den arabischen Raum (fünf teilnehmende Verlage) dünn ist und es darüber hinaus – in Anbetracht der durchaus unterschiedlichen Entwicklungsgrade des Buchhandels innerhalb eines Kontinents – problematisch erscheint, die Ökonomie des Verlegens akkumuliert für eine Weltregion auszuweisen, muss der Untersuchung zugutegehalten werden, dass sie erstmals empirisch vergleichend die wirtschaftlichen Realitäten des herstellenden Buchhandels in der Dritten Welt untersucht und trotz der geringen Datenbasis auf strukturelle Schwächen aufmerksam machen kann. Vgl. zur Datenerhebung: Smith: The Economics of Book Publishing, S. 11–13 und S. 39–44. 89 Vgl. Robert Escarpit: Trends in Worldwide Book Development 1970–1978. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 6), S. 35. 90 Vgl. Smith: The Economics of Book Publishing, S. 14–15. 91 1972 betrug der Anteil der Entwicklungsländer an der Weltpapierproduktion 5,4 Prozent, fünf Jahre später war dieser auf 5,7 Prozent gestiegen. Vgl. Pulp and Paper Capacities. Survey 1977–1982. Rom: Food and Agriculture Organization of the United Nations (1977), S. 9–10. Vgl. zur Konzentration der Papierindustrie ferner: Becker: Papiertechnologie und Dritte Welt, S. 24–31.
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werden musste wie Druckmaschinen und Druckerfarbe.92 Selbst wenn hierfür keine Zollabgaben anfielen, verteuerten Transport- und Frachtkosten, »nationale Monopolund Herrschaftsbedingungen bei der Distribution und schließlich die klassischen Mechanismen für Mangelprodukte im Rahmen von Schattenökonomien«93 den Preis für das importierte Papier und damit auch für das lokal hergestellte Buch, so auch in Indien: Today the publishing industry’s basic problem is paper. Not that paper is not available, but that it is not available at a reasonable price. In the course of the last six years, between 1968 and mid1973, the price of paper has gone up y 100 per cent, from Rs. 18 to Rs. 38 [. . .] What is all the more disturbing is the increase in the price of paper since June 1973. By June 1974, the price of paper had gone up by more than 100 per cent again. Many leading publishers feel that this situation, if it persists, will ultimately kill the book industry. One publishers said that a book which he would have priced at Rs. 20 in 1973 had in 1974 to be priced at as much as Rs. 35 to Rs. 40. Already the buying capacity of people is low. In addition, the grants for libraries even in absolute amount do not seem to increase. In such a situation, any increase in the price tends to reduce demand.94
Angesichts enormer Preisanstiege auf dem Weltpapiermarkt der siebziger Jahre95 – man sprach von einer »Papierkrise«96 – wurden Forderungen laut, die buchbezogene Entwicklungshilfe aus dem Westen und der Sowjetunion neu auszurichten: Statt Buchspendeprogramme aufzulegen und den Buchexport in die Dritte Welt zu subventionieren, sollte man den Entwicklungsländern, so der Vorschlag, besser Papier und Druckmaschinen zu vergünstigten Preisen zur Verfügung stellen. Auf diese Weise würden nicht nur Entwicklungshilfeprojekte eingestellt, die tendenziell eher den ausländischen Buchhandelsfirmen nutzten und das Wachstum einheimischer Verlage beeinträchtigten97 , sondern es würde auch ein Beitrag dazu geleistet, dass Verlage in Entwicklungsländern Bücher preiswerter herstellen und verkaufen könnten.98 Auch die UNESCO wurde auf der achtzehnten Generalkonferenz (1974, Paris) aufgefordert, sich mit der Papierkrise zu befassen und ein Programm aufzulegen, dass die Versorgung der Dritte-Welt-Länder mit Papier zu akzeptablen Preisen sicherstell-
92 Vgl. F. S. Smith: Book Development and National Book Development Councils. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XVI (1974), H. 1, S. 12–18, hier S. 14. 93 Becker: Massenmedien im Nord-Süd-Konflikt, S. 62. Becker liefert hierfür auch Beispiele: So kostete beispielsweise eine Tonne Zeitungspapier Ende der sechziger Jahre in New York 200 US-Dollar, in Südostasien musste für dieselbe Menge zwischen 300 und 600 US-Dollar bezahlt werden; Anfang der achtziger Jahre kaufte die Paper Industry Corporation of the Philippines eine Tonne Zeitungspapier für 550 US-Dollar und gab diese für 875 US-Dollar weiter. Vgl. Becker: Papiertechnologie und Dritte Welt, S. 18 und S. 20. 94 Survey of Indian Book Industry, S. 38. 95 Vgl. Becker: Papiertechnologie und Dritte Welt, S. 17–24. 96 Ders.: Die Papierkrise im peripheren Kapitalismus. Versuch einer Systematisierung. In: Wissenschaft und Frieden 1 (1978), S. 14–24. 97 Vgl. Kapitel 9 dieser Arbeit. 98 Vgl. Thapar: Book Development in National Communications, S. 75.
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Tabelle 13: Kostenstruktur der Buchproduktion in Entwicklungsländern in Prozent des Listenverkaufspreises bei einer Druckauflage von 1.000, 5.000 und 10.000 Exemplaren. Druckauflage
1.000
5.000
10.000
Buchhändlerrabatt
31,0%
31,0%
31,0%
Herstellungskosten
32,3%
30,0%
29,3%
Titelbezogene Honorar-, Übersetzungs- und Lektoratskosten
18,1%
13,1%
12,2%
Gemeinkosten
15,4%
11,2%
11,1%
Gewinnanteil
3,2%
14,7%
16,4%
Quelle: Smith: The Economics of Book Publishing, S. 25. Eigene Darstellung.
te.99 Obwohl eine entsprechende Resolution zustande kam, in der unter anderem die Errichtung einer world paper bank empfohlen wurde100 , nahm sich das UNESCOSekretariat des Themas in den Folgejahren wohl auch deswegen kaum an, weil es im Zuständigkeitsbereich der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) lag, die sich bereits um eine differenzierte Papierbeschaffungspolitik, Technologietransfer im Papierwesen und vor allem um eine alternative Papierherstellung in der Dritten Welt durch holzfreie pflanzliche Zellstoffe wie beispielsweise Bagasse (Faserrückstand von Zuckerrohr nach der Zuckergewinnung) bemühte.101 Die verhältnismäßig hohen Herstellungskosten, mitverursacht durch Abhängigkeiten von Drucktechnologien und Buchrohstoffen der Industrienationen, schränkten in Kopplung mit niedrigen Auflagen die Wettbewerbsfähigkeit der Dritte-WeltVerleger gegenüber den transnationalen Buchkonzernen erheblich ein. Die in führender Position bei Pearson tätige Lynette Owen stellte in den achtziger Jahren fest: Direct imports of books produced in the industrialized nations are seen as too expensive, beyond the financial means of developing countries. A case can be made, however, that this is not entirely true. It has been demonstrated that many academic textbooks and monographs can be sold for less than local reprints if worldwide sales are projected. Local printing does achieve substantial savings in foreign exchange, but many local printers and binders are simply not competitive. According to recent comparative costings undertaken in West Africa and the Caribbean, local raw material and printing costs are higher than those in international print [. . .] The assumption on the part of the developing country publisher requesting a license is that the local reprint edition will always be preferable to the original edition. But a mass-market paperback edition, produced in the West with a price based on a large print run for a world market, will frequently be cheaper than a small local printing for a limited market.102
99 Vgl. 18 C/Reports, S. 124 und S. 128–129. 100 Vgl. 18 C/Resolutions, Res. 4142. 101 Vgl. Becker: Papiertechnologie und Dritte Welt. 102 Owen: Licensing, S. 2.
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Tabelle 14: Deckungsbeitragsrechnung für eine Druckauflage von 1.000 Exemplaren. Druckauflage
Verkaufsauflage
Deckungsauflage
Exemplare, die zum Verlagsgewinn beitragen
Asien
1.000
950
901
49
Lateinamerika
1.000
950
916
24
Mittlerer Osten
1.000
950
1.116
− 166 (Verlust)
Afrika
1.000
950
988
− 38 (Verlust)
Quelle: Smith: The Economics of Book Publishing, S. 27. Eigene Darstellung.
Smiths Studie zeigt zwar, dass das Verlegen auch in Entwicklungsländern mit steigender Auflage zunehmend rentabler wurde (vgl. Tabelle 13)103 , allerdings sollte man beachten, dass die Skaleneffekte höherer Auflagen in Entwicklungsländern fast gar nicht ausgenutzt werden konnten, da Auflagen von 10.000 Exemplaren oder mehr – mit Ausnahme von Schulbüchern104 – eine Seltenheit waren. Selbst in einem bevölkerungsreichen Staat wie Indien betrug Mitte der siebziger Jahre die Durchschnittsauflage lediglich 2.500 Exemplare; von vielen Titeln wurden jedoch nicht mehr als 1.000 Stück gedruckt.105 So kleine Auflagen waren – auch dies belegte Smith in seiner Untersuchung (vgl. Tabelle 14) – für die Verleger kaum oder sogar, wie in den arabischen Ländern, gar nicht wirtschaftlich; sie entsprachen jedoch den realen Absatzmöglichkeiten auf den nationalen Märkten. Aufgrund ihrer Einwohnerzahl, so urteilte der UNESCO-Experte Fyle bereits Mitte der sechziger Jahre, und – so lässt sich hinzufügen – aufgrund der geringen Kaufkraft und der hohen Analphabetenraten kann kaum die Hälfte aller afrikanischen Staaten hoffen, jemals eine eigene blühende Buchindustrie aufzubauen. Die übrigen Staaten werden sich mit einem oder, wenn’s hoch kommt, zwei Verlagen begnügen müssen, die sich schlecht und recht mit eigenen Mitteln werden über Wasser halten können.106
Zu einem ähnlich ernüchternden Fazit über die Möglichkeit, in jedem Land eine rentable nationale Verlagsindustrie zu schaffen, kam zur selben Zeit der UNESCO-Experte O’Brien, der in dem kleinen Karibikstaat Trinidad und Tobago den Aufbau einer
103 Vgl. Smith: The Economics of Book Publishing, S. 25–28. 104 Nach Schätzungen Goldings machten Lehrbücher und Unterrichtswerke Mitte der siebziger Jahre zwischen 80 und 95 Prozent der gesamten Buchproduktion in der Dritten Welt aus. Vgl. Golding: The International Media, S. 464. Die wirtschaftlich bedingte Konzentration auf das Schulbuch belegen ferner für Kenia, Indonesien und Indien: Chakava: Publishing in a Multilingual Situation, S. 3; Stanley A. Barnett et al.: Developmental Book Activities and Needs in Indonesia. Washington, D.C.: Agency for International Development 1967, S. 25; Survey of Indian Book Industry, S.12–13. 105 Vgl. Survey of Indian Book Industry, S. 3 und S. 101. 106 Fyle: Afrika auf der Suche nach Verlegern, S. 26.
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einheimischen Schulbuchproduktion prüfen sollte: »National sentiments want Trinidad Textbooks; but the wiser heads accept that the simple economics of book production make this difficult.«107
10.3 Die Rolle des Staates auf dem Buchmarkt: Förderer, Großkunde oder Verleger? Sowenig die UNESCO im Rahmen ihres Book Development-Programms ein differenziertes Konzept vorlegte, das die Möglichkeiten der Buchmarktentwicklung in der Dritten Welt in Relation zu demographischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Faktoren setzte und sich auch mit der beeinträchtigenden Wirkung auseinandersetzte, die aus der wachsenden, westlich dominierten Internationalisierung des Buchhandels für die Entfaltung des jungen, nationalen Buchhandels in der Dritten Welt ergeben konnte, sowenig vertrat die UN-Organisation eine differenzierte Position hinsichtlich der Verantwortung des Staates bei der Entwicklung des Buchhandels. Grundsätzlich sind drei Rollen denkbar, die der Staat einnehmen kann, um den Buchhandel zu stärken: Er kann erstens durch wirtschafts-, bildungs- und kulturfördernde Maßnahmen die Rahmenbedingungen für den Buchhandel verbessern, sich also als Förderer eines privatwirtschaftlichen Buchhandels betätigen; er kann zweitens als kaufkräftiger Großkunde auftreten, der Verlagen und Buchhandlungen Bücher in größeren Mengen für das öffentliche Bibliothekswesen und für Schulen abkauft; er kann drittens die Produktion (und Distribution) von Büchern selbst übernehmen. In den siebziger Jahren entsprach eine direkte Beteiligung des Staates an der Buchproduktion – sei es in Form von Staatsverlagen, Publikationsabteilungen in Ministerien oder auch Universitätsverlagen – der Realität in vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Öffentliche Körperschaften engagierten sich auf dem Lehrbuchmarkt, teils, weil finanzkräftige privatwirtschaftliche Buchhandelsfirmen fehlten, die die kapitalintensive Schulbuchproduktion hätten übernehmen können, teils aus kulturpolitischen Gründen, um so die Unabhängigkeit von ausländischen Verlagen und Buchimporten zu gewährleisten. Daneben finanzierte die öffentliche Hand vielerorts Publikationen, die aufgrund der geringen Rentabilität sonst nicht verlegt worden wären, aber als Beitrag zur nationalen Kultur und Bildung oder als in lokalen Sprachen geschriebene Literatur die Aufmerksamkeit des Staates geradezu verlangten.108
107 J. F. O’Brien an Colin Ewers am 17.7.1964 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 371.671 A 205 (729.87) TA). 108 Vgl. hierzu Kapitel 6.1 und 8.1.1 dieser Arbeit.
Die Rolle des Staates auf dem Buchmarkt: Förderer, Großkunde oder Verleger?
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Im Rahmen ihres Book Development-Programms stand die UNESCO einem verlegerischen Engagement des Staates kritisch gegenüber.109 Als problematisch für die Entfaltung der Buchmärkte sah die UN-Organisation vor allem die Übernahme der Schulbuchproduktion durch die öffentliche Hand an: »When monopolies arise [. . .] as a result of decrees that all or part of the educational market will be reserved for state publishers [. . .] then a base upon which to build is denied the rest of the national publishing industry.«110 Wie hier deutlich wird, sprach sich die UNESCO entschieden gegen ein staatliches Monopol bei der Produktion von Schulbüchern aus. Da Lehrbücher in der Regel mehr als achtzig Prozent der gesamten Buchproduktion in der Dritten Welt ausmachten und aufgrund der relativ hohen Auflagen und des gesicherten Absatzes als rentabel galten, musste die Privatwirtschaft am Schulbuchgeschäft beteiligt werden: Nur auf diese Weise konnte – so argumentierte die UNESCO – ein herstellender und verbreitender Buchhandel zu einem differenzierten Angebot auf dem nationalen Buchmarkt beitragen. Die staatliche Monopolisierung der Schulbuchproduktion leistete mit anderen Worten der Herausbildung einer Monokultur Vorschub, denn sie beeinträchtigte das Wachstum eines privatwirtschaftlichen Buchhandels, welcher auf der Basis von Schulbüchern für eine vielfältige Auswahl in den Buchhandlungen des Landes sorgen könnte.111 Anstatt selbst verlegerisch tätig zu werden, sollte in den Augen der UNESCO der Staat es als seine Aufgaben begreifen, den Buchhandel als private Unternehmertätigkeit zu fördern und Bedingungen zu schaffen, unter denen der Buchhandel im Land florieren konnte, z.B. indem er Stipendien und Preise für Autoren vergab, Steuererleichterungen für den Buchhandel vorsah, die öffentlichen Bibliotheken finanziell gut ausstattete und einen zollbefreiten Import von Papier und Druckmaschinen ermöglichte. Zu diesem Zweck warb die UNESCO im Rahmen der Weltbuchdekade für die Einrichtung sogenannter National Book Development Councils:
109 Hier sei noch einmal daran erinnert, dass die UNESCO keineswegs von Anfang an die Beteiligung des Staates an der Buchproduktion ablehnte. So unterstützte die UN-Organisation im Rahmen der Elementarbildungsprogramme und in den ersten Jahren des asiatischen Lesematerialienprojekts öffentliche Einrichtungen bei der Produktion von Lesematerialien. Angesichts unzureichender nationaler buchhändlerischer Strukturen wurde das staatliche Engagement als alternativlos angesehen. Auch im Fall einiger asiatischer und afrikanischer Länder rieten die entsandten UNESCO-Experten durchweg zu einer Verstaatlichung der Schulbuchproduktion, um so die Abhängigkeit von importierten Lehrwerken rasch abzubauen und die Versorgung mit nationalen Unterrichtsmaterialien sicherzustellen. Vgl. Kapitel 4.2 und 6.1 dieser Arbeit. 110 National Book Strategies in Africa. Working Paper. In: Report. Regional Meeting of Experts on National Book Strategies in Africa (Dakar, Senegal, 2–5 February 1981). Paris 1981 (UNESCO-Dokument: CC.81/WS/37), S. 5–14, hier S. 9. 111 Eine ähnliche Position findet sich u. a. auch in: Clifford M. Fyle: The Production and Flow of Books in Africa. In: Books for the Developing Countries. Paris: UNESCO 1965 (Reports and Papers on Mass Communication. 47), S. 19–31, hier S. 22; Pernille Askerud: A Guide to Sustainable Book Provision. Paris: UNESCO 1997 (From Plan to Print. 1), S. 59; Developing Country Publishing Needs Support, S. 6.
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To date the most successful liaison between the book trade and the government has been through professional associations [. . .] It is important that government seek the views of local trade associations before taking action that could have far-reaching impact. This type of liaison may best be conducted through National Book Development Councils.112
Diese aus Repräsentanten von Autorenverbänden, Buchhandel, Bibliothekswesen und graphischem Gewerbe sowie Vertretern der Regierung bestehenden Institutionen waren als Planungsbehörden für die Buchmarktentwicklung konzipiert, die Prioritäten und Verantwortlichkeiten im Buchhandel in Abhängigkeit von nationalen Entwicklungszielen festlegten, nationale Buchmarktentwicklungsstrategien entwarfen sowie Förderungs- und Unterstützungsleistungen des Staates aushandelten113 : With [. . .] a wide range of professions involved in the world of books, it is necessary to ensure that each partner and ally in the industry plays its rightful role. A central agency is therefore required to co-ordinate and promote the creation, production and distribution of books in a country.114
Da die National Book Development Councils entsprechend der spezifischen Bedingungen und Bedürfnissen im Land zusätzlich auch die Aufgaben übertragen bekommen konnten, Werbemaßnahmen für das Buch wie beispielsweise Buchfestivals und Buchausstellungen durchzuführen, Fortbildungsseminare und Tagungen zu organisieren bzw. Studien und Analysen anzufertigen und sie daher nicht nur Koordinations- und Planungsinstanzen waren, sondern bei Bedarf auch Forschungs-, Ausbildungs- und Dokumentationszentren für den nationalen Buchhandel sein konnten, lassen sie sich als eine dem Entwicklungsimperativ auch dem Namen nach angepasste Variante der National Book Centres begreifen, deren Gründung die UNOrganisation bereits während des Lesematerialienprojekts in Pakistan, auf Sri Lanka und im Iran veranlasst hatte.115 Im Rahmen des Book Development-Programms war die UNESCO nun bestrebt, in der gesamten Dritten Welt die Errichtung von National Book Development Councils als Teil der nationalen Planungs- und Entwicklungsinfrastruktur voranzubringen: Diesem Zweck dienten zum einen an die Mitgliedsstaaten gerichtete Empfehlungen116 , 112 National Book Strategies in Africa, S. 11. 113 Vgl. zu Organisationsstruktur und Funktionen der National Book Development Councils: Julian Behrstock: National Book Development Councils in Africa. A Report by UNESCO Secretariat. In: Publishing in Africa in the Seventies. Proceedings of an International Conference on Publishing and Book Development Held at the University of Ife, Ile-Ife, Nigeria, 16–20 December 1973. Hrsg. von Edwina Oluwasanmi, Eva McLean und Hans Zell. Ile-Ife: University of Ife Press 1975, S. 78–88; Abul Hasan: Conseils nationaux de promotion du livre. Paris: UNESCO 1979. 114 Abul Hasan: National Development and Book Development Councils. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XVI (1974), H. 3, S. 3–9, hier S. 6. 115 Vgl. Kapitel 4.2 dieser Arbeit. 116 So wurde die Errichtung von National Book Development Councils auf regionalen Tagungen in Asien u. a. in Tokio 1966, Kuala Lumpur 1971, Tokio 1972 und Manila 1972, sowie auf afrikanischen Regionaltagungen, beispielsweise in Accra 1968 und in Ile-Ife 1973, empfohlen.
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zum anderen Publikationen, in denen Funktion, Aufbau und Organisation der Institutionen ausführlich beschrieben wurden.117 Ferner stellte die Pariser Organisation ihren Mitgliedsstaaten auch Experten zur Verfügung, die die Gründung von National Book Development Councils planten und vorbereiteten.118 Das Werben der UNESCO zahlte sich aus: Ende der siebziger Jahre existierten auf dem asiatischen Kontinent insgesamt fünfzehn Buchentwicklungsräte119 , in Afrika waren es immerhin sechs.120 Ob diese National Book Development Councils allerdings tatsächlich einen essenziellen Beitrag zur Entfaltung des Buchhandels leisteten, muss angesichts der sich mehrenden Stimmen, die vom Scheitern bzw. von der Inaktivität der Institutionen sprachen bzw. auf deren dysfunktionalen Charakter hinwiesen, angezweifelt werden.121 So berichtete der im Commonwealth-Büro für Bildungsfragen zuständige Nigerianer S. J. Cookey: »Few national book councils have really got down to work. Many of the councils do not know what to do. They do not know the first steps towards establishing a book industry.«122 Die Gründung nationaler Buchentwicklungsräte lässt zwei Schwächen im Book Development-Ansatz der UNESCO erkennen. Einerseits erwies sich die Strategie als wenig
117 Vgl. beispielhaft: Hasan: Conseils nationaux de promotion du livre. 118 Vgl. beispielhaft: Amu Djoleto: Zambia National Council for Book Development – (mission). National Book Development Policies and Improvement of Production and Distribution Infrastructures. Paris 1982 (UNESCO-Dokument: FMR/COM/LPE/82/177; RP/1981-1983/4/3.5/07/Technical report). 119 In Afghanistan, Bangladesch, Indien, Indonesien, Iran, Malaysia, Nepal, Pakistan, auf den Philippinen, in Korea, Laos, Vietnam, Singapur, Sri Lanka und Thailand existierten nach Angaben der UNESCO nationale Buchentwicklungsräte. Vgl. Hasan: Conseils nationaux de promotion du livre, S. 20. 120 Im Benin, in Äthiopien, Ghana, Kenia, Nigeria und Sierra Leone entstanden National Book Development Centres. Vgl. ebd. Im Gegensatz zu Asien und Afrika wurden in Lateinamerika keine National Book Development Councils gegründet, was auch daran lag, dass dort vielerorts bereits Cámaras de Libros existierten, die ähnliche Funktionen wie die Buchentwicklungsräte wahrnahmen. Ferner warb in Lateinamerika das CERLALC für die Verabschiedung von national book policies, in denen die Unterstützung des Staates bei der Entfaltung des Buchhandels festgelegt wurde und das ebenfalls die Einsetzung eines Koordinierungsausschusses, bestehend aus Vertretern aus Buchhandel und Regierung, vorsah: In Lateinamerika fanden die Zusammenarbeit von Staat und Buchhandel und die Planung der Buchmarktentwicklung also auch statt, sie institutionalisierten sich nur nicht in Form von National Book Development Councils. 121 Vgl. Hassan Ahmad: National Reports on Book Development Activities: Evaluation, Targets and Copyright Situation. Malaysia. In: Report. Experts Meeting on Book Development in Asia (3.–13.7.1972). Tokio: Tokyo Book Development Centre 1972, S. 49–52, hier S. 51; Thapar: Book Development in National Communications, S. 53–54 und S. 60; Gloria E. Dillsworth: Book Development in Sierra Leone. In: Report. Regional Meeting of Experts on National Book Strategies in Africa. Paris 1981 (UNESCO-Dokument: CC.81/WS/37), S. 67–79, hier S. 67; Abul Hasan: Promoting National Book Strategies in Asia and the Pacific. Problems and Perspectives. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 4), S. 27–28. 122 Zitiert nach: Delavenay: For Books, S. 32.
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erfolgreich, den Aufbau nationaler Institutionen zu propagieren, von denen man annahm, dass sie, einmal gegründet, die ihr übertragenen Aufgaben auch ausführen würden. Andererseits basierte das gesamte Konzept des Book Development Council auf einer zu simplen Prämisse: »It is the lack of an overall policy and plan, and a single organization charged with the responsibility of implementing them, that is mainly responsible for the present book famine.«123 Die hier in der Äußerung des UNESCOExperten Douglas Pearce deutlich werdende Annahme, dass eine zentrale Koordinierung und Planung des Buchhandels zu einer Überwindung des Buchhungers, also zu einer Verbesserung der Buchproduktion, entscheidend beitragen würde, lag der Idee des Book Development Council ebenso zugrunde wie die Auffassung, dass ein privatwirtschaftlich organisierter Buchhandel quasi von allein wüchse, wenn vonseiten des Staates hierfür nur genügend Anreize gesetzt und entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen würden: Basically, the essential factors that intervene in book production are the author, the publisher, the printer and the bookseller. Underpinning them all is an intricate network of government policy, legislation and attitude which impinges upon the success or failure of national book enterprises.124
Damit spiegelt sich auch im Konzept der Book Development Council der Glaube wider, auf dem der gesamte Book Development-Ansatz der UNESCO fußte, nämlich dass ein selbsttragender Buchhandel überall entstehen kann, dass eine rentable Buchproduktion überall möglich ist, wenn der Staat nur für den Buchhandel günstige Bedingungen schafft – eine Illusion, wie Shigeo Minowa in den neunziger Jahren erklärte: [A] country underdeveloped in publishing will eventually prove unable to emerge from a stage in which no publishing trade can be established. In such a society, the supply of needed publications cannot be assured without continual intervention from outside the publishing community (by the government or an aid organization). In other words, [such] a society [. . .] cannot leave publishing to private initiatives, but requires special consideration, efforts and financial support from outside in order to ensure the supply of publications. What is wrong with the traditional aid in publishing development is the illusion that the provision of ad hoc aid to [such] countries could pave the way to self-supporting publishing in the future.125
Insbesondere in bevölkerungsarmen Staaten mit einem verhältnismäßig kleinen Lesepublikum scheint der Staat als Akteur auf dem Buchmarkt unabdingbar; hier reicht
123 Douglas Pearce: Book Development: Indonesia – (mission). Paris 1974 (UNESCO-Dokument: 3043/RMO.RD/DBA; FR/UNDP/INS/72/024), S. i. 124 National Book Strategies in Africa, S. 7. Ähnlich auch: Abul Hasan: Book Publishing and National Development – Role of the Government. In: Newsletter. Regional Centre for Book Development in Asia XIV (1972), H. 4, S. 5–9, hier S. 8. 125 Minowa: The Mythology of Publishing Development, S. 56–57.
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es nicht aus, dass er günstige Rahmenbedingungen schafft und dem öffentlichen Bibliothekswesen ausreichend Geld für die Bestandserweiterung zur Verfügung stellt. Damit bestimmte Publikationen überhaupt auf dem Markt kommen, damit die Abhängigkeiten von ausländischen Verlagen reduziert oder damit Bücher zu Preisen angeboten werden können, die der Kaufkraft der Bevölkerung entsprechen, muss der Staat oder zivilgesellschaftliche Institutionen zur Finanzierung bzw. zur Subventionierung des Verlagswesens beitragen (dürfen).
11 Eine lesende Gesellschaft als Vorschein einer besseren Welt Im Juni 1982, zum Abschluss der Weltbuchdekade, lud die UNESCO über dreihundert Teilnehmer – unter ihnen Autoren, Verleger, Buchhändler und Bibliothekare – aus mehr als neunzig Ländern zum World Congress on Books nach London ein. Ein Jahrzehnt, nachdem das Internationale Buchjahr weltweit gefeiert und die »Charta des Buches« verabschiedet worden waren, sollte die fünftägige Konferenz in der britischen Hauptstadt der Standortbestimmung und der Ausarbeitung eines neuen Aktionsprogramms dienen: Hatte man das 1972 ausgerufene Ziel »Bücher für alle« erreicht? Konnte der Zugang zum Buch erleichtert, die Verfügbarkeit von Büchern, insbesondere in Entwicklungsländern, verbessert werden? Welche Maßnahmen hatten sich als besonders erfolgreich herausgestellt und welche (neuen) Prioritäten waren in Zukunft zu setzen? Die UNESCO legte den Teilnehmern in London zwei umfangreiche Arbeitspapiere vor, in die Befunde der eigens in Auftrag gegebenen Buchmarktanalysen1 ebenso eingeflossen waren wie Empfehlungen und Eindrücke von den im Vorfeld des Weltbuchkongresses ausgerichteten Regionaltagungen und Expertengesprächen.2 Während im Arbeitspapier International Book Year Plus Ten3 die Buchförderungsprogramme der letzten Dekade evaluiert wurden, entwarf die UNESCO in Towards a Reading Society4 eine neue Vision für die achtziger Jahre, eine Vision, die – wie schon der Titel erkennen lässt – sich von den Zielsetzungen des Book Development-Programms der sechziger und siebziger Jahre unterschied: Nicht mehr »Bücher für alle«, also die Verbesserung der Buchproduktion und -distribution, sondern der Erhalt bzw. der Ausbau 1 Die zur Vorbereitung des Weltbuchkongresses in Auftrag gegebenen Analysen wurden in der neu gegründeten Reihe Studies on Books and Reading veröffentlicht. Es erschienen sowohl Untersuchungen zu einzelnen regionalen oder nationalen Buchmärkten als auch Studien, die sich thematisch mit Entwicklungen und Herausforderungen im Buchhandel auseinandersetzten. Die Reihe wurde auch über den Weltbuchkongress hinaus fortgesetzt und erst 1986 mit Erscheinen des 26. Bandes eingestellt. Vgl. exemplarisch: Abdelkader Ben Cheikh: Book Production and Reading in the Arab World. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 5); The Future of the Book. Part I: The Impact of New Technologies. Hrsg. von Priscilla Oakeshott und Clive Bradley. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 8). 2 Zur Vorbereitung des World Congress on Books organisierte die UNESCO Regionalkongresse, die 1979 in Santiago de Chile für Lateinamerika, 1980 in Paris für die arabischen Länder und 1981 in Kingston (Jamaika) für die Karibik, in Karatschi für Asien und in Dakar für den afrikanischen Kontinent stattfanden. Des Weiteren lud die UN-Organisation führende Vertreter aus dem Buchhandel 1980 und 1981 zu Konsultationen nach Paris ein. 3 Vgl. International Book Year Plus Ten. An Analysis of Present Trends and Forecasts for the Future. Working Paper Part I (World Congress on Books, London, 7–11 June 1982). Paris 1982 (UNESCO-Dokument: COM-82/CONF.401/3 Part I). 4 Vgl. Towards a Reading Society. Targets for the 1980s. Working Paper Part II (World Congress on Books, London, 7–11 June 1982). Paris 1982 (UNESCO-Dokument: COM-82/CONF.401/3 Part II).
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einer »lesenden Gesellschaft« sollte in den Augen der UNESCO zukünftig Priorität haben. Die Leiterin der Book Division, Celia Zaher, begründete dies wie folgt: In the 1970s UNESCO emphasized the need for access to books. It has, however, become apparent, that the availability of books is not sufficient and that there must be continuous incentive to read as well. Mass and lifelong education cannot be dissociated from the environment in which people live and a climate must be created wherein reading is perceived as an indispensable prerequisite to personal and national development. Increased book production cannot be the sole target but must be accompanied by vigorous efforts to promote the reading habit among the millions of potential readers throughout the world.5
Bereits im Verlauf der siebziger Jahre hatte die UNESCO begonnen, sich verstärkt mit Fragen der Leseförderung zu befassen6 : 1976 richtete sie gemeinsam mit der US-amerikanischen Nationalkommission die Tagung A Reason to Read aus7 ; mit The Promotion of the Reading Habit (1975) und Roads to Reading (1979) erschienen erste Studien zum Thema.8 Ferner finanzierte die Pariser Organisation einige Missionen von Experten, die auf nationaler Ebene – wie z. B. Robert Escarpit in Mexiko – lesefördernde Maßnahmen konzipierten.9 Die Erweiterung des primär auf eine Verbesserung der Buchhandelsinfrastruktur zielenden Book Development-Programms um eine nachfrageorientierte, am Buchnutzer ausgerichtete Strategie, wie sie in Ansätzen bereits im Lesematerialienprojekt zu finden war, begründete sich in der Erkenntnis, dass die bisherigen Bemühungen, weltweit mehr Bücher besser zugänglich zu machen, nicht ausreichend waren, damit weltweit tatsächlich auch mehr Bücher gelesen wurden: »The
5 Celia R. Zaher: From IBY (1972) to the UNESCO World Congress on Books (1982). In: UNESCO Journal of Information Science, Librarianship and Archives Administration 4 (1982), H. 1, S. 54–58, hier S. 56. Identisch in: Towards a Reading Society. Targets for the 1980s, S. 3. 6 Die Förderung des Lesens wurde in den siebziger und achtziger Jahren weltweit zunehmend als bildungspolitische Notwendigkeit verstanden. War die International Reading Association bereits 1956 gegründet worden, entstanden in der Zeit, in der sich auch die UNESCO der Leseförderung zuwandte, vor allem in den Industrienationen zahlreiche Initiativen, die sich um eine Verbesserung der Lesekompetenz und eine Ausbildung eines dauerhaften Lesehabitus, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, bemühten. So kommt in der Ausstellung A Nation of Readers, die 1982 in der Library of Congress gezeigt wurde, die neue Aufmerksamkeit für das Lesen ebenso zum Ausdruck wie in der US-amerikanischen Briefmarke mit der Aufschrift »A public that reads – a root to democracy«. Die Gründung des Japan Council for the Promotion of Book Reading, die Umbennung der französischen Direction du Livre in Direction du Livre et de la Lecture im Jahr 1982 und die vermehrte Publikation von Praxisratgebern zur Leseförderung (so z. B. Getting People to Read. Volunteer Programs that Work, 1973) mögen hier als Belege genügen für den im Detail noch zu erforschenden Aufschwung der Leseförderung im Rahmen der Bildungs- und Kulturpolitik der siebziger und achtziger Jahre. 7 Vgl. A Reason to Read. A Report on an International Symposium on the Promotion of the Reading Habit. Hrsg. von George Sullivan. New York: Academy for Educational Development [1976]. 8 Vgl. Richard Bamberger: Promoting the Reading Habit. Paris: UNESCO 1975 (Reports and Papers on Mass Communication. 72); Ralph C. Staiger: Roads to Reading. Paris: UNESCO 1979. 9 Vgl. Robert Escarpit: Desarrollo de la lectura: Mexico – (Mission) 14 de enero–15 de febrero 1978. 1978 (UNESCO-Dokument: FMR/CC/BCE/78/156; RP/1977-78/4.161.3/Informe Técnico).
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book remains one of man’s great resources, but reading is not as essential to the human system as eating or sleeping, and the reading habit is by no means automatic.«10 Die Steigerung der Buchproduktion und der Ausbau der Buchdistribution waren als Maßnahmen zwar notwendig, aber nicht hinreichend; um das gesellschaftliche Leistungsvermögen des Buches in einem umfassenderen Maße als bisher ausschöpfen zu können, musste zusätzlich auch die Bereitschaft zum Lesen, also der Gebrauch des Buches, aktiv gefördert werden. Der neue Schwerpunkt innerhalb der buchbezogenen Programme der UNESCO entstand in einer Zeit, in der sich der Buchhandel trotz weiterhin steigender Produktionsvolumina in einer tief greifenden, ja existenzbedrohenden Krise wähnte: Zum einen belastete die schwierige Weltwirtschaftslage infolge der zweiten Ölkrise die Buchmärkte11 ; zum anderen schien angesichts des »Einfalls des Computers auf den Schauplätzen der Welt«12 die Zukunft des Buches bedroht, zumindest aber ungewiss zu sein.13 In einem Artikel in der CERLALC-Zeitschrift Noticias del libro wurde die »PostÄra des Buches«14 bereits verkündet; die UNESCO bezog sich in ihrem Arbeitspapier für den World Congress on Books auf Experten, die das baldige Ende des Buchzeitalters prophezeiten: In the light of today’s technological revolution it is timely and necessary to ask how it may be changing both the nature of the book and its role as the principal instrument for transmitting accumulated knowledge and new ideas. Modern technology is challenging both the form and the function of the book. Access to knowledge does not require transferring a physical object (the book) to the hands of its user (the reader). The most daring and audacious experts predict that by the end of this decade books will be replaced by silicone micro-chips and that the contents of an entire library will be condensed in a collection of chips and the size of a single paperback book. Moreover, micro-chips will be far cheaper than books; so cheap, that whole libraries may be acquired by individual households for next to nothing. The terminal will replace the bookshelf and paper will be supplanted by chips, cables and waves.15
Zusätzlich zu der Bedrohung durch den technologischen Fortschritt sah sich der Buchhandel in den Industrieländern mit einem wachsenden Schwund an Lesern konfrontiert: Statistische Untersuchungen wiesen auf den Rückgang des Lesens hin
10 Towards a Reading Society. Targets for the 1980s, S. 16. 11 Vgl. Clive Bradley: Introduction. In: The Future of the Book. Part I: The Impact of New Technologies. Hrsg. von Priscilla Oakeshott und Clive Bradley. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 8), S. 3–8, hier S. 5. 12 Im englischen Original: »irruption of the computer on the world scene«. Editorial. In: UNESCO Courier XXXVIII (1985), H. 2, S. 3. 13 Vgl. beispielhaft: Gordon Graham: The Future of the Book. In: International Publishing Today. Problems and Prospects. A Festschrift in Honour of Manuel Salvat. Hrsg. von Om Prakash Ghai und Narendra Kumar. Delhi: The Bookman’s Club 1984, S. 224–231. 14 Im spanischen Original: »post-era del libro«. El libro del futuro. In: Noticias sobre el libro 32 (1982), S. 3–7, hier S. 3. 15 International Book Year Plus Ten, S. 20.
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und schürten die Angst vor der »universellen Desertion der Buchfreunde zum Fernsehen«16 . Während in den Augen von Buchhändlern, Bibliothekaren, Verlegern und Pädagogen in Europa und Nordamerika ein Zerfall der Lesekultur drohte, war die lesende Bevölkerung in vielen Entwicklungsländern nicht in dem Maße gewachsen wie ursprünglich erhofft, war trotz Alphabetisierungsbemühungen und ungeachtet des Ausbaus der Bildungssysteme der Anteil der Bevölkerung, der regelmäßig Bücher las und kaufte, gering geblieben.17 In den Augen der Branche hing die Zukunft des Buches vor allem von der Zukunft des Lesens ab, war die Krise des Buches vor allem eine Krise des Lesens: »There can be no future for books without a future for reading.«18 Die Förderung des Buchlesens – von der UNESCO auf dem Weltbuchkongress als neue Priorität innerhalb ihrer buchbezogenen Programme vorgestellt – entsprach somit auch den Interessen der Buchbranche, die in der Unterstützung lesefördernder Maßnahmen eine Möglichkeit sah, eine größere Nachfrage zu generieren, also mehr Kunden stärker an das Produkt Buch zu binden. Die UNESCO-Experten Ralph Staiger und Claudia Casey, in leitender Position bei der 1956 in den USA gegründeten International Reading Association tätig, stellten fest: »Promoting reading as a regular practice in a general way will undoubtedly benefit book publishing in the long run.«19 Die Teilnehmer des Weltbuchkongresses stimmten dem Vorschlag der UNESCO zu, die Etablierung einer lesenden Gesellschaft zum Leitbild für die achtziger Jahre zu erklären. Wie in der zum Abschluss des Weltbuchkongresses verabschiedeten Londoner Erklärung »Towards a Reading Society« deutlich wurde, machte das neue Konzept die mit der Devise »Bücher für alle« verbundenen Zielsetzungen nicht obsolet, sondern postulierte die Notwendigkeit des Ineinandergreifens buch- und lesefördernder Maßnahmen: We seek a world in which there are indeed books for all, but one also in which all can read and all accept books and reading as a necessary and desirable part of daily life. We look forward, not merely to a literate world but towards a universal reading society.20
16 Ulrich Saxer: Das Buch in der Medienkonkurrenz. In: Lesen und Leben. Eine Publikation des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in Frankfurt am Main zum 150. Jahrestag der Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler am 30. April 1925 in Leipzig. Hrsg. von Herbert Georg Göpfert, Ruth Meyer und Ludwig Muth et al. Frankfurt/Main: Buchhändler-Vereinigung 1975, S. 206–243, hier S. 206. 17 Vgl. Zaher: From IBY, 1972, to the World Congress on Books, S. 55–56; International Book Year Plus Ten, S. 18–19; Gault (Hrsg.): The Future of the Book, S. 9; Ricardo Daza: La investigación sobre el comportamiento lector. In: Noticias sobre el libro 45 (1983), Separata, S. 1–12, hier S. 3. 18 The Future of the Book. Part II: The Changing Role of Reading. Hrsg. von Michel Gault. Paris: UNESCO 1982 (Studies on Books and Reading. 9), S. 12. Ähnlich auch: World Congress on Books. Final Report, S. 10. 19 Ralph C. Staiger/Claudia Casey: Planning and Organizing Reading Campaigns. A Guide for Developing Countries. Paris: UNESCO 1983, S. 10. 20 The London Declaration »Towards a Reading Society«. Abgedruckt in: World Congress on Books. Final Report, Annex II, S. 19.
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Mit der »weltumspannende[n] Lesegesellschaft«21 prägte die UNESCO ein normatives Konzept, das das vorherige Leitbild »Bücher für alle« ablöste. Ebenso wie in der »Charta des Buches« zehn Jahre zuvor wurde in der Londoner Erklärung die Programmatik der Buch- und Leseförderung dargelegt und damit ein universell gültiges Ziel griffig formuliert. Deklarationen, Verlautbarungen und Manifeste wie diese dienten der UN-Organisation dazu, die Buchförderung – und ab den achtziger Jahren die Leseförderung – als Mittel der gesellschaftlichen Gestaltung in der weltpolitischen Agenda zu platzieren. Die UNESCO beschränkte sich jedoch nicht darauf, mit der Buchförderung ein sozialgestalterisches Instrument und Handlungskonzept zu entwerfen und bekannt zu machen; sie setzte sich ferner dafür ein, dass dieses Instrument tatsächlich auch zur Anwendung kam: So übte die UNESCO durch Studien und statistische Erhebungen, aber auch auf Konferenzen und Tagungen Einfluss auf die buchbezogene Kultur- und Bildungspolitik in ihren Mitgliedsstaaten aus. Eine von ihr vielfach angewandte Strategie bestand darin, die Institutionalisierung der Buchförderung auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene zu bewirken. Hierzu stand der UNESCO als internationaler Organisation zum einen die Möglichkeit zur Verfügung, internationale Abkommen und Konventionen auf den Weg zu bringen – zu denken ist hier an das Welturheberrechtsabkommen, das Florenz-Abkommen oder die Konventionen zum internationalen Schriftentausch; zum anderen konnte sie den Aufbau von Einrichtungen und die Einsetzung von Gremien anregen, welche buchfördernde Maßnahmen und Konzepte national oder regional umsetzen bzw. deren Realisierung veranlassen und koordinieren sollten: So entstanden auf Initiative der UNESCO weltweit Urheberrechts- und Dokumentationszentren, es wurden Tauschbüros und Bibliotheksplanungsgremien eingerichtet und Book Development Councils und Regional Book Development Centres begründet. Der weltweite Ausbau und die Vernetzung buchfördernder Strukturen erlangten im Lauf der Zeit immer mehr an Bedeutung, während die Realisierung konkreter buchfördernder Maßnahmen – auch aufgrund der geringen finanziellen Ressourcen der UNESCO – zunehmend in den Hintergrund trat. Führte die UN-Organisation insbesondere in vierziger und fünfziger Jahren noch Projekte selbst durch bzw. war an deren Durchführung beteiligt – so etwa bei den Buchspendeprogrammen und der Schaffung der globalen Buchwährung, dem Aufbau von Pilotbibliotheken und Bibliotheksschulen, der Einrichtung von Publikations- und Druckeinheiten bzw. der Subventionierung von Buchpublikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts –, so positionierte sie sich in den darauf folgenden Jahrzehnten vor allem als eine Art Denkfabrik, als eine primär für Entwicklungsländer tätige Beratungsinstanz, die – zusammen mit Buchhandels-
21 Wulf D. von Lucius: »Towards a Reading Society«. Der erste UNESCO World Congress on Books fand in London statt. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe Nr. 55 vom 2.7.1982, S. 1550–1552, hier S. 1550.
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und Bibliotheksexperten – Studien und Analysen erstellte, Konzepte zur Buchförderung entwarf, Handlungsempfehlungen aussprach und Standards für die nationale Entwicklung von Buchmärkten und Bibliothekswesen vorgab. Insgesamt bestätigt die Analyse der Tätigkeiten und Strategien der UNESCO im Bereich der Buchförderung damit das neo-institutionelle bzw. sozial-konstruktivistische Verständnis von internationalen Organisationen: Die UNESCO war als globale Akteurin maßgeblich an der Gestaltung, Verbreitung und Implementierung buchfördernder Maßnahmen beteiligt. Blickt man auf die Schwerpunkte, die die UNESCO seit ihrer Gründung im Rahmen der Buchförderung setzte, so lassen sich zwei Prioritäten erkennen: Zum einen bemühte sie sich, den Zugang zu im Ausland produzierten Büchern zu erleichtern, also die grenzüberschreitende Distribution zu verbessern, und zwar sowohl im Hinblick auf den internationalen Buchhandel als auch bezüglich der weltweiten bibliothekarischen Austauschbeziehungen. Zum anderen machte sich die UNESCO dafür stark, dass die Bevölkerung in Entwicklungsländern Zugang zu einheimisch produzierten Büchern bekam. Ihr Engagement für die Stärkung der Verlage und den Ausbau des Bibliothekswesens in der Dritten Welt glich in der Wahl der zum Einsatz kommenden Mittel und Strategien anderen Entwicklungshilfeprogrammen: Diese umfassten die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften (durch Kurse, Konferenzen und Publikationen), die Unterstützung des Wissens- und Expertisetransfers, die Verbesserung der Informationsversorgung, den Aufbau von Institutionen, die Erarbeitung von Strategien und Konzepte sowie – gelegentlich – die Anschubfinanzierung von Projekten. Obgleich die Maxime »Bücher für alle« ein universell gültiges Vorhaben verkörperte, konzentrierten sich die Tätigkeiten der UNESCO stärker auf die Behebung der Bucharmut in der Dritten Welt. Erst mit der lesenden Gesellschaft und der damit einhergehenden Schwerpunktsetzung auf Fragen der Nutzung von Büchern und der Förderung des Lesens gestaltete die UNESCO die Programmatik ihrer buchbezogenen Programme teilweise neu – und schuf ein Konzept, das global relevant war, sowohl in den Industrienationen, wo Bücher im großen Umfang produziert und sehr gut zugänglich waren, aber nicht von allen und in immer geringerem Maße genutzt wurden, als auch in den Entwicklungsländern, in denen die Förderung des Gebrauchs von Büchern zukünftig mit der Verbesserung ihrer Produktions- und Distributionsbedingungen verbunden sein sollte. Der Aufbau (buch-) lesender Gesellschaften wurde von der UNESCO nicht als Selbstzweck begriffen, sondern diente übergeordneten Zielsetzungen. Die UNESCO förderte das Buchlesen nicht um seiner selbst willen, sondern verstand eine Steigerung des Buchgebrauchs als Teil einer globalen Gesellschaftspolitik, die dazu beitragen sollte, eine bessere, friedvollere, gerechtere Welt zu schaffen. Entsprechend wurde die Bedeutung des Buches bzw. des Buchlesens – als Bereicherung für das Individuum und als Mittel, das die (Welt-) Gesellschaften als Ganze voranbrachte – auch während des Weltbuchkongresses hervorgehoben:
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Books [. . .] retain their pre-eminence as the carriers of knowledge, education, and cultural values in human society. They serve both national development and the enrichment of individual human life. They foster better understanding between peoples and strengthen the desire for peace in the minds of men.22
Indem in der Londoner Erklärung die Buchnutzung in direkte, kausale Beziehung zu den drei Zielwerten Frieden, Bildung und Entwicklung gesetzt wurde, stellte sie eine komprimierte Fassung des Diskurses über die gesellschaftlichen Funktionen buchmedialer Kommunikation dar, den die UNESCO seit ihrer Gründung geprägt hat: Das Buch fördere den internationalen Austausch und schaffe so Frieden; es ermögliche den Zugang zu Information und bilde; es unterstütze Modernisierungsprozesse und bringe Fortschritt. Das Buchlesen diene nicht nur der individuellen Selbstverwirklichung, sondern sei maßgeblicher Faktor für gesellschaftliche Entwicklung. Im Diskurs der UNESCO fand keine Differenzierung hinsichtlich des gesellschaftlichen Leistungsvermögens bestimmter Buchgattungen statt: Wenn innerhalb der Programme selbst Schwerpunkte auf der Produktionsförderung von Kinder- und Jugendliteratur, Sachbüchern und Ratgebern sowie Lehrwerken lagen und die UNOrganisation in einigen, wenigen Projekten die Entstehung bestimmter, ihren Idealen entsprechender Inhalte in Buchform unterstützte, also Publikationen wie die History of Mankind oder die UNESCO Collection of Representative Works ins Leben rief, so wurde in den Verlautbarungen, Manifesten und Deklarationen – wie auch zuletzt in der Londoner Erklärung – das Lesen von Büchern an sich, also unabhängig von den Inhalten, die sie enthielten, als gesellschaftlich relevant beschrieben. Die UNESCO stellte das Buch der Weltöffentlichkeit als Friedensvermittler und Bildungsinstrument vor und präsentierte es somit als ein Vehikel, das dazu beitrug, die ihr verantworteten Aufgaben zu erfüllen. Dass sich eine derartige Übereinstimmung zwischen den Zielsetzungen der UNESCO und denen der Buchförderungsprogramme überhaupt (plausibel) herstellen ließ, liegt darin begründet, dass nicht nur die UNOrganisation selbst als Verkörperung aufklärerischer Ideale gegründet worden war, als eine philanthropische, humanitäre, kosmopolitische Einrichtung, die, nach den Grauen des Krieges, der Welt durch Bildung und Kultur zu Frieden und Wohlstand verhelfen sollte, sondern dass auch die Vorstellungen über das gesellschaftliche Leistungsvermögen des Buches durch die aufklärerische Ideenwelt entscheidend geprägt worden waren. Der grenzenlose Optimismus, der die in sich durchaus widersprüchliche Aufklärung auszeichnete23 , das Vertrauen in das Leistungsvermögen und die Bildbarkeit
22 The London Declaration »Towards a Reading Society«. Abgedruckt in: World Congress on Books. Final Report, Annex II, S. 19. 23 Vgl. stellvertretend für andere Darstellungen der Epoche: Barbara Stollberg-Rilinger: Die Aufklärung. Europa im 18. Jahrhundert. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart: Reclam 2011 (Reclams Universal-Bibliothek. 18882).
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des Individuums und der Glaube an ein übernationales, harmonisches Zusammenwachsen der Menschen hatten sich im 18. Jahrhundert auf die Konzeption des Buches und auch auf dessen Nutzung niedergeschlagen: Dem Buch wurden – neben Journalen und Periodika – bedeutende Funktionen bei der Diffusion von Wissen und der Verbreitung und Demokratisierung von Bildung zugesprochen, das Buch wurde als Faktor in Prozessen des individuellen und sozialen Wandels und des internationalen geistigen Austausches begriffen und – da es sich bei der Aufklärung um eine umsetzungsorientierte Geistesströmung handelte – ein entsprechender Gebrauch des Buches auch befördert.24 Ebenso wie sich die UNESCO für eine Buchwelt ohne Grenzen einsetzte und das Buch als Vermittler zwischen den Welten begriff, war für die Aufklärung ein übernationaler Kommunikationsraum konstitutiv: Der grenzüberschreitende Diskurs und die Rezeption aufklärerischen Gedankenguts in ganz Europa wurden nicht nur durch rege Übersetzungstätigkeiten ermöglicht, sondern auch durch einen transnationalen Buchhandel, der – trotz restriktiver Zensurbestimmungen und Zollabgaben – eine Verfügbarkeit von Büchern und Aufklärungsperiodika über nationale Grenzen hinaus ermöglichte. War die europaweite Ideenzirkulation durch Bücher und Periodika insbesondere für die Gelehrtenrepublik bedeutsam, ließ das Vorhaben, allen Menschen nützliches, die Bewältigung ihres Alltags erleichterndes Wissen zur Verfügung zu stellen, nicht nur die Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeiten in der breiten Bevölkerung prioritär werden, sondern auch die Produktion von Druckerzeugnissen, die geeignet waren, Handlungsempfehlungen zu geben, praktische Kenntnisse zu vermitteln und Ideen der Aufklärung dem Volk zugänglich zu machen: Wenn der bayrische Aufklärer und Autor Lorenz Westenrieder anno 1781 feststellte, dass wenn der Bauer »aber lesen gelernet, so könnte man ihm von Zeit zu Zeit durch wohlfeile Schriften bekannt machen, und erklären, was sich ihm außer dem niemals vollkommen und bis zur Ueberzeugung beybringen
24 Die nachfolgende Inbezugsetzung zwischen der aufklärerischen Sicht auf das Buch und der der UNESCO geschieht exemplarisch und soll nur dazu dienen, Kontinuitäten aufzuzeigen; sie stellt keine umfassende Studie zum durchaus widersprüchlichen aufklärerischen Verständnis vom Buch(-lesen) dar. Eine historische Langzeitanalyse der mit dem Buch(-lesen) verbundenen Werte und (gesellschaftlichen) Funktionen steht weiterhin aus und bleibt ein Desiderat. Vgl. stellvertretend für die zahlreichen Studien, die zum (europäischen) Buchmarkt der Aufklärung und zur Entstehung des modernen Lesepublikums vorliegen: The Widening Circle. Essays on the Circulation of Literature in Eighteenth-Century Europe. Hrsg. von Robert Darnton, Bernhard Fabian, Roy McKeen Wiles und Paul J. Korshin. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1976 (Haney Foundation Series. 20); Robert Darnton: The Business of Enlightenment. A Publishing History of the Encyclopédie 1775–1800. Cambridge: Harvard University Press 1979; Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie. Hrsg. von Johannes Frimmel und Michael Wögerbauer. Wiesbaden: Harrassowitz 2009 (Buchforschung. 5); Freedman: Books without Borders.
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läßt«25 , sind Parallelen zum Einsatz des Buches im Rahmen der UNESCO-Elementarbildungsprojekte über hundertfünfzig Jahre später deutlich zu erkennen; in beiden Fällen wurde im Buch ein Lehrmeister, ein Bildungsinstrument für das Volk gesehen. Dass das in Buchform aufbereitete Wissen und die in literarische Produkte übersetzten Werte und normative Orientierungen einen Beitrag zur Verbesserung der Bildung, zur ästhetisch-moralischen Erziehung, zur Entschlüsselung der Welt, ja: zur Vervollkommnung des Menschen leisten konnten, davon war man im ›Zeitalter des Lichts‹ überzeugt. Im aufklärerischen Werk par excellence, der Encylopédie von d’Alembert und Diderot, hieß es über dessen Zielsetzung: Tatsächlich zielt eine Enzyklopädie darauf ab, die auf der Erdoberfläche verstreuten Kenntnisse zu sammen, das allgemeine System dieser Kenntnisse den Menschen darzulegen, mit denen wir zusammenleben, & es den nach uns kommenden Menschen zu überliefern, damit die Arbeit der vergangenen Jahre nicht nutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei; damit unsere Enkel nicht nur gebildeter, sondern gleichzeitig auch tugendhafter & glücklicher werden.26
Greift man auf den Befund Kosellecks zurück, dass der »Erwartungshorizont, den die Aufklärung umrissen hat«, sich durch die Annahme kennzeichnet, dass die »Zukunft auf immer schnellere Weise die Gesellschaft nicht nur ändere, sondern auch verbessere«27 und dieser somit als »Fortschritt auf einen Begriff gebracht werden kann«28 , so wurde – wie in dem zitierten Ausschnitt aus der Encylopédie deutlich wird – innerhalb dieses Erwartungshorizontes das Buch als Werkzeug konzipiert, das zur Verbesserung, also zum Fortschritt beitragen konnte. Die an das Buch(-lesen) gestellten Erwartungen und der aufklärerischer Fortschrittsgedanke verbanden sich. Die UNESCO konnte bei der Begründung ihrer Buchförderungsprogramme somit auf Vorstellungen zurückgreifen, die hinsichtlich der Wirkungen und Funktionen des Buches lange und nachhaltig geprägt worden waren. Die UN-Organisation begnügte sich
25 Zitiert nach: Reinhart Siegert: Zur Alphabetisierung in den deutschen Regionen am Ende des 18. Jahrhunderts. In: Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Hans Erich Bödeker und Ernst Hinrichs. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1999 (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung. 26), S. 283–307, hier S. 295. 26 Im französischen Original: »En effet, le but d’une Encyclopédie est de rassembler les connoissances éparses sur la surface de la terre; d’en exposer le système général aux hommes avec qui nous vivons, & de le transmettre aux hommes qui viendront après nous; afin que les travaux des siecles passés n’aient pas été des travaux inutiles pour les siecles qui succéderont; que nos neveux, devenant plus instruits, deviennent en même tems plus vertueux & plus heureux.« Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, etc. Hrsg. von Denis Diderot und Jean le Rond D’Alembert, Band 5, S. 635. University of Chicago: ARTFL Encyclopédie Project (Spring 2011 Edition) URL: http://encyclopedie.uchicago.edu/ [15.4.2013]. Die deutsche Übersetzung ist entnommen: Die Welt der Encyclopédie. Ediert von Anette Selg & Rainer Wieland. Frankfurt/Main: Eichborn 2001 (Die Andere Bibliothek), S. 68. 27 Koselleck: ›Erfahrungsraum‹ und ›Erwartungshorizont‹, S. 368. 28 Ebd., S. 362.
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jedoch nicht damit, den mit dem Buch(-lesen) verbundenen, historisch definierten Erwartungshorizont für ihre Zwecke wieder aufzubereiten, sondern sie aktualisierte diesen auch, indem sie das Buch zum Modernisierungsagenten machte, ihm also eine dem Zeitgeist entsprechende Funktion zuschrieb, es als Entwicklungsfaktor konzeptualisierte. Die Einpassung des Buches in den herrschenden Entwicklungsimperativ, einschließlich der dafür neu geschaffenen und neu etablierten Begrifflichkeiten wie der Buchkluft (book gap) und der Bucharmut (book hunger), war dienlich, um die Durchführung buchfördernder Maßnahmen einfordern und besser rechtfertigen zu können. Zugleich stellte der Entwurf des Buches als Entwicklungsinstrument mehr als einen Diskurs dar, der lediglich zu Zwecken der Legitimierung und Finanzierung der eigenen Projekte konstruiert wurde; denn die Idee vom Buch als Katalysator gesellschaftlicher Transformationsprozesse war tief in modernisierungstheoretischen Paradigmen verwurzelt, die nicht nur in den sechziger Jahren einflussreich waren, sondern auch heute (wieder bzw. weiter) das Verständnis von Medien in Entwicklungsprozessen prägen: So handelt es sich bei dem in den sechziger Jahren festgestellten book gap und dem heute die Diskussion beherrschenden digital divide nicht nur um begrifflich ähnliche Konzepte; ihnen liegen auch vergleichbare Prämissen zugrunde, nämlich die, dass der durch eine angemessene Medieninfrastruktur gewährleistete Zugang zu Informationen und die durch Medien ermöglichte gesellschaftliche Partizipation einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung von Armut und Unterentwicklung leisten können. In der Abschlusserklärung des Zweiten Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (2005, Tunis) hieß es: We recognize that access to information and sharing and creation of knowledge contributes significantly to strengthening economic, social and cultural development, thus helping all countries to reach the internationally agreed development goals and objectives [. . .] This process can be enhanced by removing barriers to universal, ubiquitous, equitable and affordable access to information. We underline the importance of removing barriers to bridging the digital divide, particularly those that hinder the full achievement of the economic, social and cultural development of countries and the welfare of their people, in particular, in developing countries.29
Auch die Projekte, die heute durchgeführt werden, um die digitale Kluft zu verringern, gleichen denjenigen, die zur Überwindung der book gap lanciert worden waren. Schickte man in den sechziger und siebziger Jahren Bücher nach Afrika, Asien und Lateinamerika und errichtete in den Entwicklungsregionen Druck- und Verlagskapazitäten, werden heute Laptops an Kinder in der Dritten Welt verschenkt30 und im
29 Tunis Commitment. World Summit on the Information Society. Geneva 2003–Tunis 2005 (Dokument: WSIS-05/TUNIS/DOC/7-E), abrufbar unter: International Telecommunication Union. Website. URL: http://www.itu.int/wsis/docs2/tunis/off/7.html [15.4.2013]. 30 So will das Projekt One Laptop per Child des US-amerikanischen Professors Nicholas Negroponte dazu beitragen, allen Bevölkerungsschichten den Zugang zum Internet und damit zu den Informations- und Wissensressourcen der Welt zu ermöglichen. Zielsetzung des gemeinnützigen Vor-
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Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der Ausbau von Informations- und Kommunikationstechnologien gefördert. Die Suggestivkraft der bereits dem Book Development-Programm zugrunde liegende technologisch-deterministische Annahme, dass eine größere Verfügbarkeit von und ein besserer Zugang zu Informationen an sich den Ausgang aus Armut und Unterentwicklung bedeute, scheint damit ungebrochen zu sein, gleichwohl die historische Evidenz – wie die belgische Medienwissenschaftlerin Veva Leye feststellt – eigentlich dagegen spricht: All technological innovations, from the optical telegraph over underwater cable to radio and television, have in their times been hailed because of their ›promise of universal concord, decentralised democracy, social justice and general prosperity‹, but subsequently also failed in terms of delivering more development.31
Im Buch ein Instrument der Bildung zu sehen, einen Vermittler von Frieden und Verständigung, einen Motor für Entwicklung und Modernisierung, das Buch also als leistungsstarkes Element zur Gestaltung und Veränderung von Gesellschaften zu konzipieren – so wie es nicht nur die UNESCO tat und tut –, mag eine Überfrachtung des tatsächlichen Leistungsvermögens des Buches darstellen, es spiegelt aber tatsächlich vorhandene politische und gesellschaftliche Wünsche und Hoffnungen wider und besitzt deshalb eine hohe suggestive Kraft: Eine Förderung des Buches, die sich in einem Erwartungshorizont begründet, der mit Koselleck als Fortschritt definiert werden kann, bezieht ihre Attraktivität aus den Verheißungen für die Zukunft, nicht aus ihrer Angemessenheit zur Erfassung der Komplexität und der Chancen, gegenwärtig ablaufende Prozesse tatsächlich zu verändern und zu beeinflussen. Das Buch wurde Teil eines von der UNESCO verkörperten Projekts der Moderne, es war und diente als Projektionsfläche, in der Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, auf eine vollkommenere Welt sichtbar wurden.
habens ist es insbesondere: »To create educational opportunities for the world’s poorest children by providing each child with a rugged, low-cost, low-power, connected laptop with content and software designed for collaborative, joyful, self-empowered learning. When children have access to this type of tool they get engaged in their own education. They learn, share, create, and collaborate. They become connected to each other, to the world and to a brighter future.« One Laptop per Child. Homepage. URL: http://laptop.org/en/vision/index.shtml [15.4.2013]. 31 Veva Leye: Information and Communication Technologies for Development: A Critical Perspective. In: Global Governance 15 (2009), H. 1, S. 29–35, hier S. 29.
Dokumentation A Lesematerialien für Neualphabetisierte, hergestellt am CREFAL zwischen 1951 und 1960 In der Bibliothek des CREFAL in Pátzcuaro, Mexiko, konnten insgesamt 22 Bücher bzw. Broschüren für Neualphabetisierte nachgewiesen werden, die zwischen 1951 und 1960 konzipiert und gedruckt wurden. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
El maíz. 4 Bände. Pátzcuaro: CREFAL 1951 (Las semillas / La siembra del maíz / La cosecha / Tortillas de maíz). Pedro y sus animales. 3 Bände. Pátzcuaro: CREFAL 1951. Jesús Isáis Reyes: Miguel Hidalgo y Costilla. Pátzcuaro: CREFAL 1953. Miguel Soler Roca: Los consejos de Hilario. Pátzcuaro: CREFAL 1953 (Vida rural. 1). Emilio García Agreda: Mi amigo Fortino. Pátzcuaro: CREFAL 1953 (Vida rural. 3). Los celos de María. Pátzcuaro: CREFAL 1955 (Vida rural. 5). Juan vive alegre y feliz. Pátzcuaro: CREFAL 1955 (Vida rural. 6). Jesús Isáis Reyes: Una vida y un ideal. Pátzcuaro: CREFAL 1956 (Colección CREFAL). Ella Griffin: Ayudemos a los diez millones. Pátzcuaro: CREFAL 1956 (Serie del hogar y la familia). Vida rural : entrada a la lectura. Pátzcuaro: CREFAL 1957 (Colección CREFAL). Ramón García Ruiz: El insurgente Don Pedro Moreno. Benemérito de la patria. Pátzcuaro: CREFAL 1957. Ana y Julio. Tu cartilla de lectura. Pátzcuaro: CREFAL 1958. Evaristo Eleutice: Un hogar feliz. Pátzcuaro: CREFAL 1958. Hacia el progreso por la unión. Pátzcuaro: CREFAL 1958. Jesús Isáis Reyes: Nunca es demasiado tarde. Pátzcuaro: CREFAL 1958. Las gallinas de los huevos de oro. Pátzcuaro: CREFAL 1958 (Colección CREFAL). Poemario. Pátzcuaro: CREFAL 1958 (Colección CREFAL). Prueba de lectura para adultos. Pátzcuaro: CREFAL 1959 (Colección CREFAL). Ana y Julio. Pátzcuaro: CREFAL 1960 (Colección CREFAL). La comunidad. Pátzcuaro: CREFAL 1960 (Colección CREFAL). Juan y Luis. Pátzcuaro: CREFAL 1960 (Colección CREFAL). Cruz M. Torres: Aventuras de Juan y Pedro. Pátzcuaro: CREFAL 1960 (Colección CREFAL).
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Dokumentation
B Veröffentlichungen der Latin American Fundamental Education Press Die Übersicht über die zwischen 1951 und 1958 erschienenen Publikationen der Latin American Fundamental Education Press wurde auf Basis der beiden nachfolgenden Dokumente erstellt: 1.
2.
Guillermo Nannetti: The Latin American Fundamental Education Press. Libraries for the People. Paris 1956. (UNESCO-Dokument: UNESCO/Reg.M.E./RMNL/56/22), S. 23–25. Biblioteca popular latinoamericana. Cartillas impresas hasta Julio 1958 (Paris, UNESCO-Archiv, AG 8: Secretariat Records, 2nd Series, 375 A 031 024, Part II).
Bei Nannetti werden Auflagenzahlen angegeben, die hier in Klammern gesetzt wurden; weitere Auflagen sind ebenfalls vermerkt. Die Darstellung erfolgt in chronologischer Reihenfolge, auf eine Orts- und Verlagsangabe wird verzichtet. – – – – –
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Abraham Lincoln. 1. Auflage 1951 [11.000]; 2. Auflage 1955 [25.000]. Agua pura. 1. Auflage 1951 [11.000]; 2. Auflage 1953 [100.000]; 3. Auflage 1954 [50.000]. Cuidado con la leche. 1. Auflage 1951 [11.000]; 2. Auflage 1952 [25.000]; 3. Auflage 1953 [20.000]; 4. Auflage 1954 [50.000]. La Viruela. El recuerdo de Pedrito. 1. Auflage 1951 [11.000]; 2. Auflage 1953 [100.000]. Defiende tu suelo. Historia de António Arango. 1. Auflage 1951 [11.000]; 2. Auflage 1953 [100.000]; 3. Auflage 1954 [20.000]; 4. Auflage 1954 [30.000]; 5. Auflage 1954 [50.000]; 6. Auflage 1955 [25.000]. La tubercolosis. Como se curó Manuel. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1953 [100.000]; 3. Auflage 1955 [25.000]. Bueno y barato. Qué es una cooperativa de consumo. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1953 [20.000]; 3. Auflage 1954 [20.000]; 4. Auflage 1954 [30.000]; 5. Auflage [25.000]. Crédito agrícola. La historia de los campesinos. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1953 [125.000]; 3. Auflage 1954 [40.000]; 4. Auflage 1954 [25.000]; 5. Auflage [25.000]. La casa rural. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1953 [100.000]; 3. Auflage 1954 [50.000]. Eres Libre. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1953 [25.000]; 3. Auflage 1955 [25.000]. José de San Martín. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1955 [25.000]. Trabajemos juntos. 1. Auflage 1952 [11.000]. Quetzalcoatl. Leyenda mexicana. 1. Auflage 1952 [11.000].
Veröffentlichungen der Latin American Fundamental Education Press
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Vamos a leer. 1. Auflage 1952 [11.000]; 2. Auflage 1954 [20.000]; 3. Auflage 1955 [25.000]. Artigas. 1. Auflage [5.000]. Morelos. 1. Auflage 1953 [5.000]; 2. Auflage 1955 [25.000]. Simón Bolívar. 1. Auflage 1953 [25.000]; 2. Auflage 1955 [25.000]. Ayuda a tu pueblo. 1. Auflage 1953 [5.000]; 2. Auflage 1954 [7.500]; 3. Auflage 1954 [20.000]; 4. Auflage 1954 [50.000]; 5. Auflage 1955 [25.000]. San Francisco de Asis. 1. Auflage 1953 [5.000]; 2. Auflage 1954 [10.000]; 3. Auflage 1955 [25.000]. Cuida a tus hijos. 1. Auflage 1954 [10.000]; 2. Auflage 1954 [50.000]. El Paludismo. 1. Auflage 1954 [20.000]; 2. Auflage 1954 [50.000]. La casa de salud. 1. Auflage 1954 [10.000]; 2. Auflage 1955 [10.000]. Defiende tus bosques. 1. Auflage 1954 [10.000]; 2. Auflage 1955 [25.000]. La mejor semilla de maiz. 1. Auflage 1954 [10.000]; 2. Auflage undatiert [10.000]. José Bonifacio, héroe de Brasil. 1. Auflage 1954 [5.000]. La Patria. 1. Auflage 1954 [5.000]. Marti. 1. Auflage 1954 [10.000]. Alcoholismo. 1. Auflage 1955 [10.000]; 2. Auflage 1955 [10.000]. Abonos agrícolas. 1. Auflage 1955 [10.000]; 2. Auflage 1955 [10.000]. El huerto casero. 1. Auflage 1955 [10.000]; 2. Auflage 1955 [10.000]. Gusanos del maiz. 1. Auflage 1955 [25.000]. Naciones Amigas. 1. Auflage 1955 [25.000]. Algo sobre América. 1. Auflage 1955 [10.000]; 2. Auflage 1955 [10.000]. Aprende a escribir. 1. Auflage 1955 [10.000]; 2. Auflage 1955 [10.000]. Aprende a medir. 1. Auflage 1955 [25.000]. Algo de geometría. 1. Auflage 1955 [25.000]. La tierra y los planetas. 1. Auflage 1955 [25.000]. La Biblioteca Popular. 1. Auflage 1955 [25.000]. La Biblioteca de Educación Fundamental. 1. Auflage 1955 [25.000]. Teatro popular. 3 Bände. 1956/1958. Algunos inventos. 1956. Adivinanzas. 1956. Fábulas en prosa. 1956. Pueblos antiguos de América. 1956. La salud de la comunidad. 1957. Conoce tu cuerpo. 1957. Higiene de la casa. 1957. Primeros auxilios. 1957. Aumenta tu biblioteca. 1957. El cerdo, cría y engorde. 1957. Como preparar terrenos para siembras. 1957. Lecturas fáciles en prosa. 1957.
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Dokumentation
El cuidado de la vaca. 1957. El peligro de los moscas. 1957. Qué debemos comer? 1957. La cría de conejos. 1957. Cuidado con las insecticidas. 1958. Algunas aventuras de Don Quijote. 1958. El machete, su uso y cuidado. 1958. Letrinas sanitarias. o. D. Franklin. o. D. O’Higgins. o. D. Los continentes. o. D. Como preparar terrenos de cultivo. o. D. Riego para los cultivos. o. D. Aritmética. o. D. Fábulos en verso. o. D.
C Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts Den Projektakten im UNESCO-Archiv ist zu entnehmen, dass die asiatischen Kooperationspartner der UNESCO mehrere Exemplare von jeder im Rahmen des Lesematerialienprojekts subventionierten Publikation nach Paris und Karatschi geschickt haben. Allerdings sind diese weder im Archiv noch in der Bibliothek der UNESCO erhalten geblieben. Die nachfolgende Übersicht basiert daher nicht auf Autopsie, sondern ist eine Auswertung der im Information Bulletin on Reading Materials (IBRM) veröffentlichten Bibliographien. In der Regel wurden dort die in lokalen Sprachen erschienenen Bücher mit ihrem übersetzten englischen Titel aufgeführt. Quellen: Bibliographical Notes. Publications Issued under the UNESCO Reading Materials Project. In: IBRM I (1959), H. 2, S. 13–15; IBRM I (1959), H. 4, S. 14–15; IBRM III (1961), H. 2, S. 31; IBRM III (1961), H. 4, S. 63; IBRM IV (1962), H. 2, S. 30–31; IBRM V (1963), H. 2, S. 31; IBRM VII (1965), H. 4, S. 51–52. Publikationen auf Bengalisch (Anzahl: 29) – Alam, Mahbub-ul: Burma. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1959 (76 S.). – Alam, Mahbub-ul: Ceylon. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1959 (82 S.). – Alam, Mahbub-ul: Indonesia. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1959 (100 S.). – Alam, Mahbub-ul: Saudi Arabia. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1959 (82 S.).
Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Alam, Mahbub-ul: Birds of East Pakistan. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1960 (76 S.). Alam, Mahbub-ul: Wild Animals of East Pakistan. Chittagong: Pakistan Cooperative Book Society Ltd. 1960 (54 S.). Alam, Mahbub-ul: Turkey. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1961 (83 S.). Alam, Mahbub-ul: Fishes of East Pakistan. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1961 (92 S.). Bhikshu, Vijyan: Barter. Calcutta: Bengal Mass Education Society o. D. (34 S.). Bhikshu, Vijyan: Let Us All Work Together. Calcutta: Bengal Mass Education Society o. D. (40 S.). Bijnaner Bichitra Katha. Vol. 1. Dacca: Adeylebros & Co 1961. (29 S.). Bijnaner Bichitra Katha. Vol. 2. Dacca: Adeylebros & Co 1961. (38 S.). Bijnaner Bichitra Katha. Vol. 3. Dacca: Adeylebros & Co 1961 (44 S.). Bondopadya, Hirommoy: Modern Equipment in Agriculture. Calcutta: Shishu Sahitya Samsad Private Ltd. 1958 (106 S.). Bose, Ajit: Man Defies Gravity. Calcutta: Shishu Sahitya Samsad Private Ltd. 1958 (100 S.). Ghosh, Binoy: Youth Welfare. Calcutta: Shishu Sahitya Samsad Private Ltd. 1959 (104 S.). Guha, Binesh Chandra: Miracle of Water. Calcutta: Shishu Sahitya Samsad Private Ltd. 1959 (99 S.). Hosne, Ara: Begum. Role of Home Economics in Community Development. Dacca: Book Promotion Ltd. 1964 (86 S.). Husain, Qazi Abul: Health Is Wealth. Dacca: Book Promotion Ltd. 1963 (135 S.). Husain, Qazi Abul: The Trembling Earth. Dacca: Book Promotion Ltd. 1963 (84 S.). Mabibullah, A. F. M.: Charity Made Them Great. Dacca: Book Promotion Ltd. 1962 (87 S.). Mabibullah,A. F. M.: My Country. Dacca: Book Promotion Ltd. 1962 (94 S.). Mabibullah,A. F. M.: Childhood Stories. Dacca: Book Promotion Ltd. 1963 (94 S.). Rezwanurrehman, Syed: Twinkle, Twinkle Little Star. Dacca: Book Promotion Ltd. 1963 (89 S.). Roy, Kanailal: The Age of Metal. Calcutta: Shishu Sahitya Samsad Private Ltd. 1959 (101 S.). Redwanur, Rahman: Community Development and Civic Sense. Dacca: Book Promotion Ltd. 1964 (94 S.). Redwanur, Rahman: Great People of the World. Dacca: Book Promotion Ltd. 1964 (95 S.). Tolstoy, L.: Five Stories. Translated by Shaukat Usman. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1959 (126 S.). Wells, H. G.: The Time Machine. Translated by Shaukat Usman. Chittagong: Pakistan Co-operative Book Society Ltd. 1959 (126 S.).
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Dokumentation
Publikationen auf Burmesisch (Anzahl: 36) – Aung, Than / U Ko Gyi: Tuberculosis. Rangoon: Burma Translation Society 1960. (115 S.). – Das, Kali: Shakuntala. Translated by Yawe Tun. Rangoon: Pyin-Nya-Ahlin-Pya Press 1958 (217 S.). – Daw, Tin Htwe: India. Rangoon: Burma Translation Society (138 S.). – Dickens, Charles: A Tale of Two Cities. Rangoon: Burma Translation Society (170 S.). – Kyi-Pwa-Ya, U Thein: Cottage Industries. Rangoon: Knowledge Press 1959 (128 S.). – Kyi-Pwa-Ya, U Thein: Youth Welfare. Rangoon: Burma Translation Society 1959. – Ko, Ba Ba: Visit to New China. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1957 (123 S.). – London, Jack: The Call of the Wild. Translated by Gone Win. Rangoon: Shumawa Press 1958 (240 S.) – Lulu, U Hla: Birds in Cages. Mandalay: Ludu Press 1958 (290 S.). – Lwin, U San: Concise World Alamanac. Rangoon: Burma Translation Society 1960 (157 S.). – Lwin, U San: Pakistan. Rangoon: Burma Translation Society 1960 (99 S.). – Lwin, U San: Nowhere to Hide. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1962 (71 S.). – Ok, Ba: Stories From the Rock. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (28 S.). – Maung Pyoe: Miracle of Water. Rangoon: Theikdi Press 1958 (124 S.). – Nyunt Tha: Age of Metaos. Rangoon: Burma Translation Society (148 S.). – Pa Maung Theik: Animal Travels. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (48 S.). – Soe, U. Aung: Sericulture. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (112 S.). – Saya Pyoe: Welfare of Women and Children. Rangoon: Knowledge Press 1958 (123 S.). – Swe, Than: Thailand. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (132 S.). – Tet, Toe: Ceylon. Rangoon: Nu Yin Press 1958 (94 S.). – Tet, Toe: Indonesia. Rangoon: Nu Yin Press 1958 (92 S.). – Tet, Toe: Japan. Rangoon: Nu Yin Press 1958 (96 S.). – Thant, Myo: Engineering Wonder. Rangoon: Theikdi Press 1958 (128 S.). – Thant, Myo: Facts about Space. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1962 (64 S.). – Thant, Myo: A Sound Body. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1962 (84 S.). – Thant, Myo: Fifty Years From Now. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1963 (72 S.). – Theikpan, Myint U: Progress of Medicine. Rangoon: Theikdi Press 1958 (158 S.). – Thein U Aung: Sugarcane Plantation. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (104 S.). – Thein, Kywe: Tasty Dishes for You. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1962 (66 S.). – Thin, Chit: Ask the Weatherman. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (48 S.).
Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Thin, Maung: The Shadow. Rangoon: Burma Translation Society 1961 (112 S.). Tolstoy, L: Tales. Translated by Su Myaing & Than Swe. Rangoon: Shumawa Press 1958 (274 S.). Thoung, Thakin Ba: Space Traveller. Rangoon: Burma Translation Society 1959 (190 S.). Wain, U Ah: General Science. Rangoon: Burma Translation Society 1954 (47 S.). Verne, Jules: From the Earth to the Moon. Translated by U. Soe Hla. Rangoon: Sarpay Beikman Institute 1963 (32 S.). Well, H. G.: The War of the Worlds. Translated by Theikpan Soe Hla. Rangoon: Shumawa Press 1957 (256 S.).
Publikationen auf Singhalesisch (Anzahl: 28) – A Book of Power. Colombo: Associated Newspapers of Ceylon Ltd. 1961 (51 S.). – Amarsekera, Gunadasa: Good Health. Colombo: Saman Press 1960 (52 S.). – Amarsekera, Gunadasa: Frugality. Colombo: Saman Press 1960 (28 S.). – Amarsekera, Gunadasa: Leisure Hours. Colombo: Saman Press 1960 (35 S.). – Bishop, Richard W.: Stepping Stones to Light. Colombo: Associated Newspapers of Ceylon Ltd. 1959 (102 S.). – Coldfield, Geneview: Thai Folk Tales. Translated by D. H. J. Kurukularachichi. Colombo: National Publications Bureau 1964 (61 S.). – De Silva, L. D. H.: Local Government. Colombo: Saman Press 1959 (183 S.). – De Silva, P. H. P.: Cottage Industries. Colombo: Saman Press 1959 (120 S.). – Elwin, Verrier: When the World Was Young. Translated by D. H. J. Kurukularachchi. Colombo: National Publications Bureau 1963 (96 S.). – Gunatillaka, M. H.: Sanskruthika Satahom (=United Nations Organization). Colombo: National Publications Bureau 1964 (78 S.). – Hamsun, Knud: Growth of the Solit. Translated by K. C. Perera und K. N. Rupasiri. Colombo: Saman Press 1959 (234 S.). – Hulugalle, H. A. J.: Pakistan. Colombo: New Asia Trading Co. Ltd. 1961 (92 S.). – Hulugalle, Sitha: Indonesia. Colombo: New Asia Trading Co. Ltd. 1961 (149 S.). – Madawala, J. E. D.: Rural Development in Ceylon. Colombo: Saman Press 1959 (144 S.). – Pieris, T. D. Z.: Co-operative Movement in Ceylon. Colombo: Saman Press 1959 (139 S.). – Silvam, G. B.: Good House. Colombo: Saman Press 1960 (52 S.). – Things that Help Us Live. Colombo: Associated Newspapers of Ceylon Ltd. 1961 (121 S.). – Use of Modern Equipment in Agriculture. Colombo: Saman Press 1958 (125 S.). – Walton, John/ Harry McNicol: Pioneers of Medicine. Colombo: Associated Newspapers of Ceylon Ltd. 1959 (72 S.). – Walton, John: Six Physicists. Colombo: Associated Newspapers of Ceylon Ltd. 1958 (106 S.).
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Dokumentation
Walton, John: Seven Civil Engineers. Colombo: Associated Newspapers of Ceylon Ltd. 1957 (157 S.). Wanigathunga, Senarath: Golden Lime Case. Colombo: Saman Press 1960 (30 S.). Wanigathunga, Senarath: Heen appu. Colombo: Saman Press 1960 (24 S.). Wells, H.G.: The First Man in the Moon. Translated by Dhammika Amarasinge. Colombo: Saman Press 1959 (224 S.). Wickremasinghe, Piyal: Eksath jatinge Sanvidanaya (=Notes on Culture). Colombo: National Publications Bureau 1964 (82 S.). Wimalasena, Jayantha: Cherry Saha Kapuru (=Japanese Culture). Colombo: National Publications Bureau 1964 (164 S.). Wimalasena, Jayantha: Gedara Yaddi (=Homeward Journey). Colombo: National Publications Bureau 1965 (135 S.). Wimalasena, Jayantha: Home Management. Colombo: National Publications Bureau 1963 (104 S.).
Publikationen auf Hindi (Anzahl: 70+35) – Abid, Malik Mohammad: Animals of the World. Delhi: Jamia Millia 1959 (56 S.). – Abid, Malik Mohammad: The World of Worms and Insects. Delhi: Jamia Millia 1960 (32 S.). – Agrawal, Dhirendra: Common Diseases, Their Cures. Delhi: Atma Ram and Sons 1962 (104 S.). – Ahmed, Mushtaq: Old Stories. Delhi: Jamia Millia Islamia, Indian Adult Education Association 1957 (37 S.). – Ahmed, Mushtaq: Read and Laugh. Delhi: Jamia Millia Islamia, Indian Adult Education Association 1957 (39 S.). – Ahmed, Mushtaq: Family Planning. Delhi: Jamia Millia Islamia 1960 (16 S.). – Ahmed, Raees: Artificial Satellites & Planets. Varanasi: Hinid Pracharak Pustakalaya 1961 (94 S.). – Anees, Mohammad: Splitting the Heart of the Atom. Varanasi: Hinid Pracharak Pustakalaya 1961 (90 S.). – Amin, Mohamnad: The Earth. Delhi: Talim-o-Taraqqi, Jamia Millia 1959 (48 S.). – Andersen’s Tales. Varanasi: Hinid Pracharak Pustakalaya 1959 (176 S.). – Balpuri, Surendra: Live and Let Live. Delhi: Jamia Millia Islamia, Indian Adult Education Association 1957 (22 S.). – Balpuri, Surendra: We Are Good, the World is Good. Delhi: Jamia Millia Islamia, Indian Adult Education Association 1957 (23 S.). – Balupuri, Surendra: Marine Animals. Delhi: Talim-o-Taraqqi, Jamia Millia 1959 (48 S.). – Bhatnagar, Rameshwar: Oxygen, a Must to Living Organism. Delhi: Atma Ram and Sons 1962 (98 S.). – Chandra, Vimal: Water. Delhi: Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (77 S.).
Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Datta, Sibchandra; Dutta, Bimla: Welfare of Women and Children. Delhi: Sasta Sahitya Mandal 1959 (100 S.). Devi, Shakuntala: Pakistan. Delhi: Rajkamal Parkashan Private Ltd. 1960 (96 S.). Dharmavir: How to Improve Relationship. Delhi: Jamia Millia Islamia 1960 (26 S.). Fatima, Mushir: Migration of Birds. Delhi: Jamia Millia 1960 (23 S.). Gopal, Krishna: Mills and Engines. Delhi: Atma Ram and Sons 1962 (111 S.). Gopal, Lallanji: Hamari biradari (=Our Brotherhood.) Varanasi: Hindi Pracharak Pustakalaya 1964 (100 S.). Gopal, Lallanji: Ham sab ek hain (=We Are All United). Varanasi: Hindi Pracharak Pustakalaya 1964 (108 S.). Gopal, Lallanji: Sanskriti aur sanskritiyan (=Culture and Civilisation) Varanasi: Hindi Pracharak Pustakalaya 1964 (108 S.). Gupta, Shobhalal: Cottage Industries. Delhi: Sasta Sahitya Mandal 1959 (86 S.). Gupta, Mamthnath: Struggle for Independence. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (28 S.). Grimm’s Tales. Varanasi: Hindi Pracharak Pustakalaya 1959 (202 S.). Hussain, Wazarat: Weather and Weather Forecasting. Varanasi: Hindi Pracharak Pustakalaya 1961 (97 S.). Jayashi, Sri Devendra: Growth of Mankind. Delhi. Jamia Millia 1960 (60 S.). Jayasval, Pannalal: Towards Better Agriculture. Delhi: Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (112 S.). Joshi, Puran Chandra: Balanced Diet. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (18 S.). Kapadia, B. M.: Food – Way to Health. Bombay: Bombay City Social Education Committee 1959 (27 S.). Kapadia, B. M.: Science in the Home. Bombay: Bombay City Social Education Committee 1959 (24 S.). Kankaria, Dharniedrakumar: The Story of Metals. Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (111 S.). Kaygo, Katsuo: With the Children of Japan. Delhi: Raykamal Prakashan Private Ltd. 1961 (94 S.). Khaliq, Mohammad: Popular Government. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (20 S.). Lal, Sundar: The Meeting of Two Civilisations. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (16 S.). Lalia, Yogendra Kumar: The House Fly and Mosquito. Delhi: Atma Ram and Sons 1962 (100 S.). Lakshmi Narrayan Sharma: United Nations. Delhi: Jamia Millia Islamia, Indian Adult Education Association 1957 (19 S.). Maya: Cleanliness of the House, Disinfectants. Delhi: Atma Ram and Sons 1962 (144 S.). Mehta, Bhnusbanker: Progress of Medicine. Delhi: Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (103 S.).
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Dokumentation
Mujeeb, M.: Religious Tolerance. Delhi: Jamia Millia Islamia, Indian Adult Education Association 1957 (22 S.). Philippines. Delhi: Raykamal Prakashan Private Ltd. 1961 (113 S.). Prasad, Gorakh: The Sun. Delhi: Talim-o-Taraqqi, Jamia Millia 1959 (63 S.). Parsad, R.: Health is Wealth. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (16 S.). Prabhakar, Vishnu: Human Rights. Delhi: Sasta Sahiya Mandal 1960 (100 S.). Prem, Ramesh Chandra: How to Keep Cool and Warm. Delhi: Atma Ram and Sons 1962 (102 S.). Ram, Keshav Sagar: The Story of Fire. Delhi: Rajpal & Sons 1960 (32 S.). Rao, Umar: Indonesia. Delhi: Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (67 S.). Sagar, Keshab: All about Air. Delhi: Rajpal & Sons 1961 (103 S.). Sanyasi, Sayamu: Japan. Delhi: Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (112 S.). Sanyasi, Sayamu: Arab Desh. Delhi: Rajkamal Parkashan Private Ltd. 1960 (105 S.). Satayapal, Vidyalankar: Burma. Delhi: Rajkamal Parakashan Private Ltd. 1958 (99 S.). Saxena, Muneish: Australia. Delhi: Rajkamal Parkashan Private Ltd. 1960 (88 S.). Snehlata: Ceylon. Delhi: Rajkamal Prakashan Private Ltd. 1959 (101 S.). Singh, Bijnath: Development of Co-operatives. Delhi: Sasta Sahitya Mandal 1959 (116 S.). Singh, Lalji: Samudayik Vikas (=Community Development). Veranasi: Hindi Pracharak Pustakalaya 1964 (104 S.). Srivastava, Bhagwatriprasad: Means of Communications. Delhi: Talim-o-Taraqqi, Jamia Millia 1959 (51 S.). Srivastava, Bhagwatriprasad: The Moon. Delhi: Talim-o-Taraqqi, Jamia Millia 1959 (56 S.). Srivastava, Bhagavatiprasad: All About the Sky. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (24 S.). Srivastava, Bhagavatiprasad: Evolution of Man from Nothingness. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (24 S.). Tewari, Ramchandra: The Story of Sound. Delhi: Rajpal & Sons 1961 (100 S.). The Solar System. Delhi: Talim-o-Taraqqi, Jamia Millia 1959 (63 S.). Tripati, Rajendev: Better and Bigger Crop – the Japanese Way. Delhi: Sasta Sahitya Mandal 1959 (96 S.). Upadhaya, Bhagavat Saran: The Story of Early Civilizations. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (32 S.). Upadhaya, Bhagavat Saran: Richness of India’s Cultural Heritage. Delhi: Jamia Millia Islamia 1961 (24 S.). Varma, Ramechandra: Story of Fire. Delhi: Rajpal & Sons 1961 (112 S.). Verne, Jules: Twenty Thousand Leagues under the Sea. Translated by Sant Kumar Auasti. Delhi: Rajpal and Sons 1959 (340 S.). Vidyalankar, Satyapal: Iran. Delhi: Rajkamal Prakashan Private Ltd. 1958 (95 S.).
Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Wells, H. G.: The Time Machine. Translated by Kesava Sagar. Delhi: Rajpal and Sons 1959 (168 S.). Zaidi, Aftab A.: The Elements and Compounds. Varanasi: Hinid Pracharak Pustakalaya 1961 (102 S.).
Zusätzlich zu den hier aufgelisteten Titeln wurden mit finanzieller Unterstützung der UNESCO in Kooperation mit der Jamia Millia Islamia und der Pilot Public Library 35 Hefte für Neualphabetisierte produziert. Publikationen auf Nepalesisch (Anzahl: 4) – Sharma, Bal Chandra: Antariksha (=The Space). Kathmandu: Bal Chandra Sharma 1964 (116 S.). – Sharma, Bal Chandra: Hamara char chhimeki (=Our Four Neighbours). Kathmandu: Bal Chandra Sharma 1964 (115 S.). – Sharma, Bal Chandra: Prithvi (=The Earth). Kathmandu: Bal Chandra Sharma 1964 (120 S.). – Sharma, Bal Chandra: Nepali Samskriti (=Nepali Culture). Kathmandu: Bal Chandra Sharma 1964 (122 S.). Publikationen auf Tamil (Anzahl: 27) – Balakrishan, R: International Economic Relations. Translated by O. R. Krishnaswamy. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (137 S.). – Bhuveneswari, K. and others: Science of Living Things. Translated by S. S. Ramswamy. Madras: Southern Languages Book Trust 1960 (200 S.). – Boas, G. D.: Know your Mind. Translated by T. N. Govindarajan. Madras: Southern Languages Book Trust 1963 (256 S.). – Corbett, Jim: Man-eaters of Kumaon. Translated by T. J. Rangamathan. Madras: Southern Languages Book Trust 1958 (202 S.). – Eliot, George: Silas Mariner. Translated by K. V. Ramchandran. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (128 S.). – London, Jack: The Call of the Wild. Translated by T. Thooran. Madras: Southern Languages Book Trust 1958 (127 S.). – Mahadevan, K. S.: The Versatile Plastics. Madras: Southern Languages Book Trust 1963 (105 S.). – Nagarajan, N.K.: Ulagam Kurugiathu (=Communications Then and Now). Madras: Samraj Publications 1963 (196 S.). – Nyein, U. Kyaw and others: Burma. Translated by K. V. Ramchandran. Madras: Southern Languages Book Trust 1960 (136 S.). – Ramaswamz, Vasumathi: Vullum kavar illam (= Make Your Home Bright). Madras: S. R. Subramania Pillai 1963 (125 S.). – Russel, E. Frank: And Then There Were None. Translated by K. V. Ramchandran. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (184 S.).
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Dokumentation
Sarabhai, Mrinalini: Children’s Book of Indian Dancing. Translated by Anandhi Ramchandran. Madras: Southern Languages Book Trust 1962 (55 S.). Sastromidjojo, H. W. Ali: Indonesia. Translated by N. S. Narayanan and N. S. Ramanathan. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (192 S.). Sanjivi, Dr. K. S.: Medicine for the Layman – Non-Communicable Diseases. Translated by Cap. N. Seshdarinathan. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (144 S.). Savarimuthu, P.: The World We Live in. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (176 S.). Savarimuthu, P.: Vaanaveli vetri (=Conquest of Space). Madras: Tamil Puthakalayam 1963 (154 S.). Seshadrinathan, Dr. N.: The Human Body. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (93 S.). Shridevi, Prof. Sripathi: United States of America Today. Translated by S. Sankaran. Madras: Mallikai Pathippagam 1965 (210 S.). Srinivasan, P. R.: Temple Art and Architecture in India. Translated by S. Sankaran. Madras: o.V. 1965. Subrahmanian, Vidwan N.: Africa. Madras: Jayakumar Publications 1965 (240 S.). Thangaraj, M. A.: Life Giving Sun. Madras: Southern Languages Book Trust 1963 (156 S.). Tsuru, Shigeto and others: Japan. Translated y M. A. Abbas. Madras: Southern Languages Book Trust 1960 (203 S.). Udaymurthy, M. S.: Encircling Seas. Madras: Southern Languages Book Trust 1963 (114 S.). Venkatachari, A. G.: Human Rights. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (100 S.). Venkatachallapathy, G.: Community Development and Panchayathraj. Madras: Vanathi Pathippagam 1965 (195 S.). Vijayathunga: Ceylon. Madras: Southern Languages Book Trust 1959 (142 S.). Wells, H. G.: The Time Machine. Translated by P. N. Appuswami. Madras: Southern Languages Book Trust 1958 (189 S.).
Publikationen auf Thai (Anzahl: 6) – Leary & Van Arsdate: Our Home-Craft Industries. Bangkok: o.V. 1965 (119 S.). – Maenmas, Chavalit: Our Beloved Forests. Bangkok: o.V. 1964 (104 S.). – Our Holidays. Anthology. Bangkok: o.V. 1965 (93 S.). – Our Occupations. Bangkok: o.V. 1965 (89 S.). – Sunit, Prabhasawat: This Is a Happy Life. Bangkok: o.V. 1964 (130 S.). – Sunit, Prabhasawat: Cooperatives. Bangkok: o.V. 1965 (162 S.).
Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Publikationen auf Urdu (Anzahl: 64) – Abmed, Raees: Artificial Satellites and Planets. Karachi: General Publishing House 1961 (68 S.). – Ahmad, Kaleem: Story of a Pakistani Culture. Karachi: General Publishing House 1964 (110 S.). – Ahmed, Sibtain: Urdu poems. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.). – Amin, Mohammad: Weather and Climate. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1961 (97 S.). – Anas, Mohammad: Peaceful Use of Atomic Energy. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1961 (72 S.). – Ashraf, Agha Mohammed: United Nations. Karachi: Jamia Talim-e-Milli 1958 (32 S.). – Australia and Its People. Lahore: Academy Pubjab 1958 (112 S.). – Badakshani, Mirza M. Beg: Iran. Lahore: West Pak. Publishing Co. Ltd. 1960 (112 S.). – Burma and Its People. Lahore: Academy Pubjab 1959 (56 S.). – Ceylon and Its People. Lahore: Academy Pubjab 1958 (96 S.). – Chouhan, A. P. H.; Singh, Inderpal: What Is Life. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1961 (115 S.). – Dickens, Charles: The Tales of Two Cities. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (211 S.) – Huq, Abdul: Invention in the Field of Communication. Lahore: Lahore Academy 1958 (112 S.). – Huq, Abdul: Miracle of Water. Lahore: Lahore Academy 1958 (118 S.). – Haq, Abdul: Engineering Feats. Lahore: Lahore Academy 1958 (112 S.). – Haq, Abdul: Progress of Medicine. Lahore: Lahore Academy 1958 (118 S.). – Husain, Zakir: The Upbringing of Children. Karachi: Jamia Talim-e-Milli 1957 (32 S.). – Hussian, Wazarat: Wheather and Weather Forecasting. Karachi: General Publishing House 1961 (75 S.). – Indonesia and Its People. Lahore: Academy Pubjab 1958 (114 S.). – Japan and Its People. Lahore: Academy Pubjab 1959 (112 S.). – Kashfii, Abul Khair: Shaukat Thanvi. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.). – Khan, Abdul Hafiz: Modern Methods in Agriculture. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (126 S.). – Khan, Mahmud Ali: The Story of Urdu. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.). – Khan, Mahmud Ali: Iqbal. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.). – Khan, Raihan Masood: Trees. Karachi: General Publishing House 1962 (96 S.). – Kajai, Thran Rashi: Our Food. Karachi: General Publishing House 1960 (128 S.). – Latif, Syed Amjad: Life in Other Worlds. Lahore: West Pakistan Publishing Co. 1962 (112 S.).
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Dokumentation
Latif, Syed Amjad: Man into Space. Lahore: West Pakistan Publishing Co. 1962 (110 S.). Latif, Syed Amjad: Mineral Prospecting. Lahore: West Pakistan Publishing Co. 1962 (110 S.). Latif, Syed Amjad: New Tales of Space and Time. Lahore: West Pakistan Publishing Co. 1962 (114 S.). Latif, Syed Amjad: Oscillating Universe. Lahore: West Pakistan Publishing Co. 1962 (96 S.). Latif, Syed Amjad: What is Science. Lahore: West Pakistan Publishing Co. 1962 (96 S.). Malaya and Its People. Lahore: Academy Pubjab 1958 (96 S.). Mandavi, Shah Hasan Ata (Translator): Stories from Gulistan. Karachi: Maktab Jamia Talim-e-Milli 1963 (75 S.). Manzur, Hassan: Village Stories. Karachi: General Publishing House 1960 (140 S.). Manzur, Hassan: Radio and Television. Karachi: General Publishing House 1960 (124 S.). Manzoor, Hasan: Story of Civilization. Karachi: General Publishing House 1964 (96 S.). Manzoor, Prof. Husain: The Story of Glass. Karachi: General Publishing House 1962 (95 S.). Maqsood, Nazema: Useful Hobbies for Girls. Karachi: General Publishing House 1964 (110 S.). Mausavi, Abbas: New Way to Food. Karachi: General Publishing House 1961 (60 S.). Minar, Shakil Ahmed: Madame Curie. Karachi: Maktab Jamia Talim-e-Milli 1964 (87 S.). Minhaz, Mahmmad Khan Jamai: The Welfare of Women and Children in Pakistan. Karachi: Jamia Talim-e-Milli 1959 (156 S.). Mujibi, Ilyas: Stories from Islamic History. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (36 S.). Munis, Rifa: Atmosphere. Lahore: West Pakistan Publishing Co. Ltd. 1961 (80 S.). Mujahíd, Shariful: Human Rights. Karachi: Jamia Talim-e-Milli 1959 (161 S.). Mustafa, Ghulam: Religious Tolerance. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (36 S.). Nafsee, Zahir: The Story of Fire. Karachi: General Publishing House 1962 (95 S.). Quayum, Abdul: Hali. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.). Sadiq, Ali Khan Jamaí: Better Rice Crops – The Japanese Way. Karachi: Jamia Talim-e-Milli 1958 (150 S.). Sadiq, Mohammad: Turkey. Lahore: West Pak. Publishing Co. Ltd. 1960 (95 S.). Science in Service of Man. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (96 S.). Shahida, Haleem: Cottage Industries.Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (123 S.). Siddiqui, Abrar: World History Part I–III. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. Siddiqui, Abu Lais: Imitiaz Ali Taj. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.).
Subventionierte Publikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Siddiqui, Abu Lais: Sir Syed Ahmed Khan. Karachi: Jamia Talim-e-Milli o. D. (32 S.). Sources of Energy. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (98 S.). Taraji, Khan Rashid: Personal Health and Hygiene. Karachi: General Publishing House 1962 (87 S.). Tarzi, Khan Rashid: Way of Living. Karachi: General Publishing House 1964 (112 S.). Tolstoy: Tales. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (251 S.). Verne, Jules: 2000 Leagues under the Sea. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (240 S.). Wells, H. G.: The Invisible Man. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (280 S.). Your Body – How It Works. Lahore: West Pakistan. Publishing Co. Ltd. 1958 (96 S.). Zaidi Syed Aftab Ahmed: Elements and Compounds. Karachi: General Publishing House 1961 (76 S.). Ziayi, Muslim: The Story of Flight. Karachi: General Publishing House 1960 (100 S.).
Publikationen auf Persisch (Anzahl: 11) – Bhanam, Isi: Handicraft Work in Iran. Teheran: o. V. 1962 (68 S.). – Bhazad, Mahmud: My Body. Teheran: o. V. 1962 (85 S.). – Fakhraee, Nahid: Your Home. Teheran: Ministry of Education, Department of Adult Education 1963 (32 S.). – Mohaimani, Esmat: Family Relationship. Teheran: Ministry of Education, Department of Adult Education 1963 (32 S.). – Mohammad Hassan Family: What Can We Do to Be Healthy. Teheran: Ministry of Education, Department of Adult Education 1963 (47 S.). – Nazari, Mohammad Hadi: Proper Nutrition. Teheran: Ministry of Education, Department of Adult Education 1963 (27 S.). – Rizwani, Mohd. Ismail: The Earth in Which We Live. Teheran: o. V. 1962 (73 S.). – Samii, Gholan Reza: Knowledge and Life. Teheran: Department of Adult Education 1963 (28 S.). – Samii, Gholam Reza: Historical Heroes of Iran. Teheran: o. V. 1963 (93 S.). – Samii, Gholam Reza: Preparation of Wholesome Food. Teheran: o. V. 1963 (37 S.). – Yamini-Sharif, Abbas: We and Our Children. Teheran: Ministry of Education, Department of Adult Education 1963 (39 S.).
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Dokumentation
D UNESCO-Stipendien im Rahmen des Lesematerialienprojekts zwischen 1954 und 1968 Gemäß des Verzeichnisses von UNESCO-Stipendiaten aus dem Jahr 1970 wurden im Rahmen des Lesematerialienprojekts zwischen 1954 und 1968 insgesamt 37 Stipendien vergeben. Da die Zusammenstellung allerdings rückwirkend für einen Zeitraum von zwanzig Jahren (1948–1968) erarbeitet wurde, muss davon ausgegangen werden, dass sie nicht ganz vollständig ist: So ist z. B. das Stipendium von U Tin Myint (Burma), das ihn laut archivalischer Quellen 1962 nach Europa führte, nicht enthalten. Quelle: Directory of UNESCO Fellows. Asia and Oceania 1948–1968. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: ED/WS/195d). Eigene Auswertung. Burma (4) – Hla U Maung, Burma Translation Society. 1956. 7 Monate. Reguläres Programm. Philippinen, Japan, USA, UK, Frankreich, Indien. – Harry U Aung, Art Instructor. Undatiert. 9 Monate. Book Illustration. TA. USA. – Tin U Aung, Burma Translation Society. 1957. 9 Monate. TA. USA, Japan. – U Doe, Sarpay Beikman Institute. 1961. 4 Monate. Reguläres Programm. Frankreich, UK, Japan, USA, Singapur. Ceylon (4) – Victor Oliver De Alwis Gunawardan, Publishing Assistant, Associated Newspapers of Ceylon. o. D. 4 Monate. Reguläres Programm. Frankreich, USA, BRD, Niederlande, Schweiz, UK. – Bethmage Jayawardhana, Publications Manager, Soman Publishers. 1964. 4 Monate. TA. Frankreich, UK, Schweiz, BRD, Italien. – Victor L. C. Walatara, Assistant Manager, Lake House Bookshop, Associated Newspapers of Ceylon. 1967. 4 Monate. TA. UK (Buchhandel). – R. Jalawardena, Sales Manager, wholesaling of school books. 1967. 4 Monate. TA. Niederlande, Pakistan, UK. Indien (8) – Kul Bhushan, Special Officer, Ministry of Education. 1956. 7 Monate. Reguläres Programm. Nigeria, USA, UK, Frankreich, UdSSR. – R. V. Sreenivasa Murthy, Chief Editor, Mysore Adult Education Council. 1956. 7 Monate. Reguläres Programm. USA, UK, Frankreich. – Dina N. Malhotra, Managing Director, Hind Pocket Books. 1961. 4 Monate. Reguläres Programm. Japan. – Om Prakesh Arora, Rajkamal Prakashan. 1963. 4 Monate. TA. Japan. – K. R. Sarma, Public Institute State Textbook Committee, Hyderabad. 1965. 5 Monate. TA. Japan, UK.
UNESCO-Stipendien im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Pulak Ranjan Biswas, Book Designer & Illustrator, Children’s Book Trust. 1967. 4 Monate. TA. Niederlande, UK. Keshava Mallya, Production Manager, National Book Trust, Neu-Delhi. 1967, 4 Monate. TA. Niederlande, UK. G. Surya Rao: Southern Languages Book Trust, Madras. 1967. 4 Monate. TA. Niederlande, UK.
Iran (5) – Ali Assai Ardekani, Assistant Director, Publications Department. o. D. 6 Monate. Reguläres Programm. Belgien, UK, Frankreich, Italien, Libanon. – F. Ardalan. 1961. 4 Monate. TA. Frankreich. – A. Ahmadi, Publication Officer, Ministery of Education. 1964. 3 Monate. TA. Frankreich, UK, BRD, Italien. – Fereydoun Jahanshihi, Illustrator & Designer, Centre of Reading Materials for New Literates. 1967. 4 Monate. TA. Niederlande, UK. – Ismaul Saadat. 1967. 4 Monate. TA. Frankreich. Malaysia (1) – Theam Hock Ooi, Government Printing Department. 1967. 4 Monate. TA. Australien. Nepal (4) – J. B. Chitrakar, Artist, Production Centre. 1964. 4 Monate. TA. Schweiz, BRD, Frankreich, Italien, UK. – M. O. Bhattari, Textbook writer. Undatiert. 4 Monate. TA. Schweiz, BRD, Frankreich, Italien, UK. – Ambika Sijapati. Undatiert. 12 Monate. TA. UK. – J. Rajbandari, Head, Production Division. Undatiert. 4 Monate. TA. Niederlande, UK. Pakistan (8) – Muslim Chowdhury, Inspector of Schools, Dacca. 1956. 7 Monate. Reguläres Programm. Indien, USA, Frankreich, UK, Burma. – Ihsan-Ul-Haqm Suleimani, Specialist in Fundamental Education. 1956. 7 Monate. Reguläres Programm. Indien, USA, Frankreich, UK, Burma. – Aziz Ahmad, Urdu Trust, Karatschi. 1957. 6 Monate. TA. Frankreich, UK, Indien, Burma. – Samuel Iktikhar, Literacy Worker. 1958. 6 Monate. TA. Indien, USA, Kenia. – Riazual Isla, Branch Manager, Oxford University Press, Dacca. 1958. 6 Monate. TA. Frankreich, UK, Indien, Burma. – Abdul Rahman, Ministry of Eduction and Information. 1962. 5 Monate. TA. Schweiz, BRD, Kanada, USA, Frankreich, UK.
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Dokumentation
Jami Iuddin Aaki, Government of Pakistan. 1961. 5 Monate. Reguläres Programm. Frankreich, UK, BRD, Niederlande, Schweiz. Ibne Insha, Director of the National Book Centre of Pakistan. 1967. 3 Monate. TA. Schweiz, BRD, Niederlande, Polen, CSSR, UK, Libanon, Ägypten, Frankreich.
Thailand (3) – Vira Sunksuwan. 1967. 4 Monate. TA. Niederlande, UK. – Nilawam Indageh. o. D. 4 Monate. TA. BRD, UK. – Suriwong Jittidecharakcs. o. D. 4 Monate. TA. Niederlande, UK.
E Übersicht der im Rahmen des Lesematerialienprojekts entstandenen Buchmarktstudien und Fachpublikationen Die nachfolgenden Fachpublikationen und Studien wurden von der UNESCO im Rahmen des Lesematerialienprojekts finanziert bzw. in Auftrag gegeben. Im südostasiatischen Buchhandel erschienene Fachpublikationen 1. Panasiatische Fachpublikationen (in englischer Sprache) – Asian Book Trade Directory. Hrsg. von S. G. Bhatkal. Bombay: Popular Book Depot 1964. – Book Distribution and Promotion in South Asia. Madras: Higginbothams Press 1963. – Book Trade Manual for South Asian Countries. Hrsg. von C. S. S. Thathachari. Madras: Book Industry Council of South India 1963. – Information Bulletin on Reading Materials. – Report on Printing Facilities Available in India, Pakistan, Burma and Ceylon for Production of Literature for New Literates. Calcutta: Sree Saraswaty Press 1960.
2.
Länder-/Sprachenspezifische Publikationen – Writing for New Readers. Hrsg. von Rahiq Khawar. Karatschi: National Book Centre 1963. – Handbook for Authors, Illustrators, Publishers and Booksellers in India. Hrsg. von Om Prakash. Delhi: Rajkamal Prakashan Private Ltd. 1962 (auf Hindi). – Handbook for Authors, Illustrators, Publishers and Booksellers in Ceylon. Hrsg. von E. P. Mendis. Colombo 1961. – Handbook for Authors, Illustrators, Publishers and Booksellers. Hrsg. von Mahmood Mossaheb. Teheran: Rahnamay-e-Kitab 1963. – Handbook for Authors, Illustrators, Publishers and Booksellers. Hrsg. von Pakistan Writers’ Guild. Karatschi 1961.
Buchmarktstudien und Fachpublikationen im Rahmen des Lesematerialienprojekts
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Guide-books for Writing Translations and Adoptions. Hrsg. von Pakistan Writers’ Guild. Karatschi 1961. Handbook for Authors, Illustrators, Publishers and Booksellers in Burma. Rangoon: Sarpay Beikman Institute o. D. Guide-Book on Illustration of Reading Materials. Hrsg. von S. K. Thamba: Madras: Southern Languages Book Trust 1960.
Buchmarktstudien / Lese(r)forschung 1. Allgemein – Bhatkal, S. G.: Report on Survey of Professional Associations in India. Bombay 1962. – Development of Professional Associations in the Field of Reading Materials. Rangoon: Sarpay Beikman Institute o. D. – Perera, M. J.: Report on Survey of Professional Associations in Ceylon. Colombo 1962. – Swe, U Tin: Report on Survey of Professional Associations in Burma. Rangoon 1962. – Thathachari, C. S. S.: Professional Co-operation in the Book World in the Countries of South Asia. – The Book World of Burma. Rangoon: Sarpay Beikman Institut o. J. – Waheed, A.: Report on Survey of Professional Associations in Pakistan. Lahore 1962.
2.
Buchproduktion/Verlagswesen – Mossaheb, Mohammed: Development of Book Production in Iran. o. D. – Mossaheb, Shamsol Molouk: A Survey Report of the Present Status of Reading Materials for the New Reading Public in Iran. Teheran 1960. – Nath Upraity, Trailokya: A Survey of Reading Materials in Nepal. 1964. – Survey for the Production of Low-Cost Books in the 14 Indian National Languages. 1966. – Survey of Problems Relating to the Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles. 1966.
3.
Distribution/Vertrieb – Abdul Mateen, A. T. M.: Survey Report of Existing Book Market Procedures in East Pakistan. Dacca 1960. – Gyi, U Htin: Survey Report of Existing Book Market Procedures in Burma. 1960. – Islam, Riazul: Survey Report on Book Promotion and Distribution in East Pakistan. 1958. – Jayasinghe, P. S.: Survey Report on Methods of Book Distribution in North India. 1959.
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Dokumentation
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Mendis, E. P.: Survey Report on Book Promotion and Distribution in Ceylon. 1959. Preparation of a Guide for Non-Librarians for the Development of Reading Rooms in Rural Areas. o. D. Sankaranarayanan, N.: Survey Report on Methods of Book Distribution in South India. 1959. Survey Report on Book Distribution and Promotion in Burma. Burma Translation Society. 1959.
4.
Kinder- und Jugendliteratur – Bhushan, Kul: Children’s Literature in North India. A Survey. 1964. – Chandra Sharma, Bal: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in Nepal. 1964. – Chavalit, Maenmas: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in Thailand. 1964. – Insha, Ibne: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in West Pakistan. 1964. – Kiaie, Ala: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in Iran. 1964. – Sardar Pazlul, Karim: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in East Pakistan. 1964. – Seshadri, K.: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in South India. 1964. – Sugathapala, H. D.: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in Ceylon. 1964. – Swe, U Tin: Survey of Preparation, Production and Distribution of Literature for Children and Juveniles in Burma. 1964.
5.
Lese(r)forschung – Ardelan, Fredon: Survey of Reading Interests of Juvenils Readers in Farsi. Teheran 1960 (Veöffentlicht als: Survey of the Reading Interests of Juveniles who Read in Persian. Teheran: Rahnamay-e-Kitab 1963). – Haq, Enamu: Survey of Reading Interests of Women Readers in Bengali. Dacca 1960. – Htwar, U San: Survey of Reading Interests of Juvenils in Burmese. Rangoon 1960. – Islam, Riazul: Survey of Reading Interests of Juvenils Readers in Bengali. Dacca 1960. – Naidu, V. S.: Survey of Reading Interests of Juvenils Readers in Tamil. Madras 1960. – Salahuddin Ahmed, Maulana: Survey of Reading Interests of Women Readers in Urdu. Lahore 1960.
Internationale und regionale UNESCO-Bibliothekskonferenzen zwischen 1948 und 1974
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6.
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Saparadmadu, Sumana: Survey of Reading Interests of Women Readers in Sinhalese. Colombo 1960. Survey of Reading Interests of Women Readers in Burmese. Rangoon 1960. Survey of Reading Interests of Women Readersin Tamil. Madras 1960. Tandon, M. M. L.: Survey of Reading Interests of Juvenils Readers in Hindi. Delhi 1960.
Studien zu Alphabetisierungsmaterialien – Ahmed, Mushtaq: A Survey of Reading Material for Neo-Literates in India. Delhi: Indian Adult Education Association 1957. – Ahmed, Mushtaq: An Evaluation of Reading Materials for New Literates and an Assessment of Their Reading Needs and Interests. 1957. – Basic and Graded Word-list in Sinhalese for the Guidance of Writers. o. D. – Bibliography of Existing Reading Materials for New Literates in Sinhalese. o. D. – Bibliography of Reading Materials in Burmese for New Literates and a Basic and Graded Word-list in Burmese for the Guidance of Writers. o. D. – Graded Word-lists in Urdu and Bengali for the Guidance of Writers. o. D. – Report on the Resources and Problems Relating to the Production of Reading Materials for New Literates in India. o. D. – Report on the Resources and Problems Relating to the Production of Reading Materials for New Literates in Pakistan.o. D. – Selective Bibliography of Reading Materials for New Literates in some of the Major Languages of India. o. D. – Selective Bibliographies of Reading Materials in Urdu and Bengali, so far Produced in Pakistan. o. D.
F Internationale und regionale UNESCO-Bibliothekskonferenzen zwischen 1948 und 1974 – – – – – – –
UNESCO/IFLA Summer School for Librarians. Manchester/London, UK 1948. Seminar on the Role of Libraries in Adult Education. Malmö, Schweden 1950. Conference on the Development of Public Library Services in Latin America. São Paulo, Brasilien 1951. International Seminar on the Development of Public Libraries in Africa. Ibadan, Nigeria 1953. International Seminar on the Development of Public Libraries in Asia. Delhi, Indien 1955. Symposium on National Libraries in Europe. Wien, Österreich 1958. Regional Seminar on Library Development in Arabic-Speaking States. Beirut, Libanon 1959.
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Dokumentation
Regional Seminar on Library Development in South Asia. Delhi, Indien 1960. Regional Seminar on the Development of Public Libraries in Africa. Enugu, Nigeria 1962. Regional Seminar on the Development of University Libraries in Latin America. Mendoza, Argentinien 1962. Regional Seminar on the Development of National Libraries in Asia and the Pacific Area. Manila, Philippinen 1964. Meeting of Experts on the National Planning of Library Services in Latin America. Quito, Ecuador 1966. Expert Meeting on National Planning of Library Services in Asia. Colombo, Ceylon 1967. Expert Meeting on National Planning of Documentation and Library Services in Africa. Kampala, Uganda 1970. Expert Meeting on the National Planning of Documentation and Library Services in Arab Countries. Kairo, Ägypten 1974.
G Expertenmissionen zur Planung nationaler Bibliothekssysteme zwischen 1964 und 1975 Der nachfolgende Überblick wurde auf Basis des Index of Field Mission Reports erstellt. Die Berichte der infrage kommenden Expertenmissionen wurden gelesen; hierbei wurde geprüft, ob es sich bei diesen tatsächlich, wie aufgrund der kurzen Beschreibung angenommen, um Unterstützungsleistungen für die Planung/Errichtung nationaler (Teil-) Bibliothekssysteme handelte. Ergänzt wurde die Übersicht durch die Bibliotheksentwicklungspläne, die die UNESCO als Beispielstudien für die regionalen Bibliothekstagungen in Auftrag gab. Quellen: Index of Field Mission Reports 1947–1968 Inclusive. Paris 1969 (UNESCODokument: Microfiche: 91s0090); Index of Field Mission Reports 1969. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 72s0655); Index of Field Mission Reports 1970. Paris 1971 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 72s0656); Index of Field Mission Reports 1971. Paris 1972 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 72s0657); Index of Field Mission Reports 1972. Paris 1973 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 73fr0273); Index of Field Mission Reports 1973. Paris 1974 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 78fr0001); Index of Field Mission Reports 1974. Paris 1975 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 77s0515); Index of Field Mission Reports 1975. Paris 1976 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 77s0516). –
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Harold V. Bonny: Pilot Project on School Libraries in Africa. Nigeria – (mission) October 1963–May 1966 Paris 1966 (UNESCO-Dokument: WS/0566.22.CLT; RP/NIGERAC 1). Georges Chartrand: Développement des bibliothèques: Laos – (mission) 8 octobre 1966–14 décembre 19. Paris 1967 (UNESCO-Dokument: WS/0367.154/COM).
Expertenmissionen zur Planung nationaler Bibliothekssysteme
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J. P. Clavel: Plan de développement des bibliothèques: République populaire du Congo – (mission) 10 septembre–10 novembre 1972. Paris 1973 (UNESCO-Dokument: 2958/RMO.RD/DBA). J. G. Desroches: Service de bibliobus scolaire et situation actuelle des bibliothèques: Cambodge – (mission) 1er octobre au 30 novembre 1968. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1070/BMS.RD/COM). H. Escolar Sobrino: Desarrollo de las bibliotecas públicas en el Brasil (y) creación de la biblioteca pública de Brasilia: Brasil – (misión) Octubre–Diciembre de 1968. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1132/BMS.RD/COM.DBA). Evelyn J. A. Evans: Libraries: Liberia – (mission) 7 April–7 July 1967. Paris 1967 (UNESCO-Dokument: 198/MBS.RD/COM + Erratum). Evelyn J. A. Evans: A Library Plan for Ceylon. 1967 (Meetings of Experts on the National Planning of Library Services in Asia, UNESCO-Dokument: COM/CS/190/6, S. 9–24). Cesáreo Goicochea: Plan orgánico de un servicio nacional de bibliotecas y centros de documentación [1964/1966] (Report on the Meeting of Experts on the National Planning of Library Services in Latin America, UNESCO-Dokument: WS/0666.10 CLT). R. D. Juarroz Balda: Plan para el desarrollo de las bibliotecas públicas y escolares: Guatemala – (misión) 20 de Enero–6 de Abril de 1968. Paris 1968 (UNESCODokument: 570/BMS.RD/DBA). Deane Kent: Working Document. A Draft Plan for Uganda (Expert Meeting on National Planning of Documentation and Libray Services in Afrika, Kampala, Uganda, UNESCO-Dokument: COM/CONF.9/4). I. J. L. Mettini: Bolivia. Plan para el desarrollo de las bibliotecas públicas y escolares. Paris 1971 (UNESCO-Dokument: 2416/RMO.RD/DBA; IM/PP/Consultor). E. H. Morton: Development of Library Services: Trinidad and Tobago – (mission) October–December 1972. Paris 1974 (UNESCO-Dokument: 3044/RMO.RD/DBA). Stephen James Parker: Development of Library and Documentation Services: Democratic Republic of the Sudan – (mission) March 1972. Paris 1972 (UNESCODokument: 2728/RMO.RD/ DBA). Stephen James Parker: Development of a School and Public Libraries Network: Kuwait – (mission) 1–31 December 1974. Paris 1975 (UNESCO-Dokument: FMR/ COM/DND/75/115; PP/1973-74/4.211.2/Technical report). W. B. Paton: Development of Public and School Libraries: Ethiopia – (mission) October 1968–January 1969. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: 1110/BMS.RD/DBA). D. G. Reid: Bahamas. Public Library Services. Paris 1970 (UNESCO-Dokument: 2005/BMS.RD/DBA). Edouard Reitman: Organisation de bibliothèques: République centrafricaine – (mission) 20 octobre 1966–12 janvier 1967. Paris 1967 (UNESCO-Dokument: WS/0367.97/CLT; PR/CONSULTANT).
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E. Rojas Rojas: Bibliotecas escolares y centro de formación de bibliotecarios, Centroamérica estudio preliminar: Honduras – (misión) Septiembre–Diciembre de 1966. Paris 1967 (UNESCO-Dokument: WS/0167.72.COM). Philip Ward: Development of a National Library Service. Technical Reports: Indonesia – (mission) April 1973–November 1974. Paris 1975 (UNESCO-Dokument: 3180/RMO.RD/DBA PART I; 3181/RMO.RD/DBA PART II; INS/72/024 1; INS/72/024 2; INS/72/024 TERMINAL REPORT).
H Expertenmissionen im Bereich der Schulbuchproduktion in den fünfziger und sechziger Jahren Insgesamt konnten für die fünfziger und sechziger Jahre technische Unterstützungsleistungen in der Schulbuchproduktion in elf Mitgliedsstaaten nachgewiesen werden. Eigene Darstellung in chronologischer Reihenfolge. Indonesien, 1952–1956 – Experte: Peter Neumann – Aufgabenbereich: Ausbau der staatlichen Schulbuchproduktion im Auftrag des Bildungsministeriums – Nachweis: Peter N. Neumann: Textbook Production: Indonesia – (mission). Final Report. Jakarta 1956 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr0466). Jamaika, 1956–1961 – Experte: A. T. McKay – Aufgabenbereich: Produktion von Schulbüchern und anderen Lehrmaterialien im Auftrag des Bildungsministeriums; Aufbau einer Referenzbibliothek; Kauf von Schulbüchern bei britischen Verlagen – Nachweis: A. T. McKay: (Textbooks and Teaching Aids): Jamaica – (mission). Reports. Kingston 1957–1961 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 70fr0249). Laos, 1961–1968 – Experten: Vibhavee Prabandayodhin und G. Provo – Aufgabenbereich: Redaktion und Produktion von Primarschulbüchern im Bureau de manuels scolaires im Bildungsministerium – Nachweis: Vibhavee Prabandayodhin: Manuels scolaires: Laos – (mission) 10 août 1961 au 9 août 1963. Rapport final. 1963 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr0650); G. Provo: Programmes et manuels scolaires: Laos – (mission) 9 septembre 1962–31 décembre 1968. Paris 1969 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr0648).
Expertenmissionen im Bereich Schulbuchproduktion
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Äthiopien, 1962–1965 – Experten: Stanley Glos, Y. Vishniakov/G. Shaposhnikov und Martin Dalmacio – Aufgabenbereich: Unterstützung des Textbook Production Programme des Bildungsministeriums; Koordination der im Rahmen der sowjetischen Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellten Gelder zum Aufbau der Nationaldruckerei – Nachweis: Martin Dalmacio: Report on Ethiopian Education, Elementary and Secondary: Ethiopia – (mission) September 25–February 15, 1962. 1962 (UNESCODokument: Microfiche: 69fr1057); Stanley Glos: (Textbook Production): Ethiopia – (mission) December 1964 to February 1965. New York 1965 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1062); Y. Vishniakov/G. Shaposhnikov: Printing of School Textbooks: Somalia and Ethiopia – (mission) August to October 1965. Report. Moskau 1965 (UNESCO-Dokument: WS/1265.29/EDS). Somalia, 1962–1966 und 1968 – Experten: A. I. Shalaby und C. G. Clutton – Aufgabenbereich: Redaktion von arabischsprachigen Schulbüchern; Erarbeitung von Empfehlungen für die Organisation der staatlichen Schulbuchproduktion – Nachweis: Arabic Text-book Writing: Somalia – (mission) August 1962–January 1966. Final Report. 1966 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1160); S. G. Clutton: School Textbooks and Educational Materials: Somalia – (mission) May–July 1968. Paris 1968 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1156). Thailand, 1963–1964 – Experte: Clifford O’Malley – Aufgabenbereich: Entwicklung und Produktion von Grundschullehrbüchern am Bildungsministerium – Nachweis: Clifford O’Malley: Primary School Textbook Production: Thailand– (mission). Draft Final Report. 1964 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr0711). Trinidad und Tobago, 1964–1965 – Experte: James F. O’Brien – Aufgabenbereich: Aufbau der Publication Branch im Bildungsministerium – Nachweis: James F. O’Brien: Textbook Production: Trinidad and Tobago – (mission) July 9th, 1964 to December 31st, 1964. 1964 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 70fr0293+bis); ders.: Textbook Production: Trinidad and Tobago – (mission) January–March 1965. Paris 1965 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr0145). Jordanien, 1965–1966 – Experte: S. G. Clutton – Aufgabenbereich: Beratung der Curriculum and Textbook Division im Bildungsministerium bzgl. der Redaktion und Herstellung von Schulbüchern – Nachweis: S. G. Clutton: Textbook production: Jordan – (mission) October 1965– August 1966. Paris 1966 (UNESCO-Dokument: Mircorfiche: 69fr1396).
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Mali, 1965 – Experte: Gerard Lucas – Aufgabenbereich: Beratung des Bildungsministerium: Empfehlungen zur Organisation der lokalen Schulbuchproduktion und Bedarfseinschätzungen – Nachweis: Gerard Lucas: Textbook Production in Mali – (mission). Report. Bamako 1965 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1096). Sudan, 1965 und 1966–1969 – Experten: Y. Vishniakov/G. Shaposhnikov und T. E. L. Eley – Aufgabenbereich: Im Sudan sollen Schulbücher auf Englisch und Arabisch entwickelt und in der Sowjetunion gedruckt werden; Aufbau eines Universitätsverlages an der Khartoum University – Nachweis: Y. Vishniakov/G. Shaposhnikov: Printing of School Textbooks: Somalia and Ethiopia – (mission) August to October 1965. Report. Moskau 1965 (UNESCO-Dokument: WS/1265.29/EDS); T. E. L. Eley: University of Khartoum, Printing and Production of Publications: Sudan – (mission) January 1966–August 1969. 1969 (UNESCO-Dokument: Microfiche: 69fr1472).
I Fortbildungsangebote des CERLALC in den siebziger und achtziger Jahren Die Übersicht wurde auf Basis folgender Materialien erstellt: 20 años CERLALC. In: El libro en América Latina y el Caribe 67 (1991), Separata, S. 1–23; Repertorio de Proyectos CERLALC 1970–1992. Bogotá: CERLALC 1993. Kurse zum Bibliothekswesen und zu Praktiken der Leseförderung wurden nicht berücksichtigt. 1970–1979 – Primer Curso Latinoamericano de Producción y Administración Editorial. Bogotá, 1971. – Seminario para la Distribución de Libros en Areas Rurales. Bogotá, 1972. – Curso de Distribución y Circulación del Libro. Buenos Aires, 1972. – Curso de Producción Editorial. Lima, 1973. – Curso sobre Producción de Textos Escolares. San José, 1973. – Seminario sobre Hábitos e Intereses de Lectura. Bogotá, 1973. – Seminario sobre Literatura Infantil. Buenos Aires, 1974. – Curso sobre Administración de la Empresa Editorial. Caracas, 1974. – Seminario Latinoamericano sobre Derechos de Autor. Bogotá, 1974. – Curso sobre Promoción del Libro. Rio de Janeiro, 1975. – Seminario Iberoamericano sobre Coediciones. Montevideo, 1975. – Curso para Vendedores de Libros. Bogotá, 1976. – Curso Latinoamericano de Producción Editorial. Mexiko-Stadt, 1976.
Fortbildungsangebote des CERLALC
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Curso de Distribución y Comercialización del Libro. Madrid, 1976. Curso Latinoamericano de Producción Editorial. Caracas, 1977. Primer Curso de Comercialización para Libreros. La Paz, 1977. Seminario sobre Distribución y Promoción del Libro. Rio de Janeiro, 1978. Curso sobre Distribución y Comercialización del Libro. Madrid, 1978. Seminario sobre Edición de Libros Infantiles y Juveniles. Bogotá, 1979. Curso para Distribuidores y Libreros. Bogotá, 1979.
1980–1989 – Primer Curso Nacional para Libreros. Quito, 1980. – Seminario sobre Administración de la Moderna Empresa Editorial. Itaipava (Brasilien), 1980. – Seminario de Expertos sobre Editoriales Universitarias en América Latina y el Caribe. Caracas, 1981. – Curso Nacional sobre Políticas Editoriales, Promoción, Distribución y Venta de Libros. Caracas, 1981. – Curso Nacional de Diagramación e Ilustración del Libro. Bogotá, 1981. – Curso Nacional de Diseño e Ilustración de Libros. Lima, 1981. – Seminario Latinoamericano sobre Modernas Técnicas Administrativas y Financieras de la Industria Editorial. Mexiko-Stadt, 1981. – Seminario Nacional sobre Producción de Libros para Niños. Santo Domingo, 1982. – Seminario sobre Producción de Libros para Niños y Jóvenes. Quito, 1982. – Curso Taller sobre Diseño e Ilustración del Libro. Santo Domingo, 1983. – Curso Taller Nacional sobre Diseño e Ilustración del Libro. Quito, 1983. – Curso Taller Subregional sobre Diseño e Ilustración del Libro. San José, 1983. – Curso Subregional sobre Diseño e Ilustración del Libro y Preparación de Originales para Libros Ilustrados. Bogotá 1983. – Seminario Regional sobre Investigaciones del Comportamiento Lector. Bogotá, 1983. – Curso Subregional sobre Comercialización y Distribución del Libro. San José, 1983. – Curso Subregional sobre Comercialización, Distribución del Libro y Organización de Librerías. Bogotá, 1983. – Curso Nacional sobre Comercialización y Distribución del Libro en Ecuador. Quito, 1983. – Curso Nacional sobre Comercialización y Distribución del Libro. Managua, 1983. – Curso Nacional para Capacitación de Libreros. Nicaragua, 1983. – Curso Nacional sobre Gestión, Administración y Financiamiento de la Empresa Editorial. Managua, 1983. – Curso sobre Diseño: Ilustración y Preparación de Originales de Textos Escolares. Santo Domingo, 1984.
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Dokumentation
Curso sobre la Gestión y el Proceso Editorial. Bogotá, 1984. Taller y Planeación de un Programa de Publicaciones Infantiles. Nicaragua, 1984. Seminario sobre Nuevas Tecnologías del Libro. Bogotá, 1984. Cursos de Introducción a la Gestión y Procesos Editoriales. Bogotá, 1985 (3x). Curso sobre Mercadeo, Promoción y Distribución de Libros y Revistas. Bogotá, 1985. Curso sobre Diseño y Producción Editorial. Bogotá, 1985. Seminario sobre Impresión y Control de Calidad. Havanna, 1985. Curso de Comercialización del Libro y Organización de Librerías. Buenos Aires, 1985. Curso de Comercialización del Libro y Organización de Librerías. La Paz, 1985. Curso de Comercialización del Libro y Organización de Librerías. Santiago de Chile, 1985. Curso de Diseño en Cuba. Havanna, 1986. Curso sobre Edición Electrónica. Bogotá, 1986. Curso Taller Nacional sobre Diseño e Ilustración del Libro. Managua, 1986. Seminario para Directores de Publicaciones Universitarias. Medellín, 1986. Curso sobre Gerencia Editorial en Tiempos de Crisis. Bogotá, 1986. Curso sobre Administración y Financiamiento de la Empresa Editorial. San José, 1986. Curso sobre Administración y Financiamiento de la Empresa Editorial. Santiago de Chile, 1986. Seminario Internacional sobre Derecho de Autor. Bogotá, 1986. Curso sobre Perfeccionamiento Profesional para Libreros y Editores. Montevideo, 1986. Curso de Comercialización de Libros. Buenos Aires, 1986. El libro frente al Autor, al Editor y al Lector. Bogotá, 1987. Taller sobre Fundamentos Económicos de la Edición. Villa de Leyva (Kolumbien), 1987. Curso de Introducción a la Informática. Bogotá, 1987. Curso sobre el Mercadeo Editorial. Bogotá, 1987. Curso para Libreros. Caracas, 1987. Curso Especializado de Formación sobre el Derecho de Autor y los Derechos Conexos. Bogotá, 1987. Seminario sobre Estrategias de Capacitación de Recursos Humanas para la Industria Editorial. Fusagasugá (Kolumbien), 1987. Curso Taller sobre Diseño e Ilustración de Libros. Bogotá, 1987. Curso de Alta Gerencia Editorial. Buenos Aires, 1987. Curso sobre Gestión y Proceso Editorial. Lima, 1988. Seminario de Profesores-Monitores de Cursos para la Formulación de Planes de Capacitación destinados a la Formación de Recursos Humanos en la Industria Editorial. Bogotá, 1988.
Vom CERLALC herausgegebene buchhändlerische Fachliteratur
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Curso Taller sobre Diseño e Ilustración de Libros. Bogotá, 1988. Seminario de Vendas para Livreiros. Rio de Janeiro, 1988. Curso sobre Publicidad de Libros. Bogotá, 1988. Curso de Perfeccionamiento de Libreros. Rosario (Argentina), 1988. Curso para Libreros. Asunción, 1988. Curso para Libreros. Caracas, 1988. Curso sobre Edición. Brasil, 1988. Cursos Nacionales en los Campos de Producción y Comercialización de Libros. Lima, 1988. Curso de Alta Gerencia Editorial. Módulos I y II. Buenos Aires, 1988. Seminario sobre Planeación Estratégica para Empresas Editoriales. Bogotá, 1988. Seminario sobre el Uso Práctico del ISBN. Bogotá, 1988. Curso para Editores Universitarios de Costa Rica. Cartago (Costa Rica), 1989. Curso de Alta Gerencia. Módulo I. Buenos Aires, 1989. Curso de Capacitación para Editores Universitarios. Bogotá, 1989. Seminario sobre Gerencia de Calidad Total en Empresas Editoriales. Bogotá, 1989. Seminario Taller de Capacitación para Editores de Libros para Niños. Caracas, 1989. Curso de Diseño de Libros. Cartagena (Kolumbien), 1989. Curso sobre Comercialización de Libros. Managua, 1989. Curso para Editores Universitarios de América del Sur sobre gestión y mercadeo. Lima, 1989.
J Vom CERLALC herausgegebene buchhändlerische Fachliteratur zwischen 1972 und 1990 Anmerkung: Fachliteratur zum Bibliothekswesen und zur Leseförderung wurde in der nachfolgenden Übersicht nicht berücksichtigt. – – – – – – –
Alfonso Mangada Sanz: Cálculo editorial. Fundamentos económicos de la edición. Madrid: Editorial Paraninfo 1972 (Edición especial para el CERLAL). Cyril Spector: La dirección en la industria gráfica. Madrid: Editorial Paraninfo 1973 (Edición especial para el CERLAL). François Richaudeau: Concepción y producción de manuales escolares. Bogotá: CERLALC, SECAB, UNESCO 1981. Hernando Mariño Navarrete: Gerencia de calidad. Un manual para gerentes. Bogotá: CERLALC 1989. Ángela Maria Calle: Manual de diseño y la ilustración del libro. Bogotá: CERLALC 1989. Jorge Sierra: Manual de mercadeo para empresas editoriales. Bogotá: CERLALC 1989. Gonzalo Rodríguez: Manual de gestión y cálculo editorial. Bogotá: CERLALC 1989.
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Dokumentation
Enrique Ogliastri Uribe: Planeación estratégica, estructura organizacional y motivación personal. Manual para gerentes editoriales. Bogotá: CERLALC 1989. María Candelaría Posada: Manual para editores de libros para niños. Bogotá: CERLALC 1990.
K Vom CERLALC publizierte Buchmarktstudien zwischen 1971 und 1991 – – – – –
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Políticas nacionales del libro. Argentina, Brasil, México. Bogotá: CERLAL 1980 (Monografías CERLAL). Políticas nacionales del libro en Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panamá, República Dominicana. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías CERLAL). Políticas nacionales del libro. Colombia, Chile. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías CERLAL). El desarrollo del libro en América Latina y el Caribe. Bogotá: CERLAL 1982 (Monografías). Los escolares y la lectura. El comportamiento lector de los niños en la escuela primaria en Colombia. Investigación realizada por el Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina y el Caribe. Bogotá: Procultura, CERLALC, Kapelusz 1983 (Lectura y Educación. 4). Luis Muelle López: El libro en el Perú. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1986. Francisco Delgado Santos: El libro en Ecuador. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1987 (Monografías CERLALC). El libro en Uruguay. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1987. Jaime Julián Flores Zamuriano: El libro en Bolivia. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1989 (Monografías CERLALC). Juan Ignacio Arango: El libro en Colombia. Situación y perspectivas. Bogotá: CERLALC 1991 (Monografías CERLALC).
L Kopublikationsprogramm: Titelübersicht Im Rahmen des Kopublikationsprogramms sind zwischen 1982 und 1996 insgesamt elf Titel erschienen. Cuentos, mitos y leyendas de América Latina (Coedición Latinoamericana. 1) − [1981]/1982 − Editor-piloto: Plus Ultra Cuentos picarescos para niños de América Latina (Coedición Latinoamericana. 2) − [1983]/1984 − Editor-piloto: Norma
Regionale Konferenzen zur Entwicklung der Buchmärkte Lateinamerikas
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Cuentos de espantos y aparecidos (Coedición Latinoamericana. 3) − 1984 − Editor-piloto: Ediciones Ekaré Cuentos de animales fantásticos para niños (Coedición Latinoamericana. 4) − 1985 − Editor-piloto: CIDCLI Cuentos y leyendas de amor para niños (Coedición Latinoamericana. 5) − 1985 − Editor-piloto: Taller Como surgieron los seres y las cosas (Coedición Latinoamericana. 6) − 1986 − Editor-piloto: Peisa Cuentos de enredos y travesuras (Coedición Latinoamericana. 7) − 1986 − Editor-piloto: Huracán Cuentos de piratas, corsarios y bandidos (Coedición Latinoamericana. 8) − 1989 − Editor-piloto: Norma Cuentos de lugares encantados (Coedición Latinoamericana. 9) − 1989 − Editor-piloto: Aique Grupo Encúentrame. Fiestas populares de América Latina. − 1989 − Editor-piloto: Ediciones Ekaré 16 cuentos latinoamericanos. Antología para jóvenes (Coedición Latinoamericana) − 1992 − Editor-piloto: Editorial Inca S. A. - Peisa 17 narradoras latinoamericanas (Coedición Latinoamericana) − 1996 − Editor-piloto: Ediciones Huracán
M Regionale Konferenzen zur Entwicklung der Buchmärkte Lateinamerikas zwischen 1979 und 1993 – –
Seminario sobre Establecimiento de Estrategias Nacionales para el Desarrollo del Libro en América Latina. Santiago de Chile, 1979. Congreso Regional del Libro para América Latina y el Caribe (COREL). Rio de Janeiro, 1982.
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Dokumentation
Reunión Regional sobre Intercambio y Comercio del Libro en América Latina y el Caribe (RICLALC). Santo Domingo, 1984. Reunión de Evaluación de Políticas del Libro en América Latina (REPLAC). Montevideo, 1986. Encuentro Regional del Libro en América Latina y el Caribe. Caracas, 1990. Reunión Internacional de Expertos sobre Ley Tipo y Políticas del Libro. Guayaquil (Ecuador), 1993.
Bibliographie 1 Quellen 1.1 Ungedruckte Quellen Archivmaterial: Bogotá, Kolumbien: Archiv des CERLALC Paris, Frankreich: Archiv der UNESCO AG 2: Conference of Allied Ministers of Education AG 3: Preparatory Commission of UNESCO AG 8: Secretariat Records Pátzcuaro, Mexiko: Archiv des CREFAL
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Audiovisuelle Quellen: Schaaf, Stefan: Ein Buch kann die Welt verändern. Literatur auf Eseln. Ausgestrahlt in der Sendung Weltspiegel am 22.3.2009 im Bayrischen Rundfunk (ARD).
1.2 Amtliche Dokumente der UNESCO und der UN A Definition of Fundamental Education. Presented to an Inter-Secretariat Working Party of the United Nations and Specialized Agencies, Paris, 16–17 November 1950. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/94). A Note on the Relationship of Fundamental Education to Economic and Social Development. Paris 1951 (UNESCO-Dokument: UNESCO/ED/95).
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Dank Diese Worte müssten eigentlich auch auf Spanisch verfasst werden: In Lateinamerika, präziser in Mexiko entstand die Idee zu dieser Arbeit und obwohl man einem Land eigentlich keinen Dank aussprechen kann, soll dies an dieser Stelle doch geschehen: ¡Gracias México! ¡Gracias Colombia! Herzlicher Dank gebührt Ute Schneider, die das Werden dieser Arbeit in allen Phasen konstruktiv begleitet hat. Ernst Fischer ist für die Übernahme des Zweitgutachtens gedankt. Ausgezeichnete Unterstützung habe ich von den Mitarbeitern der von mir besuchten Archive und Bibliotheken erhalten, insbesondere im UNESCO-Archiv in Paris, im CERLALC in Bogotá sowie im CREFAL in Pátzcuaro, Mexiko. Die Angestellten des Ibero-Amerikanischen Instituts hätten einen Preis für den besten Service verdient, den ich je in Bibliotheken erlebt habe. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat mich sowohl im Studium als auch während der Promotion unterstützt. Sie hat auch freundlicherweise die Mittel zur Verfügung gestellt, die die zahlreichen Forschungsreisen möglich gemacht haben. Weiterhin danke ich Ursula Rautenberg und Ute Schneider für die Möglichkeit, diese Arbeit in der Reihe Archiv für Geschichte des Buchwesens – Studien zu veröffentlichen. Die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein hat diese Publikation großzügig unterstützt. Mein herzlicher Dank gilt schließlich Katharina J. Schneider, die die Arbeit von Wien aus Korrektur gelesen hat. Meinen Freunden, die mich auf den verschiedenen Stationen dieser Arbeit in Berlin, Bogotá, Paris begleitet haben oder von Ferne dem Entstehen der diversen K’s beigewohnt haben, bin ich viel schuldig. Meine Eltern haben meinen Ausbildungsweg stets unterstützt. Ohne sie wären mein Studium und meine Promotion nicht möglich gewesen. München, August 2013
Christina Lembrecht
Buchhandels- und Verlagsregister Addison-Wesley (USA) 327, 341 Affiliated East-West Press (Indien) 438 Banco del Libro (Venezula) 382, 386 Bibliothèque de L’Étoile (Kongo) 151 Burma Translation Society (Burma) 156, 157, 166, 167, 173, 186 Centro Editor de América Latina (Argentinien) 350 Companhia Editora Nacional (Brasilien) 339 East African Literature Bureau (Kenia) 2, 151, 160, 198 Ediciones Ekaré (Venezuela) 382, 386–388, 391 Ediciones Huracán (Puerto Rico) 389 Ediciones Pueblos Unidos (Uruguay) 442 Ediciones Unión (Kuba) 418 Editora Ática (Brasilien) 386–388 Editora Fundo Educativo Brasileiro (Brasilien) 341 Editora Nacional Gabriela Mistral (Chile) 331 Editora Política (Kuba) 418 Editorial Arte y Literatura (Kuba) 418 Editorial Botas (Mexiko) 321 Editorial Casa de las Américas (Kuba) 418 Editorial Ciencias Sociales (Kuba) 418 Editorial Científico Técnico (Kuba) 418 Editorial Comunicação (Brasilien) 379 Editorial Costa Rica (Costa Rica) 332 Editorial del Ministerio de Cultura de El Salvador (El Salvador) 333 Editorial Era (Mexiko) 322 Editorial Gente Nueva (Kuba) 418 Editorial Joaquín Mortiz (Mexiko) 322 Editorial Latinoamericana de Educación Fundamental siehe Latin American Fundamental Education Press Editorial Letras Cubanas (Kuba) 418 Editorial Los Amigos del Libro (Bolivien) 335 Editorial Losada (Argentinien) 317 Editorial Nacional de Cuba (Kuba) 412 Editorial Norma (Kolumbien) 334, 386 Editorial Paraninfo (Spanien) 371, 372 Editorial Plus Ultra (Argentinien) 379
Editorial Pueblo y Educación (Kuba) 418 Editorial Quimantú (Chile) 330, 331 Editorial Sigmar (Argentinien) 379 Editorial Sudamericana (Argentinien) 121, 317 Editorial Universitaria Centroamericana (Costa Rica) 333, 382, 390 Editorial Zig Zag (Chile) 329, 330, 386 EDUCA siehe Editorial Universitaria Centroamericana El Ateneo (Argentinien) 349 Emecé (Argentinien) 317 Emesco Pocket Books (Indien) 184 Empresa Nacional Distribuidora del Libro (Kuba) 415 Ercilla (Chile) 329 Espasa Calpe (Spanien/Argentinien) 317 EUDEBA (Argentinien) 349, 350, 359 FCE siehe Fondo de Cultura Económica Fondo de Cultura Económica (Mexiko) 309, 322, 323, 331, 352 Fondo de Cultura Popular (Mexiko) 442 Gallimard (Frankreich) 128 Gaskiya Corporation (Nigeria) 151 Gosudarstvennoe Isdatel‘stvo Inostrannoi Literatury (Sowjetunion) 440 Hachette (Frankreich) 253, 259 Hatier (Frankreich) 253 Heinemann (Großbritannien) 65, 253, 260, 436 Hind Pocket Books (Indien) 184 Inoizdat siehe Gosudarstvennoe Isdatel‘stvo Inostrannoi Literatury Instituto de Intercambio Cultural México/URSS (Mexiko) 442 John Wiley siehe Wiley Latin American Fundamental Education Press (USA) 140, 145–150, 152, 158, 492–494 Librería Porrúa (Mexiko) 321 Livraria José Olympio Editora (Brasilien) 339 Livros Técnicos e Científicos (Brasilien) 341
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Buchhandels- und Verlagsregister
Longman (Großbritannien) 182, 253, 259, 436, siehe auch Orient Longman Macmillan (Großbritannien) 253, 260, 436, 439 McGraw Hill (USA) 327, 413, 429–431, siehe auch McGraw Hill do Brasil, Tata McGraw Hill McGraw Hill do Brasil (Brasilien) 341 Meulenhoff (Niederlande) 126 Mezhdunarodnaja Kniga (Sowjetunion) 441, 443 Mezhkniga siehe Mezhdunarodnaja Kniga Mir (Sowjetunion) 440, 443 Monte Ávila Editores (Venezuela) 331 Orient Longman (Indien) 439 Oxford University Press (Großbritannien) 253, 254, 260, 436 Pearson (Großbritannien) 472 Penguin Books (Großbritannien) 184, 276 People Publishing House (Indien) 442
Prentice Hall (USA) 430, siehe auch Prentice-Hall of India Prentice-Hall of India (Indien) 438 Princeton University Press (USA) 432 Progress (Sowjetunion) 440, 443 R. R. Bowker (USA) 313, 345, 372 ReclamVerlag (Deutschland) 126 Sarpay Beikman Institute siehe Burma Translation Society Siglo XXI Editores (Mexiko) 322, 416 South Pacific Commission Literature Bureau 152 Tanzania Publishing House (Tanzania) 260 Tata McGraw Hill (Indien) 439 Van Nostrand (USA) 438 Voluntad Editores (Kolumbien) 386 Wiley (USA) 341, 430, siehe auch Wiley Eastern Wiley Eastern (Indien) 438
Personenregister Aguilar, Manuel 344 Allende, Salvador 330, 331 Altbach, Philip G. 17, 262, 286, 439 Arroyave, Jesus César 210, 211, 213, 224 Artigas de Sierra Ochoa, Ione Marie 390 Asabuki, Sankichi 172 Augsburger, Alberto 313, 368
Danilewicz, Maria 65 Danton, Periam 246, 247 Delavenay, Emile 258 Diderot, Denis 488 Dieux, Gilbert 256 Disney, Walt 443 Douglas, Daphne 246
Barker, Ronald 264, 277, 300, 304 Barnett, Michael 30, 31, 35 Behrstock, Julian 89, 278, 288, 291, 293, 298, 299, 368 Benjamin, Curtis 431 Betancourt, Virgina 380 Bhusan, Kul 167 Bixler, Paul 351 Bogsch, Arpad 166 Bonfadelli, Heinz 11 Bonny, Harold 242 Boorstin, Daniel J. 62 Bou, Rodíguez 153 Bousso, Amadou 244 Bowers, John 139 Braudel, Fernand 113 Burns, Donald 160
East, Rupert 160, 162, 163 Einstein, Albert 54 Eliot, Simon 21 Engels, Friedrich 443 Escarpit, Robert 275–277, 279, 280, 330, 342, 359, 383, 481 Escoto, Julio 390 Evans, Evelyn 216, 229, 234, 239 Evans, Luther H. 66, 155, 211 Febvre, Lucien 113, 115–117, 119 Ferrer Martin, Sebastian 211, 213 Finnemore, Martha 30, 31, 35, 176 Foster, Gordon 372 France, Anatole 106 Fyle, Clifford 467, 473
Canal Ramírez, Gonzalo 281, 361, 389 Cárdenas Nannetti, Jorge 333 Carmalinghi, José 380 Carter, Edward J. 69, 73, 184, 192, 193, 199, 208, 220 Casey, Claudia 483 Castro, Fidel 409, 411, 413, 416–418, 420 Chabbott, Colette 33, 34 Chavaka, Henry 467 Christie, Agatha 443 Clark, Ann N. 153 Cohen, Martin 183 Collings, Dorothy 246 Conzett, Hans 89 Cosío Villegas, Daniel 309, 322, 328, 352 Curie, Marie 54
Gaddis, William 61, 104 García Lorca, Federico 443 García, Eustasio Antonio 317, 356 García, Germán 210, 211, 222 Gardner, Frank 180, 181, 203, 204, 206, 220, 221, 225, 227 Garibaldi Camacho, Vicente 451, 462 Garton Ash, Timothy 2 Garzón, Álvaro 361, 363, 364, 406, 408, 462 Gjesdal, Tor 290 Golding, Peter 469, 473 Gomm, Geoffrey 245 Gorki, Maxim 443 Gosnell, Charles Francis 211, 213 Greenaway, Emerson 193 Griffin, Ella 153 Gyi, U Htin 169
d’Alembert, Jean Baptiste le Rond 488 Daniels Shepard, Marietta 209, 240, 350
Hatch, Spencer 152 Hench, John 14
596
Personenregister
Hepp, François 101 Hildebrand, Beate 10 Hockey, Sidney 245 Hodgell, R. O. 166 Horrocks, Stanley 217, 225 Hughes, Lloyd 142 Husain, Akthar 158, 169, 170–172, 179, 183, 186 Huxley, Julius 58, 60, 117, 119, 131 Iriye, Akira 36, 37 Isenberg, Artur 180 Israel, José 388 Jennison, Peter S. 310, 353, 354 Johnson, Alvin 200 Jones, Philip 41, 135, 271 Junker, Carl 82 Kalia, Raj 205, 206 Kamm, Anthony 176, 188 Kant, Immanuel 105 Kennedy, John F. 1 Kirpal, Prem 155, 156 Kocka, Jürgen 24 Koselleck, Reinhard 9, 19, 488, 490 Kraske, Gary 15 Kubitschek, Jucelino 340 Kuhn, Axel 21 Kurth, William H. 310, 353, 354 Laguerre, Enrique A. 141, 143 Lane, Allan 184 Larsen, Knut 245 Laubach, Frank 133 Laugesen, Amanda 14 Lenin 228, 443 Lerner, Daniel 273–274 Leye, Veva 490 Lobato, Monteiro 338 Löhr, Isabella 37 López Albujar, Enrique 352 López Mateos, Adolfo 321 López, Rafael 213, 222 Losada, Gonzalo 399 MacLeish, Archibald 53, 62 Maheu, René 93, 116, 271, 272, 292, 294, 300 Malhotra, Dina N. 184, 280, 281, 296 Mann, Thomas 54
Marini, Gustavo A. 398 Marx, Karl 443 Matsuura, Koïchiro 3 Maunick, Edouard 124 Maurel, Chloé 8, 40 Maurois, André 232 Maymí-Sugrañes, Héctor 15 Mayor, Federico 131 McDougall, Jim 158, 255 Mead, Margaret 133 Mettini, Italo Juan Luís 236–239 Meyer, John 31 Minowa, Shigeo 16, 17, 478 Mohrhardt, Charles 210 Mokia, Rosemary 14 Morpurgo, Jack 166, 173–175, 178, 180 Myint, Tin 167 Nannetti, Guillermo 139, 146, 149, 160 Ndoubena, Joseph 256 Neumann, Peter 160, 166, 169 O’Brien, J. F. 473 Ochs, René 250 Oddon, Yvonne 199 Okorie, Kalu 216, 217 Olyff, Michel 300 Orfila Reynal, Arnaldo 322, 416 Ortiz Benítez, Lucas 141 Owen, Lynette 472 Pearce, Douglas 478 Pellowski, Anne 378, 392 Penna, Carlos Víctor 209, 210, 221, 222, 229–236, 240, 241 Pérez Ortiz, Ruben 210 Petersen, Everett N. 181, 193, 196, 200, 208, 213, 215, 220, 223 Piedra Santa, Irene 388, 389 Platon 162 Plazas, Arcadio 361, 366, 367, 383, 462 Puschkin, Alexander Sergejewitsch 443 Ranganathan, Shiyali Ramamrita 202, 204, 207 Rao, Srinivasa 162 Rautenberg, Ursula 20 Riascos Sánchez, Blanca 363 Richards Granton, Charles 2, 160 Rivera Iscoa, Carmen 389
Personenregister
Robbins, Louise 14 Roberts, Bruce 137 Roche, Edwin J. 180, 183 Rodríguez, Rolando 409 Rogers, William A. 180 Rose, Jonathan 21 Rostow, Walt Whitman 424 Rühr, Sandra 21
Taubert, Sigfred 1,15, 48, 304, 330, 343 Thapar, Romesh 285 Thomaeus, Jan 162, 166 Thomas, Jean 161 Torres Bodet, Jaime 59, 132, 136, 139, 321 Truman, Harry S. 429 Turner, Ralph 119 Twain, Mark 443
Sabor, Josefa 240 Saith, S. S. 245 Salat, Robert 223 Saxer, Ulrich 22 Schavelzon, Guillermo 416 Schiro, Heriberto 359, 361–363, 365, 367–369, 378, 382–384, 403, 410 Schmidt, Helmut 2 Schnapp, Barbara 10 Schramm, Wilbur 273, 274, 285 Schultz de Mantovani, Frida 378 Sibunruang, J. K. 167 Smith, Datus C. 286, 432, 470, 473 Soares, Wander 381, 388 Solaru, T. T. 254 Soriano, Luis 1 Soriano, Marc 378, 391 Spaulding, Seth 148, 160, 166 Staiger, Ralph 483 Stief Dalton, Margret 15 Sydney, Edward 201, 205–207
Unwin, Stanley 86, 88, 437 Uribe, Verónica 388, 392 Vargas, Gertúlio 338 Vattemare, Alexandre 76 Vera, Óscar 229 Vignes, Henri 363 Villalón, Alberto 213–215 Wegman, Edward 301 Westenrieder, Lorenz 487 Wetzel, Dirk 20 Whitney, Gretchen 10 Wong, Lisa 40 Wood, John 1 Zachau, Will 183, 185, 187 Zaher, Celia 368, 481
597
Sachregister Abkommen über die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters (Abkommen von Florenz) siehe Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material Abkommen von Florenz siehe Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material Afghanistan 171, 302, 477 Afrika 48, 154, 155, 201, 253, 452 – Bibliotheken 197, 198, 201, 217, 227, 229, 242, 243 – Bildungspolitik 133, 249, 252–254 – Buchmarkt 252–262, 278, 282, 284, 289, 306, 449, 473 – Literatur 124, 127 – Verlage 2, 45, 151, 152, 198, 254, 259 Agence Universelle des Echanges Internationaux 76 Agreement for Facilitating the International Circulation of Visual and Auditory Materials of an Educational, Scientific or Cultural Character (UNESCO) 91 Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material (UNESCO) 91–96, 99, 296, 343, 400, 484 Ägypten 136, 199, 235, 250, 295, 298, 433, 458 ALA siehe American Library Association ALADI siehe Asociación Latinoamericana de Integración ALALC siehe Asociación Latinoamericana del Libro Comercio All India Public Library Association (Indien) 204 Alliance for Progress 328 Alphabetisierung 13, 41, 133, 135–140, 150, 151, 153, 155, 156, 161, 189, 204, 228, 236, 256, 265, 321, 353, 354, 412, 416, 420, 421, 483, siehe auch fundamental education American Book Center for War Devasted Libraries (USA) 67 American Book Council for Children (USA) 188 American Library Association (USA) 15, 67, 435
Analphabetismus 2, 132, 133, 135, 136, 140, 151, 156, 164, 189, 249, 328, 412, siehe auch Alphabetisierung Arab States Fundamental Education Centre siehe ASFEC Argentinien 77, 337, 362, 373, 381, 384 – Bibliotheken 193, 248, 351 – Buchaußenhandel 308, 309, 317–319, 343, 344, 401 – Buchvertrieb / Buchhandlungen 347, 349, 350 – Buchmarkt 311–313, 316–320, 370 – Buchpolitik 318, 319, 366, 405 – Lesepublikum 319, 320, 337, 354 – Verlage 314, 317, 349, 350, 379, 386 ASFEC (Ägypten) 136, 153, 299, 246 Asian Cultural Centre for UNESCO (Japan) 297 Asociación Latinoamericana de Integración 402 Asociación Latinoamericana del Libro Comercio 398, 400, 402 Äthiopien 249, 250, 252, 254, 257, 260, 477 Aufklärung (Epoche) 6, 59, 111, 131, 269, 275, 486–488 Banco de la República (Kolumbien) 333 Bellagio Publishing Network 17, 18 Bengal Mass Education Society (Indien) 156 Berne Convention (1886) 100–102, 452–458 Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst (1886) siehe Berne Convention Bibliographien 81–86, 181, 310, 338, 365, 401 Biblioteca Benjamin Franklin (Mexiko) 425 Biblioteca Pública Piloto de Medellín (Kolumbien, UNESCO) 208–216, 219, 221–226 Bibliotheken 61, 63–65, 68, 69, 151, 191–194 – Funktion 191–194, 248 – siehe auch Bibliothekarausbildung, Bibliotheksförderung, Bibliotheksplanung, pilot public libraries, UNESCO Public Library Manifesto Bibliothekarausbildung 241–248 Bibliotheksförderung 9, 15, 180, 181, 194–202, 227, 228 Bibliotheksplanung 229–241, 512–514
600
Sachregister
– Bibliotheksentwicklungspläne 233–241 – Bibliotheksgesetz 233 Bibliotheksschule siehe Bibliothekarausbildung Bibliothekstagungen (UNESCO) 195, 196, 201, 234, 235, 511, 512 Bildung 13, 32–35, 133 – Funktion 33, 34, 131, 132, 134, 251 – siehe auch Alphabetisierung, Bildungsforschung, Bildungsplanung, Bildungspolitik, fundamental education, Schulbuch Bildungsforschung 32–35, siehe auch World Polity Bildungsplanung 229, 230 Bildungspolitik 33, 34 – UNESCO 41, 132, 191–194, 249–252 Blockfreie Bewegung 287, 437, 441, 447 Bolivien 248, 362, 384, 408 – Bibliotheken 236–239, 351 – Buchmarkt 312 – Buchhandlungen 347 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314, 335 Book Coupon (UNESCO) 98, 99 Book Development (UNESCO) 288–298, 300, 301, 303–305, 420–422, 449, 450, 466, 467, 474, 477–479 – Definition 15 – Forschungsstand 15–18 Book Development Council 366, 367, 475–478, 484 Book Development Council (Großbritannien) 436 book gap 277–279, 283, 284, 288, 305, 448, 449, 489, siehe auch digital divide book history siehe Buchwissenschaft book hunger 184, 279, 280, 282, 283, 288, 289, 489 Book Industry Council of South India (Indien) 182, 185 Books for All siehe Bücher für alle Books USA 426 Brasilien 77, 85, 150, 302, 338, 362, 373 – Bibliotheken 208, 351, 352 – Buchaußenhandel 87, 327, 338–341, 431 – Buchhandlungen / Buchvertrieb 346–349 – Buchmarkt 308, 312, 336–339, 341, 342, 379 – Lesepublikum 337, 354, 355
– Schulbuch 339, 341 – Verlage 314, 327, 339, 341, 379, 386 British Book Export Scheme (Großbritannien) 438 British Books Overseas Advisory Committee (Großbritannien) 437 British Council (Großbritannien) 67, 167, 198, 205, 216, 217, 229, 243–246, 438 British Library Association (Großbritannien) 243 Buch – Massenmedium 275, 276, 285, 286, 290, 291 – Wert- und Funktionszuschreibungen 3, 18–25, 283–288, 485–490 – siehe auch Comic, Fachbuch, Funktion des Buches, Kinder- und Jugendbuch, Schulbuch, Taschenbuch Buchausstellung 187, 188 Bücher für alle 46, 84, 207, 300–304, 410, 421, 480, 483–485 Bücherbus siehe Fahrbücherei Bücherspenden 63, 66, 67, 69–75, 149, 288, 426, 446, 471, 484, 489 Buchförderung 35, 12, 19, 49, 50, 171, 178, 483, 484–486 – Außenpolitik 14, 15 – Begründung / Legitimation 19, 24, 484–486 – Definition 3, 4, 13–14 – Forschungsstand 8–11, 13–18 – Gestaltungsmöglichkeiten / Typologie 26–28 Buchgesetz 3, 403–408 Buchhandel – Außenhandel 86–99, 102, 103, 307, 308, 448–450 – Berufsverbände 173–177, 377, 378 – Dritte Welt / Entwicklungsländer 151, 448–450, 466–479 – Wirtschaftsförderung 403–408, 474–477 Buchklub 184, 185, 350 Buchleseforschung siehe Lese(r)forschung Buchmarktforschung 186, 187, 373–376 Buchmarktstatistiken 9, 10, 49, 186, 276–278, 281, 282, 376, 448, 449 Buchpolitik 403–408, siehe auch Buchgesetz Buchpreisbindung 14 Buchversand (Post) 96–98, 197, 198, 229, 340, 345, 346, 350, 358 Buchwissenschaft 6, 8, 21, 22, 47, 48 Bundesrepublik Deutschland 77, 90, 109, 458 – Bibliotheken 13, 20, 192
Sachregister
– Buchmarkt 16, 20, 65, 277, 374, 449 – Kulturförderung 11 Burma 64, 155–157, 165, 166, 168, 173, 174, 180, 186 Cámara Argentina del Libro (Argentinien) 306, 318, 320, 398, 399 Cámara Chilena del Libro 330 Cámara Colombiana del Libro (Kolumbien) 334 Cámara Cubana del Libro (Kuba) 410 Cámara Nacional de la Industria Editorial de México (Mexiko) 323 Cámara Peruana del Libro (Peru) 334 CAME siehe Conference of Allied Ministers of Education Canadian Book Centre (Kanada) 71 CARE (USA) 63, 72–74, 426 Carnegie Corporation (USA) 13, 197, 198, 200 Carnegie Endowment for Peace 106 Casa de Cultura Ecuatoriana (Ecuador) 333 Casares-Resolution (1925) 106, 109 Central and East European Publishing Project 2 Centre Régional de Formation des Bibliothécaires (Senegal, UNESCO) 243, 244 Centre Régional de Promotion du Livre en Afrique (Kamerun, UNESCO) 297, 298, 385 Centro Regional de Educación Fundamental para América Latina (Mexiko) siehe CREFAL Centro Regional para el Fomento del Libro en América Latina (y el Caribe) (Kolumbien) siehe CERLALC CEPAL siehe Comisión Económica para América Latina Cepalismo siehe Comisión Económica para América Latina CERLALC 281, 305, 451, 462, 463 – Archiv 47, 50 – Buchmarktforschung/ Buchmarktstudien 307, 313, 333, 335, 342, 364, 373–376, 408, 421, 520–522 – Coedición Latinoamericana (Kopublikationsprogramm) 378–394, 520, 521 – Einführung der ISBN 372, 373 – Forschungsstand 305 – Fortbildungsangebote für den Buchhandel 369–372, 516–519 – Gründung 297, 357–361
601
– Haushalt/Etat 360, 363–365 – Ley del libro (Buchgesetz, Buchpolitik) 403–408, 477, 521, 522 – Mercado Común del Libro (Gemeinsamer Buchmarkt) 395–403 – Mitglieder 360, 362 – Organisationsstruktur 361 – Personal 363, 368 – Publikationen 365, 371, 372, 376, 377, 519, 520 – Zielsetzung / Tätigkeitsfelder 360, 365–369 Ceylon siehe Sri Lanka Charter of the Book (UNESCO) 301, 304, 480, 484 Chile 79, 249, 272, 362, 373, 381, 408 – Bibliotheken 351 – Buchaußenhandel 316 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 309, 311–313, 329–331 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314, 322, 329–331, 386 China 48, 67, 126, 277, 437 COFIDA siehe International Copyright Funds Colombo-Plan 156 Colonial Office (Großbritannien) 133, 217 Comic 162, 321, 380, 390, 391 Comição Nacional do Livro Técnico y Didáctico (COLTED) (Brasilien) 341, 428 Comisión Económica para América Latina 356, 397–399, 401, 404 Comisión Nacional del Libro de Texto Gratuito (Mexiko) 321 Comité Ejecutivo para el Comercio Exterior del Libro (Spanien) 325 Committee for Moral Disarmament 106 Commonwealth 5, 156, 243, 435, 477 Conference of Allied Ministers of Education 54, 66, 68, 69, 78, 88, 112, 123 Conseil International de la Philosophie et des Sciences Humaines (CIPSH) (UNESCO) 125, 128 Convention Concerning the Exchange of Official Publications and Government Documents between States (UNESCO) 80, 81 Convention Concerning the International Exchange of Publications (UNESCO) 80, 81 Convention for the International Exchange of Official Documents, Scientifc and Literary Publications (18–86) 77, 80
602
Sachregister
Costa Rica 118, 362, 373, 381, 405 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 311, 312 – Lesepublikum 354 – Verlage 314, 332, 333 CREFAL (Mexiko) 46, 138–144, 148–150, 164, 491 CREPLA siehe Centre Régional de Promotion du Livre en Afrique (Kamerun, UNESCO) Declaration Regarding the Teaching of History (1938) 107 Delhi Public Library (Indien, UNESCO) 46, 210, 201–208, 219, 220, 223–226 Dependenztheorie 286, 287 Deutsche Demokratische Republik 418, 456 digital divide 278, 489, siehe auch book gap Dokumentation 81–86 Dominikanische Republik 405 – Bibliotheken 351 – Buchmarkt 311, 312 – Buchhandlungen 347 – Lesepublikum 354 – Raubdruck (piratería) 463–465 – Urheberrecht 462–465 – Verlage 314 Dritte Welt (Begriff) 9 East African School of Librarianship (Uganda) 244, 245, 247 Eastern Caribbean Regional Library 246 École de Bibliotécaires, Archivistes et Documentalistes (Senegal) siehe Centre Régional de Formation des Bibliothécaires Economic and Social Council (UN) 57, 88, 136, 270, 272, 276, 299 ECOSOC siehe Economic and Social Council Ecuador 234, 235, 248, 362, 373, 384, 405 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 312 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314, 333, 335, 386 Educational Low-Priced Book Scheme siehe English Language Book Society El Salvador 400 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347
– Buchmarkt 311, 312 – Lesepublikum 354 – Verlage 314, 333 Elementarbildung siehe fundamental education Elfenbeinküste 201, 248 English Language Book Society (Großbritannien) 438, 439 Entwicklungshilfe siehe Entwicklungszusammenarbeit Entwicklungspolitik 33, 34, 269–271 – UN 38, 242, 269–271, 274, 290, 291, 454 – UNESCO 131, 134, 271, 272, 287, 288–290 – USA 156, 424–429, 434, 435 Entwicklungstheorie siehe Dependenztheorie, Modernisierungstheorie Entwicklungszusammenarbeit 247, 269–274, 445 Enugu Regional Centre Library (Nigeria, UNESCO) 201, 216–218, 220–226 EPTA siehe Expanded Programme of Technical Assistance for Economic Development of Underdeveloped Countries (UN) Expanded Programme of Technical Assistance for Economic Development of Underdeveloped Countries (UN) 136, 164, 169, 197, 271, 290 Export Research Service (Großbritannien) 436 Fachbuch 27, 220, 262–263, 341, 427, 429, 431, 436 Fahrbücherei 1, 185, 203, 217, 224 FAO siehe Food and Agriculture Organization of the United Nations Fédération Internationale d’Information et de Documentation 82, 86 Fernleihe (Bibliothek) 49, 81, 82, 238 FID siehe Fédération Internationale d’Information et de Documentation Food and Agriculture Organization of the United Nations 38, 472 Ford Foundation (USA) 166, 180, 182, 183, 199, 435 Föreningen Norden (Skandinavien) 108 Franklin Book Programs (USA) 14, 15, 48, 49, 374, 432–435, 440, 446, 470 Franklin Publications siehe Franklin Book Programs Frankreich 13–16, 60, 64, 65, 67, 70, 77, 90, 107, 126, 243, 244, 256, 458
Sachregister
– Buchaußenhandel 253, 320, 338, 340, 341 – Buchmarkt 254, 277 – Verlage 253, 254, 259, 260, 467 Free Flow of Books 61–63, 86, 104, 293, 296, 395–403, 448–450, siehe auch Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material Free Flow of Information 55, 62, 63, 86, 89, 93, 94, 100, 447, 448, siehe auch Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material, Free Flow of Books, Kommunikationspolitik, Weltinformationsund Kommunikationsordnung Freedom House Bookshelf (USA) 426 Freier Informationsfluss siehe Free Flow of Information fundamental education (UNESCO) 133–138, 153, 157–159, 189, 199, 200 – Definition/Konzept 134, 135 – Fundamental Education Centre 136–137 – Haiti Pilot Project 138, 199 – siehe auch ASFEC, CREFAL, OAS Latin American Fundamental Education Press, Reading Material-Project Funktion des Buches 3, 4, 18–25, 420, 446, 485–490 – Beteiligung am gesellschaftlichen Leben 163, 412 – Förderung intellektueller Fähigkeiten 391 – Identitäts- und Nationenbildung 104–106, 439, 113, 252, 253, 286, 287, 328, 329, 333, 338, 378, 379, 380, 381 389–392, 396, 397 – Instrument der Außenpolitik 14, 15, 424, 425, 446 – Internationale Verständigung 104–106, 111–113, 122–123, 378, 379 – Modernisierung / Entwicklung 164, 189, 190, 262, 263, 280, 281, 283–286, 412, 424, 425, 434, 446 – Sozialismus 411, 412, 445, 446 – Unterhaltung 162 – Wertevermittlung 149, 425, 427, 432 – Wissensvermittlung / Wissenstransfer 142, 143, 145, 146, 149, 152, 162–164, 262, 284, 285, 412, 425, 427 Generell Agreement on Tariffs and Trade (GATT) 92 Georg-Eckert-Institut 109
603
Geschichtsschreibung (UNESCO) 115–122 Ghana 151, 257, 258, 291, 477 – Bibliotheken 198, 216, 234 – Verlage 260 Gift Coupon (UNESCO) 74 Global Governance 29–31 Globalgeschichte 68, 36–38, 115–122 Großbritannien 50, 60, 67, 77, 87, 90, 107, 126, 156, 166, 244 – Bibliotheken 13, 15, 193, 206 – Buchaußenhandel 254, 430, 435–438, 448, 467 – Buchmarkt 16, 277 – Verlage 253, 254, 259, 260, 435–437, 439, 467 Grupo Executivo da Indústria do Livro (Brasilien) 340 Guatemala 208, 400, 408 – Bibliotheken 351 – Buchaußenhandel 401 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 261, 311, 312, 382 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314, 388 Haiti 138, 199 History of Mankind (UNESCO) 10, 115–122, 486 Honduras 248 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 311, 312 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314 IATA siehe International Air Transport Association IBBY siehe International Board on Books for Young People ICBA siehe International Community of Booksellers Association IFLA siehe International Federation of Library Associations and Institutions Index Translationum (UNESCO) 86, 124 Indien 115, 126, 151, 153, 155–157, 162, 166, 168, 443, 444, 471, 477 – Bibliotheken 156, 203–205 – Buchmarkt 48, 173, 180, 182–184, 219, 220, 277, 468, 473
604
Sachregister
– Lehr- und Schulbuchmarkt 431, 437–439 – Verlage 184, 442 – Urheberrecht 453, 456, 457 Indonesien 126, 152, 171, 251, 301, 464, 473, 477 Informational Media Guarantee Program (USA) 429 Institut Français (Frankreich) 243 Institute International de Bibliographie (Belgien) 83 Instituto Caro y Cuervo (Kolumbien) 210, 333 Instituto Colombiana de Cultura (Kolumbien) 333 Instituto de Cultura Puertorriqueña (Puerto Rico) 333 Instituto del Libro (Kuba) 414 Instituto Nacional del Libro (Spanien) 325 Instituto Nacional do Livro (Brasilien) 338, 340, 352 Inter-Allied Book Centre (Großbritannien) 67 Inter-American Library School (Kolumbien) 243 International Advisory Committee on Bibliography (UNESCO) 84 International Air Transport Association (IATA) 97, 400 International Board on Books for Young People (IBBY) 189, 378, 381, 383 International Book Committee (UNESCO) 304, 385 International Book Year (1972, UNESCO) 298–304, 480 International Bureau of Education 54 International Commission for the Writing of the History of Scientific and Cultural Development of Mankind (UNESCO) 118 International Committee on Intellectual Cooperation siehe Organisation für geistige Zusammenarbeit International Community of Booksellers Association 167, 183 International Copyright Funds (UNESCO) 460 International Copyright Information Centre (UNESCO) 456–460 International Development Research Council (Kanada) 375 International Exchange of Publication siehe Schriftentausch
International Federation for Information and Documentation siehe Fédération Internationale d’Information et de Documentation International Federation of Library Associations and Institutions 5, 48, 48, 81, 86, 191, 195 International Fund for the Promotion of Culture (UNESCO) 386, 460 International Institute for Educational Planning (UNESCO) 230 International Institute of Intellectual Cooperation siehe Organisation für geistige Zusammenarbeit International Programme for the Development of Communication 448 International Reading Association 481, 483 Internationale Geschichte siehe Globalgeschichte Internationale Organisation 28–38 Internationale Verleger-Union 5, 26, 88–90, 95, 167, 264, 265, 295, 464 Internationales Buchjahr siehe International Book Year (UNESCO) ISBN 310, 372, 373, 375 Jamaika 153, 245, 246, 251, 462, 480 Jamia Millia Islamia (Indien) 156 Japan 16, 17, 48, 53, 64, 80, 90, 115, 121, 156, 277, 297, 326, 384 Kalter Krieg 119, 120, 423–446 Kamerun 255–257, 258, 297, 298 Kenia – Bibliotheken 197, 245 – Buchmarkt 467, 468, 473, 477 – Verlage 254, 259, 467 Kenya Institute for Education 259 Kinder- und Jugendbuch 1, 27, 72, 73, 87, 188, 189, 220, 221, 302, 332, 365, 371, 378–394, 418, 433, 443, 459, 486 Kolumbien 1, 234, 326, 373 – Bibliotheken 208, 209, 351 – Buchaußenhandel 343 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 221, 311–313, 334 – Buchpolitik 334, 358, 359, 405, 408 – Lesepublikum 354 – Schulbuch 334, 365 – Verlage 314, 327, 333, 386
Sachregister
Kommunikationspolitik (UNESCO) 41, 42, 55, 272–274, siehe auch Weltinformations- und Kommunikationsordnung Konferenz Alliierter Bildungsminister siehe Conference of Allied Ministers of Education Konstruktivismus 24, 25, 29, 31, 485 Kopublikation 340, 352, 383 – Asiatisches Kopublikationsprogramm (UNESCO) 382–386 – Lateinamerikanisches Kopublikationsprogramm (UNESCO/CERLALC) 365, 378–394, 421, 422, 520, 521 Kuba 79, 400 – Bibliotheken 351, 415 – Buchhandlungen 347 – Lesepublikum 354, 416 – Raubdruck (Edición Revolucionaria) 413, 414, 454 – Urheberrecht 413, 414 – Verlage 314, 412, 417, 418 Kulturförderung siehe Kulturpolitik Kulturimperialismus 287, 341, 439 Kulturpolitik 11–13 – auswärtige 12–15, 423–425 – UNESCO 128, 228, 287, 288 Laos 260, 477 Lateinamerika – Bibliotheken 350–352 – Buchaußenhandel 307–310, 343–346 – Buchhandelsgeschichte 315, 316 – Buchhändlerverbände (Cámaras del libro) 377, 378 – Buchmarkt 305–316, 336, 342, 343, 360, 379, 380, 382, 398, 399 – Buchvertrieb /Buchhandlungen 347–349 – Gemeinsamer Buchmarkt (Mercado Común del Libro) 395–403 – Lesepublikum 352–356 – Verlage 313, 314 Lehrbuch siehe Schulbuch Lese(r)forschung 162, 163, 374–376 Leseförderung 4, 27, 49, 50, 161–164, 171, 172, 186, 189, 480–485 Lesematerialien siehe Reading Material-Project, CREFAL, OAS Lesepublikum 161, 172, 186, 482, 483 Libanon 80
605
library development siehe Bibliotheksförderung Library of Congress (USA) 62, 66, 83–85, 194, 433, 481 Literatur 122, 123, 128 Literaturbüro (literature bureau) 2, 45, 151, 152, 198, 254 Literaturförderung siehe Übersetzungsförderung Lizenzhandel (Buchhandel) 263–265, 452, 457–461 major projects (UNESCO) 154 Major Project on the Extension of Primary Education in Latin America (UNESCO) 250 Major Project on the Mutual Appreciation of Eastern and Western Cultural Values (UNESCO) 40, 41, 110, 111, 113 Malaysia 171, 303, 477 Mali 260, 261 Massenmedien 272–274, 276, 277, 285, 290, siehe auch Kommunikationspolitik, Medienförderung Medienförderung 272–274, 290, 291 Mediennutzungsforschung 22, 23 Medienwirkungsforschung 22, 23 Meeting of Educational Publishers (UNESCO) 112, 264, 265 Memory of the World (UNESCO) 10, 50 Mercado Común del Libro siehe Lateinamerika – Gemeinsamer Buchmarkt Mexiko 85, 133, 136, 148, 315, 362, 370, 373, 380, 428, 458, 463, 489 – Bibliotheken 351, 352, 425 – Buchaußenhandel 308–310, 323, 324, 326, 327 – Buchhandlungen 346–349 – Buchmarkt 311–313, 316, 320, 380, 431 – Buchpolitik 324 – Lesepublikum 338, 354 – Raubdruck 320, 321 – Schulbuch 261, 321, 322 – Verlage 314, 321–324, 327, 336, 386, 388, 431, 441 Modernisierungstheorie 16, 35, 270, 273, 274 Myanmar siehe Burma Mysore State Education Council (Indien) 156 National Book Centre of Pakistan (Pakistan) 168, 175
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Sachregister
National Book Exchange Centre 78–79, siehe auch Schriftentausch National Book League (Großbritannien) 173, 175 National Book Trust (Sri Lanka) 175 Neo-Institutionalismus 25, 31–36 Nepal 171, 477 Nicaragua 400, 405 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen/Buchvertrieb 347, 349 – Buchmarkt 312 – Lesepublikum 354 – Verlage 314 Nigeria 151, 162, 201, 464 – Bibliotheken 216, 217 – Buchmarkt 220, 221, 254, 467 OAS siehe Organisation Amerikanischer Staaten Office of War Information (USA) 428, 429 Onitsha Market Literature (Nigeria) 221 Organisation Amerikanischer Staaten 5, 49 – Bibliotheksförderung 15, 199, 208, 209, 237, 243, 350 – Buchförderung 310, 313, 345, 353, 354, 374 – Lesematerialien / Latin American Fundamental Education Press 138–140, 144–150, 158, 492–494 Organisation für geistige Zusammenarbeit 13, 37–39, 54, 56, 66, 77, 78, 81, 91, 101, 102, 103, 107, 123 Pakistan 115, 155, 157, 160, 164, 165–175, 181, 183, 187, 302, 469, 476, 477 Panama 111, 362, 405, 408 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 261, 309–312 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314, 327, 335, 336 Papier 95, 259, 296, 317–319, 325, 340, 358, 406, 418, 419, 470–472, 478 Paraguay 77, 362 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 312 – Lesepublikum 353–355 – Verlage 314, 335 Peru 315, 362 – Bibliotheken 351
– Buchhandlungen / Buchvertrieb 347, 349 – Buchmarkt 311–313, 328, 334, 335, 379 – Lesepublikum 352, 354 – Verlage 314 pilot public libraries (UNESCO) 199–202, 214–216, 218, 219–227, siehe auch Delhi Public Library, Biblioteca Pública Piloto de Medellín, Enugu Regional Centre Library Pilotbibliothek siehe pilot public libraries Polen 64 Post 96–98, 345, 350, siehe auch Buchversand (Post) Puerto Rico – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Lesepublikum 354 – Verlage 314, 327, 333 Raubdruck 320, 321, 377, 413, 414, 454, 462–465 Reading Material Project (UNESCO) 153–190, 293, 294, 494–508 – Aus- und Weiterbildung 165–168, 182, 183, 506–508 – Branchenverband: National Book Centre 173–177, 180, 182 – Buchmarktforschung 186, 187, 508–511 – Etat 170, 171 – Leseförderung 186–189 – Subventionierung von Publikationen 163–165, 179, 494–505 – Verbesserung der Vertriebsstrukturen 179–185, siehe auch UNESCO Regional Centre for Reading Materials Regional Book Development Centre 296–298, 305, siehe auch CERLALC, CREPLA, Tokyo Book Development Centre, UNESCO Regional Book Development Centre in Asia Regional Technical Aids Centre (Mexiko) 428 Rockefeller Foundation (USA) 67, 199, 243–245, 435 Room to Read (USA) 1 Sambia 151, 260 Schriftentausch 75–81 Schulbuch 27, 251–262 – Entwicklungshilfe 255–258, 428 – Expertenmissionen 260, 261, 514–516 – Funktion 105, 106, 111–113, 251–253, 255, 427
Sachregister
– Verstaatlichung 177, 260, 261 – World Bank 18, 261, 262 – siehe auch Schulbuchrevision Schulbuchrevision 10, 105–115, 251 Schweiz 77, 87, 89, 244, 256 Schweizer Bücherhilfe 67 Secretaría de Educación Pública (Mexiko) 321 Selbstverlag 335, 336, 380 Seminar on the Acquisition of Latin American Library Materials 372 Senegal 15, 243, 244, 257, 302, 458 Servicio Regional de Información sobre el Libro (SRI, CERLALC) 376, 377 Sierra Leone 151, 257, 477 Sindicato Nacional dos Editores de Livros (Brasilien) 348 Sociedad de Mejoras Públicas (Kolumbien) 210, 211 Southern Languages Book Trust (Indien) 173, 180, 182 Sowjetunion 55, 73, 119, 120, 193, 418, 419, 435, 442, 443, 471 – Bibliotheken 228 – Buchaußenhandel 326, 399, 437, 440–446 – Buchproduktion 277, 284 – Lehrbuch 437, 441, 443–445 – Verlage 417, 440 Sozialkonstruktivismus siehe Konstruktivismus Spanien 77, 121, 360, 362 – Buchaußenhandel 87, 308, 309, 315, 316, 324–327, 330, 336, 341, 380, 381 – Buchmarkt 277, 308, 311, 312 – Verlage 314, 336, 344 Spanischer Bürgerkrieg 311, 316 Sri Lanka 153, 155–157, 162, 165, 167, 168, 173–178, 181, 185, 235, 239, 476, 477 Staatsverlag 174, 260, 261, 330, 331, 333, 474–476 Sudan 150, 235, 243, 257, 260 Taiwan 454 Tansania 245, 257, 260 Taschenbuch 66, 184, 275, 276, 278, 286, 317, 330, 349, 427, 446 Textbook revision siehe Schulbuchrevision Thailand 115, 171, 260, 477 Tokyo Book Development Centre (Japan, UNESCO) 297, 370
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Transnationale Geschichte siehe Globalgeschichte Trinidad und Tobago 198, 246, 473, 474 Übersetzungsförderung 122–128, 427, 432, 433, 442, 443 UdSSR siehe Sowjetunion Uganda 235, 244, 245, 260 UN 29, 38, 39, 50, 54–57, 62, 88, 92, 93, 123, 136, 137, 201, 242, 269–271, 274, 290, 291 298, 363, 454 UN Intellectual History Project 38, 40 UNCTAD siehe United Nations Conference on Trade and Development UNDP siehe United Nations Development Programme UNESCO 5, 6 – Arbeitsdokumente 44–45, 50, 160, 196 – Archiv 44–47 – Aufgaben 53–55, 57–60, 117 – Exekutivrat 45, 55 – Experten 155, 156, 159, 160, 166, 167 – Forschungsstand 39–42 – Generaldirektor 45, 46, 56 – Generalkonferenz 45, 55 – Gründung 53–55, 57 – Haushalt/Etat 45, 74, 135, 136, 155, 194, 195 – Nationalkommissionen 46, 56, 57, 99, 109, 110, 119, 124, 155, 165, 167, 169, 181, 207, 234, 297, 299, 481 – Organisationsstruktur 55–57, 161, 162, 172, 173, 181 – Publikationen 45, 46, 168, 194, 195 – Satzung 50, 53–57, 61 – Sekretariat 55, 60 – Stipendien 159, 167, 168, 506–508 – Tagungen 159, 160, 195, 196 – Vorbereitende Kommission (Preparatory Commission) 60, 111, 131 UNESCO Centre for the Production of Textbooks and Teaching Aids (Kamerun) 255–257 UNESCO Collection of Representative Works 122–128, 486 UNESCO Public Library Manifesto (1949) 191–195, 197, 222–224, 232, 248 UNESCO Regional Book Development Centre in Asia (Pakistan) 294, 296, 297, 458
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Sachregister
UNESCO Regional Centre for Educational Information and Research (Ghana) 257, 258, 291 UNESCO Regional Centre for Reading Materials (Pakistan) 169–171, 183, 294 UNESCO Regional Office for the Western Hemisphere (Kuba) 209, 229, 230, 234 UNISIST (UNESCO) 86 United Nation Educational, Scientific and Cultural Organization siehe UNESCO United Nations siehe UN United Nations Conference on Trade and Development 271 United Nations Development Programme 246, 271, 291, 295, 360, 363, 364, 397 United States Agency for International Development (USA) 290, 291, 341, 423, 428, 434, 438 United States Information Agency (USA) 216, 291, 423, 425–429, 432, 434, 435, 438 United States Information Service siehe United States Information Agency Universal Copyright Convention (1952, UNESCO) 101, 102, 453, 454, 456, 457, 463, 484 Universidad Central de Venezuela (Venezuela) 331 Universidad de Antoquia (Kolumbien) 243 Universidad Nacional Autónoma de México (Mexiko) 323 Universidad Nacional de Cuyo (Argentinien) 235 Universitätsbibliothek Löwen (Belgien) 63, 64 University of the West Indies (Jamaika) 246 Urheberrecht 37, 38, 99, 102, 451–466, siehe auch Berne Convention, International Copyright Information Centre, Lizenzhandel, Raubdruck, Universal Copyright Convention Uruguay 77, 80, 362, 408 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 312, 313 – Lesepublikum 353, 354 – Verlage 314, 335, 442 USA 50, 55, 67, 68, 93, 107, 120, 126, 167 – Außenpolitik 14, 15, 423–429, 435 – Bibliotheken / Bibliotheksförderung 13, 15, 185, 187, 193, 216, 197–200, 205, 425, 426 – Buchaußenhandel 87, 326–328, 399, 429–431, 448
– Buchmarkt 16, 66, 184, 277, 308, 374, 428–435, 465 – Entwicklungspolitik 156, 424–429, 434, 435 – Schulbuch / Lehrbuch 427, 428, 438, 439 – Übersetzungsförderung 427, 433 – Verlage 327, 429–432, 438, 439, 467, 469 USAID siehe United States Agency for International Development USIA siehe United States Information Agency Venezuela 362, 373, 381, 408 – Bibliotheken 351 – Buchhandlungen 347 – Buchmarkt 312, 313, 381, 382 – Lesepublikum 354, 355 – Verlage 314, 331, 332, 382, 386 Vereinte Nationen siehe UN Verlage siehe Staatsverlag, Selbstverlag Völkerbund 37, 38, 54, 106, 107, 111, 112, 124, siehe auch Organisation für geistige Zusammenarbeit Weltbank siehe World Bank Weltinformations- und Kommunikationsordnung (UNESCO) 42, 50, 447, 448 Weltkulturerbe (UNESCO) 50, 59 Welttag des Buches siehe World Book and Copyright Day Welturheberrechtsabkommen siehe Universal Copyright Convention World Bank 18, 30, 33, 41, 49, 251, 261, 262, 271, 295, 427 World Book and Copyright Day 10 World Congress on Books (1982, UNESCO) 49, 313, 480–486 World Digital Library (UNESCO) 83 World polity 31–36, 41, 43, 132, 240 World Summit on the Information Society (2005) 489 Zensur 21, 88, 90, 221, 222, 308, 315, 325, 326, 338, 342, 417, 448, 487 Zentralafrikanische Republik 256, 257 Zölle (Buchaußenhandel) 87–96, 343, 344, siehe auch Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Material, Free Flow of Books Zweiter Weltkrieg 14, 54, 61, 63, 64, 90, 101, 316, 338, 424, 428, 429