Bauen für die Weltgemeinschaft: Die CIAM und das UNESCO-Gebäude in Paris 9783110403992, 9783110403473

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German Pages 418 [420] Year 2016

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Internationale Architektur für eine neue Weltorganisation
Paris und die moderne Architektur – ein ambivalentes Verhältnis
Das UNESCO-Gebäudeensemble
Sekretariatsgebäude
Konferenzgebäude
Exekutivratsgebäude
Bauplanung im Zeichen diplomatischer Bemühungen
Die UNESCO in Paris: „Ein intellektuelles Privileg“
Politische Entscheidungen über Baustil und Formensprache
Erste Planungsschritte
Kontroverse Diskussionen über Standorte, Baurestriktionen und Architekten
Das integrative Kunstkonzept
Grenzen der Diplomatie – der schwierige Entwurfsprozess
Die vergeblichen Pläne des Architekten Eugène Beaudouin
Expertenvotum versus Laiengremium
Die Moderne setzt sich durch – das neue Bauprojekt an der Porte Maillot
Behördlicher Protest gegen eine „Notre-Dame des Radiateurs“
Rückkehr zur Place de Fontenoy
Zeitgenössische Kunst für ein modernes Selbstbild: Das UNESCO-Gebäude als ‚Synthèse des Arts‘
Die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ als künstlerisches Manifest der Nachkriegszeit
Ganzheitliche Gestaltung und Künstlerkooperation als Leitmotive bei Walter Gropius und Le Corbusier
Die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ als Künstlerbewegung
Sigfried Giedion und die neue Symbolhaftigkeit moderner Architektur
Künstlerförderung und Kanonbildung: UNESCO-Programme von 1946 bis 1954
Bildung durch Kunst
Programme zur Förderung bildender Künstler
Die Umsetzung der ‚Synthèse des Arts‘
Moderne Kunst versus kulturhistorische Objekte – Einrichtung eines Sondergremiums
Konsensentscheidungen im Kunstberaterkomitee
Exkurs: Der Appell Julian Huxleys an das Kunstberaterkomitee
Die Kunstwerke im UNESCO-Gebäude: Hommage an die École de Paris?
Kunstwerke im Außenbereich
Kunstwerke im Gebäudeinneren
„Au Coeur de Paris le monde a dressé sa tour de Babel" – Die Rezeption des Architekturensembles in internationalen Tageszeitungen und Fachzeitschriften
Zusammenfassung
Das UNESCO -Gebäude im architekturhistorischen Kontext
Der Völkerbundpalast in Genf
Ein Gebäude für die internationale Staatengemeinschaft
Architektenempfehlung versus politischer Pragmatismus
Architekturwettbewerb der Nationen
Ausstattung in Art Déco: luxuriös, repräsentativ, international
Kunstwerke: figurativ und allegorisch
Das UN-Hauptquartier in New York
Standortwahl und frühe Planungsphase
Exkurs: Le Corbusiers Vorschläge für das zukünftige UN-Hauptquartier
Das New York Committee for the UN
„A Workshop for Peace“
Die Innenausstattung: funktional und modern
Kunst für das UN-Gebäude: zeitgenössisch und unpolitisch
Vergleich der drei Bauten
Historismus versus Moderne
Art Déco versus Industriedesign
Figürlicher Realismus versus Moderne Kunstformen
Bauen für die Weltgemeinschaft – Die CIAM und die Vereinten Nationen
Präzedenzfall Völkerbundpalast: Die moderne Bewegung solidarisiert sich
Le Corbusiers Wettbewerbsentwurf und dessen internationale Resonanz
CIAM 1928: Gründung eines internationalen Architektenverbands
Neues Bauen für den Weltfrieden: Die CIAM und die UN
Die Entwicklung der CIAM in den USA
Erste Kontakte zu den Vereinten Nationen
Einflussnahme auf den Bau des UN-Gebäudes
Exkurs: Le Corbusiers tragische Rolle beim UN-Entwurf
Die CIAM und die United Nation’s Sub-Commission for Housing Problems
Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO
Ein UNESCO-Programm zur Verbesserung der Architektenausbildung
Der Bridgwaterkongress 1947 und die Idee einer CIAM-Schule
Sigfried Giedions Bemühungen um UNESCO-Kooperationen
Der internationale Künstlerkongress in Venedig
Die CIAM und das UNESCO- Gebäude
Schlussbetrachtungen
Anhang
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der ausgewerteten Archive
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
Ortsregister
Bildnachweis
Tafelteil
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Bauen für die Weltgemeinschaft: Die CIAM und das UNESCO-Gebäude in Paris
 9783110403992, 9783110403473

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Bauen für die Weltgemeinschaft

Band 2

Reflexe der immateriellen und materiellen Kultur Herausgegeben von Eva-Maria Seng und Frank Göttmann

Katrin Schwarz

Bauen für die Weltgemeinschaft Die CIAM und das UNESCO-Gebäude in Paris

De Gruyter

Gedruckt mit großzügiger finanzieller Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf.

ISBN 978-3-11-040347-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040399-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040406-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Paderborn, Univ., Diss., 2014 © 2016 Walter De Gruyter GmbH Berlin/Boston Einbandabbildung: Paris, Vogelperspektive auf das Unesco-Gebäude, © UNESCO/Foto: P. Guignard Satz: SatzBild, Ursula Weisgerber Druck und Bindung: Hubert & Co GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort   9 Einleitung   11

Internationale Architek tur für eine neue Weltorganisation    21

Paris und die moderne Architektur – ein ambivalentes Verhältnis    23 Das UNESCO-Gebäudeensemble   28 Sekretariatsgebäude   28 Konferenzgebäude   34 Exekutivratsgebäude   38 Bauplanung im Zeichen diplomatischer Bemühungen   39 Die ­U NESCO in Paris: „Ein intellektuelles Privileg“   39 Politische Entscheidungen über Baustil und Formensprache   45 Erste Planungsschritte    45 Kontroverse Diskussionen über Standorte, Baurestriktionen und Architekten   48 Das integrative Kunstkonzept   55 Grenzen der Diplomatie – der schwierige Entwurfsprozess   59 Die vergeblichen Pläne des Architekten Eugène Beaudouin   59 Expertenvotum versus Laiengremium   65 Die Moderne setzt sich durch – das neue Bauprojekt an der Porte Maillot   71 Behördlicher Protest gegen eine „Notre-Dame des Radiateurs“   78 Rückkehr zur Place de Fontenoy   81

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|     Inhaltsverzeichnis

Zeitgenössische Kunst für ein modernes Selbstbild: Das UNESCO-Gebäude als ‚Synthèse des Arts‘   91 Die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ als künstlerisches Manifest der Nachkriegszeit   92 Ganzheitliche Gestaltung und Künstlerkooperation als Leitmotive bei Walter Gropius und Le Corbusier   92 Die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ als Künstlerbewegung   97 Sigfried Giedion und die neue Symbolhaftigkeit moderner Architektur    103 Künstlerförderung und Kanonbildung: UNESCO-Programme von 1946 bis 1954   107 Bildung durch Kunst   108 Programme zur Förderung bildender Künstler   110 Die Umsetzung der ‚Synthèse des Arts‘   115 Moderne Kunst versus kulturhistorische Objekte – Einrichtung eines Sondergremiums   116 Konsensentscheidungen im Kunstberaterkomitee   121 Exkurs: Der Appell Julian Huxleys an das Kunstberaterkomitee   127 Die Kunstwerke im UNESCO-Gebäude: Hommage an die École de Paris?   129 Kunstwerke im Außenbereich   130 Kunstwerke im Gebäudeinneren   153 „Au Coeur de Paris le monde a dressé sa tour de Babel"  – Die Rezeption des Architekturensembles in internationalen Tageszeitungen und Fachzeitschriften   178 Zusammenfassung   190

Das UNESCO - Gebäude im architek turhistorischen Kontex t   193

Der Völkerbundpalast in Genf   198 Ein Gebäude für die internationale Staatengemeinschaft   198 Architektenempfehlung versus politischer Pragmatismus   203 Architekturwettbewerb der Nationen   212 Ausstattung in Art Déco: luxuriös, repräsentativ, international   226 Kunstwerke: figurativ und allegorisch   231

Inhaltsverzeichnis     |

Das UN-Hauptquartier in New York   248 Standortwahl und frühe Planungsphase   248 Exkurs: Le Corbusiers Vorschläge für das zukünftige UN-Hauptquartier   251 Das New York Committee for the UN   256 „A Workshop for Peace“   260 Die Innenausstattung: funktional und modern   274 Kunst für das UN-Gebäude: zeitgenössisch und unpolitisch   280 Vergleich der drei Bauten   288 Historismus versus Moderne   289 Art Déco versus Industriedesign   294 Figürlicher Realismus versus Moderne Kunstformen   296 Bauen für die Weltgemeinschaft – Die CIAM und die Vereinten Nationen   301

Präzedenzfall Völkerbundpalast: Die moderne Bewegung solidarisiert sich   304 Le Corbusiers Wettbewerbsentwurf und dessen internationale Resonanz   305 CIAM 1928: Gründung eines internationalen Architektenverbands   318 Neues Bauen für den Weltfrieden: Die CIAM und die UN   325 Die Entwicklung der CIAM in den USA   325 Erste Kontakte zu den Vereinten Nationen   327 Einflussnahme auf den Bau des UN-Gebäudes   328 Exkurs: Le Corbusiers tragische Rolle beim UN-Entwurf   333 Die CIAM und die United Nation’s Sub-Commission for Housing Problems   338 Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO   345 Ein UNESCO-Programm zur Verbesserung der Architektenausbildung   345 Der Bridgwaterkongress 1947 und die Idee einer CIAM-Schule   346 Sigfried Giedions Bemühungen um UNESCO-Kooperationen   353 Der internationale Künstlerkongress in Venedig   357 Die CIAM und das U ­ NESCO-Gebäude   359

7

8

|     Inhaltsverzeichnis

Schlussbetr achtungen   369 Anhang   377

Literaturverzeichnis   379 Verzeichnis der ausgewerteten Archive   390 Abkürzungsverzeichnis   391 Personenregister   393 Ortsregister   399 Bildnachweis   403 Tafelteil   405

Vorwort

Die vorliegende Arbeit war nur durch die Unterstützung und Hilfe vieler möglich, deshalb möchte ich mich bedanken bei Jens Boel, Adele Torrance und Mahmoud Ghander vom UNESCO-Archiv in Paris sowie bei Carole Darmouni von der UNESCO Division de l’Information du Public, bei Jacques Oberson vom UNOG-Archiv in Genf, bei Remi Dubuisson und Amanda Leinberger vom UN-Archiv in New York, bei den Smithsonian Institutions – Archives of American Art in Washington D.C., beim Centre d’A rchives d’A rchitecture du xx ième Siècle in Paris, beim Bauhaus-Archiv in Berlin, bei Dr. Daniel Weiss vom gta-Archiv an der ETH Zürich und bei den Bildstellen der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und der Universitätsbibliothek Heidelberg. Ermöglicht wurde das Vorhaben durch ein Stipendium der Gerda Henkel Stiftung, die zudem den Druck dieser Arbeit großzügig unterstützt. Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter Prof. Dr. Eva-Maria Seng, die meine Dissertation betreute und mir mit wertvollem Rat stets zur Seite stand. Bedanken möchte ich mich auch bei meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Andreas Beyer und der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn, die mehrere Archivaufenthalte durch Reisemittel unterstützte. Für die Hilfe und Unterstützung bei der Fertigstellung der Arbeit und des Manuskripts danke ich sehr herzlich Dr. Gerd Brüne, Harald Hemprich, Henning Schwarz und Fritz Müller. Das Buch erscheint in der Reihe Reflexe der immateriellen und materiellen Kultur und ich danke den Herausgebern Prof. Dr. Eva-Maria Seng und Prof. Dr. Frank Göttmann sowie dem Walter de Gruyter Verlag. Bühl, im Dezember 2015

Einleitung

An einem der exponiertesten Orte in Paris befindet sich das von der kunsthistorischen Forschung bislang kaum beachtete Architekturensemble der ­U NESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization). Die 1946 gegründete Sonderorganisation der Vereinten Nationen plante und realisierte von 1951 bis 1958 an der Place de Fontenoy – in der Blickachse des Eiffelturms und in direkter Nachbarschaft zur altehrwürdigen École Militaire – ihr neues Hauptquartier nach modernsten bautechnischen Standards des sogenannten ‚Internationalen Stils‘1 (Taf. I). Hierfür beauftragte sie Marcel Breuer (1902–1981), Pier Luigi Nervi (1891–1979) und Bernard Zehrfuss (1911– 1996), die den Planungs- und Bauprozess in enger Kooperation mit Walter Gropius (1883–1969), Le Corbusier (1887–1965), Sven Markelius (1889–1972), Ernesto Rogers (1909–1969) und Lucio Costa (1902–1998) durchführten. Mit diesen international renommierten Architekten hatte sich die ­U NESCO für die Hauptakteure der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM)2 entschieden, einen Architektenverband, der seit seiner Gründung im Jahr 1928 das Neue Bauen und den modernen Städtebau 1 Der Begriff ‚Internationaler Stil‘ wurde erstmals 1932 in dem von Henry Russel Hitchcock und Philip Johnson herausgegeben Ausstellungskatalog ‚The International Style‘ Architecture since 1922 verwendet. Er fasste die von Europa ausgehenden neuen Tendenzen in der Architektur z­ usammen, indem er ihre wichtigsten Merkmale und formalen Kriterien (kubische Formen­sprache und funktio­ nale Raumkonzeptionen) beschrieb. Obwohl zahlreiche Architekten (etwa Walter Gropius) den Begriff ‚Internationaler Stil‘ stets ablehnten, da er regionale Besonderheiten innerhalb der moder­ nen Architekturbewegung nivellierte, setzte er sich vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg als Stilbegriff durch. Er betonte die internationale Verbreitung der modernen Architektur. Vgl. Khan, Hasan-Uddin: International Style. Architektur von 1925–1965, Köln 2009; Pevsner, Nikolaus/ Honour, Hugh/Fleming, John (Hg.): Lexikon der Weltarchitektur, München 1987, S. 300f. Die Akteure moderner Architektur bevorzugten in den 1920er Jahren (im deutschen Sprachraum) die Bezeichnung ‚Neues Bauen‘. So lautete etwa der Titel der 1928 in Zürich eröffneten Wanderausstel­ lung des Deutschen Werkbundes ‚Neues Bauen 1928–1930. Vgl. Kirsch, Karin: Internationales Neues Bauen 1927/2002. Ein imaginäres Museum der frühen Modernen Architektur. Versuch einer Dokumentation, in: Ausst.-Kat. Stuttgart 2002: Neues Bauen International 1927/2002, hrsg. v. Institut für Auslandsbeziehungen e. V., Stuttgart 2002, S. 61–71. 2 Die deutsche Übersetzung von CIAM lautet: Internationale Kongresse für Neues Bauen.

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|     Einleitung

international voranbringen wollte. 3 Das ­U NESCO-Hauptquartier markiert eines der ersten, nach ihren Grundsätzen errichtete Gebäudeensemble im Paris der Nachkriegszeit. Da dort die Baugesetze bis weit in die 1950er Jahre hinein strikten Anpassungsvorgaben an die historische Stadtlandschaft unterlagen, sorgte vor allem das Y-förmige Sekretariatsgebäude, mit einem für die Zeitgenossen ungewöhnlichen Erscheinungsbild – Pilotis, Fensterbänder, Brises-Soleil und Flachdach – für erhebliches öffentliches Aufsehen und kontroverse Diskussionen. Diese reichten von bejubelnder Zustimmung bis hin zu schmähender Ablehnung.4 Der Widerwille der Pariser Bürger und Behörden richtete sich allerdings nicht nur gegen die äußere Form des modernen Bürokomplexes. Neben einer wegweisenden Architektur hatte die ­U NESCO ihr Bauwerk als sogenannte ‚Synthèse des Arts’‚ als ein ‚integratives Kunstwerk‘ geplant und von den Architekten bei der Raumgestaltung eine Zusammenarbeit mit bekannten zeitgenössischen Künstlern gefordert. Die Werke Pablo Picassos (1881–1973), Henry Moores (1898–1986), Joan Mirós (1893–1983), Alexander Calders (1998–1976), Jean Arps (1886–1966), Roberto Mattas (1911–2001) und anderer Vertreter avantgardistischer Stile waren aufgrund ihres wenig repräsentativ erscheinenden Charakters heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Das ­U NESCO-Ensemble zeugt vom politischen Willen der Weltorganisation, in den 1950er Jahren explizit den Baustil der Moderne sowie zeitgenössische Kunstwerke zum ­ NESCO von Zwecke politischer Repräsentation gewählt zu haben. Damit rückte die U tradierten Repräsentationsformen ab – etwa bezugnehmenden Bautypen, allegorischem Bauschmuck, Emblemen oder Bildprogrammen mit Personifikationen – wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur bildlichen Gestaltung politischer Bauwerke üblich waren. Ihrer Entscheidung für ein exzeptionell modernes Bauprojekt, so die Hauptthese dieser Arbeit, lag eine politische Motivation zugrunde, bewusst einen Bezugsrahmen zwischen der eigenen Ideologie und zeitgenössischen künstlerischen Positionen her zu stellen: Moderne Architektur und Kunst, die seit der Jahrhundertwende auch in Paris von avantgardistischen Künstlerzirkeln entwickelt worden waren, sollten nach dem Zweiten Weltkrieg zum wesentlichen Bestandteil eines neuen internationalen Kulturkanons werden, für dessen Durchsetzung sich die ­U NESCO einsetzte. Dieser Kulturkanon sollte im eigenen Hauptquartier zum Ausdruck gebracht werden. Strategien und Praxis der beim ­U NESCO-Gebäude vorgenommenen Bedeutungszuschreibung sind Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung. Damit verortet sich

3 Zur Geschichte der CIAM siehe: Giedion, Sigfried: Dix Ans d’A rchitecture Contemporaine, Zürich 1951; Steinmann, Martin: Internationale Kongresse für Neues Bauen. Congrès Internationaux d’A rchitecture Moderne. Dokumente 1928–1939, Basel, Stuttgart 1979; Hilpert, Thilo: Le Corbusiers Charta von Athen, Braunschweig, Wiesbaden 1984; Mumford, Eric: The CIAM Discourse on Urbanism. 1928–1960, Cambridge, Massachusetts 2000; Ders.: Defining Urban Design. CIAM Architects and the Formation of a Discipline. 1937–69, New Haven, Connecticut 2009; Heuvel, Dirk van den/Risselada, Max (Hg.): Team 10. 1953–81. In search of a Utopia of the present, Rotterdam 2005. 4 Auf die internationale Rezeption des Gebäudes wird am Ende des ersten Teils eingegangen.

Einleitung     |

die Arbeit im wissenschaftlichen Diskurs ‚politischer Architekturen‘. Der Begriff ‚politische Architektur‘, der in den 1980er Jahren von Kunst- und Architekturhistorikern wie Martin Warnke, Vittorio Lampugnani und Winfried Nerdinger zur konzisen Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes eingeführt wurde, wird ausschließlich auf solche Bauten angewendet, die explizit politischen Funktionen dienen.5 Mit dem Versuch, in einem Bauwerk unmittelbare Zusammenhänge zwischen Funktion, Form und politischen Inhalten zu rekonstruieren, grenzten sich diese Autoren von einer älteren Fachtradition ab, die epochenübergreifend und auf einer breiteren Basis ‚Architektur als Bedeutungsträger‘ untersuchte.6 Seit dem Cultural Turn der Geisteswissenschaften wird auch in der Kunstwissenschaft Architektur als kulturelles Phänomen aufgefasst und als ein vom Menschen gemachtes und in dessen Bedeutungszusammenhänge eingebettetes Werk begriffen.7 Neben religiösen, philosophischen, ökonomischen, technischen und künstlerischen Gesichtspunkten kann demnach Architektur grundsätzlich auch Aspekte des Politischen beinhalten. Damit sind zunächst all jene Zusammenhänge gemeint, die zwischen einem Bauwerk und der Politik bestehen. So kann eine Regierung als Auftraggeber von Bauwerken in Erscheinung treten oder das Bauen selbst zentrale Aufgabe von Politik sein: Straßen- und Wohnungsbau, der Bau von Kindergärten, Schulen und Universitäten, Museen und Denkmäler aber auch Grenzbauten und Sicherheitsanlagen las5 Vgl. Warnke, Martin: Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft, Köln 1984; Lampugnani, Vittorio Magnago: Architektur als Kultur. Die Ideen und die Formen, Köln 1986; Gauger, Jörg-Dieter/Stagl, Justus (Hg.): Staatsrepräsentation, Berlin 1992; Hipp, Hermann/Seidl, Ernst (Hg.): Architektur als Politische Kultur, Berlin 1996, Nerdinger, Winfried: Architektur, Macht, Erinnerung, München, Berlin, New York 2004. 6 Die Kunstgeschichte untersucht repräsentative Visualisierungsstrategien bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts und entwirft seitdem unterschiedliche Perspektiven auf ‚Architektur als Bedeutungsträger‘. Durch eine systematische Erforschung von Bauwerken unter der Fragestellung wie ein Bauwerk bestimmte Ideen oder gar politische Programme in sich aufnehmen, vermitteln oder ausdrücken könne, wurde durch folgende Autoren eine bislang ausschließlich auf Stil- und Formanalyse basierende Methode der Architekturbetrachtung zugunsten ikonographischer und ikonologischer Deutungsschemata überwunden und dadurch der Interpretationsraum von Architektur insgesamt erweitert: Bandmann, Günter: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, München 1951; Panofsky, Erwin: Gothic Architecture and Scholasticism, Latrobe 1951; Simson, Otto von: Die gotische Kathedrale, Erstauflage New York 1956 (hier: Darmstadt 1972); Sedlmayr, Hans: Die Entstehung der Kathedrale, Erstauflage Zürich 1950 (hier: Graz 1988); Ders.: Die Schauseite der Karlskirche in Wien, in: Braunfels, Wolfgang (Hg.): Kunstgeschichtliche Studien für Hans Kauffmann, Berlin 1956, S. 262–271; Moos, Stanislaus von: Turm und Bollwerk. Beiträge zu einer politischen Ikonographie der italienischen Renaissancearchitektur, Zürich 1974; Reinle, Adolf: Zeichensprache der Architektur. Symbol, Darstellung und Brauch in der Baukunst des Mittelalters und der Neuzeit, Zürich, München 1976; Warnke, Martin: Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen, Frankfurt a. M. 1976. 7 An dieser Stelle sei auf den in den Kulturwissenschaften häufig aufgegriffenen semiotischen Ansatz Umberto Ecos verwiesen. Ihmzufolge gestaltet der Mensch als Kulturwesen seine Umwelt über ein System von Kommunikationsbeziehungen. Dabei codiert dieser sowohl sein eigenes Handeln wie auch seine kulturellen Objekte durch eine Vielzahl von Zeichensystemen. Nach Ecos Prinzip des Zeichenhaften wird auch Architektur über ihre rein bauliche Substanz hinaus Bedeutung zugeführt. Vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, München 1988.

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|     Einleitung

sen sich den Ressorts von Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs-, Kultur- und Sicherheitspolitik zuordnen.8 Das politische Moment solcher Bauten ist darin zu sehen, dass sie selbst Ergebnis politischer Prozesse darstellen. Die Planung in politischen Gremien, die Entscheidungsfindung durch demokratische Abstimmungen, das Ausloben von Architekturwettbewerben zur verfassungsgemäßen Vergabe von Bauprojekten sind selbst Teil politischen Handelns. In diesem Kontext ist auch das Pariser ­U NESCO-Gebäude als eine ‚politische Architektur‘ zu begreifen, denn die U ­ NESCO als Organisation der internationalen Staatengemeinschaft tritt mit der Entscheidung für ein neues Hauptquartier als Bauherr in Erscheinung: sie initiiert, leitet und finanziert den Entwurfs- und Bauprozess ihres Gebäudeensembles und bedient sich dabei aller oben genannten politischen Umsetzungsstrategien. Dieses sehr allgemeine Verständnis von ‚politischer Architektur‘ berücksichtigt allerdings noch nicht wahrnehmbare Bezüge zwischen politischer Intention und tatsächlich gebautem, architektonischem Raum. Es schließt keine vom Bauherren intendierte Wirkungsabsicht ein. Kategorien für eine solche stellt Winfried Nerdinger auf. Sein theoretischer Ansatz erweist sich für die vorliegende Untersuchung als fruchtbar: Nerdinger begreift zunächst nur solche Bauwerke als ‚politische Architekturen‘, die explizit politischen Funktionen dienen. Das Funktionsgehäuse einer Architektur könne dabei jedoch niemals im engeren Sinne politisch sein, sondern lediglich durch eine bestimmte Beschaffenheit Eindruck evozieren.9 Eine besondere Problematik in der Debatte um ‚politische Architekturen‘ des 20. Jahrhunderts sieht Nerdinger in dem von Kunsthistorikern unternommenen Versuch, Bauten über stilistische Kategorisierungen gezielt politischen Systemen zuzuordnen. Er kritisiert eine solche Zusammenführung von architektonischen Merkmalen und Ideologien und daraus resultierende Begriffsschöpfungen wie stalinistische, faschistische oder demokratische Architektur.10 Auch wenn eine direkte stilistische Bezugnahme, wie sie auch in der vorliegenden Arbeit beim ­U NESCO-Gebäude nachgewiesen werden soll, von politischer Seite aus beabsichtigt ist, so dürfe sie nicht zu einer historischen Kategorie werden. Nerdinger verweist zudem in Anlehnung an Maurice Halbwachs auf den Aspekt der Erinne­r ung und schließt in seine Begriffsreflexion über ‚politische Architektur‘ stets den Rezipienten eines Bauwerks mit ein.11 Ohne den Beobachter und dessen im kollektiven Gedächtnis verankerte Erinne-

  8 Vgl. Warnke, Martin: Einführung zum Sammelband Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute. Repräsentation und Gemeinschaft, Köln 1984, S. 7–18.   9 Vgl. Nerdinger 2004, S. 13. 10 Beispielgebend sei hier verwiesen auf: Kawtaradse, Sergej/Tarchanow, Alexej: Stalinistische Architektur, München 1992. 11 Verwiesen wird an dieser Stelle auf Maurice Halbwachs und seine Theorie des kollektiven Gedächtnisses, die Jan Assmann aufgriff, als Theorie weiterentwickelte und für einen interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Diskurs fruchtbar machte. Vgl. Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967. Vgl. Assmann, Jan: Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, Ders.: Das kulturelle Gedächtnis, München 1999.

Einleitung     |

rung, funktioniere das Erfassen eines Gesamtzusammenhangs von Form, Funktion, Inhalt und Bedeutung nicht.12 In Hinsicht auf Visualisierungsstrategien politischer Wirkungsabsicht unterscheidet Nerdinger drei Modelle: 1. Die Assoziation zwischen einer Form und einer Bedeutung, die über einen bestimmten Seheindruck entsteht, beispielsweise übersteigerte Größenverhältnisse oder prunkvolle Ausstattung. 2. Die direkte Illustration einer Bedeutung durch skulpturale Bildprogramme (Personifikationen, Allegorien, Embleme, Architecture parlante). 3. Die historische Argumentation für eine Bauform, und zwar durch die Übernahme von bestimmten Bautypen oder Bauteilen, denen bewusst eine Mittlerfunktion zugedacht wird, indem sie ideelle Bezüge zur Vergangenheit herstellen.13 Auf das U ­ NESCO-Gebäude angewendet, leiten sich aus diesen Visualisierungsstrategien folgende Fragestellungen ab: Welchen Eindruck möchte die U ­ NESCO mit ihrem neuen Hauptquartier erzeugen? Welches sind dezidiert politische Inhalte, die das neue Gebäude bzw. die dafür angefertigten Kunstwerke zum Ausdruck bringen sollen? Weshalb erachtet die Weltorganisation gerade moderne Architektur- und Kunstformen, die sich eher durch Bedeutungsoffenheit auszeichnen, als adäquate politische Repräsentationsformen? Wo liegen ideologische Schnittstellen zwischen den avantgardistischen Kunstströmungen der ersten Jahrhunderthälfte und der internationalen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg? Welche Rolle spielen überhaupt Künstler und Architekten im ­ NESCO bei ihrem Bauwerk auf architektonische Planungs- und Bauprozess? Greift die U Vorbilder zurück oder distanziert sie sich etwa von Vorgängerbauten? Wie steht es um die Lesbarkeit des Architekturensembles zum Zeitpunkt seiner Entstehung, wie wurde es von Zeitgenossen aufgefasst und wie sehen wir es heute? Da die ­U NESCO als internationale Organisation immer nur aus dem politischen Konsens ihrer Mitgliedstaaten heraus agieren kann, werden in der vorliegenden Arbeit vor allem die unterschiedlichen Interessen an dem Bauprojekt herausgestellt und der Einflussbereich verschiedener Akteursgruppen auf Bauprozess und Bauwerk untersucht. Insgesamt soll dadurch aufgezeigt werden, wie sich ‚politischer Raum‘ (im kunsthistorischen Sinne als architektonisch gebauter Raum) generell konstituieren kann. Die Autorin greift damit Überlegungen des als Spatial Turn bezeichneten, theoretischen Deutungsansatzes der Geistes- und Sozialwissenschaften auf, bei dem Raum generell als eine neue Wahrnehmungskategorie diskutiert wird.14 Der Soziologin Martina Löw zufolge ist Raum kein vom Menschen unabhängig existierender Behälter, sondern 12 Vgl. ebd., S. 8. 13 Vgl. Nerdinger 2004, S. 18. 14 Vgl. Döring, Jörg/Thielmann, Tristan (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008; Lehmann, Annette Jael/Ursprung, Philip (Hg.): Bild und Raum. Klassische Texte zu Spatial Turn und Bildwissenschaft, Bielefeld 2010.

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16

|     Einleitung

Ergebnis sozial verhandelter Prozesse.15 Auf die Architekturbetrachtung angewendet, steht demnach weniger singulär die architektonische Hülle im Zentrum der Untersuchung, sondern vielmehr die Frage, wie sich diese in der architektonischen Praxis konstituiert und welche Bedeutung ihr durch verschiedene Akteure zugeschrieben wird. Dies wirft unter anderem auch die Frage nach der tatsächlichen Wirkmächtigkeit des Bauwerkes auf.16 Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst die historischen Voraussetzungen für ein modernes Hauptquartier der U ­ NESCO in Paris dargelegt und eine Gegenstandsbeschreibung des Architekturensembles vorgenommen. Anschließend wird der gesamte Planungs- und Bauprozess einer umfassenden Analyse unterzogen. Diese basiert überwiegend auf den Protokollen des sogenannten Comité du Siège (im Folgenden Hauptquartierkomitee), demjenigen politischen Gremium der ­U NESCO, das für die Bauplanung verantwortlich war. Kontroverse Diskussionen über einzelne Planungsschritte sowie politische Entscheidungen über Baustil, Formensprache und geeignete Architekten lassen sich aus den Quellen rekonstruieren und gezielt politischen Gruppen und Einzelakteuren zuordnen. Dabei können unterschiedliche Intentionen an dem Bauprojekt offengelegt werden. Das Einbeziehen der CIAM-Architekten dynamisiert schließlich den Bauprozess, da plötzlich Bauexperten den als ‚Laien‘ zu bezeichnenden Delegierten des Hauptquartierkomitees selbstbewusst entgegentreten. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen politischer und professionalisierter Bauplanung, indem Vorstellungen von Bedeutungszusammenhängen neu verhandelt werden. Eine zentrale Funktion kommt dabei dem manifest-ähnlichen Baukonzept zu, in dem eine ‚Synthese der Künste‘, eine Art ‚Gesamtkunstwerk‘ gefordert wird. Seine Herkunft sowie seine Umsetzung werden ausführlich erörtert. Das Zusammenwirken von ­U NESCO-Politikern und künstlerischen Akteuren der Moderne entfaltet dabei eine erstaunliche Eigendynamik und verändert die Perspektive der beabsichtigten Bedeutungsübertragung in das Bauwerk der Moderne. Der erste Teil endet mit der Rezeption des ­U NESCO-Ensembles und einer Zusammenfassung der Erkenntnisse. Um den Stellenwert des ­ U NESCO-Gebäudes als politisches Bauwerk sowie als Architektur der Moderne richtig einschätzen zu können, bedarf es im zweiten Teil dieser Arbeit einer Kontextualisierung mit zwei unmittelbaren Vorbildern, dem Völkerbundpalast in Genf (1927–1936) und dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York (1947–1952). Die Autorin folgt damit sowohl Nerdingers Grundannahme von historischen Bezügen bei ‚politischen Bauten‘ als auch dem theoretischen Ansatz Martin Warnkes. Auch dieser geht davon aus, dass bei Bauwerken durch direkte bautypolo-

15 Vgl. Löw, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt a. M. 2001. 16 Die Autorin folgt an dieser Stelle dem theoretischen Ansatz Ernst Seidls, der die These von ‚politischen Raumtypen‘ aufstellt. Vgl. Seidl, Ernst: Politischer Raumtypus. Einführung in eine vernachlässigte Kategorie, in: ders. (Hg.): Politische Raumtypen. Zur Wirkungsmacht öffentlicher Bau- und Raumstrukturen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2009, S. 9ff.

Einleitung     |

gische Bezugnahmen politische Bedeutung übertragen werden kann.17 Ihm zufolge entsteht ein sogenannter ‚Gegenbau‘ immer dann, wenn sich ein ‚Vorgängerbau‘ bereits zu einem Ausdrucksträger entwickelt hat und mehr vermittelt als nur ein ästhetisches Programm.18 Völkerbundpalast, UN- und U ­ NESCO-Gebäude erfüllen alle die Funktion von Parlamentsbauten der internationalen Staatengemeinschaft und werden auf ihre Eigenschaften als ‚Gegenbauten‘ hin untersucht. Vergleichskategorien sind dabei die Planungsprozesse politischer Gremien, ideelle Baukonzepte sowie Auswahlverfahren von Architekten. Desweiteren werden Architekturform, künstlerische Gestaltung und Ausstattung der Gebäude in den Blick genommen. Ziel ist es, anhand der Bauten der internationalen Organisationen im 20. Jahrhundert eine konzeptionelle Veränderung im Prozess politischer Bedeutungszuschreibung aufzuzeigen. Die Entstehungsgeschichte der drei Bauwerke, so der zentrale Aspekt des dritten Teils, ist eng verknüpft mit der Geschichte der CIAM. Ihre Entwicklung von einem kleinen Interessenverband hin zu einer weltweit agierenden, einflussreichen NGO mit zahlreichen nationalen Gremien kann explizit anhand der Bauten der Internationalen Organisationen aufgezeigt werden. Ihre Gründung 1928 steht dabei unmittelbar in Zusammenhang mit dem gescheiterten Wettbewerbsentwurf Le Corbusiers zum Völkerbundpalast. Die CIAM entwickelten nach dem Zweiten Weltkrieg eine konkrete Strategie, um ihre Positionen im Bereich des modernen Städtebaus weltweit durchzusetzen: Sie strebten eine direkte Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der U ­ NESCO an und versuchten über diese beiden internatio­nalen Organisationen, ihren Einflussrahmen auf einer überstaatlichen Ebene auszuweiten. Anhand konkreter Projekte wird die Kooperation von CIAM, UN und ­U NESCO nachgewiesen. Die Bauprojekte von UN und ­U NESCO sollen zum einen den jeweiligen Status quo ihres internationalen Erfolges widerspiegeln und zum anderen den grundlegenden Einfluss der CIAM im Zuschreibungsprozess dieser politischen Architekturen verdeutlichen. Im vierten und letzten Teil werden alle Ergebnisse der Arbeit zusammengetragen. Methodisch gründet die vorliegende Untersuchung auf einem umfassenden Quellen­ studium. Hierfür wurden Archivalien aus dem ­U NESCO-Archiv und dem Centre d’ Archives d’Architecture du XXième Siècle in Paris, dem Archives de la Société des Nations (SdN) und dem UN-Archiv in Genf (UNOG), dem UN-Archiv in New York und den Smithsonian Institutions, Archives of American Art in Washington D.C., sowie dem Archiv für die Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich und dem Bauhaus-Archiv in Berlin gesichtet und ausgewertet. ­ NESCO-Gebäude Als für die vorliegende Arbeit wichtige Sekundärliteratur über das U erwies sich zunächst eine an der Universität Hamburg eingereichte und unveröffent-

17 Warnke, Martin: Bau und Gegenbau, in: Hipp/Seidl 1996, S. 12. 18 Vgl. ebd.

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lichte Magisterarbeit Carl Tillessens aus dem Jahr 1992.19 Der Autor zeigt darin den Entstehungs- und Bauprozess des Gebäudeensembles chronologisch auf, ohne jedoch auf Bedeutungszusammenhänge zwischen Bauwerk, Stil, Kunstwerken und politischer Intention einzugehen und ohne die Rolle der CIAM explizit zu untersuchen. Etwa zeitgleich mit der Entstehung der vorliegenden Arbeit veröffentlichte 2010 der Architekturhistoriker Christopher Pearson eine Baumonographie unter dem Titel Designing ­U NESCO – Art, Architecture and International Politics at Mid-Century.20 Ähnlich wie in der vorliegenden Arbeit untersucht Pearson anhand der Geschichte der U ­ NESCO die Zusammenhänge zwischen Kunst, Architektur und Politik. Hierfür wertet er allerdings nicht die frühen Programme der ­U NESCO aus, sondern zieht die idealistischen Ideen von ­U NESCO-Generaldirektoren wie Julian Huxley oder Luther Evans heran. Unter Berücksichtigung des UN-Gebäudes in New York deutet Pearson das ­U NESCO-Ensemble als Versuch der Weltorganisation, den Gegensatz zwischen humanistischen Werten einerseits und technologischem Fortschritt andererseits durch eine Verbindung von moderner Kunst und Architektur aufzulösen. Die Rolle der CIAM im Zuschreibungsprozess politischer Symbolik vernachlässigt der Autor. Die Geschichte des Völkerbundpalasts in Genf beleuchtet der Schweizer Architekt Jean-Claude Pallas in einer umfangreichen und vor allem reich bebilderte Baumonographie aus dem Jahr 2001. Der Autor trägt darin zahlreiche Daten und Fakten zusammen und nimmt eine ausführliche Beschreibung der Innenausstattung vor. Den Entstehungsprozess des Bauwerks untersucht er jedoch weder systematisch noch kritisch.21 Als wesentlich aufschlussreicher sowohl für die Entstehung des Völkerbundpalastes als auch für die Rolle Le Corbusiers in Genf erweisen sich die Beiträge in dem 1988 von Werner Oechslin herausgegebenen Sammelband über Le Corbusier und Pierre Jeannerets Wettbewerbsprojekt.22 Eher spärlich hingegen findet sich Sekundärliteratur, welche die Geschichte des UN-Gebäudes aufarbeitet. Einblicke in den mehrwöchigen Designprozess liefert George A. Dudley in seiner 1994 erschienenen Publikation A Workshop for Peace.23 Als Assistent Wallace K. Harrisons 1947 selbst in den Entstehungsprozess des Bauwerks involviert, liefert der Autor zwar interessante Einblicke in Abläufe, Schwierigkeiten und persönliche Animositäten zwischen den beteiligten Architekten. Seine subjektive Sichtweise und eine damit einhergehende Heroisierung Harrisons zwingen den Leser jedoch, diese Publikation eher als historische Quelle denn als kritische Auseinandersetzung mit dem Bauwerk zu behandeln. Die Geschichte 19 Vgl. Tillessen, Carl: Das Hauptquartier der U ­ NESCO in Paris von Marcel Breuer, Pier Luigi Nervi und Bernard Zehrfuss. Unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Hamburg 1992. 20 Vgl. Pearson, Christopher: Designing ­U NESCO. Art, Architecture and International Politics at Mid-Century, Ashgate 2010. 21 Vgl. Pallas, Jean-Claude: Histoire et Architecture du Palais des Nations (1924–2001). L’A rt déco au service des relations internationals, Genf 2001. 22 Vgl. Oechslin, Werner: Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Das Wettbewerbsprojekt für den Völkerbundpalast in Genf 1927. À la recherche d’une unité architecturale, Zürich 1988. 23 Vgl. Dudley, George A.: A Workshop for Peace. Designing the United Nations Headquarters, New York 1994.

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der CIAM ist durch Martin Steinmann und Eric Mumford gut dokumentiert.24 Beide Autoren stellen in ihren Werken die Abläufe der Kongresse für Neues Bauen, Anzahl und Namen beteiligter Architekten sowie inhaltliche Setzungen hinsichtlich des modernen Städtebaus in den Vordergrund. Der Hetero­genität an Meinungen und Diskussionen innerhalb der CIAM – etwa über die ‚Synthese der Künste‘ nach dem Zweiten Weltkrieg – wird dabei wenig Beachtung geschenkt. Die Autorin möchte mit der vorliegenden Arbeit zum einen eine Forschungsl­ücke innerhalb der Geschichte der CIAM schließen, indem sie deren Aktivität als NGO sowie deren Rolle bei den Bauten von UN und ­U NESCO beleuchtet. Damit erweitert sie den Blick hinsichtlich Entwicklung und Internationalisierung der modernen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Zum anderen eröffnet die Arbeit durch die Analyse des ­­UNESCO-Bauprozesses und durch den Vergleich mit den beiden Vorgängerbauten in Genf und New York eine neue Perspektive auf die Architekturen der internationalen Staatengemeinschaft als spezifische Form politischer Architektur.

24 Vgl. Steinmann 1979; Mumford 2000.

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Internationale Architektur für eine neue Weltorganisation

Paris und die moderne Architektur – ein ambivalentes Verhältnis

Wenn der Besucher des Jahres 2000 die Place de Fontenoy betritt, wo sich nun das Unesco-­ Gebäude erhebt, wird ihn der Anblick dieses Bauwerkes nicht stärker in Verwunderung setzen als die École Militaire und der Eiffelturm. Er wird bewundern, daß drei bedeutende Augenblicke in der Geschichte architektonischer Formen so meisterhaft in einer einzigen Perspektive vereint werden konnten, und er wird sich bezaubern lassen von der Reinheit der Volumen, die wenige Männer für die Unesco geschaffen haben. Wenn er am Fuß des Konferenzgebäudes steht, vor einer Mauer aus gefaltetem Beton, die keiner anderen Mauer gleicht und die, wenn man durchaus Parallelen sucht, an die großen Flächen erinnert, die einst die Ägypter für die Sonne und unsere Ingenieure für das Wasser der Flüsse entwarfen, dann wird die moderne Technik ihm von Poesie verklärt erscheinen, dieser unentbehrlichen Eigenschaft, die lange nicht verwirklicht worden ist.1 

Mit diesem visionären Ausblick eröffnete Françoise Choay im Jahr 1958 die erste Publikation über den jüngst fertiggestellten Hauptsitz der ­U NESCO. In vier Sprachen übersetzt und mit ästhetisch ansprechenden Architekturfotografien reichlich bebildert, sollte die internationale Staatengemeinschaft von dem spektakulären Bauwerk in Paris Kenntnis nehmen. Choays Argumentation für die Akzeptanz des damals „umstritten­ sten Gebäudes Frankreichs“ 2 haftet aus heutiger Sicht ein allzu optimistisches Pathos an. Ein wenig verklärt erscheinen heute die Vergleiche zwischen ägyptischem Pyramidenbau, den Ingenieursleistungen des 19. und der Betonschalenbauweise des 20. Jahrhunderts. Solche Begeisterungsstürme ebbten bereits in den 1960er Jahren nach einer Welle der Ernüchterung über unansehnliche und entmenschlichte Betonsiedlungen rasch ab und mündeten in einer fundamentalen Funktionalismuskritik. Die Maßstäbe architektonischer Superlative entwickelten sich in den 1970er Jahren rasant weiter und gipfeln heute in gigantischen Hightech-Ereignissen. Als ‚bedeutender Augenblick der Geschichte‘ wird das ­U NESCO-Gebäude wohl kaum mehr wahrgenommen. Nur schwer lässt sich nachvollziehen, dass dieser Bürokomplex, den Touristen heute achtlos passieren, bei seinen Zeitgenossen eine Welle der Empörung auslöste und der gesamte Planungs- und Bauprozess über einen Zeitraum von annähernd sieben Jahren (1951–1958) 1 Zit. Choay, Françoise: Das Unesco-Gebäude in Paris, Stuttgart 1958, S. VI. 2 Zit. ebd.

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nicht nur in der französischen, sondern auch in der internationalen Tagespresse sowie in Fachzeitschriften begleitet und kontrovers diskutiert wurde. 3 Choay plädiert in ihrer Publikation letztendlich für die Aufnahme moderner Bau­formen in den Kanon zeitgenössischer wie historischer Baustile. Dieser Versuch mag heutzutage ebenso verwundern, denn folgt man Publikationen anderer Architekturhistoriker aus den 1950er Jahren, etwa von Sigfried Giedion, Jürgen Joedicke oder Lewis M ­ umford,4 so vermittelt sich der Eindruck, als habe sich die moderne Architekturbewegung mit einer auf rationalen Prinzipien gründenden Bauweise längst etabliert und sogar zum vorherrschenden internationalen Baustil durchgesetzt. Im Paris der 1950er Jahre tickten die Uhren der Stilgeschichte allem Anschein nach anders. Wie lässt sich ein restaurativer Sturm der Entrüstung in einer Weltmetropole erklären, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Zentrum avantgardistischer und intellektueller Strömungen galt? Trotz großer innovativer Vorleistungen im Ingenieurbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit bahnbrechenden Stahlkonstruktionen wie dem Eiffelturm und der Maschinenhalle bei der Weltausstellung 1889 oder den großen Bahnhöfen herrschte im Paris der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinsichtlich moderner Architekturformen und Städtebaukonzepte eine konservative Grundhaltung.5 Wie in anderen durch die Industria­li­ sierung chaotisch angewachsenen Metropolen Europas setzte zwar auch hier eine Verlagerung städtebaulicher Planungen ein und es begann eine Umorientierung von rein repräsentativen und ästhetischen Gesichtspunkten auf soziale und hygienische Aspekte. Im Jahr 1919 richtete die Stadt Paris etwa ein Amt für günstigen Wohnraum, das sogenannte Office public d’habitations à bon marché (OPHBM) ein, das erstmals statistische Erhebungen über die Wohnsituation der Pariser Bevölkerung anstellte und sich für eine Verbesserung der schlechten Wohnbedingungen unterer sozialer Schichten einsetzte.6 Anders jedoch als in den Niederlanden oder Deutschland, wo die Städte bei der Vergabe sozialer Wohnungsbauprojekte nicht zuletzt aus finanziellen Gründen neue Bauformen favorisierten und damit den Vertretern des Neuen Bauens die Türen öffneten,7 beharrte 3 Auf die Rezeption des ­U NESCO-Gebäudes in Zeitungen und Zeitschriften wird in Kapitel 5 des ersten Teils ausführlich eingegangen. 4 Vgl. Giedion 1951; Giedion, Sigfried: Architektur und Gemeinschaft. Tagebuch einer Entwicklung, Hamburg 1956; ders.: Space, Time and Architecture. The Growth of a New Tradition, Cambridge, Mass. 1956; Joedicke, Jürgen: Geschichte der modernen Architektur. Synthese aus Form, Funktion und Konstruktion, Stuttgart 1958; Mumford, Lewis: From the ground up. Observations on contemporary architecture, housing, highway building, and civic design, New York 1956. 5 Vgl. hierzu Basdevant, Denise: L’architecture française des origins à nos jours, Paris 1971, S. 305; Poisson, Georges: Nouvelle histoire de Paris. Histoire de l’architecture à Paris, Paris 1997, S. 603; Lesnikowski, Wojciech: Die neue französische Architektur, Stuttgart 1991, S. 28f; Joedicke 1958, S. 169; Besset, Maurice: Neue französische Architektur, Stuttgart 1967, S. 7. 6 Vgl. Texier, Simon: Paris contemporain. De Haussmann à nos jours, une capitale à l’ère des métropoles, Paris 2005, S. 24. 7 Als Beispiele seien an dieser Stelle genannt: Jacobus Johannes Pieter Ouds Siedlung Kiefhoek in Rotterdam (1925–1930), Gerrit Rietvelds Wohnhäuser in Utrecht (1928), Walter Gropius‘ Siedlung Dammerstock in Karlsruhe (1929) und Ernst Mays Römerstadt in Frankfurt am Main (1925–1929).

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die Pariser Städtebaubehörde in der Innenstadt auf dem starren Haussmannschen Raumprinzip der Îlots, der langen Häuserblocks entlang großer Boulevards mit pitto­ resque gestalteten Hauptfassaden und dunklen Hinterhöfen. Die visionären Vorschläge der Brüder Perret mit ihren Villes-Tours oder Le Corbusiers Gratte-Ciel-Cartésien, die Wohnraum dadurch vermehren wollten, dass sie in die Höhe bauten, stießen auf allgemeinen Skeptizismus und schürten Ängste vor einer Amerikanisierung der historischen Stadtlandschaft.8 Die Wolkenkratzer seien im Zentrum der Kunstmetropole absurd und unbrauchbar, sie störten Proportionen, Gleichmaß und Harmonie, die den individuellen Wert der Bauwerke ausmachen würden, so lautete das Urteil des Pariser Architekten Louis Bonnier in der Zeitschrift La construction moderne aus dem Jahr 1930.9 Zum Kristallisationspunkt der französischen modernen Architekturbewegung in Paris avancierte in den 1920er Jahren das Architekturbüro Le Corbusiers in der Rue Sèveres. Mit seinen städtebaulichen Utopien erlangte der Wahlfranzose zwar in erheblichem Maße internationale Anerkennung in Fachkreisen, sein Einfluss in Frankreich blieb jedoch, abgesehen von dem auf französische Nachwuchsarchitekten, lange Zeit ohne nachhaltige Wirkung.10 In Paris gelang es ihm nur vereinzelt, markante Akzente zu setzen, etwa durch die Realisierung einiger Privathäuser wie der Villa Ozenfant (1923) in der Avenue Reille, die Villen La Roche und Jeanneret (1924) am Square du Docteur oder das Haus Planeix (1927) am Boulevard Masséna. Für Aufsehen sorgte er im Jahre 1925 mit seinem Ausstellungspavillon bei der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, der angeblich dermaßen provozierte, dass er für kurze Zeit hinter einer sechs Meter hohen Palisade versteckt wurde.11 Die größten öffentlichen Bauvorhaben Le Corbusiers in Paris sind zum einen die Cité des Réfuges (1929), ein für die Heilsarmee entworfener monumentaler Bau, dessen Glasfassade sich über eine Länge von 70 Metern erstreckt, zum anderen das Schweizer Haus für die Cité Universitaire (1930–1932). Größere Städtebauprojekte realisierte er in den 1930er Jahren nur außerhalb Frankreichs: in Algerien und Brasilien.  Neben Le Corbusier setzten auch andere Architekten moderne Bauten in der französischen Hauptstadt um, genannt seien hier exemplarisch André Lurçat mit seiner Schule in Villejuif (1931–1933), Robert Mallet-Stevens mit einem kompletten Häuser­   8 Vgl. Texier 2005, S. 59.   9 Zit. Bonnier, Louis: „Les sky-scrapers seraient absurdes et inutilisables au centre d’une ville d’art, rompant toute proportion, toute échelle, toute harmonie, quelle que puisse être la valeur individuelle de ces bâtisses”, in: Supplément à La Construction moderne, 11. 5. 1930, zit. nach: Texier 2005, S. 59. 10 Vgl. Joedicke 1958, S. 169. 11 Wie Stanislaus von Moos deutlich macht, bestand das Moment der Provokation nicht nur im modernen Erscheinungsbild, sondern vielmehr im inhaltlichen Konzept des Bauwerks. Dadurch, dass sämtliche Elemente des Baus – also Architektur, Möbel und Gerätschaften – Produkte der industriellen Fertigung waren, konterkarierten sie das Ausstellungskonzept der Exposition, das sich in erster Linie für die Stärkung des handwerklichen Kunstgewerbes aussprach. Vgl. Moos, Stanislaus von: Le Corbusier. Elemente einer Synthese, Stuttgart 1968, S. 97.

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ensemble, der Rue Mallet-Stevens (1925), Pierre Chareau mit dem Maison de Verre (1929) oder Michel Roux-Spitz mit einem Ausstellungsraum für Ford am Boulevard des Italiens (1929).12 Gründe für die eher geringe Anzahl von Singulärbauten durch moderne Architekten sehen französische Architekturhistoriker zum einen in der vorherrschenden Übermächtigkeit akademischer Traditionen durch die École des Beaux-Arts begründet.13 Zum anderen handelten viele Architekten nach einem dualistischen Prinzip, indem sie einerseits die neuen Konstruktionsprinzipien anwendeten, andererseits jedoch an der historischen Fassadengestaltung festhielten, so dass im Ergebnis eine gemäßigte Moderne, ein modernes Gerüst in historischem Gewand, entstand.14 Wie Georges Poisson nachweist, beurteilten Politiker und städtische Vertreter die Verwendung einer modernen Formensprache bei politisch-repräsentativen Bauten sogar als äußerst riskant, da sie ihre ästhetische Wirkung auf die Öffentlichkeit für schwer einzuschätzen hielten.15 Die Architekturen der Weltausstellung von 1937, etwa der Palais de Chaillot oder das Musée d’Art Moderne, standen demnach symptomatisch für eine Politik der Stabilität und zwar im innen- wie außenpolitischen Sinne.16 Diese offizielle Haltung veränderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Obwohl Paris im Gegensatz zu anderen Regionen des Landes nur wenige Kriegsschäden erlitten hatte, spitzte sich durch den Zustrom an Flüchtlingen die Wohnungssituation brisant zu. Wie Henri Vergnolle, damaliger Präsident des Pariser Stadtrates, konstatierte, fehlten 1946 etwa 100.000 Wohnungen in der Innenstadt und weitere 100.000 in den Banlieues.17 Abhilfe versprachen Umbaupläne, die die Ausweitung des Stadtgebietes durch den konsequenten Ausbau der Vorstädte vorsahen.18 Die Innenstadt blieb dabei bewusst von Eingriffen unberührt. 1954 bestätigte ein neuer Generalplan diese Unantastbarkeit des baulichen historischen Erbes. Durch eine zirkuläre Einteilung der Stadt in drei Zonen, sollte der innere Stadtkern weitgehend vor baulichen Interventionen verschont bleiben, der zweite Stadtgürtel hingegen erfuhr eine sukzessive Veränderung durch Umgruppierung und Funktionalisierung zahlreicher Îlots. Er mündete schließlich in eine dritte Zone, nämlich den nach Prinzipien der Charta von Athen19 gestalteten

12 Vgl. Martin, Hervé: Guide de l’architecture moderne à Paris, 1900–1990, Paris 1986. 13 Vgl. Lesnikowski 1991, S. 23 ff.; Basdevant 1971, S. 306; Poisson 1997, S. 604. 14 Zit. Lesnikowski 1991, S. 25 f. 15 Vgl. Poisson 1997, S. 604. 16 Vgl. ebd. 17 Vgl. Texier 2005, S. 120. 18 Vgl. ebd., S. 122 ff. 19 Die Charta von Athen stellt das erste Regelwerk des modernenen Städtebaus dar. Sie beinhaltet programmatische Grundsätze einer fortschrittlichen Stadtplanung, die vor allem menschliche Bedürfnisse berücksichtigt. Wohnen, Freizeit, Arbeiten und Verkehr sind dabei die zentralen Bezugs­ größen, nach denen das städtische Leben für den Menschen organisiert werden sollte. Die Charta von Athen wurde von den CIAM während ihres vierten Kongresses 1933 erstellt und 1943 von Le Corbusier in leicht veränderter Form veröffentlicht. Siehe zur Charta von Athen Kapitel „CIAM 1928: Gründung eines internationalen Architektenverbands” im dritten Teil dieser Arbeit.

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Banlieues als organischen Ausläufern der Stadt.20 Erst im Zuge dieses Umbauplans hielten in großem Umfang moderne Wohnbauten Einzug in die Außenbezirke der französischen Hauptstadt.21 Es erscheint vor diesem städtebaugeschichtlichen Hintergrund geradezu bemerkenswert, dass es der ­U NESCO Anfang der 1950er Jahre gelang, im siebten Arrondissement, also im Herzen der Stadt, einen Neubau zu errichten. Für viele Franzosen markierte dieser Eingriff nicht nur einen Bruch mit der umliegenden historischen Stadtlandschaft, sondern wurde zugleich als Angriff auf das französische Erbe angesehen.

20 Vgl. Texier 2005, S. 136. 21 Vgl. ebd., S. 122 ff.

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Das UNESCO-Gebäudeensemble

Das ­U NESCO-Hauptquartier liegt im siebten Arrondissement an einer der berühmtesten Sichtachsen von Paris: Die historischen Monumente Palais de Chaillot, Eiffelturm, Marsfeld und École Militaire reihen sich bis zur halbrunden Place de Fontenoy (Abb. 1). Dort rahmt die geschwungene Nordseite des Sekretariatbaus ein Viertelkreissegment des Platzes. Der Zugang zum Gelände liegt auf der gegenüberliegenden Südseite, an der Avenue de Suffren. Das Bauensemble besteht aus drei eigenständigen Gebäudekomplexen (Taf. I), die den drei Organen der ­U NESCO – Sekretariat, Generalkonferenz und Exekutiv­rat  – entsprechen.22 Das Y-förmige Sekretariat mit 800 Büroräumen für den Generaldirektor und seine Mitarbeiter dominiert das etwa acht Hektar große Gelände. Ihm ist im Südwesten ein trapezförmiges Konferenzgebäude (Abb. 2) gegenüber­gestellt. Dieses ist mit mehreren Versammlungssälen für die Generalkonferenz der Mitgliedsstaaten und internationale Tagungen ausgestattet. Im nördlichen Teil des Geländes erhebt sich das in seinem Volumen wesentlich kleinere, nahezu kubische Delegierten­ gebäude, in dem der Exekutivrat seinen ständigen Sitz hat (Taf. III).

Sekretariatsgebäude Der siebenstöckige Sekretariatsbau überragt mit einer Gesamthöhe von 28,75 Metern die beiden wesentlich kleineren Bauten und dominiert mit seinen drei mächtigen Flügeln unterschiedlicher Länge (124 Meter nach Westen, 136 Meter nach Osten und 148 Meter nach Süden) das trapezförmige Gelände von Nord-Osten aus.23 Mit der ungewöhnlichen Ypsilonform gelang es den Architekten, eine wesentliche Vorgabe der Pariser Städtebaubehörde zu erfüllen und mit der geschwungenen Nordfassade die halb22 Die in den 1960er Jahren von Bernard Zehrfuss auf der großen Piazza konzipierten Souterrain-Bauten, die sogenannten Patiobauten, werden hier nicht mit in die Betrachtung einbezogen, da sie nicht Bestandteil des ersten Architekturentwurfs von Marcel Breuer, Pier Luigi Nervi und Bernard Zehrfuss waren. 23 Vgl. Boudon-Vitale, Françoise: Une édifice public. Maison de l’­U NESCO, in: L’Information ­d ’histoire de l’art, revue illustrée, H. 2, 1963, S. 62–80, hier S. 72.

Das UNESCO-Gebäudeensemble     |

1  Lageplan des UNESCO-Ensembles auf der Achse Eiffelturm – Marsfeld – École Militaire – Place de Fontenoy

2  Paris, UNESCO-Gebäude, Blick vom Sekretariat auf Konferenzgebäude und Salle des Pas Perdus

kreisförmige Place de Fontenoy, eine von Jacques-Ange Gabriel im 18. Jahrhundert konzipierte Platzanlage, in einem Winkel von 113 Grad annähernd anzupassen und gemeinsam mit zwei in den 1930er Jahren entstandenen neoklassizistischen Regierungsbauten zu einem Halbkreis zu ergänzen. Dieses städtebauliche Erbe hatte über viele Monate schier unüberwindbare Konflikte zwischen den Architekten und den konservativen Kräften innerhalb der Pariser Städtebaubehörde erzeugt und den gesamten Bauprozess insgesamt zwei Jahre lang massiv blockiert. Die Architekten empfanden es als Zumutung, ihre zeitgenössische Architektur von vornherein historischen Vor­gaben unterzuordnen. Mit dem Y-Bau als einem bislang wenig verbreiteten Bautyp fanden

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sie eine Lösung, die alle am Bauprozess beteiligten Kontrahenten befriedete. Ein bitterer Nachgeschmack blieb dennoch. So beurteilte Marcel Breuer in der Rückschau seine Entscheidung für die Platzkomplementierung durchaus nicht als Zugeständnis an die historische Anlage, sondern vielmehr als eigenständige funktionale Lösung, die allein der Geländesituation geschuldet war: Ich möchte zuerst sagen, daß das Y-förmige Sekretariatsgebäude mit seinen nach innen geschwungenen Flügeln nicht von vornherein mit der Absicht entworfen wurde, den Halbkreis der Place de Fontenoy fortzusetzen. Der Entwurf ist vielmehr das Ergebnis einer etwa zwanzig­ jährigen Forschungsarbeit. Er stellt eine allgemein anwendbare Lösung für ein Bürogebäude des ‚kontinentalen’ Typs dar mit höchstmöglicher Ausnutzung des Raumes, direktem Tageslicht, Aussicht und natürlicher Luftzirkulation in allen Büros. Diese Bedingungen wären auch erfüllt, wenn das Gebäude anderswo als auf der Place de Fontenoy stünde. Allerdings waren wir froh darüber, daß die Form des Gebäudes dazu dienen konnte, das begonnene Halbrund des Platzes […] zu vervollständigen.24

In der Tat hatte Breuer bereits 1936 in seinem Architekturplan Stadtzentrum für die Zukunft zwei Gebäudekomplexe in Form eines doppelten Ypsilons entworfen.25 Ursprünglich entstammte dieser Bautyp jedoch der Ideenwelt Le Corbusiers, der den sogenannten Gratte-Ciel-Cartésien erstmals im Jahr 1931 in der Zeitschrift Plans unter dem Titel Descartes est-il américain? vorstellte und diese Architekturform als prä­desti­ niert für eine größtmögliche Tageslichteinstrahlung betrachtete.26 Le Corbusier, als beratender Architekt ebenfalls in den ­ U NESCO-Bauprozess involviert, konstatierte zum schwierigen Verhältnis zwischen Sekretariat und Place de Fontenoy, dass der Bau zwei Seiten habe: Die eine sei ein Zugeständnis an die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lägen jedoch auf der anderen Seite.27 Damit bekräftigte er nicht nur die Unabhängigkeit des Architektur­ensembles, sondern stellte klar heraus, dass dieses Gebäude der französischen Architekturgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken kehrte. Von der Avenue de Suffren aus blickt der Betrachter über eine großzügige Piazza auf die mächtige Architektur des Bürokomplexes, dessen Haupteingang durch ein sich

24 Zit. Marcel Breuer, nach: Jones, Cranston: Marcel Breuer 1921–1962, Stuttgart 1962, S. 252. 25 Vgl. Papachristou, Tician: Marcel Breuer. Neue Bauten und Projekte, Stuttgart 1970, S. 216 f. sowie Ausst.-Kat. Weil am Rhein 2003, Vitra Design Museum: Marcel Breuer. Design und Architektur, hrsg. v. Remmele, Mathias/Vegesack, Alexander von, Weil am Rhein 2003, S. 366 f. Marcel Breuer realisierte in den 1960er Jahren weitere Y-Bauten für IBM in La Gaude (Frankreich), Boca Raton (Florida) und für das Department of Housing and Urban Development in Washington, D.C. 26 Vgl. Moos 1968, S. 224. Von Moos stellt zu diesem neuen Bautyp im Formenvokabular Le Corbusiers die These auf, dass sich der Architekt damit historischen Vorbildern annährte. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den „Gestus des Umarmens als Topos der römischen Barockarchitektur des 17. Jahrhunderts.“ Damit wirft er nicht zuletzt die Frage auf, ob der Gratte-Ciel Cartésien nicht „im Grunde eine hochbarocke Fassaden- und Raumkonzeption in die Sprache der «époque machiniste» übertragen“ darstellt. Zit. von Moos, in: ebd., S. 225. 27 Vgl. Zehrfuss, Bernard: Comment un grand architecte voit sa profession, in: Réalités. Fémina Illustration, Nr. 154, November 1958, S. 111.

Das UNESCO-Gebäudeensemble     |

3  UNESCO-Sekretariat, Blick in das Erdgeschoss des Südflügels

s­egelförmig aufrichtendes Dach – eine gewagte Betonkonstruktion des italienischen Ingenieurs Pier Luigi Nervi – eine besondere Akzentuierung erfährt.28 Der Sekretariatsbau weist drei kanonische Merkmale auf, die ihn als Muster­beispiel moderner Konstruktionsprinzipien auszeichnen. Er ruht erstens auf 72 ­Pilotis (Abb. 3), verfügt zweitens über eine durchgängige Glasfront, eine Curtain Wall, die drittens durch eine spezifische Sonnenschutzvorrichtung, die sogenannten ­Brises-Soleil, geglie­dert ist (Abb. 4). Pilotis und Brises-Soleil entstammen ursprünglich dem architek­tonischen Repertoire Le Corbusiers. Brises-Soleil konzipierte er erstmals Mitte der 1930er Jahre für Hochhausbauten in Nordafrika und Südamerika zur Regulierung von extremem Lichteinfall und hohen Außentemperaturen.29 Das Konstruktions­prinzip der Pilotis war bereits in den 1920er Jahren eine von Le Corbusiers manifesten Forderungen, ein neues städtebauliches Grundprinzip, das die Befreiung des Bodens z­ ugunsten einer unterirdi­ 28 Diese Freifläche mit ihrem weiten Raumeindruck, die das Sekretariat für Besucher offen erscheinen ließ und den Haupteingang betonte, wurde durch spätere Tiefbauten stark beeinträchtigt. Nervis Haupteingang wird als solcher gar nicht mehr benutzt. Standardisierte Sicherheitschecks erfolgen im neuen Eingangsbereich des Konferenzgebäudes. Das Sekretariat erreicht man heute über die Salle des Pas Perdus, die damit ebenfalls ihre Funktion als Aufenthaltsort der Delegierten verliert. 29 Vgl. Moos 1968, S. 153 ff.

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4  UNESCO-Sekretariatsfassade mit Sonnenschutzvorrichtung Brises-Soleil

schen Verkehrsführung möglich machen sollte. Die Pilotis des ­UNESCO-Sekretariats erreichen eine Höhe von sieben Metern. Ihre unregelmäßige, eigenwillige Form ergibt sich durch den Übergang von einem elliptischen Querschnitt an der Basis zu einem rechteckigen Deckenanschluss. Auf ihnen ruht das gesamte Stahlbetonskelett mit innen liegenden Stützen und waagrechten Haupt- und Neben­trägern (Abb. 5).30 Dieses Stahl­ skelett im Inneren befreit wiederum die Fassade von ihrer ursprünglich ­ tragenden Funktion. Sie setzt sich aus einer reinen Glasfront mit 1068 Fenstern zusammen. Zwischen den Fenstern verlaufen vertikal wie horizontal die Brises-Soleil als funktionale Gliederungselemente. Sie werden durch eine Sonnenschutzmethode ­ Marcel ­Breuers, sogenannte eyebrow-sunshades (Abb. 6), ergänzt. Beiden Intentionen folgend sind die drei geschwungenen Fassaden des ­UNESCO-Sekretariates ihrer solaren Ausrichtung entsprechend in vier Sonnenschutzzonen unterteilt: Die Südostfassade, die sich zum Exekutiv­ratsgebäude hin öffnet, ist zweigeteilt. Der nach Osten orientierte Teil ist mit vertikalen Brises-Soleil ausgestattet, der südliche Fassadenteil wird durch ­eyebrow-sunshades beschattet. Dabei handelt es sich um horizontale lammellenartige Betonstreifen, durch welche die Hitze nach oben steigen kann, ohne sich vor den Fenstern anzustauen. Zusätzlich schützen senkrecht montierte Solarglasplatten – ebenfalls eine Konzeption Breuers – vor der Vormittagssonne.31 Die südwestliche Hauptfassade weist auf der gesamten Fläche Brises-Soleil auf. Zusätzlich sind an deren horizontalen 30 Vgl. Joedicke, Jürgen: Pier Luigi Nervi. Bauten und Projekte, Stuttgart 1957, S. 112 f. 31 Vgl. Tillessen 1992, S. 99.

Das UNESCO-Gebäudeensemble     |

5  Konstruktionsschnitt des UNESCO-Sekretariats

Elementen Metallbügel montiert, die Solarglasplatten tragen. An der zur Place de ­Fontenoy hin ausgerichteten schattigen Nordostfassade verzichteten die Architekten gänzlich auf die Brises-Soleil. Die Fenster sind dort in eine glatte Travertinfassade eingefasst.32 Auch die fensterlosen Abschlüsse der drei Flügel sind mit Travertinquadern verkleidet. Im Inneren des Gebäudes sind Aufzüge, Treppenelemente und senkrechte Versorgungsleitungen im Herzen der Y-förmigen Anlage zentriert. Vom zweiten bis zum sechsten Stockwerk verlaufen von dort aus strahlenförmig die Flure mit jeweils zweibündig angeordneten, sechs mal drei Meter großen Büroräumen. 33 Nach Françoise ­Boudon-Vitale waren diese mit sogenanntem mobilier standard vom bekannten Innenarchitekten Charles Eames entworfen und von der in New York ansässigen Möbelfirma Knoll International angefertigt worden.34 Im siebten Stockwerk befinden sich Cafeteria und Restaurant für Mitarbeiter und Besucher. Dort bieten zudem zwei Dachterrassen 32 Vgl. Grawe, Gabriele: Das U ­ NESCO-Gebäude in Paris, in: Ausst.-Kat. Weil am Rhein 2003, S. 348. 33 Vgl. Joedicke 1957, S. 110. 34 Boudon-Vitale 1963, S. 74. Aufschluss hierüber gibt auch eine Korrespondenz zwischen Marcel Breuer und Firmeninhaber Hans G. Knoll vom 26. Juni 1953. Auf vier Seiten listet der Unternehmer die Vorzüge und Dienste seiner Firma auf, die er der U ­ NESCO gerne anbieten würde. Der Firmenableger Knoll International France mit Sitz in Paris, 13, Rue d l’Abbaye, arbeite bereits erfolgreich für das Auswärtige Amt. Vgl. Smithsonian Institutions, Archives of American Art: Marcel Breuer, Chronological Correspondence 1953, B 11, R 5722, F 981.

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6  Südwestfassade des UNESCO-Sekretariats mit Solarglasplatten

einen exzellenten Blick auf die École Militaire und den Eiffelturm sowie auf die große Piazza. In das Untergeschoss des Sekretariatsgebäudes wurden Radio- und Fernsehstudios verlegt, in das Erdgeschoss des Ostflügels die Bibliothek und in den Nordwestflügel die Druckerei. An den Südflügel schließt sich ein niedriger Durchgangsbau an, die Salle des Pas Perdus (Abb. 2). Als eine Art Wandelhalle konzipiert führt sie direkt in das Konferenz­gebäude und gewährleistet damit nicht nur eine Brückenfunktion zwischen zwei Bauten, sondern erfüllt eine sozio-kommunikative Aufgabe. Sie sollte Delegierten, Vertretern von NGOs und Mitarbeitern des Sekretariats die Möglichkeit eröffnen, sich dort zwischen den Sitzungen zu begegnen, ein paar Schritte gemeinsam zu gehen und sich ungestört informell auszutauschen.

Konferenzgebäude Eine beeindruckende Ingenieurleistung in Stahlbeton stellt das trapezförmige Konferenzgebäude dar (Abb. 2). Der Architekturhistoriker Jürgen Joedicke bewertete es bereits 1957 als eines der wenigen Beispiele der modernen Architektur, bei dem „die restlose Durchdringung architektonischen Schaffens und konstruktiven Denkens zu einer derart überzeugenden Gestalt geführt hat“. 35 Mit Längsseiten von 69 Metern und Stirn­seiten von 35,1 Metern im Nordwesten und 60,3 Metern im Südosten erhebt sich der trapez­ 35 Zit. Joedicke 1957, S. 118.

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7  UNESCO-Konferenzgebäude, Blick in einen Plenarsaal

förmige Baukörper aus reinem Sichtbeton. Die an den beiden Stirnseiten von innen wie außen gleichermaßen wahrnehmbare plastische zieharmonikaartige Wandstruktur, die einer aufwendigen Schalungstechnik geschuldet ist, wirkt durch diese massive Textur extrem raumgreifend. Die nichttragenden gleichlangen Seitenwände des Konferenz­ saales im Nordosten und Südwesten sind durch unregelmäßig angeordnete Fenster plas­ tisch gestaltet (Abb. 7). Das Faltenwerk der Stirnseiten wird im Dach des Baus fortgesetzt und ist im gesamten Gebäudeinneren präsent (Taf. II, Abb. 8). Um das Gewicht einer solch massiven horizontalen Betonkonstruktion tragen zu können, werden in der Mitte des Gebäude­inneren die Massen durch einen auf Stützen ruhenden Querträger abgefangen (Abb. 9).36 Dadurch entsteht zur Mitte des Daches hin eine absinkende Faltung, die unterschiedliche Deckenhöhen zwischen 12 und 14 Metern verursacht. Das Dach ist mit grün patinierten Kupferplatten bedeckt, die einen farblichen Kontrast zum grauen Sichtbeton schaffen. Das Konferenzgebäude ist im Nord- und Südwesten ebenerdig in zwei Konferenzsäle unterteilt: einen großen Plenarsaal von 1000 Quadratmetern und einen kleineren Kommissionssaal von 600 Quadratmetern Fläche. Im anderen Gebäudeteil reihen sich über zwei Etagen Kommissionssäle aneinander und auch unterirdisch befinden sich mehrere fensterlose Kommissions- sowie Presseräume. Vor allen Dingen aus ­Gründen erheblicher Kostenersparnis wurden einzelne Mitgliedsstaaten gebeten, die A ­ usstattung und

36 Vgl. ebd.

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8  UNESCO-Konferenzgebäude, Längsschnitt des Plenarsaals der Generalversammlung

9  Längsschnitt des UNESCO-Konferenzgebäudes

die Möblierung dieser Tagungsräume zu stiften. 37 Marcel Breuer schlug vor, dass nur solche Länder beteiligt werden sollten, die berühmt wären für eine lange Tradition im Bereich des Interieur Design.38 Dabei dachte er weniger an arabische Länder mit jahrhundertealten Handwerkstraditionen, sondern vor allem an westeuropäische Staaten. Sie wurden eingeladen, Prestigeprojekte im jeweiligen nationalen Gusto zu realisieren. Die Niederlande ließen einen Presseraum von Gerrit Rietveld ausstatten und Frank­ reich einen Kommissionssaal von Innenarchitekt Jacques Adnet. Die Vereinigten Staaten beauftragten Philip Johnson mit der Konzeption des großen Plenarsaales für den Exekutivrat, der vom International Council des Museum of Modern Art gefördert wurde. Am Design der Sitze beteiligte sich der amerikanische Architekt und Designer Eero 37 Vgl. Protokoll des Committee of Art Advisors, Second Session, 3.–4. 11. 1955, ­U NESCO-Archiv, 2CCA/5, S. 4. 38 Vgl. ebd.

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10  Paris, Luftaufnahme der Caserne de Fontenoy, um 1950

­ aarinen. Entsprechend trugen die Räume die Namen der Stifternation, so gab es außerS dem einen italienischen Saal der Architekten Ludovico Barbiano di Belgiojoso, Enrico Peressuti und Ernesto Rogers, einen deutschen Saal des Architekten Johannes Krahn, einen dänischen Saal des Architekten Hans J. Wegner und einen Schweizer Saal der Brüder Robert und Peter Haussmann.39 Alle anderen Mitgliedsstaaten repräsentierten die eigene Nation lediglich durch einzelne Möbelstücke und Teppiche, diese wiederum in oftmals traditioneller kunsthandwerklicher Manier.

39 Vgl. Boudon-Vitale 1963, S. 75 f.

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11  Paris, Plan der Geländesituation an der Place de Fontenoy, 1950

Exekutivratsgebäude Eher unauffällig erhebt sich am östlichen Rand des Geländes das 16 Meter hohe, vierstöckige Exekutivratsgebäude über einem nicht exakt quadratischen Grundriss von 28,2 x 30,7 Metern (Taf. III). Es ist nach ähnlichen Konstruktionsprinzipien wie das Sekretariats­gebäude mit Pilotis und Fensterbändern errichtet. Die 120 Büros stehen den ständigen Vertretern der Mitgliedsstaaten zur Verfügung. Lange Zeit galt seine Finanzierung als ungesichert, da sich die Generalkonferenz aufgrund gestiegener Baukosten nicht auf seine Realisierung einigen konnte. Nach zähem finanziellem Ringen wurde es als letztes der drei Bauten umgesetzt. Die Besonderheit des U ­ NESCO-Ensembles – dies sei an dieser Stelle festgehalten – liegt in der konsequenten Umsetzung moderner Architekturprinzipien, und zwar inmitten des historischen Stadtkerns von Paris. Der entscheidende Unterschied im Vergleich zu den zeitgleich nach modernen Städtebaukonzepten realisierten Wohnungsbauprojekten der Banlieues besteht in der Funktion, Repräsentationsarchitektur einer Welt­ organisation zu sein.

Bauplanung im Zeichen diplomatischer Bemühungen

Die ­UNESCO in Paris: „Ein intellektuelles Privileg“ Im Jahr 1945 ließen sich die Vereinten Nationen mit einigen ihrer neu gegründeten ­Sonder- und Unterorganisationen in New York nieder. Bereits ein Jahr später begann dort der umfassende Planungsprozess für ein repräsentatives Hauptquartier, eine ­U N-City.40 Vor diesem Hintergrund vermag es zunächst erstaunen, dass die U ­ NESCO, als eine jener Sonderorganisationen, nicht ebenfalls in New York untergebracht wurde, sondern in Paris. Die Entscheidung für die französische Hauptstadt im Herzen des damals kriegszerstörten Europas fiel bereits 1945, und zwar während der ersten vorbereitenden Konferenz zur Gründung einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen für Bildung und Kultur. Diese fand vom 1. bis 16. November 1945 in London statt. Ausschlaggebend für diesen Beschluss, der, wie sich zeigen wird, bei weitem nicht von allen Mitgliedsstaaten begrüßt wurde, waren die diplomatischen Bemühungen wie die rhetorischen Fähigkeiten des französischen Delegationsvorsitzenden Léon Blum.41 An historischen Begründungen mangelte es ihm nicht. Tatsächlich existierte in Paris bereits eine ähnliche Organisation aus der Zeit des Völkerbundes. Das International Institute of Intellectual Cooperation (IIIC) wurde 1925 gegründet und förderte über viele Jahre hinweg auf internationaler Ebene erfolgreich den Austausch von Wissenschaftlern und wissenschaftlichem Nachwuchs, darüber hinaus war es im Bereich der Kinder- und Erwachsenenbildung aktiv.42 Nach der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten exilierte

40 Auf den Planungs- und Bauprozess des UN-Gebäudes in New York wird in Kapitel 2 des zweiten Teils eingegangen. 41 Blum war Mitbegründer des Front Populaire und von 1936 bis 1938 erster sozialistischer Premierminister Frankreichs. 1940 wurde er vom Vichy-Regime interniert, von 1943 bis Frühjahr 1945 von den Nationalsozialisten in Buchenwald gefangen gehalten und noch vor Kriegsende nach Dachau verschleppt. Nach seiner Befreiung engagierte er sich in Frankreich rasch wieder politisch. Vgl. Berstein, Serge: Léon Blum, Paris 2006. 42 Geleitet wurde das IIIC von einem zwölfköpfigen Komitee, dem unter anderem Albert Einstein, Marie Curie, Sigmund Freud und Henri Bergson angehörten.

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das IIIC nach Kuba, wo es seine Arbeit unter verstärkter Einbindung südameri­kanischer Staaten fortführte. Die französische Regierung verfolgte auf der Londoner Konferenz 1945 das Ziel, die erfolgreiche Arbeit des IIIC auf einer neuen Basis in ihrer Hauptstadt fortzusetzen. Initiiert wurde die Konferenz zur Gründung einer UN-Sonderorganisation jedoch von einer anderen politischen Initiative, nämlich der Conference of Allied Ministers of Education (CAME).43 Dabei handelt es sich um eine in den Jahren 1942 und 1944 in London zusammengetretene Bildungsministerkonferenz der Alliierten. Sie verfolgte das Ziel, eine Art Strukturplan für eine internationale Bildungsorganisation zu entwerfen, die nach Beendigung des Krieges das Schul- und Universitätswesen in den kriegszerstörten Gebieten rasch wieder aufbauen sollte. Obwohl Frankreich auch Teilnehmerland der CAME war, konkurrierten allem Anschein nach England als Gastgeberland der CAME und Organisator der konstituierenden Konferenz und Frankreich als ehemaliger Förderer des IIIC um die inhaltliche Ausrichtung und die zukünftige Standortwahl der neuen Organisation. So legte die französische Delegation zur ersten Sitzung 1945 einen vollständigen Verfassungsentwurf zur Konstituierung einer United Nations Organisation of Intellectual Co-Operation vor. Ein solcher war selbstverständlich auch von der CAME vorbereitet worden. Beide Entwürfe unterschieden sich darin, dass das IIIC die Kooperation von Wissenschaftlern in den Vordergrund rückte, die CAME hingegen auf einer breiteren Basis Bildung und Kultur fördern wollte. Die Konkurrenzsituation spiegelte sich nicht zuletzt in dem Punkte wider, dass die britische Bildungsministerin Ellen Wilkinson (als Vorsitzende der CAME und Vertreterin ihrer Regierung) die Präsidentschaft über die zweiwöchige Konferenz übernahm und Léon Blum zum Vizepräsident gewählt wurde. Am ersten Sitzungstag erhielt Blum unmittelbar nach der Eröffnungsrede von Wilkinson das Wort und beschwor in seinem Beitrag die Notwendigkeit internationaler Kooperation als Mittel der Friedenssicherung, um am Ende mit einer Bemerkung zu schließen, die den Redekontext völlig verließ: Ich möchte noch ein Wort anfügen. Die Französische Delegation möchte Sie bitten, sich für Paris als Sitz der neuen Organisation zu entscheiden, und wünscht dies schlichtweg an dieser ersten Sitzung vorzubringen.44

43 An der ersten Konferenz am 16. 11. 1942 nahmen neben Vertretern Großbritanniens die exilierten Bildungsminister Belgiens, der Tschechoslowakei, Frankreichs, Griechenlands, den Niederlanden, Norwegens, Polens und Jugoslawiens teil. 1944 kamen Vertreter der USA hinzu. Vgl. Pompei, Gian Franco: History of the Organization, in: ­U NESCO (Hg.): In the Minds of Men. ­U NESCO 1946 to 1971, Paris 1972, S. 15–42, hier S. 16 f. 44 Originalzitat Léon Blum: „I have only one word to add. The French Delegation intends to ask you to decide on Paris as the seat of the new Organisation and desires to state this quite simply at this first meeting.” Zit. nach: ­U NESCO (Hg.): Conference for the Establishment of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation, held at the Institute of Civil Engineers, London from the 1st to the 16th November 1945, London 1946, S. 28.

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Überraschend in Bezug auf diesen Vorstoß erscheint der von Blum gewählte Zeitpunkt. Die anderen Delegierten formulierten in ihren ersten Redebeiträgen allgemeine Erwartungen und mögliche Ziele einer Bildungsorganisation und diskutierten über die Chancen, die vor allem für die eigene Bevölkerung daraus erwachsen würden. Die zerstörerische Kraft und die verheerenden Folgen des Krieges, Vernichtung, Hunger und Notleiden der Menschen waren omnipräsente Momente und stetige Bezugspunkte in den Vorträgen, vor allem der europäischen Delegierten. Daher herrschte von Beginn an ein breiter Konsens darüber, dass Bildung und kultureller Austausch mehr Respekt und Anerkennung zwischen den Völkern befördern würde als wirtschaftliche Interessen. Noch vor dem offiziellen Meinungsaustausch der Konferenzteilnehmer platzte Blum mit seinem Anliegen heraus. Redegewandt baute er eine Argumentationskette auf, die den Kongressteilnehmern zunächst vor Augen führte, was die Grande Nation mit ihrer Forderung eines Hauptsitzes in Paris gerade nicht intendiere, nämlich die Inanspruchnahme „eines intellektuellen Privilegs“45. Es läge ferner nicht in ihrer Absicht über einen Umweg vorzuschlagen, das Institut für Geistige Zusammenarbeit in neuem Gewand weiterzuführen. Schließlich wolle man auch nicht, dass der Vorschlag als Anspruch auf die intellektuelle oder geistige Vorherrschaft Frankreichs interpretiert werde.46 Auf diese Negation von vermeintlichen Absichten folgte dann eine relativierende Erklärung: Wenn wir einen Vorteil besäßen, bestünde dieser einerseits darin, dass die französische Kultur immer schon von Tendenzen der Universalität gekennzeichnet war – in Frankreich besteht eine lange Tradition der Großzügigkeit, der Liberalität hinsichtlich der Gedankenfreiheit, die genau mit dem Geist der zukünftigen Organisation übereinstimmen – und des weiteren darin, dass sich all diese Bereiche, alle Formen menschlicher Zivilisation – Wissenschaft, Kultur im Allgemeinen, Literatur, Kunst und technische Wissenschaft, soweit sie die Kunst betrifft – immer Seite an Seite und in Verbindung miteinander entwickelten. Paris würde dann eine der Städte der Welt bleiben, in der die zukünftige Organisation einen natürlichen Sitz fände. Wir erbitten diese Ehre, wir ersuchen sie von Ihnen, da sie einen unendlichen Wert für uns darstellt, da wir uns ihrer nicht unwürdig fühlen und da wir uns mit allen in unserer Kraft stehenden Mitteln bemühen werden zu beweisen, dass sie wohlverdient wurde.47

45 Zit. Léon Blum aus seiner Eröffnungsrede während der zweiten Plenarsitzung am 1. 11. 1945 in London, zit. nach: ebd. 46 Originalzitat Léon Blum: „Again, we would ask you not to interpret our request as a claim advanced by France in virtue of some intellectual or spiritual privilege. France’s claims are older than those of other nations; their luster is no greater.” Zit. nach: ebd. 47 Originalzitat Léon Blum: „If we did possess one advantage, it would be due to the fact on the one hand that French culture has always been marked by a tendency towards universality – there exists in France an age-long tradition of generosity, of liberality in the sphere of thought which are truly in keeping with the spirit of the future Organisation – and to the further fact that all the branches, all the forms of human civilization – science, general culture, letters, arts and technical science in so far as it touches on art – have always developed side by side and in conjunction. Paris then remains one of the cities in the world where the future Organisation would find a natural seat. We crave this honour, we ask it of you, because it would be infinitely dear to us, because we feel ourselves not unworthy of it, and because we shall endeavour by all the means in our power to prove that it has been well deserved.” Zit. nach: ebd.

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Dem offiziellen Konferenzprotokoll zufolge, stieß der französische Vorschlag auf wenig Kritik. Eine öffentliche Abstimmung, der man Vetos oder Enthaltungen entnehmen könnte, ist nicht protokolliert. Zuspruch erhielten die Franzosen vereinzelt, etwa durch den Vorsitzenden der chilenischen Delegation, Dr. Francisco Walker Linares, der in einer Ansprache neben der kulturellen Qualität des Landes vor allen Dingen dessen Einsatz für das IIIC lobte: Mein Land unterstützt wärmstens den Vorschlag, dass Paris Sitz der Organisation werden sollte. Paris ist dieser Wahl würdig aufgrund seiner weltweiten kulturellen Tradition, seiner eigenen inneren Qualitäten und der Tatsache, dass es mit der großzügigen Unterstützung der französischen Regierung seit mehr als zwanzig Jahren den Sitz des International Institute of Intellectual Cooperation beherbergte.48

In Tagesordnungspunkt 23 der letzten Sitzung am 16. November 1945 wurde schließlich festgelegt, dass „der Sitz der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation Paris sein (wird)“.49 Genau betrachtet erfolgte diese Entscheidung jedoch keineswegs allein auf Grundlage der offiziellen Diskussionen während der Konferenz. Vielmehr hatte es bereits im Vorfeld und neben der laufenden Konferenz Absprachen gegeben und Blums Anliegen war sowohl mit der britischen Regierung als auch mit den USA abgestimmt. Aus einem vom 4. November 1945 datierten Brief Blums an den englischen Premierminister ­Clement Attlee geht einerseits hervor, dass die Hauptsitzfrage schon eine Woche zuvor bei einem persönlichen Treffen in der Downing Street diskutiert worden war und Ellen Wilkinson dort eine Zusage gegeben hatte, obwohl sie an der Zustimmung der USA zweifelte.50 Blum hatte daraufhin mit dem Vorsitzenden der amerikanischen Delegation, Archibald MacLeish, Rücksprache gehalten und dieser hatte ihm bestätigt, dass die amerikanische Regierung noch keine Entscheidung getroffen hätte und ihrer Delegation bislang freie Hand ließe.51 In seinem drei Tage später datierten Antwortschreiben hielt der britische Premierminister dennoch eine definitive Zusage weiter zurück: „Wie Sie wissen, wird die britische Haltung zur Frage der Ortswahl der Bildungs- und Kultur­organisation derzeit geprüft und ich hoffe, dass meine Kollegen Ihnen bald unsere

48 Originalzitat Dr. Francisco Walker Linares: „My country warmly supports the suggestion that Paris should be made the seat of the Organisation. Paris is worthy of such a choice by reason of her world­ wide cultural tradition, her own intrinsic qualities and the fact that for upwards of twenty years she has been the seat of the International Institute of Intellectual Cooperation, generously assisted by the French Government.” Zit. nach: ebd., S. 57. Die positive Beurteilung des IIIC fand auch Eingang in eine von Linares entworfene Resolution, in der sowohl dem IIIC als auch der kubanischen Regierung als dessen Exilgeber offiziell gedankt wurde. Unterstützung erfuhr diese Resolution von der mexikanischen und der kolumbianischen Delegation. Vgl. ebd., S. 88 f. 49 Originalzitat Ellen Wilkinson: „The seat of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation shall be Paris.“ Zit. nach: ebd., S. 90. 50 Vgl. Brief von Léon Blum an Premierminister Clement Attlee vom 4. 11. 1945. Veröffentlicht in: ­U NESCO-Courier, Nr. 10, 1985, S. 30. 51 Vgl. ebd.

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Ansichten mitteilen werden.“52 Die offizielle Bestätigung aus dem britischen Außenministerium an die französische Regierung erfolgte mittels eines vertraulichen Telegramms am 10. November 1945. Kopien des Dokuments wurden auch nach Washington und Moskau gesandt. Darin heißt es: 1. Die Kommission 4 der Bildungskonferenz der Vereinten Nationen entschied heute Nachmittag einstimmig, der Konferenz zu empfehlen, dass Paris der Sitz der vorgeschlagenen Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur sein sollte. 2. Der Vorschlag zugunsten Paris wurde von unserer Delegation gemacht und von den Vereinigten Staaten, chinesischen, belgischen, brasilianischen, kolumbianischen und anderen Delegierten mit Zustimmung unterstützt. 3. Die Konferenz befindet sich immer noch im Stadium der Tagung. London ist als Ort der vorbereitenden Kommission empfohlen worden, die zusammengestellt wird, um das erste Treffen der neuen Organisation vorzubereiten. 53

Demzufolge waren auch andere Länder in diese vorläufigen Entscheidungen eingebunden gewesen, so dass der Vorstoß Blums in seiner Eröffnungsrede zumindest nicht für alle Teilnehmer unverhofft erfolgte. Offene Kritik an der Ortswahl Paris äußerte der ägyptische Bildungsminister A. N. Hashem. Er plädierte für die Einrichtung eines dauerhaften ­U NESCO-Zentrums in Kairo. In einem eigens bei der Präsidentin der Konferenz eingereichten Antrag bemängelte er die dominante europäische Perspektive, die das IIIC über viele Jahre hinweg ein­ NESCO genommen hätte, und sprach sich insbesondere im Rahmen der Gründung der U dafür aus, auch die Bedürfnisse anderer Staaten zu berücksichtigen: Obwohl das ägyptische Ministerium die lange Erfahrung des International Institute of Intellectual Cooperation und den Einsatz, den es zur Förderung des internationalen Gedankens zeigte, schätzt, fühlt es sich dennoch verpflichtet, auf die Tatsache hinzuweisen, dass das besagte Institut eine rein europäische Perspektive einnahm. Das ägyptische Ministerium würde sich deswegen wünschen, dass die geplante Organisation auch die Bedürfnisse, Verhältnisse und Schwierigkeiten nichteuropäischer Länder berücksichtigt. Das Ministerium schlägt vor, dass ein durchführbarer Plan zur Unterstützung der Belange einiger dieser Nationen darin bestünde, ein dauerhaftes Zentrum der Organisation in Kairo zu errichten. 54

52 Originalzitat Clement Attlee: „As you know, the British attitude to the question of the siting of the Educational and Cultural Organization is at present under consideration; and I hope my colleagues will be able to let you know our views shortly.” Zit. nach: Brief Clement Attlee an Léon Blum vom 7. 11. 1945, in: ebd. 53 Originalzitat: „1. Commission 4 of the United Nations Educational Conference this afternoon unani­mously decided to recommend to the Conference that Paris should be the site of the proposed Educational Scientific and Cultural Organisation. 2. The notion in favour of Paris was made by our delegation supported by the United States, Chinese, Belgian, Brazilian, Columbian and other delegates by acclamation. 3. Conference is still in Commission stage. London is recommended as site of Interim Commission which will be created to prepare for the first meeting of the new organisation.” Zit. nach: ebd. 54 Originalzitat A. N. Hashem: „While appreciating the long experience of the International Institute of Intellectual Cooperation and the services it rendered to the furtherance of international thought, the Egyptian Ministry of Education, nevertheless, feels it to be a duty to draw your attention to the

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Vermutlich um solchen, meist nicht öffentlich ausgetragenen Konflikten entgegenzuwirken, wurde einem Ortsausgleich dahingehend stattgegeben, dass mit Artikel IV der ersten Verfassung der ­U NESCO festgelegt wurde, die jährlichen Generalkonferenzen (ab 1954 alle zwei Jahre) in unterschiedlichen Ländern abzuhalten. So trat die erste Generalversammlung der ­U NESCO erstmals 1946 in Paris zusammen und wanderte dann verfassungsgemäß 1947 nach Mexico City, 1948 nach Beirut, 1949 nach Paris, 1950 nach Florenz, 1951 und 1952 nach Paris, 1954 nach Montevideo, 1956 nach Neu Delhi, bevor sie ab 1957 dauerhaft nach Paris verlegt wurde, wo sie ab 1958 mit der Eröffnung des neuen ­U NESCO-Gebäudes einen permanenten Konferenzort fand. Das ­U NESCO-Sekretariat, als Exekutive der Resolutionen, nahm seine Arbeit 1947 in Paris in dem von der französischen Regierung bereitgestellten Palais Majestic an der Avenue Kléber auf. Die Kritik der Ägypter verdeutlicht ein sich bereits früh abzeichnendes Ungleich­ gewicht zwischen den Mitgliedsstaaten der neuen Organisation. Dieses lässt sich vor allem auf die unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen ­Ausgangssituatio­nen der partizipierenden Länder zurückführen, aus denen unterschiedliche Interessen und auch Erwartungen resultierten. So waren arabische, afrikanische und südamerika­nische Staaten mit innenpolitischen Problemen im Bildungsbereich, beispielsweise hohen Analphabetismusraten, stärker konfrontiert als europäische. Die ­U NESCO sollte hier vor allem in der Funktion einer Bildungsorganisation durch den infrastrukturellen Aufbau eines zuverlässigen Grundschulwesens Hilfe leisten, um dauerhaft die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an Bildung und Ausbildung und damit an der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder voranzutreiben. Das Interesse westlicher Staaten an der ­U NESCO lag eher im Bereich Kultur. Neben dem universitären Austausch fokussierten sie Programme zur Förderung des kulturellen Lebens. Theater, Literatur und Bildende Künste sollten als moralische Instanzen der Gesellschaft wieder etabliert und gestärkt werden. Gleichzeitig verfolgten europäische Staaten die Idee, ihre Kultur als Teil eines internationalen Erziehungsprogramms in die ganze Welt zu tragen.55 Daraus lassen sich unterschiedliche Auffassungen von Bildung und Kultur ableiten. England, Frankreich und die USA proklamierten einerseits einen Wertekanon, der auf den demokratischen Grundfesten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beruhte und auf einem europäisch-humanistisch geprägten Bildungsideal fußte. Gleichzeitig lebten diese Staaten noch selbst in Widersprüchen, indem sie nach wie vor als Kolonialherren auftraten oder Teile ihrer eigenen Bevölkerung unterdrückten. Nichteuropäische Staaten eiferten einerseits fact that the said Institute had a purely European outlook. The Egyptian Ministry therefore would wish the projected Organisation to take into account the needs, circumstances and difficulties of non-European nations. The Ministry suggests that a practical plan to consider the needs of some of these Nations would be to create a permanent centre for the Organisation in Cairo.” Zit. nach: ­­UNESCO 1946, S. 71. 55 Die These wird im Kapitel „Künstlerförderung Kanonbildung” des ersten Teils noch eingehender exemplifiziert und erläutert werden.

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hohen wirtschaftlichen Standards westlicher Staaten nach, kritisierten aber ­gleichzeitig die Einseitigkeit von deren Kulturbegriff und die damit verbundene Exklusion anderer Kulturkreise, die häufig als rückständig eingestuft wurden. Man kann sagen: Entwicklungshilfe und hegemoniale Vorstellungen von einer neuen Weltkultur prallten hier unmittelbar aufeinander. Diese Gemengelage aus ungleichen wirtschaftlichen Voraussetzungen und hohen Erwartungen an eine neue internationale Gemeinschaft, wie sie die ­U NESCO verkörperte spiegelt sich, wie sich noch zeigen wird, sowohl in den frühen Programmen der Organisation als auch in ihrem modernen Bauvorhaben wider.

Politische Entscheidungen über Baustil und Formensprache Erste Planungsschritte Das Bauprojekt für ein eigenes Hauptquartier auf französischem Territorialgebiet wurde erstmals 1949 auf der vierten Generalkonferenz in Paris diskutiert. Im Rahmen einer Resolution beauftragten die Delegierten den amtierenden Generaldirektor, den Mexikaner Jaime Torres Bodet, in Verhandlungen mit der französischen Regierung einzutreten, um die Möglichkeiten eines den Bedürfnissen der Organisation entsprechenden Neubaus in Paris zu eruieren.56 Die Resolution sah ferner die Einrichtung einer Kommission vor, ein sogenanntes Comité du Siège (im Folgenden Hauptquartierkomitee), das zunächst die räumlichen Bedürfnisse der ­U NESCO untersuchen sollte und dem Generaldirektor als beratendes Gremium zukünftig in sämtlichen Planungsangelegenheiten zur Seite stand. Die Ergebnisse regelmäßig abgehaltener Planungssitzungen, zunächst Vorschläge zur Einleitung eines Planungs- und Bauprozesses, sollten im darauffolgenden Jahr der fünften Generalkonferenz zur Abstimmung vorgelegt werden.57 Zehn Delegierte der Mitgliedsstaaten Ägypten, Australien, Belgien, Brasilien, England, Frank­ reich, Italien, Japan, Peru und USA traten dem Hauptquartierkomitee bei. Im Laufe seines mehrjährigen Bestehens wurde es um weitere Mitglieder aus China, Indien und zuletzt der UdSSR erweitert. Am 27. Februar 1950 trat das Gremium erstmals in Paris zusammen. Bis zur General­ konferenz, die vom 22. Mai bis zum 17. Juni 1950 in Florenz tagte, entwickelten die Delegierten zunächst Pläne zur Finanzierung und Vorstellungen über die Ortsbezogenheit ihres Neubaus. In ihrem ersten Abschlussbericht bestätigte das Komitee die Mitgliedsstaaten in ihrer Forderung, dass die U ­ NESCO baldmöglichst ein eigenes Gebäude 56 Originalzitat aus der UNESCO-Resolution: „The Director-General is instructed to enter into negotiations with the Government of the Republic of France with a view to examining the possibility of establishing in Paris the Unesco Headquarters in a building which would meet the increasing needs of the Organisation.” Zit. nach: UNESCO (Hg.): Records of the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Fourth Session. Vol. 2, Resolutions, Paris 1949, S. 65. 57 Vgl. ebd.

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benötigte, welches für die Generalkonferenzen und den Exekutivrat, das Personal des Sekretariats, die weiteren Dienste der Organisation (Archiv, Bibliothek und Druckerei) sowie auch für andere UN-Organisationen geeignet sei. Ein solches Gebäude dürfe nicht außerhalb von Paris situiert sein, da es bequem vom Personal des Sekretariats, der Generalkonferenz, den Mitgliedern des Exekutivrats sowie von Besuchern erreicht werden müsse.58 Einigkeit herrschte im Gremium darüber, dass sich die Mitgliedsstaaten vor Beginn des Planungsprozesses über die Finanzierung verständigen müssten.59 Die Grundbedingungen für den Bau bestünden in einem von der französischen Regierung kostenfrei bereitgestellten Gelände in Paris sowie einem zinsfreien Darlehen über eine Gesamtsumme von 4.500.000 US-Dollar, das über einen Zeitraum von 30 Jahren mit einer jährlichen Rückzahlungsrate von 150.000 US-Dollar beglichen werden könne.60 Die Kommission ging zu diesem Zeitpunkt von einer zweijährigen Bauzeit aus. Die veranschlagte Bausumme resultierte aus Schätzungen, die der französische Architekt J­ acques Carlu (1890–1976) vorgenommen hatte. Dieser war von Generaldirektor Bodet damit beauftragt worden, einen ersten Bedarfsplan für die U ­ NESCO mit dezidierten Über­ legungen zum Flächen- und Raumbedarf auszuarbeiten. Die frühe Zusammen­arbeit mit Carlu ist vor dem Hintergrund interessant, dass Carlu zum einen ein etablierter französischer Architekt war, der bereits große Projekte in Paris realisiert hatte (Palais de ­Chaillot), wichtige Ämter bekleidete (Mitglied des Conseil Général des Bâtiments de Civil et Palais Nationaux) und mit hohen Ehren (Prix Chenavard, Grand Prix de Rome für seinen Entwurf zum Genfer Völkerbundpalast, Ritter der Ehrenlegion) ausgezeichnet worden war. In den U ­ NESCO-Protokollen wird er als Chefarchitekt der französischen Regierung geführt. Zum anderen verfügte Carlu über ausgezeichnete Kontakte in die USA. Von 1924 bis 1934 lehrte Carlu als Professor of Advanced Design am MIT. 1940 exilierte er in die USA und war dort an den französisch-amerikanischen Verhandlungen unter Jean Monet beteiligt. Seit 1950 in das Kunstberaterkomitee zur Ausgestaltung des neuen UN-Hauptquartiers gewählt, bestand bereits ein enger Kontakt zu den Vereinten Nationen.61 Seine Positionen als Regierungsarchitekt und als Mitarbeiter am UN-­ Gebäude befähigten ihn in besonderem Maße zur Teilnahme am ­­UNESCO-Bauprozess. Carlus Expertenbericht an den Generaldirektor stellt das erste Dokument dar, in dem konkrete Vorstellungen über einen möglichen Architekturstil geäußert wurden. Darüber hinaus verwies es ganz explizit auf die außerordentlichen Schwierigkeiten für

58 Im Report of the Headquarters Commission vom 17. 4. 1950 heißt es: „Such a building should be located conveniently for Secretariat Personnel, for General Conference Delegates and Executive Board Members, for visiting Experts and for the Public.” Zit. nach: Report of the Headquarters Commission, ­U NESCO-Archiv, HQ 1–2, 5C/ADM/14. 59 Vgl. ebd. 60 Falls kein zinsfreies Darlehen erreicht werden könne, ging man bei einem Zinssatz von 5% von einer jährlichen Rückzahlungssumme von 240.000 $ aus. Vgl. ebd. 61 Vgl. Gournay, Isabelle: Jacques Carlu, in: Saur, Künstlerlexikon, Bd. 16, Leipzig, München 1997, S.  465 f.

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­ eubauten im historischen Paris.62 Carlu fasste in seinem Bericht zunächst den Bedarf N der Organisation sachlich zusammen. So ging er von einem Flächenbedarf von 45.000 Quadratmetern aus. Neben 1000 Büros zu je 20 Quadratmetern und zwei großen Konferenzräumen berechnete er großzügig Flächen für Schreib- und Übersetzungsräume, Presse- und Ausstellungsräume, Restaurants mit Lounges, Bars und Clubräumen, ferner ein Fotolabor, eine Bibliothek und ein Archiv für Dokumente und Mikrofilme, ein Ärztezimmer sowie diverse Umkleideräume, Toiletten, Stauräume und Flure. Bei einem örtlichen Kostensatz von 35.000 Francs pro bebautem Quadratmeter ergab seine Kosten­ rechnung eine Summe von 1.575.000.000 Francs, umgerechnet 4.500.000 US-Dollar. Vom Innenraumbedarf ausgehend folgten Überlegungen zu möglichen funktionalen Gebäudestrukturen. Dabei riet Carlu der UNESCO zu einer offenen Raumstruktur mit ausreichend Flächen für Bepflanzungen. Ein Gelände mit mehr als 20.000 Quadrat­ metern ließe ein Layout mit besonderen architektonischen Kennzeichen zu. Carlu appellierte an die UNESCO, dass sie vor der Suche nach einem geeigneten Gelände zunächst konkrete Vorstellung von der Auffassung ihres Gebäudes, also von ihrem Erscheinungsbild entwickeln müsse. Er forderte die Delegierten offensiv dazu auf, sich Gedanken über den Architekturstil zu machen. Als Experte ließ Carlu anklingen, dass man in Paris nicht überall beliebig bauen könne, da zahlreiche Restriktionen jedes durchdachte Bauprogramm zu Fall bringen könnten. Carlus Bericht liest sich stellenweise wie eine Ermahnung an die ­U NESCO, sich wohlüberlegt der Gebäudeplanung in Paris zu nähern. Mit seinen problemorientierten Einschätzungen behielt er, wie sich im Verlaufe des Bauprozesses zeigen sollte, in vielerlei Hinsicht recht. Bei seinen analytischen Überlegungen für einen möglichen Architekturstil unterschied er zwischen zwei grundsätzlichen Gebäudefunktionen, der konstruktiven und der symbolischen: Die Idee eines dauerhaften Hauptquartiers für eine internationale Organisation beinhaltet physische und psychologische Fragestellungen. Während das allgemeine Design des Gebäudes Lösungen für eine Vielzahl praktischer Bedürfnisse und komplexer täglicher Abläufe bereithalten muss, wird es auch der physische Ausdruck kollektiver Arbeit von höchster Wichtigkeit sowie ein materielles Symbol sein, dem der Architekt eine Atmosphäre von Dauerhaftigkeit geben muss, die den Wert der ­U NESCO-Idee und den ihrer Mitgliedsstaaten verkörpert.63

62 Vgl. Jacques Carlu: Considerations affecting the search for a site for the building of new Headquarters for UNESCO, and approximate estimate of the floor space needed by the organization, ­U NESCO-Archiv, HQ 1-2, 5C/ADM/14. 63 Originalzitat Jacques Carlu: „There are, however, physical and psychological questions implicit in the notion of a permanent Headquarters building for such an international organization as this. While the general design of the building must provide for a wide variety of practical needs and complex daily operations, it will also be the physical expression of a collective work of the highest importance and a material symbol to which the architect must give an atmosphere of permanence worthy of the idea ­U NESCO embodies and of its Member States.” Zit. nach: ebd., S. 4.

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Aus diesen beiden grundsätzlichen Maßgaben, Funktionalität und Repräsentativität, resultierte für ihn entweder die Möglichkeit eines kompakten Gebäudes, das den Prinzipien gewöhnlicher Regierungsgebäude folgte, oder aber die Alternative eines offenen Layouts mit voneinander separierten Blocks, Auffahrten und Bepflanzungen als integralem Bestandteil eines Gesamtentwurfs. Er vertrat explizit eine moderne Architekturauffassung, die sich an einer nach funktionalen Gesichtspunkten offenen Verteilung von Bau­ volumen orientierte. Die Vorteile eines solchen Entwurfs sah er nicht zuletzt in der Schaffung ausgezeichneter Arbeitsbedingungen, vor allem in Hinsicht auf Raum und Licht: Der allgemeine Eindruck wäre von größerer Individualität. Es gäbe mehr Raum und Luft; individuelle Dienste wären so angeordnet, dass sie das Maximum an natürlichem Licht und Luft entsprechend ihrer Unabhängigkeit, ihrer gelegentlichen oder dauerhaften Natur sowie dem Umfang ihres Kontakts zum Rest sicherstellten.64

An dieser Stelle lässt sich festhalten, dass Jacques Carlu als erster zu Rate gezogener Experte dem Generaldirektor und dem Hauptquartierkomitee konkrete Bauempfehlungen zu einem Architekturstil sowie zur Geländewahl aussprach. Dabei riet er davon ab, ein gewöhnliches Regierungsgebäude zu errichten. Vielmehr betonte er die Notwendigkeit einer modernen Formensprache, die seiner Meinung nach die Ideen der U ­ NESCO adäquat symbolisieren könnte.

Kontroverse Diskussionen über Standorte, Baurestriktionen und Architekten Das Hauptquartierkomitee, ein ausschließlich aus Politikern bestehendes und in den Bereichen Architektur und Städtebau fachfremdes Gremium, nahm Carlus Empfehlungen durchaus zur Kenntnis. So wird aus Protokollen der ersten Sitzungsrunden ersichtlich, dass die Delegierten divergierende, aber durchaus konkrete Vorstellungen von einer zukünftigen Architektur entwickelten.65 Ihre Arbeit wurde jedoch zunächst durch die permanente Einmischung französischer Regierungsvertreter aus Finanz­ ministerium und Ministerium für Wiederaufbau und Stadtplanung erschwert. Diese verfolgten von Beginn an eine Strategie größtmöglicher Einflussnahme. Während einer Debatte am 30. Juni 1950 informierten sie das Hauptquartierkomitee über städtische 64 Originalzitat Jacques Carlu: „The general impression would be one of greater individuality; there would be more space and air, and individual services would be sited so as to secure the maximum of natural light and air in accordance with their independence, their occasional or permanent nature and the extent of their contact with the remainder.” Zit. nach: ebd., S. 5. 65 Laut eines Übersichtsplanes über die Sitzungen des Hauptquartierkomitees sind die erste Sitzung vom 27. 2. 1950 und eine weitere, unbekannten Datums nicht protokolliert worden und mit dem Verweis „pas de compte rendu“ versehen. Vgl. ­U NESCO-Archiv, HQ 1+2. Eine Diskussionsrunde mit französischen Regierungsvertretern fand am 30. 6. 1950 während der 5. Generalkonferenz in Paris statt und wurde ausführlich protokolliert.Vgl. ­U NESCO-Archiv, 6C/HQ /SR.1. Auch für die dritte und vierte Sitzung vom 26. 6. 1951 und 25. 10. 1951 liegen Verlaufsprotokolle vor, die die Anwesenheit der Teilnehmer festhalten und deren Aussagen und Meinungen wiedergeben. Vgl. ­­U NESCO-Archiv, HQ 3+4.

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Baugesetze und Restriktionen.66 Zudem stellten sie der ­U NESCO als einzig verfügbaren Bauplatz die sogenannte Caserne de Fontenoy (Abb. 10, 11) in Aussicht, die als Teil der École Militaire noch als Truppenübungsplatz genutzt wurde. Dieses Gelände böte sich aus dem Grund an, da die Regierung selbst dort in Kürze den Bau eines Palais des Congrès plane. Diese neue Regierungsarchitektur würde dem U ­ NESCO-Neubau würdig zur Seite stehen und könne selbstverständlich von der Organisation benutzt werden. Der Bau eines eigenen Konferenzgebäudes würde somit obsolet.67 Diesem klugen Schachzug, der von Beginn an vorsah, sowohl den eigenen Palais des Congrès als auch den ­­UNESCO-Neubau von einem Regierungsarchitekten planen und ausführen zu lassen, stieß bei den ­U NESCO-Delegierten auf Vorbehalte. Sie hatten allerdings aufgrund ihrer Unerfahrenheit in dieser frühen Planungsphase den Regierungsvertretern kaum Argumente entgegenzusetzen. Der zweite Diskussionsfokus war auf ein mögliches Verfahren zur Auswahl eines geeigneten Architekten gerichtet. Die Positionen der Delegierten reichten vom Befürworten eines Architekturwettbewerbs, entweder offen oder auf wenige internationale Architekten von Weltrenommee beschränkt, bis hin zur direkten Nominierung eines oder gar mehrerer Architekten durch den Generaldirektor.68 Der amerikanische Delegierte und Kommissionsvorsitzende Charles Thomson problematisierte ein Wett­bewerbsverfahren mit den Argumenten, dass erstens die Suche nach einer geeigneten Methode für die Auswahl der Architekten zu langwierig, zweitens das Erstellen von Kriterien zur Auswahl des Gewinnerentwurfs kompliziert, drittens die anfallenden Kosten zur Prämierung der Entwürfe zu hoch und viertens das Zeitfenster, das für einen Wettbewerb insgesamt zur Verfügung stünde, viel zu knapp sei.69 Auch die Vertreter des Städtebauministeriums sprachen sich gegen ein Wettbewerbsverfahren aus, da sie hierfür dezidierte Informationen über ein Gelände, dessen Lage, geologische Gegebenheiten und gesetzliche Vorschriften liefern müssten und die Zusammenstellung dieser Daten einige Zeit in Anspruch nähme.70 Die Mehrzahl der Komiteemitglieder hielt es andererseits für riskant, die gesamte Planung in die Hände einer einzigen Person zu legen. Der englische Delegierte R. Cowell zog zum Vergleich den Bauprozess des UN-Hauptquartiers in New York heran. Bei diesem sei ein einziger und zudem mit der städtischen Gesetzgebung vertrauter Architekt als Hauptverantwortlicher benannt und von einem internationalen Architektenteam bei der Entwurfsfindung unterstützt worden. Sein Vorschlag, dieses bewährte Verfahren auf den ­UNESCO-Bau zu übertragen, traf auf den heftigen Widerstand des brasilianischen Delegierten Paolo de Berrido Carneiro. Dieser kritisierte, dass auch das New Yorker Verfahren nicht problemlos abgelaufen sei. Dabei bezog er sich offensichtlich auf den dort beteiligten und von ihm persönlich hoch verehrten Architekten Le Corbusier, dessen Ver66 67 68 69 70

Vgl. Protokoll vom 30. 6. 1951, ­U NESCO-Archiv, HQ 1+2, 6C/HQ /SR.1 (prov.), S. 4. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 5 ff. Vgl. ebd., S. 5. Vgl. ebd., S. 6 f.

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halten beim UN-Entwurfsprozess international für Aufsehen gesorgt hatte (vgl. Kapitel zwei des zweiten Teils).71 Er hielt es daher für ratsam, das Gebäude von mehreren Architekten ausführen zu lassen.72 Die Vertreter des Städtebauministeriums warfen mehrmals in die Diskussion ein, dass jeder Entwurf vom Ministerium für Wiederaufbau und Stadtplanung sowie vom Conseil des Bâtiments de France genehmigt werden müsse, egal ob ein einzelner Architekt oder ein Team gewählt sei. Niemandem würde hinsichtlich der Stilwahl freie Hand gelassen. Aus diesem Grund erscheine es ihnen sinnvoll, einen Generalplan mit Modellen sowie die Integration des Gebäudes in das Arrondissement von der französischen Regierung anfertigen zu lassen. Die Ausführung eines Bauprogramms könne in einem zweiten Schritt von einem Architekten oder einem Team von Architekten vorgenommen werden.73 Gegen diese massive Einmischung verwehrte sich das Hauptquartierkomitee. So machte Carneiro deutlich, dass gerade die erste Planungsphase eine Diskussion sowohl um das Gelände als auch um den Architekturstil aufwerfe. Deswegen müssten zunächst mehrere Architekten herangezogen werden und erst die anschließende Bauphase könne von einem Architekten realisiert werden.74 Der ägyptische Delegierte Hassan F. El Diwany schlug vor, eine internationale Architekten-Jury einzuberufen, um verschiedene Entwürfe zu prüfen. Diese Vorgehensweise stelle eine zusätzliche Absicherung für das Hauptquartier­komitee dar, das ihm im Übrigen als nicht kompetent genug erscheine, um über technische Fragen zu entscheiden.75 Auf El Diwanys Vorschlag hin fasste das Hauptquartierkomitee einen ersten offi­ ziellen Beschluss. Es sprach dem Generaldirektor die Empfehlung aus, einen einzelnen „vorläufigen“ Architekten mit der Ausarbeitung von Entwürfen zu beauftragen. Seine Arbeit solle von einem Komitee aus fünf international renommierten Architekten bewertet und überarbeitet werden. Die von diesem Gremium abgesegneten Pläne würden dann dem Generaldirektor, dem Hauptquartierkomitee und der Generalversammlung vorgelegt. In Abstimmung mit dem Hauptquartierkomitee solle der Generaldirektor wiederum einen anderen Architekten mit der Ausführung betrauen.76 Der ‚vorläufige Architekt‘ solle ein französischer Staatsbürger sein, dessen Wirken in der Tradition der französischen Hauptstadt stand.77 Diese Vorgehensweise erscheint auf den ersten Blick verkomplizierend, wenig praktikabel und zeugt von einem politischen Prozedere mit 71 72 73 74 75 76

Vgl. ebd., S. 6. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 7. Die Empfehlung lautet im Orgiginaltext: „A faire dresser par un architecte désigné à titre provisoire le Directeur général, en liaison avec les services français compétents, un plan d’ensemble qui sera soumis en consultation à cinq architectes de classe internationale de divers pays. Ceux-ci feront un rapport au Directeur général qui, après consultation de la Commission du Siège, désignera l’architecte chargé de l’éxécution des traveaux.” Zit. nach: Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 30. 6. 1951, ­U NESCO-Archiv, HQ 1+2, 6C/HQ /SR. 1 (prov.), S. 7. 77 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 26. 7. 1951, ­U NESCO-Archiv, HQ 3, S. 5.

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mehreren sich gegenseitig kontrollierenden Instanzen. Sie kann als Ausdruck einer fachlichen Unsicherheit des Hauptquartierkomitees, als diplomatische Bemühung, schließlich auch als eine Strategie zur Verhinderung von zu großer Einflussnahme durch das französische Ministerium gewertet werden. Der nächste Schritt des Hauptquartierkomitees fokussierte die Wahl des ‚vorläufigen Architekten‘ sowie die Zusammenstellung einer internationalen Jury. Obwohl die Gremiumsmitglieder eine offene Stildebatte weitestgehend vermieden, lassen sich aus ihren Diskussionen über einen zukünftigen Kandidaten konkrete Vorstellungen über die von ihnen favorisierte Architektur ablesen: Als ersten möglichen Kandidaten brachte der brasilianische Delegierte Carneiro Le Corbusier ins Spiel, dem seiner Ansicht nach Brasilien die Rückkehr zu modernen Zeiten verdanke.78 Er sah in ihm die geeignetste Persönlichkeit, die am besten einen Entwurf unter psychologischen, technischen und ästhetischen Gesichtspunkten ausführen könne und machte damit seine persönliche Vorliebe für einen radikal modernistischen Entwurf deutlich. Mit diesem Vorschlag kämpfte er jedoch auf verlorenem Posten, denn nicht nur der italienische Delegierte Alberto de Clementi sprach sich gegen Le Corbusier aus. Die weitaus gewichtigere Gegenposition nahm der US-amerikanische Delegierte Thomson ein, mit dem Verweis auf Le Corbusiers unrühmliche Rolle beim Bau des UN-Hauptquartiers. Sein deutliches Veto, das von Seiten Großbritanniens unterstützt wurde, schloss Le Corbusier als Architekten von vornherein aus. Doch auch der Delegierte der Vereinigten Staaten, dem vor allem an einem zügigen Bauprozess gelegen war, favorisierte einen modernen Entwurf. Entgegen dem bereits gefassten Beschluss eines einzigen vorläufigen Kandidaten beharrte er nach wie vor auf der Zusammenstellung eines Teams nach dem Vorbild des UN-Bauprozesses und sprach sich schließlich für die Zusammenarbeit zweier zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannter französischer Architekten aus – Raymond Gravereaux (1905–1991) und Bernard Zehrfuss. Gravereaux vollendete gerade sein erstes Gebäude in Paris, ein Hochhaus für die Fédération nationale du bâtiment gemeinsam mit dem wesentlich bekannteren Architekten Raymond Lopez (1904–1966).79 Zehrfuss, Schüler der École des Beaux-Art und Rompreisträger von 1939, hatte sich in den 1940er Jahren dem modernen Städtebau zugewandt und im Auftrag der Regierung von 1943 bis 1946 in Tunesien größere Projekte, in Paris hingegen noch kein einziges Bauwerk realisiert.80 Diesen beiden französischen Vertretern stellte Thomson Eero Saarinen (1910–1961) aus den USA und Howard Robertson (1888–1963) aus Großbritannien als Berater zur ­Seite.81 Dies erschien ihm notwendig, da Westeuropa bei der Konstruktion von Hochhäusern längst noch nicht über die technischen Standards verfügte wie die USA. Saari­ nen und Robertson waren international anerkannte Architekten und weitaus gewich78 Vgl. ebd, S. 5. 79 Vgl. Texier 2005, S. 135. 80 Vgl. Morgan, Ann Lee/Naylor, Colin (Hg.): Contemporary Architects, Chicago, London 1987, S. 1026. 81 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 17. 12. 1951, ­U NESCO-Archiv, HQ 5, S. 5.

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tigere Persönlichkeiten als Gravereaux und Zehrfuss. Howard Robertson, in den USA geboren und ausgebildet, hatte bereits 1939 an der New Yorker Weltausstellung und später eng mit Planungsdirektor Wallace K. Harrison am Design-Prozess des UN-Gebäudes mitgewirkt, Saarinen war ein preisgekrönter New Yorker Architekt und Designer, der im erstklassigen Architekturbüro seines Vaters Eliel Saarinen gearbeitet hatte. Die Ameri­ kaner verfolgten augenscheinlich die Strategie, einen dem UN-Gebäude verwandten Hochhauskomplex in Paris dadurch durchzusetzen, dass sie zwei unerfahrenen Franzosen zwei Schwergewichte amerikanischer Architekturerfahrung zur Seite stellten. Der französische Delegierte, der nicht zuletzt der Position seiner Regierung verpflichtet war, hatte dem Generaldirektor bereits im Vorfeld eine Namensliste mit den Favoriten der Regierung zukommen lassen.82 Diese beinhaltete die Architekten Eugène Beaudouin (1898–1983), Jacques Carlu, Le Corbusier, Auguste Perret (1874–1954), Michel RouxSpitz (1888–1957) und ebenfalls den jungen Zehrfuss. Eugène Beaudouin, Architecte en chef honoraire des Bâtiments Civils et des Palais Natio­ naux der französischen Regierung, stand zwar Positionen der Beaux-Arts-Tradition nahe, er orientierte sich jedoch nach 1945 an modernen Bauformen. Wie bereits erläutert stand Jacques Carlu bereits im Dienst der ­UNESCO und hatte den ersten Bedarfsplan ausgearbeitet. Als Mitglied im Conseil Général des Bâtiments Civils et Palais Natio­naux zeichnete er sich als Kenner der Pariser Stadtlandschaft aus, zudem verfügte er durch sein Wirken für die UN über internationale Kontakte. In den 1950er Jahren wirkte er im Auftrag der französischen Regierung jedoch weniger als Architekt, sondern vielmehr als Berater in Kulturangelegenheiten.83 Auguste Perret galt zwar als Weg­bereiter der französischen Moderne, der 78-jährige näherte sich jedoch in seinem gesamten Spätwerk wieder vermehrt historischen Bauformen an. Michel Roux-Spitz, von 1934 bis 1936 Professor für Architekturtheorie an der École des Beaux-Arts in Paris, arbeitete für das Ministerium für Wiederaufbau und Stadtplanung und vertrat durchaus moderne Positio­nen.84 Dem bereits vorgestellten Bernard Zehrfuss kam eher eine Außen­seiterrolle zu. Dass Le Corbusier auf der Liste auftauchte, mag zunächst verwundern. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass die französischen Behörden ihre Zustimmung zu dem für seine visionären Ideen aber auch für seine mangelnde Kooperationsbereitschaft bekannten Avantgarde-Architekten erteilt hätten. Den international berühmten Landsmann an dieser Stelle nicht zu nominieren hätte andererseits bei der ­UNESCO einen merkwürdigen Eindruck erwecken können. Sehr wahrscheinlich vertrauten die Franzosen auf das Veto der USA gegen Le ­Corbusier, dass diese in der Sitzung vom 25. Oktober 1951 auch prompt aussprachen. Großbritannien spielte sich mit einem eigenwilligen Vorschlag an den Rand. Der englische Delegierte R. Cowell sprach sich für das Schweizer Architekturbüro Haefeli, Moser und Steiger (HMS) aus. Die drei Schweizer Architekten – allesamt Gründungs82 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 25. 10. 1951, ­U NESCO-Archiv, HQ 4, S. 2. 83 Vgl. Gournay in: Saur 1997, S. 465. 84 Vgl. Morgan/Naylor 1987, S. 765.

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mitglieder der CIAM und auch im Rahmen der sogenannten Schweizergruppe 1927 am Bau der Weißenhofsiedlung in Stuttgart beteiligt – zählten bereits damals zu den Hauptvertretern der modernen Architekturbewegung in der Schweiz.85 Diese Empfehlung stand jedoch dem Gremiumsbeschluss entgegen, die drei Architekten von HMS waren weder französische Staatsbürger noch stand ihr Wirken in einem Zusammenhang mit der französischen Hauptstadt. Da sich das Gremium auf keinen Kandidaten einigen konnte, beauftragte es eine kleine Arbeitsgruppe, bestehend aus Delegierten der USA, Frankreichs und Großbritanniens, mit der Nominierung des vorläufigen Architekten. Entgegen der Aufgabenstellung einer Einkandidatenlösung verständigten sich diese in einer nicht protokollierten Sitzung auf ein Architektenteam mit den Kandidaten Beaudouin, Gravereaux und Zehrfuss. Damit versuchten sie einerseits das Ansinnen der USA nach einer Teambildung durchzusetzen und zudem die französische Nominierungsliste mit zwei Kandidaten zu bestätigen.86 Diesem eigenmächtigen Vorgehen verwehrte sich jedoch der Generaldirektor. Als endgültiger Entscheidungsträger lehnte er die Nominierung von drei vorläufigen Architekten ab. In einer neuen Abstimmungsrunde einigte sich das Hauptquartierkomitee schließlich auf Eugène Beaudouin.87 Beaudouin hatte ein Studium an der École des Beaux-Arts absolviert und ab 1929 vier Jahre an der Académie de France in Rom gearbeitet. Zahlreiche Ämter – seit 1933 Chefarchitekt für öffentliche Bauten und natio­nale Palais der Regierung, von 1940 bis 1968 Direktor der École d’Architecture der Universität Genf, seit 1946 Professor und Werkstattleiter der École des Beaux-Arts in Paris und seit 1950 Mitglied des Natio­ nalen Rats für Architektur und Städteplanung  – wiesen ihn einerseits als Traditiona-

85 Die drei Architekten schlossen sich 1937 zum Architekturbüro HMS zusammen, nachdem sie Anfang der 1920er Jahre erste Berufserfahrungen im Ausland gesammelt hatten. Werner Max Moser hatte ein Semester lang in Stuttgart bei Paul Bonatz studiert und unterhielt ab 1921 enge Kontakte zum holländischen Architekten Mart Stam. 1923 reiste er in die USA und arbeitete für kurze Zeit im Architekturbüro Frank Lloyd Wrights. Max Ernst Haefeli arbeitete 1924 im Architek­ turbüro Otto Bartnings in Berlin und auch Rudolf Steiger zog es nach einem Aufenthalt in ­Brüssel nach Berlin. Dort arbeitete er bei Arthur Korn und Sigfried Weitzmann. Besonders beim vierten CIAM-Kongress Die Funktionelle Stadt von 1933 wirkten die drei Schweizer als Mitglieder des Publikationskomitees intensiv an der Formulierung der CIAM-Positionen mit. Moser und Steiger waren von 1930 bis 1949 bzw. 1928 bis 1943 Mitglieder des ständigen Ausschusses der CIAM (­C IRPAC). Vgl. Ausst.-Kat. Zürich 2007, Museum für Gestaltung: Haefeli Moser Steiger. Die Architekten der Schweizer Moderne. Dokumente zur modernen Schweizer Architektur, hrsg. v. Sonja Hildebrand, Ausstellung vom 30. März–1. Juli 2007, S 55 f. 86 Die Einrichtung dieser sogenannten Working Party wurde an der Hauptquartierkomitee­ sitzung vom 25. 10. 1951 beschlossen. Vgl. UNESCO-Archiv, HQ 4, S. 5. Dieses Sondergremium trat am 2. 11. 1951 zusammen. Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 5. 11. 1951, ­­U NESCO-­­A rchiv, HQ 4, S.  2. 87 Im Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung heißt es: „The Director General thought it wiser to appoint a single architect rather than a team of architects. He considered that the workingparty’s recommendation on that point was not an agreed one, and he hoped that the Committee would make a recommendation which was adopted by a large majority.” Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomitee­ sitzung vom 25. 10. 1951, ­U NESCO-Archiv, HQ 4, S. 2.

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listen und Kenner der Pariser Architekturlandschaft aus.88 Anderer­seits zählte ­Beaudouin auch zu den Befürwortern neuer Bautechnologien. In der Zwischenkriegszeit schuf er in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren Marcel Lods, Jean Prouvé und Vladimir ­Bodiansky unkonventionelle Architekturentwürfe wie das Maison du Peuple in Clichy (1937–1939). Nach dem Krieg realisierte Beaudouin im Zuge des französischen Wiederaufbaus zahlreiche Strukturplanungen, Wohnungsbau­projekte, Schul- und Universitätsbauten unter anderem in Straßburg, Marseille und Clermont-Ferrand.89 Trotz seiner akademischen Ausbildung gilt Beaudouin heute als Vertreter der französischen Modernisierungsbewegung. Dem Wunsch der USA entsprechend stellte die U ­ NESCO ­Beaudouin die Berater Eero Saarinen und Howard ­Robertson zur Seite. Die Regierung war mit ­Beaudouin als Kandidat aus den eigenen Reihen zufrieden. Der brasilianische Delegierte Paulo de ­Berrido Carneiro hatte seine Zustimmung in dem Moment signalisiert, als der Generaldirektor zusicherte, seinen Favoriten Le C ­ orbusier in jedem Falle in das internationale Beraterteam aufzunehmen. Eugène ­Beaudouin wurde am 5. November 1951 gewählt und am 17. Dezember 1951 offiziell damit beauftragt, vorläufige Pläne für ein oder mehrere Gebäude auf dem Gelände an der Place de Fontenoy anzufertigen.90 Vermutlich aus weiser Voraussicht bezüglich der Uneinigkeit des Hauptquartier­ komitees, nahm Generaldirektor Bodet die Zusammenstellung des internationalen Berater­teams selbst in die Hand. Per Resolution stand ihm eine alleinige Entscheidungsbefugnis prinzipiell zu. Als Diplomat nutzte er diese jedoch selten und nahm die Empfeh­ lungen seines beratenden Hauptquartiergremiums meistens an. Bodet wandte sich in der Beraterfrage an zwei mit der UNESCO kooperierende NGOs, zum einen die Internatio­nal Union of Architects (IUA) zum anderen die Congrès Internationaux ­d ’Architecture Moderne (CIAM). Er beauftragte diese, ihm Namenslisten zukommen zu lassen, aus denen er die internationale Jury zusammenstellte. Obwohl einige Komiteesmitglieder gegen diesen Alleingang vehement mit dem Argument protestierten, dass es gefährlich sei, eine solche wichtige Entscheidung an außenstehende Gruppierungen zu übertragen, ließ sich der Generaldirektor in seiner Entscheidung nicht beirren. Er allein nominierte Le ­Corbusier, Walter Gropius, Lucio Costa, Ernesto Rogers und Sven Markelius zu Mitgliedern des internationalen Beraterkomitees, das die Pläne Beaudouins begutachten sollte.91 Insgesamt zeigen die ersten Sitzungen des Hauptquartierkomitees, dass sich alle Delegierten für eine moderne Architekturauffassung aussprachen. Die Interessen einzelner treten dabei deutlich zutage. So favorisierten die USA einen Hochhaus­komplex 88 Vgl. Uyttenhove, Pieter: Eugène Beaudouin, in: Saur Künstlerlexikon, Bd. 8, München, Leipzig 1994, S.  64 f. 89 Vgl. ebd., S. 65. 90 Vgl. Protokolle der Hauptquartierkomiteesitzungen vom 5. 11. 1951 und 17. 12. 1951, UNESCOArchiv, HQ 4+5. 91 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 25. 10. 1951, UNESCO-Archiv, HQ 4, S. 3. Der Generaldirektor gab die Namen der von ihm nominierten Berater in der Hauptquartierkomitee­ sitzung vom 11. 1. 1952 bekannt. Vgl. UNESCO-Archiv, HQ 5, S. 4.

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nach dem Vorbild der UN, ihre Architekten Eero Saarinen und Howard Robertson sollten dieses Ziel garantieren. Der von Le Corbusiers architektonischen Leistungen überzeugte Brasilianer Carneiro favorisierte einen exzeptionellen Entwurf, ihm blieb aufgrund des US-Vetos nur, sich der Entscheidung für den Kompromisskandidaten Beaudouin anzuschließen. Immerhin erwirkte er, dass Le Corbusier im internationalen Beraterteam mitarbeitete. Mit der Positionierung des englischen Delegierten Cowell für das Schweizer Architekturbüro HMS sprach sich dieser letztlich auch für einen modernen Entwurf aus. Für die französischen Behörden stellte Beaudouin einen Wunsch­ kandidaten dar. Mit dem Gelände an der Place de Fontenoy und den dort geltenden massiven Baurestrik­tionen rechneten sie sich zudem weitreichende Einflussmöglichkeiten aus, um einen allzu modernen Entwurf im historisch gewachsenen Stadtbild zu verhindern. General­direktor Bodet hielt sich bei der Wahl des vorläufigen Kandidaten zurück. Seine Präferenz moderner Architektur wird erst durch die Nominierung der einflussreichen CIAM-Experten deutlich.

Das integrative Kunstkonzept Generaldirektor Bodet legte Beaudouin in der Hauptquartierkomiteesitzung am 17. Dezem­ber 1951 ein eigens von seinen Sekretariatsmitarbeitern erstelltes Programm zur Ausarbeitung vorläufiger Baupläne vor.92 Diese sogenannte „Einleitende Notiz zum Bedarfsprogramm“ sollte dem Architekten als Planungsleitfaden dienen. Sie liefern bei genauerer Betrachtung jedoch weitaus mehr als eine bloße strukturelle Orientierungshilfe zur Anfertigung von Bauplänen. Dezidiert werden darin vor allem Vorstellungen über ein künstlerisches Gesamtkonzept geäußert, um einen sichtbaren Bedeutungszusammenhang zwischen der Architektur und der Politik der Organisation herzustellen. In seinem Charakter gleicht das Programm einem architektonischen Manifest. Es umfasst zwei Teile, die einerseits den funktionalen Maßgaben, etwa den Raumbedürfnissen, Rechnung tragen, andererseits die ideellen, also semantischen Anforderungen an den Neubau deutlich herausstellen.93 Unter Punkt I Object of the Building wird das zukünftige UNESCO-Gebäude zunächst als Sitzungs- und Arbeitszentrum seiner drei Organe definiert. Dementsprechend müsse es, so der sachliche Wortlaut, in erster Linie der Generalkonferenz, dem Exekutivrat und dem Sekretariat ihre Arbeit gemäß der Verfassung ermöglichen.94 Der Generalkonferenz, so die weitere Beschreibung, solle die Möglichkeit gegeben sein, ihre Arbeit mit „höchster Effizienz, Schnelligkeit und Komfort“95 auszuführen. Diese drei Schlagworte richten den Fokus auf die Funktionalität des Ortes, auf eine architektonische Lösung 92 93 94 95

Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 17. 12. 1951, UNESCO-Archiv, HQ 5, S. 3. Vgl. Prefatory Note on the Programme of Needs, 11. 1. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 5, S. 6–9. Vgl. ebd., S. 6. Originalzitat: „The General Conference should have such accommodation and facilities as will enable it to carry out its work with the utmost efficiency, speed and comfort.” Zit. nach: ebd.

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also, die nicht nur nach den täglichen Handlungsabläufen der UNESCO ­ausgerichtet ist, sondern darüber hinaus zu deren Optimierung beiträgt. Der Begriff „Komfort“ spielt dabei weniger auf eine kostspielig repräsentative, sondern auf eine moderne technische Ausstattung an. Da die UNESCO plante, die Generalkonferenz ab dem Jahr 1954 nur noch alle zwei Jahre zusammentreten zu lassen, empfahl das Bauprogramm, für sie keinen eigenständigen Gebäudekomplex zu errichten, sondern lediglich eine Conference Area zu konzipieren, die als Einheit in den Bauplan integriert und unabhängig vom Rest des Gebäudes benutzt werden sollte. Der Exekutivrat benötigte einen größeren Plenar­ raum sowie Büroräume für dessen Vorsitzenden und die Exekutivratsmitglieder.96 Für die Unterbringung des Sekretariats empfahl das Programm zwei Raumtypen, da die Mehrheit der Angestellten in standardisierten Büros für eine, zwei oder drei Personen arbeiteten. Andere Dienste benötigten größere Räume, die beispielsweise dafür ausgerichtet sein sollten, Dokumente zu reproduzieren und diese an das Archiv oder die Bibliothek weiterzuleiten. Das Büro des Generaldirektors sowie die Personalabteilung und die Rechnungsstelle mussten zentral gelegen sein, um eine schnelle Kommunikation untereinander zu gewährleisten. Insgesamt geht das Programm nur wenig ins Detail und rät dem Architekten, sich an den derzeitigen Abläufen des Sekretariats zu orientieren und dabei zusätzlich die Erweiterung der Organisation um weitere Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen. Hinsichtlich eines möglichen „Layouts“ könne das gesamte Gebäude in Büroräume unterteilt werden.97 Aus diesen Vorgaben wird zunächst ersichtlich, dass den Verfassern des Programms eine funktionale Bürohausstruktur vor Augen stand, die durch Anbauten, etwa die unabhängige Conference Area, erweitert und aufgelockert werden sollte. Darüber hinaus bezog das Programm weitere Benutzergruppen in die Raumüberlegungen mit ein: Die UNESCO ist mehr als die Summe der drei bereits erwähnten Organe. Sie hat ein Programm angenommen, dessen Durchführung von Regierungen und Institutionen der Mitgliedsstaaten, internationalen Nichtregierungsorganisationen und all denjenigen geteilt wird, die es sich weltweit zum Ziel setzen, zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit durch Bildung, Wissenschaft und Kultur beizutragen. Das Hauptquartier ist weitaus mehr als ein Arbeitsplatz und ein Konferenzzentrum der drei UNESCO-Organe; es soll Entfaltungsmöglichkeiten für persönliche Treffen und Kontakte bieten.98

An dieser Stelle geht das Programm auf einen wesentlichen Charakterzug der UNESCO ein, der im Neubau zum Tragen kommen sollte: die UNESCO verstand sich nicht primär 96 Vgl. ebd., S. 7. 97 Originalzitat: „As for the lay-out and size of premises, all the building – with exception of the common services […] and the conference and meeting centre – can be made into offices, for which three categories of standards are given in the list of requirements.” Zit. nach: ebd., S. 3. 98 Originalzitat: „Unesco is something more than the sum of the three organs already mentioned. It has adopted a programme the implementation of which is also shared by governments and institutions of Member States, international nongovernmental organizations and all who, throughout the world, make it their aim to contribute towards the maintenance of peace and security through education, science and culture. The headquarters is more than a place of work and a conference centre for Unesco’s three organs; it should also provide scope for personal meetings and contacts.” Zit. nach: ebd., S. 7.

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als eine auf zwischenstaatlichen Ebenen agierende Organisation, sondern insbesondere als Kooperationsplattform für Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. Neben einem von Büroräumen aus durchorganisierten Verwaltungsapparat bedurfte es deswegen neuer, offener Raumformen, die informelle Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten vor allem mit NGOs boten. Nicht zuletzt waren auch Besucher willkommen. Ihnen sollten jedoch nur Teile des Gebäudes, etwa eine Eingangslobby und Ausstellungsräume, zugänglich gemacht werden. Aus diesen Beschreibungen tritt deutlich die Vorstellung von einer Architektur hervor, die nicht ausschließlich auf aneinandergereihten Büroräumen in engen Fluren basierte, sondern die auf geöffnete Raumstrukturen setzte. Lösungen für diese Forderungen der UNESCO boten Prinzipien moderner Architektur mit variablen offenen Grundrissen. Der zweite Teil des Bauprogramms – mit der Überschrift The Artistic Character of the UNESCO Headquarters – widmet sich nicht strukturellen Notwendigkeiten der Architektur, sondern ihrer symbolischen Funktion und damit möglichen Formen einer Bedeutungszuschreibung: Ein Gebäude für die UNESCO muss weitaus mehr als ein effizientes Dach für die Arbeit der Generalkonferenz, der Komitees und des Sekretariats bereithalten: es muss durch sein Design den Geist der UNESCO zum Ausdruck bringen und seine Ziele und Ideale symbolisieren. Um dies zu erreichen, bedarf es mehr als einer bloßen bildhaften oder skulpturalen Verkörperung der Arbeit der UNESCO an den Wänden oder über den Durchgängen und Hallen des Gebäudes. Das Gebäude muss in seiner Entität als ein integratives Kunstwerk geschaffen werden, in dem der Bauplan, die Struktur, die technische Ausstattung und jedes ausdrucksfähige Element des Gebäudes zu einem Symbol der UNESCO synthetisieren.99

Explizit wird in diesem Programmteil ein am Gebäude ablesbarer Zusammenhang zwischen Architektur und den politischen Absichten der Organisation eingefordert. Über eine rein funktionale Ebene hinaus intendierte die UNESCO ihr Hauptquartier als einen für alle Welt sichtbaren Bedeutungsträger. Diese Forderung scheint zunächst im Widerspruch mit einer modernen Architekturauffassung zu stehen, die ursprünglich gerade durch das Prinzip der Funktionalität als oberster Prämisse des Bauens die Abkehr von symbolischen Ausdrucksmitteln zum Ziel hatte. Interessant an der Textpassage erscheint zudem die Aufzählung derjenigen Repräsentationsformen, die der Auftraggeber für ungeeignet hielt, nämlich konventionelle Bild- und Skulpturen­programme auf Wänden und in Hallen, wie man sie aus anderen politisch-repräsentativen Zusammenhängen kannte, etwa Parlamentsgebäuden, Gerichtsbauten oder Rathäusern. Das Gebäude wurde in seiner Gesamtheit als ein integratives Kunstwerk intendiert, dessen 99 Originalzitat: „But a building for Unesco must be more than an efficient shelter for the work of the General Conference, Committees and the Secretariat: it must express by its design the spirit of ­Unesco and symbolize its purpose and ideals. To achieve this, more is necessary then purely pictorial or sculptural representation of Unesco’s work on the walls or about the passages and halls of the building. The building as a whole must be created as an integrated work of art in which plan, structure, technical equipment and every expressive element of the building are synthesized into a symbol and expression of Unesco.” Zit. nach: ebd., S. 8.

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einzelne Elemente („Bauplan, Struktur, technische Ausstattung und jedes ausdrucksfähige Element“) sich gemeinsam zu einem Sinnbild der Organisation verdichten sollten. Als Umsetzungsstrategie für diese komplexe Vorgabe bot das Programm folgende Lösung an: Um dies zu erreichen muss dem Architekten jede Möglichkeit gegeben werden, die größten Künstler der Zeit als Kollegen zu berufen, die in enger Verbundenheit mit ihm arbeiten können. Das bedeutet nicht, dass Gemälde oder Skulpturen oder andere Formen der bildenden Künste dem Gebäude aufgezwungen werden sollten, sondern dass das Gebäude als Ganzes, durch seine Form, seine Farbe, durch Licht und Raum zu einer Synthese aller Künste gelangen und einen geeigneten Ort für eine zeitgemäße Einführung in Malerei, Skulptur und die anderen bildenden Künste abgeben soll.100

Anstelle tradierter Bildprogramme forderte die UNESCO den Architekten zu einer Kooperation mit zeitgenössischen Künstlern auf. Gemeinsam bestand ihre Aufgabe darin, ein neues Raumvokabular zu entwickeln, das gleichsam als neue Repräsenta­tions­form Gültigkeit beanspruchen sollte. Die Abkehr von gängigen Repräsentations­ mustern bzw. ihr Ersetzen durch abstrakte Formeln, wie „Farbe, Licht und Raum“, markieren ein Novum innerhalb politischer Bauvorhaben. Mit dem Anspruch an ein Gebäude, das über seinen repräsentativen Charakter hinaus eine „aktuelle Einführung“ in verschiedene Positionen der Kunst geben solle, wird die Qualität des Baus sogar noch um eine Bedeutungsebene erweitert. Ihm fällt plötzlich eine didaktische Aufgabe zu, nämlich über aktuelle Tendenzen der zeitgenössischen Kunst zu informieren. Dieser letzte Aspekt stellt wiederum einen Bezug zur Realpolitik der jungen Organisation, nämlich ihrem Bildungsauftrag her. Aus diesen doch sehr offen formulierten Forderungen – etwa nach funktionalen und effizienten Raumstrukturen, nach einer Symbolhaftigkeit technischer Aspekte in der Architektur, nach einer ‚Synthese der Künste‘, dem Aufruf zur aktiven Zusammen­ arbeit von Architekten und modernen Künstlern oder einer Architektur mit musealem Anspruch – lassen sich künstlerische Positionen bzw. architekturtheoretische Auffassungen entnehmen, die dem Kontext europäischer Avantgarden der Vorkriegszeit zu entspringen scheinen. Man denke etwa an Gropius Bauhaus-Manifest, dem eine Künstler­ kooperation als grundlegendes Prinzip galt, oder an Le Corbusiers ‚Synthesegedanken‘ im Sinne einer ganzheitlichen Raumgestaltung. Dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit gerade diesen beiden Vertretern wahrscheinlich ist, zeigt ihre etwa zeitgleich erfolgte Wahl in das internationale Architektengremium. Dem Aspekt der Herkunft des Bauprogramms wird im übernächsten Kapitel nachgegangen. An dieser Stelle ist wichtig, die Tatsache festzuhalten, dass der Generaldirektor als für das Bauprogramm Hauptverant100 Originalzitat: „In the achievement of this every opportunity should be given to the architect to enlist as his colleagues the finest artists of the day who can work in close sympathy with him. This does not mean that paintings and sculptures and other forms of plastic art must be forced into, or on the building, but that the building as a whole, by its form, colour, light and space shall be a synthesis of all the arts and give a suitable place for the actual introduction of painting, sculpture and the other plastic arts.” Zit. nach: ebd.

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wortlicher, neue Formen architektonischer Bedeutungszuschreibung umgesetzt sehen wollte. Er verfolgte damit konsequent das Ziel, eine exzeptionelle zeitgenössische Architektur zu errichten.

Grenzen der Diplomatie – der schwierige Entwurfsprozess Die vergeblichen Pläne des Architekten Eugène Beaudouin Seinen vorläufigen Entwurf für ein Bauensemble an der Place de Fontenoy legte Eugène Beaudouin dem Hauptquartierkomitee zur sechsten Komiteesitzung am 30. April 1952 vor.101 Er ging als bestes Resultat aus sechs Kompositionsskizzen hervor, die der Architekt mit den beiden ihm zur Seite gestellten Beratern Saarinen und Robertson diskutiert hatte. Bei genauerer Betrachtung und einem Vergleich dieser Skizzen (Abb. 12–17) treten die Bemühungen des Architekten zutage, eine Kompromisslösung zwischen den Erwartungen der UNESCO nach einer modernen Formensprache und den Forderungen der französischen Regierung bezüglich der historischen Umgebung herbeizuführen. Mit anderen Worten: Beaudouin rangierte zwischen akademischen Bautraditionen mit Achsen­bezügen, Kolonnadengängen, Grünstreifen einerseits und einer modernen Auffassung durch Gebäudeblöcke variierender Volumina andererseits. In einer ersten Skizze (Abb. 12) versucht der Architekt die historische Platzanlage mit zwei segmentierten Gebäudeabschlüssen, an die sich jeweils l-förmige, über Eck laufende Gebäude anschließen (UNESCO-Sekretariat und Regierungsbau), zum einen zu komplementieren und zum anderen von ihrer Mitte aus eine monumentale und diago­nal durch das gesamte Gelände verlaufende Sichtachse auf einen sechseckigen Bau­körper (das gemeinsam zu nutzende Konferenzgebäude) zulaufen zu lassen. Eine zweite Skizze (Abb. 13) schlägt eine Verbindung der Place de Fontenoy mit der École ­Militaire durch einen klassischen Grünstreifen (ähnlich dem Tuilleriengarten) vor, der in einem Kolonnadenhalbrund endet. Diese akademische Lösung, die sich vermutlich an Gabriels Vorstellungswelt einer Platzanlage annäheren sollte, befreit gleichzeitig die ­U NESCO-Bauten von ihrer historischen Verpflichtung der Platzkomplementierung und eröffnet die Möglichkeit, mehrere Gebäudeblöcke variabel auf dem Gelände zu komponieren. Der dritte Entwurf (Abb. 14) sieht den Regierungsbau als ergänzendes Viertel­k reissegment des Platzes vor, von dem aus ein schmaler Verbindungsbau zu einem niedrigeren quaderförmigen Gebäude, dem Konferenzbau, verläuft. Das Sekretariat der UNESCO erstreckt sich nun als großer von der Avenue de Ségur leicht zurückgesetzter Block im Süden des Geländes. In dieser Skizze überlässt der Architekt die Verantwortung der schwierigen Platzgestaltung der französischen Regierung. Die vierte Skizze (Abb. 15) zeigt einen sich geradezu organisch um den Platz schmiegenden und sowohl zur Avenue de L ­ owendal als auch zur Avenue de Saxe auslaufenden Baukör101 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 30. 4. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 6.

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12  Eugène Beaudouin, Kompositionsskizze zum UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, 1952

14  Eugène Beaudouin, Kompositionsskizze zum UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, 1952

13  Eugène Beaudouin, Kompositionsskizze zum UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, 1952

15  Eugène Beaudouin, Kompositionsskizze zum UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, 1952

per auf Pilotis, an den sich, entlang der Avenue de Suffren, ein fächerförmiger Gebäudeteil anschließt. Das Gebäude der französischen Regierung liegt als l-förmiger Block im südlichen Geländeteil. Dadurch entsteht ein großer Innenhof. Mit der fünften Skizze (Abb. 16) verlegt Beaudouin das Sekretariats­gebäude als langen Block an die Avenue de Lowendal und lässt das Konferenzgebäude den Platz konvex vervollständigen. Das Regierungsgebäude verbleibt in der südlichen Geländeecke. In der sechsten und letzten Skizze (Abb. 17) verschwindet das Regierungsgebäude vollständig und die UNESCO erhält einen kon­vexen Sekretariatsbau auf Pilotis an der Place de Fontenoy und einen sich

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16  Eugène Beaudouin, Kompositionsskizzen zum 17  Eugène Beaudouin, Kompositionsskizze zum UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, 1952 UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, 1952

rechteckig daran anschließenden blockhaften Baukörper mit integriertem Konferenzsaal. Auch in diesem Entwurf umschließen die Gebäude einen Innenhof. In einem Rechenschaftsbericht vom 23. April 1952 fasste Beaudouin die von ihm geleisteten Tätigkeiten zusammen.102 Er betonte darin, dass seine Skizzen in täglicher Absprache mit den zuständigen Abteilungen der UNESCO, dem Generaldirektor und dem Hauptquartierkomitee entstanden waren. Ferner seien seine Entwürfe während mehrerer Treffen mit den beiden Beratern Saarinen und Robertson diskutiert und darüber hinaus in ständigem Austausch mit den französischen Behörden über etwaige Baubedingungen angefertigt worden.103 Optimistisch schloss er seinen Bericht mit der Einschätzung, er sei zuversichtlich, dass er die Annahme und Zustimmung der verschiedenen Gutachter und der betreffenden Abteilungen erhalten würde, wenn er sich um eine Bauerlaubnis bewerbe.104 Diese Zuversichtlichkeit teilten die französischen Behörden nicht. In einem Brief des französischen Außenministeriums an den UNESCOGeneral­direktor vom 26. März 1952 teilte dieses der UNESCO mit, dass das Department für Historische Monumente, die Entwürfe Beaudouins hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den Baugesetzen überprüft habe.105 Gemäß Artikel 13 (a) des Baugesetzes vom 31. Dezember 1913, das durch ein Gesetz am 25. Februar 1943 bestätigt worden war, musste Beaudouin sowohl den Halbkreis der Place de Fontenoy berücksichtigen als auch eine restriktive Höhenbeschränkung auf sieben Stockwerke. Die weiteren Pläne des 102 Vgl. Eugène Beaudouin: Memorandum on the progress of works on the plan for UNESCO’s permanent Headquarter in Paris, Bauhaus-Archiv, GN 1, UNESCO, M 103. 103 Vgl. ebd. 104 Vgl. ebd. 105 Vgl. Brief Charles Lucet an den Generaldirektor der UNESCO vom 26. 3. 1952, Bauhaus-Archiv, GN 1, UNESCO, M 103.

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Architekten sollten, bevor sie dem Beraterteam internationaler Architekten zugingen, den entsprechenden Kommissionen aus dem Ministerium der Künste sowie dem Pariser Stadtrat vorgelegt werden.106 Auch die von den internen Beratern Saarinen und Robertson verfassten Gutachten über die Entwürfe des Architekten zeugen von verhaltener Skepsis. Sie bezweifelten darin weniger die kompetente Arbeit Beaudouins, sondern hinterfragten vielmehr den gesamten Planungs- und Bauprozess an der Place de Fontenoy, vermutlich aufgrund der mangelnden Bereitschaft der französischen Behörden zu baulichen Zugeständnissen.107 Beide Architekten betonten die Fähigkeiten Beaudouins, beschrieben ihn als „open-minded“ und „able“, und bestätigten die freundschaftliche Zusammenarbeit als „cooperative“ und „sympathetic“.108 Vor allen Dingen Saarinen warnte jedoch in seinem Bericht an den Generaldirektor ausdrücklich davor, dass eine zu starke Anpassung an die Gegebenheiten vor Ort ein minderwertiges Gebäude zur Folge haben könnte: Ich kann diesen Punkt nicht stark genug betonen: Wenn zurzeit eine Lockerung vom strengen Festhalten an der Umrisslinie der Place de Fontenoy zugesichert wird, dann denke ich, wird es möglich sein, die vollständige Zustimmung des Chefarchitekten, der Berater und des überarbeitenden Komitees zu erhalten. Wenn es andererseits notwendig werden sollte, sich den französischen Ministerien zu unterwerfen und das Sekretariat in eine gewöhnliche unorganische Form gedrängt werden muss, um der Kurve der Place de Fontenoy zu folgen, dann wird dies meiner Meinung nach ein minderwertiges Gebäude zur Folge haben und das Überarbeitungskomitee könnte die Ansicht vertreten, dass ein anderes Gelände gefunden werden müsste.109

Robertson betrachtete das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit in seinem Bericht zwar optimistischer. Seiner Ansicht nach hatte Beaudouin in Anbetracht der restriktiven Bedingungen gute Fortschritte erzielt. Insgesamt betonte jedoch auch er, dass optimale Ergebnisse ausschließlich unter besseren Geländebedingungen hätten entstehen können: Dennoch habe ich derzeit den Eindruck, dass, wenn die besagte Begrenzung nicht existiert hätte oder grundlegend verändert worden wäre, das UNESCO-Gebäude unter ungewöhnlich idealen Bedingungen hätte gestaltet werden können und ein Musterbeispiel zeitgenössischer Architektur hervorgebracht hätte.110 106 Vgl. ebd. 107 Vgl. Eero Saarinen: Report to the Director-General of UNESCO on first Meeting of architectural Consultants vom 3. 2.–16. 2. 1952, sowie Howard Robertson: Report to the Director-General of UNESCO on first Meeting of architectural Consultants vom 3. 2. 1952, UN-Archiv, S-0542-0047. 108 Vgl. ebd. 109 Originalzitat Eero Saarinen: „I cannot emphasize this point too strongly because, if a relaxation from the strict adherence to the outline of Place de Fontenoy is secured at this time, I think it will be possible to reach complete accord among the principal architect, the consultants and the review committee. If on the other hand, it becomes necessary to bow to the French ministries and your secretariat has to be warped into a peculiar inorganic shape to follow the curvature of Place de Fontenoy, this, in my opinion, will result in an inferior building and the review committee may take the attitude that another site must be found.” Zit. nach Saarinen, Eero: Report to the Director-­ General vom 28. 2. 1952. UN-Archiv, S-0542-0047. 110 Originalzitat Howard Robertson: „Nevertheless I have at present the impression that, if the aforesaid limitations had not existed, or were to be substantially modified, the UNESCO buildings might be designed under unusually ideal conditions, producing an exemplar of contempo-

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18  Eugène Beaudouin, Grund- und Aufrissschema zum UNESCO-Projekt von 1952

In einem zweiten Gutachten vom 8. April 1952 verlieh Robertson seinem Missfallen über das Verhalten der Behörden abermals Ausdruck. Keiner der Entwürfe könne als zufriedenstellend angesehen werden, da die Baurestriktionen die volle Ausschöpfung des Geländes verhinderten.111 Beaudouins endgültiges Avant-Projet (Abb. 18) zeigt im Aufriss ein konvexes siebenstöckiges und auf Pilotis ruhendes Sekretariatsgebäude an der Place de Fontenoy. An diesen Baukörper schließen sich, entlang der Avenue Lowendal, zwei weitere, locker aneinandergereihte dreistöckige Baukörper (ebenfalls auf Pilotis) mit großen Glasfronten als Gebäude des Exekutivrats mit mehreren Kommissionssälen an. Sie münden an der Avenue de Saxe in einen großen Plenarsaal für die Generalkonferenz. Im Erdgeschoß beherbergen sie den Dokumenten- und Publikationsdienst, das Fotolabor und den Vervielfältigungsdienst, sowie Pressestelle, Radio- und Fernsehstation. Entlang der Rue de Ségur verläuft ein zweistöckiges Gemeinschaftsgebäude, in dem Restaurants sowie die Büros der Delegierten untergebracht sind. Es ist im Nordosten wiederum mit dem Sekreta­r iatsbau verbunden. Einige Delegierte des Hauptquartierkomitees begrüßten diesen Entwurf Beaudouins in ihrer sechsten Sitzung am 30. April 1952 als einen annehmbaren Kompromiss.112 Als sowohl der Komiteevorsitzende Charles Thomson als auch der Generaldirektor die von den Beratern Saarinen und Robertson kritisierten Baurestriktionen des Arrondisserary architecture.” Zit. nach Robertson, Howard: Bericht an den Generaldirektor vom 20. 2. 1952, UN-Archiv, S-0542-0047. 111 Vgl. Gutachten Howard Robertsons an den UNESCO-Generaldirektor vom 8. 4. 1952, BauhausArchiv, GN 1, UNESCO, M 103, S. 1. 112 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 30. 4. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 6.

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ments aussprachen, führte dies zu einer Grundsatzdebatte über den gesamten Planungsprozess. Thomson versuchte seine Kollegen davon zu überzeugen, dass es sich zwischen dem französischen Anspruch nach architektonischer Tradition und den Ambitionen moderner Architektur zu entscheiden gelte, wobei seiner Meinung nach nur Letztere den Geist der UNESCO wirklich auszudrücken vermochte. Dem fügte der Generaldirektor hinzu, dass sich das Komitee zwischen einem idealen Gebäude, das auf einem hypothetischen Gelände gebaut würde, und einem definitiven Plan, wie dem vorliegenden, entscheiden müsse.113 Mit diesem Vorstoß brachten sie den Architekten Eugène Beaudouin in eine unangenehme Situation. Durch das rigorose Infrage stellen des Geländes werteten sie zum einen seine Entwurfsarbeit ab, zum anderen provozierten sie bei ihm eine Rechtfertigungshaltung und der Franzose gab offen zu, dass sein Entwurf natürlich einen Kompromiss aus verschiedensten an ihn gestellten Anforderungen darstelle.114 Zu diesem Zeitpunkt wussten weder die Komiteemitglieder noch Beaudouin, dass der Generaldirektor im Vorfeld der Sitzung sämtliche Entwurfsskizzen Beaudouins an Le Corbusier zur Beurteilung übersandt hatte.115 Ein direktes Antwortschreiben des Maître ist im Archiv der UNESCO zwar nicht aufzufinden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Le Corbusier die Skizzen vollständig ablehnte und den Generaldirektor über die grundlegenden Mängel der Ausgangsbedingungen aufgeklärt hatte. So kann, im Nachhinein betrachtet, auch nicht verwundern, dass der Generaldirektor gegenüber dem Komitee eingestand, dass ihm bereits vor einigen Monaten von Seiten der Regierung ein zweites Gelände am Rande des Bois de Boulogne in Aussicht gestellt worden sei, und er längst über ein alternatives Baugelände nachdachte. Der französische Delegierte F. Valeur relativierte diesen Gedanken, indem er einwarf, dass das Gelände an der Place de Fontenoy derzeit das einzige sei, das sich in Staatsbesitz befände. Sowohl das Auswärtige Amt als auch das Ministerium für Kultur hätten zudem inzwischen signalisiert, die strengen Baurestriktionen dort zu reduzieren.116 Insgesamt führte die Diskussion der vorläufigen Pläne Beaudouins und der ungeklärten Geländeverhältnisse zu einer Verunsicherung der Komiteemitglieder. Nicht zuletzt durch die von der sechsten Generalkonferenz im Herbst 1951 angenommene Resolution 28 war Bodet aus rechtlicher Sicht an das Gelände der Place de Fontenoy gebunden.117 113 Vgl. ebd., S. 2. 114 Vgl. ebd. 115 Vgl. Tillessen 1992, S. 23. Der Autor bezieht sich auf einen Brief, den der Generaldirektor an Le Corbusier sandte. Dieser befindet sich in der Fondation Le Corbusier (FLC, I 3- (6)1). 116 Vgl. Protokoll der sechsten Hauptquartierkomiteesitzung vom 30. 4. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 6, S. 3. 117 Die kompliziert formulierte Resolution autorisierte den Generaldirektor dazu, das Angebot der französischen Regierung für die Place de Fontenoy anzunehmen und einen vorläufigen Architekten damit zu beauftragen, in Zusammenarbeit mit den französischen Behörden Entwürfe anzufertigen, die dann dem Gremium der fünf Architekten zur Begutachtung vorgelegt werden sollten. Vgl. Auszug aus der Resolution adopted by the General Conference concerning the construction of the permanent Headquarters Building of Unesco, UNESCO-Archiv, HQ 5.

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Ohne den Beschluss einer neuen Resolution war es gar nicht möglich, das Gelände zu wechseln. Bodets im Alleingang geführte Verhandlungen mit Regierungsvertretern verärgerten einige Delegierte und ließ sie in einer reaktanten Haltung darauf beharren, am geplanten Weg festzuhalten. So vertrat der Italiener De Clementi die Ansicht, dass es das Prestige der UNESCO erfordere, sich den Regularien der Pariser Stadtbauplanung anzupassen, um die wunderbare architektonische Harmonie dieses prominenten Platzes nicht zu stören.118 Auch der australische Delegierte äußerte, er habe keine Bedenken gegenüber den Baurestriktionen und könne darüber hinaus sowieso keine gravierenden ästhetischen Auswirkungen für das UNESCO-Gebäude feststellen. Die Gefahr bestünde vielmehr darin, zu viel wertvolle Zeit zu verschenken.119 Beide Standpunkte zeigen, dass sich die Vorstellungen innerhalb des Hauptquartierkomitees über architektonische Möglichkeiten durchaus voneinander unterschieden. Darüber hinaus machen sie deutlich, dass einige der politischen Vertreter geneigt waren, den diplomatischen Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Den Mitgliedern war bewusst, dass ihr Urteil über die Pläne keine direkten Folgen nach sich zog. Dem von ihnen festgelegten politischen Prozedere zufolge, lag es nicht mehr in ihrer Hand, eine Entscheidung herbeizuführen, denn das fachkundige Gutachten erstellte zunächst das internationale Team der fünf Berater.

Expertenvotum versus Laiengremium Die Mitglieder des Expertengremiums – Walter Gropius, Le Corbusier, Lucio Costa, Sven Markelius und Ernesto Rogers – zählten nicht nur zu den herausragenden Vertre­tern einer funktionalistischen Architekturauffassung, sondern verkörperten die Vordenker­ generation moderner Städteplanung par excellence. Von daher verwundert ihre negative Beurteilung von Beaudouins Projektskizzen und insbesondere ihre strikte Ablehnung des Bauplatzes und seiner historischen Umgebung kaum. In dem von Walter Gropius verfassten Gutachten stellten sie zunächst die Bedeutung des UNESCO-Vorhabens und ihre eigene Haltung zu diesem Projekt unmissverständlich heraus: Das neue UNESCO-Hauptquartier wird von uns als das wichtigste Gebäude betrachtet, das die derzeitige Generation errichten wird, da es das architektonische Symbol für den weltweiten Fortschritt im Bereich Bildung, Wissenschaft und Kultur ist. Wir fühlen eine große Verantwortung bezüglich aller Begleiterscheinungen, die mit dem Design und der Ausführung des Gebäudes verbunden sind.120

118 Vgl. Protokoll der sechsten Hauptquartierkomiteesitzung vom 30. 4. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 6, S. 3. 119 Vgl. ebd. 120 Originalzitat Walter Gropius: „The new UNESCO Headquarters Building is considered by us to be the most important edifice this present generation will build, for it is the architectural symbol of the Educational, Scientific and Cultural progress of our present world. We feel a great responsibility regarding all the implications involved in the design and execution of this building.” Zit. nach: Gutachten der fünf Architekten an den Generaldirektor vom 13. 5. 1952, Bauhaus-Archiv Berlin, GN 1, UNESCO, M 103. Vgl. hierzu auch: UNESCO-Archiv, 7C/ADM/32 (1).

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Ihre folgende Argumentation gegen das Bauprojekt gründete auf Gesichtspunkten, die sowohl historische und städteplanerische Aspekte des Geländes an der Place de Fontenoy berücksichtigte als auch ästhetische Aspekte der beaudouinschen Entwürfe ins Visier nahmen. So gelangten sie nach eingehender Prüfung historischer Stiche zu dem Schluss, dass Jacques-Ange Gabriel niemals intendiert hatte, den halbrunden Platz durch andere Gebäude zu ergänzen. Vielmehr wollte er das Gelände hinter der École Militaire in eine Grünfläche mit Baumreihen münden lassen. Aus dieser Grundannahme heraus folgerten sie, dass bereits die beiden Ministeriumsbauten aus den 1920er Jahren die formale Geometrie der Gabrielschen Pläne missachteten. Die Fassade des Marineministeriums nämlich folgte dem Halbrund, diejenige des Arbeitsministeriums hingegen verlief parallel zur Avenue de Lowendal. Ihre schweren Baumassen, so die Architekten, beeinträchtigten geradezu die Würde der kleineren École Militaire. Zudem machten es die unansehnlichen Bauten unmöglich, durch einen neuen Gebäudekomplex in der westlichen Hälfte des Halbkreises eine angemessene, architektonisch zufriedenstellende Balance herzustellen. Nur ein freies Layout, das von der Komplementierung des Halbkreises befreit sei, könne eine Verbesserung der Situation erzielen. Hierfür müssten jedoch die Ministeriumsgebäude abgerissen werden.121 Aus städteplanerischer Perspektive, so das Beraterteam, entpuppte sich die Vervollständigung des Halbrunds als gänzlich überflüssig. Von der Terrasse des Palais de Chaillot aus betrachtet, also einem der Hauptblickpunkte der Achse Palais de Chaillot–Eiffel­ turm–École Militaire, würde der überdimensionierte Kurvenverlauf optisch keinerlei Bedeutung gewinnen. Die voluminösen Ministeriumsgebäude hinter der École Militaire lägen völlig im Abseits. Direkt von der Place de Fontenoy aus gesehen sei der Halbkreis aufgrund seiner Größe visuell nicht wahrnehmbar. Beaudouins Gebäude­entwürfe werteten die Experten nicht gänzlich ab. Sie stimmten sogar zu, dass der Architekt die ­meisten praktischen Anforderungen des Programms erfülle. Unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, mangele es dem Entwurf jedoch an „Klarheit und Konsistenz“122. Die geistige Bedeutung, wie sie das Bauprogramm fordere, spiegele sich darin nicht wider. Als fundamentalen Fehler warfen sie dem französischen Architekten vor, er habe die unglücklichen Auflagen des Ortes als legitim akzeptiert und umgesetzt.123 Zeitgenössische Techniken erlaubten einen viel größeren Spielraum an Ausdrucks­freiheit. Schwerpunktmäßig müsse eine organische Einheit zwischen den Gebäudegruppen hergestellt werden, die die Würde der UNESCO auf einer poetischen Ebene zum Ausdruck brächte und konzeptuell die Integration verschiedener Künste anstrebe. Die Architekten vertraten in ihren abschließenden Betrachtungen den Standpunkt, dass nur eine zeitgenössische Architektur, die jeglicher historistischer wie akademischer Tradition den 121 Vgl. Gutachten der fünf Architekten an den Generaldirektor vom 13. 5. 1952, Bauhaus-Archiv, GN 1, UNESCO, M 103, S. 2. 122 Vgl. ebd., S. 3. 123 Vgl. ebd.

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Rücken kehre, eine Organisation wie die UNESCO angemessen symbolisieren könne. Beaudouin als Vertreter einer akademischen Bautradition war ihrer Meinung nach schlichtweg die falsche Wahl. Der Bericht schloss mit dem Urteil: […] dieses Komitee ist sich einstimmig darüber einig, dass das Gelände an der Place de Fontenoy unvorteilhaft ist. Obwohl es großzügig im Ausmaß ist und sich in guter Lage innerhalb des Pariser Verkehrsnetzes befindet, erfüllt es aus den gegebenen Gründen die geistigen Anforderungen des 20. Jahrhunderts und insbesondere die der UNESCO nicht; es würde einem neuen internationalen und extra-territorialen Gebäude von höchster kultureller Bedeutung eine zweitrangige Randposition zuweisen.124

Als beratendes Expertengremium von der Verpflichtung diplomatischer Bemühungen unberührt, legten sie dem Generaldirektor nahe, ein neues Gelände von der französischen Regierung zu fordern. Hinsichtlich der Entwürfe propagierten sie „einen neuen Start“, der ein „einheitliches Konzept auf höchstem künstlerischen Niveau zusicherte“.125 Damit forderten sie indirekt, den Architekten Beaudouin abzusetzen und einen neuen Architekten mit dem Projekt zu betrauen. Dieses resolute Urteil der Gruppe, das weitreichende politische Konsequenzen nach sich zog, muss vor dem Hintergrund persönlicher Interessen bewertet werden. Die fünf Architekten, so darf getrost unterstellt werden, agierten weniger als neutrale Berater, sondern als Vertreter einer internationalen NGO, der CIAM. Seit den 1920er Jahren hatten sie im Rahmen ihrer Kongresse für Neues Bauen international für die Anerkennung und die Durchsetzung funktionaler Prinzipien in der Architektur gekämpft und in den Bereichen Industriebau und sozialem Wohnungsbau gute Fortschritte erzielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich ihre Architekturformen vor allem bei öffentlichen Bauvorhaben, wie Schul- und Universitätsbauten, Wohnsiedlungen, Kranken­häusern und Verwaltungsbauten sowie Firmen- und Hotelbauten durch. Mit der Errichtung des UN-Gebäudes 1949, dem ersten verglasten Hochhausbau in New York, wurde diese Moderne erstmals auch für politische Bauten salonfähig gemacht. Mit der U ­ NESCO beabsichtigte nun zum zweiten Mal eine internationale Organisation, ihren Hauptsitz nach modernen funktionellen Standards zu gestalten. Den CIAM als Vertretern der modernen Architekturbewegung bot sich nun die Chance, dass ihre Ideen auf internationaler Ebene eine symbolhafte Aufwertung erfahren und als sichtbare Zeichen eines kulturellen wie technologischen Fortschritts anerkannt werden könnten. Mit dem durch 124 Originalzitat: „[…] this Committee is unanimously in agreement that the site on the Place de Fontenoy is unfavorable. Though it is generous in size and of good location within the traffic net of Paris, it cannot meet for the reasons given the spiritual requirements of the 20th century and of Unesco in particular; it would subordinate a new international and extra-territorial building of highest cultural significance into a secondary flanking position.” Zit. nach: Report concerning the permanent Headquarters Building of UNESCO in Paris vom 13. 5. 1952, Unesco-Archiv, 7C/ ADM/32(I), S. 1 125 Originalzitat: „In order with our analysis, we recommend to promote a fresh start with the design of the new Headquarters Building and to secure a consistent conception on the highest artistic level.“ Zit. nach: ebd., S. 2.

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restriktive Baugesetze belegten Gelände an der Place de Fontenoy drohte diese einzig­ artige Möglichkeit zu scheitern. Zudem zählte Eugène Beaudouin in den Augen der Berater nicht gerade zu den Hauptvertretern ihrer Bewegung. Gropius Bericht erschütterte das Hauptquartierkomitee und löste heftige Streitereien aus. Als Laien in jüngerer Architekturgeschichte konnten die Delegierten die grundsätzlich problematische Konstellation von Interessengruppen nicht durchschauen, die sich um das Bauprojekt rankten. Auf der einen Seite standen fünf einst avantgardistische, mittlerweile etablierte und angesehene Vertreter der modernen Architekturbewegung, auf der anderen Seite die Repräsentanten der französischen Ministerien, die die konservativen Städtebaugesetze der Hauptstadt verteidigten. Die einen beanspruchten das Recht auf die Freiheit künstlerischen Ausdrucks, eine Forderung, die im Übrigen durch die UNESCO international propagiert wurde. Die französischen Behörden versuchten historisches Erbe auf der Grundlage französischen Rechts zu wahren. Beaudouin agierte zwischen beiden Positionen hin- und hergerissen. Das Hauptquartierkomitee wertete den Vorstoß des Expertenteams als Regel­verstoß gegen den ihm zugedachten Aufgabenbereich, der darin bestand, als Garant für die internationale Anerkennung der neuen UNESCO-Architektur einzustehen und dafür zu sorgen, dass sämtliche Skizzen nach modernen Grundsätzen überarbeitet wurden. Ein­ mischungen in diplomatische Angelegenheiten, wie etwa die Geländeverhandlungen mit der französischen Regierung, gehörten nicht dazu. Tatsächlich aber entstand durch das negative Gutachten eine politisch äußerst problematische Situation. Die Empfehlung, den Bauplatz abzulehnen, war überhaupt nicht vorgesehen. Ein neues Gelände zu fordern war verfassungswidrig, da es der von der Generalkonferenz verabschiedeten Resolution zur Anfertigung von Bauplänen allein für die Place de Fontenoy entgegenstand. Das Hauptquartierkomitee, als das mit sämtlichen Bauaufgaben betraute Gremium, durfte den Generaldirektor ohne neue Resolution nicht zur Annahme eines anderen Bauplatzes autorisieren. Dies bedeutete, dass die Geländefrage bis zur nächsten Generalkonferenz aufgeschoben werden musste, um sie dann erneut von allen Mitgliedsstaaten verhandeln und abstimmen zu lassen. Das Hauptproblem bestand in einem Zeitverlust von einem halben Jahr. Die Delegierten verständigten sich sehr rasch darüber, dass dies genauso wenig verantwortet werden könnte wie ein Zuwiderhandeln gegen die Resolution. Als Ausweg aus dieser Zwickmühle brachte Generaldirektor Bodet die Möglichkeit ins Spiel, Beaudouin inoffiziell mit der Ausführung neuer Pläne für ein zweites Gelände zu beauftragen. Gemeinsam mit den Plänen für die Place de Fontenoy könnten diese der Generalkonferenz als ein Alternativvorschlag unterbreitet werden. Einige Mitglieder des Hauptquartierkomitees hegten Vorbehalte gegen dieses Vorgehen. So müsse auch die zusätzliche Finanzierung neuer Pläne gewährleistet und rechtlich abgesegnet sein. Andere favorisierten das Gelände an der Place de Fontenoy aufgrund seiner prestigeträchtigen Lage. Der japanische Delegierte Toru Hagiwara zum Beispiel äußerte, dass die Öffentlichkeitswirksamkeit des Gebäudes im Zentrum der Stadt bei ihren Überlegungen den Ausschlag geben sollte. Auch der französische Delegierte, der gleichsam

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seine Regierung vertrat, führte an, dass diese es nach wie vor vorziehe, der UNESCO den begehrten Bauplatz an der Place de Fontenoy zu überlassen.126 Die komplizierte Sachlage in dieser Situation und der angestaute Ärger über die vermeintliche Kompetenzverletzung des Expertenteams führten in der Hauptquartier­ komitee­sitzung am 9. Mai 1952 zu einem offenen Eklat zwischen den Delegierten einerseits, Bodet, Beaudouin, Gropius, Rogers und Costa andererseits. Der Generaldirektor eröffnete das Gespräch mit der Frage an Gropius, wie es möglich sei, dass das Gutachten Beaudouins Entwurf einerseits attestiere, den praktischen Anforderungen des Bauprogramms zu genügen, andererseits jedoch dessen Umsetzung wegen angeblich mangelnder Konsistenz verweigere. Gropius verteidigte die von den Experten angeführte Kritik damit, dass Beaudouin den von der UNESCO im Baukonzept eingeforderten „psychologischen Faktor“ nicht ausreichend berücksichtigt hätte.127 Zwei in ihrer funktionalen Eigenschaft zufriedenstellende Gebäude seien, so Gropius, nicht automatisch schön, wenn der Geist, der sie formen würde, nicht derselbe sei. Beaudouins Design mangele es an Einheitlichkeit. Aus künstlerischer Sicht bestünde keine Harmonie zwischen den Räumen, die von ihm konzipiert seien.128 Der in Gropius’ Aussage versteckte Vorwurf zielte direkt gegen die Architekturauffassung Beaudouins. Nach Ansicht der fünf Experten entsprang diese einer akademischen Architekturtradition und eben nicht einer modernen, die Bauvolumen auf einer gegebenen Fläche funktional und dennoch frei und harmonisch auszutarieren suchte. Diesen ursächlichen Grund für die ablehnende Haltung der Experten sprach Gropius jedoch nicht offen aus. Und auf die Nachfrage des belgischen Delegierten Claude de Valkeneer, ob die divergierenden Meinungen womöglich an zwei unterschiedlichen Architekturauffassungen lägen, wich Gropius geschickt aus. Beaudouins Fehler sei gewesen, die ihm auferlegten Restriktionen widerstandslos akzeptiert zu haben. Dieses Verhalten verstoße gegen eine moderne Auffassung, welche das freie Ausdrucksvermögen des Architekten als einen absoluten Wert postuliere.129 Deswegen sprach er im Namen des Expertengremiums die Empfehlung aus, Beaudouin keine weiteren Pläne anfertigen zu lassen. Ernesto Rogers ging in der Ablehnung des Franzosen sogar noch einen Schritt weiter als Gropius: Beaudouin sei in der Lage ein Gebäude als ein Stück Prosa zu produzieren, nicht jedoch als Kunstwerk. Dem fügte schließlich Lucio Costa hinzu, es sei unnütz, einen Architekten ein solches Werk ausführen zu lassen, der seine Begrenztheit bereits offenbart habe.130 Über diese harte Aburteilung der Architektenkollegen empörten sich die Komiteemitglieder. Als vorrangig politische Entscheidungsträger fühlten sie sich von den fachlichen Argumenten des Expertenteams nicht nur bedrängt, sondern von der Heftigkeit seiner Reaktion regelrecht vor den Kopf gestoßen. Um Handlungskompetenz 126 127 128 129 130

Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 9. 5. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 6, S. 3. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 15. 5. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 6, S. 6. Vgl. ebd.

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zu demonstrieren, fassten die Delegierten in der folgenden Sitzung den Beschluss, Beaudouin und zwei ihm zur Seite gestellte Architekten mit der Anfertigung eines Plans für ein neues Gelände zu beauftragen. In keinem Falle, so der Beschluss des Gremiums wörtlich, dürfe das Expertenteam dazu ermächtigt werden, den Namen eines anderen Architekten ins Spiel zu bringen, da dies seinen Aufgabenbereich überschreiten würde.131 Mit dieser letzten Anweisung versuchten die Delegierten den Einflussrahmen der beratenden Architekten begrenzt zu halten. Das Fünferteam setzte hingegen weiterhin auf die Strategie erfolgreicher Lobby­arbeit und forcierte den direkten Kontakt zu Bodet. Dieser ließ in den folgenden Sitzungen höchstes diplomatisches Geschick walten. Er klärte die Delegierten darüber auf, dass der schwelende Konflikt eigentlich auf einer Metaebene ausgetragen werde, da sich zwei grundsätzlich verschiedene Architekturauffassungen gegenüberstünden. Er erachte es als sinnvoll, Beaudouin weitere Architekten zur Seite zu stellen. Auf diesen Vorschlag hin plädierte der französische Delegierte dafür, Architekten auszuwählen, die die gleichen ästhetischen Überzeugungen teilten wie die fünf schon tätigen Architekten. Ein logischer wie pragmatischer Vorschlag, der dem Expertengremium in die Hände spielte. Um rasch zu einer Lösung zu gelangen, richtete das Komitee eine Arbeitsgruppe ein, bestehend aus dem amerikanischen Komiteevorsitzenden Charles ­T homson, dem australischen Proto­ koll­führer Gardner Davies, und den italienischen, französischen und brasilianischen Mitgliedern Alberto de Clementi, F. Valeur und Paulo de Berrido Carneiro. In ihrem Zwischenbericht sprachen sie die Empfehlung aus, dass die beiden zusätzlichen Architekten nach informellen Absprachen mit dem Kreis der fünf Berater ausgewählt werden sollten. Diese Kehrtwende von ablehnender hin zu versöhnlicher Haltung lässt sich allein damit erklären, dass einmal mehr der Generaldirektor, in enger Kooperation mit seinem amerikanischen Stellvertreter John W. Taylor (USA), die Fäden abseits offi­zieller Protokolle zog. In Absprache mit dem Komitee­vorsitzenden ­T homson (USA) führte Taylor am 11. Juni 1952 ein Telefonat mit Gropius, der von einem neuen Dreier­team mit Beaudouin abriet.132 Von diesem Ratschlag überzeugte Taylor die Arbeitsgruppe, die in einem folgenden Bericht zu der Auffassung gelangte, dass es für den weiteren Prozess am günstigsten sei, neue Architekten zu nominieren, mit denen sich die fünf Experten einverstanden zeigen könnten.133 Diese Nominierung nahm General­direktor Bodet wiederum gemeinsam mit Gropius vor, ohne das Hauptquartierkomitee einzubeziehen. In der Komiteesitzung am 10. Juli 1952 stellte er die vom Experten­g remium abgesegneten Architekten Bernard Zehrfuss, Pier Luigi Nervi und Marcel Breuer vor.134 Über Eugène Beaudouin 131 Im Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 3. 6. 1952 heißt es: „In no case, however, could the panel be empowered to put forward the name of an alternative principal architect, since that would exceed its terms of reference.” Vgl. UNESCO-Archiv, HQ 6, S. 5. 132 Vgl. Protokoll der Arbeitsgruppensitzung vom 26. 6. 1952, Unesco-Archiv, HQ 6, Annex I, S. 8. 133 Vgl. ebd., S. 8 f. 134 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 10. 7. 1952, Unesco-Archiv, HQ 6, S. 2. Daraus geht hervor, dass Nervis und Zehrfuss Nominierung bereits feststand, die Wahl Breuers

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wurde nur noch im Zusammenhang mit dessen Plänen gesprochen, die als Zeichen der Anerkennung veröffentlicht werden sollten. Diese Veröffentlichung wurde jedoch nie realisiert. Das Komitee ging zuletzt auf die Vorschläge des Generaldirektors ein, sein Handeln beruhte allerdings auf reinem politischem Pragmatismus. In Anbetracht der kurzen Zeit, die bis zur Generalkonferenz im November 1952 blieb, sahen die Delegierten keine andere Lösung, als der Nominierung des Dreierteams Zehrfuss-Nervi-Breuer zuzustimmen. Obwohl einige Mitglieder, etwa der englische Delegierte Cowell, bezweifelten, dass drei Architekten, die sich kaum kannten, innerhalb von knapp drei Monaten in der Lage sein sollten, Pläne anzufertigen, für die dem Architekten Beaudouin sechs Monate zur Verfügung gestanden hätten, wurde ein neuer Resolutionsentwurf zur Vorlage bei der Generalkonferenz im September beschlossen.135 Unmittelbar nach dem unmissverständlichen Gutachten der Berater hatte sich Generaldirektor Bodet im Mai 1952 der Geländefrage erneut angenommen und Verhandlungen mit der französischen Regierung geführt. Diese stellte ihm schließlich drei Alternativen zur Verfügung: ein Gelände am Jardin d’Acclimatation, eines am Boulevard Lannes und eines zwischen der Porte Maillot und der Porte Dauphine, alle drei im Westen der Stadt außerhalb des Innenstadtkerns situiert. Damit unterlagen sie nicht den strengen Baurestriktionen wie das Gelände an der Place de Fontenoy. Sie befanden sich in städtischem Besitz, ihr Ankauf durch den französischen Staat war bereits in Aussicht gestellt. Bevor Bodet das Hauptquartierkomitee über die neuen Geländeoptionen informierte, ließ er die potentiellen Bauplätze von den fünf Beratern begutachten.136 Diese trafen nach eingehender Prüfung eine Vorauswahl und empfahlen schließlich das Gelände an der Porte Maillot.137 Das Hauptquartierkomitee nahm die Geländeempfehlung der Berater an und stimmte einem neuen Entwurf für ein UNESCO-Gebäude an der Porte Maillot durch die Architekten Breuer, Nervi und Zehrfuss zu.138 Die Moderne setzt sich durch – das neue Bauprojekt an der Porte Maillot Die drei Architekten (Abb. 19) trafen im Juli 1952 erstmals in Paris zusammen. Marcel Breuer verglich bereits damals ihre nicht ganz freiwillige Kooperation mit einer „arabischen Ehe“139. Über im Vorfeld getroffene Absprachen zwischen den fünf Beratern und den drei Architekten lässt sich nur spekulieren. Dass sich die drei Architekten über-

135 136 137 138 139

hingegen von Le Corbusier nicht unterstützt wurde. Dieser hatte José Luis Sert vorgeschlagen. Das Komitee entschied jedoch zugunsten des ehemaligen Gropius-Schülers. Vgl. ebd., S. 3 f. Abschriften dieser Gutachten befinden sich im Bauhaus-Archiv Berlin. Vgl. Bauhaus-Archiv, GN 1, 103, UNESCO-Reports 1952. Vgl. Gutachten der fünf Berater vom 12. 5. 1952, Bauhaus-Archiv, GN 1, 103, UNESCO-Reports 1952. Vgl. Report of the Headquarters Committee vom 3. 10. 1952, Bauhaus-Archiv GN 1, UNESCO-­ Reports 1952, M 104. Vgl. auch: UNESCO-Archiv, HQ 7C ADM. Vgl. Jones 1962, S. 253.

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19  Die UNESCO-Architekten (v. l. n. r.) Bernard Zehrfuss, Marcel Breuer und Pier Luigi Nervi

haupt nicht persönlich kannten, ihre Vielsprachigkeit gewisse Arbeitshemmnisse mit sich brachte (Breuer sprach weder italienisch noch französisch, Nervi und Zehrfuss nur wenig englisch) und auch ihre unterschiedliche fachliche Ausrichtung einer solch schwierigen Gemeinschaftsarbeit entgegenstand, legt die Vermutung nahe, dass die Berater weniger auf eine überzeugende Gemeinschaftsleistung dieser drei setzten als vielmehr auf eine enge Kooperation aller Beteiligten. Der aus Ungarn stammende Breuer hatte 1920 eine Ausbildung bei Gropius am Weimarer Bauhaus begonnen und dort von 1925 bis 1928 das Meisteratelier der Tischlerwerkstatt geführt. 1928 ging er nach Berlin. Von dort aus emigrierte er 1935 zunächst nach England und 1937 in die USA, nachdem ihm Gropius am Department of Architecture

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der Harvard University eine Stelle als Associate Professor verschafft hatte. 1948 widmete ihm das Museum of Modern Art in New York eine erste Ausstellung. Bis zu seiner ­U NESCO-Nominierung hatte Breuer fast ausschließlich Einfamilienhäuser realisiert und verfügte in Bezug auf Großprojekte nur über wenig Erfahrung. Der um zehn Jahre ältere Italiener Pier Luigi Nervi zählte bereits zu den internatio­ nal renommiertesten Ingenieuren. Er hatte sich durch gewagte Betonkonstruktionen, wie etwa dem städtischen Stadion in Florenz (1930–32), Flugzeug-, Bahnhofs- und Ausstellungshallen in Orvieto (1939–41), Buenos Aires (1948) und Turin (1948–49) einen Namen gemacht. Aus vorfabrizierten armierten Betonteilen schuf Nervi über eine verfeinerte Schalungstechnik riesige Bauwerke mit komplexen geometrischen Strukturen. Nervi unterrichtete als Professor für Bautechnik an der Fakultät für Architektur der Universität in Rom.140 Bernard Zehrfuss, der jüngste der drei Architekten, hatte eine akademische Ausbildung an der École des Beaux-Arts absolviert und war 1939 mit dem Grand Prix de Rome ausgezeichnet worden. Er war jedoch der modernen Architekturbewegung stets zugeneigt und vor allem von den Schriften und Werken Le Corbusiers fasziniert. Zehrfuss’ Architektenkarriere begann in Tunesien und Algerien, wo er zunächst als Chef­ architekt der Regierung zwischen 1944 und 1948 große Wohneinheiten, Schulen, Hospi­täler, Postgebäude und den El-Aouina Flughafen in Tunis baute.141 Im Jahr 1948 trat er den CIAM bei. Vor dem Hintergrund der drei Werdegänge lässt sich die Zusammenstellung dieses Teams durch die fünf Berater als strategisch ausgesprochen klug begreifen: Als ehemaliger Zögling, Mitarbeiter und enger Vertrauter von Gropius stellte Breuer eine verlässliche und gleichzeitig berechenbare Konstante innerhalb des Dreierteams dar. Zehrfuss’ Nominierung war einerseits politisch motiviert, da er bereits auf der ersten Namens­liste der französischen Regierung auftauchte, als CIAM-Mitglied konnten sich die Berater andererseits seiner Einstellung ihnen gegenüber sicher sein. Dem Ingenieur Nervi war von vornherein nicht die entwerfende Architektenrolle zugedacht, er galt vielmehr als Garant für einen technisch versierten Betonbau. Breuers Aussagen zufolge stellte sich zwischen den dreien rasch eine gute Arbeitsatmosphäre ein. Die knappe Zeitvorgabe, die vorsah, dem Expertengremium in nur sechs Wochen (bis zum 15. September 1952) einen Plan vorzulegen, mag langwierige Aushandlungsprozesse um Kompetenzen ausgeschlossen haben. Zudem waren Breuer und Nervi gezwungen, ihre Wohnsitze innerhalb kürzester Zeit nach Paris zu verlegen und sich gemeinsam mit Zehrfuss ein voll ausgestattetes Büro in der Rue Arsène Houssaye einzurichten. Als Breuer sich einen Infekt zuzog und mehrere Wochen im Krankenhaus verbrachte, schien das Projekt zu kippen. Am 1. September 1952 schrieb er an ­Gropius, 140 Vgl. Joedicke 1957. 141 Vgl. Vita von Bernard Zehrfuss im Bericht an die Generalkonferenz, UNESCO-Archiv, 7C/ ADM/32(I), AnnexVIII, S. 4.

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20  Diskussionsrunde für das UNESCO-Projekt an der Porte Maillot, v. l. n. r.  Ernesto Rogers, Walter Gropius, Bernard Zehrfuss, Le Corbusier, Benjamin Wermiel, Marcel Breuer, Sven Markelius

dass er bereits wieder an Diskussionen teilnehmen könne. Das Projekt entwickle sich gut, so dass die Pläne allem Anschein nach rechtzeitig fertig würden.142 Vom 15. bis 17. September 1952 diskutierten die Architekten ihre Entwürfe gemeinsam mit Gropius, Le Corbusier, Rogers, Markelius und Costa in Paris (Abb. 20). Aus dem von Gropius verfassten Rechenschaftsbericht der fünf Experten vom 17.  September 1952 an den Generaldirektor gehen alle wichtigen Überlegungen hervor:143 Demnach hatten die drei Architekten zunächst Studien vorbereitet und präsentiert, die eine allgemeine städtebauliche Entwicklung der Stadt Paris in den letzten Jahrhunderten aufzeigte, wobei eine axiale Ausrichtung von Osten nach Westen abzulesen war (Abb. 21). Diese historische Achse begann auf der Île de France mit Notre Dame und erstreckte sich entlang des Louvre, der Tuilleriengärten und der Place de la Concorde, vorbei am südlich gelegenen Invalidendom und der Champs Elysée hin zum großen Place

142 Vgl. Brief von Marcel Breuer an Walter Gropius vom 1. 9. 1952, Bauhaus-Archiv, GN 1, UNESCO, M 99. 143 Vgl. Gropius, Walter: Report on UNESCO’s Headquarters Builidng by the International Panel of Five Architects an den Generaldirektor vom 17. 9. 1952, Bauhaus-Archiv, GN 1, M 104.

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21  Paris, städtebauliche Situation und Lageplan des Grundstücks an der Porte Maillot

d’ Étoile. Nicht ganz parallel dazu verlief eine zweite prominente Achse ausgehend von der École Militaire über das Marsfeld bis zum Trocadéro, der wiederum über die Avenue Kléber mit dem Place d’ Étoile verbunden war. Hinter dem Étoile orientierte sich die Achse in Richtung Westen zur Porte Maillot, der Porte de Neuilly und dem Rond Point de La Défense.144 Das Hauptquartier der UNESCO würde, nach Ansicht der Architekten, ein ganz neues Element entlang dieser Achse darstellen, wodurch aus städtebaulicher Sicht eine zusätzliche historische Bedeutung erwachse. Die Verkehrsanbindung des Geländes bewerteten die Experten als geradezu optimal. Im Süden wurde es von der Avenue de Foche begrenzt, die direkt auf den Knotenpunkt des Étoile zulief. Im Norden ergab sich durch den Boulevard de l’Amiral Bruix und den Boulevard de Thierry eine direkte Verbindung zur Porte Maillot. Auf dem langgestreckten rechteckigen Gelände staffelten die Architekten drei Gebäude­ komplexe hintereinander (Abb. 22). Diese entsprachen funktional den drei Organen der UNESCO, dem Sekretariat, dem Exekutivrat und der Generalkonferenz. Das Sekretariatsgebäude präsentierten sie als 16-stöckiges Scheibenhochhaus mit durchgehender Glasfront (Abb. 23). Ein organisch gewelltes Vordach betont den Haupteingang, der sich nach Norden zur historischen Achse hin öffnet. An das Sekretariat schließt sich in südlicher Richtung ein niedriger Baukörper auf Pilotis kontrapunktisch an. Er beherbergt mehrere Plenar- und Sitzungssäle sowie Büros für die Mitglieder des Exekutivrates 144 Erst 1988 wird sie dort im Grand Arche de la Défense einen Abschluss finden.

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22  UNESCO-Projekt an der Porte Maillot, Modell von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1952

und verfügt über zwei Innenhöfe, die eine natürliche Beleuchtung des Gebäudeinneren garantieren. Ein Verbindungsgang führt von dort aus direkt in das Konferenzgebäude, das sich als schmaler quaderförmiger Baukörper anfügt. Der Sitzungssaal der Generalkonferenz ist als Amphitheater angelegt. Die Berater lobten die Arbeit der drei Architekten über alle Maße, Verbesserungs­ vorschläge betrafen lediglich die Leitung der Besucherströme innerhalb der Gebäude sowie die Verkehrsführung zur Straße hin. So sollte ihrer Ansicht nach die Trennung von Fußgängern und Automobilen stärker berücksichtigt werden. Zudem sprachen sie sich für eine Vergrößerung der Durchgangskorridore aus, damit diese zu Stoßzeiten große Besucherströme aufnehmen konnten. Darüber hinaus verlangten die Berater eine andere Positionierung der unterirdischen Garage. Die abschließende Bewertung empfahl den vorläufigen Plan zur Ausführung: Architektonisch arrangiert der Plan die konstituierenden Elemente – Bürogebäude, Konferenzgebäude, Plenarsaal – gut. Die Formen und Dimensionen, die die Architekten diesen drei funktionalen Organen zugewiesen haben, sind effizient, intelligent und legen das Fundament für eine architektonische Komposition von hoher Qualität. Die Art und Weise, mit der die Architekten diese miteinander in Beziehung gesetzt haben, erlaubt rationellen Zugang und Bewegung […]. Das Gremium empfiehlt die präsentierten Pläne wärmstens und ist davon überzeugt,

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23  UNESCO-Projekt an der Porte Maillot, Aufrissschema von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1952

dass ihre Autoren vom Geist inspiriert und mit den Fähigkeiten ausgestattet sind, um sie auszuführen; Demgemäß spricht es gegenüber den Autoren sein Vertrauen aus und hofft, dass ihnen Zeit und Unterstützung zugesichert werden, um ihre begonnene Arbeit weiter zu verfolgen.145

Nach dieser positiven Beurteilung des neuen Bauprojektes bereitete das Hauptquartierkomitee einen Resolutionsentwurf vor, der den Generaldirektor damit beauftragte, das von der französischen Regierung zur Verfügung gestellte Gelände an der Porte Maillot anzunehmen und die Architekten Breuer, Nervi und Zehrfuss mit der Ausführung des Bauprojektes zu betrauen.146 Am 6. Oktober 1952 gab die UNESCO eine Pressemeldung heraus, in welcher sie die Baupläne des Architektenteams der Öffentlichkeit vorstellte. Neben Informationen über die beteiligten Architekten, den Bauplatz und die einzelnen Gebäudeteile lag darin ein besonderer Fokus auf der Beziehung des neuen Bauwerks zu seiner historischen Umgebung: „Trotz der veranschlagten Höhe wird das 16-stöckige Gebäude niedriger sein als die Hauptmonumente entlang der großen traversalen Achse von Paris.“147 Mit diesem 145 Originalzitat Walter Gropius: „Architecturally, the plan makes good arrangements for the constituent elements – Office Building, Conference Building, Plenary Hall. The forms and dimen­ sions given by the Architects to these three functional organs are efficient and intelligent and lay the foundations for an architectural composition of high quality. The way in which the Architects have arranged these in relation to one another allows rational access and movement. […] The Panel warmly approaches the plans presented and is convinced that their authors are imbued with the spirit and possessed of the skill to carry them out; accordingly, it puts its trust in the authors and hopes that time and funds will be granted them to prosecute the work they have begun.” Zit. nach: Report on UNESCOs Headquarters Building in Paris by the International Panel of Five Architects an den Genderaldirektor vom 17. 9. 1952, Bauhaus-Archiv Berlin, GN 1, M 104. Vgl. auch: ­U NESCO-Archiv, 7C/ADM/32 (I), Annex X. 146 Vgl. Draft Resolution, Construction of Permanent Headquarters of UNESCO. UNESCO-Archiv, 7C/ADM/32 (1), S. 4. 147 Originalzitat: „Despite its proposed height, the 16-story building will be lower than the principal monuments along the great transverse axis of Paris.” Zit. nach: UNESCO Press release Nr. 776, Plans for new UNESCO Building completed. Not to be released before October 6, 1952, Bauhaus-­ Archiv, GN 1, M 104, S. 1.

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Zusatz wollte die UNESCO Vorbehalte der Stadt und seiner Bewohner gegen moderne Architektur ausräumen. Gleichzeitig versuchte sie gerade die moderne Architektur­ auffassung von der historischen Tradition abzuleiten: Die Tradition von Paris, einer Stadt, in der jedes Monument Zeugnis für den künstlerischen Ausdruck einer Epoche ablegt, erfordert es, dass das UNESCO-Gebäude ebenfalls Ausdruck zeitgenössischer lebendiger Kunst sein wird. Es soll den Trend lebendiger Architektur repräsentieren. Und die weltweiten Entwicklungen sollen im Gebäude synthetisiert werden, um den architektonischen Geist unserer Zeit zum Ausdruck zu bringen.148

Tageszeitungen und Architekturzeitschriften informierten die Öffentlichkeit über das Bauprojekt in Paris. Die Meinungen fielen dabei sehr unterschiedlich aus. Die UNESCO wähnte sich am Ziel ihrer zweijährigen Planungsphase.

Behördlicher Protest gegen eine „Notre-Dame des Radiateurs“149 Unerwartet zog die französische Regierung während der sechsten Generalkonferenz im November 1952 ihr Angebot für den Bauplatz an der Porte Maillot zurück. Während dieser Konferenz legte Generaldirektor Bodet überraschend sein Amt nieder und sein Stellvertreter, der Amerikaner John W. Taylor, übernahm dessen kommissarische Leitung.150 Der UNESCO-Delegierte André Marie, dem als Bildungsminister auch das Städtebauministerium unterstand, übermittelte die Geländeabsage dem Hauptquartierkomitee in der Sitzung vom 21. November.151 Triftige Gründe, die diese plötzliche Absage rechtfertigten, lieferte der Regierungsvertreter nicht. In diplomatischen Beschwichtigungsformeln erläuterte André Marie, ernsthafte Finanzierungsschwierigkeiten hätten den Ankauf des Geländes unmöglich gemacht. Zudem sei von bestimmten Regierungsvertretern Einspruch gegen das Projekt erhoben worden. Der Ministerrat habe sich nach dem geeignetsten Gelände umgesehen und sich einstimmig für die Place de Fontenoy als beste Lösung ausgesprochen.152 Unzureichende Finanzierung dürfte kaum der Ablehnungsgrund gewesen sein. Die Stadt Paris hatte von der Entscheidung der 148 Originalzitat: „The tradition of Paris, a city in which every monument bears witness to each period’s artistic expression, requires that the Unesco building should also be an expression of contemporary living art. It should represent the trends of a living architecture, and developments through­out the world should be synthesized in this building to express the architectural spirit of our time.” Zit. nach: ebd., S. 2. 149 Zit. Mousset, Albert: La commission des sites émet un voeu défavorable au projet de palais de l’UNESCO, in: Le Monde, 1. 11. 1952. 150 Gründe für Bodets Rücktritt, der fast zeitgleich mit UN-Generalsekretär Trygve Lie erfolgte, lagen darin, dass viele Mitgliedstaaten mit ihren Beitragszahlungen derart im Rückstand waren, dass die UNESCO in Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Vgl. Der Spiegel: UNESCO. Symbol vergangener Kultur, 10. 12. 1952, S. 17. 151 Vgl. Provisional summary Record of the Second Meeting, held at Unesco House, Paris, 28. 11. 1953, UNESCO-Archiv, 7C/HQ /SR. 2 (prov.). 152 Vgl. ebd., S. 2.

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­ NESCO aus dem Jahre 1945, ihren Hauptsitz in die französische Hauptstadt zu verleU gen, bereits dadurch profitiert, dass sich viele Diplomaten und ausländische Regierungsvertreter sowie Vertreter internationaler mit der UNESCO kooperierender NGOs in der französischen Hauptstadt niedergelassen hatten. Tatsächlich hatte die Kommission der städti­schen Baustellen (La Commission des Sites de la Ville) die Pläne bereits Ende Oktober abgelehnt, wie aus der Tageszeitung Le Monde hervorgeht. In einem Artikel vom 1. November berichtet Albert Mousset, selbst Mitglied dieser Kommission, über diesen Beschluss.153 Emotional aufgeladen legt er darin die Vorbehalte seiner Behörde gegenüber dem Projekt offen. Diese richten sich gegen die moderne Architektur. Der „vulgäre Wolkenkratzer“ füge sich nicht harmonisch in die Stadtlandschaft ein. Er ruiniere wichtige Blickachsen und zerstöre die beispielhafte Landschaft des Bois de Boulogne aus dem 19. Jahrhundert. Zu dieser „Notre Dame des Radiateurs“ (Notre Dame der Heizkörper) sei es nur deswegen gekommen, da die UNESCO Architekten ausgewählt hätte, die nicht mit den Traditionen französischer Architektur vertraut seien. Persönliche Kontakte, so Mousset, hätten bei der Architektenwahl eine zu dominante Rolle gespielt. Die Meinung der Franzosen hingegen hätte die UNESCO gar nicht erst eingeholt.154 ­Mousset benennt an dieser Stelle deutlich den wirklichen Grund der Projektabsage: den städtischen Behörden missfiel der Einfluss der fünf CIAM-Architekten.155 Nur sie können mit „persönlichen Kontakten“ gemeint sein. Dieser Kommissionsbeschluss sollte der UNESCO unmissverständlich zu verstehen geben, dass das Bauvorhaben nicht ohne die Mitsprache und die endgültige Entscheidungsbefugnis der Pariser Behörden durchgeführt werden konnte. Die prompte Absage machte nicht nur die unter höchstem Zeitdruck erarbeiteten Pläne der drei Architekten zunichte, sondern rückte den Wunsch der Organisation nach moderner Architektur in Paris in weite Ferne. Über die Auswirkungen ihrer politischen Entscheidung waren sich die französischen Regierungsvertreter völlig im Klaren. Die UNESCO hatte viel Geld und wertvolle Zeit in die Anfertigung neuer Pläne investiert. Als Geste der Wiedergutmachung erklärten sie sich deswegen bereit, die unnötig entstandenen Planungskosten in Höhe von 30 Millionen Francs zu übernehmen.156 Als symbolisches Zeichen dafür, dass die Stadt Paris die UNESCO nach wie vor willkommen hieß, stellte sie den Bau einer internationalen Grundschule direkt neben der Place de Fontenoy in Aussicht, die nach den von der UNESCO aufgestellten Bildungskriterien konzipiert und geführt werden solle.157 153 Vgl. Mousset 1952. 154 Vgl. ebd. 155 Walter Gropius verfolgte die Pressemeldung in den französischen Zeitungen mit Sorge, wie aus einem Brief an den Koordinator des Hauptquartierkomitees Benjamin Wermiel vom 30. 10. 1052 hervorgeht. Vgl. Bauhaus-Archiv, GN 1, UNESCO, M 99. 156 Vgl. General Conference, Headquarters Committee, Protokoll vom 28. 11. 1952, UNESCO-Archiv, 7C/HQ /SR. 2 (prov.), S. 4. 157 Vgl. ebd.

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Die Absage an das Bauprojekt Porte Maillot bedeutete vor allem für die beiden Architektenteams einen herben Rückschlag. Der französische UNESCO-Delegierte Marie versicherte zwar auch ihnen gegenüber, dass sich die Regierung ihrer enormen Arbeits­ leistung sehr wohl bewusst sei. Doch betonte er, dass die zukünftige Entscheidung an der Place de Fontenoy über die Vereinbarkeit moderner Architektur mit dem historischen Stil Gabriels einzig in der Verantwortung des Hauptquartierkomitees und des Städtebau­ ministeriums läge. Deswegen bot er den Architekten für die Ausarbeitung neuer Pläne ein weiteres Mal die Hilfe des Ministeriums an.158 In der Diskussion, die auf Maries Erklärungen folgte, versuchte zunächst Gropius den Standpunkt des Expertenteams gegenüber dem Hauptquartierkomitee zu verteidigen. So hielt er an der negativen Beurteilung der Place de Fontenoy fest und stellte sich hinter die Pläne der drei Architekten, die deswegen positiv bewertet worden seien, da sie städteplanerisch wie architektonisch die Anforderungen der UNESCO erfüllten. An den französischen Delegierten richtete er die Frage, ob dessen Regierung bereit sei, die Prinzipien moderner Architektur an der Place de Fontenoy zu akzeptieren. Uneinigkeit mit bestimmten Pariser Experten herrschte schließlich darüber, welche Gebäudetypen miteinander harmonierten.159 Um diese Grundsatzdiskussion zu umgehen, schlug Marie ein gemeinsames Treffen zur Erörterung aller bestehenden Baurestriktionen vor, an dem das Expertenteam, Vertreter des Ministeriums für Wiederaufbau und Städtebau sowie der Chefarchitekt der Stadt Paris beteiligt werden sollten. Das Hauptquartierkomitee stärkte Breuer, Nervi und Zehrfuss den Rücken und forderte gegenüber dem Regierungsvertreter, dass den UNESCO-Architekten alle kreative Freiheit garantiert werden müsse. Sie hätten ihre Fähigkeiten bereits in Städten wie New York und Rio de Janeiro unter Beweis gestellt, wo keine Bauvorschriften bestünden. In Paris sei es ihre Aufgabe, zwischen Moderne und Vergangenheit zu vermitteln.160 In diesem Sinne stellte auch Ernesto Rogers heraus, dass er in Italien ständig mit dem Problem der Vereinbarkeit von Moderne und Tradition konfrontiert sei. Es sei eine Fehleinschätzung, zu glauben die Moderne missachte systematisch Traditionen; im Gegenteil sei sie darum bemüht, Traditionen weiterzuführen. Wie seine Kollegen wolle auch er im Geiste der Architekten vergangener Epochen arbeiten, dabei jedoch dieselbe Freiheit genießen dürfen, die seinen Vorgängern einst vergönnt war.161 Die Frage des amerikanischen Komiteevorsitzenden Thomson, ob es nicht sinnvoll sei, die drei Architekten am geplanten Treffen der Städtebauexperten zu beteiligen, verneinte Marie mit der Begründung, es sei besser, die fünf Mitglieder des Expertenkomitees würden zuerst die Architekten auswählen, die das neue Projekt ausführen sollten.162 Die französischen Behörden gingen also davon aus, dass mit dem neuen Projekt ein wei158 159 160 161 162

Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. ebd., S. 5. Vgl. ebd., S. 6.

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teres Mal das Architektenteam ausgewechselt würde. Vermutlich hatten die Franzosen an dieser Stelle gehofft, nun einen eigenen Kandidaten durchsetzen zu können. Zur Wahl neuer Architekten bestand jedoch aus Sicht der UNESCO kein Grund und Walter Gropius setzte sich unmissverständlich dafür ein, dass dies so blieb. In einem Brief an den Komiteevorsitzenden Thomson vom 1. Dezember 1952 forderte er, den neuen Entwurf wiederum von Breuer, Nervi und Zehrfuss ausführen zu lassen. Die Verlängerung aller Verträge – sowohl der Architekten als auch der Berater – wurde in der achten Sitzung des Hauptquartierkomitees am 16. Dezember 1952 beschlossen.163 Bis zum 2. April 1953, nur wenige Wochen vor der Generalkonferenz, sollten die neuen Pläne für das Gelände an der Place de Fontenoy vorliegen. Rückkehr zur Place de Fontenoy Ein Treffen zwischen dem Expertenteam und den Ministeriumsvertretern fand am 29. November 1952 statt. Da kein Sitzungsprotokoll existiert, lässt sich der Diskussionsverlauf nicht im Einzelnen nachvollziehen, allerdings wurden die Ergebnisse des Meinungsaustauschs in einem Dokument zusammengefasst, das dem neuen Resolutionsentwurf für die Generalkonferenz als Informationszusatz beilag.164 Erstaunlicherweise geht daraus hervor, dass die Restriktionen zur Bauregulierung weitestgehend aufgehoben wurden. So heißt es dort: 1.  Das Gelände zwischen Place de Fontenoy, Avenue de Saxe, Avenue de Ségur, Avenue de Suffren und Avenue de Lowendal, das der UNESCO vollständig zum Bau ihres dauerhaften Sitzes zur Verfügung steht, unterliegt keinen architektonischen Regulierungen. 2.  Deswegen gibt es keine Verpflichtung entlang der Begrenzungsränder des Geländes zu bauen; das einzige Erfordernis besteht darin, die gesetzliche Grenze der Ränder zu beachten. 3.  In keinem Fall sollte die Höhe des zu errichtenden Gebäudes die Höhe der bereits bestehenden Bauten an der Place de Fontenoy und der umliegenden Straßen übersteigen. 4.  Das architektonische Design soll danach streben, eine harmonische Ganzheit mit größtmöglicher Interpretationsfreiheit der Komposition zu schaffen. 5. Die Vertreter der zuständigen französischen Ministerien nehmen zur Kenntnis, dass schließlich die Präsenz eines internationalen Gebäudes dieser Wichtigkeit auf dem Gelände des Quartier Fontenoy unweigerlich Auswirkungen auf die Entwicklung des Stadtplanes in diesem Teil von Paris haben wird, vor allem hinsichtlich des Verkehrs.165

163 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 16. 12. 1952, UNESCO-Archiv, HQ 8/3. 164 Vgl. Preliminary Conclusions of the Exchange of Views which took place on Saturday, 29. 11. 1952, between the International Panel of Architects and the Representatives of the Competent French Ministries, Bauhaus-Archiv, GN 1/UNESCO, M 99. 165 Originalzitat: „1. The site situated between the Place de Fontenoy, the Avenue de Saxe, the Avenue de Ségur, the Avenue de Suffren and the Avenue de Lowendal, placed entirely at UNESCO’s disposal for the construction of its permanent Headquarters is subject to no architectural regulation. 2. There is, therefore, no obligation to construct along the periphery of the site; the only requirement is to observe the legal limit of the periphery of the site. 3. In no case should the height of the buil-

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Die diplomatischen Bemühungen sowohl der Architekten als auch der Bauministerien scheinen für beide Seiten erfolgreich gewesen zu sein. Als zentrale Forderung der Architekten wurde das Erfordernis der Platzkomplementierung fallen gelassen. Mit diesem großen Zugeständnis entkräfteten die Regierungsvertreter gleichzeitig das negative Gutachten des Architektengremiums zur Place de Fontenoy. Deren Haupt­k ritikpunkt und stärkstes Argument gegen dieses Gelände wandte sich vor allem gegen jene Vorgabe, die ihrer Meinung nach ein historisches Missverständnis darstellte. Der Forderung nach der Entfaltungsfreiheit einer modernen Architekturauffassung gaben die Punkte zwei und vier statt. Lediglich an der Höhenvorgabe als Zugeständnis an das historische Stadtbild hielten die französischen Behörden fest. Den Widerständen gegen einen Wolkenkratzer in der Altstadt wollten sich die Architekten vermutlich auch aufgrund der starken Kritik, die von der Pariser Öffentlichkeit ausgegangen war, nicht entgegenstellen. Bis zum 2. April 1953 erarbeiteten die drei Architekten Breuer, Nervi und Zehrfuss in enger Kooperation mit dem Beraterteam und unter Berücksichtigung der veränderten Vorgaben einen neuen Projekt-Entwurf für das Gelände an der Place de Fontenoy. Skizzen verdeutlichen, dass den Architekten die Verteilung der Baumassen auf dem Gelände nicht leicht fiel. Anfängliche Versuche, einerseits die Place de Fontenoy weitgehend zu ignorieren (Abb. 24) und sich wiederum an Geländegrenzen zu orientieren (Abb. 25) oder andererseits durch zwei große, blockhafte und diagonal in das Gelände gestellte Baukörper das historische Umfeld bewusst zu irritieren (Abb. 26), wurden bald zugunsten von Lösungsansätzen verworfen, welche schließlich die Ypsilonform des Sekretariatsgebäudes entwickelten. Wie Eugène Beaudouin in seinem Avant-Projet strebten die Architekten nun doch die Platzkomplementierung an. Die klare Dreiteilung der Gebäude gemäß den Organen der UNESCO, wie sie auch im Projekt an der Porte Maillot vorgesehen war, übernahmen die Architekten zunächst. Allerdings gaben sie die strenge Staffelung der Gebäude zugunsten einer freieren Platzierung auf und variierten sie sowohl hinsichtlich ihrer Größe und ihrer Form als auch bezüglich der Verteilung ihrer Volumen. Am Ende stand der Entwurf mit einem durch seine drei Flügel weit geöffneten Sekretariat, das zwei kompakten Bauten, einem trapezförmigen Konferenzgebäude und einem quadratischen Exekutivratsgebäude, gegenüberstand (Abb. 27). Den Vorschlag für den dritten Gebäudekomplex mussten die Architekten zunächst wieder aufgeben, nachdem die UNESCO Zweifel an dessen Finanzierbarkeit geäußert hatte.166 Und so zeigt das

dings to be constructed exceed the height of the existing buildings on the Place de Fontenoy and the radial avenues. 4. The architectural design shall seek to create an harmonious entity with the broadest interpretation of the liberty of composition; 5. The representatives of the competent French Ministries noticed, that eventually the presence on the site of the Quartier Fontenoy of an international building of such importance cannot fail to have repercussions on the development of the city plan of that part of Paris, especially as regards traffic.” Zit. nach: ebd. Vgl. auch: Explanatory Notes von ­Marcel Breuer, Pier Luigi Nervi, Bernard Zehrfuss vom 2. 4. 1953, UNESCO-Archiv, 9 HQ /4, S. 2. 166 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 2. 4. 1953, UNESCO-Archiv, 9 HQ.

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24  UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, Kompositionsskizze von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1953

25  UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, Kompositionsskizze von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1953

26  UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, Kompositionsskizze von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1953

Modell des ersten vorläufigen Bauprojekts (Abb. 28) nur zwei Bauten. Erst 1954 konnten die Architekten an die Dreiteilung erneut anknüpfen (Abb. 29), als sich ein erheblicher Raummangel abzeichnete und die UNESCO einer Finanzierung des dritten Gebäudes notwendigerweise zustimmen musste.167 In ihren Entwurfserläuterungen für das Hauptquartierkomitee rechtfertigten die Architekten ihre Entscheidung für diese bauliche Variante hinsichtlich 1. städteplanerischer, 2. funktionaler, 3. struktureller sowie 4. ästhetischer Aspekte168:

167 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 5. 10. 1953, UNESCO-Archiv, 17 HQ /SR. 1. Sowohl die Form als auch die Positionierung des Exekutivratsgebäudes im nordöstlichen Gelände­ teil unterlagen bis ins Jahr 1955 mehrfachen Veränderungen. 168 Vgl. Marcel Breuer, Pier Luigi Nervi, Bernard Zehrfuss: Explanatory Notes, 2. 4. 1953, ­U NESCOArchiv, 9 HQ /4.

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27  UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, Grundrissschema von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1953

1. Unter städtebaulichen Gesichtspunkten werteten sie die Komposition des Sekretaria­ tes nun doch als historisches Zugeständnis. Insgesamt markiere das Gelände das südöstliche Ende der Achse Palais de Chaillot – Eiffelturm – Marsfeld – École Militaire. Das Y-förmige Gebäude vervollständige einerseits die halbkreisförmige Place de Fontenoy und respektiere damit die Vergangenheit, es wende sich aber andererseits, so die Argumentation der Architekten, auch der Zukunft zu. Seine Hauptfassade orientiere sich nach Südwesten hin zum Quartier Suffren-Grenelle.169 Da dieses Viertel zahlreiche baufällige Gebäude aufweise, sei dessen bauliche Erneuerung dringlich, unter anderem auch wegen einer unzureichenden Verkehrsführung. Das Ministerium für Städte­ bau plane bereits eine tiefgreifende Veränderung. Das UNESCO-Gebäude setze mit dieser Orientierung einen entscheidenden Verbindungspunkt zwischen der linken Seite des kulturellen Zentrums von Paris und den sich in Erweiterung befindenden Gebieten von Passy und Auteuil. Der Blick vom Sekretariat, von der Piazza und vom Konferenz­ gebäude in ­R ichtung dieses Distriktes demonstriere somit das Interesse der UNESCO 169 Vgl. ebd., S. 2.

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28  UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, Modell von Breuer, Nervi und Zehrfuss, 1953

an der Zukunft.170 Die Architekten hofften, dass die UNESCO-Architektur einen städtebaulichen Auftakt zu einer ganzen Reihe moderner Neubauten markieren würde. 2. Als Begründung für die Reduzierung der Gebäude auf zwei Baukörper gaben die Architekten zum einen das von der UNESCO mittlerweile erheblich gekürzte Bau­budget an – daraus resultiere eine Reduktion von Büroräumen. Zum anderen sei die Konzentration der Bauten in zwei Baukörpern erforderlich, um dem Bauprogramm folgend eine direkte Verbindung zwischen den Büros und den Plenarsälen zu gewährleisten: […] Die zusätzlichen Fachbereichsräume sollten in direkter Verbindung zu den Büroräumen stehen. Das bedeutet in der Sprache der Bauplanung eine konzentrierte Gruppierung der zahlreichen Fachbereiche mit der kürzesten und der unaufwendigsten Kommunikation. Dem wird durch die Verteilung aller erforderlichen Räume in zwei Hauptgebäude Rechnung getragen: In Sekretariat und in Konferenzgebäude.171

170 Vgl. ebd. 171 Zit. nach: Breuer, Nervi, Zehrfuss: Explanatory Notes, 2. 4. 1953, UNESCO-Archiv, 9 HQ /4, S. 3.

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29  UNESCO-Projekt an der Place de Fontenoy, Grundriss mit neu platziertem Exekutivratsgebäude, 1954

Mit der Y-Form des Sekretariats würden die Architekten vier wichtige Ziele umsetzen: Erstens erlaube diese Struktur, alle wichtigen Betriebssysteme in der Mitte des Ypsilons zu bündeln. Sechs Fahrstühle und Treppenaufgänge, die Kamine, Ventilation und Heizungsrohre, das Wasser- und Abwassersystem sowie eine zentrale Eingangshalle könnten dort in einem Kern zusammengeführt werden. Zweitens würden alle Büro- und Arbeitsräume entlang der Außenseiten des Gebäudes verlaufen und dadurch natürliche Belüftung und direkten Lichteinfall gewährleisten. Drittens vervollständige das Ypsilon die Place de Fontenoy und definiere gleichzeitig eine neue Piazza Richtung Südwesten. Schließlich würde die Komposition ein Maximum an Außenraum zwischen dem ­U NESCO-Gebäude und den umliegenden Gebäuden schaffen.172 Auch das Konferenz­ gebäude vereine alle funktionalen Einrichtungen der Generalkonferenz (Plenarsaal, eine Delegiertenlounge, Komiteeräume, Presseräume und Radiostation) unter einem Dach. Durch einen Gang (die Salle des Pas Perdus) solle es mit dem Sekretariat verbunden werden. Dort ergäbe sich als vierter und letzter Punkt durch die Verglasung der ­Pilotis eine Hauptlobby. Damit würde nicht zuletzt ein öffentlicher Raum geschaffen, der gleichzeitig einen funktionalen Zugang zu allen Teilen des Hauptquartiers bot:

172 Vgl. ebd., S. 3 f.

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Dieser starke innere öffentliche Zirkulationsraum stellt einen direkten und organischen Zugang zu allen Teilen und Funktionen des Hauptquartiers dar; er dient mit seinen halb privat gruppierten Ruhesesseln als Instrument informeller Treffen und Diskussionen. Er ist ein zentraler Anziehungspunkt und einer der wichtigsten Verbindungspunkte für die Aktivitäten der Organisation.173

3. Die Begründung der Architekten für die Wahl ihrer Gebäudestrukturen war simpel: durch die Stützenstruktur des Sekretariates erreichten sie eine maximale Flexibilität bei der Planung der Büros und reduzierten zugleich die nicht benutzbaren Flächen auf ein Minimum. Beim Konferenzgebäude erzeuge die Struktur zusätzlich einen großen architektonischen Ausdruck. Der gefaltete Beton setze sich im gesamten Gebäude bis in das Dach fort und sorge für einen minimalen Material- und Gewichtsaufwand bei größtmöglicher Raumnutzung.174 4. Abschließend betonten die Architekten die besonderen ästhetischen Errungenschaften ihrer Gebäudeentwürfe, die vor allem unterschiedliche visuelle Effekte bereit hielten. Sie resultierten zum einen aus der Wirkmächtigkeit der Architektur selbst. Zum anderen sollte die Integration der Kunstwerke zusätzliche optische Reize bieten. Als „architektonisch erfahrbar“ werteten die Architekten die ausbalancierten Bau­massen auf dem Gelände. Der horizontale Charakter des Projektes harmonisiere mit seiner Umgebung und der Pariser Landschaft. Auch die Nachbarn könnten die sanften Kurven des Sekretariates an drei Fassaden sowie die „freundlichen UNESCO-Gärten“ wahrnehmen. Die große Piazza als Fußgängerzugang markiere einen monumentalen Eingangsbereich.175 Ein weiteres effektvolles Element sahen die Architekten in der verglasten Hauptlobby mit ihren charakteristischen Stützpfeilern, die visuelle Verbindungen zwischen modernem Innenraum und historischem Außenraum bieten sollte. Unterschiedliche Materialien und Texturen von Sekretariatsfassade und Konferenzgebäude, wie helle, glatte Travertinplatten, raue Betonoberfläche, Glasfenster und das grüne Kupferdach, sorgten für abwechslungsreiche Kontraste. Die freien und monumentalen Innenräume der Delegiertenlounge und der Plenarhalle demonstrierten die Möglichkeiten reiner Konstruktion, klaren Bauens und Poesie, so das Gutachten weiter.176 Die im Bauprogramm geforderte enge Kooperation mit Malern und Bildhauern strebten die Architekten für genau definierte Orte im Gebäudeinneren und im Außenraum an.177 Noch bevor die neuen Entwürfe den Vertretern der UNESCO vorgestellt wurden, fand erneut ein Treffen zwischen den drei Architekten, ihren fünf Beratern, Vertretern

173 Originalzitat: „This great interior public circulation space presents a direct and organic access to all parts and functions of the Headquarters, serves with its semi private groupings of lounging seats as an instrument for informal meetings and discussions. It is the center of gravity and a most important crossroad of the Organization’s activities.” Zit. nach: ebd., S. 5. 174 Vgl. ebd. 175 Vgl. ebd., S. 7. 176 Vgl. ebd. 177 Vgl. ebd.

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des Sekretariats und den französischen Behörden statt.178 Gropius stellte als Sprecher des beratenden Expertenteams den vorläufigen Entwurf vor und erläuterte das technische Vorgehen und die baulichen Absichten der Architekten. Ganz besonders betonte er die vereinbarte Einhaltung der Gebäudehöhe sowie das Entgegenkommen der Architekten durch die Berücksichtigung der historischen Place de Fontenoy. Die Vertreter der unterschiedlichen Ministerien und des Stadtrates begrüßten die Planungsschritte anerkennend, betonten jedoch, dass zuerst die Detailpläne vorgelegt werden müssten, bevor eine offizielle Annahme erfolgen und eine endgültige Bauerlaubnis durch das Ministerium für Wiederaufbau und Stadtplanung erteilt werden könne.179 In dem von Gropius verfassten und von ihm im Namen aller Gremiumsmitglieder unterzeichneten Gutachten vom 23. März 1953 lobte er die intelligente und ideenreiche Bauplanung. Das ausgewogene architektonische Design biete eine Lösung, die nicht nur die Bedürfnisse der UNESCO berücksichtige, sondern einen würdigen Ausdruck moderner Architektur darstelle. Die Architekten hätten in Bezug auf die drei Funktionen des Gebäudes eine weise Unterscheidung getätigt: die Berücksichtigung der alltäglichen Arbeitsabläufe des Sekretariats, die Bündelung der Konferenz- und Plenarsäle in einem zweiten Gebäude mit separatem Eingang sowie die Verbindung beider Gebäude durch eine Hauptlobby (Salle des Pas Perdus) als Hauptknotenpunkt.180 Die drei Architekten stellten ihren Entwurf am 2. April 1953 dem Hauptquartierkomitee vor.181 Anhand von 17 Plänen und einem Modell erläuterte Zehrfuss ausführlich die Ideen und Resultate ihres Teamworks. Alle Delegierten zeigten sich hocherfreut über die Arbeit und der amerikanische Delegierte Thomson schlug vor, in dem Komitee­ bericht besonders hervorzuheben, dass die Zusammenarbeit aller Architekten nicht nur ein Beispiel für eine gelungene internationale Teamarbeit, sondern auch ein Zeichen für internationale Verständigung und Kooperation darstelle.182 Am 21. April 1953 wurden die Pläne erneut von den französischen Regierungsvertretern begutachtet. Diese signalisierten abermals ihre Zustimmung zum Bauprojekt, sie hielten jedoch auch einige Anmerkungen bereit. So insistierten sie auf einer Baumbepflanzung des Fontenoy-Halbkreises, um leichte Asymmetrien zu verdecken. Zudem erachtete es die Pariser Polizeibehörde aus Sicherheitsgründen als unumgänglich, das gesamte Gelände durch einen Zaun einzufassen, ein Eingriff, der den Architekten zutiefst missfiel.183 Schließlich 178 Die französischen Behörden waren durch einen Vertreter des Außenministeriums, vier Vertreter aus dem Bildungsministerium, vier Vertreter aus dem Ministerium für Wiederaufbau und Stadtplanung, sowie neun Vertreter des Stadtbezirks Seine Prefecture und des Stadtrats repräsentiert. Vgl. Provisional Summary Record of the meeting held at Unesco House on Friday, 13. February 1953, Bauhaus-Archiv, GN 1/105. 179 Vgl. ebd., S. 4. 180 Vgl. Report of the international Panel of five Architects to the Director General concerning the permanent Headquarters of UNESCO in Paris, Bauhaus-Archiv, GN 1/104. 181 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 2. 4. 1953, UNESCO-Archiv, 9 HQ /SR. 1. 182 Vgl. ebd., S. 4. 183 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 21. 4. 1953, UNESCO-Archiv, 10 HQ /4.

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verabschiedete die Generalkonferenz der Mitgliedsstaaten während einer außerplanmäßigen Sitzung am 1. Juli 1953 die vom Hauptquartierkomitee vorbereitete Resolution, in der die drei Architekten mit der Ausführung ihrer Entwürfe beauftragt wurden. Während dieser Generalkonferenz wurde auch ein neuer Generaldirektor gewählt. Der US-Amerikaner Luther H. Evans folgte auf den im November 1952 zurückgetretenen Jaime Torres Bodet. Zwischen diesem Zeitpunkt und der Eröffnung des UNESCO-Hauptquartiers im November 1958 lagen weitere fünf Jahre. In diesem sehr langen Zeitraum ging das Tauziehen der Interessengruppen weiter. Langwierige Genehmigungsverfahren durch die Behörden, Finanzierungsschwierigkeiten der UNESCO und nicht zuletzt Uneinigkeiten innerhalb der Architektenschaft verzögerten eine schnelle Realisierung des Projektes. So kam es zunächst bei der Ausarbeitung der Detailpläne zu Dissonanzen zwischen den drei Architekten und ihren fünf Beratern. Nachdem die Streitigkeiten mit den französischen Behörden endlich beigelegt schienen, bildeten stetig neue Verbesserungsvorschläge der fünf Berater einen neuen Konfliktherd. Die drei Architekten empfanden deren konstante Einmischung in ihre Planungen als Kompetenzüberschreitung. Tatsächlich lag das Grundproblem in der unterschiedlichen Auffassung von Zuständigkeiten: Die den fünf Beratern vom Hauptquartierkomitee zugedachte Aufgabe sah vor, die Pläne der drei Architekten dahingehend zu prüfen, dass sie den Anforderungen der UNESCO genügten. Das Ausmaß dieser Prüfung war jedoch nicht definiert worden. Das Beraterteam legte seine Aufgabe dahingehend aus, jeden Arbeitsschritt von Breuer, Nervi und Zehrfuss zu hinterfragen. Hinzu kam die Schwierigkeit, dass die fünf Berater nicht nur in verschiedenen Teilen der Welt lebten, sondern aufgrund eigener Projekte gemeinsame Arbeitstreffen oftmals verschieben oder gar absagen mussten. Breuer, Nervi und Zehrfuss sahen sich der misslichen Lage ausgesetzt, einerseits Verträge mit der UNESCO zur Fertigstellung eines finalen Projektentwurfs (bis zum 21. Oktober 1953) sowie zur Anfertigung aller Detailpläne (bis zum 31. Mai 1954) einhalten zu müssen. Andererseits warteten sie ständig auf die Überarbeitungsvorschläge der fünf Gutachter. Diese Verzögerungstendenzen erregten großen Unmut. Ihrem angestauten Ärger machten sie in der Hauptquartierkomiteesitzung am 26. November 1953 erstmals Luft:184 Breuer warf dem Beraterteam vor, dieses hätte mehr als sieben Monate Zeit gehabt, um das seit dem 2. April vorliegende Projekt zu verbessern. Ein Gutachten mit elf grundlegenden Änderungsvorschlägen traf jedoch erst am 6. November 1953 bei ihm ein.185 Die Ausarbeitung aller Detailpläne, die mindestens acht Monate bedurfte und eigentlich bis

184 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 26. 11. 1953, UNESCO-Archiv, 13 HQ / SR.1 ff. 185 Das Gutachten forderte grundlegende Veränderungen der konzipierten Parkmöglichkeiten auf dem Gelände, es empfahl eine umfassende Überarbeitung des Haupteingangs, eine Verbreiterung der Salle des Pas Perdus, eine Überarbeitung der Glasfassade des Konferenzgebäudes sowie eine Erhöhung der Anzahl der Pilotis am Sekretariatsbau. Vgl. UNESCO-Archiv, 13 HQ /4.

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1. Januar 1954 sowohl von der französischen Regierung als auch von den fünf Beratern angenommen vorliegen sollte, war daher nicht mehr zu bewerkstelligen. Das Hauptquartierkomitee zeigte Verständnis für das durch das Beratergremium verursachte Dilemma der Architekten. Sein Lösungsvorschlag lautete, den fünf Architekten per Resolution vorzuschreiben, sich jeden zweiten oder dritten Monat zu einem Treffen in Paris zusammenzufinden. Rogers, als einzig anwesender Vertreter der Berater, wehrte sich vehement gegen eine solche Zwangsmaßnahme. Die Arbeit der Berater bestünde seiner Meinung nach nicht nur in der Revision von Plänen. Es ginge vielmehr um eine echte Zusammenarbeit, die sowohl für das vorläufige Projekt als auch für die Zeit der Ausführung gelte. Damit sprach er ein weiteres heikles Thema an: die offene Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Beratungstätigkeit überhaupt dauern sollte. Zehrfuss verwahrte sich gegen die Weiterführung der Beratertätigkeit in der Zeit der Bauphase. Die Assistenz der Berater sei lediglich für die erste Planungsphase von Bedeutung gewesen. Ihre Arbeit drohe, so Zehrfuss, sich in einem Teufelskreis von Überarbeitung und ständiger Revision zu verfangen. Die Kritik der drei Architekten an ihren Beratern zeigte Wirkung. Am 18. Dezember 1953 legte Gropius einen von ihm, Markelius und Rogers unterzeichneten Bericht über ein Arbeitstreffen am 16. und 17. Dezember vor, bei dem die Annahme des finalen Projektes beschlossen worden war.186 Im Juni des Jahres 1954 lag jedoch immer noch kein Gutachten der französischen Baubehörde und damit auch keine Baugenehmigung vor. Zusätzliche Verzögerungen verursachten die Abbrucharbeiten der alten Militärbaracken und die Räumung des Geländes Fontenoy, die erst zum 1. September 1954 abgeschlossen waren.187 Erst im Frühjahr 1955 begann mit den Aushubarbeiten nach einer fünfjährigen Planungsphase der eigentliche Bauprozess.

186 Vgl. Report of the International Panel of five Architects to the Director General of UNESCO concerning the Building of the New Headquarters in Paris, 18. 12. 1953, UNESCO-Archiv, 14 HQ /2. 187 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 20. 2. 1954, UNESCO-Archiv, 14 HQ /SR. 2, S. 2.

Zeitgenössische Kunst für ein modernes Selbstbild: Das UNESCO-Gebäude als ‚Synthèse des Arts‘

Die Forderung eines ganzheitlichen Gestaltungsprinzips, das neben einer funktio­ nalen Architektur auch dessen künstlerische Ausstattung und Möbeldesign mit einschließt, das Aufgreifen eines Synthesebegriffs, der auf die enge Zusammenarbeit unterschiedlicher bildender Künste abzielt, und zuletzt das museale Anliegen, mit dem Neubau eine Einführung in die zeitgenössische Kunst zu geben – diese im ­U NESCO-Baukonzept formulierten Ansprüche an das Bauwerk lesen sich wie Schlagworte eines künstlerischen Programms. Seine Autorenschaft lässt sich zwar nicht exakt ermitteln, im vorliegenden vierten Kapitel wird jedoch eine Spurensuche unternommen.188 Zum einen wird die Herkunft des Konzepts näherungsweise rekonstruiert, zum anderen wird ihr Weg in das UNESCO-Bauprojekt nachvollzogen. Dabei wird die These aufgestellt, dass es sich bei den sogenannten ‚Synthesebestrebungen‘ (das heißt den Kooperationsansätzen zwischen Künstlern und Architekten) um ein von unterschiedlichen Künstler­g ruppierungen propagiertes Programm der Nachkriegszeit handelt, welches das Ziel verfolgte, die schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen bildender Künstler zu stärken. Der UNESCO kommt dabei eine bedeutende Rolle zu, da sie sich den kulturellen Wiederaufbau Europas auf ihre Fahnen schrieb. Dies belegen jedenfalls nicht nur ihre frühen politischen Programme. Wie sich nachweisen lässt, schuf sie, etwa durch internationale Kongresse für Regierungen und NGOs, konkrete Kommunikationsplattformen, bei denen sowohl Politiker als auch Interessenverbände bindende Resolutionen ausarbeiteten. Das Kunstkonzept der UNESCO, dessen Umsetzung im Folgenden erläutert wird, lässt sich also vor einem künstlerischen und einem kulturpolitischen Hintergrund erklären. Dabei soll aufgezeigt werden, dass sich die Politik der UNESCO in den ersten Jahren ihres Wirkens weniger auf der diskursiven Ebene ihrer Politiker abspielte, sondern vielmehr über die aktive Teilnahme nichtstaatlicher Interessengruppen (NGOs) funktionierte. Auf diesem Wege entstan188 In der Hauptquartierkomiteesitzung am 17. 12. 1951 wurde das laut Protokoll von Mitarbeitern des Sekretariates erstellte Baukonzept erstmals vorgelegt. Vgl. UNESCO-Archiv, HQ 4, CPG/ HQ /4, S. 3.

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den und festigten sich persönliche Kontakte zwischen hohen UNESCO-Vertretern und künstlerischen Akteuren, die dann – so im Fall des Pariser Bauprojektes – wie selbstverständlich durch Mandatsträger wie den General­d irektor direkt in Planungen einbezogen wurden.

Die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ als künstlerisches Manifest der Nachkriegszeit Das UNESCO-Kunstkonzept zielte auf eine umfassende künstlerische Durchdringung funktionaler Architektur ab. Diese sollte durch das Zusammenwirken verschiedener Bildkünste erreicht werden. Solche Konzepte zählen zu den grundlegenden Prinzipien moderner Architekten, das zeigen die Manifeste von Walter Gropius und Le Corbusier. Im Folgenden sollen zunächst exemplarisch Verwandtschaftsbeziehung zwischen dem UNESCO-Konzept und den architekturtheoretischen Ansätzen dieser beiden Persönlichkeiten aufgezeigt werden. Zwei weitere Spuren, die ihren Einfluss im UNESCO-Kunstkonzept hinterlassen haben, führen direkt nach Paris und in die Schweiz. Die darin propagierten Kooperationsbestrebungen zwischen Künstlern und Architekten, so die These dieses Kapitels, waren über die theoretischen Positionen von Gropius und Le Corbusier hinaus wesentlicher Bestandteil eines nach 1945 geführten ideologischen Diskurses innerhalb der modernen Architekturbewegung. Dieser wurde durch Protagonisten wie beispielsweise den Schweizer Kunsthistoriker und CIAM-Generalsekretär Sigfried ­Giedion oder Gruppierungen wie der Groupe Espace angestoßen und forciert. So forderte etwa Giedion von der Architektenschaft einen Paradigmenwechsel innerhalb der modernen Bewegung, der neue gesellschaftspolitische Aufgaben in Angriff nehmen und sich dem Problem neuer Symbolhaftigkeit in den modernen Bauformen widmen sollte. Die moderne Architekturbewegung der Vorkriegszeit hatte Formen historischer Bezugnahmen stets abgelehnt. Giedion stand freilich nicht die Wiederaufnahme traditioneller Dekorationsformen vor Augen, sondern verstärkte Einbindung zeitgenössischer Kunstwerke in moderne Architekturen. Seine Ideen versuchte er zunächst bei den CIAM, danach bei verschiedenen Künstlervereinigungen und schließlich bei der UNESCO vorzubringen. Ganzheitliche Gestaltung und Künstlerkooperation als Leitmotive bei Walter Gropius und Le Corbusier Der Zusammenschluss von Künstlern, Handwerkern und Architekten bildete konzeptionell das Fundament der Lehre von Walter Gropius am Bauhaus. Sich gegenseitig befruchtende Kooperation spezialisierter Fachbereiche intendierte die Aufhebung des vorherrschenden Spezialistentums. Die Bauhaus-Schüler sollten im Rahmen eines dualen Ausbildungssystems sowohl freie künstlerische als auch fundierte handwerk-

Zeitgenössische Kunst für ein modernes Selbstbild: Das UNESCO-Gebäude als ‚Synthèse des Arts‘     |

liche Fähigkeiten entwickeln und so zu Generalisten heranwachsen.189 Der Architektur wies Gropius dabei die Rolle einer Art Leitdisziplin zu. Diese Idee formulierte er bereits im ersten Bauhausmanifest von 1919: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau […], der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei“190. Architektur als Gemeinschaftswerk, versinnbildlicht durch die Kathedrale, an der alle Gewerke gemeinsam arbeiteten, blieb dabei stets sein Ideal. Der Architekt, so Gropius Vorstellung, vereinte sämtliche künstlerische Fähigkeiten in seiner Person. Die ‚Synthese der Künste‘, die im UNESCO-Bauprogramm durch die Gemeinschaftsarbeit vieler Künstler hervorgebracht werden sollte, existierte bei Gropius bereits als grundlegendes Motiv des Ausbildungsprozesses. Dieser begann am Bauhaus mit dem berühmten halbjährigen Vorkurs, in welchem den Schülern elementare Grundlagen der Farben- und Formenlehre sowie Materialkunde vermittelt wurden. Es folgte eine reguläre dreijährige Ausbildung in einem Handwerk, die stets eine künstlerische Unterweisung ergänzte. Erst der Gesellenbrief eröffnete die Möglichkeit einer Baulehre.191 Für Gropius bestand das Ziel der Bauhaus-Ausbildung in der umfassenden Kenntnis der Raumgestaltung: Alle bildnerische Arbeit will Raum gestalten. Soll aber jedes Teilwerk in Beziehung zu einer größeren Einheit stehen – und dieses muß das Ziel des neuen Bauwillens sein – so müssen die realen und geistigen Mittel zur räumlichen Gestaltung von allen am gemeinsamen Werk Vereinten gekonnt und gewußt werden.192

Die Karriere Marcel Breuers steht beispielhaft für den Erfolg von Gropius‘ Ausbildungskonzept. Breuer, 1920 mit 18 Jahren als Schüler in das Weimarer Bauhaus aufgenommen, durchwanderte alle Ausbildungsstationen, bevor er 1924 vom einfachen Lehrling zum Werkmeister der Möbelwerkstatt aufstieg. Dort entwarf er nicht nur zahlreiche Proto­ typen für Stahlrohrmöbel, sondern realisierte ganze Einrichtungskonzepte, die er fabrizieren ließ und erfolgreich verkaufte. 1928 verließ er das Bauhaus, um sich als Architekt in Berlin niederzulassen. Das Zusammenspiel zwischen dem Bauwerk als Ganzem und seiner inneren Gestaltung besaß im Denken Breuers zeitlebens eine zentrale Bedeutung.193 Malerei und Plastik auf Architektur bezogen nehmen allerdings in der Architekturtheorie von Walter Gropius keinen paradigmatischen Raum ein. Vielmehr war es für ihn eine fachliche Notwendigkeit, als Architekt sowohl mit formalen als auch inhaltlichen Problemstellungen zeitgenössischer Kunst vertraut zu sein. So repräsentiert etwa das Graduate Center der Harvard University (1949–1950) in Cambridge (Massachusetts) ein zentrales Beispiel, bei dem er aus einem bewusst erzieherischen Impetus heraus Künstler zur Ausgestaltung der Wohn- und Speisesäle einlud. Sigfried Giedion berichtete in 189 Vgl. Droste, Magdalena: Bauhaus 1919–1932, Köln 2006, S. 22. 190 Zit. Walter Gropius: Manifest und Programm des Bauhauses von 1919, zit. nach: ebd., S. 18. 191 Vgl. Gropius, Walter: Die neue Architektur und das Bauhaus. Grundzüge und Entwicklung einer Konzeption, Mainz, Berlin 1965, S. 38. 192 Zit. ebd., S. 35. 193 Vgl. Blake, Peter: Marcel Breuer. Architect and Designer, New York 1948; Jones 1962; Driller, Joachim: Marcel Breuer. Das architektonische Frühwerk bis 1950, Univ.-Diss. Freiburg 1990.

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seiner Publikation Raum Zeit Architektur, Gropius habe trotz beschränkter finanzieller Mittel darauf bestanden, dass die Studenten der Universität von zeitgenössischer Kunst umgeben sein sollten.194 Er beauftragte Joan Miró mit einem großen Gemälde für den Speisesaal; Hans Arp gestaltete verschiedene Trennwände mit Reliefs. Josef Albers, ­Herbert Bayer und György Kepes waren im Erdgeschoss mit kleineren Arbeiten vertreten.195 Die Zusammenarbeit mit Miró und Arp bei der Gestaltung des UNESCO-Gebäudes hatte also bereits in Harvard einen erfolgreichen Vorläufer. Auch für Le Corbusier besaß das Ineinandergreifen von Architektur und Kunst einen hohen Stellenwert. Vor allem für die museale Qualität des UNESCO-Bauwerks sowie für den Begriff der „Synthese“ findet man bereits im frühen Schaffen Le Corbusiers Präzedenzfälle. Das vermutlich früheste Beispiel, bei dem Le Corbusier ein Zusammen­ wirken von Architektur und Malerei intendierte, ist die 1923–24 entworfene Villa La Roche in Auteuil. Sie wurde eigens für die Kunstsammlung des Schweizer ­Bankiers Raoul La Roche konzipiert, die ausschließlich kubistische und puristische Kunstwerke von Pablo Picasso, Georges Braque, Juan Gris, Fernand Léger, Jacques Lipchitz, Amédée Ozenfant und Le Corbusier selbst umfasste.196 Die Villa La Roche gilt als Meilenstein der modernen Architektur. Konsequent wendete Le Corbusier dort seine Prinzipien der Pilotis und Bandfenster, der Rampe und des Dachgartens an.197 Gleichzeitig vereinte er ein Wohnhaus mit einem Sammlungshaus. Tim Benton zufolge stellte Le Corbusier ganz gezielt historische Analogien zwischen moderner Kunst und Architektur her und erreichte eine logische Kopplung beider Momente: innerhalb der Präsentation der Bilder und Skulpturen versuchte er, die künstlerische Entwicklung vom Synthetischen Kubismus (Picasso, Braque) über den sogenannten Kristall-Kubismus (Picasso, Braque, Gris, Lipchitz und Léger) hin zum Purismus (Le Corbusier, Ozenfant, Léger) nachzuzeichnen.198 Als wichtiges Bindeglied zwischen Malerei und Architektur fungierte das Design und so entwickelte Le Corbusier für die Villa La Roche ein Einrichtungskonzept, das Ronéo-Türen, Thonet-Stühle und Maples-Möbel sowie von ihm eigens entworfene Stücke vorsah.199

194 Vgl. Giedion, Sigfried: Raum Zeit Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition, Basel, Berlin, Boston 2007, S. 321; Nerdinger, Winfried: Walter Gropius, Berlin 1985, S. 282 f. 195 Vgl. Giedion 2007, S. 322. 196 Vgl. Ausst.-Kat. Kunsthaus Basel 1998: Ein Haus für den Kubismus. Die Sammlung La Roche, hrsg. v. Hartwig Fischer und Katharina Schmidt, Basel 1998. 197 Vgl. Benton, Tim: Raoul La Roche. Sammlung und Haus. Vers le Cristal – Vers une Architecture, in: Ausst.-Kat. Zürich 1987, Museum für Gestaltung: Esprit Nouveau. Le Corbusier und die Industrie 1920–1925, hrsg. v. Stanislaus von Moos, Zürich 1987, S. 80–121, hier S. 81. 198 Die Überwindung des Kubismus und die Überlegenheit des Purismus hatten Le Corbusier und Ozenfant in mehreren Schriften – „Après le Cubisme“ (1918), „Le Purisme“ (L’Esprit Nouveau Nr. 4, 1921), „La Peinture Moderne“ (L’Esprit Nouveau Nr. 24, 1924) und „Vers le Cristal“ (L’Esprit Nouveau Nr. 25, 1924) – zu verdeutlichen versucht. 199 Vgl. Benton, in: Ausst.-Kat. Zürich 1987, S. 87.

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Die Idee von moderner Architektur als Ausstellungsraum entwickelte Le Corbusier weiter und griff sie erneut im Jahre 1927 während des Wettbewerbs für den Bau des Völker­bundpalasts in Genf auf, als er von dem Belgier Paul Otlet gebeten wurde, eine geeignete Architektur für ein sogenanntes Mundaneum zu entwerfen. Dem Pazifisten Otlet, der an einer Weltbibliographie arbeitete, schwebte dabei die Vision eines kulturellen Zentrums vor Augen, einer internationalen Wissenssammlung aus Dokumenten, Büchern und Objekten. Sie sollte den internationalen Austausch anregen und damit dauer­ haft einen Beitrag zur internationalen Verständigung und zum Frieden leisten. Le Corbusier faszinierte diese Idee.200 Sein Mundaneum sollte neben einer internationalen Bibliothek auch ein internationales Museum und eine internationale Universität beherbergen sowie Räume für Organisationen des Völkerbundes bereithalten.201 Le Corbusiers erster Museums­entwurf des sogenannten Musée Mondial zeigt eine Stufenpyramide, in der der Besucher von oben nach unten die Epochen der menschlichen Zivilisation durchschreitet.202 Diese Museumsvisionen setzte Le Corbusier im Musée à Croissance illimitée 1930/31 fort. Der eigens von ihm konzipierte Museumsbautyp bestand aus einem flachen, kubischen, auf Pilotis ruhenden Baukörper, um den herum sich spiralförmig weitere Räume anschlossen. Der architektonische Clou lag in der möglichen baulichen Erweiterbarkeit der Museumsarchitektur, die dem zivilisatorischen Fortschreiten und damit verbundenem Anwachsen der Museumssammlung ähnlich einer organischen Substanz angepasst werden konnte.203 1946 versuchte Le Corbusier, diese Museumsidee während des Planungsprozesses für das UN-Hauptquartier in New York anzubringen. In einem bei der UN eingereichten Manifest beschwor er die Bedeutung eines solchen Bauwerks für die Geschichte der Menschheit.204 Le Corbusiers Idee eines eigenen UN-Museums wurde zwar nicht realisiert, aufgenommen und umgesetzt wurde allerdings die Idee von Ausstellungsflächen im Gebäude.205 Für den UNESCO-Bau als „Einführung in zeitgenössische künstlerische Positionen“ könnte der Museumsgedanke Le Corbusiers Pate gestanden haben. Der Begriff der ‚Synthese‘ taucht auf vielfältige Weise in den Schriften Le Corbu­siers auf. Vor allem in seinem Spätwerk propagierte er ein künstlerisches Wirken durch die sogenannte ‚Synthèse des Arts Majeurs‘. Welche konkreten Vorstellungen er mit dem Synthesebegriff verband, ist nur schwer zu fassen. Zahlreiche Kunsthistoriker bewerten die ‚Synthèse‘ eher als rhetorisches Leitmotiv, das Le Corbusier in unterschiedlichen

200 Vgl. Moos 1968, S. 283. 201 Vgl. Sonne, Wolfgang: Hauptstadtplanungen 1900–1914. Die Repräsentation des Staates in der Stadt, Univ. Diss., Zürich 2001, S. 378. Vgl. Moos 1968, S. 282 f. 202 Vgl. Boesiger, Willy/Stornov, Oscar (Hg.): Le Corbusier. Œuvre Complète, Vol. 1: Le Corbusier et Pierre Jeanneret, 1910–1929, 6. Auflage, Zürich 1956, S. 194. 203 Vgl. Boesiger, Willy/Stonorov, Oscar/Bill, Max (Hg.): Le Corbusier. Œuvre Complète, Vol. 2: Le Corbusier et Pierre Jeanneret, 1929–1934, 5. Auflage, Zürich 1952, S. 72 f. 204 Vgl. Le Corbusier, Report vom 19. 6. 1946, UN-Archiv, S-0542-0186-United Nations interim and permanent site/Headquarters records. 205 Vgl. hierzu ausführlich das zweite Kapitel des zweiten Teils dieser Arbeit.

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Werkphasen aufgriff.206 Nach Stanislaus von Moos handelte es sich dabei keineswegs um ein isoliert formales oder künstlerisches Anliegen, sondern meinte eine zeit- und raumübergreifende Idee der plastischen Durchformung und Durchdringung menschlicher Lebenswelten.207 Auch Christopher Pearson weist in seiner Disser­tation Integration of Art and Architecture in the Work of Le Corbusier nach, dass die ‚Synthèse des Arts‘ ein früher poetischer Terminus zur Umschreibung seiner künstlerischen Haltung ist, der sich gleichzeitig als angewandtes Leitmotiv des Zusammenwirkens verschiedener Kunstformen durch das Gesamtwerk des Architekten zieht. Eine wichtige Rolle misst der Autor nicht zuletzt dem janusköpfigen Charakter Le Corbusiers bei, der ihm als ‚Malerarchitekt‘ innewohne. Zeit seines Lebens strebte er nach Anerkennung seines bildnerischen Werks, das ausgehend von den puristischen Bildern (1918–1925) über große Wandmalereien, etwa in seinem Büro in der Rue de Sèveres oder dem Schweizer Pavillon der Cité Universitaire, bis hin zu Entwürfen für Wandteppiche und Skulpturen (gemeinsam mit dem Bildhauer Joseph Savina) reichte. Ähnlich wie ­Gropius propagierte Le Corbusier die Idee vom Architekten (Constructeur) als Universal­k ünstler, der in seinem Bewusstsein alle kreativen Rollen, die des Konstrukteurs, des Malers und des Bildhauers vereinte.208 Gezielte Koope­rationen zwischen Künstlerkollegen, wie er sie in Aufsätzen und Vorträgen forderte – etwa in Form einer „Heiligen Allianz der Bildenden Künste“ („Sainte allience des arts majeurs“) oder als „Tendenzen rationalistischer Architektur im Zusammenhang mit einer Kollaboration der Malerei und der Bildhauerei“ („Tendences de l’architecture rationaliste en rapport avec la collaboration de la peinture et de la sculpture“) – blieben weitgehend Lippen­bekenntnisse.209 Als „rheto­ risches Werkzeug der Selbstheroisierung“ wertet auch Cathérine de Smet in ihrer Untersuchung der ‚Synthèse des Arts‘ als ‚phénomène éditorial’ Le Corbusiers Anstrengungen nach 1945, die Lesbarkeit seines eigenen Werks zu Lebzeiten zu dominieren, um sich eine umfassende Anerkennung als Künstler und Architekt zu sichern. 210 Auf die ‚Synthèse‘ als doppeltes Paradoxon verweist Arnold Rivkin. Ihm erscheine es einerseits seltsam, dass ein Architekt, der seinen ganzen Ehrgeiz darauf ausrichtete, die Einzigartigkeit und Spezifität seines Wirkens zu demonstrieren, sich eines derart universalen Konzeptes wie der ‚Synthese der Künste‘ bediente. Andererseits sei es Le Corbusier niemals um die Idee des Gesamtkunstwerkes gegangen, vielmehr bedurfte er 206 Vgl. De Smet, Cathérine: D’un Phénomène éditorial introduit au domaine des formes. La synthèse des arts chez Le Corbusier après 1945, in: Les Cahiers du Musée national d’A rt Moderne, Nr. 74, 2000–2001, S. 76–97. 207 Vgl. Moos 1968, S. 337. 208 Vgl. Le Corbusier: L’évènement plastique, in: Boesiger, Willy/Stonorov, Oscar/Bill, Max (Hg.): Le Corbusier, Œuvre Complète, Vol. 4: Le Corbusier et Pierre Jeanneret, 1938–1946, 3. Auflage, Zürich 1955, S. 151. 209 Vgl. Moos, Stanislaus von: Kunst, Spektakel, Permanenz. Die Synthese der Künste im Rückspiegel, in: Ausst.-Kat. Weil am Rhein 2007, Vitra Design Museum: Le Corbusier. The Art of Architecture, hrsg. v. Alexander von Vegesack, Weil am Rhein 2007, S. 82. 210 Vgl. De Smet, in: Cahiers du Musée national d’A rt moderne, S. 76 ff.

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eines offenen Begriffs, um in seinem eigenen Œuvre wenigstens kategoriale Einheit herzustellen.211 Dieser überwiegend kritischen Beurteilung des Synthese-Gedankens im Werk Le Corbusiers soll im Folgenden am Beispiel seiner bislang wenig erforschten initiatorischen Bemühungen zur Etablierung einer Künstlerbewegung nachgegangen werden. Dabei wird deutlich, dass die Autoren einerseits in Bezug auf seine eingeschränkte Kooperationsfähigkeit recht behalten, Le Corbusiers Initiative jedoch andererseits Früchte trug und eine neue Künstlerbewegung in Gang setzte. Die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ als Künstlerbewegung Im Jahr 1949 gründete Le Corbusier gemeinsam mit André Bloc, dem französischen Ingenieur und Herausgeber der Architekturzeitschrift L’Architecture d’aujourd’hui, die Vereinigung Association pour une Synthèse des Arts Plastiques.212 Über das Wirken dieser Gruppe mit Henri Matisse als ihrem Präsidenten, Le Corbusier als erstem und André Bloc als zweitem Vizepräsidenten, ist bislang wenig bekannt. Zu ihren Mitgliedern zählten prominente Persönlichkeiten. Die in Paris lebenden Künstler Jean Arp, George Braque, Paul Herbin, Henri Laurens, Fernand Léger, Pablo Picasso und Victor Vasarély gehörten ihrem Kreis genauso an wie die Architekten Jean Badovici, Pierre Jeanneret, Jean Prouvé, André Wogenscky und Bernard Zehrfuss.213 Jean Cassou, der Direktor des Pariser Musée d’Art Moderne galt als assoziiertes Mitglied; zu den sogenannten ausländischen Beratern zählten Sigfried Giedion, Henry Moore, Oscar Niemeyer, Ernesto Rogers, Junzo Sakakura, José Luis Sert und der amerikanische Kunsthistoriker James Johnson Sweeny.214 Ob sich die Mitglieder als Arbeitsgruppe mit regelmäßigen Treffen oder eher als lose Interessengemeinschaft definierten, die sich projektbezogen zusammenschloss, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, hierfür bedürfte es einer grundlegenderen Forschungsarbeit. Als Sprachrohr, über das die Gruppe an die Öffentlichkeit trat, fungierte die Zeitschrift L’Architecture d’aujourd’hui. In der Dezemberausgabe 1949 hieß es dort in einer Ankündigung, dass die Gruppe im Frühjahr des Jahres 1950 ein Projekt in Angriff nehme, das der ‚Synthese der Künste‘ gewidmet sei: Bei dieser Bekundung geht es darum, Bedingungen zu schaffen, die eine enge Zusammen­ arbeit zwischen dem kreativen Wirken von Bildhauern, Malern und Architekten provozieren. Bekannterweise hat die Welt ihre Aufmerksamkeit auf den höchsten und umfassendsten Aus-

211 Vgl. Rivkin, Arnold: Synthèse des Arts. Un double paradoxe, in: Ausst.-Kat. Paris 1987, Centre Georges Pompidou: Le Corbusier, une encyclopédie, Paris 1987, S. 386–391. 212 Vgl. L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 27, 1949, S. XIX. 213 Jean Badovici, André Wogenscky, Pierre Jeanneret und Jean Prouvé arbeiteten verschiedentlich mit Le Corbusier in dessen Architekturbüro zusammen. 214 Vgl. Pearson, Christopher: Integration of Art and Architecture in the Work of Le Corbusier. ­T heory and Practice from Ornamentalism to the “Synthesis of the Major Arts”, Univ.-Diss. Ann Abor 1995, S. 357; vgl. L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 27, 1949, S. XIX.

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druck der französischen Kunst gerichtet. Wir denken, dass diese Synthese unserer Epoche zu ihrem spirituellen Ausdruck verhelfen könnte […].215

Ziel des Ausstellungsprojektes war es nicht nur, eine Kooperationsplattform für Künstler zu schaffen, sondern diese als neuen spirituellen Gemeinschaftsgedanken von Frankreich aus zu verbreiten. Als Initiatoren des Projektes traten Le Corbusier und André Bloc in Erscheinung. Sie erarbeiteten gemeinsam ein Konzept für das Projekt der sogenannten Chantiers de Synthèse (Werkstätten der Synthese). Diesem lag die Idee zugrunde, mobile Ausstellungspavillons mit zweierlei Funktionen zu konstruieren: zum einen sollten sie als eine Art Laboratorium fungieren, in welchem die Zusammenarbeit zwischen Architekten und Künstlern erprobt wurde. Hierfür sollten Werkstätten eingerichtet werden, „die den Malern und Bildhauern die Möglichkeit boten, sich mit den Grundlagen der Architektur bekannt zu machen und sich an architektonischen Aufgaben zu üben“216. Zum anderen sollten sie als Dokumentationszentren dienen, in denen die Ergebnisse der Künstlerkooperationen ausgestellt würden. Le Corbusiers eigens formuliertes Projektziel lautete: Und so würde sich von der Drehscheibe Paris aus ein Ausstellungs-Kreislauf entwickeln, der die Untersuchung über die bildenden Künste und ihre Beziehung zur Architektur zu fördern im Stande wäre. Die Porte Maillot wird so zum Zentrum der Synthese der bildenden Künste. Das Laboratorium Paris kann seine Resultate dem Ausland zur Verfügung stellen und diejenigen des Auslands entgegennehmen.217

Die geplanten Ausstellungspavillons markierten also den Auftakt eines Pilotprojektes, das den Pariser Künstlern und Architekten eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung dieser kooperativen Idee einräumen sollte. Einerseits legte Le Corbusier in diese von ihm initiierte neue Bewegung vermutlich die Hoffnung, die Pariser Kunstszene der Nachkriegszeit neu zu beleben und ihr die internationale Bedeutung zurückzugeben, die sie zunehmend an New York als neue kosmopolitische Kunstmetropole verlor. Andererseits wollte er damit auch seinem eigenen Werk ein stärkeres Gewicht verleihen. Einen architektonischen Beitrag zu diesem Projekt leistete selbstverständlich einzig und allein er. Im Namen der Association pour une Synthèse des Arts plastiques nahm Le Corbusier 1949 Kontakt zu unterschiedlichen Ministerien sowie den städtischen Behörden in Paris auf und erbat einen temporären Bauplatz für dieses Gemeinschaftsprojekt.218 Er bekam erfolgreich ein Gelände im teilbebauten Randgebiet der Porte Maillot zugewiesen, wo er im Januar 1950 mit der Planung mehrerer Ausstellungspavillons begann. 215 Originalzitat: „Il s’agit de créer par cette manifestation, des conditions architecturales aptes à provoquer l’ œuvre créatrice des sculpteurs et des peintres en collaboration intime avec l’architecte. On sait combien le monde a son attention fixée sur l’expression la plus haute et la plus complète de l’art français. Nous pensons que cette synthèse pourra apporter à notre époque son expression spirituelle où, dans le monde entier apparaissent des realisations qui font appel à toutes les énergies créatrices sous toutes leurs formes.” Zit. nach: L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 27, 1949, S. XIX. 216 Zit. Le Corbusier, in: Boesiger, Willy/Stonorov, Oscar/ Bill, Max (Hg.): Œuvre Complète, Vol. 5: Le Corbusier et Pierre Jeanneret, 1946–1952, 2. Auflage, Zürich 1955, S. 72. 217 Zit. Le Corbusier, in: ebd. 218 Vgl. Rivkin, Arnold, in: Ausst.-Kat. Paris 1987, S. 389.

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Über die tatsächliche Ausführung des Projektes ist wenig bekannt.219 Erhalten sind lediglich Le Corbusiers Zeichnungen der von ihm konzipierten Pavillon-Prototypen sowie mehrere Skizzen mit Innen- und Außenraumansichten, aus denen die Integrations­ möglichkeiten, welche die Kunstwerke miteinander eingehen sollten, ersichtlich werden.220 Sein sogenanntes Projekt A besteht aus drei variierenden Holzstützenkonstruktio­ nen, über die große segelartige Dächer gespannt sind, ähnlich der Konstruktions­weise des französischen Pavillons auf der Exposition de l’Eau in Lüttich 1939.221 Sie ergeben zeltartige Gebilde unterschiedlicher Höhen und Spannweiten. Freie Stellwände im Inneren sollten den Kunstwerken variable Hänge- und Stellmöglichkeiten bieten. Le Corbusiers architektonisches Interesse an diesen Pavillons war dem plastischen Durchkomponieren des Raums gewidmet, dem Ausloten der Spannungsverhältnisse von innen und außen, von offen und geschlossen, von Licht- und Schattenwirkung. Im Œuvre Complète werden dem Resultat der Ausstellung nur wenige Worte gewidmet: Unter diesem, eine Reihe von Schutzdächern formenden Holzgerüst (Regen- oder Sonnenschirme) konnten verschiedene wichtige Werke untergebracht werden; somit war den ausgewählten Künstlern Gelegenheit zu einer ersten Ausstellung geboten.222

Pearson zufolge zerbrach die Zusammenarbeit zwischen Le Corbusier und André Bloc, nachdem das Porte-Maillot-Projekt scheiterte. Und auch die Association pour une Synthèse des Arts plastiques wurde unter der Leitung André Blocs unter neuem Namen als Groupe Espace weitergeführt. Sie konstituierte sich am 17. Oktober 1951 mit dem Ziel, „gute Bedingungen für eine effektive Kollaboration von Architekten, Malern, Bildhauern und Plastikern vorzubereiten und die harmonische Entwicklung menschlicher Aktivitäten zu organisieren.“ 223 Den Zeitraum ihres Wirkens setzte die Gruppe auf eine ambitionierte Dauer von 99 Jahren an. Dieser langfristigen, mehrere Generatio­ nen überdauernden Planung, durch die vermutlich der Eindruck von Beständigkeit vermittelt werden sollte, haftet etwas Dogmatisches an. Ein Signum, das die Ernsthaftigkeit der Gruppe unterstrich, stellte die Übernahme der Ehrenpräsidentschaft durch den französischen Minister für Städtebau und Wiederaufbau Eugène Claudius-­

219 Bereits 1956 findet es in Paul Damaz Publikation Art in European Architecture Erwähnung. Dieser resümiert: „Though the project never came to anything, the idea had been launched, and was to be taken up again by a new movement started the following year under the name of ‘Groupe Espace’”. Zit. Damaz, Paul: Art in European Architecture, New York, Paris 1956, S. 76. 220 Vgl. Boesiger: Œuvre Complète, 1946–1952, S. 72. 221 Vgl. Fondation Le Corbusier (Hg.): Buildings and Projects 1937–1942, Paris 1983, S. 3–19; vgl. auch: Boesiger, Willy/Stonorov, Oscar/Bill, Max (Hg.): Œuvre Complète, Vol. 3: Le Corbusier et Pierre Jeanneret, 1934–1938, 5. Auflage, Zürich 1953, S. 172. Hier sind die Entwürfe auf das Jahr 1937 datiert, die Expo hingegen auf das Jahr 1939. 222 Zit. Boesiger/Stonorov/Bill, Œuvre Complète, 1946–1952, S. 72. 223 Originalzitat: „L’A ssociation […] a pour but de préparer les conditions d’une collaboration effective des architects, peintres, sculpteurs, plasticiens et d’organiser, par la plastique, l’harmonieux développement des activités humaines.” Vgl. Groupe Espace, in: L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 37, Oktober 1951, S. V.

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Petit dar. Dieser, seit 1945 mit Le Corbusier befreundet,224 setzte sich während seiner Amtszeit (1949 bis 1953) vehement für die moderne Architekturbewegung in Frankreich ein, so etwa für die Realisierung der Unité d’Habitation in Marseille. Maßgeblich unterstützte er auch das UNESCO-Projekt, indem er bereits zu einem frühen Zeitpunkt von den französischen Behörden die Lockerung der strengen Baurichtlinien forderte.225 Die regelmäßigen Treffen und Projekte der Groupe Espace wurden in der Architecture d’aujourd’hui und ab 1955 in der ebenfalls von André Bloc herausgegebenen Zeitschrift Aujourd’hui: Art et Architecture dokumentiert.226 Darin fallen die häufig beschriebenen Aktivitäten von Bernard Zehrfuss als Vizepräsidenten der Vereinigung ins Auge, der 1953 gleich mehrere Projekte realisierte – beispielsweise die Usine Mame in Tours zusammen mit dem Maler Edgard Pillet, eine Fabrik für Renault und ein Quartier d’habitation in Flins gemeinsam mit Felix del Marle.227 Die Groupe Espace zählte 1953 bereits 161 Mitglieder unterschiedlicher Nationalitäten, die sich in Arbeitsgruppen mit Titeln wie Urbanisme et Plans Masse oder Expositions et Fêtes zusammenfanden.228 Ähnlich der Struktur der CIAM bildeten sich neben der französischen Gruppe weitere nationale Untergruppen in Belgien, England, Italien, Schweden und der Schweiz.229 Durch sie sollte das Konzept der ‚Synthèse des Arts‘, das neben seinen ästhetischen Ansätzen zur Durchdringung und damit Bereicherung der gebauten Umwelt vor allem der wirtschaftlichen Förderung und Stärkung bildender Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg diente, auf eine solide Grundlage gestellt werden. Bloc organisierte ab Mitte der 1950er Jahre zahlreiche Gruppenausstellungen. So zeigte die Groupe Espace anlässlich der Première Exposition Internationale des Matériaux et Equipement des Bâtiments et des Travaux Public im Pariser Parc National de Saint-Cloud Werke Sonia Delaunays, Antoine Poncets, Jean Arps, Fernand Légers in Kombination mit Architekturskizzen, darunter auch eine Zeichnung des zukünftigen UNESCO-Hauptquartiers von Breuer, Nervi und Zehrfuss.230 Als Ausstellungsziel formulierte Jérôme Mellequist in der Aujourd’hui: Art et Architecture:

224 Le Corbusier und Claudius Petit gehörten 1945 beide einer französischen Delegation an, die in die USA reiste, um sich dort einen Überblick über den Städtebau zu verschaffen. Vgl. Eugène Claudius Petit: Bewegte Geschichte, in: Ausst.-Kat. Paris 1981, Centre National d’A rt et de Culture George Pompidou: Paris-Paris 1937–1957. Ausstellung vom 28. Mai–2. November 1981. Deutsche Ausgabe mit einem Vorwort von Werner Spies, München 1981, S. 403. 225 Vgl. ebd., S. 407 f. 226 Vgl. L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 37, Oktober 1951, S. V; L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 46, Februar/März 1953, S. XXXI; L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 48, Oktober/November 1953; L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 49, Dezember 1953, S. XI. 227 Vgl. L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 49, Dezember 1953, S. XI. 228 Vgl. ebd. 229 Vgl. Damaz 1956, S. 77. 230 Vgl. Aujourd’hui: Art et Architecture, Nr. 4, 1955, S. 22. Dort heißt es: „Les architectes à l’encontre des autres artistes s’établirent sous un toit où fut exposée une grande maquette pour le future bâtiment de l’UNESCO (Breuer, Nervi, Zehrfuss) […].”

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Das, was diese Veranstaltung herausstellt, ist nicht nur die Abkehr von konventionellen Orten und Plätzen, wo solche Werke im Allgemeinen ausgestellt werden, es ist nicht nur eine Erneuerung, die der Gebrauch neuer Materialien mit sich bringt. Noch viel wichtiger: es ist der erste Schritt, den die Maler, die Bildhauer, die Architekten, die Ingenieure und sogar die Komponisten gemeinsam in Richtung einer engen Zusammenarbeit gehen werden.231

Im März 1954 stellte André Bloc in einem Brief an den UNESCO-Generaldirektor die Groupe Espace als Interessengemeinschaft von Architekten, Malern und Bildhauern vor, die sich für ein intensives Miteinbeziehen von Kunstwerken in architektonische Zusammenhänge einsetze.232 Als bereits erfolgreich umgesetzte Projekte nannte er das neue Renault-Werk in Flins, die Fabrik Mame in Tours sowie das Tunesische Haus der Pariser Cité Universitaire, die allesamt Bernard Zehrfuss konzipiert hatte. Bloc bot der ­U NESCO die Unterstützung der Gruppe bei der Umsetzung des Kunstkonzeptes an und lud den Generaldirektor zu einem informellen Meinungsaustausch ein. Ob dieser Austausch tatsächlich zustande kam, ist nicht belegt. Die Aktivitäten der Gruppe stiegen noch beträchtlich an. 1957 organisierte Bloc eine große internationale Wanderausstellung mit dem Titel Architecture Contemporaine – Integration des Arts, die im März 1957 vom Musée de Rouen eröffnet wurde und danach in Casablanca (3.–13. Mai), in Rabat (17.–27. Mai), in Dijon (7.–30. Juni), in Berlin (September) und schließlich in Amiens (10.–30. Oktober) Station machte.233 Die Zeitschrift Aujourd’hui: Art et Architecture propagierte während eines ganzen Jahrzehnts den Gemeinschaftsgedanken der Synthèse des Arts und machte sich zum Sprachrohr dieser Bewegung. Die Bedeutung eines neuen Teamgeistes beschwor auch Jean Cassou, Direktor des Pariser Musée d’Art Moderne, in seiner Publikation Situation de l’Art Moderne aus dem Jahre 1950: Das ganze Denken der Architekten und Künstler muss nun auf eine gleiche Orientierung hin ausgerichtet werden und sich gegenseitig begleiten. Ein neuer Geist kann daraus entspringen, ein Gemeinschaftssinn, der die Bedingungen des Künstlers und gleichzeitig seinen Stil erneuern wird. Der Maler wie der Architekt ist gezwungen, alles Geschlossene und Schematische seiner Kunst zugunsten des Wesentlichen zu verlassen. Die beiden Künste geben sich Sicherheit,

231 Originalzitat: „Ce qui ressort de cette manifestation n’est pas seulement l’abandon des lieux et des endroits conventionnels où de telles œuvres sont généralement exposées, ni le renouveau apporté par l’emploi de nouveaux matériaux. Plus important encore: le premier soupçon que les peintres, les sculpteurs, les architects, les constructeurs industriéls, et même les compositeurs, iront ensemble vers les rapports plus étroits.” Zit. Mellequist, Jérôme: Groupe Espace, in: Aujourd’hui: Art et Architecture, Nr. 4, 1955, S. 22. 232 Vgl. Brief von André Bloc an den UNESCO-Generaldirektor vom 18. 3. 1954, Centre d’A rchives d’A rchitecture du XXème Siècle, Nachlass Bernard Zehrfuss, Boîte 4. 233 Vgl. Ankündigung der Wanderausstellung sowie eine Fotodokumentation in: Aujourd’hui: Art et Architecture, Nr. 13, 1957 und Nr. 14, 1957. Darin werden Werke der Künstler Magnelli, Tinguely, Agam, Jarema, Delaunay, Schnabel, Bloc, Leppien, Warp, Somaini, Soto, Deyrolle, Villerie und Sperling, Calder, Vasarely, Herbin, Arp und Jacobsen gezeigt.

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der Maler kümmert sich um Probleme und Zeichnungen des Architekten, der Architekt um diejenigen des Malers, und der eine beginnt nicht mit seiner Arbeit, ohne sich um die Belange des anderen zu kümmern […].234

Cassou, assoziiertes Mitglied in Le Corbusiers Association pour une Synthèse des Arts Plastique, spricht sich in seinem Text neben einer neuen Fürsorgepflicht zwischen Architekten und Künstlern für eine Reintegration der Kunst in den Alltag der Menschen aus. Das Maschinenzeitalter sei auf dem Wege sich zu humanisieren. Es müsse unbedingt eine Demokratisierung der Kunstbetrachtung angestrebt werden. Vor allem die neuen Reproduktionstechniken leisteten hier einen wesentlichen Beitrag, um Kunstwerke in Schulen, Bürohäuser, Fabriken und auf das Land zu bringen. Sogar die UNESCO habe sich zum Ziel gesetzt, die besten Farbreproduktionen von Kunstwerken aus der ganzen Welt für alle Menschen zu publizieren.235 Einen exemplarischen Überblick über die Tendenzen der Integration von Kunst­ werken in Architektur und die Bewegung der Synthèse des Arts lieferte Paul Damaz 1956 in seiner Publikation Art in European Architecture – Synthèse des Arts. Darin führte er dieses in Europa erstarkende Phänomen der künstlerischen Gestaltung von Architektur auf mehrere Ursachen zurück. Zunächst, so Damaz, sei ein psychologischer Faktor dafür verantwortlich, dass sich die Europäer in Folge der zerstörerischen Kriegsjahre nach dauerhaften spirituellen Werten sehnten. Damit wendeten sie sich nicht zuletzt gegen den Materialismus der Zwischenkriegszeit. Durch die Kraft der Mechanisierung, wie vor allem der massive Wiederaufbau verdeutliche, hätte die Kunst einen neuen Impuls erhalten. Da die europäischen Länder große Teile ihrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke eingebüßt hätten, setzten sie sich besonders für die intellektuellen und künstlerischen Bereiche ein. Insbesondere bildenden Künstlern sei bewusst, dass der durch den Krieg verursachte Zusammenbruch des privaten Kunstmarktes sie regelrecht zwinge, sich neue Betätigungsfelder zu suchen, die in der Gestaltung öffentlicher Gebäude zu finden seien. Auch einige Regierungen hätten auf diese prekäre Situation reagiert und sich verantwortlich gezeigt, indem sie bei öffentlichen Bauvorhaben einen bestimmten Prozentsatz der Bausumme für die künstlerische Ausgestaltung gesetzlich vorschrieben.236 Damaz interpretierte die Bewegung der Synthèse des Arts also als Reaktion vor allen Dingen bildender Künstler auf die Folgen des Krieges. Neben einem sinnstiftenden Moment, das Künstler in der Nachkriegsgesellschaft hervorbringen wollten,

234 Originalzitat: „Les pensées de l’architecte et celles du peintre doivent alors incliner à une même orientation et se faire l’une à l’autre compagnie. Un nouvel esprit peut naître, un esprit d’équipe et qui renouvellera la condition de l’artiste en même temps que son style. Il oblige le peintre comme l’architecte à sortir de ce qu’il y a de clos et de schématique dans l’essentiel de leurs art. Les deux arts se prêtent secours, le peintre s’inquiète des problèmes et des dessins de l’architecte, l’architecte de ceux du peintre, et l’un ne saurai s’engager dans son enterprise sans se préoccuper des raisons de l’autre […].“ Zit. Cassou, Jean: Situation de l’A rt Moderne, Paris 1950, S. 140 f. 235 Vgl. ebd., S. 192. 236 Vgl. Damaz 1956, S. 71.

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bot ihnen vor allem der architektonische Wiederaufbau mit zahlreichen öffentlichen Bauaufträgen neue Betätigungsfelder und damit nicht zuletzt Chancen einer wirtschaftlichen Absicherung. Auch außerhalb Frankreichs wurde die Forderung einer ‚Synthese der Künste‘ diskutiert. In Ländern wie etwa England fiel deren Bewertung jedoch weitaus kritischer aus. So nahm der Kunsthistoriker Herbert Read, der 1956 in das UNESCO-Kunstberater­ komitee berufen wurde, bereits 1948 eine eher skeptische Haltung ein: Eine Synthese ist bloß der Treffpunkt zweier Ideen und durch ihre Überschneidung entsteht eine neue Idee. Aber jede neue Idee ist wiederum eine These, die in eine endlose dialektische Kette übergeht und deren einzige Finalität etwas ist, auf das wir uns einigen und das wir Wahrheit nennen, das mit jedem Schritt, mit dem wir uns auf es zubewegen, zurückzutreten scheint. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen sollten wir uns dem Konzept der Synthese der Stile mit einem gewissen Grad der Umsicht, ja vielleicht der Skepsis nähern. Der Wunsch nach einer Synthese der Künste ist Teil eines allgemeinen Verlangens nach sozialer Stabilität, die eine natürliche Reaktion auf jede Periode der Revolution ist. In Wirklichkeit ist es nicht mehr als ein bewusster Entschluss, die Kräfte einer neuen sozialen Elite zu konsolidieren. Und Klassizismus ist gewöhnlich das Schlagwort für die kulturellen Aspekte einer solchen Zusammenführung. 237

Read unterstellte der Synthesebewegung restaurative Momente. Er warnte davor, neue künstlerische Standards zu definieren und damit einen „offiziellen Kunsttypus, eine akademische Tradition, die universell gelehrt und automatisch akzeptiert wird“ 238, zu kreieren. Seine Befürchtungen waren durchaus begründet. Durch Organisationen wie die UNESCO fand schließlich auch eine Universalisierung und eine Kanonbildung bezüglich moderner Kunst- und modernen Architekturformen statt. Sigfried Giedion und die neue Symbolhaftigkeit moderner Architektur Neue Ansätze der Kooperation zwischen Architekten und zeitgenössischen Künstlern versuchte in der Nachkriegszeit vor allem Sigfried Giedion anzuregen. Bereits seit den 1920er Jahren unterstützte und forcierte der Schweizer Kunsthistoriker das gesamt­

237 Originalzitat: „A synthesis is merely the meeting-place of two ideas, and from their conjunction arises a new idea. But each new idea is in its turn a thesis which merges into an endless dialectical chain, and the only finality is something we agree to call the Truth, which seems to recede with every step we take towards it. With these considerations in mind, we should approach the whole conception of a synthesis of styles with a certain degree of caution, perhaps of skepticism. The desire for a synthesis of the arts is part of that general longing for social stability which is the natural reaction to any period of revolution. In effect, this is nothing but a more or less conscious determination to consolidate the power of a new social élite, and classicism is usually the catchword for the cultural aspects of such a consolidation.” Zit. Read, Herbert: The Situation of Art in Europe at the End of the Second World War, in: ders.: The Philosophy of Modern Art, New York 1953, S. 47. 238 Zit. Read 1953, S. 48.

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gesellschaftliche Anliegen des Neuen Bauens und trug durch zahlreiche Publikationen und Zeitungsartikel maßgeblich zu dessen Verbreitung bei.239 Seine Kooperationsbestrebungen propagierte Giedion aus einer historischen Perspektive heraus. Er plädierte inständig für eine Wiederaufnahme einst selbstverständlicher, jedoch im Zuge der Industrialisierung verloren gegangener Gemeinschafts­arbeiten zwischen Handwerkern, Architekten und Künstlern. Seine Überlegungen hierzu veröffentlichte er bereits 1943 in dem Aufsatz Über eine neue Monumentalität. Darin forderte er die modernen Architekten auf, sich gesellschaftlichen Bedürfnissen nach Symbol und Bedeutungsdichte in ihren Bauwerken anzunehmen. Er stellte fest, dass es modernen Künstlern durch die Rückkehr zu einfachen Formen bereits gelungen sei, einen zeitgemäßen symbolhaften Ausdruck zu finden. Durch einen gezielten Zusammenschluss könnten schließlich alle bildenden Künste zu einer „neuen Monumentalität“ gelangen: Einmal mehr zeigt die Malerei heute die Entwicklung an, die sich in der Architektur vollziehen wird. Aber nicht nur in der Architektur. Sie mag eine Lebensauffassung ankündigen, die weit entfernt von der verheerenden Anbetung der Produktion liegt. […] Das ist der Augenblick, in dem Malerei, Plastik und Architektur sich auf Grund eines gemeinsamen Zieles und einer gemeinsamen Auffassung wieder finden können, unterstützt von allen technischen Möglichkeiten, die unsere Zeit geschaffen hat, ohne sie gefühlsmäßig abzuwerten.240

Die Forderungen nach einer neuen Symbolhaftigkeit und neuen Gefühlswerten in der Architektur stellte er 1947 auf dem ersten Nachkriegskongress der CIAM im englischen Bridgwater zur Diskussion, wie aus seiner 1951 erschienenen Publikation Dix ans ­d ’Architecture Contemporaine hervorgeht, die unter anderem den Bridgwaterkongress auszugsweise protokolliert: Wie in den großen Epochen muss es möglich sein, eine Isolierung zu lösen, die die moderne Architektur gefährdet. In unseren Tagen wird nach öffentlichen Gebäuden mit einer symbolischen Bedeutung und einem ausgeprägten emotionalen Wert gefragt. […] Wie in unserem Kapitel über das Verhältnis zwischen der Architektur, der Malerei und der Skulptur festgestellt wird, haben die ästhetischen Fragen mehr und mehr an Bedeutung gewonnen und sind zum Objekt konstanter Besorgnis geworden.241

239 Zahlreiche Zeitungsartikel aus den Jahren 1926 bis 1956 sind in der von Dorothee Huber herausgegebenen Publikation „Sigfried Giedion. Wege in die Öffentlichkeit“ gebündelt. Vgl. darüber hinaus: Giedion, Sigfried: Befreites Wohnen, Zürich 1929; ders.: Über eine neue Monumentalität (The Need for a new Monumentality), in: Zucker, Paul (Hg.): New Architecture and City Planning, New York 1944, S. 249–268. 240 Zit. Giedion, Sigfried: Über eine neue Monumentalität, hier aus: ders.: Architektur und Gemeinschaft. Tagebuch einer Entwicklung. Zürich 1956, S. 37. 241 Originalzitat: „Comme aux grand époques, il doit être possible de romper un isolement qui met l’architecture modern en danger. On demande de nos jours des bâtiments publics avec un sens symbolique et une valeur émotive plus prononcés. […] Comme on peut le constater dans notre chapitre sur les relations entre l’architecture, la peinture et la sculpture, les questions esthétiques ont pris de plus en plus d’importance et sont devenues l’objet d’un souci constat.” Zit. Giedion, Sigfried: Des architectes se forment eux-même, in: ders.: Dix Ans d’A rchitecture Contemporaine, Zürich 1951, S. 12.

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Giedion warnte davor, dass die moderne Bewegung durch eine einseitige Konzentration auf städteplanerische Konzepte die architektonischen Symbolwerte vernachlässigen könnte. Um ein Meinungsbild der Architekten hinsichtlich der Wertschätzung von Künstlerkooperationen zu erhalten, führte Giedion gemeinsam mit dem befreundeten Hans Arp während des Kongresses eine auf Fragebögen gestützte qualitative Interviewstudie durch, deren Ergebnisse jedoch unveröffentlicht blieben.242 Giedion beschränkte seine Offensive nicht ausschließlich auf die CIAM-Kongresse. Er regte dieses Thema auch in anderen Publikationen, etwa in der Zeitschrift Das Werk, dem offiziellen Organ des Schweizerischen Werkbundes, des Bundes Schweizer Architekten und des Schweizerischen Kunstvereins an.243 Das zweite Heft des Jahres 1949 war einzig dem Thema „Architektur, Malerei, Plastik“ gewidmet. In unterschiedlichen Perspektiven beleuchteten neben Sigfried Giedion auch Le Corbusier, Alvar Aalto, Alfred Roth, Hans Hildebrandt und Willy Rotzler die Notwendigkeiten und Chancen einer künstlerischen Zusammenarbeit. Giedion hob in seinem Artikel Malerei und Architektur zunächst die Bedeutung der modernen Architekturentwicklung hervor, die sich in drei Stufen vollzogen hätte. In den 1920er Jahren hätte die Entdeckung einer neuen Raumauffassung im Zentrum des Interesses gestanden, „lernte die Architektur wieder Präzision der Planung an der einzelnen Zelle“.244 Die 1930er Jahre hätten dann der Zusammenführung der Wohnzelle zu größeren Einheiten in Regional- und Stadtplanung gegolten. Die nun einsetzende dritte Stufe sei die am schwersten zu meisternde, so Giedion: Je mehr die Nachkriegsfolgen abzuebben beginnen, umso mehr erstarkt das Bedürfnis nach Bauten der Gesellschaft, die das Verlangen nach emotionellen Bedürfnissen befriedigen sollen. Das Volk verlangt nach Bauten, die als Gefäß für sein inneres Leben, seine Handlungen, seine religiösen und sozialen Überzeugungen betrachtet werden. Also Bauten, die über die Erfüllung des rein Funktionellen hinausgehen.245

Seine Argumentation für die Wiederaufnahme von Symbolen in die Architektur begründete er sowohl historisch als auch anthropologisch. Das Bedürfnis nach Zeichen wertete er als essentiellen Bestandteil jeder kulturellen Praxis. Seine Forderung, diesem Bedürfnis nachzukommen, richtete Giedion an die Architekten, die sich im Zuge einer historischen Rückbesinnung, allerdings mit der seit dem Kubismus etablierten künstlerischen Sprache und unter besonderer Berücksichtigung der modernen Wissenschaft und Technik, neuen synthetischen Bauformen zuwenden müssten. Die Voraussetzung dafür sah er in der intensiven Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst. 242 Knappe Auskunft über die Fragebogenaktion leistet die Publikation „Dix Ans d’A rchitecture“. Konkrete Zahlen oder eine tatsächliche statistische Auswertung der Fragebögen sind in Giedions Publikationen nicht zu finden. Im gta-Archiv befinden sich die vorbereitenden Leitfäden von Arp, Giedion und der englischen MARS-Gruppe. Vgl. gta-Archiv, SG 9, SG 10. 243 Vgl. Das Werk. Die Schweizer Monatsschrift für Kunst, Architektur, Künstlerisches Gewerbe, 36. Jg., Nr. 2, 1949. 244 Zit. Giedion, Sigfried: Malerei und Architektur, in: ebd., S. 36. 245 Zit. Giedion, in: ebd. S. 36

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Es könne „in der augenblicklichen Entwicklungsstufe der Architektur keinen schöpferischen Raumkünstler geben, der nicht durch das Nadelöhr der modernen Kunst gegangen [sei].“246 Alvar Aaltos Aufsatz stützte Giedions Forderungen, indem er die natürlichen Gemeinsamkeiten abstrakter Kunst und moderner Architektur bestätigte, die aus einer gegenseitigen Beeinflussung rührten. Sein Plädoyer fiel jedoch abwägender und weniger manifest aus: „Mir scheint, als seien wir dabei, eine Einheit der Kunst zu formen, die über viel grundsätzlichere Quellen verfügt als die künstliche Vereinigung der unterschiedlichen Kunstgenre, der gegebene Ausgangspunkt sei der Status nascendi.“ 247 Gegensätzlich zu Aalto verhielt sich wiederum der Artikel Le Corbusiers. Mit lyrischer Wortgewalt sah dieser die architektonische Synthese (la synthèse architecturale) als Endpunkt einer Entwicklung, deren Ursprung sowohl in den architektonischen Errungenschaften von Eisen und Beton als auch in der künstlerischen Revolution, ausgehend vom Kubismus, begründet läge.248 Le Corbusier behauptete, dass der Zusammenschluss zwischen Künstlern und Architekten bereits stattfinden würde: Die größten zeitgenössischen Künstler sind tatsächlich direkt oder indirekt unseren Verbänden angeschlossen. Diese Synthese muss als eine wahrhaftige Aufgabe betrachtet werden, die sich in dieser Periode der außergewöhnlichen Befreiung der schönen Künste – Architektur, Skulptur und Malerei – über alle Länder ausbreitet. Ein internationaler Widerhall wird genauso erfolgen wie eine meisterhafte Blütezeit der französischen Kunst.249

Le Corbusier betonte an dieser Stelle insbesondere die Bedeutung dieser Bewegung für die französische Kunst, die dadurch zu einem neuen Höhepunkt gelangen und international ausstrahlen sollte. Tatsächlich könnte eine Motivation dieser von Frankreich ausgehenden Idee darin gesehen werden, vor allem die französischen künstlerischen Positionen zu stärken. Wie Pearson konstatiert, kämpfte die Pariser Avantgarde gerade in der Nachkriegszeit gegen einen enormen Prestigeverlust, den sie gegenüber der aufstrebenden Kunstmetropole New York erlitt, dem Zentrum einer jüngeren Künstlergeneration. Gerade renommierte Persönlichkeiten wie Fernand Léger oder Antoine Pevsner sprachen sich explizit für eine Intensivierung der Kooperationen aus.250

246 Zit. Giedion, in: ebd., S. 37. 247 Originalzitat Alvar Aalto: „Il me semble que nous sommes en train de façonner une unité de l’art qui a des sources plus profondes que la réunion superficielle des différents genres de l’art, le point de départ étant le Status nascendi.“ Zit. nach: Aalto, Alvar: L’Oeuf de Poisson et le Saumon, in: ebd., S. 43. 248 Vgl. Le Corbusier: Synthèse des Arts majeurs: Architecture – Peinture – Sculpture, in: ebd., S. 50. 249 Originalzitat Le Corbusier: „Les plus grands artistes contemporains sont, en effet, directement ou indirectement liés à nos associations. Cette synthèse doit être considérée comme un véritable devoir à accomplir envers le pays, en cette periode de si prodigieuse libération des arts majeurs, architecture, sculpture et peinture. Un retentissement international en resultera, ainsi qu’une floraison magistrale de l’art français.” Zit. nach: Le Corbusier: Synthèse des Arts majeurs. Architecture, Peinture, Sculpture, in: ebd., S. 50. Der gleiche Artikel ist auch im Œuvre Complète erschienen. Vgl. Boesiger/Stonorov/Bill, Œuvre Complète, 1946–1952, S. 152 f. 250 Vgl. Pearson 1995, S. 334 f.

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An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass die ‚Synthèse des Arts‘ einen durchaus facetten­reichen, inhomogenen künstlerischen Diskurs formuliert. Sigfried Giedions, Jean Cassous und Le Corbusiers Aufforderungen an Künstler, den ideellen Mehrwert von moderner Kunst und Architektur bei der Neuausrichtung des geistigen Potentials der Gesellschaft zu erkennen und sich für neue symbolische Bezugnahmen einzusetzen, traf den Nerv der Zeit. Wie Paul Damaz darlegte, war mit dieser Haltung nicht zuletzt eine wirtschaftliche Hoffnung vieler Künstler verknüpft, vermehrt in die öffentlichen Bauaufgaben des europäischen Wiederaufbaus einbezogen zu werden und damit ihre prekäre Lebenssituation zu verbessern. Ausgehend von den oben genannten einflussreichen Persönlichkeiten verbreitete sich diese künstlerische Attitüde sowohl bei den Architekten der CIAM mit ihren zahlreichen Nationen übergreifenden Komitees als auch bei französischen Vereinigungen wie der Association pour une Synthèse des Arts plastiques und der sich internationalisierenden Groupe Espace. Das folgende Kapitel zeigt auf, dass die Synthese-Idee über eben diese Kanäle auch zur UNESCO kam. Als internationale Kulturorganisation, die den bildenden Künsten eine besondere Rolle bei ihrer völkerverbindenden Mission beimessen wollte, entwickelte sie in ihren frühen Programmen gemeinsam mit Interessenverbänden wie der Groupe Espace oder den CIAM konkrete Umsetzungsstrategien zur Förderung von Künstlern und Architekten.

Künstlerförderung und Kanonbildung: UNESCO-Programme von 1946 bis 1954 Die ersten Programme der UNESCO seit ihrer Gründung 1946 standen ganz im Zeichen des europäischen Wiederaufbaus. Eine hohe Priorität wurde dabei der infrastrukturellen Wiederherstellung kriegszerstörter Schulen, Universitäten, Bibliotheken und Museen eingeräumt. Parallel dazu sollte der strukturelle Aufbau von Bildungseinrichtungen in wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern vorangetrieben werden. Fundamental Education und International Understanding avancierten dabei zu Leitbegriffen, unter deren Banner sich zahlreiche Entwicklungsprogramme subsumierten. Der Internationalisierung kultureller Werte wurde dabei ein ideeller Stellenwert für eine dauerhafte Friedens­ sicherung zugedacht. Die Vorstellung von solchen kulturellen Werten generierte sich aus einem Kulturbegriff vornehmlich westeuropäischer Prägung. Er bezog sich sehr konkret auf die Bereiche Literatur, Theater, Musik sowie die bildenden Künste, Architektur, Malerei und Bildhauerei. Innerhalb der Sparte Kultur wurde ihre Förderung und Verbreitung zu einem wesentlichen Ziel der Organisation erklärt. Das Programm Arts and Letters, das bereits während der ersten Generalversammlung 1946 von einem Unterkomitee für Bildende Künste diskutiert und beschlossen wurde, veranschaulicht dieses frühe Anliegen der UNESCO. 251 Ihr Resolutionsentwurf hielt zunächst fest, 251 Vgl. UNESCO (Hg.): General conference. First Session. Held at UNESCO House, Paris from 20. November to 10. December, Paris 1947, S. 131, 180, 186, 237.

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dass die Freiheit des Künstlers […] ein Anliegen aller Menschen und Länder darstellt und dass die UNESCO, die im Namen der Menschen und Nationen handelt, Schritte unternehmen wird, […] um die künstlerische Freiheit zu schützen und zu verteidigen, wo immer sie in Gefahr ist. 252

Das Programm Arts and Letters nahm für das Jahr 1947 acht Aktionsfelder in Angriff, die sich den grundlegenden Problemen und Aufgabenbereichen der Bildenden Künste, der Literatur und dem Theater widmen sollten. Die Resolution sah vor, 1. eine umfassende Untersuchung der Bedingungen von Kunst und Künstlern in den einzelnen Staaten vorzunehmen, 2. die Rolle der Künste in den Bildungssystemen der Mitgliedsstaaten zu ermitteln, 3. eine Liste der wichtigsten literarischen Werke zu erstellen, um diese vielsprachig übersetzen zu lassen, 4. die Basis für die Einrichtung eines internationalen Theaterinstitutes zu schaffen, 5. einen internationalen Literaturpool einzurichten, 6.  einen Sammelband über kreatives Schreiben zu erstellen, 7. künstlerische Aktivitäten durch Ausstellungen und Konzerte zu fördern sowie 8. eine Bestandsaufnahme von Reproduktionstechniken zu erarbeiten.253 Bildung durch Kunst Das unter Punkt zwei aufgeführte Aktionsfeld fokussierte die Bedeutung der Künste in der Ausbildung von Kindern, Jugendlichen und im Leben von Erwachsenen. Bereits im April 1947 nahmen zwei Vertreter der UNESCO an der Jahrestagung des sogenannten Komitees für Kunsterziehung am New Yorker Museum of Modern Art teil. Der Vorsitzende des Komitees Victor d’A mico hatte Kunsterzieher aus US-amerikanischen Schulen, Colleges und Universitäten, darunter auch Walter Gropius als Vorsitzenden des Architektur­ departments der Graduate School of Design an der Harvard University, eingeladen, um gemeinsam unter dem Titel A Search for a Basic Philosophy die Funktion der Kunst in der Gesellschaft, insbesondere in der Erziehung zu diskutieren.254 In seiner Einführungsrede stellte Victor d’A mico zunächst heraus, dass diese Konferenz den Auftakt umfassender Aktivitäten darstelle, mit dem langfristigen Ziel einer Philosophie, die der bildenden Kunst einen besonderen Wert bei der Erziehung junger Menschen einräumte. Dies sei, so d’A mico, ein wesentlicher Ansatz der UNESCO, die er folgendermaßen wiedergab: Kunst hilft dabei, Menschen und Nationen vertrautes Wissen über einander zu vermitteln, Wissen über sich selbst als menschliche Wesen, die unter verschiedenen Bedingungen leben, aber durch eine gemeinsame menschliche Erfahrung verbunden sind, die wesentlich für das Ziel einer friedlichen Welt ist.255 252 Zit. nach: Report of the Sub-Commission on Arts and Letters, in: ebd., S. 237. 253 Vgl. ebd., S. 275 f. 254 Vgl. Summary of the Fifth annual Conference of the Committee on Art Education, held at the Museum of Modern Art, New York City, 25.–27. April 1947, Bauhaus-Archiv, GN 1, 76, CIAM 6. 255 Originalzitat Victor d’A mico: „Art helps to give men and nations that intimate knowledge of each other as human beings living in different conditions but bound together by one human experience which is essentiell for the achievement of a peaceful world.” Zit. aus dem Tagungsprotokoll, d’A mico, Victor: A Search for a basic Philosophy, in: ebd. S. 2.

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Kunst wird hier in anthropologischem Sinne als eine allen Menschen gemeinsame Grunderfahrung gedeutet. Ihr wird die Eigenschaft zugesprochen, Wissen zu generieren, das sowohl für den Einzelnen als auch für ganze Gruppen identitätstiftend wirkt. Aus dieser universalen identitätspsychologischen Erfahrung heraus soll sie als eine Art Werkzeug („Kunst hilft dabei“) dafür eingesetzt werden, den Nationen „Wissen übereinander zu vermitteln“, um gegenseitige Anerkennung und Verständnis zu befördern. Auf diese optimistische Bewertung des positiven Mehrwerts von Kunst stößt man in vielen Veranstaltungsprogrammen, der von der UNESCO initiierten Tagungen und Kongresse. So beschäftigte sich die UNESCO beispielsweise im Mai 1948 im Rahmen einer Expertenrunde mit der Rolle der Künste in Bildung und Allgemeinbildung.256 Zum Vorsitzenden der Tagung wurde der englische Kunsthistoriker Sir Herbert Read nominiert. Neben der grundsätzlichen Frage nach dem Beitrag, den die Kunst für die Bildung leiste, befassten sich die Diskussionen konkret damit, wie die UNESCO allgemeine Richtlinien ausarbeiten könne, um den Kunstunterricht in den schulischen Lehrplänen ihrer Mitgliedsstaaten fest zu verankern. Dabei galt es zunächst herauszufinden, ob es bereits flächendeckend national organisierte Verbände für Kunsterzieher gab und wie diese durch Konferenzen vernetzt und durch die Bildungsministerien der Länder unterstützt werden könnten.257 Als Ziel wurde formuliert, eine internationale Organisation in Paris anzusiedeln, die mit den nationalen Verbänden und Ministerien zusammenarbeitete.258 Die Kunsterziehung galt auch als probates Mittel zur Förderung internationaler Verständigung in der Erwachsenenbildung. Im Rahmen des unter Punkt acht der Arts and Letters-Leitlinie initiierten Reproduktionsprogramms wurden bereits 1947 alle Mitgliedsstaaten aufgefordert, farbige Reproduktionsvorlagen mit ihren bedeutendsten Kunstwerken, sowohl alter Meister als auch zeitgenössischer Künstler, zusammenzustellen. Aus diesem Material entstand eine bis in die 1960er Jahre hinein fortgeführte Publikationsreihe mit dem Titel UNESCO-Sammlung der Weltkunst. Ziel des Reproduktionsprogrammes war es, „eine möglichst große Anzahl der Menschen mit dem Kunsterbe der Welt vertraut zu machen“ 259 und damit ihre kulturelle Solidarität untereinander zu stärken. In Zusammenarbeit mit dem 1948 gegründeten Internationalen Museumsrat (ICOM) wurde das Projekt von einer Expertenkommission durchgeführt, der unter anderem der bereits erwähnte Jean Cassou (von 1945 bis 1965 Direktor des Pariser Musée d’Art Moderne) und René d’Harnoncourt (von 1949 bis 1967 Direktor des MOMA in New York) angehörten. Sie sollten, gemäß der Resolution, die „bedeutendsten

256 Vgl. UNESCO Committee of Experts, The Role of the Arts in General Education, Summary Report of the first Meeting, held on Tuesday, 11. May 1948, UNESCO-Archiv, AL/Conf. 1/SR. 1. 257 Vgl. ebd. UNESCO-Archiv, AL/Conf. 1/SR. 2. 258 Vgl. ebd. UNESCO-Archiv, AL/Conf. 1/SR. 3. 259 Vgl. Committee of Experts, Colour Reproductions, 7. 7. – 8. 7. 1948, UNESCO-Archiv, UNESCO/ AL/Conf. 3/1, S. 1.

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Phasen und Bewegungen in der Kunst“ 260 zusammentragen und publizieren. Angesichts dieser ausgewiesenen Museumsexperten erscheint es kaum verwunderlich, dass die ersten beiden Publikationen aus dem Jahre 1948 mit großformatigen Farbreproduktio­ nen die Europäische Malerei von 1860 bis heute und die Italienische Renaissance thematisierten.261 Der erste Band zeichnete ausgehend vom Impressionismus alle künstlerischen Entwicklungen bis zur gegenstandslosen Malerei nach. Die Renaissance als europäische Epoche geistiger Blüte, in der nicht nur die Künste einen Höhepunkt erlangten, sondern auch eine Neubewertung des Individuums eingeleitet wurde, nahm Platz zwei des neuen UNESCO-Bildungskanons ein. Der dritte Band befasste sich mit der innerhalb der europäischen Kunstgeschichte als Epoche kanonisierten Persischen Kunst, die im Gegensatz zu den anderen beiden europäischen Epochen einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten bündelte. Mit den reproduzierten Bildwerken initiierte die UNESCO internationale Wanderausstellungen, die in der ganzen Welt gezeigt wurden. Bis zum Jahr 1954 wurden 15 Reproduktionssammlungen über moderne Malerei in zahlreichen Ländern262 gezeigt, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht mit dem Titel Einführung in moderne Kunst – Erfahrungen und Anregungen zur Wanderausstellung der UNESCO der Zeitschrift Kulturarbeit aus dem Jahr 1951 kommentiert eine solche UNESCO-Ausstellung in Lübeck.263 Der Autor thematisiert darin die unterschiedlichen Reaktionen deutscher Besucher auf Kunstwerke der Moderne, die von völliger Ablehnung durch eine vom Nationalsozialismus geprägte Generation bis zur Begeisterung jüngere Menschen reichte. Als Reaktion auf die unterschiedlichen Publikums­ meinungen beschloss die Stadt Lübeck, eine Auswahl der UNESCO-Reproduktionen für den Schulunterricht anzuschaffen, um sie „in einem etwa halbjährlichen Turnus wechselnd zu verteilen, damit die Kinder möglichst viel kennenlernen“.264 Programme zur Förderung bildender Künstler Die im Arts and Letters-Programm geforderte Befragung zur staatlichen und kommunalen Unterstützung der Künste sah eine großangelegte empirische Studie vor, im Rahmen derer die Wertschätzung der Künste innerhalb der Mitgliedsstaaten, die aktuelle Lebenssituation der Künstler sowie staatliche und nichtstaatliche Möglichkeiten 260 Zit.: Resolution 4.1.4.2, UNESCO, Committee of Experts, Colour Reproductions, 7. 7. – 8. 7. 1948, UNESCO-Archiv, UNESCO/AL/Conf. 3/1, S. 1. 261 Vgl. UNESCO (Hg.): Report of the Director General on the Activities of the Organization in 1948. Presented to the Third Session of the General Conference, Paris 1948, S. 63. 262 Dazu gehörten Brasilien, Australien, Neuseeland, Pakistan, Indien, Mexiko, Guatemala, Haiti, Kuba, die Dominikanische Republik, Peru, der Iran, Ecuador, Uruguay, Argentinien, Norwegen, Deutschland, Frankreich, Nordafrika, Großbritannien mit seinen Kolonien, Thailand, Jugoslawien, Peru, Österreich, der Irak, Honduras, El Salvador, Laos und Dänemark. 263 Vgl. Walther, Rolf: Einführung in moderne Kunst. Erfahrungen und Anregungen zur Wanderausstellung der UNESCO, in: Kulturarbeit, Nr. 3, Juni 1951, S. 121 f. 264 Zit. Walther, Rolf, in: ebd., S. 121.

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für deren Unterstützung ermittelt werden sollten.265 Die UNESCO forderte 1947 ihre Natio­nal­komitees dazu auf, anhand umfangreicher Fragenkataloge (derjenige der ersten Studie umfasste 14 Seiten) einen Rechenschaftsbericht über die Situation von Architektur, Malerei, Skulptur, Illustration, Werbedesign und Industriedesign sowie angewandter Kunst und Musik innerhalb der Länder zu erstellen und vor allem Auskünfte über existie­rende Fachverbände zusammenzutragen.266 Als langfristiges Ziel wurde festgelegt, Kunstschaffenden durch allgemeingültige Richtlinien, Resolutionen und Programme, adäquate Unterstützung zukommen zu lassen. Zudem sollte der internationale Austausch zwischen Künstlern gestärkt und gefördert werden.267 Einen nächsten Schritt hin zur direkten Förderung von Künstlern unternahm die UNESCO während der dritten Generalkonferenz 1948 in Beirut. Im Rahmen der Resolution 6.15 beauftragte sie den Generaldirektor, gemeinsam mit Künstlern aus aller Welt deren möglichen Beitrag zur Umsetzung der UNESCO-Ziele zu untersuchen und zugleich in Erfahrung zu bringen, welche sozialen, ökonomischen und politischen Einflüsse die Funktionen und Leistungen von Künstlern störten und welche Mittel ergriffen werden müssten, um diese Hindernisse zu beseitigen und künstlerische Freiheit zu gewährleisten.268 1950 forderte eine weitere Resolution den amtierenden Generaldirektor Bodet auf, für das Jahr 1952 einen internationalen Künstlerkongress vorzubereiten, bei dem insbesondere der Aspekt der künstlerischen Freiheit im Mittelpunkt der Diskussion stehen sollte. Dabei war vorgesehen, nationale und internationale NGOs und Verbände aktiv in den Planungsprozess einzubinden.269 Als Tagungsort wurde schließlich Venedig bestimmt, da dort die 26. Kunstbiennale stattfand und der UNESCO-Veranstaltung einen geeigneten Rahmen bot. Im Zuge der Vorbereitungen nahm der Generaldirektor Kontakt zu künstlerischen Interessenverbänden aus den Bereichen Kunst, Architektur, Musik und Theater auf. Er bat die führenden Vertreter der CIAM, der International Union of Architects (IUA), der International Association of Art Critics (IAAC), des International Music Council (IMC), des International Theatre Institute (ITI) sowie des International PEN-Clubs (Poets, 265 Vgl. Report of the Sub-Commission on Arts and Letters, in: UNESCO (Hg.): General Conference, First Session. UNESCO-House, Paris from 20. November to 10. December, Paris 1947, S. 237. 266 Vgl. Study of Government and Community Support for the Arts. UNESCO-Archiv: UNESCO A&L 14, 12. 9. 1947. 267 Vgl. ebd. 268 Vgl. Resolutionen 6.15, 1.651, 6.152, 6.153 der Generalkonferenz, Beirut 1948, in: UNESCO (Hg.): Records of the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Third Session, Beirut 1948, Vol. II, Resolutions, Paris 1949, S. 26 f. 269 Vgl. Resolution 4.214, 4.2141 der Generalkonferenz, Florenz 1950, in: UNESCO (Hg.): Records of the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Fifth Session, Florenz 1950, Vol. 2, Resolutions, Paris 1950, S. 42. Interessant an dieser Stelle erscheint die Tatsache, dass die Resolution außerdem in Punkt 4.2142 vorsieht, den Kongress als Parallelveranstaltung zu den Eröffnungsfeierlichkeiten des neu errichteten UN-Hauptquartiers abzuhalten. Die Vereinten Nationen sollten dazu eingeladen werden, sich an diesem Künstler­ kongress zu beteiligen.

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Essayists, Novelists) bei der Vorbereitung des Kongresses aktiv im Organisationsteam mitzuwirken. An dieser Stelle ist der Hinweis wichtig, dass sowohl IUA und IAAC, der IMC als auch das ITI auf Initiative der UNESCO im Jahr 1948 gegründet worden waren. Sie können als erster Erfolg der Arts and Letters-Programme angesehen werden, deren Intention es war, nationale Künstlernetzwerke zu etablieren und sie international zu vernetzen, damit diese ihre Interessen auf internationaler Ebene bündeln und ihre Durchsetzungsfähigkeit und Wirkkraft in der Gesellschaft stärken konnten. Im Mittelpunkt des Venedig-Kongresses stand das Thema Der Künstler und die heutige Gesellschaft. Sieben Sektionen, die die Fachbereiche Musik, Literatur, Theater, Kino, Malerei, Skulptur und Architektur vertraten, sollten sich mit Fragen nach dem Verhältnis des Künstlers zur Gesellschaft und zu staatlichen Autoritäten, ferner mit seinen Beziehungen zu anderen Kunstbereichen, seinen Verbindungen zu Kunstvermittlern (Kunsthändlern, Galeristen etc.) sowie mit seinen Kontakten zu Kollegen und Fachverbänden auseinandersetzen.270 Ein Unterkomitee für die Bildenden Künste, bestehend aus Ernesto Rogers (CIAM), Pierre Vago (IUA) und André Lhote (IAAC), spezifizierte die Kongressinhalte für die Bereiche Malerei, Skulptur und Architektur. Die Sektion formulierte als ein wesentliches Ziel die Notwendigkeit, eine International Association of Painters and Sculptors zu gründen, da bislang weder Maler noch Bildhauer ausreichend in internationalen Interessenverbänden vertreten seien. Zwei weitere Diskussionspunkte thematisierten die Synthesis of the Visual Arts sowie die Ausbildung von Architekten.271 Die UNESCO limitierte die Teilnehmerzahl auf 300 Personen, die entweder durch ihre Mitgliedsländer oder durch die internationalen Interessenverbände nominiert wurden. Ferner wählte sie etwa 50 herausragende Persönlichkeiten in ein sogenanntes Honorary Committee. Dieses erweist sich bei genauerer Betrachtung für die vorliegende Arbeit als besonders aufschlussreich, da es die bereits 1952 eng geknüpften Beziehungen zwischen der UNESCO, führenden CIAM-Mitgliedern und einigen Künstlerpersönlichkeiten verdeutlicht, die bei der Umsetzung des UNESCO-Kunstkonzepts eine Rolle spielen werden. Le Corbusier, Walter Gropius, Ernesto Rogers und Lucio Costa zählten genauso zu den Ehrenmitgliedern wie Alexander Calder, Henry Moore und Rufino Tamayo. In einem offiziellen Schreiben vom 26. Juli 1952 bedankte sich Generaldirektor Bodet persönlich bei Walter Gropius für seine Zusage zur Teilnahme als Mitglied im Ehrenkomitee des Kongresses mit den Worten, dass seine Autorität und seine Erfahrung zum Prestige dieser Tagung beitragen würden.272 Darüber hinaus waren mit Richard Neutra, Alfred Roth, Fernand Léger, Henri Matisse und George Rouault Vertreter von Le Corbusiers Association des Arts Plastique bzw. der Folgeorganisation Groupe Espace 270 Vgl. Organizing Committee of the International Congress of Artists, 5. 12.–7. 12. 1951, Final Report, UNESCO-Archiv, CUA/35. 271 Vgl. International Conference of Artists, Committee on Visual Arts, 25. 8. 1952, UNESCO-Archiv, ART/COM/3. 272 Vgl. Brief von Jaime Torres Bodet an Walter Gropius vom 26. 7. 1952, Bauhaus-Archiv, Walter Gropius, GN 1, UNESCO/General/M 99.

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im Ehrenkomitee vertreten. Die Bedeutsamkeit des Kongresses insgesamt unterstreichen weitere Ehrenteilnehmer wie Alvar Aalto, Ludwig Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright, Alberto Giacometti, Marino Marini und Giorgio Morandi. Wie aus einem Kongressbereicht Georg Meistermanns in der Zeitschrift Kultur­ arbeit, hervorgeht, setzte sich vor allem Le Corbusier in seinem Sektionsvortrag mit dem Titel Synthesis of the Visual Arts für die Kooperation zwischen Künstlern und Architekten ein und betonte die Bedeutung internationaler Architektur- und Kunstausstellungen in großen Weltzentren. Er stellte den Teilnehmern seine transportablen Ausstellungsräume, die Chantiers de synthèse, vor.273 Obwohl über den Kongress selbst, die tatsächliche Teilnehmerzahl, die Vorträge und Diskussionen nur wenige Dokumente erhalten sind, können sich seine Ergebnisse durchaus sehen lassen. Er bot künstlerischen NGOs die Chance, über einen internatio­nalen fachlichen Diskurs mit der UNESCO Resolutionen auf den Weg zu bringen, die wiederum auf nationaler Ebene Wirkung zeigten. So gingen mehrere Resolutions­vorschläge zur Vorlage für die nächste UNESCO-Generalkonferenz ein, die den Schutz von Urheber­recht und künstlerischen Freiheiten international verbindlich festschrieben und die Bedingungen für Künstler verbessern sollten. Auch die Sektion Visual Arts erarbeitete einen Resolutionsentwurf für ihren Bereich. Dieser sah die Stärkung der Positionen von Architekten, Malern und Bildhauern in drei wesentlichen Punkten vor: Er forderte die UNESCO auf 1. ihre Mitgliedsstaaten zu animieren, Informations- und Dokumentationszentren für Künstler einzurichten und durch Künstlerregister sowie durch die Übermittlung gezielter Informationen über künstlerische Entwicklungen und das Schaffen ausländischer Kollegen, den nationalen wie internationalen Austausch zu befördern, 2. nationale Informations- und Dokumentationszentren mit dem entsprechenden Informationsmaterial zu beliefern und 3. ihre Mitgliedsstaaten aufzufordern, die Förde­ rung der Künste bei öffentlichen Bauvorhaben gesetzlich zu verankern. Dabei sollten als allgemein anerkannte Prinzipien gelten, dass a) Designer künstlerische Zusammen­ arbeit schätzten und wünschten, dass b) das Layout von Gebäuden derart beschaffen sein sollte, dass Kunstwerke aus Stein, Metall, Malerei, Glas, Textilien oder anderen Materialien dem Projekt insgesamt gerecht werden könnten sowie dass c) ­einerseits eine 273 Vgl. Meistermann, Georg: Um den internationalen Zusammenschluß der Künstler. Bemerkungen zu dem Kongreß der UNESCO in Venedig, in: Kulturarbeit, 4. Jg., H. 12, 1952, S. 228–230. Meistermann war neben Otto Bartning, W. Pfortner, Marie-Luise Kaschnitz und Max Unold selbst Mitglied der deutschen Delegation. Meistermann beschreibt, dass Le Corbusiers Austellungsprojekt „lebhaft diskutiert“ wurde. Obwohl es Angriffen ausgesetzt war, konnte er „zeigen, daß sein Projekt bereits die Billigung aller anwesenden Persönlichkeiten von Rang hatte.“ Zit. Meistermann, Georg in: ebd. S. 229. Le Corbusiers Einsatz für die Sythèse des Arts wird auch in dem von der UNESCO publizierten Bericht über das Arts and Letters-Programm aus dem Jahre 1954 erwähnt. Dort heißt es: „The architect Le Corusier sent an important communication in which he suggested the creation of ‘chantiers de synthèse’ (painters and sculptors) would work on building sites to synthesize their work with that of the architect.” Zit. UNESCO (Hg.): Arts and Letters. UNESCO and its programmes, Paris 1954, S. 25.

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­ ahlfreiheit bei Architekten und Künstlern und andererseits eine Akzeptanz der KanW didaten durch den Staat gewährleistet würde.274 Die Konferenz sprach die Empfehlung zur Einrichtung einer International Association for the Plastic Arts aus.275 Ferner nahm die Konferenz eine Künstler-Charta an. Diese sah 1. die Verbesserung des beruflichen Status der Künstler vor, 2. die Verbesserung ihrer Rechte durch eine finanzielle Unterstützung, 3. die Einrichtung staatlicher Verbände für Kunst und Wissenschaft, die staatlich finanziert, jedoch selbstverwaltet sein sollten, 4. auf die Bedürfnisse von Künstlern zugeschnittene Darlehen, um hohe Ausbildungs- und Materialkosten abzudecken, 5. die internationale Vertretung von Künstlern bei den Vereinten Nationen zur Wahrung ihrer Rechte sowie 6. einen internationalen Künstlerverband mit Sitz in Paris, der sich für die Interessen der Künstler einsetzte.276 Zuletzt empfahl die Konferenz der UNESCO einen permanenten Council of Arts and Letters einzurichten, der sich innerhalb der UNESCO ausschließlich um die Belange der Künstler kümmerte. Noch im Jahre 1952 schlossen die UNESCO-Mitgliedsstaaten das Welturheberrechtsabkommen zum Schutz literarischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeiten ab. Die gesellschaftliche Relevanz bzw. die Wirkmacht der Künste zur Förderung eines grundsätzlichen Verständnisses zwischen Ländern und Kulturen stufte die UNESCO sehr hoch ein. Kunst erschien als ein Medium menschlichen Ausdruckswillens, kommunikativ wertvoll und deswegen als Fundament eines neuen internationalen Wertekanons geeignet. Kunst sollte nicht nur in der UNESCO-Sparte Kultur verankert sein, sondern auch in den Bereichen Bildung und Wissenschaft eine zentrale Rolle spielen. 1954 bestätigte dies die UNESCO in ihrem Programm Arts and Letters noch einmal ausdrücklich: Die öffentliche Meinung erkennt grundsätzlich zwei Prinzipien oder Gemeinsamkeiten bezüglich Malerei, Skulptur, Musik, Architektur, Theater und Poesie an: dass a) kaum etwas anderes von höherem Wert für die Menschheit ist als die Künste; dass b) die Künste sich an alle richten; kein ökonomisches, soziales oder politisches Hindernis sollte ihre Verbreitung behindern.277

274 Vgl. Draft Resolution submitted by the Committee of Plastic Arts concerning Collaboration between Painters, Sculptors and Architects, International Conference of Artists, Venice, 26. 9. 1952, UNESCO-Archiv, UNESCO/ART/42. 275 Vgl. Report of the Resolution Committee, Venice, 27. 9. 1952, UNESCO-Archiv, ART/RAP/RES, S. 2. 276 Vgl. An Artists Charta proposed at the international conference of art and science held in Paris between 15. and 21. March 1952, UNESCO-Archiv, ART/DOC/3, 11. 8. 1952. 277 Originalzitat: „Public opinion generally admits two principles or common grounds for agreement in regard to painting, sculpture, music, architecture, the theatre or poetry: a) that there is scarcely anything of more value to humanity than the arts; b) that the arts are meant for everyone; no economic, social or political obstacle should prevent their diffusion.” Zit. nach: UNESCO (Hg.): Arts and Letters. UNESCO and its Programms, Paris 1954, S. 1.

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Demzufolge war sich die öffentliche Meinung – damit ist keine geringere als diejenige aller Mitgliedsstaaten gemeint – darüber einig, dass die Künste einen entscheidenden universalen Wert darstellten. Die Freiheit des Künstlerindividuums wurde an dieser Stelle als ein ideeller Konsens postuliert, der gegen wirtschaftliche, soziale oder gar politische Hindernisse verteidigt werden musste. Den Künsten – und gemeint sind hier die nach europäischem Kulturverständnis sogenannten „hohen Künste“ – wurde ein völkerverbindendes Moment zugeschrieben. Sie wurden zu einer Art kulturellem Code stilisiert, der quasi allen Menschen immanent war. Aus Sicht der UNESCO stellte Kunst einen vermeintlichen Schlüssel zur Wahrung des Weltfriedens dar, eine bestechend optimistische Idee, deren Prägung die politische Situation der 1950er Jahre widerspiegelte. Im Spannungsfeld der Nachkriegssysteme bot Kunst bzw. der kulturelle Austausch nicht zuletzt eine alternative Grundlage für diplomatische Beziehungen zwischen den Blockstaaten.278 Durch die bereits früh etablierten Kontakte zu Vertretern moderner Architektur und modernem Städtebau, zu Kunstkritikern und bildenden Künstlern kam die UNESCO mit dem Nachkriegsdiskurs über die ‚Synthese der Künste‘ in Berührung und machte sich dieses Konzept des Zusammenwirkens zu eigen, da es sehr gut zu ihren eigenen Prämissen einer internationalen Zusammenarbeit passte. Die Bevorzugung ausschließlich moderner Kunstwerke in ihrem neuen Hauptquartier, die eine aktuelle Einführung in die Positionen der heute klassischen Moderne darstellen sollten, wurzeln demnach auch in den frühen UNESCO-Bildungsprogrammen.

Die Umsetzung der ‚Synthèse des Arts‘ Die Teamarbeit, die als gemeinschaftlich kreativer Arbeitsprozess im Kunstkonzept vorgesehen und von den Architekten propagiert wurde, musste in der Praxis zunächst einem bürokratischen Ringen um korrekte Arbeitsabläufe und neue diplomatische Verfahren weichen. Denn neben der Forderung des Generaldirektors nach einem weiteren politischen Sondergremium, das sich mit der Kunstfrage beschäftigen sollte, zeichneten sich Finanzierungsschwierigkeiten ab. An Stelle eines kreativen Prozesses kam daher bei der Nominierung der Künstler eher ein verwaltungstechnischer Akt zustande.

278 An einer von der UNESCO vom 4.–5. März 2010 am Heidelberg Centre for American Studies durchgeführten Tagung zum Thema UNESCO and the Cold War wurde die Bedeutung der ­U NESCO als Forum diplomatischer Beziehungen der Blockstaaten explizit herausgestellt und ihre vermittelnde Rolle des internationalen Austausches zwischen Ost und West im kulturellen Bereich betont.

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Moderne Kunst versus kulturhistorische Objekte – Einrichtung eines Sondergremiums Dem Programm des integrativen Kunstkonzeptes aus dem Jahr 1951 zufolge oblag die Auswahl der Künstler den Architekten. Gemeinsam, so sah es das Programm vor, sollten sie dafür Sorge tragen, dass „das Gebäude als Ganzes, durch seine Form, seine Farbe, durch Licht und Raum zu einer Synthese aller Künste gelangt und einen geeigneten Ort für eine zeitgemäße Einführung in Malerei, Skulptur und die anderen bildenden Künste darstellt“ 279. Breuer, Nervi und Zehrfuss sowie die fünf Berater standen dem Kunstkonzept positiv gegenüber, spiegelte es doch ihre eigenen architekturtheoreti­ schen Positio­nen wider, etwa den aktuellen Diskurs der Integration von Kunstwerken in Architektur, der sich, wie aufgezeigt wurde, zu einem internationalen Phänomen zu entwickeln schien. Das UNESCO-Gebäude bot die besondere Gelegenheit eines Präzedenz­ falls, der international Beachtung finden sollte. Die künstlerische Gestaltungsfreiheit, die gemeinsam mit der UNESCO auf dem Künstlerkongress in Venedig erörtert und als internationale Forderung in die Künstlercharta aufgenommen worden war, setzten sie als selbstverständlich voraus. Beide Architektenteams teilten die Auffassung, gemeinsam die Auswahl von Künstlern und Kunstwerken vorzunehmen und das Kunstkonzept als exzeptionelles Projekt umzusetzen. In ihren Bauplänen hatten sie bereits explizit Überlegungen zu Kunstformen und deren vorteilhafter Platzierung formuliert und kalkulierten einen Ankaufsetat von 41.400.000 Francs.280 Ihre Vorstellungen von uneingeschränktem Gestaltungsrecht erfüllten sich zunächst jedoch nicht. Bereits im Mai 1953 verwies der stellvertretende Generaldirektor Taylor darauf, dass die UNESCO zukünftig mit Gastgeschenken ihrer Mitgliedsstaaten in Form von Kunstwerken, Möbeln, kunsthandwerklichen sowie kulturhistorischen Gegenständen rechnen müsse. Er erachte es deswegen als sinnvoll, rechtzeitig eine Verfahrensweise zu etablieren, die sicherstellte, dass sich diese Geschenke auch harmonisch in die Architektur einfügten. Aus diesem Grund plädiere er dafür, dem Beispiel des Völkerbundes und der Vereinten Nationen zu folgen und ein Sondergremium, ein sogenanntes Kunstberaterkomitee, zu berufen, das in Absprache mit den Architekten über die Annahme oder die Ablehnung von Kunstwerken entscheide, ihren künstlerischen Wert ermittle und über eine adäquate Platzierung im Gebäude berate. Zudem solle ein solches Gremium dem Generaldirektor Künstlerempfehlungen aussprechen.281 In zweierlei Hinsicht stand dieser Vorschlag aus Sicht der Architekten dem ­U NESCO-Kunstkonzept entgegen. Er konfrontierte die Gestalter mit der bislang unbe279 Originalzitat: „[…] the building as a whole, by its form, colour, light and space shall be a synthesis of all the arts and give a suitable place for the actual introduction of painting, sculpture and the other plastic arts.” Zit. nach: Prefatory Note on the Programme of Needs, 11. 1. 1952, ­U NESCOArchiv, HQ 5, S. 8. 280 Vgl. Breuer, Nervi, Zehrfuss: Explanatory Notes, 2. 4. 1953, UNESCO-Archiv, 9 HQ /4. 281 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 20. 5. 1953, UNESCO-Archiv, HQ 10.

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achteten Wahrscheinlichkeit, dass im neuen UNESCO-Gebäude neben zeitgenössischen Kunstwerken auch andere Kunst- und Kulturgegenstände aus ganz anderen Kontexten ausgestellt würden. Ihre Präsenz, so befürchteten die Architekten, könnte im Zusammenspiel mit den modernen Kunstformen optische Dissonanzen verursachen. Die museale Auffassung des Bauwerks als Einführung in die moderne Kunst würde somit hinfällig. Außerdem griff der Aufgabenbereich des Kunstberaterkomitees direkt in den freien Gestaltungsprozess der Architekten ein und korrigierte das integrative Kunstkonzept dahingehend, dass die Architekten nicht alleine über die Auswahl der Künstler bestimmen sollten. Die Architekten fürchteten letztlich, dass ein solches Komitee ihren Handlungsspielraum massiv einschränken könnte. In den Gremiumsdiskussionen versuchten sie deutlich zu machen, dass die Kunstwerke und der architektonische Entwurf unmittelbar zusammenhingen. Gropius sprach sich für ein Vetorecht der Architekten aus, Rogers versuchte die Delegierten davon zu überzeugen, dass es sich bei der Künstlerwahl um kein politisches, sondern um ein gestalterisches Problem handle,282 und Breuer betonte das Interesse der Architekten an dem gesamten gestalterischen Prozess und der engen Zusammenarbeit mit den Künstlern, deren Auswahl deshalb nur von ihnen getroffen werden könne.283 Gropius suchte zur Lösung dieses Problems erneut informelle Wege. Nach Aussagen Bodets hatte er bereits 1952 Gespräche über die Künstlerwahl mit ihm geführt.284 Auch in seinem Gutachten zu den überarbeiteten Plänen der Architekten vom 18.  Dezember 1953 verwies Gropius nachdrücklich darauf, dass die Künstler von den Architekten ausgewählt werden sollten: Die Wahl seiner Mitarbeiter muss einzig beim Architekten liegen, da es die Natur der ­Dinge erfordert, dass sie in engem gegenseitigem Verständnis miteinander arbeiten. Wir glauben, dass die künstlerische Autorität und die endgültige Verantwortung […] bei den drei Architekten ­l iegen muss und sie nicht dazu gezwungen werden sollten, künstlerische Beiträge anzunehmen, die sie selbst künstlerisch nicht billigen könnten. Deswegen empfehlen wir, dass die Architekten selbst ihre speziellen Vorschläge, folglich Namen von Künstlern mit denen sie zusammenarbeiten möchten, dem Kunstberaterkomitee unterbreiten und für eine finale Annahme zur Diskussion stellen.285

Auch die Delegierten des Hauptquartierkomitees zeigten sich durch den Vorschlag zur Einrichtung eines Kunstberaterkomitees zunächst irritiert und äußerten Bedenken, die 282 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 29. 6. 1953, UNESCO-Archiv, HQ 11, S. 5. 283 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 26. 2. 1954, UNESCO-Archiv, 14 HQ , S. 7. 284 Vgl. Protololl der Hauptquartierkomiteesitzung vom 29. 6. 1953, UNESCO-Archiv, HQ 11/SR.1, S. 4. 285 Originalzitat Walter Gropius: „The choice of his collaborators must be left to the architect himself, since the very nature of their contribution requires that they and the architect shall be closely in sympathy. We believe that […] the artistic authority and the last responsibility […] must lie with the three architects and that they should not be forced into accepting any artistic contributions which they would not feel able artistically to endorse. May we therefore recommend that the architects are asked themselves to submit specific proposals and accordingly names of artists they would like to work with to the Committee of Art Advisers for discussion and final agreement.” Zit. nach: Bericht der fünf Architekten an den Generaldirektor vom 18. 12. 1953, UNESCO-Archiv, 14 HQ /2.

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allerdings in eine andere Richtung gingen. Sie hielten es für riskant, einen diplomatisch heiklen Sachverhalt, wie das Ablehnen von Gastgeschenken, einem Expertenkomitee zu überlassen, das sich der politischen Tragweite eines Einzelfalles womöglich nicht bewusst sei. Im Übrigen hielten sie auch die Architekten mit einer solchen politischen Verantwortung für überfordert. Das Zurückweisen von Kunstwerken sollte alleine der Generalkonferenz, dem Exekutivrat, dem Generaldirektor oder dem Hauptquartier­ komitee vorbehalten sein.286 In ihrem Resolutionsentwurf für die Generalversammlung einigte sich das Hauptquartierkomitee schließlich darauf, dass sich das Kunstberaterkomitee aus einem Vertreter ihres eigenen Gremiums, einem Vertreter des Architektenberaterteams, einem Vertreter der ausführenden Architekten und drei Künstlern oder Kunstkritikern zusammensetzen sollte.287 Demnach wären alle Interessengruppen in diesem Sondergremium vertreten und könnten ihre Stimme geltend machen. Von Mai 1953 bis März 1954 diskutierte das Hauptquartierkomitee in langwierigen Sitzungen über geeignete Nominierungsverfahren für die drei externen Kunstberater. Um das Verfahren möglichst demokratisch zu gestalten, holten sie Vorschläge der einzelnen Mitgliedsstaaten ein und erstellten eine Nominierungsliste mit annähernd 100 Namen von Kunsthistorikern, Künstlern und Architekten.288 Auch die beiden Architektenteams fühlten sich aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten, schließlich hing ihre Stimmenmehrheit innerhalb des Kunstberaterkomitees von diesen Experten ab. Und so sprachen sich Breuer, Nervi und Zehrfuss für die Kandidaten James Johnson Sweeney289, Herbert Read, Jean C ­ assou, ­Giulio Carlo Argan290, André Malraux, Joseph-Emile Muller291 und Aline Louchheim-­ Saarinen aus. Der neue Generaldirektor Luther Evans, im Juli 1953 in das Amt gewählt, orientierte sich hingegen an der politisch korrekten, aber unbürokratischen Lösung, die bereits sein Vorgänger Bodet bei der Wahl der Architektenberater angewandt hatte. Diese sah vor, 286 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 29. 6. 1953, UNESCO-Archiv, HQ 11, S. 4 f. 287 Vgl. Resolutionsentwurf des Hauptquartierkomitees vom 18. 6. 1953, UNESCO-Archiv, HQ 11/3. 288 Vgl. Candidatures soumises par les Gouvernements ou les Commissions internationals pour l’­U NESCO en vue de la Nomination des Members du Comité des Conseillier artistiques, 19. 3. 1954, UNESCO-Archiv, 15 HQ /4 Annexe I. 289 Der amerikanische Kunstkritiker Sweeney war von 1935 bis 1946 Direktor des Museum of Modern Art, von 1952 bis 1960 zweiter Direktor des Solomon R. Guggenheim Museums und ein ausgewiesener Experte der Modernen Kunst. 290 Giulio Carlo Argan war ein italienischer Kunsthistoriker, ab 1934 Privatdozent an der Universität Turin, danach Direktor des Museums in Modena und ab 1955 Professor für mittelalterliche und neuere Kunstgeschichte an der Universität Palermo. Argan war ausgewiesener Experte für italienische Malerei der Renaissance. Als Beteiligter beim Venedig-Kongress 1952 verfügte er sowohl über Kontakte zur UNESCO als auch zu den Architekten. Argan verfasste 1955 eine Biographie über Pier Luigi Nervi, 1957 eine Biographie über Marcel Breuer und 1962 eine Biographie über Walter Gropius. 291 Emile Muller war ein luxemburgischer Kunsthistoriker, der sich vorwiegend Künstlern der klassischen Moderne widmete. Er war Mitglied des Komitees der IAAC.

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zwei der UNESCO nahestehende NGOs mit einzubeziehen und zwar die 1950 unter der Schirmherrschaft der UNESCO gegründete International Association of Art Critics (IAAC) und die International Association of Plastic Arts (IAPA), die sich in unmittelbarer Folge auf den Künstlerkongress in Venedig wenige Monate zuvor konstituiert hatte. Ihre Vorsitzenden sollten dem Gremium beiwohnen und zwei zusätzliche Persönlichkeiten aus der Kunstwelt nominieren.292 Herbe Kritik erntete dieser Vorschlag von Seiten des Hauptquartierkomitees: diese NGOs seien den wenigsten Mitgliedern bekannt, so der Einspruch der Delegierten. Sie hätten aufgrund ihrer Neugründung viel zu wenig Profil und seien darüber hinaus gänzlich europäisch besetzt. Der gesamte asiatische Kontinent sei durch sie nicht vertreten.293 Evans setzte seinen Willen gegen das Komitee mit der Begründung durch, dass bereits gute Kooperationen mit beiden Organisationen bestünden und ihre inhaltlichen Schwerpunkte zudem die wichtige Frage der Integration der Künste in die Architektur beinhalteten. Beide Organisationen sandten ihm Namenslisten mit insgesamt 27 Kandidaten zu. Der Generaldirektor stellte schließlich für das Hauptquartierkomitee eine Auswahlliste zusammen, die einerseits den sieben Kandidatenvorschlägen der Architekten folgte und diese um drei weitere Personen aus den Listen der beiden NGOs ergänzte, nämlich den langjährigen Chefkurator des Brüsseler Königlichen Museums für Schöne Künste und Vorsitzenden der IAAC Paul Fierens, den Schweizer Kunsthistoriker Pierre Courthion (Mitglied der IAPA) und den Direktor des Prado Francisco Sanchez Canton. Die Tatsache, dass die Vorschlagsliste des Generaldirektors ausschließlich Vertreter europäischer und nordamerikanischer Nationen berücksichtigte, verursachte eine grundlegende Debatte innerhalb des Hauptquartierkomitees um die kulturelle Dominanz westlicher Positionen.294 Zunächst empörten sich die Delegierten Indiens und Pakistans über die offensichtliche westliche Ausrichtung der Expertenliste.295 Tatsächlich waren die Vorschläge der Mitgliedsstaaten Israel, Irak, Libyen, Pakistan, Indien und Japan erst gar nicht in Betracht gezogen worden. Der pakistanische Delegierte Muhammed Ikramullah konnte dieses Vorgehen nicht nachvollziehen. Seiner Ansicht nach hätte es eine Selbstverständlichkeit sein müssen, einen Repräsentanten aus dem östlichen Teil der Welt zu nominieren.296 Das Argument des stellvertretenden Generaldirektors eine geographische Nähe zu Paris sei dem Finanzhaushalt der UNESCO dienlich, ließen die Delegierten nicht gelten. Die indische Vertreterin Muthamma betonte, dass die europäische Kultur die Grenzen ihres Kontinentes überschritten hätte, dies bedeute jedoch

292 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 20.  5.  1953, UNESCO-Archiv, HQ 10. Vgl. auch: Resolutionsentwurf vom 5. 11. 1953: Procedure for the Appointment of Art Advisers, ­U NESCO-Archiv, HQ 13/5. 293 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 26. 11. 1953, UNESCO-Archiv, HQ. 13. 294 Vgl. Protokoll der Hauptquartierkomiteesitzung vom 26. 3. 1954, UNESCO-Archiv, HQ 15. 295 Vgl. ebd., S. 3. 296 Vgl. ebd.

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nicht, dass östliches Wissen auf die östlichen Völker beschränkt bleiben sollte.297 Der Diskussionsverlauf gestaltete sich als diplomatisches Ringen um kulturelle Anerkennung und um eine gerechte geographische Verteilung der Experten. Er zeigt deutlich, wie schwer es den europäischen und amerikanischen Vertretern fiel, die politische Tragweite dieses Problems um eine kulturelle Dominanz zu erkennen. So verfehlte die Forderung des griechischen Delegierten Alex Photiades, man müsse endlich aufhören in Kulturen zu denken, da sie im Kontext des neuen Gebäudes bedeutungslos seien, genauso den Kernpunkt der Kritik wie die lapidaren Rechtfertigungsversuche des Brasilianers Carneiro, dass ein UNESCO-Gebäude im Osten wahrscheinlich von östlichen Experten gebaut worden wäre, ein Bau im Westen hingegen westlichen Rat benötige.298 Auch die Beschwichtigungen des französischen Delegierten Valeur, man müsse rasch auf das Wesentliche zurückkommen, respektive die Einheit des Kunstkonzeptes garantierten, negierte das Anliegen der asiatischen Delegierten. Mit ihrer Kritik am Nominierungsverfahren hinterfragten sie nicht zuletzt den hegemonialen Anspruch des Westens auf einen internationalen Kulturbegriff, der sich auch im Baukonzept widerspiegelte. Eine diplomatische Lösung im Falle des Kunstberaterkomitees strebte der spanische Delegierte Rojas mit dem Vorschlag an, dort die „Hauptkulturen“ vertreten sein zu lassen. Er fände es auch nicht wünschenswert, wenn Spanien, das sowohl die iberische wie auch die gesamte lateinamerikanische Kultur vertrete, nicht dabei wäre.299 Auch diese Haltung zeugt von kultureller Vorherrschaft und letztlich kolonialistischem Denken. Eine Einigung führte der stellvertretende Generaldirektor Thomas mit dem Vorschlag herbei, es sei wichtig, die Zusammenarbeit der drei großen Kontinente E ­ uropa, Amerika und Asien zu empfehlen. Die Nominierung eines asiatischen Experten solle einen symbolischen Beitrag des Ostens sichern, schließlich ginge es nicht darum, östliche Architektur­konzepte in das Gebäude einzuführen.300 Am Ende sah der Text des offiziel­ len Berichts des Hauptquartierkomitees über die Wahl der Kunstexperten vor, dass drei der vier Nominierungen die französische, spanische und angelsächsische Kultur­ tradition vertreten müsse, wohingegen der vierte Kunstexperte von der Liste der asia­ tischen Mitgliedsstaaten ausgewählt werden solle. 301 Der Generaldirektor nominierte schließlich den französischen Kunstkritiker und Chefkurator des Pariser Musée d’Art Moderne Jean Cassou, den spanischen Vizedirektor des Prado und Mitglied der spani­ schen National­kommission der UNESCO Francisco Javier Sanchez Canton, den briti­ schen Kunsthistoriker Sir Herbert Read sowie den indischen Kunstkritiker Shahial Suhrawardy. Jean ­Cassou musste dem Generalsekretär eine Absage erteilen, woraufhin er von George Salles vertreten wurde. 302 297 298 299 300 301 302

Vgl. ebd., S. 5. Vgl. ebd., S. 6 f. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 9. Vgl. Membership of Art Adviser Committee vom 14. 6. 1954, UNESCO-Archiv, 16 HQ /3. Vgl. ebd.

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Der Aufgabenbereich des Kunstberaterkomitees wurde durch eine Resolution präzise definiert. Es sollte zunächst einen Generalplan für die künstlerische Gestaltung des Gebäudes erstellen, der sicherstellte, „dass eine harmonische Integration der dekorativen Elemente in das architektonische Ganze“303 stattfand. Ferner bestand seine Aufgabe darin, dem Generaldirektor Empfehlungen für Künstler auszusprechen, die damit beauftragt wurden, Werke für die von den Architekten vorgesehenen Standorte anzufertigen. Ein weites Arbeitsfeld bestand in der Begutachtung sämtlicher Kunst-, Möbelund Materialspenden der Mitgliedsstaaten, zu denen der Generaldirektor aufgerufen hatte. Dabei sollte das Kunstberaterkomitee geeignete Verfahrensweisen etablieren, um zukünftig auch Kunstwerke ablehnen zu können. 304 Konsensentscheidungen im Kunstberaterkomitee Das Kunstberaterkomitee trat während der Bauphase des UNESCO-Gebäudes zwischen Mai 1955 und Oktober 1957 zu vier regulären Sitzungen in Paris zusammen. An zwei Sondersitzungen nahmen lediglich die Architekten, der Generaldirektor und George Salles teil. Die Protokolle dieser Sitzungen geben leider nicht wie im Falle der Hauptquartierkomiteesprotokolle dezidierte Diskussionsinhalte wieder, sondern legen in knappen Zusammenfassungen lediglich die Entscheidungen des Gremiums offen. Eine Analyse der Einflussbereiche einzelner Akteursgruppen erweist sich deswegen als erheblich schwieriger. Die Zügigkeit der gefassten Entscheidungen lässt jedoch auf eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Gremiumsmitgliedern schließen. Dem Komitee stand gemäß Resolution 13.2 der Venezuelanische Delegierte Dr. ­Caracciolo Parra-Perez vor, als sein Vertreter wurde George Salles gewählt. ­Marcel Breuer nahm die Aufgabe des Protokollführers an. Bereits nach dem ersten dreitägigen Treffen vom 16. bis 18. Mai 1955 hatten sich die Experten auf sämtliche Künstler inklusive deren Stellvertreter im Falle einer Absage verständigt.305 Einen Plan mit geeigneten Orten für die Kunstwerke hatten die Architekten im Rahmen des Entwurfs­prozesses bereits ausgearbeitet. Während der ersten Kunstberaterkomiteesitzung stellte Breuer eine erweiterte Fassung vor, in der bereits mögliche Kunstwerke bzw. Kunstgattungen vorgesehen waren. Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass die Architekten explizite Vorstellungen von denjenigen Künstlern besaßen, die sie an der Gebäudegestaltung beteiligen wollten. So planten sie für den exponiertesten Platz vor dem Haupteingang auf der teilbegrünten großen Piazza eine Skulptur „von monumentalem Charakter“, die „ein r­epräsentatives

303 Zit.: Resolution 13.21 der Generalkonferenz von 1955, in: General Information and Questions concerning the procedure for commissioning Works and the Consideration of Offices, ­U NESCO-Archiv, UNESCO/1.CCA/7. 304 Vgl. ebd., S. 1 ff. 305 Vgl. Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung vom 15. 5. – 18. 5. 1955, UNESCO-Archiv, 1 CCA.

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Werk zeitgenössischer Kunst“ verkörpern sollte.306 Die erste Wahl des Komitees fiel auf den Bildhauer Henry Moore. Im Falle seiner Absage sollten Naum Gabo oder Antoine Pevsner angefragt werden. Ein zweites großes Kunstwerk war vor der Salle des Pas Perdus geplant. Die Architekten sahen hier eine bunte Steinmauer vor, etwa mit Keramik­ reliefs, die entweder Fernand Léger, Joan Miró oder Tino Nivola ausführen sollte. Nachdem Léger im Frühjahr 1955 plötzlich verstarb, ging der Auftrag an Miró. Eine stabile Konstruktion für die Flaggen der Mitgliedsstaaten auf der Piazza in Form eines rotierbaren Mobiles sollte Alexander Calder ausführen. Diese Idee, die laut Protokoll von den Komiteemitgliedern begeistert aufgenommen wurde, musste aus unerfindlichen Gründen wieder fallen gelassen werden. Alexander Calder erhielt dennoch den Auftrag für eine Großplastik im Garten der Delegierten.307 An der Außenwand der Bibliothek, neben dem Eingangsbereich des Sekretariats, planten die Architekten ein großes Wandbild bzw. ein Relief entweder von Jean Arp, Tino Nivola oder Isamu Noguchi. Der erstnominierte Arp stimmte dem Auftrag zu. Ferner sahen die Architekten ein einheitliches Beschilderungssystem für alle Gebäude, Säle und Räume vor. Diese Aufgabe, die ihrer Ansicht nach eine „Herausforderung von größter künstlerischer Wichtigkeit“308 darstelle, könne nur an einen Spezialisten vergeben werden. Einen solchen sah Marcel Breuer in seinem ehemaligen Bauhausgefährten Herbert Bayer.309 Für die Gestaltung des Delegiertenhofes planten die Architekten einen japanischen Garten. Hierfür waren Isamu Noguchi, Tino Nivola oder Robert Burle Marx nominiert, wobei Noguchi den Auftrag annahm. Die Lobby des Konferenzgebäudes, einer der repräsentativsten Orte im Gebäude, sollte ein riesiges Wandgemälde oder Wandmosaik zieren. „Diese Position bietet in der Tat eine einzigartige Möglichkeit um ein Kunstwerk von einem der großen Meister zeitgenössischer Kunst zu erwerben“310, lautete die Empfehlung der Architekten. Ihre erste Wahl fiel auf Pablo Picasso, die zweite auf Miró und die dritte auf Léger. Picasso willigte in den Auftrag ein. Die Letzteren waren bereits gemeinsam für die Steinwand der Piazza nominiert worden. Solche Mehrfachnennungen, so auch Tino Nivola (3x) und Isamu Noguchi (2x) verdeutlichen, dass die Architekten von vorn herein alle Möglichkeiten ausloteten, um diese Kollegen in jedem Fall mit einem Werk zu beauftragen. Im siebten Stock des Sekretariatsgebäudes, in dem sich Cafeteria, Bar, Restaurants und Erholungsterrassen befanden, sollten mehrere Gemälde, ­Mosaike, Reliefs, Skulpturen oder Fontänen untergebracht werden. Hier beschloss das Kunst­beraterkomitee, dass jüngeren und noch wenig 306 Zit. aus dem Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung vom 15. 5. – 18. 5. 1955, ­U NESCOArchiv, 1 CCA/8, S. 2. 307 Vgl. Protokoll der zweiten Kunstberaterkomiteesitzung vom 3. 11. – 4. 11. 1955, UNESCO-Archiv, 2 CCA/5, S. 1 ff. 308 Zit. nach: Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung vom 15. 5. – 18. 5. 1955, UNESCOArchiv, 1 CCA/8, S. 3. 309 Die UNESCO stimmte diesem Projekt aus unerfindlichen Gründen jedoch lange Zeit nicht zu, so dass es erst einige Jahre später von Nizzoli ausgeführt wurde. 310 Zit. nach: Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung vom 15. 5. – 18. 5. 1955, UNESCOArchiv, 1 CCA/8, S. 3.

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bekannten Künstlern unterschiedlicher Nationalität die Möglichkeit für kleinere Arbeiten gegeben werden sollte.311 Zur Auswahl dieser Künstler zog das Komitee zeitweilig einen Wettbewerb in Betracht, verwarf diese Idee jedoch aus Kostengründen. Schließlich empfahl es dem Generaldirektor, eine Nominierungsliste mit 15 bis 20 Namen von der International Association of Art Critics (IAAC) zusammenstellen zu lassen. Aus dieser Liste312 wählten schließlich George Salles und Herbert Read vier Maler aus: den Mexikaner Rufino Tamayo (1899–1991), den Holländer Karel Appel (1921–2006), den Chilenen Roberto Matta (1911–2002) und den Italiener Afro Basaldella (1912–1976).313 Die Anfrage bei den Künstlern, so das Protokoll, erfolgte zunächst inoffiziell und auf persönlichem Wege über Marcel Breuer und George Salles.314 Bis zur zweiten Sitzung im November hatte Salles erfolgreich Zusagen von Arp, Miró, Moore und Picasso, Breuer eine vorläufige Zustimmung von Isamu Noguchi. Der auf 121.000 US-Dollar angesetzte Ankaufsetat, der nicht nur für die Kunstwerke, sondern auch für die Ausstattung des Gebäudes ausreichen sollte, erwies sich bald als völlig unzureichend. Um Kosten zu sparen, zog das Komitee zunächst in Erwägung, mit den jeweiligen Herkunftsländern der Künstler über eine mögliche Schenkung zu verhandeln. Diese Möglichkeit schien nicht gegeben. In ihrer Empfehlung an General­direktor Evans zur Vorlage bei der Generalkonferenz baten sie um eine Aufstockung der Ankaufsumme mit dem Verweis, dass den Baugesetzen zahlreicher Länder folgend, die Ausgaben für die Gebäudedekoration etwa zwei bis zehn Prozent des gesamten Kosten­ volumens eines öffentlichen Bauwerks betragen sollten. Diese zwei Prozent seien im Falle des U ­ NESCO-Projektes noch längst nicht erreicht.315 In ihrer zweiten Sitzungsrunde vom 3. bis 4. November 1955 wird die dramatische Finanzsituation offenbar. Das Kunstberaterkomitee legte die Künstlerhonorare fest und stellte eine vorläufige Kostenkalkulation für die Ausführung der Kunstwerke (Material- und Transportkosten) auf.316 311 Vgl. ebd., S. 5. 312 Die Liste beinhaltet folgende Namen: Theodor Werner (D), Karl Schmidt-Rottluff (D), Paul Delvaux (BE), Roger Dudant (BE), Roberto Matta (Chile), Wilfredo Lam (Kuba), Mark Tobee (USA), Bazaine (F), Manessier (F), Etienne Martin (F), Graham Sutherland (GB), Ben Nicholson (GB), Ivon Hitchens (GB), Costa Coulentianos (GR), Karel Appel (NL), Birolli (I), Santomaso (I), Rufino Tamayo (Mex), Giacometti (CH), Lubarda (Yugosl.). Vgl. Association International des Critiques d’A rt, Artistes proposé, 3. 8. 1956, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 313 Vgl. Liste des Artistes choisis par Georges Salles et Sir Herbert Read pour décoration du 7étage, 6. 7. 1955, UNESCO-Archiv BNZ 16. 314 Vgl. Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung vom 15. 5.–18. 5. 1955. UNESCO-Archiv, 1 CCA/8, S. 5. 315 Vgl. ebd., S. 6. 316 Laut Liste waren folgende Vergütungen vorgesehen: Jean Arp: 5000  $ Honorar, 5000  $ Ausführung; Alexander Calder: 5000 $ Honorar, ohne Angabe der Ausführungskosten; Joan Mirò: 10.000 $ Honorar, 10.000  $ Ausführung; Henry Moore: 10.000  $ Honorar, 35.000  $ Ausführung; Isamu Noguchi: 5000  $ Honorar, ohne Angaben der Ausführungskosten; Pablo Picasso: 10.000  $ Honorar, 4000  $ Ausführung; Bayer/Nizzoli: 10.000  $ Honorar, keine Angaben der Ausführungskosten. Vgl. Protokoll der zweiten Kunstberaterkomiteesitzung, 3. 11.–4. 11. 1955, ­U NESCO-Archiv, 2 CCA/5, S. 2.

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Diese beliefen sich bereits auf 109.000  $. Der Restbetrag von 12.000  $ konnte in keinem Fall die gesamte Möblierung des Gebäudes decken. Marcel Breuer schlug daraufhin vor, neun Komiteeräume sowie die Presseräume durch die Mitgliedsstaaten ausstatten zu lassen. Um Einheitlichkeit sicherzustellen, empfahl er nur solche Länder auszuwählen, „die berühmt waren für ihre lange Tradition der Innendekoration“317. Das Komitee empfahl dem Generaldirektor daraufhin die Staaten Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Schweden, die Schweiz und die USA. Diese Auswahl europäischer Länder und der USA geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Einfluss Breuers zurück, der als ausführender Architekt nicht nur verantwortlich für die Möblierung war, sondern an dieser Stelle als einziger einschlägiger Experte in Sachen modernes Design anzu­sehen ist. Die nominierten Mitgliedsstaaten willigten alle in diese kleinen Prestige­ projekte ein. Sie scheuten keine Kosten, die Räume, die schließlich den Namen der Nation tragen sollten, tatsächlich von renommierten Architekten und Designern gestalten zu lassen. So gestaltete Johannes Krahn einen „Salle Allemande“. Hans J. Wegner, Meister des dänischen Stuhldesign, konzipierte einen „Dänischen Raum“. Der International Council des Museum of Modern Art finanzierte gleich zwei Räume für die USA und ließ diese von Philip Johnson ausstatten. Italien beauftragte Ernesto Rogers, die Niederlande Gerrit Rietveld, Schweden Sven Markelius und die Schweiz die Brüder Haussmann.318 Für die Möblierung der Büros, des siebten Stocks und der übrigen Komiteeräume beauftragte Marcel Breuer die Züricher Firma Wohnbedarf und die New Yorker Firma Hans G. Knoll Associates.319 Bei beiden Unternehmen griff er auf sein persönliches Beziehungsnetz zurück. So war die Wohnbedarf AG 1931 von Werner Max Moser, Sigfried Giedion und Rudolf Graber gegründet worden. Breuer wie auch andere Architekten und Künstler (etwa Alvar Aalto, Le Corbusier, Max Bill, Ludwig Mies van der Rohe und Alfred Roth), hatten dort Anfang der 1930er Jahre ihre Möbelentwürfe fertigen und vertreiben lassen. Breuer selbst gestaltete 1933 die neuen Verkaufsräume des Unternehmens in der Züricher Talstraße. Seit 1947 arbeitete Wohnbedarf mit der US-amerikanischen Firma Hans G. Knoll Associates Inc. in New York zusammen.320 Wie aus Korrespondenzen Breuers mit beiden Firmen hervorgeht wählte er unterschiedliche Tisch- und Stuhlmodelle sowohl aus seiner eigenen Kollektion als auch aus derjenigen von Eero Saarinen aus.321 317 Zit. nach: Protokoll der der zweiten Kunstberaterkomiteesitzung vom 3. 11.–4. 11. 1956, ­U NESCOArchiv, 2 CCA/5, S. 4. 318 Vgl. Protokoll der vierten Kunstberaterkomiteesitzung vom 21. 10.–22. 10. 1957, UNESCO-Archiv, 4CCA/4, S. 7. 319 Vgl. Korrespondenzen Breuers mit beiden Firmen. Smithsonian Institutions, Archives of American Art, Marcel Breuer, UNESCO/Paris, chronological correspondence, March–August 1957, B 11, R 5722, F 1314–1361. 320 Für die Firmengeschichte der Firma Wohnbedarf vgl.: http://www.wohnbedarf.ch/de/jub/, zugegriffen am 23. 1. 2012. 321 Vgl. Brief Marcel Breuer an Herman Vieco vom 12. 2. 1958, Smithsonian Institutions, Archives of American Art, Marcel Breuer, UNESCO/Paris, chronological correspondence, Jan.–June 1958, B 12, R 5723, F 61.

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Dabei stimmte er sich weniger mit dem Kunstberaterkomitee als vielmehr mit Bernard Zehrfuss und der UNESCO-Administration ab. Um einem kunsthandwerklichen Sammelsurium durch die zahlreich erwarteten Kunstspenden entgegenzuwirken, verständigte sich das Komitee darauf, dass einzelne Werke möglichst dem sogenannten Genre „antiker Volkskunst“ entspringen sollten. Die Expertenrunde begründete diese Einschränkung mit dem Argument einer musealen Funktion. Durch solche Objekte könne eine historische Kontinuität der Weltkultur im Gebäude aufgezeigt werden. Die zeitgenössische Kunst sei schließlich durch das Kunstkonzept bereits adäquat vertreten.322 Dem Aufruf des Generaldirektors folgend machten 21 Mitgliedsstaaten bis zur dritten Sitzung des Kunstberaterkomitees vom 1. bis 3. Oktober 1956 definitive Zusagen über Materialspenden und Kunstschenkungen. So versprach Australien eine Holzlieferung für Auskleidungsarbeiten bzw. zur Anfertigung von Möbeln. Ägypten stellte zwei Repliken (König Rha-Hotep und seine Frau sowie eine pharaonische Stele mit Alltagsmotiven der Jagd, Warenproduktion, Agrikultur, Sport und kultische Szenen) nach antiken Reliefs in Aussicht und erbat die Gestaltung eines ägyptischen Raumes in einem ägyptisch-islamischen Stil. Indien bot ebenfalls zwei wertvolle Repliken an (die Kopie eines berühmten Freskos aus Ajanta und die Kopie eines Löwenkapitels oder des Kapitels des Rampurva Bullen). Indonesien sagte kunsthandwerkliche Gegenstände zu. Israel versprach finanzielle Unterstützung und stellte eine kleine Sammlung archäologischer Funde (Glas- und Tonwaren sowie Münzen) zur Verfügung, die in einem Schaukasten gezeigt werden sollten. Neuseeland bot Maori-Schnitzarbeiten an, die sie von einem berühmten Schnitzer des Dominion Museum in Wellington anfertigen ließ. Jugoslawien bot Kopien mittelalterlicher Fresken an. Die Türkei hingegen wollte nicht mit Kunsthandwerk, sondern mit moderner zeitgenössischer Kunst vertreten sein und unterstützte die Nominierung zweier türkischer Maler, die auf der Liste der IAAC für die Gestaltung des siebten Stocks vorgesehen waren. Mit der Begründung, dass moderne türkische Malerei in Europa noch gänzlich unbekannt sei, wünschte sich die Türkei die Maler Nurulla Berk und Turgut Zaim zu beteiligen. Diese Bitte lehnten die Kunstberater jedoch ab.323 Des Weiteren lagen einige Spendenangebote privater Initiatoren vor. Diese werden in den Dokumenten jedoch nicht alle namentlich genannt. So heißt es etwa in dem Dokument Offers or Proposals from Private Sources über eine Spende zur Möblierung und Dekoration der Bibliothek: „An unofficial approach has been made to Unesco by a well known person who is considering making this gift to the Organization”. 324 Ver322 Vgl. Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung vom 15. 5.–18. 5. 1955, UNESCO-Archiv, 1 CCA/8, S. 4. 323 Vgl. Protokoll der dritten Kunstberaterkomiteesitzung vom 1. 10.–3. 10. 1956 unter: Replies of Member States, UNESCO-Archiv, 3 CCA/7. 324 Zit. nach: Protokoll der dritten Kunstberaterkomiteesitzung vom 1. 10.–3. 10. 1956, UNESCO-­ Archiv, 3 CCA/8, S. 1.

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mutlich handelte es sich hierbei um eine Spende Nelson Rockefellers, dessen Familie bereits dem Völkerbundpalast in Genf eine Bibliothek und dem UN-Hauptquartier in New York den Bauplatz gestiftet hatte. Laura Dreifuss-Barney, Witwe des ersten französischen Bahai Hippolyte Dreifuss-Barney, bot dem Generaldirektor die Schenkung eines flämischen Wandteppichs aus dem 17.  Jahrhundert an – mit Krieg- und Friedensmotiv. Der litauisch stämmige und in Boulogne-sur-Seine lebende jüdische Bildhauer Nathan Imenitoff bot einen fünfarmigen Kandelaber mit einem Emblem mit dem Thema „Union aller Menschen“ an. Zwei israelische Künstler, das Ehepaar Otto Naftali Schneid und Miriam Schneid setzten sich für die Errichtung eines „Monumentes der verschwundenen Nationen“ ein. Noch sieben weitere weitestgehend unbekannte Künstler stellten Kunstschenkungen in Aussicht. 325 Alle diese Beispiele verdeutlichen die große Anziehungskraft, die die UNESCO als internationale Kultur­ organisation sowie das kommende Gebäude auf Zeitgenossen und Künstler ausübte und zu großzügigen Stiftungen anregte. Dies brachte die Architekten und Kunst­ experten jedoch immer wieder in den Zwiespalt, dass diese Objekte dem ursprünglichen Konzept möglicherweise nicht zuträglich waren. An ihrer letzten Komiteesitzungsrunde vom 21. bis 22. Oktober 1957 problematisierten sie, dass es zukünftig in jedem Falle zu vermeiden gelte, dem Gebäude den Charakter einer Weltausstellung zu verleihen. 326 Emotional eindrücklich und zugleich schwer deutbar ist ein Brief der Witwe Fernand Légers an Generaldirektor Luther Evans vom 24. Februar 1956.327 Hoch pathetisch schildert die Dame darin, dass es das letzte große Anliegen ihres Mannes gewesen sei, mit einem Werk im neuen UNESCO-Gebäude vertreten zu sein. Während der letzten Stunden seines Lebens hätte er ihr gegenüber mehrmals geäußert, dass es sein Traum sei, der UNESCO Mosaik- oder Keramikarbeiten anzubieten. Obwohl er keine Skizzen mehr für die UNESCO angefertigt hätte, lägen noch über 30 Pläne seines Werkes für die Vereinten Nationen vor, von denen eines ausgeführt worden sei. Da sie selbst 30 Jahre lang als Assistentin sein Atelier geleitet und zahlreiche Werke zur Ausführung angewiesen hatte, stelle dies auch für das UENSCO-Gebäude keine Schwierigkeit dar. Anbei sende sie dem Generaldirektor einige unbekannte und unveröffentlichte Entwürfe, von denen er eine Gouache auswählen solle, die dann in das Eigentum der UNESCO überginge. Der Verkauf der Gouache, könne die Fertigungskosten des Werkes decken. 328 Obwohl Léger

325 Vgl. Protokoll der dritten Kunstberaterkomiteesitzung vom 1. 10.–3. 10. 1956, UNESCO-Archiv, 3 CCA/8. 326 Vgl. Protokoll der vierten Kunstberaterkomiteesitzung vom 21. 10.–22. 10. 1957, UNESCO-Archiv, 4 CCA/4, S. 8. 327 Vgl. Brief von Mme. Léger an Generaldirektor Luther Evans vom 24. 2. 1956, als Annexdokument dem Protokoll der dritten Kunstberaterkomiteesitzung vom 1. 10.–3. 10. 1956 beigefügt, ­U NESCOArchiv, 3 CCA/9. 328 Vgl. Protokoll der dritten Kunstberaterkomiteesitzung vom 1. 10.–3. 10. 1956, UNESCO-Archiv, 3 CCA/9, S. 2.

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von den Architekten mehrfach vorgesehen gewesen war und er sich sowohl in Le Corbusiers Association als auch am UNESCO-Künstlerkongress beteiligt hatte, fand das Anliegen der Künstlergattin kein Gehör.

Exkurs: Der Appell Julian Huxleys an das Kunstberaterkomitee Am 3. November 1955 sandte der ehemalige Generaldirektor der UNESCO Julian Huxley ein Memorandum mit dem Titel Works of Art in UNESCO House an den Vorsitzenden des Kunstberaterkomitees Dr. Caracciolo Parra-Perez. Darin brachte er seine persönlichen Vorstellungen über Funktionen von Kunstwerken im Allgemeinen und die besondere Kohärenz für die Kunstwerke im neuen UNESCO-Gebäude zum Ausdruck. 329 An dieser Stelle soll kurz auf Huxleys Memorandum eingegangen werden, da darin eine konkrete Erwartungshaltung an die Kunstwerke formuliert wird. Seine Auffassung kann dabei stellvertretend für die vieler Zeitgenossen angesehen werden. Das Memorandum besteht aus zwei Teilen. Zunächst geht Huxley darin auf mögliche gesellschaftsrelevante Funktionen von Kunstwerken ein, danach stellt er direkte Bezüge zu möglichen Bildinhalten der UNESCO-Kunst her. Grundsätzlich vertritt er die Ansicht, dass die für öffentliche Gebäude intendierten Kunstwerke eine eigene Bedeutungsebene gegenüber der Architektur einnehmen müssten. Die zu erfüllenden Funktionen seien 1. die Interpretation menschlicher Erfahrung bzw. davon abgeleitete Aspekte sowie bedeutende Ideen, 2. das Gedenken besonderer Ereignisse, Institutionen oder Personen, 3. das Zelebrieren wiederkehrender Ereignisse oder Rituale, 4. der individuelle oder emotionale Ausdruck eines Künstlers oder des allgemeinen Zeitgeistes sowie 5. die reine Dekoration. 330 Diese Funktionen, so Huxley, seien selten voneinander abzugrenzen und spielten in einem Kunstwerk oftmals zusammen. Zur Erläuterung führt er herausragende Beispiele an, etwa Michelangelos Decken­ f resken der Sixtinischen Kapelle, die sowohl religiöse Bildinhalte transportieren als auch menschliche Tugenden und Laster interpretieren. Er benennt die Skulpturen von B ­ orobodur mit ihrer Erinnerungsfunktion an das Leben Buddhas, welche zugleich symbolhaft auf religiöse Vorstellungen unterschiedlicher Seinszustände verweisen. Er spannt einen Bedeutungsbogen ausgehend von Raphaels Schule von Athen bis hin zu Diego Riveras und José Clemente Orozcos Fresken in der New Yorker School of Social Science. Dabei bleibt Huxley einem konservativen Verständnis der Aufgabe von Kunstwerken verpflichtet. Dieses setzt bei der klassischen Historienmalerei als in seiner Wertigkeit höchstgeschätzter geschichtsschreibender Gattung an und bezieht zur Veranschaulichung der zu manifestierenden Werte klassische Allegorien und Personifikationen mit ein. Tradierte ikonographische Bildinhalte und Bildbezüge stehen im ­Vordergrund. Für 329 Vgl. Julian Huxley: Works of Art in UNESCO House, 3. 11. 1955, UNESCO-Archiv, BNZ 16, S. 1–3. 330 Vgl. ebd., S. 1.

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das U ­ NESCO-Gebäude wünscht sich Huxley explizit solche Kunstwerke, die mit ihren Inhalten das Anliegen der UNESCO nämlich die Förderung internationaler Bildung, Wissenschaft und Kultur zum Ausdruck brächten. Sie müssten insbesondere dem Gründungsakt der UNESCO von 1946, als Ereignis von „beträchtlicher historischer Bedeutung in der kulturellen Entwicklung des Menschen“ 331 gewidmet sein. Huxley fordert an dieser Stelle ausdrücklich Historienbilder, die den Gründungsakt als entscheidenden weltpolitischen Wendepunkt dokumentieren. Diese Vorstellung war gänzlich unzeitgemäß angesichts längst etablierter Dokumentationsmedien wie Fotografie und Film. Zudem warnt er davor, gezielt Kunststile oder Kunsttheorien in den Vorder­g rund zu rücken. Solche Modeerscheinungen könnten bereits nach kurzer Zeit als Kurio­sität angesehen werden. Sein Fazit lautet: „Da die UNESCO eine weltweite internationale Organisation ist, hoffe ich, dass nicht nur der Hauptstrom zeitgenössischer Kunst, wie er in Paris zentriert ist, vertreten sein wird, sondern auch andere Regionen einbezogen werden.“332 Dieser Befürchtung vorbeugend benennt er zuletzt einige Künstler aus Mexico, Australien, Kanada, Haiti und Bali. Was Huxley dem Kunstberaterkomitee hier unterbreitete, stand dem Kunst­ konzept und den Umsetzungsstrategien der beteiligten Akteure diametral entgegen. Zum einen forderte das Kunstkonzept ausdrücklich den Verzicht auf traditionelle Bild­programme mit dem Passus: „[…] es bedarf mehr als eine reine bildnerische oder skulpturale Darstellung der Arbeit der UNESCO an den Wänden.“ 333 Zum anderen war durch die Maßgabe, dass das Gebäude eine ‚Synthese der Künste‘ und eine Einführung in aktuelle Positionen der Kunst darstellen sollte, bereits eine Vorauswahl getroffen. Diese wurde insbesondere durch die Wahl der Architekten und der Kunstberater maßgeblich unterstützt – allesamt waren Persönlichkeiten, die sich für die Anerkennung der vom Kubismus ausgehenden Kunstentwicklung einsetzten. Huxley, der ein Befürworter und Förderer zeitgenössischer Kunst war, wies mit seinem teilweise konservativ konnotierten Memorandum letztendlich auf die Dringlichkeit hin, Kunstwerke aller Mitgliedsstaaten einzubinden. Er sprach sich vehement gegen die Bevorzugung einer Pariser Avantgarde aus, die er mit Blick auf die UNESCO-Idee für nicht repräsentativ hielt. Abgesehen von einer kurzen Notiz, mit der Para-Perez Breuer über Huxleys Appell in Kenntnis setzte334, griff weder das Kunstberaterkomitee die von Huxley geforderte Diskussion auf noch thematisierten die Architekten oder die Künstler sie im Brief­ 331 Originalzitat Julian Huxley: „Further, the founding of Unesco in 1946 was clearly an event of considerable historical significance in man’s cultural evolution, and some of the works might well be devoted to a commemoration of this and of Unesco’s early years.” Zit. nach: ebd., S. 2. 332 Originalzitat Julian Huxley: „Finally, insofar as Unesco is a world-wide international organization, I hope that not only the central stream of contemporary art, centered on Paris, will be represented, but also other currents in other regions.” Zit. nach: ebd. 333 Vgl. ebd. 334 Vgl. Brief von Caracciolo Parra-Perez an Marcel Breuer vom 9. 12. 1955, UNESCO-Archiv, BNZ 16.

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verkehr. Gründe hierfür sind darin zu sehen, dass das Memorandum schlichtweg zu spät kam, der Bauprozess war eingeläutet, das Kunstkonzept stand bereits seit vier Jahren fest, die Künstler waren kurz zuvor nominiert und Werkverträge abgeschlossen worden. Dass die Akteure einen solchen Ratschlag einer der bedeutendsten Persönlichkeit der ­U NESCO ignorierten, verwundert dennoch. Aus dem Brief an Breuer geht hervor, dass Parra-Perez das Dokument nicht an die Mitglieder des Kunstberaterkomitees, sondern an die nominierten Künstler weiterleitete.335 Dies zeigt, dass er es zumindest für angebracht hielt, die Künstler über Huxleys Haltung zu informieren.

Die Kunstwerke im UNESCO-Gebäude: Hommage an die École de Paris? In einem Artikel der Schweizerischen Zeitschrift Graphis aus dem Jahr 1959 konstatierte der Autor über die Wahl der am UNESCO-Gebäude beteiligten Künstler: Die Mehrzahl der Künstler, die von der UNESCO zur Mitarbeit eingeladen wurden, stammt aus der École de Paris; dies gilt unbestritten für Picasso, Miró, Calder, Brassaï, Arp, Matta, Bazaine und Appel. Noguchi […] ist ein Brancusi-Schüler. […] Die ganze künstlerische Ausschmückung, die von vielen als ein unvereinbares Werk »fremder Künstler« getadelt wird, ist in Wirklichkeit die Kristallisation dessen, was die École de Paris für die ganze Welt bedeutet. Wer diesen Werken den Prozess macht, wie man es versuchte, macht der modernen Kunst überhaupt den Prozess, jener Kunst, zu deren Glanz in Paris ein Baudelaire, Rimbaud und Apollinaire beigetragen haben. 336

Mit seiner Beobachtung beantwortet der Autor die zentrale Frage nach den Auswahlkriterien. Was prädestinierte gerade sie dafür, Kunstwerke für die UNESCO anzufertigen? Mit dem Verweis auf eine Zugehörigkeit zur École de Paris337, ein Terminus, der bis Ende der 1950er Jahre lediglich die in Paris lebenden und arbeitenden Künstler bündelte, der jedoch niemals von Künstlern selbst, sondern vielmehr von Kunstkritikern benutzt wurde, liefert einen roten Faden, der abermals auf die Bedeutung der Netzwerkstrukturen zwischen Architekten und Künstlern und damit auch auf die Pariser Bewegung der ‚Synthese der Künste‘ verweist. Im folgenden Teil werden die Künstler und ihre 335 Vgl. ebd. 336 Zit. Jouffroy, Alain: UNESCO. Ein bedeutsames Werk des 20. Jahrhunderts als Zeugnis des Geistes und des Widerspruchs, in: Graphis. Internationale Zweimonatsschrift für freie Graphik und Gebrauchsgraphik, 15. Jg., Nr. 81–86, 1959, S. 139 ff. 337 Dieser heute als undifferenziert bewertete Begriff École de Paris fand erstmals in den 1920er Jahren bei André Warnod in der Zeitschrift Comoedia Verwendung. Er fasste die seit einigen Jahren am Montparnasse und Montmartre lebenden und arbeitenden französischen wie ausländischen Künstler zusammen. Die Bezeichnung École de Paris verselbständigte sich bis weit in die Nachkriegszeit und diente überproportional häufig als Ausstellungstitel oder wurde in Kunstzeitschriften benutzt obwohl er weder zwischen Gruppierungen mit eigenen Kunstauffassungen noch stilistischen Eigenheiten unterschied. Er wurde zu einer Art Label, das das gesamte Kunstschaffen der jüngeren Künstlergeneration bündelte, um es zur Abgrenzung von der neuen Kunstmetropole New York zu benutzen. Vgl. hierzu: Laure de Buzon-Vallet: Die École de Paris. Auf der Suche nach dem Inhalt eines Schlagworts, in: Ausst.-Kat. Paris 1981, Centre Georges Pompidou, S. 244–262.

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Kunstwerke vorgestellt. Dabei geht es weniger um eine ikonographische Analyse der einzelnen Arbeiten als vielmehr um den Versuch der Kontextualisierung dieser Künstler im Beziehungsgeflecht der UNESCO-Akteure. Die Arbeiten werden zwar übergreifend auf ihren inhaltlichen Bezug zur UNESCO und ihrer Politik hin befragt, meist ergeben sich jedoch bereits aus einer allgemeinen Betrachtung des Gesamtwerks der Künstler Ansätze, die die Künstler zur Teilnahme prädestinierten. Kunstwerke im Außenbereich Fünf Arbeiten, die an markanten Orten auf dem Gelände aufgestellt werden sollten, um in einen Dialog mit der Architektur zu treten, waren für den Außenbereich vorgesehen. Henry Moore schuf eine monumentale Skulptur für die große Piazza (Taf. IV), die den Eingangsbereich des Sekretariats repräsentativ betonte; Joan Miró arbeitete zwei große mit Keramiken bestückte Mauern aus (Taf. V, VI), die einen Außenraum vor der Salle de Pas Perdus einfriedeten; Alexander Calder baute ein Mobile vor das Konferenzgebäude (Taf. VII); Hans Arp dekorierte die Außenwand der Bibliothek (am Sekretariatsgebäude) mit vier Bronzereliefs (Taf. VIII) und Isamu Noguchi gestaltete einen japanischen Garten für die Delegierten (Taf. III, IX,). Henry Moore (1898–1986) galt im Jahre seiner UNESCO-Nominierung längst als renommiertester zeitgenössischer Bildhauer Englands. Internationale Erfolge hatten sich bereits zehn Jahre zuvor eingestellt: 1946 widmete ihm das Museum of Modern Art in New York eine große Retrospektive, zwei Jahre später zeichnete ihn die 24. Venedig-­ Biennale von 1948 mit dem großen Preis für Skulptur aus. 1951 folgte die Londoner Tate Gallery mit einer weiteren Retrospektive, und 1955 nahm Moore an der ersten Documenta in Kassel teil. 338 Was prädestinierte Henry Moore für das UNESCO-Projekt? Gewiss nicht von der Hand zu weisen sind Moores Beziehungen zu Persönlichkeiten der UNESCO und den am Bau beteiligten Akteuren, die bei der Nominierung eine Rolle gespielt haben könnten. So verbanden Moore langjährige Freundschaften mit dem ersten UNESCOGeneral­direktor Julian Huxley und dem Kunsthistoriker Herbert Read. 339 Auch mit ­Marcel Breuer war Moore seit dessen Englandaufenthalt bekannt. Beide kooperierten 1954 bei Breuers Projekt für das Rotterdamer Kaufhaus De Bijenkorf, für dessen Restaurant Moore eine Liegende Bronze schuf.340 Als assoziiertes Mitglied von Le Corbusiers Association pour une Synthèse des Arts beschäftigte sich Moore auch mit dem Verhält338 Vgl. Ausst.-Kat. Wien 1998, Kunsthistorisches Museum, Palais Harrach: Henry Moore 1898– 1986. Eine Retrospektive zum 100. Gebrutstag, hrsg. v. Wilfried Seipel, Ausstellung vom 16. März–9. August 1998, S. 341 ff. 339 Vgl. Wilkinson, Alan: Henry Moore. Writings and Conversations, Berkeley, Los Angeles 2002, S. 88 f. Read war seit 1929 mit Moore bekannt und hatte zahlreiche Aufsätze über den Bildhauer publiziert. 340 Vgl. Aujourd’hui: Art et Architecture, Nr. 14, September 1957, S. 54 f.

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nis von Architektur und Skulptur. Wie aus seinem Vortrag für den UNESCO-Künstler­ kongress 1952 hervorgeht, nahm er jedoch eine differenzierte Haltung ein: Die Tatsache, dass der Städteplaner oder Architekt mit der Gestaltung seines Gebäudes beginnen kann ohne darüber nachzudenken, welchen Künstler er dafür anstellen wird, zeigt, wie weit wir von dem integralen Kunstkonzept entfernt sind, das allen großen Epochen charakteristisch war. 341

Die aktuellen Tendenzen sprächen gegen eine gleichberechtigte Zusammenarbeit, da Architekten andere Künstler erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Konzeptions­ prozess integrierten. Anstatt diesen Zustand jedoch zu kritisieren versuchte Moore aufzuzeigen, was eine Kooperation von Planungsbeginn an für einen Bildhauer bedeute, nämlich ein Mitspracherecht in Fragen des Materials, der Volumenverteilung, der Innenraumaufteilung usw. Das Ergebnis eines solchen Gemeinschaftsprozesses charakterisierte er folgendermaßen: Wenn eine Einheit erreicht werden könnte, etwa in einem Gebäude einer neuen Stadt, und Planer, Architekten, Bildhauer, Maler und alle anderen Künstler könnten von Beginn an zusammenarbeiten, würde diese Einheit künstlich und leblos sein, weil sie bewußt von einer Gruppe Individuen herbeigeführt und nicht spontan durch die Lebensweise erzeugt worden wäre. 342

Spontanität und das Reagieren auf bestimmte Gegebenheiten stellten für Moore die ausschlaggebenden Momente dar, die Kultur generierten. Er ging noch einen Schritt weiter in seinen Ausführungen und verglich die Idee solcher künstlerischen Einheitsbestrebungen mit den Verbreitungstendenzen von Kultur, wie sie die UNESCO anstrebte, etwa über das Festlegen eines Kulturkanons durch bestimmte Bildungskonzepte: Dies ist vielleicht die Illusion, der all unsere Pläne von einer Diffusion der Kultur unterliegen. Man kann Kultur zu den Massen befördern, aber das bedeutet nicht, dass sie sich diese auch aneignen. Beim Erwerb von Kultur bedarf es immer eines Entdeckungselements, einer Selbsthilfe; ansonsten bleibt Kultur ein fremdes Element, etwas außerhalb des Bedürfnisses und der Notwendigkeit des täglichen Lebens. 343

341 Originalzitat Henry Moore: „The fact that the town planner or the architect can begin without a thought of the artists he is going to employ to embellish his building shows how far away we are from the integral conception of the arts which has been characteristic of all the great epochs of art.” Zit. nach: The sculptor in modern society, UNESCO-Archiv, UNESCO Conference in Venise, ART/9, S. 3. 342 Originalzitat Henry Moore: „If a unity could be achieved, say in the building of a new town, and planners, architects, sculptors, painters and all other types of artist could work together from the beginning, that unity […] would nevertheless be artificial and lifeless because it would have been consciously imposed on a group of individuals, and not spontaneously generated by a way of life.” Zit. nach: ebd. 343 Originalzitat Henry Moore: „That is perhaps the illusion underlying all our plans for the diffusion of culture. One can feed culture to the masses, but that does not mean that they will absorb it. In the acquisition of culture there must always be an element of discovery, of self-help; otherwise culture remains a foreign element, something outside the desires and necessities of everyday life.” Zit. nach: ebd.

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Moores Teilnahme am UNESCO-Künstlerkongress in Venedig und sein Vortrag über die Rolle der Bildhauerei in der modernen Welt zeugen von einem persönlichen Engagement für die Wahrung künstlerischer Interessen, wie sie von der UNESCO angestrebt wurden. Moores Nominierung lag sicherlich auch in seinen Arbeiten begründet, stand doch von jeher die plastische Gestaltung von Mensch und Natur im Mittelpunkt seines gesamten bildhauerischen Schaffens. Diese beiden existentiellen Seinsbereiche übersetzte er in eine Formensprache, die archetypische Charakterzüge erhielt. 344 Wie viele seiner Zeitgenossen faszinierten Moore die Kunstwerke vergangener Hochkulturen Lateinamerikas sowie anderer sogenannter ‚primitiver Kulturen‘ mit einer reduzierten und expressiven Wesenhaftigkeit. Moore erarbeitete sich eine moderne Formensprache, welche die Untersuchung, Verteilung und organische Formung von Volumen zum Ziel hatte und sich über eine thematische Reduzierung auf nur wenige Motive (Mutter mit Kind, Familie, liegende Frau) einen naturhaften Wert und damit eine universale Gültigkeit verschaffte. Trotz der grundsätzlichen Bedeutungsoffenheit, die Moore für seine Werke in Anspruch nahm, lehnte er inhaltliche Bezüge etwa zu antiken Themen gänzlich ab, spürte im Gegenteil anthropologischen Grundformeln nach, die er in der Kunst anderer Kulturen wiederfand. 1941 schrieb er in Primitive Art: Hinter all dieser individuellen Eigentümlichkeit und formalen Besonderheiten der primitiven Schulen steht eine gemeinsame Weltsprache der Form. Unter der Einwirkung einer instinktiven bildhauerischen Sensibilität werden in weit auseinanderliegenden Geschichtsräumen und ­-epochen die gleichen Formen und Formbeziehungen zum Ausdruck ähnlicher Ideen verwendet, so daß man in einer Negerskulptur und in einer Wikingerarbeit, in einer Steinfigur der Kykladen und in Holzstatuetten aus Nukuoro dieselbe Formvorstellung wahrnehmen kann. 345

Genau diesen universalen Anspruch, den Moore auch für seine Kunst proklamierte, der weniger eine allgemeinverständliche „Weltsprache“ zum Ziel hatte, sondern vielmehr das Verständnis für andere Kulturen implizierte, teilte Moore mit den Intentionen der UNESCO. Wie Herbert Read berichtet, beschäftigte sich Moore lange mit der Themenwahl für sein UNESCO-Werk.346 In seinen Überlegungen zu einem geeigneten Motiv, zu Material, Größe und Ausrichtung setzte er sich intensiv mit dem architektonischen Raumkonzept des UNESCO-Baus, vor allen Dingen mit dem horizontalen Sekretariatsbau auseinander, vor dem die Skulptur platziert werden sollte. Dabei war Moore mit mehreren grundsätzlichen Problemen konfrontiert: zum einen galt es „eine […] Figur oder Gruppe zu schaffen, die eine gewisse Beziehung zum Baukörper hatte – dem Zentrum

344 Vgl. Kausch, Michael: Henry Moore. Mensch und Natur, in Ausst.-Kat. Wien 1998, S. 15. 345 Zit. Henry Moore: Primitive Art, 1941, zit. nach: Kausch, Michael, in: Ausst.-Kat. Wien 1998, S. 17. Dieser zitiert Werner Hofmann: Henry Moore. Schriften und Skulpturen, Frankfurt a. M. 1959, S. 52. 346 Vgl. Read, Herbert: Henry Moore, München, Zürich 1967, S. 215 ff.

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einer internationalen Institution, deren Zweck die Verbreitung der Kultur war“347. Zum anderen sollte diese Figur die unruhige Fassade des Sekretariats mit ihren rechteckigen Fenstern und Sonnenschutzvorrichtungen ausgleichen bzw. vor ihr eine monumentale Wirkung entfalten. Moores Ideen reichten von einer weiblichen Figur, die ein Buch las über eine Frauengestalt, die eine Gruppe von Kindern unterrichtete hin zu einer Familiengruppe.348 Damit stellte er zunächst ikonographisch eindeutige Bezüge zur UNESCO und ihrem Leitprinzip der Fundamental Education her. Diese Motive scheiterten weniger an ihrem Inhalt als vielmehr an technischen Überlegungen der Umsetzbarkeit. Moore, der zunächst Bronze als bevorzugtes Material intendiert hatte, trug Sorge, die dunkle Plastizität der Figuren könnte vor dem gewaltigen architektonischen Hintergrund völlig aufgehoben werden.349 Lösungsmöglichkeiten, wie eine große gekurvte Rückwand, die sich hinter den Figuren erhob und die den Schwung der Fassade aufnahm, verwarf er rasch, da damit die Allansichtigkeit und der Blick aus dem Gebäude auf die Plastik nicht mehr gewährleistet war.350 Moore orientierte sich weg von der Bronze, die ein detailreiches Arbeiten zugelassen hätte, hin zum Stein, als präferiertem Material. Bereits im Dezember 1955 hatte Bernard Zehrfuss Fotos von Architekturmodellen und Zeichnungen an Moore gesandt, welche ihm bei der Visualisierung des Gebäudes behilflich sein sollten.351 Wie zahlreiche Briefwechsel belegen, hielt Moore engen Kontakt zu den Architekten sowie zur UNESCO-Administration und besprach sehr offen auftauchende Probleme. Gleich mehrmals besuchte er die Baustelle in Paris, um sich ein genaues Bild von den Gegebenheiten vor Ort zu machen und mit den Architekten unterschiedliche Möglichkeiten einer geeigneten Platzierung seines Werkes zu diskutieren. In einem Brief vom 20. November 1956 an Zehrfuss verlieh er seiner Begeisterung über die Architektur Ausdruck: Was mich ungemein beeindruckte, als ich Sie vor einem Jahr zum ersten Mal besuchte und die Pläne gezeigt bekam, war das wahrlich monumentale Raumkonzept des UNESCO-Gebäudes. Meiner Meinung nach wird es einen der grundlegendsten Beiträge zur modernen Architektur leisten. 352

Zehrfuss räumte in einem Antwortschreiben ein, dass die Architekten auf jeden Vorschlag Moores bezüglich der Platzierung eingehen würden.353 Nach zahlreichen ­Versuchen 347 Zit. Read 1967, S. 216. 348 Vgl. Strachan, W. J.: Henry Moore’s UNESCO Statue, in: The Studio, London, H. 12, 1958, S. 172. Vgl. Read, 1967, S. 216. 349 Vgl. Read 1967, S. 216. 350 Vgl. Strachan, in: The Studio, S. 172. 351 Vgl. Brief von Bernard Zehrfuss an Henry Moore vom 5. 12. 1955, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 352 Originalzitat Henry Moore: „When I first came to see you a year ago and was shown the plans, what impressed me tremendously was the truly monumental, spatial conception of the U ­ NESCO building. In my opinion this is going to be one of its fundamental contributions to modern architecture, […].” Zit. nach: Brief von Henry Moore an Bernard Zehrfuss vom 20. 11. 1956, ­U NESCO-Archiv, BNZ 16. 353 Vgl. Brief von Bernard Zehrfuss an Henry Moore vom 13. 12. 1956, UNESCO-Archiv, BNZ 16.

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entschied sich Moore gegen die Ausführung einer Figurengruppe und für eine Reclining Figure. Dieses Sujet, das er erstmals 1926 umsetzte und das sich neben dem MutterKind-Thema zum wichtigsten Motiv seines Werkes entwickelte, lässt sich auf ein unmittelbares Vorbild zurückführen.354 Bei seinem ersten Besuch im Pariser Palais de Chaillot war Moore von dem Gipsabguss eines liegenden Chacmool – eine Gottheit des toltekischen Mayakultes – fasziniert gewesen.355 In unzähligen Variationen, deren formales Spektrum von realistisch-hieratischen Figurationen hin zu abstrahiert-organischen Formen reichte, leitete er davon seine liegenden Figuren ab.356 Die Liegende für die UNESCO stellte mit einer Länge von fünf und einer Höhe von drei Metern die größte Skulptur dieses Typus dar und Moore war von Beginn an vom monumentalen Charakter dieser Auftragsarbeit begeistert: Die Figur für die UNESCO, an der ich gerade arbeite, ist die größte, die ich jemals gemacht habe. Sie ist zwei Mal lebensgroß und stellt mich vor eine ganze Reihe neuer Probleme. Eines von ihnen besteht darin, den Unterschied zwischen Stärke und Masse zu halten. 357

Da es sich anscheinend als nicht lösbares Problem herausstellte, Steinmassen dieses Ausmaßes über weite Strecken zu transportieren, ließ Moore die Skulptur in Italien fertigen. In einem Steinbruch bei Rom gebrochen, wurden vier Travertinblöcke nach Querceta, einem kleinen Dorf in der Nähe von Forte dei Marmi gebracht. Nach einem um die Hälfte kleineren Gipsmodell ließ er dort von einer renommierten Steinmetzwerkstätte den Stein vorarbeiten. Moore überwachte die Arbeiten und besuchte die Werkstätte im Januar, April und Mai 1958, bevor die Skulptur Ende Mai in vier Teilen nach Paris überführt, installiert und nachgearbeitet wurde. 358 Moores Liegende erhebt sich auf einem Sockel in etwa 1,50 Metern Höhe (Taf. IV). Als figurative Elemente lassen sich Kopf und Oberkörper in der Vertikalen und zwei angewinkelte Beine in der Horizontalen erahnen. Diese Körperteile sind jedoch in der für Moore typischen, organisch gewachsenen und mit runden Durchbrüchen versehenen Weise abstrahiert. Die Assoziation zu ausgewaschenen Felsformationen lässt die Skulptur zur Naturform werden. Dieser Eindruck wird durch die Entindividualisierung des Kopfes (ohne modelliertes Gesicht) unterstützt. Die helle Materialität des Steins verleiht dem Werk einen fast leuchtenden Charakter, der sich von der Fassade abhebt. Erst durch die Kontextualisierung mit der UNESCO-Architektur wird Moores Liegende symbolisch ausdeutbar. Als kulturhistorisches Motiv, das sich aus Moores Studien präkolumbia-

354 Vgl. Kausch, Michael, in: Ausst.-Kat. Wien 1998, S. 23. 355 Vgl. Read 1967, S. 62; vgl. Kausch, Michael, in: Ausst.-Kat. Wien 1998, S. 24; vgl. Zbikowski, Dörte: Der Chacmool als Anregung für Moores Reclining Figure, in: Ausst.-Kat. Wien 1998, S. 127–143. 356 Vgl. Kausch, Michael, in: Ausst.-Kat. Wien 1998, S. 27 f. 357 Originalzitat Henry Moore: „The figure for UNESCO I’m working on now is the biggest I’ve ever done. That’s about twice life-size – and it’s brought me an entirely new set of problems. One of them is to keep the distinction between strength and mass.” Zit. nach: Wilkinson 2002, S. 208. 358 Vgl. Pearson 2010, S. 261.

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nischer und mexikanischer Kunst ableitete, offenbart sich die Skulptur als mythologisierte Ur-Mutter, als Allegorie des Menschseins oder auch als positives Grundprinzip menschlicher Existenz. 359 Dem Autor John Hedgecoe zufolge kann die Bedeutung des UNESCO-Auftrags für Henry Moore kaum groß genug eingeschätzt werden. Er läutete eine über 25 Jahre andauernde Phase großer bildhauerischer Arbeiten für den öffentlichen Raum überwiegend in Nordamerika und Europa ein, wobei gerade die Verbindung von Skulptur und Architektur die maßgebliche Variante darstellte. 360 Die zweite große Arbeit auf dem UNESCO-Areal realisierte der aus Barcelona stammende Künstler Joan Miró (1893–1983). Ihn hatte das Kunstberaterkomitee mit der Gestaltung einer frei stehenden Mauer beauftragt, die vor der Salle des Pas Perdus, der Wandelhalle zwischen Konferenzgebäude und Sekretariat, eine Art Innenhof im Außenraum begrenzen sollte. Miró schuf zwei mit bunten Keramikfliesen gekachelte Mauerteile unterschiedlicher Länge (15 x 3 m und 7 x 3 m). Ihre Werktitel – Mauer der Sonne (Taf. V) und Mauer des Mondes (Taf. VI) liefern dem Betrachter Anhaltspunkte über die vom Künstler erdachten Bildmotive. Die Mauer der Sonne zeigt (von rechts nach links gelesen) am rechten Mauerrand eine leuchtend rote Scheibe, die von zwei Sternmotiven gerahmt wird. Von dort aus schießt in einer dynamischen Links­ bewegung eine pfeilähnliche schwarze Linie über die gesamte Bildfläche zum anderen Mauerende. Dabei streift der Pfeil zwei tierähnliche Figurationen, die rein assozia­ tiv an eine Schnecke oder einen Marienkäfer denken lassen. Sie setzen sich aus roten, schwarzen, blauen, gelben und grünen Farbflächen zusammen und heben sich deutlich von dem aus verschiedenen sand- und ockerfarben nuancierten Kacheln des Hinter­ grunds ab. Die Mauer des Mondes zeigt einen blauen Sichelmond im rechten Bild­ drittel, der von einem schwarzen Kreis umrandet ist. Links über ihm erhebt sich ein Stern. Unter ihm sowie zu seiner linken erstrecken sich zwei die gesamte Bildfläche einnehmende, lange boot- oder einbaumähnliche Objekte. Sie setzen sich aus schachbrettartig aneinandergereihten rot-schwarzen und vereinzelt blauen, grünen und gelben Farbflächen zusammen und laufen an ihren hinteren und vorderen Enden heckund bugartig spitz zu. Über dem längeren Schiff erheben sich Linienformatio­nen, die an Ruder, Segel aber auch Fischflossen denken lassen. Die von Miró im ­U NESCO-­Werk aufgegriffenen zeichenhaften Motive entspringen seinem schier unerschöpflichen Repertoire unterschiedlicher Figurationen und Linienstrukturen, die der Künstler immer wieder aufs Neue komponierte und zu symbolischen Bildwelten und kosmi­ schen Ordnungen zusammenfügte. Auch wenn an dieser Stelle nicht differenziert 359 Im selben Jahr gewinnt Moores bronziertes Arbeitsmodel zur UNESCO-Skulptur den zweiten Preis der Pittsburg Bicentennial International Exhibition of Contemporary Painting and Sculpture am Carnegie Inistute. Vgl. Ausst.-Kat. Dallas 2001, The Dallas Museum of Fine Arts: Henry Moore. Sculpting the 20 th Century, hrsg. v. Dorothy Kosinski, Ausstellung vom 25. Februar–27. Mai 2001, S. 181. 360 Vgl. Hedgecoe, John: Henry Moore. Eine monumentale Vision, Köln 2005, S. 73.

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genug auf Mirós Bild- oder vielmehr Zeichensprache eingegangen werden kann, so lässt sich doch anführen, dass seinen Werken, ähnlich den Arbeiten Moores, die Idee einer universellen Erfahrbarkeit und Lesbarkeit zugrundelag. Dabei bediente er sich nach eigenen Aussagen niemals abstrakter, sondern stets konkreter Bildfigurationen, die unmittelbar seiner Umwelt entsprangen: Für mich ist eine Form niemals abstrakt; sie steht immer als ein Zeichen für etwas. […] Ich begegne all meinen Themen auf den Feldern und am Strand, Seesterne, Teile eines Ankers, Stücke eines Steuerruders oder Planken, alles das kann in meine Komposition eingehen, wie die sonder­baren Köpfe von Pilzen und die siebenundsiebzig Formen von Kürbissen. 361

Stilistische Kategorisierungen lehnte Miró für sich selbst stets ab, auch wenn ihn die Pariser Surrealisten zu ihrer Szene zählten. 362 Wie viele seiner Künstlerkollegen faszinierten Miró Kunst- und Kultobjekte ozeanischer und indianischer Stammeskulturen mit ihrer magischen Verbindung zu Mythos, Traum und Totemismus. 363 Gleichfalls stellte für ihn die katalanische Volkskunst mit einer ursprünglichen Naturverbundenheit eine stetige Quelle der Inspiration dar. Noch vor Picasso erprobte Miró seit 1944 unter Anleitung seines Freundes, dem Keramiker Josep Llorens Artigas, den Werkstoff Ton.364 Der mit alten Brand- und Glasurtechniken arbeitende Kunsthandwerker Artigas lehnte elektrische oder mit Gas beheizte Öfen sowie die Verwendung industriell fabrizierter Erden und Pigmente kategorisch ab und machte Miró mit traditionellen Herstellungs- und Verfahrensweisen des Tons vertraut. 365 Als 1955 der UNESCO-­Auftrag einging, experimentierten Miró, Artigas und dessen Sohn Joan Gardy gerade mit Scharffeuerkeramiken, einem Brandverfahren, bei dem Temperaturen von über 1300 Grad zum Schmelzen der Kobaltanteile führen. Miró war 1955 ein international gefeierter Künstler. Seine Nominierung kann – ähnlich wie im Falle Moores – durchaus im Lichte persönlicher Kontakte gesehen werden. Miró, der 1920 als junger unbekannter Künstler nach Paris übersiedelte, war bereits nach kurzer Zeit innerhalb der dortigen internationalen Künstlergemeinde bestens vernetzt. Zunächst suchte der als verschüchtert beschriebene Miró seinen berühmten Landsmann

361 Zit. Joan Miró, in: Sweeney, James Johnson: Atmosphère Miró, Barcelona 1959 (ohne Seiten­ angabe), zitiert nach: Drahten, Doris von: Joan Miró. Der Luftsprung des Katalanen, in: Ausst.Kat. Hamburg 1996, Deichtorhallen: Joan Miró. Zeichnungen und Skulpturen 1945–1983. Werke aus der Fundació Joan Miró, hrsg. v. Felix Zdenek, Ausstellung vom 27. September 1996–5. Januar 1997, S. 48. 362 Vgl. Drahten, Doris, in: Ausst.-Kat. Hamburg 1996, S. 48 ff. 363 Vgl. Martin, Sylvia: Über die Lesbarkeit der Zeichen. Mirós Weg vom rätselhaften zum komischen Bildzeichen in den zwanziger und dreißiger Jahre, in: Ausst.-Kat. Düsseldorf 2002, Kunstpalast: Joan Miró. Schnecke Frau Blume Stern, hrsg. v. Stephan Wiese und Sylvia Martin, Ausstellung vom 13. Juli–6. Oktober 2002, S. 64–77. 364 Victoria Combalía datiert den Beginn der Freundschaft auf das Jahr 1912. Vgl. Ausst.-Kat. Düsseldorf 2002, S. 40. 365 Vgl. Dupin, Jacques: Joan Miró. Leben und Werk, Köln 1961, S. 433 œff.

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Pablo Picasso auf und erhielt von diesem Zuspruch und Aufmunterung. 366 Über seinen Ateliernachbarn André Masson fand er Anschluss an die Gruppe der Rue de Blomet (Michel Leiris, Roland Tual u. a.) und verkehrte bald in den surrealistischen Zirkeln um Paul Éluard und André Breton. Im November 1925 beteiligte er sich an der Ausstellung La peinture surrealiste der Galerie Pièrre gemeinsam mit Man Ray, Pablo Picasso, Jean Arp, Paul Klee, André Masson und Max Ernst. 367 1928 lernte er Alexander Calder kennen, mit dem er Zeit seines Lebens freundschaftlich eng verbunden blieb. Gleiches gilt für den spanischen Architekten und späteren CIAM-Präsidenten José Luis Sert, auf den Miró wahrscheinlich erstmals 1937 traf. Sert war mit dem Bau des Spanischen Pavillons für die Pariser Weltausstellung beauftragt worden, deren Innenraumgestaltung die republikanische Regierung an die Landsmänner Miró und Picasso vergab. 368 Auch mit dem Kunsthistoriker Herbert Read war Miró seit der International Surrealist Exhibition in der Londoner New Burlington Gallery bekannt. Beide begegneten sich im Sommer 1939 im französischen Varengeville-sur-Mer wieder, bevor Miró nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich und der Bombardierung der Normandie 1940 mit seiner Familie nach Spanien flüchtete und sich bis zum Kriegsende in seinen Domizilen in Barcelona, Palma de Mallorca und Montroig wechselnd aufhielt. Fünf Jahre lang begab er sich dort von der Außenwelt isoliert in eine innere Emigration.369 In der Zwischenzeit wurden seine Werke vorrangig in den USA ausgestellt und dort von einem breiten Publikum begeistert aufgenommen, sowie von jungen Künstlern wie Jackson Pollock rezipiert. Bereits 1941 eröffnete der amerikanische Kunsthistoriker James Johnson Sweeney im New Yorker Museum of Modern Art die erste große Miró-Retrospektive, und veröffentlichte zu diesem Anlass eine erste Monografie über den Katalanischen Künstler. Weitere Ausstellungen in New York folgten in der Pierre Matisse Gallery, wo 1945 die während des Krieges entstandenen Konstellationen und 1947 unter dem Titel „Neue Malerei und Keramik“ Mirós Arbeiten der Nachkriegszeit präsentiert wurden. 370 Laut seines Biographen Jacques Dupin stieg Mirós Anerkennung und Ruhm in den USA weit über reine Ankäufe seiner Werke durch Museen und Privatsammler hinaus. 1947 erhielt 366 Vgl. Combalía, in: Ausst.-Kat. Düsseldorf 2002, S 42 f. Combalía beschreibt hier eindrucksvoll wie sich der damals bereits berühmte Picasso um Miró bemühte und sich sogar bei seinem Kunsthändler Rosenberg für ihn einsetzte. 367 Vgl. Combalía, in: Ausst.-Kat. Düsseldorf 2002, S. 45. 368 Mit den beiden berühmten politischen Arbeiten Le Faucheur (Der Schnitter) und Guernica lieferten Miró und Picasso zwei bewegende politische Kommentare zum tobenden Bürgerkrieg in Spanien. José Luis Sert baute 1955 Mirós Atelier in Palma de Mallorca. 369 Eigentlich wollte Miró gemeinsam mit Sert in die USA ausreisen. Zit. Joan Miró: „Von heute auf morgen haben die Bombenangriffe begonnen. Ich wollte mit meinem Freund, dem Architekten J. L. Sert, nach Amerika ausreisen, aber es gab keinen Platz mehr auf den Schiffen. Meine Tochter Dolors war noch klein. Das war eine große Verantwortung für mich. Da wir nicht nach Amerika konnten, beschlossen Pilar und ich, nach Hause zu fahren.“ Zit. nach: Edde, Carolin/Prat, JeanLouis: Joan Miró. 1893–1983, in: Ausst.-Kat. Baden-Baden 2010, Museum Frieder Burda: Miró. Die Farben der Poesie. Ausstellung vom 2. Juli–14. November 2010, S. 43. 370 Vgl. Dupin 1961, S. 369 und 482 f.

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er eine umfangreiche Auftragsarbeit und gestaltete eine Wand im Terrace Hilton Hotel in Cincinnati, Ohio, das vom New Yorker Architekturbüro Skidmore, Owings & Merill gebaut wurde. Zu diesem Anlass reiste er erstmals in die USA und arbeitete acht Monate lang vor Ort. Ob Miró Walter Gropius vielleicht während dieses New York-Aufenthaltes über José Luis Sert kennenlernte, bleibt spekulativ. Jedenfalls beauftragte Gropius ihn und Jean Arp 1950 mit der Gestaltung seines Harvard Graduate Center.371 Zusammenfassend lassen sich Kontakte zwischen Miró und einigen am UNESCO-Bau beteiligten Akteuren nachweisen, die seine Nominierung wahrscheinlich machten. Seine Erinnerungen an die Fertigung der beiden Keramikmauern für die UNESCO veröffentlichte Miró 1959 in dem Aufsatz Ma dernière Œuvre est un mur, der zunächst in der Zeitschrift Derrière le Miroir und wenige Monate später im UNESCO-Courier erschien. 372 Als historische Quelle gibt dieser Artikel detailliert Auskunft über die Herangehensweise des Künstlers an diesen für ihn bedeutenden Auftrag, über technische Überlegungen, Schwierigkeiten bei der Materialwahl und der Ausführung des Werkes. Er erweist sich bei genauerer Betrachtung als aufschlussreich hinsichtlich des künstlerischen Verständnisses und der Einstellung, die Miró sowohl gegenüber der UNESCO-Architektur als auch in Hinblick auf eine ideelle Kontextualisierung seines Kunstwerkes einnahm. Gleich zu Beginn des Artikels betonte der Künstler, wie wichtig ihm der enge Kontakt zu den Architekten erschien. Offensiv suchte er das Gespräch mit den Beteiligten, um sicherzustellen, dass sich sein Kunstwerk optimal in die Architektur einfügte.373 Hierfür reiste Miró eigenen Aussagen zufolge für längere Zeit nach Paris: Als mein Vorschlag angenommen worden war, begann ich mit den Architekten zu diskutieren. Ich wollte eng mit ihnen zusammenarbeiten, so dass sichergestellt wurde, dass sich meine Arbeit so perfekt wie möglich in den architektonischen Entwurf einfügte. […] Also besuchte ich das Gelände, um nach Ideen zu suchen und tatsächlich entwickelte sich dort mein Plan. Ich erhielt von den Architekten einen Raum nahe ihren Büros. Ich sprach mit ihnen und mit den Ingenieuren und Arbeitern. Ich studierte Modelle der Strukturen und meditierte vor den Betonmauern, die von Stapeln an Baumaterialien und dem Hin und Her der Arbeiten umgeben waren. Davon ließ ich mich inspirieren. 374

Einige Besuche auf der Baustelle gemeinsam mit dem Kunstberaterkomitee sind belegt. Die Intensität des Austausches mit den Architekten lässt sich jedoch nicht rekonstruieren.

371 Vgl. ebd., S. 440 f. 372 Miró, Joan: Ma dernière œuvre est un mur, in: Derrière le Mirroir, Paris 1958, S. 107–109. Erneut veröffentlicht in: UNESCO-Courier, Vol. 11, 1958, S. 34–36. 373 Vgl. ebd., S. 34. 374 Originalzitat Joan Miró: „Once my proposal had been adopted, I began discussions with the architects. I wanted to work closely with them, so as to be quite sure that my work would integrate as perfectly as possible into the architectural scheme […]. So I went to the site to look for ideas and it was there that my plan was conceived and developed. I was given a room near the architects’ office; I talked with the architects and with the engineers and workmen; I studied models of the structures and I meditated before concrete walls, surrounded by piles of building material and the hustle and bustle of the operations, and from all these things I drew inspiration.” Zit. nach: ebd.

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Interessant erscheinen Mirós Beschreibungen der direkten Einflussnahme der Beton­a rchitektur auf Motivwahl und Farbfindungen. Die Formen, die räumliche Struktur und die Lichtführung des Sekretariats führten ihn dazu, dass seine Arbeit einen starken Kontrast hierzu schaffen müsste. So stelle die große rote Sonnenscheibe für ihn eine unmittelbare Reaktion auf die Betonoberfläche des Konferenzgebäudes dar. Der blaue Sichelmond wiederum, so Miró, verhalte sich kontrapunktisch zur Sonne. Mit den bunten schachbrettartigen Formationen der Boote und Figurationen reagiere er auf die Anordnung der Fenster. 375 Als geistige Inspirationsquelle seiner Arbeit erwähnte Miró einen Ausflug, den er gemeinsam mit Artigas nach Santillana del Mar zu den Höhlen von Altamira, den „ältesten Wandbildern der Menschheitsgeschichte“, zum romanischen Kloster La Collegiata de Santa Juliana und sowie zuletzt zu Antonio Gaudis Park Guell unternahm. 376 In Altamira ließ sich Artigas von den nuancierten Hintergrundtönen der Wandmalereien anregen und im Park Guell fand Miró seine rote Sonne vom großen Meisterarchitekten Gaudi bestätigt. 377 Der Künstler kommt dem Betrachter an dieser Stelle mit einer eigenen Interpretation seines Werkes gerade in Hinblick auf die Kontextualisierung zur UNESCO zuvor. Gezielt liefert er den Zusammenhang zwischen seinen vereinfachten Bildformeln und den Artefakten längst vergangener Zivilisation. Damit reiht er sein Kunstwerk in eine weit zurückreichende Tradition kultureller Äußerungen und Praktiken der Menschheitsgeschichte ein. Ob Höhlenmalerei, romanische Fresken oder spanischer Jugendstil, jedes Kunstwerk ist für Miró immer zeitgemäßer Ausdruck einer Epoche. Die Umsetzung der beiden Mauern brachte, nach Mirós Aussagen, große Schwierigkeiten mit sich: Bei der Wahl des Arbeitsmaterials und der Glasurtechniken mussten vor allem die klimatischen Bedingungen in Paris berücksichtigt werden. In auf­wendigen Einzelschritten formte Artigas jede einzelne Kachel. Nach dem T ­ rocknungsprozess wurde jedes Stück gebrannt, engobiert, erneut gebrannt, glasiert und wiederum gebrannt, bevor es bemalt werden konnte. Miró fertigte mehrere Modelle, zuletzt ein maßstabs­getreues an, das er in einem kleinen bewaldeten Tal bei Gallifa in der Nähe von Artigas Werkstätte probeweise aufstellte, um sich, wie er meinte, die Visualisierung vor dem ­U NESCO-Gebäude besser vorzustellen. 378 Nach der Vorbereitung von 250 Kacheln durch 33 Brennvorgänge war Artigas mit dem Ergebnis derart unzufrieden, dass er die Arbeit gänzlich verwarf. Er befand seine rechteckigen Kacheln als zu geometrisch gleichförmig. Angeregt durch die Kapelle von Gallifa formte er neue Kacheln unterschiedlicher Größen und gestaltete sie vielfarbiger innerhalb des bereits nuancierten erdigen Grundtones. Miró veränderte daraufhin mehrmals seine Kompositionen. Als spannendsten letzten Moment beschreibt Miró das Auftragen der Farbe mit einem 375 376 377 378

Vgl. ebd., S. 35. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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Palmwedel auf die auf dem Boden ausgelegte Mauer: „Artigas hielt den Atem an, als er sah, wie ich den Besen nahm und die Formen in Ausmaßen von fünf oder sechs Metern malte. Ein Fehler konnte die Arbeit mehrerer Monate ruinieren.“379 Am Ende seines Artikels bleibt Miró noch zu resümieren, dass sie insgesamt 25 Tonnen Holz, vier Tonnen Erde, eine viertel Tonne Engobe und 15 Pfund Farbe verbraucht hatten. Miró zeigte sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Beide Mauern wurden im Sommer 1958 vor der Salle des Pas Perdus aufgestellt. Leider mussten sie nach kurzer Zeit ins Innere des Gebäudes umgesiedelt werden, da die Gefahr von Wetterschäden zu groß war. Mirós Projekt erhielt am 18. Mai 1959 den mit 10.000 US-Dollar dotierten Guggenheim Preis. 380 Mit Miró freundschaftlich eng verbunden war der dritte UNESCO-Künstler, der amerikanische Bildhauer Alexander Calder (1898–1976). Er schuf für die Weltorganisation ein monumentales Mobile mit dem Titel Spirale, das seinen Platz auf der großen Piazza vor dem Konferenzgebäude fand (Taf. VII).381 Calders stehendes Mobile besteht aus einem zeltartigen massiven Standfuß, an dessen spitzen Ende ein schwenkbarer, ruderförmiger Eisenbügel montiert ist. Von diesem aus balancieren sich verjüngende Arme bis in eine Höhe von zehn Metern. Anders als die Kunstwerke Moores oder Mirós erweist es sich auf den ersten Blick als schwierig, Calders Mobile ikonographische Bezüge zur UNESCO zu entlocken. In einem Interview mit dem amerikanischen Künstler, versuchte Georg W. Staempflis die symbolische Bedeutung des Spirals zu ergründen, woraufhin ihm ein lachender Calder nach kurzem Zögern antwortete: „Well it goes up, it’s something like a flame. But there is no history attached. Sorry Boys.”382 Und auch an anderer Stelle blieb der Künstler in Hinblick auf sein Kunstwerk eher wortkarg: „The top is a sequence of bars and plates that spiral off in decreasing size.”383 Alexander Calder lehnte es stets ab, detaillierte inhaltliche Aussagen über seine Kunst zu machen. Ziel seines künstlerischen Arbeitens sah er einzig darin, „Dinge zu schaffen, die gerne angeschaut werden, die keinen propagandistischen Wert haben“384. Für ihn stand die visuell-ästhetische wie sensuell-­räumliche Erfahrbarkeit seiner bewegten Objekte im Vordergrund. Als ein früher Vertreter der kinetischen Plastik galt Calders Interesse den technischen Momenten 379 Originalzitat Joan Miró: „Artigas held his breath when he saw me take the brush and paint in ­shapes of five or six metres. One mistake could have ruined the work of several months.” Zit. nach: ebd., S. 36. 380 Vgl. Dupin 1961, S. 483. 381 Im engeren Sinne stellt das UNESCO-Mobile mit seiner festen Standfläche und den hängenden Elementen am oberen Ende der Plastik eine Mischform aus Calders zumeist von Decken hängenden filigranen Mobiles und den monumentalen, unbeweglichen und flächigeren Stabiles dar. 382 Zit. Alexander Calder, zit. nach: Staempfli, George W.: Interview with Calder, in: Quadrum, Nr. VI, 1959, S. 9. 383 Zit. Alexander Calder, zit. nach: Marter, Joan M.: Alexander Calder, Cambridge University Press, New York 1991, S. 224. Die Autorin zitiert dort: Hellman, Geffrey: Calder Revisited, in: The New Yorker, Vol. 36, H. 22, 1960, S. 175. 384 Originalzitat Alexander Calder: „To make things that are fun to look at, that have no propaganda value“. Zit. nach: Sperling, L. Joy: Calder in Paris. The Circus and Surrealism, in: Archives of American Art Journal, 28. Jg., Nr. 2, 1988, S. 26.

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austarierter Bewegung sowie der ästhetischen Wirkung von „bewegter“ Farbe. Jean-Paul Sartre, seit den 1930er Jahren mit Calder befreundet, näherte sich den Mobiles in einem Ausstellungskatalog von 1946 in poetischer Weise. Er erhob darin das Mobile zu einem „kleinen Fest“, zu einem Objekt, das sich einzig über seine Bewegung definiere und das nicht außerhalb seiner selbst existiere. Die meiste Zeit, so Sartre, imitiere es schlichtweg nichts.385 Welchen Stellenwert nimmt Calders Spirale im UNESCO-Kontext nun ein und wie kann sein Werk in Bezug auf den UNESCO-Bau gelesen werden? Auf der einen Seite repräsentierte der Künstler die USA als gewichtigsten und einflussreichsten Mitgliedstaat der UNESCO. Auf der anderen Seite galt Calder als ein Vertreter der Pariser Kunst­ szene, da ihn sowohl der Einfluss der Surrealisten wie auch der Piet Mondrians nachhaltig prägten. Calder reiste im Frühjahr 1926 erstmals in die französische Kunstmetropole, nachdem er bereits einen Bachelorabschluss in Maschinenbau erlangt und ein Malereistudium an New Yorker Students Art League abgeschlossen hatte. In einem Studio am Montparnasse experimentierte er während der ersten Monate mit unterschiedlichen sogenannten armen Materialien, etwa Pappe, Stoff oder Draht und realisierte zahlreiche Figurinen – z. B. die der Josefine Baker – die wie naive dreidimensionale Zeichnungen wirken. Kontakte knüpfte er zunächst überwiegend zu englischen und amerikanischen Künstlern.386 Erst seine etwas verrückten, in der Galerie Pièrre veranstalteten Zirkusvorstellungen weckten bald das Interesse der Surrealisten. Das Thema Zirkus hatte Calder schon in den USA fasziniert, woraus eine intensive künstlerische Auseinandersetzung resultierte. Aus Draht fertigte er eine filigrane Zirkusgesellschaft mit Artisten, Clowns und Tieren an, inklusive ihrer künstlerischen Ausstattung. Seine Figurinen fügte er zu einem mechanisch bewegbaren, performativen Arrangement zusammen. Wie Joy Sperling nachweist, waren es jene Zirkusvorstellungen, die Calder in den Pariser Künstlerkreisen, sowohl bei den Surrealisten wie auch bei den namhaftesten Vertretern neo­ plastischer Kunst, bekannt machten. Bald zählten neben Joan Miró, Jean Arp und André Masson auch Jean Cocteau, Man Ray und Friedrich Kiesler zu seinem Bekanntenkreis. 387 1930 lud er auf Anraten Kieslers Le Corbusier, Theo van Doesburg, Piet Mondrian, Fernand Léger u. a. zu einer seiner Vorstellungen ein388 und wurde bald darauf von 385 Vgl. Ausst.-Kat. Paris 1946, Galerie Louis Carré: Alexander Calder. Mobiles, Stabiles, Constellations, Paris 1946. Die Textstelle ist der Homepage der Alexander Calder Foundation in New York entnommen. Zit. Sartre, Jean Paul: „Un Mobile: une petite fête locale, un objet défini par son mouvement et qui n‘ éxiste pas en dehors de lui, une fleur qui se fane des qu‘elle s‘arrète, un jeu pur de mouvement comme il y a de purs jeux de lumière. […] Mais la plupart du temps il n‘imite rien et je ne connais pas d‘art moins menteur que le sien.“ Zit. nach: http://calder.org/historicaltexts/ text/13.html, zugegriffen am 29. 4. 2011. 386 Vgl. Marter 1991, S. 46. 387 Vgl. Sperling, in: Archives of American Art Journal, S. 16–29. 388 Sperling zufolge konnte Kiesler in letzter Minute verhindern, das Léger und van Doesburg, die in erbitterter Feindschaft verharrten, aufeinandertrafen. Léger sah sich den Zirkus in einer Sondervorführung am folgenden Tag an. Vgl. ebd. S. 21.

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Mondrian, Robert Delaunay, Antoine Pevsner und Jean Hélion aufgefordert, sich der Gruppe Abstraction-Création anzuschließen. 389 Der Beitritt zur Gruppe der Abstrakten, die nichtfigurative Kunst zur Prämisse ihres künstlerischen Wirkens erhob, ist auf Calders eigenes Interesse und seine Experimentierfreudigkeit mit abstrakten Formengebilden aus Draht, Blech, Karton und Stoffresten zurückzuführen. Nach eigenen Aussagen entstand seine Vorliebe für stehende wie hängende, vor allen Dingen aber bewegliche abstrakte Gebilde unmittelbar nach einem ersten Besuch im Atelier Piet Mondrians im Jahr 1930. Dessen puristische Raumgestaltung mit bunten Kartonrechtecken auf weißen Wänden hatte Calders Aussagen zufolge, wie ein „Schock“ auf ihn gewirkt. Als er Mondrian vorschlug, seine bunten Vierecke im Raum oszillieren zu lassen, lehnte dieser die Idee jäh ab. Calders eigene Intention war jedoch geboren. Er berichtet darüber in seiner Autobiographie: Dieser eine Besuch versetzte mir einen Schock, der die Dinge ins Rollen brachte. Obwohl ich das Wort ‚modern’ zuvor schon gehört hatte, war mir der Begriff ‚abstrakt’ doch nie bewußt geworden. Jetzt mit 32 Jahren wollte ich abstrakt malen und arbeiten. 390

Obwohl Calder sich von formalen wie inhaltlichen künstlerischen Debatten stets distanzierte, begann für ihn ab den 1930er Jahren eine rege Ausstellungstätigkeit, so wurde er zu zahlreichen Gruppenausstellungen von Abstraction-Création eingeladen391, 1936 zur internationalen Surrealistenausstellung nach London und zur Ausstellung Fantastic Art, Dada and Surrealism ins New Yorker Museum of Modern Art. Dort erhielt er 1943 durch James Johnson Sweeney seine erste große Einzelausstellung. 1937 machte Calder über Miró die Bekanntschaft mit José Luis Sert. Sert betraute Calder aufgrund seiner ingenieurtechnischen Kenntnisse mit der Realisierung eines Quecksilberbrunnens im Spanischen Pavillon. In den USA, wo Calder während des Zweiten Weltkriegs mit seiner Familie lebte, unterhielt er enge Kontakte zu den aus Europa emigrierten Künstlern wie etwa zu Léger und Masson. 1939 nahm Calder die Familie Sert nach deren Flucht aus Spanien bei sich zu Hause in Roxbury auf. 392 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Calder über Sert auch Breuer und Gropius kennenlernte. 393 Breuer und Calder lebten Ende der 1940er Jahre in Connecticut unweit voneinander entfernt. 389 In Heft 1, 1932 und Heft 2, 1933 der Gruppe Abstraction-Création, die sich für eine nichtfigurative Kunst einsetzte, waren Plastiken Calders abgebildet. Vgl. Ausst.-Kat. Zürich 1975, Kunsthaus: Alexander Calder, hrsg. v. Maurice Besset, Ausstellung vom 23. August–2. November 1975, S. 6. 390 Zit. Alexander Calder, in: Arnason, H. Harvard: Calder, München, Wien, Zürich 1971, S. 21. 391 Seine abstrakten Werke wurden 1931 erstmals in der Pariser Galerie Percier zusammen mit anderen Künstlern der Gruppe Abstraction-Création ausgestellt; eine weitere gemeinsame Ausstellung entstand an der Porte de Versailles. 1932 stellte Calder erstmals Mobiles in der Galerie Vignon aus. 1933 wurde er gemeinsam mit Arp, Hélion, Miró, Pevsner und Seligmann in der Gallerie Pièrre gezeigt. 1934 erhielt er eine Einzelausstellung in der Galerie Pièrre Matisse in New York. Vgl. Calder, Alexander: An Autobiographie with Pictures, New York 1966, S. 280 f. 392 Gropius hatte Sert zu einem Lehrauftrag an der Harvard University verholfen. 393 Vgl. Brief Marcel Breuer an Michel Dard (Chef der Division Arts et Lettres) vom 14. 2. 1956. Darin schreibt er: „I have taken this matter over with Mr. Calder, who, as you know, lives in the United States not far away from my own house.” UNESCO-Archiv, BNZ 16.

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Für den UNESCO-Kontext aufschlussreich erscheinen weitere Freundschaften Calders zu Isamu Noguchi und zu Ernesto Rogers. Diese Beziehungen zu fast allen in das ­U NESCO-Projekt involvierten Mitgliedern der CIAM sowie zu anderen beteiligten Künstlern unterstreichen die engen Verbindungen der Akteure insgesamt und machen deutlich, dass die Auswahl der Künstler – wohl durchdacht – auf bekannte Personen des einst avantgardistischen Pariser Netzwerkes fielen. Unter diesem Gesichtspunkt verwundert es auch nicht mehr, wenn in der Fachliteratur die Nominierung Calders für das UNESCO-Kunstwerk direkt den CIAM zugeschrieben wird. Joan Marter verweist in seiner Monographie auf die Unterstützung der CIAM und vor allen Dingen – was die Auftragsvergabe betrifft – auf den Einfluss Marcel Breuers. 394 Auch Marla Prather formuliert irrtümlicherweise: Dank der Bemühungen Marcel Breuers luden die Internationalen Kongresse für modernes ­Bauen Calder dazu ein, als einer von sechs Bildhauern ein Werk für das UNESCO-Gebäude zu schaffen, das von einem durch Breuer geleiteten internationalen Architektenteam konzipiert wurde.395

Welchen Quellen beide Autoren diese Information entnehmen, kann aus der Literatur leider nicht nachvollzogen werden. Wie alle anderen Künstler erhielt auch Alexander Calder einen offiziellen Brief des UNESCO-Generaldirektors mit der höflichen Bitte um Teilnahme. Die UNESCO als Auftraggeberin war demnach eindeutig bekannt. Beide Aussagen deuten darauf hin, dass Calder selbst seine Nominierung der Einflussnahme der CIAM-Architekten zuschrieb und zwar nicht nur Breuer, sondern vielleicht auch dem Einsatz Ernesto Rogers oder José Luis Serts. Seine Entwürfe für das UNESCO-Mobile besprach Calder gemeinsam mit Breuer in den USA.396 Anders als etwa Henry Moore ging es Calder weniger um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der UNESCO und eine Übersetzung von deren Intentionen in einen künstlerischen Prozess. Eine Bezugnahme, wie sie Moore und Miró für sich in Anspruch genommen hatten, fand bei Calder nicht statt. Auch er besuchte gemeinsam mit Noguchi die Baustelle in Paris, wobei die Künstlerfreunde, Pearson zufolge, über den ursprünglich vorgesehenen Standort des Mobiles im japanischen Garten in Streit gerieten.397 Über die Auswahl seines Entwurfes berichtete Calder pragmatisch: „Ich stellte zwei Modelle her, Breuer wählte eines aus. Alles, was sich drehte, baute ich in Walterbury Connecticut.“398 Den Standfuß des Mobiles realisierte Jean Prouvé in Paris. 394 Vgl. Marter 1991, S. 224. 395 Originalzitat Marla Prather: „Thanks to the efforts of Marcel Breuer, the International Congress for Modern Architecture invited Calder to be one of six sculptors […] to create work for the ­U NESCO building designed by an international team of architects, headed by Breuer (U.S.).” Zit. nach: Ausst.-Kat. Washington D.C. 1998, National Gallery of Art: Alexander Calder. 1898–1976, hrsg. v. Marla Prather, Ausstellung vom 29. März–12. Juli 1998, S. 281. 396 Vgl. Brief Marcel Breuers an Michel Dard vom 14. 2. 1956, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 397 Vgl. Pearson 2010, S. 277. 398 Zit. Calder Alexander, in: Ausst.-Kat. Bonn 1993, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland: Alexander Calder. Die großen Skulpturen. Der andere Calder, hrsg. v. Daniel Abadie und Pontus Huelten, Bonn, Stuttgart 1993, S. 141.

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Spirale wurde im August 1958 auf dem UNESCO-Gelände montiert. Sie steht am Beginn von Calders monumentalen Plastiken und seinem zunehmenden Interesse an der Gestaltung des Außenraumes. 399 Der Mangel an ikonographischen Bezügen der UNESCO-Arbeit wurde Calder von der Presse immer wieder vorgeworfen. Doch gerade diese sinnliche Qualität des Unspezifischen machten seine Stabiles und Mobiles besonders geeignet für den öffentlichen Raum. Mit dem Bauboom der Nachkriegszeit stieg in den 1950er und 1960er Jahren die Nachfrage nach seinen großen Metallkunstwerken sprunghaft an. Diese zierten bald überall in den USA sowie in Südamerika und Europa Museumsvorplätze und -eingangshallen (Art Institute of Chicago), Stadtparks, Flug­häfen (Kennedy Airport in New York) und Bürolobbies.400 Wie Marter aufzeigt, avancierten Calders monumentale Arbeiten in Stahl zu Statussymbolen öffentlicher Kunstförderung – und zwar durch große Firmen und staatliche Einrichtungen, die sich vor allem in Kombination mit verglasten Hochhausarchitekturen zum Sinnbild einer neuen technisch-rationalen Eleganz etablierten.401 Auch der vierte UNESCO-Künstler zählt zu den großen Leitfiguren der europäischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Hans Arp (1886–1966), zum Zeitpunkt seiner Nominierung bereits neunundsechzigjährig, blickte auf ein umfangreiches wie vielschichtiges Œuvre zurück. 1911 hatte er gemeinsam mit den Künstlern des Blauen Reiters in München ausgestellt und 1916 die Züricher Dadabewegung mitbegründet und maßgeblich geprägt. Seit Mitte der 1920er Jahre bis zum Zeitpunkt seiner Flucht in die Schweiz (1940–1941) in Paris ansässig, stellte er gemeinsam mit den Pariser Surrealisten aus und war zusammen mit Miró und Calder Mitglied der Gruppe Abstraction-Création, die sich für die Vereinbarkeit surrealistischer Tendenzen mit einer abstrakten Bildsprache einsetzte. Arps künstlerische Aktivität war nicht alleine auf die Bildkünste beschränkt, ebenso wichtig war ihm seine schriftstellerische Arbeit, so publizierte er unzählige Gedichte und Essays. Ungegenständliche Reliefs und Rundplastiken dominieren sein plastisches Œuvre, wobei sich Arp vom Abstraktionsbegriff stets distanzierte und die an einer geistigen Realität orientierte Bezeichnung konkret, die Theo van Doesburg seit 1924 prägte, bevorzugte: Wir wollen nicht abbilden, wir wollen bilden. Wir wollen bilden, wie die Pflanze ihre Frucht bildet, und nicht abbilden. Wir wollen unmittelbar und nicht mittelbar bilden. Da keine Spur Abstraktion in dieser Kunst vorliegt, benennen wir sie konkrete Kunst.402

Sehr häufig verwendete er die von jeglichem Inhalt losgelösten Bildtitel wie Komposition, Konfiguration, Konstellation oder Konkretion, so auch beim UNESCO-Kunstwerk. 399 400 401 402

Vgl. Marter 1991, S. 224. Vgl. Ausst.-Kat. Washington D.C. 1998, S. 227. Vgl. Marter 1991, S 232 f. Zit. Arp, Hans: Unsern täglich Traum. Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914–1954, Zürich 1955, S. 79, zit. nach: Ausst.-Kat. Basel 1982, Kunstmuseum: Hans Arp. Nach den Gesetzen des Zufalls geordnet. Bestände und Deposita im Kunstmuseum Basel, hrsg. v. Monica Stucky und Jörg Zutter, Ausstellung vom 12. Juni–5. September 1982, S. 24.

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Sie unterstreichen Arps künstlerisches Anliegen nicht nach der Natur, sondern parallel zur Natur zu arbeiten.403 Automatismus und Zufall spielen als Momente und treibende Kräfte des Unterbewussten eine entscheidende Rolle im Findungsprozess seiner zeichenhaften Elementarformen. Für die UNESCO realisierte Arp ein Wandrelief mit dem Titel Constéllation (Taf. VIII), das sich aus vier in Form und Größe variierenden Bronzeplatten zusammensetzt. Bei allen Reliefteilen münden bewegte Linien in jeweils vier Eckpunkte und bilden eine rhythmisch gewellte, in sich geschlossene, quasi viereckige Außenform. Jedes Relief ist im Inneren wiederum nach dem gleichen linearen Prinzip ausgehöhlt. Außenform und Innenform verhalten sich in keiner Weise symmetrisch zueinander, sondern fließen gegeneinander, was die Formen insgesamt visuell in Bewegung versetzt. Die Bronzen sind dunkel patiniert und in unterschiedlichen Höhen und Abständen nebeneinander angeordnet. Ursprünglich konzipierte Arp sie für die Außenwand der Bibliothek am Sekretariatsgebäude. Dort angebracht, kontrastierte ihre dunkle monochrome Farbig­keit stark mit der hellen Travertinfassade. Durch ihre, sich der Zweidimensionalität annähernde Flächigkeit entstand ein starker optischer Effekt von Positiv- und Negativ­form. Dabei wurde die Außenwand ein wesentlicher Bestandteil des Kunstwerkes. Nachdem sich, wie im Falle von Mirós Keramikmauer, das Pariser Wetter als ungünstig für das Ensemble erwiesen hatte, wurden die Reliefplatten ins Innere verlegt. Seitdem schmücken sie eine mit poliertem Travertin ausgekleidete Wand eines schlecht beleuchteten Korridors des Konferenzgebäudes, die der raumgreifenden Wirkung des Kunstwerks leider nicht gerecht wird. Die von Arp im UNESCO-Kunstwerk aufgegriffenen Formen scheinen ihn noch einige Zeit lang interessiert zu haben. Unmittelbar nach diesem Auftrag übersetzte er eben jene geschwungenen viereckigen Formen in Gouachen, Holzreliefs und Bronzen (Abb. 30).404 Die Aktenlage bei der UNESCO erweist sich im Falle Arps als spärlich. Persönliche Briefwechsel zwischen Arp und dem Kunstberaterkomitee, die Aufschluss über den Konzeptions- und Bildfindungsprozess geben könnten, sind kaum auszumachen. Aus offiziellen Schreiben der Organisation an den Künstler lassen sich lediglich organisatorische Informationen herauslesen, die bestätigten, dass die Umsetzung von Arps Relief relativ reibungslos ablief. So geht aus einem Schreiben Arps an A. Manuelides (­UNESCO-Angestellter im Bureau du Siège und für Korrespondenzen verantwortlich) vom 26. Mai 1956 hervor, dass der Künstler den geplanten Termin für die Geländebesichtigung aufgrund eines Unfalls, von dem er sich zu dieser Zeit erholte, leider nicht wahrnehmen konnte. Seine Skizzen für das UNESCO-Kunstwerk hätte er deswegen nach den Architekturplänen anfertigt, die ihm Bernard Zehrfuss persönlich nach Meudon brachte. Eine Besichtigung des Bauplatzes wollte er dennoch unbedingt nachholen und so bat er 403 Vgl. Ausst.-Kat. Basel 1982, S. 29. 404 Vgl. Ausst.-Kat. Stuttgart 1986, Württembergischer Kunstverein: Arp 1886–1966, hrsg. v. Jane Hancock und Stefanie Poley, Ausstellung vom 13. Juli–31. August 1986, S. 284.

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Manuelides um einen zeitnahen Termin.405 Seine Skizzen wurden am 23. November 1956 vom Kunstberaterkomitee angenommen, wie aus einem Bericht Bernard Zehrfuss’ hervorgeht.406 Eine offizielle Auftragsbestätigung übersandte die U ­ NESCO am 4. März 1957. Darin getroffene vertragliche Regelungen sahen eine Vergütung von 4.375.000 Francs vor, sofern die Ausführung bis zum 31. August 1957 abgeschlossen sei. Aus diesem Vertrag geht auch hervor, dass die vom Künstler angefertigten Skizzen nach der Fertig­ stellung des Kunstwerkes im Eigentum der Organisation verblieben. Obwohl der Vertrag den Künstler auf die Realisierung einer bestimmten Skizze festlegte, muss Arp dennoch im Nachhinein drastische Veränderungen vorgenommen haben. In einem Bericht des Kunstberaterkomitees vom 21. und 22. Oktober 1957, also fast acht Monate nach Vertragsschluss, heißt es, das Komitee bedaure sehr, dass der Künstler in seinem neuen Projekt eine große zentrale Bronzeform mit einer Stärke von 30 cm verworfen habe. Wie in einem Schreiben vom 20. Juli 1957 jedoch zum Ausdruck gebracht, könnten die Komitee­ mitglieder seine künstlerischen Überlegungen hinsichtlich einer ästhetischen Änderung akzeptieren. Einstimmig erneuerte das Komitee sein Vertrauen in den Künstler.407 Der beim UNESCO-Bau geforderte Anspruch einer Zusammenarbeit zwischen Malern, Bildhauern und Architekten spielte im Wirken Hans Arps keine zentrale Rolle, zumindest gibt die Sekundärliteratur keinen einzigen Hinweis dazu. Dennoch scheint sein Interesse für solche Gemeinschaftsarbeiten womöglich seit seiner Zusammenarbeit mit Theo van Doesburg und Sophie Taeuber-Arp bei der künstlerischen Gestaltung des Freizeitzentrums Aubette408 in Straßburg 1927 bis 1928 geweckt. Kontakte zu ­Sigfried Giedion und Walter Gropius pflegte er seit Beginn der 1930er Jahre, eine enge Zusammen­arbeit fand jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Wie bereits erwähnt, bereitete Arp gemeinsam mit Giedion 1947 eine empirische Studie für den ersten CIAM-Kongress der Nachkriegszeit in Bridgwater und zwei Jahre später für den Kongress in Bergamo vor. Beim sogenannten Bridgwater Questionnaire handelt es sich 405 Vgl. Brief Jean Arp an A. Manuelides vom 26. 5. 1956. Dort heißt es: „Comme vous le saurez probablement, un accident dont je viens de me remettre, m’a empêché de visiter le chantier. J’ai donc dû faire mes espuisses d’après les plans que M. Zehrfuss avait l’amabilité de m’apporter à Meudon. Je serais très heureux de pouvoir visiter prochainement le chantier et tout spécialement la partie de la construction pour laquelle vous désirez mon relief.” UNESCO-Archiv, BNZ 16. 406 Vgl. Brief Bernard Zehrfuss an das Bureau du Siège vom 23. 11. 1956, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 407 Vgl. Rapport sur les debats et les resultats de la réunion du 21.–22. Octobre 1957. Dort heißt es: „Le Comité a regretté que l’artiste ait abandonné dans son nouveau projet la grand forme central en bronze poli de 30 cm d’épaisseur qui figurait dans sa maquette du 26. novembre 1956. Toutefois, les raisons d’ordre esthétique expsées par l’artiste dans sa letter du 20. 7. 1957 (1) ont été acceptées. A l’unanimité, le Comité a renouvelé sa confiance en l’artiste pour l’éxécution de celle œuvre d’art.” Unesco-Archiv, 4 CCA/4, 7 HQ 54. 408 Die Aubette, ein von Jacques-François Blondel von 1764–1767 im klassizistischen Stil errichtetes Gebäude an der Avenue Kléber in Straßburg, wurde ab 1927 vom Architekten Paul Horn zu einem Vergnügungszentrum mit Cafés, Restaurants, Kino und Tanzsaal umgebaut. Nachdem er Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp mit der Innengestaltung beauftragt hatte, zogen diese den befreundeten Theo van Doesburg hinzu und gestalteten gemeinsam die über vier Stockwerke laufenden Räumlichkeiten.

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30  Hans Arp, Constellation, Gouache, 1958

um eine Fragebogenaktion zur Ermittlung eines Meinungsbildes innerhalb der Architektenschaft – zum einen über das Miteinbeziehen ästhetischer Gesichtspunkte in den Kontext moderner Architekturformen, zum anderen über die Notwendigkeit einer Öffnung der modernen Architektur für zeitgenössische Kunstformen der Malerei und Bildhauerei.409 Neben Fragen nach gesellschaftlichen Bedürfnissen hinsichtlich einer symbolischen Ausdrucksweise in Bauformen zielten die Fragen sehr direkt auf eine prinzipielle Kooperationsbereitschaft der Architekten ab.410 Über das Ergebnis der Auswertung des Bridwater Questionnaire schweigen sich die Akten aus. Sigfried Giedion resümiert in seiner Publikation 1951: Der Fragebogen war nie dazu gedacht, statistische Antworten zu erhalten, sondern um Handlung zu provozieren! Sie [die Architekten] begannen ihre Absichten zu erfüllen, z. B. traute sich Walter Gropius beim Bau des Harvard Graduate Center 1950 nach einer beträchtlichen Summe für moderne Kunstwerke zu fragen.411

409 Vgl. Giedion 1951, S. 14 und S. 32 f. 410 So wird z. B. unter Punkt drei The Impact of the Sister Arts gefragt: „1. What do you consider could be the function of painting and sculpture in the domain of architecture. 2. Do you believe that cooperation between architect, sculptor and painter is really possible, in the present stage of development? And if so what new results might be achieved from this? How in your opinion could this practical cooperation be achieved?” Zit. nach: ebd., S. 32. 411 Originalzitat Sigfried Giedion: „The questionnaires were never intended to get statistical answers, but to provoke action! They began to fulfill their purpose when, for instance, Walter Gropius dared to ask a considerable sum for modern works of art when he built the Harvard Graduate Center in 1950.” Zit. nach: Giedion 1951, S. 40.

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Ob man nur rein mentaler Anregung der Architekten durch die Fragebogenaktion Glauben schenken darf, ist zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist, dass das Ergebnis nicht so positiv ausfiel, wie von Arp und Giedion erhofft. An dieser Stelle bleibt Arps grundsätzliches Interesse und Engagement für eine Künstlerkooperation festzuhalten, lange bevor das UNESCO-Konzept ausgearbeitet worden war. Arp war Mitglied in Le Corbusiers Association pour une Synthèse des Arts plastiques. Und tatsächlich erhielt er in den 1950er Jahren mehrere Aufträge für sogenannte Kunst-am-Bau-Arbeiten. Neben Miró war er einer jener von Gropius beauftragten Künstler an der Harvard University und realisierte dort im Innenbereich ein fünfteiliges Wandrelief aus Holz. Dieses markierte den Auftakt für drei weitere Flachreliefs an Außenfassaden öffentlicher Gebäude, die hinsichtlich ihrer Fertigungsweise – flache Formen mit glatter Oberfläche – Ähnlichkeiten aufweisen. 1953 beauftragte ihn der venezuelanische Architekt Raul Carlos Villanueva mit einem Wandrelief für den Campus der Universidad Central in Caracas.412 Und auf den UNESCO-Auftrag 1955 folgte 1959 ein weiterer für die Technische Hochschule in Braunschweig. Mit einer umfassenderen Außengestaltung des südwestlichen Geländeteils beauftragten die Architekten den japanisch-amerikanischen Künstler Isamu Noguchi (1904– 1988). Bereits in der ersten Sitzung des Kunstberaterkomitees im Mai 1955 war von einem „Garten im japanischen Stil“ die Rede.413 Der Ideengeber dieses außergewöhnlichen Kunstprojekts ist nicht auszumachen. Erstaunlich ist jedoch auf den ersten Blick die Gegenüberstellung von modernem Kunstkonzept europäischer Prägung einerseits und fernöstlichem Kunstansatz andererseits, der den Begriff des Einzelkunstwerks ablehnt und vielmehr auf eine harmonische Ganzheit ausgerichtet ist. Das Anlegen eines japanischen Gartens – Synonym für jahrhundertealtes tradiertes Wissen um die zeitlose Gestaltung des irdischen Kosmos – scheint dem innovativen und zukunfts­ orientierten Charakter des UNESCO-Gebäudes geradezu diametral entgegengesetzt. Mit der Nominierung Noguchis gelang dem Komitee jedoch ein entscheidender diplomatischer Brücken­schlag zwischen östlichen und westlichen Ansätzen, der vermutlich den Vorwurf kulturellen Dominanzstrebens ausräumen sollte. Noguchi, als Sohn eines japanischen Schriftstellers und einer amerikanischen Lehrerin in den USA geboren und in Japan aufgewachsen, sah sich sein Leben lang zwischen den elterlichen Kulturen stehen. Beide Traditionen gleichermaßen schätzend fühlte er sich keiner zugehörig. Japanische Gartenkunst und Töpferei beeinflussten sein ästhe412 Villanueva beauftragte für die Gestaltung seines Bauwerkes, das heute zum UNESCO-Welt­ kulturerbe zählt, 24 internationale Künstler, darunter Arp, Léger, Calder und Vasarely. Insgesamt wurden dort 107 Werke realisiert. Arp schuf neben dem Relief noch eine große freistehende Bronzeplastik mit dem Titel Wolkenhirte. Vgl. Borken, Anneke: Bunte Tropen. Universitätscampus in Caracas, in: Baunetzwoche, Nr. 91, 2008, S. 2–14, Internetquelle: http://media.baunetz.de/ dl/536573/ Bau­netz­­woche_91_2008.pdf, zugegriffen am 4. 5. 2011. 413 Vgl. Protokoll der ersten Kunstberaterkomiteesitzung, 16. 5. – 18. 5. 1955, UNESCO-Archiv, 1  CCA/ 8, S. 3.

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tisches Vermögen ebenso wie neoplastische und surrealistische Strömungen. Letztere lernte er als junger Künstler während eines eineinhalbjährigen Aufenthaltes in Paris 1928 kennen. Diese Bipolarität resultierte bei Noguchi in einer eigenständigen Auffassung von Kunst und ihren Kunstbegriffen. So verstand sich der ehemalige Brancusi-­ Schüler selbst nie singulär als Bildhauer, sondern vielmehr als Raumplastiker. Neben Skulpturen, die, mal konstruktiv mal organisch, mal figurativ mal abstrakt, eine große Vielfalt nicht zuletzt auch in Bezug auf ihr Material aufweisen, widmete sich Noguchi ganz der skulpturalen Gestaltung des Raums. Spielplätze, so etwa ein nicht realisierter Entwurf für das UN-Gebäude in New York, Bühnenbilder für die Choreographin Martha Graham und Gärten, die er häufig in Kooperation mit dem New Yorker Architekturbüro Skidmore, Owings & Merill ausführte, gehörten wie selbstverständlich zum Repertoire des Künstlers. Es ist davon auszugehen, dass Marcel Breuer, der diese letzte Arbeit mit Sicherheit kannte, Noguchi für das UNESCO-Projekt vorschlug. Noguchi tauchte gleich zweimal auf der Vorschlagsliste des Kunstberaterkomitees auf, zunächst als Erst­platzier­ ter für den Garten und dann an dritter Stelle für die Gestaltung der Bibliothekswand. Dass man den Bildhauer auch mit einer zweidimensionalen Arbeit betraut hätte, spricht dafür, dass die Kunstberater in ihm einen vielfältig orientierten internationalen Künstler sahen, mit einem starken Interesse an der Gestaltung architektonischer Raumgefüge. Die Architekten hatten zunächst auf einer direkt an das Sekretariatsgebäude angrenzenden dreieckigen Fläche an der Ostseite des südlichen Sekretariatflügels lediglich die Gestaltung eines kleinen Innenhofes vorgesehen. Diese sogenannte Delegierten-Patio, sollte mit Sitzgelegenheiten ausgestattet und mit Bepflanzungen versehen werden und den UNESCO-Delegierten einen Ort der Kontemplation und der Erholung bieten. Im dahinter liegenden leicht abschüssigen Geländeteil sollte Alexander Calders Mobile platziert werden. Während seines ersten Besuches der Baustelle wurde Noguchi klar, dass der gesamte, sich vom Gebäude bis hin zur Straße erstreckende Raum, enorme Gestaltungs­ möglichkeiten bot. Zunächst musste er seinen Freund Calder davon überzeugen, das Mobile an einer anderen Stelle zu montieren. Die Architekten zeigten sich einverstanden mit Noguchis Idee, drei wesentliche Gliederungselemente zu konzipieren: Zum einen galt es, das Sekretariat und das wesentlich kleinere Delegiertengebäude im hinteren Winkel dieses Geländeteils miteinander zu verbinden. Noguchi ersann hier einen japanischen Hanamichi, einen sogenannten Blumenpfad. Ferner wollte er den Erholungsraum der Delegierten in zwei Bereiche gliedern. Sein Modellplan sah vor, den direkt am Gebäude verlaufenden Bereich als eine Art Terrasse zu konzipieren, mit Bruchsteinen zu pflastern und Bänke und Tische aus stereometrischen Betonkörpern aufzustellen. Daran sollte sich der von seinem Höhenniveau niedrig gelegenere Garten anschließen. In einem ersten Modell (Taf. IX) spielt Noguchi mit nebeneinander angeordneten, ovalen Bodenflächen, die sich, teils eingefriedet, teils durch Wege miteinander verbunden, in der Geländemitte ansteigend zu einem sanften Hügel erheben. Erdboden, Kiesel­flächen und gepflasterte Bereiche ergeben aus der Vogelperspektive betrachtet ein kontrastreiches Arrangement. Frei auf dieser Fläche verteilt sind kleinere Fel-

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sen und Bruchsteine, mit einer natürlichen skulpturalen Erscheinung. Auf den ersten Blick assoziiert man das Modell unweigerlich mit einem abstrakten Gemälde, das sich aus Farbflächen zusammensetzt, die kontrapunktisch von Pflanzen und Steinen durch­ zogen werden. Eigenen Aussagen zufolge war Noguchi nicht mit den strengen Regeln der traditio­ nellen japanischen Gartenkunst vertraut.414 Im März 1957 reiste er nach Japan, um sich Rat und Hilfe zu suchen.415 Nach zahlreichen Gesprächen mit Gartenexperten, von denen Noguchi aussagte, jeder habe ihm eine andere Empfehlung ausgesprochen, wählte er gemeinsam mit einem ausgewiesenen Meister, Shigemori Mirei, in einem Steinbruch Findlinge für den UNESCO-Garten aus. 88 Tonnen japanischen Stein ließ er im Juli 1957 von Kobe nach Marseille verschiffen und nach Paris bringen.416 Das Kunstberaterkomitee hatte für die Ausführung von Noguchis Arbeit ein Budget von 35.000 US-Dollar kalkuliert. Nachdem seine Erweiterungsvorschläge vom Hauptquartierkomitee akzeptiert waren, wurde rasch ersichtlich, dass diese Summe kaum ausreichen würde, um Erdarbeiten, Steine und Pflanzen und gleichzeitig ausführende Arbeitskräfte zu finanzieren. Auf Noguchis Vorschlag hin, die japanische Regierung um Unterstützung zu bitten, wehrte die UNESCO zunächst vehement ab. Der Grund hierfür ist sicherlich in der besonderen isolierten Stellung Japans innerhalb der Welt­ gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Wie Liang Pan nachweist, stellte die UNESCO für die japanische Regierung eine der wenigen Möglichkeit dar, um überhaupt diplomatische Beziehungen und kulturellen Austausch mit anderen Staaten zu pflegen.417 Die UNESCO-Delegierten wollten die Situation nicht unnötig strapazieren oder gar den Anschein erwecken, sie auszunutzen.418 Als die UNESCO Noguchi riet, selbst in Sachen Fundraising aktiv zu werden, wendete er sich zunächst an die japanischen Kultur­atachés in Paris und New York. Diese vermittelten ihn weiter zu dem für Kulturfragen zuständigen japanischen Botschafter Toru Hagiwara in Bern. Ihm gelang es, die japanische Regierung zu mobilisieren und ein teils governmentales, teils privates Fundraising-Programm auf den Weg zu bringen, das in weniger als einem Jahr 1.800.000 Yen an Regierungsgeldern und 7.000.000 Yen aus privaten Quellen einwarb.419 414 Vgl. Noguchi, Isamu: Isamu Noguchi. A sculptor’s world, Tokyo 1967, S. 166. 415 Vgl. Treib, Marcel: Noguchi in Paris. The UNESCO Garden, Paris 2003. Der Autor arbeitet in seiner Publikation umfassend, detailliert und unter Berücksichtigung sowohl der wichtigsten Sekundärliteratur als auch der Quellenlage in den Archiven der UNESCO in Paris und der Isamu Noguchi Foundation in New York den gesamten Entstehungsprozess dieses Werkes auf. 416 Vgl. ebd., S. 166. 417 Vgl. Liang, Pan: Japanese Relations with UNESCO during the Cold War. Unveröffentlichtes Tagungsdokument der UNESCO-Tagung UNESCO and the Cold War im Heidelberg Center for American Studies, vom 4. 3.–5. 3. 2010. 418 Vgl. Duus, Masayo: The Life of Isamu Noguchi. Journey with Borders, Princeton University Press, New Haven 2000, S. 275. 419 Duus bezieht sich hier auf Quellenmaterial aus dem Noguchi-Archiv und listet alle privaten Geldgeber, überwiegend große Firmen, auf. Ihr zufolge spendete die Ishibashi Foundation 500.000 Yen, die Ajinomoto Company 550.000 Yen, die Kajima Construction Company 50.000 Yen, der Hankyu

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Für Noguchi verkomplizierte sich der Arbeitsprozess im Mai 1957, als er die Nachricht über gravierende Verzögerungen beim Bau des Sekretariates erhielt. Die UNESCO teilte ihm mit, er könne vor Ort unmöglich mit seiner Arbeit beginnen und vertröstete ihn auf das kommende Frühjahr 1958. Prekär war diese Situation deswegen, da Noguchi bereits ein Atelier in Paris angemietet hatte und seine Steine mitsamt einer eigens ausgewählten Crew geschulter Gartendesigner zu jenem Zeitpunkt bereits den Ozean überquerte. Zudem hatte er zahlreiche Ausgaben in Vorkasse geleistet und fürchtete um seine finanzielle Sicherheit.420 Erbost schrieb Noguchi am 4. Juli 1957 an Bernard Zehrfuss: Tatsächlich kann ich nicht verstehen, warum so vehement darauf insistiert wird, dass ich nicht [nach Paris] kommen sollte, obwohl ich doch derjenige bin, der für seine Fahrtkosten aufkommt – und andere Ausgaben bereits bezahlt hat. Also bin ich gezwungen, daraus zu schließen, dass ich als Belästigung empfunden werde.421

Obwohl er ausdrücklich nicht erwünscht war auf der Baustelle, reiste Noguchi dennoch im September 1957 nach Paris. Die UNESCO hatte ihm, Masayo Duus zufolge, einen Stab spanischer und algerischer Gastarbeiter zur Verfügung gestellt, die über keinerlei Fachkenntnisse im Versetzen von Steinen verfügten. Sie waren nicht in der Lage 80 Steine zu platzieren. Auf Noguchis Bitten sandte ihm Shigemori einige seiner japanischen Arbeiter. Diese wiederum zeigten sich nicht bereit, Noguchis oftmals rein assoziativ gefundene Standorte zu akzeptieren, da sie nicht den von ihnen erlernten strengen Vorgaben und Positionierungen japanischer Gartenkunst entsprachen. Nach tagelangen Querelen reiste die japanische Crew zurück und Shigemori sandte ihm seinen Schüler Tuoemon Sanô. Aber auch diese Zusammenarbeit eskalierte geradezu täglich, da Sanô bestrebt war, zumindest einige Grundregeln japanischer Gartenarchitektur umzusetzen.422 Im Ergebnis schuf Noguchi, seiner eigenen Einschätzung zufolge, eine Anlage, die zahlreiche Elemente, vor allem aber eine geistige Inspiration der japanischen Gartenkunst entlehnte, diese jedoch, eigenen modernen Kunstprinzipien folgend, einsetzte.423 Die Terrasse am Sekretariat stellt mit ihren arrangierten Betonwürfeln, -quadern, runden und konischen Sitzmöglichkeiten (Abb. 31) sowie dazwischen drapierten SteinDepartment Store 30.000 Yen, die Personen Aiichiro Fujiama und Masaichi Nagata (letzterer Präsident der Daiei Filmgesellschaft) je 1.000.000 Yen, Kann’ichi Moroi 500.000 Yen und Nagamasa Kawakita 50.000 Yen. Vgl. Duus 2000, S. 166. 420 Vgl. Treib 2003, S. 55. Der Autor arbeitet darin umfassend und unter Berücksichtigung sowohl der wichtigsten Sekundärliteratur als auch der Quellen in den Archiven der U ­ NESCO und der Isamu Noguchi-Foundation in New York, den gesamten Entstehungsprozess des ­U NESCO-Werkes auf. Die Autorin bezieht sich deswegen im Folgenden maßgeblich auf seine Publikation. 421 Originalzitat Isamu Noguchi: „As a matter of fact, I can not understand why there is all the in­­ sistence that I should not come there since I am the only one who pays my fare there – or paid my way here or paid all the considerable expense I have gone to. So I am forced to the conclusion that I am considered something of a nuisance.” Zit. nach: Treib 2001, S. 57 ff. Dieser gibt als Quelle einen Brief Noguchis an Bernard Zehrfuss vom 4. 7. 1957 aus dem UNESCO-Archiv an. 422 Vgl. Duus 2000, S. 283 ff. 423 Vgl. Noguchi 1967, S. 167.

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31  Isamu Noguchis Sitzgelegenheiten aus Beton auf der Delegiertenterrasse, 1957

stelen ein Skulpturenfeld dar, das sich zu einem abstrakten dreidimensionalen Raum zusammenfügt. Eine Verbindung zwischen Terrasse und Garten erreichte Noguchi über ein typisches Gartenelement, nämlich ein Bassin (Abb. 32), von dem aus Wasser in einen tiefer liegenden Teich fließt (Taf. X). In dem Bassin befindet sich das einzig von Noguchi skulptural bearbeitete Element, eine Stele, in die ein japanisches Zeichen eingemeißelt ist. Sie markiert als ein Dreh- und Angelpunkt das Zentrum der Anlage. Nicht von Diskussionen befreit war der Prozess der Zeichenfindung. Noguchi, der das japanische Zeichen ai für Liebe in den Stein schlagen wollte, änderte dieses Konzept wieder, nachdem eigenen Aussagen zufolge Einspruch von Seiten gläubiger Zen Buddhisten erhoben worden war. Liebe, so ihr Argument entspränge mehr der christlichen Religion, sie bevorzugten vielmehr das Zeichen mu für das Nichts, oder kokoro für Gefühl oder yorokobi für Freude.424 Ob Noguchi letztendlich alleiniger Entscheidungsträger war oder ob andere Beteiligte in diese Symbolfindung involviert waren, lässt sich nicht feststellen. Der Künstler realisierte schließlich in einer kalligraphischen Weise das Zeichen wa für Frieden.425 Von der Terrasse aus schafft ein geradliniger Pfad, der eher einer Brücke gleicht, eine direkte Verbindung zum Exekutivratsgebäude. Der eigentliche Garten kontrastiert durch sein biomorphes und natürliches Erscheinungsbild mit der geometrischen Kühlheit der Terrasse. Bepflanzte Passagen auf Hügeln wechseln sich mit begehbaren Pfaden ab. Organisch und doch stilisiert geformt kontrastieren sie mit parzellierten Flächen,

424 Vgl. Treib 2003, S. 64. Der Autor zitiert an dieser Stelle aus einem Brief, den Noguchi am 1. 7. 1957 an einen Herrn Abramsky schrieb. Das Schreiben befindet sich in der Isamu NoguchiFoun­dation. 425 Vgl. ebd.

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32  Delegiertenterrasse mit Isamu Noguchis Stele

jede ist anders gestaltet und besitzt ihren eigenen Schwerpunkt durch ein Felsen- und Baumarrangement. Noguchis Garten blieb nicht frei von Kritik. Marcel Treib zufolge, tendierten Kunsthistoriker dazu, ihn als reine Landschaftsarchitektur anzusehen, wohingegen Landschaftsarchitekten seine skulpturale Qualität in den Vordergrund rückten. ­Europäi­sche Kritiker unterstellten ihm japanischen Nationalismus, wohingegen Japaner ihn als gänzlich unjapanisch apostrophierten. UNESCO-Delegierten erschien er – wie die meisten anderen Kunstwerke – schlichtweg zu modern.426

Kunstwerke im Gebäudeinneren Im Vergleich zur vielfältigen plastischen Gestaltung des Außenraumes erweist sich das Gestaltungskonzept im Inneren der Gebäude als spartanisch. Lediglich drei Standorte wurden von den Architekten für Arbeiten ausgewählt. Dies sind eine 10 x 8 Meter große Wandfläche in der Eingangshalle des Konferenzgebäudes, drei weitere Wandflächen im Caféteria- und Restaurantbereich im siebten Stock des Sekretariates sowie eine Wandfläche im großen Plenarsaal. Hier offenbaren sich die Schwächen der geplanten Künstlerkooperation. Die Arbeiten im Freien treten durch ihre exponierte Positionierung mit der Architektur in einen Dialog. Im Gegensatz dazu verschwinden die Kunstwerke im 426 Vgl. ebd., S. 77.

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Inneren aufgrund ihrer geringen Anzahl und zusammenhanglosen Platzierung. Anders als in den Bauten Le Corbusiers (z. B. die Unité d’Habitation in Marseille) oder Walter Gropius‘ (z. B. Bauhaus in Dessau) – mit stringenten vitalisierenden Farbkonzepten im Innenraum – dominiert im UNESCO-Bau grauer Sichtbeton. Die fünf Kunstwerke von Picasso, Rufino Tamayo, Roberto Matta, Afro Basadella und Karel Appel treten nur als dekorative Randnotizen in Erscheinung. Für den vergleichsweise größten Eklat sorgte Pablo Picasso mit seinem monumentalen Wandbild, das den Titel La chute d’Icare (Sturz des Ikarus) trägt (Taf. XI). Picasso, seit jeher eine umstrittene Persönlichkeit in der französischen Kunstmetropole, hatte auf vierzig Leichtholzplatten ein monumentales Ölgemälde geschaffen, dessen Bildaussage auf den ersten Blick für die Besucher wenig greifbar erschien. Die Erwartungen an den bereits zur damaligen Zeit gewichtigsten Künstler der Gegenwart – Picasso war 77 Jahre alt – waren hoch gesetzt. Wem, wenn nicht dem Urheber des ikonenhaften Antikriegsbildes Guernica (1937), wurde eine politische Stellungnahme zur neuen Welt­ organisation mit kultureller Friedensmission zugetraut? Denn mit jenem Bild, so urteilte Werner Spies, „kehrte die Kunst [...], die sich, nicht zuletzt dank Picasso, weitgehend von der Darstellung zeitgeschichtlicher Themen abgewandt hatte, zu einer Gattungs­ malerei zurück, die auf politische Zustände eingeht“.427 Mit einem zweiten Bild politischer Positio­nierung, dem Massaker in Korea (1951), ergriff der Künstler in der Nachkriegszeit Partei gegen den von den Amerikanern geführten Krieg. Seit 1944 als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs aktiv, besuchte Picasso die Weltfriedenskongresse in Breslau (1948), Paris (1949), Sheffield (1950) und Rom (1951).428 Carsten-Peter ­Warncke zufolge übernahm er nie Parteiämter, engagierte sich jedoch künstlerisch bei solchen internationalen pazifistischen Aktionen. Beispielgebend seien hier seine Plakate für die Friedenskongresse genannt, für die er das Motiv der weißen Friedenstaube (erstmals für den Congrès Mondial des Partisans de la Paix 1949 in Paris) variierte. Sie stehen nicht zuletzt sinnbildhaft für einen langjährigen, nicht immer konfliktfreien politischen Einsatz.429 Die UNESCO und auch die Weltöffentlichkeit hatte sich von Picasso für das 427 Zit. Spies, Werner: Kontinent Picasso, in: Gaethgens, Thomas W. (Hg.): Gesammelte Schriften zur Kunst 5, Berlin 2008, S. 160; vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1983, Nationalgalerie: Picasso. Das plastische Werk, hrsg. v. Werner Spies, Ausstellung vom 7. Oktober–27. November 1983, vgl. Ausst.Kat. Berlin 1993, Nationalgalerie: Picasso. Die Zeit nach Guernica 1937–1973, hrsg. v. Werner Spies, Austellung von Dezember 1992–August 1993, danach: Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München und Hamburger Kunsthalle. 428 Vgl. Warncke, Carsten-Peter: Pablo Picasso 1881–1973, Bd. II, Werke 1937–1973, Köln 1993, S. 474. 429 Picasso war von 1945 bis zu seinem Lebensende Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs und sowohl bedeutendes als auch unliebsames Parteimitglied. Sein internationaler Ruhm erwies sich zwar einerseits als propagandistisch wirkungsvoll, die Auffassung der Partei von Kunst als rein politischem Instrument im Kampf für den Kommunismus mit konkreten formalen Vorstellungen ließ sich hingegen nicht mit Picassos unbezähmbarem Individualismusstreben bezüglich seines künstlerischen Schaffens vereinbaren. Von scharfen Attacken blieb er trotz seines einflussreichen Fürsprechers und Freund Argagon nicht verschont. Warncke sieht im Werke Picassos eine zeitweise stilistische Annäherung an die kommunistische Realismusdoktrin. Für nähere Informa-

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neue Hauptquartier eine ähnliche ikonenhafte Friedenssymbolik erhofft. Durch das auf den ersten Blick karge Gemälde, das keine eindeutigen inhaltlichen Ansatzpunkte bot, geschweige denn sichtbare politische Bezüge erkennen ließ, fühlten sie sich regelrecht brüskiert. Rasch wurde Picasso in Hetzkampagnen der Presse zum Sündenbock gestempelt. Die Paris-presse titelte am 25. September 1958 „Picasso a-t-il mystifié l­ ’­U NESCO?“ und stellte in reißerischer Aufmachung den „diabolique Espagnol“ an den Pranger.430 Mit dem Porträtfoto eines schallend lachenden Picassos provozierte der Artikel den Eindruck vom schadenfrohen Künstler und trug damit zur Stimmungsmache gegen das ­U NESCO-Kunstwerk bei. Das Journal de l’Amateur d’Art stellte am 10. November 1958 in einer Artikelüberschrift die nationalistische Frage „Picasso est-il Français?“ und monierte damit nicht zuletzt die Auswahl überwiegend ausländischer Künstler.431 Als Nachfahre Poussins, Watteaus und Prud’hons, so das Fazit des Autors, erfülle einen der neue Palast der UNESCO nicht gerade mit Stolz. Was versetzte die Zeitgenossen in eine derartig ablehnende Haltung, die bis zum heutigen Tage anzuhalten scheint, so dass das Gemälde – übrigens eines der größten im Gesamtœuvre des Meisters – nahezu unbekannt bleibt und in nur wenigen Publikatio­ nen Erwähnung findet? Auf vierzig Holztafeln eröffnet sich dem Betrachter eine wenig dreidimensionale Bildfläche. Drei gegeneinander abgesetzte Farbflächen – blau-violett, braun-grün und weiß – lassen Wasser, Strand und Himmel erahnen. Dort hinein platziert Picasso auf gleicher Ebene fünf Figuren. Zwei in knapper Konturzeichnung geformte liegende und gesichtslose Figuren erscheinen am rechten Bildrand als Badende am Strand. Ihre Körper wirken flächig, sind kaum modelliert und ihr monochromer heller Braunton hebt sich nur wenig vom Braun des Untergrundes ab. Eine dritte Figur, ein männlicher Akt, steht an ihrer Seite. Sein Körper in weiß-grau ist differenzierter modelliert und ansatzweise in der für Picasso typischen zergliederten Mehransichtigkeit gearbeitet. Frontal blickt sein vogelartiger Kopf mit Punktaugen, Dreiecksnase und Strichmund teilnahmslos aus dem Bild heraus. Am linken Bildrand badet eine weibliche Figur im Wasser. Ihr Körper setzt sich aus stereometrischen Einzelteilen, einem gesichtslosen Kopf, einem dreieckigen Oberkörper mit zwei Brüsten, einer flossenähnlichen Hand und einem flossenähnlichen Unterbau zusammen. Zu viert rahmen diese Figuren das sich in der Mitte ereignende Bildgeschehen. Dort scheint eine Figur kopfüber ins Wasser zu stürzen. Ihre überlängten, skelettartig gegliederten, weißen Gliedmaße sind großzügig in einer schwarzen, schattenartigen Fläche gefasst, die sie deutlich hervorhebt. Deutbare Mimiken oder Gesten, handfeste Attribute oder narrative Impulse sucht man in diesen überwiegend gesichtslosen Figuren vergeblich. Vier Badende und ein Gestürzter könnte das Ergebnis einer vorikonographitionen über Picasso und die KPF vgl. Hensbergen, Gijs van: Guernica. Biographie eines Bildes. München 2007, S. 209 ff.; Spies, in: Gaethgens 2008, S. 238 ff.; Ullmann, Ludwig: Picasso und der Krieg, Bielefeld 1993, S. 394 ff.; Warncke 1993, S. 474 ff. 430 Vgl. Brigneau, François: Picasso a-t-il mystifié l’UNESCO? In: Paris-presse l’intransigeant, 25. 9. 1958. 431 Vgl. Imbourg, Pièrre: Picasso est-it Français? In: Journal de l’A mateur d’A rt, 10. 11. 1958.

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schen Analyse lauten. Zudem zeugt die Situation von einer überraschenden Statik und ein eigenartiges „Nichtgeschehen“ ist spürbar, ja wird sogar durch das große Bildformat noch monumentalisiert. Weder eine prozesshafte Bildentwicklung noch ein formal gestalterisches Interesse wird für den Betrachter auf den ersten Blick ersichtlich. Doch die Werkgenese lässt sich rekonstruieren. Anders als der gängigen Sekundär­ literatur zu entnehmen, ging eine Anfrage der UNESCO nicht erst 1957, sondern bereits im Herbst 1955 bei Picasso ein. Wie die Mehrzahl der Künstler wurde auch Picasso von George Salles zunächst inoffiziell kontaktiert.432 Im Mai 1956 sandte dann das Bureau du Siège einen Brief mit der Bitte, dem Kunstberaterkomitee baldmöglichst erste Skizzen zur Begutachtung zu übersenden.433 Dass Picasso dieser Anfrage Folge leistete, darf bezweifelt werden. Erst seit März 1957, so heißt es in einem Protokoll des Kunstberater­ komitees, könne, den letzten Auskünften George Salles zufolge, das Mitwirken Pablo Picassos als gesichert angesehen werden. Der Künstler hätte die ursprüngliche Idee eines Keramikdekors zugunsten eines Wandbildes in Öl fallen gelassen. Dieses würde auf unterschiedlichen Leichtholzplatten in seinem Atelier angefertigt, eine Methode, die der Künstler bereits im Musée d’Antibe erprobt habe und die es erlaube vor Ort montiert zu werden. Es sei nun an den Architekten, sich an Picasso zu wenden, um Fragen des Formats, der Anzahl und Installation der Platten zu diskutieren.434 Picasso begann jedoch erst im Winter 1957 mit konkreten Entwürfen für das ­U NESCO-Kunstwerk. In zwei Skizzenbüchern, den Carnets de l’UNESCO, dokumentierte er vom 6. Dezember 1957 bis zum 4. Januar 1958 und vom 5. bis zum 29. Januar 1958 mit über 60 Bleistift-, Tusche und Buntstiftzeichnungen einen durch Motivverwerfungen und Brüche gekennzeichneten komplizierten Bildfindungsprozess.435 Ausgangspunkt seiner künstlerischen Überlegungen war eine Atelierszene, die er am 6. Dezember 1957 als Gouache ausführte (Taf. XII). Die ersten Zeichnungen übernehmen die wesentlichen Elemente dieser Gouache und zeigen einen Atelierraum. Zwei Motive sind darin nebeneinandergestellt: Ein seitlich liegender weiblicher Akt nimmt den rechten Bildraum ein und ruht auf einem Divan, neben ihm steht ein Stuhl, hinter ihm eine Leinwand. Die rechte Seite wird dominiert von einer vom Boden bis unter die Decke reichenden Leinwand. Darauf erscheinen sechs Figuren dem Betrachter frontal zugewandt. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Gebärden und eine skulpturale Statik aus. Und in der Tat griff Picasso bei diesem Motiv auf Holzfiguren zurück, die er im Sommer 1956 432 Vgl. Protokoll der zweiten Kunstberaterkomiteesitzung, 3.  11.–4.  11.  1955, UNESCO-Archiv, 2 CCA/5, S. 2. 433 Vgl. Brief von A. Manuelides an Pablo Picasso vom 18. 5. 1956, adressiert an dessen Villa La Californie, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 434 Vgl. Protokoll der Deuxième Groupe de Travail vom 14. 3. 1957, UNESCO-Archiv, CCA/WG 2, 7 HQ 18, S. 5. 435 Der Verleger Albert Skira veröffentlichte die Skizzen 1971 und 1972 in einer Publikation und einem großformatigen Sonderdruck. Vgl. Picon, Gaëtan: La chute d’Icare de Pablo Picasso, Genève 1971; Leymarie, Jean: Pablo Picasso. La chute d’Icare. Décoration du Foyer des Délégué au Palais de l’UNESCO à Paris, Genève 1972.

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aus vorgefertigten Kisten, Brettern, Bilderrahmen und Latten assemblageartig zu einem Skulpturenarrangement zusammenfügte. Mit Ritzzeichnungen versehen und in monochromem Braun gefasst erinnern sie an indianische Totems. Ganz anders lautet ihr Titel: Die Badenden.436 Breits im September 1956 fertigte Picasso von dieser Figurengruppe ausgehend zahlreiche Zeichnungen an und arbeitete verschiedene Figurencharaktere heraus. Insgesamt versinnbildlichen bei dieser Gouache das Aktmodell und das Bild-imBild die Attribute des Künstlers. Vom 17. bis 22. Dezember 1957 beschäftigte sich Picasso ausschließlich mit Detailstudien des weiblichen Modells. Dabei zeugen 18 Skizzen von einer intensiven formalen Auseinandersetzung. Kubistische Zersplitterung des Körpers, Mehransichtigkeit von Posen sowie Varianten der Körperhaltung im Bereich der Arme, Beine und des Kopfes standen im Zentrum seines Interesses. Am 23. Dezember 1957 fügte er das zuvor isolierte Aktmotiv wieder in den Atelierraum ein, dessen detailreiche Ausgestaltung von nun an seine volle Aufmerksamkeit bekam. Stelen im Hintergrund – mit Pferdestatuette und Porträtköpfen – füllten den Kunstraum. Picasso erprobte unterschiedliche Gewichtungen von Akt und Staffelei in Vorder- und Hintergrund. Hinzu trat ein zentrales neues Bildmoment. Der Künstler selbst erschien als überlebensgroßer Schatten am rechten Bildrand. Damit griff Picasso auf einen programmatischen Bildtopos zurück, wie ihn etwa Jan Vermeer mit seinem Bild Ruhm der Malkunst etabliert hatte. Er inszenierte den ‚Künstler in seinem Atelier‘ als eine Allegorie der Kunst. Mit dieser Grundintention der Erhöhung des freien und modernen Künstlerindividuums erfüllte Picasso vortrefflich das Kunstkonzept der UNESCO. Bis in die erste Januarwoche des Jahres 1958 verfolgte er konsequent diesen Bildgedanken und fixierte ihn am 7. und 8. Januar in vier Wachskreidezeichnungen (Taf. XIII). Dabei berücksichtigte er nicht nur in verkleinertem Maßstab die unregelmäßigen Wandmaße des Konferenzgebäudes mit ungleichen Seitenlängen von 7 und 8 Metern, sondern überzog seine Zeichnungen mit der nötigen Rasterung zur Ausführung auf montierbaren Holzplatten. Was allerdings zwischen dem 8. und dem 29. Januar 1958 passierte und zum radikalen Bruch mit dieser allegorischen Bildidee führte, bleibt ungewiss. Innerhalb weniger Tage verwarf Picasso die Arbeit von Wochen und griff eine andere Bildthematik auf. Er isolierte die Szene der Badenden, die zuvor als Bild im Bild in Erscheinung getreten war und arrangierte seine Figuren in veränderter, abstrahierter Weise, auf einer nur wenig räumlich wirkenden Bild­fläche neu. Im Zentrum der Szene erscheint eine hinabstürzende Gestalt. Dass sie als zentrales Motiv intendiert war, belegen 15 Detailskizzen vom 25. Januar 1958, in denen Picasso den freien Fall durch unterschiedliche Bein- und Armstellungen simuliert. Vier dieser Skizzen zeigen eine Frau. Außergewöhnlich bei diesem zweiten Bildfindungsprozess erscheint Picassos Technik. Anders als bei der Umsetzung der ersten Bildidee fertigte der Künstler nicht zahlreiche voneinander variierende Zeichnungen an, sondern kon­ apierfetzen, struierte das Bild nur ein einziges Mal und variierte Details durch kleine P 436 Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1983, S. 296.

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die collageartig übereinandergelegt werden konnten. Insgesamt 17 solcher minutiöser Detailpartikel ließen verschiedene Bilder entstehen. Am 29. Januar 1958 scheint die zur Ausführung gelangende Lösung gefunden gewesen. Lediglich der Kopf des Stürzenden wird im Zuge der Umsetzung von einem spitzzulaufenden Kopf mit Gesicht zu einem runden entindividualisierten Kopf ohne Gesichtszüge verändert. Über die Gründe, die zur Veränderung der ursprünglichen Bildintentionen geführt haben, lässt sich nur spekulieren. Fest steht, dass Picasso das Thema des Künstlers in seinem Atelier437, das nicht zuletzt als Hommage an das Schöpferische zu verstehen ist, zugunsten einer anderen, für den UNESCO-Kontext – seiner Meinung nach – passenderen Darstellung verworfen hatte. Zwei große Bildthemen der Kunstgeschichte kommen hier als Vorlage in Frage. Dies ist zum einen die bereits von George Salles vorgeschlagene Szene des Ikarussturzes, zum anderen kommt der Sturz des Phaethon in Betracht. Von beiden Geschichten berichtet Ovid in seinen Metamorphosen, eine Dichtung, mit der sich Picasso 1930/31 im Rahmen eines Illustrationsauftrags durch den jungen schweizerischen Verleger Albert Skira auseinandersetzte und einen 15 Blätter umfassenden Radierzyklus entwarf.438 Darin illustrierte Picasso unter anderem die Geschichte des Phaethon, die mit seinem UNESCO-Bildwerk jedoch in Motivik und Bildaufbau keinerlei Ähnlichkeiten aufweist. Kontextbezogen erscheinen beide geeignet für die U ­ NESCO-Narrative, denn sie behandeln im weitesten Sinne die lehrreichen Momente von Selbstüberschätzung und Hybris menschlichen Strebens: So verlässt der junge ­Ikarus, bestückt mit meisterlich gefertigten Flügeln aus Vogelfedern, aus Überschwang, die vom Vater sorgfältig geprüfte Flugbahn und stürzt, der Sonne zu nahe gekommen, tödlich ins Meer. Der Erdenmensch Phaethon erbittet vom Sonnengott und leiblichen Vater Helios, ein einziges Mal dessen Sonnenwagen um die Erdachse lenken zu dürfen. Die Ratschläge des Vaters missachtend, geraten Pferde und Wagen außer Kontrolle und richten durch einen Feuersturm verheerenden Schaden auf der Erde an, so dass nur ein tödlicher Blitzschlag Jupiters dem Unglück Einhalt gebieten kann und den jungen Phaethon tot zurück zur Erde schleudert.439 Ihren jugendlichen Optimismus, der 437 Carsten-Peter Warncke zufolge schuf Picasso seit seinem Umzug in die großbürgerliche Villa La Californie bei Cannes 1955, in die er sich mit seiner neuen Lebenspartnerin Jacqueline Roque zurückzog, 1957 zahlreiche Atelierszenen, die vor allen Dingen seine großzügigen Arbeitsräume inszenierten. Vgl. Warncke 1993, S. 515. 438 Vgl. Ausst.-Kat. Karlsruhe 1974, Badisches Landesmuseum: Picasso und die Antike. Mythologische Darstellungen, Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen, Druckgraphik, Keramik, Kleinplastik, hrsg. v. Jürgen Thimme; vgl. auch: Nina Schleif: Von Locken und Verlockungen. Pablo Picassos Illustration antiker Texte im Spiegel von Tradition und Moderne, in: Ausst.-Kat. München 2010, Museum Brandhorst, Bayerische Staatsgemäldesammlungen: Picassos Künstlerbücher. Werke aus der Sammlung Udo und Anette Brandhorst, Ausstellung vom 25. November 2010–6. März 2011, S. 191; vgl. auch: Leuschner, Eckhard: Le Métamorphoses d’Ovide von Pablo Picasso. Künstlerische Genese und Beziehungen zum Text, in: Albrecht, Michael von: P. Ovidius Naso. Metamorphosen. Mit 30 Radierungen von Pablo Picasso und einem kunsthistorischen Nachwort von Eckhard Leuschner, Stuttgart 2010, S. 1065–1075. 439 Vgl. Albrecht 2010, S. 77 ff. und 459 ff.

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für Warnungen der Erfahrenen nicht zugänglich war, bezahlen beide Protagonisten mit dem Leben. Diese Botschaft, so scheint es, richtete Picasso mahnend an die junge UNESCO. Dabei verzichtete er auf gängige Bildtraditionen, wie sie etwa Pieter Breughel d. Ä. mit seinem berühmten Gemälde Sturz des Ikarus festschrieb und getreu der literarischen Vorlage die Zeugen des Geschehens, den Fischer, den Hirten und den Ackermann in den Vordergrund rückte. Oder Peter Paul Rubens, der in seinem Gemälde Fall des Phaethon einen spannungsgeladen dramatischen Sturz des Pferdestreitwagens inszenierte. Picassos Badende machen insoweit eine Phaethonerzählung wahrscheinlich, als in der ovidschen Erzählung tatsächlich von Nymphen die Rede ist, die als Leidtragende der Weltenzerstörung den Verlust ihrer Quellen und Seen beweinen. Abgesehen von dem möglichen mythologischen Hintergrund des Bildes lässt sich die Szene der Badenden, wie Ina Conzen im Rahmen einer thematischen Retrospektive aufzeigte, als ein Leitmotiv im Gesamtwerk Picassos verorten. Ausgehend von einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Cézanne und Matisse während seiner frühen kubistischen Phase, variierte er die Badenden auch während seiner klassizistischen und surrealistischen Werkphase bis in das Spätwerk.440 Seine alljährlichen Aufenthalte in der Bretagne oder an der Côte d’A zur gemeinsam mit seinen jeweiligen Lebenspartnerinnen und seinen Kindern dienten dabei als motivische Inspirationsquellen. Eine Badende in Verbindung mit einem Stürzenden lässt sich auch schon in früheren Werken finden. In dem Gemälde Badende Frauen vom 6. September 1932, das sich durch eine skizzenhafte, jedoch in Formen- und Farbgebung expressive Malweise auszeichnet, stürzt am linken Bildrand ein flügelartiges Wesen kopfüber ins Wasser. Ihm gegenüber nehmen zwei große weibliche liegende Akte den rechten Bildraum ein. Im Kontext dieser Badenden fasst man den Stürzenden vielmehr als Klippenspringer auf. Die Figur weist mit ihren überlängten, fast flügelartigen Gliedmaßen und einer reduzierten auf die schwarze Konturierung beschränkten Körperlichkeit erstaunliche Ähnlichkeiten mit den Figuren­skizzen aus dem UNESCO-Carnet von 1958 auf. Conzen interpretiert das Bild vor dem Hintergrund eines zeichenhaften Schematismus und sieht darin die Spiegelung von Picassos persönlicher Zwiespältigkeit: Sein Leben zwischen seiner Ehefrau Olga und der heimlichen jungen Geliebten Marie-Thérèse Walter.441 Unter diesem Gesichtspunkt innerer Zerrissenheit zwischen den beiden Badenden stürzt der Künstler selbst in die Tiefe. Eine solche psychologische Interpretation ist vor dem Hintergrund surrealistischer Tendenzen in Picassos Schaffensperiode von 1925–1935 denkbar. In dieser Zeit setzte er sich intensiv mit Künstlerkollegen der Surrealisten-Szene, insbesondere auch mit deren literarischen Größen André Breton und Paul Eluard freundschaftlich auseinander.442 Obwohl er den 440 Vgl. Ausst.-Kat. Stuttgart 2005, Staatsgalerie: Picasso Badende, hrsg. v. Ina Conzen, Ausstellung vom 18. Juni–16. Oktober 2005. 441 Vgl. Ausst.-Kat. Stuttgart 2005, S. 70 ff. 442 Vgl. Golding, John: Picasso und der Surrealismus, in: Ausst.-Kat. Bielefeld 1991, Kunsthalle: Picassos Surrealismus, hrsg. v. Ulrich Weisner, Ausstellung vom 15. September–15. Dezember 1991, S. 169–191, hier S. 169.

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künstlerisch prozesshaften Automatismen sowie dem Zugriff auf Traumwelten kritisch gegenüberstand, teilte er mit ihnen doch Vorstellungen der unbewussten Triebnatur des Menschen.443 Eine Gruppenzugehörigkeit lehnte er ab – zu gravierend waren ihm die selbstauferlegten künstlerischen Dogmen, er beteiligte sich jedoch an deren Gruppenausstellungen, so bereits 1925 mit kubistischen Arbeiten an der ersten Ausstellung Les Peintres Surréalistes und stimmte der Veröffentlichung seiner Werke in surrealistischen Zeitschriften zu. Picasso diente den Surrealisten neben Marcel Duchamp und Giorgio de Chirico als wichtiger Anreger. Inwieweit man eine inhaltliche Parallele zwischen einem persönlich konnotierten Stürzenden von 1932 und dem fast 25 Jahre später entstandenen UNESCO-Motiv ziehen kann, bleibt zwar fraglich. Der Sturz als Moment des Scheiterns ist jedoch in beiden Bildern von entscheidender Präsenz. Noch bevor das Wandbild im neuen UNESCO-Gebäude angebracht wurde, initiierte Picasso in seinem Wohnort Vallauris am 27. März 1958 eine öffentliche Bildpräsentation und provozierte damit selbst das große Medieninteresse an seinem Kunstwerk. Eine von Jean Cocteau aufgenommenen Filmsequenz444 dokumentierte dieses Spektakel: Die 40 Holzplatten sind dort erstmals vor einer Hauswand zusammenmontiert und hinter einem Vorhang vor den Augen einer beachtlichen Menschenmenge versteckt. Diese wartet gespannt, um der großen Enthüllung beizuwohnen. Als der Vorhang zur Seite gezogen wird, fokussiert der Film einen sichtlich gut gelaunten Picasso. Bereits am Folgetag berichtete die Zeitung Humanité von der ungewöhnlichen Eröffnungszeremonie in Vallauris und bildete das Wandgemälde für die Leser ab.445 Auch die New York Times widmete dem Bild gleich zwei Artikel, am 28. März und am 1. April 1958 und zitierte Picasso, der selbst äußerte: „Es ist ganz gut. Besser als ich dachte“446. Mit dieser Inszenierung beförderte Picasso selbst die große Resonanz der Medien, die sein UNESCO-Werk allerdings meist als schwach abtaten. Die schärfste Kritik an Picasso übte zweifellos Julian Huxley. Aufgrund seiner hohen gesellschaftlichen Stellung als ehemaliger UNESCOGeneraldirektor kann davon ausgegangen werden, dass sein vernichtendes Urteil damals nicht nur viele Politiker, sondern eine breite Öffentlichkeit erreichte und meinungs­ bildend wirkte. In einem offenen Brief an den Manchester Guardian vom 20. Dezember 1958 beschrieb er das Picassogemälde als unwürdig für Picasso und unwürdig für die UNESCO.447 Kunstkritiker zitierend behauptet er, Picasso habe die UNESCO bewusst aufziehen wollen. Seine Figuren seien allesamt unangebracht, etwas stimme psychologisch nicht, so Huxley. 443 Vgl. Ausst.-Kat. Stuttgart 2005, S. 70. 444 Eine halbminütige Filmsequenz dieser öffentlichen Bildenthüllung, aufgenommen von Jean Cocteau, ist unter http://www.britishpathe.com/record.php?id=63993 anzusehen. 445 Vgl. L’Humanité: Hier après-midi à Vallauris la fresque géante de Picasso a été dévoilée, 28. 3. 1958. 446 Zit. Picasso, Pablo: „It’s quite good – better than I thought.” Zit. nach: The New York Times, 1. 4. 1958. 447 Vgl. Huxley, Julian: A Picasso Mural. Sorry but your Id is showing, in: The Manchaster Guardian, 20. 12. 1958.

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Dass die Wahl des Kunstberaterkomitees 1955 auf Picasso als einem der Haupt­ protagonisten der modernen Bewegung wie auch der internationalen Kunstwelt fiel, verwundert nicht, war er doch längst zur lebenden Legende geworden. Mitte der 1950er Jahre nahm die Kritik an Picasso jedoch insgesamt zu, nicht zuletzt durch eine jüngere Künstlergeneration, die die Dominanz des Altmeisters tendenziell ablehnte.448 Auch Kunstkritiker bewerteten sein Spätwerk bereits zu Lebzeiten kritisch. Unter dem Titel Picasso mit fünfundsiebzig kommentierte der amerikanische Kunstkritiker Clement Greenberg 1957 anlässlich der großen Jubiläums-Retrospektive im Museum of Modern Art den Stellenwert Picassos für die Kunst des 20. Jahrhunderts.449 Darin zählt er ihn zweifellos zu den größten Künstlern aller Zeiten, er begrenzte diese Auszeichnung jedoch auf die Jahre 1905 bis 1927. Den 75-jährigen Meister beschrieb er, trotz aller Differenzierung und Hochachtung, als altmodisch und dekorativ.450 Während seiner zweiten Sitzung diskutierte das Kunstberaterkomitees darüber, neben den sechs etablierten Künstlern auch einer jüngeren Generation weniger bekannter Künstler die Möglichkeit einzuräumen, am Gestaltungsprozess teilzunehmen.451 Zur räumlichen Disposition dieser gestalterischen Erweiterung stand der Gastronomie- und Erholungsbereich in der siebten Etage des Sekretariatgebäudes. Besonderes Augenmerk bei der Auswahl der jüngeren Künstler sollte, laut Sitzungsprotokoll, auf ihren unterschiedlichen Nationalitäten liegen. Ähnlich wie bei der Nominierung der Kunstexperten klingt hier die Forderung nach einem ausgeglichenen geopolitischen Verhältnis an. Ob diese in Zusammenhang mit einer vorausgegangenen Kritik an der einseitigen Auswahl etablierter europäischer Avantgardekünstler stand, kann im Einzelnen nicht nachgewiesen werden. Aus einem Brief des Kunstberaterkomitees an den Architekten ­Ernesto Rogers, in dem die Vorgehensweise dieser zweiten Künstlerwahl beschrieben wird, geht hervor, dass dabei großer Wert auf eine „geographische Verteilung“ („une repartition géographique“) gelegt würde.452 Interessant in diesem Zusammenhang erscheint das Verhalten der Komiteesmitglieder. Sie wollten die Nominierungen plötzlich nicht mehr auf einem direkten Wege vornehmen. Vermutlich um eventueller Kritik zuvor zu kommen, machten sie von der 448 Dies zeigt eindrücklich Werner Spies in seinem Artikel Malen gegen die Zeit, der darin das Spätwerk Picassos untersucht. Vor allen Dingen eine junge Künstlergeneration sowohl in Frankreich wie auch in den USA argumentierte in den 1950er und 1960er Jahren massiv und abwertend gegen die für sie spürbare Überhöhung und Verehrung des überall als Genie des 20. Jahrhunderts gefeierten Künstlers. Vgl. Ausst.-Kat. Wien 2006, Albertina: Picasso. Malen gegen die Zeit, Ausstellung von September 2006–Januar 2007, danach in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 von Februar–Mai 2007. 449 Vgl. Greenberg, Clement: Picasso at Seventy-Five. Erstmals veröffentlicht in: Arts Magazine, 32.  Jg., Nr. 2, Oktober 1957, S. 40–47; hier aus: Greenberg, Clement: Die Essenz der Moderne. Ausgewählte Essays und Kritiken, Dresden 1997, S. 239–254. 450 Vgl. ebd. S. 254. 451 Vgl. Protokoll der zweiten Kunstberaterkomiteesitzung, 3.  11.–4.  11.  1955, UNESCO-Archiv, 2 CCA/5, S. 2. 452 Vgl. Brief von J. P. Urlik an Ernesto Rogers vom 6. 5. 1957, UNESCO-Archiv, BNZ 16.

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beratenden Funktion ihres Gremiums Gebrauch und sprachen dem Generaldirektor die Empfehlung aus, dieser möge von der International Association of Art Critics (IAAC), derjenigen NGO, die bereits bei der Zusammenstellung des Kunstberaterkomitees mitgewirkt hatte, eine Vorschlagsliste mit 15 bis 20 Namen erbitten.453 Die Auswahl der Künstler von dieser Liste wollten sie im Einvernehmen mit dem Generaldirektor schließlich selbst treffen. Die Vorschlagsliste der IAAC umfasste 20 Künstlernamen, von denen 16 europäischer, einer US-amerikanischer und drei südamerikanischer Herkunft waren.454 Mit den beiden Künstlern Roberto Matta aus Chile und Rufino Tamayo aus Mexiko waren zwei der damals wichtigsten zeitgenössischen Vertreter des südameri­ kanischen Kontinents nominiert. Die Auswahl der Künstler erfolgte durch Georges Salles und Herbert Read, wie aus einem UNESCO-Dokument vom 6. Mai 1957 hervorgeht.455 Sie nominierten acht Künstler wobei Tamayo (Mexiko) und Matta (Mexiko) vor Wilfredo Lam (Kuba) und Jean-Paul Riopelle (Kanada) den Zuschlag für zwei große Terrassen­arbeiten erhielten. Afro Basaldella (Italien) und Karel Appel (Niederlande) wurden ihren Landsmännern Giuseppe Santomaso und Corneille vorgezogen. Eine offizielle Einladung an diese vier Künstler erfolgte am 26. Mai 1957 durch den Vorsitzeden des Kunstberaterkomitees Para-Perez. Aus ihr geht hervor, dass die drei Architekten für Tamayo und Matta zwei große Außenarbeiten auf den Dachterrassen angedacht und für Appel und Afro zwei Wände zu je zwei mal drei Metern im Inneren ausgesucht hatten. Während einer Gebäudebegehung im Juni 1957 zur Besichtigung der siebten Etage als zukünftigen Ausstellungsort seines Kunstwerks, nahm Rufino Tamayo gemeinsam mit Georges Salles und Bernard Zehrfuss eine markante Standortveränderung vor. Anstatt das Wandbild wie von den Architekten vorgesehen auf der Dachterrasse zu platzieren, kamen die Experten überein, den großen Sitzungssaal der Generalkon­ferenz für Tamayos Kunstwerk freizugeben. Salles begründete diese Entscheidung damit, dass dieser Raum einen viel gewichtigeren Ort darstelle.456 Vor dem Hintergrund, dass das Baukonzept ausdrücklich von traditionellen Repräsentationsformen abriet („more is necessary then purely pictorial or sculptural representation of Unesco’s work on the walls or about the passages and halls of the building“, vgl. Kapitel 3.2.3) erstaunt dieser Eingriff. Direkte Reaktionen oder gar ein Veto von Seiten der übrigen Architekten und 453 Vgl. ebd., S. 2. 454 Vgl. Kopie der Vorschlagsliste des IAAC, UNESCO-Archiv, BNZ 16. Gelistet sind: Theodor Werner und Karl Schmidt-Rottluff aus Deutschland, Paul Delvaux und Roger Dudant aus Belgien, Matta Echaurren aus Chile, Wilfredo Lam aus Kuba, Mark Tobee aus den USA, Jean Bazaine, Alfred Manessier und Etienne Martin aus Frankreich, Graham Sutherland, Ben Nicholson und Ivon Hitchens aus Großbritannien, Costa Coulentianos aus Griechenland, Karel Appel aus den Niederlanden, Renato Birolli und Giuseppe Santomaso aus Italien, Rufino Tamayo aus Mexiko, Alberto Giacometti aus der Schweiz und Petar Lubarda aus Jugoslawien, UNESCOArchiv, BNZ 16. 455 Vgl. Liste von Georges Salles und Sir Herbert Read vom 6. 5. 1957, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 456 Brief von Georges Salles an Breuer, Nervi und Zehrfuss vom 20. 6. 1958, UNESCO-Archiv, BNZ 16.

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Berater auf diese nicht unproblematische Änderung des Gestaltungskonzepts sind nicht bekannt. Und so realisierte Rufino Tamayo auf einer Fläche von viereinhalb auf fünf Metern eine gewaltige Supraporte mit einem klassischen Bildthema aus der griechischen Mythologie: Prometheus, der den Menschen das Feuer bringt (Taf. XIV). Rufino Tamayo (1899–1991) war Mitte der 1950er Jahre in Europa ein nahezu unbekannter Künstler. Nach seiner ersten Teilnahme an der Venedig-Biennale 1950 und kurz darauf folgenden Ausstellungen in der Pariser Galerie des Beaux-Arts (das Vorwort des Katalogs verfassten der Direktor des Musée d’Art Moderne Jean Cassou und André Breton) und im Brüsseler Musée Royaux des Beaux-Arts wurde er zunächst von einem Fachpublikum wahrgenommen und begeistert rezipiert.457 Dies vermag vor dem Hintergrund, dass Tamayo 1949 erstmals Europa bereiste, nicht weiter verwundern. In Mexiko und den USA hingegen war er ein etablierter Maler, der den Höhepunkt seiner Karriere längst erreicht hatte. Dass bei der UNESCO-Nominierung seine Bekanntschaft zum ehemaligen UNESCO-Generaldirektor und Landsmann Jaime Torres Bodet eine Rolle gespielt haben könnte, ist nicht auszuschließen.458 Tamayo gehörte in den 1920er Jahren einer Generation junger Künstler an, die auf die großen mexikanischen Muralisten Diego Rivera, José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros folgte. Diese drei Protagonisten dominierten die künstlerische Szene Mexikos bis in die 1940er Jahre. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den europäischen Avantgarden – Rivera verbrachte lange Zeit in Paris – leisteten sie ab 1921 im Zuge der mexikanischen Revolution mit dem Muralismo einen in politischer Hinsicht künstlerischen Beitrag, der eine zeitgenössische Gegenposition zur europäischen Moderne darstellte.459 Der junge Tamayo wehrte sich jedoch seit Mitte der 1920er Jahre gegen Dogmatisierung und zunehmende Vereinnahmung der Kunst durch die Politik. Insgesamt lag, Octavio Paz zufolge, Tamayos „Bedeutung innerhalb der mexikanischen Malerei darin […], mit beispielhafter Radikalität die ideologische und didaktische Kunst der Wandmaler und ihrer Epigonen in Frage gestellt zu haben.“460 Nach einem traditio­nellen Malereistudium von 1917 bis 1921 an der Akademie der Schönen Künste in Mexico City arbeitete er von 1921 bis 1923 zunächst als Zeichner in der ethnologischen Abteilung des Archäologischen Nationalmuseums. Durch diese Tätigkeit lernte er das prä­kolumbianische Erbe seines Landes kennen, das Zeit seines Lebens als subtiles Leitmotiv in seinen Werken wirkte. Eine rege Ausstellungstätigkeit seiner Bildwerke in 457 Fierens, Paul: La nouvelle peinture au Musée d’A rt Moderne, in: Bulletin Musée Royaux des Beaux Arts, Bruxelles, Nr. 1, 1952, S. 107–114. 458 Von einer gemeinsamen Einladung zu einem Empfang bei Jaime Torres Bodet berichtet Luis Cardoza y Aragón, langjähriger Weggefährte Tamayos, in seinem Beitrag: Der Fluß, in: Ausst.-Kat. Berlin 1990, Staatliche Kunsthalle (West): Rufino Tamayo, Berlin 1990, S. 86. 459 Häufig ist auch von einem Dritten Weg der Mexikanischen Kunst die Rede. Octavio Paz spricht von der mexikanischen Wandmalereibewegung als „erster amerikanischer Antwort auf den großen Monolog der europäischen Kunst.“ Zit. Paz, Octavio: Transfigurationen. Über Rufino Tamayo, in: Ders.: Das Vorrecht des Auges. Über Kunst und Künstler, Frankfurt a. M. 2001, S. 153. 460 Zit. Paz 2001, S. 187.

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mexikanischen Galerien setzte ab 1926 ein und damit begann ein rascher beruflicher Erfolg. 1928 erhielt Tamayo einen Lehrauftrag für Malerei an der Nationalen Kunstschule, 1932 wurde er zum Leiter der Plastischen Abteilung beim ‚Sekretariat für öffentliche Erziehung‘ in Mexiko City ernannt.461 Als Mitglied einer mexikanischen Delegation reiste er 1936 zusammen mit Rivera und Orozco zu einem Künstlerkongress nach New York. Als man ihm dort an der Dalton School einen Lehrauftrag für Malerei anbot, blieb er in den USA, wo er insgesamt 20 Jahre lang lebte. Nicht zuletzt durch die berühmten Ausstellungen des Museum of Modern Art wie etwa Fantastic Art, Dada, Surrealism von 1936/37, die Mitte der 1930er Jahren die europäischen Avantgarden in den USA populär machten und dort den Boden für eine junge unabhängige Künstler­generation bereiteten, begann für Tamayo die intensive Auseinandersetzung mit Picasso, Matisse, Arp und Miró. 1937 präsentierte die Galerie Julien Levy seine Werke in einer Einzelausstellung. Bereits 1942 wurde er gemeinsam mit Balthus, Chagall, Matisse, Miró und Picasso im Rahmen der Gruppenausstellung Figures Pieces in Modern ­Painiting der Pierre Matisse Gallery gezeigt und 1943 nahm er dort gemeinsam mit Picasso, Ernst, Matta, Miró, Siqueiros und anderen an einer weiteren Gruppenausstellung mit dem Titel War and the Artists teil.462 In jene Zeit der 1940er Jahre verortet Paz Tamayos schöpferischste ­Phase.463 Hier entwickelte und prägte er seine eigene künstlerische Auffassung und Verfahrensweise. Malerei ist für Tamayo ein visuelles Phänomen und jedes Bildthema wird damit zunächst zum Vorwand für eine Form. Ein Gegenstand, so Paz, werde vom Künstler zunächst stets nach seinen bildnerischen Möglichkeiten analysiert.464 Die materialistische Untersuchung von Texturen und Farben, das Experimentieren mit ihren Schwingungen, ihrer Dichte und ihrem Gewicht stehe dabei im Vordergrund.465 Wie bei Henry Moore, mit dem Tamayo übrigens gut bekannt war, bildet auch bei ihm die menschliche Figur und ihr Verhältnis zur Natur häufig das Zentrum seiner Bilder. So werden etwa indianische Frauen- oder Männergestalten in alltägliche und volkstümliche Szenen gestellt und dabei intensiv über jene formal gestalterische Ebene ergründet. Die Hinwendung zum mexikanischen Erbe ist bei Tamayo weniger seiner dreijährigen Tätigkeit in der archäologischen Sammlung als vielmehr der Auseinandersetzung mit der kosmopolitischen europäischen Avantgarde und deren Entdeckung und Bezugnahme auf sogenannte primitive und archaische Ausdrucksformen geschuldet.466 Bei seinem UNESCO-Wandbild griff Tamayo jedoch nicht auf mexikanische Mythen zurück, sondern wählte ein klassisches Bildmotiv aus der griechischen Mythologie: Der Titan Prometheus zeichnet sich als mutiger und intelligenter Retter des Menschen­ 461 462 463 464 465 466

Vgl. Lassaigne, Jacques/Paz, Octavio: Rufino Tamayo, New York 1982, S. 289 f. Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1990, S. 158 f. Vgl. Paz 2001, S. 195. Vgl. ebd., S. 189. Vgl. ebd., S. 192. Vgl. ebd.

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geschlechts aus, indem er ihm das von Zeus entzogene jedoch überlebenswichtige Feuer zurückbringt. Für diese Heldentat wird er vom mächtigsten Herrscher des Olymps mit einem qualvollen Tod bestraft.467 Die ikonographische Ausdeutung im Zusammenhang mit der UNESCO liegt auf der Hand. Die Klugheit des Prometheus und sein Wille, in einer schier ausweglosen Situation Hilfe zu leisten, symbolisieren die Aufgaben der UNESCO, die durch Bildung die Lebensbedingungen aller Menschen verbessern möchte. Tamayo inszeniert eine mystische, in Rottöne getauchte Szenerie. Im Zentrum des Bildes steht eine nackte Figur in einer hügeligen Landschaft. Sie ist in einem dunklen Rotbraun modelliert und wendet dem Betrachter gleichzeitig Rücken und Gesicht zu. Von links oben schwebt Prometheus auf sie zu, einen breiten roten Lichtkegel in Händen haltend. Zwei zangenähnliche Gebilde sind dem Menschen rechts und links zur Seite gestellt und erheben sich bedrohlich aus der Landschaft. Das eine erinnert an ein Vogelwesen, das andere gleicht einer landschaftlichen Erhebung. Der Geschichte folgend stellt der Künstler jenen Ort im Kaukasus dar, an dem Prometheus von Zeus für ewige Zeiten an einen Felsen gebunden und täglich von einem Adler gequält wird, der sich von seiner stetig nachwachsenden Leber ernährt. Dem vorausgegangenen Akt prometheischer Fürsorge stellt Tamayo ein grausames Sinnbild für Folter und Leiden entgegen. Atmosphärisch aufgeladen wird die Szene durch die ausschließliche Verwendung roter und rotbrauner Farbtöne. Aus stereometrischen Formen und mittels sanfter Tonabstufungen konstruiert er seine Figuren und den Bildraum und schafft andererseits durch weiche nuancierte Übergänge eine vibrierende, stimmungsgeladene Raummystik. Die Farbe wird vom Künstler sowohl zur Ausführung eines formalen Prinzips als auch als Bedeutung tragendes Medium eingesetzt. Wie bereits angedeutet kulminierten in Tamayos Wandbild unterschiedliche Auffassungen des architektonischen Kunstkonzeptes. Auf der einen Seite verlangte das Konzept, auf traditionelle Repräsentationsformen zu verzichten; so sahen die Architekten ursprünglich kein allegorisches Wandbild für den Kommissionssaal vor. Tamayo jedoch, in einer mexikanischen Moderne sozialisiert, die das Mural als erzieherischen Bestandteil politischer Bildung ansah, näherte sich mit seiner Prometheus-Allegorie in Form einer Supraporte einer traditionellen Repräsentationsform an. Jean Cassou rezipierte Tamayos Wandbild wiederum ganz anders: „Der Palast der UNESCO markiert den Triumph der Farbe in der modernen Architektur“468, so sein Kommentar. Die typisch mexikanische Verfahrensweise des Mural, die stets eng mit der Architektur verknüpft sei, habe Einzug in das neue Gebäude erhalten und kooperiere hervorragend mit den weißen Wand- und den transparenten Glasfensterflächen. Als typisch mexikanisch deutete Cassou sowohl die Verwendung des Rottones – „eine tropische Farbe, die Farbe des Blutes 467 Vgl. Hunger, Herbert (Hg.): Lexikon der Griechischen und Römischen Mythologie, Wien 1959, S. 306. 468 Originalzitat Jean Cassou: „Le Palais de l’UNESCO marque le triomphe de la couleur dans l’architecture moderne.” In ders.: Prométhée apportant le feu aux hommes, in: Quadrum, Revue Internationale d’A rt Moderne, Vol. VI, 1959, S. 23–25.

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und der Wassermelonen“ – als auch ihre Bedeutung als „Farbe der Geister, die die Dinge bewohnen, die Geister dieser Erde“469. Mit den Mysterien indianischer Folklore, so Cassou, stehe der Künstler in enger Verbindung. Für Cassou, der in seinem Artikel über Prometheus die inhaltliche Ebene des Werkes und ihren europäischen Ursprung gänzlich ausklammerte, hielt die mexikanische Kultur als Teil der Menschheitsgeschichte Einzug in das moderne Haus der Weltkulturen. Ein neues Zusammenspiel von Primitivismus und technischer Moderne kreiere eine neue Repräsentationsform für die UNESCO.470 Enger als Tamayo mit Paris und der europäischen Kunst verbunden war der zweite südamerikanische UNESCO-Künstler, der Chilene Roberto Matta (1911–2002). Er reiste 1934 erstmals in die französische Metropole, nachdem er von 1926 bis 1932 ein Architekturstudium an der Universidàd Católica in Santiago de Chile absolviert und Reisen nach Griechenland, Jugoslawien und Italien unternommen hatte. Ambitioniert nahm er zunächst eine Assistentenstelle im Architekturbüro Le Corbusiers an, die ihn jedoch nicht sonderlich zufriedenstellte. Seinen Aussagen zufolge fand eine konstruktive Kommunikation nur unter den Mitarbeitern, nicht aber in direktem Austausch mit dem Meister statt: Eigentlich taten wir die ganze Zeit nichts; wir arbeiteten an seinem Buch, machten Zeichnungen dafür. Es gab kein Geld. Wir studierten vor allem untereinander. Manchmal pflegte er vorbeizukommen und sich Zeichnungen anzusehen, die wir für die Ville Radieuse anfertigten. Unterrichtet hat er nicht, Praxis gab’s fast nicht.471

Als junger Architekt lebte Matta in den 1930er Jahren von Gelegenheitsjobs. Der Bausektor war durch die Weltwirtschaftskrise von 1929 zum Erliegen gekommen. Reden und Zeichnen, so Matta, blieben ihm und seinen Altersgenossen als häufigster Zeitvertreib. Einziger Ausweg aus dieser beruflichen Sackgasse und willkommene Abwechslung bot das Reisen. 1935 zog es Matta nach England, wo er Walter Gropius und Laszlo MoholyNagy traf und eigenen Aussagen zufolge, in losem Kontakt für sie arbeitete.472 Ein Hilfsarbeiterjob bei der Errichtung von Serts Spanischem Pavillon führte ihn 1937 direkt ins Atelier Picassos. Wieland Schmied zufolge markierte jene Begegnung ein Schlüssel­ erlebnis, das für den 25-jährigen Matta den Ausschlag gab, mit dem Malen zu beginnen. Sert hatte ihn mit der Aufgabe des Transports und der Aufstellung von Picassos Wandbild Guernica betraut und so besuchte Matta in regelmäßigen Abständen dessen Atelier, um sein Vorankommen am Wandbild zu beurteilen und ihn zur Fertigstellung anzuhalten.473 Anders als es bislang seiner praxisfernen beruflichen Erfahrung entsprach, erlebte 469 Zit. Jean Cassou, in: ebd., S. 24. 470 Vgl. ebd. 471 Zit. Roberto Matta, in: Ausst.-Kat. Hannover 1974, Kestner-Gesellschaft: Matta, Ausstellung vom 12. Juli–29. September 1974, S. 25. 472 Vgl. ebd., S. 31. 473 Vgl. Ausst.-Kat. München 1991, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung: Matta, hrsg. v. Wieland Schmied, Ausstellung vom 20. September–11. November 1991, danach im Kunsthaus Wien vom 29. November 1991–9. Februar 1992, S. 22.

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er durch Picassos persönliches Engagement bei der Herstellung von Guernica die Bedeutung eines sogenannten Peintre Engagé kennen, eines Malers also, der sich ganz gezielt in den Dienst der Gesellschaft stellte. Dieses Bewusstsein, durch künstlerische Aktivität Zeitgeschichte zu kommentieren und an ihr teilzunehmen, faszinierte Matta.474 Der endgültige Bruch mit seinem erlernten Beruf erfolgte 1937, als er André Breton, radikaler Gegner von Le Corbusiers rationaler Architekturauffassung, kennenlernte. Breton erkannte in Matta einen Gleichgesinnten und forderte ihn dazu auf, seine bislang unsortierten architektonischen Visionen niederzuschreiben. Mattas 1938 in der surrealistischen Zeitschrift Minotaure veröffentlichter Essay mit dem Titel Mathématique sensible – Architecture du temps markierte einen radikalen Gegenentwurf zu Le Corbusiers rationalen Architekturutopien. Er forderte darin organische, an psychologischen Seinsvoraussetzungen und am menschlichen Biologismus ausgerichtete Bauweisen, die sich „wie nasse Laken, […] entformen und unseren Seelenängsten anschmiegen.“475 In diesem Manifest erteilte er der sterilen Symmetrie des modernen Bauens eine klare Absage. 1938 begann Matta zu malen und an den Ausstellungen der Surrealisten teilzunehmen. Orientierung fand er bei Marcel Duchamp, Salvador Dali, Joan Miró und Max Ernst. 1939 folgte Matta Yves Tanguy und Max Ernst in die USA. Dort knüpfte er enge Kontakte zu den jungen Künstlern der New York School, die er maßgeblich beeinflusste.476 Seit 1947 lebte er abwechselnd in Rom und Paris. Wie Werner Hofmann festhält, nahm Matta von politischen Ereignissen nicht nur Notiz, sondern „fügte sie an zentraler Stelle in seine Bildwelten ein“477. So griff das Bild Les roses sont belles den Rosenbergprozess von 1951 auf, der mit der Hinrichtung des US-amerikanischen Ehepaares endete. La question Djamila widmete er einer von französischen Fallschirmjägern gefolterten Algerierin und Les puissances du désordre thematisierte die Hinrichtung des Kommunisten Julian Grimau.478 Zwei zentrale Motive dominieren Mattas surreale Bildwelten. Dies sind zum einen der Mensch und sein psychologischer wie stofflicher Organismus sowie der Raum, mit dem er in ständiger Korrelation steht. Unbestimmte Welten, Mikrokosmen menschlichen Bewusstseins, häufig als technisierte Apparaturwelten dargestellt, wachsen bei Matta zu makrokosmischen Weltenszenen heran, in denen sich der Mensch oft zu Maschinen­ gebilden transformiert. So auch in seinem 2,45 x 5,5 Meter großen UNESCO-Wandbild mit dem Titel Die Zweifel der drei Welten (Taf. XV). In einem blauen Bildraum bewegen sich vier Flugobjekten ähnelnde Gebilde, die von weißen, rechteckigen, wandähnlichen Segeln ummantelt werden. Energetische weiße Blitze vibrieren überall. Sie drücken 474 Vgl. ebd. 475 Zit. Matta, in: Ausst.-Kat. Hannover 1974, S. 17. Dort liegt eine vollständige Übersetzung des französischen Textes in deutscher Sprache vor. 476 Vgl. Schmied, in: Ausst.-Kat. München 1991, S. 10. 477 Zit. Hofmann, Werner: Das Zeitalter der Gewalt. Roberto Sebastiano Matta, in: ders.: Gegen­ stimmen. Aufsätze zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1979, S. 189. 478 Vgl. ebd., S. 185, 188 f.

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nicht nur Korrelationen zwischen Flugobjekten und Wänden aus, sondern funktionieren wie ein Bewegungsmotor, der die ganze Szenerie in eine gewaltige Schwingung versetzt. Assoziationen sich beschießender Raumschiffe, die sich gleichzeitig durch Schutzsegel voneinander abzuschirmen versuchen, werden möglich. Ein Universum, in dem Maschinen Explosionen, Strahlungen, Vibrationen und Zersplitterung auslösen, wird dem Betrachter vor Augen geführt. In einem in der Zeitschrift Quadrum 1959 abgedruckten Interview spricht Roberto Matta mit dem Kunstkritiker Julien Alvard über das UNESCO-Kunstwerk.479 Darin bestätigt er konkrete inhaltliche Bezugnahmen und gibt einen Einblick in seinen komplexen Gedankenkosmos. Die menschliche Zivilisation, sowohl längst vergangener Kulturen als auch der heutigen, stünde unter dem Zeichen des Feuers. Das Element Feuer, so wird im Gespräch deutlich, ist eine Metapher für Gefahr, für die menschliche Angst vor zivilisatorischem Zerfall und Niedergang, letztendlich für die Angst vor dem Tod. Im Feuer sieht Matta ein sich durch alle Zeiten bewegendes Element, die Matrix der Zerstörung, die sich wie eine Folie über die Menschheitsgeschichte legen lässt, unkontrollierbar und unaufhaltsam. Als größte aktuelle Gefahr, auf die er seine Feuermetapher anwendet, stuft Matta die Nuklearphysik ein. Ohne auf konkrete historische Ereignisse einzugehen, etwa die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki oder das atomare Wettrüsten, spüre er die Angst vor Radioaktivität und Verseuchung überall. Dies wolle er auf der Leinwand widerspiegeln. Zur Überwindung dieser Angst trägt Mattas Konstrukt des Clyclotrhomme bei, ein „nouveau barbare“, der sich der omnipräsenten Angst entgegenstellt.480 Auf die Frage, ob dieser auch auf der Leinwand zu sehen sei, verneint Matta. Die Darstellung sei nicht anthropomorph, sie zeige vielmehr die Strahlung sich gegenüberstehender Kräfte: Man kann, wenn man möchte, drei Figuren auf meiner Leinwand unterscheiden. Von diesen drei Personen sieht man nur multiple Möglichkeiten und sie sind genauso miteinander verbunden wie es ihnen unmöglich ist sich voneinander zu trennen.481

Menschliche Figuren finden sich in Mattas Bild nicht wieder. „Die Darstellung des Menschen kann nicht mehr diejenige sein, die sie war, wir wissen zu viele Dinge“482, so rechtfertigt der Künstler den Verzicht auf das Abbilden gewohnter Realitäten. Ihn interessiert vielmehr das Sichtbarwerden von Ebenen zwischen den Dingen, Spannungen, die Summe von Energien, sich anziehende und abstoßende Kräfte, die in positive wie negative Richtungen ausschlagen können, Realitäten, die außerhalb des menschlichen Erfah479 Vgl. Alvard, Julien: Hypertension. La peinture murale de Matta, in: Quadrum. Revue Internationale d’A rt Moderne, Vol. VI, 1959, S. 26–28. 480 Vgl. ebd., S. 27. 481 Originalzitat Roberto Matta: „On peut, si l’on veut, distinguer trois personnages dans ma toile. De ces trois personnages on ne voit que les multiples potentialitiés et ils sont si lies les uns aux autres qu’il leur est impossible de se séparer.” Zit. nach: ebd. 482 Originalzitat Roberto Matta: „La représentation de l’homme ne peut plus être ce qu’elle était, nous connaissons trop de choses.” Zit. nach: ebd.

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rungsbereichs angesiedelt sind. Vor diesem Hintergrund lässt sich das UNESCO-Bild als Psychogramm des Unbehagens deuten. Es ist ein emotionales Stimmungsbild sowie ein Näherungsbild an einen neuronalen Kosmos. Mit dem Wandbild Rencontre au Printemps (Taf. XVI) des Niederländers Karel Appel (1921–2006) erhält eine europäische Spielart des abstrakten Expressionismus als avantgardistische Kunstströmung der Nachkriegszeit Einzug in das UNESCO-Gebäude und wird damit in den modernistischen Kunstkanon der Organisation eingereiht. Appel kreierte auf seiner raumgreifenden, monumentalen Leinwand (2,8 x 4,2 m) eine expressive, aus mehreren Farbschichten bestehende rhythmische Farbenschlacht. Impulsiv und spontan trug er mit Spachteln und Pinseln die Primärfarben Blau, Rot und Gelb sowie Schwarz und Weiß zu einer plastisch eruptiven Bildoberfläche auf. Über einer diagonalen Bildstruktur, basierend auf grellen Gelb- und Rottönen, entwickelte der Künstler drei in sich geschlossene dunklere Bildzentren. Diese vitalen Kreisformen entwickeln durch gestische Farbenkonglomerate organisches Eigenleben und stehen unmittelbar in Beziehung zueinander. Über den Bildtitel „Zusammentreffen im Frühling“ unterstreicht der Künstler die Intention der Kommunikation dreier voneinander abgegrenzter Positio­ nen. Mit einem friedlichen naturhaften Frühlingserwachen hat die Bildsituation allerdings wenig gemein. Vielmehr vereint sie Momente eines schrillen und bedrohlichen Aufeinandertreffens. An denjenigen Stellen, wo sich die Pole berühren, vibriert die Farbe und es werden Spannungen erzeugt. Gedankliche Bezugnahmen zur UNESCO, zu politischen Grundproblematiken werden plötzlich möglich und lassen Abgrenzungs- und Annährungsprozesse assoziieren. Zum Zeitpunkt seiner UNESCO-Nominierung war Karel Appel gerade 35 Jahre alt. Er gehörte der ersten Generation europäischer Nachkriegskünstler an, die, mit einem neuen Selbstverständnis ausgestattet, bewusst auf Distanz zu den Malerheroen der Vorkriegszeit ging. Appel hatte von 1942 bis 1944 an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in dem von den Nationalsozialisten besetzten Amsterdam studiert.483 Dort erhielt er zwar eine konservative akademische Ausbildung, seine künstlerische Auseinandersetzung rezipierte jedoch Vincent van Gogh und die französischen ­Fauves. Während der Kriegsjahre galt, eigenen Aussagen zufolge, ein Großteil der Zeit dem harten Überlebenskampf. Mit Porträtzeichnen und dem Verkauf von Landschafts­ bildern auf dem Schwarzmarkt bestritt der junge Künstler einen mangelhaften Unterhalt.484 Diese von existenzieller Armut dominierte Krisenzeit prägte sein künstlerisches 483 Vgl. Ragon, Michel: Karel Appel. The early years 1937–1957, Paris 1988, S. 34. Michel Ragon war Mitglied der Cobra und Herausgeber ihrer gleichnamigen Zeitschrift. Er begleitete Appel über viele Jahre hinweg und gewährt in dieser Publikation persönliche Einblicke in Appels künstlerisches Œuvre der Jahre 1937–1957. 484 Vgl. Appel, Karel: Appel über Appel, in: Ausst.-Kat. Den Haag 1990/1991, Gemeentemuseum: Karel Appel. Ich wollt ich wäre ein Vogel (deutsche Ausgabe), anlässlich der Ausstellung Karel Appel. ‚Ik wou dat ik een vogel was‘ vom 15. Dezember 1990–14. April 1991, danach vom 12. Juni– 11. August 1991 in der Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln.

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­ elbstverständnis in einer radikalen Weise. Trotz eines nicht zu leugnenden Einflusses S durch die Malerei von Matisse, Picasso, dem Kubismus und auch surrealistischen Tendenzen erschien Appel der rigorose Bruch mit den Kunstströmungen der Vorkriegszeit unumgänglich. Gestische Impulse, orientiert an einer écriture automatique, dominierten seine Arbeiten. Gleichzeitig wandte er sich nicht von der figürlichen Malerei ab. Im Gegenteil: Menschen und Tiere standen häufig im Fokus seiner Bilder. Sie traten jedoch nicht als Abbilder einer erfahrbaren Realität in Erscheinung, sondern als rätselhafte Zerrbilder. Appel orientierte sich mit seinen Fratzenwesen an Kinderzeichnungen und interessierte sich gleichzeitig für Kunstwerke von psychisch Kranken. Gemeinsam mit dem Studienfreund Corneille knüpfte Appel 1946 Kontakt zu dänischen und belgischen Künstlerkollegen, etwa zum Maler Asger Jorn und dem Schriftsteller und Poeten Christian Dotremont. 1948 initiierte er die holländische Künstlervereinigung Experimentale Groep, die sich nur wenige Monate später gemeinsam mit Künstlern aus Kopenhagen und Brüssel zur Gruppe Cobra zusammenschloss.485 In ihrem Manifest sprachen sich die Künstler der Cobra für ein freies künstlerisches Arbeiten aus und lehnten bewusst jegliche selbstauferlegten formalen wie inhaltlichen Paradigmen ab. Damit distanzierten sie sich bewusst von Manifesten der Vorkriegszeit, von de Stijl oder den Surrealisten. Obwohl Cobra ihre geographischen Standorte (Copenhagen, Brüssel und Amsterdam) gezielt in ihrem Namen vereinte, um über eine nationale Abgrenzung auch eine künstlerische Distanz zwischen sich und Positionen der École de Paris zu definieren, ereignete sich ihre Gründung am 8. November 1948 in der französischen Hauptstadt. Dort lebte Appel einige Jahre, auch wenn ihn zahlreiche Projekte immer wieder nach Amsterdam zurückführten. Im Jahr der Cobra-Gründung erhielt Appel vom Amsterdamer Stadtarchitekten Aldo van Eyck den Auftrag für die Gestaltung eines großen Wandbildes im Amsterdamer Rathaus. Van Eyck – der gleichen Generation wie Appel zugehörig – kämpfte, ähnlich wie die Künstler der Cobra im Bereich Malerei, innerhalb der CIAM für die Anerkennung eigener Positionen und für ein Mitspracherecht jüngerer Architekten gegenüber den dominanten Architektenvätern Gropius und Le Corbusier.486 Das Amsterdamer Rathaus­bild mit dem Titel Vragende Kinderen, zeigt stark abstrahierte, schwarz konturierte Figuren, die sich gleichzeitig aus aneinandergrenzenden monochromen Farbflächen in Grau und Grau-Blau, Weiß, Gelb und Braun zusammensetzen. Auf den ersten Blick wirkt das Bild weder bedrohlich noch ist eine konkrete inhaltliche Bezugnahme ersichtlich. Dennoch löste es unmittelbar nach seiner Fertigstellung einen Skandal aus, als Appel seine ikonographischen Intentionen gegenüber dem Stadtrat erläuterte. Zu diesem Thema inspiriert hatten ihn 1946 auf einer Zugfahrt durchs kriegszerstörte Deutschland ausgemergelte 485 Vgl. Ragon 1988, S. 163 ff. 486 Aldo van Eyck gründete gemeinsam mit dem Landsmann Jacob Bakéma und den englischen Architekten Alison und Peter Smithson u. a. 1954 die CIAM-Gruppe Team Ten, die Kritik an Le Corbusiers Charta von Athen übte. Vgl. Ragon 1988, S. 311.

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und hungrige Kinder mit ihren großen fragenden Augen, die sein Mitleid damals stark erregt hatten. Vor diesem Hintergrund, der aus niederländischer Sicht einer Relativierung der eigenen Opferperspektive gegenüber der deutschen Besatzungszeit gleichkam, verwunderte die Reaktion des Stadtrates nicht, das Bild bis auf weiteres hinter einer weißen Tapete zu verstecken und damit der Öffentlichkeit dauerhaft zu entziehen.487 Gegen diesen zensorischen Akt setzte sich Aldo van Eyck zur Wehr und versuchte durch einen öffentlichen Brief 1950 die Freilegung des Wandbildes zu erwirken. Unterstützt wurde sein vehementer Protest von Seiten honoriger Persönlichkeiten aus dem Kunst- und Kultur­bereich, etwa vom Kurator des Rijksmuseums oder Professoren der Kunstakademie sowie den einflussreichen Architekten Cornelis van Eesteren und J. J. P. Oud. Bis ins Jahr 1959 blieb das Bild unter Verschluss.488 Vermutlich aufgrund seines guten Kontaktes zu den niederländischen Architekten und vielleicht gerade wegen dieser höchst unerfreulichen Erfahrung erhielt Appel in den folgenden Jahren immer wieder Aufträge für große Wandbilder in modernen Architekturensembles. 1951 gestaltete er das Besucherfoyer des Stedelijk Museum in Rotterdam.489 1955 folgte ein Fresko auf Beton für Jacob Bakémas Ausstellungspavillon der E 55 in Rotterdam und für die Brüsseler Weltausstellung 1958 das Wandbild The History of Zeeland. Für J. J. P. Oud gestaltete er zwei Wandarbeiten, eines 1956 für eine High School in Den Haag und eine zweite Keramikarbeit in einem Ferienhostel für behinderte Kinder in Arnheim (1960).490 Sein künstlerischer Durchbruch und ein anhaltender beruflicher Erfolg setzten in den 1950er Jahren ein. Heftigen Attacken der niederländischen Presse ausgesetzt ließ sich Appel 1950 dauerhaft in Paris nieder. Nach der Auflösung der Cobra 1951 trat er durch die Bekanntschaft mit dem avantgardistischen Kunstkritiker Michel Tapié in Kontakt mit den Pariser Künstlergruppen Art Informel und Art Autre und lernte 1952 Jackson Pollock, Willem De Kooning, Jean Dubuffet und auch Roberto Matta kennen.491 1954 nahm er an der Venedigbiennale teil und erhielt einen Preis der UNESCO.492 Nachdem Appel rasch die Pariser Kunstwelt erobert hatte, widmete 1955 das Rotterdamer Stedlijk Museum dem 34-jährigen eine erste Retrospektive. Zwei Jahre darauf stellte ihn das Institute of Contemporary Art in London aus. Das Vorwort des Kataloges verfasste Herbert Read, der, Ragon zufolge, als wichtiger Unterstützer Appels wirkte und unter anderem auch bei der Künstlerwahl zum UNESCO-Gebäude eine ausschlaggebende Rolle spielte.493

487 Vgl. ebd., S. 30. 488 Vgl. ebd. 489 Vgl. Ausst.-Kat. Wien 2004, Galerie Ulysses: Karel Appel. The Cobra Years, Ausstellung vom 26. Mai–30. Juli 2004, Biographieteil des Katalogs, S. 2. 490 Vgl. ebd., S. 312. 491 Vgl. Ragon 1988, S. 447. 492 Vgl. ebd., S. 473. Der Autorin liegen zu diesem UNESCO-Preis keinerlei Informationen vor. 493 Vgl. ebd., S. 495.

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Die offizielle Einladung, einen künstlerischen Beitrag zur Gestaltung der siebten Etage des neuen UNESCO-Gebäudes zu leisten, erhielt Appel, wie die vier anderen Künstler, am 26. Mai 1957 durch den Vorsitzenden des Kunstberaterkomitees Caracciolo Para-Perez. Diese ehrenvolle Aufforderung annehmend stattete er dem Pariser Bureau du Siège am 12. November 1957 einen Besuch ab und besichtigte die Baustelle.494 Über die finanziellen Konditionen, die die UNESCO in ihrem Vertrag mit dem Künstler vorsah, zeigte sich Appel zunächst hoch erfreut. Während seines ersten Treffens entschied er sich dafür, anders als von der UNESCO zunächst vorgesehen, sein Werk auf Leinwand auszuführen und nicht direkt auf Beton aufzutragen. Dies ermöglichte dem Künstler, der sich gerade in New York niedergelassen hatte, einen längeren Arbeits­aufenthalt in Paris zu umgehen.495 Bereits einige Monate später trübten Unstimmigkeiten das Verhältnis Appels zur UNESCO. Durch einen Presseartikel hatte er erfahren, dass sein Honorar angeblich weitaus niedriger angesetzt war als das der anderen Künstler, ein Umstand, den er beim Kunstberaterkomitee monierte.496 In der Tat zeigt eine Kostenaufstellung vom 12. November 1957, dass die Honorare für die Künstler stark variierten.497 Prinzipiell unterschied das Komitee zwischen den zuerst nominierten Künstlern, man könnte auch von der älteren Künstlergeneration sprechen, und den vier jüngeren Künstlern, die den siebten Stock dekorierten. Miró, Moore und Picasso erhielten mit 10.000 $ das höchste Honorar. Arp, Calder und Noguchi wurden mit jeweils 5000 $ bedacht. An dieser Stelle muss natürlich berücksichtigt werden, dass diese ungleich erscheinende Vergütung den unterschiedlich hohen zeitlichen Arbeitsaufwand einberechnete. Von den Honoraren getrennt aufgeführt wurde ein Pauschalbetrag weiterer Ausgaben zur Ausführung der Werke, die die Kosten für Material und Transportwege deckten. Den Kunstwerken entsprechend divergierten die Ausgaben hier in noch größerem Maße. So waren Noguchis Japanischer Garten und Moores Liegende mit 35.000 $ kalkuliert, Mirós Keramikmauern mit 10.000 $, Picassos Wandbild mit 9.000 $; Arps Bronzen lagen bei 7.500 $ und Calders Mobile lediglich bei 2.000 $. Diese Berechnungen leuchten vor dem Hintergrund alleine der Material- und Fertigungs­ kosten ein, wie etwa Moores mehrere Tonnen schwerer römischer Travertin und dessen Fertigung in Italien, oder Mirós Bedarf an Ton, Holz und Glasuren. Arp und Calder hingegen fertigten Modelle an und betrauten anschließend Gießereien oder Handwerker mit der Ausführung oder Teilausführung der Werke. Auffallend beim Vergleich dieser Kalkulationen mit denjenigen der jüngeren Künstler ist die Zusammen­legung der Teilbeträge Honorar und Ausführungskosten. So berechnete die UNESCO für die beiden größeren Arbeiten Mattas und Tamayos pauschal 8000 $, hingegen für Appel und Afro 494 Vgl. Brief von Karel Appel an Dr. C. Para-Perez vom 13. 11. 1957, UNESCO-Archiv, CCA, 7 HQ 57. 495 Vgl. ebd. 496 Dies geht aus einem Brief hervor, den Para-Perez am 30. 10. 1958 an Appel richtete, UNESCO-­ Archiv, BNZ 16, 7 HQ 57. 497 Vgl. Protokoll der vierten Kunstberaterkomiteesitzung, 21. 10.–22. 10. 1957, UNESCO-Archiv, 4 CCA/4 Annex I.

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lediglich 3000 $. Ob diese Differenz von 5000 $ lediglich durch variierende Material­ kosten gerechtfertigt wurden, ist fraglich. Der Vorsitzende des Kunstberaterkomitees Parra-Perez versuchte Appels Beanstandungen zu relativieren und begründete die von ihm angeprangerten Unterschiede damit, dass sich im Laufe der Zeit die meisten Kunstprojekte massiv verändert hätten und ihre Kosten gestiegen seien. Appel sei unter den Künstlern zur Gestaltung der siebten Etage der einzige, dessen Projekt „keine grundlegenden Veränderungen erleiden“ musste. Demnach sei sein Vertrag schlichtweg der anfängliche geblieben, wohingegen sich diejenigen der anderen verändert hätten.498 Parra-Pérez versuchte an dieser Stelle galant einen wunden Punkt, mit dem die UNESCO ständig kämpfte, zu umgehen, nämlich Haushalts- und Budgetfragen. Eine Summe von 121.000 US-Dollar hatte das Hauptquartierkomitee als Vertreter der Mitgliedsstaaten ursprünglich zum Ankauf von Kunstwerken veranschlagt. Diesen Betrag erklärte das Kunstberaterkomitee, also die Runde externer Berater, bereits im September 1955 als unangemessen und gänzlich unzureichend und bat den Generaldirektor um seine Unterstützung, sich für eine Erhöhung einzusetzen.499 Eine zu diesem frühen Zeitpunkt erstellte Kalkulation zeigt, dass die Kosten zur Ausführung der Kunstwerke bei fast allen Künstlern weitaus niedriger angesetzt waren. So verteuerte sich Arps Relief um 2000 $, Calders Mobile und Picassos Wandbild um jeweils 5000 $ und Isamu Noguchis Japanischer Garten, der ursprünglich aus dem Bau-Budget finanziert werden sollte, um ganze 35.000 $. Was Parra-Perez Karel Appel verschwieg, war die Tatsache, dass das Hauptquartierkomitee am 24. und 25. Mai 1956 einer Erhöhung der Ausgaben für Kunstwerke um 70.000 $ zugestimmt hatte. Von dieser Summe sollten „40.000 $ für den Ankauf von vier Kunstwerken für die siebte Etage und 30.000 $ für verschiedene Zwecke sowie für die Installation der Kunstspenden durch die Mitgliedsstaaten“ verausgabt werden. Das Kunstberaterkomitee hatte von diesen 40.000 $ eine weitaus niedrigere Summe (nämlich 22.000 $) für die Kunstwerke der jungen Künstler veranschlagt und den Rest für die gestiegenen Kosten der anderen Künstler umgewidmet. Appel erhielt letztendlich 1500 $ sowie weitere 630.000 Francs Honorar. An Material­ kosten gab die UNESCO 32.000 Francs für den Bau einer 2,80 x 4,20 Meter großen Leinwand aus, sowie 300.000 Francs für eine Schutzverglasung des Werks und stellte dem Künstler weitere Mittel (463 kg Farbe) zur Verfügung.500 Auf die Farbe legte Appel besonderen Wert und ließ sie eigens von der deutschen Firma Kemse Farben liefern. Seinen Aussagen zufolge überzeugte sie dadurch, dass sie schnell in Putz oder andere Oberflächen einzöge und dort besonders gut aushärte.501 498 Vgl. Brief von C. Parra-Pérez an Karel Appel vom 30. 6. 1958. Eine Kopie seines Schreibens ging an die Architekten Breuer, Nervi und Zehrfuss, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 499 Vgl. Protokoll der zweiten Kunstberaterkomiteesitzung vom 3. 11.–4. 11. 1955, UNESCO-Archiv, 2 CCA/5, S. 2. 500 Vgl. Brief von J. P. Urlik, Sekretär des Kunstberaterkomitees, an Karel Appel vom 30. 10. 1958, UNESCO-Archiv, BNZ 16. 501 Vgl. ebd.

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Mit dem vierten Kunstwerk für die siebte Etage beauftragte die UNESCO den italie­nischen Maler Afro Basaldella (1912–1976), genannt Afro. Dessen internationale ­Karriere als bedeutender Vertreter des italienischen Informel begann Anfang der 1950er Jahre. Sein künstlerisches Wirken während des Italienischen Faschismus und in der Zeit von 1943 bis 1945 ist in der Literatur unscharf skizziert, es scheint jedoch, als sei Afro als junger Maler der Römischen Schule durchaus erfolgreich gewesen. Von 1929 bis 1933 studierte er an den Akademien in Florenz, Venedig und Rom. Eine erste Einzelausstellung erhielt er 1932 in der Galleria del Milione in Mailand.502 1936 gewann er in seiner Geburtsstadt Udine einen Wettbewerb für die Ausgestaltung des Gebäudes der faschistischen Jugendorganisation, des Collegio Opera Nazionale Balilla. Nach der Fertig­stellung wurde das Werk jedoch angeblich verhängt, da es die Verdienste des Regimes nicht genügend würdigte.503 Afro übernahm zahlreiche öffentliche und private Aufträge für Wandbilder in Udine, Rhodos, Peschiera und Rom. Seit 1935 wurde er regelmäßig an der Biennale in Venedig und der Quadriennale in Rom ausgestellt. 1937 reiste er nach Paris wo ihn Impressionismus und Kubismus anregten.504 Der Darmstädter Ausstellungskatalog von 1969 berichtet von Afros Kriegsdienst zwischen 1940 und 1944 mit Verwundung und zeitweiliger Entlassung. Herbert Read hingegen spricht in seinem Beitrag über Afro in Kindlers Malereilexikon 1964 von dessen Beteiligung an der italienischen Widerstandsbewegung.505 In späteren Publikationen wird die Zeit des Zweiten Weltkriegs lediglich durch chronologische Auflistung künstlerischer Arbeiten wertfrei geschildert. So übernahm Afro 1941 einen Lehrauftrag für Mosaik an der Accademia di Belle Arti in Venedig, wo er ein großes Mosaik für die EUR, die Weltausstellung von 1942, in Rom vorbereitete.506 Unmittelbar nach Kriegsende veränderte sich sein Malstil rigoros. Carla Schulze Hoffmann zufolge entwickelte er ihn schrittweise von einem espessionismo nazionale über die Auseinandersetzung mit Picasso und Braque und der Übernahme von Grundprinzipien des synthetischen Kubismus hin zu flächigen Abstraktionen.507 Ausschlaggebend für die Abkehr vom Bildgegenstand waren ein längerer Aufenthalt in den USA 1950 und die Begegnung mit der Kunst des kurz zuvor verstorbenen Arshile Gorky. Eine Einzelausstellung in der New Yorker Galerie Catherine Viviano im selben Jahr machten ihn in den USA bekannt, wo sich seine Bilder gut ver502 Vgl. Ausst.-Kat. Darmstadt 1969, Kunsthalle: Afro, Ausstellung vom 8. März–20. April 1969, S. 22. 503 Vgl. Ausst.-Kat. Bozen/Bolzano 1996, Museum für Moderne Kunst: Museion. Afro. Lyrische Malerei, Ausstellung vom 15. September–19. November 1995, danach im Museum Moderner Kunst Stiftung Worlen Passau und im Landesmuseum Mainz, S. 131. 504 Vgl. ebd., S. 131. 505 Vgl. Read, Herbert: Afro, in: Kindlers Malerei Lexikon, Bd. 1, Zürich 1964, S. 226. 506 Vgl. Ausst.-Kat. Bozen/Bolzano 1996, S. 131. 507 Zit. Schulz-Hoffmann, Carla: Anmerkungen zum Werk des Künstlers, in: Ausst.-Kat. München 1981/1982, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Staatsgalerie Moderner Kunst: Afro, Ausstellung vom 27. November 1981–17. Januar 1982, danach im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen von Mai–Juni 1982, S. 15.

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kauften. Afro schloss sich 1952 mit acht Künstlern zur gruppo degli otti pittori italiani 508 zusammen, eine Vereinigung, die gezielt den Anschluss an die internationale Kunst­ szene suchte. Maßgebliche Unterstützung erfuhren sie dabei von dem 1945 aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Kunsthistoriker und Kritiker Lionello Venturi.509 Auf der Venedig-Biennale 1952 machte die Gruppe der Acht erstmals auf sich aufmerksam. Ob Afro dort den Künstlerkongress der UNESCO besucht hatte, ist nicht nachgewiesen aber möglich. Afro sei im Ausland – vor allem in den Vereinigten Staaten – weit mehr anerkannt als in Italien, beschreibt Guido Balla 1958 in seiner Publikation Italienische Malerei vom Futurismus bis heute das internationale Standing des Künstlers.510 Ob seine UNESCO-Nominierung von den beteiligten italienischen Architekten Nervi und Rogers ausging oder eher von Seiten der Kunsthistoriker forciert wurde, kann nicht endgültig geklärt werden. Anders als Tamayo, Matta und Appel tauchte sein Name nicht auf der Künstlerliste der AICA auf. Stattdessen wurden dort die mit ihm befreundeten Kollegen aus der Gruppe der Acht Renato Birolli und Giuseppe Santomaso vorgeschlagen. Afro wurde von Georges Salles und Herbert Read favorisiert, zumindest erscheint er auf deren Prioritätenliste ganz oben. Barbara Drudi setzt die Bedeutung des UNESCO-Auftrags für den Künstler sehr hoch an, da er „einen Vergleich auf internationalem Niveau“ 511 implizierte. Darüber hinaus bedeutete dieser Auftrag eine Gleichstellung seines Werkes auf Augenhöhe mit Arbeiten von Picasso, Arp und Calder. Aus diesem Grund bereitete Afro sein Kunstwerk, das eine anspruchsvolle Größe von 3 x 7 Meterm umfasste, sorgfältig vor. Die Einladung zu einem Artist in residence (einem Arbeitsstipendium) des im kalifornischen Oakland gelegenen Mills College, das etwa gleichzeitig mit dem UNESCO-Auftrag im Frühjahr 1957 erfolgte, versetzte Afro in die Lage, ein Jahr lang ungestört in einem großen Atelier zu arbeiten. Die dort entstanden zahlreichen Vorstudien zu seinem Werk mit dem Titel ­ iviano giardino della speranza (Garten der Hoffnung) wurden 1959 in der Catherine V Gallery in New York präsentiert und in einem Katalog publiziert. Diese Arbeiten wurden von Seiten der Kritiker und der Presse begeistert aufgenommen.512 Das UNESCO-Bild Garten der Hoffnung (Taf. XVII) nimmt im Werk des Künstlers eine Sonderstellung ein, da er mit diesem die ihm eigentümliche künstlerische Vorgehensweise perfektioniert und sich ganz einer nichtfigürlichen Malerei verpflichtet.513 Vier kleinformatige mit Tinte auf Papier gezeichnete Studien zeigen, wie der Künstler einerseits zeichnerisch gestischen Impulsen nachgibt und ein Netzwerk aus schnellen 508 Der Gruppe gehörten neben Afro die Künstler Birolli, Corpora, Moreni, Morlotti, Santomaso, Turcato und Vedova an. 509 Vgl. Ausst.-Kat. München 1981/1982, S. 8. 510 Vgl. Ballo, Guido: Italienische Malerei vom Futurismus bis heute, Florenz 1958, S. 205. 511 Zit. Drudi, Barbara: Afro für die UNESCO. Das Wandbild und seine Vorarbeiten, in: Ausst.-Kat. Bozen/Bolzano 1996, S. 25. 512 Vgl. ebd. 513 Vgl. Schulz-Hoffmann, Carla, in: Ausst.-Kat. München 1981/1982, S. 15.

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Linienzügen entwirft. Anderseits werden diese gleichzeitig mit hellen und dunklen Flächen aus lavierter Farbe hinterlegt. In anderen Studien – Tempera auf Karton – untersucht der Künstler mittels Farbschichtungen unterschiedlicher tonaler Abstufungen sowie kontrastreicher Hell- Dunkelpartien geeignete Bildgründe für seine Liniennetze. Beide Systeme (Linien und Flächen) werden in den weiteren Studien synchron komponiert und miteinander in Einklang gebracht. Beim Vergleich der Kompositionen wird ersichtlich, wie wenig der Künstler dem Zufall überlässt. Obwohl die Wirkung beider Bilder ein freies unkontrolliertes Agieren scheinbar erkennen lässt, werden bei genauem Hinsehen Parallelität und Wiederholung gezielter Linienschwünge deutlich. Jede Bewegung ist planhaft durchdacht, jede Fläche methodisch abgewogen. Im UNESCO-Bild trägt Afro die Erkenntnisse seiner Studien zusammen. Die Farbgebung ist dezent, fast monochrom. Helle, ineinander greifende Flächen in sandigen und rötlichen Braun- und Ockertönen lassen wie hinterleuchtete Glasfester ein subtiles Netz linearer Strukturen hervortreten. Wie entschlüsselbare Zeichen verdichten sie sich zu einem atmosphärischen Bild aus Licht und Raum. Afros Werk wurde im Sommer 1958 im Gebäude angebracht. Eine Aktennotiz berichtet von einem Treffen, bei dem in Anwesenheit des Künstlers verschiedene Möglichkeiten der Montage diskutiert wurden. Afro entschied sich schließlich für eine Marouflage, also für ein direktes Aufkleben der Leinwand auf einen starren Bildträger, in diesem Falle direkt auf die Wand.514 Die Bewertung des Synthesekonzeptes muss vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erwartungen erfolgen. Den ideellen Vorstellungen eines Le Corbusier oder Sigfried Giedion von gemeinschaftlicher Teamarbeit, entsprach die Umsetzung des Kunstkonzeptes nicht. Die Wahl der Künstler wurde in erster Linie von den Architekten und den Kunsthistorikern vorgenommen. Sie griffen dabei auf ihre persönlichen Kontakte zu Künstlerfreunden zurück. Die meisten der hier beteiligten Künstler, Architekten und Kunsthistoriker (Picasso, Miró, Calder, Arp, Matta, Noguchi, Breuer, Le Corbusier, Gropius, Herbert Read, Jean Cassou) kannten sich aus Zusammenhängen der avantgardistischen Pariser Künstlerszene insbesondere aus den surrealistischen Zirkeln der 1920er und 1930er Jahre. Den Architekten kam insgesamt eine führende Rolle zu. So suchten sie alleine die Orte in den Gebäuden aus, nominierten die Künstler nach ihrem eigenen Gusto und legten sogar deren Genre vorab fest. Von einer gleichberechtigten Teamarbeit kann also nicht die Rede sein. Die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und der Austausch zwischen Architekten und Künstlern funktionierte – ausgenommen mit Picasso – in allen Fällen. Einige, etwa Moore, Miró, Noguchi, Tamayo und auch Arp suchten eine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit den Architekten und dem Ort. In anderen Fällen (Picasso, Calder) lieferten die Künstler reine Auftragsarbeiten ab. Bewertet man das Konzept schließlich vor dem Hintergrund einer „wirtschaftlichen“ Kooperation, wie sie von Paul Damaz für die Synthese-Bewegung postuliert worden war, 514 Vgl. Aktennotiz: Mise en place de l’ œuvre de M. Afro, 18. 6. 1958, UNESCO-Archiv, BNZ 16.

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gelang es den Architekten erfolgreich, ihre Kollegen in einen großen öffentlichen Auftrag mit einzubeziehen. Die ideelle Bedeutung des UNESCO-Projektes für die Architekten wie für die Künstler kann nicht hoch genug eingestuft werden. Die Kooperation zwischen der internationalen Organisation und den organisierten Künstlerverbänden – ob CIAM oder International Association of plastic Arts – hatte weitreichende Folgen, wie etwa die gemeinschaftliche Ausarbeitung der internationalen Künstlercharta zeigt. Die U ­ NESCO stellte für sie eine Plattform dar, um über eine zwischenstaatliche Ebene in die politischen Systeme der einzelnen Mitgliedsstaaten hinein zu wirken. Die Gestaltung des Gebäudes steht somit symbolisch für ihren eigenen Erfolg.

„Au Coeur de Paris le monde a dressé sa tour de Babel" 515 – Die Rezeption des Architekturensembles in internationalen Tageszeitungen und Fachzeitschriften

Dem gesamten Planungs- und Bauprozess des UNESCO-Gebäudes wurde in der französischen Presse sowie von internationalen Tageszeitungen und Fachzeitschriften große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Kritik reichte von euphorischen Lobeshymnen auf eine gelungene moderne Architektur hin zu beleidigenden Schmähungen und der strikten Ablehnung des Projekts. Sehr deutlich lässt sich ein Unterschied konstatieren zwischen dem innerfranzösischen Diskurs über das Bauvorhaben und den Meinungen ausländischer Kommentatoren. Dabei bestätigt sich teilweise die im ersten Kapitel aufgezeigte konservative Grundhaltung der Franzosen sowohl gegenüber modernen Bauformen als auch gegenüber modernen Strömungen der Malerei in der Nachkriegszeit. Gründe für das Unbehagen der Grande Nation sind nicht zuletzt in der internationalen Einflussnahme auf das kulturelle Erbe ihrer Stadt zu finden. Im Folgenden werden zwei Phasen der Berichterstattung in den Blick genommen. Eine erste Pressekampagne erfolgte im Herbst 1952 zu jenem Zeitpunkt, als die U ­ NESCO den Entwurf der drei Architekten Breuer, Nervi und Zehrfuss für das Hochhausprojekt an der Porte Maillot der Weltöffentlichkeit präsentierte. Fachzeitschriften für Architektur feierten das Projekt als Meilenstein der Moderne, die französische Tagespresse hingegen verfolgte aufmerksam das politische Agieren der Akteure und stand der Architektur selbst sehr kritisch gegenüber. Die internationale Presse erlaubte sich wiederum ein Urteil über das Verhalten der Franzosen, nachdem diese die Pläne abgelehnt hatten. Die zweite Phase der Berichterstattung setzte noch vor der Fertigstellung des Baus an der Place de Fontenoy im Laufe des Jahres 1958 ein und erreichte unmittelbar nach den Eröffnungsfeierlichkeiten am 3. November 1958 ihren Höhepunkt. Dabei kann unterschieden werden zwischen kurzen informativen Meldungen der Tagespresse verschiedener Länder und den mehrere Doppelseiten füllenden, reich bebilderten ausführlichen Berichten großer Tageszeitungen wie Le Monde, Le Figaro, The New York Times, The New York Herald Tribune und The Times (London), die meinungsbildend wirkten. In dieser zwei515 „Au coeur de Paris le monde a dressé sa tour de Babel" lautet die Überschrift eines Artikels in: Terre des Jeunes, April 1959.

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ten Phase richtete die Presse ihren Fokus weniger auf die Architektur. Neben Berichten über den offiziellen politischen Eröffnungsakt der Gebäude stand vor allem die Kritik an Künstlern und Kunstwerken im Mittelpunkt. Nachdem die UNESCO am 6. Oktober 1952 eine Pressemeldung516 über das Bau­ projekt an der Porte Maillot herausgegeben hatte, ernteten die Entwürfe in den einschlägigen Architekturzeitschriften das umfassende Lob der Fachwelt. So wertete das Architectural Forum das Projekt als das „wichtigste architektonische Unternehmen in Europa seit dem Krieg“517 und das Architects’ Journal attestierte Paris, „bald Besitzerin eines der modernsten Gebäude Europas“ zu sein.518 Die Architecture d’aujourd’hui erläuterte in den November- und Dezemberausgaben ausführlich das Architekturmodell sowie mehrere Detailpläne der Gebäudegrundrisse und stellte durch zahlreiche Porträtfotos der Akteure vor allem die gelungene Kooperation der internationalen Architekten heraus.519 Die Architectural Records berichteten in einem Artikel mit dem Titel The ­Building Paris doesn’t want von der Ablehnung des Projektes.520 Die Tageszeitung Le Monde informierte die Pariser Öffentlichkeit erstmals am 7. Oktober 1952 über das Bauprojekt an der Porte Maillot. Mit dem Titel Un Palais de 2 Milliards 600 Millons entre la Porte Dauphin et la Porte Maillot klang Kritik an der veranschlagten Bausumme an, die durch ein zinsfreies Darlehen des französischen Staats großzügig vorfinanziert wurde. Im Übrigen folgte der Text inhaltlich weitgehend der Pressemeldung der UNESCO und beschrieb sachlich das architektonische Vor­haben.521 Drei Wochen später berichtete darin Albert Mousset, selbst Mitglied der Pariser Comission des Sites, über die Ablehnung des Projektes durch die städtische Baukommission. 522 Emotional aufgeladen gab sich der Autor in seinem Artikel polemischen Tiraden hin und griff mit scharfen Formulierungen das gesamte Projekt an. Dabei legte er offizielle Argumente sowie inoffizielle Vorbehalte seiner Behörde gegen die Ausführung des Projekts unverblümt offen. Vordergründig hatte diese moniert, dass die UNESCO ihre eigens aufgestellten Richtlinien zur Architektenwahl missachtet hätte. So zitierte Mousset einen Auszug aus der UNESCO-Resolution, nach der das Leben und Werk des Kandidaten eng mit den Traditionen französischer Architektur hätten verbunden sein sollen, um zu garantieren, dass sich der zukünftige Bau harmonisch in die Pariser Stadtland516 Vgl. Press Release Nr. 776: Plans for New UNESCO Buildings completed. Darauf ist vermerkt: Not to be released before October 6th 1952, Bauhaus-Archiv, GN 1, 104. 517 Vgl. Architectural Forum: UNESCO House. Stunning 20 th-century monument of richness and restraint is given Paris by Breuer-Zehrfuss-Nervi team, Oktober 1952, S. 150–157. 518 Vgl. The Architects’ Journal: The step nearer home. 23. 10. 1952, S. 481. 519 Vgl. L’A rchitecture d’aujourd’hui, Vol. 11, 1952. 520 The Architectural Records: The Building Paris doesn’t want. Proposed Headquarters for UNESCO, Nr. 12, 1952, S. 11. 521 Vgl. Le Monde: Un Palais de 2 Milliards 600 Millons entre la Porte Dauphin et la Porte Maillot, 7. 10. 1951, S.  7. 522 Vgl. Mousset, Albert: La commission des sites émet un voeu défavorable au projet de palais de l’UNESCO, in: Le Monde, 1. 11. 1952.

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schaft einfügte. Diesen Passus, so das Argument Moussets, hätte die UNESCO nicht eingehalten, was eine Projektablehnung rechtfertige. Mit der Nominierung der fünf internationalen Berater und der drei Architekten, von denen nur ein einziger ein Franzose sei, hätte die Organisation einen „vulgären Wolkenkratzer“ zugelassen. Eine solch „abstrakte Architektur“, so der Autor, erinnere nur allzu sehr an das neue UN-Gebäude in New York. Sie gäbe vor, das Symbol universeller Geistigkeit zu sein, drücke tatsächlich aber die Megalomanie der Bürokratie aus. Da die französische Landschaft verletzlicher sei als die amerikanische, ruiniere diese Architektur nicht nur wichtige Blickachsen der Stadt, sondern erschlage geradezu die beispielhafte Landschaft des Bois de Boulogne aus dem 19. Jahrhundert. Selten hätte ein Projekt sämtliche Behörden einstimmig gegen sich aufgebracht, so die Meinung des Autors herablassend. Ursächlich läge die Ablehnung des Projektes gar nicht im Verhalten der UNESCO. Ihm schiene vielmehr, als hätten persönliche Beziehungen, die von der UNESCO unbemerkt blieben, eine zu dominante Rolle bei dem ganzen Vorhaben gespielt. Der UNESCO könne man deswegen einzig vorwerfen, die Meinung der Franzosen nicht eingeholt zu haben.523 Mousset benennt an dieser Stelle nur allzu deutlich den ursächlichen Grund der Projektabsage. Den städtischen Behörden hatte der weitreichende Einfluss der fünf CIAM-Architekten nicht nur in ihrer beratenden Funktion auf die UNESCO und das Bauprojekt, sondern übergreifend auf die gesamte Pariser Stadtlandschaft missfallen. Mit ihrem harten Urteil über das auf enger behördlicher Zusammenarbeit beruhenden ersten Bauprojektes von Eugène Beaudouin hatten sie sich nicht nur in städteplanerische Fragen der Stadt eingemischt. Mit der kategorischen Ablehnung des Geländes an der Place de Fontenoy und der Kritik an den französischen Baugesetzen hatten sie diese mit dem Prädikat konservativ und rückständig versehen und vor der gesamten Welt brüskiert.524 Am 28. November informierte Le Monde über den Beschluss des Ministerrates der Stadt Paris, demzufolge der UNESCO erneut die Place de Fontenoy als möglicher Bauplatz angeboten werden sollte.525 In einem kurzen Abriss positionierte sich die Zeitung allerdings kritisch gegenüber den Ministerien und monierte deren Unschlüssigkeit, der modernen Architektur endlich Einzug in die Hauptstadt zu gewähren. Tags darauf, am 29.  November, berichtete Le Monde unter dem Titel Controverse esthétique autour du palais de l’UNESCO von einer Pressekonferenz, die Eugène Claudius-Petit, Minister für Wiederaufbau, gemeinsam mit Vertretern der UNESCO und den Architekten am Vortag abgehalten hatte, um eine deutliche Gegenposition zur Comission des Sites und dem Beschluss des Ministerrates einzunehmen.526 Petit warf den Behörden nicht nur offiziö­ sen Konservatismus vor, sondern sprach ihnen jegliches ästhetisches Vermögen ab. Der 523 Vgl. ebd. 524 Walter Gropius verfolgte die Pressemeldungen in den französischen Zeitungen mit Sorge wie aus einem Brief an den Koordinator des Hauptquartierkomitees Benjamin Wermiel vom 30. 10. 1052 hervorgeht. Vgl. Bauhaus-Archiv, GN 1, UNESCO M 99. 525 Vgl. Le Monde: L’UNESCO revient Place de Fontenoy, 28. 11. 1952, S. 7. 526 Vgl. Le Monde: Controverse esthétique autour du palais de l’UNESCO, 29. 11. 1952.

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Le Monde-Artikel zitierte ferner Benjamin Wermiel, Vertreter des wenige Tage zuvor zurückgetretenen Generaldirektors Jaime Torres Bodet, der die Befürchtung äußerte, dass Paris womöglich die Hauptstadt einer vergangenen Kultur sei, die den Geist des Zeitgenössischen nicht mehr atme. Mit dieser Aussage zweifelte er nicht zuletzt am Willen der Stadt, die UNESCO dort ernsthaft willkommen zu heißen. Negativschlag­ zeilen setzte Le Monde nach der dritten Projektpräsentation für das Ensemble an der Place de Fontenoy fort. In einem Artikel vom 1. Juli 1953, der von der Annahme des dritten Bauprojektes an der Place de Fontenoy durch die Commission des Sites berichtete, referierte der Autor die nach wie vor bestehenden Vorbehalte, die das Gremium gegen die Planungen der UNESCO hege. So fordere dieses eine Steinverkleidung für die Fassade, um den brutalen Effekt der einheitlichen Glasfront zu verringern.527 Das Konferenz­gebäude auf der anderen Geländeseite versperre unangenehm die Fassade und den Ehreneingang. Eine Minderheit der Kommissionsmitglieder habe bereits Bedauern darüber ausgesprochen, dass die UNESCO nicht doch an der Rond Point de la Défense, also weit außerhalb der Stadt, gebaut habe. Die Berichterstattung der Zeitung Le Figaro fiel weniger aggressiv, jedoch ebenso kritisch aus. Nachdem erstmals am 29. November 1952 ein nur wenig informativer Artikel über den erneuten Geländewechsel von der Porte Maillot zur Place de Fontenoy erschienen war, diskutierte der Autor André Siegfried am 2. Dezember 1952 ausführlich das „Problem des Palastes der Unesco“.528 Dieses sah der Autor in der grundsätzlich gegenläufigen Auffassung von UNESCO-Architekten und der Pariser Administration hinsichtlich der Frage, ob sich ein modernes Gebäude harmonisch in die französische Stadtlandschaft einfügen ließe oder nicht. Sämtliche Vorbehalte gegen den Entwurf Porte Maillot fasste er im Folgenden noch einmal zusammen. So erinnere die geometrische Form entweder an einen Dominostein oder eine Heizung. Das Bauensemble sei Ausdruck einer amerikanischen Idee, die mit der Pariser Kultur und ihrer Atmosphäre nur wenig gemein hätte. Bautechnisch wie ästhetisch orientiere es sich an Fabrikgebäuden. Dies beunruhige die an eine „griechisch-lateinische“ Bauweise gewohnte Pariser Bevölkerung. Sie könne den technischen Fortschritt symbolisieren. Ob sie auch für den kulturellen Fortschritt stehe, bezweifele der Autor.529 Nur sechs Tage später veröffentlichte Le Figaro ein Interview mit Bernard Zehrfuss, der optimistisch auf die neue Planungsphase für einen „Wolkenkratzer“ an der Place de Fontenoy blickte.530 Geschickt stellte der Architekt seine Ideen für den Neubau den Bedürfnissen des historischen Ortes gegenüber und signalisierte insgesamt konzeptionelle Kompromissbereitschaft und Rücksichtnahme. Gegen den Amerikanisierungsvorwurf räumte er ein: 527 Vgl. Le Monde: La Commission des sites accepte le project de palais de l’UNESCO sous certaines reserves, 1. 7. 1953. 528 Vgl. Sigfried, André: Le Problème du Palais de l’UNESCO, in: Le Figaro, 2. 12. 1952, S. 5. 529 Vgl. ebd., S. 5. 530 Vgl. Prasteau, Jean: L’immeuble de l’U.N.E.S.C.O. Place Fontenoy ne déparera pas la perspective de Gabriel, in: Le Figaro, 8. 12. 1952.

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Unsere Architektur wird kein amerikanisches Importprodukt sein, wie uns vorgeworfen wurde. Vielmehr ist die amerikanische Architektur ein französisches Importprodukt. Unsere zeitgenössischen Architekten sind die wahren Schöpfer eines neuen zeitgemäßen Stils. 531

Im Gegensatz zu den kritischen Beobachtern aus Paris verfolgten Reporter der Londoner Times das Vorhaben der UNESCO wohlwollender. Am 17. Oktober 1952 erschien ein längerer Artikel mit dem Titel UNESCO’s New Headquarters. A seven Million Dollar Plan und informierte seine Leser über die renommierten beteiligten Architekten und ihren Entwurf, der versprach, „eine der bemerkenswertesten Errungenschaften moderner Architektur“ 532 hervorzubringen. Kritische Töne richtete die Times kurze Zeit später gegen die aus britischer Sicht übertriebene Regulierungswut der Franzosen. In dem Artikel UNESCO Building criticized. Design considered unsuitable for Paris Site informierte sie über das Scheitern des Projektes und kritisierte das politische Vorgehen der Préfecture de la Seine, die in einer Abstimmung das Projekt mit rein ästhetischen Argumenten gekippt hätte, ohne sich vorab mit dem Amt für Städtebau- und Stadtplanung oder der französische Regierung abzusprechen.533 Dabei ließe das vorläufige Design hoffen, „dass schließlich doch noch ein schönes Stück Architektur aus all den politischen Manövern und Unstimmigkeiten der Komitees entstehen könne, die zu Beginn des Projektes Verwirrung gestiftet hatten“534. Auch der deutsche Spiegel kommentierte die französische Absage an das ­U NESCOProjekt spöttisch und tadelte das Verhalten der Behörden als respektlos.535 In einem Artikel konstatierte der Autor spitzfindig das „Scheitern der fortschritts-freudigen Idealisten der UNESCO an der seßhaften Behäbigkeit Pariser Kleinbürger“536 und ironisierte damit nicht nur seine französischen Nachbarn, sondern zog die hehren Ziele der Organisation in Zweifel. Seine umfassende Kritik am Erfolg ihrer friedenstiftenden Mission führte er noch weiter aus: Dasselbe Mißtrauen, das die Pariser den architektonsichen Experimenten an der Porte Maillot entgegenbringen, hegt die schwerfällige Masse der Völker angesichts des aus purem Wohl­ wollen und guten Absichten konstruierten Überbaus, den die UNESCO in luftiger philosophischer Höhe „jenseits“ der waffenstarren Gegensätze von Ost und West errichten will. 537

An dieser Stelle verglich der Autor die Skepsis der französischen Bevölkerung gegenüber einer „internationalen“ Bauform mit der Skepsis der Nationalstaaten an dem über531 Originalzitat Bernard Zehrfuss: „Notre architecture ne sera pas d’importation américaine comme nous l’a reproché. C’est l’architecture américaine qui est d’importation française. Nos architects contemporains sont les vrais créateurs du style des temps nouveaux.” Zit. nach ebd. 532 Zit.: Times Educational Supplement: UNESCO’s New Headquarters. A Seven Million Dollar Plan, 17. 10. 1952. 533 Vgl. The Times: UNESCO Building Criticized. Design considered unsuitable for Paris Site, 1. 11. 1952. 534 Zit. ebd. 535 Vgl. Der Spiegel: Symbol vergangener Kulturen, 10. 12. 1952, S. 16–17. 536 Zit. ebd., S. 16. 537 Zit. ebd.

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staatlichen Ideenkonzept der UNESCO und hinterfragte damit die jüngsten politischen Ereignisse innerhalb der Kulturorganisation: Äußerst kontrovers und höchst umstritten war 1952 der Beitritt des faschistischen Spaniens zur UNESCO diskutiert worden. Dabei tendierten die USA und europäische Staaten für die diplomatische Einbindung des nicht zuletzt auch katholischen Staates, die Sozialistischen Staaten hingegen lehnten den Beitritt eines faschistischen Landes strikt ab. Politische Konsequenzen aus dem Beitritt zogen die Mitgliedsstaaten Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei, indem sie aus der Kulturorganisation austraten. Des Weiteren hatte während der Generalversammlung im November 1952 Jaime Torres Bodets überraschend sein Amt als UNESCO-General­ direktor niedergelegt, nachdem die Mitgliedsstaaten, allen voran das Vereinte Königreich, den Haushalt der Organisation radikal gekürzt hatten und damit den Handlungsspielraum der Organisation erheblich einschränkten. Im Zuge der Eröffnungsfeierlichkeiten des Gebäudes am 3. November 1958 berichteten weltweit Tageszeitungen von der neuen Architektur und den darin ausgestellten Kunstwerken. Artikel aus Antwerpen, Berlin, Brüssel, Buenos Aires, Conakry (Guinea), Dakar (Senegal), Genf, Gent, Kopenhagen, Lausanne, London, New York, Porto, Rom, Tunis und Warschau vermittelten der Weltöffentlichkeit ein überwiegend positives Bild des neuen Architekturensembles.538 Bereits am 15. August 1958 berichtete die New York Times von der kurz bevorstehenden Fertigstellung des modernen Gebäudes inmitten der traditionellen Stadtlandschaft: „Stylisches UNESCO-Gebäude kontrastiert mit Pariser Nachbarschaft“, titelte der Autor 538 Ein erheblicher Teil der Zeitungsartikel über die Eröffnung des UNESCO-Baus befinden sich im Nachlass von Bernard Zehrfuss im Centre d’archives d’architecture du XXème siècle in Paris. Die Autorin bezieht sich an dieser Stelle konkret auf Artikel in folgenden Zeitungen: Nieuwe Gazet Antwerpen: Het Unescopaleis te Parijs, 4. 11. 1958; Der Berliner Tagesspiegel: Babylonischer Turm der Weltkultur, 4. 11. 1958; Telegraf Berlin: Von jedem etwas. UNESCO-Bau in Paris – Synthese zeitgenössischer Kunst, 4. 10. 1958; Dernier soir Bruxelles: L’Y de l’UNESCO pratique, symbolique et artistique, 7. 11. 1958; Dimanche Bruxelles: Le Siège de l’UNESCO à Paris. Symbol de la coopération international, 18. 1. 1959; La Nacion, Buenos Aires: Nuewva Sede de la UNESCO en Paris, 3. 11. 1958; Guinée Matin, Conakry: Le nouveau Palais de l’UNESCO à Paris, 18. 11. 1958; Socialdemocraten Copenhague: UNESCO Dykker Moderne Kunst, 16. 11. 1958; Paris-Dakar: Le nouveau Palais de l’UNESCO à Paris, 14. 11. 1958; Tribune de Genève: Fête au Palais de l’­­UNESCO, 10. 11. 1958; Vooruit Gent: Unesco-gebouw ingewijd te Parijs, 4. 11. 1958; La Gazette Litteraire de Lausanne: L’UNESCO: une victoire, 26. 10. 1958; Le Populaire du Centre de Limoges: L’immeuble de l’U.N.E.S.C.O. inauguré aujourd’hui à Paris, 3. 11. 1958; Walthamstow Post London: Modern architecture has no use for pretty frills, 1. 1. 1959; Times Education, London: UNESCO House – An international Venture, 31. 10. 1958; Diario Do Norte, Porto: a Concepçã revolucionária do Palácio da UNESCO em Paris, 21. 10. 1958; New York Herald Tribune: ­U NESCO’s New Home is opened, 4. 11. 1958; Le Combat, Paris: Maison de l’UNESCO. Expression artistique du XXe ­siècle, 17. 10. 1958; La Pau: L’U.N.E.S.C.O. s’installe aujourd’hui à Paris dans un nouveau Palais, 3. 11. 1958; Giornale d’Italia: Affascinante e moderna Torre di Babele la nuova sede dell’­U NESCO a Parigi, 11. 9. 1958; Le Nouvel Alsacien, Strassbourg: UNESCO-­Palast in Paris, 4. 11. 1958; La Presse Tunis: L’UNESCO et l’expérience tunisienne de M. Zehrfuss, 5. 11. 1958; Bulltin mensuel de la Chambre de Commerce Française en Australie: In the modern Spirit. New ­U NESCO House in Paris, 3/1959, S. 9.

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des Artikels und attestierte der französischen Hauptstadt, dass ihr mit dieser Architektur der Startschuss in die Moderne gelungen sei.539 Auch der New York Herald Tribune berichtete vom offiziellen Begehungstermin der Presse am 10. September 1958 durch ein „attraktives und ultramodernes Gebäude“, das mit „vielen revolutionären Ideen designed, gebaut und ausgestattet“ worden war.540 Die Educational London beschrieb es als das „internationalste der Stadt Paris aufgrund seines Designs, seiner Bauweise und seiner Bestimmung“541. Die Londoner Walthamstow Post resümierte über den Bau: Die UNESCO wollte, dass ihr neues Hauptquartier ein herausragendes Beispiel moderner Architektur darstellt, in seiner Konzeption lebendig und gewagt. Die Ergebnisse zeigen nun, dass sie erfolgreich war: Nicht nur die Kunst hat in diesem Prozess gewonnen, sondern genauso die Wissenschaft und Bautechnik. 542

„Pratique, symbolique, artistique“ titelte Le Dernier Soir Bruxelles und die Schweizerische Gazette Litteraire de Lausanne verkündete feierlich „L’UNESCO: une victoire“: Der wichtigste Sieg der Architektur des 20. Jahrhunderts wurde an der Place de Fontenoy errungen. Das Haus der UNESCO zeugt nun in einer Stadt, in der jedes Jahrhundert ein Hauptwerk hinterlassen hat, für unsere Epoche.543

Auch andere Zeitungen verkündeten den „Triumph einer harmonischen Verbindung aus Beton und Glas“544. „Dieses helle freundliche, auf kühn geschwungenen Betonpfeilern ruhende Mammutgebäude, Ausdruck des Lebensstils unseres Jahrhunderts, hat wenig gemein mit der grauen und finsteren Militärschule auf der anderen Seite der Place de Fontenoy“545, so lautete das Urteil von deutscher Seite aus den Zeitungen Telegraf Berlin und Glückstädter Fortuna. Insgesamt betonten Journalisten besonders häufig die gelungene internationale Kooperation des Bauvorhabens, die den Geist der Kulturorganisation symbolisiere. Die meisten Zeitungsartikel erwähnten namentlich alle beteiligten Architekten und Künstler. Als bedeutende technische Errungenschaften der Moderne wurden sehr oft die natürliche Belichtung aller Büroräume, die verschiedenen Sonnenschutzvorrichtungen (Brises-Soleil), neuartige Heizungs- und Kühlsysteme sowie die optimale Raumakustik hervorgehoben.

539 Vgl. The New York Times: The modern permanent home of UNESCO is near completion amid traditional setting in Paris, 15. 8. 1958. 540 Zit. The New York Herald Tribune: New Home for UNESCO is Unveiled for Press, 11. 9. 1958. 541 Zit. Education London: UNESCO House – An International Venture, 31. 10. 1958. 542 Originalzitat Pierre de Latil: „UNESCO wanted its new Headquarters to be a striking example of modern architecture, vital and daring in its conception. The results are there to show that it has succeeded: not only has art gained in the process but the science or technique of building as well.” In: Walthamstow Post London: Modern architecture has no use for „pretty frills“, 1. 1. 1959. 543 Zit. La Gazette Litteraire: La Maison de l’UNESCO, 25./26. 10. 1958. 544 Vgl. Guinée Matin, Conakry: Le nouveau Palais de l’UNESCO à Paris, 18. 11. 1958; Paris-Dakar: Le nouveau Palais de l’UNESCO à Paris, 14. 11. 1958. 545 Zit. Glückstädter Fortuna: 80 Nationen bauen ein Haus. Neuer UNESCO-Sitz in Paris soll die Kunst des 20. Jahrhunderts widerspiegeln, 13. 9. 1958; Telegraf Berlin: Von jedem etwas. U ­ nescoBau in Paris. Synthese zeitgenössischer Kunst, 4. 10. 1958.

Die Rezeption des Architekturensembles     | 185

Während die Architektur viel Lob erfuhr, beanstandeten einige Beobachter das integrative Kunstkonzept. So warf der britische Kunstprofessor Douglas Cooper in einem Artikel im Sunday Times Magazin den Architekten provokativ vor, durch die Künstler­ kooperation ein Ideal der Moderne geopfert zu haben.546 Keiner der großen Heroen, weder Frank Lloyd Wright noch Mies van der Rohe, Gropius oder Le Corbusier hätten jemals die Zusammenarbeit mit Matisse, Léger oder Laurens gesucht. Coopers Hauptkritikpunkt setzte weniger bei der Auswahl der Künstler an als vielmehr bei den Präsentationsformen ihrer Kunstwerke. Calders Mobile, das er als schwache Arbeit des Künstlers wertete, sei zwischen eine Fassadenwand und eine Baumreihe gestellt und von der Straße aus gänzlich unsichtbar. Mirós poetischen Keramikmauern mangele es an Funktionalität. So stünden sie nutzlos in einer Lieferantenzufahrt. Ihre Volumen seien viel zu gering, als dass sie neben der monumentalen Sekretariatsfassade bestehen könnten. Tamayos Wandbild über der Eingangstür des Konferenzsaales empfand Cooper zwar als erfolgreiche Formulierung einer geeigneten mythologischen Geschichte, jedoch drehten die Delegierten diesem Kunstwerk ständig ihre Rücken zu, anstatt es anzusehen. Moores Liegende besäße überhaupt keine Stärke; die ständige Wiederholung von Rundungen und Aushöhlungen verkäme bei ihm zum Klischee und entwickele sich gefährlich in Richtung eines modernen Akademismus. Appels Leinwand sei grob und geschmacklos, Mattas Bild nett aber bedeutungsarm und Afros Wanddekoration, die sowohl mit den Möbeln als auch den Baumaterialien harmonisiere und die Wirkung eines langweiligen Korridors abmildere, breche nach einigen Metern einfach ab anstatt bis zum Ende der Wand zu reichen. Zuletzt bekräftigt der Autor seine Hoffnung, dass noch mehr Künstler, etwa Alberto Giacometti, Ben Shan, Max Ernst oder Graham Sutherland hinzugezogen würden und das UNESCO-Gebäude doch noch in ein einflussreiches zeitgenössisches Ensemble verwandelten.547 Wie bereits erwähnt trug in Großbritannien vor allem die Kritik Julian Huxleys zu einer vermehrt ablehnenden Haltung der Kunstwerke bei. Neben seinen Äußerungen über das Wandbild Picassos bewertete er auch die anderen Künstler: die monochrome Farbigkeit von Afros Arbeit enttäusche ihn, die grelle Abstraktion Appels wiederum interessiere ihn nicht. Über Moore, der mit Huxley eng befreundet war, äußerte er vorsichtig, dass viele Menschen die große Liegende als zu monumental empfänden, Calders Mobile erinnere ihn an Don Quichote und der Japanische Garten sei viel zu streng und zu groß.548 Auch in der Zeitschrift Les Beaux-Arts Bruxelles setzte sich Jérôme Mellequist kritisch mit dem „Synthesekonzept“ auseinander und beschrieb das Ergebnis „entgegen aller Erwartungen“ als „nicht beruhigend“.549 Seine Kritikpunkte gleichen denen Coopers 546 Vgl. Cooper, Douglas: Sacrifice of an Ideal, in: The Sunday Times, London, 26. 10. 1958. 547 Vgl. ebd. 548 Vgl. Huxley, Julian: A Picasso Mural. Excuse me but your Id is showing, in: The Manchester Guardian, 20. 12. 1958. 549 Vgl. Mellequist, Jérôme: La décoration du nouveau siège de l’UNESCO: Une confuse Tour de Babel, in: Les Beaux-Arts Bruxelles, 14. 11. 1958.

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und setzen bei den architektonischen Bedingungen für die Kunstwerke an. Sie wirkten wie Accessoires, willkürlich gesetzt und der architektonischen Struktur untergeordnet. Der Aspekt der Verbindung der Künste sei deswegen nicht überzeugend.550 Die französische Presse blieb in ihrem Gesamturteil über das neue Gebäude gespalten. Assoziative Bezeichnungen für das Sekretariatsgebäude, wie „Aquarium“, „Honig­k uchen“ oder „Bienenstock“ stimmten in ironischer Manier versöhnliche Töne mit der für viele Menschen immer noch ungewohnten Glasfassade an. Die großen Tageszeitungen Le Monde, Le Figaro, Le Combat und L’Express bekundeten überwiegend Zustimmung zum Bauergebnis. Bereits im Juli 1957 berichtete der Figaro Littéraire von „der Entdeckung“ des UNESCO-Gebäudes als „kühnes Zeugnis heutiger Architektur“551. Le Monde etwa belehrte seine Leser über die unzutreffende Bezeichnung palais, die zukünftig besser durch Begriffe wie édifice, maison oder gar building ersetzt werden sollte. Damit passte man sich einem modernen Vokabular an.552 Das Gebäude wolle mehr als ein Bürohaus sein und habe glänzend bestanden, so der Autor über die seiner Ansicht nach gelungene Architektur. Umfassende Kritik erntete hingegen die Umsetzung des Kunstkonzeptes. Die UNESCO habe selbst mit der Kunst des Jahrhunderts, der Kunst der Welt assoziiert werden wollen, so der Le Monde-Autor. Das Ergebnis weiche nun stark von diesem Anliegen ab: Arp und Moore seien vor Ende des Monats gar nicht platziert, Miró gebe dem Außenraum zwar eine fröhliche, erfinderische Note, Calders „Wetterfahne“ hingegen besitze nicht die Leichtigkeit seiner bekannten Mobiles. Tamayos Prometheus sei gelungen, jedoch schlecht beleuchtet. Das Wandbild Picassos, hinter mächtigen Säulen versteckt, verglich der Autor mit einem unzüchtigen und spröden Puvis de Chavannes. Es gleiche mehr einem Matisse als dem Autor von Guernica, so sein Urteil. Matta gebe der siebten Etage eine nervöse, verrückte Note, der ungegenständliche Afro erscheine wie „ein Lied ohne Text“. Appels Bild sei eine grauenvolle Mischung unregelmäßiger Farben, die einzig das Informel als aktuelle Mode bescheinige. Der offensichtliche Fehler läge darin, so der Autor, dass die UNESCO einem unartikulierten Geschmack eine monumentale Würde verleihen wollte. 553 Ganz anders referierte die Zeitung Le Combat, nämlich sachlich-neutral vom ersten Begehungstermin der Presse durch die drei Gebäude. Ohne ein persönliches Urteil zu fällen, listete der Autor sämtliche Namen der Architekten und ihrer Berater, der Mitglieder des Kunstberaterkomitees sowie der ausgewählten Künstler auf und informierte über alle durch die Mitgliedsstaaten gestalteten Räume sowie deren Designer. 554 Die Zeitung L’Express provozierte mit dem Titel Une Tour de Babel qui tient debout (Ein Turm zu Babel, der standhält) und berichtete in eher ungewöhnlicher Manier über die schwierige Ausgangssituation der drei Architekten, die wie bei einer „chinesischen 550 551 552 553 554

Vgl. ebd. Zit. Le Figaro Littéraire: A la Découverte du Palais de l’UNESCO, 27. 7. 1957. Vgl. Le Monde: Les Arts à l’UNESCO, 3. 10. 1958. Vgl. ebd. Vgl. Le Combat, Paris: La Maison de l’UNESCO. Expression artistique du XX ième siècle, 17. 10. 1958.

Die Rezeption des Architekturensembles     | 187

Ehe“ als unfreiwillig zusammengefügtes Team erstmals 1952 aufeinandertrafen und informierte das Publikum zudem über die widrigen Bedingungen der gemeinsamen Arbeit.555 Hinsichtlich des Kunstkonzeptes verwies der Autor auf die Polemiken der Presse und referierte die bereits semioffiziellen Beinamen der Pariser Bevölkerung, die Calders Mobile als „Eisenmonster“, Tamayos Prometheus als „Rotweinflecken“, Mattas Gemälde als den „Alptraum Clostermanns“556 und Moores Großskulptur als „Leda mit dem Schwan“ bezeichneten. Die Werke Mirós, Arps, Afros und Noguchis fanden hingegen anerkennende Worte. Picassos Wandbild wurde als „Gipfel des Grotesken“ nominiert. Der Autor selbst gab sich jedoch gelassen: immerhin habe man zum ersten Mal seit Jahrhunderten wieder das Experiment gewagt, Architektur und Kunst auf einem gleichen epochalen Niveau zu halten.557 Die Kunstwerke standen auch im Mittelpunkt eines reißerischen Artikels der Paris-Presse, der am 25. September 1958 veröffentlicht wurde. Mit der Frage Picasso a-t-il mystifée l’UNESCO? lud der Autor François Brigneau die Leser auf einen persönlich Rundgang durch das neue Gebäude ein.558 Dabei stellte er als narratives Stilmittel sein Unwissen beziehungsweise Unverständnis gegenüber den zeitgenössischen Kunst­ werken der überschwänglichen Begeisterung des fachkundigen Kunsthistorikers George Salles gegenüber, der die Passantengruppe durch das Gebäude führte. So gleicht ­Brigneaus Artikel einer bösartigen Abrechnung mit modernen Positionen. Er nimmt darin die kindliche Haltung eines pseudo-naiven Kunstbetrachters ein und beschreibt die verstörenden Schockmomente, die die Kunstwerke, insbesondere das Wandbild Picassos, durch ihre Darstellungsweisen, ihre Farb- und Formengebungen in ihm auslösten: für einen nicht eingeweihten Betrachter wie ihn sei dieses Spektakel verwirrend, so der Autor und zählte alle sichtbaren Körperteile der Picassofiguren auf, die sich seiner Meinung nach nicht am rechten Platz befänden. Naiv beschreibt er Tamayos ­Prometheus als „Engel mit Augen wie Knöpfstiefel“. Matta hätte auf eine blaue elektrische Leinwand Farbkugeln geworfen. Der Titel von Afros Gemälde Garten der Hoffnung hätte Hoffnung genährt, aber auch er stelle einfach nichts dar; blässliche Farben ohne jede Bedeutung, so das Urteil Brigneaus. Artikel wie dieser zeigen eine durchaus feindliche Einstellung gegenüber modernen Künstlern. Noch einmal titelte die Paris-Presse am Eröffnungstag des Gebäudes fälschlicherweise, der Palast der UNESCO habe Frankreich vier Milliarden Francs gekostet.559 Die Dépèche Parisienne titelte am 9. Januar 1959 doppeldeutig Les Monstres sacrés… und beruhigte in polemischer Manier seine Leser, es handele sich nicht um Monster/Berühmtheiten aus dem Kino oder dem Theater […], sondern um architektonische Monster, die der derzeitige Snobismus in vier Winkeln 555 Zit. L’Express: Une Tour de Babel qui tient debout, 30. 10. 1958. 556 Pierre-Henri Clostermann (1921–2006) war ein in Frankreich gefeierter Fliegerpilot, der im Zweiten Weltkrieg die meisten Abschüsse vorzuweisen hatte. 557 Vgl. L’Express, 30. 10. 1959. 558 Vgl. Paris-presse. L’entransigeant: Picasso a-t-il mystifiée l’Unesco? 25. 9. 1958. 559 Paris-Presse, L’intransigeant: Le palais de l’UNESCO a coûté 4 milliards à la France, 4. 11. 1958.

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der Hauptstadt hervorgebracht habe. Die monotone Fassade erinnere, so der Autor, an ein Kranken­haus, eine Luxuskaserne oder einen amerikanischen Palast und die Kunstwerke gäben ein apokalyptisches Spektakel ab.560 L’Avenir de Paris kommentierte wiederum positiv: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit schuldet ein Gebäude seinen internationalen Charakter seinen Zielen, zugleich aber auch seinem Konzept und seinen Beziehungen.“ 561 Damit spielte der Autor auf die unterschiedlichen Akteurs­ ebenen an, die zu eben dieser Architektur führten: die politische, die architektonische und zuletzt die internationalen Verflechtungen beider. Nach einer kurzen Beschreibung der drei Gebäude­teile und ihrer Funktionen wartete der Autor mit Superlativen der Technik auf, die unter Beweis stellen sollten, dass das UNESCO-Gebäude den aktuellsten Technologiestandards entsprach. Alle Büros verfügten über fluoreszierendes Licht, isolierte Decken und Linoleumböden. Für den Bau wurden 46.000 Tonnen armierter Beton, 1300 Tonnen Marmor, über 8000 m2 Glas und 20 Tonnen Kupfer benötigt. Das Sekretariatsgebäude sei mit einer Druckerei, einem Kino, fünf Studios für Radio und Fernsehen und mit einer Telefon­anlage mit 142 externen und 1500 internen Leitungen ausgestattet.562 Joseph Picard rückte in seinem Artikel in der Pariser Tageszeitung La Croix wiederum die Kunstwerke in den Mittelpunkt: man hätte keine bessere Architektur errichten können, jedoch bessere Kunstwerke, so die Kritik des Autors.563 Auch er bestritt nicht die Wahl der Künstler, sondern focht einzelne Werke an, etwa von Picasso oder Appel. Sein Fazit lautete: es hätte möglicherweise ausgereicht, einzelne Architekturfragmente zu kolorieren, wie in früheren Epochen. Zahlreiche regionale Zeitungen berichteten in überwiegend kurzen Artikeln über die Eröffnungsfeierlichkeiten der UNESCO am 3. November 1958 und zeichneten ein überwiegend positives Bild von der neuen Architektur in der Hauptstadt nach. Sie betonten oftmals den französischen Beitrag zu diesem modernen Gebäude. 564 So hob etwa die Zeitung L’Oise Matin aus dem Beauvais in ihrem Beitrag Aujourd’hui à Paris, Place Fontenoy l’UNESCO se met dans ses meubles die Großzügigkeit der französischen Regierung her-

560 561 562 563 564

Dépèche Parisienne: Propos de recalcitrant Jean de la Lune. Les Monstres Sacrés, 4. 11. 1985. Vgl. L’ Avenir de Paris: Le Palais de l’UNESCO sera inauguré lundi 3. novembre, 1. 11. 1958. Vgl. ebd. Vgl. Picard, Joseph: Propos sur l’A rt – Peintures à l’UNESCO, in: La Croix, 14. 11. 1958. Charleville, Ardennais: Aujourd’hui inauguration à Paris du nouveau siège de l’UNESCO, 3. 11. 1958. Clermont-Ferrand, La Montagne: L’A rchitecture – Bruxelles – Une tour de Babel dans Paris – Controverses autour d’une fresque – Modernisme, 2. 1. 1959; Limoge, Le Populaire du Centre: L’immeuble de l’UNESCO inauguré aujourd’hui à Paris, 3. 11. 1958; Lyon, Le Progrès: L’immeuble de l’UNESCO inauguré demain à Paris, 2. 11. 1958; Pau, L’Eclaire des Pyrénées: L’­­UNESCO s’installe aujourd’hui à Paris, 3. 11. 1958; Poitiers, Le Libre Poitou: L’Avant-Garde consacrée de l’A rt et de l’A rchitecture Mondiaux a preside à l’édification de l’immeuble de l’UNESCO inauguré aujourd’hui, 3. 11. 1958; Straßbourg, Le nouvel Alsacien: UNESCO-Palast in Paris, 4. 11. 1958; Toulouse, La dépêche du midi: Le nouveau siège de l’UNESCO est inauguré aujourd’hui à Paris par les délégués de quatre-vignt-une nation, 3. 11. 1958.

Die Rezeption des Architekturensembles     | 189

vor, die nicht nur das Gelände kostenfrei zur Verfügung gestellt hatte, sondern auch die Baukosten vorfinanzierte.565 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die französische Presse neben vereinzelten Polemiken einen differenzierten Blick auf die Architektur entwickelte und letztendlich das Bauergebnis positiv wertete. Bezüglich der Kunstwerke überwog jedoch das Missfallen über die Künstler. Auffallend häufig tauchte sowohl in der französischen wie in der internationalen Presse die Metapher des Turmbaus zu Babel auf. 566 Dieses alttestamentarische Sinnbild menschlicher Hybris mag aus heutiger Perspektive übertrieben und in direktem Bezug auf die lediglich sieben Stockwerke umfassende Architektur abwegig erscheinen. Sie lässt jedoch Rückschlüsse auf eine auf mehrere Bedeutungsebenen abzielende öffentliche Kritik zu, die sich nicht ausschließlich auf die moderne Formensprache der baulichen Substanz und die darin ausgestellte repräsentative Kunst bezog, sondern darüber hinaus die visionären politischen Zielen der jungen Organisation insgesamt in Zweifel zog. Der biblischen Geschichte folgend, kulminierte der göttliche Zorn gegen den Turmbau in der sogenannten „Sprachverwirrung“, die zur Folge hatte, dass jegliche zwischenmenschliche Kommunikation unmöglich und der Weiterbau des Turmes damit verhindert war. Die ‚Vielsprachigkeit‘ innerhalb der ­U NESCO war – im Sinne einer babylonischen Sprachverwirrung – von Anfang an gegeben, so dass es fraglich erschien, ob die Weltgemeinschaft trotz aller technischen Finessen jemals eine gleiche Sprache finden würde.

565 Vgl. L’Oise-Matin Beauvais: Aujourd’hui à Paris, place Fontenoy l’UNESCO se met dans ses meubles, 3. 11. 1958. 566 Vgl. Der Tagesspiegel Berlin: Babylonischer Turm der Weltkultur, Neues UNESCO Gebäude in Paris eingeweiht, 4. 11. 1958; Bruxelles, Les Beaux-Art: Une confuse tour de Babel, 14. 11. 1958; Clermont-Ferrand, La Montagne: Une tour de Babel dans Paris – Controverses autour d’une fresque, 2. 1. 1959; Paris, Tèrre des Jeunes: Au Coeur de Paris le Monde a dressé sa tour de Babel, Nr. 4, 1959. Das Bild des Turmbaus taucht in weiteren Zeitungsartikeln auf, die in anderen Fußnoten bereits erwähnt wurden.

Zusammenfassung

Die Untersuchung von Planungs- und Bauprozess des UNESCO-Gebäudes hat gezeigt, dass ein Bedeutungszusammenhang zwischen politischem Ideal und einer Architektur sowie damit verbundenen Kunstwerken, wie es die UNESCO in ihrem Haupt­quartier intendierte, sich nicht in wenigen Wochen am Reißbrett generieren ließ. Vielmehr trugen eine Vielzahl unterschiedlicher politischer Erwartungen wie Interessen einerseits und bereits bestehende künstlerische Ideen und Strömungen andererseits dazu bei, dass im Rahmen eines gemeinsamen Entwicklungs- und Aushandlungsprozesses ein zeitgenössisches Gemeinschaftswerk entstand. Obwohl auf einer gremienimmanenten demokratischen Entscheidungsstruktur der UNESCO (Hauptquartierkomitee, Kunst­beraterkomitee) und konsensgetragenen Abstimmungen durch die Generalversammlung fußend, wurden wegweisende Entscheidungen im Planungsprozess meist von Einzel­personen, etwa dem Generaldirektor, oder kleinen Arbeitsgruppen getroffen, etwa durch Vertreter der USA und Großbritanniens. Auch die von Generaldirektor Bodet ausgewählten Experten der CIAM spielten bei grundsätzlichen Entscheidungsfindungen eine zentrale Rolle. Die CIAM-Akteure Gropius, Le Corbusier, Costa, Rogers und ­Markelius kämpften zu Beginn des Entwurfsprozesses – quasi in der Position einer NGO, die mit der UNESCO kooperierte – sowohl gegen behördliche Widerstände als auch gegen das Unwissen des letztlich im Bereich der Architektur fachfremden Hauptquartierkomitees an, etwa bei der Entscheidung um den vorläufigen Architekten Eugène Beaudouin oder der Ablehnung des Geländes an der Place de Fontenoy. Mit dem durch das städtische Comité des Sites ausgebooteten Entwurfsplan für das Bauprojekt an der Porte Maillot mussten sie herbe Rückschläge in Kauf nehmen. Mit Expertenratschlägen und entsprechenden fachlichen Argumenten brachten sie ihre Interessen an dem Bauprojekt in eine gute Position: Dabei setzten sie sich gegen die politischen Widerstände des Hauptquartierkomitees durch, beispielsweise bei der Wahl der von ihnen favorisierten Architekten Breuer, Nervi und Zehrfuss und nicht zuletzt auch bei der Nominierung der Künstler. Die Besonderheiten des UNESCO-Bauwerks liegen nicht nur in seiner Architekturform begründet – ein solider Bau der Nachkriegsmoderne – sondern zugleich in dem

Zusammenfassung     | 191

Versuch ein politisches Plädoyer für moderne Kunstformen als internationales Friedenszeichen vorzubringen. Dem Baukonzept, mit der Forderung nach einer Kunstsynthese und damit verbundenen Kooperationen, gingen zwei wesentliche Entwicklungen voraus: Auf der einen Seite wurde bereits 1946 ein politisches Konzept zur Künstler­förderung in den Leitlinien und Programmen der UNESCO verankert. Ziel dabei war nicht nur, Künstler im kriegszerstörten und wirtschaftlich schwachen Europa zu stärken, sondern mit den künstlerischen Positionen der Moderne einen internationalen Kultur­kanon zu entwickeln, der weltweit friedensstiftend wirken sollte. Kunst als Bestandteil von Bildung und damit als Motor eines International Understanding galt als wichtiger Impuls für das Profil einer friedlichen Weltgemeinschaft. Dass damit eine Kulturdominanz westlicher Staaten einherging, wurde zu diesem Zeitpunkt kaum reflektiert und sollte erst viel später diskutiert werden. Auf der anderen Seite entwickelten die Vertreter der modernen Architekturbewegung (Gropius, Le Corbusier, Giedion) ihre architektur­soziologischen Programme weiter – besonders in Hinblick auf eine zeitgenössische Formen­sprache. Mit der Forderung nach neuer ‚Symbolhaftigkeit‘ in der Architektur und unter der Parole einer ‚Synthese der Künste‘ solidarisierten sich Architekten und Künstler, und schlossen sich, teilweise unter Schirmherrschaft der UNESCO, zu Interessenverbänden zusammen, um in internationalem Rahmen gemeinschaftlich zu agieren. Das Kunstkonzept der UNESCO kann demnach auch als ein gelungenes Ergebnis dieser Entwicklungen gewertet werden. Letztendlich spielten während des gesamten Bauprozesses, etwa bei der Umsetzung des Kunstkonzeptes stets persönliche Netzwerke eine maßgebliche Rolle. Fast alle der beteiligten Kunsthistoriker aus dem Kunstberaterkomitee sowie die Architekten und Künstler waren miteinander befreundet, kannten sich aus der avantgardistischen Pariser Künstlerszene oder aus den surrealistischen Zirkeln der 1920er und 1930er Jahre. Hinsichtlich der Umsetzung des Kunstkonzeptes kann allerdings von einer gleichberechtigten Teamarbeit zwischen Künstlern und Architekten, wie sie im Programm gefordert war, kaum die Rede sein. Denn die Architekten bestimmten über die Platzierung der Kunstwerke, die sie schließlich der Architektur unterordneten. Dennoch funktionierte der Austausch zwischen Breuer, Nervi und Zehrfuss und den Künstlern sehr gut. Bewertet man das Konzept schließlich vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Kooperation, wie sie von Paul Damaz für die Synthese-Bewegung postuliert worden war, gelang es den Architekten zweifellos erfolgreich, ihre Kollegen in einen großen öffentlichen Auftrag mit einzubeziehen. Die ideelle Bedeutung des UNESCO-Projektes für die Architekten wie für die beteiligten Künstler kann nicht hoch genug eingestuft werden. Die UNESCO ergriff mit ihrer Nominierung Partei für moderne Formen- und Bildsprachen. Nicht die kulturelle Vielfalt, wie heutzutage stets beschworen, sondern eine für die ganze Welt Gültigkeit besitzende zeitgenössische Kunst, die aus den künstlerischen Strömungen der Vorkriegszeit resultierte, sollte einen internationalen Kulturkanon generieren. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass gerade Künstler wie Picasso, Miró, Arp und Moore die künstlerische

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Formensprache anderer Kulturkreise – ob afrikanische Masken, prähistorische Felsenmalerei oder toltekische Majaskulptur – in ihren Werken adaptierten. Sogenannte primitive Kunst spielte bei der Entwicklung der modernen Kunst eine enorme Rolle. Die Suche nach einer ursprünlichen Formenwelt und das Streben nach universaler Bildsprache waren zentrale Voraussetzungen für einen internationalen Kulturkanon. Dadurch erfuhren die Künstler eine Aufwertung. Allgemeine Akzeptanz durch breite Bevölkerungsschichten hingegen war ihren Werken – wie die teilweise feindseligen Artikel in französischen Zeitungen zeigen – in der Kunstmetropole Paris bislang versagt geblieben. Die politische Kooperation zwischen der UNESCO und den Künstlern und Künstler­verbänden hatte weitreichende positive Folgen für die Kulturszene insgesamt, wie etwa die gemeinschaftliche Ausarbeitung einer internationalen Künstlercharta zeigt. Die UNESCO stellte eine Plattform dar, um von einer überstaatlichen Ebene aus in die politischen Systeme ihrer Herkunftsländer hinein zu wirken. Die Gestaltung des Gebäudes steht somit auch symbolisch für diesen Erfolg.

Das UNESCO-Gebäude im architekturhistorischen Kontext

Das UNESCO-Gebäude wurde im ersten Teil der Arbeit als ein Fallbeispiel dafür angeführt, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt – in der Mitte des 20. Jahrhunderts – nicht nur die Bauformen der Moderne, sondern avantgardistische Kunstströmungen insgesamt als sichtbare Zeichenträger codiert wurden – zum einen für die politische Idee von internatio­ naler Zusammenarbeit, zum anderen für Kulturförderung überhaupt. Diese Bedeutungszuschreibung erfolgte nicht einseitig durch die Politik der UNESCO-Mitgliedsstaaten, sondern vor allem durch die aktive Partizipation moderner Architekten und Künstler. Um die Bedeutung dieses Zuschreibungsprozesses und damit auch diejenige des ­UNESCOBaus richtig einschätzen zu können, muss ein größerer historischer Kontext einbezogen werden. Im Rahmen eines bautypologischen Vergleichs mit zwei verwandten Vorbildern, dem Völkerbundpalast in Genf und dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York, wird die Perspektive dieser politischen Organisationen fokussiert und ihre politischen Strategien zur Errichtung der eigenen Hauptsitze ermittelt. Dabei wird aufgezeigt, wie sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Vorstellungen von politischer Repräsentativität in den Bauten der internationalen Organisationen veränderten und sich ein Wandel hinsichtlich einer tradierten ikonographischen Formensprache vollzog. Der Völkerbundpalast in Genf (Abb. 33). wurde als erstes Parlament der internationalen Staatengemeinschaft in den Jahren zwischen 1927 und 1936 geplant und errichtet. Sein neoklassizistischer Architekturstil und die bautypologische Analogie zu mehrflügeligen Schlossbauten stehen augenscheinlich in starkem Gegensatz zu den beiden in der Nachkriegszeit realisierten Folgebauten. Fast antithetisch zum historistischen Genfer Parlamentsbau erhob sich nur ein Jahrzehnt später in der US-amerikanischen Metropole New York das Sekretariat der Vereinten Nationen (1947–1952) als gläserner Hochhausturm (Abb. 34) und wurde ein markanter Bestandteil der Skyline von Manhattan. Das flache, y-förmige UNESCO-Sekretariat in Paris hingegen wies im Vergleich zum New Yorker Bau weniger architektonische Neuerungen auf. Wie bereits aufgezeigt, wurde es 1958 dennoch als architektonisches Novum wahrgenommen. Als solider Bau der Nachkriegsmoderne, aufgeladen mit einem zeitgenössischen ‚Kunst-am-Bau-Konzept‘, zeugte es von der internationalen Durchsetzung des Neuen Bauens.

Das UNESCO-Gebäude im architekturhistorischen Kontext

196 |     Das UNESCO-Gebäude im architekturhistorischen Kontext

33  Genf, Luftaufnahme des Völkerbundpalasts kurz nach der Fertigstellung 1937

34  New York, UN-Ensemble, 1947, konzipiert vom internationalen Board of Design, © Ezra Stoller/ESTO

Das UNESCO-Gebäude im architekturhistorischen Kontext     | 197

Im Folgenden werden die Entstehungsprozesse der Bauten des Völkerbundes und der Vereinten Nationen aufgezeigt und mit demjenigen des UNESCO-Gebäudes verglichen. Als komparative Basis dienen dabei weniger formale Vergleichskategorien. Vielmehr stehen die politischen Entscheidungsprozesse sowie die Organisation und die Abläufe im Mittelpunkt der Analyse. Durch den Vergleich der an den Bauten beteiligten politischen Gremien, der ideellen Baukonzepte, der Auswahlverfahren von Architekten und nicht zuletzt der Ausstattung und Ausschmückung der Gebäude, soll ein politischer wie gesellschaftlicher Wandel in der Vorstellung über adäquate Repräsentationsformen im 20. Jahrhundert aufgezeigt werden.

Das UNESCO-Gebäude im architekturhistorischen Kontext

Der Völkerbundpalast in Genf

Ein Gebäude für die internationale Staatengemeinschaft Der 1919 als unmittelbare Reaktion auf den Ersten Weltkrieg gegründete Völkerbund sah in den ersten Jahren seines Bestehens keine Notwendigkeit, ein eigenes, an die Bedürfnisse der Organisation angepasstes Parlamentsgebäude zu errichten. Nachdem die Ortswahl für einen dauerhaften Sitz der Organisation auf Genf gefallen war, suchte der erste General­ sekretär des Völkerbundes, Sir James Eric Drummond, dort 1920 gemeinsam mit städti­ schen Vertretern nach einer geeigneten Immobilie.1 Seine Wahl fiel auf das frisch sanierte Hôtel National (Abb. 35), ein repräsentatives Grandhotel (1873–1875), das sich in bester Innenstadtlage an der Uferpromenade des Genfer Sees befand.2 Der Völkerbund kaufte es für stattliche 5,5 Millionen Schweizer Franken an, um darin sein damals etwa 60 Mitarbeiter zählendes Sekretariat unterzubringen. Mit einer Raumaufteilung von 146 Hotelzimmern und 79 Bädern war es jedoch ein für eine Verwaltung wenig geeigneter Bautyp. Vermutlich hatten die repräsentative Lage des Hotels und seine prunkvolle Architektur den entscheidenden Impuls zum Ankauf gegeben. Im Zuge der Nutzung durch den Völkerbund wurde das Hôtel National zu Ehren des amerikanischen Präsidenten Wodrow Wilson, Befürworter und Initiator dieser ersten internationalen Organisation, in Palais Wil1 Tatsächlich gestaltete sich die politische Entscheidung der Ortswahl des Völkerbundes wesentlich komplizierter als hier dargestellt. Neben der Schweiz hatten sich unter anderem Belgien (mit Brüssel), Frankreich (mit Straßburg und Paris), die Niederlande (mit den Haag), Österreich (mit Wien) und Spanien (mit Madrid) hierfür beworben. Der Präsident der Vereinigten Staaten Thomas Wodrow Wilson setzte sich mit dem Argument der politischen Neutralität für die Schweiz ein. Wie die USA war auch die Schweiz zu jenem Zeitpunkt jedoch kein Mitgliedstaat des Völkerbundes. Per Volksentscheid stimmten die Schweizer erst am 16. Mai 1920 über den Beitritt ihres Landes zum Völkerbund ab und votierten mit 76,5% dafür. Deutlich knapper fiel die Entscheidung der Eidgenossen bei der Frage aus, ob sich der Völkerbund dauerhaft in Genf niederlassen sollte. Von 22 Kantonen stimmten 11 ½ für den Sitz des Völkerbundes in Genf, 10 ½ Kantone waren dagegen. Vgl. hierzu ausführlich: Pallas 2001, S. 9 ff. 2 Vgl. zur Geschichte des Hôtel National: Andrié, Marc: Le Palais Wilson et son histoire, in: Confédération suisse, Administration fédérale des Finances (Hg.): Palais Wilson 1993–1998. Les Etudes et les Traveaux, Bern 1998.

Der Völkerbundpalast in Genf     | 199

35  Genf, Hôtel National (späteres Palais Wilson), 1873-1875. Aufnahme aus den 1920er Jahren

son umbenannt. Dadurch wurde die Umnutzung der Architektur von einem kommerziellen Hotelbau in ein für politische Zwecke geeigneteres Gebäude in bautypologischem Sinne betont. Da die Räumlichkeiten im Palais Wilson für die Zusammenkunft der Generalversammlung nicht ausreichten, mietete der Völkerbund zusätzlich den historischen Reformationssaal und das nahe gelegene Hôtel Victoria an.3 Beide Gebäude entsprachen jedoch bei weitem nicht den damaligen Komfortstandards und so eruierte während der vierten Generalversammlung 1923 ein Sonderkomitee Möglichkeiten zum Bau eines eigenen Konferenzgebäudes in Genf.4 Unterstützung erhielten die Delegierten sowohl von der Schweizer Regierung sowie vom Kanton und der Stadt Genf. Letztere bot dem Völkerbund ein unmittelbar an das Palais Wilson angrenzendes Gelände zum Kauf an – das sogenannte Propriété Armleder.5 Generalsekretär Drummond beauftragte den Genfer Architekten Marc Camoletti (1857–1940) mit der Anfertigung eines vorläufigen Generalplans, der den Raumbedarf sowie die Kosten eines solchen Bauvorhabens ermittelte. Gleichzeitig fasste Drummond den Entschluss, den Bauauftrag durch einen internationalen Architekturwettbewerb zu vergeben.6

3 Beide Bauten wurden von 1920 bis 1929 vom Völkerbund benutzt. Vgl. Pallas 2001, S. 19–23. 4 Vgl. Report of the Fourth Kommittee: The Question of the Erection of a Conference Hall on the Ground presented to the League of Nations by the Republic and Canton of Geneva and by the City of Geneva, 22. 9. 1923, SdN-Archiv, R 1537/39306/28594. 5 Vgl. Pallas 2001, S. 23. 6 Dies geht aus einem Brief Drummonds an Camoletti hervor. Darin bittet er ihn, ihm bei der Auslobung eines solchen Wettbewerbs als persönlicher Berater zur Seite zu stehen, sobald die Generalversammlung die nötigen Finanzmittel für den Bau genehmigt hat. Vgl. Brief von B. Attolico (Büro des Generalsekretärs) an Marc Camoletti vom 11. 7. 1923, SdN-Archiv, R 1537/32/28594/x. 

Der Völkerbundpalast in Genf

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36  Genf, Entwurf für ein Konferenzgebäude des Völkerbunds am Quai du Leman in Genf, 1923, von Marc Camoletti

Camoletti, der bereits vor dem Ankauf durch den Völkerbund die Renovierungsarbeiten am ehemaligen Hôtel National durchgeführt hatte7, erarbeitete bis zum 26. August 1923 einen vorläufigen Entwurf (Abb. 36, 37) für ein Konferenzgebäude auf dem Armleder-­ Gelände und legte diesen der vierten Generalversammlung am 1. September 1923 vor.8 Der Entwurf zeigt ein entlang des Quai du Leman und der Rue J. A. Gautier verlaufendes, schlichtes dreistöckiges Stadtpalais mit klassizistischen Stilanleihen, das mittels einer Passage direkt mit dem benachbarten Palais Wilson verbunden ist. Der am See­ufer gelegene Haupteingang erfährt lediglich durch einen leicht hervorspringenden Mittelrisalit eine repräsentative Betonung. Über wenige Stufen vor dem Eingangs­bereich sollen die Delegierten in eine Eingangshalle, eine Salle des Pas Perdus, gelangen, an die sich zur rechten und linken Seite zwei geräumige Salons (ein Raucherzimmer und ein Erholungsraum) anschließen. Durch ein Vestibül mit Garderoben und sanitären Anlagen gelangten Delegierte, Presse und Besucher über großzügige Treppenaufgänge in den großen Konferenzsaal, der im unteren Bereich 372 Plätze für internationale Politiker sowie auf seitlichen mehrstöckigen Galerien verschiedenen Besuchergruppen Sitzplätze bot. Camoletti verteilte weitere kleinere Versammlungs- und Komiteeräume auf verschiedene Stockwerke. So widmete er beispielsweise die oberste Etage der „modernen Kommunikation“ und konzipierte dort Räume für die Presse, die Radiostationen sowie Büros zur Vervielfältigung von Dokumenten und eine Poststation. Insgesamt plante der Genfer Architekt großzügig mit einem Raummaß von 45.000 m3. Die Baukosten veranschlagte er dabei bei günstigen drei Millionen Schweizer Franken, wobei Ausstattung und Mobiliar nicht einkalkuliert waren. In seinem Abschlussbericht wies Camoletti den 7 Vgl. Pallas 2001, S. 20. 8 Vgl. Brief von Marc Camoletti an den Generalsekretär vom 14. 7. 1923, SdN-Archiv, R 1537/32/ 28594/x.

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37  Genf, Grundriss für ein Konferenzgebäude des Völkerbundes am Quai du Leman in Genf, 1923, von Marc Camoletti

Generalsekretär ausdrücklich darauf hin, dass auf den Völkerbund vor allem zusätzliche Kosten für Fundamentierungsarbeiten zukämen. Diese müssten, seiner Ansicht nach, sehr hoch angesetzt werden, da sich der Baugrund als extrem sandhaltig erwies. Nach Probebohrungen kam er zu dem Schluss, dass modernste Vorkehrungen getroffen werden sollten, um ein nachträgliches Absinken des Konferenzgebäudes zu verhindern.9 In jedem Falle, so Camoletti, müsse das zukünftige Gebäude auf einem durchgehenden Fundament aus armiertem Beton verankert werden.10 An der vierten Generalkonferenz im September 1923 empfahl ein vorläufig zusammengestelltes Baukomitee der Versammlung vorwiegend wegen der Unannehmlichkeiten des Reformationssaales, den Bau eines eigenen Konferenzgebäudes auf dem Propriété Armleder auszuführen.11 Eine sofortige Umsetzung ließ die finanzielle Situation des Völkerbundes jedoch nicht zu. Zu hoch waren die durch den Ankauf des Palais Wilson entstandenen und bis ins Jahr 1926 zu begleichenden Schulden und die jährlich anfal  9 Vgl. Marc Camoletti: Preliminary Draft Programme for the Competition to be held for the Construction of the Conference Hall. Explanatory Notes, SdN-Archiv, R 1537/32/28594/x, S. 2. 10 Vgl. Marc Camoletti: Rapport sur la Résistance du Terrain destiné à la future Salle de Séance de la Société des Nations, 2. 5. 1924, SdN-Archiv, R 1537/32/28594. 11 Vgl. Report of the Fourth Committee, 22. 9. 1923, SdN-Archiv, R 1537/39306/28594.

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lenden Mietkosten von einer Million Schweizer Franken. So vertagte der Völkerbund seine endgültige Entscheidung auf das Jahr 1924 und erst die fünfte Generalversammlung beschloss die Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs. Über die für ein solches Bauvorhaben notwendige Organisationsstruktur beriet zunächst der Exekutivrat. Er veranlasste die Zusammenstellung zweier Gremien.12 Zum einen sollte ein politisches Komitee, das sogenannte Baukomitee, mit sämtlichen Fragen der Bau­ planung betraut werden. Bezüglich dessen personeller Struktur verständigte sich der Rat auf „einen Bürger der Stadt Genf, drei Delegierte benachbarter Länder, zwei Mitglieder des Sekretariates und ein Mitglied des ILO“13. Damit wahrte der Exekutivrat diplomatische Interessen: er räumte städtischen Interessenvertretern ein Mitspracherecht ein, signalisierte dem benachbarten International Labour Office (ILO) Kooperationsbereitschaft und vertraute die Bauaufsicht den ausländischen Delegierten an. Ungewöhnlich erscheint aus heutiger Sicht, dass dieses Baukomitee erst im Jahr 1926 zu einer konstituie­renden Sitzung zusammentrat. Wesentlich höher als der politische Einfluss auf die erste Planungsphase gewichtete der Exekutivrat die formal korrekte Auslobung des internationalen Architekturwettbewerbs. Dieser sollte von einer fünfköpfigen Jury renommierter Architekten konzipiert und durchgeführt werden.14 Von Beginn an legte der Völkerbund einen entscheidenden Teil der Verantwortung für seinen Neubau, nämlich dessen gesamte Entwurfsplanung, in die Hände von Experten. Wie sich noch zeigen wird, war die Architektenjury in finalen Entscheidungen zwar auf die Rücksprache mit dem Exekutivrat angewiesen, letzterer vertraute jedoch stets auf deren Urteil. Ähnlich wie bei der Zusammenstellung des Baukomitees entschied sich der Exekutivrat für Architekten aus solchen Ländern, die eine geographische Nähe zu Genf aufwiesen. Als ausschlaggebendes Argument dieses Beschlusses führte er eine flexible Mobilität des Gremiums an. So müsse sich die Jury noch im Jahr 1924 mehrmals zu kurzfristig anberaumten Treffen zusammenfinden und auch 1925 variabel Sitzungen planen können.15 Nach Meinung der Politiker erfüllten neben der Schweiz als Gastgeberland die Mitgliedsstaaten Frankreich, Großbritannien und Italien diese geographische Vorgabe am Besten. Als fünftes Jurymitglied schlug der belgische Ratspräsident unter vehementer Verwahrung eines Parteilichkeitsvorwurfes vor, einen weiteren Architekten aus Belgien zu berufen. Seiner Meinung nach genoss sein Land einen besonders hervorragenden Ruf bezüglich seiner Architektur.16 Um auf internationaler Ebene die größtmögliche Autorität der Jury zu gewährleisten, entschied der Rat desweiteren, ein zusätzliches Mitglied 12 Vgl. Note on the Constitution and Duties of the Building Committee, 24. 8. 1927, SdN-Archiv, R 1537/32/39429/28594. 13 Zit. nach ebd. 14 Vgl. Resolution 1329: Erection of a Conference Hall. Nomination of an international Jury, SdN-Archiv, R 1537/32/39826x/28594. 15 Vgl. ebd. 16 Vgl. Statement by the President of the Council: Construction of a Conference Hall, Appointment of a Jury of Architects, Bruxelles, 28. 10. 1924, SdN-Archiv, R 1537/32/39826x/28594.

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aus einem Land Zentral- bzw. Osteuropas in die Jury aufzunehmen, wobei die Wahl auf Österreich fiel.17 Aus heutiger Sicht wirkt das Argument der gerechten geographischen Verteilung vordergründig. Ob tatsächlich rein pragmatische Gründe, etwa finanzielle Einsparungen, den Ausschlag für eine ausschließlich mitteleuropäische Jury gaben oder ob sich an dieser Zusammensetzung nicht auch die politischen Machtverhältnisse des Völkerbundes mit deutlicher europäischer Dominanz widerspiegeln, muss an dieser Stelle offen bleiben. Die personelle Entscheidung über die Jurymitglieder überließ der Exekutivrat schließlich den jeweiligen Mitgliedsstaaten. Generalsekretär ­Drummond wandte sich am 11. November 1924 mit einer Nominierungsaufforderung an die Außenminister und Delegierten.18 Auf nationale Empfehlungen der Mitgliedstaaten hin setzte sich die Jury schließlich aus folgenden Architekten zusammen: dem Schotten Sir James Burnet (1857–1938), dem Wiener Josef Hoffmann (1870–1956), dem Belgier ­Victor Horta (1861–1947), dem Franzosen Charles Lemaresquier (1870–1972), dem Schweizer Karl Moser (1860–1936) und dem Italiener Attillio Muggia (1861–1936).19 Überraschend wurden im Nachhinein zwei weitere sogenannte ‚Ersatzmitglieder‘ aus den Niederlanden und Spanien nominiert und die Jury um die Architekten Hendrik Petrus Berlage (1856–1934) und Antonio Flórez Urdapilleta (1877–1941) erweitert. Eine offizielle Begründung für diese zusätzlichen Berufungen oder eine Auskunft über deren Ersatzfunktion lassen sich nicht ausmachen. Sie erwecken jedoch den Eindruck, als seien sie nachträglich auf diplomatischen Druck ihrer Mitgliedsländer erwirkt worden, um sich ein Mitsprache­recht einzuräumen. Diese Vermutung liegt insofern nahe, als beide Kandi­daten der Architektenjury erst in der zweiten Sitzungsrunde des Jahres 1926 beitraten, gemeinsam mit einem dritten Architekten, dem Schweden Ivar Tengbom (1878–1968) und zwar als vollwertige Mitglieder und nicht als Ersatzjuroren.

Architektenempfehlung versus politischer Pragmatismus Die zunächst sechsköpfige Jury trat unter dem Vorsitz von Horta erstmals in der zweiten Januarwoche des Jahres 1925 in Genf zusammen. Ihre Teilnehmer gehörten allesamt einer älteren Architektengeneration an, deren Wirken mit den architektonischen Errungen­ schaften und Entwicklungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts verbunden war. Gemäß der ihr übertragenen Aufgabe erarbeitete die Jury ein vorläufiges Wettbewerbsprogramm für einen Konferenzsaal auf dem Propriété Armleder. Dieses regelte als vorläufiges Exposé général mit detailliertem Strukturplan und formalen ­R ichtlinien die

17 Vgl. ebd., S. 2. 18 Vgl. Pallas 2001, S. 29. 19 Vgl. Liste der Nominierungen: Jury international d’ Architectes pour le concours relative à la construction d’une salle des assemblées de la Sociétée des Nations à Genève, SdN-Archiv, R 1537/32/39826x/28594.

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a­ llgemeinen ­Wettbewerbsbedingungen.20 Als grundlegende Teilnahmevoraussetzungen erachtete die Jury beispielsweise die völlige Anonymisierung sämtlicher Wettbewerbs­ projekte, um einer Parteinahme durch einzelne Jurymitglieder nicht Vorschub zu leisten. Das Wettbewerbsprogramm setzte den Teilnehmern enge planerische Grenzen, vor allem was die innere Struktur des zukünftigen Konferenzgebäudes anbelangte. Der Aufbau des großen Sitzungssaals sowie Anzahl, Anordnung und Verteilung der Räume über die verschiedenen Stockwerke waren dezidiert festgelegt. Einer strengen Reglementierung unterlagen auch die einzureichenden Wettbewerbsprojekte. So schrieb das Wett­ bewerbsprogramm Art und Anzahl aller Zeichnungen, Aufrisse und Gebäudeschnitte fest, ebenso das Format der Pläne und die Größenverhältnisse der Zeichnungen auf Milli­ meterpapier. Sogar die zu verwendende Tinte und das Maß an Lavierungen vereinheitlichte die Jury, um Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit aller Projekte garantieren zu können.21 Als Preisgeld setzten die Juroren eine großzügige Gesamtsumme in Höhe von 100.000 Schweizer Franken (CHF) an.22 Die Jury diskutierte während ihrer ersten Sitzungsrunde jedoch nicht nur über den bevorstehenden Architekturwett­bewerb. Wie aus den Sitzungsprotokollen und aus einem an den Generalsekretär gerichteten Memorandum hervorgeht, analysierten die Architekten vor allem die aktuelle Raum­situation des Völkerbundes und kamen dabei zu überraschenden Ergebnissen.23 Als Ursache des tatsächlichen Raumproblems der Organisation erachteten sie weniger den fehlenden Konferenzsaal, sondern vielmehr das völlig unzureichende Palais ­Wilson.24 Ihrer Meinung nach konnte dieses weder strukturell die Anforderungen eines Verwaltungsgebäudes erfüllen noch repräsentative Funktionen einnehmen. Das Sekretariat sei in seiner jetzigen Beschaffenheit, vor allem was die Raumaufteilung betraf, unzureichend und hinsichtlich der Unterhaltungskosten in hohem Maße aufwendig. Auf lange Sicht hin würde sich ein Neubau für den Völkerbund wesentlich günstiger erweisen.25 Von dieser Feststellung ausgehend argumentierten die Architekten vehement gegen den Bau eines Konferenzsaales auf dem Propriété Armleder. Dabei hoben sie vor allem die nachteilige Lage des Geländes hervor. Da dieses von drei Straßen begrenzt werde, sei es dort zukünftig nicht möglich, weitere Anbauten hinzuzufügen. Im Falle einer Erweiterung

20 Vgl. Concours ouvert pour le choix d’un projèt en vue de la construction à Genève d’une salle des Assemblées de la Société des Nations. Règlement et programme du concours. Unterzeichnet von J. Burnet, A. Muggia, K. Moser, Ch. Lemaresquier, V. Horta und J. Hoffmann am 15. 1. 1925, SdN-Archiv, R1537/32/39826/28594. 21 Vgl. ebd. 22 Den ersten Preis dotierte die Jury auf 25.000 CHF. Danach staffelte sich die Summe in 20.000 CHF für den Zweitplatzierten und 15.000 CHF für den Drittplatzierten. Der 4. und 5. Platz wurden mit jeweils 10.000 CHF prämiert und der 6. und 7. mit jeweils 5000 CHF. 10.000 CHF behielt sich die Jury zur Auszeichnung einzelner herausragender Projekte mit Prämien von 2000 oder 1000 CHF vor. 23 Vgl. Victor Hortas Memorandum an den Generalsekretär, SdN-Archiv, R 1537/32/39826/28594. 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. ebd.

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der M ­ itgliedsstaaten hielte das Armledergelände keine weiteren Raumoptionen bereit. Deswegen sei von vorn herein ein größeres Gelände anzustreben. Unter besseren Raum­ bedingungen bestünde wiederum die Möglichkeit, ein „einfaches bequemes Gebäude [zu errichten], das jeder Zeit um den Nukleus einer Versammlungshalle vergrößert werden könnte“26. Ein solches Gebäude würde in jedweder Hinsicht den ideellen Wert eines Parla­ ments der Nationen zum Ausdruck bringen, so die Schlussfolgerungen der Jury.27 Die Architekten forderten den Völkerbund nicht nur dazu auf, in Genf ein neues Baugelände ausfindig zu machen, sondern darüber hinaus, die Summe für die veranschlagten Baukosten von viereinhalb Millionen Schweizer Franken auf acht Millionen zu erhöhen, mit dem Ziel, einen kompletten Neubau für Sekretariat und Generalkonferenz zu errichten.28 Damit setzten sie sich einerseits über die bindenden Beschlüsse des Völker­bundes sowie über ihre eigentliche Aufgabe, ein Wettbewerbsprogramm auszuarbeiten, hinweg. Andererseits brachten die Architekten mit diesem klaren Statement ihr berufliches Selbstverständnis als beratende Experten zum Ausdruck, die den Völker­bund auf bautechnische wie wirtschaftliche Vor- und Nachteile hinweisen mussten. Die Forderung nach einem „würdigen Parla­ment der Nationen“ verdeutlicht vor allem das historische Bewusstsein der Architekten in Hinblick auf die politische Bedeutung des Bauvorhabens. Eine neue Weltorganisation sollte aus ihrer Sicht bestrebt sein, eine eigene Architektur mit einem adäquaten Architekturprogramm zu errichten. Unterstützung für diese Position fand die Jury bei General­sekretär Drummond. Bezugnehmend auf die Standpunkte der Architekten, fasste er seine Ansichten in einer Akten­notiz vom 15. April 1925 zusammen, aus der vor allem die dramatische Raumsituation im Palais Wilson ersichtlich wird.29 Drummonds Aussagen zufolge waren bereits mehrmals alle Räume notdürftig unterteilt worden, zuletzt durch Stellwände. Die Registratur war so schnell angewachsen, dass Akten nicht mehr angemessen archiviert werden konnten. Der Schreibpool sei derart überfüllt, dass ein zuständiger Arzt bereits gesundheitliche Bedenken hinsichtlich der Hygiene­ vorschriften geäußert hätte. Es mangele an mindestens 30 bis 40 Räumen und das Sekretariat suche ständig nach anmietbaren Ausweich­unterkünften.30 Obwohl die Dokumente im Völkerbundarchiv keine unmittelbaren Reaktionen darauf belegen, stimmten beide Organe des Völkerbundes dem Ratschlag der Experten zu und beschlossen im Rahmen ihrer jährlichen Herbstsitzung 1925, sowohl die Bausumme auf acht Millionen Schweizer Franken anzuheben als auch den Architekten­ wettbewerb um ein Jahr aufzuschieben, damit der Generalsekretär ein neues Gelände ausfindig machen konnte.

26 27 28 29

Zit. nach: ebd. Vgl. ebd. Vgl. Brief Victor Hortas an Generalsekretär vom 15. 1. 1925, SdN-Archiv, R 1537/32/39475/28594. Vgl. Note by the Secretary-General to the Supervisory Commission: Construction of a Conference Hall, 15. 4. 1925, SdN-Archiv, R 1537/32/43591/28594. 30 Vgl. ebd.

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Die zweite Sitzungsrunde der Architektenjury fand vom 11. bis zum 18. Januar 1926 statt. Ihr Gremium war durch drei Mitglieder, Hendrik Petrus Berlage, Ivar Tengbom und Carlos Gato (für den Spanier Urdapilleta) erweitert worden. Zudem hatte die Jury bei der Generalversammlung durchgesetzt, dass sich jedes Mitglied im Falle einer termin­lichen Verhinderung oder bei Krankheit durch einen Ersatzjuroren vertreten lassen konnte.31 So berief der Völkerbund neun weitere Architekten als Stellvertreter. Diese Ersatzjuroren traten jedoch nur in Einzelfällen in Erscheinung. Neben geringfügigen Veränderungen am Wettbewerbsprogramm, die zumeist aufgrund juristischer Vor­gaben des Völkerbundes vorgenommen wurden, fokussierte die Jury in ihrer Diskussion erneut die Wahl des zukünftigen Baugeländes. Wie Generalsekretär Drummond während der achten Jurysitzung am 15. Januar 1926 berichtete, hatte eine mit der Gelände­f rage betraute Sonderkommission der Generalversammlung neue Verhandlungen mit der Stadt Genf geführt.32 Letztere bot zwei Gelände zum Ankauf. Das sogenannte Propriété Pictet-­Forget befand sich, ähnlich wie das Armleder-Gelände, in der Nachbarschaft des Palais ­Wilson. Mit einer Gesamtfläche von 18.000 m2 übertraf es dessen Größe (4000  m2) jedoch um mehr als das Vierfache. Die Stadtverwaltung räumte dem Völkerbund zunächst für die Hälfte des Geländes ein Vorkaufsrecht ein. Der andere Geländeteil wurde zu diesem Zeitpunkt noch vom städtischen Fürsorgeamt genutzt. Das zweite Angebot bestand aus zwei aneinandergrenzenden Privatgrundstücken der Genfer Familien Bartholoni und ­Barton. Ihre hervorragende Lage, etwas abseits der Stadt direkt am Seeufer, machte sie unter rein ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet zur eindeutig prestigeträchtigeren Alternative. Wie der Generalsekretär des Weiteren berichtete, favorisiere die Sonderkommission aus pragmatischen Gründen das nahe am Sekretariat gelegene Pictet-­Forget-Gelände. Die Generalversammlung hingegen zeige sich in der Geländefrage noch unschlüssig. Sie tendiere zum Verkauf des Palais Wilson, um von dessen Erlös die höherwertigeren Gelände Bartholoni und Barton zu erwerben. Gelänge die Veräußerung des derzeitigen Sekretariats­gebäudes nicht, bliebe als Alternative immer noch das Propriété Pictet-­Forget. Drummonds Ansicht zufolge stellte es keine schlechte Wahl dar, da es genügend Raum für eine Versammlungshalle bot. 33 Die Architekten, allen voran Victor Horta, bewerteten die vom Generalsekretär skizzierte Situa­tion als ungünstig für ihre bevorstehende Arbeit. Ähnlich wie im Vorjahr käme der Jury die Aufgabe zu, den internationalen Architekturwettbewerb ausschließlich für den 31 Zum Stellvertreter Josef Hoffmanns wurde Eugen Steinhof gewählt, Victor Horta sollte durch Franz de Vestel vertreten werden. Für Antonio Flórez-Urdapilleta, der tatsächlich wegen Krankheit ausfiel, sprang Carlos Gato ein, der wiederum Pascal Bravo als Ersatzmann zugewiesen bekam. Zum Stellvertreter Charles Lemaresquiers wurde Gabriel Héraud gewählt und für Sir James ­Burnet sollte Harry Goodhart-Rendel einspringen. Attillio Muggia erhielt Giovanni Battista Milani als Ersatzmann und Hendrik Petrus Berlage sollte im Falle des Ausscheidens durch Willem Kromhout vertreten werden. Erik Lallerstedt wurde zum Stellvertreter Ivar Tengboms und Camille Martin zum Stellvertreter Karl Mosers gewählt. 32 Vgl. Protokoll der achten Jurysitzung vom 15. 1. 1926, SdN-Archiv, R 1541/32/49424x/28594, S. 23. 33 Vgl. ebd., S. 24.

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Bau eines Konferenzgebäudes auf dem Gelände Pictet-Forget auszurichten. Sie vertrete jedoch die Ansicht, dass der Völkerbund aufgrund seiner historischen Bedeutung einen Neubau für Sekretariat, Exekutivrat und Voll­versammlung benötige. Hendrik Petrus ­Berlage schloss sich Hortas Meinung an. Ihn persönlich hätte eine bereits unternommene Besichtigung des Propriété Pictet-Forget desillusioniert. Weder die Geländeform noch die städtebauliche Situation der unmittelbaren Umgebung seien zufriedenstellend angesichts der politischen Signalwirkung, die eine neue Architektur ausstrahlen müsse.34 Die Architektenjury beharrte auf dem Standpunkt, dass nur ein Neubau für alle Organe des Völkerbundes dauerhaft eine zufriedenstellende architektonische Lösung bot. Dies formulierten sie in einem zweiten Gutachten: Wir haben keinen Zweifel daran, dass der Bau eines Sekretariates, entweder sofort oder sobald wie möglich, als einfache und würdevolle Struktur, in direktem Zusammenhang mit dem genannten Versammlungssaal als zentralem und dekorativem Merkmal, oberste Priorität besitzt. […] es wäre eine geeignete Veranschaulichung der Dynamik und der Beständigkeit des Völkerbundes […].35

Ihre Meinung konkurrierte jedoch nicht nur mit der angespannten Finanzlage des Völkerbundes. Erschwerend trat eine dramatische Verschlechterung der Raumsituation im Palais Wilson hinzu, die den Generalsekretär zum Bau eines kostengünstigen Annexgebäudes veranlasste. Der Verkauf des ehemaligen Stadthotels, als Voraussetzung für den Ankauf der Gelände Bartholoni und Barton, rückte in weite Ferne, da keine räumliche Übergangslösung zur Unterbringung des Sekretariats gefunden werden konnte. Auch vor diesem provisorischen Bauvorhaben warnten die Architekten vehement. Sie argumentierten, dass ein an das Palais Wilson angeschlossener Annex sowohl den Grundstückswert verringere wie auch den Wert des Gebäudes bei einem späteren Verkauf erheblich senken würde. Ein solcher direkter Anbau setze das Gesamtbild der Architektur ästhetisch deutlich herab. Die Jury empfahl schließlich, den Annex aus provisorischen Materialien zu errichten, so dass er nach der Fertigstellung eines Neubaus wieder abgerissen werden konnte.36 In der neunten Jurysitzung am 15. Januar 1926 lenkte der erstmals in Vertretung für Josef Hoffmann anwesende Architekt Eugen Steinhof den Blick der Kollegen zurück auf den Architekturwettbewerb und auf einen bislang wenig diskutierten Aspekt. Neben den hinlänglich besprochenen technischen und administrativen Problemen mangele es dem bisherigen Wettbewerbsprogramm an einem ideellen Konzept, so der ­Österreicher.37 34 Vgl. ebd., S. 25. 35 Originalzitat: „We have little doubt that the erection of the Secretariat either at once or as soon as possible, as a simple and dignified structure (easily capable of extension), in direct connection with the contemplated Salle des Assemblées which could form its one central or decorative feature, is of first importance. […] it would be a practical illustration of the vitality and permanence of the ­League, […]. Zit. aus dem Bericht Victor Hortas und Sir John Burnets, den sie in der achten Sitzung am 15. 1. 1926 verlesen und der Bestandteil des bereits aufgeführten Protokolls ist. Vgl. Protokoll der achten Jurysitzung vom 15. 1. 1926, 10 Uhr, SdN-Archiv, R 1541/32/49424x/28594, S. 27–28. 36 Vgl. ebd., S. 27–28. 37 Vgl. Protokoll der neunten Sitzung am 15. 1. 1926, 15.30 Uhr, SdN-Archiv, R 1541/32/49424x/28594, S. 31 ff.

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Im speziellen Falle des Völkerbundes müsse dessen politische Idee das zukünftige Bauvorhaben inspirieren. Steinhof verwies auf die moralischen Werte der Weltorganisation. Die „Brüderlichkeit“ verkörpere die Idee der friedlichen Staatengemeinschaft am besten und müsse deswegen symbolisch in der Architektur zum Ausdruck gebracht werden. Seiner Ansicht nach ließe sich dies weniger durch eine axiale Anlage veranschaulichen, vielmehr durch einen Zentralbau. Verweise auf die Bautypologie müssten deswegen unbedingt im Wettbewerbsprogramm berücksichtigt werden. Steinhof erklärte sich bereit, seine Gedanken in einer Art Manifest zu bündeln.38 Auch Hendrik Petrus Berlage schloss sich prinzipiell dessen Auffassung an: Nachdem wir unsere technischen Aufgaben beendet haben, scheint mir jetzt der Moment gekommen zu sein, dass unter uns auch ein paar idealistische Klänge laut werden. […] Die Jury hat jetzt die Aufgabe, durch ein spirituelles Empfinden, Architektur zu schaffen, oder wenn sie so wollen, durch eine Seele […]. Der Völkerbund möchte keinen Palast. Zum Glück nicht! Denn das Wort Palast impliziert mehr oder weniger Luxus. Der Palais de la Paix in Den Haag, dessen Name bereits ein Widerspruch in sich ist, ist der Beweis für diese Schwäche. Der Frieden kann sich nur in einem Tempel niederlassen; die Uhr hat jedoch die Stunde noch nicht wieder eingeläutet, um mit dem Bau eines Friedenstempels zu beginnen. 39

Mit Steinhofs und Berlages Ansprachen vor der Jury wurde erstmals die Frage nach einem möglichen Bautyp für den zukünftigen Versammlungssaal laut. Welchen architektonischen Vorbildern sollte ein internationales Parlamentsgebäude folgen und welche baulichen Merkmale könnte es aufweisen, um die Idee der Weltgemeinschaft adäquat auszudrücken? Steinhof plädierte für einen Zentralbau. Für Berlage schieden die Vorbilder ‚Palast‘ und ‚Sakralbau‘ hingegen aus. Erstere assoziierte er mit unangemessenem Reichtum, letzteren mit sakraler Erhöhung. Beide erachtete er als unpassend für politische Entscheidungen. In seiner folgenden Argumentation empfahl er das nahe gelegene Château de Chillion als mögliches Vorbild. Diese inmitten des Genfer Sees auf einer Insel befestigte Burganlage aus dem 11. Jahrhundert, die im Laufe ihrer longue durée unter wechselnden Herrschern verschiedensten Nutzungen trotzte, zog er als Sinnbild der Stärke und der Beständigkeit heran.40 Berlages Fürsprache für eine historistische ­Festungsanlage wurde vom italienischen Architekten Muggia abgewehrt. Dieser stimmte Steinhofs und Berlages Ansichten nach einer bautypologischen Bezugnahme prinzipiell zu. Ihre Verankerung im

38 Vgl. ebd., S. 31 ff. 39 Originalzitat Hendrik Petrus Berlage: „Après avoir fini notre tâche „technique“, il me semble que c’est le moment de faire entendre parmi nous un son plus idéaliste. […] le Jury a maintenant la tâche de faire l’architecture par le sentiment spirituel, ou si vous voulez par l’âme, c’est-à-dire par l’idée. […] et plus encore: La Société des Nations ne veut pas un “palais”. Heureusement pas! Car le mot palais implique plus ou moins le luxe. Le Palais de la Paix à La Haye dont le nom – et ceci par parenthèse – est déjà une contradiction en soi, est la preuve de cette faiblesse. La paix peut s’installer seulement dans un temple, mail l’horloge du temps n’a pas encore sonné l’heure pour commencer la construction d’un temple de la paix.” Zit. nach: Protokoll der neunten Sitzung am 15. 1. 1926, 15.30 Uhr, SdN-Archiv, R 1541/32/49424x/28594, S. 33 f. 40 Vgl. ebd., S. 34.

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Wettbewerbsprogramm erachtete er jedoch als unerheblich.41 Für die Teilnehmer sei es weitaus nützlicher, so Muggia, die Achse des Versammlungsgebäudes zu kennen, mit diesem als Zentrum, sowie die Ausrichtung der Hauptfassade, die Anzahl der Gebäude und deren Flächenmaße.42 Muggia orientierte sich an einer axialen Palastarchitektur mit klaren Bezügen zwischen Haupt- und Nebenflügeln. Alle drei Positionen, Steinhofs Plädoyer für einen Zentralbau als Friedenstempel, Berlages Vorstellung von einer versinnbildlichten mittelalterlichen Festung sowie Muggias akademische Palastanlage verdeutlichen ihr Denken als in Kategorien historischer Bezugnahme verhaftet. Auch wenn ihre Meinungen differierten, war für sie der zukünftige Völkerbundpalast als politische Architektur des 20. Jahrhunderts nur in einem historisierenden Baustil denkbar. Als Vertreter akademischer Positionen spielten für sie die zu jenem Zeitpunkt erstarkenden Tendenzen der modernen Architektur überhaupt keine Rolle. In ihrem Abschlussbericht der zweiten Sitzungsrunde an den Exekutivrat und den Generalsekretär knüpften sie ihre bautypologische Auffassung an die immer noch ungelöste Geländefrage:43 demnach erfolge eine Bedeutungszuschreibung zu einem erheblichen Teil durch die Lage eines Gebäudes. Beispielsweise errichte jede Stadt ihr Rathaus sowie alle öffentlichen Gebäude stets an einem großen Platz oder an der Kreuzung der größten Durchgangsstraßen. Das Gebäude des Völkerbundes müsse deswegen bestmöglichst situiert werden.44 Deswegen wehrte sich die Architektenjury vehement gegen den Bau des Konferenzgebäudes auf dem minderwertigen Gelände Pictet-Forget und sprach sich für den Ankauf der von ihnen favorisierten Grundstücke Bartholoni und Barton aus. Ihre Empfehlung drohte ein weiteres Mal die Eröffnung des internationalen Wett­ bewerbs zu verzögern, hatte die Jury das Wettbewerbsprogramm doch gemäß der Resolu­tion des Völkerbundes auf das Gelände Pictet-Forget abändern müssen. Der Völkerbund akzeptierte dieses zweite Fachurteil der Jury nicht widerstandslos und die Architekten mussten ihre Empfehlung am 22. Januar 1926 gegenüber der erstmals zusammengetretenen Baukommission rechtfertigen.45 Diese warf ihnen vor, die von der Vollversammlung verabschiedete Resolution zum Bau des Konferenzgebäudes auf dem Gelände Pictet-Forget, missachtet zu haben.46 In Beschwichtigungsformeln erklärten Horta, Burnet und Lemaresquier, dass es nie in der Absicht der Jury gele41 Vgl. Protokoll der zehnten Sitzung am 16. 1. 1926, 10 Uhr, SdN-Archiv, R 1541/32/49424x/28594, S. 37. 42 Vgl. ebd., S. 38. 43 Vgl. Protokoll der 14. und 15. Sitzung vom 19.1. und 20. 1. 1926, SdN-Archiv, R 1541/32/ 49424x/ 28594, S. 51 f. und 56 ff. 44 Vgl. Protokoll der 14. Sitzung vom 19. 1. 1926, SdN-Archiv, R 1541/32/49424x/28594, S. 55. 45 Diese Kommission war am 28. 9. 1925 vom Rat damit beauftragt worden, die Geländewahl des zukünftigen Konferenzsaales und des neuen Sekretariats zu begleiten. Sie setzte sich aus politischen Vertretern der Mitgliedsländer Frankreich, Großbritannien, Italien, Liberia, Schweiz, Polen, Tschechoslovakei und Uruguay zusammen. 46 Vgl. Protokoll der ersten Baukommissionsitzung vom 22. 1. 1926, SdN-Archiv, R 1544/32/59298/ 28594, S. 1–10.

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gen habe, bewusst gegen eine Resolution des Völkerbundes zu verstoßen. Ihre Haltung gründe alleine auf technischen Überlegungen. Sowohl auf dem Armleder-Gelände als auch auf dem Propriété Pictet-Forget wäre der Bau eines einfachen Gebäudes durchführbar gewesen. Ersteres bot jedoch keinerlei Optionen für eine spätere Erweiterung. Zudem sei es ausschließlich von ästhetisch minderwertigen Bauten umgeben. Letzeres bot durch seine trapezoidale Form und eine Begrenzung durch vier Straßen nur wenige Möglichkeiten für eine würdige Hauptachse. Die Süd- und Westseiten, so die Architekten, seien bereits durch gegenüberliegende Häuserblocks dominiert. Eine Hälfte werde von städtischen Bauten (dem Fürsorgeamt) belegt. Die Achse entlang des Ufers, parallel zum Palais Wilson, erscheine zu gewöhnlich, da ihr bereits alle angrenzenden Gebäudeachsen folgten. Deswegen empfehle die Jury den Ankauf von vier Geländen: Bartholoni und Barton, sowie das an Barton angrenzende Grundstück Perle du Lac und das hinter dem Gelände des ILO liegende Gelände Moynier. Alle vier erfüllten gemeinsam vor allem den ästhetischen Aspekt, der letztlich zur Würde und der tatsächlichen Bedeutung des neuen Völkerbundgebäudes beitrage.47 Die Baukommission des Völkerbundes war von diesen Ausführungen wenig überzeugt. Einige Mitglieder äußerten größten Unmut über die Kompetenzüberschreitungen der Architekten. Gleichzeitig herrschte allgemeine Ratlosigkeit darüber, welche Auswirkungen die neue Gelände­ empfehlung der Architekten auf den Exekutivrat und die Versammlung hätten und welche Rolle dabei der Baukommission zukäme.48 Nach langen Diskussionen, vorrangig über die Ankaufspreise beider Projektmöglichkeiten, empfahl die Baukommission dem Generalsekretär, Verhandlungen für beide Geländeoptionen in die Wege zu leiten und der Versammlung beide Projekte zur Abstimmung vorzustellen.49 In einer außerplanmäßigen Sitzung im März 1926 stimmte die Generalversammlung schließlich dem Ankauf der vier neuen Gelände zu. Tatsächlich erworben werden konnte allerdings nur das Gelände Bartholoni. Dennoch hatten die Architekten ihr von Beginn an verfolgtes Ziel erreicht – die Errichtung eines kompletten Neubaus für den Völkerbund auf einem hochwertigen Gelände in Genf. Sie führten ihre Sitzungsrunde am 8.  April 1926 fort, um schließlich ein weiteres Mal das Wettbewerbsprogramm den geographischen Gegebenheiten des Propriété Bartholoni (Abb. 38) anzupassen. Am 17. April legten sie eine Endfassung vor.50 Das Programme et Règlement du Concours d’Architecture pour l’Édification d’un Palais de la Société des Nations fasste auf 30 Seiten sämtliche Informationen über den Raumbedarf des Völkerbundes – der Generalversammlung, des Exekutivrats und des Sekretariats – zusammen. In der Einleitung des 47 Vgl. ebd. 48 Vgl. Protokoll der zweiten Baukommissionssitzung vom 22. 1. 1926, SdN-Archiv, R 1544/32/59298/ 28594, S. 1–15. 49 Vgl. Protokoll der vierten Baukommissionssitzung vom 23. 1. 1926. SdN-Archiv, R 1544/32/ 59298/28594, S. 1–14. 50 Vgl. Protokoll der Architektenjury, zweite Sitzungsrunde, Séances 1–9, SdN-Archiv, R 1542/32/ 50354/28594.

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38  Genf, Geländeplan zum Bau des Völkerbundpalasts mit den Geländen A  Bartholoni, B  Barton, C  Bureau International du Travail

Programms wurde das von Steinhof intendierte Manifest in einen weniger pathetischen Wortlaut umgewandelt: Der Völkerbund startet einen der größten Aufrufe an die Architektenschaft, damit diese den Völkerbundpalast nicht nur unter dem Gesichtspunkt konzipiert, dass alle wichtigen Verwaltungsstellen in einer praktischen und modernen Weise funktionieren, sondern dass seine Komposition die hohen Ziele in ein Monument übersetzt, das schon durch die Freiheit seines Stils und die Harmonie seiner Formen dazu berufen scheint, die friedlichen Ideale des 20. Jahrhunderts zu symbolisieren.51

51 Originalzitat: „La Société des Nationas fait un appel des plus larges aux architects, afin que ce Palais soit non seulement conçu avec le souci de grouper d’une manière pratique et moderne tous les organismes essentiels qui seront indispensables à son fonctionnement, mais encore pour que cette conception traduise la haute destination d’un monument qui, par la pureté de son style, l’harmonie des ses lignes, est appelé à symboliser la gloire pacifique du XXè siècle.” Zit. nach: Programme et Règlement du Concours d’A rchitecture pour l’Édification d’un Palais de la Société des Nations, SdN-­ Archiv, R 1537/32/36551/28594, S. 7.

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Mit diesem einleitenden Passus pries die Jury den Wettbewerb als einmaliges internationales Ereignis für Architekten aller Mitgliedsstaaten und betonte zunächst dessen ideelle Bedeutung für den eigenen Berufsstand. Die Aufgabenstellung formulierte kein geringeres Ziel als den Bau eines Völkerbundpalastes, der als sichtbares Monument den Frieden im 20. Jahrhundert ausdrückte. Um dies zu erreichen, sollten die Entwürfe konkrete und sichtbare Bezüge zwischen der Architektur und jenem politischen Ideal aufzeigen. Die für eine solche architektonische Bedeutungsübertragung vorgesehenen Mittel waren Stil- und Formgebung. Die von der Jury zusätzlich benutzten Charakterisierungen der „Freiheit des Stils“ und der „Harmonie seiner Form“ erscheinen in ihren Formulierungen sehr offen gewählt. Liest man sie vor dem Hintergrund der in den Sitzungsrunden geführten Diskussionen um mögliche Bautypen, schließen sie sowohl Steinhofs Forderung nach einem Zentralbau als Friedenstempel, Berlages historisierende Festung als auch Muggias axiale Palastanlage mit ein. Andererseits lassen sie durchaus Spielraum für die modernen Architekturströmungen der Zeit, auch wenn die Kategorien Funktionalität und Modernität als zweitrangige Gesichtspunkte genannt werden. Die Zeichenhaftigkeit des Neubaus konnte tatsächlich von jedem teilnehmenden Architekten individuell interpretiert werden. Die proklamierte Stilfreiheit animierte zahlreiche Vertreter des Neuen Bauens zur Teilnahme und löste sowohl innerhalb der Jury als auch in der Öffentlichkeit heftige Debatten um angemessene zeitgenössische Repräsentationsformen aus, wie an anderer Stelle noch aufgezeigt wird. Das Wettbewerbsprogramm wurde in zwei Sprachen gedruckt – 2900 Exemplare auf Französisch und 1100 Exemplare auf Englisch – und über die Ländervertretungen an Architekten der Mitgliedsstaaten verteilt. Gleichfalls informierten Anzeigen in internationalen Architekturzeitschriften über den Wettbewerb.

Architekturwettbewerb der Nationen Der internationale Architekturwettbewerb wurde am 25. Juli 1926 eröffnet.52 Die Architekten aller Mitgliedsstaaten waren aufgefordert, ihre Projekte binnen sechs Monaten anzufertigen und spätestens am 25. Januar 1927 einzureichen. Bis zum Ablauf dieser Frist trafen über vierhundert Projekte in diversen Formaten ein, so dass ein eigens vorgesehener Ausstellungsraum nicht genügend Platz bot. Als selbst eine von der nahe gelegenen Gemeinde Plainpalais angemietete Ausstellungshalle nicht ausreichte, regte Karl Moser die Errichtung einer provisorischen Holzkonstruktion an.53 Am 13. April traf die Jury zur Bewertung der Projekte zusammen. Wie bereits von Richard Quincerot konstatiert, sind bis heute keine Protokolle des Preis­gerichts im Genfer V ­ ölkerbundarchiv

52 Vgl. Pressemeldung des Völkerbundes, C. L. 63. 1926, SdN-Archiv, R 1540/32/40855/28594. 53 Vgl. Pallas 2001, S. 51 f.

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aufzufinden.54 Die besonderen Schwierigkeiten, mit denen die Jury während der Begutachtungsphase konfrontiert war, lassen sich jedoch durch Briefwechsel zwischen ­Victor Horta und dem Generalsekretär sowie durch Tagebuchaufzeichnungen Karl Mosers annähernd rekonstruieren. So geht aus einem Brief ­Hortas an Drummond vom 28. April 1927 hervor, dass ein erheblicher Teil der eingereich­ten Projekte dem Règlement des Wettbewerbsprogramms nicht in allen Punkten entsprach.55 Aus künst­lerischer Sicht seien einige Projekte sehr gut, die Kosten­voranschläge überstiegen jedoch in den meisten Fällen die angesetzten Bau­kosten von 13 Millionen Schweizer Franken. Nur ein einziges Projekt könne die geforderten Kosten pro gebauten Kubikmeter einhalten. Bei diesem Projekt handelte es sich um den modernen Wettbewerbsbeitrag Le ­Corbusiers und Pierre Jeannerets, der noch ausführlich besprochen wird. Aus Hortas Beschreibungen geht weiter hervor, dass sich die Jury gänzlich uneinig darüber war, welche der zahlreichen Kriterien im Wettbewerbs­programm gelockert werden durften bzw. welche Regelverstöße in Kauf genommen werden konnten, um zuletzt immer noch von einem rechtmäßigen Wettbewerbs­verfahren mit gerechtfertigten Siegerprojekten sprechen zu können. Eine zentrale Streitfrage zwischen den Juroren entbrannte bei den unterschiedlichen Architekturauffassungen der Projekte. So unterschied Karl Moser zwischen Entwürfen im Stil „École des Beaux-Arts“, „modernistes sans être modernes“ und „école moderne“ 56. Die Entwürfe deckten die gesamte Bandbreite zeitgenössischer Positionen ab – von einer strengen akademischen Tradition über eine „gemäßigte Moderne“ hin zu völlig modernen Ausrichtungen. Ihre bautypologischen wie stilistischen Ausformungen reichten von klassischen Palastanlagen mit historisierenden oder neoklassi­zistischen Fassaden­elementen – etwa bei Giuseppe Vago, Georges Labro und Carlo Broggi – über sowohl ausgefallene Architekturformen mit Reminiszenzen an utopi­sche Revolutionsarchitekturen (bei Peter Birkenholz, Erik Josephson, Hans und Oskar ­Gerson), als auch monumentalisierende Bauten mit akademischen wie modernen Anleihen (Erich zu Putlitz, Emil Fahrenkamp, Auguste ­Perret), bis hin zu exzeptionell modernistischen Entwürfen (Nils Einar Eriksson, Le Corbusier, Hannes Meyer, Richard N ­ eutra und Rudolph Schindler).57 Nach sechs Wochen intensiven Beratens – ursprünglich waren nur drei 54 Der für den Völkerbund unglückliche Ausgang des Wettbewerbs, der aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der Juroren völlig ergebnislos blieb, mag vielleicht der Grund für ein bewusstes Zurückhalten dieser Akten gewesen sein. Vgl. hierzu: Quincerot, Richard: Schlachtfeld Völkerbundpalast, in: Oechslin 1988, S. 61. 55 Vgl. Brief Victor Hortas an Generalsekretär Sir Eric Drummond vom 28. 4. 1927, SdN-Archiv, R 1544/32/59230/28594. 56 Vgl. Strebel, Ernst: »…wohingegen 273 mir die Erfüllung des Problems zu versprechen scheint« Le Corbusier, das Wettbewerbsprojekt für den Völkerbundpalast – und der Schweizer Preisrichter Karl Moser, in: Oechslin 1988, S. 98. 57 Die hier aufgezählten Entwürfe wurden 1995 in einer Ausstellung des Instituts für Architektur der Universität Genf präsentiert und in einem Ausstellungskatalog bearbeitet. Vgl. Ausst.-Kat. Genf 1995, Institut d’A rchitecture de l’Université de Genève (Hg.): Genève 1927. Concours pour le Palais des Nations. Projets d’architecture pour une cité nouvelle: Musée et Halle de la Bibliothèque du Palais des Nations, Genève, 15. octobre–15. décembre 1995.

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Wochen veranschlagt gewesen – blieb der Wettbewerb ergebnislos, da sich die Jury auf keines der 377 zugelassenen Projekte zur Ausführung einigen konnte.58 In ihrem Abschluss­bericht hielten die Juroren diplomatisch fest, dass sie sich mit einem außergewöhnlichen Ideenreichtum konfrontiert sahen und die Entwürfe radikale Gegensätzlichkeiten in der Architekturauffassung aufwiesen, was die derzeitige Entwicklungsphase der Architektur widerspiegle.59 Die Preissumme von 165.000 Schweizer Franken vergab die Jury dennoch an 18 prämierte Projekte. Diese waren durch ein recht pragmatisches Auswahlverfahren nominiert worden. Jedes Jurymitglied durfte in jeweils drei Preiskategorien einen Kandidaten prämieren. Folglich wurden neun Projekte mit einem ersten Preis „ex aequo“, neun mit einer sogenannten ersten Ehrennennung und neun mit einer zweiten Ehrennennung ausgezeichnet, ein für die Wettbewerbs­teilnehmer bitterer Kompromiss. Unter den Erstplatzierten befanden sich die Projekte von Carlo Broggi mit Giuseppe Vaccaro und Luigi Franzi (Rom), Nils Einar Eriksson (Stockholm), Camille Lefèvre (Paris), Le Corbusier und Pierre Jeanneret (Paris), Erich zu Putlitz mit Rudolf Klophaus und August Schoch (Hamburg), Georges Labro (Paris), Emil Fahrenkamp mit Albert Deneke (Düsseldorf) sowie Henri-Paul Nénot mit Julien Flegenheimer (Paris) und Giuseppe Vago (Rom).60 Jacques Gubler konnte durch eine Rekonstruktion des Nominierungsverfahrens aufzeigen, dass die Juroren, trotz Anonymisierung und angeblicher Unparteilichkeit, überwiegend die Wettbewerbsprojekte der eigenen Landsmänner prämierten.61 Die Wahl der Entwürfe spiegelte tatsächlich nationalstaatliche Präferenzen innerhalb der Jury wider: So nominierte Charles Lemaresquier das Projekt des Franzosen Georges Labro (Abb. 39), ein asymmetrisch konzipiertes dreiflügeliges Palais mit einer durch monumentale Doppelsäulen stark rhythmisierten Fassade. Attillio M ­ uggia wählte die Italiener Carlo Broggi, Giuseppe Vaccaro und Luigi Franzi, deren Entwurf (Abb. 40) einen kompakten, in sich geschlossenen und mit einer monumentalen Kuppel bekrönten Baukörper hinter einer strukturierten neoklassizistischen Fassade zeigt. Ivar Tengbom entschied sich mit dem Projekt des Schweden Nils Einar Eriksson (Abb. 41) für eine moderne Lösung; dessen unkonventionelle Entwurfsskizzen zeigen einen schlichten quaderförmigen Versammlungssaal, an den sich fächerförmig mehrere blockhafte Gebäudeteile für die verschiedenen Abteilungen des Völkerbundes anschließen. Auch Karl Moser favorisierte ein modernes Projekt und engagierte sich

58 Originalzitat: „[…] le Jury a décidé, à l’unanimité, que le concours n’a pas donné des resultants permettant de recommender l’exécution d’un des projets.” Zit. nach: Concours d’A rchitecture pour l’Édification d’un Palais de la Société des Nationas à Genève. Bericht der Jury vom 23. 5. 1927 an den Rat und an die Mitglieder des Völkerbundes, SdN-Archiv, R 1544/32/59230/28594, S. 2. 59 Vgl. ebd. 60 Vgl. ebd. Liste des Prix et des Mentions, S. 3. 61 Vgl. Quincerot, Richard: Schlachtfeld Völkerbundpalast, in: Oechslin 1988, S. 64 f. Der Autor verweist dort weiterführend auf: Gubler, Jacques/Quincerot, Richard: Da Maratona a Ginevra, in: Parametro, Nr. 7, 1985, S. 24–31.

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39  Georges Labro, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

für den Entwurf der Schweizer Le Corbusier und Pierre Jeanneret (Abb. 42, 43) mit mehreren rechtwinkelig aneinandergereihten, auf Pilotis ruhenden und von Fensterbändern durchzogenen Gebäudeteilen. Ob diesen Juroren die Projekte ihrer Landsmänner bekannt waren, sie deren architektonische Handschrift erahnten oder sich von einem nationalen Gusto leiten ließen, bleibt spekulativ. Die Jurymitglieder Josef Hoffmann (Österreich), ­Hendrik Petrus Berlage (Niederlande), Victor Horta (Belgien) und Carlos Gato (Spanien) solidarisierten sich mit den Projekten ihrer Nachbarländer. Hoffmann nominierte das deutsche Trio Putlitz/Klophaus/Schoch (Abb. 44) und ihren Entwurf eines schlichten kubischen Baukörpers, der zu allen Seiten durch­gehend von mächtigen Pfeilerloggien umgeben war. Berlage favorisierte den in mehreren Gebäude­blöcken um einen Innenhof gruppierten, ebenfalls mit durchgehenden Pfeiler­ reihen versehenen Entwurf der deutschen Architekten Fahrenkamp/Deneke (Abb. 45). ­Victor Horta entschied sich für den Franzosen Camille Lefèvre und dessen neoklassizistisches Projekt eines länglichen, in sich geschlossenen Baukörpers mit Pfeilerportikus und markanter Pilastergliederung der Hauptfassade (Abb. 46). Und auch der Spanier Gato prämierte das französisch-belgi­sche Duo Nénot/Flegenheimer (Abb. 47), deren Entwurf zwei in sich geschlossene, aber miteinander verbundene Gebäude­flügel mit klassischen Fassadengliederungselementen vorsah. Gegen jeden parteiischen Verdacht erhaben blieb einzig der Brite Burnet, der den neorenaissanceistischen Entwurf des Italieners G ­ iuseppe Vago mit Anleihen an einen italienischen Palazzo favorisierte

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40  Carlo Broggi, Giuseppe Vaccaro, Luigi Franzi, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

41  Nils Einar Eriksson, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

Der Völkerbundpalast in Genf     | 217

42 Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, Grundriss, 1927

(Abb. 48).62 Auch in den ersten und zweiten Ehrennennungen folgten die Juroren ihren nationalen Vorlieben. Sowohl Muggia als auch Tengbom nominierten in allen drei Preiskategorien italienische bzw. schwedische Architekten.63 Der offene Ausgang des Wettbewerbs rief international Empörung hervor. Vor allem die Architektenvereinigungen und Berufsverbände bekundeten ihren Unmut über die Unprofessionalität der Architektenjury. So sendeten der Bund Schweizerischer Architekten, der Bund Deutscher Architekten, die Zentral-Vereinigung der Architekten Österreichs, der niederländische Maatschappy tot Bevorderung der Bowkunst und der Bond van ­Nederlandsche Architecten sowie der Schwedische Svenska Teknologföreningen

62 Die Aufschlüsselung der Nominierungen wurde veröffentlicht in: Oechslin 1988, S. 64, sowie in: Pallas 2001, S. 62 f. Auf die Auflistung der Preisträger der zweiten und dritten Preise wird an dieser Stelle verzichtet. Zur Untermauerung der These, dass die Juroren einem nationalen Architekturgeschmack folgten, sei an dieser Stelle hervorzuheben, dass der Schwede Tengbom tatsächlich auch die anderen beiden Preise an schwedische Architekten vergab, genauso der Italiener Muggia. Lemaresquier nominierte einen weiteren Franzosen und einen Belgier, Berlage zwei Niederländer, Hoffmann nomierte zwei Deutsche und einen Schweden und Moser neben Le Corbusier einen Deutschen und einen Schweizer. 63 Vgl. Oechslin 1988, S. 64.

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43  Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, Fassadenaufriss, 1927

dem General­sekretär in der ersten Juliwoche Beschwerdebriefe zu.64 In einem Brief des Bundes Schweizerischer Architekten heißt es: Leider müssen wir feststellen, dass das Urteil des Preisgerichts die Architekten arg enttäuscht hat. Sie bedauern lebhaft, dass die Preisrichter unfähig waren, sich bei der Klassierung der Entwürfe auf Grund der bestimmten Richtlinien des Programms zu einigen und ein Projekt zu bestimmen, das würdig gewesen wäre, ausgeführt zu werden. […] Darum legen wir Wert darauf, dass die endgültige Wahl durch das Preisgericht, ergänzt durch die Ersatzmänner vorgenommen werde.65

Der hier vorgebrachten Anregung, eine zweite Begutachtungsphase durch die Vertreter der Jurymitglieder durchführen zu lassen, folgte der Völkerbund nicht. Selbst vom Unvermögen seiner Experten überrascht, setzte er nun auf eine politische Lösung. Die Generalversammlung betraute ein Comité Spécial mit der Aufgabe, aus den erstprämierten Projekten einen Wettbewerbsgewinner zu küren. Diesem neuen

64 Die Briefe dieser Vereinigungen haben trotz der unterschiedlichen Sprachen alle denselben Wortlaut. Sie alle gehen auf die Initiative des Schweizerischen Werkbundes zurück. Vgl. SdN-Archiv, R 1545/32/ 62813/28594. 65 Zit. nach: Brief des Bundes Schweizerischer Architekten an den Generalsekretär des Völkerbundes vom 5. 9. 1927, SdN-Archiv, R 1545/32/62813/28594.

Der Völkerbundpalast in Genf     | 219

44  Erich zu Putlitz, Rudolf Klophaus, August Schoch, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

45  Emil Fahrenkamp, Albert Deneke, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

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46  Camille Lefèvre, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

­ remium gehörten jedoch keine Architekturexperten an, sondern ausschließlich G erfahrene Diplomaten. Um dem Verdacht national motivierter Parteilichkeit von vorn herein keinen Vorschub zu leisten, bestand das Komitee ausschließlich aus Politikern, deren Nationalitäten nicht durch die Wettbewerbsteilnehmer vertreten waren. Dem Gremium gehörten der Japaner Mineitciro Adatci, der Tschechoslowake ­Stephan Osusky, der Grieche Nicolas Politis, der Kolumbianer Francisco José Urrutia und der Brite Sir Edward ­H ilton Young an.66 Gemeinsam mit Vertretern aus dem Sekretariat berieten sie über die heikle und für das Ansehen des Völkerbundes höchst diffizile Situation. Wie sollte der Völkerbund beispielsweise auf die unzähligen Beschwerdeschreiben der Berufs­verbände angemessen reagieren? Eine unvorhergesehene und alle Projektentwürfe gleichermaßen betreffende Veränderung stellte die großzügige Geldspende des US-Amerikaners John D. Rockefeller Jr. in Höhe von zwei Millio-­ nen US-Dollar zum Bau und zur Ausstattung einer Völkerbundbibliothek dar. Sollten nun alle neun Erstprämierten ihre Entwürfe überarbeiten oder sollte die gestiftete Bibliothek erst zu einem späteren Zeitpunkt geplant und in einem eigenen Gebäude realisiert werden? Ein weiterer strittiger Punkt, an dem bereits die Architektenjury gescheitert war, betraf die im Wettbewerbsprogramm viel zu niedrig angesetzte Bausumme von 13 Millionen Schweizer Franken. Abgesehen von Le Corbusiers Entwurf waren die meisten eingesandten Projekte wesentlich teurer. Unter strenger Einhaltung des Wett­bewerbsprogramms hätte die Jury deswegen die meisten Projekte von vorn herein disqualifizieren müssen. Die Politiker lösten dieses Problem recht pragmatisch. Nach eingehender Finanzprüfung hoben sie einfach die Bausumme von 13 auf 19,5 Millionen Schweizer Franken an, so dass zumindest einige der erstprämierten Entwürfe diesem Kriterium annähernd gerecht wurden.67 Mit dieser nachträglichen Korrektur fachten sie die öffentliche Diskussion um den im juristischen Sinne anfechtbaren Wettbewerb zusätzlich an. Ihre vornehmliche Aufgabe, nämlich 66 Vgl. Rapport soumis à l’A ssemblée par le Comité Spécial, Bericht vom 22. 9. 1927, SdN-Archiv, R 1545/32/61711/28594. 67 Vgl. ebd., S. 2.

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47  Henri Nénot, Julien Flegenheimer, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

die P ­ rämierung eines Gewinnerentwurfes, vertagte das Comité Spécial hingegen Sitzung um Sitzung. Ein Grund für diese Verzögerung lag sicherlich darin, dass sich die Politiker selbst als nicht qualifiziert genug betrachteten. Weder trauten sie sich ein Urteil über technische Aspekte zu noch erlaubten sie sich eine ästhetische Beurteilung der Projekte. An welchen Kriterien sollten sie sich prinzipiell orientieren, nachdem die Architektenjury alle neun erstprämierten Projekte als technisch wie ästhetisch gleichwertig erklärt hatte? Als einzig probates Mittel zur Entscheidungsfindung erschien ihnen eine erneute Analyse der prämierten Entwürfe durch andere Architekturexperten.68 Dieses Vorgehen drohte jedoch erneut Proteste hervorrufen. In der Komiteesitzung vom 7. November 1927 gelangte das Gremium zu der Einsicht, dass das vage Urteil der Architektenjury die Kommission letztlich von der Verantwortung befreit hätte, ihre Projektwahl durch architekturspezifische Argumente zu rechtfertigen. Vielmehr könne sie die Pläne alleine unter dem Aspekt ihrer Eignung für den Völkerbund bewerten. Im Grunde stünde es dem Gremium frei, denjenigen Architekten oder dasjenige Projekt auszusuchen, das ihm am besten gefiel.69 Statt jedoch eine solche Entscheidung zu treffen, widmeten sich die Politiker wieder alten Gelände­ fragen. Aufgrund der finanziell angespannten Situation des Völkerbundes zogen sie plötzlich ernsthaft die Möglichkeit in Betracht, schließlich doch das Palais Wilson als 68 Bereits in der zweiten Sitzung am 19. 9. 1927 richtete der Gremiumsvorsitzende Adatci die Frage an die Mitglieder, ob sich das Komitee als qualifiziert genug betrachtete, um einen definitiven Plan auszuwählen. Daraufhin merkte Osusky an, dass das Komitee diese Verantwortung zwar durchaus übernehmen könnte, aber trotzdem technische Hilfe in Detailfragen benötigte. Nach einer längeren Diskussion entschied sich die Kommission dafür, eine vorläufige Studie der neun Pläne unter technischen und künstlerischen Gesichtspunkten von Experten anfertigen zu lassen. Vgl. Protokoll der zweiten Sitzung des Special Committee appointed to study the Procedures in regard to the new Building vom 19. 9. 1927, SdN-Archiv, R 3442/ 18B/44/44, S. 4. 69 Vgl. Protokoll der vierten Sitzung des Special Committee appointed to study the Procedures in regard to the new Building vom 7. 11. 1927, SdN-Archiv, R 3442/18B/44/44, S. 6.

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48  Giuseppe Vago, Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast in Genf, 1927

Sekretariat zu behalten und auf dem Propriété Pictet-Forget die ursprünglich geplante Versammlungshalle zu errichten.70 Dieser unberechenbare Kurs des Comité Special, das bereits seit vier Monaten tagte, erhöhte die Nervosität bei den Schweizer Behörden. Schließlich bot das Berner Département Politique Fédérale Generalsekretär Drummond an, die erstplatzierten Pläne durch zwei Experten der Bundes- und der Kantonsbehörde auswerten zu lassen.71 Das Schweizer Ministerium beauftragte den Direktor für Bundesbauten Léon Jungo und den Chef des Genfer Stadtplanungsamtes Camille Martin mit der Erstellung zweier Gutachten.72 Beide bestätigten die Meinung der Jury, dass keines der prämierten Projekte zur Ausführung geeignet sei und empfahlen dem Völker­bund, von den neun Architekten ergänzende Projektstudien anferti-

70 Vgl. Protokoll der siebten Sitzung des Special Committee appointed to study the Procedures in regard to the new Building vom 19. 12. 1927, SdN-Archiv, R 3442/18B/44/44, S. 4 ff. 71 Vgl. Briefe des Eidgenössischen Department, Abteilung für Auswärtiges an Generalsekretär Sir Eric Drummond vom 24. 10. 1927, vom 1. 11. 1927 und vom 3. 11. 1927, SdN-Archiv, R 1547/32/62316. 72 Camille Martin war als Stellvertreter Karl Mosers bereits im Wettbewerbsverfahren in Erscheinung getreten. Quincerot zufolge präferierte er, wie zuvor auch Moser, den Projektentwurf Le Corbusiers. Vgl. hierzu: Quincerot, Richard: Schlachtfeld Völkerbundpalast, in: Oechslin 1988, S. 67.

Der Völkerbundpalast in Genf     | 223

gen zu lassen.73 Diesen ­Vorschlag lehnte das Comité ­Special wiederum ab und schlug zuletzt einen diplomatischen und aus fachlicher Sicht nicht unproblematischen Sonderweg ein. Zum einen empfahl es das Wettbewerbsprojekt des Französisch-Schweizerischen Architektenteams ­Henri-Paul Nénot (1953–1934) und Julien Flegenheimer (1880–1938) zur Ausführung. In seinem neunseitigen Abschlussbericht beanstandete das Gremium jedoch nicht nur erhebliche Mängel, sondern es verpflichtete die beiden Architekten zu einer Kooperation mit drei weiteren erstprämierten Architekten. Nénot und ­F legenheimer sollten ihren Entwurf in Absprache mit den italienischen Architekten Carlo Broggi (1881–1969) und Giuseppe Vago (1877–1947) sowie dem Franzosen Camille Lefèvre (1876–1946) überarbeiten.74 Streng genommen wurden Nénot und Flegenheimer gar nicht zu Wettbewerbsgewinnern gekürt. Ihr Projekt diente lediglich als Ausgangs­basis eines neu eröffneten Entwurfsprozesses, der gemeinsam mit zwei weiteren Teams realisiert werden sollte. Diese Kehrtwende von einem auf Konkurrenz ausgerichteten internationalen Wettbewerb – mit einem einzigen Gewinnerprojekt – hin zu einer Gemeinschaftsarbeit von fünf prämierten Architekten, war ausschließlich politisch motiviert und gründete kaum auf fachlichen Gesichtspunkten. Mit diesem diplomatischen Beschluss war fast die Hälfte der neun erstplatzierten Architektenteams zu Gewinnern des Wettbewerbs gekürt worden. Damit stützte der Völkerbund im Übrigen das Expertenurteil der gescheiterten Architektenjury. Mit der Wahl dieser fünf Architekten präferierete der Völkerbund auch einen bestimmten Architekturstil. Sie zählten alle zu Verfechtern einer akademischen Architekturtradition, die modernen Strömungen kritisch gegenüberstanden. Aus fachlicher Sicht war der Ausgang des Wettbewerbs höchst zweifelhaft, konfrontierte er doch alle beteiligten Architekten mit einer unangenehmen Situation. Henri-Paul Nénot, der noch während der Bauarbeiten 1934 überraschend starb, und sein Kompagnon Julien Flegenheimer sahen sich als Sieger des Wettbewerbs an, auch wenn ihr Entwurf nicht alle baulichen Voraussetzungen erfüllte. Durch die von ihnen geforderte Einbindung der drei Wettbewerbskonkurrenten wurden sie jedoch dazu gezwungen, die Kontrolle über das eigene Projekt zu teilen und ihre Arbeit einer ständigen Kritik durch drei ehemalige Kontrahenten zu unterziehen. Broggi, Vago und Lefèvre empfanden sich ebenfalls als Wettbewerbsgewinner, auch wenn ihre Bauprojekte für den bevorstehenden Entwurfsprozess keine direkte Relevanz b ­ esaßen. Als

73 Auf den Inhalt der beiden Gutachten, die in den Akten des Völkerbundes nicht aufzufinden waren, verweist Quincerot, der sie im Genfer Staatsarchiv (B.13) ausfindig machte. Vgl. Quincerot, Richard: Schlachtfeld Völkerbundpalast, in: Oechslin 1988, S. 67. 74 Ob sich diese endgültige Entscheidung der Kommission mit den Gutachten zweier beauftragter Architekten deckt, konnte leider nicht nachvollzogen werden. Der Abschlussbericht besagt lediglich, dass sie berücksichtigt wurden. Wer diese beiden Architekten waren, konnte von der Autorin nicht ermittelt werden. Quincerot verweist in seiner Publikation zwar auf zwei Briefe, in denen die Architekten West und Jezek mit der Begutachtung beauftragt wurden. Weder diese noch ihre Gutachten wurden von der Autorin im SdN-Archiv gefunden.

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quasi gleichberechtigte Planer bestand ihre Aufgabe darin, ein fremdes Projekt in einen neuen Entwurfsplan umzuarbeiten und zwar ohne Rücksicht auf dessen ursprüngliche Intention. Alle fünf Wettbewerbsteilnehmer waren mit der neuen Ausgangssituation überfordert. Sie mussten eine Architektenkommission bilden, die gemeinschaftliche Interessen vertrat, kooperativ Ideen erörterte und diese in einem kreativen Entwicklungsprozess bündelte. Die Vorstellung des Comité Special von einer reibungslosen Teamarbeit erfüllte sich daher nicht. Zu unscharf waren von Seiten des Völkerbundes die Aufgabenbereiche und Kompetenzen zwischen dem Gewinner­projekt und den zuarbeitenden Architekten im Vorfeld geregelt worden. Zwangsläufig entstand eine von Disharmonien geprägte Atmosphäre. Diese wird bereits früh aus einem Brief Giuseppe Vagos an den Generalsekretär vom 9. Februar 1928 ersichtlich. Darin beschwerte er sich über das aus seiner Sicht ungehörige Vorgehen der Kollegen Nénot und Flegenheimer, die gleich in mehreren Zeitschrifteninterviews das Völkerbundprojekt für sich alleine deklariert hatten und damit die drei gleichberechtigten Architekten der Lächerlichkeit preis gegeben hätten.75 Neben solchen internen Querelen erschwerten weitere Faktoren den Entwurfsprozess des Architektenteams. Im Laufe des Jahres 1929 misslang der Ankauf des Grundstücks Barton, so dass der Völkerbund erneut in Geländeverhandlungen eintreten musste und schließlich auf den in städtischen Besitz befindlichen benachbarten Ariana Park auswich. Dieses Gelände wiederum war nicht direkt am Seeufer situiert, sondern lag erhöht auf einem Plateau.76 Alle bisher angefertigten Pläne der Architekten bedurften einer grundlegenden Anpassung an diese neue Geländesituation. Ihr finaler und vom Völkerbund angenommener Entwurf basierte nur noch strukturell auf Nénots und Flegenheimers eingereichtem Projekt. Anders als in den Wettbewerbsprojekten Broggis oder Vagos, die alle Organe in einer kompakten Gebäudestruktur vereinten, gruppierten sie eine monumentale dreiflügelige Palastanlage um einen großzügigen Ehrenhof, der zum Genfer See hin in einen Garten überging (Abb. 49). Jedem Organ des Völkerbundes (Versammlung, Rat, Sekretariat sowie der von Rockefeller gestifteten Bibliothek) wiesen sie einen eigenen Flügel zu (Abb. 33). Die Versammlung residierte im zentralen Corps de Logis. Über zwei Verbindungsflügel gelangten die Delegierten in die beiden niedrigeren aber nicht minder betonten Eckbauten, in denen der Rat und die Bibliothek untergebracht waren. Ähnlich Nénots und Flegenheimers ursprünglichem Entwurf erhielt das Sekretariat ein eigenes Gebäude und zwar in einem langen, mehrfach verwinkelten Annexbau, der sich direkt an das Ratsgebäude anschloss. Den drei Baukörpern des Hauptbaus wurde 75 Vgl. Brief von Giuseppe Vago an den Generalsekretär vom 9. 2. 1928, SdN-Archiv, R 1543/32/56985/ 28594. 76 Hélène de Mandrot, Gastgeberin des ersten CIAM-Kongresses, spielte bei diesem Verkauf als Mitglied der Erbengemeinschaft des Ariana Parks eine entscheidende Rolle. Sie verweigerte den Verkauf einzig aus dem Grunde, da sie das Projekt Le Corbusiers unterstützte und sich durch ihr Veto einen Verhandlungsspielraum mit dem Völkerbund ausrechnete, der auf eine Beteiligung Le Corbusiers hinauslaufen sollte. Auf diesen Sachverhalt wird im zweiten Kapitel dieses Teils näher eingegangen.

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49  Genf, Modell des Völkerbundpalasts von Henri Nénot, Julien Flegenheimer, Carlo Broggi, Giuseppe Vago und Camille Lefèvre, 1929

zur Gartenseite hin eine streng neoklassizistische Pilastergliederung (Abb. 50) vorangestellt. Diese setzte sich als eine Art geschlossener Arkadengang auch in den Verbindungsflügeln fort und erzeugte dort einen Galeriecharakter. Die Pilasterstellung rhythmisierte zwar die ganze Fassade des Baus, die Mächtigkeit der Pfeiler steigerte ihn jedoch ins Monumentale und verlieh ihm letztlich eine geschlossene, festungshafte Wirkung.77 Am 7. September 1929 fand die Grundsteinlegung statt. Ihr folgte eine sich über einen Zeitraum von acht Jahren erstreckende Bauphase, die an dieser Stelle nicht im Detail berücksichtigt werden kann. Weltpolitische Ereignisse, wie die Weltwirtschaftskrise und die massiven ideologischen Umbrüche, vor allem die Ausbreitung faschistischer Ideologien in Europa und damit einhergehende Veränderungen diplomatischer Verhältnisse beeinflussten politische Entscheidungen um das Baugeschehen ebenso wie interne Uneinigkeiten zwischen Architekten und Völkerbund. Vor allem die aufgrund der Weltwirtschaftskrise teurer gewordenen Baumaterialien trieben seit 1931 die Baukosten in die Höhe. 1932 beliefen sie sich bereits auf 25.577.000 Schweizer Franken, was einen kurzeitig von politischer Seite verordneten Baustopp zur Folge hatte. Erst nach einer Entscheidung der Vollversammlung, die trotz der Kostenerhöhungen für die Fertig­stellung des Gebäudes plädierte, wurden die Arbeiten fortgesetzt.78 Der Rohbau war erst am 6. November 1933 fertiggestellt. Am 25. September 1937 fand die feierliche Eröffnung des Völkerbundpalastes statt.

77 In einer Bauanalyse kritisiert Stanislaus von Moos die Völkerbundsarchitektur als „Pastiche“, als Stückwerk aller Entwürfe der beteiligten Architekten. Vgl. hierzu Moos, Stanislaus von: Kasino der Nationen. Zur Architektur des Völkerbundpalasts in Genf, in: Werk – Archithese: Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur und Kunst, 23. Jg., Nr. 24, 1978, S. 32–36. 78 Vgl. Steinmann, Martin: Der Völkerbundpalast. Eine „chronique scandaleuse“, in: Werk – Archithese: Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur und Kunst, 23. Jg., Nr. 24, 1978, S. 31 f.

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50  Genf, Völkerbundpalast, Blick von der Gartenseite über den Ehrenhof auf den Konferenztrakt

Ausstattung in Art Déco: luxuriös, repräsentativ, international Das monumentale äußere Erscheinungsbild der Architektur fand im Inneren seine Entsprechung. In den repräsentativen Galerien des Hauptbaus verkleideten edle Natursteine Wände und Fußböden und betonten portalähnlich Eingänge zu Kommissions- und Sitzungssälen. Die Konzeption der Flure und Treppenhäuser hingegen folgte keinem überladenen historisierenden Gestaltungsprinzip, sondern zeichnete sich durch eine lineare insgesamt puristische Grundstruktur aus (Abb. 51). In Publikationen ist heute oftmals von einer Innengestaltung im Stil des Art Déco die Rede.79 Dadurch wird der Eindruck erweckt, als habe ein übergeordnetes Gesamt­konzept oder gar ein von Einzelpersonen ausgehender Stilwille die gesamte Ausstattung des Baus im Stil des Art Déco intendiert. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, ist diese Annahme nur bedingt richtig. Die Innenraumgestaltung des Völkerbund­ palastes war weder im Wettbewerbsprogramm berücksichtigt noch von den ­A rchitekten in

79 Vgl. die vom United Nations Office herausgegebebe Broschüre: Palais des Nations, Paris 2001. Vgl. zudem: Courtiau, Cathérine: Le Palais des Nations à Genève: une mosaique de concepts constructifs et artistique des années 30, in: Kunst+Architektur in der Schweiz. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Jg. 56, Nr. 4, 2005, S. 19. Courtiau zeigt in dieser Publikation am Beispiel des Völkerbundpalasts den Konflikt zwischen modernen Strömungen und konservativen Kräften in Architektur und angewandter Kunst auf und deutet ihn, indem sie ihn vereinfacht den beiden Stilkategorien Neoklassizismus (bezüglich seiner Architektur) und Art Déco (bezüglich seiner Innen­ ausstattung) zuordnet, als Ausdruck einer politischen wie kulturellen Konfusion und Paradoxie in den 1930er Jahren.

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51  Genf, Völkerbundpalast, Treppenhaus des Bibliotheksflügels

52  Genf, Völkerbundpalast, Flur vor einem Konferenzsaal

die Bausumme einkalkuliert worden. Um die ohnehin explodierenden Baukosten zu begrenzen, rief der Generaldirektor bereits 1928 die Mitgliedsstaaten zu Material-, Möbel- und Kunstspenden auf. Dem kamen die Länder bereitwillig und in großzügigem Ausmaß nach. Die Einrichtung der Räumlichkeiten lag von vorn herein nur partiell in den Händen der Architekten. Umso mehr Wert legten diese auf markante dekorative Details in Fluren und Treppenhäusern. So trugen beispielsweise die Beleuchtungselemente in den Korri­doren dem klaren Charakter der Raumstrukturen Rechnung (Abb. 52). Die Vergabe dieses Auftrags erfolgte nach einer internationalen Ausschreibung. Die Wahl fiel dabei auf den Pariser Décorateur Jean Perzel.80 Perzel, ein ausgewiesener Spezialist für Glas und Innenbeleuchtung, entwarf neun, in Form

80 Der gebürtige Österreicher erhielt in München seine Ausbildung zum Glasmaler, bevor er 1910 nach Paris reiste um sich dort niederzulassen und sich auf die Herstellung von Lampen zu spezialisieren. 1928 erhielt er bei einem Wettbewerb im Salon des Décorateurs einen ersten Preis. Seine Arbeiten konnte er regelmäßig im Salon d’automne, im Salon des Décorateurs und bei der Société Nationale des Beaux-Arts zeigen. Zu seinen wichtigen Aufträgen zählten neben dem Völkerbundpalast die Innenbeleuchtung für FORD in Detroit, die Innendekoration des Passagierdampfers Normandie, die Ausgestaltung des Sitzes des Maharadschas in Indor (Indien) sowie die Ausgestaltung des Cour Royale in Belgien. Vgl. Uecker, Wolf: Licht-Kunst. Lampen des Art Nouveau und Art Déco, Rastatt 1992, S. 88.

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53  Genf, Völkerbundpalast, Repräsentative Gallerie des Pas Perdus im Konferenzflügel

und Größe variierende ­Lampentypen aus Glas sowie aus dunkel patiniertem Metall. Diese reichten von kleinen Wandleuchten mit ovalen, konkav oder konvex geschwungenen Schirmen, auf Zierkonsolen montiert, bis hin zu strengen, konisch zulaufenden Steh­lampen und großen runden Lüstern. Sie zieren bis heute Korridore und Verbindungsflügel des Gebäudes sowie repräsentative Örtlichkeiten, etwa die Galerie des Pas ­Perdus (Abb. 53) und mehrere Rats- und Kommissionssäle.81 Eine Erklärung für das stimmige Erscheinungsbild der Räumlichkeiten liefert das Phänomen Art Déco selbst. Unter diesem vagen und deswegen nicht unumstrittenen Begriff bündelt sich eine Vielzahl künstlerischer Strömungen, die den ornamentalen Jugendstil nach dem Ersten Weltkrieg zu einer puristischeren, aber immer noch am 81 Vgl. Pallas 2001, S. 122 ff.

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Dekor orientierten klareren Formensprache weiterentwickelten. Im Unterschied zu dem sich parallel etablierenden Industriedesign, das aus einem sozialreformerischen Impetus heraus entstand, zeichneten sich die kunstgewerblichen Produkte des sogenannten Art Déco durch qualitativ hoch stehende Handwerkskunst, zugleich durch die Verwendung edler Materialen aus.82 Cathérine Courtiau stellt einen unmittelbaren Zusammenhang her zwischen der Einrichtung des Völkerbundpalasts und der Pariser Expositions international des Arts décoratifs et industriels modernes von 1925.83 Diese von Hans Wichmann als Höhepunkt des Art Déco bezeichnete internationale Kunstschau bot einen Überblick über den aktuellen Stand der angewandten Kunst. Die Expo zeigte nur am Rande einen neuen Trend der angewandten Kunst: den auf industrieller Fertigung basierenden Pavillon Le Corbusiers mit standardisierten Einrichtungselementen. Sie ozsillierte also zwischen traditionellem luxusorientierten Kunsthandwerk und neuen Ansätzen des Industriedesigns.84 Die Pariser Exposition internationale des Arts decoratifs et industriels modernes, die erst später als Namensgeberin des Stilbegriffs Art Déco fungierte, bestätigte und beförderte dennoch einen luxuriösen Zeitgeschmack, der nicht als konservativ, sondern als sehr modern empfunden wurde. Drei bekannte, französische Décorateurs, die bereits 1925 in Paris vertreten waren, erhielten Aufträge durch das Architektenteam des Völkerbundes. René Prou wurde 1935 auf den Vorschlag Broggis hin mit der Möblierung des großen Versammlungssaals des Exeku­ tivrats beauftragt.85 Die bronzenen Eingangstüren zu diesem Saal fertigte der französische Ferronier Raymond Subes; der französische Kunsttischler Jules Leleu erhielt den Auftrag zur Konzeption eines Empfangszimmers des Exekutivratsvorsitzenden, das er gemeinsam mit dem Glasspezialisten Anatole Kasskoff in einen französischen Salon verwandelte (Taf. XVIII). Die Möblierung einiger Kommissionssäle wurde von den Architekten für ausgewählte europäische Firmen ausgeschrieben. Erstaunlich dabei erscheint, dass sich die Ausschreibungen stets an fünf oder sechs Unternehmen aus jeweils einer Mitgliedsnation richteten, wodurch automatisch sogenannte Länder­ räume entstanden. Unter welchen Gesichtspunkten die Länderauswahl von statten ging, ließ sich aufgrund der schier unüberschaubaren Aktenfülle nicht rekonstruieren. Wie Jean-Claude Pallas zeigt, gingen Aufträge zur Ausstattung großer Kommissionssäle an Innenarchitekten, wie den Engländer White Allom, den Franzosen Alfred Porteneuve sowie den dänischen Ebenisten Jacob Petersen, den belgischen Architekten Julius Maria Luthmann und an den italienischen Designer Gustavo Pulitzer Finali.86 Mitgliedsstaaten, die ganze Raumausstattungen oder einzelne Möbelstücke spendeten, zogen überwiegend Innenarchitekten und Kunsthandwerker aus dem eigenen Land 82 Vgl. Wichmann, Hans: Design contra Art Déco. 1927–1932. Jahrfünft der Wende, München 1993, S.  9 f. 83 Vgl. Courtiau, in: Kunst+Architektur in der Schweiz, S. 17–25. 84 Vgl. Wichmann 1993, S. 10. 85 Vgl. Pallas 2001, S. 134 f. 86 Vgl. ebd., S. 179, 188, 190, 196 f.

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heran und machten nationale Besonderheiten geltend. So bot bereits zu Beginn der Bauarbeiten 1930 die belgische Regierung die Gestaltung des Büros des amtierenden General­sekretärs Drummond an. Sie beauftragte 1933 den belgischen Architekten ­Luthmann, der ein schlichtes Mobiliar in der sachlichen Farbskala grau, weiß und blau entwarf (Taf. XIX).87 Ungarn ließ ein repräsentatives Vorzimmer (Taf. XX) von Frerenc Szablya-Frischauf gestalten. Die Ausstattung dieses Raums mit schweren roséfarbenen Polstermöbeln, massiven Tischen, Eckvitrinen und Kommoden wirkt überladen. Farbliche Akzente durch künstlerische Dekorationsarbeiten (Keramiken und Wandtapisserien) in folkloristischer Manier wurden an ungarische Kunsthandwerker vergeben.88 Litauen übernahm die Ausstattung eines Kommissionssaales durch den aus Riga stammenden Architekten Aleksandrs Birzenieks. Andere Räume zeigen eine Kombination von Möbeln, die von unterschiedlichen Ländern gestiftet wurden: so konzipierte den Kabinettsaal des Ratspräsidenten der Londoner Architekt White Allom, einen kostbaren Teppich spendete der Iran, massive Kabinettstische und die Bestuhlung ließ die Schwedische Regierung von ihrem Landsmann Carl Bergstern und der Möbelfabrik Nordiska Kompaniet herstellen.89 Ähnlich verhielt sich die Situation bei einem weiteren repräsentativen Sitzungsraum des Exekutivrates. Die Holzvertäfelung und das Mobiliar dieses Raumes stammten vom Wiener Kunstmöbelfabrikanten Felix Jaray und wurden von der österreichischen Regierung gestiftet. Kostbare handgewebte Vorhänge wiederum stellten ein Geschenk Finnlands dar und der Teppichboden stammte aus dem Iran.90 Anhand dieser exemplarisch ausgewählten Beispiele wird ersichtlich, dass die Innenraumgestaltung des Völkerbundpalasts zu einem erheblichen Teil durch die Mitgliedsstaaten selbst geprägt war und keinem übergreifenden Raumgestaltungskonzept oder einem einheitlichen Stilwillen folgte. Die Architekten ließen sich von der Idee leiten, möglichst zahlreiche Unternehmen vor allem aus europäischen Ländern zu beteiligen und schrieben deswegen übersichtliche nationale Wettbewerbe aus. Die Ausstattung des Völkerbundpalastes veranschaulicht gleichsam, wie sich in der Mitte der 1930er Jahre das Art Déco zu einem internationalen Geschmacksphänomen entwickelte, dessen Produkte von den Zeitgenossen gerade wegen der kostbaren Materia­ lien und handwerklich aufwendigen Verarbeitungsmethoden als äußerst repräsentativ angesehen wurden.91

87 88 89 90 91

Vgl. ebd, S. 128. Vgl. ebd., S. 131 f. Vgl. ebd., S. 154 f. Vgl. ebd., S. 156 f. Bevis Hillier und Stephen Escritt spüren in ihrer Publikation Art deco der Frage nach Herkunft und Verbreitung des Art Déco nach. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zu dem bis heute umstrittenen Definition dieser stilistischen Kategorie der 1920er und 1930er Jahre. Vgl. Hillier, Bevis/ Escritt, Stephen: Art deco, Stuttgart 1997.

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Kunstwerke: figurativ und allegorisch Zur Ausstattung des Völkerbundpalastes gehörten auch repräsentative Kunstwerke, zu finden vor allem in den zentralen Räumlichkeiten, etwa den Konferenz- und Komiteesälen. Die Architekten griffen dabei zumeist auf tradierte Repräsentationsformen wie Wandbilder, vereinzelt auch auf bildhauerische Wandarbeiten zurück. Zusätzlich spendeten die Mitgliedsstaaten Kunstwerke in Form großer Bildtapisserien und Gemälde, die in Fluren und Büros angebracht wurden. Anhand der drei prominentesten, zwischen 1935 und 1937 realisierten Werke der Künstler José Maria Sert, der Nabis-Künstler Maurice Denis, Édouard Vuillard, Ker-Xavier Roussel und Roger Chastel sowie dem englischen Bildhauer Eric Gill wird im Folgenden aufgezeigt, dass sich der in Architektur und Ausstattung manifestierende Konservatismus in der Kunst-am-Bau fortsetzte. Aktuelle avantgardistische Strömungen, wie sie 1937 auf der Weltausstellung in Paris etwa im Spanischen Pavillon durch Kunstwerke Picassos, Mirós und Calders offenbar wurden, blieben von den Architekten unberücksichtigt. Sie sollten erst 20 Jahre später für die Ausstattung des UNESCO-Gebäudes herangezogen werden. Die umfassende Ausmalung des Salle de Conseil, seiner drei Galerieseiten und der Decke (Abb. 54), übernahm der katalanische Maler José Maria Sert (1874–1945). Sert, der seinen Ruhm durch kraftvolle vielbevölkerte Szenerien in monochromen Gold-, Braun- und Schwarztönen begründete, erhielt den Gestaltungsauftrag von der spanischen Regierung. Der spanische Botschafter in der Schweiz, Salvador de Madariaga, hatte den amtierenden Generalsekretär Joseph Avenol 1934 erstmals auf den seit über 30 Jahren in Paris lebenden Künstler aufmerksam gemacht.92 Nach einer gemeinsam mit den Architekten Broggi und Lefèvre unternommenen Besichtigungsreise zu dem von Sert gestalteten Rathaussaal in Barcelona und der Kathedrale von Vich, war Avenol von dessen künstlerischen Qualitäten überzeugt. Die Ausmalung eines von der spanischen Regierung vorgesehenen kleinen Kommissionssaals wies der Künstler jedoch vehement zurück93 Um einen bedeutenderen Ort im Völkerbundpalast bemüht, schlug General­ sekretär Avenol den Regierungsvertretern die Ausmalung der repräsentativen Galerie des Pas Perdus vor. Dieser Ort, so Avenol, markiere als Zentrum des Durchgangs­ verkehrs den Mittelpunkt aller Aktivitäten und könne deswegen für den Völkerbund eine ähnliche Bedeutung erlangen wie der Spiegelsaal im Schloss Versailles.94 Die spanische Regierung lehnte jedoch ab. Sie strebte die wesentlich kostengünstigere Gestaltung eines kleinen Kommissionsraumes in einen salle espagnole an, der nach dem spanischen Rechtsgelehrten und Vordenker des Völkerrechts Francisco de Vitoria benannt werden

92 Vgl. Frémontier, Jo: José Maria Sert. La rencontre de l’extravagance et de la démesure, Paris 2008, S. 139. 93 Vgl. ebd. 94 Vgl. Castellari, Arturo Colorado: The Murals by José Marìa Sert in the “Francisco de Vitoria Room”, New York 1985, S. 23.

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54  Genf, Völkerbundpalast, Saal des Exekutivrats mit Wandgemälden von José Maria Sert

sollte.95 Als der Generalsekretär schließlich den Tausch eines kleinen Raumes gegen den großen Ratssaal des Völkerbundrates anbot, konnten sie diesen weitaus bedeutenderen künstlerischen Auftrag nicht ausschlagen.96 Aus heutiger Sicht überrascht es, dass die Motivwahl für eine Wand- und Deckenfläche von über 495 m2 dem Künstler überlassen blieb. Die einzige, mit der spanischen Regierung fixierte Regelung betraf das Decken­ gemälde, das den Rechtsgelehrten Francisco de Vitoria verewigen sollte.97 José Marìa Sert entwarf großflächige Kriegs- und Friedensvisionen und spürte den grundlegenden Bedingungen einer dauerhaften Friedensicherung nach. In sieben übergeordneten Bildthemen entwickelte er ein außergewöhnliches ikonographisches Bildprogramm. An der Rückwand des Saales schuf er mit den beiden Motiven Die Eroberer und Die Eroberten (Abb. 55) zunächst ein Sinnbild des Krieges. Die Eroberer, eine in Reih und Glied marschierende uniformierte Masse mit Fahnen und Geschützen zieht diagonal von links oben nach rechts unten durch eine nicht näher definierte Landschaft. 95 Vgl. ebd., S. 26. 96 Vgl. ebd. 97 Vgl. ebd., S. 22.

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55  José Maria Sert, Die Eroberer und die Eroberten, 1936, Wandgemälde im Saal des Exekutivrats

Ihr gegenüber fallen die Eroberten, eine pyramidenartig übereinander gestellte Komposition zahlreicher Menschenkörper, auf die Knie oder werfen ergeben und schmerzvoll ihre Arme in die Höhe. Die Figuren beider Szenen sind entindividualisiert dargestellt. Sie erscheinen als gleichgeschaltete Massen, die in jeweils eine Richtung streben, entweder aggressiv vorwärts (die Eroberer) oder ergeben nach unten (die Eroberten). Diese Bewegungsrichtungen verbunden mit den monochromen Farbigkeiten Gold und Sepia steigern die Szene ins Dramatische. Herrschen und beherrscht werden, unterwerfen und unterworfen sein kristallisieren sich zu zwei aufs engste miteinander verwobenen Momenten menschlicher Lebenswirklichkeiten. Beide Szenen werden durch drei allegorische Grisaillen eingefriedet, der Erweckung des Friedens, dem Tod des Friedens und der Wiedergeburt des Friedens. An der linken Wandseite des Saales entwarf Sert die Bilder Hoffnung des Fortschritts und Fortschritt der Wissenschaft (Abb. 56, 57). Ersteres wird von einer weiteren dramatischen Kriegsszenerie dominiert. Aus der Froschperspektive blickt der Betrachter einen Abhang hinauf, zu schweren Flakgeschützen und Kanonen. Diese drohen von einer Anhöhe in das Bild herunterzufahren. Vor ihnen flieht eine Schar Frauen. Für sie scheint keine Aussicht auf Überleben zu bestehen, denn zu erdrückend wirkt die Allgegenwärtigkeit kriegerischen Chaos durch Rauchschwaden. Auf zwei Kanonenrohren thront über der ganzen Szenerie eine Frauenfigur, die ein kleines Kind, einen Hoffnungsträger, in die Höhe hält. Einer messianischen Vision gleichend, symbolisiert dieser die Erlösung von der mörderischen Kriegssituation sowie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Auch der wissenschaftliche Fortschritt wird von Sert als Massenszene entworfen und ist als Dreieckskomposition angelegt. Von mehreren Seiten strömen teils

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56  José Maria Sert, Hoffnung des Fortschritts, 1936, Wandgemälde im Saal des Exekutivrats

gebückte, teils von anderen gestützte Menschen auf die Bildmitte zu. Dort ist auf einer konstruierten Anhöhe ein Segel als eine Art notdürftiges Schutzdach über umgestürzten Säulen gespannt. Darunter haben sich bereits zahlreiche Menschen niedergelassen. In der Bildmitte oberhalb einer Treppe treten zwei Figuren in weißen Roben in Erscheinung und versuchen eine niedergesunkene Gestalt aufzurichten. Vermutlich sind es Ärzte, die Heilung versprechen. Krankheit und körperliches Leid scheinen zwei wesentliche Motive dieses nicht eindeutigen Bildgeschehens zu sein. Der Fortschritt tritt dabei als Versprechen zur Überwindung des Leids in Erscheinung. Beide Bilder werden durch die Allegorien der Gerechtigkeit und der Stärke ergänzt. Auf der gegenüberliegenden Wandseite entwarf Sert den technischen sowie den sozialen Fortschritt (Abb. 58, 59). Beide sind das Ergebnis enormer menschlicher Anstrengung. Während in der ersten Szene Männerfiguren unter Zuhilfenahme dreier Zugtiere und deren ganzer Körperkraft eine technische Konstruktion auf Rädern – versatzstückhaft bestehend aus einem Zahnrad sowie einer Art Brückenpfeiler – mittels starker Taue vorwärts ziehen und die Einheit von Mensch und Maschine zu proklamieren scheinen, steht die Abschaffung der Sklaverei im Zentrum der zweiten Szene. Männer dunkler Hautfarbe stoßen kraftvoll zwei monumentale Holztore auf. Ihnen folgt ein Strom befreiter Sklaven aus einem unterirdischen Schacht. Vor ihnen richtet sich eine Gestalt in Anzug und Zylinder auf und kündet vom gesetzlichen Befreiungserlass. Hoch über diesem Geschehen der Bildmitte thronen in der oberen Bildhälfte zahlreiche Männer an

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57  José Maria Sert, Hoffnung der Wissenschaft, 1936, Wandgemälde im Saal des Exekutivrats

Pfähle gekettet. Auch ihnen werden die Fesseln abgenommen. Die Ideale von Freiheit und Gleichheit werden als bedeutende Akte der Menschlichkeit gefeiert. Die Lektion von Salamanca lautet das Bildthema des Deckengemäldes.98 Sert war aufgefordert, den Spanier Francisco de Vitoria als Wegbereiter des Völkerrechts darzustellen. Den Künstler scheint jedoch ein traditionelles Portrait dieser historischen Figur wenig begeistert zu haben. Es hätte seinem kompositorischen Stil, der Allegorien durch dynamische Massenszenen erzeugte, wenig entsprochen. Der Künstler umging die Vorgabe geschickt, indem er zunächst ein anderes Bildthema in das Zentrum der Decke rückte (Abb. 60). Dort reichen sich fünf männliche Kolosse zu einem symbolischen Kranz die Hände und versinnbildlichen so die Solidarität der Völker. Über ihnen erhebt sich in Anlehnung an den historischen Ort die Kathedrale von Salamanca. Zu ihren Füßen sind unzählige Staffagefiguren aufgereiht – Kleriker, Männer zu Pferde und Gelehrte mit Büchern. Ähnlich wie in einem Vorlesungssaal blicken sie aus dem Bild hinunter in den Ratssaal des Völkerbundpalastes, in dem die eigentliche Lehrstunde der Nachfahren des Francisco de Vitoria stattfinden soll. Mit diesem, dem barocken Illusionismus verwandten Kunstgriff bezog Sert die Ratsmitglieder selbst in sein Bild­geschehen ein. Es bedurfte seiner Ansicht nach keiner vorbildhaften Persönlichkeit, die den Politikern den Weg des Völkerrechts wies. Der Völkerbund selbst sollte in Realpräsenz als würdiger Nachfolger in Erscheinung treten. Sert umging geschickt nicht nur eine traditionelle Porträtdarstellung, vielmehr gelang ihm ein Brückenschlag zwischen zweidimensionalem Bildraum und dreidimensionalem politischen Raum. Mit 98 Vgl. Castellary 1985, S. 22.

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58  José Maria Sert, Der technische Fortschritt, 1936, Wandgemälde im Saal des Exekutivrats

s­ einen Fortschrittsvisionen, in denen der Mensch als verführbare Masse sowie als hoffnungsgläubiges Kollektiv in Erscheinung tritt, setzte er im Ratssaal des Völkerbundes ein modernes ikonographisches Bildprogramm um: Die Schrecken des Krieges bleiben dabei als allgegenwärtiges Moment präsent. Gleichzeitig werden Technik und Wissenschaft neben den Idealen von Gleichheit und Solidarität eine friedensichernde Funktion zugewiesen. Allegorien, monumentalisierender Bildaufbau sowie übersteigerte Körperlichkeit dienten ihm als Grundlage für eine emotionale und gleichzeitig erzieherisch wirkende Malerei. Die reduzierte Farbigkeit des Wandbildes in Gold- und Brauntönen trug der repräsentativen Veredelung des Saales Rechnung. Serts Wandarbeiten waren im Mai 1936 abgeschlossen. Nur zwei Monate nach der Fertigstellung des Kunstwerkes brach der Spanische Bürgerkrieg aus und Serts allegorischer Kriegs- und Friedenskreislauf erfuhr auf dramatische Weise seine reale Manifestation. Dennoch wurde die Eröffnung des Ratssaals am 2. Oktober 1936 gefeiert.99 Ein für die politische Repräsentation des Völkerbundes bedeutsamer Ort war der große Versammlungssaal der Generalversammlung.100 Dessen Ausstattung und künst 99 Vgl. Frémontier 2008, S. 140. 100 Er sollte eigentlich bis zur feierlichen Eröffnung des Gebäudes im September 1935 fertig gestellt sein. Als sich die Arbeiten im Gebäudeinneren verzögerten und die Architekten im Januar 1935 Generalsekretär Avenol keine Raumkonzeption vorlegten, übertrug dieser Ausstattung- und Dekorationsarbeiten einem externen Experten, dem französischen Décorateur René Prou. ­Dieser legte bereits im März 1935 erste Skizzen vor. Der Alleingang Avenols provozierte Protest bei

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59  José Maria Sert, Der soziale Fortschritt, 1936, Wandgemälde im Saal des Exekutivrats

lerische Gestaltung stifteten der Völkerbund gemeinsam mit der französischen Regierung. Letztere spendete über zwei Millionen Francs und finanzierte damit nicht nur die handwerklich aufwendige Konstruktion der Sitzplätze, sondern auch den Teppich­boden, die Vorhänge der Tribüne, zwei Bronzetüren sowie die vier großformatigen Wandbilder in den abgerundeten Ecken des quadratisch angelegten Saals.101 Den Auftrag für die Wandbilder erhielten 1937 die Nabis-Künstler Maurice Denis (1870–1943), Éduard Vuillard (1868–1940), Ker-Xavier Roussel (1867–1944) und der junge Maler Roger ­Chastel (1897–1981).102 Zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe galten sie nicht nur als beruflich etablierte Maler, sie waren (abgesehen von Chastel) vor allem hochbetagte Männer, deren avantgardistisches Wirken einem vergangenen Jahrhundert angehörte. Schließlich lag die Gründung der Künstlergruppe Nabis annähernd 50 Jahre zurück.103 Wesden Architekten wie auch beim Baukomitee. Beide Gremien sahen ihren Einflussbereich unterwandert. Das Kompetenzgerangel gipfelte in einem Brief Broggis an den Generalsekretär, in welchem er scharfe Kritik an raumkompositorischen Details in Prous Plänen äußerte. Verärgert über die ablehnende Haltung des Architekten, beauftragte Avenol daraufhin zwei externe Gutachter, den Schweden Ragnar Östberg (1866–1945) und den Briten Howard Robertson (1888–1963). Erst nachdem deren Resonanz positiv ausgefallen war, durfte Prou seine Arbeit ungehindert fortsetzen. Den Eröffnungstermin im September 1935 konnte er jedoch nicht halten. Interessant an dieser Stelle ist das Auftreten Howard Robertsons, der sowohl beim Bau des UN-Hauptquartiers als auch beim UNESCO-Bau eine wichtige Rolle spielte und eine personelle Konstante bei den Bauten der Vereinten Nationen darstellt. Vgl. hierzu: Pallas 2001, S. 212 ff. 101 Vgl. ebd., S. 218 f. 102 Roger Chastel bekam den Auftrag von Pierre Bonnard übertragen, da dieser aufgrund bindender Verpflichtungen bei der zeitgleich stattfindenden Pariser Weltausstellung dem Völkerbund eine Absage erteilte. 103 Die Künstler lernten sich 1888 überwiegend als Kommilitonen der Pariser Académie Julian kennen. 1889 schlossen sich zunächst Paul Sérusier, Bonnard, Denis, Henri Gabriel Ibels und Paul

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60  José Maria Sert, Die Lektion von Salamanca, 1936, Deckengemälde im Saal des Exekutivrats

halb griff der Völkerbund Mitte der 1930er Jahre, wo zeitgenössische Strömungen des Expressionismus, Kubismus, Konstruktivismus und Surrealismus den Symbolismus des Fin du Siècle längst abgelöst zu haben schienen, auf gerade diese Künstler zurück? Es wäre vermutlich zu einfach, einmal mehr den verbreiteten Konservatismus dieser Jahre als einzige Antwort anzuführen. Vielmehr, so zeigt sich, spielten persönliche Kontakte und künstlerische Netzwerke die ausschlaggebende Rolle. Nach Aussage Maurice Denis hatte der mit ihm befreundete José Maria Sert die Auftragsvergabe des Völkerbundes an die Nabis forciert. In seinen biographischen Aufzeichnungen berichtet er von einem gemeinsamen Treffen mit Sert und dem Völkerbundarchitekten Carlo Broggi im Oktober 1936 in Rom. Diese Zusammenkunft hatte Sert eigens arrangiert, um ihn für den Genfer Versammlungssaal ins Spiel zu bringen.104 Denis willigte jedoch erst ein, nachdem Broggi ihm zugesichert hatte, dass seine Nabiskollegen Vuillard, Roussel und Pierre Bonnard auch berücksichtigt würden.105 Die Idee für einen „Nabis-Saal“ stammte Ranson zur Künstlergruppe Nabis zusammen. Vuillard und Roussel, beide Studenten an der École des Beaux-Arts kamen 1890 hinzu. Freundschaftlicher Kontakt, gemeinsames Arbeiten und Ausstellen verband die Nabis, deren Kreis sich durch Literaten und Musiker bis etwa 1900 erweiterte. Vgl. Ausst.-Kat. Zürich 1993, Kunsthaus: Die Nabis. Propheten der Moderne, hrsg. v. Claire Frèches-Thory und Ursula Perucchi-Petri, Ausstellung vom 28. Mai–15. August 1993. 104 Vgl. Denis, Maurice: Journal. Tome III (1921–1943), Paris 1959, S. 188 f. 105 Dies berichtete der mit Denis reisende französische Kunsthistoriker Louis Hautecoeur in einem Artikel aus dem Jahre 1959. Hautecoeur zufolge bestand Denis darauf, dass seinen Kollegen „die

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also von Denis selbst. Am 5. Dezember 1936 führte ihn Generalsekretär Avenol erstmals durch den Völkerbundpalast. Die dort gewonnen Eindrücke hielt er in einer kurzen Tagebuchnotiz fest: Ich besuche […] den riesigen Palast von einem unerhörten materiellen Luxus. Marmor und wertvolle Hölzer, der ganze moderne Komfort. Fast keine Kunstwerke. Der Ratssaal berstet inmitten dieses unvollendeten und leblosen Gebäudes. Sert verstand es gut, mit seinen Farbschattierungen auf Goldgrund, seiner Vorstellung à la Gustave Doré, seinem barocken Geschmack ein schönes Ensemble zu gestalten. […] Sert stand am Anfang dieser ganzen Angelegenheit, die Vuillard, Roussel, Bonnard und mich interessierte.106

Denis Notiz bekräftigt die Vermittlerrolle José Maria Serts bei der bedeutsamen Auftragsarbeit, die Denis und seinen drei Kollegen nicht zuletzt die Möglichkeit bot, ihrer gemeinsamen künstlerischen Vergangenheit ein dauerhaftes Andenken zu setzen. Zudem gewährt sie einen kurzen intimen Einblick darin, wie Denis selbst die Architekttur empfindet und wie sich dies in einem leisen, staunenden Entsetzen über die materielle Pracht niederschlägt. Mögliche Bildthemen für die Wandmalereien im großen Versammlungssaal hatte der französische Architekt Nénot bereits 1933 vorgeschlagen und sich für eine allegorische Darstellung der vier vermeintlich höchsten Tätigkeiten des Menschen – Literatur, Wissenschaft, Kunst und Philosophie – ausgesprochen, die durch Porträts von Shakespeare, Pasteur, Raffael und Kant versinnbildlicht werden sollten.107 Eine solche Glorifizierung westeuropäischer Geistesgeschichte unterstützte Generalsekretär Avenol jedoch nicht. Er favorisierte die Visualisierung der vier antiken Zivilisationen und versuchte damit das Bildthema dahingehend zu entpolitisieren, dass er die Darstellung einer für alle Mitgliedsstaaten annehmbaren Menschheitsgeschichte anstrebte.108 Die vier Nabis-Künstler begeisterten sich nur wenig für Avenols Vorschlag. Denis unterbreitete nach Diskussionen mit Broggi und seinen Künstlerkollegen vier traditionelle Friedensallegorien – Pax genitrix (Die Fruchtbarkeit des Friedens), Pax musarum nutrix (der Friede der Musen), Pacis alumna Ceres (Keres, das Kind des Friedens) und Pax in virtute tua (der Frieden in deiner Macht)109 – als quasi politisch neutrale Alternativen. Dieses übergreifende und zugleich

106

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gleiche Ehre“ zukommen sollte, wie ihm selbst. Originalzitat: „Bien volontiers, mais je souhaite que pareil honneur soit accordé à mes amis Vuillard, Roussel et Bonnard.“ Zit. nach: Hautecoeur, Louis: Maurice Denis et Genève, in: Le Journal de Genève, 25./26. Juli 1959. Originalzitat Maurice Denis: „Je visite, sous la conduite de M. Avenol et de M. Hoden, l’immense palace, d’un luxe matériel inouï. Marbres et bois précieux, tout le confort moderne. Presque pas d’œuvres d’art. La Salle du Conseil éclate au milieu de ce bâtiment inachevé et sans vie. Sert, avec ses camaïeux sur fond d’or, son imagination à la Gustave Doré, son goût baroque, a su réussir un bel ensemble.” Zit. nach: Denis 1959, S. 190. Vgl. Pallas 2001, S. 216. Vgl. ebd., S. 190. Vgl. hierzu den Lexikonbeitrag von Hans-Martin Kaulbach zum Thema Friede, in: Fleckner, Uwe/ Warnke, Martin/Ziegler, Hendrik: Handbuch der politischen Ikonographie, Bd. 1, München 2011, S. 381 ff.

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klassische Bildthema, das die positiven Auswirkungen des Friedens auf alle menschlichen Lebensbereiche herausstellte, sollte dazu beitragen, die vier künstlerischen Positionen zu vereinheitlichen.110 Die Künstler begannen ihre Auftragsarbeit nicht vor Ende des Jahres 1937, da sie allesamt bei der Weltausstellung in Paris verpflichtet waren.111 Sie führten die Wandbilder nicht vor Ort aus, sondern in ihren Ateliers. Dort übertrugen sie die Entwürfe auf riesige Leinwände, die am 15. August 1938 in Marouflage-Technik auf die Wände des Versammlungssaales aufgeleimt wurden. Dort schmückten sie die Wandflächen über den vier Eingangstüren zum Saal. Die Türen mussten in allen vier Arbeiten als integrale Bestandteile der Bilder berücksichtigt werden. Die beiden Friedensallegorien von Maurice Denis (Pax in virtute tua) und Ker-­ Xavier Roussel (Pacis alumna Ceres) weisen kaum Gemeinsamkeiten mit der während ihrer symbolistischen Phase entwickelten, stimmungsgeladenen und geheimnisvollen Malweise auf. Beide Maler orientierten sich vielmehr an einem vordergründigen, figürlichen Realismus.112 In beiden Wandbildern thront die Personifikation des Friedens in der oberen Bildhälfte als weibliche Gestalt auf einer Wolke. Bei Denis (Abb. 61) triumphiert sie als römische Friedensgöttin über einer mauerumfriedeten antiken Stadt. In ihren Händen, die sie zu einem segnenden Gestus ausbreitet, hält sie einen Lorbeerzweig. In der unteren Bildhälfte gruppiert der Künstler mehrere Figuren in antiken Gewändern, die die positiven Auswirkungen des Friedens auf Landarbeit, Handwerk und Kultur symbolisieren. Roussel stellt seine fruchtbarkeitbringende Göttin Ceres als engelhaftes Wesen mit Flügeln dar (Abb. 62). Sie markiert, ähnlich einer barocken Himmelsschau, den Endpunkt einer mächtigen Dreieckskomposition. Diese setzt sich aus drei zeitgenössisch gekleideten Bauernfiguren zusammen, die von Ceres die Segnung ihrer eingeholten Ernte erbitten. In beiden Werken gründen die allegorischen Bildaussagen auf großen, ins Monumentale gesteigerten Gesten. Ganz anders verhält sich die Arbeit des Nabis-Kollegen Édouard Vuillard (Abb. 63). Er betonte vor allem den Tiefenraum seiner Komposition. Zwar zeichnet sich auch in seinem Wandbild die weibliche Friedensgestalt als Himmelserscheinung christlicher Bildprägung ab. Der eigentliche Bildraum öffnet sich jedoch zentralperspektivisch als düsterer Wald, in dem neun Musen als elfenhafte Wesen in kleinen Einheiten gruppiert sind. Vuillards vibrierende Malweise und seine dem Symbolismus verpflichtete Bildstruktur trägt dem mystischen Charakter des Bildgeschehens Rechnung. Eine eigenständige Bildlösung fand auch der wesentlich jüngere und unerfahrene Roger Chastel (Abb. 64). Auch er lässt im oberen 110 Vgl. Denis 1959, S. 190. 111 Vgl. Pallas 2001, S. 220. 112 Bei Denis ergibt sich diese Kompositions- und Malweise aus einer intensiven Beschäftigung mit christlichen Bildzusammenhängen. Gemeinsam mit Georges Desvallières gründete er 1919 die Werkstätten der sakralen Kunst (Ateliers d’art sacré) und stellte sein Schaffen bewußt in den Dienst der katholischen Kirche. Vgl. hierzu Gamboni, Dario: „Die moderne Kunst taufen?“ Maurice Denis und die religiöse Kunst, in: Ausst.-Kat. Köln 1994, Wallraf-Richartz-Museum: Maurice Denis 1870–1943, S. 75–93.

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61  Maurice Denis, Pax in virtute tua, Wandbild im großen Konferenzsaal, 1938, zerstört

Bildraum seine Friedensbringerin als eine mit Blumen geschmückte Fruchtbarkeitsgöttin in weißem Gewand über einem irdischen Geschehen wandeln. Sechs Engel begleiten sie und künden mit Posaunen triumphal ihre Ankunft an. Der untere Bildraum gibt den Blick frei in eine weite, durch sanfte Hügel geformte Landschaft. Diese wird von zahlreichen Figurengruppen geradezu übervölkert. Elternpaare und spielende, musizierende Kindergruppen stehen sich in einem unübersichtlichen Wechselspiel von Unbewegtheit und ständiger Aktion gegenüber. Bedeutungsperspektivische Größen­ verschiebungen erzeugen große Unruhe. Dadurch vermeidet der Künstler jenes statische Moment, das die Bilder von Denis und Roussel dominiert. Chastels Wandbild erinnert aufgrund eines fast unübersichtlichen Detailrealismus eher an ein altniederländisches Altarretabel.

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62  Ker Xavier Roussel, Pacis alumna Ceres, Wandbild im großen Konferenzsaal, 1938, zerstört

Insgesamt zeugt das Zusammenspiel der vier Wandbilder von einem figürlichen und kompositorischen Konservatismus. Anders als José Maria Sert, der zeitgenössische Bild­themen in eine monumentale Bildsprache zu übersetzen suchte, blieben die Nabis-Künstler mit den Friedenspersonifikationen einer akademischen Bildsprache verpflichtet. Sie traten teilweise sogar hinter die formalen Errungenschaften ihrer symbolistischen Phase der 1890er Jahre zurück. Inwieweit die alternden Nabis-Künstler einen Aktualitäts­a nspruch für ihre Wandbilder proklamierten, lässt sich nicht nachvollziehen. Aus heutiger Sicht erscheinen die im Versammlungssaal platzierten Arbeiten symp­tomatisch für eine in den 1930er Jahren als solide empfundene Bildauffassung. Dieser Tendenz entspricht die gesamte Architektur des Völkerbundpalastes. So verwundert auch nicht, dass die Wandbilder bereits 1960, also nur 22 Jahre nach ihrer Entstehung, im Zuge der ersten Gebäudesanierung wieder entfernt wurden. Als Gründe

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63  Edouard Vuillard, Pax musarum nutrix, Wandbild im großen Konferenzsaal, 1938, zerstört

führten die zuständigen Architekten Eugène Beaudouin, Jacques Carlu und Carlo Broggi akustische Probleme im Versammlungssaal an. Ihrer Ansicht nach verstärkten sie den Hall in den konkav geschwungenen Ecken des Saales.113 Der Versammlungssaal musste nach der Renovierung ohne Kunstwerke auskommen und wirkt bis heute sachlich und nüchtern (Abb. 65). Das letzte anzuführende Kunstwerk stiftete die britische Regierung zur repräsentativen Gestaltung des großen Foyers des Ratssaals, ein mit Oberlicht ausgestatteter Raum von 300 m2 Fläche. Es handelt sich um ein dreiteiliges monumentales Marmor­relief des englischen Bildhauers Eric Gill (1882–1940). Gill, seinerzeit bekannt als Spezia­list für die Gestaltung öffentlicher Gedenktafeln und Denkmäler sowie sakraler Kunst, erhielt 113 Vgl. Pallas 2001, S. 236.

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64  Roger Chastel, Pax genitrix, Wandbild im großen Konferenzsaal, 1938, zerstört

im Januar 1935 vom britischen Außenministerium den Auftrag für die Anfertigung eines Reliefs mit explizit christlichen Bildinhalten.114 Vermutlich war Gill gerade aufgrund des religiösen Bezugs zahlreicher Arbeiten ausgewählt worden. Das Bildthema wurde dem Künstler allerdings nicht freigestellt. Gill diskutierte gemeinsam mit Regierungsvertretern mögliche Darstellungen, etwa die Gestalt von Christus, der die Geldwechsler aus dem Tempel vertreibt, oder die Figur des guten Samariters.115 Die Entscheidung fiel schließlich auf die Erschaffung des Menschen, ein universelleres Motiv, das auch in anderen monotheistischen Religionen Gültigkeit besitzt und vermutlich deswegen für die internationale Staatengemeinschaft geeigneter erschien.

114 Vgl. Collins, Judith: Eric Gill: Sculptures, London 1992, S. 118. 115 Vgl. ebd.

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65  Genf, Völkerbundpalast, Großer Konferenzsaal im Jahr 2012

66  Eric Gill, Erschaffung des Menschen, Marmorrelief, 1936, Foyer des Konferenzsaals im Völkerbundpalast

Gill gestaltete drei Marmorreliefs, die in Form zurückgesetzter Nischen in eine mit hellem sandfarbenem Kalkstein verkleidete Lobby eingepasst wurden (Abb. 66, 67, 68): das zentrale, aus elf Marmorplatten bestehende Relief (9,25 m x 2,5 m) zeigt eine unbekleidete männliche Figur, die sich aus einer liegenden Position heraus aufzurichten scheint. Ihren linken Arm reckt sie in empfangender Haltung der Hand Gottes entgegen, die ihm aus einem stilisierten Wolkenvorhang heraus entgegen gereicht wird. Obwohl

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67  Eric Gill, linkes Marmorrelief, 1936, Foyer des Konferenzsaals im Völkerbundpalast

68  Eric Gill, rechtes Marmorrelief, 1936, Foyer des Konferenzsaals im Völkerbundpalast

an den rechten oberen Bildrand verlegt, hält der Künstler mit den sich sachte berührenden Fingerspitzen denjenigen Moment fest, in dem Gott dem Menschen Leben und Geist einhaucht. Dominiert wird der Bildraum, abgesehen vom reduzierten männlichen Körper, überwiegend durch die gehauenen Schriftzüge, die in Größe und farblicher Fassung variieren. So leitet Gill sein ‚Schriftbild‘ in kleinen Lettern mit einer existentiellen Seinsfrage aus der Genesis ein: „Quid est Homo, quod memor es ejus?” (was ist der Mensch, nach welchem Bild ist er geschaffen?). Die Antwort am oberen Bildrand ist in leuchtendem Rot gefasst und lautet: „Ad imaginem Dei creavit illum“, (Genesis, I, v. 27). An diese Botschaft religiösen Weltverständnisses schließt der Künstler ein säkulares Glaubensbekenntnis an. So rahmen den Reliefkörper zu beiden Seiten Zeilen aus dem Gedicht The Wreck of the Deutschland des englischen Schriftstellers Gerard Manley Hopkins: „Thou mastering me, God, giver of breath and bread. World’s strand, sway of the sea, Lord of the living and the dead. Over again I feel thy finger and find thee.” („Du führst mich, Gott, Spender des Atems und des Brotes, Strand der Welt, Macht des Meeres, Herr der Lebenden und der Toten. Wieder einmal spüre ich deinen Finger und finde dich.“). Diese Worte stehen wiederum in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Handmotiv, das Michelangelos Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle entlehnt ist. Schrift und Bild wirken als gleichberechtigte Teile nebeneinander und ergänzen sich zur gewichtigen Glaubensbotschaft, die die Zuversicht des Menschen in Gott zum Ausdruck bringt. Ähnlich verhält es sich bei den beiden seitlichen Reliefs: die linke Platte zeigt sieben nackte Figuren, die sich mit vorwärtsdrängender Geschwindigkeit nach rechts in Richtung der zentralen Reliefplatte bewegen. In großen roten Buchstaben stellt Gill ihnen eine Bildaussage zur Seite: „Nos autem populus ejus et oves pascuae ejus“ („Aber wir sind sein Volk und die Schafe seiner Herde“). Spiegelbildlich dazu zeigt die rechte Reliefplatte mehrere Wildtiere – einen Hasen, zwei Löwen, ein Reh, einen Fuchs – die ebenfalls zum zentralen Bild hin ausgerichtet sind. Begleitet werden sie von einem

Der Völkerbundpalast in Genf     | 247

durch Wolken und Blitzschläge geäußerten Gewitter und den Worten: „Constituisti eum super opera manuum tuarum“ („Du hast ihn gestellt über die Werke deiner Hände“). Gills Arbeit manifestiert nicht nur ein Bekenntnis zum Glauben. Sie verweist darüber hinaus auf die von Gott auf den Menschen übertragene Verantwortung für alles irdische Geschehen. Der Völkerbund, so die Botschaft des Reliefs, möge sich dieses universellen Moments göttlichen Vertrauens bei all seinen Entscheidungen besinnen. Künstlerische Bezugspunkte von Gills vereinfachter Bildsprache sind einerseits in Reliefs romanischer Kirchenportale zu sehen, andererseits wurzeln Stilisierungsmomente und die Betonung kunsthandwerklicher Fähigkeiten in der Arts and Crafts Bewegung, der er sich verbunden fühlte. Mit dieser emblematischen Glaubensallegorie fand einmal mehr eine sehr traditionelle, der Denkmalkunst des 19. Jahrhunderts verpflichtete Kunstform den Weg in den Völkerbundpalast.

Das UN-Hauptquartier in New York

Der Völkerbund erreichte sein politisches Ziel einer dauerhaften diplomatischen Friedenssicherung zwischen den Mitgliedsstaaten nicht. Weder die Invasion Japans in die Mandschurei 1931 noch den Eroberungskrieg Italiens in Abessinien 1936/1937, dem heutigen Äthiopien, konnte die Staatengemeinschaft durch sicherheitspolitische Lösungsstrategien verhindern. Die Arbeit des Völkerbundes in den 1930er Jahren litt an einer politischen Desillusionierung, die letztendlich seine Handlungsfähigkeit einschränkte.116 Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 war sein Scheitern besiegelt. Er existierte bis April 1946 lediglich formal. An der politischen Idee einer Weltfriedensorganisation hielt die internationale Staatengemeinschaft jedoch trotz oder vielleicht gerade aufgrund erneuter schrecklicher Kriegserfahrung und weltweit zerstörerischer Auswirkungen fest. Mit der Gründung der Vereinten Nationen am 25. April 1945 in San Francisco und neuen politischen Instrumentarien – dem UN-Sicherheitsrat, dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), dem internationalen Gerichtshof und dem Treuhandrat – schien eine neue Weltorganisation auf einer fundierteren Basis ins Leben gerufen.117

Standortwahl und frühe Planungsphase Bereits zu jenem frühen Zeitpunkt im April 1945 befasste sich eine Kommission mit der Frage nach einem dauerhaften Sitz der Vereinten Nationen. Zahlreiche Mitgliedsstaaten sprachen Einladungen aus und hofften auf die prestigeträchtige Möglichkeit, Gastgeber­ 116 Vgl. Blätte, Andreas: Geschichte, Struktur und Gegenwart der Vereinten Nationen, in: Herz, Dietmar/Jetzlsperger, Christian/Schattenmann, Marc (Hg.): Die Vereinten Nationen. Entwicklung, Aktivität, Perspektiven, Frankfurt a. M. 2002, S. 18. 117 Dem Gründungsakt gingen wichtige Verhandlungen voraus. So trafen sich bereits im August 1941 Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill zu Gesprächen über eine internationale Nachkriegsordnung und hielten ihre Standpunkte in der Atlantikcharta fest. Die Alliierten Streitkräfte unterzeichneten am 1. Januar 1942 die sogenannte Erklärung der Vereinten Nationen. Bei den von den USA vorbereiteten Konferenzen im Oktober 1944 in Dumbarton Oaks und im Februar 1945 in Jalta erarbeiteten die USA, Großbritannien, die UdSSR und China gemeinsam einen Entwurf für eine UN-Charta. Vgl. Blätte, in: Herz/Jetzlsperger/Schattenmann 2002, S. 20 ff.

Das UN-Hauptquartier in New York

Das UN-Hauptquartier in New York     | 249

land zu werden.118 Großbritannien und Frankreich führten ein Bündnis an, das aus politischen wie pragmatischen Gründen erneut Genf als zukünftigen Sitz der Staaten­ gemeinschaft favorisierte. Nicht nur die Neutralität der Schweiz, so argumentierten die Bündnispartner, sondern auch deren zentrale Lage führten langfristig zu einer Stabilisierung des Krisenherds Europa. Zudem könnte der Völkerbundpalast weiterhin benutzt werden.119 Die Blockstaaten USA und UdSSR hingegen plädierten für die Vereinigten Staaten als Gastgeberland. Der Vorschlag, den Sitz der internationalen Staatengemeinschaft erneut in Europa anzusiedeln, wurde schließlich mit einer knappen Mehrheit von 25 zu 23 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt. Den USA als Gastgeberland stimmten hingegen 30 von 50 Stimmen bei 14 Gegenstimmen und sechs Enthaltungen zu.120 Die UdSSR bevorzugte einen Ort an der amerikanischen Westküste, etwa San Francisco, vermutlich um den US-amerikanischen Einfluss in Europa einzudämmen.121 So erhielt zunächst eine eigens eingerichtete Interim Headquarters Committee Inspection Group den Auftrag, verschiedene Baugelände in Crystal Springs bei San Francisco, aber auch in Framingham, der North Shore Area und den Blue Hills bei Boston in Massachusetts, begutachten zu lassen. Auch der außerhalb New Yorks gelegene Flushing Meadow-Parc, ehemaliger Schauplatz der Weltausstellung von 1939, wurde als mögliches Baugrundstück in Betracht gezogen.122 Diese Geländeoptionen wurden jedoch während der ersten Generalkonferenz im Februar 1946 wieder verworfen. Gründe hierfür ließen sich lediglich aus den verschiedenen, zumeist von US-amerikanischen Ingenieuren angefertigten Expertengutachten herauslesen, die schlechte Bodenbeschaffenheit, mangelhafte Infrastruktur oder Ähnliches feststellten und von einem Ankauf abrieten.123 Die erste Generalversammlung nahm eine Resolution an, die sowohl den vorläufigen Sitz der Vereinten Nationen als auch ein dauerhaftes Hauptquartier in die Nähe von New York City verlegte.124 In den Jahren 1946 bis 1951 arbeitete das UN-Sekretariat in Lake Success, einer kleinen Gemeinde außerhalb der Millionenstadt. Die Vollversammlungen fanden im Hunters College statt, einem ehemaligen Mädchengymnasium in der städtebaulich wenig entwickelten Bronx.

118 Eine von den Vereinten Nationen im Jahr 1948 publizierte Broschüre mit dem Titel Planning the United Nations Permanent Headquarters faßt die wichtigsten Stationen der frühen Planungsphase zusammen. Vgl. UN-Archiv, S-0542-0106-Headquarters Planning. 119 Vgl. Tetlow, Edwin: The United Nations. The first 25 Years, London 1970, S. 42 f. 120 Vgl. ebd., S. 44. 121 Vgl. ebd., S. 43. 122 Vgl. zu den fünf Gutachten UN-Archiv, S-00542-0049. 123 Vgl. ebd. 124 Die den Hauptsitz der Vereinten Nationen betreffenden Resolutionen wurden vom sogenannten Permanent Headquarters Committee vorbereitet. Vgl. Resolutions adopted on the Report of the Permanent Headquarters Committee, A/RES/25(II), 14. 2. 1946. Dort heißt es: „The interim headquarters of the United Nations shall be located in New York City.” Zit nach: http://www.un.org/ depts/dhl/resguide/r1.htm, zugegriffen am 7. 12. 2011.

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Die UN-Generalversammlung richtete zwei für den Bau verantwortliche politische Gremien ein. Zunächst sollte sich die sogenannte Permanent Headquarters Commission um ein geeignetes Baugrundstück kümmern. Zusammengesetzt war diese Kommission aus neun Vertretern der Mitgliedsstaaten Australien, Uruguay, China, Frankreich, dem Irak, den Niederlanden, Großbritannien, der UdSSR und Jugoslawien.125 Zwei konkrete Orte in der Nähe New Yorks wurden hierfür in Erwägung gezogen und zwar der im Südosten des Bundesstaats New York gelegene Landkreis Westchester County sowie der im Bundestaat Connecticut gelegene Landkreis Fairfield County.126 Die Aufgabe der Headquarters Commission bestand darin, umfassende Studien für beide Orte anzufertigen und Kostenkalkulationen für sämtliche verfügbaren Grundstücke in den Größen 2, 5, 10, 20 und 40 Quadratmeilen zu erstellen. Die Kommission sollte ferner in Verhandlungen mit Bundes-, Staats- und Kreisbehörden eintreten, und zwar hinsichtlich regionalplanerischer Entwicklungsmöglichkeiten. Bereits zur nächsten Sitzung der Generalversammlung im November 1946 erwarteten die UN-Mitgliedsstaaten eine detaillierte Bauempfehlung.127 Das zweite Gremium, das sogenannte Headquarters Advisory Committee, das sich aus Vertretern der Mitgliedsstaaten Australien, Belgien, Kanada, China, Großbritannien, Kolumbien, Frankreich, Griechenland, Indien, Norwegen, Polen, Syrien, der UdSSR, den USA und Jugoslawien zusammensetzte, unterstand dem Generalsekretär. Seine Aufgabe bestand darin, diesen in sämtlichen Fragen bezüglich der tatsächlichen Raumbedürfnisse der UN zu beraten.128 Diese betrafen nicht nur das zukünftige Hauptquartier, sondern auch die Unterbringung aller UN-Angestellten in finanzierbarem Wohnraum in und um New York. Die in Folge der Resolutionen von 1946 auf verschiedenen hierarchischen Ebenen durch eine Vielzahl von Akteuren einsetzenden Handlungsschritte sind nur schwer in chronologischer Folge nachzuvollziehen. Die Aktenbestände im Archiv der Vereinten 125 Vgl. United Nations, XVI. Resolutions adopted on the Proposals of the General Committee, RES 26(I) b). Dort heißt es: „The General Assembly decides to establish two ad hoc Committees as follows: a) League of Nations Committee to consider the possible transfer of certain functions, activities and assets of the League of Nations; b) Permanent Headquarters Committee to consider the site of the permanent headquarters of the United Nations. Each Member will have the right to be represented on each of these two Committees. Eighteenth plenary meeting, 26. 1. 1946.” Zit. nach: Hompage der Vereinten Nationen: Resolutions adopted by the General Assembly at its 1st session, A/RES/26. Zit. nach: http://www.un.org/depts/dhl/resguide/r1.htm, zugegriffen am 7. 12. 2011. 126 Vgl. United Nations, XV. Resolutions adopted on the Report of the Permanent Headquarters Committee, 25(I), Question of the Headquarters of the United Nations, 33rd plenary meeting, 14. February 1946. Hompage der Vereinten Nationen: Resolutions adopted by the General Assembly at its 1st session, A/RES/25, http://www.un.org/depts/dhl/resguide/r1.htm, zugegriffen am 7. 12. 2011. 127 Vgl. ebd., RES 25.(I). c + d. 128 Vgl. Resolution adopted on the Report of the permanent Headquarters Committee, 14. 12. 1946, A/RES/100 (I), www.un.org/depts/dhl/resguide/r1.htm., (zugegriffen am 7. 12. 2011).

Das UN-Hauptquartier in New York     | 251

Nationen spiegeln symptomatisch eine durch enormen Zeitdruck geprägte, unübersichtliche Anfangssituation wider. Neben den beiden Gremien Permanent Headquarters Committee und Headquarters Advisory Committee entstanden zahlreiche Sonder- und Unterkommissionen.129 Die oftmals in mehreren Gremien agierenden Akteure – Delegierte der Vereinten Nationen, externe Experten sowie Vertreter städtischer Behörden – arbeiteten teilweise an den gleichen oder an ähnlichen Problemstellungen, so dass aus der Rückschau häufig der Eindruck mangelnder Koordination entsteht. Die Permanent Headquarters Commission (im Folgenden auch Hauptquartier­ kommission) führte das ganze Jahr 1946 über intensive Verhandlungen mit Bürgermeistern und Vertretern der Kommunen aus Westchester County sowie deren regionalen Städtebau- und Planungsämtern. Gemäß der Resolution prüften sie die Baubedingungen für unterschiedlich große Gelände (2, 5, 10, 20 und 40 Quadratmeilen) in der Nähe der Städte Harrison, North Castle, Rye, White Plains, Portchester, Fairfield und ­Greenwich.130 Dabei ging es nicht nur um die Bewertung der Standorte nach geologischen Gegebenheiten, gesetzlichen Baurestriktionen, Verkehrsanbindung oder Grundstückspreisen. Vielmehr standen umfangreiche städteplanerische Entwicklungsmöglichkeiten der betroffenen Kommunen im Vordergrund. Immerhin sollten in den kommenden Jahren etwa 30.000 UN-Angestellte mit ihren Familien in Westchester County angesiedelt werden. Dies setzte vor allem eine funktionierende Infrastruktur hinsichtlich Schulen, medizinischer Versorgung, Kirchen, Arbeitsplätzen, Einkaufsmöglichkeiten und Freizeit­gestaltung voraus. Hinzu traten soziologische Überlegungen etwa zur Sozial­ verträglichkeit der bestehenden Gemeinden mit den UN-Angestellten. So wurde in einem Falle bekannt, dass eine Gemeinde, die Shanersrock Colony, den Bestrebungen der UN feindlich gegenüber stand, so dass ein angrenzendes und als günstig eingeschätztes Gelände verworfen werden musste.131

Exkurs: Le Corbusiers Vorschläge für das zukünftige UN-Hauptquartier Einfluss auf diese frühe Planungsphase nahm nachweislich Le Corbusier. Im Frühjahr 1946 nominierte ihn die französische Regierung zum offiziellen Berater des sogenannten Site Selection Committee. Sein Wirken innerhalb dieses Gremiums ist leider nicht durch Sitzungsprotokolle dokumentiert. Dennoch hinterließ der moderne Architekt und Städteplaner markante Spuren im Planungsprozess der Vereinten Nationen. So etwa 129 Die Headquarters Commission mit ihrem Vorsitzenden Sir Angus Fletcher, unterhielt eine eigene Planungskommission, das sogenannte Headquarters Planning Stuff, die wiederum selbst Unter­ komitees für verschiedene Aufgabenbereiche delegierte, etwa das Site Selection Committee oder das Site and General Questions Commitee. 130 Vgl. Protokolle der Headquarters Commission vom 22. 8.–26. 8. 1946, UN-Archiv, S-0542-0046-­ Headquarters Planning. 131 Vgl. Bericht der Headquarters Commission, Verbatim Report vom 26. 8. 1946, S. 5, UN-Archiv, S-0542-0046-Headquarters Planning.

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in einem Zwischenbericht der Headquarters Commission an den Generalsekretär im Mai 1946.132 Darin beanstandete das Gremium, dass ihm zur Erfüllung der durch die Resolution angetragenen Aufgabe grundlegende Informationen, etwa ein umfassender Bedarfsplan der Vereinten Nationen, fehlten. Erst nach einer Analyse des Personenund Raumbedarfs sei es möglich, so der Bericht, Bautypen zu entwickeln und schließlich einen geeigneten Standort zu finden. Die Headquarters Commission erachtete vier Bedarfskategorien als maßgeblich: Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Kommuni­kation. Diese von Le Corbusier und den CIAM durch die Charta von Athen festgeschriebenen Prinzipien modernen Städtebaus tauchen in diesem Kontext unverhofft auf. Sie lieferten den UN-Politikern eine hilfreiche Systematisierung ihrer mit dem komplexen Planungsund Bauprozess verbundenen Problemfelder. In einem weiteren Kommissionsbericht findet Le Corbusiers Hilfe bei der Suche nach Unterkünften für die stetig wachsende Zahl von UN-Angestellten Erwähnung. Dort heißt es, die Kommission sei glücklich darüber, unter ihren Mitgliedern drei Persönlichkeiten zu haben, die über Erfahrungen in Architektur, Ingenieurwesen und Städtebau verfügten. 133 Gemeint waren Le Corbusier, der russische Architekt und UN-Abgeordnete Nicolai Bassov sowie der niederländische Architekt Jan de Ranitz. Unabhängig von den Arbeitsergebnissen seines Gremiums verfasste Le Corbusier ein eigenes Gutachten zu allen Standortoptionen des zukünftigen UN-Hauptquartiers.134 Dabei handelt es sich um eine pamphlet-ähnliche Streitschrift, die vehement für die Positionen des modernen Städtebaus warb, insbesondere den Bau einer Unité d’habitation. Sie wurde dem Abschlussbericht der Headquarters Commission als ein Annex-­ Dokument beigefügt und der Generalversammlung im Dezember 1946 vorgelegt.135 Auf 40 Seiten, zuzüglich mehrerer Skizzenblätter, eröffnete Le Corbusier darin in neun Kapiteln seine persönlichen Ideen zum zukunftsweisenden Bauprojekt der Vereinten Nationen. Er legte den Vereinten Nationen eine nach den städtebaulichen Grundsätzen der Charta von Athen orientierte Funktionsanalyse der zur Diskussion stehenden Gelände vor. Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Freizeitgestaltung bildeten dabei die Grundfesten moderner Lebensweise.

132 Vgl. Headquarters Commission: Questionnaire for Requirements, A/HQC/W14 vom 31. 5. 1946, UN-Archiv, S-0542-0106-Headquarters Planning. 133 Originalzitat: „The Commission is fortunate in having among its members three gentlemen having experience in architecture, engineering, and town planning (Messrs. Bassov, Corbusier and De Ranitz).” Zit. nach: Confidential Report of the Headquarters Commission of the United Nations to the Secretary-General, undatiert (vermutlich zwischen Mai und Juni 1946), S. 4, UN-Archiv, S-0542-0106-Headquarters Planning. 134 Im Archiv der Vereinten Nationen liegt lediglich eine englische Version des Berichtes vor. Vgl. Le Corbusier: Report vom 19. 6. 1946, UN-Archiv, S-0542-0186-United Nations interim and permanent site Headquarters records. Aussagen der Headquarters Commission zufolge, übersetzte Le Corbusier diesen Bericht selbst in die englische Sprache. Vgl. Verbatim Report vom 26. 8. 1946, UN-Archiv, S-0542-0046-Headquarters Planning, S. 7 ff. 135 Dies beschloss die Headquarters Commission in ihrer Sitzung am 26. 8. 1946. Vgl. ebd.

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Unter dem Aspekt des Wohnens unterschied Le Corbusier zunächst zwei Kategorien von UN-Angestellten, a) die Festangestellten (The Permanent) und b) die Angestellten auf Zeit (The Transient). Die Festangestellten mit Familien und Kindern bedurften eines umfassenden und dauerhaften Wohn- und Lebenskonzepts unter Berücksichtigung 1. natürlicher Bedingungen, wie Sonne, Raum und Grünanlagen, 2. schneller Transportmittel zur Arbeit, 3. einer Infrastruktur (ärztliche Dienste, Kindergärten, Schulen, Jugendclubs), 4. Sportplätzen, 5. ausreichender Privatsphäre durch gute Schall­ isolierung, 6. Möglichkeiten intellektueller Weiterbildung, sowie 7. Einrichtungen zur Förderung kollektiver Werte. Die Bedürfnisse der Angestellten auf Zeit hingegen richteten sich auf 8. kleine Appartements, 9. Clubs, 10. Sportplätze, 11. kontaktschaffende Instanzen, 12. Interkontinentale Transportmittel sowie 13. ein Minimum an Zeitverlust bei täglichen Aktionen.136 Le Corbusier lieferte eine detaillierte Analyse der zur Verfügung stehenden Gelände unter Berücksichtigung eben dieser 13 Aspekte. Demzufolge erachtete er die Stadt New York als gänzlich ungeeignet für die Angestellten der UN: „New York ist eine furchteinflößende Stadt. Für uns ist sie bedrohlich. Wir liegen nicht falsch, sie auf Abstand zu halten.“137 Die sogenannten Palisades, ein jenseits der Washington Bridge gelegenes und bislang städtebaulich wenig entwickeltes Viertel, erfüllte hingegen die meisten Kriterien. Ebenso das Gelände der Flushing Meadows. Am ehemaligen Weltausstellungsareal kritisierte er jedoch, dass es eher als unbedeutender Vorort von New York verstanden werden könnte und deswegen ungeeignet sei. Schließlich müsse das neue Hauptquartier ausstrahlen, so Le Corbusier. Dies könne es nicht, wenn es von Manhattan flankiert würde.138 Die Region Westchester in New York County lehnte er mit der Begründung, am „Ende der Welt“ zu liegen, schlichtweg ab.139 Ins Schwärmen geriet Le Corbusier bei der Vorstellung einer UN-City in Fairfield County, der Region um die Städte White Plains, Greenwich und Round Hills in Connecticut. In eine natürliche Landschaft eingebettet und mit einer ausgezeichneten Zug- und Flughafenanbindung nach New York bot es sowohl Möglichkeiten zum Bau von Wohnungen aber auch zum Bau eines UN-Hauptquartiers. Der Organisation des Verkehrs – ein wesentlicher Aspekt der Charta von Athen – räumte Le Corbusier in seinen Ausführungen erstaunlicherweise nur wenig Raum ein. Er trat lediglich bei der Bewertung der Gelände vor dem Hintergrund ihrer Anbindung an moderne Verkehrsmittel in Erscheinung. Der Schwerpunkt seiner Ausführungen lag eindeutig auf der planerischen Umsetzung der Wohnungsfrage. Diese könne einzig durch die Architekturform der Unité d’Habitation gelöst werden. Seine „vertikale Gartenstadt“ pries er bei den Vereinten Nationen

136 Vgl. ebd., S. 14. 137 Originalzitat Le Corbusier: „New York is a terrifying city. For us, it is menacing. We are not wrong in keeping at a distance.” Zit. nach: Le Corbusier: Report vom 19. 6. 1946. UN-Archiv, S-05420186-United Nations interim and permanent site Headquarters records, S. 15. 138 Vgl. ebd., S. 16. 139 Vgl. ebd., S. 17 ff.

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69  Le Corbusier, Skizze für den Bau von sechs Unité d’Habitations für die Vereinten Nationen, aus seinem UN-Report von 1946

70  Le Corbusier, Skizze mit mehreren Gebäudetypen für den Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York, aus seinem UN-Report von 1946

als „Geschenk moderner Technik“140 an. So befreie die Unité als „Phänomen einer architektonischen Synthese“ die Hausfrau von täglichen Arbeiten und Diensten. Durch die Verteilung von Alltagsfunktionen (Kinderbetreuung, Schule, Wäschedienste, Einkaufsmöglichkeiten) befriedige sie individuelle wie kollektive Bedürfnisse. Sie organisiere das Wohnen in einer bevorzugten Umgebung sowohl für die Familien der UN als auch für die Zeit­angestellten in integrierten Hotels.141 Seinen Ausführungen fügte Le Corbusier mehrere Skizzen bei. Dabei verglich er den Flächenbedarf der UN für eine „horizontale Garten­stadt“ für 10.000 Einwohner mit dem von sechs Unités (Abb. 69). Letztere benötig­ten lediglich eine Fläche von 25 Hektar und waren der aus Reihenhäusern bestehenden Garten­stadt mit 200 Hektar weit überlegen. Den für die UN und ihren zukünftigen Hauptsitz zentralen Aspekt des Arbeitens behandelte Le Corbusier in seinem Bericht weniger ausführlich. Skizzenhaft entwarf er die Bauten für die Organe der Vereinten Nationen – Sekretariat, Generalversammlung, die Räte und Kommissionen – auf einer quadratischen Fläche (Abb. 70). Dabei ordnete er

140 Vgl. ebd., S. 22. 141 Vgl. ebd.

Das UN-Hauptquartier in New York     | 255

14 in Größe und Form variierende Gebäudegrundrisse an. Eigenen Erklärungen zufolge handelte es sich bei dem Gebäudekomplex um „eine große quadratische Masse“142. Prinzipiell sah er für das Sekretariat die Notwendigkeit gegeben, „genügend Arbeitsraum mit guten Lichtverhältnissen, ausreichendem Schutz vor der Sommersonne bei gleichzeitiger Ausnutzung der Wintersonne und viel Ruhe“143 anzustreben. „Einfache Kontakte, schnelle und direkte Kommunikation, sofortige Orientierung“ sollten durch eine gute Infrastruktur allgemeiner Dienste (Post, Telegraphenabteilung, Radio, Stenographenbüro, Archive, Druckereien) gewährleistet werden. Für das Sekretariat entwarf er ein auf Pilotis ruhendes 15-stöckiges Scheibenhochhaus: Kein Zögern ist möglich: Ein einziges Bürogebäude beantwortet die Frage. […] Die exakte Biologie eines Bürogebäudes kann heute umfassend definiert werden. Im Falle des Sekretariates der Vereinten Nationen sollte ein Modell vorgeschlagen werden.144

Einen zweiten Schwerpunkt legte Le Corbusier auf die Freizeitgestaltung der UN-Angestellten.145 Für die ausgewogenen Lebensgewohnheiten moderner Menschen erschienen ihm Angebote zur körperlichen wie geistigen Ertüchtigung notwendig. Unter den Schlagworten Physical Culture und Culture of Mind entwarf er konkrete Orte, die sowohl den Wohnanlagen als auch dem UN-Komplex angegliedert waren. So verfügte seine Unité d’Habitation über Innen- und Außenanlagen für Tennis und Basketball, für Schwimmbäder und Rennstrecken. Einrichtungen wie Kinos, Theater, Museen und Bibliotheken sollten allen Altersgruppen Zugang zu kultureller Bildung verschaffen können. An dieser Stelle brachte Le Corbusier die bereits auf Seite 75 thematisierte Utopie eines Mundaneums vor, die er seit 1927, angeregt durch Paul Otlet und dessen Projekt einer Welt­bibliothek, verfolgte. Dieses könnte 1. eine Dauerausstellung weltweiten Städtebaus, 2. ein Weltinstitut des Rechts, 3. eine Weltbibliothek und 4. ein Welt­ museum beinhalten. Als Bautyp führte er erneut sein bereits seit 1930 geplantes und immer noch nicht realisiertes Musée à croissance illimité an.146 Zuletzt betonte Le Corbusier unter dem Punkt Site Control, inwiefern seine Ausführungen deutlich machten, dass unter diesen städtebaulichen Voraussetzungen (Unité d’Habitation und quadratischer UN-Campus) die von den UN fokussierte Frage nach der notwendigen Geländegröße unerheblich würde. Viel wichtiger als das Gelände sei, so Le Corbusier, die Ermittlung der Arbeitsabläufe und der Wohnbedürfnisse. Mit der 142 Originalzitat Le Corbusier: „This important building, housing the Assembly, Councils and Commissions, will be a vast and regular quadrilateral mass.” Zit. nach: ebd., S. 28. 143 Vgl. ebd., S. 24. 144 Originalzitat Le Corbusier „No hestitation is possible: A single office building answers the question. […] The exact biology of an office building is entirely definable today. In the case of the Secretariat of the United Nations, its model should be proposed.” Zit. nach: ebd., S. 26. 145 Damit knüpfte er thematisch an den CIAM-Kongress von 1937 in Paris an, der unter dem Titel Logis et Loisir neben dem Aspekt des Wohnens vor allem die Freizeitgestaltung in den Blick nahm. Vgl. Mumford 2000, S. 104 ff. 146 Vgl. Le Corbusier: Report vom 19. 6. 1946. UN-Archiv, S-0542-0186-United Nations interim and permanent site Headquarters records, S. 31 ff.

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von ihm aufgezeigten Methode könnten in großer Schnelligkeit vorläufige Architekturpläne und ein Raummodell ermittelt werden, das sich wiederum auf fast jedem Gelände umsetzen ließe.147 An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass Le Corbusier mit seinem Bericht weniger eine nützliche Geländeempfehlung aussprach, sondern vielmehr ein persönliches Angebot an die Vereinten Nationen formulierte. Dieses bestand in einer visionären Position zeitgenössischen Städtebaus. Vor allem die Unité d’Habitation rückte er dabei ins Zentrum seiner Überlegungen. Ein Jahr später, als die Entscheidung für New York als Hauptsitz der UN längst gefallen war und Le Corbusier im internationalen Architektenteam mitwirkte, veröffentlichte er seinen Bericht in erweiterter Form (er fügte fünf Anhänge und einen Epilog hinzu und revidierte darin seine negative Beurteilung zur Ortswahl Manhattan) in einem New Yorker Verlag.148 Welchen Eindruck Le Corbusiers Dossier bei den UN-Delegierten hinterließ, lässt sich kaum ermitteln. Aus einem Protokoll der Headquarters Commission geht jedoch eindeutig hervor, dass sich die Mitglieder sowohl mit seinen sprunghaft formulierten Visionen als auch mit seinen polarisierenden Definitionen schwer taten. Aus diesem Grund beschloss das Gremium den Bericht unkommentiert ihrem eigenen Abschlussbericht für die Generalversammlung beizufügen.149

Das New York Committee for the UN Sowohl Le Corbusiers persönliche Geländeempfehlung als auch sein Vorschlag zum Bau einer Unité d’Habitation blieben unberücksichtigt. Das Gewicht einflussreicher ameri­ kanischer Kräfte wog schwerer. Der amtierende Bürgermeister New Yorks, William O’Dwyer, etablierte im Frühjahr 1946 unter der Leitung des Architekten Robert Moses, seinerzeit der einflussreichste Stadtplaner und amtierender Commissioner of Parcs, das sogenannte New York Committee for the UN, um nach einer dauerhaften Lösung für den Sitz der Vereinten Nationen in der amerikanischen Weltmetropole zu suchen. Zu seinen Mitgliedern zählten zum einen prominente Persönlichkeiten der Stadt, etwa der junge Nelson A. Rockefeller (Enkel des Ölmagnaten und Mitarbeiter im amerikanischen Außenministerium), Winthrop W. Aldrich (Präsident der Chase National Bank) und ­A rthur Hays Sulzberger (Herausgeber der New York Times) sowie ­T homas J. ­Watson (IBM); zum anderen ein sogenanntes Board of Design, bestehend aus Architekten und Ingenieuren, darunter Wallace K. Harrison und Louis Skidmore. Auf Moses Vorschlag hin propagierte dieses New Yorker Komitee den am Stadtrand gelegenen Flushing Meadow-Parc, für den seit der Weltausstellung 1939 kein neues Nutzungskonzept vorlag. Im Oktober startete das einflussreiche Komitee eine groß­angelegte 147 Vgl. ebd., S. 37. 148 Vgl. Le Corbusier: UN-Headquarters, New York 1947. 149 Vgl. Headquarters Commission: Verbatim Report vom 26. 8. 1946, UN-Archiv, S-0542-0046-­ Headquarters Planning, S. 7 ff.

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­Pressekampagne. Moses veröffentlichte im New York Times Magazine einen mehrseitigen Artikel, in dem er die Weltmetropole als „natürliche und angemessene Heimat“150 für die Vereinten Natio­nen anpries. Schon der Aufmacher der Titelseite kündigte eine Architekturzeichnung an, die mit monumentalen Wasserkaskaden vor einem riesigen Kuppelbau den „Plan für eine Welthauptstadt“151 propagierte. New York sei, so Moses, aufgrund seiner eigenen multinationalen Zusammensetzung und der daraus resultierenden kosmopolitischen Atmosphäre sowie aufgrund seiner infrastrukturellen Zugänglichkeit (ein großer Hafen, mehrere Bahnhöfe und Flugzentren) dafür prädestiniert, Nationen aus Ost und West anzuziehen. Die Frage, ob ein geeignetes Gelände innerhalb oder außerhalb der City gelegen sein sollte, könne von niemandem besser als einem New Yorker Experten entschieden werden, so die selbstbewusste Ankündigung des Architekten. Im Folgenden gab Moses die Empfehlung an die UN, Midtown Manhattan wegen des Verkehrs und der hohen Preise nicht in Betracht zu ziehen. Zu dem am äußersten Stadtrand gelegenen Westchester enthielt er sich einer Wertung, wohlwissend, dass die Vereinten Nationen hier in Verhandlungen standen. Sein eigener Favorit, der Flushing Meadow-Parc, stand im Mittelpunkt des Artikels. Mehrere Architekturpläne führten die Umgestaltung des 350 Acre großen Geländes eindrucksvoll vor Augen. Dort sollte eine eigenständige „United Nation City“152, also ein völlig neuer Stadtteil für die Vereinten Nationen entstehen. Diese und weitere Bemühungen der UN die Park­ anlage schmackhaft zu machen, etwa durch einen eigens gedrehten Werbefilm oder ein großzügiges Schenkungs­angebot des Geländes durch die Stadt New York, scheiterten jedoch.153 Die UN-Vertreter lehnten die Flushing Meadows aufgrund zweier unabhängiger technischer Gutachten ab, die diesem ehemaligen Sumpfland eine äußerst ungünstige Bodenbeschaffenheit attestierten.154 Das New Yorker Komitee verstärkte daraufhin seine Bemühungen: Nelson ­Rockefeller versuchte seinen Vater John D. Rockefeller Jr. davon zu überzeugen, den Vereinten Nationen einen Teil des privaten Landbesitzes in Pocantico in Westchester County anzubieten, um die Vereinten Nationen zumindest in

150 Zit. Moses, Robert, in: The New York Times Magazine: „Natural and proper Home of the UN. Moses states the case for New York, and Flushing Meadows, as capital of the world.”, 20. 10. 1946, S. 9 ff. 151 Zit. nach: Titelseite des The New York Times Magazine, 20. 10. 1946. 152 Vgl. ebd., S. 9 f. 153 Von einem Werbefilm über die Flushing Meadows, den Wallace K. Harrison gemeinsam mit Nelson Rockefeller gedreht hatte, berichtet Victoria Newhouse in ihrer Biographie über Wallce K. Harri­ sion. Vgl. Newhouse, Victoria: Wallace K. Harrison, New York 1989, S. 110. Das Schenkungs­ angebot des Geländes an die Vereinten Nationen geht aus einem Brief der Rechtsanwälte Gleaces and Roseborough an Howard Menhinick, den Vorsitzenden des Headquarters Commission Planning Stuff, vom 15. 11. 1946 hervor. Vgl. UN-Archiv, S-00542-0049. 154 Die Gutachten wurden von den Ingenieuren Lazarus White und John P. Hogan angefertigt und der Headquarters Commission im November 1946 übersandt. Vgl. Lazarus White: Report of Flushing Meadow Site as United Nations Headquarters, 29. 11. 1946; vgl. John P. Hogan: Memorandum in Regard to Foundations Flushing Meadows Park, 8. 11. 1946, UN-Archiv, S-00542-0049.

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der Nähe New Yorks zu halten.155 Die drei E ­ xperten, Le Corbusier, der russische Architekt und UN-Delegierte Nicolai Bassov sowie der schwedische Architekt Abel Sorensen, wurden im Juli 1946 von der Familie Rockefeller zur Besichtigung des Familiengeländes aus der Luft eingeladen.156 Abel ­Sorensen proto­kollierte die Konversation während des Fluges. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass Bassov eher Interesse am privaten Flugzeug zeigte und Le Corbusier von den extrem großen Waldflächen zwar fasziniert war, ihn die Abgeschiedenheit der Landschaft jedoch nicht überzeugte.157 Es scheint zuletzt ein glücklicher Zufall ausschlaggebend gewesen zu sein, dass die Vereinten Nationen im letzten Moment, kurz vor der Abstimmung der Generalversammlung, das Angebot für ein Gelände in Manhattan erhielten. Wallace K. Harrison, zu dieser Zeit bereits ein etablierter New Yorker Architekt, der 1931 am Bau des Rockefeller Center mitgearbeitet und 1939 den Themenpavillon der Weltausstellung gestaltet hatte, arbeitete an einem geheimen Auftrag für den einflussreichen Grundstücksund Immobilienmakler William Zeckendorf. Dieser hatte zu niedrigen Preisen mehrere gewerblich genutzte Grundstücke am East River aufgekauft. Um die Grundstückspreise in diesem wenig entwickelten Viertel zu stabilisieren und langfristig nach oben zu treiben, plante er den Bau von X-City, einer mehrere Hochhauskomplexe umfassenden Geschäfts- und Wohnmeile, ähnlich dem Rockefeller Center.158 Sowohl den Aussagen George Dudleys zufolge, der als Mitarbeiter Harrisons ebenfalls am X-City Projekt beteiligt war, als auch durch Barbara Newhouse bestätigt, machte Wallace K. Harrison Zeckendorf am 10. Dezember 1946 den Vorschlag, einen Teil seiner East River-­Gelände an die Vereinten Nationen zu verkaufen.159 Zum Preis von 8,5 Millionen US-Dollar stellte dieser daraufhin mehrere Parzellen zwischen der 42. und der 45. Straße zur Disposition. Als die Vereinten Nationen diesen Preis nicht aufbringen konnten, überzeugte Nelson Rockefeller seinen Vater, die Gelände zu kaufen und den Vereinten Nationen zu schenken. Die einzige Bedingung, die er stellte, betraf die Aussetzung der Schenkungssteuer durch die Stadt New York. Dieser Deal, so Dudley wurde binnen zweier Tage ausgehandelt. In einer Konferenz erörterten Generalsekretär Trygve Lie und Städteplaner Robert Moses den rechtlichen Status angrenzender Straßenzüge wie Gehwege und die Finanzierung anstehender infrastruktureller Ausbaumaßnahmen, die den New Yorker Straßenverkehr betrafen.160 Ein vom 12. Dezember 1946 datiertes Dokument, das vermutlich dem General­ sekretär als Vorlage für eine Empfehlung an die Generalversammlung diente, fasste alle

155 156 157 158 159 160

Vgl. Newhouse 1989, S. 110. Vgl. Dudley 1994, S. 16. Vgl. Newhouse 1989, S. 110. Vgl. Newhouse 1989, S. 196, Dudley 1994, S. 18 f. Vgl. ebd. Vgl. Dudley 1994, S. 23 f.

Das UN-Hauptquartier in New York     | 259

Argumente für die Standortwahl New York und das East River-Gelände zusammen.161 Das Bildungs- und Kulturangebot der Weltstadt in Form von Universitäten, Bibliotheken, Kunst- und Technikmuseen, ebenso das Vorhandensein großer internationaler Zeitungen und Zeitschriften wurde darin genauso betont wie am East River bestehende Transport- und Verkehrsnetze (Central Station, Queensboro Tunnel und Queensboro Bridge, Idlewide Airport, East Side Highway, Tribune Bridge). Hinsichtlich der Bauform argumentierte der Autor für eine vertikale Architektur auf dem Gelände. Obwohl Hochhäuser seit einigen Jahren überwiegend mit kommerziellen Firmen in Verbindung gebracht würden, hätten zu anderen Zeiten vertikale Gebäude, etwa gotische Kathedralen, ebenfalls hohe geistige Ziele zum Ausdruck gebracht. Die Vereinten Nationen würden diese Tradition mit einem neuen Konzept wieder aufgreifen.162 Auch Unterbringungsmöglichkeiten für UN-Angestellte wurden detailliert aufgezählt. Besondere Betonung erfuhr an einer Stelle die Arbeit des New Yorker Committee for the UN: Solche Männer wie Bürgermeister O’Dwyer, Robert Moses, Nelson Rockefeller, Wallace Harrison und viele andere mehr haben ihre großherzige und tiefe Verbundenheit gegenüber den Vereinten Nationen demonstriert. Sie haben ihre Fähigkeit, große Aufgaben auszuführen, unter Beweis gestellt. Sie führen und verwalten größere Belegschaften kompetenter Arbeiter und größere finanzielle Mittel […] als irgendeine andere Gemeinschaft in der Welt. Seit mehr als einem Jahr haben sie mit und für die Vereinten Nationen gearbeitet und gelebt. […] Dies sind große und wichtige Vorteile, die nicht so leicht bei Seite geschoben werden können.163

An dieser Stelle zeichnen sich deutlich die persönlichen Netzwerke ab, die im folgenden Bauprozess zum Tragen kommen werden. Der Einfluss und das Engagement von Robert Moses darf dabei nicht unterschätzt werden. In einem persönlichen Schreiben vom 14.  Dezember an Moses sprach Generalsekretär Lie ihm aufrichtigen und herzlichen Dank für seinen wertvollen Einsatz sowohl bei der Suche einer vorläufigen Unterkunft als auch bei der Vermittlung der East River Site aus.164 Am 14. Dezember 1946 stimmte die Generalkonferenz über die Geländevorschläge ab. Auf Empfehlung des Permanent Headquarters Committee und des Generalsekretärs votierten die Mitgliedsstaaten für New York als zukünftigen Sitz der Vereinten Nationen und nahmen per Resolution die 161 Vgl. Dokument: General Arguments for New York and Arguments on East River Site, 12. 12. 1946. Darauf ist handschriftlich vermerkt, dass das Dokument für die persönlichen Unterlagen des Generalsekretärs bestimmt ist, UN-Archiv, S-0542-0186-United Nations interim and permanent site Headquarters records. 162 Vgl. ebd. 163 Originalzitat: „Such men as Mayor O’Dwyer, Robert Moses, Nelson Rockefeller, Wallace Harrison and many, many others have demonstrated their wholehearted and deep felt devotion to the United Nations. They have demonstrated their capacity to execute great tasks. They command greater resources of competent manpower and financial and other resources than any community in the world. They have lived and worked with and for the United Nations for nearly a year. […] These are all great and certain advantages not to be lightly traded away.” Zit. nach: General Arguments for New York, 12. 12. 1946, S. 1f, UN-Archiv, S-0542-0186-United Nations interim and permanent site Headquarters records. 164 Vgl. Brief von Trygve Lie an Robert Moses vom 14. 12. 1946, UN-Archiv, S-0542-0186-United Nations interim and permanent site Headquarters records.

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Schenkung des Geländes zwischen First Avenue, East 48th Street, East River und East 42nd Street durch John D. Rockefeller an.165

„A Workshop for Peace“ In der gleichen Resolution wurde dem Generalsekretär für alle bevorstehenden, den Bauprozess einleitenden Planungen uneingeschränkte Handlungsfreiheit zugestanden.166 Zu seinen ersten Amtshandlungen im Januar 1947 gehörte die Nominierung des Architekten Wallace K. Harrison zum Director of Planning.167 Harrison, der von 1941 bis 1945 gemeinsam mit Nelson Rockefeller für die US-Regierung das Bureau of Inter-American Affairs in Washington D.C. geleitet hatte, bewegte sich nicht nur in Kreisen hochrangiger US-amerikanischer Regierungsvertreter. Als New Yorker Architekt war er sowohl mit den städtischen Behörden, etwa Robert Moses, als auch mit den örtlichen Baugesetzen hinlänglich vertraut. Darüber hinaus verfügte er über ein ausgezeichnetes Netzwerk an lokalen Ingenieuren, Technikern und Baufirmen. Der Vorwurf, Harrison hätte diesen Auftrag aufgrund seiner engen Beziehungen zur Familie Rockefeller erhalten, mit denen er indirekt über seine Ehefrau verwandt war, erscheint naheliegend, er lässt sich jedoch nicht belegen.168 UN-Generalsekretär Lie und Harrison bildeten für den gesamten Bauprozess ein eng zusammenarbeitendes Team, das die politischen Gremien zwar in ihre Arbeit einbezog, wichtige Entscheidungen jedoch häufig alleine traf. Gemäß der Resolution stand es dem Generalsekretär frei, das Headquarters Advisory Committee als Gremium der Mitgliedsstaaten zu Rate zu ziehen oder selbst gewählte Experten in seine Entscheidungen einzubinden.169 So entwickelte er im Januar 1947 nicht mit UN-­Politikern, 165 Vgl. Resolutions Adopted on the Report of the Permanent Headquarters Committee, 14. 12. 1946, A/RES/100(I), Headquarters of the United Nations, http://www.un.org/depts/dhl/resguide/ r1.htm., zuge-griffen am 7. 12. 2011. 166 Vgl. ebd., dort heißt es weiter: „The General Assembly resolves therefore that nothing in this resolution shall be deemed to restrict the authority of the Secretary General to take any action which he may otherwise be authorized to take.” 167 Auf eine exaktere Datierung wollte sich die Autorin aufgrund verschiedener Angaben nicht festlegen. So spricht Newhouse in der Harrison-Biographie vom 2.1. als dem Tag der Nominierung. Vgl. Newhouse 1989, S. 113. Dudley hingegen spricht davon, dass das Headquarters Advisory Committee Lies Vorschlag für Harrison am 6.1. annahm. Vgl. Dudley 1994, S. 31. Im Jahrbuch der Vereinten Nationen wiederum wird die offizielle Nominierung auf den 21.1. datiert. Vgl. Yearbook of the United Nations, New York 1946/1947, S. 275. 168 Dudly verweist auf diesen Vorwurf, der angeblich von einem UN-Delegierten vorgebracht worden war. Vgl. Dudley 1994, S. 30 f. Newhouse berichtet, dass Harrison selbst seine Nominierung auf den Einfluss von US-Regierungsvertretern zurückführte, die er aus seiner Washingtoner Zeit kannte. Vgl. Newhouse 1989, S. 113. 169 In Resolution 99 (I) heißt es: „In carrying out the responsibilities set forth in paragraph I of this resolution, the Secretary-General shall be assistet by: a) an advisory committee consisting of representatives of the following Members: Australia, Belgium, Brazil, Canada, China, Columbia, France, Greece, India, Norway, Poland, Syria, Union of Soviet Socialist Republics, United Kingdom, United States of America and Yugoslawia. b) Consultants and experts who, at the request of

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s­ondern gemeinsam mit einem kleinen Gremium, bestehend aus Planungs­ direktor ­Wallace K. Harrison und dessen Assistenten George A. Dudley, seinem engen Mitarbeiter ­Abraham Feller, dem Sekretär des Advisory Committees Glenn Bennett, einem Mitarbeiter aus dem Büro John D. Rockefellers (Frank Jamieson), sowie zwei weiteren UN-Mitarbeitern aus dem Bureau of Budget (Hans Anderson und Lawrence ­Michelmore) eine Organisationsstruktur für sämtliche Handlungsabläufe des Bauprozesses.170 Wie aus dem Protokoll dieses Sondergremiums hervorgeht, in dem schematisch die zukünftigen hierarchischen Entscheidungsebenen aufgezeigt werden, stand Generalsekretär Lie stellvertretend für die Generalversammlung als Entscheidungsträger an oberster Stelle.171 Ihm unterstand zum einen das Headquarters Advisory Committee als beratendes Gremium, vertreten durch Glenn Bennett und zum anderen Planungsdirektor Wallace K. ­Harrison. Weitere fünf Untergruppen sollten in Kürze den Bauprozess einleiten. So war 1. ein Board of Design, bestehend aus 10 internationalen Architekten, vorgesehen, das sämtliche Architekturpläne entwickelte, 2. eine Architectural Group, die bei der Anfertigung von Modellen und Plänen behilflich war, 3. eine Requirement Section, die die genauen Raumbedürfnisse der UN erfasste, 4. die sogenannten Financial Estimates, eine Gruppe, die sämtliche Baukosten ermittelte sowie 5. die Site Planners and Engineers, die das Gelände räumten und den eigentlichen Bauprozess ausführten.172 Die personelle Zusammenstellung der Architectural Group und der Site Planners and Engineers geht auf Wallace K. Harrison zurück. Er konsultierte ausschließlich solche Experten mit denen er bereits in der Vergangenheit erfolgreich zusammengearbeitet hatte.173 So ernannte er seinen Partner Max Abramovitz zum stellvertretenden Planungsdirektor und bezog einen erheblichen Teil seiner eigenen Angestellten in den Planungs- und Bauprozess mit ein. Als zusätzliche Berater beteiligte er Ralph Walker, den Präsidenten des American Institute of Architects, Louis Skidmore mit seinem Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill, sowie ­Gilmore Clarke, Landschaftsarchitekt und Dekan der School of Architecture an der Cornell University und dessen Firma Clarke, Rapuano & Holleran. Aufträge für Fundamentierungs- und Schalungsarbeiten sowie Elektrik vergab er an New Yorker Ingenieure (William Mueser, Emil Praeger, James Edwards und John F. Hennessy).174

170 171 172 173 174

the Secretary-General, shall be designated by the Government of the United States of America, or by Governments of other Member States, or local authorities.” Zit. nach: UN-Resolutions: A/RES 99(I), Arrangements required as a result of the establishment of the Permanent Headquarters of the United Nations in the United States of America, 14. 12. 1946, http://www.un.org/depts/dhl/ resguide/r1.htm, zugegriffen am 7. 12. 2011. Vgl. Protokoll des Headquarters Advisory Committee vom 8. 1. 1947, UN-Archiv, S-00542-048Glenn Bennett. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. Dudley 1994, S. 31 f. Dies geht aus den kalendarischen Aufzeichnungen Glenn Bennetts hervor, der als Vorsitzender des Headquarters Advisory Committee eine Schnittstellenfunktion zwischen dem politischen Gremium, dem Generalsekretär und Wallace K. Harrison einnahm. Vgl. Glenn Bennett: Diary vom 1. 1. 1947–31. 12. 1947, UN-Archiv, S-00542-048-Glenn Bennett.

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Wie andere bedeutende Bauwerke sollte auch das zukünftige Hauptquartier der Vereinten Nationen symbolische Strahlkraft besitzen und durch seine Architektur zeichenhaft die Werte der neu gegründeten Weltorganisation zum Ausdruck bringen. Um ein Desaster wie bei der Entwurfsfindung für den Völkerbundpalast zu verhindern, planten Generalsekretär Lie und Wallace K. Harrison den Entwurfsprozess als internationales Kooperationsprojekt, in dem ein Architektenteam gemeinsam ein Architekturmodell entwickeln sollte. Der Entwurfsprozess durch das Board of Design sollte in einem überschaubaren Zeitraum vom 15. Februar bis zum 15. Juni in New York erfolgen. Der eigentliche Bauprozess wiederum oblag alleine Harrison und seinem Planning Stuff. Ihre Vorstellung über die Zusammensetzung des Board of Design wird aus dem oben erwähnten Protokoll des Sondergremiums ersichtlich. Dort heißt es: Ein Board of Design Consultants wird auf Empfehlung des Planungsdirektors vom General­ sekretär berufen werden, um den Direktor in technischen Fragen zu beraten. Es ist geplant, dass das Board aus 10 herausragenden Technikern aus unterschiedlichen Teilen der Welt bestehen soll, dass aber wahrscheinlich drei oder vier aus dieser Gruppe aus den USA kommen sollen, zwei oder drei aus dem Gebiet um New York. Die Mitgliedsstaaten werden aufgefordert werden, Namen herausragender Architekten vorzuschlagen.175

Hier wird deutlich, dass Lie und Harrison von Beginn an planten, die wichtigsten Entscheidungen hinsichtlich des Entwurfsprozesses in einem kleinen Kreis selbst ausgewählter Experten zu belassen, um politische Zugeständnisse und Kompromisse so gering wie möglich zu halten. Deswegen sollten US-amerikanische Architekten in jedem Falle die Mehrheit bilden. Eine in Zusammenarbeit mit seinem Assistenten Dudley erstellte vorläufige Liste beinhaltete Namen amerikanischer Architekten wie Frank Lloyd Wright, George Howe, Louis Kahn, William Wurster und Joseph Hudnut. Sie führte andererseits auch in die USA emigrierte Architekten wie Alvar Aalto, Marcel Breuer und José Luis Sert auf.176 Wie aus den kalendarischen Aufzeichnungen Glenn Bennetts hervorgeht, brachte Harrison am 3. Februar 1947 in einer sogenannten Directors Conference den Wunsch zur Nominierung des Schweden Sven Markelius, des Finnen Alvar Aalto sowie des Deutschen Ludwig Mies van der Rohe vor.177 Um den Delegierten des Headquarters Advisory Committees jedoch nicht das Gefühl zu vermitteln, ihnen kein Mitspracherecht zu gewähren, versprach er Glenn Bennett und Vertretern der R ­ echtsabteilung, so viele Nominierungen der

175 Originalzitat: „A Board of Design Consultants will be appointed by the Secretary-General, on the recommendation of the Director, to advise the Director on technical problems. It is considered that the Board should contain ten outstanding technical men from various parts of the world, but that probably three or four of this group should be from the United States, with two or three from the New York area. Member Nations will be asked to suggest names of outstanding architects for consideration.” Zit.: Headquarters Advisory Committee, Summary Minutes, 8. 01. 1947. UN-Archiv, S-00542-048-Glenn Bennett. 176 Vgl. Candidates for the Board of Design. Als Appendix B-2 abgedruckt in: Dudley 1994, S. 356. Diese Liste wurde von Dudley selbst angefertigt und diente Harrison als Vorlage. 177 Vgl. Glenn Bennett, Diary, Eintrag vom 3. 2. 1947, UN-Archiv, S-00542-048-Glenn Bennett.

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Mitgliedsstaaten wie möglich zu berücksichtigen.178 Und tatsächlich traf Harrison auf den Widerstand der Mitgliedsstaaten. Zunächst hatte General­sekretär Lie am 10. Januar die UN-Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, bis zum 1. Februar Kandidatenvorschläge einzureichen.179 Dieser Nominierungsaufforderung folgten 28 der 51 Mitgliedsstaaten.180 Dem UN-Gremium schlug er in einer Sitzung am 13. Februar 1947 folgende Architekten zur Abstimmung vor: Oscar Niemeyer (Brasilien), Ssu-Cheng Liang, ein chinesischer Architekt, der einen Lehrauftrag an der Yale-University erfüllte, Nikolai B ­ assov, der als russischer Delegierter ohnehin für die UN arbeitete, den Engländer Howard Robertson, ein guter Freund Harrisons seit der Weltausstellung 1939, und Le Corbusier. Als weitere Optionen fielen die Namen Alvar Aalto, Josef Havlicek (Tschechoslowakei), Julio Vilamajo (Uruguay) und Ludwig Mies van der Rohe.181 Das Headquarters Advisory Committee meldete Vorbehalte an. Ein australischer Delegierter kritisierte die geographische Verteilung von Harrisons Architektenteam, das ihm zu europäisch und zu wenig nordamerikanisch erschien. Ein polnischer Delegierter konstatierte spitzfindig, dass mit Bassov, Liang, Robertson und Le Corbusier augenscheinlich der ganze Sicherheitsrat vertreten sei. Seine Regierung würde sich vor allem der von Harrison intendierten Beteiligung deutscher und finnischer Architekten verweigern. Dieser Haltung schloss sich die UdSSR an und forderte ebenfalls, Architekten aus Nichtmitgliedsstaaten und „ehemalige Aggressoren“ auszuschließen. Der französische Delegierte hingegen verlangte an dieser Stelle eine Differenzierung zwischen Deutschland und ehemaligen Staatsbürgern, die sich der aggressiven Haltung ihres Landes bereits früh entzogen hätten.182 Auf Mies van der Rohe und Aalto verzichtete Harrison letztlich aus politischen Gründen. Obwohl die Zeit drängte, gab das Komitee zunächst nur der Teilnahme Niemeyers, Le Corbusiers, Bassovs, Liangs und Robertsons statt.183 In einem anschließenden Gespräch zwischen Lie und ­Harrison empfahl der Generalsekretär bei der Wahl weiterer fünf Mitglieder, Architekten aus denjenigen Nationen zu bevorzugen, die auch im Headquarters Advisory Committee vertreten waren. Mit dieser diplomatischen Taktik versuchte er der Kritik der Delegierten zu entgehen.184 Harrison passte seine Kandidatenwahl dementsprechend an und entschied sich für zusätzliche Nominierungen aus den Mitgliedsstaaten Kanada (Ernest Cormier), Belgien (Gaston Brunfaut) und Australien (Gyle A. Soilleux). Weitere ­Kandidaten 178 Anwesend waren Harrison, Abramovitz, Dudley, Bennett sowie drei Vertreter der UN-Rechtsabteilung. Vgl. Glenn Bennett, Diary. Eintrag vom 6. 2. 1947, UN-Archiv, S-00542-048-Glenn Bennett. 179 Der stellvertretende Generalsekretär David Owen versandte am 10. 1. 1947 Telegramme an die Regierungen von 37 Mitgliedsstaaten. Vgl. UN-Archiv, S-0472-3-6. 180 Dies geht aus einem Brief hervor, den Glenn Bennett am 14. 2. 1947 an den Dekan Dillenback der Universität Syracuse schrieb. Vgl. UN-Archiv, S-0472-3-6. 181 Vgl. Second Meeting of the Headquarters Advisory Committee, 13. 2. 1947, UN-Archiv, S-00542048-Glenn Bennett. 182 Vgl. ebd. 183 Vgl. ebd. 184 Vgl. Glenn Bennett, Diary, Eintrag vom 13. 2. 1947, vermerkt unter dem Stichpunkt: Mr. Lies Idea, UN-Archiv, S-00542-048-Glenn Bennett.

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aus Jugoslawien (Ernest Weissmann), Polen (Matthew Nowicki) und Schweden (Sven Markelius) empfahl er zusätzlich als Special Consultants. Eine offizielle Bestätigung durch das Headquarters Advisory Committee erhielten diese Kandidaten erst am 7. März 1947. Der Entwurfsprozess des Board of Design, der insgesamt 45 Sitzungen umfasste, ist durch Harrisons Assistenten George A. Dudley seinerzeit protokolliert worden. Dudley veröffentlichte seine Aufzeichnung 1994.185 An diesen subjektiv kommentierten, häufig dialogischen Exzerpten lassen sich nicht nur die Komplexität der Bauaufgabe, sondern vor allem die damit verbundenen Schwierigkeiten für das Architektenteam sehr gut ablesen. Das Board of Design trat erstmals am 17. Februar 1947 in einem Büro des Rockefeller Centers zusammen (Abb. 71). In seiner Besetzung noch unvollständig wohnten dem Treffen neben Wallace K. Harrison, seinen Mitarbeitern Max Abramovitz, George Dudley, Harmon Goldstone, Michael Harris, Oscar Nitzchke, sowie Glenn Bennett zunächst nur Le Corbusier, Nikolai Bassov und Ssu-Cheng Liang bei. Der Brite Howard Robertson traf erst am folgenden Tag ein und Oscar Niemeyer wartete in Brasilien bis zum 10. März auf eine Einreisegenehmigung in die USA, die ihm die amerikanischen Behörden aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei verweigerten.186 Bereits in diesem ersten Meeting machte Dudley die divergierenden fachlichen Ausrichtungen der Beteiligten deutlich. So legte jeder Architekt in einer kurzen Ansprache seine Meinung über den Entwurfsprozess offen. Le Corbusier betonte die Bedeutung einer geeigneten Herangehensweise. Eine genaue Analyse von Manhattans Verkehrsnetz sowie den Raumbedürfnissen der Vereinten Nationen müssten am Beginn ihrer Arbeit stehen. Weder das eine noch das andere lag im unmittelbaren Aufgabenbereich des Board of Design. Die Verkehrsführung handelte Harrison unabhängig von der Arbeit des Boards mit Städteplaner Robert Moses aus, der von der Stadt New York zum UN-Construction Coordinator ernannt worden war.187 Die Raumbedürfnisse der UN ermittelte die Requirement Section. In mehreren Treffen tauschte diese die Ergebnisse ihrer Studien mit dem Board of Design aus. Nicolai Bassov, einst Ingenieur, bevor er als UN-Politiker in die USA kam, verwies bei dem ersten Treffen auf geeignete Bautypen und sprach sich dafür aus, aufgrund der begrenzten Geländefläche in die Höhe zu bauen. Dabei sollten szenische Effekte des

185 Vgl. Dudley 1994. Dudley fokussiert darin das komplizierte Verfahren zur Aushandlung eines Konsens zwischen den renommierten Akteuren. Im Zentrum seiner Berichte steht häufig das unkooperative Agieren Le Corbusiers, das angeblich nicht auf Zugeständnissen und Kompromissbereitschaft, sondern auf rechthaberischem Anspruchsdenken beruhte. Dieser für den Designprozess nicht unerhebliche Aspekt wird an dieser Stelle zugunsten einer Fokussierung der täglichen Arbeitsabläufe und der eigentlichen Entwurfsfindung vernachlässigt. 186 Vgl. Dudley 1994, S. 46. 187 Vgl. Newhouse 1989, S. 134 und Dudley 1994, S. 59 f. Moses empfahl Harrison einen Nord-SüdTunnel unter der First Avenue, sowie den Ausbau der 42. Straße. Der bereits bestehende Tudor City Tunnel sollte verbreitert werden, ebenso die 47. Straße. Die Stadt New York übernahm die Kosten für Umbaumaßnahmen in Höhe von 15 Millionen US-­Dollar. Von den Vereinten Nationen forderte sie lediglich die Finanzierung der Rückbaumaßnahmen des East River Drive, der das Gelände direkt am Fluss tangierte, für drei Millionen US-Dollar.

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71  Das Board of Design (v. l. n. r.) hintere Reihe Sven Markelius, Le Corbusier, Vladimir Bodiansky, Wallace K. Harrison, Gyle A. Soilleux, Max Abramowitz, Ernest Weissmann, John Antoniades, Matthew Nowicki, vordere Reihe Ssu-Cheng Liang, Oscar Niemeyer, Nikolai Bassov, Ernest Cormier

Bauensembles unbedingt berücksichtigt werden.188 Der Chinese Liang hob die Bedeutung der Geländekonzeption hervor, insbesondere für die Ausrichtung aller entstehenden Gebäude. Zum Unmut Le Corbusiers empfahl er eine Ost-West-Orientierung, so dass die Hauptfassaden gen Norden und Süden zeigten. Die komplizierte Aufgabe von Wallace K. Harrison bestand im gesamten Diskussionsprozess darin, die substantiellen Vorschläge herauszudestillieren und sie in einer Weise zusammenzufügen, dass sie die Zustimmung der Beteiligten fanden. Die Arbeitsweise innerhalb der Architektengruppe gestaltete sich in den wenigen Wochen ihres gemeinsamen Wirkens folgendermaßen: Die Architekten hielten ihre Ideen während der Meetings am Vormittag in schnellen Skizzen fest. Nachmittags fertigten sogenannte Backroom Boys, ein Mitarbeiterstab, bestehend aus etwa 20 jungen Architekten und Bauzeichnern, Detailzeichnungen nach diesen Skizzen an. Darüber hinaus suchten sie nach architektonischen Lösungen für die Bedarfsvorgaben. Ihre 188 Vgl. Dudley 1994, S. 49.

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Detailpläne wurden am nächten Morgen wiederum vom Board of Design diskutiert und weiterentwickelt.189 Zusätzlich fertigten drei Modellbauer Plastillinarchitekturen nach diesen Zeichnungen an, die sich wie auf einem Spielbrett beliebig verschieben und kombinieren ließen.190 Jeder Architekt entwickelte zwar im Laufe der Zeit einen eigenen Architekturentwurf, der jeweilige Diskussionsstand und die bereits getroffenen Übereinkünfte lassen sich jedoch an den Modellen stets ablesen. Nach ersten Überlegungen zu der grundsätzlichen Frage nach der Anzahl der Gebäude und deren räumlichen Verhältnissen erreichte das Board of Design rasch dahingehend einen Konsens, dass es sich für einen vertikalen Sekretariatstower in Nord-Südausrichtung entschied. Weitere Gebäude für die drei Councils, die Generalversammlung und verschiedene Agencies sollten auf dem Gelände derart positioniert werden, dass für die UN-Angestellten kurze Wege entstünden. Mehrere Sitzungen mit UN-Vertretern leisteten Aufschluss über alltägliche Arbeitsabläufe. So sollte beispielsweise das Sekretariat im Zentrum mehrerer Versammlungshallen stehen und möglichst zu beiden Seiten Konferenzsäle bereit halten. Sicherheitsrat, Wirtschafts-, Sozial- und Treuhandrat benötigten kleinere Komiteeräume, die im Gegensatz zur Generalversammlung das ganze Jahr genutzt werden könnten. Wichtige Dienste, etwa der Reproduktionsdienst, mussten vor allem für den Sicherheitsrat schnell erreichbar sein. Delegierte und andere Specialiced Agencies hingegen nutzten die große Versammlungshalle nur einmal jährlich während der sechswöchigen Generalversammlung. Aus diesem Grund könnten ihre Arbeitsstätten auch außerhalb des Geländes untergebracht werden.191 Ein erstes Modell mit der Nummer sechs (Abb. 72) zeigt das Sekretariat als Scheiben­hochhaus zentral in der südlichen Geländehälfte positioniert. Ein niedriger rechteckiger Baukörper, dessen dreigliedrige Dachteilung auf die drei Ratskammern Bezug nimmt, schließt sich entlang der First Avenue an den Sekretariatsbau an. Die Versammlungshalle ist in der Mitte des Geländes zum East River hin gelagert und mit dem Sekretariat verbunden. Im Norden des Geländes greifen zwei Hochhausblocks für die Delegierten und die Sonderorganisationen die Nord-Südausrichtung des Sekretariates auf. Howard Robertson leitete von diesem ersten Modell mehrere Entwürfe ab, die während eines Meetings am 13. März besprochen wurden (Abb. 73): Er behielt die Ausrichtung der Sekretariatsscheibe aus dem ersten Entwurf bei. Diese umschloss er entlang ihrer Längsseiten mit zwei niedrigeren Baukörpern für die Rats- und Kommissions­säle. Die Versammlungshalle isolierte er von den anderen Gebäuden, behielt ihre Orientierung zum East River jedoch bei. Die Nord-und Südabschlüsse des Geländes markierte er durch zwei Baukörper für die Specialized Agencies und die Delegierten. Repräsentative 189 Vgl. ebd., S. 94. 190 Vgl. ebd., S. 64. 191 Vgl. ebd., S. 76 ff.

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72  New York, UN-Gebäude, Tonmodell Nr. 6, Gemeinschaftsentwurf des Board of Design, 1947

73  New York, UN-Gebäude, Entwurfsskizze von Hugh Ferris basierend auf einem Vorschlag Howard Robertsons, 1947

Kolonnadenreihen entlang der First Avenue schufen eine architektonische Verbindung mit dem Sekretariat. Durch die Zentrierung mehrerer Bauten in der südlichen Geländehälfte entstand im Norden eine parkähnliche Freifläche. Le Corbusiers Entwürfe zeigen eine deutliche Veränderung von Robertsons Modell (Abb. 74, 75). Er rückte das Sekretariat in den südlichsten Teil des Geländes hin zum East River und schloss einen niedrigen quadratischen, auf Pilotis ruhenden Baukörper für die Ratssäle an. Dieser ging unmittelbar in die große Versammlungshalle über, die er an zentraler Stelle in der Geländemitte als rautenförmiger Baukörper positionierte. Die beiden niedrigeren Hochhäuser aus Entwurf Nr. 6 drehte er entgegen der

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74  New York, UN-Gebäude, Entwurfsskizze von Hugh Ferris basierend auf einem Vorschlag von Le Corbusier, 1947

75  New York, UN-Gebäude, Tonmodell Nr. 23 A, basierend auf einem Vorschlag von Le Corbusier, 1947

Sekretariats­richtung, so dass sie wie in Robertsons Entwurf einen klaren Gelände­ abschluss ­markierten. Auch nach seiner Skizze (weniger im Tonmodell) entstand eine Freifläche im nördlichen Geländeteil. Liangs Modell unterscheidet sich im Wesentlichen durch eine veränderte Ausrichtung des Sekretariates in Ost-Westrichtung (Abb. 76). Wie in Robertsons Entwurf schloss er niedrigere Gebäude entlang der First Avenue an. Die Versammlungshalle zentrierte er, jedoch nicht wie bei Robertson gen Osten, sondern wie bei Le Corbusier in nördliche Richtung. Ebenfalls übereinstimmend mit Le Corbusier positionierte er zwei Hochhausscheiben als nördliche Geländegrenze. Von Robertson übernahm Liang den Kolonnadengang entlang der First Avenue. Mehrere Zeichnungen nach Skizzen Le C ­ orbusiers,

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76  New York, UN-Gebäude, Tonmodell, basierend auf einem Vorschlag von Ssu-Cheng Liang, 1947

Liangs und Robertsons zeigen ähnliche Bauteile, die variiert auf dem Gelände positioniert werden. Der von Dudley als schüchtern und zurückhaltend beschriebene Oscar ­Niemeyer wohnte ab dem 10. März den Sitzungen des Boards bei. Die übrigen Architekten ­Markelius, Soillieux, Cormier und Vilamajo sowie die von Harrison nominierten Berater Nowicki und Weissmann begannen ihre Arbeit im Architektenteam aufgrund ihrer späten offiziellen Berufung durch das Headquarters Advisory Committee erst im April 1947. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die anderen fünf Architekten längst auf zentrale Positionen verständigt. Dennoch fertigten sie Entwürfe an, die in ihrer Gesamtkonzeption oftmals sehr spielerisch wirken. Insgesamt verdeutlichen ihre Modelle, dass sie die verpassten Diskussionen aus sechs Wochen gemeinschaftlichen Arbeitens nicht mehr aufholten: Markelius etwa veränderte sowohl die Position des Sekretariates in das nördliche Gelände­drittel als auch seine Ausrichtung nach Ostwest (Abb. 77). Im Norden schloss er den Versammlungssaal als runden Kuppelbau an, im Süden die anderen Kommissionssäle. Wie in Modell Nr. 6 positionierte er Delegiertenhaus und ­Specialized Agencies als Hochhausscheiben rechtwinklig zum Sekretariat, allerdings im Süden des Geländes. Auch Soilleux und Weissmann griffen die Westorientierung des Sekretariates auf. Bei beiden Architekten markiert es den südlichen Gelände­abschluss. ­Soilleux schloss an seine Doppelscheibe das Gebäude der Räte an (Abb. 78). Dieses wiederum ging direkt in den trapezförmigen Konferenzsaal über. Weissmann hingegen entwarf ein rundes Gebäude, das sich, ähnlich Tortenstücken, aus aneinandergereihten Sitzungssälen zusammensetzte und sowohl die Generalversammlung als auch die UN-Räte unterbrachte (Abb. 79). In beiden Entwürfen wurde dem Sekretariat im Norden des Geländes eine etwas kleinere Hochhausscheibe als Haus der Delegierten und

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77  New York, UN-Gebäude, Tonmodell, basierend auf einem Vorschlag von Sven Markelius, 1947

78  New York, UN-Gebäude, Tonmodell Nr. 34, basierend auf einem Vorschlag von Gyle Soilleux, 1947

­ onderorganisationen gegenübergestellt. Eine Lösung, die bei allen Architekten auf S Zustimmung stieß, lieferte Oscar Niemeyer. Sein Entwurf mit der Nr. 32 (Abb. 80) positionierte die Sekretariatsscheibe in der Geländemitte und rückt sie nah an den East River, so dass zur First Avenue hin eine Freifläche entstand. Den südlichen Geländeteil dominierte das Konferenzgebäude der Generalversammlung, dem Niemeyer eine halbovale Form gab. Ein L-förmiger Verbindungsgang gewährleistete den Zugang zum Sekretariat. Ebenfalls im Süden hinter das Sekretariat lagerte er einen niedrigen rechteckigen Baukörper für den Sicherheitsrat, den Treuhandrat und den Wirtschafts- und Sozialrat, eben-

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79  New York, UN-Gebäude, Tonmodell, basierend auf einem Vorschlag von Ernest Weissmann, 1947

80  New York, UN-Gebäude, Tonmodell Nr. 32, basierend auf einem Vorschlag von Oscar Niemeyer, 1947

falls mit direkten Übergängen zum Sekretariat. Alle Gebäudeteile waren durch separate Eingänge über Rampen zugänglich. Eine kleinere Hochhausscheibe für die Delegierten und Sonderorganisationen platzierte er, ähnlich dem Entwurf Le ­Corbusiers, an der nördlichen Geländemarkierung. Die Architekten prüften alle Architekturentwürfe sorgfältig auf ihre Funktionalität hinsichtlich der Bedürfnisse der Vereinten Nationen. Die von Dudley ausführlich

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beschriebenen Diskussionsverläufe können aufgrund ihrer Komplexität zwar nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Festzuhalten bleibt aber, dass die Bedeutung des Entwurfsprozesses in der Intensität begründet liegt, mit der das gemeinschaftliche Arbeiten durch eine aktive Beteiligung aller Akteure von statten ging. Die Konsensfindung für einen einzigen Entwurf blieb jedoch unmöglich. Eine finale Entscheidung traf Planungsdirektor Wallace K. Harrison selbst, nachdem er während der 34. Sitzung eine Abstimmung über die Entwürfe mit dem Argument ablehnte, dass es nach einem solchen Votum immer Gewinner und Verlierer gäbe. Wenn er hingegen die Entscheidung alleine träfe, bliebe nur ein Verlierer übrig.192 So sprach er sich explizit für die frühen Ideen Le ­Corbusiers aus, die er in Oscar Niemeyers Entwurf am besten umgesetzt sah. Harrisons Vorschlag sah vor, die beiden Entwürfe 23 und 32 weiter auszuarbeiten, um sie schließlich zu einer Synthese zusammenzuführen.193 In den Sitzungen zwischen dem 7. und dem 20. Mai arbeiteten die Architekten gemeinsam diese Zusammenführung aus. Im Ergebnis stand ein Entwurf, der zwei architektonische Lösungen miteinander verband (Abb. 81). Das in beiden Modellen ähnlich ausgerichtete Sekretariatsgebäude wurde leicht verschoben. Aus Niemeyers Entwurf stammten die Gebäudestrukturen für die Generalversammlung und die Räte. Sie wurden allerdings in diejenige Position verschoben, die in Le Corbusiers Entwurf die blockhafte Gemeinschaftsstruktur (die General­ versammlung und Räte in einem Gebäude) inne hatte. Le Corbusiers Entwurf wurde folglich in seiner Komplexität aufgebrochen, Niemeyers Entwurf hingegen gespiegelt. Am 9. Juni fand das letzte Treffen des Board of Design statt. Seine finalen Pläne stellte das Board of Design am 21. Mai dem Headquarters Advisory Committee vor. Dudley zufolge verlief die Diskussion nicht sonderlich kontrovers.194 Mit bedeutungsschweren Worten warb Harrison bei den Politikern für das Ergebnis ihrer Arbeit: Die Welt hofft auf ein Symbol des Friedens. Wir geben ihr einen Workshop des Friedens. […] Die Arbeit repräsentiert die einstimmige Meinung einiger der weltbesten Architekten. Es ist kein perfekter Plan und kein endgültiger Plan; er steht zu diesem Zeitpunkt aber für ihre besten Bemühungen.195

Diplomatisch geschickt bewertete Harrison das Ergebnis des Entwurfsprozesses als Kompromiss. Ohne einen symbolischen Gültigkeitsanspruch auf ein internationales Friedenszeichen zu erheben, sollte die Architektur vielmehr einen internationalen Aushandlungsprozess verkörpern, der äquivalent die politischen Verfahren der Vereinten Nationen schlichtweg fortsetzte. Mit der prägnanten Formel des „Workshop for Peace“ versuchte Harrison, den Entwurfsprozess mit dem grundlegenden politischen Agieren der 192 193 194 195

Vgl. Dudly 1994, S. 252. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 324 f. Originalzitat Wallace K. Harrison: „The world hopes for a symbol of peace, we have given them a workshop for peace. […] The work represented the unanimous opinion of some of the world’s best architects. It was not a perfect plan and was no a final plan but was at this date their best effort.” Zit nach: Dudley 1994, S. 314.

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81  New York, UN-Gebäude, Architekturmodell des internationalen Board of Design

UN gleichzusetzten. Dadurch gelang es ihm nicht zuletzt, offener Kritik an dem modernen Architekturentwurf entgegenzuwirken. Aus den politischen Reihen drangen Beanstandungen nur schwach an die Oberfläche. So sprach sich etwa der polnische Delegierte Mr. Katz-Suchy in jener Sitzung des Headquarters Advisory Committee in Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Entwurfes dafür aus, dass der Architekturtypus weder mit der Kategorie „modern“ noch „klassisch“ bezeichnet werden solle.196 Bereits zu einem früheren Zeitpunkt, im Mai 1947, informierte Bassov, der sowohl Architektenmitglied als auch Vertreter der UdSSR im Headquarters Advisory Committee war, den Planungsdirektor darüber, dass die meisten sowjetischen Delegierten einem extrem modernen Entwurf ihre Zustimmung verweigern würden. Mit einer dem Rockefeller Center ähnlichen Architektur hingegen würden sie sich einverstanden zeigen.197 Aus dieser Aussage lässt sich der Grad der Kompromissbereitschaft der Sowjetunion ablesen, einen modernen Hochhauskomplex mit Fensterbändern dann zu tolerieren, wenn er auch über eine Fassadenstruktur aus Steinplatten verfügte. Vor diesem Hintergrund lässt sich nachvollziehen, warum weder Wallace K. Harrison noch Nikolai Bassov einen eigenen Architekturentwurf ausarbeiteten. Als Repräsentanten der USA bzw. der UdSSR hatten sich beide eines konkreten Vorschlags enthalten und sich lediglich bei den Diskussionen der anderen Entwürfe beteiligt. Aus der Perspektive Harrisons ließe sich rechtfertigend argumentieren, dass ihm 196 Vgl. Dudley 1994, S. 315. 197 Vgl. Glenn Bennett: Diary, Eintrag vom 7. 5. 1947, vermerkt unter dem Stichpunkt Soviet’s view on modern Building, UN-Archiv, S-00542-048-Glenn Bennett.

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als Teamleiter eine koordinierende Funktion zukam. Bassov, der primär Ingenieur war, könnte sich auch aus Respekt vor den anderen Architekten zurückgenommen haben. Auf Empfehlung des Generalsekretärs sowie des Headquarters Advisory Committees nahm die Generalversammlung den Architekturentwurf am 20. November 1947 an.198 Die Realisierung der Bauten oblag in den folgenden Jahren Wallace K. Harrison und seinem New Yorker Architekturbüro Harrison & Abramovitz. Bereits in seinem Abschlussbericht veranschlagte das Board of Design die Baukosten bei 84.000.000 US-Dollar. Damit überstiegen sie die von der Generalversammlung abgesegnete Summe von 65.000.000 US-Dollar bei weitem. Generalsekretär Lie forderte drastische Kürzungsmaßnahmen, die sich deutlich in einer vereinfachten Ausführung des Bauensembles niederschlugen: Die anfänglich geplanten 2000 Parkplätze wurden auf 1500 reduziert. Das Sekretariatsgebäude büßte sechs Stockwerke ein – anstatt 45 nur 39.199 Aufwendige bauliche Details wurden vereinfacht, auf kostspielige Materialien verzichtet. Das Konferenzgebäude musste auf einen zweiten großen Konferenzraum und mehrere kleinere Komiteeräume verzichten. Ihm wurde dennoch ein markantes architektonisches Detail hinzugefügt. Anders als in den finalen Zeichnungen vorgesehen ziert eine niedrige Kuppel sein Dach. Nach Harrisons Aussage ist sie Senator Warren Austin, Mitglied des Headquarters Advisory Committee, zu verdanken. Als honorige Persönlichkeit machte er angeblich bei US-Regierungsvertretern seinen Einfluss geltend und unterstützte damit Generalsekretär Lie bei den Verhandlungen für ein zinsfreies Darlehen, das die UN von den USA zur Finanzierung der Bau­ kosten erhielt. Als Gegenleistung für seine Bemühungen forderte er eine Kuppel, die er als amerikanisches Regierungssymbol dort verwirklicht sehen wollte.200 Harrison gelang es, die Bauzeit kurz zu halten: So war das Sekretariat im August 1950 zu weiten Teilen bezugsfertig, das Konferenzgebäude mit den Sälen für den Sicherheitsrat, den Wirtschafts- und Sozialrat und den Treuhandrat war im Juli 1951 und der Konferenzsaal für die Generalversammlung im Oktober 1952 fertiggestellt.201 Das von der UN veranschlagte Budget von 65 Millionen US-Dollar wurde nur um eine Million überschritten.202

Die Innenausstattung: funktional und modern Die Innengestaltung und die Möblierung der Räumlichkeiten gehörte überwiegend zum Aufgabenbereich Wallace K. Harrisons und seinem Headquarters Planning Stuff. ­Harrison setzte die Schlichtheit der äußeren Gebäudeformen auch in ihrem Innern fort. 198 Vgl. Yearbook of the United Nations, General Assembly, New York 1947, Nr. 48, S. 222. Vgl. Resolution adopted on the Report of the Ad hoc Committee on Headquarters and Fifth Committee, A/ RES/182 (II), http://www.un.org/depts/dhl/resguide/r2.htm, zugegriffen am 2. 1. 2012. 199 Vgl. ebd., S 335 ff. 200 Vgl. Newhouse 1984, S. 130. 201 Vgl. Headquarters of the United Nations, Report of the Secretary-General, in: Yearbook of the United Nations, New York 1950, S. 175 ff. 202 Vgl. Newhouse 1989, S. 140.

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Flure und Treppenhäuser aller drei Gebäude entbehren einer aufwendigen Auskleidung durch wertvolle Materialien. Linoleum- oder Terrazzoböden sowie überwiegend weiß getünchte Wände verleihen ihnen bis heute einen schlichten und funktionalen Charakter. Aber auch repräsentativere Orte, wie etwa die Delegierten-Lounge im Konferenzgebäude (Abb. 82), bestechen durch eine einfache Ausstattung mit rotem Teppichboden, weißen Wänden und ledernen Sitzkombinationen. Bei letzteren handelt es sich um Barcelona-­ Chairs aus der Designedition Mies van der Rohes. Weitere Möbel wurden bei der Firma Hans G. Knoll International angekauft.203 Wie bereits beim Bauprozess des ­U NESCOGebäudes, handelte es sich bei diesem US-amerikanischen Unternehmen um einen Ableger der von Werner Max Moser, Sigfried Giedion und Rudolf Graber gegründeten Schweizer Firma Wohnbedarf, die seit 1947 in New York ansässig war und die Designkollektionen von Alvar Aalto, Le Corbusier, Max Bill, Ludwig Mies van der Rohe, Alfred Roth, Marcel Breuer und Eero Saarinen vertrieb. Das wohl markanteste innenarchitektonische Element des Konferenzgebäudes stellt die öffentliche Eingangslobby dar (Abb. 83). Der Besucher sieht sich beim Betreten des Gebäudes einer geschwungenen dreistöckigen weißen Balkonfront gegenüber, ein modernistisches Detail, das durchaus Assoziationen an einen lecorbusierschen Ozeandampfer hervorruft. Über eine seitliche Treppe, die einer dreigliedrigen Rampe gleicht, gelangt man in die oberen Stockwerke. Trotz seiner Dominanz dynamisiert und strukturiert dieser Balkoneinbau den Raum entscheidend. Im unteren Bereich nimmt ein rundes Informationdesk den Besucher in Empfang (Abb. 84). Die innenarchitektonische Gestaltung der wichtigsten Konferenzsäle (General­ versammlung, Sicherheitsrat und Treuhandrat) gehörte noch zum Aufgabenbereich des Board of Design und war zentraler Bestandteil des Planungsprozesses.204 Die Architekten passten diese Räume den Bedürfnissen der Delegierten an. In engem Austausch mit den vier sogenannten assistierenden Generalsekretären konzipierten sie die Säle nach unterschiedlichen Personenkategorien (1. Delegierte, Staatsmänner, Vertreter von NGOs, 2.  Presse, 3. Öffentlichkeit) so, dass Lobbys, Eingänge, Tribünen und Plenum getrennt voneinander benutzt, betreten und wieder verlassen werden konnten.205 Beim großen Konferenzsaal, so scheint es, wollten sie trotz aller Sachlichkeit hinsichtlich der Möblierung (hölzerne Tischreihen mit weißen und grünen Stuhlbezügen, grüner Teppich­boden) auf eine Rauminszenierung nicht verzichten. So hinterlegten sie das massive Natursteinpodium am Ende des Saales mit einer Wandverkleidung aus Blattgold (Taf. XXI). Die dadurch entstehende strahlende, immaterielle Wandfläche, die das Signet der Vereinten Nationen trägt, wirkt wie ein göttlicher Himmelsstrahl. Ihr eindeutig der christlichen Ikonographie entlehnter Charakter sollte die politische Bedeutung des Raumes betonen, ja geradezu religiös aufladen. 203 Vgl. Betsky, Aaron: The UN Building, London 2005, S. 70 f. 204 Vgl. Dudley 1994, S. 142 ff. 205 Vgl. ebd., S. 149 ff.

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82  New York, UN-Gebäude, Delegiertenlounge im Konferenzgebäude

Die Möblierungen der drei Ratssäle übernahmen die Mitgliedsstaaten Dänemark, Schweden und Norwegen. Sie engagierten Innenarchitekten und Designer, um dem jeweiligen Raum eine eigene moderne Note zu verleihen. So konzipierte der Däne Finn Juhl im Konferenzsaal des Treuhandrates zur Verbesserung der Raumakustik ein hölzernes Deckengitter zwischen die Beleuchtungselemente (Abb. 85). Als konstruktives Detail trägt es der Auflockerung der ansonsten eher monotonen Raumstruktur Rechnung. Den einzig farblichen Akzent setzte er mit den Sitzpolstern, die reihenweise zwischen Hellgrün- und Hellblautönen abwechselten. Das Design des Konferenzsaals des Wirtschafts- und Sozialrates übertrug die schwedische Regierung Sven ­Markelius. Als Mitglied des Architektenteams war er bereits mit der Räumlichkeit vertraut. Er setzte drei Gestaltungselemente ein, die die kompakte Raumstruktur aufbrachen. Ähnlich wie Finn Juhl zog er eine flache Deckenkonstruktion mit großen runden Aussparungen für die Beleuchtung ein (Abb. 86). Diese Kreisformen kontrastieren mit den rechtwinkligen beigefarbenen Sitzreihen. Einen farblichen Akzent im ansonsten durch Holztöne dominierten Raum setzt ein handgewebter Vorhang hinter dem Podium. Abstrakte Rautenmotive in verschiedenen Rottönen, durchsetzt mit

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83  New York, UN-Gebäude, Treppenaufgang in der Eingangshalle des Konferenzgebäudes, © Ezra Stoller/ESTO

­ eißen und schwarzen ­Dreiecksreihen, erzeugen eine vibrierende immaterielle Fläche. w Die Seitenwände des Saales sind mit langen Pinienholzgittern belegt, die der Raumakustik zuträglich sind. Im Gegensatz zu diesen beiden Ratskammern, die sich durch besondere Sachlichkeit ohne dekoratives Beiwerk auszeichnen, ist der Konferenzsaal des Sicherheitsrats aufwendiger ausgestattet. Die norwegische Regierung beauftragte den Architekten Arnstein Arneberg, der diesem politisch bedeutsamen Raum ein repräsentatives Gesicht verlieh. Ähnlich wie im Völkerbundpalast setzte er Repräsentativität mit aufwendigen Materialien und teuren Verarbeitungsmethoden gleich. So liegt das womöglich ungewöhnlichste Gestaltungselement im ansonsten nüchternen UN-Bau in den handgewebten dunkelblauen Seidentapeten. An den Fensterreihen geht dieses in Vorhänge gleichen Musters über. In Gold eingearbeitete Anker-, Weizen- und Herzmotive symbolisieren dabei Glaube, Hoffnung und Großzügigkeit. Eine Sockelleiste aus kostbarem Marmor verleiht dem Raum repräsentativen Charakter. In farblichem Kontrast zu dieser aufwändigen Wandgestaltung steht die Bestuhlung des Raums. Funktionalen Kriterien folgend ordnete Arneberg den verschiedenen Personengruppen unterschiedlich farbige Sitzpolster zu. So sitzen die UN-Delegierten und anwesende Regierungsvertreter auf hellblauen, die Presse auf roten und die Besucher auf grün gepolsterten Stühlen. Das wohl dominanteste Raumelement ist ein riesiges Wandbild des Norwegischen Künstlers Per Krogh, das direkt hinter der hufeisenförmigen Tischreihe des Sicherheitsrates hängt. In seiner Bildaufteilung einem Flügel­a ltar gleichend, zeigt es mehrere Menschenszenen mit Kriegs- und Friedens­ symboliken. Im Zentrum des Bildes erhebt sich ein Phönix aus der Asche.

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84  New York, UN-Gebäude, Informationdesk im Konferenzgebäude, © Ezra Stoller/ESTO

85  New York, UN-Gebäude, Deckenkonstruktion im Konferenzsaal des Treuhandrats

Weitere Einzelheiten über die Einrichtung anderer Räume, etwa die standardisierte Möblierung von Büroräumen, ließen sich nur schwer aus den Akten des UNArchivs rekonstruieren. Einen vielleicht nicht unerheblichen Beitrag zur Gebäudeausstattung leistete die UN-Abteilung für Materialankauf, die Purchase & Transportation

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86  New York, UN-Gebäude, Konferenzsaal des ECOSOC

Division unter der Leitung von F. A. Mapes, die Wallace K. Harrison zuarbeitete. Wie aus einem Bericht von Mapes hervorgeht, begab er sich im Juni 1950 mit einer ganzen Delegation auf einen International Procurement Trip, eine Beschaffungsreise durch Euro­pa und den Mittleren Osten, um günstige Baumaterialen (Stahl, Kacheln, Linoleum), technische Ausstattungen sowie Einrichtungsgegenstände anzukaufen.206 Im Fokus der Reise lagen zunächst die internationalen Handelsmessen in Paris, Lyon, Brüssel und London. Zusätzlich waren im Vorfeld Treffen mit Regierungsvertretern und Firmen in den jeweiligen Ländern sorgfältig geplant worden. Mapes spricht in seinem Bericht von einer shopping list, die er sukzessive abarbeitete. Insgesamt besuchte die Delegation 15 Länder: Frankreich, die Schweiz, Griechenland, den Libanon, Syrien, Israel, Ägypten, Belgien, Holland, Norwegen, Schweden, die Tschechoslowakei, Dänemark, England und Jugoslawien. Ein Besuch der UdSSR war zwar geplant, musste jedoch aufgrund nicht erteilter Einreisegenehmigungen abgesagt werden. Mapes Aussagen zufolge waren beispielsweise Stahlrohrmöbel in England, Frankreich, Belgien, Holland und der Tschechos­lowakei in modernem Design erhältlich.207 Handgewebte Teppiche, Textilien und Vorhangstoffe seien vor allem aus Ländern des Mittleren Ostens, mit ihren besonderen Spezialisierungen im Kunsthandwerk, lieferbar. Musterteile aus Marmor sowie Kacheln wurden ausgewählt und direkt zu Wallace K. Harrison ins Headquarters Planning Office gesandt.

206 Vgl. Bericht von F. A. Mapes: International Procurement Trip, 28. 6. 1950, UN-Archiv, DAG 16, A/5b-8-3-Office Layouts. 207 Vgl. ebd, S. 1–3.

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Ein weiteres Ziel der Reise bestand darin, Kontakte zu knüpfen, um die zukünftige Versorgung der Vereinten Nationen mit Büromaterialien sicherzustellen. Mit Firmen in England, Schweden und der Tschechoslowakei schloss Mapes Verträge zur Lieferung von Briefpapier und Büromaterialen ab. Die Delegation besichtigte Firmen für Offsetdruckmaschinen in England und Manufakturen für Geschirr, Besteck und Edelstahl in der Tschechoslowakei. Einzige namentliche Erwähnung in Mapes Bericht findet die Firma Philips in Eindhoven, die eine große Bandbreite elektrischer Geräte bereit hielt, etwa Anlagen zur Simultanübersetzung, Fernseh- und Rundfunkanlagen, aber auch Glühbirnen. Überrascht zeigte sich Mapes entgegen seinen Erwartungen über den stabilen wirtschaftlichen Zustand Europas.208 Inwieweit dieser Einkaufsreise tatsächlich Bestellungen und Einkäufe folgten, lässt sich leider nicht belegen.

Kunst für das UN-Gebäude: zeitgenössisch und unpolitisch Nachdem die Bauarbeiten 1948 und 1949 vorangeschritten waren, legte Generalsekretär Lie im Februar 1950 dem Headquarters Advisory Committee seine Überlegungen über die künstlerische Ausgestaltung der UN-Bauten vor209: Es ist meine Hoffnung und Erwartung, dass die Gestaltung des Hauptquartiers die schönsten und bewundernswertesten Beispiele der Kunst aller Völker repräsentieren wird. Dies zu erreichen ist keine einfache Aufgabe. Das Gebiet künstlerischer Bestrebungen birgt häufig Schauplätze von Kontoversen zwischen verschiedenen Schulen und es erfordert Taktgefühl und Urteilsvermögen genauso wie Geschmack und künstlerische Kenntnisse, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen.210

Zwei Aspekte, die Auskunft über Lies Vorstellungen von künstlerischer Ausstattung geben, sind an dieser Stelle von Bedeutung. Zum einen, so geht aus dem Zitat hervor, dachte Lie an eine Art Querschnitt künstlerischer Äußerungen aus allen Mitgliedsstaaten. Damit schloss er alle Kunstformen, also auch das Kunsthandwerk mit ein. Zum anderen sprach er das nicht nur in Kunstkreisen, sondern vor allem in der aktuellen Ost-West-Politik existierende Akzeptanzproblem hinsichtlich unterschiedlicher Kunstauffassungen an. Diplomatisches Geschick und vor allem fundierte Kenntnisse, so Lie, seien dringend erforderlich und so empfahl er die Einrichtung eines sogenannten Board of Art Advisors. Dieses Kunstberatergremium sollte aus fünf bis sechs ­internationalen

208 Vgl. ebd. 209 Vgl. Memorandum by the Secretary-General, Procedure for Choice of Art and Interior Decoration, 1. 2. 1950, UN-Archiv, DAG 16, A/5b-8-3. 210 Originalzitat Trygve Lie: „It is my hope and expectation that the decoration of the Headquarters will represent the finest and most beautiful examples of the art of all peoples. To achieve this result is by no means an easy task. The fields of artistic endeavor are frequently the scenes of controversy between various schools, and it requires tact and judgement as well as taste and artistic skill to make the requisiste decisions.” Zit. nach: Memorandum by the Secretary-General, Procedure for Choice of Art and Interior Decoration, 1. 2. 1950, UN-Archiv, DAG 16, A/5b-8-3.

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Experten bestehen und ihn bei der Erarbeitung eines geeigneten Auswahlverfahrens für Kunstwerke und Einrichtungsgegenstände unterstützen.211 Lie knüpfte an dieser Stelle an die grundsätzliche Idee des Board of Design an, um durch einen ausgeglichenen Länder­ querschnitt unter den Mitgliedern größtmöglichen Konsens zu erreichen und wenig Raum für Kritik zu lassen. Die Leitung dieses neuen Gremiums wie auch die Nominierung seiner Mitglieder übertrug er Planungsdirektor Wallace K. Harrison. Dieser komponierte das neue Board allerdings ganz nach eigenem Gusto. So nominierte er seinen engen Architektenfreund Howard Robertson, der bereits im Designteam am Architekturentwurf mitgearbeitet hatte, sowie den mexikanischen Künstler und Anthropologen Miguel Covarrubias, den er über Nelson Rockefeller kannte.212 Als viertes Mitglied nahm er den Franzosen Jacques Carlu in das Kunstberaterkomitee auf.213 Carlu, von 1924 bis 1934 als Professor of Advanced Design am MIT tätig und Mitglied im Beaux-Arts Institute of Design, war 1940 in die USA emigriert. Ob er Harrison Anfang der 1940er Jahre in Washington D.C. begegnete, wo Carlu für Jean Monet und Harrison für die amerikanische Regierung tätig war, bleibt spekulativ, ist aber möglich. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung in das UN-Gremium arbeitete Carlu, wie in Kapitel 3.2.1 dargelegt, bereits an den vorläufigen Bedarfsplänen für das neue UNESCO-Gebäude. Vom 5. bis 9. Juni 1950 traten die Mitglieder des Kunstberaterkomitees das erste und einzige Mal in New York zusammen. Die von Generalsekretär Lie elaborierten Terms of References, die den Aufgabenbereich des Gremiums definierten, sahen vor, dass das Gremium sicherstellen sollte, „dass alle Kunstwerke im Hauptquartier und auf dem Gelände in Einklang mit dem architektonischen Design“ 214 standen. Angesichts der klaren, zumeist linearen Formensprache der Architektur bedeutete dies, dass sie sich dezent in das Architekturensemble einfügen sollten. Des Weiteren oblag es dem Komitee, sämtliche Angebote und Kunstspenden von Mitgliedsstaaten, Organisationen und Einzelpersonen zu prüfen und zur Ablehnung oder Annahme zu empfehlen. Schließich sollten sie selbst Künstlervorschläge zur Gestaltung des UN-Hauptquartiers vorbringen.215 Lie räumte dem Gremium folglich ein großes Mitbestimmungsrecht bei der künstlerischen Gestaltung des UN-Gebäudes ein. Zu diesem Zeitpunkt, im Sommer 1950, lagen bereits

211 Vgl. ebd. 212 Vgl. Brief von Howard Robertson an Generalsekretär Lie vom 10. 3. 1950. Vgl. Brief von Glenn Bennett an Jacques Carlu vom 22. 3. 1950. Darin werden Robertson und Covarrubias als Kunst­ berater genannt, UN-Archiv, S-0472-44-2. 213 Vgl. Briefwechsel zwischen Jacques Carlu und Glenn Bennett vom 13. 3. und 22. 3. 1950, UN-­A rchiv, S-0472-44-2. 214 Originalzitat aus den Terms of Reference: „[…] assuring that all art work in the Headquarters buildings and on the site is in keeping with the architectural design.” Zit. nach: Report of the Board of Art Advisers to the Secretary-General after its first session, 5. 6.–9. 6. 1950, UN-Archiv, S-0472-44-2. 215 Die sogenannten Terms of Reference beschreibt Generalsekretär Lie Jacques Carlu in einem Brief vom 2. 3. 1950. Sie werden zudem im Bericht des Kunstberaterkomitees an den Generalsekretär aufgeführt. Vgl. Report of the Board of Art Advisers to the Secretary-General after its first session, 5. 6.–9. 6. 1950, UN-Archiv, S-0472-44-2.

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zahlreiche Angebote für Kunstwerke und Mobiliarspenden von Regierungen vor. So wollte die norwegische Regierung etwa „dekorative Materialien“ 216 für den Sitzungsraum des Sicherheitsrates spenden, die US-amerikanische Regierung bot die Finanzierung eines Zaunes zur Einfriedung des Geländes an. Um diplomatisch vorzugehen, legte das Gremium zunächst fest, grundsätzlich zwischen den Räumlichkeiten wichtiger politischer Zusammenkünfte und neutralen Orten, etwa Fluren und Lobbys, zu unterscheiden. Es sprach sich gegen jegliche Form großformatiger Wandmalereien oder sinnbildlicher Dekorationen aus und verwahrte sich damit gegen symbolisch aufgeladene realistische Bildformen. Das Komitee empfahl dringend, mit der Gestaltung zentraler Orte abzuwarten. Auch im Außenbereich könne erst über Skulpturen entschieden werden, wenn ein exakter Plan für die Außenbepflanzung abgeschlossen sei. Als allgemeine Richtlinie legte das Gremium fest, dass keine Geschenke angenommen werden könnten, die für den Spender eine kommerzielle Bedeutung oder einen reklamebezogenen Wert hätten. Porträts international bekannter Persönlichkeiten hingegen könnten prinzi­piell angenommen, aber nicht dauerhaft ausgestellt werden, sie würden im Rahmen kleiner Sonderausstellungen gezeigt werden.217 Die zögerliche Verfahrensweise des Board of Art Advisors bleibt, aufs Ganze gesehen, undurchsichtig. Sie zeigt jedoch, welch große Skepsis man repräsentativer Dekoration überhaupt entgegenbrachte. Die Haltung des Abwartens macht deutlich, dass das Komitee darauf bedacht war, eine Schenkungswelle nationaler Kunstwerke zu vermeiden. Gerade mit dem Ankauf großer Kunstwerke ließen sich die Vereinten Nationen bis in die 1960er Jahre hinein Zeit. Ein weiteres Treffen des Gremiums in New York fand nicht statt. Vereinzelte Korres­ pondenzen zeigen, dass die Beurteilung der Kunstwerke durch die Kunstberater ausschließlich schriftlich erfolgte. So sprach sich beispielsweise Howard Robertson gegen zwei Kunstwerke aus Griechenland aus und lehnte eine zwei Meter hohe Zeus-Plastik und ein antikes Marmorrelief mit einer Darstellung des Triptolemus zwischen Demeter und Persephone ab. Sein Argument: die Kunstwerke wiesen keine besondere Relevanz für die Vereinten Nationen auf.218 Als Teil einer Kunstsammlung besäßen sie zwar einen hohen Wert. Das UN-Gebäude sei jedoch definitiv kein Museum und sollte sich deswegen nur auf solche Werke einlassen, die einen thematischen Beitrag leisteten.219 Angesichts dieser Aussage scheint seine Zustimmung zu zwei Tuschezeichnungen des zeitgenössischen chinesischen Künstlers Pu Ju China verwunderlich. Sie zeigen zwei in traditioneller Manier gefertigte chinesische Landschaften, die auch keine unmittelbare Referenz zu den Vereinten Nationen erkennen lassen. In einem Brief an Glenn Bennett bekundete Robertson ausdrücklich Gefallen an den beiden asiatischen Arbeiten. Er 216 Zit. nach: Report of the Board of Art Advisers to the Secretary-General, 5. 6.–9. 6. 1950, Punkt 2: Offer by the Government of Norway of Decorative Materials for the Security Council Chamber, UN-Archiv, S-0472-44-2, S. 2. 217 Vgl. ebd., S. 1–5. 218 Vgl. Brief von Howard Robertson an Glenn Bennett vom 5. 3. 1951, UN-Archiv, S-0472-44-1. 219 Vgl. ebd.

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sähe keine Probleme darin, sie in einem Korridor des Versammlungsgebäudes aufzuhängen.220 In diesem Fall überwog seine persönliche Meinung und die Tatsache, dass die beiden Kunstwerke sich dezent dem modernen architektonischen Raum unterordnen ließen. Vermutlich aus diplomatischen Gründen wurde die Zeus-Skulptur trotz Robertsons Veto angenommen und im Gebäude aufgestellt. Einen vermutlich wichtigeren Beitrag zur Auswahlpolitik der Kunstwerke leistete der amerikanische Philosoph Irwin Edman221. Wallace K. Harrison beauftragte ihn im Sommer 1950 damit, einen philosophischen Essay über die zukünftigen Kunstwerke des UN-Gebäudes zu verfassen. Wie aus einem Dankschreiben Glenn Bennetts an Edman hervorgeht, zeigte sich Harrison sehr zufrieden mit Edmans fünfseitigem Aufsatz, den er als „Simulakrum der Eloquenz“ 222 bezeichnete. Sowohl die Mitglieder des Kunstberater­komitees als auch die Generalversammlung erhielten Edmans Statement. Ihm kam wohl die Funktion einer offiziellen Orientierungshilfe für zukünftige Kunstspenden zu: In seinem Statement of some Principles underlying the Choice of Works of Art for the United Nations Headquarters formuliert Edman im Hinblick auf die Auswahl von Kunst für die UN konkrete Richtlinien für die Mitgliedsstaaten. In einigen Passagen zieht er gegen eine auf traditionellen Bildprogrammen beruhende Kunst im UN-Gebäude zu Felde. Auffallend häufig allerdings revidiert er seine anfangs aufgestellten Thesen. In bedeutungsschwere Floskeln verpackt, vollführt Edman einen Eiertanz – vermutlich der Diplomatie geschuldet – für und wider sämtliche Kunstrichtungen, ob akademisch, avantgardistisch, volkstümlich oder antik. Meisterhaft bezieht er dabei die moderne Architektur des UN-Gebäudes mit ein. Seine eloquente Argumentation geht zunächst von grundlegenden bildhaften Eigenschaften der Architektur aus.223 So könne ein Betrachter den Zweck eines Gebäudes stets an seinen äußeren Merkmalen ablesen. Durch einen besonderen Stil oder eine bestimmte Bauweise sprächen die Gebäude entweder über eine kulturelle Vergangenheit oder verwiesen auf eine soziale Zukunft. Insbesondere öffentliche Gebäude, so Edman, verkörperten soziale Erinnerung wie sozialen Idealismus. Mit solchen, teilweise pauschal wirkenden Äußerungen, spielt der Autor direkt auf das UN-Gebäude als fortschrittliches und zukunftsweisendes Symbol an, das er zum ‚sozialen Monument der Menschheit‘ stilisiert. In wenigen bildhaften Sätzen spannt Edman einen narrativen Bogen von der sozialen Wirkkraft der Architektur über historische Visualisierungsformen, wie sie etwa bei plastischen Friesen an griechischen Tempeln, den Mosaiken in Ravenna oder durch Bauplastik an der Kathedrale von Bourges zum Ausdruck kämen:

220 221 222 223

Vgl. Brief von Howard Robertson an Glenn Bennett vom 8. 10. 1951, UN-Archiv, S-0472-44-1. Irwin Edman (1896–1954) war Professor für Philosophie an der Columbia University. Zit. nach: Brief von Glenn Bennett an Irwin Edman vom 15. 8. 1950, UN-Archiv, S-0472-44-5. Vgl. Edman, Irwin: Statement of some Principles underlying the Choice of Works of Art for the United Nations Headquarters, UN-Archiv, S-0472-44-5, S. 1–5.

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Malerei, Skulptur und Wandbilder sind die Programmmusik eines Gebäudes. Ein Bauwerk wie das UN-Hauptquartier, das konzipiert und gebaut wurde, um eine umfassende menschliche Absicht umzusetzen, stellt eine Gelegenheit und eine Herausforderung dar.224

Schritt für Schritt erteilt er im Folgenden nach einem subtilen Ausschlussprinzip traditionellen Bildprogrammen eine Absage. In suggestiver Manier führt er Bildbeispiele, ob religiöser oder politisch motivierter Spielart, vor, um sie im gleichen Moment für die UN auszuschließen. Zu seinen Beispielen gehören Giottos Arenakappelle in Padua (mit Szenen aus dem Leben Christi), die mexikanischen Muralisten mit sozialistischen Motiven der Brüderlichkeit, schließlich traditionelle chinesische Landschaften (mit poetischen und kontemplativen Momenten). Es wird notwendig sein, […] sich vor zu eindeutigen Aussagen zu schützen, da die Aufgabe der Kunst darin besteht, mehr anzudeuten als zu erklären, vorzuschlagen als zu lehren, eine Meinung bildlich darzustellen als […] sie zu vertreten. Die Arbeit eines Künstlers ist kein Bericht an ein Komitee; sie ist eine Ansprache an erfreute Augen, an ein gedämpftes Herz, an den erwachten Geist durch sichtbare Formen.225

Edman spricht sich an dieser Stelle gegen narrative Darstellungsformen, gegen konkrete Bildinhalte aus – diese würden eine Botschaft vermitteln. Insgesamt hütet er sich jedoch vor zu eindeutigen Aussagen. In mehreren Textpassagen rudert er zwischen verschiedenen künstlerischen Positionen hin und her. Er erachte es als absurd, wenn Kunstwerke, die offenkundig trivial, formalistisch oder nur sinnlich aufregend seien, die Wände des Gebäudes zierten. Andererseits seien Gemälde, so Edman, keine Texte, Wandbilder keine Gebete und Statuen keine Slogans. Universale Bildmotive, etwa Liebe und Tod, Arbeit und Spiel, Hoffnung und Niederlage, Angst und Triumph seien der UN „unangemessen“. Einen kurzen Moment lang spricht er sich dezidiert für abstrakte Kunstformen vor traditionellen ikonographischen Bildprogrammen aus: Die reinen Formen und Beziehungen abstrakter Muster […] kommunizieren menschliche Erkenntnis und menschliches Wissen. Die bloße Ausstattung einer Wand mit visuell interessanten Materialien lässt die Kunstfertigkeit und die kollektiven Bemühungen der Menschen besser erkennen als der gekünstelte und vorsätzliche Versuch, den „Geist der Vereinten Nationen“ als eine Weizenernte, ein Dorffest oder eine Menschenmenge in der Stadt darzustellen.226

224 Originalzitat Irwin Edman: „Painting, sculpture, and murals are the program music of architecture. A building conceived and constructed to carry out so wide a human purpose as the Headquarters of the United Nations is an occasion and a challenge”. Zit. nach: ebd., S. 2. 225 Originalzitat Irwin Edman: „It will […] be necessary to guard against too explicit statements for it is the way of art to hint rather than to explain, to suggest rather that to teach, to illustrate a point rather than […] to make one. An artist’s work is not a report to a committee; it is an address through visual forms to the delighted eyes, the absorbed heart, the awakened mind.” Zit. nach: ebd., S. 3. 226 Originalzitat Irwin Edman: „The very forms and relationships of abstract patterns are […] communicative of human perceptions and human knowledge. The very treatment of a wall with materials visually interesting may bespeak the craftsmanship and collective efforts of men better than a contrived and deliberate attempt to portray the “spirit of the United Nations“ […] like the gathering of wheat or a village festival or a city crowed.” Zit. nach: ebd., S. 4.

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An einer anderen bezeugt er, dass Volkskunst genauso willkommen sei wie die antike Kunst der Griechen oder der Inder. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass das UN-­ Gebäude weder ein Museum noch eine Ausstellungshalle sei, in welcher die Mitgliedsstaaten ihrem kulturellen Stolz Ausdruck verleihen sollten. Sein Fazit bleibt diplomatisch uneindeutig. Fehler bei der Wahl, ob eifriger Modernismus oder zurückhaltender Konservatismus, sie wären unvermeidlich. Ironisch schließt er, dass sich Bilder glücklicherweise nach einiger Zeit auch wieder abhängen ließen.227 Ob und welchen Eindruck Edmans Statement bei den Delegierten der Mitgliedsstaaten hinterließ, lässt sich leider nicht rekonstruieren. Auch von Seiten der Kunstberater sind keine Kommentare bekannt, obwohl sie Edmans Statement laut Sitzungsprotokoll zur Kenntnis genommen hatten. Hält man sich vor diesem manifesten Hintergrund erneut das Agieren Howard Robertsons, der die griechische Monumentalplastik ablehnte und die kleinformatigen chinesischen Landschaftszeichnungen annahm, vor Augen, so lässt sich zumindest sagen, dass den Kunstwerken im UN-Gebäude kein dominierendes, sondern ein der Architektur untergeordnetes Moment zukommen sollte. Dies zeigt sich auch daran, dass bis zum Jahre 1954, also zwei Jahre nach Fertigstellung aller drei Bauteile, nur sieben Kunstwerke angebracht worden waren, wie aus einer Liste des Headquarters Planning Office hervorgeht.228 Zu einem erheblich größeren Anteil spendeten die Mitgliedsstaaten Baumateria­lien und Mobiliar zur Innenausstattung der Räume. So lieferten Afghanistan, Ecuador, Indien und der Iran wertvolle Teppiche, Australien Eichenvertäfelungen für einen Empfangsraum und Kanada sieben ornamentale Metalltüren für den Nordeingang des General­ versammlungsgebäudes. Costa Rica spendete Holzböden, Griechenland schwarze Kiesel für einen Brunnen im Hof des Sekretariates. Ferner stiftete der Iran Kacheln. Weitere Holzverkleidungen lieferten Guatemala, Neuseeland, Panama, die Türkei und Großbritannien.229 Ein weiterer Hinweis darauf, dass in den Räumen des UN-Gebäudes nur wenige Kunstwerke aufgestellt werden sollten, liefert ein protokolliertes Treffen von Sekretariatsmitgliedern, die über die Einrichtung eines UN-Museums diskutierten. 230 Die bereits von Le Corbusier 1946 in seinem Report vorgebrachte Idee großer Ausstellungsflächen war unter den Sekretariatsmitgliedern offensichtlich auf fruchtbaren Boden gestoßen, allerdings nicht in Form eines Musée à croissance illimitée. Die UN-Angestellten planten vor allem aus finanziellen Gründen in erheblich kleineren Maßstäben. Auf mehrere freie Flächen verteilt, etwa in Korridoren des Konferenzgebäudes oder der Lobby des Sicherheitsrates, sollten in Dauer- und Wechselausstellungen sowohl Kunstwerke der Mitgliedsstaaten als auch allgemeine Informationen 227 Vgl. ebd., S. 5. 228 Vgl. Liste des United Nations Headquarters Construction Staff: Gifts for Headquarters, 19. 1. 1954, UN-Archiv, DAG 16, A/5b-7-8., S. 1–3. 229 Vgl. ebd. 230 Vgl. Protokoll vom 6. 8. 1951, UN-Archiv, DAG 16, A/5b-8-United Nations Museum.

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über die Arbeit der Vereinten Nationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hierfür reichten nach Meinung der Sitzungsteilnehmer einige Glasvitrinen und Wandtafeln völlig aus.231 Bis zum heutigen Tag schlendern Besucher an solchen ‚Ausstellungsecken‘ mit kulturhistorischen Artefakten vorbei. Entgegen Edmans Befürchtungen von zu viel „kulturelle(m) Stolz der verschiedenen Teilnehmernationen“ 232 zeugen sie eher von der kulturellen Vielfalt, die generell durch die Vielzahl der Mitgliedsstaaten zustande kommt. Den einzigen, unmittelbar mit dem Entstehungsprozess des UN-Gebäudes verbundenen Auftrag für ein Kunstwerk erhielt 1950 Fernand Léger. Planungsdirektor Wallace K. Harrison bat ihn um zwei großformatige Wandbilder für den Konferenzsaal der Vollversammlung (Taf. XXII, XXIII).233 Beide, Léger und Harrison, waren seit einem Parisaufenthalt des Amerikaners im Jahre 1927 eng befreundet. Breits 1939 vermittelte Harrison Léger einen Auftrag für ein Wandbild im Apartment Nelson Rockefellers und bezog ihn noch im gleichen Jahr in seine Arbeit bei der Weltausstellung in New York mit ein. Nachdem Léger in Folge des Zweiten Weltkriegs in die USA emigriert war, bat Harrison ihn 1942 um ein Wandbild für sein eigenes Wohnhaus.234 Vor dem Hinter­g rund dieser privaten Verbundenheit erscheint der UN-Auftrag als eine Art Freundschaftsdienst. So verwundert auch nicht, dass im UN-Archiv keinerlei offi­ zielle Dokumente oder Verträge über den Ankauf der Kunstwerke existieren. Newhouse berichtet in ihrer Monographie über Harrison, dass er Léger zunächst mit der Anfertigung mehrerer Skizzen beauftragte, deren Finanzierung mit 5000 US-Dollar Nelson Rockefeller übernahm.235 Die Ausführung seiner Skizzen konnte Fernand Léger jedoch nicht selbst vornehmen. Nach seiner Rückkehr aus den USA nach Frankreich verweigerten ihm die US-amerikanischen Behörden in den 1950er Jahren wegen der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Frankreichs eine erneute Einreise.236 Schließlich beauftragte Léger seinen ehemaligen Schüler Bruce Gregory mit der Übertragung seiner Skizzen auf die Wände des großen Konferenzsaals im UN-Gebäude. Gregory berichtet 1963 im Art Journal von den Schwierigkeiten der Umsetzung aufgrund des hohen Zeitdrucks.237 Finanziert w ­ urden die Arbeiten von der sogenannten American Association for

231 Vgl. ebd. 232 Originalzitat Irwin Edman: „It is not to be primarily an exhibition hall for genius or pictorial theatre to gratify the cultural pride of different participant nations.” Zit. nach Edman: Statement of some Principles underlying the Choice of Works of Art for the United Nations Headquarters, UN-Archiv, S-0472-44-5, S. 4. 233 Vgl. Marks, Edward B.: A World of Art. The United Nations Collection, Rom 1991, S. 15. 234 Vgl. Newhouse 1989, S. 29, 57, 63. 235 Vgl. ebd., S. 142. 236 Vgl. ebd. 237 Vgl. Gregory, Bruce: Léger’s United Nations’ Murals, in: The Art Journal, 23. Jg. Nr. 1, 1963, S. 35–36.

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the U ­ nited Nations238.239 Die beiden Wandbilder, die die Seitenwände des Saales zieren, zeigen runde organische, ineinander übergehende oder übereinander lagernde abstrakte Formen. Durch ihre unprätentiöse, ja fast poppige Ausstrahlung kontrastieren sie stark mit dem in Goldtönen gehaltenen Konferenzsaal. Harry Truman assoziierte bei seinem ersten Besuch des Konferenzsaales ‚scrambled eggs‘ and ‚swiss cheese‘.240 Erst einige Jahre nach der Fertigstellung des Baus forcierte der zweite UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (1953–1961) den Ankauf weiterer zeitgenössischer Kunstwerke, etwa von der englischen Bildhauerin Barbara Hepworth und von Marc Chagall (beide fertiggestellt 1964).241 Diese und weitere Kunstwerke stehen jedoch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bauprozess des UN-Gebäudes. Insgesamt, so kann in Bezug auf die Ausstattung des UN-Gebäudes mit Kunstwerken festgehalten werden, ließen Wallace K. Harrison und das Board of Art Advisors zunächst Vorsicht walten. Wie in Edmans Statement an einigen Stellen angedeutet, versuchten auch sie bewusst zu verhindern, dass der fertiggestellte Bau in politischer Absicht vereinnahmt wurde. Die moderne Architektur mit ihren ästhetischen Qualitäten und nicht die zeitgenössische Kunst sollte als internationales Friedenssymbol wirken.

238 Die United Nations Association of the United States of America ist eine international agierende NGO, die sich 1946 gründete, um die Ideale, Ziele und Programme der UN in den USA zu propagieren und gleichzeitig den amerikanischen Einfluss in den Vereinten Nationen zu stärken. Unter dem Slogan Impact through Leadership setzt sie sich bis heute vor allem im Bereich Bildung ein. Vgl. Homepage der UNA-USA: http://www.unausa.org/about, zugegriffen am 29. 1. 2012. 239 Vgl. Marks 1991, S. 16. 240 Vgl. ebd. 241 Vgl. ebd.

Vergleich der drei Bauten

Gert Kähler kritisiert in seinem Aufsatz Übernationale Repräsentation. Vom Völkerbund zum Europäischen Parlament die Bauten überstaatlicher Organisationen – darunter auch das UN- und das UNESCO-Gebäude – bezüglich ihrer architektonischen Formen­ sprache.242 Ihr Scheitern führt er auf allzu demokratische Abstimmungen zurück, die letztlich nur „das Mittelmaß des Kompromisses“ 243 befördert hätten. Mit seiner Einschätzung, dass die angeblich trägen, da konsensbasierten und demokratischen Strukturen dieser Organisationen kühne architektonische Einzelleistungen – etwa durch polarisierende Persönlichkeiten wie Le Corbusier – verhindert hätten, mag der Autor teilweise Recht haben. Die beteiligten Akteure und deren unterschiedliche Interessen waren erheblich vielfältiger, als dies beim Bauvorhaben durch einen einzigen, entscheidungsbefugten Bauherren der Fall gewesen wäre. Was Kähler in seiner verallgemeinernden Argumentation nicht berücksichtigt, ist, dass die an den Entstehungsprozessen der Bauten der Vereinten Nationen beteiligten Architekten eine durchaus einflussreiche Position einnahmen. Ferner waren die Entstehungsprozesse der Architekturen in Genf, New York und Paris letztlich von einzelnen, im Hintergrund agierenden Personen entscheidend gelenkt worden. Von trägen Gremiumsbeschlüssen kann deswegen nur bedingt gesprochen werden. Dies soll der folgende Vergleich der drei Bauten in Genf, New York und Paris deutlich machen. Als Vergleichskategorien dienen sowohl die Planungs- und Bauprozesse mit politischen Gremien als auch die ideellen Baukonzepte und Auswahlverfahren von Architekten. Desweiteren werden die Ausstattung und die künstlerische Gestaltung der Gebäude miteinander verglichen. Dabei wird deutlich, dass sich die politischen Akteure und die beteiligten Architekten bewusst vom jeweiligen Vorgängerbau abzugrenzen suchten. Der Theorie Warnkes von Bauten und ihren Gegenbauten folgend, wird eine in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattfindende Veränderung 242 Vgl. Kähler, Gert: Übernationale Repräsentation. Vom Völkerbund zum Europäischen Parlament, in: Flagge, Ingeborg/Stock, Wolfgang Jean (Hg.): Architektur und Demokratie. Bauen für die Politik von der amerikanischen Revolution bis zur Gegenwart, Stuttgart 1992, S. 212–223. 243 Zit. Kähler, in: ebd., S. 213.

Vergleich der drei Bauten

Vergleich der drei Bauten     | 289

­ ezüglich der Vorstellung von politischer Repräsentativität in den Bauten der internatio­ b nalen Organisationen verdeutlicht und damit einhergehend ein Wandel bezüglich tradierter ikonographischer Formensprachen vollzogen.

Historismus versus Moderne Den drei Bauvorhaben in Genf, New York und Paris liegt zunächst eine ähnliche politische Entscheidungsstruktur zugrunde. In dieser hat der Generalsekretär (Völkerbund und UN) bzw. der Generaldirektor (UNESCO) als oberster Entscheidungsträger eine zentrale Position. Er ist nur der Generalversammlung der Mitgliedsstaaten Rechenschaft schuldig. Die Generalversammlung nimmt die Vorschläge des Generalsekretärs entweder als bindende und damit auszuführende Resolutionen an oder lehnt sie ab. Beratende Unterstützung erhält der Generalsekretär bei allen drei Bauvorhaben von einem politischen Gremium – im Falle des Völkerbundes das Baukomitee, bei der UN das Headquarters Advisory Committee und bei der UNESCO das Hauptquartierkomitee. Diese Gremien gleichen sich dahingehend, dass sie sich grundsätzlich aus Politikern der Mitgliedsstaaten zusammensetzen, die jedoch keine Fachleute für Architektur sind. Deswegen sind sie stets von der Beratung durch Experten abhängig. Problematisch beim Entwurfsprozess zum Völkerbundpalast scheint aus heutiger Sicht, dass der Völkerbund mit der Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs und der Einrichtung einer Architektenjury zu einem sehr frühen Zeitpunkt entscheidende Befugnisse aus der Hand gab. Das eigentlich für die ‚politische‘ Begleitung des Bauprozesses zuständige Baukomitee trat erst lange, nachdem die Architekten über Gelände und Wettbewerb befunden hatten, in Aktion. Innerhalb der Architektenjury, der eigentlich die Aufgabe zugedacht war, einen internationalen Wettbewerb auszurichten, entwickelte sich rasch eine Eigendynamik. Die Jury gelangte bald zu dem Schluss, dass der Völkerbund keine neue Versammlungshalle, sondern einen kompletten Neubau für seine drei Organe benötigen würde. Einen solchen hatte der Völkerbund jedoch niemals intendiert. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel standen gar nicht zur Verfügung. Schon mit den ständig wechselnden Vorschlägen über geeignete Gelände in Genf begann das eigentliche Ringen zwischen Politikern und Experten über die Frage nach einer adäquaten architektonischen Repräsentationsform für eine internationale Organisation. Der Architektenjury gelang es schließlich in einem fast zweijährigen Diskussionsprozess, dem Völkerbund die Entscheidung für einen Neubau abzuringen. Strittigster Punkt blieb die Finanzierung des Bauvorhabens. Die Vorstellungen der Jurymitglieder über eine geeignete architektonische Formen­ sprache des Neubaus waren überwiegend konservativ geprägt. Wie Diskussionen zeigten, tendierten sie alle zu historisierenden Bauformen und es stand ihnen eine solide Architektur mit neoklassischen Stilanleihen vor Augen. Die zu jenem Zeitpunkt erstarkenden Tendenzen der Moderne spielten in ihren Debatten fast keine Rolle. Beim Entwurfsprozess zum Völkerbundpalast scheiterten letztlich nicht die Politiker, sondern vielmehr die

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Architekten der Wettbewerbsjury, da sie sich auf keinen Gewinnerentwurf einigen konnten und sukzessive ihre eigens erarbeiteten Wettbewerbskriterien aufhoben. Der Völkerbund sprach schließlich durch ein weiteres politisches Gremium ein Machtwort. Dieses fiel mit der Wahl von vier Gewinnerteams zwar im politischen Sinne diplomatisch aus, für die Bauplanung war es jedoch äußerst ungünstig. Dem unfreiwillig zusammen­ gewürfelten Architektenteam Nénot, Flegenheimer, Broggi, Vago und Lefèvre gelang es in dem anschließenden neuen Entwurfsprozess nur schwer, als Gruppe zusammenzufinden, hatte doch jeder bereits das in seinen Augen beste Projekt ausgearbeitet und zum Wettbewerb eingereicht. Aus heutiger Sicht kann der Völkerbundpalast deswegen tatsächlich als ein architektonischer Kompromiss bezeichnet werden, an dem fünf Architekten unfreiwillig eine Kooperationsarbeit praktizierten. Der Bauprozess dauerte fast acht Jahre lang, wobei die Weltwirtschaftskrise mit explodierenden Materialkosten das Vorhaben zusätzlich erschwerte. Der folgenschwere Fehler einer zu breiten Verteilung von Entscheidungsbefugnissen sollte 20 Jahre später beim Bau des UN-Hauptquartiers vermieden werden. Auch wenn zu Beginn des Planungsprozesses zahlreiche Gremien bei der Suche nach einem geeigneten Gelände in den USA beteiligt waren, lag der gesamte Planungs- und Entwurfs­ prozess in den Händen zweier Männer, nämlich bei Generalsekretär Trygve Lie und dem von ihm nominierten Planungsdirektor Wallace K. Harrison. Ihnen stand ein Unterstützerkreis US-amerikanischer Politiker und einflussreicher Persönlichkeiten zur Seite. Wie aufgezeigt wurde, entwickelten Lie und Harrison im Januar 1947 gemeinsam mit einem Sondergremium die Organisationsstruktur für sämtliche Handlungsabläufe des Bauprozesses. Das Headquarters Advisory Committee als offiziell beauftragtes Gremium der Mitgliedsstaaten war nur indirekt daran beteiligt. Im Sondergremium fiel auch die Entscheidung zur Einrichtung eines internationalen Board of Design. Ein Architekturwettbewerb, wie beim Völkerbundpalast, stand niemals zur Debatte. Den Vorstellungen des Sondergremiums zufolge sollte das Team aus zehn herausragenden internationalen Architekten bestehen, darunter mindestens drei oder vier US-Amerikaner. An dieser Stelle entsteht der Eindruck, als hätten nicht zuletzt die US-Amerikaner selbst den Bauprozess auf amerikanischem Territorialgebiet entscheidend mitbestimmt – ob aus UNoder Regierungskreisen, halböffentlichen Initiativen wie dem New York Committee for the UN oder durch einflussreiche Kräfte wie der Familie Rockefeller. Die Zusammen­ stellung des Board of Design beeinflusste Wallace K. Harrison schließlich in seinem Sinne. Er wählte nur Vertreter der modernen Architektur etwa Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Sven Markelius, Alvar Aalto, José Luis Sert, Ernest ­Weissmann und Oscar Niemeyer. Die Entscheidung für eine vertikale Hochhausstruktur auf dem flächenmäßig begrenzten Gelände am East River war mit der Wahl des Grundstücks bereits im Vorfeld getroffen. Obwohl das Headquarters Advisory Commitee Einspruch gegen einige Nominierungsvorschläge Harrisons erhob, stellte dieser seinen Mitarbeiterstab, von Zugeständnissen abgesehen, nach seinen Vorstellungen zusammen. Unabhängig von den offiziell nominierten Architekten zog er weitere Experten als Berater

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87  New York, UN-Gebäude, Blick vom East River, 1947-1952, konzipiert vom internationalen Board of Design, © Ezra Stoller/ ESTO

hinzu. So reiste etwa Le Corbusier mit seinem Mitarbeiter Vladimir Bodiansky an, der ebenfalls dem gesamten Designprozess beiwohnte. Der Entwurfsprozess fand in einem überschaubaren Zeitraum von vier Monaten statt. Als Ergebnis brachte er eine gläserne Hochhausarchitektur hervor, die auf modernen funktionalistischen Prinzipien basierte und mit den neusten technischen Standards ausgestattet war (Abb. 87). Mit der Metapher des Workshop for Peace stellte Harrison das Ergebnis der Teamarbeit als internationalen Kompromiss dar, der angeblich genauso funktionierte, wie alle politischen Abläufe der Vereinten Nationen selbst. Damit stilisierte er die UN-Architektur zu einem Symbol für einen internationalen Aushandlungsprozess. Den eigentlichen Bauprozess verantwortete Harrison im Alleingang, ohne die Unterstützung des Board of Design, sondern nur unter Zuhilfenahme der von ihm bestimmten US-amerikanischen Baufirmen. Auch diese Entscheidung trafen er und Generalsekretär Lie im Juni 1947.244 Auf diese Weise gelang es ihnen, die Bauzeit des UN-Hauptquartiers auf vier Jahre zu beschränken. Beim Bauprozess des UNESCO-Gebäudes bündelten die UNESCO-Politiker sämtliche Entscheidungsbefugnisse nicht von Anfang an, sondern bezogen zunächst ­mehrere 244 Vgl. UN General Assembly, Headquarters Advisory Committee, Summary Record of the 7th Meeting, 18. 6. 1947, UN-Archiv, S-0472-3-1+2, S. 8. Aus dem Protokoll geht hervor, dass der Generalsekretär vorschlug, alle weiteren Arbeiten ohne das Board of Design und ausschließlich von Harrison und seinem Planning Staff durchführen zu lassen. Obwohl einige Mitglieder des Gremiums, etwa der Belgier Lebeau, diesen Vorschlag als voreilig werteten, da spätere Veränderung an den Bauplänen durch das Board entschieden werden sollten, setzte Lie seine Interessen durch.

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Interessengruppen in den Planungsprozess mit ein. Wäre es in Paris, ähnlich wie den Amerikanern in New York, gelungen, den Planungsprozess rigoros zu dominieren, hätte im Ergebnis – aufgrund der konservativen Richtlinien französischer Baugesetze – sicherlich eine weitaus weniger moderne Architektur gestanden. Die politischen Interessen am UNESCO-Bauprozess waren jedoch komplexer. Wie bereits dargelegt, verfolgten die französischen Behörden eine eigene Strategie der Einflussnahme auf die ­U NESCO-Architektur, die letztlich darauf abzielte, eine gemäßigte Moderne bzw. eine architektonische Anpassung an das historische Stadtbild zu erwirken. Der General­ direktor der UNESCO und dessen Mitarbeiter hingegen intendierten von Beginn an ein der New Yorker Architektur ähnliches Gebäude. Diese Vorstellung teilten auch die Vereinten Nationen. Obwohl die UNESCO 1946 als eine von der UN unabhängige Sonder­ organisation eingerichtet worden war, fanden gerade in den ersten Jahren Absprachen über zentrale Entscheidungen mit hochrangigen Vertretern aus dem UN-Sekretariat statt. Wie aus Akten des UN-Archivs hervorgeht, fragte bereits im November 1949 der stellvertretende UNESCO-Generaldirektor Walter H. C. Laves beim stellvertretenden UN-Generalsekretär Byron Price nach einem Erfahrungsaustausch über den UN-­Planungsprozess an.245 Der nun einsetzende intensive Kontakt zwischen UNESCO und UN lief über Glenn Bennett, der während des UN-Planungsprozesses Sekretär des Headquarters Advisory Committee war und danach als Executive Officer das Headquarters Planning Office, das Büro von Wallace K. Harrisons Planning Staff, leitete. Er besuchte im Oktober 1951 als offizieller UN-Gesandter eine Sitzung des UNESCO-Hauptquartierkomitees, um dort explizit den Bauprozess des UN-Gebäudes zu erläutern und für ein ähnliches Verfahren bei der UNESCO zu werben.246 Auch die Wahl der beiden Berater Eugène Beaudouins – Howard Robertson und Eero Saarinen – wurde letztlich im UN-Sekretariat getroffen.247 Robertson hatte erfolgreich in Harrisons Design-Team mitgewirkt und war von diesem als einziger mit in den anschließenden Bauprozess involviert worden. Im Gegensatz zu Beaudouin verfügte er über die entsprechende Erfahrung eines solchen Großprojektes. Glenn Bennett arrangierte zudem ein Treffen zwischen Eugène Beaudouin und Wallace K. Harrison im Dezember 1951 in New York, damit sich Beaudouin entscheidenden Rat vom UN-Planungsdirektor einholen konnte.248 Einen Weg der Einflussnahme über die UN nahm auch die US-amerikanische Regierung. Wie aus Briefwechseln zwischen dem Regierungsmitarbeiter Leland King und Glenn

245 Vgl. Brief von Walter H. C. Laves (Deputy Director General) an Mr. Byron Price (Assistant Secretary General) vom 4. 11. 1949, UN-Archiv, DAG 16, 5b, File 3, UNESCO. 246 Vgl. Protokoll der vierten Hauptquartierkomiteesitzung vom 25. 10. 1951, UNESCO-Archiv, CPG/ HQ 2/2. 1. 1952. 247 Vgl. Briefe zwischen Glenn Bennett, mittlerweile Executive Officer des Headquarters Planning Office, an Howard Robertson und Eero Saarinen vom 19. 12. 1951 und 12. 12. 1951, UN-Archiv, DAG 16, 5b, File 3, UNESCO. 248 Vgl. Brief von Glenn Bennett an John W. Taylor (Acting Director-General UNESCO) vom 5. 12. 1951, UN-Archiv, DAG 16, 5b, File 3, UNESCO.

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­ ennett hervorgeht, scheinen sowohl die UN als auch die Amerikaner über die massive B Einflussnahme der französischen Regierung beunruhigt gewesen zu sein. Nur so erklärt sich ein Memorandum Kings an Glenn Bennett, das einen gemeinsamen Gedankenaustausch protokollierte, in welchem er explizit vor einer an das Pariser Stadtbild angepassten Architektur warnt: Die Kriterien des Komitees bezüglich eines Architekturstils in französischer Tradition müssen spezifiziert werden. Ein Design, das sich seiner Umgebung anpasst, sollte zwar angestrebt werden, aber jeder Versuch, reiner Tradition zu folgen, würde sich in jedem Falle gegen die gesamte Architekturentwicklung seit dem Beginn des Jahrhunderts richten. Dies wäre unvereinbar a) mit den Namen und der Arbeit der Mehrheit der vorgeschlagenen französischen Architekten; b) mit einer erheblichen Mehrzahl der wichtigsten Arbeiten innerhalb und außerhalb von Paris der letzten beiden Generationen; und c) es würde die Kosten des Projektes erheblich steigern und gleichzeitig die Effizienz und die Qualität des Arbeitsraumes nach modernen Kriterien reduzieren.249

Neben dieser ausdrücklichen Empfehlung für eine moderne Architektur und gegen einen französischen Traditionalismus argumentierte King unter dem Hinweis auf zu hohe Kosten vehement gegen einen Architekturwettbewerb. Die Wahl der Architekten durch einen Wettbewerb, so King, sei kostspielig, zeitaufwendig und resultiere in einer Vielzahl unvermeidbarer Kontroversen. Zuletzt bestünde die Schwierigkeit darin, eine kompetente, unvoreingenommene Jury zu wählen.250 Das unglückliche Beispiel des Völker­bundpalasts zeigte allem Anschein nach auch noch 25 Jahre später Wirkung. Von Seiten der USA sollte ein Architekturwettbewerb nicht in Betracht gezogen werden. Kings abschließender Ratschlag lautete, einen französischen Architekten zu nominieren, der mit den örtlichen Baugesetzen vertraut war, und ihm zwei Berater, einen aus den USA und einen aus Großbritannien, zur Seite zu stellen. Wie in Kapitel I. 3.2.2 (S. 32) bereits aufgezeigt, folgte der amerikanische Delegierte des UNESCO-Hauptquartierkomitees Charles Thomson genau dieser Empfehlung und überzeugte seine Kollegen von der Wahl des Architekten Beaudouin und der beiden Berater Robertson und ­Saarinen. Die Gutachten beider Berater sind ebenfalls im UN-Archiv erhalten, was zeigt, dass sie trotz ihrer Beratertätigkeit für die UNESCO eng mit Vertretern der UN in Kontakt standen. Das Hauptquartierkomitee, dem neben europäischen und amerikanischen auch Politiker aus Brasilien, Ägypten, Peru und Japan angehörten, plädierte für eine weitere Kontrollinstanz dieses Dreierteams, nämlich eine international besetzte Jury aus 249 Originalzitat: „The Committee’s criteria regarding styling in the French tradition should be clarified. A design sympathetic to the environs should be required but any attempt to follow pure tradition would be entirely out of line with the whole trend of architecture since the turn of the century, and would be insconsistent with a) the names and work of the majority of the French architects thus far proposed; b) with a preponderant majority of all significant work in and out of Paris for the last two generations; and c) would seriously increase the cost of the project and materially reduce the efficiency and quality of working space by modern standard.” Zit. nach: Preliminary Notes on UNESCO Headquarters Building, Paris, Brief von L. W. King Jr. an Glenn Bennett vom 14. 9. 1951, UN-Archiv, DAG 16, 5b, File 3, UNESCO, S. 1–3. 250 Vgl. ebd., S. 3.

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fünf ­renommierten Architekten. Diese besetzte der Generaldirektor mit fünf Akteuren der CIAM, die bereits seit 1946 enge Kontakte zur UNESCO unterhielten. Auf den Entwurfsprozess des UNESCO-Gebäudes übten Gropius, Le Corbusier, Costa, M ­ arkelius und Rogers gewichtigen Einfluss aus. Sie lieferten mit dem ‚Kooperations- und Synthese­ gedanken‘ nicht nur eine ideelle Basis für eine politische Architektur, sondern wirkten als offiziell eingebundende NGO in die politischen Gremien hinein. Ähnlich wie beim UN-­Bauprozess gingen sie einen engen Schulterschluss mit dem Generaldirektor ein, der ihre Ideen gegenüber dem Hauptquartierkomitee verteidigte. Ihr internationales Renommee mag auch dazu beigetragen haben, dass sie sich trotz heftiger Widerstände, gegen eine konservative Haltung der französischen Behörden durchsetzten. Auch wenn sich in Paris kein mehrstöckiger Hochhausturm realisieren ließ, so setzten sie mit dem ­U NESCO-Gebäude ein Symbol für die moderne Architektur und wirkten dadurch am Prozess der Bedeutungszuschreibung aktiv mit. Die bereits unterschiedliche Handhabung des Planungsprozesses von UN und ­U NESCO – im Gegensatz zum historistischen Völkerbundpalast – verdeutlicht, dass sich sowohl Politiker, federführend die USA, als auch die beteiligten Architekten, bewusst für moderne Positionen stark machten. Mit dem Überwinden historisch-akademischer Stile sollte ein politisches Zeichen für eine neue internationale Politik nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt werden. Der Entwurfsprozess selbst, ob als ‚Workshop for Peace‘ oder ‚internationale Künstlerkooperation‘ kann als Teil einer solchen Symbolpolitik gewertet werden. Entscheidend ist, dass sich beim UN-Gebäude mehr aber noch beim UNESCO-Bau die Architekten als Lobbyisten einen erheblichen Einflussbereich erstritten. Der politische Gedanke der Internationalität sollte durch ihren internationalen Baustil zum Ausdruck gebracht werden.

Art Déco versus Industriedesign Hinsichtlich der Ausstattung der drei Bauten ist zunächst festzuhalten, dass in allen drei Fällen die Kosten für das Mobiliar nicht in die Bausumme einkalkuliert worden waren. Während der Phase des Innenausbaus riefen die Generalsekretäre ihre Mitgliedsstaaten zu Material- und Möbelspenden auf. Ob etwa die UN und die UNESCO diese Praxis vom Völkerbund übernahmen, konnte leider nicht nachgewiesen werden. Zudem forderten die Architekten aller drei Bauvorhaben einige Länder gezielt zur Ausstattung ganzer Raumensembles auf. Die dadurch entstandenen Länderräume dienten, allem Anschein nach, nicht nur dem Prestige ihrer Stifter, vielmehr sollte sichtbare Diversität kulturellen Reichtums zum Ausdruck gebracht werden. Bei der Ausstattung des Völkerbundpalasts – als erstem Exempel eines Hauses der Weltgemeinschaft – fällt auf, dass zunächst die Architekten durch das Hinzuziehen französischer Kunsthandwerker eine strukturelle Einheit anstrebten, die sich durch teure Materialien und aufwendige kunsthandwerkliche Arbeiten auszeichnete. Für die Kommissions- und Sitzungssäle lobten sie kleinere nationale Wettbewerbe aus, ein

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z­ eitintensives und kompliziertes Verfahren, das die Bauzeit verlängerte. Dabei bezogen sie fast ausschließlich europäische Nationen mit ein. Andere Länder trugen durch einzelne Möbelstücke zur Ausstattung bei, so spendete der Iran zwei große Perserteppiche. Die Mitgliedsstaaten legten bei der Gestaltung ihrer Raumensembles nicht nur Wert auf nationale Besonderheiten, wie aus den Raumbezeichnungen „französischer Salon“ oder „ungarisches Vorzimmer“ hervorgeht. Insgesamt orientierten sie sich an einem luxuriösen repräsentativen Zeitgeschmack, wie er etwa aus der Pariser Exposition international des Art décoratifs et industriels modernes von 1925 hervorgegangen war. Die Ausstattung des Völkerbundpalastes veranschaulicht, dass sich in den 1930er Jahren der sogenannte Art Déco-Stil als ein europaweites Geschmacksphänomen durchsetzte und trotz der Weltwirtschaftskrise politische Repräsentativität durch luxuriöses und aufwändiges Kunsthandwerk zum Ausdruck gebracht wurde. Innerhalb weniger Jahre veränderte sich diese Haltung. Bei der Ausstattung des UN-Gebäudes begab sich eine UN-Delegation auf Shopping-Tour durch Europa, um beispielsweise günstige Stahlrohrmöbel anzukaufen. Mies van der Rohes Barcelona Chairs in der Delegierten Lounge und weitere Möbel der Firma Hans G. Knoll International verdeutlichen, dass Wallace K. Harrison auf ein modernes europäisches Design Wert legte. Nicht nur die Möblierung, auch die Gestaltung der Innenräume fällt im UN-Gebäude weitaus schlichter aus als beim Völkerbundpalast: Funktionale Materialien wie Linoleum und Teppichboden ersetzen teure Natursteinplatten. Die Eingangshalle des Konferenzgebäudes mit ihrer weißen geschwungenen Balkonfront wirkt als architektonisches Detail bis heute wie ein Sinnbild westlichen Modernismus. Beim UN-Gebäude ist es die moderne Architektur selbst, die durch große Glasflächen Innenraum und Außenraum miteinander in Beziehung setzte und durch ihre Schlichtheit modern wirkte. Auch die Ausstattung zentraler Räume (Konferenzsaal, Sicherheitsrat, Wirtschaftsund Sozialrat und Treuhandrat) bleibt auffallend unprätentiös. Ob die Verteilung zur Gestaltung der Ratssäle an Dänemark, Schweden und Norwegen eine rein politische Entscheidung war, die der norwegische Generaldirektor Trygve Lie vorschlagen hatte, lässt sich nicht rekonstruieren. Die Architekten Finn Juhl und Sven Markelius konzipierten schlichte Räume, die vor allem durch konstruktive Bauelemente an Wänden und Decken eine interessante aufgelockerte Struktur erhielten. Der Norweger Arnstein Arneberg hingegen stattete den Saal des Sicherheitsrats mit Seidentapeten und Sockelleisten aus Marmor sehr viel aufwendiger aus. Er blieb konzeptuell der Gleichsetzung von Repräsentativität und prunkvoller Ausstattung verpflichtet. Auch beim großen Konferenzsaal (Taf. XXI), den das Board of Design konzipiert hatte, verzichteten die Architekten nicht auf eine durchgestaltete Inszenierung zumindest der großen Rückwand am Ende des Saales: dort wird das massive Natursteinpodium mit einer Fläche aus Blattgold hinterlegt und von strahlenförmig nach unten laufenden Holzleisten eingefasst. Das UN-­ Signet thront als Friedenszeichen in deren Mitte. Diese, der christlichen Ikonographie entlehnte Inszenierung verleiht dem ansonsten mit grünem Teppichboden und schlichten Sitzreihen ausgestatteten Raum eine Aura von Entrückung und Bedeutsamkeit.

296 |     Das UNESCO-Gebäude im architekturhistorischen Kontext

Bei der Ausstattung des UNESCO-Gebäudes verzichteten die Architekten gänzlich auf solche inszenatorischen Überhöhungen. Im großen Konferenzraum wirkt einzig die gefaltete Betondecke als ornamentales Detail. Marcel Breuer ließ andere Räume durch die Schweizer Firma Wohnbedarf ausstatten, die, wie bereits aufgezeigt, nicht nur seine eigenen Designkollektionen, sondern auch diejenigen der Kollegen Aalto, Le Corbusier, Mies van der Rohe, Markelius u. a. vertrieb. Ähnlich wie beim UN-Gebäude gingen moderne Architektur und modernes Design Hand in Hand. Bei der Vergabe von Länderräumen setzte sich Breuer gemeinsam mit seinen Kollegen Nervi und Zehrfuss explizit dafür ein, dass nur solche Länder Räume gestalteten, die eine lange Tradition bezüglich des Möbel­ designs vorwiesen. Ähnlich wie in New York nominierten sie (abgesehen von den USA) ausschließlich europäische Mitgliedsstaaten, die wiederum ihre berühmtesten Designer, etwa Gerrit Rietveld, einsetzten. Auch beim UNESCO-Gebäude wurde die Architektur selbst, durch den allgegenwärtigen Sichtbeton, der erst im Zusammenspiel mit den Glasflächen eine ästhetische Wirkung entfaltete, als Gestaltungselement in Szene gesetzt. Luxuriöses Art Déco in der Vorkriegszeit, sachliches Industriedesign in der Nachkriegszeit, so lässt sich als Quintessenz die Ausstattung des Völkerbundpalastes im Vergleich mit den Bauten der Vereinten Nationen vereinfacht beschreiben. Ganz offensichtlich tritt ein innerhalb weniger Jahre veränderter Zeitgeschmack zutage, der sich vom handwerklich versierten und aufwändig produzierten Möbel wegorientiert und dem bereits in den 1920er Jahren von Institutionen wie dem Bauhaus oder Architekten wie Le Corbusier entwickelten seriellen Industriedesign zuwendet. Diese Trendwende lässt sich mit dem über die Jahre gewachsenen Renommee der Akteure der Moderne erklären.

Figürlicher Realismus versus Moderne Kunstformen Die Bauprojekte in Genf, New York und Paris zeigen, dass es für Politiker wie für Architekten eine Selbstverständlichkeit war, politischer Repräsentativität auch durch Kunstwerke Ausdruck zu verleihen. Bis heute wird die Kunstsammlung der Vereinten Natio­ nen gepflegt und erweitert.251 Die Kunstwerke sind immer noch zentraler Bestandteil politischer Praxis. Anlässlich von Staatsbesuchen und Feierlichkeiten der Organisatio­ nen werden sie als Gastgeschenke überreicht. Sie bringen den politischen Willen zur Zusammenarbeit zum Ausdruck und sind damit Teil einer politischen Geste bzw. einer symbolischen Kommunikation252. 251 Vgl. Marks 1995. In dieser Publikation werden die Kunstwerke der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen als zusammenhängende Kunstsammlung präsentiert. Die Kunstwerke werden dabei als politische „Friedensangebote“ vorgestellt. Inbegriffen sind auch die Arbeiten aus der Zeit des Völkerbundes. 252 Der Begriff der symbolischen Kommunikation geht auf die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger zurück, die ihn für politische Rituale in der Vormoderne prägte. Vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Symbolische Kommunikation in der Vormodere, in: Kunisch, Johannes (Hg.): Zeitschrift für Historische Forschung, 31. Jg., 2004, Berlin 2004, S. 489–527.

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Der Umgang mit diesen symbolischen Friedensangeboten fiel bei den drei Organisationen sehr unterschiedlich aus. So orientierte er sich stets an den von den Architekten konzipierten Gestaltungskonzepten. Im Folgenden werden diese einer vergleichenden Analyse unterzogen. Dabei lässt sich für die Nachkriegszeit ein bewusst herbeigeführter Wandel tradierter Bildformen und ikonographischer Programme feststellen. Im Falle des Völkerbundpalasts nominierten die fünf Architekten – in Absprache mit dem Generalsekretär – bestimmte Künstler zur Gestaltung der politisch wichtigsten Orte im Gebäude. Dies waren der große Konferenzsaal, in dem die Vollversammlung tagte, und der Ratssaal mit seinem Foyer. Die Auswahl der Künstler erfolgte nicht über ein Wettbewerbsverfahren. Sie lässt sich alleine auf persönliche Netzwerkstrukturen zurückführen. José Maria Sert wurde dem Generalsekretär vom spanischen Botschafter empfohlen. Sert wiederum vermittelte den befreundeten Maurice Denis und dessen Nabis-Kollegen an Carlo Broggi. Den Denkmalkünstler Eric Gill schlug die britische Regierung vor. Sie stiftete nicht nur seine Arbeit, sondern beeinflusste auch die Wahl des Bildthemas. Auffallend ist, dass die Auswahl der Künstler auf längst etablierte Persönlichkeiten fiel. Die Nabis zählten zu Vertretern einer französischen Avantgarde aus dem letzten Jahrhundert. Mit zeitgenössischen Kunstströmungen hatten sie nichts gemein. Auch José Maria Sert war mit über 60 Jahren eine alternde Malerpersönlichkeit, die sich mit zahlreichen Großaufträgen einen Namen gemacht hatte. Eric Gill galt in England als einschlägiger Experte für die Gestaltung öffentlicher Denkmäler und Kirchenkunst. Diese Künstler wurden nicht ausgewählt, um den Völkerbundpalast durch zeitgenössische Trends modern wirken zu lassen. Sie galten vielmehr als Garanten tradi­ tioneller Kunstformen. Diese bestanden in figürlich-narrativer Malweise und Bildhauerkunst, mit denen tradierte allegorische Bildprogramme umgesetzt werden konnten, die wiederum inhaltliche Bezüge zur Politik der Organisation herstellten. Ob vier Friedensallegorien der Nabiskünstler, Kriegsgeschehen, Hoffnungs- und Fortschrittsvisio­ nen bei José Maria Sert oder christlicher Erschaffungsmythos bei Eric Gill – all diesen Werken kommt eine moralisch-belehrende Aufgabe zu. Diese besteht darin, Politiker an ihre wichtige Aufgabe zu erinnern, den Frieden in der Welt zu wahren. Damit stehen die Kunstwerke in einer westeuropäischen Tradition politischer Bildprogramme, die bereits im 15. Jahrhundert, etwa in Simone Martinis Allegorie des Guten und schlechten Regiments im Palazzo Ducale in Siena einen frühen Vorläufer findet. Aus heutiger Sicht scheint der konservative figürliche Realismus dieser Kunstwerke bereits zum Zeitpunkt ihrer Entstehung überholt gewesen zu sein. Deswegen verwundert es auch nicht, dass die vier großen Wandbilder der Nabiskünstler bereits 20 Jahre später wieder abgenommen wurden. Sie entsprachen 1937 einem europäischen Zeitgeschmack, der sich rückwärtsgewandt an Historismen und Bildtraditionen des 19. Jahrhunderts orientierte. Nur zehn Jahre später wird beim Bau des UN-Gebäudes mit diesen Traditionen gebrochen. Hatte der Völkerbund die Kunstgeschenke seiner Mitgliedsstaaten noch vorbehaltlos angenommen und überall im Gebäude platziert, richteten die Vereinten Natio­ nen zunächst ein Kunstberaterkomitee ein. Dieses nahm das Recht in Anspruch, Gast-

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geschenke auch ablehnen zu können, falls sie sich thematisch wie stilistisch nicht zur Dekoration in den Gebäuden eigneten. Eine solche Auswahlpraxis setzte voraus, dass Kunstexperten vorab Prinzipien festlegten, die ausstellungswürdige von nicht ausstellungswürdigen Werken unterschied. Angesichts der politischen Haltung der UN gegenüber Internationalität und diplomatischen Bemühungen verwundert dieses Vorgehen. Es stand auch den Erwartungen des Generalsekretärs entgegen, der sich 1950 dahin­ gehend äußerte, dass sich das UN-Gebäude einer Vielzahl bewundernswerter Beispiele der Kunst aller Völker ausdrücklich erfreuen sollte. Aufschluss über die im UN-Gebäude erwünschten Kunstformen leistet die Programmschrift des Philosophen Irwin Edman. Nach langen Erläuterungen über historische Visualisierungsformen erklärte er traditionellen Bildprogrammen, wie sie etwa im Völkerbundpalast zum Tragen kamen, eine eindeutige Absage. Ein Bekenntnis zur modernen Kunst ließ er anklingen, umging jedoch geschickt die Absicht, abstrakte Bildformen zu bevorzugen. Kern seiner Aussage blieb, dass das UN-Gebäude weder ein Museum noch eine Ausstellungshalle sei, in der die Nationen ihrem kulturellen Stolz Ausdruck verleihen könnte. Letztendlich fordert Edman die Mitgliedsstaaten zur Zurückhaltung bzw. zum Überdenken der politischen Praxis von Kunstgeschenken auf. Dieser Einstellung folgte letztlich auch Planungsdirektor Harrison. Bis in die frühen 1960er Jahre kauften die Vereinten Nationen keine Kunstwerke zur Gestaltung ihrer Räumlichkeiten an. Einzige Ausnahme stellen die beiden Wandbilder Fernand Légers im großen Konferenzsaal dar. Sie sind einerseits vor dem Hintergrund einer engen freundschaftlichen Verbundenheit zwischen dem Architekten Harrison und dem französischen Künstler zu werten. Sie wurden auch nicht von den Vereinten Nationen finanziert sondern von einer NGO. Andererseits verwundert es, dass vor dem Hintergrund von Edmans ambivalenter Haltung gegenüber repräsentativen Kunstwerken zwei abstrakte Wandarbeiten den politisch bedeutsamen Saal der UN-Vollversammlung dekorieren. Deuten lässt sich die veränderte Einstellung gegenüber der Kunst-am-Bau mit dem politischen Zeitgeschehen: Die zunehmenden Ideologisierungstendenzen beider Großmächte, die Neuordnung und Einteilung der Weltgemeinschaft in Ost und West, zugleich das politische Spannungsgefüge des Kalten Krieges spielten bei der Frage nach adäquaten Repräsentationsformen sicherlich eine gewichtige Rolle. Das neue UN-Gebäude sollte nicht zum Austragungsort ideologischer Kulturkämpfe werden. Die Kunst am Bau durfte einem politischen Kräftemessen durch unterschiedliche Kunstauffassungen, Kunststile oder gar propagandistische Bildformen keine Plattform bieten. Der bewusst angestrebte Verzicht auf Kunstwerke wirkte als Deeskalationsstrategie. Politische Neutralität sollte durch einen Verzicht auf propagandistische Kunstwerke gewahrt werden. Wie von Edman beschrieben, sollte die UN-Architektur selbst als soziales Kunstwerk und Friedenssymbol aufgefasst werden. Nur Arbeiten, die sich der Architektur dezent unterordneten, durften ergänzend wirken. Schon mit einer zwei Meter großen Zeusskulptur hatten die Kunstberater Schwierigkeiten. Die beiden abstrakten Wandmalereien Légers im großen Konferenzsaal erscheinen vor diesem Hintergrund als politische Spitzfindig-

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keit fast provokativ. Sie lesen sich weniger als persönliches Bekenntnis Wallace K. Harrisons zur ungegenständlichen Malerei, sondern als Hinwendung der Vereinten Natio­ nen zu modernen Kunstformen als offizielle Repräsentationszeichen. Bemerkenswert erscheint dabei das historische Detail, dass Fernand Léger die Arbeit nicht selbst ausführen konnte, da ihm die amerikanischen Behörden aufgrund seiner Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Frankreichs die Einreise verweigerten. Vor dem Hintergrund eines politisch motivierten Kunstverzichts im UN-Gebäude wirkt das UNESCO-Kunstkonzept mit seiner modernen Kunst am Bau geradezu als Demonstration westlicher Kulturdominanz. Weder die UdSSR noch China zählten zu den Gründungsmitgliedern der Kulturorganisation und auch osteuropäische Staaten traten erst im Laufe der 1950er Jahre als Mitgliedsstaaten bei. Wie im ersten Teil dieser Arbeit dargelegt, spiegeln die frühen Programme der ­U NESCO ab 1946 im Bereich Kultur vor allem den Wunsch europäischer Staaten nach einer schnellen Reorganisation des Kulturlebens wider. Dieses hatte in Folge des Zweiten Weltkriegs stark gelitten. Kunst sollte insgesamt als gesellschaftliches Bindeglied staatenübergreifend Solidarität befördern und Frieden stiften. Deswegen mussten internationale Künstlerverbände gestärkt, Kunsterzieher ausgebildet und Bildende Kunst als Unterrichtsfach in das Schulkurrikulum aller Mitgliedsstaaten integriert werden, so die frühen Leitlinien der UNESCO. Der Hauptsitz der Organisation im intellektuellen Herzen Europas sollte diese politische Haltung für alle sichtbar als ‚Synthese der Künste‘ zum Ausdruck bringen. Der Kunstbegriff, an dem sich die UNESCO orientierte, verblieb westeuropäischer Prägung. Er bezog sich auf die sogenannten hohen Künste. Bei der Auswahlpraxis sowohl der politischen Kunstgeschenke als auch der Kunstam-Bau folgte die UNESCO dem Vorbild der Vereinten Nationen und richtete ein Kunstberaterkomitee ein. Das international besetzte Hauptquartierkomitee beharrte zunächst bei der Zusammenstellung dieses Expertengremiums auf einer gerechten geographischen Verteilung. Das Problem kultureller Dominanz wurde offen thematisiert, letztlich setzte der Generaldirektor in Absprache mit den Architekten europäische Kunsthistoriker durch. Diese entschieden wiederum ganz im Sinne des modernen Kunstkonzepts. Ein kunsthandwerkliches Sammelsurium sollte bei den politischen Kunstgeschenken vermieden werden, so die Ansicht des Kunstberaterkomitees. Nur gezielt ausgewählte antike Objekte könnten bedenkenlos den modernen Kunstwerken zur Seite gestellt werden. Kontroverse Diskussionen bei der Auswahl zeitgenössischer Kollegen fanden nicht statt. Die Architekten hatten ihre Favoriten längst nominiert. Sie griffen auf ihre persönlichen seit den 1920er Jahren geknüpften Beziehungsnetzwerke zurück. So lässt sich erklären, dass das integrative Kunstkonzept der UNESCO an die Entwicklungen der Pariser Avantgarden der Vorkriegszeit anknüpfte. Was diese Künstler bzw. was ihre Kunst für den UNESCO-Kontext prädestinierte, war die Suche nach universalen Formen. Künstler wie Picasso, Miró, Moore, Arp und Calder hatten sich stets an sogenannter primitiver Kunst, an Volkskunst und Kunst außereuropäischer Kulturen orientiert, deren reduzierte Formensprache adaptiert und in die eigenen künstlerischen Prozesse einge-

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bunden. Gerade durch diese Integration wirkten ihre Werke, zumindest für das europäische Auge, besonders universal und eigneten sich für den internationalen Kultur­kanon der UNESCO. Zwischen der Kunst im Völkerbundpalast und der im UNESCO-Gebäude liegen gerade einmal 20 Jahre. Für diesen kurzen Zeitraum lässt sich ein rasanter Wandel der Vorstellung von repräsentativer Kunst in politischen Bauten beobachten. Die Künstler des Genfer Gebäudes standen noch ganz in der malerischen Tradition des 19. Jahrhunderts. Sie orientierten sich thematisch an allegorischen Szenen und setzten diese in einem figürlichen Realismus um. Obwohl sich Mitte der 1930er Jahre die modernen künstlerischen Strömungen zumindest auf einem internationalen Kunstmarkt etabliert hatten, wären sie als quasi internationale Staatenkunst undenkbar gewesen. Der Völkerbundpalast erscheint heute als Zeichen eines letzten kraftvollen Aufbäumens konservativer Strömungen. Den endgültigen Bruch mit europäischen Traditionalismen verursachte schließlich der Zweite Weltkrieg. Danach war eine Rückkehr bzw. ein Anknüpfen an historische Kunstformen undenkbar. Das „kunstlose“ UN-Gebäude markiert als White Cube zumindest vordergründig eine ideologiefreie Zone in einer brisanten Phase des politischen Kräftemessens zwischen den Blockstaaten. Und das integrative Kunst­ konzept der UNESCO? Es lässt sich als Auftakt einer westlichen Kulturdominanz interpretieren oder als europäische Aussöhnung mit den im Stich gelassenen und verfemten Avantgarden der Vorkriegszeit. Dass diese sogar in den 1950er Jahren längst nicht zum Kulturkanon breiter Bevölkerungsschichten zählten, zeigte die öffentliche Resonanz auf das UNESCO-Kunstkonzept in Zeitungen und Zeitschriften. In jedem Falle spiegelt es den Moment einer Neuorientierung wider, bei der neue Kunstformen eine universale Wirkkraft entfalten sollten.

Bauen für die Weltgemeinschaft – Die CIAM und die Vereinten Nationen

Die Entstehung der drei Bauwerke in Genf, New York und Paris ist eng verknüpft mit den Akteuren der CIAM. Diese Organisation entwickelte sich Ende der 1920er Jahre von einem kleinen, vorwiegend europäisch geprägten, avantgardistischen Interessen­verband hin zu einer weltweit agierenden, einflussreichen NGO mit zahlreichen nationalen Gremien. Innerhalb der Genese der CIAM spielen die Bauten der internationalen Organisationen eine Schlüsselrolle. So wirkte das Scheitern von Le Corbusiers exzeptionellem Wettbewerbsentwurf für den Völkerbundpalast wie eine Initialzündung. Es führte den Verfechtern moderner Positionen die Dringlichkeit vor Augen, dass sie zur Umsetzung ihrer Ideen zukünftig Interessen und Kräfte bündeln müssten.1 Der Völkerbundwett­ bewerb markierte den Auftakt eines Strategiewandels der modernen Architekten, nämlich sich als Fachverband zusammenzuschließen und gemeinsam aufzutreten. Diesen Strategiewandel entwickelten die CIAM nach dem Zweiten Weltkrieg weiter, indem sie konkrete Pläne zur weltweiten Durchsetzung ihrer Positionen im Bereich des modernen Städtebaus entwarfen. Den Vereinten Nationen und der UNESCO maßen sie dabei eine entscheidende Rolle zu. Durch eine enge Zusammenarbeit mit beiden Organisationen versuchten sie, nationale politische Hürden zu umgehen und als NGO ihren Einflussrahmen auf überstaatlicher Ebene zu vergrößern. Die Ideen der CIAM reichten von einer UN-Sonderorganisation für internationalen Städtebau bis hin zu einer internationalen CIAM-Schule. Diese und weitere Projekte, die eine enge Zusammenarbeit mit UN und UNESCO förderten, werden im folgenden Kapitel vorgestellt. Die Beteiligung der CIAM an den Bauprojekten der Vereinten Nationen, auf die immer wieder zu sprechen kommen wird, spiegelt dabei nicht nur den Status ihres internationalen Erfolgs wider, sondern veranschaulicht ihre besondere Rolle im symbolischen Zuschreibungsprozess dieser politischen Architekturen. 1 Auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Genfer Wettbewerb und der CIAM-Gründung verweisen: Moos 1968, S. 231; Bosman, Jos: Sigfried Giedions Urteil und die Legitimation eines geringen Zweifels, in: Oechslin 1988, S. 139 f.; Mumford 2000, S. 10ff; Vittorio Lampugnani: Die Stadt im 20. Jahrhundert, Bd. 1, Berlin 2010, S. 407 f.

Bauen für die Weltgemeinschaft – Die CIAM und die Vereinten Nationen

Präzedenzfall Völkerbundpalast: Die moderne Bewegung solidarisiert sich

Kein anderer internationaler Architekturwettbewerb sorgte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für so viel öffentliches Aufsehen wie der des Völkerbundpalasts. Dies hing natürlich mit der Einzigartigkeit des Vorhabens zusammen. Noch nie zuvor hatte es eine internationale Ausschreibung für ein Weltparlament gegeben. Diese Bauaufgabe stellte eine historische Neuheit dar.2 Die hohe Anzahl von 377 zugelassenen Projekten bezeugte die Faszination, die von dem internationalen Architekturwettbewerb ausging, auch wenn sich mehrheitlich europäische Architekten beteiligten. Die Brisanz innerhalb des Wettbewerbsverfahrens lag in der Struktur der konträren Architekturauffassungen begründet. Nie zuvor war die ganze Bandbreite zeitgenössischer Positionen, von einer streng akademischen Tradition über gemäßigte Formen der Moderne bis hin zu vollends modernen Ausrichtungen so deutlich sichtbar geworden. Sigfried Giedion kommentierte dies in einem Artikel der Kunstzeitschrift Cicerone folgendermaßen: Es handelt sich um den größten, internationalen Wettbewerb seit der „Chicago-Tribune“. […] Ein großer Teil der Avant-Garde hat sich beteiligt und wir sind gespannt, inwieweit die Reaktion noch Macht hat, die Entwicklung zu unterbinden. […] Was etwa einem Vertreter der Académie des beaux arts als erfüllt mit den schönsten Traditionen des Landes erscheint, ist für einen Vertreter unserer Zeit schlimmster Museumsmuff. Und was für einen Architekten des neuen Bauens klare Erfüllung von Zeitnotwendigkeit bedeutet, ist dem Akademiker Barbarei oder modischer Bluff. – So werden architektonische Preisgerichte heute fast immer zum Wettkampf zweier Anschauungen. In Genf dürfte das besonders deutlich werden, wo die verschiedensten Kulturkreise aufeinander stoßen. 3

Insbesondere den Vertretern des Neuen Bauens bot der Wettbewerb die Chance, aufzuzeigen, dass funktionalistische Konstruktionsprinzipien nicht nur im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sinnvoll eingesetzt werden konnten, sondern sich auch auf einen Parlamentsbau anwenden ließen. Die Völkerbundidee – die politische Vision von einem überstaatlichen, der Diplomatie verpflichteten Weltparlament – wurde geradezu 2 Vgl. Moos 1968, S. 272. 3 Zit. Giedion, Sigfried, in: Der Cicerone. Halbmonatsschrift für Künstler, Kunstfreunde und Sammler, Jg. XIX, 1927, S. 265.

Präzedenzfall Völkerbundpalast: Die moderne Bewegung solidarisiert sich

Präzedenzfall Völkerbundpalast: Die moderne Bewegung solidarisiert sich     | 305

als Aufforderung verstanden, dieser einen neuen Baustil zu widmen. Mit dem Bau der Stuttgarter Weißenhofsiedlung (1927), um ein Beispiel zu nennen, hatten Vertreter der Avantgarde gerade ihren internationalen Charakter unter Beweis gestellt und deutlich gemacht, dass sie als neue kulturelle Tendenz innerhalb der europäischen Architekturlandschaft ernst zu nehmen waren, da sie „zunehmend klare theoretische, methodische und ästhetische Umrisse gewann(en)“4. Neben Le Corbusier und Nils Einar Eriksson hatten beispielsweise Hannes Meyer mit Hans Wittwer, Richard Neutra mit Rudolph Schindler, Hans Hugo Hannibal Naef und Johannes Duiker ausgesprochen modernisti­ sche Wettbewerbsprojekte in Genf eingereicht. Die Vertreter der Moderne scheiterten jedoch an der konservativen Haltung der Architektenjury. Obwohl mit Hendrik Petrus Berlage, Josef Hoffmann und Karl Moser drei Architekten vertreten waren, deren eigenes Wirken im Zusammenhang von Modernisierungsströmungen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu verorten ist und sie als betagte Fachleute den neuen rationellen Tendenzen der 1920er Jahre offen gegenüberstanden, zeigen ihre Nominierungen, dass für sie ein modernistischer Völkerbundpalast nur schwer vorstellbar war. Sowohl Berlage als auch Hoffmann favorisierten gemäßigte Entwürfe mit stark klassizistischen Anleihen. Berlage verlieh einen ersten Platz an den Entwurf des Architektenduos Emil Fahrenkamp und Albert Deneke und Hoffmann an die Architekten Erich zu Putlitz, Rudolf Klophaus und August Schoch. Karl Moser war der einzige, der für zwei moderne Projekte Partei ergriff (für Le Corbusier und Pierre Jeanneret sowie Hannes Meyer und Hans Wittwer). Wie Ernst Strebel nachweist, versuchte Moser während der gesamten Jurierungsphase vor allem den Entwurf Le Corbusiers, der eine öffentliche Debatte auslöste, zu protegieren.5 Deshalb soll dieser im Folgenden vorgestellt werden.

Le Corbusiers Wettbewerbsentwurf und dessen internationale Resonanz Muss der Architekt des Völkerbundes (der traditionellen Formel folgend) einen schönen Palast bauen oder fertigt er eine großartige Hörmaschine, in welcher eine neue Harmonie möglich und eine neue Redegewandtheit sicher ist?6

4 Zit. Lampugnani 2010, S. 407. 5 Ernst Strebel zeichnet in seinem Aufsatz das persönliche Verhältnis zwischen Karl Moser und Le Corbusier nach. Dabei macht er darauf aufmerksam, dass Mosers persönliche Assistenten – u. a. Alfred Roth – Le Corbusier bei der Anfertigung der Entwürfe behilflich waren. Trotz der vorgeschriebenen Anonymität der Wettbewerbsentwürfe muss er genaue Kenntnis über Le Corbusiers Projekt Nr. 273 gehabt haben. Vgl. Strebel, in: Oechslin 1988, S. 105 ff. 6 Originalzitat Le Corbusier: „L’architecte de la S.D.N. doit-il préférer faire un beau palais (suivant la formule traditionnelle) ou fera-t-il une magnifique machine à auditions, dans laquelle une harmonie nouvelle est possible et une éloquence nouvelle est certaine?” Zit. nach: Wettbewerbsprogramm von Le Corbusier und P. Jeanneret: Concours pour l’Edification du Palais de la Société des Nations à Genève, SdN-Archiv, R 1544/32/59298, 28594, Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret, S. 10.

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Diese Frage richtete Le Corbusier in der von ihm und Pierre Jeanneret eingereichten Projektbeschreibung an die Juroren des Völkerbundwettbewerbs. Sie trifft den Kern der bei diesem Wettbewerb präsenten Grundproblematik: durch welchen Baustil sollte das erste internationale Bauwerk der neu gegründeten Staatengemeinschaft repräsentiert werden? Durch einen akademischen Parlamentsbau oder durch eine neue, auf Prinzipien der Moderne beruhende Konstruktionsweise? Für Le Corbusier lag die Antwort klar auf der Hand.7 Seine Projektskizze legt in sechs Kapiteln zu den Aspekten Lage, Verkehr, Bepflanzungen, Gruppierung der Gebäude, Konstruktionsweise und Baukosten die modernen Architekturprinzipien des Schweizers dar. Diese zielen vor allem auf die infrastrukturelle Nutzbarkeit der einzelnen Gebäudeteile ab; unterschiedliche Besuchergruppen sollen dabei berücksichtigt werden: zum Beispiel Angestellte, Delegierte, geladene Gäste, Journalisten und interessierte Öffentlichkeit.8 Le Corbusier konzipiert deswegen zwei Gebäudeteile, einen für das Sekretariat – mit Büros der Festangestellten, Arbeitsräumen der Kommissionen, Bibliothek, Archiv sowie Restaurant – und einen zweiten für den großen Versammlungssaal – mit weiteren Sitzungssälen. Beide Gebäude erhalten unterschiedliche Zugänge, die die Benutzergruppen voneinander separieren. Der Architekt begründet die Gebäudezweiteilung mit den besonderen Raumbedürfnissen, die er nach täglichen (quotidienne), quartals- oder zeitweisen (trimestrielle ou intermittente) und jährlichen (annuelle) Belegungsanforderungen gliedert.9 Im Entwurf von Le Corbusier finden sich die für ihn wesentlichen Konstruktionsprinzipien wieder. So besteht der Sekretariatsbau aus drei l-förmig aneinander gruppierten, langgestreckten Flügeln. Er ist als Stahlskelettbau auf Pilotis konzipiert. Mit dieser Konstruktionsweise gelingt es Le Corbusier, bestehende Höhenunterschiede – neun Meter auf dem Gelände – auszugleichen. Den dadurch entstehenden Raum unterhalb der Gebäude legt er als Parkfläche für Fahrzeuge an. Flachdächer ermöglichen repräsentative Dachterrassen für Cafés und Restaurants. Durchgehende Fensterbänder auf allen Gebäudeseiten sorgen für die größtmögliche Ausnutzung des Tageslichts in sämtlichen Büroräumen. Auch das Konferenzgebäude ist mehrteilig angelegt: Ein zum Genfer See hin orientierter, trapezförmiger Baukörper beherbergt den großen Versammlungssaal; quer dazu schließt sich ein langer, quaderförmiger Baukörper für die Kommissionen an. Letzterer weist dieselben Konstruktionselemente auf wie das Sekretariatsgebäude – Pilotis, Bandfenster, Flachdach. Der Konferenzbau hingegen unterscheidet sich beispielsweise durch Doppeletagen, die eine natürliche Beleuch7 Wie Patrick Devanthéry und Inès Lamunière in ihrer detaillierten Analyse von Le Corbusiers Entwurf nachweisen, orientierte sich Le Corbusier durchaus an gängigen klassischen Kompositionsschemata. Er übertrug diese jedoch in eine moderne Formensprache. Vgl. Devanthéry, Patrick/ Lamunière, Inès: Das Völkerbundsgebäude. Ein moderner Palast, in: Oechslin 1988, S. 73–94. 8 Vgl. Wettbewerbsprogramm von Le Corbusier und Pierre Jeanneret: Concours pour l’Edification du Palais de la Société des Nations à Genève. SdN-Archiv, R 1544/32/59298/28594, Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret, S. 1–15. 9 Vgl. ebd., S. 4.

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tung des großen Konferenzsaals ermöglichen. Sekretariat und Konferenzbau sind durch einen Verbindungsgang, eine Salle des Pas Perdus, miteinander verbunden. Ihre hinter­einander gestaffelte, parallele Ausrichtung entlang des Seeufers erzeugt eine monumentalisierende Streckung des gesamten Baukomplexes. Die Schauseite verläuft entlang der Uferpromenade. Besondere Aufmerksamkeit widmet Le Corbusier technischen Details, wie der A ­ kustik des großen Konferenzsaals. Dabei orientiert er sich an neuen Raumberechnungen, die der französische Physiker Gustave Lyon auf Wand- und Bodensysteme angewendet hatte. Die von ihm propagierte „Hörmaschine“ soll dadurch gängige Raumschemata großer Konferenzsäle überwinden und sich an den neusten technologischen Erkenntnissen orien­tieren.10 Auch den Belüftungsproblemen des Konferenzsaals gilt Le Corbusiers Interesse und er schlägt ein „système aerisation punctuelle" vor. Ferner ist die Lenkung der Publikumsströme ein wichtiger funktioneller Faktor. Sechs Eingänge gewährleisten in Minutenschnelle unterschiedlichen Besuchergruppen (insgesamt etwa 2400 Personen) den gleichzeitigen Zugang zum Saal. Auch auf die natürliche Gestaltung des Terrains legt Le Corbusier großen Wert. So integriert er den alten Baumbestand im oberen Teil des Geländes und im Park in seinen Entwurf. Die Gleichzeitigkeit eines Hochwaldes und auslaufender Rasenflächen in Richtung See ist für seinen modernen Bau passend: „Wir erhalten hier eine Mischung aus französischem und englischem Garten, die uns für die geradlinige Ästhetik der Betonkonstruktion angemessen erscheint“11, so seine Stellungnahme zur Geländebepflanzung. Die Kostenkalkulation seines Projektentwurfs kommt zu folgendem Ergebnis: Zu guter Letzt kommen wir zu den Kosten des Unternehmens, die angesichts der Standardisierung die meisten Elemente des Projektes berücksichtigen sowie den wichtigen Kubik-Leerraum des großen Versammlungssales, der Flure, Geschäfte, Bibliothek usw.; sie führen unsere Kosten auf eine Summe von 11.200.000 Schweizer Franken zurück. Der Preis pro Kubikmeter nach dieser Gesamtsumme beträgt 54 Schweizer Franken.12

Le Corbusier war es als einzigem Wettbewerbsteilnehmer gelungen, die auf 13 Millionen Schweizer Franken festgeschriebene Bausumme zu unterbieten. Der Streit um seinen Wettbewerbsentwurf, der den Architekten zu einer internationalen Presse­kampagne und einer gerichtlichen Klage gegen den Völkerbund veranlasste, wurde letztlich durch die Aufhebung dieses zentralen Wettbewerbskriteriums ausgelöst. So hatte die

10 Vgl. ebd., S. 10. 11 Originalzitat Le Corbusier: „Nous obtenons ainsi une mélange de jardins français et anglais qui nous paraissent assez conformes à l’ésthétique rectiligne des constructions de ciment armé.” Zit. nach: ebd., S 4. 12 Originalzitat Le Corbusier: „En dernière heure nous parviennent des devis d’entreprises qui ayant tenu compte de la standardisation étendue à la plupart des éléments du projèt, ainsi que des cubes importants de vide de la grande sale, des dégagements, magasins, bibliothèque etc.; ramènent notre devis ci-dessus au montant de 11.200.000 Frs. suisses. Le prix du m3 d’après le devis résumé est de 54 Frs. suisses.“ Zit. nach: ebd., S. 15.

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Jury zunächst zahlreiche Wettbewerbsprojekte, vor allem diejenigen mit aufwendiger Fassaden­gestaltung, die weit über 20 Millionen Schweizer Franken lagen13, gezwungenermaßen ausschließen müssen. Obwohl den Juroren klar war, dass eine Aufhebung des Kriteriums ‚Bausumme‘ den Wettbewerb juristisch anfechtbar machen würde, entschieden sie sich zu diesem Schritt.14 Le Corbusier erhielt am 5. Mai 1927 einen Brief des Generalsekretärs, der ihn über die Prämierung seines und Pierre Jeannerets Projekts informierte.15 Dieser schrieb lediglich, dass es ihm eine Ehre sei, ihm den vorläufigen Bericht der internationalen Architektenjury zukommen zu lassen, den diese am Morgen in einer öffentlichen Sitzung präsentiert hatte. Er freue sich, ihm mitzuteilen, dass die Jury seinem Projekt einen Preis ex aequo in Höhe von 12.000 CHF verliehen habe. Die öffentliche Ausstellung aller Projekte könne allerdings nicht vor Juni erfolgen.16 Erstaunlich ist, dass aus dem Brief weder das Gesamtergebnis des Wettbewerbs hervorgeht noch eine Auskunft über den Rang von Le Corbusiers Prämierung bzw. die Anzahl der gleichrangig prämierten Projekte erteilt wird. Der beigefügte, durchweg positive zehnseitige Jury­bericht, den wahrscheinlich der Preisrichter Karl Moser verfasst hatte, lobte die Modernität des Entwurfes und dessen Rücksichtnahme auf die natürlichen Gegebenheiten des Geländes17: Es handelt sich ganz offensichtlich um eine Ästhetik, die sich direkt aus einem rationellen Architektursystem ableitet; die alten Ordnungen sind hier nicht mehr angebracht, aber die Erscheinung eines mediterranen Geistes überträgt diesem linearen Ensemble eine Klarheit, die wie dazu gemacht erscheint, grundsätzlich zum lateinischen Charakter des Genfer Sees zu passen.18

Den tatsächlichen Ausgang des Wettbewerbs konnte Le Corbusier am 5. und 6. Mai 1927 der Schweizer Presse entnehmen. So berichtete die Neue Zürcher Zeitung, dass „es dem Preisgericht […] nicht möglich gewesen (sei), einen der vielen Pläne zur Ausführung zu empfehlen“19. Es habe „deshalb einstimmig beschlossen, die ihm zur Verfügung gestellte Summe von 165.000 Fr. zu verteilen und zwar in der Form von neun Preisen von je 13 Aus der Dokumentenzusammenstellung Werner Oechslins geht hervor, dass einige der erstprämierten Projekte knapp unter 20 Millionen Schweizer Franken lagen. Vgl. Oechslin 1988, S. 154 ff. 14 Vgl. hierzu ausführlich: Strebel, in: Oechslin 1988, S. 98 f. 15 Vgl. Abschrift eines Briefes des Generalsekretärs an Le Corbusier, undatiert, SdN-Archiv, R1544/ 32/59289/28594, Architects Competition, Correspondence with MM. Le Corbusier Jeanneret. Die Datierung des Briefes auf den 5. Mai ließ sich aus einem weiteren Brief vom 27. 5. 1927 schließen. 16 Vgl. ebd. 17 Vgl. Construction du Palais de la Société des Nations à Genève (Projet primé 1er prix ex-aequo) de MM. Le Corbusier et P. Jeanneret, Architctes à Paris, SdN-Archiv, R1544/32/59298/28594, Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret. 18 Originalzitat: „Il s’agit bien évidamment d’une ésthétique découlant directement d’un système rationnel d’architecture; les ordres anciens ne sont plus de saison ici, mais une tournure d’esprit méditérranéènne confère à l’ensemble des lignes une limpidité qui est faite pour s’accorder au site si foncièrement latin du lac de Genève.“ Zit. nach: ebd., S. 10. 19 Vgl. Neue Zürcher Zeitung: Wettbewerb für das Völkerbundsgebäude. Kein erster Preis, 5. 5. 1927.

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12.000 Fr., neun ersten Ehrenmeldungen von je 3800 Fr. und neun zweiten Ehrenmeldungen von je 2500 Fr.“ 20 Über die Ursache des ungewöhnlichen Vorgehens mutmaßte der Autor, dass der wahre Grund, weshalb der Wettbewerb des Völkerbunds für die Errichtung eines großen Versammlungsgebäudes zurzeit zu keinem praktischen Ergebnis geführt hat, darin besteht, daß die Mitglieder der Jury sich nicht auf ein Projekt einigen konnten, dessen Ausführung sie dem Völkerbundsrat empfehlen sollten.21

Bereits einen Tag später gab die Zeitung alle Preisträger namentlich bekannt und kommentierte spöttisch, dass „der Wettbewerb für das Haus der Nationen fürs erste ausgegangen (sei) wie das Hornberger Schießen […].“ 22 Le Corbusier war mit einer Erstplatzierung unter neun anderen nicht zufrieden. Gemeinsam mit Sigfried Giedion startete er zunächst in der Schweiz, dann auch in Deutschland und Frankreich eine Pressekampagne, die sein Projekt als einzig angemessenes Siegerprojekt propagierte. Die Mittel, derer sie sich dabei bedienten, erscheinen teilweise grenzwertig. Sie liegen jedoch im Rahmen dessen, was man heute als erfolgreiches Marketing und gute Lobbyarbeit bezeichnen würde. Giedion trat am 27. Juni 1927 mit einem Artikel in den Basler Nachrichten an die Öffentlichkeit. Unter dem Titel Schweizer Erfolg beim Wettkampf um das Völkerbundgebäude informierte er die Leser nicht nur über „den interessanten Wettkampf zwischen der Stilarchitektur und einer neuen funktionellen Architektur“, sondern lobte vor allem das Urteil der Preisrichter das, „nicht auf einen zufälligen Namen (fiel), sondern auf einen wirklichen Führer: auf den Welschschweizer Jeanneret, der sich als Architekt Le Corbusier nennt und von den gekrönten Architekten weitaus den größten internationalen Namen“ 23 habe. Giedion provozierte gezielt mit der Frage, ob solch ein „­A rchitektur-Wettkampf“ die breitere Öffentlichkeit überhaupt etwas anginge. Damit versuchte er die Leser für den bislang nur in Fachkreisen geführten Diskurs um moderne Architektur zu sensibilisieren. Kritik an der Architektenjury äußerte er in einem Fach­ artikel der Schweizerischen Bauzeitung vom 9. Juli 1927: Mangels jeglicher Beurteilung der Entwürfe durch die Jury sind wir genötigt, uns in der Darstellung der Entwürfe auf das zu beschränken, was uns erreichbar ist und wichtig scheint. Wir beginnen mit dem Entwurf […] der beiden Brüder Le Corbusier und Jeanneret […]. Eine Erläuterung dazu zu schreiben, scheint überflüssig angesichts der Klarheit […] und der nachstehenden Beschreibung durch die Architekten.24

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Zit. ebd. Zit. ebd. Zit. Neue Zürcher Zeitung: Kleine Chronik. Wettbewerb für das Völkerbundsgebäude, 6. 5. 1927. Zit. Giedion, Sigfried: Schweizer Erfolge beim Wettkampf um das Völkerbundsgebäude, in: Basler Nachrichten, 83. Jg., Nr. 147, Montag, 27. 6. 1927. 24 Zit. Giedion, Sigfried: Internationaler Wettbewerb für das Völkerbund-Gebäude in Genf, in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 90, H. 2, 9. 7. 1927, S. 13–20.

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Le Corbusier nutzte in der gleichen Ausgabe die Gelegenheit, sein Projekt in allen Einzel­ heiten vorzustellen. Dabei bediente er sich wortwörtlich der Textpassagen des ihm vom Völkerbund zugesandten Gutachtens zu seinem Entwurf.25 Bei den abgebildeten Skizzen handelte es sich keineswegs um die Originalentwürfe, sondern um im Nachhinein entstandene Zeichnungen. Diese hatte er angefertigt, nachdem es sich als schwierig erwiesen hatte, fotografische Abzüge von seinen Projektentwürfen zu erhalten. Le Corbusier hatte sich gleich nach der Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses am 31. Mai 1927 schriftlich an die verantwortlichen Stellen des Völkerbunds gewandt und die dringende Zusendung von Fotografien seines Projekts bzw. die Erlaubnis erbeten, solche von einem Fotografen anfertigen zu lassen.26 Das eigenhändige Abfotografieren seiner Entwürfe wurde ihm zwar nicht gestattet, der Völkerbund bot ihm allerdings die Abzüge dreier Entwurfszeichnungen für je 7,50 Schweizer Franken zum Kauf an.27 Diese ergänzte er dann um weitere Zeichnungen. Dass die Schweizerische Bauzeitung als Organ des Schweizer Werkbundes und damit auch der modernen Architekten in den weiteren Ausgaben Position für Le ­Corbusiers Entwurf ergriff, verwundert nicht weiter. So ging etwa der Autor F. M. Oswald in der Ausgabe vom 30. Juli 1927 in einem Artikel ausführlich auf die Probleme der Raum­ akustik großer Versammlungssäle ein, um am Ende Le Corbusiers Projekt als das einzige zu rühmen, das den schwierigen technischen Anforderungen genügen würde.28 In zwei Artikeln vom 13. und 20. August 1927 wurden schließlich auch die anderen prämierten Projekte vorgestellt. Die „Uebersicht“, so heißt es dort, „könne umso kürzer gehalten werden, als diese Projekte vielmehr als Vertreter ihres Typus, denn als persönliche Leistungen Interesse beanspruchen können.“ 29 So beschränkte sich die Besprechung zahlreicher Entwürfe auf eine knappe Zuordnung zu vier Schemata: „symmetrisch-axial komponiert“, „modern bzw. unsymmetrisch-axial komponiert“, „monumentale Bau­ blöcke ohne Beziehung auf die Situation“ und „aufgelöste Gruppierung“.30 Einzig den Projekten von Richard Neutra und Nils Einar Eriksson wurde eine zum lecorbusierschen Projekt „­verwandte Gesinnung“ attestiert. Dem modernen Entwurf der Architekten 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. Brief Le Corbusier und P. Jeanneret an den Völkerbund vom 31. 5. 1927, SdN-Archiv, R 1544/32/ 59298x/28594. Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret. 27 Vgl. Brief von M. Lloyd (Secrétaire de la Commission du Bâtiment) an M. Jeanneret vom 8. 6. 1927, SdN-Archiv, R 1544/32/59298x/28594. Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret. Le Corbusier fing in Folge einen Streit über die Publikationsrechte seiner Entwürfe an, wie weitere Briefwechsel belegen. So wendete er sich am 12. 6. 1927 erneut an den zuständigen Sekretär Lloyd und wies ihn höflich darauf hin, dass diese drei Fotos die Intention seines Entwurfes nur unzureichend darstellten und er als Autor deren Veröffentlichung in dieser Zusammenstellung untersage. Dies konnte der Völkerbund nicht akzeptieren. 28 Vgl. Oswald, F. M.: Zum Problem der Akustik im großen Versammlungs-Saal des Völkerbunds-Gebäudes in Genf, in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 90, H. 5, 30. 7. 1927, S. 59–66. 29 Zit. nach: Schweizerische Bauzeitung: Zum Ergebnis des Wettbewerbs für das Völkerbunds-Gebäude, Bd. 90, H. 7, 13. 8. 1927, S. 86. 30 Vgl. ebd.

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Hannes Meyer und Hans Wittwer warf der Autor hingegen einen „manischen Fabrikfanatismus“ vor.31 Der Architekturkritiker Jean Badovici veröffentlichte die Entwürfe Le Corbusiers in der französischen Fachzeitschrift Architecture Vivante.32 Darin beschwor er das Projekt als „Ereignis“, das bereits in der Tagespresse wie in Spezialzeitschriften aller Länder als „indiskutables Manifest zeitgenössischen Geistes“33 gefeiert würde. In der gleichen Ausgabe veröffentlichte Le Corbusier weitere Projektzeichnungen, indem er seinen eigenen Artikel L’Esprit de Vérité mit zwei Völkerbundskizzen illustrierte.34 Für das Projekt Le Corbusiers setzte sich außerdem Sigfried Giedion ein mit mehreren offensiven Artikeln in der Neuen Zürcher Zeitung, einer Tageszeitung also, die sich nicht an Fachkreise, sondern an eine breite Öffentlichkeit richtete. Nach einem Auftaktartikel vom 14. Juli 1927 durch die Hand eines unbekannten Autors, der die Präsentation der Wettbewerbsprojekte in Genf mit dem Urteil „grauenhaft, höchst grauenhaft“ kommentierte und „den Zusammenbruch des historischen Formalismus“ prophezeite, 35 lieferte Giedion am 24. Juli anhand der prämierten Wettbewerbsentwürfe eine kritische Einschätzung zum Stand der Architektur in Europa, besonders in Frankreich, Italien, Deutschland, Holland und der Schweiz. Dabei kam er immer wieder auf Le Corbusiers Projekt als einzigem zeitgemäßen zu sprechen.36 In einem weiteren Artikel vom 26. September 1927 verwies er auf die Wichtigkeit einer angemessenen Architekturform für die neue politische Vision des Völkerbundes: Das Völkerbundsgebäude ist kein gewöhnlicher Bau, es ist ein Manifest. Es ist das Manifest, das ohne Worte ausdrückt, welchen Weg der Völkerbund zu gehen gedenkt. Das heißt: Wird der Bau die ganze höfische Repräsentation, wie sie die Architektur des vergangenen Jahrhunderts aufwies, in sich tragen mit ihren längst unwahr gewordenen Palast-Allüren, oder wird das Sinnbild des Völkerbundes etwas von den Thesen auszudrücken wissen, unter denen er gegründet worden war? Der Sinn des Völkerbundes […] ist zutiefst aus der Not unserer Zeit geboren. Es ist undenkbar, daß ein Bau, der eine solche Organisation beherbergen soll, auch architektonisch anders als mit Mitteln unserer Zeit gestaltet wird. 37

Giedion stellt hier den unmittelbaren Bedeutungszusammenhang zwischen Politik und moderner Formensprache her. Im Begriff „Manifest“ spiegelt sich dabei ein ästhetisches

31 Vgl. Schweizerische Bauzeitung: Zum Ergebnis des Wettbewerbs für das Völkerbunds-Gebäude, Bd. 90, H. 8, 20. 8. 1927, S. 105. 32 Vgl. Jean Badovici: Le Palais de la Société des Nations, in: Architecture Vivante, Vol. 17–18, Automne/Hiver 1927, S. 33–40. 33 Originalzitat Jean Badovici: „La presse quotidienne et les revues spécialisées de tous les pays se rallient aux apports décisifs qui en constituent le principe et y reconnaissent la manifestation indiscutable de l’esprit contemporain.” In: Architecture Vivante, S. 33. 34 Vgl. Le Corbusier: L’Esprit de Vérité, in: Architecture Vivante, S. 5–31. 35 Vgl. P. M.: Wettbewerb für das Völkerbundsgebäude in Genf, in: Neue Zürcher Zeitung, Donnerstag 14. 7. 1927, S. 6. 36 Vgl. Giedion, Sigfried: Die Architektur am Wendepunkt. Bemerkungen zum Wettbewerb um den Völkerbundpalast, in: Neue Zürcher Zeitung, Sonntag, 24. 7. 1927, S. 4. 37 Zit. Giedion, Sigfried: Um das Völkerbundsgebäude, in: Neue Zürcher Zeitung, 26. 9. 1927.

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Programm wider, das darauf verweist, dass eine Rückkehr zu vergangenen Repräsentationsformen unzeitgemäß und gegenwartsfeindlich sei. Das Völkerbundsgebäude symbolisiere eine Art Aufbruch, der aus der Not der Zeit herausführe. Giedion versucht an dieser Stelle die Leser für generelle symbolische Zusammenhänge von Architektur zu sensibilisieren. Nicht zuletzt besteht sein Anliegen darin, eine diskursfähige öffentliche Meinung für das Thema „moderne Architektur“ zu generieren. Seine publizistischen Anstrengungen verliefen stets in Absprache mit Le Corbusier. Dieser bedankte sich bereits am 5. Juni 1927 für Giedions Mühen und berichtete seinerseits, dass er in Paris „ihre Affäre“ gut voranbrächte.38 „Die Politik, der wir folgen müssen, besteht darin, dass alle über unser Projekt sprechen“39, so Le Corbusier weiter; er bat Giedion darum, in der Neuen Zürcher Zeitung, dem Bund, den Basler Nachrichten und der Gazette de Lausanne aktiv zu werden und eine Projektbeschreibung sowie eine Kopie des Juryberichtes zu veröffentlichen. Zuspruch und Unterstützung erhielten sie von zahlreichen Mitstreitern. In einem an Giedion gerichteten Brief des Züricher Ingenieur-Büros Terner und Chopard vom 26. Juli 1927 brachte Charles Chopard seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die moderne Architektur durch die „trostlose Concurrenz des Völkerbundsgebäudes“ einen „kraftvollen Impuls“ erhalten hätte.40 Chopard machte deutlich, dass nun auch diplomatische Schritte in Angriff genommen werden müssten: Es ist vielmehr unsere Pflicht, in erster Linie an solcher Stelle zu wirken, die für die Entscheidung die stärksten Trümpfe besitzt: ich meine unsere Diplomatie, vorerst unsere schweizerische Völkerbundsdelegation. Sie führen an, dass die große Versammlung Anfang September ihren Spruch fällen wird; da müssen wir dafür sorgen, dass unsere Vertreter in Genf über die einzig mögliche Wahl unseres Landsmannes Corbusier derart durchdrungen sind, dass sie mit den stärksten Argumenten und mit innerster Ueberzeugung für die Auftragserteilung an Corbusier eintreten.41

Chopard versicherte Giedion, dass seine Zeitungsartikel in Kreisen hoher Schweizer Politiker durchaus Beachtung fänden und forderte ihn zu politischer Lobbyarbeit auf. Giedion solle sich gezielt an den amtierenden Bundespräsident Giuseppe Motta wenden. Diesem Rat folgte Giedion. Am 12. August 1927 richtete er einen Brief an den Schweizer Bundespräsidenten, der gleichzeitig Vorsitzender der Schweizerischen Delegation beim Völkerbund war. Als Grund seines Anliegens gab Giedion an, dass „Gerüchte von verschiedensten Intrigen immer lauter werden, die darauf hinzielen, das von der Meinung aller Fachleute als bestes Projekt erkannte Völkerbundsgebäude von Le Corbusier in den Hintergrund zu drängen“42. Auch wenn die Schweiz im Völkerbund selbst über keine 38 Vgl. Brief Le Corbusier an Sigfried Giedion vom 5. 6. 1927, abgedruckt in: Hofer, Paul/Stucky, Ulrich: Hommage à Giedion. Profile seiner Persönlichkeit, Basel, Stuttgart 1971, S. 34 f. 39 Zit. Le Corbusier, in: ebd. 40 Vgl. Brief Charles Chopard an Sigfried Giedion, vom 26. 7. 1927, gta-Archiv, Völkerbundpalast. 41 Zit. Chopard, aus: ebd. 42 Zit. Giedion, Sigfried: aus einem Briefentwurf an den Bundespräsidenten Giuseppe Motta vom 12. 8. 1927, gta-Archiv, Völkerbundpalast.

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maßgebende Stimme verfüge, so Giedion weiter, sei wohlbekannt, dass Mottas „persönliche Stimme eine größere Durchschlagskraft im Rat“ besäße. Unter Bezugnahme auf einen von Giedion besuchten Vortrag Mottas im Tessin – über die „kulturellen Oberstimmen“ des Landes – versuchte Giedion deutlich zu machen, dass die Schweiz durch Le Corbusier zu einer neuen architektonischen Blüte gelangen könne.43 Ein Antwortschreiben auf diesen gewagten Vorstoß Giedions ist nicht bekannt. Giedions Anstrengungen blieben nicht auf die Schweiz beschränkt. Unterstützung zur Förderung von Le Corbusiers Projekt suchte er bei den deutschen Vertretern des Neuen Bauens. Wie aus einem Brief an Laszlo Moholy-Nagy vom 12. Oktober 1927 hervorgeht, übersandte er ihm ein Communiqué (dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um die beim Völkerbund eingegangen Protestschreiben der europäischen Architektenverbände) „mit dem Ersuchen, die Unterschriften des Rings und des BDA (Bund deutscher Architekten) darunter zu setzten, sowie die Weiterleitung an die verschiedensten europäischen Stellen vorzunehmen“44. Auf Bitten von Moholy-Nagy hin, habe er zwei Briefe auf Französisch verfasst, sowie „orientierende Exemplare“ von ihm selbst und anderen beigelegt. In einem weiteren Brief richtete sich Giedion direkt an den japanischen Botschafter Mineitciro Adatci, neugewähltes Mitglied der Fünferkommission des Völkerbundes, dem letztendlich die Projektentscheidung oblag – diesen ließ er sogar ins Japanische übersetzen.45 An Moholy-Nagy schrieb Giedion weiter: Dass ich mit Gropius in Stuttgart zusammengetroffen bin und wir manches – vielleicht Entscheidendes – ausgekocht haben, dürften Sie wohl von ihm erfahren haben – Sie fragen mich, ob es mir gefiele, zu kämpfen, darauf muss ich antworten, dass ich es selbstverständlich als meine Pflicht ansehe.46

Deutlich wird, dass Giedion eine europaweite Unterstützungskampagne für Le Corbusiers und Jeannerets Projekt initiierte. Sein Protest richtete sich vor allem gegen das unsachgemäße Vorgehen der Wettbewerbsjury. Durch die nachträgliche Veränderung der Auswahlkriterien wären diejenigen Gesichtspunkte, welche maßgeblich für moderne Projekte sprächen, etwa die niedrigeren Baukosten, schlichtweg ausgehebelt worden. Giedion veröffentlichte seine Artikel auch in deutschen Zeitungen, etwa am 28. Juli 1927 im linksliberalen Berliner Börsen-Courier.47 Am 12. Oktober schrieb er voller Optimismus an Le Corbusier:

43 Vgl. ebd. 44 Zit. Giedion, Sigfried: aus einem Briefentwurf an Laszlo Moholy-Nagy vom 12. 10. 1027, gta-­A rchiv, Völkerbundpalast. 45 Der Brief an den Japanischen Botschafter in Brüssel Mineitciro Adatci befindet sich ebenfalls im gta-Archiv. Vgl. Brief Giedion an Adatci vom 11. 10. 1927, gta-Archiv, Völkerbundpalast. 46 Zit. Giedion, Sigfried aus einem Briefentwurf an Laszlo Moholy-Nagy vom 12. 10. 1027, gta-Archiv, Völkerbundpalast. 47 Vgl. Sigfried Giedion: Das Debakel der Monumentalität. Bemerkungen zum Wettbewerb um das Völkerbundsgebäude, in: Berliner Börsencourier, Nr. 347, Donnerstag, 28. 7. 1927.

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Wir waren in Stuttgart und ich habe in der internationalen Versammlung, die der Ring einberufen hatte, über ihr Projekt gesprochen. Nach der Sitzung haben alle Vorschläge gemacht, um Ihnen zu helfen und ich hoffe, dass einige Schritte erfolgen werden. Wir selbst haben nach unseren Möglichkeiten alles in unserer Macht stehende getan […].48

Le Corbusiers und Giedions Bemühungen wurden nicht belohnt. Am 16. Januar 1928 erhielt Le Corbusier einen förmlichen Brief des Generalsekretärs, der ihn über den Ausgang des Wettbewerbs in Kenntnis setzte und ihm mitteilte, dass sich das „Spezial­ komitee“ in seiner letzten Sitzung vom 19. 12. bis 22. 12. 1927 für ein neues Projekt entschieden habe, das auf der Basis des Projekts Nr. 387 in Zusammenarbeit mit den Projekten 117, 143 und 431 zustande kommen solle.49 Dieses Ergebnis wollte Le Corbusier nicht akzeptieren. In einem gemeinsam mit dem französischen Rechtsanwalt André Prudhomme erstellten und über dessen Kanzlei versandten Eilantrag an den Rat des Völkerbundes bat er die Ratsmitglieder, ihre Zustimmung zum Wettbewerbs­ ausgang vorerst nicht zu erteilen.50 Auf 30 Seiten legten Le Corbusier und Prudhomme ihre Sicht auf den nicht rechtmäßig verlaufenen Wettbewerb dar. Unter Verweis auf die von der Jury aufgestellten jedoch nicht angewandten Wettbewerbsbedingungen – die ursprünglich veranschlagte Höhe der Baukosten von 13 Millionen Schweizer Franken und die unrechtmäßige Vergabe von 18 Preisen anstatt der geplanten zehn – sowie unter Bezugnahme auf die öffentliche Kritik und die zahlreichen Protestaktionen der Architektenverbände beanstandeten sie den Ausgang des Wettbewerbes, der ihr Projekt ins Abseits gespielt hatte. Ihre Bestrebungen wurden ignoriert. In einem Antwortschreiben vom 31. März 1928 wies der stellvertretende Generalsekretär darauf hin, dass das Sekretariat des Völkerbundes keine Berechtigung besitze, dem Rat inoffiziell einen solchen Antrag weiterzuleiten. 51 Le Corbusier erhielt den Antrag völlig unbeachtet auf dem Postweg zurück. Seiner Enttäuschung über das Scheitern des außergewöhnlichen Projektes verlieh Le Corbusier in der Publikation Une Maison – Un Palais. A la recherche d’une unité architecturale Ausdruck.52 Dabei handelt es sich weniger um eine mit dem Völkerbund 48 Originalzitat Sigfried Giedion: „Nous étions à Stuttgart et j’ai parlé au sujet de votre projet dans l’A ssemblé Internaionale que le „Ring“ avait convoqué. Après la séance tout le monde avait des propos pour vous aider et j’éspère que quelques pas s’effectueront. Nous mêmes, nous avons fait tout ce qu’ était dans nos forces et dans nos possibilities […]”, zit. nach: Brief Sigfried Giedion an Le Corbusier vom 12. 10. 1027, gta-Archiv, Völkerbundpalast. 49 Vgl. Brief von Eric Drummond an Le Corbusier und Pierre Jeanneret vom 16. 1. 1928, SdN-Archiv, R 1544/32/59298x/28594, Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret. 50 Vgl. Requête adressée par MM. Le Corbusier et P. Jeanneret à M. Le Président et à MM. Les Memres du Conseil de la Société des Nations, SdN-Archiv, R 1544/32/59298x/28594, Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret. 51 Briefabschrift des Sous-Secrétaire Général an André Prudhomme vom 31. 3. 1928, SdN-Archiv, R 1544/ 32/59298x/28594, Architects competition, Correspondence with Mr. Le Corbusier Jeanneret. 52 Vgl. Le Corbusier: Une Maison – Un Palais. A la recherche d’une unité architectural, Paris 1928. Hier: Neuauflage von Giovanni-Maria Lupo in der Reihe Fonti sull‘architettura e sull‘urbanistica, Bd. 4, Turin 1975.

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abrechnende Streitschrift als einmal mehr um den Versuch, argumentativ die Notwendigkeit der neuen Bautechnik für die menschlichen Bedürfnisse im 20. Jahrhundert und den zeitgemäßen Charakter der modernen Architektur darzustellen. In einer für Le Corbusier typischen lyrischen Erzählstruktur vollzieht er am Beispiel des einfachen Wohnhauses einen historischen Abriss durch die Epochen. Unter Berücksichtigung der Bezugspunkte Naturbezogenheit, Geometrie, Harmonie und Fortschrittlichkeit zeichnet er dessen Entwicklungsgeschichte bis in das ‚Maschinenzeitalter‘ nach. Die neue Bauweise markiere dabei den vorläufigen Endpunkt des Zivilisationsprozesses. Den Entwicklungsschritt vom Wohnhaus zum Palast klammert Le Corbusier zunächst dezent aus, um ihn schließlich als architektonische Erscheinungsform mit dem Wohnhaus gleichzusetzen und als bestimmten Typus von Wohnhaus aufzufassen: Das Haus ist durch alle Zeiten hindurch und in allen Klimazonen die reine Organisation, so rein, dass es immer den Charakter eines Typus angenommen hat; und dieser Typus, der von der Bruchbude bis zum Palast reicht und im Verlauf einer Epoche einzigartig ist, basiert auf den gleichen grundlegenden, sinnvollen oder sentimentalen Ursachen. […] Nach und nach habe ich mein Denken artikuliert: Wenn ich vom Haus spreche, spreche ich vom Palast. […] Das Haus kann immer ein Palast werden. Dies liegt in den Händen des Architekten. 53

Das Maschinenzeitalter, so Le Corbusier, bedürfe keiner Paläste mehr. In ornamentale Fassaden gekleidete Gebäude für Banken, Büros und Wohnhäuser seien demnach Lügen, Maskerade, nicht zeitgemäße Moden.54 Als Musterbeispiele zeitgenössischer Architektur führt er eigene Bauten an, beginnend mit dem im Frühjahr 1927 fertiggestellten Wohnhaus in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, über die Villa in Garches hin zum Plan Voisin, um schließlich beim Entwurf für den Völkerbundpalast anzugelangen und diesen detailliert vorzustellen. Der internationale Architekturwettbewerb habe die Gelegenheit zu einem großen Experiment gegeben, so Le Corbusier versöhnlich. In seiner Herangehensweise habe er versucht, den Völkerbundpalast wie ein normales Haus zu behandeln und dabei gleichzeitig allen Ansprüchen des Völkerbundes gerecht zu werden. Der Entwurf bringe seine persönliche „Loyalität“ gegenüber dem Völkerbund zum Ausdruck. Dieser hätte jedoch leider dem Akademismus den Vorzug gegeben. Unkommentiert fügt Le Corbusier seinem Text verschiedene Dokumente an, etwa ein Interview Henri-Paul Nénots, in dem dieser moderne Architektur als Barbarei bezeichnet, ferner die vom Völkerbund gefassten Beschlüsse sowie den von ihm gestellten Eilantrag und der darauf folgende ablehnende Briefwechsel. Am Ende lässt Le Corbusier seine Unter53 Originalzitat Le Corbusier: „La maison des hommes, à travers les ages et sous tous les climats, est une organization pure, si pure qu’elle a toujours pris le caractère d’un type, et que ce type allant de la masure au palais, est unique dans le courant d’une époque, base sur les mêmes causes profondes, raisonnables ou sentimentales. […] Petit à petit, j’ai exprimé ma pensée: parlant de maison, je parle de palais. J’atteins au palais, par le travail incessant du sentiment d’architecture qui agite mon ésprit, le stimuli, l’incite, le soulève. […] Ainsi la maison peut devenir un palais, toujours. La chose est entre les mains de l’architecte” Zit. nach: Le Corbusier, in: Lupo 1975, S. 36, 53. 54 Vgl. ebd., S. 54.

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stützer zu Wort kommen und zitiert berühmte Befürworter seines Projektes sowie die Protestreaktionen von Presse und Architektenverbänden. Seinen persönlichen Kampf um das verlorene Projekt gab Le Corbusier bis ins Jahr 1930 nicht auf. Hoffnung versprach die Hilfe von Hélène de Mandrot – eine wohl­ habende Schweizerin, selbst Innenarchitektin und Unterstützerin der modernen Architekturbewegung.55 Sie gehörte der Erbengemeinschaft des am Genfer See gelegenen ­A riana-Parks an, über dessen Nutzung der Völkerbund nach dem geplatzten Ankauf des Geländes Barton 1928 verhandelte.56 Der Ariana-Park war der Stadt Genf von ­Gustave-­Philippe Revilliod unter der Prämisse vermacht worden, dass die Parkanlage in ihrer Gesamtheit erhalten und dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte. Eine Bebauung bzw. eine Teilprivatisierung war vom verstorbenen Stifter ausdrücklich nicht erwünscht.57 Um etwaige Rechtsansprüche der Erbengemeinschaft auszuschließen, musste der Genfer Stadtrat diese um ihre Zustimmung zur Teilbebauung des Ariana-Parks durch den Völkerbund bitten. Einspruch gegen das Vorhaben erhob einzig Hélène de Mandrot.58 In einem Brief an den Geheimrat J. Boissonnas (Dezernat für Öffentliche Angelegenheiten) bezweifelte sie, dass mit dem Bau des Völkerbund­palastes der Wille ihres Onkels adäquat erfüllt werde. Vielmehr bedürfe es eines gänzlich neuen Bebauungsplans für das Seeufer, der die neue Rockefeller-Bibliothek sowie zukünftige Erweiterungsbauten harmonisch aufnehmen könne und zudem den alten Baumbestand berücksichtige. Ihre Zustimmung knüpfte sie an die Bedingung, dass alle Architekten, die mit einem ersten Preis ausgezeichnet worden waren, einen neuen Entwurf für einen solchen Generalplan einreichen durften.59 Mit dieser Forderung wollte sie Le Corbusier die Möglichkeit eines zweiten Entwurfsplans einräumen. Der Völker­bund billigte ihr Ansinnen nicht und suchte verzweifelt nach einer juristisch korrekten Lösung, um ihre Forderung einerseits zu erfüllen, andererseits jedoch in keinem Falle den Wettbewerb erneut zu eröffnen.60 So müsste klargestellt werden, dass die Architekten neue Pläne auf ihr eigenes Risiko hin einreichten, weder sollten finanzielle Ansprüche geltend gemacht noch auf einer Ausführung der eingereichten Entwürfe bestanden werden. Tatsächlich ließ sich der Völkerbund auf ein heikles und böses Spiel ein. Er stimmte den Forderungen Hélène de Mandrots zu und forderte neben den vier ausführenden Architektenteams die anderen fünf Erstplatzierten erneut auf, Entwürfe für den Ariana-Park einzurei55 Vgl. Steinmann, in: Werk – Archithese 1978, S. 28–31. Vgl. Steinmann 1979, S. 12. 56 Vgl. hierzu die Gesprächsprotokolle zwischen Staatspräsident Motta, den städischen Vertretern Boissonas, Ballansat und Rappard mit dem Fünferkomitee des Völkerbundes in der achten Sitzung des Spezialkomitees vom 18. 9.–21. 9. 1928, SdN-Archiv, R 3442/18 B-2511-441. 57 Vgl. Quincerot, in: Oechslin 1988, S. 68. 58 Vgl. Abschrift des Briefes von Hélène de Mandrot an J. Boissonas vom 19. 9. 1928, als Annex zum Protokoll der achten Sitzung des Spezialkomitees vom 21. 9. 1928, SdN-Archiv Genf, R 3442/18 B-2511-441. 59 Vgl. ebd. 60 Vgl. Protokoll der achten Sitzung des Spezialkomitees vom 18. 9. 1928, SdN-Archiv, R 3442/18 B-2511-441, S. 7.

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chen, wohlwissend, dass diese niemals zur Ausführung gelangen würden.61 Neben Le ­Corbusier folgte allerdings nur das Hamburger Architektenteam Putlitz, ­K lophaus und Schoch dem Aufruf.62 Am 13. April 1929 stellte Le Corbusier dem Spezialkomitee sowie dem Generalsekretär und drei weiteren Mitarbeitern sein zweites Völkerbundprojekt vor.63 Dieses unterschied sich vom ersten Projekt im Wesentlichen durch einen veränderten Sekretariatsbau. Unter Beibehaltung des Versammlungsgebäudes mit einem angeschlossenen blockhaften Bau für die Kommissionen und einem Verbindungsgang zum Sekretariat, richtete er letzteres als U-förmige bzw. dreiflügelige Bürohausstruktur zur Straße hin aus. Für die Bibliothek entwarf er einen separaten kubischen Baukörper, den er dem Versammlungssaal gegenüber stellte. Dem Protokoll zufolge verwies Le Corbusier während seiner Präsentation auf das von Paul Otlet und ihm geplante Mundaneum, ein hochmodernes Bauensemble, das ganz in der Nähe als Sitz eines internationalen Kulturzentrums geplant sei.64 Allem Anschein nach folgten auf Le Corbusiers einstündigen Vortrag weder ein fachliches Gespräch noch vertiefende Diskussionen. Kurz und bündig schloss das Komitee in einem Protokoll die höchst unangenehme Angelegenheit mit den Worten: „Es wurde einstimmig beschlossen, dass weder diese Pläne (diejenigen der Hamburger Architekten) noch die von Le Corbusier vorgestellten irgendwelche Kennzeichen aufweisen, die sinnvoll in den neuen Bauplan integriert werden könnten.“65 Der Generalsekretär solle schließlich den Architekten für ihre Bemühungen durch ein formales Schreiben danken. Damit galt für den Völkerbund diese im Verborgenen erfolgte Episode als abgeschlossen. Le Corbusier hingegen provozierte dieses ungehörige Vorgehen. Als letztes juristisches Mittel setzte er den Plagiatsvorwurf ein. Er bezichtigte die ausführenden Architekten, seinen zweiten Entwurf schlichtweg kopiert zu haben. In einem über 50 Seiten langen Requête fasste er das respektlose Vorgehen des Völkerbundes gegen sein Projekt zusammen. Eigens angefertigte Vergleichsstudien zwischen den beiden eigenen Projekten und denen der Wettbewerbsgewinner sowie deren finalen Gemeinschaftsprojekt sollten den Plagiats­ vorwurf deutlich machen.66 In strategischer Hinsicht war Le Corbusier umsichtiger geworden. Mittlerweile französischer Staatsbürger reichte er seinen Antrag nicht mehr persönlich beim Rat des Völkerbundes ein, sondern ging den formal korrekten Weg 61 Vgl. Brief des Präsidenten des Fünferkomitees an Le Corbusier vom 12. 4. 1929. Darin nimmt er Bezug auf ein vorausgegangenes Schreiben, in dem er aufgefordert worden war, neue Pläne einzureichen, SdN-Archiv, R 3442/18 B-9879-441. 62 Vgl. Quincerot, in: Oechslin 1988, S. 69. 63 Vgl. Protokoll der neunten Sitzung des Spezialkomitees vom 13. 4. 1929. Darin wird die Dauer seines Vortrags genau festgehalten und von 10.10 Uhr bis 11.20 Uhr protokolliert, SdN-Archiv, R 3442/18 B-2511-441. 64 Vgl. ebd., S. 3. 65 Originalzitat: „It was unanimously agreed that neither these plans nor those of Mr. Le Corbusier presented any features which could usefully be incorporated in the new scheme.” Zit. nach: ebd. 66 Vgl. Requête au Monsieur le Président de la Société des Nations, das am 7. 11. 1931 beim Völkerbund einging, SdN-Archiv, R 3442/18 B-9879-441.

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über den französischen Botschafter.67 Gehör fand er allerdings nicht mehr. Argumentativ befanden sich die ausführenden Architekten im Vorteil. Ihr Projekt für den Ariana-­ Park lag bereits seit 1928 dem Völkerbund vor. Verärgert über Le Corbusier drohten die Architekten zuletzt mit einer Verleumdungsklage.68

CIAM 1928: Gründung eines internationalen Architektenverbands Le Corbusiers Bestrebungen zur Anerkennung seines Wettbewerbsprojekts hatte eine Welle der Solidarisierung unter den Vertretern des Neuen Bauens ausgelöst. Sein Völker­bundentwurf wurde, Jos Bosmann zufolge, als „Symbol eines sich anbahnenden, hoffnungsvollen Aufbruchs in die Moderne“69 gewertet. Allerdings war für die Vertreter moderner Architekturströmungen auch die Dringlichkeit einer europaweiten Vernetzung offensichtlich geworden. Martin Steinmann zufolge hatten bereits die an der Stuttgarter Weißenhofsiedlung beteiligten Architekten einen solchen internationalen Zusammenschluss in Erwägung gezogen.70 Hélène de Mandrot gab schließlich den entscheidenden Impuls zum ersten internationalen Kongress für Neues Bauen, nachdem sie sich für Le Corbusiers Wettbewerbsprojekt engagiert hatte. Seit 1922 förderte die wohlhabende Schweizerin bildende Künstler und stellte dafür ihr Schloss La Sarraz bei Lausanne als Aufenthaltsort zur Verfügung. 1928 trat Hélène de Mandrot an Sigfried Giedion heran, mit der Idee, einen Architekturkongress auf ihrem Schloss zu veranstalten. Zugleich bat sie den von ihr geschätzten Le Corbusier, sich bei der Organisation einer solchen Tagung zu beteiligen.71 Über die Vorbereitungen des ersten CIAM-Kongresses sind aufgrund spärlicher Aktenlage nur wenige Details bekannt.72 Madame de Mandrot engagierte als S ­ ekretär den Pariser Architekten Gabriel Guevrekian. Karl Moser wurde auf Wunsch Le ­Corbusiers bereits im Vorfeld zum ersten Präsidenten des Kongresses nominiert. In seinem Namen erfolgten die offiziellen Einladungen. Le Corbusier selbst verfasste das vor67 Vgl. Brief von Le Corbusier an Generaldirektor Sir Eric Drummond vom 22. 9. 1931, SdN-Archiv, R 3442/18 B-9879-441. 68 Vgl. Brief des Architekten Nénot an den Generaldirektor vom 15. 1. 1932 zur Affaire Le Corbusier, SdN-Archiv, R 3442/18 B-9879-441. 69 Zit. Bosmann, Jos: Le Corbusier und die Schweiz, Zürich 1987, S. 69. 70 Vgl. Steinmann, in: Werk – Archithese 1978, S. 28–31. 71 Vgl. Steinmann 1979, S. 12. Steinmann zitiert darin Le Corbusier, der einer internationalen Zusammenkunft zunächst gänzlich ablehnend gegenüberstand. Seinen Aussagen zufolge, überzeugte ihn die Beharrlichkeit von Mme de Mandrot, die ihn mindestens drei Mal aufsuchte, um seine Teilnahme zu erwirken. 72 Vgl. Steinmann 1979, S. 12. Die Geschichte der CIAM scheint bislang nur unzureichend untersucht. Die Autorin stützt sich im Folgenden neben der Publikation Steinmanns sowie insbesondere auf Eric Mumford, dem mit The CIAM Discourse on Urbanism 1928–1960, eine umfangreiche wie detaillierte Diskursanalyse der Kongresse für Neues Bauen und ihrer historischen Entwicklung zu verdanken ist. Desweiteren fasst Vittorio Magnano Lampugnani die Geschichte der CIAM in seinem Übersichtswerk über die Stadt im 20. Jahrhundert übersichtlich zusammen.

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läufige Tagungsprogramm. Zum Missfallen einiger Kongressteilnehmer fiel dieses bereits sehr detailliert aus.73 Er nahm darin zentrale Fragestellungen, mit denen sich die CIAM in den folgenden Jahren auseinandersetzen sollten, bereits vorweg – etwa zu architektonischen Konsequenzen moderner Bautechniken, zur Standardisierung, zu Ökonomie und Städtebau, aber auch zur Ausbildung von Architekten und zum Verhältnis von Staat und Architektur.74 Unter Vorbehalt vermutet Steinmann, dass Le Corbusier den Kongress dazu nutzen wollte, seine eigene 5-Punkte-Theorie als allgemein annerkannte Grundlage des Neuen Bauens legitimieren zu lassen.75 Giedion und Le Corbusier hatten sorgfältig potentielle Mitstreiter ausgewählt. Ihrer Einladung zum „vorbereitenden internationalen Kongress moderner Architektur“, der vom 26. bis 28. Juni 1928 auf Schloß La Sarraz stattfand, folgten 25 Architekten aus acht Ländern.76 Wie Eric Mumford feststellt dominierten Schweizer Teilnehmer mit Hans Schmidt, Paul Arataria, Max Ernst Haefeli, Werner Max Moser, Rudolf Steiger, Hannes Meyer, Henri-Robert von der Mühll, Arnold Hoechel, Friedrich Gubler und Sigfried ­Giedion diese erste Zusammenkunft.77 Aus Frankreich besuchten Gabriel ­Guevrekian, Le Corbusier und Pierre Jeanneret (beide zu diesem Zeitpunkt Schweizer Staats­bürger), André Lurçat, Pierre Chareau sowie der Verleger der Cahiers d’Art, Christian Z ­ ervos, den Kongress. Belgien war durch Victor Bourgeois und Huibrecht Hoste vertreten, die Niederlande durch Mart Stam, Hendrik Petrus Berlage und Gerrit ­R ietveld. Aus Deutschland nahmen Hugo Häring und Ernst May teil, Walter Gropius sagte aufgrund seines Umzuges nach Berlin ab.78 Als italienische Vertreter nahmen Alberto Sartoris und Gino Maggioni teil und aus Spanien reisten Fernando Garcìa Mercadal und Juan de Zavala an. El Lissitzky und Moisei Ginzburg erhielten keine Einreisegeneh­migung in die Schweiz.79 Wie Giedion in einem Brief dem ebenfalls verhinderten späteren CIAM-Präsidenten Cornelis van Eesteren berichtete, diente der erste CIAM-Kongress den Teilnehmern vornehmlich dazu, sich gegenseitig kennenzulernen.80 Der fachliche Austausch, der durch einzelne Vorträge angeregt wurde, löste mehrfach heftige Diskussionen aus. Gründe für inhaltliche Spannungen sehen die Autoren Steinmann, Mumford und Lampugnani in unterschiedlichen politischen Einstellungen der Teilnehmer. So kollidierte die sozialistische Prägung vornehmlich der Schweizer, der Deutschen und der Niederländer mit der gänzlich unpolitischen und nur ästhetischen Prinzipien verpflichteten Haltung Le

73 74 75 76 77 78 79 80

Vgl. Mumford 2000, S. 16. Vgl. ebd., S. 16–22. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 22. Die Teilnehmerzahlen variieren bei den Autoren. So zählt Mumford 29 Personen auf, darunter sowohl Architekten als auch Unterstützer und Förderer der Bewegung, etwa der französische Verleger der Cahier d’Art Christian Zervos oder Richard Dupièrreux vom IIIC. Vgl. ebd., S. 16 f. Über Gropius Absage zum Kongress berichtet Steinmann 1979, S. 22. Vgl. Mumford 2000, S. 16 ff. Vgl. Steinmann 1979, S. 26.

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Corbusiers.81 Zeugnis von solchen Divergenzen legen die beiden unterschiedlichen Fassungen der gemeinschaftlich erarbeiteten und von fast allen Teilnehmern unterzeichneten „Erklärung von La Sarraz“ ab. Sie wurde als erstes gemeinsames Grundsatz­ programm der CIAM angenommen und gilt als Meilenstein für die weitere Entwicklung der modernen Architekturbewegung.82 Darin heißt es: Die unterzeichneten Architekten stellen unter sich eine grundlegende Übereinstimmung ihrer Auffassungen vom Bauen sowie ihrer beruflichen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft fest und betonen hierbei im einzelnen, dass sie unter Bauen eine ganz elementare Tätigkeit des Menschen verstehen, die in ihrem ganzen Umfang und in ihrer ganzen Tiefe an der gestalterischen Entfaltung unseres Lebens beteiligt ist.83

Die Architekten versicherten sich darin nicht nur ihrer gegenseitigen Solidarität, sondern verständigten sich verbindlich auf wesentliche Ziele ihres beruflichen Wirkens. So beabsichtigten sie, zukünftig verstärkt gemeinschaftlich in Aktion zu treten und dabei vier wesentliche Punkte in Angriff zu nehmen, nämlich „1. die Forderungen des neuen Bauens festzustellen, 2. die Forderungen des neuen Bauens zu vertreten, 3. die Idee in die technischen, ökonomischen und sozialen Kreise zu tragen und 4. (dafür) zu sorgen, daß Bauaufgaben im heutigen Sinn gelöst werden.“84 Während die ersten beiden Punkte auf eine reflexive Ebene des eigenen Wirkens abzielen und die Erarbeitung eines gemeinsamen methodischen wie theoretischen Fundaments vorsehen, beziehen sich die Punkte drei und vier auf die nachhaltige Wahrnehmung ihrer Aktionen in der Öffentlichkeit. Gemeint sind Aspekte des Netzwerkens sowie die Suche nach Unterstützern und Förderern in Wirtschaft und Politik. Diese beiden letzten Punkte werden im Folgenden näher beleuchtet. Vor allem Le Corbusier stellte während des Gründungskongresses Strategien vor, die auf eine enge Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen abzielten. Bereits am ersten Sitzungstag führte er den Kongressteilnehmern mittels eines anschaulichen Plakats (Abb. 88) seinen „plan de bataille“ vor:85 Dieser sogenannte „Schlachtplan“ zeigt die Organisationsstruktur der CIAM auf und verdeutlicht ihre zukünftigen Aufgaben. Letztere bestanden nach Le Corbusiers Ansicht darin, die modernen Architekturprinzipien in den verschiedenen Nationalstaaten ­durchzusetzen. Die europäischen Länder visualisiert er am rechten Ende seiner Skizze als mittel­ alterlichen Festungsturm, den es von den modernen Architekten – links im Schema als Kugel mit „La Sarraz“ gekennzeichnet – zu erstürmen gilt. Um die modernen Bauformen ­durchzusetzen, mussten vor allem Politiker davon überzeugt werden, dass die CIAM technische Fortschrittlichkeit und soziale Zusammenhänge präge. Um dies zu erreichen 81 82 83 84

Vgl. ebd., sowie Mumford 2000, S. 19. Vgl. Steinmann 1979, S. 16; Mumford 2000, S. 19; Lampugnani 2010, S. 408. Zit. aus der Erklärung von La Sarraz, abgedruckt in: Steinmann 1979, S. 28 f. Vgl. Statuten der „Vereinigung Internationale Kongresse für Neues Bauen“, abgedruckt in: Steinmann 1979, S. 32. 85 Vgl. ebd., S. 32.

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88  Le Corbusiers Plan de Bataille, vorgestellt auf dem ersten CIAM-Kongress 1928

weist sein „Schlachtplan“ den diplomatischen Umweg über die internationalen Organisationen.86 Aktive Unterstützung für das Vorhaben der CIAM sollte über eine Zusammen­ arbeit mit den im Zuge der Völkerbundsgründung entstandenen Sonderorganisationen Bureau International de Travail (BIT) und International Institute of Intellectual Cooperation (IIIC) suchen.87 Le Corbusier war bereits vor dem ersten CIAM-Kongress in dieser Richtung aktiv geworden. Nachdem er bei diesen Organisationen bereits um Unterstützung für sein Wettbewerbsprojekt gebeten hatte, lud er anschließend ihre Vertreter nach La Sarraz ein. Sowohl Richard Dupierreux, Chef der Sektion „künstlerische Angelegenheiten“ des IIIC als auch Albert Thomas, Direktor des BIT, waren seiner Einladung zum ersten Kongress gefolgt.88 Gemeinsam mit weiteren Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, etwa den Industriellen Henry Frugès, Jean Michelin, Gabriel Voisin, Robert Bosch oder Hugo Junkers, dem tschechoslowakischen Außenminister Edvard Beneš sowie dem französischen Historiker Élie Faure, bildeten sie das sogenannte Haute 86 Vgl. Gubler, Jacques: Nationalisme et Internationalisme dans l’A rchitecture Moderne de la Suisse, Genf 1988, S. 158 ff. 87 Das Plakat bildet eine weitere Organisation mit der Abkürzung I.I.O.S.T ab. Leider ist es der Autorin nicht gelungen, die Bedeutung der Abkürzung zu dechiffrieren. 88 Vgl. Mumford 2000, S. 27.

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Comité international de l’extension de l’architecture à l’economique et au social (HCIEAES). Dabei handelt es sich um ein Komitee prominenter Fürsprecher, das sich in den unter Punkt vier der Erklärung von La Sarraz aufgeführten höheren gesellschaftlichen Kreisen für die modernen Architekten einsetzten sollte. Le Corbusier erläuterte seine Skizze folgendermaßen: In seinen Arbeiten liefert der Kongreß Aufschluß zu den sechs Fragen, die sein Programm bilden. Seine in einem Buch zusammengefaßte Arbeit soll einerseits schon existierende Organisationen wie die O.I.T., die I.I.C., die I.I.O.S.T. erreichen, zum anderen die architektonische Welt, zusammengesetzt aus den Akademisten, den Opportunisten, der Avantgarde – und durch Weiter­verbreitung die öffentliche Meinung. […] Die beiden Organe (gemeint sind CIRPAC und HCIEAES), deren Aktivität die erwähnten internationalen Organisationen interessieren wird, die sie unterstützen, werden als weitere Aufgabe haben, die Staaten zu erreichen, die, indem sie fortan darauf verzichten, den Akademien Vertrauen zu schenken, den Beginn einer architektonischen Wiedergeburt vorbereiten werden, indem sie die Länder mit den produktivsten und fortgeschrittendsten Organen ausstatten.89

Auch wenn Thilo Hilpert zufolge dieses Komitee niemals als eigene Körperschaft zusammentrat90 und sich somit Auswirkungen ihres Handelns nicht belegen lassen, bleibt die Idee, Vertreter aus Wirtschaft und Politik als Multiplikatoren zu gewinnen, für die vorliegende Arbeit zentral. Beide verdeutlichen, dass Le Corbusier zur Förderung der avantgardistischen Architekturvereinigung ein einflussreiches Netzwerk vorsah, das nicht nur auf nationaler, sondern auf internationaler Ebene und vor allem im diplomatischen Austausch wirken sollte. Etwas dezenter fasste Sigfried Giedion diesen Aspekt im ersten Kongressbericht für die Schweizerische Bauzeitung zusammen: So war auch der Zusammenschluss, der in La Sarraz vollzogen wurde, keineswegs eine einseitig architektonische Vereinigung. Die Architektur bildet zwar die Kernzelle, aber sie kann nur zur Entwicklung gelangen, wenn die wirtschaftlichen, technischen und sozialen Kreise von den Ideen neuer Notwendigkeiten durchdrungen werden. […] In einem Schema, das Le Corbusier vorlegte, und das das Ziel des Kongresses darstellen sollte, kam das deutlich zum Ausdruck. Um diese Verschmelzung zu erreichen, bildet sich eine Körperschaft, in der neben den Architekten vor allem Vertreter der technischen, wirtschaftlichen und sozialen ­G ebiete mitwirken.91

Der Aspekt des Netzwerkens im Sinne einer aktiven Lobbyarbeit innerhalb verschiedener gesellschaftlicher Bereiche wurde von Beginn an im Programm der CIAM verankert. Ende der 1920er Jahre hatten bereits einzelne Akteure des Neuen Bauens Erfolge beim Bau von Fabriken, Einfamilienhäusern und sozialen Wohnungsbauprojekten ­verzeichnen können. Als gemeinschaftlich agierender europäischer Interessenverband erhofften sie sich nun eine noch stärkere Einflussnahme auf die Politik. 89 Zit. Le Corbusier, zit. nach: Hilpert 1984, S. 20. Hilpert zitiert aus den Procès Verbal, Congrès de La Sarraz, 26.-28. Juin 1928. Séance d’ouverture, mardi à 10 heures. Die Übersetzung aus dem französischen erfolgte durch den Herausgeber Ulrich Conrads. 90 Vgl. ebd. 91 Zit. Giedion, Sigfried: Internationale Vereinigung des neuen Bauens, in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 92, H. 4, 28. 7. 1928, S. 48.

Präzedenzfall Völkerbundpalast: Die moderne Bewegung solidarisiert sich     | 323

Die Organisationsstruktur der CIAM sah autonome Ländergruppen vor, die innerhalb ihrer Nationalstaaten wirken sollten. Das oberste Gremium stellte das Comité International pour la Réalisation des Problèmes d’Architecture Contemporaine (CIRPAC) dar.92 Es setzte sich aus gewählten Delegierten der CIAM-Ländergruppen zusammen und bereitete die Kongresse für Neues Bauen vor.93 1929 fand der zweite CIAM-Kongress in Frankfurt am Main statt. Ernst May – einer der ersten Modernen in der privilegierten Position eines Stadtbaurats – hatte in sein Neues Frankfurt eingeladen. Der Kongress widmete sich dem Thema Wohnung für das Existenzminimum und behandelte die sozialpolitische Aufgabe des Städtebaus.94 1930 folgte der dritte Kongress zum Thema Rationelle Bebauungsweisen in Brüssel und 1933 der vierte mit dem Titel Die funktionelle Stadt auf dem Kreuzfahrtschiff Patris II, das die Kongressteilnehmer nach Athen fuhr. Nicht nur die Mitgliederzahl stieg bereits in Frankfurt mit über 120 neu ausgestellten Mitgliedskarten stetig an.95 Die Architekten entwickelten während der ersten vier Kongresse durch vergleichende Analysen ihrer Wohnungs- und Städtebauprojekte ein probates wissenschaftliches Instrumentarium, das maßgeblich zur Systematisierung und zur Begriffsklärung innerhalb ihres Architekturdiskurses beitrug. Einen ersten Höhepunkt erreichten die Aktivitäten der CIAM während des vierten Kongresses von 1933, bei dem die Architekten gemeinsam ein Regelwerk des modernen Städtebaus formulierten. Die Charta von Athen, die allerdings erst zehn Jahre später von Le Corbusier leicht verändert veröffentlicht wurde, beinhaltet programmatische Grundsätze einer fortschrittlichen Stadtplanung, die vor allem menschliche Bedürfnisse herausarbeitet. Wohnen, Freizeit, Arbeiten und Verkehr sind dabei die zentralen Bezugsgrößen, nach denen das städtische Leben für den Menschen organisiert werden müsse. Hygienische und gesunde Lebensverhältnisse, Frei­flächen zur körperlichen Ertüchtigung und Erholung, unweit zu erreichende Arbeitsstätten und ein ausgebautes Verkehrsnetz, das die Menschen zügig zu ihrem Arbeitsplatz bringt, können an dieser Stelle nur als Bruchstücke wesentlich komplexerer Überlegungen zur sozialen und wirtschaftlichen Organisation der modernen Großstadt angeführt ­werden.96 Mit den massiven politischen Veränderungen im Europa der 1930er Jahre erhielten die CIAM starken Gegenwind. In Deutschland ging das faschistische Regime restriktiv gegen architektonische Neuerer vor. In der Sowjetunion diktierten nach a­ nfänglichem Erfolg moderner Städtebauprojekte ab 1934 stark restaurative Tendenzen die Architektur­ szene, Vertreter der Moderne wurden verfolgt. Und auch im faschistischen Italien war 92 Le Corbusiers benennt auf seinem Plakat das CIRPAC zunächst CCIGNAM und weist ihm die Funktion eines Internationalen Zentralkomitees (comité central international des groupes national d’architecture moderne) zu. 93 Vgl. Gubler 1988, S. 158. 94 Steinmann 1979, S. 46. 95 Vgl. ebd. 96 Vgl. Hilpert 1984, S. 199–214.

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der zunächst gefeierte Razionalismo zugunsten eines historischen Klassizismus im Rückzug begriffen.97 Der letzte CIAM-Kongress der Vorkriegszeit zum Thema „Wohnung und Erholung“ fand 1937 in Paris statt. Die bis zu diesem Zeitpunkt durch die Kongresse beförderte internationale Vernetzung zwischen den Ländergruppen trug dazu bei, dass die Emigration zahlreicher Architekten nach England und in die USA – etwa Gropius, Breuer, Moholy-Nagy, Sert, Weissmann, Arthur Korn – erleichtert wurde.98 Der für November 1939 geplante sechste CIAM-Kongress in Belgien fand nach dem Überfall Deutschlands auf Polen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht mehr statt. Während des Zweiten Weltkriegs blieb die Aktivität der CIAM auf einzelne Ländergruppen beschränkt. So kamen etwa die Schweizer Architekten weiterhin regelmäßig zu CIAM-Sitzungen zusammen99, auch die englische MARS-Gruppe blieb aktiv und in Frankreich konstituierte sich 1942 auf Initiative Le Corbusiers die Gruppe ASCORAL als neue Ländergruppe.100

 97 Vgl. Lampugnani 2010, S. 413 ff.  98 Vgl. Mumford 2000, S. 117.  99 Dies geht aus einem Brief Giedions an Gropius vom 20. 5. 1941 hervor. Darin berichtet dieser von einem Treffen der Berner und Züricher CIAM-Mitglieder und der Teilnahme Alvar Aaltos, bei dem bereits über Möglichkeiten des Wiederaufbaus diskutiert wurde. Vgl. Bauhaus-Archiv, GS-19-1, 241/1-87. 100 Vgl. Lampugnani 2010, S. 417.

Neues Bauen für den Weltfrieden: Die CIAM und die UN

Die Entwicklung der CIAM in den USA Walter Gropius und Sigfried Giedion versuchten vor Kriegsausbruch 1939, die Zentrale der CIAM von Europa in die USA zu verlegen. Dort trafen sie auf Widerstände und zwar von Seiten US-amerikanischer Architekten. In den USA existierte noch keine CIAM-Ländergruppe, obwohl Richard Neutra seit 1935 von Los Angeles aus versuchte, eine West American Group zu etablieren. Die Mitgliedschaften in den USA blieben zunächst auf einzelne Akteure wie Richard Neutra, Harwell H. Harris, Knut Longberg-Holm, Wallace K. Harrison und Richard Buckminster Fuller beschränkt.101 Im Mai 1939 initiierten Gropius und Giedion anlässlich der Weltausstellung in New York, an der zahlreiche CIAM-Mitglieder aktiv beteiligt waren, ein CIAM-Treffen an der New York Architectural League.102 Einige US-amerikanische Architekten, etwa John Burchard (MIT), George Howe, George Keck und Walter Sanders aber auch immigrierte Architekten wie Albert Frey, Sven Markelius, Oscar Stonorov, Ernest Weissmann sowie Laszlo Moholy-Nagy nahmen daran teil. Während dieser Zusammenkunft wurde die Gründung einer US-amerikanischen Ländergruppe kontrovers diskutiert. Die amerikanischen Architekten äußerten Bedenken, da sie generell ihre Unabhängigkeit von der europäischen Architekturtradition gewahrt wissen wollten. Formen der Vereinheitlichung, Manifeste und Regelwerke, gemeinsame Prinzipien schienen ihnen suspekt, da sie individuelles Wirken einschränkten. Dennoch einigten sich die Teilnehmer auf vier regionale CIAM-Gruppierungen, die den Osten, den mittleren Westen, den Westen und den Südwesten der USA repräsentierten.103 Über die Effektivität der US-amerikanischen CIAM-Gruppen ist wenig bekannt. Sie bedürfte einer genaueren Untersuchung. 101 Vgl. Mumford 2000, S. 124. 102 Gropius und Breuer gestalteten einen Pavillon für den US-Bundesstaat Pennsylvania, Henry Van der Velde, Léon Stynen und Victor Bourgeois gestalteten den Belgischen, Aalto den Finnischen, Markelius den Schwedischen, Weissmann den Yugoslawischen und Costa und Niemeyer den Brasilianischen Pavillon. Vgl. Mumford 2000, S. 126. 103 Vgl. ebd., S. 127. Neues Bauen für den Weltfrieden: Die CIAM und die UN

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Trotz führender CIAM-Mitglieder in leitenden universitären Positionen – etwa Gropius, Breuer, Moholy-Nagy, Neutra, Markelius, Burchard – erzielte die Organisation in den USA nur wenige Erfolge.104 Vor allem den Städtebau dominierten dort andere Persönlichkeiten, wie Robert Moses in New York. Mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg 1941 veränderten sich die Verhältnisse im gesamten amerikanischen Baugewerbe. Strenge Vorschriften reglementierten die Verwendung von Baumaterialien. Im Februar 1942 veröffentlichte das War Production Board allgemeine Richtlinien für War Housing Construction Standards. Die Architekten wurden über die eingeschränkte Verfügbarkeit von Metall und Holz in Kenntnis gesetzt sowie auf Ersatzstoffe wie Ziegel und Beton verwiesen. Darüber hinaus gab es Vorschriften zur Standardisierung des Wohnungsbaus. Für Ein- und Mehrfamilien­häuser galten strenge Vorschriften, was Stockwerke, Anzahl der Zimmer und deren Quadratmeterzahl betraf.105 Die schlechten Baubedingungen in den USA waren sicherlich eine Ursache dafür, dass die US-amerikanischen CIAM-Gruppen ab 1943 ihre Strategien veränderten. Sie begründeten das sogenannte New York CIAM Chapter for Relief and Postwar Planning.106 Zu seinen Mitgliedern zählten neben Walter Gropius, José Luis Sert, Laszlo MoholyNagy, Sigfried Giedion, Marcel Breuer und Richard Neutra, der die Präsidentschaft übernahm, auch Ludwig Mies van der Rohe, William Wurster (Dekan am MIT), Joseph Hudnut (Dekan in Harvard), Oscar Stonorov, Knut Longberg-Holm, William Muschenheim, Theodore Larson, Ernest Weissmann, Serge Chermayeff, Pierre Chareau, Oscar Nitzchke, Norman Rice, Harwell Hamilton Harris und zu Beginn auch Wallace K. Harrison.107 Ihre Intentionen glichen denjenigen der ebenfalls 1943 von den Alliierten gegründeten UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), die den strukturellen Wiederaufbau kriegszerstörter Gebiete plante. Das CIAM-Chapter setzte sich zum Ziel, allgemeine Prinzipien für die Umsetzung städtebaulicher und architektonischer Nachkriegsplanung zu formulieren und diese US-amerikanischen Regierungsvertretern und Alliierten zur Verfügung zu stellen.108 Acht Komitees befassten sich mit 104 Das bedeutet nicht, dass die städtebaulichen Prinzipien der CIAM in den USA keine Spuren hinterließen. Dies weist Eric Mumford explizit in der Publikation Defining Urban Design. CIAM Architects and the Formation of a Discipline, 1937–69 nach. Verglichen mit der Aktivität europäischer CIAM-Ländergruppen gelang es nicht, dort eine ähnliche Gruppendynamik mit regelmäßigen Treffen zu etablieren. 105 Walter Gropius ließ sich diese offiziellen Anweisungen im Dezember 1942 zusenden. Vgl. Briefwechsel zwischen Gropius und der Federal Housing Administration vom 16. 11. 1942, 1. 12. 1942 und 3. 12. 1942, Bauhaus-Archiv, Berlin, GN, K 6, M 305. 106 Wie Mumford aufzeigt nahmen hier Gropius, Giedion, Sert, Neutra, Longberg-Holm, Weissmann, Breuer, Pierre Chareau, Serge Chermayeff, A. Lawrenge Kocher, Moholy-Nagy, Paul Nelson, Oscar Nitzchke, Norman Rice und Oscar Stonorov eine aktive Rolle ein. Vgl. Mumford 2000, S. 145. 107 Vgl. ebd., S. 147 ff. 108 Originalzitat José Luis Sert: „1. To make the past work of CIAM (1928–1939), its organization and aims known to the authorities who will have a say in relief shelter and postwar planning, 2. To

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städteplanerischen Problemen des Wiederaufbaus. Hierfür trugen sie Informationsmaterial zusammen, stellten Kontakte zu staatlichen Organisationen her und suchten nach Förderern. Ein weiteres zentrales Anliegen des CIAM-Chapters lag – die Situation nach dem Krieg betreffend – in der schnellen Reaktivierung und der Zusammenführung sämtlicher CIAM-Kontakte in Europa und in der Sowjetunion.109 Wie Mumford nachweist, kam das CIAM-Chapter bis weit in die Nachkriegszeit regelmäßig zu Arbeitstreffen zusammen.110

Erste Kontakte zu den Vereinten Nationen Kontakte zu den Vereinten Nationen baute das CIAM-Chapter for Relief and Postwar Planning über drei Kanäle auf: Zum einen stellte Ernest Weissmann Kontakte zur UNRRA her. Ab 1944 arbeitete er dort in der Division of Industrial Rehabilitation. Ferner erhielt Richard Neutra als Präsident des CIAM-Chapters 1945 eine Einladung zur ersten konstituierenden Sitzung der Vereinten Nationen nach San Francisco.111 Dort stellten die UN ihre Organisation nicht nur auf verfassungsrechtliche Grundlagen, sondern arbeiteten detailliert deren unterschiedliche Aufgabenbereiche aus. Der gesamte Bereich des Wiederaufbaus wurde dem Economic and Social Council (ECOSOC) unterstellt, der in den kommenden zwei Jahren seine Programme weiter ausdifferenzierte. Hier sahen die CIAM entscheidende Anknüpfungsmöglichkeiten. Diese werden in Kapitel 2.2.4 vorgestellt. Den dritten Kontakt stellte Walter Gropius her. Er wandte sich 1946 persönlich an UN-Generalsekretär Trygve Lie und dessen Assistenten Adrian Pelt und regte während eines gemeinsamen Treffens ein eigenständiges UN-Department für Wiederaufbau an.112 In einem Brief an UNESCO-Generalsekretär Julian Huxley berichtet er von diesem Gespräch: Das Problem von Behausung und Wiederaufbau ist auf der ganzen Welt so dringlich geworden wie das der Ernährung. Ich glaube es sollte ein spezielles Department bei den Vereinten Natio­ nen gegründet werden, um dieses komplexe Problem von einem übergreifenden Standpunkt aus in Angriff zu nehmen: Wie können bessere Gemeinschaften entstehen. Ein Teil der Arbeit bestünde darin, die biologischen Gründe menschlicher Konflikte zu untersuchen und günstige Ausgangsbedingungen zu suchen, die die menschliche Zusammenarbeit beförderten. Der andere Teil der Arbeit bestünde darin, die aktuellen Bemühungen konkreter Bauplanungen in die richtigen Kanäle zu leiten, mit dem Ziel, eine fragmentarische Arbeit zu verhindern und alle Planungen der Idee eines grundlegenden Gemeinschaftsaufbaus unterzuordnen. […] Mr. Pelt

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­formulate general principles of how this relief planning work should be carried out, and to make these statements known to the authorities that deal with these matters.” Zit. nach: Mumford 2000, S. 146. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 149. Dies geht aus einem Brief hervor, den Gropius am 26. 05. 1946 an den befreundeten und frisch ins Amt gewählten UNESCO-Generaldirektor Julian Huxley schrieb. Vgl. Brief Walter Gropius an Julian Huxley vom 27. 5. 1946, gta-Archiv, 42-JLS-25-169.

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hat konstruktiv über die Idee eines United Nation’s Better Communities Department nachgedacht. Er meinte, dass der Hintergrund der UNESCO besser sein könnte als der der Vereinten Nationen; oder, wenn das neue Department weit über das Limit der UNESCO tendiere […], eine separate Organisation, ähnlich der UNESCO und der UNRRA entstehen könnte.113

Gropius intendierte eine den UN oder der UNESCO angeschlossene Organisation, die sich Fragestellungen menschlichen Zusammenlebens interdisziplinär widmen sollte. Er dachte dabei an ein Institut, das sich durch wissenschaftliche Forschung gesellschaftsund sozialpolitischen Themen gezielt zuwandte, aber auch Lösungen im Bereich des Städte- und Wohnungsbaus lieferte. Die CIAM könnten ein solches Institut aufbauen und leiten. Die Vereinten Nationen, die gerade damit begannen, Sonder- und Unterorganisatio­ nen zu bilden und internationale Hilfsprogramme auf den Weg zu bringen, schienen für die CIAM also eine ernsthafte Möglichkeit zu eröffnen, ihre seit den 1920er Jahren entwickelten architektonischen wie städtebaulichen Prinzipien international durchzusetzen. Die bereits in Le Corbusiers „Schlachtplan“ beim ersten CIAM-Kongress in La Sarraz vorgebrachte Kooperationsidee mit internationalen Organisationen (damals BIT und IIIC) erhielt damit neuen Auftrieb.

Einflussnahme auf den Bau des UN-Gebäudes Ähnlich wie beim Bau des Völkerbundpalasts beschäftigte das geplante UN-Hauptquartier die internationale Architektenschaft, so auch die CIAM. Die allgemeinen Erwartungen an eine wegweisende Architektur, die symbolisch das politische Anliegen der Vereinten Nationen ausdrücken sollte, waren hoch. Um ihrer Stimme ein stärkeres Gewicht zu verleihen, versuchten die CIAM in Kooperation mit einem weiteren Architektenverband, der American Society of Planners and Architects (ASPA) 114, Einfluss 113 Originalzitat Walter Gropius: „The problem of shelter and reconstruction has become as urgent all over the world as that of food. I believe a special department of the United Nations should be organized to tackle this intricate problem from a broad point of view, how to create better communities. One part of the work would consist of investigating the biological reasons for human conflict and seeking favorable facts which would promote human collaboration. The other part of the work should be to guide the actual work of practical planning and building into the right channels with the aim to prevent piecemeal work and subordinate all planning to the idea of a sound community setup. […] Mr. Pelt gave some constructive thought to this idea of a United Nation’s Better Communities Department. He thought that the background of UNESCO might be better than the United Nations semselves; or if the new deparment should tend beyond the limits of UNESCO – on account of its practical implications in planning and building – it should be a separate organiza­ tion similar to UNESCO and UNRRA.” Zit. nach: ebd. 114 Die American Society of Planners and Architects wurde im Dezember 1943 in New York mit dem Ziel gegründet, den Einfluss moderner Strömungen in den USA gegenüber konservativen Berufsverbänden wie dem American Institut of Architects (AIA) zu stärken. Erster Präsident und Mitinitia­tor war der Dekan der Architekturfakultät der Harvard University Joseph Hudnut. Zu den Gründungsmitgliedern der ASPA, deren Wirken nur bis 1948 andauerte, zählten Serge Chermayeff, Marcel Breuer, Mary Cooke, Vernon DeMars, Harwell Hamilton, Michael Harris, Carl

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auf den UN-Planungsprozess zu nehmen. So formulierten Richard Neutra, als Vertreter der US-amerikanischen CIAM gemeinsam mit Dekan Joseph Hudnut aus Harvard als Vorsitzendem der ASPA ein sechsseitiges Memorandum, das dem Generalsekretär der Vereinten Nationen am 29. April 1946 zuging.115 Darin unterbreiteten die Architektenverbände den Vorschlag für eine ausgeklügelte Vorgehensweise im Planungsprozess des neuen Hauptquartiers.116 Eine Präambel fasst zunächst grundlegende Prinzipien zusammen: Das Wesentliche bei der Entwicklung des Bauplatzes und der Gebäude der Vereinten Nationen besteht darin, ein Programm zu erstellen, das den Umfang und den Zweck der Tätigkeiten der UN an ihrem Hauptstandort klärt. […] Wir empfehlen daher, dass der erste Schritt in der Formulierung eines solchen Programms liegen soll.117

CIAM und ASPA schlagen eine sorgfältige Analyse sowohl des Raumbedarfs als auch der täglichen Arbeitsabläufe der UN vor. Nicht die architektonische Hülle oder ein bestimmter Architekturstil stünde im Vordergrund. Letztlich bestimme der Gebrauch des Raumes, also seine Funktionalität, sein äußeres Erscheinungsbild. Das Programm solle entsprechend so formuliert sein, dass „Städteplanern und Architekten die Freiheit gewährleistet wird, fortschrittliche Theorien des Städtebaus und des Designs während des Arbeitsprozesses weiter zu entwickeln und anzuwenden“118. Architekten, Planer, Ingenieure und Handwerker müssten ihrerseits die hohen Ideale und Absichten der Vereinten Nationen berücksichtigen. Diese könnten jedoch nicht durch eine „exzessive Monumentalität oder durch Architekturstile vergangener Kulturen“119 zum Ausdruck gebracht werden.

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Koch Jr., A. Lawrence Kocher, Elizabeth und Rudolph Mock, Eero Saarinen, Jose Luis Sert, Oscar Stonorov, Hugh Stubbins Jr., Henry Wright, and William Wurster, Louis Kahn, John Johansen, Carl Koch. Auch Gropius, Wallace K. Harrison, George Howe und William Wurster traten der ASPA bei. Die Überschneidungen mit der amerikanischen CIAM-Gruppe sind offensichtlich. Vgl. Shanken, Andrew M.: Planning Perspectives, Berkeley, Californien 2005, S. 147 ff. Der Aufsatz ist online abrufbar unter: http://www.ced.berkeley.edu/downloads/pubs/faculty/shanken_2005_ brotherhood-bureaucracy, zugegriffen am 1. 3. 2012. Die geht ebenfalls aus dem Brief hervor, den Gropius an UNESCO-Generaldirektor Huxley schrieb. Vgl. Brief Gropius an Julian Huxley vom 27. 5. 1946, gta-Archiv, 42-JLS-25-169. Vgl. Memorandum submitted to the Secretary General of the United Nations by the American Society of Planners and Architects and the American Branch of the Congrès Internationaux d’A rchitecture Moderne, 1. 5. 1946, gta-Archiv, 42-SG-59-3. Originalzitat: „The first essential in the development of the site and buildings for UNO is the preparation of a program which shall clarify the scope and purpose of the activities of the United Nations at its principal site. […] We recommend therefore that the first step should be the formulation of such a program.” Zit. nach: ebd., S. 1. Originalzitat: „The program should be so written that city planners and architects may be given freedom to employ whatever advanced theories of planning and design may develop during the progress of the work.” Zit. nach: ebd. Originalzitat: „This purpose could not be expressed in excessive monumentality or in architectural styles derived from past cultures.” Zit. nach: ebd.

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Die Position der Architekten gegen eine Stilarchitektur und für ein auf modernen Prinzipien beruhendes Bauensemble wird bereits in der Einleitung des Memorandums deutlich. Für die folgenden drei Sektionen schlagen sie eine Organisationsstruktur vor, die den gesamten Bauprozess betrifft: Sektion I sieht die Einrichtung zweier Komitees vor: Programm Committee und Planning Staff. Dem Programm Committee obliegt die Aufgabe, das in der Einleitung geforderte Bauprogramm sowie den Bedarfsplan der UN zu erarbeiten und zudem ein geeignetes Gelände ausfindig zu machen. Unterstützung erhält es dabei durch das Planning Staff. Diesem zweiten Gremium gehören nicht nur Architekten, sondern auch Geländeplaner, Städteplaner, Ingenieure, Landschaftsarchitekten und Techniker an.120 Keines dieser beiden Gremien sollte Baupläne erarbeiten, sondern den Bau lediglich vorbereiten. Vor allem jungen Architekten könne die Möglichkeit für eine internationale Kooperation gegeben werden, anhand derer sie Einsicht in komplexe Bauprozesse erhalten würden. Für die Etablierung beider Gremien stünden CIAM und ASPA der UN mit Namensvorschlägen zur Verfügung.121 Sektion II erörtert das Auswahlverfahren für das sogenannte Committee of Site Planners, das sich aus fünf bekannten Persönlichkeiten zusammensetzt. Ihre Aufgabe besteht in der Geländeentwicklung, das heißt in der städteplanerischen Auseinandersetzung mit den umliegenden Arealen, Verkehrsnetzen sowie mit regionalen und städtischen Behörden. Sektion III befasst sich mit dem eigentlichen Designprozess: Im Rahmen eines Architekturwettbewerbs sollen durch eine internationale Jury drei Architekten nominiert werden, die im Anschluss an den Wettbewerb gemeinsam ein Design erarbeiten.122 Das vorgeschlagene Auswahlverfahren der Jurymitglieder gestaltet sich dabei recht kompliziert: Die fünf Großmächte des Sicherheitsrats – Großbritannien, USA, UdSSR, Frankreich und China – sollen je drei ihrer bekanntesten Architekten nominieren. Diesen 15 Architekten obliegt wiederum die Aufgabe, aus ihrer Mitte fünf Architekten als Mitglieder der Jury zu bestimmen. Jedes Jurymitglied soll vor dem Wettbewerb eigene Beurteilungskriterien festlegen. Unterstützung erhält die Jury durch den Vorsitzenden des Planning Staff Committees. Die Jury wählt drei Architekten aus, die das sogenannte Committee of Architects bilden und gemeinsam das erste UN-Gebäude entwerfen.123 Was CIAM und ASPA den Vereinten Nationen hier unterbreiteten, scheint auf den ersten Blick sehr kompliziert. Tatsächlich kommt diese Vorgehensweise einem durchdachten Balancesystem gleich, das sehr viele Akteure, Architekten wie auch Vertreter anverwandter Bereiche aus Städtebau, Ingenieurwesen und Landschaftsplanung mit in den Bauprozess einbindet. Die beiden Architektenverbände bezweckten damit, den Einfluss der Politiker mit ihren oftmals antiquierten Architekturvorlieben möglichst gering 120 121 122 123

Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 4 f. Vgl. ebd., S. 5.

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zu halten. Den geplanten Expertenkomitees wäre es hingegen durch geländeplanerische und städtebauliche Entscheidungen bereits früh möglich, den Bauprozess zu lenken. Gropius, Louis Kahn und Joseph Hudnut diskutierten ihr Memorandum während eines Treffens mit UN-Generalsekretär Lie und Adrian Pelt. Wie Gropius berichtet, war er von der Progressivität und Verständigkeit der hochrangigen UN-Vertreter überrascht, denn beide bevorzugten von Beginn an einen modernen Architekturentwurf. Gropius zeigte sich erstaunt darüber, dass sich Pelt ernsthaft Gedanken machte, wie er den Einfluss so vieler Politiker außen vor lassen könne. Pelt war 20 Jahre zuvor in den Wettbewerb des Völkerbundpalasts involviert gewesen und wusste somit um die Wechselhaftigkeit eines öffentlichen Wettbewerbs.124 Walter Gropius trug in Folge alle Informationen, die er über die UN-Planungen in Erfahrungen bringen konnte, zusammen und übermittelte diese in einem Report am 27.  Mai 1946 an José Luis Sert in New York.125 Gerüchten zufolge, so Gropius darin, hätten bereits Anfang März die beiden einflussreichen Architekten Eric Gugler und Robert Moses ein beratendes Gremium für die UN zusammengestellt. Darin seien das American Institute of Architects (AIA), das American Institute of Planners (AIP) sowie die Civil Engineers and Landscape Architects vertreten. Zudem habe die UN zur Suche nach einem geeigneten Gelände bereits ein eigenes Komitee eingerichtet, in dem glücklicherweise Le Corbusier vertreten sei. Gropius hätte auch Rücksprache mit Wallace K. Harrison gehalten. Nach dessen Einschätzung werde es schwierig, Robert Moses aus dem Bau­prozess herauszuhalten.126 Obwohl für Gropius und seine CIAM-Kollegen zu diesem Zeitpunkt ersichtlich war, dass zahlreiche andere US-amerikanische Architekturverbände in die Planungen des UN-Hauptquartiers involviert waren, ließen sie sich nicht davon abhalten, weitere Anstrengungen in dieser Angelegenheit zu unternehmen. Inwieweit ihr Memorandum tatsächlich von den Vereinten Nationen berücksichtigt wurde, bleibt spekulativ. Gropius Aussagen zufolge zeigte sich der UN-Generalsekretär den Ideen des Memorandums gegenüber durchaus aufgeschlossen. Obwohl er vorgab, dass noch keine konkreten Entscheidungen gefasst worden seien, arbeiteten zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits vier Gremien am Planungsprozess: die Interim Headquarters Inspection Group, die mehrere Baugelände in den USA prüfte, das Permanent Headquarters Committee als politisches Entscheidungsgremium, und das Site Selection Committee sowie die Headquarters Commission als dasjenige Gremium, das Verhandlungen mit städtischen Vertretern führte. Im Dezember 1946 beschloss die Generalversammlung die Einrichtung des Headquarters Advisory Committee, das den eigentlichen Bauprozess beaufsichtigte. Dieses wiederum etablierte mehrere Untergremien, die erstaunlicherweise in etwa denen des Memorandums entsprachen: So gibt es eine Requirement Section (vergleichbar mit dem Programme Committee), ein Site Planners and Architects 124 Vgl. Brief von Walter Gropius an Julian Huxley vom 27. 5. 1946, gta-Archiv, 42-JLS-25-169. 125 Vgl. Report von Walter Gropius vom 6. 5. 1946, gta-Archiv, 42-JLS-25-172. 126 Vgl. ebd.

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Committee (vergleichbar mit dem Planning Stuff) sowie das Board of Design unter der Aufsicht von Wallace K. Harrison (vergleichbar mit dem Committee of Planners). Einzig das von CIAM und ASPA vorgestellte Wettbewerbsverfahren lehnten die Vereinten Nationen kategorisch ab. Das Desaster des erst 10 Jahre zuvor fertiggestellten Völkerbundpalasts sollte sich in New York nicht wiederholen. Nicht alle UN-Politiker begrüßten die Lobbyarbeit der CIAM. Wie aus einem Protokoll der Headquarters Commission unter der Leitung des Amerikaners Sir Angus F ­ letcher vom 23. August 1946 hervorgeht, empfanden manche Politiker das Verhältnis zu dem modernen Architektenverband als zwiespältig.127 So äußerten Sir Angus ­F letcher und der Delegierte Juan Felipe Yriart, dass sie eine zu intensive Einbindung der CIAM nicht wünschten. Als Strategie, um deren Eifer in Grenzen zu halten, machte Yriart folgenden Vorschlag: „Vielleicht erscheint dies nicht logisch, aber ich denke, es wäre eine praktische Sache, den CIAM mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als notwendig wäre, da wir uns nicht mit ihnen einlassen wollen.“128 Sein Plan sah vor, den CIAM Abschluss­berichte verschiedener Gremien – mit technischen Informationen – noch vor einer offiziellen Verkündung zur Verfügung zu stellen und ihnen dadurch eine bevorzugte Behandlung zu suggerieren. Le Corbusier, der im Protokoll nicht namentlich genannt, sondern als „a distinguished member of CIAM“ bezeichnet wird, sollte als Informantenquelle angezapft werden, um über die Schritte der CIAM im Bilde zu bleiben. Schließlich ginge es einzig darum, so das Protokoll, Kontroversen vorzubeugen und ihre Zustimmung zum weiteren Vorgehen zu erhalten.129 Glenn Bennett, Sekretär des Gremiums, verteidigte die CIAM, indem er darauf verwies, dass diese während des Gespräches mit Adrian Pelt keinen Anspruch auf Teilnahme formuliert hätten, sondern sich den Vereinten Nationen lediglich als Spezialisten empfohlen hatten.130 Auch wenn die Lobbyarbeit der CIAM nur an dieser einzigen Stelle von der Headquarters Commission thematisiert wird, tritt eine ambivalente Einstellung der Politiker gegenüber Fachleuten zutage, eine Einstellung, die auch den Entstehungsprozess des Völkerbundpalasts prägte: Zum einen waren die Politiker auf die Meinung renommierter Experten angewiesen und dadurch bis zu einem gewissen Grad gezwungen, diese in politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Zum anderen fürchteten sie deren Kritik an politischen Entscheidungen, da sich diese jederzeit höchst negativ auf die öffentliche Meinung auswirken konnte. Gerade weil die CIAM als progressiver Architektenverband bereits in Genf erfolgreich eine Kampagne für Le Corbusiers Projekt initiiert hatten, wollte man ihren Aktionsradius in New York begrenzt halten. 127 Vgl. Protokoll der Headquarters Comission vom 23. 8. 1946, UN-Archiv, DAG, 5b-7-History of Site 1947, S. 9. 128 Originalzitat Juan Felipe Yriart: „Perhaps it is not logical but I think it is a practical thing to pay the CIAM more respect than it is due because we do not want to get involved with them.” Zit. nach: ebd. 129 Vgl. ebd. 130 Vgl. ebd.

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Mit Planungsdirektor Wallace K. Harrison, den Generalsekretär Lie persönlich nominierte, konnten CIAM und ASPA zufrieden sein. Als aktives Mitglied der ASPA und zumindest ehemaliges CIAM-Mitglied stellte er eine exzellente Wahl dar. Wie bereits dargelegt, versuchte Harrison sein Board of Design nach eigenen Vorstellungen und vor allem an den Ansichten der Headquarters Commission vorbei, zusammenzustellen. Wie seine Vorschlagslisten zeigen, war ihm die Einbindung möglichst vieler CIAM-­ Akteure außerordentlich wichtig.131 So wollte er unbedingt Le Corbusier im Board of Design vertreten wissen, ebenso Sven Markelius, Alvar Aalto, Ludwig Mies van der Rohe und den Tschechen Josef Havlicek, ferner George Howe, Louis Kahn, William Wurster und Joseph Hudnut. Auch Marcel Breuer und José Luis Sert tauchen auf der Liste auf. Nachdem Mies van der Rohe und Aalto aufgrund ihrer Nationalität vom politischen Gremium ausgeschlossen worden waren, nominierte Harrison – unter Berücksichtigung einer Vorschlagsliste Le Corbusiers – die CIAM-Mitglieder Oscar N ­ iemeyer, Ernest Weissmann, Matthew Nowicki sowie den Belgier Gaston Brunfaut.132 Auch Howard Robertson war zumindest Anfang der 1930er Jahre in der englischen CIAM-Gruppe aktiv.133 Weiterhin zu erwähnen sind die CIAM-Mitglieder Oscar Nitzchke aus Harrisons eigenem Mitarbeiterstab und Vladimir Bodiansky, den Le Corbusier als Assisten­ ten mit nach New York brachte. Auch wenn der eigentliche Designprozess nicht, wie von CIAM und ASPA erhofft, von drei Architekten ausgeführt wurde, nahmen an den Sitzungen des Board of Design insgesamt zahlreiche CIAM-Mitglieder teil. Sie waren an der Entstehung des modernen UN-Ensembles also maßgeblich beteiligt.

Exkurs: Le Corbusiers tragische Rolle beim UN-Entwurf Wie bereits an anderer Stelle angedeutet, kam es unmittelbar im Anschluss an den New Yorker Designprozess zu einer hitzigen Affäre um Le Corbusier, die im folgenden Exkurs nachgezeichnet wird. Einmal mehr entpuppte sich der Maître als streitlustige Persönlichkeit. Nach seiner Teilnahme im Board of Design erhob er plötzlich Anspruch auf die alleinige Urheberschaft des Architekturentwurfs. Ähnlich wie beim Völkerbundwettbewerb scheute er keine Mühen einer öffentlichen Kampagne gegen die Vereinten Nationen. Gemäß der Entscheidung des Headquarters Advisory Committee beschränkte sich die Arbeit des Board of Design einzig auf den Entwurfsprozess. Die Ausführung der Bauten oblag nach der Annahme des finalen Architekturentwurfs durch die Generalversammlung alleine Planungsdirektor Wallace K. Harrison und seinem Headquarters Planning Office. So war für Wallace K. Harrison die Zusammenarbeit mit den zehn internationalen Architekten im Juni 1947 beendet und alle Teilnehmer reisten in ihre Herkunfts­ länder zurück. 131 Vgl. Dudley 1994, S. 33, 356. 132 Vgl. ebd., S 32. 133 Vgl. zu Howard Robertsons CIAM-Aktivitäten: Mumford 2000, S. 42, 91,160.

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Nach einer drastischen Kürzung der Baukosten um 20 Millionen US-Dollar war Harrison gezwungen, das finale Projekt an die neue finanzielle Situation anzupassen und zwar ohne erneute Beratung durch das Board of Design. Le Corbusier hingegen war fest davon ausgegangen, nicht nur in alle weiteren Detailplanungen, sondern auch in den eigentlichen Bauprozess einbezogen zu werden. So wandte er sich im Juli 1947 an Wallace K. Harrison und unterbreitete ihm Änderungsvorschläge, etwa die Anwendung seiner Brises-Soleil am Sekretariatsgebäude. Harrison wehrte ab, dass keine Mittel für Änderungen oder gar neue Pläne zur Verfügung stünden.134 Am 7. November 1947 brachte Le Corbusier in einem weiteren Brief an Harrison seinen Unmut über den Fortgang des Projekts zum Ausdruck.135 Am 25. Oktober habe er die Protokolle des Hauptquartierkomitees erhalten, die ihn über die von Harrison am Projekt vorgenommen Änderungen unterrichteten. Empört schrieb er: Die beiden Fotos des Modells, die ich in Händen habe, lassen zu 100% Le Corbusiers Architektur und Städtebau erkennen, aber mit einer Schwäche, die Unsicherheit und Ungewißheit geschuldet ist. Die Komitee- und Kommissionsräume an der Fassade des East River sind als architektonische Lösung völlig unzulässig. Der große Versammlungsraum wird nicht genügend gewürdigt, verglichen mit der Rolle, die ihm zugewiesen ist. Dem Wolkenkratzer sollten bestimmte Feinheiten der Proportion zugute kommen. Ich erkläre dir sehr aufrichtig, dass ich die Architektur in diesem Falle als gefährdet betrachte und dass ich dies vor jedem, der es hören möchte, wiederholen werde. […] Ich habe 40 Jahre meines Lebens mit Forschungen verbracht, die mich an die erste Stelle moderner Architektur geführt haben. Ich ziehe nicht viel Stolz daraus, sondern ich wäge das Gefühl meiner eigenen Verantwortlichkeit daraus ab. Überall in der Welt ist bekannt, dass ich die Gelegenheit hatte, diese Verantwortung beim Bauprozess des Hauptquartiers der UN wahrzunehmen.136

Bereits hier wird deutlich, dass Le Corbusier das UN-Projekt als seine persönliche Leistung empfindet. Im Folgenden bezichtigt er Harrison, Gegner des UN-Projektes zu sein, der sich die Teilnahme lediglich durch persönliche Kontakte zu Nelson Rockefeller erschlichen habe. Falls Harrison ihm verweigere, nach New York zurückzukehren, sei 134 Dies geht aus einem Brief hervor, den Le Corbusier Wallace K. Harrison am 7. 11. 1947 sandte. Vgl. UN-Archiv, S-0472-3-6. 135 Vgl. Brief Le Corbusier an Wallace K. Harrison vom 7. 11. 1947, UN-Archiv, S-0472-3-6. Dabei handelt es sich bereits um eine Übersetzung des urspünglichen Briefes vom Französischen ins Englische. 136 Originalzitat Le Corbusier: „The two Photographs of the model that I have in hand reveal, to an extent of 100% Le Corbusiers’s architecture and urbanism, but with weaknesses due to uncer­ tainty and insecurity. The Committee- and Commissionrooms’ facades on the East River are absolutely inadmissible as an architectural solution. The large General Assembly Conference Room is not dignified enough compared with the role it is called to play. The skyscraper should benefit of certain subtibilities of proportion. I declare to you very sincerely that I consider that architecture is in danger in this case and that I will repeat it to anybody willing to listen to me. […] I have spent 40 years and more of my life in researches which have put me in the first plan of modern architecture. I am not taking any pride in it, but I measure the sense of my responsibilities; everywhere in the whole world it is known that I have had the occasion to share in the responsibilities involved in the construction of a headquarters of the United Nations.” Zit. nach: Brief Le Corbusiers an Wallace K. Harrison vom 7. 11. 1947, UN-Archiv, S-0472-3-6, S. 3.

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er gezwungen, der Öffentlichkeit zu erklären, dass sich 20 Jahre nach Genf das gleiche Spektakel in New York wiederhole.137 Abschriften seines Briefes sandte Le Corbusier an Nelson Rockefeller, Trygve Lie, den französischen Botschafter Henri Bonnet, den stellvertretenden Generalsekretär Henri Laugier sowie an Vincent Broustra, französischer Delegierte der UN-Generalversammlung.138 Auch von Generalsekretär Lie verlangte er, ihn mit den Korrekturen der Pläne zu beauftragen.139 Ein Antwortschreiben Harrisons ist in einer Entwurfsfassung vom 19. November 1947 erhalten. Darin schiebt Harrison zunächst sprachliche Schwierigkeiten vor, die ihn davon abgehalten hätten, Le Corbusier zu antworten. Ohne auf dessen persönliche Beleidigungen einzugehen, legt Harrison sachlich dar, was sich seit Le Corbusiers Abreise aus New York ereignet hatte und erklärt, dass die in geringem Maße vorgenommenen Veränderungen am Entwurf einzig der Verschlechterung der finanziellen Lage geschuldet seien. Er erinnert Le Corbusier an dessen am 18. April 1947 während einer Pressekonferenz verlesene Erklärung. Damals hatte Le Corbusier anlässlich der ersten öffentlichen Präsentation ein Manifest der Teamarbeit verfasst und darin die prozessorientierte Gemeinschaftsarbeit des Entwurfes geradezu beschworen:140 Zum ersten Mal in der Geschichte treffen wir uns mit einer übergeordneten allgemeinen Idee, deren Realisierung es uns ermöglicht, der Welt eine klare und optimistische architektonische Lösung zu liefern. […] Wir arbeiten als ein Team unter der differenzierten Führung von Wallace K. Harrison; wir hören alle Arten von Ratgebern und Experten. Jeder von uns hat gegeben, gibt oder wird seine Ideen geben. Wir haben unterschiedliche Talente – manche für das Detail, ­andere für das Ganze; manche für das Funktionale, andere für das Ästhetische. Jeder arbeitet heute für die Klärung einer Idee; jeder hilft seinem Nachbarn; Es gibt keine konkurrierenden Pläne. Allen Außenstehenden, die uns in Frage stellen, können wir antworten: wir sind vereint, wir sind ein Team; das Weltteam der Vereinten Nationen legt die Pläne einer Weltarchitektur vor […]. Wir sind ein homogener Block. Dieser Arbeit werden keine Namen verliehen. Wie in jedem menschlichen Unternehmen gibt es nur Disziplin, die alleine fähig ist, Ordnung zu bringen. Jeder von uns kann begründet stolz darauf sein, zu dieser Arbeit in dieses Team berufen worden zu sein und das sollte ausreichend für uns sein.141

137 138 139 140 141

Vgl. ebd., S. 3 f. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. Brief Le Corbusiers an Generalsekretär Lie vom 10. 11. 1947, UN-Archiv, S-0472-3-6. Vgl. Dudley 1994, S. 210 ff. Originalzitat Le Corbusier: „[…] For the first time in history we meet with an overriding common idea, the realization of which will enable us to give the world a clear and optimistic architectural solution. […] We work as a team, under the distinguished leadership of Wallace K. Harrison; we hear all manner of advisers and experts. Each of us has given, gives or will give his idea. We have different gifts – some for detail, others for the whole; some for the functional, others for the aesthetic. Today each is working for the clarification of an idea, each helps his neighbour. There are no competing plans. […] To those outside who question us we can reply: we are united, we are a team; the World Team of the United Nations laying down the plans of a world architecture […]. We are a homogeneous block. There are no names attached to this work. As in any human enterprise, there is simply discipline, which alone is capable of bringing order. Each of us can be legitimately proud at having been called upon to work in this team, and that should be sufficient for us.” Zit. nach: Le Corbusier: Declaration. Headquarters Planning Office, Nr. 60, UN-Archiv, SG-0472-3-6.

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Die Erinnerung an dieses für die Anonymität des Entwurfs plädierende Statement schien Le Corbusier nur wenige Monate später nicht mehr sonderlich zu beeindrucken. Sein Kampf, als alleiniger Urheber des UN-Projektes anerkannt zu werden, war nicht mehr aufzuhalten: In gleich zwei Briefen vom 19. November 1947 und vom 4. Dezember 1947 wandte er sich an Senator Warren Austin, den Vorsitzenden des Headquarters Advisory Commitee.142 Erneut betonte er, dass die Konzeption des Entwurfsmodells auf ihn zurückgehe. Durch Harrisons Überarbeitungen würden zahlreiche Schwächen zutage treten. Vor allem die von Harrison geplanten Glaswände halte er persönlich für unverantwortlich. Le Corbusier machte mehrere Gegenvorschläge („Neutralisierende Wände“ und Brises-Soleil) und fügte seinem Brief mehrere Skizzen bei. Falls seine Gesuche, erneut am Projekt mitarbeiten zu können, kein Gehör fänden, behielte er sich vor, sein Land zu bitten, offiziell einzuschreiten.143 Unterstützung erhielt Le Corbusier von den CIAM. Um den Druck auf die Vereinten Nationen und auch auf Wallace K. Harrison zu erhöhen, schalteten sich im Dezember 1947 Präsident José Luis Sert und Sekretär Sigfried Giedion ein. In einem Brief an Generalsekretär Lie brachten sie zwar ihre Freude über die Zusammensetzung des Board of Design zum Ausdruck und lobten deren Entwurf für das UN-Gebäude. Anschließend jedoch übernahmen sie Le Corbusiers Argumentation und bemängelten, dass aktuelle Modelle erhebliche Abweichungen zeigten, welche die ursprüngliche Integrität der architektonischen Absicht aufs Spiel setzten. Ein sukzessiver Verfallsprozess, so Sert und Giedion, zeichne sich ab. Um die Qualität des Projekts sicherzustellen, empfahlen sie die Wiederaufnahme der Arbeit des Board of Design.144 Le Corbusier erwähnten sie dabei nicht namentlich. Generaldirektor Lie reagierte gelassen. Wie aus der UN-Akte über die „Affäre Le Corbusier“ hervorgeht, leitete Glenn Bennett bereits am 4. Dezember 1947 Kopien sämtlichen Schriftverkehrs, sowie Le Corbusiers Deklaration und die entsprechenden Protokolle der Kommissionen an die Rechtsabteilung weiter.145 Offensichtlich stellte man sich im Sekretariat auf einen Rechtsstreit ein. Sachliche Antwortschreiben an die CIAM und an Le Corbusier erfolgten im Januar 1948.146 Für Le Corbusier schien sich tatsächlich das persönliche Desaster von 1927 zu wiederholen, denn er selbst verfiel in ähnliche Verhaltensweisen, mit denen er bereits in 142 Vgl. Briefe Le Corbusiers an Senator Warren Austin, Präsident des Headquarters Advisory Commitee vom 19. 11. 1947 und 4. 12. 1947, UN-Archiv, SG-0472-3-6. 143 Vgl. ebd. 144 Vgl. Brief von Sigfried Giedion und José Luis Sert an Generalsekretär Trygve Lie vom 4. 12. 1947, UN-Archiv, SG-0472-3-6. Ein Brief gleichen Wortlautes wurde am 22. 1. 1949 an Wallace K. Harrison gesandt. 145 Vgl. Interoffice Memorandum von Glenn Bennett (Executive Officer of Headquarters Planning Office) an A. H. Feller (General Council and Director of Legal Department) vom 4. 12. 1947, UN-­A rchiv, SG-0472-3-6. 146 Vgl. Brief Byron Price (Assistent des Generalsekretärs) an Le Corbusier vom 15. 1. 1948, Brief von Byron Price an Sert und Giedion vom 29. 1. 1948, UN-Archiv, SG-0472-3-6.

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Genf gescheitert war. Zwanghaft versuchte er, verschiedene politische Institutionen von der ihm widerfahrenen, ungerechten Behandlung zu überzeugen. So reichte er am 28. November 1948 bei der in Paris tagenden UN-Generalversammlung ein achtseitiges Memorandum ein.147 In der dritten Person erläutert er darin seine besondere Rolle beim Entwurfsprozess des UN-Gebäudes. In teilweise dramatischen Schilderungen offenbart er eine subjektive Sichtweise auf den Planungsprozess, die Tatsachen schlichtweg verdreht. Was Le Corbusier maßgeblich negiert, ist die ideelle Tragweite des gesamten UN-Projekts. Dass womöglich er als erster das UN-Sekretariatsgebäude als Hoch­ haus­t urm in die frühe Diskussion einbrachte, wurde von keinem der Architekten jemals bestritten. Dudleys Verlaufsprotokolle zeigen jedoch auch, dass Le Corbusiers Schema 23 A, auf das er sich immer wieder beruft, erst nach der Vorstellung von Robertsons Schema Nr. 6 diskutiert wurde. Das von der UN angestrebte und von allen Architekten akzeptierte Arbeitsformat, also das gemeinschaftliche Wirken, spielte für Le Corbusier in der Rückschau keine Rolle mehr. Die Tatsache, dass er aufgrund eines dringlichen Parisaufenthalts dem Design-Prozess mehrere Wochen fern blieb und dass in dieser Zeit Oscar Niemeyer eine neue Möglichkeit zur Verteilung der Baumassen aufzeigte, die von allen anderen akzeptiert wurde, negierte Le Corbusier genauso wie den Beschluss, das finale Projekt aus den Schemata 23 A und 32 B anzufertigen. Le Corbusier zielte mit seiner Argumentation darauf ab, seine Lebensleistung als Vordenker der mittlerweile anerkannten und international praktizierten Architekturprinzipien auf das UN-­ Gebäude zu übertragen. Sein selbstüberzeugter Hinweis, jeder sehe auf Anhieb, dass es sich um ein Gebäudeensemble à la Le Corbusier handele, lässt diese persönliche Vereinnahmung deutlich werden. In seinem Memorandum verlangte er schließlich von der General­versammlung, das universal gültige Prinzip intellektuellen und künstlerischen Eigentums anzuerkennen. Le Corbusier hielt Pressekonferenzen in seinem Atelier ab und mobilisierte tatsächlich das französische Außenministerium.148 Der amtierende Außenminister Robert Schumann wandte sich in einem Brief vom 11. Dezember 1948 an Generalsekretär Lie. Ohne eine eindeutige Position zu beziehen, bat er in höchst diplomatischem Jargon und unter Verweis auf die Leistungen des renommierten französischen Staatsbürgers Le Corbusier, höflich darum, dessen Rolle im UN-Designprozess angemessen darzustellen.149 Dessen Antwortschreiben fiel hingegen weniger diplomatisch aus; vielmehr verwies Lie in scharfem Ton auf die internationale Zusammenarbeit des Architektenteams und auf Le Corbusiers Deklaration vom April 1947, so dass keine weiteren diploma147 Vgl. Le Corbusier: Memorandum de Le Corbusier relative à la Création des Plans du Siège des Nations Unies à New York à l’Attention de MM. les Delegues de l’U.N. à l’A ssemblée Général de 1948 à Paris, UN-Archiv, SG-0472-3-6. 148 Dies geht aus einem Brief hervor, den Le Corbusier am 13. 12. 1948 an Generalsekretär Lie schrieb, UN-Archiv, S-0472-3-6. 149 Vgl. Brief des Außenministers Schumann an Generalsekretär Trygve Lie vom 11. 12. 1948, UNArchiv, S-0472-3-6.

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tischen Anstrengungen von französischer Seite aus erfolgten.150 Einen letzten zornigen Brief verfasste Le Corbusier am 17. November 1949.151 In knappen Sätzen konstatierte er darin, dass er – neusten Fotografien zufolge – eindeutig feststelle, dass es sich bei dem UN-Gebäude um seinen Typ einer Radio-City handle und somit das UN-Gebäude ihm alleine seine Existenz verdanke. Diesen speziellen Fall des Raubes geistigen Eigentums gedenke er nun vor die UNESCO zu bringen. Die Aktenaufzeichnungen des UN-Archivs enden an dieser Stelle und es kann davon ausgegangen werden, dass keine weiteren Schritte folgten. Für Le Corbusier markierte das UN-Gebäude schließlich ein weiteres Beispiel der Nichtanerkennung seiner Leistungen. Wie aus einem letzten Protestschreiben hervorgeht, hatte sein unrühmliches Verhalten dazu geführt, dass er nicht einmal zur Grundsteinlegung des Baus am 24. Oktober 1948 eingeladen wurde.152

Die CIAM und die United Nation’s Sub-Commission for Housing Problems Die intensivste Zusammenarbeit zwischen CIAM und UN fand von 1947 bis Ende der 1950er Jahre nicht in New York sondern in Genf statt. Dort traten die Vereinten Nationen 1946 auch das Erbe des Völkerbundes an. Sie organisierten dessen administrative Abwicklung und verlegten einige Sonderkommissionen nach Genf in den bezugsfertigen Völkerbundpalast. So auch die Economic Commission for Europe (ECE), eine Unterkommission des Wirtschafts- und Sozialrats ECOSOC. Die ECE verfolgte das Ziel, den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau des kriegszerstörten Europas zu organisieren. Die Aufgabe einer Abteilung des ECE, dem sogenannten Panel for Housing Problems, das bis in die 1980er Jahre hinein existierte, bestand gemäß der ersten Satzung von 1947 darin, die Unterkunftsprobleme, die für die europäischen Länder von allgemeinem Interesse sind, zu studieren und die Kommission mit technischen und wirtschaftlichen Mitteln dahingehend zu beraten, dass sie Lösungen für Wohnungsprobleme der Mitgliedsstaaten fördern und beschleunigen, ferner statistische und andere Informationen sammeln, analysieren und verbreiten.153

Das 1946 eingerichtete Sub-Committee on Housing trug in den ersten Jahren seines Wirkens zwischen 1947 und 1950 in Zusammenarbeit mit den Wiederaufbauministe­r ien der

150 Vgl. Brief von Trygve Lie an das französische Außenministerium, vertreten durch Robert Schuman vom 30. 12. 1948, UN-Archiv, S-0472-3-6. 151 Vgl. Brief Le Corbusiers an Generalsekretär Trygve Lie vom 17. 11. 1949, UN-Archiv, S-0472-3-6. 152 Vgl. ebd., S. 2. 153 Originalzitat: „[…] to study housing problems of common interest to European countries and advise the Commission on means, technical and economical, of assisting and expediting housing problems of member countries. And collect, analyse and disseminate statistical and other information.” Zit. nach: UN, ECOSOC, Economic Comission for Europe, Panel on Housing Problems, 1947–1948, E/ECE/HOU/2, S. 1, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/4.

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UN-Mitgliedsstaaten überwältigende Mengen von Datenmaterial zusammen.154 Diverse Arbeitsgruppen erstellten Statistiken über den zerstörten Wohnraum, ermittelten den aktuellen Wohnbedarf und dokumentierten die gesamte Entwicklung des europäischen Wohnungsbaus. Sie errechneten den notwendigen Bedarf und die tatsächlich verfügbaren Mengen an Baumaterialien (Holz, Zement, Stahl, Ziegelstein und Glas) und suchten nach ökonomischen Strategien, um die aufgrund von Material­k nappheit ansteigenden Baukosten zu senken.155 Manche Arbeitsgruppen erstellten Vergleichsstudien über die in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich organisierten infrastrukturellen Netzwerke zwischen Baubehörden, Bauindustrie, Architektenverbänden und Forschungseinrichtungen. Sie prüften deren Wirkungsweisen und die Leistungs­fähigkeit staatlicher Finanzierungssysteme. Anfang der 1950er Jahre weitete die europäische Wohnungsbaukommission ihren Aktionsradius von Europa nach Nordafrika, den Vorderen Orient und vor allem nach Asien aus und unternahm auf Anfrage einzelner Mitgliedsstaaten Hilfsprogramme im Wohnungsbau. Das vorrangige Ziel des Housing Sub-Committees bestand darin, den internationalen Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten, ihren staatlichen Einrichtungen, der Industrie und einschlägigen Experten aus dem Bereich Ingenieurwesen und Städtebau zu fördern. Dem Sammeln, Bündeln und Weitergeben von Informationen kam dabei ein hoher Stellenwert zu. Das Komitee hatte die Funktion einer Schnittstelle zwischen politischen Akteuren, Industrie und NGOs. Die CIAM stellten als eine international vernetzte Organisation für die ECE Housing Sub-Commission einen prädestinierten Kooperationspartner dar. Von Beginn an nahmen sie, vertreten durch den in Genf lebenden CIAM-Schatzmeister Jean-Jacques Honegger sowie durch die Architekten Vladimir Bodiansky und Marcel Lods, an Sitzungen und Kongressen der Kommission teil. So auch an einer vom 6. bis 12. Oktober 1949 in Genf tagenden International Conference on Building Documentation.156 Zu dieser Tagung hatte das Housing Sub-Committee neben UN-Delegierten auch Vertreter von UNESCO, ILO und WHO geladen sowie neben den CIAM sechs weitere NGOs: die International Union of Architects (IUA), die International Organisation for Standardisation (ISO), die International Federation for Housing and Town Planning (IFHTP), die Fédération Internationale de Documentation (FID), die World Engineering Conference (WEC) und die ­Fédération 154 Dies geht aus den Veröffentlichungen des ECE hervor, die aufgrund ihrer Fülle von der Autorin nicht bearbeitet werden konnten und einem intensiven Studium harren. Vgl. UN: ECOSOC, ECE, Panel on Housing Problems 1947–48, E/ECE/HOU/1/1-15, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/4. 155 Vgl. UN, Economic Commission for Europe, Panel on Housing Problems, Resolutions passed by the Panel at the 1st Session held at Geneva from 1st-3rd October 1947, E/ECE/HOU/10, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/4. Vgl. auch: UN, Economic Commission for Europe, Housing Sub-Committee: The Housing Problem in Europe, 1949, UNOG-Archiv, X14/1/30. 156 Eine offizielle Einladung der CIAM durch Ernest Weissmann ging am 17. 5. 1949 bei Sigfried Giedion ein. In seinem Schreiben, dem ein vorläufiges Kongressprogramm beigefügt war, bat Weissmann Giedion um eine persönliche Stellungnahme zum Programm und dem Interesse der CIAM am Kongress. Ein Antwortschreiben war im UNOG-Archiv leider nicht aufzufinden. Vgl. Brief Ernest Weissmann an Sigfried Giedion vom 17. 5. 1949, gta-Archiv, 42-SG-55-29.

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Internationale du Bâtiment et des Travaux Publics (FIBTP).157 Das vornehmliche Ziel der Konferenz bestand darin, Möglichkeiten eines internationalen Austauschs wissenschaftlicher und technischer Publikationen aus dem Bereich des Wohnungs- und Städte­ baus zu eruieren, um die Zugänglichkeit zu solcher Spezialliteratur zu erleichtern. In seinem Eröffnungsvortrag beschrieb Gunnar Myrdal, Executive Secretary der ECE, die aktuelle Situation folgendermaßen: Um den Auswirkungen der durch den Krieg verursachten Zerstörung von Wohnraum […] entgegenzuwirken, muss die Produktion in diesem Bereich mehr als in jedem anderen Industriezweig gesteigert werden. […] Zu diesem Zweck sind Informationen über die Wirtschaftlichkeit im Umgang mit Baumaterialien, Arbeitsproduktivität und Bautechniken nicht nur wünschenswert, sondern dringend erforderlich. Viele Experten studieren die ökonomischen und technischen Aspekte des Wohnungsbaus und Baugewerbes, aber die Ergebnisse ihrer Studien sind nur einer geringen Anzahl von Spezialisten bekannt. Der internationale Austausch von Informationen, mittels derer jedes Land von den Ergebnissen und Erfahrungen der anderen profitiert, wird einen großen Beitrag für die Entwicklung der Bauindustrie leisten.158

Dem Austausch von Spezialliteratur über Städte- und Wohnungsbau wurde zur Verbesserung der Gesamtsituation Priorität beigemessen. An der Konferenz beschlossen die Teilnehmer deswegen zum einen die Einrichtung nationaler Dokumentations­zentren, die an bestehende Einrichtungen – Bibliotheken und Universitäten – angegliedert werden sollten. Zum anderen standen Diskussionen über die effektive Arbeitsweise solcher Institutionen im Mittelpunkt. So wurde über eine verbindliche europaweite Einführung genormter Klassifikations- und Rechensysteme, standardisierter Buchformate und mehrsprachiger Bibliographien diskutiert sowie über einen einheitlichen Gebrauch von Bauterminologien beraten.159 Auch das von Le Corbusier und der französischen CIAM-Gruppe ASCORAL erarbeitete Dokumentationssystem Grille d’Urbanisme, das erstmals die Möglichkeit bot, die Faktoren städteplanerischer Projekte (kulturelle, ökonomische, soziologische) systematisiert graphisch darzustellen, wurde als mögliches Klassifi­kationssystem angeführt.160 Wie durch einzelne Protokolle belegt, beteiligten sich die CIAM-Vertreter Bodiansky und Lods aktiv an diesen Diskussionsrunden. Dabei 157 Vgl. UN, ECE, Proceedings of the Conference on Building Documentation, E/ECE//HOU/BD/2, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/4. 158 Originalzitat Gunnar Myrdal: „To counteract the effects of devastation of housing caused by the war and the vast backlog of unfulfilled construction needs, production in this field has to be ­raised more than in any other industry. […] Therefore, information about economies in the use of building materials, labour productivity, and construction techniques will not only be desirable but necessary. […] Many experts are studying the economic and technical aspects of housing and building, but the results of their studies are known only to a small number of specialists: International exchange of information, by means of which every country benefits from the results of each other’s research and experience, will greatly contribute to the development of the building industry.” Zit. nach: Gunnar Myrdal in seinem Vorwort zu den Proceedings of the Conference on Building Documentation, E/ECE//HOU/BD/2, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/4. 159 Vgl. Protokolle der Arbeitsgruppen 1–6, UNOG-Archiv, G.X. 14/5/5-11. 160 Vgl. Protokolle der ersten Arbeitsgruppe, Scope and Nature of Abstracts, UNOG-Archiv, G.X. 14/5/5.

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s­ prachen sie sich ausdrücklich für die Gründung einer internationalen Organisation zur Förderung des weltweiten Austauschs architektonischer Fachpublikationen aus. Aus ihrer Sicht bestand erhöhter Bedarf an Informationen vor allem über die in anderen Ländern durchgeführten Bauprojekte und die dabei angewendeten Techniken.161 Als Konferenzergebnis beschlossen die Beteiligten die Einrichtung eines International Council on Building Documentation (ICBD).162 Dieser trat als unabhängige Nichtregierungsorganisation ein Jahr später im Oktober 1950 – wiederum unter der Beteiligung der CIAM – in Paris zu seiner ersten konstituierenden Sitzung zusammen und hielt danach jährliche Treffen in nationalen Dokumentationszentren ab.163 1953 weitete der CIBD sein Betätigungsfeld von der Dokumentation auf den Bereich der Bauforschung aus.164 Sein Anliegen bestand nun vornehmlich in der Vernetzung von Forschungseinrichtungen mit staatlichen Stellen des Städtebaus und Nichtregierungsorganisationen.165 Ein weiteres zentrales Projekt der ECE Sub-Commission on Housing, das den Informationsfluss zwischen den Mitgliedsstaaten beförderte, bestand in der Herausgabe einer eigenen Publikationsreihe. Ab 1948 veröffentlichte es einmal jährlich das Housing and Town and Country Planning Bulletin. Im Fokus der Berichterstattung standen sowohl die UN-Aktivitäten als auch internationale Vergleiche von Wiederaufbauprojekten, Städte­ bau und Landschaftsplanung. Vor allem Länderbeispiele lieferten detaillierte Informationen über staatliche Organisationsstrukturen oder über neueste technische Trends beim Massenwohnungsbau. Den höchsten Anteil der Artikel übernahmen Mitarbeiter der Vereinten Nationen, etwa Ernest Weissmann, der gleichzeitig aktives CIAM-­ Mitglied war. Vereinzelt kamen externe Experten zu Wort. Walter Gropius eröffnete die zweite Ausgabe der Zeitschrift im Jahr 1949 mit einem großen Überblicksartikel zum Thema Organic Neighbourhood Planning.166 Auch andere CIAM-Akteure wie ­Jacqueline Tyrwhitt, Catherine Bauer und Sven Markelius platzieren Artikel in weiteren Ausgaben. Jeder Zeitschrift war eine Publikationsliste mit Neuerscheinungen zu Architektur und Städtebau angefügt. 1950 bat Ernest Weissmann Sigfried Giedion um eine Auflistung aller CIAM-Publikationen, die die Vereinten Nationen in ihre Bibliographie

161 Vgl. Record of Proceedings, UNOG-Archiv, G.X. 14/5/12. 162 Vgl. Conference on Building Documentation, 6. 10.–15. 10. 1949, Recommendations and Resolutions, HOU/BD/17, UNOG-Archiv, G.X. 14/5/12. 163 Dieser hielt ein Jahr später, am 23. 10. 1950, seine erste konstituierende Sitzung in Paris ab. Vgl. UNOG-Archiv, G.X. 14/6/1, International Council for Building Documentation. 164 Im Zuge dieser veränderten Ausrichtung benannte sich der ICBD in CIB (Conseil International du Bâtiment pour la Recherche, l’Etude et la Documentation). Das Gründungsdatum des CIB ist der 25. 6. 1953. Vgl. UNOG-Archiv, GX 14/6/10. 165 Der CIB, der heute International Council for Building and Innovation in Building and Construction heißt, operiert weltweit mit über 500 Forschungseinrichtungen. http://www.cibworld.nl/site/ home/index.html, zugegriffen am 21. 3. 2012. 166 Vgl. Gropius, Walter: Organic Neighbourhood Planning, in: United Nations’ Department of social Affairs (Hg.): Housing and Town and Country Planning Bulletin, New York, April 1949, S. 2–5.

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a­ ufnehmen wollten.167 1952 fragte er nach einem Beitrag zum Thema „Ausbildung von Stadtplanern in der Schweiz“, der in einer späteren Ausgabe der UN-Bulletins erscheinen sollte.168 Ab 1950 bemühten sich die CIAM um einen offiziellen Beraterstatus beim ­ECOSOC. Dies belegt ein Briefwechsel zwischen Vladimir Bodiansky und dem Leiter der NGO-Sektion der Vereinten Nationen.169 Auch wenn der Beraterstatus den CIAM aufgrund administrativer Verzögerungen erst im August 1952 gewährt wurde, intensivierten sich die gegenseitigen Kontakte bis in die Mitte der 1950er Jahre. Die CIAM-­Vertreter H ­ onegger, Bodiansky und Lods nahmen beratende Funktionen bei allen Sitzungen des Housing Sub-Committee ein. So auch im April 1951, als die Einrichtung eines weiteren Unter­ komitees für Internationale Bauforschung beschlossen wurde.170 Auch in diesem Gremium sicherten sie sich eine dauerhafte Teilnahme. Im Mai 1951 boten die UN Vladimir Bodiansky und den CIAM an, anlässlich der kommenden Sitzungsrunde des UN-Gremiums im September 1952 eine Ausstellung zum Thema ‚Wohnungsbau‘ zu organisieren und zwar in der Salle des Pas Perdus des Völkerbundpalastes. Wie mehrere Briefwechsel zeigen, zerstreute sich diese Idee nach anfänglichem Enthusiasmus aus zweierlei Gründen: Zum einen scheiterte die Ausstellung von Seiten der CIAM aufgrund der zu knapp bemessenen Zeit. Zum anderen äußerten einzelne Vertreter des Sub-Housing-Committees Zweifel an der diplomatischen Korrektheit des Vorgehens. Eine einzige NGO mit der Ausstellungsorganisation zu einem solch zentralen Thema zu betrauen, impliziere eine große Benachteiligung anderer Nichtregierungsorganisationen.171 Auch die CIAM luden ihrerseits Vertreter des Wohnungsbaukomitees regelmäßig zu ihren Kongressen ein. So auch 1951 zum dritten Nachkriegs-Kongress ins englische Hoddesdon. Wie aus einem Artikel der englischen Town Planning Review hervorgeht, beauftragte der dort anwesende UN-Vertreter Alexander Van der Goot die CIAM damit, vier Studien anzufertigen und zwar zu den Themenkomplexen Urban land policies, The neighbourhood unit and improvement of its design, Improvement of rural dwellings and amenities in tropical undeveloped areas sowie The education of planners.172 Der Auftrag verdeutlicht, dass die CIAM mittlerweile weit mehr als nur eine beratende Funk167 Vgl. Briefentwurf von Ernest Weissmann an Sigfried Giedion vom 11. 8. 1950, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/35, Annotated bibliography of selected documents dealing with housing and building. 168 Vgl. Brief von Ernest Weissmann an Sigfried Giedion vom 22. 8. 1952, gta-Archiv, 42-SG-55-55. 169 Vgl. Brief Bertram Pickard von der Section de Liaison Organisation non gouvernementales an Vladimir Bodiansky vom 25. 1. 1950, UN-Archiv, S-0441-Box-60-File 12. Erst im November 1950 erhielten die CIAM die entsprechenden Bewerbungsformulare. 170 Vgl. ECE, Industry and Materials Committee, Housing Sub-Committee, Building Research Organizing Committee, Report of the first Meeting, Brüssel, 21. 4.–24. 4. 1951, IM/HOU/BROC/Working Paper No. 7, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/64. 171 Vgl. UNOG-Archiv, G.X. 14/1/64, Housing Exhibit. 172 Vgl. Gardner-Medwin, Robert: United Nations and Resettlement in the Far East, in: The Town Planning Review, Vol. 22, Nr. 4, Januar 1952, S. 285.

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tion bei den Vereinten Nationen innehatten. Im Rahmen der ECE-Programme schufen sie eigenständige Forschungsgruppen und arbeiteten damit direkt der Wohnungsbau­ kommission zu. Bodiansky, Honegger sowie die CIAM-Mitglieder Georges Candilis (Leiter der CIAM Gruppe ATBAT-Afrique) und Michel Ecochard (Chef des Wiederaufbau­d ienstes in Marokko) übernahmen im November 1952 gemeinsam mit Ernest Weissmann die Aufgabe, allgemeine Richtlinien für das UN-Hilfsprogramm Technical Assistance in wenig entwickelten Ländern Afrikas auszuarbeiten.173 Aus ihrem offiziellen Bericht heißt es: Das Ziel des Projekts der technischen Assistenz, das hier zur Ausführung vorgeschlagen wird, besteht darin, beim Bau von Wohnungen und zur Verbesserung gemeinschaftlicher Dienste von einer großen Anzahl Menschen zu profitieren und zwar dank einer vernünftigen Planung auf staatlicher Ebene und einer ungewöhnlich hohen Teilnahme zukünftiger Bewohner an den unternommenen Bauarbeiten […].174

Mit einer ausgearbeiteten Planungs-Checkliste legte die Arbeitsgruppe einen Grundstein für die Durchführung großangelegter Wohnungsbauprojekte auf dem afrikanischen Kontinent. Voraussetzung für die UN-Hilfsprojekte war die enge Kooperation zwischen den Vertretern der Vereinten Nationen mit nationalstaatlichen Stellen unter Einbeziehung der örtlichen Bevölkerung. Letztere sollte unter Anweisung der UN-Bauexperten die Bauarbeiten selbst durchführen. Sowohl für Vladimir Bodiansky als auch für Michel Ecochard, Jacqueline Tyrwhitt und Vladimir Antolic (aktives CIAM- und CIRPAC-Mitglied seit Mitte der 1930er Jahre), lassen sich Bauprojekte und Expertenhilfen im Rahmen des UN-Programms der technischen Assistenz nachweisen. So nominierte die WHO Bodiansky 1953 für eine Expertengruppe, die auf Anfrage der türkischen Regierung den Bau von Kranken­ häusern in der Türkei beaufsichtigte.175 1954 reiste er im Auftrag der UN an die Gold­ küste (heute Ghana) um dort die administrativen, finanziellen und materiellen Voraussetzungen für Wohnungsbauprojekte zu begutachten.176 Wie aus einem Interoffice Memorandum der UN Wohnungsbaukommission hervorgeht, plante Bodiansky für die 173 Vgl. Projet d’A ssistance Technique des Nations Unies, Groupe d’étude et de formation pour l’amélioration des services d’intérêt collectif et l’habitat des groups économiquement faibles, y compris les methods cooperatives et d’entre aide de realization, gta-Archiv, 42-JT-12. 174 Originalzitat: „Le but du projet d’assistance technique que l’on a proposé de mettre en œuvre est de faire profiter un plus grand nombre de gens des ressources disponible pour la construction de logements et l’amélioration des services d’intérêt collectif grace à une planification judicieuse à l’échelon gouvernemental et à une participation plus large des futures occupants des logements aux traveaux entrepris […].” Zit. nach: ebd. 175 Vgl. Brief von Vladimir Bodiansky an Mr. Ewing (Directeur de la Division de l’Acier, des Industries Mécaniques et de l’Habitat), vom 30. 3. 1953, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/37. 176 Vgl. Vita Vladimir Bodianskys in den Bewerbungsunterlagen bei der UN sowie Liste über geplante und bereist durchgeführte Projekte im Bereich Technical Assistance in Lateinamerika, Asien, dem Nahen Osten und Afrika. Housing and Town and Country Planning Section, Direct Assistance to Governments in the Fields of Housing, Town and Country Planning and Building, 11. 1. 1954, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/37.

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UN ferner ein Group Training Program in Marokko. Dabei handelt es sich vermutlich um eine Weiterbildungsmaßnahme für Architekten und Stadtplaner.177 Michel Ecochard betreute als technischer Experte der UN ein Pilotprojekt in Pakistan und Jacqueline Tyrwhitt beriet im Rahmen eines UN-Programms die indische Regierung und organisierte in Neu Delhi eine internationale Wohnungsbau-Ausstellung.178 Vladimir Antolic überwachte in Burma (dem heutigen Myanmar) die Einrichtung eines nationalen Städtebaudepartments und brachte dort erste Bauprogramme auf den Weg.179 Die CIAM berieten schließlich als NGO mit offiziellem Beraterstatus die Vereinten Nationen in Fragen des Wohnungs- und Städtebaus. In den 1950er Jahren beteiligten sie sich aktiv an deren internationalen Hilfsprogrammen und wurden vor allem in Projekte in Afrika und Asien eingebunden. Die von Le Corbusier bereits 1928 ersonnene Strategie, über die internationalen Organisationen auf nationalstaatlicher Ebene wirken zu können, erreichte in den 1950er Jahren ihr Ziel. Auch Le Corbusiers städteplanerisches Großprojekt Chandighar im Ost Punjab, Indien, so heißt es in der Town Planning Review von 1952, wurde über die Hilfsprogramme der Vereinten Nationen initiiert.180

177 Vgl. Interoffice Memorandum von B. F. Reiner an A. F. Ewing. Record on conversation with Mr. Bodiansky vom 15. 5. 1952, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/64, Housing Exhibit. 178 Vgl. Liste über geplante und bereits durchgeführte Projekte im Bereich Technical Assistance in Lateinamerika, Asien, dem Nahen Osten und Afrika: Housing and Town and Country Planning Section, Direct Assistance to Governments in the Fields of Housing, Town and Country Planning and Building, 11. 1. 1954, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/37. 179 Vgl. ebd., S. 2. 180 Vgl. Gardner-Medwin, in: The Town Planning Review, S. 289.

Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO

Ein UNESCO-Programm zur Verbesserung der Architektenausbildung Die CIAM nahmen im Mai 1946 ersten Kontakt zur UNESCO auf.181 Sowohl Walter Gropius als auch Laszlo Moholy-Nagy waren seit ihrem Exilaufenthalt in London mit Dr. Julian Huxley, UNESCOs erstem Generaldirektor, persönlich bekannt. Briefwechsel lassen auf ein freundschaftliches Verhältnis schließen, was die Beziehungen zwischen den CIAM und der UNESCO sicherlich begünstigte.182 Die UNESCO-Leitlinie ‚Bildung‘ bot den CIAM vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für eine Zusammenarbeit. Im März 1947 organisierten die CIAM gemeinsam mit der ASPA eine Konferenz in Princeton – die sogenannte Princeton University Bicentennial Conference – zum Thema Planning Man’s physical Environment. Neben allgemeinen Diskussionen um aktuelle Herausforderungen und Aufgaben von Architekten und Designern stand die Architektenausbildung im Vordergrund.183 Als Ergebnis der Tagung einigten sich die Teilnehmer auf eine offizielle Empfehlung, die sie UNESCO-Generaldirektor Julian Huxley zusandten.184 Darin forderten sie ihn auf, im Rahmen der UNESCO-Aktivitäten ein Experten-Komitee einzuberufen, das über eine grundlegende Reform der Architektenausbildung diskutieren und einen Entwurf für eine international verbindliche Bildungs-

181 Vgl. Brief Walter Gropius an Julian Huxley vom 27. 5. 1946, gta-Archiv, 42-JLS-25-169. 182 Vgl. Abschrift eines Briefes von Laszlo Moholy-Nagy an Julian Huxley vom 26. 10. 1946, in dem er ihm viel Erfolg für seine Aufgaben bei der UNESCO wünscht, Bauhaus-Archiv, Briefe mit Personen GS 19, 789-1-2. 183 Auszüge aus dem Kongressprogramm sowie einige Vorträge – etwa von Walter Gropius, Frank Lloyd Wright, Richard Neutra – befinden sich im Bauhaus-Archiv Berlin. Vgl. Bauhaus-Archiv, GN 6, M 140/83 und M 341/85, Statements, Princeton Bicennial Conference. 184 Zu den Unterzeichnern gehören u. a. Walter Gropius, Richard Neutra, Konrad Wachsmann, José Luis Sert, Sigfried Giedion, George Howe, Le Corbusier, Serge Chermayeff, John Burchard, Catherine Bauer, Gyorgy Kepes, Marcelo Roberto und Lawrence Kocher. Vgl. Empfehlung an Dr. Julian Huxley vom 6. 3. 1947, gta-Archiv 42-JLS-25-48 und Bauhaus-Archiv, GN 1-76-CIAM 6, Education Committee. Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO

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reform formulieren sollte.185 Ihrer Ansicht nach seien nämlich die Lehrpläne an zahlreichen Architekturschulen nicht an aktuelle Aufgabenstellungen angepasst. So würden etwa Studierende nur unzureichend auf Probleme des Wiederaufbaus vorbereitet. Zwei grundsätzliche Aktionsbereiche könnten zukünftig bei der UNESCO umgesetzt werden: ein kurzfristiges Programm zur Realisierung des Wiederaufbaus und eine langfristige Bildungsoffensive im Bereich Architektur und Bauplanung.186 Die Princeton-Konferenz markiert den ersten Schritt der beiden Architekten­ verbände, sich mit eigenen Initiativen an den Programmen der UNESCO zu beteiligen. Sie erhofften sich dort Möglichkeiten, ihre Aktivitäten im Rahmen einer internationalen politischen Zusammenarbeit fortzuführen. Ihr Engagement wurde von Seiten der ­U NESCO positiv aufgenommen. In einem Antwortschreiben vom 25. April 1947 an Dekan Joseph Hudnut, den die Konferenz zum Vorsitzenden gewählt hatte, begrüßte Generaldirektor Julian Huxley die Kooperationsvorschläge.187 Er wies die Konferenzteilnehmer darauf hin, dass bei der UNESCO bereits der britische Architekt William Holford – Mitglied der englischen MARS-Gruppe und Professor für Städtebau an der University of London – als Berater tätig sei. Er empfahl Joseph Hudnut, sich schnellstmöglich mit diesem in Verbindung zu setzen und weitere Schritte im Bereich der Architektenausbildung zu beraten.188

Der Bridgwaterkongress 1947 und die Idee einer CIAM-Schule Während des ersten Nachkriegskongresses der CIAM wurden die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der UNESCO ausführlich diskutiert. Vom 8. bis 14. September 1947 trafen sich alle CIAM-Ländergruppen erstmals nach zehn Jahren im englischen Bridgwater wieder. Das vornehmliche Ziel des Kongresses bestand darin, die durch den Krieg abgebrochenen Kontakte wieder aufzunehmen. Ferner sollte genau geprüft werden, ob die fruchtbare kollektive Arbeit der 1930er Jahre auf einer neuen Basis fortgesetzt werden konnte und ob dabei die einst formulierten Prinzipien des Städtebaus immer noch als gemeinsames Fundament gelten konnten.189 Giedion beurteilte in seiner 1951 erschienen Publikation Dix ans d’architecture contemporaine das Ergebnis wie folgt: Die Organisation der Stadt bleibt der Bezugspunkt, der unser Anliegen spiegelt. Seine Vorrangstellung wurde durch die Ereignisse bestätigt. Welche Form, welche Dimensionen muss die Stadt annehmen, damit sie die menschlichen Werte respektiert? Worin liegt die Konzeption der

185 Vgl. ebd. 186 Vgl. ebd. 187 Vgl. Abschrift des Briefes von Julian Huxley an Joseph Hudnut vom 25. 4. 1947, Bauhaus-Archiv, GN 1-76-CIAM 6, Education Committee. 188 Vgl. ebd. 189 Vgl. Giedion 1951, S. 11.

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Wohneinheit in den verschiedenen Ländern der Welt? Es gibt innerhalb der CIAM zwei Orientierungen die sich ergänzen: diejenige der Analyse und der Statistik und diejenige der Synthese und der Visionäre.190

Während des Kongresses wurde der durch die Charta von Athen definierte städtebauliche Schwerpunkt der CIAM bestätigt und um zwei weitere Themen ergänzt: Vertreter wie Giedion forderten eine Erweiterung des Diskurses um moderne Architektur. Zeitgenössische Bauten sollten nicht nur Aspekte der Funktionalität, sondern auch symbolische Werte berücksichtigen. Auf dem Bridgwater-Kongress wurde deswegen eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich dem Thema Architectural Expression annahm. Auf diesen Aspekt möglicher Kooperationen zwischen Architekten und bildenden Künstlern, den Giedion und Hans Arp im Rahmen ihrer Fragebogenaktion zur Erstellung eines Meinungsbildes untersuchten, wurde bereits im ersten Teil der Arbeit eingegangen. Ihre Bedeutung für die Bewegung der ‚Synthese der Künste‘ und deren Einfluss auf das ­U NESCO-Bauprogramm wurde an anderer Stelle hinreichend diskutiert. Der zweite neue Themenschwerpunkt wurde im Bereich Architectural Education gesetzt. Die CIAM dachten dabei insbesondere an eine gezielte Nachwuchsförderung. Um zukunftsfähig zu bleiben, mussten sie verstärkt junge Architekten in ihre Arbeit einbinden. Den Anstoß zu Aktivitäten in diesem Bereich gab die englische MARS-Gruppe. Gemeinsam mit Studierenden hatte sie im August 1946 eine Analyse englischer Ausbildungsprogramme durchgeführt und dabei großen Reformbedarf sowohl hinsichtlich der Lehrmethoden als auch bezüglich des gesamten englischen Ausbildungssystems festgestellt.191 Ähnliche Vergleichsstudien zwischen Architektenschulen wurden am Bridgwaterkongress im Rahmen einer eigenen Arbeitsgruppe fortgeführt.192 Die Teilnehmer dieses Gremiums fokussierten Universitätssysteme in den USA, England, der Tschechoslowakei, Kanada, Kuba, Österreich, Holland und England, und suchten gezielt nach den Schwächen dortiger Schulsysteme. Walter Gropius, für den die Ausbildung von Architekten seit Bauhaustagen ein zentrales Anliegen darstellte, verlas am Ende des Kongresses die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Architectural Education vor dem Plenum.193 Sein Abschlussbericht verweist zunächst auf die historisch gewachsenen und deswegen von Nation zu Nation unterschiedlichen Ausbildungstraditionen, die grundsätzlich nicht durch das Gremium in Frage gestellt würden. Als wichtigste Empfehlung stellte 190 Originalzitat Sigfried Giedion: „L’ organisation de la cité reste le point de mire de nos preoccupations. Sa primauté a été confirmée par les événements. Quelle forme, quelles dimensions doit prendre la ville, pour respecter les valeur humaines? Quelle est la conception d’unité de residence dans les diverses parties du monde? Il y a aux CIAM deux orientations qui se complètent: celle d l’analyse et de statistique et celle de la synthèse es des visionnaires.” Zit. nach: Giedion 1951, S. 14. 191 Vgl. CIAM 6, Bridgwater, Report by MARS Group, Statement on Architectural Education, Bauhaus-Archiv, GN 1-CIAM 6-Mappe 77. 192 Vgl. CIAM 6, Bridgwater, Commission on Architectural Education, Summary of Discussion leading to Formulation of guiding Principles, Bauhaus-Archiv, GN 1-CIAM 6-Mappe 77. 193 Vgl. ebd.

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er heraus, dass junge Architekten insgesamt weniger Faktenwissen ansammeln sollten, sondern vielmehr das Erlernen geeigneter Methoden zur Basis jeder Ausbildung gehöre. Dabei müsse unbedingt eine Balance gehalten werden zwischen dem Mobilisieren kreativer Fähigkeiten, analytischem Arbeiten am Zeichenbrett und der praktischen Durchführung von Projekten. Der Praxis maß er größte Bedeutung bei. Sie solle durch eigenständige Studienprojekte noch häufiger in das Studium integriert werden. Langwierige Praktika in Architekturbüros, so seine Einschätzung, förderten nur in geringem Maße die Selbständigkeit der Studierenden. Um tatsächlich eine großangelegte Reform durchzuführen, beschloss die Arbeitsgruppe Architectural Education, allgemeine Richtlinien für die Architektenausbildung zu formulieren und der UNESCO zu unterbreiten. Damit knüpfte sie an die Bemühungen der Princeton-Konferenz an. Bereits zur nächsten UNESCO-Generalkonferenz im November 1947 wollte Gropius eine Diskussionsgrundlage vorlegen.194 Neben diesem langfristigen Ziel einer internationalen Architekturreform im Rahmen der UNESCO-Programme diskutierten die Teilnehmer während des Bridgwaterkongress auch über die Einrichtung einer eigenen Ausbildungsstätte.195 Eine weitere Arbeitsgruppe formulierte ein erstes Konzept für eine CIAM-International-School.196 Darin verwiesen die Autoren zunächst auf die immer noch vorherrschenden reaktionären Tendenzen in Europa, die sich auch in den Ausbildungsprogrammen der Architekturschulen widerspiegeln würden. So hätte sich etwa die Pariser École des Beaux-Arts seit 30 Jahren nicht verändert. Während eine „alte Garde“ immer noch die städtischen Architekturräte kontrolliere, so die Einschätzung der Diskutanten, kämen junge Nachwuchsarchitekten mit übergreifenden städtebaulichen Fragestellungen erst gar nicht in Berührung. Universitäten in Schweden und Dänemark beispielsweise bemühten sich um ein gutes technisches Training, sie förderten hingegen kreative Fähigkeiten zu wenig. Eine in der Schweiz situierte CIAM-Schule könne Modellcharakter erhalten, ein neues Zentrum für intelligente Studierende werden und damit weltweit Einfluss auf die Architektur nehmen.197 Das Konzept für eine CIAM-Schule sah vor, einjährige Kurse für Postgraduierte anzubieten, für solche Studierende also, die bereits einen ersten berufsqualifizierenden 194 Vgl. Unbezeichnetes und undatiertes Verlaufsprotokoll des Bridgwater-Kongresses, in dem der CIAM-Präsident Walter Gropius dazu aufordert, seinen Bericht der Kommission für Architektenausbildung vorzutragen, Bauhaus-Archiv, GN 1-CIAM 6-Mappe 77. 195 Wie aus einem Sitzungsbericht hervorgeht, wurde der Vorschlag für eine CIAM-post graduate school in Zürich zur Disposition gestellt. Er konnte jedoch aufgrund anderer dringlicher Probleme nicht diskutiert werden. Da der Vorschlag von einem Mitglied der englischen MARS-Gruppe gestellt wurde, sollte er zunächst innerhalb der MARS-Gruppe weiterverfolgt werden. Vgl. CIAM 6, Bridgwater 1947, Commission IV Architectural Education, Summary of Proceedings, Bauhaus Archiv, GN 1-CIAM 6-Mappe 79. 196 Vgl. Sub-Committee Report, CIAM International School, Bridgwater 12. 9. 1947, Bauhaus-Archiv, GN 1-CIAM-6-Mappe 76, CIAM VI-Education Committee. 197 Vgl. ebd., S. 1.

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Abschluss in ihrem Herkunftsland erworben hatten und über fundierte Kenntnisse verfügten. Die Lernziele des CIAM-Aufbaustudiengangs bestanden darin, 1. kreative Fähigkeiten und ästhetisches Beurteilungsvermögen zu vermitteln; Studierende sollten 2.  neue Bautechniken erlernen und 3. ihre Kenntnisse in der nationalen wie regionalen Städtebauplanung vertiefen.198 Neben konkreten Fragen der Umsetzung, etwa zur Finanzierung der Schulausstattung, dem Anwerben der Lehrkräfte, der Erhebung einer Studiengebühr oder der Unterbringung der Studierenden wurde vor allem die programmatische Positionierung und Verankerung der Schule innerhalb der CIAM diskutiert. Es war vorgesehen, dass die Institution von einem Schulrat geleitet werden sollte, der durch die CIAM nominiert wurde. Ein für drei Jahre gewählter Schuldirektor musste verpflichtend Mitglied der Organisation sein. Die Finanzierung, so dachten die Initiatoren, könnte von der UNESCO bzw. deren Mitgliedsstaaten getragen werden, ebenso die Stipendien für die Studierenden. Der Bericht ging davon aus, dass bereits im Herbst 1948 das erste Schuljahr beginnen sollte.199 Direkt im Anschluss an den Bridgwater-Kongress konferierte die Arbeitsgruppe am 16. September in London über die Möglichkeiten einer CIAM-Schule im Rahmen der UNESCO-Programme.200 Zu den Teilnehmern zählten Sigfried Giedion, einige Mitglieder der englischen MARS-Gruppe (Maxwell Fry, William Holford, Jane Drew, H. T. Cadbury-Brown) sowie der CIAM-Präsident Cornelis van Eesteren. Als offizieller Repräsentant der UNESCO besuchte Alexander Van der Goot das Treffen. Er hatte bereits am Bridgwater Kongress teilgenommen und war bis 1948 für die Kooperationsbemühungen der CIAM bei der UNESCO zuständig. Die CIAM-Mitglieder, so geht aus dem Protokoll der Arbeitsgruppensitzung hervor, verfolgten zwei Ziele: erstens hatten sie zunächst die Vorstellung, dass die UNESCO die Finanzierung einer eigenen Schule unterstützen könnte. Zweitens verfolgten sie die Idee, dass sie über die UNESCO Einfluss auf die Architektenausbildung in Europa ausüben könnten, indem sie an einem Programm zur Überarbeitung von Lehrplänen teilnahmen.201 Zu ihrer Ernüchterung klärte Alexander van der Goot sie darüber auf, dass die UNESCO nicht in erster Linie ein Geldgeber sei. Ihre Strategie bei der Entwicklung von Hilfsprogrammen bestünde vielmehr darin, bereits bestehende engagierte NGOs mit staatlichen Vertretern der Mitgliedsstaaten zusammenzubringen, damit diese gemeinsam realistische Lösungsansätze fänden. Die CIAM, so van der Goot, müsse sich also gut überlegen, zu welchen UNESCO-Programmen sie einen nützlichen Beitrag leisten könne. Er selbst machte zwei Vorschläge: Eine Kooperationsmöglichkeit sah er in dem vom ECOSOC geplanten Department of Homeand Community Planning. Hier könnte die CIAM als Berater der UN auftreten. Die

198 Vgl. ebd., S. 2. 199 Vgl. ebd, S. 3. 200 Vgl. Protokoll des CIAM Sub-Committee on Architectural Education vom 16. 9. 1947, gta-Archiv, 42-SG-19/33-36. 201 Vgl. ebd., S. 2.

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zweite lag im Bereich der Architektenausbildung, etwa in der Überarbeitung von Lehrplänen. Eine CIAM-Schule könne allerdings nur einen Teilaspekt darstellen.202 Bereits zur nächsten UNESCO-Generalkonferenz am 1. November 1947 in ­Mexico-­ City wollte Walter Gropius einen vorläufigen Bericht mit konkreten Kooperationsvorschlägen einreichen. Dieser kam jedoch aufgrund der Kurzfristigkeit der Planungen nicht zustande. In Mexico-City setzte sich Alexander van der Goot dennoch für die CIAM ein. Er erstellte selbst ein umfassendes Memorandum über mögliche UNESCO-Aktivitäten im Bereich Home and Community Planning für das Jahr 1948.203 Darin fasste van der Goot für die UNESCO-Delegierten die jüngsten Entwicklungen des Städtebaus zusammen und resümierte bisherige Aktionen der Organisation. Fundiert erörterte er das komplexe Problem des Wiederaufbaus, das sich nicht nur auf die Wiederherstellung einiger Wohnungen, Schulen, Kirchen und Theater beschränkte, sondern in erster Linie die infrastrukturelle und wirtschaftliche Rekonstruktion ganzer Regionen und Länder bedeutete. Die Weiterentwicklung und Verbesserung der menschlichen Umwelt mit sozialen, ökonomischen und technischen Strukturen, stünden hier zur Disposition, so van der Goot.204 Eine Gefahr bestünde darin, dass die mit dem Wiederaufbau befassten Experten – er nennt hier Verkehrswesen, Planungsämter, Gesundheitswesen – aufgrund einseitiger Fachentscheidungen die gesamtgesellschaftliche Situation aus dem Blick verlieren könnten. Es dürfe nicht zu einer Monopolisierung des Wiederaufbaus durch nur einen Spezialbereich kommen. Gewichtige Vertreter aus Soziologie, Kulturanthropologie und Sozialpsychologie, die sich mit dem sozialen Wandel innerhalb der Gesellschaften, mit familiären und kulturellen Entwicklungsmustern beschäftigten, sollten seiner Meinung nach in die Wiederaufbauplanungen einbezogen werden. Für die UNESCO präferierte Alexander van der Goot folgende Aufgabenstellung: Folglich scheint das dringlichste Problem im Bereich der Planung darin zu bestehen, eine kohärente Richtlinie auf den Weg zu bringen, die gekoppelt ist an ein vergleichbares Aktionsprogramm und eine neue Form der Kooperation mit integrativen Bemühungen zu entwickeln, die dringend gebraucht werden.205

Was hier abstrakt zusammengefasst erscheint, beschreibt in der Sprache der U ­ NESCO einen üblichen Lösungsweg, nämlich 1. das Ausformulieren eines Programms und 2. das Zusammenbringen von Experten, damit diese Empfehlungen erarbeiteten, um sie der Generalkonferenz zur Abstimmung vorzulegen.

202 Vgl. ebd., S. 3. 203 Vgl. Memorandum on Unesco’s Programme for the year 1948 regarding Home and Community Planning, UNESCO-Doc 2C/53 Annex, Paris 14. 10. 1947, gta-Archiv, 42-SG-52-1/4. 204 Vgl. ebd., S. 2. 205 Originalzitat: „Thus the most pressing problem in the field of planning seems to be how to bring about a coherent policy coupled with a comprehensive programme of activity, and to develop the new type of cooperation and integrated effort wich is needed.” Zit. nach: ebd., S. 4.

Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO     | 351

Im zweiten Teil seines Memorandums beschreibt van der Goot die von der UNESCO seit 1946 unternommenen Aktivitäten im Bereich des Wiederaufbaus. Diese beschränkten sich bislang nur auf Beschlüsse zur Aufnahme solcher Programme. Als einziges konkretes Ergebnis für eine eigene Programmlinie nennt van der Goot das Expertentreffen der Princeton University 206 , an dem die CIAM und die ASPA Generaldirektor Julian Huxley eine Empfehlung für eine Reform der Architektenausbildung ausgesprochen hatten. Für ein eigenes UNESCO-Programm machte van der Goot schließlich folgende Vorschläge: Zunächst sollte die UNESCO ein breiteres Verständnis für die wissenschaftliche und kulturelle Zielsetzung des Städtebaus schaffen. In dem vom ECOSOC geplanten International Institute for Home and Community Planning sollte sie eine beratende Funktion einnehmen und Experten privater Organisationen mit Staatsvertretern zusammenbringen. Zuletzt sollte die UNESCO eine Begutachtung der Ausbildungsverhältnisse von Architekten und Städteplanern durchführen und den internationalen Meinungsaustausch bezüglich einer Modernisierung der Lehrpläne sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in Designschulen anzuregen. In diesem Bereich, so van der Goot, hätten die CIAM bereits Untersuchungen angestellt, die auch zu dem von der UNESCO geplanten Programm der internationalen Lehrplanrevision passe. Zuletzt bringt van der Goot die Idee einer CIAM-Schule vor: Um eine neue Form des postgraduierten Architekturtrainings anzubieten, haben die bereits erwähnten C.I.A.M. die Initiative zur Gründung einer Internationalen Schule für Moderne Architektur ergriffen. Es wird vorgeschlagen, dass die UNESCO […] in Kontakt mit den Initiatoren bleibt, mit dem Ziel, Ratschläge oder jede andere Form der Unterstützung zu erteilen, falls dies gewünscht wird.207

Im letzten Punkt seines Memorandums empfahl van der Goot die CIAM als Kooperationspartner neben der International Federation of Housing and Town Planning und der International Reunion of Architects.208 Van der Goots Memorandum verdeutlicht, wie intensiv die CIAM als eine von drei NGOs von Beginn an in die frühen Programme der UNESCO integriert werden sollten. Umso enttäuschter waren Giedion und Gropius, als die Mexiko-Konferenz keinen der Vorschläge per Resolution annahm. Vermutlich wurden seine Empfehlungen, zumindest die Einrichtung einer internationalen Architektenschule, als zu spezialisiert eingeschätzt. Ein in den Unterlagen Giedions erhaltenes Exemplar der Mexiko-Resolution verdeutlicht, dass die dort gefassten Beschlüsse viel allgemeineren Charakter aufweisen, 206 Vgl. ebd., S. 6. 207 Originalzitat: „In order to provide for a new kind of architectural post-graduate training centre, the already mentioned C.I.A.M. Group has taken the initiative for the founding of an Internatio­ nal School of Modern Architecture. It is proposed that Unesco, following the informal consultations that have already taken place, should remain in contact with the initiators, with a view to giving advice and any other suitable form of support, if this might prove to be desired.” Zit. nach: ebd., S. 13. 208 Vgl. ebd., S. 14.

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um größtmöglichen Handlungsspielraum zuzulassen.209 So wird im ersten Aktionsfeld Reconstruction zunächst auf die Vorhaben von ECOSOC und ECE verwiesen, denen die UNESCO ihre Unterstützung zusagte. Hinsichtlich des Wiederaufbaus sprach die Generalkonferenz lediglich eine Empfehlung aus, der zufolge sich alle NGOs der Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kultur zu nationalen Kommissionen zusammenschließen sollten, um den Wiederaufbau in den kriegszerstörten Gebieten voranzutreiben. Welche Programme genau dies einleiten sollten, ließ die Resolution gänzlich offen. Giedion markierte einige Punkte in seinem Resolutionsexemplar, so dass sich daran seine Interessen an der UNESCO, mögliche Kooperationen betreffend, ablesen lassen. So unterstrich er etwa den Unterpunkt „Kooperation mit NGOs“, den „Personenaustausch“ im Bereich der Wissenschaften, Industrie und Kunst, sowie die „Publikations- und Reproduktionsprogramme“ und das „Ausstellungswesen“.210 An der Idee einer eigenen Schule hielten die CIAM fest. Unabhängig von der ­U NESCO organisierte zunächst die englische MARS-Gruppe vom 19. Juli bis 6. September 1948 die erste Summerschool unter der Schirmherrschaft der Architectural Association School of Architecture in England. Dieser Sommerkurs zum Thema The Rebuilding of Central Urban Areas galt als Testlauf für weitere Postgraduiertenkurse.211 Über Programm, Ablauf, Teilnehmerzahlen und letztlich den Erfolg der Summerschool liegen in den Archiven in Zürich und Berlin keine Informationen vor. Allem Anschein nach gelang es den CIAM jedoch nicht, solche Seminare in jährlichem Turnus abzuhalten. Es mangelte sicherlich an finanziellen Mitteln und an der Bereitschaft der Ländergruppen, den hohen Aufwand einer solchen Veranstaltung zu tragen. Erst vier Jahre später organisierte die italienische CIAM-Gruppe eine zweite Summerschool. Vom 10. September bis 10. Oktober 1952 fand am Instituto Universitaria di Architettura in Venedig unter der Leitung von Ernesto Rogers, Franco Albini, Ignazio Gardella und Giuseppe Samonà erneut ein Praxisseminar statt.212 Das Veranstaltungsfaltblatt – das im Archiv der Vereinten Nationen in Genf vorliegt – kündigt an, dass Architekturstudierende dazu eingeladen werden, Studien zu einem aktuellen städtebaulichen Problem Venedigs anzufertigen. Am Ende des Kurses werden ihre Ergebnisse von prominenten Architekten, etwa Alvar Aalto und Le Corbusier begutachtet. Ort und Zeitpunkt dieser Veranstaltung waren nicht zufällig gewählt. Sowohl Aalto als auch Le Corbusier nahmen Ende September 1952 am UNESCO-Künstler-Kongress teil. Die CIAM nutzten mit dieser Parallel­ veranstaltung die Gelegenheit, der UNESCO gegenüber Eigeninitiative in Sachen Architektenausbildung zu demonstrieren.

209 Vgl. UNESCO, General Conference, Second Session, Final Resolutions: The Programme of U ­ NESCO in 1948, Unesco-Dokument 2 C/129 (Rev.), Mexico City, 4. 12. 1947, gta-Archiv, SG-19-48. 210 Vgl. ebd. 211 Vgl. ebd., S. 2. 212 Vgl. Faltblatt zur CIAM-Summer School, UNOG-Archiv, G.X. 14/1/2, Housing Problems.

Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO     | 353

Sigfried Giedions Bemühungen um UNESCO-Kooperationen CIAM-Sekretär Sigfried Giedion versuchte mehrere Jahre lang, die UNESCO für verschiedene Projekte zu gewinnen. Auch wenn der Züricher Professor für Kunstgeschichte einige Male als Experte konsultiert wurde, divergierten beider Vorstellungen über mögliche Formen der Kooperation allerdings häufig. Im Februar 1948 wurde Giedion zu einer UNESCO-Konferenz ­­ mit Universitätsvertretern eingeladen. Diese sollten über aktuelle Tendenzen und allgemeine Probleme von Universitäten diskutieren.213 Giedion wurde gebeten, Themen für unterschiedliche Sektionen vorzuschlagen – etwa zur Zahl der Studierenden, zu universitärer Autonomie und Forschung sowie zu Problemen der Universitätslehrenden und allgemeinen Entwicklungen. Ob er tatsächlich an der Konferenz teilnahm, geht aus den Akten nicht eindeutig hervor. Um die CIAM-Diskussionen über eine internationale Reform der Architektenausbildung nicht aus dem Auge zu verlieren, wandte er sich im März 1948 an ­­UNESCO-Generaldirektor Julian Huxley. Wie bereits durch die Pinceton-Konferenz angeregt, unterbreitete er ihm erneut den Vorschlag, ein Expertengremium einzuberufen, das die Diskussionen über eine mögliche Reform von Architekturschulen fortführte.214 Das Komitee sollte sich aus fünf Mitgliedern zusammensetzen – drei Vertretern der Architektenorganisationen IUA, IFHTP und CIAM sowie zwei Abgeordneten der ­U NESCO. Giedion passte seine Strategie für eine ­U NESCO-Kooperation den gängigen Abläufen der Organisation an. Erst über Empfehlungen von Experten konnten der Generalversammlung Resolutionsvorschläge unterbreitet werden. Dafür war er sogar bereit, mit zwei weiteren NGOs zusammenzuarbeiten.215 Er erhielt von Seiten des Generaldirektors jedoch keine positive Rückmeldung. Am 16. Februar 1949 schrieb er frustriert an den befreundeten Edward Carter, Vorsitzenden der ­U NESCO Libraries Division: 213 Vgl. ­U NESCO, University Development and its Problems, Paris, 27. 2. 1948, ­U NESCO-Dokument EDD.757, gta-Archiv, SG-19-137. 214 Vgl. Brief von Sigfried Giedion an Julian Huxley vom 30. 3. 1948, gta-Archiv, 42 SG-19-142. 215 Tatsächlich hatten die CIAM bereits seit September 1946 ihre Positionierung zu der bevorstehenden Gründung der IUA diskutiert. Letzere ging 1948 als neuer Weltverband der Architekten aus der Réunion Internationale des Architects (RIA) hervor. Während eines Treffens zwischen Mitgliedern der RIA und der CIAM diskutierten die Architekten vor allem den Aufbau der neuen Organisation IUA. Laut Protokoll war die Finanzierung des Sekretariats des neuen Weltverbandes von Beginn an durch die UN oder die ­U NESCO geplant, die Anbindung der IUA an die Vereinten Nationen also festgelegt. Es lag folglich bereits 1946 an den CIAM, eine Position zum Weltverband zu beziehen. Vgl. Proces-Verbal de la Réunion CIAM tenue le 28 Septembre 1946 à Londres, Bauhaus-Archiv, GN 1-CIAM 6-M-76. Das Verhältnis beider Organisationen scheint nicht unproblematisch gewesen zu sein, wie Briefwechsel zwischen CIAM-Präsident José Luis Sert und Generalsekretär der IUA Pierre Vago zeigen. Eine schriftliche Vereinbarung vom 6. 7. 1951 sollte das Verhältnis beider Organisationen klären. Daraus geht beispielsweise hervor, dass sich beide verpflichten, die jeweils andere Organisation über sämtliche Kontakte mit den Internationalen Organisationen zu informieren. Vgl. Preliminary Draft Agreement between U.I.A. and C.I.A.M., 6. 7. 1951, Bauhaus-Archiv, GN 1-CIAM 6-M-76.

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Viele von uns sind enttäuscht darüb er, dass die Abendessen mit Huxley, die Gespräche mit Auger keine Ergebnisse gebracht haben. […] Wenn die ­U NESCO mit uns zusammenarbeiten will und uns nicht nur in ihren Akten auflisten möchte – so wie wir bei der UN gelistet sind – muss bald etwas Gutes herauskommen. Das bedeutet Action von Seiten der ­U NESCO. Wir haben alles getan, um das Interesse der ­U NESCO zu erlangen.216

Auch die zweite Option für eine Kooperation mit der ­U NESCO – die von Alexander van der Goot auf der Mexico-Konferenz vorgeschlagene Einrichtung eines Institutes für Städtebau – forcierte Giedion weiter. Er forderte alle Ländergruppen der CIAM zur aktiven Lobbyarbeit bei ihren nationalen U ­ NESCO-Kommissionen auf. Sie sollten bei ihren Ländervertretern vorstellig werden, damit diese sich an der kommenden General­konferenz in Florenz 1950 für die Einrichtung eines solchen Institutes einsetzten.217 John E. Burchard (Dekan am MIT) folgte dem Aufruf Giedions und wandte sich an mehrere US-amerikanische ­U NESCO-Delegierte.218 Die Informationen, die er dort erhielt, waren jedoch desillusionierend. Allgemeiner Tenor war, dass bei der ­U NESCO nur noch solche Programme aufgenommen werden konnten, die keiner Finanzierung durch die Organisation bedurften. Giedions Bemühungen um ein internationales Institut für Städtebau zerstreuten sich spätestens 1951, nachdem die UN, unter Beteiligung der CIAM 1950 den International Council for Building Documentation auf den Weg gebracht hatte. Im Frühjahr 1949 arbeitete Giedion an einer neuen Initiative. Er wandte sich seinen eigenen wissenschaftlichen Interessen als Professor für Kunstgeschichte der ETH Zürich zu. Gemeinsam mit einem Kollegen – Professor Ferdinand Gonseth, aus dem Fachbereich Philosophie und Mathematik – strebte er die Einrichtung eines unter der Schirmherrschaft der ­U NESCO stehenden Instituts für Methodologie an.219 Ziel des Instituts, so Giedions Vorstellung, bestand in der Aktivierung von Wechselbeziehungen zwischen Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft und Kunst. An der ETH sollte eine interdisziplinäre Kooperationsplattform verschiedener Wissenschaftszweige entstehen. Wie aus einem Schreiben Giedions an Edward Carter hervorgeht, hatten er und Gonseth bereits Finanzierungmöglichkeiten sowohl durch die Rockefeller Foundation als auch durch die Carnegie Stiftung erörtert und ihr Anliegen an die entsprechenden Leiter der Abteilungen bei der ­U NESCO herangetragen.220 Aber auch aus dieser Initiative ergab sich nicht die erwünschte Zusammenarbeit.

216 Vgl. Brief von Sigfried Giedion an Edward (Bobby) Carter vom 16. 2. 1949, gta-Archiv, 42-SG-2789. 217 Vgl. Brief von Sigfried Giedion an Edward Carter (Head of Library Division), vom 14. 5. 1949, gta-Archiv, 42-SG-55-42. 218 Vgl. Briefe von John Burchard an Sigfried Giedion vom 4. 5. 1949 und 1. 6. 1949, gta-Archiv, 42-SG55-13 und 42-SG-55-30. 219 Vgl. Brief von Sigfried Giedion an Edward Carter vom 14. 5. 1949, gta-Archiv, 42-SG-55-42. 220 Diese neue Idee Giedions geht aus einem Brief an Edward Carter vom 14. 5. 1949 hervor, gta-­A rchiv, 42-SG-55-42.

Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO     | 355

Im Januar 1949 wurde Sigfried Giedion in einem Brief Edward Carters (­U NESCO, Head of Libraries Division) aufgefordert, sich bei der ­U NESCO um den offiziellen Berater­status zu bewerben: Aus verschiedenen Gründen wurde bislang keine formale Vereinbarung zwischen der U ­ NESCO und der CIAM getroffen hinsichtlich einer Anerkennung der CIAM als „Organisation mit beratender Funktion“. Es scheint angemessen, dass dies nun geschieht.221

Bis zum 19. Januar, also binnen einer Woche, sollte Giedion Unterlagen einreichen – ein viel zu knapp bemessener Zeitraum, den Giedion nicht halten konnte. Die Bewerbung der CIAM um einen offiziellen Beraterstatus als Nichtregierungsorganisation ging im Mai 1949 bei der ­U NESCO ein. Wie aus einem Briefwechsel mit dem Leiter der NGO-Sektion Vladimir Hercik hervorgeht, wurde das Bewerbungsverfahren schließlich im Oktober des gleichen Jahres eingeleitet.222 Es dauerte allerdings weitere drei Jahre bis die Bewerbung überhaupt vom Exekutivrat der ­U NESCO diskutiert wurde.223 Im Februar 1950 erhielt Sigfried Giedion eine Einladung aus einer ganz anderen Abteilung der ­U NESCO, nämlich der Arts and Letters Division.224 Die ­U NESCO plante die Herausgabe einer internationalen Kunstzeitschrift. Diese sollte vierteljährlich in drei Sprachen (Englisch, Französisch und Deutsch) erscheinen. Führende Persönlichkeiten aus den Bereichen Kunst und Architektur konnten sich mit Fachartikeln zu aktuellen Themen beteiligen.225 Dabei sollte sich das Magazin deutlich von anderen Kunstjournalen unterscheiden und weniger ein vorgebildetes Fachpublikum ansprechen, sondern breite Bevölkerungsschichten. Unter anderem war in jeder Ausgabe ein ausführliches Kapitel für Architektur vorgesehen. Dies, so heißt es in einem Brief an Giedion, seien schließlich die ersten Schritte, die die ­U NESCO im Bereich der Architektur unternehme – für Giedion angesichts seiner Bemühungen nur ein schwacher Trost. Die ­U NESCO hatte Giedion immerhin für das neunköpfige Ehrenkomitee der Herausgeber nominiert.226 Giedion versuchte gleich zu Beginn, eigene inhaltlichen Vorstellungen einzubringen. So schrieb er am 1. März 1950 an den ­U NESCO-Mitarbeiter Peter Bellew:

221 Originalzitat Edward Carter: „For various reasons in the past no formal agreement has been ­reached between ­U NESCO and CIAM with regard to recognition of CIAM as „an organisation approved for consultative arrangements“. Its seems appropriate that this should be done.“ Zit. nach: Brief von Bobby Carter an Sigfried Giedion, 12. 1. 1949, gta-Archiv, 42-SG-27-50. 222 Vgl. Briefe von Vladimir Hercik (Head, Non-Governmental Organizations Division) an Sigfried Giedion vom 6. 9. 1949 und vom 19. 10. 1949, gta-Archiv, 42-SG-55-47/48. 223 Vgl. Brief von André de Blonay (Chef de Service des Relations extérieure) an Sigfried Giedion vom 18. 7. 1952, gta-Archiv, 42-Sg-55-5. 224 Vgl. Brief von Peter Bellew an Giedion vom 20. 2. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-8. 225 Vgl. ebd. 226 Diesem Gremium gehörten ferner André Malraux, Jean Cassou, Sir Philip Hendy, Herbert Read, Alfred Barr, James Johnson Sweeney, Lionello Venturi und Cornelis van Eesteren an.

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Ich weiß nicht, ob ich überhaupt dazu autorisiert bin, Vorschläge zu machen: soweit ich sehe, besteht das größte Handicap beim Verständnis moderner Kunst in der Tatsache, dass Menschen ihre Nähe zur Realität nicht begreifen. Meinen Sie nicht, man sollte diesem Thema eine Sektion widmen? […] Desweiteren sollte die Beziehung zwischen der emotionalen (Kunst) und der rationalen Sphäre betont werden, wenn möglich durch eine Kollaboration zwischen Natur­ wissenschaftlern, Historikern und Künstlern, um die gemeinsamen Wurzeln der heutigen Kultur aufzuzeigen.227

Giedion fordert an dieser Stelle eine stärkere Kontextualisierung zeitgenössischer Kunst mit Natur- und Geisteswissenschaften. Seiner Ansicht nach könne sie dadurch für einen breiteren Rezipientenkreis verständlich gemacht werden. Analog zu seinen Plänen für ein Methodologie-Institut – als Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft – ist ihm hier die generelle Verortung von Kunst im Bereich der Wissenschaften wichtig. Historische, anthropologische und psychologische Betrachtungsweisen würden die Notwendigkeit der Kunst für die Gegenwart betonen und ihren Rang als gesellschaftliches Gut herausstellen. Für die erste Sitzung des Ehrenkomitees machte sich Giedion ausführliche Notizen zu Funktion und Wirkweise von Kunst unter Berücksichtigung ihres Verhältnisses zur Gegenwart. Während der ersten Sitzungsrunde des Herausgeberkomitees vom 22. bis 24. August 1950 in Paris fanden Giedions Vorschläge großen Anklang.228 Die Mitglieder stimmten den von ihm bereits vorformulierten Positionen zu, wie aus dem Sitzungs­ protokoll hervorgeht. Demnach verständigten sich die Kunstexperten darauf, im Rahmen des neuen Magazins, Kunst nicht als isoliertes Phänomen zu behandeln, sondern als integralen Bestandteil menschlichen Lebens. Giedions Themenvorschläge, etwa „zeit­ genössische Kunst und Publikumsgeschmack“, „die Nähe der Kunst zum Leben“, und „die Ausbildung ästhetischer Fähigkeiten“ sollten genauso berücksichtigt werden wie etwa Artikel über „Kunst und Wissenschaft“ oder „das Verhältnis zwischen Kunst und industriellen Techniken“.229 Uneinigkeit zwischen den Kunstexperten herrschte allerdings bei der Suche nach einem geeigneten Zeitschriftentitel, der für verschiedene Sprachen kompatibel sein musste. Im Anschluss an die Komiteesitzung äußerte Giedion großen Unmut über die einstimmig beschlossene Wahl des Titels World of Arts, Art Mondial und Kunstwelt. Seiner Meinung nach gingen diese viel zu wenig auf das Verhältnis zwischen Mensch und Kunst ein. Giedions Gegenvorschlag Art and Men, den er auch nach

227 Originalzitat Sigfried Giedion: „I do not know if I am authorized at all to make a proposal: as far as I can see, the greatest handicap for the understanding of modern art consists in the fact that people do not grasp its near relation with reality. Don’t you think one ought to devote a section to this subject? […] And furthermore the relation between the emotional (art) and the rational (science) spheres should be stressed if possible in a collaboration between scientists, historians and artists to show the common roots of present-day culture.” Zit. nach: Brief von Sigfried Giedion an Peter Bellew vom 1. 3. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-9. 228 Vgl. International Art Review, Report of Editorial Board, Working Party, Paris, 22. 8.–24. 8. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-48. 229 Vgl. ebd., S. 2.

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der Komiteesitzung in Briefen gegenüber Cornelis van Eesteren, Herbert Read und Peter Bellew beharrlich verteidigte, stieß auf wenig Resonanz.230 Für die Architektursektion der ersten Ausgabe nominierte Giedion die drei CIAM-­ Architekten André Wogenscky, Aldo van Eyck und Keaton Clay. Als Vertreter einer jungen Architektengeneration sollten sie kurze Beiträge zum Thema „Das Bedürfnis nach Imagination in der zeitgenössischen Architektur“ verfassen. Ihre Artikel wurden von Peter Bellew und anderen UESCO-Vertretern noch vor einer Begutachtung durch das Herausgeberkomitee mit dem Argument einer allzu fachspezifischen Ausrichtung abgelehnt. Über diese Einmischung in die Arbeit des Fachgremiums ärgerte sich Giedion dermaßen, dass er drohte, aus der Kommission auszutreten. Insgesamt störten ihn zu viele Ungereimtheiten an dem Projekt. So schätzte er die geplante Auflage von 50.000 Zeitschriften als viel zu hoch ein und das Gesamtbudget von 200.000 US-Dollar als gänzlich überzogen. Den Einfluss und die Kontrolle des Herausgeberkomitees bewertete er hingegen als zu gering und das Mitspracherecht der ­U NESCO als zu groß.231 In einem Brief an den Kollegen John Burchard äußerte er vertraulich, dass er keine großen Hoffnungen in die ­U NESCO-Zeitschrift setze.232 Sein Kollege Herbert Read teilte diese Ansicht. In einem Brief prognostizierte er, dass die U ­ NESCO die Zeitschrift sofort einstellen werde, sollte die erste Ausgabe keinen durchschlagenden Erfolg erzielen.233 Tatsächlich erschien nicht einmal die erste Ausgabe. Im April 1951 erhielt Giedion von der ­U NESCO die Mitteilung, dass der Erscheinungstermin auf unbestimmte Zeit verschoben werde.234 Auch dieses ambitionierte Projekt der ­U NESCO wurde schließlich nicht realisiert.

Der internationale Künstlerkongress in Venedig Der Kontakt zwischen U ­ NESCO und CIAM festigte sich dennoch im Laufe des Jahres 1951. Wie bereits im ersten Teil der Arbeit aufgezeigt, lud die U ­ NESCO die CIAM dazu ein, einen internationalen Künstlerkongress in Venedig mitzugestalten. Dieser sollte die Vernetzung von Künstlern verbessern und ihre Positionen innerhalb der Mitgliedsstaaten stärken. Wie aus einem Brief von Generaldirektor Jaime Torres Bodet an den Präsidenten der CIAM José Luis Sert hervorgeht, sollte die CIAM mit fünf Mitgliedern im Organisationsteam des Kongresses vertreten sein und sich aktiv an der Ausarbei-

230 Vgl. Briefe von Sigfried Giedion an Cornelis van Eesteren vom 8. 9. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-23, an Peter Bellew vom 16. 9. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-21, und an Herbert Read vom 1. 11. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-45. 231 Vgl. Notizen Sigfried Giedions mit Fragen, die er vermutlich an der nächsten Komiteesitzung vorbringen wollte, gta-Archiv, 42-SG-58-7. 232 Vgl. Brief von Sigfried Giedion an John E. Burchard vom 8. 12. 1950, gta-Archiv, 42-SG-58-4. 233 Vgl. Brief von Herbert Read an Sigfried Giedion vom 10. 11. 1950, gta-Archiv, 42-SG-55-15. 234 Diese Information geht aus einem Brief hervor, den Sigfried Giedion am 8. 5. 1951 an Peter Bellew sandte, gta-Archiv, 42-SG-55-16.

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tung des Tagungsprogramms beteiligen.235 Hier engagierte sich der italienische Architekt Ernesto Rogers, der zeitgleich die CIAM-Summerschool in Venedig initiierte und im Beraterteam für das ­U NESCO-Gebäude vertreten war. Er nahm an allen vorbereitenden Sitzungen zum Künstlerkongress teil und arbeitete gemeinsam mit Pierre Vago von der IUA die Sektion Architektur aus.236 Das Organisationsteam hatte sich zudem für die Einrichtung eines sogenannten Ehrenkomitees ausgesprochen. Berühmte Persönlichkeiten der sechs kooperierenden NGOs (Internationales Theaterinstitut, Internationaler Musikrat, PEN-Club, IUA, CIAM und Internationale Vereinigung der Kunstkritiker) sollten den beim Kongress verfassten Resolutionsentwürfen bei der Generalversammlung durch ihre Autorität und ihr Prestige Nachdruck verleihen. Die CIAM wurde erneut von der ­U NESCO aufgefordert, Nominierungen prominenter Architekten und bildender Künstler abzugeben. Die Anfrage nach Künstlern erstaunt vor dem Hintergrund, dass sich die CIAM als reiner Architektenverband verstand. Auch wenn sie zu ihren Kongressen immer wieder versucht hatten, befreundete Künstler, etwa Miró, Picasso, Braques, Léger und Moore einzuladen237, gelang eine Zusammenarbeit innerhalb der CIAM nur zwischen Sigfried Giedion und Jean Arp. In einem Schreiben Serts tauchen schließlich eben jene befreundeten Künstler wieder auf, die auch später für die Kunstwerke des U ­ NESCO-Gebäudes herangezogen werden sollten. Neben Fernand Léger, Joan Miró, Henry Moore und Jean Arp empfahlen die CIAM der U ­ NESCO Henri Laurens, Alberto Giacometti, Jacques Lipschitz, Alexander Calder, Rufino Tamayo und Candido Portinari.238 Die Teilnahme Picassos am Venedig-Kongress hielt Sert zwar für eine gute Idee, er erachtete sie aber als unwahrscheinlich. Die Architekten für das Ehrenkomitee benannte Sigfried Giedion in einem Brief an die U ­ NESCO und empfahl darin Alvar Aalto, Walter Gropius, John Burchard, Le Corbusier, Oscar Niemeyer, Ludwig Mies van der Rohe, José Luis Sert und Henry van der Velde.239 Der Venedig-Kongress, der im ersten Teil dieser Arbeit vorgestellt wurde, verfolgte insgesamt das Ziel, Künstler miteinander zu vernetzen und ihre Interessen in einem Weltverband zu bündeln. Die ­U NESCO empfahl den teilnehmenden Künstlerverbänden aus den Kreativbereichen Literatur, Theater, Kino, Musik und bildender Kunst, eine International Association of Visual Arts zu gründen. Gemeinsam mit der ­U NESCO sollte diese für die Freiheit künstlerischen Wirkens eintreten. Wie Briefwechsel zwischen CIAM-Präsident José Luis Sert und ­U NESCO-Vertretern zeigen, setzten sich die CIAM auch nach dem Venedig-Kon235 Vgl. Brief von Generaldirektor Jaime Torres Bodet an den Präsidenten der CIAM vom 18. 8. 1951, gta-Archiv, 42-SG-37-96 und 42-JLS-10-84. 236 Vgl. Protokoll des Comité d’Organisation de la Conférence international des Artistes, 5. 12.– 7. 12. 1951, gta-Archiv, 42-JLS-25-132, S. 1–22. 237 Vgl. Einladungen an die genannten Maler zum 7. CIAM-Kongress in Bergamo vom 9. 3. 1949, gta-Archiv, 42-SG-26-17. 238 Vgl. Briefabschrift von José Luis Sert an Vittore Branca (Chef de la Division Arts et Lettres) vom 26. 9. 1951, gta-Archiv, 42-JLS-10-81. 239 Vgl. Brief von Sigfried Giedion an Vittore Branca vom 31. 1. 1952. Die Namensliste ist als zweite Seite beigefügt, gta-Archiv, 42-SG-55-23/24.

Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO     | 359

gress für die Einrichtung eines solchen Weltverbandes ein.240 Zudem engagierten sie sich auch für die am Venedig-Kongress diskutierte ‚Synthèse des Arts Plastiques‘. In einer dem Brief beigefügten Empfehlung erörterte Sert den Mangel an Kooperationsmöglichkeiten zwischen Künstlern und Architekten und forderte von der U ­ NESCO die Finanzierung und Umsetzung eines Pilotprojektes in einem der Mitgliedstaaten sowie die Organisation einer großen Wanderausstellung mit sechs Stationen.241 Ob die im ersten Teil der Arbeit vorgestellte Wanderausstellung der Groupe Espace (Vgl. S. 80) – Architecture Contemporaine – Integration des Arts – in unmittelbarem Zusammenhang mit den Anregungen der CIAM steht, lässt sich leider nicht nachweisen. Sie erscheint vor dem Hintergrund der beteiligten Künstler und ihrer sechs Stationen in Rouen, Casablanca, Rabat, Dijon, Berlin und Amiens jedoch wahrscheinlich. Der Austausch zwischen CIAM und U ­ NESCO beschränkte sich zu einem erheblichen Teil auf eine kommunikative, beratende Ebene. Das ursprüngliche Ziel der Architekten, über die internationalen Organisationen mit wichtigen Bauprojekten beauftragt zu werden, erfüllte sich damit nicht. Anders als erhofft, beteiligten sie sich an Expertengesprächen, Diskussionsrunden und Kongressen. Die ­U NESCO stellte also eher eine Kommunikationsplattform dar. Ausgestattet mit dem Expertenwissen der kooperierenden NGOs gab sie Empfehlungen an ihre Mitgliedsstaaten weiter. So legte beispielsweise die International Union of Architects (IUA) 1955 einen Bericht über die Konstruktion von Schulbauten in insgesamt 16 Ländern vor.242 Der Schweizer Architekt Alfred Roth – CIAM-Mitglied der ersten Stunde – hatte den Bericht erstellt. Das in seiner Publikation zusammengetragene Material über aktuelle Schulbauten enthält einige Gebäude von CIAM-Architekten, etwa Werner Max Moser und Richard Neutra. Allerdings steht keine der Schulen in direktem Zusammenhang mit der ­U NESCO. Der Bericht diente ihr als Anschauungsmaterial zur Weitergabe an weniger entwickelte Mitgliedsstaaten.

Die CIAM und das ­UNESCO-Gebäude Die bedeutendste Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der ­U NESCO begann im November 1951, als der Architektenverband in den Planungsprozess des neuen Hauptquartiers eingebunden wurde.243 Generaldirektor Bodet hatte im Alleingang entschieden, für die Zusammenstellung eines internationalen Beraterteams die beiden NGOs CIAM und IUA zu konsultieren. Allerdings wählte er ausschließlich aus der Nominierungsliste der CIAM aus. Dabei spielte sicherlich das seit einigen Jahren bestehende 240 Vgl. Brief von José Luis Sert an Jaime Torres Bodet vom 7. 11. 1952, gta-Archiv, 42-JLS-10-56/57. 241 Vgl. Empfehlung der CIAM an die U ­ NESCO mit dem Titel Synthèse des Arts Plastiques, undatiert und ohne Autor, gta-Archiv, 42-JLS-10-56/57. 242 Vgl. Union Internationale des Architects (Hg.): Rapport établi par la Commission des Constructions Scolaires à la demande de l’­U NESCO, Lausanne 1955. 243 Vgl. Brief von Generaldirektor Jaime Torres Bodet an José Luis Sert vom 8. 11. 1951, gta-Archiv, 42-JLS-10-66.

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Vertrauensverhältnis sowie persönliche Sympathien zwischen ihm und den CIAM-­ Akteuren eine maßgebliche Rolle. Für die CIAM bedeutete die Nominierung von ­Walter Gropius, Le Corbusier, Lucio Costa, Ernesto Rogers und Sven Markelius einen durchschlagenden Erfolg. Endlich wurden sie von der U ­ NESCO in ein Bauprojekt involviert, das prestigeträchtiger nicht hätte sein können. Die Bedeutung, welche die CIAM selbst dieser herausragenden Bauaufgabe beimaßen, kann nicht stark genug betont werden. Nach Jahren zähen Ringens um Anerkennung ihrer Leistungen waren sie in ein internationales politisches Gremium gewählt worden und konnten sich nun von einer überstaatlichen Ebene aus für ihre Sache stark machen. Diese Möglichkeit nutzten die fünf Architekten, indem sie den als Kompromisskandidaten gewählten Eugène Beaudouin nach kurzem Intermezzo gemeinsamen Arbeitens fallen ließen. Dass fachliche Zweifel an seiner Kompetenz die alleinige Ursache für das Aufkündigen der Zusammenarbeit waren, muss bezweifelt werden. Ein Motiv ihres Verhaltens scheint vielmehr in ihrer Überzeugung begründet, dass die ­U NESCO-Bauaufgabe einzig Le Corbusier zustünde. Nach Le Corbusiers persönlichem Scheitern an den beiden Vorgängerbauten Völkerbundpalast und UN-Hauptquartier konnten sie ihm dieses Projekt, das zudem in seiner Wahlheimat Paris realisiert werden sollte, nicht verwehren.244 Die Hoffnung, Le Corbusier als ausführenden Architekten einzusetzen, gaben sie nicht auf. Dabei machten sie von ihrer NGO-Beraterfunktion gegen nicht geringe politische Widerstände Gebrauch: bereits zum Zeitpunkt von Beaudouins Nominierung wandte sich CIAM-Präsident José Luis Sert an Generaldirektor Bodet und äußerte seinen Unmut darüber, dass Le Corbusier nicht für das Bauprojekt ausgewählt worden war. Seiner Ansicht nach hätte die ­U NESCO keinen besseren Architekten finden können. Insbesondere für eine junge, zu Le Corbusier aufschauende Architektengeneration, so Sert, wäre dies von besonderem Interesse gewesen.245 Le Corbusier blieb selbst nicht untätig. Am 14. Dezember 1951 wandte er sich an den US-amerikanischen Botschafter in Paris.246 In einer subjektiv gefärbten Argumentationsweise verwies er auf das ungeheuerliche Vorgehen, mit dem die Amerikaner seine Kandidatur bei der ­U NESCO verhindert hätten. Seit Monaten, so Le Corbusier, sei er als einziger Kandidat für den ­U NESCO-Palast gehandelt worden, bis der amerikanische Delegierte ein Veto gegen ihn erhob. Als ursächlichen Grund dafür sah Le Corbusier die mutwillige Unterstellung der Amerikaner, er sei Kommunist. Dieses Missverständnis beruhe auf einem Vorfall, der sich im April 1951 ereignet hätte, 244 Dies geht aus zahlreichen Briefwechseln zwischen Sigfried Giedion, Walter Gropius, Le Corbusier, José Luis Sert, Ernesto Rogers und anderen hervor, die sich alle im gta-Archiv befinden. Vgl. gta-Archiv, 42-SG-56. Im Folgenden wird auf diese Briefe im Einzelnen Bezug genommen. 245 Vgl. Kopie des Briefes von José Luis Sert an Jaime Torres Bodet vom 13. 11. 1951, gta-Archiv, 42-JLS-10-65. In diesem Brief unterbreitet Sert auch die Namensvorschläge für das Beraterteam und nominiert Neutra, Gropius, Niemeyer, Aalto, Van der Rohe, Rogers, Markelius und Costa. 246 Vgl. Kopie des Briefes von Le Corbusier an den amerikanischen Botschafter Bruce vom 14. 12. 1951, gta-Archiv, 42-JLS-10-76.

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als er nach Beantragung einer Einreisegenehmigung in die USA eineinhalb Stunden in der amerikanischen Botschaft auf unangenehmste Weise von einem jungen Vizekonsul verhört worden sei. Das dort angefertigte Protokoll hätte ihm kurze Zeit später auf dem Flughafen in Idlewide erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Schließlich, so seine Schlussfolgerung, hätte der Kommunismusverdacht seine ­U NESCO-Kandidatur verhindert.247 Inwieweit Le Corbusier mit seiner Annahme Recht hatte, lässt sich nicht klären. Die politische Praxis der Denunziation und Verfolgung von Kommunisten und linken Intellektuellen in den USA während der McCarthy-Ära ist hinlänglich bekannt. Die Verweigerung von Einreisegenehmigungen war, wie die geschilderten Beispiele Oscar Niemeyer und Fernand Léger beim UN-Bau verdeutlichten, eine gängige Vor­ gehensweise. Die Entscheidung der Architektenauswahl beim ­ U NESCO-Gebäude blieb davon allerdings unbeeinflusst. Weder Protokolle des Hauptquartierkomitees noch persönliche Briefe greifen den Vorfall auf. Das ursächliche Motiv des US-ameri­ kanischen Vetos gründete nachweislich auf Le Corbusiers unkooperativem Verhalten beim UN-Bauprozess. Selbst die französische Regierung war von einer Nominierung wenig begeistert. Sigfried Giedion suchte seinerseits bereits früh nach einer Strategie, um Le Corbusiers Beteiligung als ausführenden Architekten zu sichern. In einem Brief gegenüber Sert äußert er, dass er den ­U NESCO-Palast als diffizile Angelegenheit betrachte.248 Falls das Projekt Beaudouins nicht ihren Anforderungen entspräche, müsse das Beraterteam unbedingt eine Gemeinschaftsarbeit von Beaudouin und Le Corbusier erwirken. Und tatsächlich versuchte Walter Gropius unmittelbar nach der Abwahl Beaudouins, den Vorsitzenden des Hauptquartierkomitees Charles Thomson vom Renommee und den Fähigkeiten seines geschätzten Kollegen zu überzeugen.249 Diese aktive Fürsprache durch das Beraterteam ließ das Absetzen Beaudouins nun als abgekartetes Spiel zugunsten Le Corbusier erscheinen und rief scharfe Kritik von Seiten der beiden Architektenvereinigungen IUA und RIBA (Royal Institute of British Architects) hervor. So warf der ebenfalls als Berater in den Entwurfsprozess involvierte Howard Robertson in seiner Funktion als Präsident des RIBA dem Fünferteam vor, Baudouin einzig aus dem Wege geräumt zu haben, um Le Corbusier an dessen Stelle einzusetzen. Dieses Vorgehen verstoße gegen jegliches Berufsethos und sei schlichtweg „unsachgemäß, unethisch und unsittlich“ 250. Seine Entrüstung trug Robertson bei der ­U NESCO vor. Diese zog Konse­ quenzen, indem ein Komiteebeschluss Le Corbusier ein für allemal von der Möglichkeit einer aktiven Teilnahme am Designprozess ausschloss. Gleichzeitig forderte er das Berater­team auf, drei neue Architekten zur Anfertigung eines vorläufigen Bauprojektes an der Porte Maillot zu nominieren.251 247 248 249 250 251

Vgl. ebd., S. 1–3. Vgl. Briefabschrift von Sigfried Giedion an José Luis Sert vom 19. 2. 1952, gta-Archiv, 42-SG-40-60. Dies geht aus einem Brief von Gropius an Sert vom 9. 11. 1952 hervor. Vgl. gta-Archiv, 42-SG-56-12. Vgl. ebd. Gropius zitiert darin aus einem Brief, den Robertson an ihn gesandt hatte. Vgl. ebd.

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Für die CIAM-Akteure und insbesondere für Le Corbusier war dies ein bitterer Rückschlag, der zu Konflikten innerhalb der CIAM führte. Walter Gropius, in seiner Funktion als Vorsitzender des Beraterkomitees, akzeptierte den Entschluss der U ­ NESCO und verzichtete auf weitere Protestbekundungen. Er kannte die Vorbehalte, die vor allem die US-amerikanische ­U NESCO-Kommission gegenüber dem streitlustigen Franzosen hegte. Aus diplomatischen Gründen und aus Verpflichtung gegenüber der ­U NESCO sah er keine Veranlassung, sich gegen die Beschlüsse des Auftraggebers aufzulehnen. Pragmatisch schlug er seinen Komiteekollegen die Nominierung von Bernard Zehrfuss, Pier Luigi Nervi und Marcel Breuer vor. Rogers, Markelius und Costa schlossen sich Gropius Meinung an und stimmten dem neuen Dreierteam zu. Le Corbusier, der persönliche Vorbehalte gegen Breuer hegte, favorisierte stattdessen CIAM-Präsidenten José Luis Sert. Sert selbst hätte sich gerne als Architekt beteiligt. Er nahm es Gropius persönlich übel, dass dieser die Nominierungen ohne Rücksprache mit den CIAM bzw. dem CIRPAC getroffen hatte.252 Wie bereits bei den anderen beiden Bauprojekten der Vereinten Nationen setzte Le Corbusier auch beim ­U NESCO-Projekt alle Hebel in Bewegung, um seine nachträgliche Kandidatur zu erwirken. Dabei bediente er sich vor allem gegenüber den CIAM-Kollegen unkameradschaftlicher Mittel. So wandte er sich zunächst an das schwächste Glied des Architektenteams, nämlich den jungen Bernard Zehrfuss. Ihm gegenüber äußerte er, dass dieser verpflichtet sei, mit ihm zusammenzuarbeiten. Zehrfuss müsse die anderen davon überzeugen, ihn in die Arbeit des Dreierteams zu integrieren.253 Als Zehrfuss ihm eine Absage erteilte, suchte er bei den CIAM offiziellen Rückhalt und bat den Präsidenten Sert um ein Statement. Sert versicherte Le Corbusier in einem Brief vom 5. November 1952, dass die CIAM nach wie vor alles daran setzten, um seine Beteiligung zu erwirken254: Wegen der symbolischen Bedeutung des U ­ NESCO-Gebäudes und der Dringlichkeit, in einem solchen Bauwerk die höchste architektonische Qualität zu erreichen, sollte die CIAM zweifellos alles daran setzen, Le Corbusiers Teilnahme, wegen seiner großen Erfahrung als kompetentestes CIAM-Mitglied anzustreben.255

Sert schlug Le Corbusier vor, seinen Fall beim nächten CIRPAC-Treffen in Paris auf die Tagesordnung zu setzen. Über diesen Schritt ärgerte sich wiederum Walter Gropius. In einem Brief an Sert zeigte er sich entsetzt über dessen Versprechen gegenüber Le Corbusier zu einem Zeitpunkt, als der Entwurfsprozess der drei Architekten längst im 252 Vgl. Abschrift eines Briefes von José Luis Sert an Le Corbusier vom 5. 11. 1952, gta-Archiv, 42-SG56-36. 253 Vgl. Bernard Zehrfuss in einem Interview mit Laurent Bourgeois: Entretien avec Bernard Zehrfuss, in: Architecture, mouvement, continuité, Nr. 11, 1986, S. 20–21. 254 Vgl. ebd. 255 Originalzitat José Luis Sert: „Because of the symbolic importance of the U ­ NESCO-Building, and the desirability of obtaining the highest architectural quality in such work, and because the most experienced and best equipped of the CIAM members for this job is undoubtedly Le Corbusier, CIAM should by all means try to obtain his participation.” Zit. nach: Brief von José Luis Sert an Le Corbusier vom 5. 11. 1952, gta-Archiv, 42-SG-56-36.

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Gange war und auf die Annahme durch die ­U NESCO und die französischen Behörden wartete.256 Ihn störte die Einmischung der CIAM in die Angelegenheiten des Berater­ komitees. Bei ihm entstünde der Eindruck, so Gropius, dass Sert und Le Corbusier davon ausgingen, dass die CIAM persönlich für den ­U NESCO-Bau verantwortlich seien. Dem stellte Gropius entgegen, dass es letztlich alleine der ­U NESCO vorbehalten war, ihre Berater und ihre Architekten zu wählen. Jeglicher Unmut und Protest, den die CIAM offiziell an die ­U NESCO herantrage, würde sich kontraproduktiv auswirken und negative Effekte auf die laufende Arbeit der beteiligten Akteure haben: Ich habe enorme Anstrengungen in das U ­ NESCO-Problem gesteckt, da ich wollte, dass es sich als Sieg für unsere Sache entpuppt. Wir haben es geschafft, eine harmonische Balance in unserem Gremium herzustellen, trotz zahlreicher schwieriger Entscheidungen. Aber wie können wir überhaupt unser Ziel erreichen, wenn zusätzlich zu den Attacken von Mr. Robertson du als Präsident der CIAM ein Treffen anberaumst, da du anscheinend kein Vertrauen in das Gremium der Fünf und mich als seinem Vorsitzenden hast […]. Wenn wir vor der U ­ NESCO nicht als Narren da stehen wollen, sehe ich, um die bedrohte Einheit aufrechtzuhalten, keine andere Lösung als zu dem Bericht des Fünfergremiums, der von Le Corbu höchstpersönlich unterzeichnet wurde, zu stehen.257

Die Unstimmigkeiten innerhalb der CIAM nahmen nach der Veröffentlichung des in nur wenigen Wochen erarbeiteten Avant-Projet an der Porte Maillot zu. In CIAM-Kreisen fand der Architekturentwurf wenig Anklang. Giedion bekundete gegenüber Gropius sein Missfallen folgendermaßen: Das Projekt kenne ich, wie ich bereits schrieb, nur aus einem schlechten Zeitungscliché. Ich war tief enttäuscht. Wir brauchen heute an dieser Stelle und weiterhin in diesem Moment der Entwicklung etwas anderes, als ein Projekt, das, wie Du schreibst, „basically sound“ ist. Natürlich werden wir nach außen nichts verlauten lassen, aber um es mit gutem Gewissen auch innerlich verteidigen zu können, dafür fehlt ihm die Imagination, die innere Verbindung und organische Einfühlung in die außergewöhnliche Lage und die Umgrenzung des Grundstücks. […] Ich hatte gehofft, dass Breuer die Entwicklung, die er in den Doldertalhäusern zeigte, weitergeführt hätte. Das Projekt hat in unseren Kreisen fast überall Bedenken erregt, nicht etwa nur aus Gründen der Missgunst.258

Nach der Ablehnung des Entwurfes durch die Pariser Städtebaubehörde und der verordneten Rückkehr zur Place de Fontenoy verebbte die Kritik an den Architekten. Bei dem neuen Bauprojekt schien ein letztes Mal die Möglichkeit einer friedlichen Koope256 Vgl. Brief von Walter Gropius an José Luis Sert vom 9. 11. 1952, gta-Archiv, 42-SG-56-12. 257 Originalzitat Gropius: „I have put an enormous effort into this ­U NESCO problem because I wanted to turn it into a victory for our cause. We succeeded to keep a hamonious balance within the Panel through many delicate decisions. But how can we possibly reach our goal if, in addition to the attacks from Mr. Robertson, you as President of CIAM call a meeting, since you seem not to have confindence in the Panel of Five and me, its chairman, to handle the situation […]. If we do not want to appear as fools in the eyes of U ­ NESCO I do not see any other way to keep the endangered unity as by standing by te report of the Panel of Five of September, drafted by Le Corbu himself.” Zit. nach: Brief von Walter Gropius an José Luis Sert vom 9. 11. 1952, gtaArchiv, 42-SG-56-12. 258 Zit. Sigfried Giedion in einem Brief an Walter Gropius vom 21. 11. 1952, gta-Archiv, 42-SG-56-41.

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ration gegeben und alle CIAM-Kollegen versuchten, diese Chance wahrzunehmen. So luden die drei Architekten ihre fünf Berater im Februar 1953 zu einer Sitzungsrunde nach Paris ein, um gemeinsam über das neue ­U NESCO-Projekt zu beraten. Fotografien zeigen das freundschaftliche Miteinander der Architekten, das bald umschlagen sollte (Abb. 20). Marcel Breuer fertigte für seine persönlichen Unterlagen ein Gesprächsprotokoll des Treffens an.259 Obwohl er eigens darauf verweist, dass die von ihm verfassten Dialoge aus der Erinnerung entstanden und deswegen als subjektive Interpretationen verstanden werden müssen, spiegeln sie die gespannte Atmosphäre während der Zusammenkunft wider. Immer noch schwelte der Konflikt des persönlich getroffenen Le Corbusier, trotz der Bemühungen der Architekten, ihn freundlich zu integrieren und auf seine Vorschläge einzugehen. Breuers Beschreibungen zufolge äußerte sich Le Corbusier mehrmals lakonisch über die ihm zugedachte Beraterrolle während der Sitzungen. So fragte er in die Runde, ob er autorisiert werde, Skizzen anzufertigen, oder ob er nur verbal Kritik üben dürfe. Seiner Meinung nach müsse die ganze Affäre um Berater nun vergessen werden, denn Architektur könne nur mit Stift und Papier diskutiert werden, andernfalls verlasse er die Sitzungsrunde augenblicklich.260 Nach fünf Tagen gemeinsamen Arbeitens war das Problem der Verteilung der Baumassen durch die Idee des y-förmigen Sekretariatsgebäudes und des trapezförmigen Konferenzgebäudes gelöst. In einem Brief an Breuer sprach Gropius seine Zufriedenheit über Le Corbusiers verhältnismäßig zurückhaltende Position während ihrer Sitzungen aus. Er bat ihn inständig darum, „die Tür für Le Corbusier weit geöffnet“ 261 zu halten. Damit meinte er, ihm das Gefühl zu vermitteln, direkt am Prozess beteiligt zu sein. In einem Antwortschreiben versicherte Breuer, dass er die Situation mit Le Corbusier unter Kontrolle habe.262 Diese Einschätzung mag zu diesem Zeitpunkt berechtigt gewesen sein, denn Le Corbusiers Gutachten über die vorläufigen Entwurfspläne vom 23. März 1953 fiel, abgesehen von geringfügigen Verbesserungsvorschlägen, durchweg positiv aus.263 Allem Anschein nach hatte er sich mit seinem Beraterstatus abgefunden.

259 Vgl. Place Fontenoy Project, Office Memo, Confidential, Discussions on February 9–13, 1953. Smithsonian Insitutions, Archives of American Art, Nachlass Marcel Breuer, Chronological Correspondence 1953, B 11, R 5722, F 934–943. Breuer verweist darin explizit darauf, dass es sich bei dem Exzerpt keinesfalls um genaue Zitate der beteiligten Personen handele, sondern vielmehr um seine persönliche Interpretation der Diskussionen. 260 Vgl. ebd., Frame 935. 261 Zit. Walter Gropius, nach: Brief an Marcel Breuer vom 27. 2. 1953. Smithsonian Insitutions, Archives of American Art, Nachlass Marcel Breuer, Chronological Correspondence 1953, B 11, R 5722, F 950. 262 Vgl. Brief von Marcel Breuer an Walter Gropius vom 3. 3. 1953, Smithsonian Institutions, Archives of American Art, Nachlass Marcel Breuer, Chronological Correspondence 1953, B 11, R 5722, F 952. 263 Vgl. Kopie des Gutachtens von Le Corbusier vom 23. 3. 1953, Smithsonian Institutions, Archives of American Art, Nachlass Marcel Breuer, Chronological Correspondence 1953, B 11, R 5722, F 954–956.

Die Zusammenarbeit zwischen den CIAM und der UNESCO     | 365

Die Stimmung zwischen beiden Teams kippte im Sommer 1953, als sich erneut die Führungsspitze der CIAM, Sigfried Giedion und José Luis Sert, einmischte. Beide waren der festen Überzeugung, dass sich die Missachtung Le Corbusiers durch die internatio­ nale Politik in keinem Fall zum dritten Mal wiederholen dürfe. Mit allen Mitteln versuchten sie, die drei Architekten unter Druck zu setzten. Dabei riskierten sie eine Spaltung ihrer eigenen Organisation. Gegenüber dem im Beraterteam tätigen Ernesto Rogers sprach Giedion in einem Brief von einer „moralischen Krise“ innerhalb der CIAM, deren Ausgang darüber entscheiden würde, ob die CIAM weiter existieren könne.264 Giedion warf darin den drei Architekten mangelnde moralische Verpflichtung gegenüber den CIAM vor. Ohne deren enge persönliche Verbindungen zur ­U NESCO hätten sie die privilegierte Bauaufgabe niemals erhalten. Deswegen, so Giedions Argumentation, könne ihre selbstsüchtige Haltung, den Auftrag alleine und ohne Mithilfe Le Corbusiers durchzuführen, nicht toleriert werden.265 Kämpferisch äußerte er gegenüber Rogers, dass die CIAM an den höchsten architektonischen Standards des U ­ NESCO-Gebäudes interessiert sei, die jedoch nur Le Corbusier sicherstellen könne. Die CIAM dürfe sich deswegen weder von politischen Manövern noch von der ehrgeizigen Haltung der drei Architekten abhalten lassen.266 Giedion selbst hatte bereits im Mai 1953 eine Unterredung mit dem Venezuelanischen ­U NESCO-Delegierten Carneiro geführt. Dieser sah eine letzte Möglichkeit der Einbindung Le Corbusiers darin, dass die drei Architekten von sich aus die Zuhilfenahme Le Corbusiers vom Hauptquartierkomitee forderten. Giedion bat Ernesto Rogers, sich informell an dessen Landsmann Nervi zu wenden, um ihn von diesem Plan zu überzeugen. Auf Zehrfuss werde er die Pariser CIAM-Akteure André Wogenscky oder Paul Emery ansetzten. Seien beide erst einmal überzeugt, müsse Breuer sich einer zwei zu eins Mehrheit beugen.267 Anders als von Giedion erhofft, reagierten nicht nur die drei Architekten empört auf den erneuten Einmischungsversuch. Auch Walter Gropius war erzürnt. Zutiefst verärgert über den von Giedion in seinem Brief an Rogers verwendeten subversiven Sprachgebrauch schrieb er diesem: „Wer bekämpft hier wen innerhalb der CIAM?“ 268 Mit deutlichen Worten stellte er sich hinter die drei Architekten, die seiner Ansicht nach zum Zeitpunkt ihrer Nominierung über keine moralische Verpflichtung gegenüber der CIAM unterrichtet worden waren. Eine internationale Kooperation könne nur durch ein Fairplay gegenüber allen Beteiligten gelingen. Gropius bat Giedion inständig darum, keine weiteren Schritte zu unternehmen und den CIAM-Kongress in Aix-en-Provence abzuwarten, der dort in Kürze, vom 16. bis 19. Juli 1953, abgehalten werden sollte.

264 265 266 267 268

Vgl. Brief von Sigfried Giedion an Ernesto Rogers vom 17. 6. 1953, gta-Archiv, 42-SG-56-33. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Zit. Walter Gropius aus einem Brief an Sigfried Giedion vom 25. 6. 1953, gta-Archiv, 42-SG-61-12.

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Auch die drei Architekten brachten ihre Enttäuschung über das Agieren des Beraterteams, genauer gesagt über Rogers und Le Corbusier in einem Brief gegenüber Gropius zum Ausdruck: Das kürzlich wiederholte Eingreifen, um das Verhältnis, in das wir so viel Vertrauen setzten, erneut zu ändern, hat bei uns große Bedenken ausgelöst. Wir haben das Gefühl, dass dieser Druck unsere Energien zu gefährden droht und unsere kostbaren Arbeitsstunden verschwendet, die von drei Kontinenten und sechs Ländern gebündelt werden, dass er unsere menschlichen Beziehungen Belastungen aussetzt und damit die Arbeit gefährdet, die wir alle in der Hoffnung auf eine internationale Zusammenarbeit unternommen haben, um unsere zeitgenössische Architektur unter Beweis zu stellen.269

Als sichtbare Positionierung gegenüber der CIAM-Spitze blieben Breuer, Nervi und Zehrfuss dem CIAM-Kongress in Aix-en-Provence fern. Damit schürten sie jedoch zusätzlich den Ärger der CIAM. In einem vorwurfsvollen Brief, der von Walter Gropius, Ernesto Rogers, José Luis Sert, Paul Emery, Wells Coats und Sigfried Giedion unterzeichnet ist, mahnten die CIAM das Fernbleiben der drei vom oben genannten Kongress an. Die Zusammenkunft hätte die beste Gelegenheit dargestellt, um alle mit dem ­U NESCO-Gebäude in Zusammenhang stehenden offenen Fragen in freundschaftlicher Weise zu klären.270 Die Position der CIAM-Führung machten sie abermals sehr deutlich: Natürlich haben die CIAM ein größeres Interesse daran, dass sich das U ­ NESCO-Gebäude in der besten Weise entwickelt und wir glauben, dass dies nicht nur eine Angelegenheit ist, welche die nominierten Architekten betrifft, sondern dass indirekt die CIAM tief involviert ist, da das Gebäude symbolisch unseren gemeinsamen Kampf für moderne Architektur repräsentiert. 271

An dieser Stelle wird der ideelle Wert, den das ­U NESCO-Bauprojekt tatsächlich für die CIAM einnimmt, deutlich zum Ausdruck gebracht. Nach langjährigen Bemühungen, an der Arbeit der internationalen Organisationen beteiligt zu werden, gelang ihnen bei 269 Originalzitat Marcel Breuer: „The recently repeated actions to change the relationship we had so much confidence in, has exposed us to grave concern. We feel that this pressure threatens to jeopardize our energies, wastes our precious working ours, assembled from three continents and six countries, puts our human relations under strain and endangers the work we all undertook with such high hopes for international collaboration to demonstrate our contemporary architecture.” Zit. nach: Briefentwurf von Breuer, Nervi und Zehrfuss an Walter Gropius vom 2. 7. 1953, Smithsonian Institutions, Archives of American Art, Nachlass Marcel Breuer, Chronological Corres­ pondence 1953, B 11, R 5722, F 989 f. 270 Vgl. Brief von Walter Gropius, Ernesto Rogers, José Luis Sert, Paul Emery, Wells Coats und Sigfried Giedion an Marcel Breuer, Pier Luigi Nervi und Bernard Zehrfuss vom 25. 7. 1953, gta-­ Archiv, 42-SG-56-9 sowie Smithsonian Institutions, Archives of American Art, Nachlass Marcel Breuer, Chronological Correspondence 1953, B 11, R 5722, F 1001. 271 Originalzitat: „It is naturally of great interest to CIAM that the ­U NESCO Building develops in the best possible way, and we believe that this is not a matter that only concerns the appointed architects, but that indirectly CIAM is also deeply involved because the building represents symbolically our common fight for modern architecture. We therefore hope that you will be open to consider any suggestions that can contribute to the improvement of the project.” Zit. nach: ebd.

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der ­U NESCO der Schritt zu einer wirklich einflussreichen Kooperation. Diese drohte nun zu scheitern und zwar scheinbar aufgrund mangelnder Einsichtigkeit und fehlender Dankbarkeit einer jüngeren Generation gegenüber den älteren Architekten. Ohne das Prestige, das die CIAM innerhalb der vergangenen 25 Jahre erlangt hatte, so die Argumentation der CIAM-Akteure, hätten die drei Architekten diesen wichtigen Bauauftrag niemals erhalten. Merkwürdig an dem Brief an die Architekten ist, dass die Unterschrift Le Corbusiers, der letztlich der Verursacher des CIAM-Streits war und der dem Vorstandsgremium angehörte, fehlte. Tatsächlich verfolgte dieser wieder einmal eine eigene Taktik. So echauffierte sich Giedion gegenüber Gropius nur wenige Tage später: Ich bin mir nicht klar, was grösser ist: die Fehltaktiken Corbus oder die persönlichen Ambitionen der beiden Architekten. Dass Corbu nun wieder anstatt zu schweigen zum Beschwerdebuch greift, gibt zweifellos willkommenen Anlass, um in der alten Haltung zu verharren.272

Tatsächlich hatte Le Corbusier erneut eine Kampagne in eigener Sache angezettelt und die Arbeit der drei Architekten bei ­ U NESCO-Mitarbeitern schlecht gemacht. Dies berichtete Gropius José Luis Sert in einem Brief vom 31. August 1953.273 Sein resig­ nier­tes Fazit lautet darin: „Nach so langer Zeit in dieser Angelegenheit kann ich dir nur sagen, dass Le Corbusier mindestens genauso schuld ist, wie die andere Seite, da er sich als unzuverlässig erwiesen hat, indem er die ganze Zeit gegen sein eigenes Glück arbeitete.“ 274 Gropius warnte auch den CIAM-Präsidenten, keine weiteren Schritte mehr zu unternehmen, ohne davor Rücksprache mit ihm zu halten. Breuer, Nervi und Zehrfuss verhielten sich, was ihre Arbeit am U ­ NESCO-Bau betraf, zuletzt gegenüber den Beratern reserviert. Wie bereits aufgezeigt, wehrten sie sich im Oktober 1953 gegen ein nicht enden wollendes Prozedere von Entwurfsrevisionen. Erst mit der Genehmigung der Baupläne durch die U ­ NESCO im September 1954 entspannte sich die Situation zumindest zwischen Marcel Breuer und Walter Gropius. Le Corbusier hielt sich am Ende aus dem Bauprojekt heraus. Dieser interne Streit um das ­U NESCO-Ensemble kann als Symptom einer seit längerer Zeit schwelenden Krise der CIAM gewertet werden: Es stand ein Generationenwechsel bevor und damit waren Schwierigkeiten der älteren Architektengeneration gegeben, neue Ideen und Positionen jüngerer Kollegen anzuerkennen und Verantwortung für die Organisation abzugeben.275 Für die Heroen der Moderne – Gropius, Le Cor272 Zit. Giedion aus einem Brief an Walter Gropius vom 4. 8. 1953, gta-Archiv, 42-SG-56-15. 273 Vgl. Brief von Walter Gropius an José Luis Sert vom 31. 8. 1953, gta-Archiv, 42-JT-12-343/344. 274 Originalzitat Walter Gropius: „After so long a time in this matter, I can only tell you that Le Corbusier is just as much to blame as the other side, as he has proved to be unreliable, working all the time against his own chances.” Zit. nach: ebd., S. 2. 275 Spannungen innerhalb der CIAM stellten sich bereits 1953 beim Kongress in Aix-en-Provence ein. Die einst vorhandene Intimität, der direkte Austausch und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Akteure der ersten Stunde mussten dort einer unübersichtlichen Veranstaltung mit unzähligen Diskussionen in Arbeitsgruppen weichen. Die revolutionären Ideen, die Analysemethoden und Grundsätze der Vorkriegszeit wurden von jüngeren Architekten längst als allgemein gül-

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busier und Sert – war das ­U NESCO-Projekt emotional besetzt. Es nahm für sie einen extrem hohen Stellenwert ein, denn es markierte einen Höhepunkt in der Geschichte ihrer Organisation. Das seit der Gründung 1928 verfolgte Ziel einer Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen zur tatsächlichen Realisierung moderner Architektur wurde mit dem ­U NESCO-Bau erreicht. Der gesamte Bauprozess war das Ergebnis eines über Jahre gewachsenen Vertrauensverhältnisses zwischen den CIAM-Akteuren und der ­U NESCO. Der Architektenverband hatte es schließlich geschafft, dass die von Ihnen propagierten Prinzipien und Ideen in einer für die ganze Welt sichtbaren Architektur umgesetzt wurden. Die Zusammenarbeit mit der U ­ NESCO führten die CIAM unabhängig von dem Bauprojekt noch die gesamten 1950er Jahre fort. Dokumente im Züricher gta-Archiv zeigen, dass der Architektenverband von 1954 bis 1956 sogar seine CIRPAC-Treffen, also die Vorstandstreffen der Ländergruppen, direkt bei der U ­ NESCO in Paris abhielt.276 Als Nichtregierungsorganisation mit Beraterstatus nahmen die CIAM zuletzt an zahlreichen ­U NESCO-Generalkonferenzen teil.

tige Prinzipien des Bauens aufgefaßt und gleichzeitig in Frage gestellt. Die Nachkriegsgeneration kämpfte nicht mehr gegen eine akademische École des Beaux-Arts, sondern gegen ein allzu programmatisches Neues Bauen, das aus ihrer Sicht zu einem neuen Akademismus zu verkommen drohte. Nach einer Aufsplittung in zwei Lager am 10. Kongress 1956 in Dubrovnik lösten sich die CIAM nach 27-jähriger Arbeit schließlich auf. Vgl. Joedicke, Jürgen (Hg.): Dokumente der Modernen Architektur. CIAM 59 in Otterlo. Arbeitsgruppe für die Gestaltung soziologischer und visueller Zusammenhänge, Stuttgart 1961. Der Versuch einer Arbeitsgruppe (Team X) – unter Mitarbeit von Aldo van Eyck, Jacob Bakema und Kenzo Tange – die Arbeit der CIAM auf einer neuen Basis fortzusetzen, scheiterten an Meinungsverschiedenheiten. 276 Dies geht aus dem Dokumentenverzeichnis des gta-Archivs hervor: „Minutes of Meeting of the Councils and Delegates of CIAM at the Headquarters of ­U NESCO. Vgl. für das Jahr 1954: gta-­ Archiv, 42-AR-15-112/116, 42-SG-1-64/67, 42-JT-13-371/372; für das Jahr 1955: gta-Archiv, 42-AR-9-49/52, 42-RV-X-13-26, 42-JT-14-137/140, 42-JT-13-503/506; für das Jahr 1956: gta-­ Archiv, 42-SG-47-186/187.

Schlussbetrachtungen

Mit dem Bau ihres repräsentativen Hauptsitzes in Paris gab die ­U NESCO in den 1950er Jahren ein für alle Welt sichtbares Bekenntnis zu einem rigorosen Modernismus. Dem Beispiel des kurz zuvor fertiggestellten UN-Hauptquartiers in New York folgend, wandte sie sich bewusst vom Historismus der Vorkriegszeit ab, wie ihn der 20 Jahre zuvor fertig­ gestellte Völkerbundpalast in Genf noch verkörperte. Stattdessen stellte die Welt­ organisation in einem manifestartigen Baukonzept eine Verbindung her zwischen ihren eigenen kulturpolitischen Zielsetzungen, moderner Architektur und bildender Kunst. Sie entschied sich gezielt für ein Bauwerk des sogenannten Internationalen Stils und versuchte dabei, die funktionelle Bauweise, die sich in den 1950er Jahren im Zuge des Wieder­aufbaus europaweit (zunächst bei öffentlichen Bauten und beim Wohnungsbau) durchsetzte, ideologisch für ihren Wertekanon nutzbar zu machen. Die Ästhetik der Moderne sollte gemeinsam mit Kunstwerken bekannter Künstler der Gegenwart den Fortschrittsoptimismus in den Bereichen Bildung, Forschung und Kultur zum Ausdruck bringen. Das durch Glas und Beton schlicht und sachlich gestaltete Bauwerk sollte dabei im Zusammenspiel mit individuell gestalteter Malerei sowie Skulptur einen aktuellen Höhepunkt internationaler Kulturentwicklung versinnbildlichen. Die vorliegende Arbeit hat die Genese dieser politischen Bedeutungsübertragung auf Architektur und Kunst untersucht, und zwar mittels einer Analyse des Entstehungs­ prozesses sowie durch den Vergleich des Bauwerks mit zwei Vorgängerbauten, dem Völker­bundpalast und dem UN-Gebäude. Dabei konnte aufgezeigt werden, dass Idee und Realisierung des exzeptionellen Bauwerks Ergebnis eines komplexen Aushandlungsprozesses darstellten, in den zahlreiche Akteure mit höchst unterschiedlichen Interessen eingebunden waren. An der Herstellung eines sichtbaren Zusammenhangs zwischen politischer Bedeutung und Architekturform wirkten über Jahre hinweg Kräfte aus den Reihen der Politik wie auch aus der Architektur. Die Perspektiven der beiden Hauptbeteiligten hat diese Arbeit verfolgt und dabei konkrete Momente wechselseitiger Beeinflussung herausgestellt. Neben der ­U NESCO, die als Auftraggeber und Bauherr politische Umsetzungsstrategien entwickelte, nahmen die CIAM als Interessenverband moderner Architekten

Schlussbetrachtungen

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eine zentrale Position ein. Nur durch eine über Jahre gewachsene intensive Zusammenarbeit beider Organisationen, so eine zentrale Erkenntnis dieser Arbeit, gelang es beiden Seiten, das ­U NESCO-Ensemble als politisches Plädoyer für die Moderne, zugleich als internationales Friedenszeichen zu etablieren. Die Hauptverantwortung für den Planungs- und Bauprozess trug die ­U NESCO, vertreten durch den Generaldirektor und das Hauptquartierkomitee als politisches Entscheidungsgremium. Die Analyse der Arbeitsprotokolle dieses Komitees ergab, dass sich ­U NESCO-Vertreter von Beginn an zwar mehrheitlich für eine moderne Architektur positionierten, jedoch keine konkreten Vorstellungen von notwendigen Verfahrensweisen zur Umsetzung eines solchen Bauvorhabens besaßen. Schon unterschiedliche Optionen zur Wahl eines geeigneten Architekten lösten Kontroversen aus: Einige Politiker plädierten für einen öffentlichen Architekturwettbewerb wie beim Bau des Völkerbundpalastes, andere favorisierten, ähnlich dem Planungsprozess des New Yorker UN-Gebäudes, ein Architektenteam und wiederum dritte sprachen sich für einen einzigen Architekten aus. Obwohl die Arbeit des Hauptquartierkomitees auf demokratischen Entscheidungsstrukturen basierte und das Gremium gegenüber der Generalversammlung stets Rechenschaft ablegen musste, wurden wegweisende Beschlüsse, etwa die Einbeziehung der CIAM in den Planungsprozess, häufig von Einzelpersonen gefasst, etwa vom Generaldirektor oder von kleinen Arbeitsgruppen durch die USA und Großbritannien. Wie schließlich im zweiten Teil der Arbeit aufgezeigt wurde, versuchten die Vereinten Nationen von New York aus, die moderne Architekturlösung zu unterstützen. Zweifel an deren Realisierung ließ die konservative Haltung der Pariser Behörden aufkommen. So war die städtische Commission des Sites bestrebt, durch strenge Baurichtlinien und Geländerestriktionen das bauliche Kulturerbe der französischen Hauptstadt vor architektonischen Neuerungen zu bewahren. Wie die Absage des U ­ NESCO-Projekts an der Porte Maillot 1952 schließlich zeigte, schreckte sie nicht vor einem politischen Eklat zurück, der im Übrigen diplomatische Spannungen zwischen Frankreich und der internationalen Staatengemeinschaft nach sich zog. Das eineinhalb Jahre nach Beginn des Planungsprozesses im Oktober 1951 von Generaldirektor Bodet vorgelegte Bauprogramm lieferte erstmals konkrete Vorstellungen hinsichtlich räumlicher Erfordernisse und künstlerischer Gestaltung des Neubaus. Die ­U NESCO forderte darin einen am Gebäude selbst wahrnehmbaren Zusammenhang zwischen politischer Intention sowie repräsentativen und funktionalen Eigenschaften. Unter dem Motto ‚Synthèse des Arts‘ sollte der gewählte Architekt in enger Kooperation mit zeitgenössischen Künstlern das Gebäude durch Form, Farbe, Licht und Raum als integratives Kunstwerk konzipieren. Der eigentliche Autor dieses Baukonzepts ließ sich im Zuge der Recherchen zwar nicht direkt ermitteln. Jedoch konnte nachgewiesen werden, dass es auf grundlegenden Ideen und Forderungen moderner Architekten basierte. Das Zusammenwirken von Architektur, Malerei und Plastik als ‚Synthese der Künste‘ war ein zentraler Gedanke in der Architekturtheorie von Walter Gropius und Le ­Corbusier. Beide wurden 1951 von Generaldirektor Bodet als Berater in den Planungs-

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prozess des ­U NESCO-Baus einbezogen. Ihre Berufung in ein Expertengremium erfolgte nicht zufällig, sondern war das Ergebnis einer mehrjährigen Verbindung zwischen der ­U NESCO und dem Interessenverband moderner Architekten, den CIAM. Dieser enge Kontakt, so wurde deutlich gemacht, war ein Schlüssel im Zuschreibungsprozess von politischer Intention und Architektur. Gropius und Le Corbusier regten als Hauptakteure der CIAM, unterstützt durch zahlreiche Mitstreiter aus Architektur, Kunst und Kunstkritik, nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Diskurs über das symbolische Wirken moderner Architektur an. Dabei ging es, wie Paul Damaz 1956 in seiner Publikation über die ‚Synthèse des Arts Majeurs‘ zusammenfasste, sowohl um die internationale Durchsetzung moderner Positionen als auch um die wirtschaftliche Förderung von Künstlern durch ‚Kunst-am-Bau-­Projekte‘. An dieser Stelle griffen die Interessen der CIAM-Architekten und der ­U NESCO ineinander: So strebten die sozial-utopischen Ideen der Modernen eine Verbesserung menschlicher Lebensbedingung durch die künstlerische Durchdringung der Alltagswelt an. Organisationen wie die Association pour une Sythèse des Arts plastiques, die Groupe Espace sowie die CIAM wollten neue Initiativen jedoch nicht nur für Künstlerschaft und Kunstliebhaber schaffen. Sie forderten vor allem Politiker dazu auf, bei großen öffent­ lichen Bauvorhaben ‚Kunst-am-Bau‘ durchzusetzen und dadurch Kultur als gesellschaftliches Gut zu fördern. Die U ­ NESCO unterstützte dieses Anliegen vehement, denn sie selbst verfolgte die Idee, durch einen neuartigen internationalen Kulturkanon zwischen den Mitgliedsstaaten Solidarität zu erwirken und dadurch den Weltfrieden dauerhaft zu sichern. Wie anhand einiger früher Programme (etwa dem Arts and Letters-Programm) aufgezeigt werden konnte, setzte die ­U NESCO dabei große Hoffnung in die Entfaltungskraft der bildenden Künste. So sahen ihre politischen Bestrebungen beispielsweise vor, die Lebenssituation von Künstlern zu verbessern. Ferner regte sie durch Konferenzen mit Universitätsvertretern und Kunsterziehern Diskussionen über die Bedeutung von Kunst im Schul- und Ausbildungswesen an. Großangelegte Reproduktionsprogramme, die darauf abzielten, allen Bürgern der Mitgliedsstaaten die wichtigsten Kunstwerke der Menschheit zur lehrreichen Anschauung zugänglich zu machen, waren ebenso Teil dieser internationalen Bildungsoffensive wie etwa auch der Künstlerkongress in Venedig. Das Ziel dieser internationalen Tagung bestand darin, dass Künstler selbst ihre Rolle innerhalb der Gesellschaftssysteme zu bestimmen suchten und sich in diesem Zusammenhang stärker untereinander vernetzten. Dies geschah etwa durch den Zusammenschluss von Künstlern zur International Association of Plastic Arts. Die ­U NESCO bot ihnen ein Forum, auf dem sie schließlich selbst politisch aktiv werden konnten, etwa dadurch, dass sie Resolutionsvorschläge für die Generalkonferenz auf den Weg brachten. Die international anerkannte Konvention zum Urheberrecht stellte ein Ergebnis dieser Tagung dar. Auch das Konzept der ‚Synthese der Künste‘ wurde beim Venedigkongress von Le Corbusier in einer eigenen Sektion diskutiert. Als eine von sechs internationalen NGOs waren die CIAM bereits 1950 in die Planung und inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung einbezogen worden. Die Adaption und Anwendung des

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‚Synthese-­Konzeptes‘ beim ­U NESCO-Neubau ist somit nur die Konsequenz der kulturpolitischen Vernetzung der Weltorganisation mit Akteuren aus Kunst und Architektur. Auch die Nominierung von Alexander Calder, Rufino Tamayo und Henry Moore im Jahr 1956 erscheint nach deren Teilnahme am Venedig-Kongress 1952, bei dem Moore sogar einen von fünf Eröffnungsvorträgen hielt, fast selbstverständlich. Die Netzwerkstrukturen zwischen der ­U NESCO, den CIAM-Architekten und zahlreichen anderen Künstlern existierten bereits seit vielen Jahren. Wie im dritten Teil der Arbeit anhand der Geschichte der CIAM aufgezeigt wurde, suchten und forcierten die Architekten bereits seit ihrer Verbandsgründung 1928 den Kontakt zu den internationalen Organisationen. Anlass zum Zusammenschluss der Avantgardisten lieferte unter anderem der Architekturwettbewerb zum Völkerbund­ palast in Genf, bei dem Vertreter des Neuen Bauens, allen voran Le Corbusier, nicht zum Zuge kamen, da sowohl Politiker als auch die Wettbewerbsjury moderne Architektur für repräsentative Bauwerke als ungeeignet empfanden. Über viele Jahre hinweg kämpften die Reformer von Architektur und Städtebau um Akzeptanz und Anerkennung. Ihr Weg von einer avantgardistischen Randerscheinung in den 1920er und 1930er Jahren hin zur kanonischen Mehrheit in den 1960er Jahren gestaltete sich als steinig. Die von Le Corbusier seit dem Gründungsjahr ersonnene Strategie zur Verbreitung ihrer Grundsätze und Prinzipien bestand in aktiver Lobbyarbeit bei den internatio­ nalen Organisationen – bei Völkerbund, BIT und IIIC in der Vorkriegszeit und bei UN und ­U NESCO in der Nachkriegszeit. Die CIAM bemühten sich dort intensiv um eine Kooperation und lieferten schließlich den Vereinten Nationen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg dringend benötigte Wiederaufbaukonzepte. Gropius, Le Corbusier, Giedion, Weissmann, Bodiansky und andere CIAM-Mitglieder wurden als beratende Experten in die Arbeit der UN und der U ­ NESCO eingebunden. Auch wenn sich ihre eigenen Ideen und Vorstellungen von einer vorteilhaften Zusammenarbeit – etwa durch die Einrichtung eines UN-Departments für Städtebau oder einer ­U NESCO-finanzierten CIAM-Schule – nicht erfüllten, gelang es ihnen, ihren Einflussrahmen sukzessive auszuweiten. Die CIAM erhielten Anfang der 1950er Jahre bei den Vereinten Nationen wie auch bei der ­U NESCO einen offiziellen Beraterstatus, der die enge Kooperation nun auch offi­ziell bestätigte, beispielsweise in der UN-Housing Sub Commission, im International Council on Housing Documentation oder beim Künstlerkongress in Venedig. Während sich bei den Vereinten Nationen auch vereinzelt internationale Bauprojekte konkretisierten, zog die Kulturorganisation die CIAM hingegen häufiger als Gesprächspartner zu Rate. Die Kooperation beschränkte sich zur Enttäuschung der CIAM eher auf Projekte wie das ­U NESCO-Art-Magazine. Der von Sigfried Giedion einst formulierte Vorwurf, die ­U NESCO wolle die CIAM nur in ihren Listen vermerkt haben, war insofern berechtigt, als die ­U NESCO tatsächlich weniger internationale Bauprojekte finanzierte, sondern vielmehr Experten und Mitgliedstaaten zum Ideenaustausch zusammenbrachte. Letztendlich ermöglichten vor allem persönliche Kontakte den CIAM, in das Bauprojekt der ­U NESCO involviert zu werden. Dort gelang es Gropius, Le Corbusier, Costa,

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Rogers und Markelius als einschlägigen Experten, den Planungs- und Bauprozess entscheidend zu gestalten. Mit Vehemenz vertraten sie während Sitzungsrunden und in zahlreichen Gutachten ihre Positionen, die ihnen als renommierten Experten niemand in Abrede stellte. So setzten sie sich gegen den in ihren Augen ungeeigneten Eugène Beaudouin durch und beriefen drei neue Architekten aus den eigenen Reihen, obwohl Teamarbeit vom Hauptquartierkomitee zuvor ausgeschlossen worden war. Sie erwirkten einen neuen Bauplatz außerhalb des Stadtzentrums, um in Paris ein zeitgenössisches Gebäude­ensemble nach ihren Prinzipien realisieren zu können, ohne dabei Rücksicht auf historische Befindlichkeiten nehmen zu müssen. Als die Pariser Städtebaubehörde das Projekt an der Porte Maillot kippte, erwirkten sie die Aufhebung fast aller Baurestriktio­ nen an der Place de Fontenoy. Die CIAM-Architekten mussten streckenweise gegen veraltete Baugesetze, gegen verstockte Behörden und konservative Haltungen von Seiten der Pariser Presse antreten. Breuer, Nervi und Zehrfuss gelang es jedoch gemeinsam mit ihren fünf CIAM-Beratern, im historischen Stadtkern ein solides Bauwerk im modernen Stil zu errichten. Streitigkeiten um Kompetenzen und letztlich auch um Loyalität blieben dabei nicht aus. Insgesamt symbolisierte das ­U NESCO-Gebäude für die Akteure der CIAM jedoch eine für alle Welt sichtbare Ablösung des historischen Akademismus durch die Moderne. Durch den Vergleich des U ­ NESCO-Gebäudes mit den Bauten der Vereinten Nationen in New York einerseits und des Völkerbundes in Genf andererseits wurde die politische Dimension einer bewussten Orientierung an der Moderne herausgearbeitet. Dabei ließ sich ein allgemeiner Wandel bezüglich der Vorstellung von repräsentativer Architektur und Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die Gebäudeensembles von UN und U ­ NESCO als konsequente ‚Gegenbauten‘ zu dem nur wenige Jahre zuvor fertiggestellten Völkerbundpalast geplant wurden. Die Gründe dafür sollen in einer abschließenden Interpretation zusammengetragen werden: Der Architekturwettbewerb in Genf für den ersten Parlamentsbau der internationalen Staatengemeinschaft war vom Völkerbund unzureichend vorbereitet und von der berufenen Architektenjury desolat umgesetzt worden. Zu einem frühen Zeitpunkt hatten Politiker zentrale Entscheidungsbefugnisse an Architekten abgegeben. Diese sahen die einmalige Chance gegeben, die Geschichte der Architektur durch einen neuen Gebäudetyp – einen internationalen Parlamentsbau – fortzuschreiben. Nach zweijährigem Ringen zwischen Bauexperten und Politikern um geeignete Grundstücke, nötige Finanzmittel und adäquate Repräsentationsformen lobte der Völkerbund einen internationalen Architekturwettbewerb aus. Der Wettbewerbsjury wurde schnell klar, dass dabei Vertreter akademischer Stilarchitekturen mit Verfechtern neuer Bauformen konkurrierten. Die Gegensätzlichkeit historistischer und moderner Entwürfe bestand nicht nur hinsichtlich ästhetischer Erscheinungsformen, sondern betraf vor allem deren Material­ aufwand, der sich in unterschiedlich hohen Baukosten niederschlug. Die wesentlich günstigere Betonbauweise besaß gegenüber aufwändigen Steinfassaden einen

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­ ettbewerbsentscheidenden Vorteil. Da sich die überwiegend konservative Jury jedoch w nicht für ein modernes Bauwerk (etwa von Le Corbusier) durchringen konnte, veränderte sie sukzessive – um traditionelle Entwürfe nicht ausschließen zu müssen – die rechtsverbindlichen Wettbewerbskriterien wie die Anhebung der Bau­kosten. Schließlich nominierte sie neun Siegerentwürfe, so dass der Wettbewerb tatsächlich ergebnislos blieb. Diese Vorgehensweise rief international Kritik hervor, vor allem von Seiten der Architektenverbände, die wiederum den Völkerbund massiv unter Druck setzten. Um eine diplomatische Lösung zur Schlichtung der internationalen Affäre bemüht, rang sich schließlich ein Gremium von Politikern zu einem Kooperationsprojekt von vier prämierten Architektenteams durch. Diese folgten in ihrem kompromissreichen Gemeinschaftsentwurf der gängigen akademischen Baupraxis und realisierten ein mehr­flügeliges Gebäude mit neoklassizistischen Stilanleihen, dessen räumlich überwältigende Ausmaße Analogien zu barocken Schlossanlagen aufweisen. Und auch bei der Innenausstattung folgten die Architekten mit allegorischen Bildprogrammen in zentralen Räumen und aufwändig gestalteten Art-Déco-Möbeln tradierten Vorstellungen von politischer Repräsentation, die durchaus in der Tradition monarchischer Herrschaftsverehrung stand. Heute würde man den Völkerbundpalast wohl als ‚Millionengrab‘ bezeichnen: Die Baukosten explodierten in Folge der Weltwirtschaftskrise 1929, was zu zeitweiligen Baustopps führte. Die internationale Öffentlichkeit nahm das Missverhältnis zwischen der symbolischen Wirkkraft des erst 1936 fertiggestellten, prunkvollen Friedenspalasts und der tatsächlichen politischen Wirksamkeit des Völkerbunds in den 1930er Jahren missbilligend zur Kenntnis. Nur zehn Jahre später distanzierten sich die Vereinten Nationen nicht nur von dem politischen Erbe des Völkerbundes, sondern auch von dessen architektonischen Hinterlassenschaften. Mit der Entscheidung für die USA als zukünftigem Gastgeberland stand auch der Bau eines neuen Hauptquartiers fest, das die neuen politischen Ziele der Vereinten Nationen zum Ausdruck bringen sollte. Obwohl von Beginn an zahlreiche Gremien mit der Planung einer neuartigen UN-City betraut wurden, etwa um geeignete Gelände in den USA zu suchen, bündelte Generalsekretär Trygve Lie sämtliche Verantwortungen für den Planungsprozess quasi in einer Hand. Nur er selbst und der von ihm nominierte Architekt Wallace K. Harrison trafen zentrale Entscheidungen. Sie berieten sich mit einem Sondergremium, das aus US-amerikanischen Politikern und prominenten Persönlichkeiten bestand. Die Kontakte zu hochrangigen Regierungsvertretern vermittelte Harrison, der einige Jahre für die amerikanische Regierung in Washington D.C. gearbeitet hatte. Auch seine Freundschaft zu Nelson Rockefeller beschleunigte schließlich die Entscheidung für New York als Hauptsitz – Rockefeller kaufte das heutige UN-­Gelände am East River und vermachte es den Vereinten Nationen. Während des gesamten Planungsprozesses entsteht immer wieder der Eindruck, als hätten auf amerikanischem Territorialgebiet vor allem die Amerikaner selbst den Bauprozess entscheidend mitbestimmt. Das Headquarters Advisory Commitee als offiziell beauftragtes Gremium der Mitgliedstaaten scheint hingegen eher zweitrangig beteiligt. Es trat

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­ eispielsweise in Erscheinung, als es um die Nominierung des 10-köpfigen Architekten­ b teams ging. ­Harrison, der vor allem CIAM-Mitglieder in das Board of Design wählen wollte, um eine moderne Architektur zu garantieren, musste sich diplomatischen Lösungen beugen – etwa bei der Wahl der Architekten entsprechend ihrer Herkunftsländer, die den Nationalitäten des Sicherheitsrats entsprechen sollten. Der nur vier Monate dauernde Designprozess wurde schließlich als internationale Gemeinschafts­ arbeit, als Workshop for Peace, inszeniert. Er brachte die erste gläserne Hochausarchitektur New Yorks hervor, die auf modernsten technischen Prinzipien basierte. Nicht nur ein neuer Architekturstil, sondern der Designprozess selbst sollte als internationales Aushandlungsverfahren die Arbeit der Vereinten Nationen versinnbildlichen. Die Umsetzung des Entwurfes nahm Harrison wiederum alleine in die Hand und zwar unter Inanspruchnahme amerikanischer Baufirmen. Das metaphorisch gemeinte ‚internationale Bauen für den Frieden‘ erreichte damit sehr schnell eine nationale Grenze: Gebaut wurde amerikanisch. Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen sollte die ­U NESCO mit ihrem Neubau in Paris dem New Yorker Beispiel folgen. Nicht ein unkontrollierbarer Architekturwettbewerb, sondern überschaubare und damit lenkbare Architektengremien sollten den Entwurfsprozess durchführen. Wie aufgezeigt wurde, schalteten sich auch beim ­U NESCO-Planungsprozess sowohl die Vereinten Nationen als auch die USA selbst ein, um dem Einflussrahmen konservativer französischer Kräfte entgegen zu wirken und eine moderne Architekturform auf den Weg zu bringen. Für eine Architekturlösung europäi­scher Prägung sorgten bei der U ­ NESCO die Akteure der CIAM und zwar durch das Konzept ‚Synthese der Künste‘ und als involvierte Architekten. Insgesamt können sowohl der Workshop for Peace als auch die ‚internationale Künstler­kooperation‘ als Bestandteil der Symbolpolitik von UN und U ­ NESCO aufgefasst werden. Die Teamarbeit international anerkannter Architekten sollte schließlich einen weltweiten Konsens über moderne Bauweisen zum Ausdruck bringen. Nicht nur hinsichtlich Architekturform und künstlerischer Gestaltung unterscheiden sich die Bauten von UN und U NESCO von der des Völkerbundpalastes. Augenscheinlich veränderte sich inner­ halb weniger Jahre auch der Geschmack vom aufwendig produzierten Art-Déco-Möbel hin zum seriell gefertigten, sachlichen Industriedesign. Bei der künstlerischen Ausgestaltung der Gebäude besteht ein wesentlicher Unterschied zum Genfer Palast in der Abkehr von figürlich-allegorischen Bildprogrammen. Wurde bei den Vereinten Natio­ nen zunächst auf Kunstwerke weitestgehend verzichtet, damit diese nicht zum bildhaften Ausdruck des ideologischen Ost-West-Konflikts missbraucht werden konnten, positionierte sich die U ­ NESCO auf der Seite der Pariser Avantgarden der Vorkriegszeit. Die Eignung der Kunst Picassos, Mirós, Moores, Calders, Arps und der anderen Künstler für das ­U NESCO-Bauwerk lag in deren Eigenschaft begründet, eine Formensprache von universeller Gültigkeit anzustreben. Diese Tendenz innerhalb der Klassischen Moderne, bei der die Ästhetik anderer Kulturen – japanische Holzschnitte, afrikanische Masken, präkolumbianische Skulpturen, frühgeschichtliche Felsenmalereien sowie e­ uropäische

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Volkskunst – als ­Inspirationsquelle dienten, brachte künstlerische ­Ausdrucksweisen mit zeichenhaften, biomorph-verkürzten oder elementar-abstrakten Formen hervor. Westeuropäische Kunst, die sich anderen kulturellen Einflüssen geöffnet hatte und dadurch eine neue Ursprünglichkeit vermittelte, eignete sich in besonderem Maße für den ­U NESCO-Gedanken der Universalität. Gemeinsam mit der sachlich-ratio­nalen Formen­sprache moderner Architektur versinnbildlichte das ­U NESCO-Bauwerk zum einen Zukunftsoffenheit hinsichtlich technisch-wissenschaftlichen Fortschritts, zum anderen universale Dauerhaftigkeit bezüglich einer einheitlichen Weltkultur. Tatsächlich spiegelt das Motto ‚Synthese der Künste‘ jedoch eher einen Kulturkanon westeuro­ päischer Prägung wider. Kritik an diesem eurozentrischen Konzept wurde etwa im Hauptquartierkomitee von Seiten asiatischer Delegierter geäußert. Es verdeutlicht die weltpolitische Situation der Nachkriegsjahre mit erstarkenden Abgrenzungstendenzen der Weltmächte: Moderne zeitgenössische Architektur und Kunstformen wurden aus einer westlichen Perspektive heraus als Konzept des sich in einer demokratischen Gesellschaft frei artikulierenden Künstlerindividuums propagiert. Es grenzte sich ideologisch offensichtlich vom Kunstideal kommunistischer Prägung ab, das gerade in Bezug auf die Kunst die Egalität der Menschen im Kollektiv beschwor. Unter diesem Gesichtspunkt kann das U ­ NESCO-Bauensemble auch als Teil eines von den Westmächten ausgehenden internationalen Prozesses zur Forcierung von Demokratisierungstendenzen nach dem Zweiten Weltkrieg interpretiert werden. Die ­U NESCO-Architektur sollte Ausdruck dieser Politik sein.

Anhang

Literaturverzeichnis

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Verzeichnis der ausgewerteten Archive Bauhaus-Archiv Berlin Centre d’Archives d’Architecture du xxième Siècle, Paris gta-Archiv an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Smithsonian Institutions – Archives of American Art, Washington D.C. United Nations Archives und Archives de la Société des Nations, Genf United Nations Archives, New York UNESCO-Archiv, Paris

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung Anm. Anmerkung Ausst.-Kat. Ausstellungskatalog ASPA

American Society of Planners and Architects

Bd. Band BIT

Bureau International de Travail

BNZ

Breuer, Nervi, Zehrfuss

CAME

Conference of Allied Ministers of Education

CCIGNAM

Comité Central International des Groups National d’A rchitecture Moderne

CHF

Schweizer Franken

CIAM

Congrès Internationaux d’A rchitecture Moderne

CIB

Conseil International du Bâtiment pour la Recherche, l’Etude et la Documentation

CIRPAC

Comité International pour la Réalisation des Problèmes d’A rchitecture Contemporaine

Ders. Derselbe Dies.

Dieselbe

Diss. Dissertation ebd. ebenda ECE

Economic Commission for Europe

ECOSOC

Economic and Social Council

f. folgende FIBC

Fédération Internationale du Bâtiment et des Travaux Publics

FID

Féderation Internationale de Documentation

gta-Archiv

Archiv für die Geschichte und Theorie der Architektur

H.

Heft

HCIEAES

Haute Comité international de l’extension de l’architecture à l’economique et au social

Hg. Herausgeber hrsg. v.

herausgegeben von

IAAC

International Association of Art Critics

IAPA

International Association for the Plastic Arts

392 |     Anhang

IAPS

International Association of Painters and Sculptors

ICBD

International Council on Building Documentation

ICOM

International Council of Museums

IFHTP

International Federation for Housing and Town Planning

IIIC

International Institute of Intellectual Cooperation

ILO

International Labour Office

IMC

International Music Council

ISO

International Organization for Standardization

ITI

International Theatre Institute

IUA

International Union of Architects

Jg. Jahrgang l. links MOMA

Museum of Modern Art

n. nach NGO

Nongovernmental Organization

Nr.

Nummer

r. rechts S. 

Seite

SdN

Société des Nations

u. a.

unter anderem

UN

United Nations

UNESCO

United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

UNOG

United Nations Office Geneva

UNRRA

United Nations Relief and Rehabilitation Administration

usw.

und so weiter

v.

von

vgl. vergleiche Vol. Volume WEC

World Engineering Conference

WHO

World Health Organization

Zit. Zitat zit. zitiert

Personenregister

Aalto, Alvar  105 f., 113, 124, 262 f., 275, 290, 296, 333, 352, 358 Abramovitz, Max  261, 264, 274 Adatci, Mineitciro  220, 313 Adnet, Jacques  36 Albers, Josef  94 Albini, Franco  352 Aldrich, Winthrop W.  256 Allom, Sir Charles Carrick (genannt White Allom) 229 f. Alvard, Julien  168 Amico, Victor de  108 Anderson, Hans  261 Antolic, Vladimir  343 f. Appel, Karel  123, 129,154, 162, 169–175, 185 f., 188, 405 Arataria, Paul  319 Argan, Giulio Carlo  118, 381 Arneberg, Arnstein  277, 295 Arp, Jean (Hans)  12, 94, 97, 100, 105, 122 f., 129 f., 137 f., 141 f., 144–148, 164, 172 f., 175 f., 187, 191, 299, 347, 358, 375, 400 Artigas, Josep, Llorens  136, 139 f. Attlee, Clement  42 Austin, Senator Warren  274, 336 Avenol, Joseph Louis Anne  231, 239 Badovici, Jean  97, 311, 381 Bakéma, Jacob  170 f., 368 Balla, Guido  175 Balthus (Balthasar Klossowski de Rola)  164 Basaldella, Afro  123, 154, 162, 172, 174 ff., 185 ff., 405 Bassov, Nicolai  252, 258, 263 ff., 273 f. Bayer, Herbert  94, 122 Bazaine, Jean  123, 129, 162 Beaudouin, Eugène  5, 52–55, 59–71, 82, 180, 190 Belgiojoso, Ludovico Barbiano di  37

Bellew, Peter  355, 357 Bennett, Glenn  261 f., 264, 283, 292 f., 332, 336 Benton, Tim  94, 381 Bergstern, Carl  230 Berk, Nurulla  125 Berlage, Hendrik-Petrus  203, 206–209, 112, 215, 217, 305, 319 Beneš, Edvard  322 Bill, Max  124, 275 Birkenholz, Peter  213 Birolli, Renato  123, 162, 175 Birzenieks, Aleksandrs  230 Bloc, André  97–101 Blondel, Jacques-François  146 Blum, Léon  39–43, 381 Bodet, Jaime Torres  45 f., 54 f., 64 f., 68–71, 78, 89, 111 f., 117 f., 163, 181, 183, 190, 357, 359 f., 370 Bodiansky, Vladimir  54, 265, 291, 333, 339 f., 342 f., 372 Bonnard, Pierre  237 ff. Bonnier, Louis  25 Bosch, Robert  322 Bosmann, Jos  318, 382 Boudon-Vitale, Françoise  28, 33, 382 Bourgeois, Victor  319, 325 Braque, Georges  94, 97, 174, 358 Brassaï (bürgerlich Gyula Halász)  129 Breughel, Pieter d. Ä.  159 Breton, André  137, 159, 163, 167 Breuer, Marcel  11, 30, 32, 70–74, 76 f., 80–85, 89, 93, 100, 116 ff., 121–124, 128 ff., 142 f., 149, 176, 178, 190 f., 262, 275, 296, 324 ff., 328, 333, 362–367, 373 Broggi, Carlo  213 f., 216, 223 ff., 229, 231, 237 ff., 242, 290, 297 Brigneau, François  187, 382 Brunfaut, Gaston  263 Broustra, Vincent  335

394 |     Anhang

Buckminster Fuller, Richard  325 Burchard, John  325 f., 345, 354, 357 f. Burle Marx, Robert  122 Burnet, Sir John James  203, 206, 209, 215 Cadbury-Brown, Henry Thomas  349 Calder, Alexander 12, 101, 112, 122 f., 129 f., 137, 140–144, 148 f., 172 f., 175 f., 185 ff., 231, 299, 358, 372, 375, 400 Camoletti, Marc  199 ff. Candilis, Georges  343 Carlu, Jacques  46 ff., 52, 242, 281 Carneiro, Paolo de Berrido  49 ff., 54 f., 70, 120, 365 Carter, Edward  353 ff., Cassou, Jean  97, 101 f., 107, 109, 118, 120, 163, 165 f., 176, 355, 382 Cézanne, Paul  159 Chagall, Marc  164, 287 Chareau, Pierre  26, 319, 326 Chastel, Roger  231, 237, 240, 244 Chermayeff, Serge Ivan  326, 328 Chirico, Giorgio de  160 Choay, Françoise  23 f., 382 Chopard, Charles  312 Clarke, Gilmore David  261 Claudius-Petit, Eugène  99 f., 180 Clay, Keaton  357 Clementi, Alberto de  51, 65, 70 Clostermann, Pierre-Henri  187 Coats, Wells Wintemute  366 Cocteau, Jean  141, 160 Cooper, Douglas  185, 382 Cormier, Ernest  263, 265, 269 Corneille  162, 170 Courthion, Pierre  119 Costa, Lucio  11, 54, 65, 69, 74, 112, 190, 285, 294, 325, 360, 362, 372 Covarrubias, Miguel  281 Cowell, R.  49, 52, 55, 71 Dali, Salvador  167 Damaz, Paul  99, 102, 107, 176, 191, 371, 382 Davies, Gardner  70 Delaunay, Robert  142 Delaunay, Sonia  100 f. Denis, Maurice  231, 237–241, 297 Diwany, Hassan  f. El  50 Doesburg, Theo van  141, 144, 146 Doré, Gustave 239 Dotremont, Christian  170 Dreifuss-Barney, Hippolyte  126 Dreifuss-Barney, Laura  126 Drew, Jane  349

Drummond, Sir James Eric  198 f., 203, 205 f., 213, 222, 230 Duchamp, Marcel  160, 167 Dubuffet, Jean  171 Dudley, George A.  18, 258, 261–264, 269, 271 f., 337, 383 Duiker, Johannes  305 Dupierreux, Richard  321 Eames, Charles  33 Ecochard, Michel  343 f. Edman, Irwin  283–287, 298 Edwards, James L.  261 Eesteren, Cornelis van  171, 319, 349, 355, 357 Éluard, Paul  137, 159 Emery, Paul  365 f. Eriksson, Nils Einar  213 f., 216, 305, 310 Ernst, Max  137, 164, 167, 185 Evans, Luther H.  18, 89, 118 f., 123, 126 Eyck, Aldo van  170 f., 357, 368 Fahrenkamp, Emil  213 ff., 219, 305 Faure, Élie  322 Feller, Abraham  261 Fierens, Paul  119, 163, 383 Flegenheimer, Julien  214 f., 221–225, 290 Fletcher, Sir Angus  251, 332 Frugès, Henry  321 Fry, Maxwell  349 Gabriel, Jacques-Ange  29, 59, 66, 80 Gabo, Naum  122 Gardella, Ignazio  352 Gardy, Joan  136 Gato, Carlos  206, 215 Gaudi, Antonio  139 Gerson, Hans  213 Gerson, Oskar  213 Giacometti, Alberto  113, 123, 162, 185, 358 Giedion, Sigfried  6 f., 12, 24, 92 ff., 97, 103–107, 124, 146 ff., 176, 191, 275, 304, 309, 311– 314, 318 f., 322, 326, 339, 341, 346 f., 349, 351–361, 363, 365 ff., 372, 383 Gill, Eric  231, 243–247, 297 Ginzburg, Moisei Yakovlevich  319 Giotto di Bondone  284 Gogh, Vincent van  169 Goldstone, Harmon  264 Gonseth, Ferdinand  354 Gorky, Arshile  174 Graber, Rudolf  124, 275 Gravereaux, Raymond  51 ff. Greenberg, Clement  161, 383 Gregory, Bruce  286, 383 Grimau, Julian  167

Personenregister     | 395

Gris, Juan  94 Gropius, Walter  6, 11, 24, 54, 58, 65, 68–72, 74, 80 f., 88, 90, 92 ff., 96, 108, 112, 117, 138, 142, 146 ff., 154, 166, 170, 176, 185, 190 f., 294, 313, 319, 324–329, 331, 341, 345, 347 f., 350 f., 358, 360–367, 371 f. Gubler, Friedrich  319 Guevrekian, Gabriel  318 f. Gugler, Eric  331 Haefeli, Max Ernst  52 f., 319 Häring, Hugo  319 Hagiwara, Toru  68, 150 Halbwachs, Maurice  14, 384 Harnoncourt, René de  109 Harris, Harwell Hamilton  325 f. Harrison, Wallace Kirkman  18, 52, 256–265, 269, 272 ff., 279, 281, 283, 286 f., 290 ff., 295, 298 f., 325 f., 329, 331–336, 374, 386 Hashem, A. N.  43 Haussmann, Robert  37, 124 Haussmann, Peter  37, 124 Havlicek, Josef  263, 333 Hélion, Jean  142 Hepworth, Barbara  287 Héraud, Gabriel  206 Herbin, Paul  97, 101 Hercik, Vladimir  355 Hildebrandt, Hans  105 Hoechel, Arnold  319 Hoffmann, Josef Franz Maria  203, 206 f., 215, 217, 305 Holford, William  346, 349 Holleran, Leslie G.  261 Honegger, Jean-Jacques  339, 342 f. Hoste, Huibrecht  319 Horta, Victor  203, 206 f., 209, 213, 215 Howe, George  262, 325, 329, 345 Hudnut, Joseph  262, 326, 328 f., 331, 333, 346 Huxley, Julian  6, 18, 127–130, 160, 185, 327, 345 f., 351, 353 f., 384 Ikramullah, Muhammed  119 Imenitoff, Nathan  126 Jamieson, Frank  261 Jaray, Felix  230 Jeanneret, Pierre  18, 97, 213 ff., 217 f., 305 f., 308 f., 313, 319 Joedicke, Jürgen  24 f., 34 Johnson, Philip  11, 36, 124 Jorn, Asger  170 Josephson, Erik  213 Juhl, Finn  276, 295 Jungo, Léon  222

Junkers, Hugo  322 Kahn, Louis  262, 329, 331, 333 Kasskoff, Anatole René  229 Keck, George Frederick  325 Kepes, György  94, 345 Kiesler, Friedrich  141 King, Leland  292 f. Klee, Paul  137 Klophaus, Rudolf  214 f., 219, 305, 317 Knoll, Hans G.  33, 124, 275, 295 Kooning, Willem de  171 Korn, Arthur  53, 324 Krahn, Johannes  37, 124 Labro, Georges  213 ff. Lam, Wilfredo  123, 162 Lampugnani, Vittorio  13, 319, 384 La Roche, Raoul  25, 94 Larson, Theodore  326 Laugier, Henri  335 Laurens, Henri  97, 185, 358 Laves, Walter H. C.  292 Le Corbusier (bürgerlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris)  6 f., 11, 17 f., 25, 30 f., 49, 51 f., 54 f., 58, 64 f., 73 f., 92–100, 102, 105 ff., 112 f., 124, 127, 130, 141, 148, 154, 166 f., 170, 176, 185, 190 f., 213–220, 229, 251–156, 258, 263 ff., 267 f., 271 f., 275, 285, 288, 290 f., 294, 296, 303, 305–324, 328, 331–340, 344, 352, 358, 360–367, 370–374, 385 Léger, Fernand  94, 97, 100, 106, 112, 122, 126, 141 f., 148, 185, 286, 298 f., 358, 361, 408 Leiris, Michel  137 Leleu, Jules-Émile  229, 406 Lemaresquier, Charles  203, 209, 214, 217 Lefèvre, Camille Émile  214 f., 220, 223, 225, 231, 290 Levy, Julien  164 Lhote, André  212 Liang, Ssu-Cheng  263 ff., 268 f. Lie, Trygve Halvdan  258–263, 274, 280 f., 290 f., 295, 331, 333, 335 ff., 374 Linares, Francisco Walker  42 Lipchitz, Jacques  94 Lissitzky, El  319 Lods, Marcel  54, 339 f., 342 Longberg-Holm, Knut  325 f. Lopez, Raymond  51 Louchheim-Saarinen, Aline  118 Lurçat, André  25, 319 Luthmann, Julius Maria  229 f., 406 Lyon, Gustave  307 MacLeish, Archibald  42

396 |     Anhang

Madariaga, Salvador de  231 Maggioni, Gino  319 Mallet-Stevens, Robert  25 f. Malraux, André  118, 355 Mandrot, Hélène de  224, 316, 318 Manuelides, A.  145 f. Mapes,  f. A.  279 f. Marie, André  78, 80 Marini, Marino  113 Markelius, Sven  11, 54, 65, 74, 90, 124, 190, 262, 264 f., 269 f., 276, 290, 294 ff., 325 f., 333, 341, 360, 362, 373 Marle, Felix del  100 Marter, Joan  143 f., 400 Martin, Camille  206, 222 Martini, Simone  297 Masson, André  137, 141 f. Matisse, Henri  97, 116, 159, 164, 170, 185 f. Matisse, Pierre  137, 142, 164 Matta, Roberto Sebastiano  12, 123, 129, 154, 162, 164, 166 ff., 171 f., 175 f., 185 ff., 386 May, Ernst  24 Meistermann, Georg  113, 400 Mellequist, Jérôme  100 f., 185, 400 Mercadal, Fernando García  319 Merill, John  138, 149 Meyer, Hannes Emil  213, 305, 311, 319 Michelin, Jean  321 Michelmore, Lawrence  261 Mies van der Rohe, Ludwig  113, 124, 185, 262 f., 275, 290, 295 f., 326, 333, 358 Milani, Giovanni Battista  206 Mirei, Shigemori  150 Miró, Joan  12, 94, 122 f., 129 f., 135–145, 148, 164, 167, 172, 176, 185 ff., 191, 231, 299, 358, 375, 381 Moholy-Nagy, Laszlo  166, 313, 324 ff., 345 Monet, Jean  46, 281 Mondrian, Piet  141 f. Moore, Henry  12, 97, 112, 122 f., 130–136, 164, 172, 176, 185 ff., 191, 299, 358, 372, 375, 380 Morandi, Giorgio  113 Moser, Karl  203 f., 206, 212 ff., 217, 222, 305, 318 Moser, Werner Max  52 f., 124, 275, 319, 359 Moses, Robert  256–260, 264, 326, 331, 400 Motta, Giuseppe  312 f., 316 Mousset, Albert  79, 179 f., 400 Mühll, Henri-Robert von der  319 Mueser, William  261 Muggia, Attillio  203 f., 206, 208 f., 212, 214, 217 Muller, Joseph-Emile  118 Mumford, Eric  19, 318 f., 326 f. Mumford, Lewis  24 Muschenheim, William  326

Muthamma, Chohivia Belliappe  119 Myrdal, Gunnar  340 Naef, Hans Hugo Hannibal  305 Nénot, Henri-Paul  214 f., 221, 223 ff., 239, 290, 315 Nerdinger, Winfried  13–16, 400 Nervi, Pier Luigi  11, 28, 31 f., 70–73, 76 f., 80–85, 89, 100, 116, 118, 175, 178, 190 f., 296, 362, 365 ff., 373 Neutra, Richard Joseph  112, 213, 305, 310, 325 ff., 329, 359 f. Newhouse, Barbara  257 f., 260, 286, 400 Niemeyer, Oscar  97, 263 ff., 269–272, 290, 325, 333, 337, 358, 360 f. Nitzchke, Oscar  264, 326, 333 Nivola, Tino  122 Noguchi, Isamu  122 f., 129 f., 143, 148–153, 172, 176, 383, 400 Nowicki, Matthew  264 f., 269, 333 O’Dwyer, William  256, 259 Oechslin, Werner  18, 308, 400 Orozco, José Clemente  127, 163 f. Osusky, Stephan  220 f. Otlet, Paul  95, 255, 317 Oud, Jacobus Johannes Pieter  24, 171 Owings, Nathaniel  138, 149, 261 Ozenfant, Amédée  25, 94 Pallas, Jean-Claude  18, 229, 400 Parra-Perez, Caracciolo  121, 127, 129, 173 Paz, Octavio  163 f., 400 Pearson, Christopher  18, 96, 99, 106, 143, 400 Pelt, Adrian  327, 331 f. Perzel, Jean  227 Petit, Eugène Claudius  100, 180 Peressuti, Enrico  37 Perret, Auguste  25, 52, 213 Perret, Brüder Perret (Auguste, Gustave, Claude) 25 Petersen, Jacob  229 Pevsner, Antoine  106, 122, 142 Photiades, Alex  120 Picasso, Pablo  12, 94, 97, 122 f., 129, 136 f., 142, 154–161, 172–176, 185–188, 191, 231, 299, 358, 375, 384 f. Picard, Joseph  188 Pillet, Edgard  100 Politis, Nicolas  220 Pollock, Jackson  137, 171 Poncet, Antoine  100 Porteneuve, Alfred  229 Portinari, Candido  358 Poussin, Nicolas  155

Personenregister     | 397

Praeger, Emil  261 Price, Byron  296 Prou, René  229, 236 Prouvé, Jean  54, 97, 143 Prud’hon, Pierre-Paul  155 Prudhomme, André  314 Pulitzer Finali, Gustavo  229 Putlitz, Erich zu  213 ff., 219, 305, 317 Puvis de Chavannes, Pierre Cécile  186 Raffael (auch Raffael da Urbino)  239 Ranitz, Jan de  252 Rapuano, Michael  261 Ray, Man  137, 141 Read, Herbert  103, 109, 118, 120, 123, 130, 132, 137, 162, 171, 175 f., 355, 357 Revilliod, Gustave-Philippe  316 Rice, Norman  326 Rietveld, Gerrit  24, 36, 124, 296, 319 Rimbaud, Arthur  129 Riopelle, Jean-Paul  162 Rivera, Diego  127, 163 f. Robertson, Howard  51 f., 54 f., 59, 61 ff., 237, 263 f., 266–269, 281 ff., 285, 292 f., 333, 337, 361, 363 Rockefeller Jr., John D.  220, 224, 258, 260 f., 264, 273, 290, 316, 354, 374 Rockefeller, Nelson Aldrich  126, 256–259, 281, 286, 290, 334 f., 374 Rogers, Ernesto  11, 37, 54, 65, 69, 74, 86, 90, 97, 112, 117, 124, 143, 161, 175, 190, 294, 352, 358, 360, 362, 365 f., 373 Rojas, Count Casa del  120 Roth, Alfred  105, 112, 124, 275, 305, 359, 401 Rotzler, Willy  105 Roussel, Ker-Xavier  231, 237–242 Rouault, George  112 Roux-Spitz, Michel  26, 52 Rubens, Pieter Paul  159 Saarinen, Eero  37, 51 f., 54 f., 59, 61 ff., 124, 275, 292 f., 329 Saarinen, Eliel  52 Sanders, Walter Benjamin  385 Sartoris, Alberto  319 Shakespeare, William  239 Salles, George  123, 162, 175 Samonà, Giuseppe  352 Sanchez Canton, Francisco Javier  119 f. Sanô, Tuoemon  151 Santomaso, Giuseppe  123, 162, 175 Sartre, Jean-Paul  141 Savina, Joseph  96 Schindler, Rudolph Michael  213, 305 Schmidt, Hans  319

Schneid, Miriam  126 Schneid, Otto Naftali  126 Schoch, August  214 f., 219, 305, 317 Schumann, Robert  337 Sert, José Luis  71, 97, 137 f., 142 f., 166, 262, 290, 324, 326, 329, 331, 333, 336, 345, 353, 357–368 Sert, José Maria  231–239, 242, 297 Shan, Ben  185 Siegfried, André  181 Siqueiros, David Alfaro  163 f. Skidmore, Louis  138, 149, 256, 261 Skira, Albert  158 Sorensen, Abel  258 Soilleux, Gyle A.  263, 265, 269 f. Stam, Mart  53, 319 Steiger, Rudolf  52, 53, 319 Steinhof, Eugen  206–209, 211 f. Steinmann, Martin  12, 19, 318 f., 402 Subes, Raymond  229 Suhrawardy, Shahid  120 Sulzberger, Arthur Hays  256 Sutherland, Graham  123, 162, 185 Sweeney, James Johnson  118, 137, 142, 355 Szablya-Frischauf, Frerenc  230 Taeuber-Arp, Sophie  146 Tamayo, Rufino  112, 123, 154, 162–165, 172, 175, 185 ff., 358, 372, 386 Tanguy, Yves  167 Tapié, Michel  171 Taylor, John W.  70, 78, 116 Tengbom, Ivar  203, 206, 214, 217 Terner, Bernhard  312 Thomas, Albert  120 Thomson, Charles  49, 51, 63 f., 70, 80 f., 88, 293, 361 Tillessen, Carl  18, 402 Tual, Roland  137 Tyrwhitt, Jacqueline  341, 343 f. Urdapilleta, Antonio Flórez  203, 206 Urrutia, José  220 Vago, Giuseppe  213 ff., 222–225, 290 Vago, Pierre  112, 353, 358 Valeur,  f.  64, 70, 120 Valkeneer, Claude de  69 Van der Velde, Henry  325, 358 Van der Goot, Alexander  342, 349 ff., 354 Vasarély, Victor  97, 101, 148 Vergnolle, Henri  26 Vermeer, Jan  157 Vilamajo, Julio  263, 269

398 |     Anhang

Villanueva, Carlos Raul  148 Vitoria, Francisco de  231 f., 235 Viviano, Cathérine  174 f. Voisin, Gabriel  321 Vuillard, Édouard  231, 237–240, 243 Walker, Ralph  261 Warnke, Martin  13, 16, 288 Watson, Thomas John  256 Watteau, Jean-Antoine  155 Wegner, Hans J.  37, 124 Weissmann, Ernest  264 f., 269, 271, 290, 324–327, 333, 339, 341, 343, 372 Wermiel, Benjamin  74, 180 f. Wilkinson, Ellen  40, 42 Wilson, Thomas Wodrow  198

Wittwer, Hans  305, 311 Wogenscky, André  97, 357, 365 Wright, Frank Lloyd  53, 113, 185, 262, 329, 345 Wurster, William  262, 326, 329, 333 Young, Sir Edward Hilton  220 Yriart, Juan Felipe  332 Zaim, Turgut  125 Zavala, Juan de  319 Zeckendorf, William  258 Zehrfuss, Bernard  11, 28, 30, 51 ff., 70–74, 76 f., 80–85, 88 ff., 97, 100 f., 116, 118, 125, 133, 145 f., 151, 162, 173, 178 f., 181 ff., 190 f., 296, 362, 365 ff., 373 Zervos, Christian  319

Ortsregister

Aix-en-Provence  365 ff. Altamira, Höhlen  139 Amiens  101, 359 Amsterdam 170 Amsterdam, Rathaus  170 Amsterdam, Rijksakademie van Beeldende Kunsten 169 Antibe, Musée d’Antibe  156 Arnheim, Ferienhostel  171 Athen 323 Barcelona  135, 137 Barcelona, Park Guell  139 Barcelona, Rathaus  231 Beirut  44, 111 Berlin  53, 72, 93, 101, 183, 319, 359 Berlin, Bauhaus-Archiv  9, 17, 352, 409 Bern 150 Borobodur, Tempel  127 Boston, Massachusetts, Blue Hill  249 Boulogne-Sur-Seine 126 Braunschweig, Technische Hochschule  148 Breslau 145 Bridgwater  7, 104, 146, 346–349 Brüssel  170, 183, 297, 323 Brüssel, Königliches Museum für Schöne Künste 119, 163 Brüssel, Weltausstellung  171 Buenos Aires  73, 183 Burma (heute Myanmar)  344 Caracas, Universidad Central  148 Casablanca  101, 359 Chicago, Art Institute of Chicago  144 Cincinnati/Ohio, Terrace Hilton Hotel  138 Clermont-Ferrand 54 Clichy, Maison du Peuple  54 Conakry (Guiena)  183

Dakar (Senegal)  183 Den Haag, Highschool  171 Den Haag, Palais de la Paix  208 Dessau, Bauhaus  154 Dijon  101, 359 Fairfield County, Connecticut  250 f., 253 Flins, Wohnviertel  100 f. Florenz  44 f., 174, 354 Florenz, Städtisches Stadion  73 Forte dei Marmi  134 Framhingham (Boston/Mass.)  249 Frankfurt a. M., Römerstadt  24, 324 Gallifa 139 Genf  6, 18 f., 183, 198 f., 202 f., 205 f., 288, 293, 299, 304–307, 311 f., 316, 332, 335, 337 ff., 373, Genf, Ariana-Park  224, 316, 318 Genf, Château de Chillion  208 Genf, École d’Architecture  53 Genf, Hôtel National  198 ff. Genf, Hôtel Victoria  199 Genf, International Labour Office (ILO)  202, 210, 339, 406 Genf, Palais Wilson  199 ff., 204–207, 210, 221 Genf, Perle du Lac  210 Genf, Propriété Armleder  199 ff., 203–206, 210 Genf, Propriété Bartholoni  206 f., 209 ff. Genf, Propriété Barton  206 f., 209 ff., 224, 316 Genf, Propriété Moynier  210 Genf, Propriété Pictet-Forget  206 f., 209 f., 222 Genf, Quai du Leman  200 f. Genf, Rue J. A. Gautier  200 Genf, Völkerbundpalast  6 f., 16, 18, 46, 95, 126, 195 f., 198–249, 266, 277, 289 f., 293–298, 300, 303–319, 323, 328, 331 f., 338, 342, 360, 369 f., 372–375, 388 Genfer See  198, 208, 224, 306, 308, 316

400 |     Anhang

Gent 183 Greenwich, Connecticut  251, 253 Harvard University  73, 94, 108, 148, 326, 328 f. Harvard, Graduate Center  93, 138, 147 Kairo 43 Karlsruhe, Siedlung Dammerstock  24 Kassel, Documenta  130 Kobe 150 Kopenhagen  170, 183 La Gaude, Frankreich  30 Lausanne  183, 318 La Sarraz  318–322, 328 London  39 f., 43, 142, 183, 279, 345, 349 London, Burlington Gallery  137 London, Downing Street  42 London, Institute of Contemporary Art  171 London, Tate Gallery  130 London University  346 Los Angeles  325 Lübeck 110 Lüttich/Liège 99 Lyon 279 Madrid, Prado  119 f. Mailand, Galleria del Milione  174 Marseille  54, 150 Marseille, Unité d’Habitation  100, 154 Meudon 145 Mexico City  44, 354 Mexico City, Akademie der Schönen Künste  163 Mexico City, Archäologisches Nationalmuseum 163 Montevideo 44 Montroig 137 Moskau 43 Neu Delhi  44, 344 New York City  33, 39, 80, 98, 106, 150, 164, 172, 183, 249 f., 253, 256–260, 262, 264, 275, 282, 288 f., 292, 296, 326, 331–338, 370, 374 New York City, Architectural League  325 New York City, Central Station  259 New York City, Dalton School  164 New York City, East River  258 ff., 264, 266 f., 270, 290, 334, 374 New York City, Eastside Highway  259 New York City, Flushing Meadow Parc  249, 253, 256 f. New York City, Hunters College (Bronx)  249 New York City, Idlewide Airport  259, 361 New York City, Kennedy Airport  144 New York City, Lake Success  249

New York City, Manhattan  195, 253, 256 ff., 164 New York City, Museum of Modern Art  36, 73, 108 f., 118, 124, 130, 137, 142, 161, 164, 406 New York City, Queensboro Bridge  259 New York City, Queensboro Tunnel  259 New York City, School of Social Science  127 New York City, Student Art League  141 New York City, Tribune Bridge  259 New York City, UN-Archiv  9, 17, 286, 292 f., 404 New York City, UN-Gebäude  16, 18, 49, 67, 126, 149, 180, 195 f., 148–287, 291 f., 303, 369 f., 373, 375, 389 New York City, Washington Bridge  253 New York County  250, 253 New York County, Cornell University  261 New York County, Westchester County  250 Oakland, Mills College  175 Orvieto 73 Padua, Arenakapelle  284 Palma de Mallorca  137 Paris  5 f., 9, 11 f., 23–26, 28, 38–48, 51 f., 71–80, 84, 90, 92, 97 f., 109, 114, 119, 121, 128, 133 f., 136, 138 f., 143 f., 149 ff., 154, 163, 166 f., 171 f., 174, 178–184, 187, 192, 231, 279, 288 f., 292–296, 303, 312, 324, 337, 341, 356, 360, 362, 364, 368, 373, 375 Paris, Auteuil  84, 94 Paris, Avenue Kléber  44, 75 Paris, Avenue de Lowendal  59 f., 63, 66, 81 Paris, Avenue de Saxe  59, 63, 81 Paris, Avenue de Ségur  59, 63, 81 Paris, Avenue de Suffren  28, 30, 60, 81 Paris, Avenue Reille  25 Paris, Bois de Boulogne  64, 79, 180 Paris, Boulevard de l’Amiral Bruix  75 Paris, Boulevard des Italiens  26 Paris, Boulevard de Thierry  75 Paris, Boulevard Lannes  71 Paris, Boulevard Masséna  25 Paris, Centre d’Archives d’Architecture du XXième Siècle  9, 17, 404 Paris, Champs Elysée  74 Paris, Cité des Réfuges  25 Paris, Cité Universitaire  25, 96, 101 Paris, École des Beaux-Arts  26, 51 ff., 73, 231, 348 Paris, École Militaire  11, 23, 28 f., 34, 49, 59, 66, 75, 84 Paris, Eiffelturm  11, 23 f., 28 f., 34, 66, 84 Paris, Exposition des Arts décoratifs et industriels moderns 229 Paris, Île de France  74 Paris, Invalidendom  74

Ortsregister     | 401

Paris, Jardin d’Acclimatation  71 Paris, Louvre  74 Paris, Maison Planeix  25 Paris, Maison Verre  26 Paris, Marineministerium  66 Paris, Marsfeld  28 f., 75, 84 Paris, Montparnasse  141 Paris, Musée d’Art Moderne  26, 97, 101, 109, 120, 163 Paris, Notre Dame  5, 74, 78 f. Paris, Palais de Chaillot   26, 28, 46, 66, 84, 134 Paris, Palais Majestic  44 Paris, Parc National de Saint-Cloud  100 Paris, Passy  84 Paris, Place d’Étoile  74 f. Paris, Place de Fontenoy  5, 23, 28 ff., 33, 37 f., 49, 54 f., 59–64, 66–69, 71, 78–88, 90, 178, 180 f., 184, 188 ff., 363 f., 373 Paris, Place de la Concorde  74 Paris, Porte Dauphine  71, 179 Paris, Porte de Neuilly  75 Paris, Porte Maillot  5, 71, 74–78, 80, 82, 98 f., 178 f., 181 f., 190, 361, 363, 370, 373 Paris, Quartier Fontenoy  81 f. Paris, Quartier Suffren-Grenelle  84 Paris, Rond Point de la Défense  75, 181 Paris, Rue Arsène Houssaye  73 Paris, Rue de Blomet  137 Paris, Rue Mallet-Stevens  26 Paris, Rue Sèveres  25, 96 Paris, Square du Docteur  25 Paris, Trocadéro  75 Paris, Tuilleriengärten  59, 74 Paris, UNESCO-Archiv  9, 17, 404 Paris, UNESCO-Gebäude  9, 11 f., 23–28, 38–48, 51 f., 71–80, 84, 90, 92, 97 f., 109, 114, 119, 121, 128, 133 f., 136, 138 f., 143 f., 149 ff., 154, 163, 166 f., 171 f., 174, 178–184, 187, 192, 231, 279, 288 f., 292–296, 303, 312, 324, 337, 341, 356, 360, 362, 364, 368 f., 373, 375 Paris, Villa Ozenfant  25 Paris, Villa La Roche  25, 94 Paris, Weltausstellung  24, 26, 137, 231, 240 Pocantico, Westchester County  275 Porto 183

Rom, Universität  73 Rotterdam, Kaufhaus De Bijenkorf  130 Rotterdam, Siedlung Kiefhoek  24 Rotterdam, Stedelijk Museum  171 Rouen  101, 359 Round Hills, Connecticut  253 Roxbury, Connecticut  142 Salamanca, Kathedrale  235 San Francisco  248 f., 327 San Francisco, Crystal Springs  249 Santiago de Chile, Universidad Católica  166 Santillana del Mar, La Collegiata de Santa Juliana 139 Sheffield  154 Siena, Palazzo Ducale  297 Straßburg  54, 198 Straßburg, Aubette  146 Stuttgart, Weißenhofsiedlung  312–315, 318 Tours, Usine Mame  100 f. Tunis 183 Tunis, El-Aouina Flughafen  73 Turin 73 Udine 174 Varengeville-sur-Mer 137 Vallauris 160 Venedig  7, 111 f., 119, 130, 132, 174, 178, 352, 305, 307 ff., 371 Venedig, Accademia di Belle Arti  174 Venedig, Biennale  111, 130, 163, 171, 175 Venedig, Instituto Universitaria di Architettura 352 Vich, Kathedrale  231 Villejuif, Val de Marne  25 Walterbury, Connecticut  143 Washington D.C.  43, 260, 281, 374 Washington D.C. Smithsonian Institution, Archives of American Art  9, 17, 404 Weimar, Bauhaus  72, 93 Wellington, Dominion Museum  125 White Plains, Connecticut  251, 253

Querceta 134

Yale University, New Haven/Connecticut  263

Rabat  101, 359 Riga 230 Rio de Janeiro  80 Rom  134, 154, 167, 174, 183, 238 Rom, EUR  174 Rom, Sixtinische Kapelle  127, 246

Zürich 11 Zürich, ETH (Eidgenössische Technische Hochschule)  354 Zürich, gta-Archiv  9, 17, 368, 404 Zürich, Talstraße  124 

Bildnachweis

Amsterdam, © The Karel Appel Foundation, Foto: UNESCO: Taf. XVI; Berlin: Bauhaus-Archiv (GN 1, UNESCO Inauguration 1958, Mappe 101): Abb. 10, 11; Bern, Confédération Suisse, Administration fédérale des Finances (Hg.): Palais Wilson 1993–1998. Les Etudes et les Travaux, Bern 1998, S. 10 für Abb. 35; Bonn © Successió Miró 2015 / VG Bild-Kunst, Bonn 2015, Foto: UNESCO / Michel Claude: Taf. V, Taf. VI; Bonn, © Successió Picasso / VG-Bild-Kunst, Bonn 2015: Taf. XI, Taf. XII, Taf. XIII; Bonn, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015: Abb. 30, Taf. XIV, Taf. XV, Taf. XVII, Taf XXII, Taf. XXIII; Bonn, © VG-Bild-Kunst, Bonn 2015, Foto: UNESCO: Taf. VIII; Genf, United Nations Library at Geneva, Revue l’Illustration numéro spécial sur le Palais des Nations, Foto: BLB/Ehlig: Abb. 33, 49, 51, 52, 53, Taf. XVIII, Taf. XIX, Taf. XX; Genf, © United Nations Library at Geneva, Foto: BLB / Ehlig: Abb. 38–48; Genf, © United Nations Library at Geneva, Foto: Katrin Schwarz: Abb. 36, 37, 50, 65–68; Genf, © United Nations Library at Geneva: Abb. 54–64; Hertfordshire, © Reproduced by permission of the Henry Moore Foundation, Foto: UNESCO/Patrick Lagès: Taf. IV; New York, © Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: UNESCO/Michel Claude: Taf. VII; New York, © Ezra Stoller/ESTO: Abb. 34, 83, 84, 87; New York, © The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum: Abb. 31, 32, Taf. IX, Taf. X; New York, © UN-Photo: Abb. 71, 80–82, 85, 86, Taf. XXI; New York, United Nations Archives (S-0186-United Nations interim and permanent site Headquarters records): Abb.  69, 70; New York, United Nations Archives, New York (The Serge Wolff Collection), Foto: Katrin Schwarz: Abb. 72–79; Paris, © Archiv Lucien Hervé: Abb. 2, 3, 4, 6, 7, 19; Paris, ­© ­U NESCO: Abb. 1, 20 ; Paris, © UNESCO/Foto: P. Guignard: Taf. I; Paris, © UNESCO/Foto: Claude Ferrand für Taf. II; Paris, © ­U NESCO/Foto: Michel Ravassard: Taf. III; Paris, UNESCO-Archiv, Foto: Katrin Schwarz: Abb. 12–18, 24–26; Paris, UNESCO (Hg.): Preliminary Project, Paris 1953, Foto: BLB/ Ehlig: Abb. 5, 8, 9, 27, 28, 29; Paris, UNESCO (Hg.): Preliminary Project, 15. Sept. 1952, Foto: BLB/ Ehlig: Abb. 21, 22; Zürich, © gta Archiv/ETH Zürich für Abb. 88

Tafelteil

Tafelteil

Taf. I  Paris, Vogelperspektive auf das UNESCO-Ensemble von Süden

Taf. II  Paris, UNESCO-Konferenzgebäude, Plenarsaal der Generalversammlung

Tafelteil     | 407

408 |     Tafelteil

Taf. III  Paris, UNESCO-Exekutivratsgebäude mit japanischem Garten

Taf. IV  Henry Moore, Große Liegende, 1957–1958, weißer Travertin, 4,11 × 5,08 m, UNESCO, Paris

Tafelteil     | 409

Taf. V  Joan Miró, Mauer der Sonne, 1957–1958, Keramik, 3 × 15 m, UNESCO, Paris

Taf. VI  Joan Miró, Mauer des Mondes, 1957–1958, Keramik, 3 × 7 m, UNESCO, Paris

410 |     Tafelteil

Taf. VII  Alexander Calder, Spirale, 1958, UNESCO, Paris, © Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York

Taf. VIII  Jean Arp, Konstellation, 1957–1958, UNESCO, Paris

Tafelteil     | 411

Taf. IX  Isamu Noguchi, Modell des japanischen Gartens, 1957, UNESCO, Paris

Taf. X  Blick in den Japanischen Garten

412 |     Tafelteil

Taf. XI  Pablo Picasso, Sturz des Ikarus, 1958, Öl auf Holz, 8 × 10 m, UNESCO, Paris

Tafelteil     | 413

Taf. XII  Pablo Picasso, Atelierszene, 6. 12. 1957, Gouache aus dem Skizzenbuch für das UNESCO-Wandbild

Taf. XIII  Pablo Picasso, Atelierszene, 8. 1. 1958, Wachskreide und Tusche auf Papier, aus dem Skizzenbuch für das UNESCO-Wandbild

414 |     Tafelteil

Taf. XIV  Rufino Tamayo, Prometheus, 1958, Acryl auf Leinwand, 5 × 4 m, Wandbild im großen Konferenzsaal

Taf. XV  Roberto Matta, Zweifel der drei Welten, 1958, Öl auf Leinwand (Marouflagetechnik), 2,45 × 5,5 m, Wandbild in der Caféteria des UNESCO-Sekretariats

Tafelteil     | 415

Taf. XVI  Karel Appel, Rencontre au Printemps, 1958, Öl auf Leinwand, 2,8 x 4,2 m, Wandbild im Restaurant des UNESCO-Sekretariats

Taf. XVII  Afro Basaldella, Il Giardino della speranza, 1958, 2,8 x 6 m, Öl auf Leinwand, Wandbild im UNESCO-Sekretariat

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Taf. XVIII Genf, Völkerbundpalast, Französischer Salon, konzipiert von Jules Leleu

Taf. XIX Genf, Völkerbundpalast, Büro des Generalsekretärs, konzipiert von Julius Maria Luthmann

Taf. XX Genf, Völkerbundpalast, Ungarisches Vorzimmer, konzipiert von Innenarchitekt Frerenc Szablya-Frischauf

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Taf. XXI  New York, UN-Gebäude, Konferenzsaal der Generalversammlung, konzipiert vom internationalen Board of Design, 1947. Aufnahme von 2010

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Taf. XXII  Fernand Léger, Wandbild im Konferenzsaal der UN-Generalversammlung (linke Seite), 1950

Taf. XXIII  Fernand Léger, Wandbild im Konferenzsaal der UN-Generalversammlung (rechte Seite), 1950