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German Pages 272 Year 2017
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1339
Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung im Lichte der Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks Von
Jonas Kühne
Duncker & Humblot · Berlin
JONAS KÜHNE
Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung im Lichte der Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1339
Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung im Lichte der Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
Von
Jonas Kühne
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald hat diese Arbeit im Jahr 2015 als Dissertation angenommen.
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Vorwort Eine Arbeit, deren Titel einen weiten Weg aus den Sphären der Philosophie bis in die Randbereiche des Baurechts ankündigt und die dabei mit Ökonomie, Geographie und Politikwissenschaft eine Reihe weiterer akademischer Felder durchschreitet, wird viele Leser irritieren. Zumal für eine Dissertation, mit der ein Prüfling zunächst eine sorgfältige Beherrschung der Grundmethodik seiner eigenen akademischen Disziplin beweisen soll, mag solch ein Ansatz fast abenteuerlich erscheinen. Doch werden viele zustimmen, dass einer Philosophie die Substanz fehlt, wenn sich aus ihr keine Folgerungen für konkrete Einzelfälle ergeben. Viel zu oft sieht sich das „Philosophieren“ dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, belanglose Begriffsspielereien in einer Parallelwelt der Abstraktion zu betreiben, von der aus sich keine Brücke zu den konkreten Sachfragen der Lebenswirklichkeit bauen lässt. Nachdem ich mich fünf Jahre meines Studiums fast ausschließlich mit Rechtsdogmatik befasst hatte und vorhersah, den übernächsten, längeren Teil meines Lebens mit der Rechtsanwendung zu verbringen, wollte ich in meiner Dissertation die letzte Chance nutzen, mich intensiv einer besonderen persönlichen Leidenschaft zu widmen: der Staatsphilosophie. Ich hatte mir vorgenommen, dem Vorurteil entgegenzutreten, dass Philosophie nicht mehr als ein folgenloses Spiel mit abstrakten Begriffen ist. Ich wollte dazu ein mir sympathisches staatsphilosophisches System der Prüfung unterziehen, ob es zur Beantwortung praktischer Sachfragen tatsächlich taugt. Und ich war der Auffassung, dass meine Verbindung von Staatsphilosophie und Rechtsdogmatik vor allem auf dem Gebiet der Ökonomie erfolgen muss. Mein größter Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Joachim Lege, der mir breite Freiräume für diese Ideen einräumte und mich gleichzeitig stets mit Diskussionen, Ratschlägen und wohltuender Kritik begleitete. Dass es mir gelang, meinen eigensinnigen und rückblickend etwas mutigen Ansatz in einer schlüssigen Arbeit zu Ende zu führen, wurde durch seine Freude an intellektuellen Experimenten wesentlich ermöglicht. Herr Prof. Dr. Joachim Lege war gegenüber neuen Ideen stets aufgeschlossen, bremste mich aber rechtzeitig, wenn ich mich ins Haltlose verrannte. Dass eine Reihe von Kapitelentwürfen ihren Weg nicht in die Druckfassung, sondern stattdessen vollkommen gerechtfertigt in den Papierkorb gefunden haben, ist maßgeblich auch sein Verdienst. Weiter gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Stefan Habermeier, der sich als Zweitgutachter intensiv mit dieser Arbeit auseinandersetzte. Er spornte mich an, auch jene Thesen meiner Arbeit, die mir bis dahin zu provokant und querdenkerisch
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Vorwort
erschienen, mit aller Konsequenz zu vertreten und gab mir so einen wichtigen Impuls. Danken muss ich zudem meinem Vater Christfried Kühne, der sich wie sonst kein Außenstehender viel Zeit nahm, meine Ideen zu diskutieren und ihre Niederschrift zu korrigieren. Mein besonderer Dank gilt schließlich meinem Glück, Marchina Gesa Singraven, nicht nur dafür, dass sie geduldig das Auf und Ab meines Promotionsstudentenlebens ertrug. Die volkswirtschaftlichen Kapitel dieser Arbeit hätten ohne ihren ökonomischen Sachverstand und ihre gnadenlose Kritik nicht auf diesem Niveau durch mich verwirklicht werden können. Köln, 10. September 2016
Jonas Kühne
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 A. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 B. Friedrich August von Hayek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 C. Ökonomische Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 D. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Kapitel 1
Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
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A. Schutzrichtung bauplanungsrechtlicher Einzelhandelssteuerung: Zentrale Versorgungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I.
Funktion und Begriff des Nahversorgungszentrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
II. Funktion des Innenstadtzentrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Nebenzentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Die mittelständische Struktur der Wirtschaft als Schutzgut (§ 1 Abs. 6 Nr. 8a BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I.
Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Innenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Die Schlüsselvorschrift: § 34 Abs. 3 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Durch § 34 Abs. 3 BauGB geschützte zentrale Versorgungsbereiche . . . . 33 b) Der Begriff der schädlichen Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 c) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Rückgriff auf § 11 Abs. 3 BauNVO im faktischen Baugebiet . . . . . . . . . . . . 36
II. Planungsinstrumentarien der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Qualifizierter Bebauungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Grundsatz: Ausschluss großflächigen Einzelhandels außerhalb von Kerngebieten nach § 11 Abs. 3 BauNVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Grobdifferenzierung nach Gebietstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Feindifferenzierung innerhalb von Gebietstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
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Inhaltsverzeichnis 2. Einfacher Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2a BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Bestandsschutz, Veränderungssperre und Rückstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Weitere Einflussmöglichkeiten der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Gesetzliche Planungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Gebot gerechter Abwägung und städtebauliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . 48 2. Raumordnungsrecht und Zentrale-Orte-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Das Zentrale-Orte-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Regelungstechnische Probleme bei raumordnerischer Einzelhandelssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3. Interkommunales Abstimmungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 a) Überprüfung von planungsrechtlichen Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Überprüfung raumordnungsrechtlicher Funktionszuweisungen . . . . . . . 55 IV. Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
C. Die Praxis gemeindlicher Einzelhandelssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Kapitel 2
Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
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A. Überblick über Hayeks Staatsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 I.
Die zwei Ordnungstypen: Kosmos und Taxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
II. Die Evolution spontaner Ordnungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 III. Der Marktmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 IV. Das Recht der spontanen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Recht und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Die abstrakte Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Befehl und Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Kollision von Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 c) Materielle Unterscheidung von abstrakt und konkret . . . . . . . . . . . . . . . . 70 d) Die Gerechtigkeit abstrakter Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Der Universalisierbarkeitstest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Gesetze als Ergebnis eines Evolutionsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5. Die Grenzen der Nomokratie: Schutz öffentlicher Güter . . . . . . . . . . . . . . . . 76 V. Staatliche Interventionen, die einer spontanen Ordnung fremd sind; Hayeks Gegnerschaft zur „Mischordnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 VI. Hayeks Auffassung zur Stadtplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 VII. Hayeks Kernproblem: Das Verhältnis von teleokratischen und nomokratischen Ordnungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
Inhaltsverzeichnis
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B. Interpretation: Das Mischordnungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I.
Planwirtschaftliche Regulierung mit positiver Zielrichtung (Teleokratie) . . . . . 84
II. Marktwirtschaftliche Regulierung mit negativer Zielrichtung (Nomokratie) . . . 86 III. Parallelexistenz beider Ordnungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Mischordnung (Planung von Wettbewerbskausalitäten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Charakter der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Probleme der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Ineffizienz der teleokratischen Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Die mittelfristige Notwendigkeit, Mischordnungsregeln nachzukorrigieren und die Teleokratie auszudehnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 aa) Mischordnungsregeln können ihr Wettbewerbsergebnis nicht auf Dauer garantieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 bb) Das Mischordnungstrilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (1) Die erste Option: Die Mischordnungsregeln gelten fort . . . . . . . 94 (2) Die zweite Option: Rückkehr zur Nomokratie . . . . . . . . . . . . . . 95 (3) Die dritte Option: Nachkorrektur der Mischordnungsregeln . . . . 96 (4) Nachkorrekturen können nicht durch Rechtsauslegung vorge nommen werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Zusammenfassung: Die sich ausdehnende Mischordnungsineffizienz . . . 100 3. Versuchung zur Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 V. Fazit: Die Parallelordnung ist der Mischordnung überlegen . . . . . . . . . . . . . . . . 102
Kapitel 3
Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
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A. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I.
Positives Planergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Erhaltung der Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Verringerung der Verkehrsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Erhaltung gewachsener Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
II. Mutmaßliches Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Auswirkungen auf die Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Auswirkungen auf die Verkehrsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Auswirkungen auf die gewachsenen Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Geplante Wettbewerbskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
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Inhaltsverzeichnis 1. Erhaltung der Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Reduktion von PKW-Emissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 3. Erhaltung gewachsener Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus dem Nahversorgerschutz . . . . . . . . 116 2. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus dem Schutz gewachsener Zentren . 117 V. Nachkorrekturbedarf im Regelsystem der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Nachkorrektur oder Untergang der verbrauchernahen Nahversorger . . . . . . 119 a) Erstes Szenario: Zunahme des PKW-Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Zweites Szenario: Abnahme der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft im Quartier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 c) Drittes Szenario: Planungsrechtlich nicht beeinflussbare Managemententscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 d) Methoden der Nachkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Nachkorrektur oder Untergang der gewachsenen Zentren . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Erstes Szenario: Zunahme des PKW-Besitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Zweites Szenario: Verlust der kulturell-ästhetischen Qualität der gewachsenen Zentren im Binnenwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 c) Drittes Szenario: Abnahme der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft . . . . . 124 d) Viertes Szenario: Nachbargemeinde lässt größere Einkaufsparks zu . . . . 125 aa) Das Problem zwischengemeindlichen Regulierungswettbewerbs . . . 126 bb) Nachkorrektur durch das Gebot interkommunaler Abstimmung . . . . 127 VI. Zusammenfassung: Die Wirkung einzelhandelssteuernder Bauleitpläne . . . . . . 128
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I.
Steuerungswirkung des § 34 Abs. 3 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Positives Planergebnis und das Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs . . 130 2. Geplante Wettbewerbskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . 131 4. Nachkorrekturbedarf im System der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Minimalgewinngarantie durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Verkaufsflächenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 c) Zehn-Prozent-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Erstes Szenario: unterversorgter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) Zweites Szenario: gesättigter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (3) Drittes Szenario: Marktentwicklungen, die nicht nach § 34 Abs. 3 BauGB genehmigungsbedürftig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
Inhaltsverzeichnis
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(4) Zusammenfassung: Auswirkungen einer Zehn-Prozent-Regel auf die quartiereigene Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Gewachsene Zentren und Zentrenästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (1) Erstes Szenario: Fließende Aushöhlung des Zentrenumsatzes . . 137 (2) Zweites Szenario: Einheitlich geplanter zentraler Versorgungsbereich sperrt gewachsene Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (3) Drittes Szenario: Verlust der kulturell-ästhetischen Qualität der gewachsenen Zentren im Binnenwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . 138 (4) Viertes Szenario: Marktentwicklungen, die nicht nach § 34 Abs. 3 BauGB genehmigungsbedürftig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (5) Zusammenfassung: Auswirkungen einer Zehn-Prozent-Regel auf die gewachsenen Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 cc) Ergebnis: Steuerungswirkung der Zehn-Prozent-Regel . . . . . . . . . . . 139 d) Lösung des Problems durch materielle Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Zusammenfassung: Steuerungswirkung von § 34 Abs. 3 BauGB . . . . . . . . . 141 II. Steuerungswirkung des § 11 Abs. 3 BauNVO i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB . . . . . 141 1. Positives Planergebnis und das Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs . . 142 2. Geplante Wettbewerbskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . 143 4. Nachkorrekturbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Strikte Anwendung der 800-m²-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Erstes Szenario: Unterversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Zweites Szenario: Gewachsenes Einzelhandelsgebiet . . . . . . . . . . . . 145 cc) Drittes Szenario: Marktentwicklungen, die nicht genehmigungsbedürftig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Korrektur nach § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO durch Auslegung . . . . . . . . . . 146 5. Zusammenfassung: Die Steuerungswirkung von § 11 Abs. 3 BauNVO . . . . 149 III. Ergebnis: Einzelhandelssteuerungsvorschriften im unbeplanten Bereich sind teleokratisch unbefriedigend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I.
Positives Planergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Erhaltung der zentralörtlichen Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Das System zentraler Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Die Festlegung zentraler Orte in den Landesentwicklungsplänen . . . . . . 152 2. Verpflichtung der Gemeinden zum Schutz ihrer zentralen Versorgungsbereiche 153
II. Mutmaßliches Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Wirkung auf die zentralörtliche Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Wirkung auf die zentralen Versorgungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
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Inhaltsverzeichnis III. Geplante Wettbewerbskausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Erhaltung der zentralörtlichen Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Schutz der zentralen Versorgungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 IV. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Ungleichgewicht in der zentralörtlichen Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Keine Anpassung der zentralörtlichen Gliederung der Einzelhandels struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Keine Anpassung der Einzelhandelsstruktur im innergemeindlichen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Schutz zentraler Versorgungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 V. Nachkorrekturbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Erhaltung der zentralörtlichen Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Erstes Szenario: Schrumpfende Kaufkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Zweites Szenario: Verlagerung der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Drittes Szenario: Wandel der Verbrauchermobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 d) Viertes Szenario: Ausbreitung kleinflächigen Einzelhandels . . . . . . . . . . 160 e) Fünftes Szenario: Wirtschaftliches Versagen einer Gemeinde . . . . . . . . . 161 f) Auslegungsspielraum und Auslegungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Schutz zentraler Versorgungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 VI. Zusammenfassung: Die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts . . . . . . . 164
E. Ergebnis: Die einzelhandelssteuernde Mischordnung und ihr Problem . . . . . . . . . . . 165 I.
Das Verhältnis von Bauleitplanung und Planersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166
II. Landesrechtliche Vorgaben des Raumordnungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 III. Zusammenfassung und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
Kapitel 4
Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
169
A. Methodik, Terminologie und Effizienzmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I.
Spieltheoretische Prognose rationalen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
II. Wertungsmaßstab: Effizienzniveau gemessen an den Präferenzen des Regulierers 171 III. Abstraktes Wettbewerbsschema: Effizienzverluste durch Mischordnungsinterventionen im Modell der Substitutionskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Die Erfüllung von Verbraucherpräferenzen im nomokratischen Wettbewerb 176 a) Das Modell vollständiger Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Reale Abweichungen vom Modell vollständiger Konkurrenz . . . . . . . . . 177
Inhaltsverzeichnis
13
c) Modifikation des Modells: Substitutionskonkurrenz statt vollständige Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 d) Optimale Produktdifferenzierung durch Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . 180 e) Zusammenfassung: Die Wirkungen des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Die Beeinträchtigung des Verbrauchernutzens durch Mischordnungsinterventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Ineffizientes Differenzierungsergebnis: Zentral geplant, statt wettbewerblich gewachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Ineffiziente Differenzierungsmethode: Marktzutrittsbarrieren . . . . . . . . . 182 c) Zusammenfassung: Effizienzverluste durch Mischordnungsinterventionen 184 3. Die Instabilität der Mischordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Die Überlegenheit der Parallelordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 IV. Weiteres Vorgehen: Einordnung von Einzelhandelswettbewerb und Einzelhandelssteuerung in das abstrakte Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 B. Schutz der Nahversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I.
Entwicklung der Nahversorgung in der reinen Nomokratie . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Standortdifferenzierung in der Nomokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 a) Das unternehmerische Interesse an Standortdifferenzierung . . . . . . . . . . 189 b) Der Einfluss der Motorisierung: Standortpräferenzen verlieren an Gewicht 191 2. Das Verkaufsflächenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3. Das Nutzenniveau von mobilen und immobilen Verbrauchern . . . . . . . . . . . 193
II. Auswirkungen einzelhandelssteuernder Interventionen auf die Nutzenstruktur . 195 1. Planerische Zielsetzung: Lenkung der mobilen Verbraucher zu den quartiereigenen Nahversorgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Kosten bei Steuerungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Erhöhung der variablen Vertriebskosten und Monopolgewinne . . . . . . . . 196 b) Regulierungsaufwand als Kostenfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Kosten bei Steuerungsmisserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Wahrscheinlichkeit des Misserfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Zusätzliche Kosten für immobile Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4. Ergebnis: Ineffizienz und Kontraproduktivität der Mischordnung . . . . . . . . 200 III. Parallelordnungsvorschlag: Gemeindlicher Eigenbetrieb von Nahversorgern . . 200 C. Schutz der gewachsenen Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I.
Entwicklung gewachsener Zentren in der reinen Nomokratie . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Produktdifferenzierung beim Handel mit zentrenrelevanten Gütern . . . . . . . 202 a) Inhaltliche Differenzierung (Service/Preis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Standortdifferenzierung (Agglomeration/Isolation) . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
14
Inhaltsverzeichnis 2. Die Bewertung der Einkaufsästhetik durch den Markt (Ästhetik als öffentliches Gut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3. Die gewachsenen Zentren im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Der Wettbewerbsvorteil der Innenstadt: Agglomeration zahlreicher wirtschaftlicher Funktionen in zentraler, ästhetisch gestalteter Lage . . . . . . . 207 b) Wettbewerbsnachteile der Innenstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Zusammenfassung: Die Überlebensfähigkeit von Innenstädten und anderen gewachsenen Zentren im nomokratischen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Auswirkungen einzelhandelssteuernder Interventionen auf die Nutzenstruktur . 209 1. Zielsetzung der Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Kosten der Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 a) Generell: Unerfüllte Verbraucherpräferenzen und Monopolpreise . . . . . . 210 b) Außerhalb der gewachsenen Zentren: Verzerrung des Wettbewerbs der Angebotsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Innerhalb der Innenstädte: Überagglomeration und Funktionsverlust . . . 212 d) Unternehmenskonzentration und Oligopolstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Ergebnis: Die einzelhandelssteuernde Intervention konterkariert unter erheblichen Wohlstandsverlusten ihr eigentliches Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Parallelordnungsvorschlag: Wettbewerbliche Anreizmodifikation durch Subventionierung des Innenstadthandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
D. Schutz einer geplanten zentralörtlichen Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I.
Raumaufteilung in der reinen Nomokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Zwischengemeindliche Flächenaufteilung im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Die Zentrale-Orte-Theorie von Christaller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Zentrale-Orte-Theorie als affirmative Wettbewerbsprognose . . . . . . . . . . 218 b) Grenzen des Marktes: Verwaltungsprinzip und Verkehrsprinzip . . . . . . . 219 c) Schwächen der Zentrale-Orte-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Modellcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Ungenaue empirische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 cc) Der Wert der Zentrale-Orte-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Das Verhältnis nomokratischer Wettbewerbsergebnisse zu dem Idealergebnis im Sinne der Zentrale-Orte-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
II. Auswirkungen einzelhandelssteuernder Interventionen auf die Raumaufteilung 225 1. Monopolismus und Vereitelung einer Gleichgewichtsdifferenzierung . . . . . 225 2. Fehlanordnung zentraler Orte durch hoheitliche Fehlplanung . . . . . . . . . . . . 226 3. Benachteiligung kleiner Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4. Ergebnis: Regulierung an den Verbraucherinteressen vorbei . . . . . . . . . . . . 228 III. Die Zentrale-Orte-Theorie in der teleokratischen Parallelordnung . . . . . . . . . . . 231
Inhaltsverzeichnis
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E. Verhinderung von Verkehrsbelastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I.
Verkehrsbelastung in der reinen Nomokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
II. Parallelordnung: Internalisierung externer Effekte durch Treibstoffbesteuerung 234 III. Auswirkungen einer einzelhandelssteuernden Intervention auf den Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 F. Ergebnis: Die Ineffizienz der einzelhandelssteuernden Mischordnung . . . . . . . . . . . 236
Schlussbetrachtung 238 A. Zusammenfassung des Argumentationsgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I.
Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
II. Auf Hayek gestützte Mischordnungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 III. Mischordnungstheorie und Einzelhandelssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 IV. Ökonomische Ineffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 V. Eine irrationale Regulierungspraxis setzt sich beharrlich fort . . . . . . . . . . . . . . . 242 B. Ausblick: Einzelhandelssteuerung als Folge eines Demokratieversagens? . . . . . . . . . 242 I.
Demokratietheorie und Demokratiekritik Hayeks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Ausweitungstendenzen der Mischordnung werden durch den demokratischen Prozess verstärkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Der Zerfall der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
II. Einzelhandelssteuerung als Ausfluss einer „Schacher-Demokratie“? . . . . . . . . . 246 1. Interessenkonstellation: Wettbewerbsaversion etablierter Einzelhändler . . . . 246 2. Lobbyismus der Einzelhandelsverbände auf Staatsebene . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Lobbyismus des mittelständischen Einzelhandels gegen Großprojekte auf kommunaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 C. Fazit: Eine verbraucherschädliche Regulierungspraxis wird fortbestehen . . . . . . . . . 250
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Einleitung „Der Monopolpreis ist jederzeit der höchste, der zu erreichen ist. Der natürliche Preis hingegen oder der Preis der freien Konkurrenz ist der niedrigste, der sich zwar nicht jedes Mal, aber doch lange Zeit hindurch erzielen lässt. Jener ist jedes Mal der höchste, der von den Käufern erpresst werden kann oder von dem sich annehmen lässt, dass sie ihn bewilligen werden; dieser dagegen ist der niedrigste, den die Verkäufer im allgemeinen gerade noch nehmen müssen, wenn sie ihre Geschäfte nicht einstellen sollen.“1 Adam Smith
Vor über 200 Jahren veröffentlichte der schottische Philosoph Adam Smith sein Hauptwerk „The wealth of the nations“. Die Einsicht, dass Profitstreben und Wettbewerb an einem freien Markt den Wohlstand aller vermehren, gehört seitdem zum intellektuellen Gemeingut der westlichen Welt. Können Nachfrager zwischen verschiedenen unabhängigen Anbietern frei wählen, geraten letztere in ein Konkurrenzverhältnis und werden sich mit immer besseren Angeboten wechselseitig übertreffen. Dieser Marktmechanismus lenkt die gesellschaftlichen Wirtschaftskräfte wie eine „unsichtbare Hand“2, und seine Steuerungsleistung ist grundsätzlich jeder Bedarfsplanung durch eine zentrale Befehlsinstanz überlegen. Spätestens seit der Zusammenbruch der UdSSR das weltweite Versagen der Zentralverwaltungswirtschaft offenkundig machte, bezweifelt kaum noch jemand, dass eine Gesellschaft ihren Wohlstand nur erhalten kann, wenn sie eine Freiheitssphäre für marktwirtschaftlichen Wettbewerb offen hält. Damit ist die Debatte über das Verhältnis von Staat und Markt in der Wirtschaftspolitik noch bei weitem nicht abgeschlossen. Einigkeit besteht nur über das „ob“ marktwirtschaftlicher Organisation. Welches Ausmaß an Aufgaben dem Markt übertragen werden soll, ist dagegen in allen gesellschaftlichen Bereichen umstritten. Während die eine Seite auf die höhere Effizienz marktwirtschaftlicher Lenkung verweist, klagt die andere über Turbokapitalismus und den Verlust sozialer Gerechtigkeit. Auch in den Wirtschaftswissenschaften ist anerkannt, dass der Markt keinesfalls alle Ansprüche befriedigen kann. Mit dem Begriff des „Marktversagens“3 verbindet sich die Erkenntnis, dass der Marktprozess nur dann den gesellschaftlichen Wohlstand optimieren wird, wenn ihn staatliche Maßnahmen 1
Smith (1776/2004), S. 65. Smith (1776/2004), S. 458. 3 Zum Begriff des Marktversagens Klump (2011), S. 61 ff.; Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 443 und S. 834 ff.; Eichberger (2004), S. 195 ff.; Issing (1987); siehe zu den in der Volkswirtschaftslehre anerkannten Staatsaufgaben Welfens (2008), S. 483 ff.; Bofinger (2011), S. 195 ff. 2
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Einleitung
ergänzen. Ebenso wie sozialistische Vorstellungen von einer hypereffizient durchorganisierten Konsensgesellschaft gehören auch anarchokapitalistische Gesellschaftskonzepte4 in den Bereich der Utopie. Die Frage „Staat oder Markt?“ bleibt in der politischen Diskussion kontrovers. Auch diese Arbeit widmet sich dem Verhältnis von Marktwirtschaft und staatlicher Lenkung. Sie bewertet den Ansatz, Einzelhandelsbetriebe mit den Instrumentarien des Bauplanungsrechts zu steuern.
A. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung Auf den ersten Blick scheint es, als versinnbildliche sich das marktwirtschaftliche Prinzip in der Einzelhandelsbranche geradezu. Flanieren wir durch die Einkaufspassagen einer größeren Stadt, können wir durch die Schaufenster beobachten, wie der Konkurrenzkampf um unsere Gunst als Käufer tobt. Bei einem Blick in unseren Briefkasten finden wir Werbebroschüren mit den Lockangeboten der bekannten Supermarkt- und Discountketten. Geschäftsaufgaben, Neueröffnungen, Räumungsverkäufe und Aktionswochen runden das Bild von einem ungehemmten Konkurrenzkampf ab. Es wirkt, als kenne der Wettbewerb in der Einzelhandelsbranche keine Grenzen. Dieser Schein trügt. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben Bund, Länder und Gemeinden begonnen, den Wettbewerb im Einzelhandel umfang reichen Regulierungen zu unterwerfen. Der Umfang der maßgeblichen Rechtsvorschriften wächst kontinuierlich. Was zunächst erstaunt: Die Rechtsmaterie, mit welcher die Gemeinden den Wettbewerb im Einzelhandel zu lenken versuchen, ist das Baurecht, namentlich das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung. Ursprünglich war das Baurecht wettbewerbsneutral und hatte die Steuerung des Einzelhandels nicht zur Aufgabe. Doch aus gemeindlicher Sicht erwiesen sich Bauleitpläne als geeignetes Instrument, um Einkaufszentren zu verhindern, von denen eine Gefährdung des eigenen Innenstadthandels erwartet wurde. Der Bundesgesetzgeber unterstützte die gemeindlichen Bemühungen. Er begann, das Baurecht zu einem effektiven Instrument zur Wettbewerbssteuerung umzugestalten. Gleichzeitig legten die Bundesländer ihren Gemeinden raumordnungsrechtliche Pflichten zur bauleitplanerischen Steuerung des Einzelhandels auf. Die Einzelhandelssteuerung wurde von einem Fremdkörper zu einer Kernherausforderung des Bauplanungsrechts. Durch die Regulierung sollen die wettbewerblichen Aus wirkungen von Einzelhandelsbetrieben nach gemeindlichen Konzepten gelenkt werden. In den marktwirtschaftlichen Wettbewerb fließen dadurch zunehmend hoheitliche Planungen ein.
4
Siehe z. B. Rothbard (1973/1999); Hoppe (2012).
B. Friedrich August von Hayek
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Die Aufgabe dieser Arbeit wird es sein, die Sinnhaftigkeit einzelhandelssteuernder Regulierungen zu bewerten. Wie sich im Weiteren zeigen wird, geht es dabei nicht allein um die Frage „Staat oder Markt?“. Entscheidend ist vielmehr die Art und Weise, in der staatliche Regulierung und marktwirtschaftlicher Wettbewerb zusammenwirken.
B. Friedrich August von Hayek Mit der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt befasste sich auch der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek. Hayek entdeckte die Prinzipien des klassischen Liberalismus neu und bereitete sie zeitgemäß auf.5 Seine Schaffenstätigkeit wurde unter anderem mit dem Wirtschaftsnobelpreis, der Presidental Medal of Freedom und dem „Pour-le-Mérite“-Orden für Wissenschaft und Kunst geehrt. Er gilt neben Milton Friedman als Haupttheoretiker des Neoliberalismus, obgleich er sich selbst nie als neoliberal bezeichnete.6 Hayek wurde am 8. Mai 1899 in Wien geboren. Nachdem er 1917 sein Abitur erlangt hatte, kämpfte er ein knappes Jahr im 1. Weltkrieg. 1918 nahm er an der Universität Wien das Studium der Rechtswissenschaften auf. Dieses konnte er mit der Volkswirtschaftslehre kombinieren, welche damals nicht als eigenständiger Studiengang angeboten wurde. 1921 erlangte er die Doktorwürde in der Rechtswissenschaft, 1923 in der Volkswirtschaftslehre. Während seines Studiums arbeitete er beim Abrechnungsamt der österreichischen Handelskammer für den schon damals berühmten Ludwig von Mises. Einen wesentlichen intellektuellen Einfluss übten zudem Carl Menger und Friedrich von Wieser auf Hayek aus. Er arbeitete mit dem Lehrbuch des ersten, besuchte die Vorlesungen des zweiten und kam so mit den Lehren der Wiener Schule der Nationalökonomie7 in Kontakt. Nach dem Erfolg seiner Promotionen publizierte Hayek in Wien vor allem Beiträge zur Konjunktur- und Kapitaltheorie, einschließlich seiner später mit dem Nobelpreis geehrten Schrift „Preise und Produktion“, die 1931 veröffentlicht wurde. Im Jahr 1931 folgte er einem Ruf an die London School of Economics. Dort hatte er nicht nur persönlichen Kontakt mit seinem Gegenspieler John Maynard Keynes. Er veröffentlichte im Jahre 1944 „The Road to Serfdom“, eine politische Abhandlung über Zusammenhänge zwischen Faschismus und staatlicher Wirt 5
Zu den ideengeschichtlichen Einflüssen der hayekschen Philosophie, Rothlin (1992), S. 21 ff. 6 Boas (2009), S. 150. 7 Die Wiener Schule der Nationalökonomie wurde von Carl Menger (1840–1921) begründet. Der Ausgangspunkt ihrer ökonomischen Analyse ist die Lehre vom Grenznutzen. Zu ihren Besonderheiten gehören starke philosophische Bezüge, ein subjektivierter Wertbegriff, Skepsis gegenüber mathematischen Methoden und eine grundsätzliche Ablehnung hoheitlicher Eingriffen in das Marktgeschehen, siehe dazu Neck (2008), S. 11 ff.; Rothschild (1986), S. 17 ff.
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Einleitung
schaftslenkung. Als Bestseller erlangte die Schrift enormes Aufsehen. Hayeks wissenschaftliche Reputation litt allerdings. Dies gilt als Hauptgrund für seinen Wechsel an die Universität von Chicago im Jahre 1950. In Chicago veröffentlichte er 1960 mit „The Constitution of Liberty“ sein erstes staatstheoretisches Hauptwerk. In ihm wird ein ideales Zusammenspiel von Staatsordnung und Marktwirtschaft entworfen. 1962 wechselte er an die Universität Freiburg, an der er 1967 emeritiert wurde. Nachdem Hayek 1974 zusammen mit Gunnar Myrdal den Nobelpreis erhielt, geriet er in das Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Seine Ansichten prägten die Politik von Ronald Reagan in den USA, Margaret Thatcher in Großbritannien und Augusto Pinochet in Chilé. Mit seinem zweiten staatstheoretischen Hauptwerk „Recht, Gesetz und Freiheit“ lieferte Hayek 1979 eine umfassende Darstellung seiner Sozialphilosophie. Bis zu seinem Tod 1992 setzte er sein akademisches und publizistisches Engagement fort.8 Als bekennender Liberaler machte Hayek aus seiner marktwirtschaftsfreundlichen Haltung kein Geheimnis. Ihn als einen Anhänger minimalstaatlicher Konzepte darzustellen, wäre jedoch falsch.9 Weder lehnt Hayek eine ausgedehnte Staatstätigkeit ab, noch spricht er der Marktwirtschaft die Fähigkeit zu, jedwede soziale Aufgabe zu erfüllen. Vielmehr warnt er vor allem vor bestimmten staatlichen Einwirkungen auf den Markt, die nach seiner Auffassung mit dem marktwirtschaftlichen Prinzip schlechthin unvereinbar sind. Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit es sich bei den bauplanungsrechtlichen Regeln der Einzelhandelssteuerung um solche Einwirkungen handelt.
C. Ökonomische Analyse des Rechts Die Philosophie Hayeks hat zwei Schwachpunkte: Zum einen ist ihr Maßstab alles andere als eindeutig. Zum anderen kennzeichnet sie ein bewusster Dog matismus und eine damit einhergehende Kritikresistenz. Die vorliegende Arbeit wird sie daher durch die Anwendung der ökonomischen Analyse des Rechts ergänzen. Hinter der ökonomischen Analyse des Rechts verbirgt sich eine anerkannte sozialwissenschaftliche Methode, die mittels mikroökonomischer10 Methoden die Anreizwirkungen des Rechts untersucht, seine Folgen prognostiziert und seine Ef 8 Die biographischen Daten stammen von Kresge (1994); vgl. auch Leube (1992), S. 8 ff.; Rothlin (1992), S. 12 ff. 9 Reese-Schäfer (2006), S. 17. 10 Die Mikroökonomie ist neben der Makroökonomie eines der zwei großen Teilgebiete der Volkswirtschaftslehre. Im Gegensatz zur Makroökonomie befasst sie sich mit dem Verhalten von einzelnen Wirtschaftssubjekten und nicht bloß mit aggregierten Größen, vgl. z. B. Pindyck/ Rubinfeld (2013), S. 26 f.
C. Ökonomische Analyse des Rechts
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fizienz bewertet. Ausgehend von einem Bild des Menschen, der rational nach der Maximierung seines Nutzens strebt (des sogenannten homo oeconomicus), lassen sich durch spieltheoretische Deduktionen die Wirkungen des Rechts prognostizieren. Betrachtet man nämlich das Recht aus der Perspektive eines nutzenmaximierenden und rationalen Individuums, kann dessen Sozialverhalten unter verschiedenen rechtlichen Regelwerken durch logische Schlussfolgerungen abgeleitet und vorhergesehen werden. Dabei offenbart sich gleichzeitig der Einfluss des Rechts auf das Nutzenniveau der Rechtsunterworfenen und damit die Effizienz der Rechtsordnung. Auf diese Weise können die Nutzenwirkungen verschiedener Gesetzgebungsalternativen einander gegenüberstellt und wertend verglichen werden. Obwohl die Erkenntnisse solcher Deduktionen nur innerhalb eines verhaltenstheoretischen Modells zwingend sind, gelten sie als wirklichkeitsnah. Der Ansatz, Rechtswissenschaft mit mikroökonomischen Methoden zu verbinden, stammt aus den Vereinigten Staaten. Als Ausgangspunkt der Entwicklung gilt der Aufsatz „The Problem of Social Costs“11 von Ronald Coase aus dem Jahr 196012, in dem die Zuteilung juristischer Verfügungsrechte einer Effizienzanalyse unterzogen wurde. Unter dem Oberbegriff „Law and Economics“ wurde die Disziplin durch Richard A. Posner in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts an der University of Chicago etabliert.13 Mittlerweile breitet sich die Mikroökonomik auch in Deutschland als rechtswissenschaftliche Analysemethode aus.14 Anfängliche Bedenken gegen einen methodischen „Imperialismus der Wirtschaftswissenschaft“15 haben sich weitgehend zerstreut. Hayek selbst ist ebenfalls entschiedener Befürworter mikroökonomischer Methoden.16 Besonders der Grenznutzenlehre weist er eine grundsätzliche erkenntnistheoretische Bedeutung zu. Seine Argumentationslinie lässt sich folglich ohne größere Brüche in die gängige mikroökonomische Terminologie einordnen. Dies vervollständigt den Bewertungsmaßstab dieser Arbeit und ermöglicht es, die bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung einer Effizienzanalyse zu unterziehen.
11
Coase (1960). Zur Bedeutung des Aufsatzes siehe Marciano (2011). 13 Grundlegend Posner (1973/2007); ders. (1981). 14 Kirstein (1997). 15 Das bekannte polemische Schlagwort „Economic Imperialism“ ist der Titel einer Aufsatzsammlung, siehe Radnitzky/Bernholz (1987). 16 Hayeks akademische Betätigung ist zu weiten Teilen ein Kampf gegen die konkurrierende Methodik der Makroökonomie. Hayek wirft der Makroökonomie vor, durch den Gebrauch formaler Mathematik auf Grundlage unvollständiger Annahmen vorwiegend wirklichkeitsferne Illusionen zu erzeugen, um ökonomische Laien in der Politik zu beeindrucken, siehe etwa Hayek (1988), S. 102 ff. 12
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Einleitung
D. Methodisches Vorgehen Die Arbeit umfasst vier Kapitel, in denen die bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung, die Rechtsphilosophie Hayeks und die Mikroökonomik schrittweise zusammengeführt werden. Im ersten Kapitel werden die verschiedenen Rechtsvorschriften der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung dargestellt. Die Darstellung erfolgt als rechtswissenschaftliche Abhandlung und beleuchtet die bedeutenden Auslegungsfragen und Auslegungsprobleme, welche die maßgeblichen Normen bereiten. Im Bereich der Einzelhandelssteuerung kommt es zu einem Zusammenspiel von Bundesrecht, Landesrecht und kommunalen Satzungen. Das Verständnis dieser Systematik ist unerlässlich, um die sich daraus ergebenden ökonomischen Herausforderungen nachvollziehen zu können. Das zweite Kapitel widmet sich der Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks. Zunächst gibt es einen Überblick über Hayeks Vorstellungen davon, wie eine Rechtsordnung gestaltet werden soll, damit sie die Marktkräfte optimal wirken lässt. Daran anschließend entwickelt diese Arbeit den Begriff einer so bezeichneten „Mischordnung“, mit dem staatliche Einwirkungen auf den Marktprozess beschrieben werden, die nach Hayeks Vorstellung zu Komplikationen führen müssen. Im dritten Kapitel werden Hayeks Philosophie und die Regelungsmaterie der Einzelhandelssteuerung zusammengeführt. Dies geschieht, indem die Regeln der Einzelhandelssteuerung unter den zuvor entwickelten Mischordnungsbegriff subsumiert werden. Es zeigt sich nach dieser Subsumtion, dass das Regelungsanliegen der Einzelhandelssteuerung den Wertmaßstäben Hayeks widerspricht. Treffen Hayeks Annahmen zu, müssten die Regeln der Einzelhandelssteuerung die Effizienz des marktwirtschaftlichen Prozesses erheblich beeinträchtigen. Diese Annahme wird das vierte Kapitel bestätigen. In ihm wird eine mikroökonomische Effizienzanalyse der verschiedenen Regelungsanliegen der Einzelhandelssteuerung vorgenommen. Mit ihr wird das Nutzenniveau unter verschiedenen denkbaren Regelordnungen verglichen. Es zeigt sich, dass die Methoden der Einzelhandelssteuerung Effizienzverluste nach sich ziehen, die durch eine andere Gestaltung der Rechtsordnung vermeidbar wären.
Kapitel 1
Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung Unter dem Begriff der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung behandelt diese Arbeit bauplanungsrechtliche Maßnahmen, welche auf kommunaler Ebene zielgerichtet in den Wettbewerb der Einzelhandelsbetriebe eingreifen, um Einzelhandelsstandorte vor Konkurrenz zu schützen. Unter Einzelhandel ist der Verkauf von Waren an den Endverbraucher zu verstehen. Einzelhandel unterscheidet sich einerseits von gewerblichen Dienstleistungen, die keine Waren betreffen, zum anderen vom Großhandel, der gewerbliche Abnehmer versorgt.17 Den bauplanungsrechtlichen Regelungen unterliegt Einzelhandel nur dann, wenn er über eine Verkaufsstätte örtlich gebunden ist. Versandhandel wird durch die Steuerungsmechanismen von vorneherein nicht erfasst.18 Allgemein gesprochen werden Einzelhandelsvorhaben mit den Instrumentarien der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung deshalb verboten, weil sie unerwünschten Konkurrenzdruck auf bestehende Einzelhandelsstrukturen entfalten würden. Einzelhandelssteuernde Bauleitpläne und Planersatzregeln bewirken die materielle Illegalität19 der unerwünschten Einzelhandelsbetriebe. Dies berechtigt die Bauaufsichtsbehörde in einem zweiten Schritt, ihnen die Baugenehmigung zu verweigern oder ihre Nutzung zu untersagen. Die zu diesem Zwecke geschaffenen rechtlichen Instrumentarien sind eine bauplanungsrechtliche Besonderheit: Herkömmlich dienen Bebauungspläne nur dem Schutz des Gebietes, welches das bauliche Vorhaben unmittelbar umgibt. Der unmittelbare Nahbereich eines Vorhabens soll vor störenden Emissionen geschützt werden, auf Fernwirkungen hingegen kommt es nicht an. Zwar befassen sich auch herkömmliche Regelungen mit dem Einzelhandel und verweigern ihm zum Teil wegen dessen Einzelhandelsfunktion die Zulässigkeit. So sind etwa in allgemeinen Wohngebieten nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO nur Läden zulässig, die der Versorgung des Gebietes dienen. Vermieden werden sollen hierbei indes nur die Lärmemissionen von Kunden aus Nachbargebieten, die typischerweise mit dem PKW den Laden erreichen.20 Auf die Steuerung von Wettbewerb zielt die Regelung nicht. 17 BVerwG, Beschluss vom 02.07.1991 – 4 B 1/91 –; Kuschnerus (2007), Rn. 1 ff.; Jeromin (2006), S. 620; Schoen (2010), S. 2036; Michallik (2010), S. 39 f. 18 Battis (2015), S. 1424; Kuschnerus (2007), Rn. 10 ff.; Jeromin (2006), S. 620; zur Abholstation für online bestellte Lebensmittel Haaß (2015), S. 1064 ff. 19 Zum Begriff der materiellen Illegalität Battis (2006), S. 224 ff.; Peine (2003), Rn. 1122 ff. 20 Maidowski (2008), S. 170.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Demgegenüber behandeln die Regelungen der Einzelhandelssteuerung nicht die schädlichen Auswirkungen eines Vorhabens auf sein eigenes Gebiet, sondern auf Nachbargebiete. Namentlich geht es um Kaufkraft, die ein neues Einzelhandelsvorhaben anzieht und die dem Einzelhandel aus Nachbargebieten verloren geht. Die so entfaltete schädliche Auswirkung auf die Wirtschaftsstrukturen des Nachbargebietes kann dabei zur Unzulässigkeit des Vorhabens führen. Diese wirtschaftlichen Fernwirkungen können sich nicht bloß über das gesamte Gemeindegebiet erstrecken. Wegen der Mobilität der Verbraucher sind selbst die Auswirkungen auf Nachbargemeinden planungsrechtlich relevant. Damit löst sich die Einzelhandelssteuerung von einer isolierten Betrachtung von Baugebieten. Stattdessen wird der Einzelhandel im Lichte seiner wirtschaftlichen Auswirkungen auf und seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von Anbietern und Nachfragern im gesamten Gemeindegebiet und darüber hinaus betrachtet. Der Anspruch, den Einzelhandel mit bauplanungsrechtlichen Instrumentarien gezielt zu steuern, ist Ende der 60er-Jahre aufgekommen. Durch die Einführung von § 11 Abs. 3 BauNVO21 wurde die Zulässigkeit von Einkaufszentren und Verbrauchermärkten erstmals auf Kerngebiete und Sondergebiete beschränkt. Dadurch wurde die Zulässigkeit großflächiger Vorhaben weitgehend von den Sondergebietsausweisungen der Gemeinden abhängig gemacht. Seither hat der Gesetzgeber die rechtlichen Instrumentarien zur Steuerung des Einzelhandels fortlaufend ausgeweitet. Wirtschaftliche Fernwirkungen wurden immer strenger begrenzend reglementiert. Während die Gemeinden lange Zeit nur auf Großprojekte reagierten und eher anlassbezogen handelten, änderte sich dies mit der Jahrtausendwende: Bundesweit setzte der Trend ein, die gemeindliche Einzelhandelsstruktur durch Marktforschungsunternehmen gutachterlich erfassen zu lassen und nach umfassenden Einzelhandelskonzepten zielgerichtet zu steuern.22 Die rechtlichen Instrumentarien der Einzelhandelssteuerung, ihre Anwendungsfelder und ihre Zielrichtung werden im Folgen dargestellt.
A. Schutzrichtung bauplanungsrechtlicher Einzelhandelssteuerung: Zentrale Versorgungsbereiche Aus Sicht der politischen Akteure würde ungezügelter Wettbewerb des Einzel handels zu unerwünschten Marktergebnissen führen. Es gebe nämlich wirtschaftli che Strukturen, deren Schädigung oder Verdrängung im Wettbewerb durch planungsrechtliches Eingreifen verhindert werden müsse. Diese Strukturen bezeichnet 21 Die erste Fassung trat am 01.01.1969 in Kraft und hatte den Wortlaut: „Einkaufszentren und Verbrauchermärkte, die außerhalb von Kerngebieten errichtet werden sollen und die nach Lage, Umfang und Zweckbestimmung vorwiegend der übergemeindlichen Versorgung dienen sollen, sind als Sondergebiete darzustellen und festzusetzen“. 22 2004 verfügten bereits drei Viertel der deutschen Oberzentren über ein Einzelhandelskonzept, Ende der 1990er spielten sie dagegen noch kaum eine Rolle, siehe Junker/Kühn (2006), S. 85.
A. Zentrale Versorgungsbereiche
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das Gesetz als zentrale Versorgungsbereiche. Ihr Erhalt ist hauptsächlicher Schutzzweck der Einzelhandelssteuerung. Zentrale Versorgungsbereiche sind „räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt“.23 Diese zentralen Versorgungsbereiche können ein höchst unterschiedliches Gewicht erreichen. Neben Innenstadtzentren und Nebenzentren, die besonders umfangreiche Einzelhandelsnutzungen aufweisen, werden nach herrschender Meinung24 in Übereinstimmung mit dem Willen des Gesetzgebers25 auch Grund- und Nahversorgungszentren als zentrale Versorgungsbereiche geschützt. Die wirtschaftliche Funktion von Innenstadtzentren und Nahversorgungszentren unterscheidet sich erheblich und damit einhergehend auch das politische Schutzinteresse. Ihre Bedeutung im Rahmen der Einzelhandelssteuerung soll daher getrennt dargestellt werden. Nebenzentren nehmen eine Zwischenfunktion wahr.
I. Funktion und Begriff des Nahversorgungszentrums Innenstadtzentren treten nur in größeren Städten und dort in der Regel nur einmalig auf. Demgegenüber sind Nahversorgungszentren in größerer Zahl über große Städte verstreut und auch in kleineren Gemeinden vorhanden. Damit die Einzelhandelsnutzung in einer räumlichen Lage das Gewicht eines geschützten Nahversorgungszentrums erreicht, genügt es typischerweise, dass sich um einen Vollsortimenter26 oder Lebensmitteldiscounter27 eine erhebliche Gruppe ergänzender 23 Höchstrichterlich BVerwG, Urteil vom 11.10.2007 – 4 C 7/07 –; in Übereinstimmung mit der Vorinstanz OVG NRW, Urteil vom 11.12.2006 – 7 A 964/05. 24 So in der Rechtsprechung anerkannt, höchstrichterlich BVerwG, Urteil vom 07.12.2009 – 4 C 2/08; siehe auch OVG NRW – 10 A 2350/07 –; kritisch Claus (2010), S. 753; ablehnend Gatawis (2006), S. 274. 25 BT-Drucks. 16/2496, S. 11: „Der Begriff ‚Zentraler Versorgungsbereich‘ umfasst Versorgungsbereiche unterschiedlicher Stufen, also insbesondere Innenstadtzentren vor allem in Städten mit größerem Einzugsbereich, Nebenzentren in Stadtteilen sowie Grund- und Nahversorgungszentren in Stadt- und Ortsteilen und nichtstädtischen Gemeinden“. 26 Der Begriff des Vollsortimenters wird als Bezeichnung für moderne Supermärkte verwendet, die im Lebensmittelbereich die vollständige Sortimentsbreite und -tiefe anbieten, insbesondere neben günstigen Eigenmarken auch Markenartikel aus dem höheren Preissegment. Die wichtigsten Vertreter sind Edeka und Rewe, vgl. Nessel (2012), S. 69 f. Die Verkaufsfläche eines modernen Supermarktes beträgt gegenwärtig etwa 1500 m², KPMG (2012), S. 43. 27 Lebensmitteldiscounter sind Selbstbedienungsgeschäfte mit überwiegendem Lebensmittelanteil, deren Sortiment weitgehend auf Waren mit einfachem Handling und hoher Umschlagsgeschwindigkeit begrenzt ist, um die Vertriebskosten zu minimieren. Den Kunden werben sie vorrangig mit den niedrigen Preisen ihrer günstigen Eigenmarken. Hinzu kommen stetige Sonderaktionen, bei denen Waren aus dem Non-Food-Bereich vermarktet werden. Die wichtigsten Vertreter sind Aldi, Lidl, Netto, Norma und Penny. Siehe dazu Geml/Lauer (2008), S. 81. Die Verkaufsfläche tendierte lange Zeit gegen 800 m², Otto (2006), S. 444, mittlerweile ist sie oft höher, Janning (2014a), S. 220.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe gruppiert, für welche ersterer die Kundenfrequenz veranlasst.28 Als Nahversorgungszentrum durch das Bundesverwaltungsgericht anerkannt wurde etwa folgende Agglomeration von Einzelhandelsnutzungen: ein Vollsortimenter, ein Discounter, zwei Gasthäuser, eine Metzgerei, ein Blumenladen, Krankengymnastik, Fitnessstudio, Optiker und Radiogeschäft.29 Weil die ergänzenden Betriebe von der Kundenfrequenz abhängen, die ein Lebensmitteldiscounter oder Vollsortimenter anzieht, ist die Lebensfähigkeit der Nahversorgungszentren im Wettbewerb instabil. Wird der Betrieb des Frequenzbringers eingestellt, weil er wegen der Ansiedlung eines konkurrierenden Discounters oder Vollsortimenters in mittlerer Nähe seine Rentabilität verloren hat, geht auch den übrigen Betrieben ihr Kundenzulauf verloren. Das Nahversorgungszentrum ist existenziell geschädigt.30 Auf den ersten Blick erscheint solch eine Marktentwicklung schlimmstenfalls als Nullsummenspiel. Um zu verstehen, warum Gemeinde und Gesetzgeber solche Entwicklungen blockieren wollen, ist eine Grundunterscheidung notwendig: die Unterscheidung zwischen mobilen und immobilen Verbrauchern nämlich, die in einem Nachfragewettbewerb stehen. Mobile Verbraucher verfügen über einen PKW und neigen dazu, bei Anbietern mit großen Stellplatzanlagen in zentraler Straßenlage einzukaufen. Dagegen wünschen sich immobile Verbraucher – ohne eigenen PKW – fußläufig erreichbare Einkaufslagen oder wenigstens Einkaufslagen, die über den öffentlichen Personennahverkehr gut erreichbar sind. Zu ihnen gehören insbesondere ältere Verbraucher. Deren Schutzbedürfnis misst der Gesetzgeber nicht zuletzt wegen des demographischen Wandels ein zunehmendes Gewicht bei.31 Er geht davon aus, dass ein ungesteuerter Wettbewerb wegen der Nachfragemacht mobiler Verbraucher dem Interesse an fußläufig erreichbaren Nahversorgungszentren nicht hinreichend Rechnung trüge. Zudem sei es allgemein im öffentlichen Interesse, auch zur Vermeidung von CO²-Ausstoß (§ 1 Abs. 5 S. 2 BauGB), Be lastungen durch motorisierten Verkehr zu reduzieren (§ 1 Abs. 4 Nr. 9 BauGB). Das Gesetz bezeichnet dieses Schutzinteresse als „verbrauchernahe Versorgung“ (vgl. §§ 1 Abs. 6, 9 Abs. 2a, 34 Abs. 3a S. 2 BauGB, 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO). Verhindert werden soll, dass städtebaulich integrierte Nahversorgungszentren durch allein mit dem PKW erreichbare Einzelhandelsstandorte verdrängt werden.32 Der Gesetzgeber reagiert mit seinen Schutzbemühungen auf den langjährigen ökonomischen Trend der Verkaufsflächenausweitung im Einzelhandel.33 So stieg die Verkaufsfläche des Lebensmitteleinzelhandels bundesweit zwischen 1995 und 2004 von 23,7 auf 27,7 Mio m² und damit um fast 17 Prozent.34 Hinzu kamen immer 28
Kuschnerus (2007), Rn. 156; zur genaueren Eingrenzung Kuschnerus (2009), S. 25 ff. So der Fall in BVerwG – 4 C 2/08. 30 Dazu Junker/Kühn (2006), S. 63 ff.; Janning (2012), S. 213. 31 Junker/Kühn (2006), S. 85; Janning (2012), S. 214. 32 Zusammenfassend Janning (2012), S. 213. 33 Sparwasser (2006), S. 264. 34 KPMG (2006), S. 51. 29
A. Zentrale Versorgungsbereiche
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größere Stellplatzanlagen. Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe, deren Verkaufsfläche 400 m² unterschreitet, zeigten sich im Wettbewerb unterlegen: Ihr Umsatzanteil sank im gleichen Zeitraum von 17,6 auf 10,9 Prozent.35 Zwischen 1993 und 2005 fiel die Anzahl der Geschäfte dieses kleinflächigen Einzelhandels von 56.000 auf 33.000; zunehmend drängen sich die Discounter in ihr Geschäftsfeld.36 Je größer die Verkaufsflächen des Einzelhandels werden, desto stärker wachsen ihre Einzugsbereiche, desto kleiner schrumpft umgekehrt die Gesamtzahl der Geschäfte und desto länger fällt der durchschnittliche Anfahrtsweg für den Verbraucher aus. Kennzeichnendes Sortiment von Nahversorgungszentren sind Güter des täglichen Bedarfs – vor allem Nahrungsmittel und Hygieneartikel – die mehrfach wöchentlich eingekauft werden. Weil in diesem Bereich ein häufiger Einkauf notwendig ist, mutet sich der immobile Verbraucher ungern einen längeren Einkaufsweg zu. Der Gesetzgeber will ihn unterstützen. Aus dem Sinn und Zweck des Schutzes von Nahversorgungszentren leitet sich das Erfordernis einer integrierten Lage37 ab: Ein zentraler Versorgungsbereich liegt nur dann vor, wenn die Einzelhandelsagglomeration an Wohnlagen grenzt und nicht bloß mit dem PKW erreichbar ist.
II. Funktion des Innenstadtzentrums Wegen seines hohen Einzelhandelsgewichts erfüllt ein Innenstadtzentrum zumeist problemlos die Voraussetzungen eines zentralen Versorgungsbereichs.38 Anders als Nahversorgungszentren dient es nicht vorrangig der Versorgung immobiler Verbraucher mit Gütern des täglichen Bedarfs. Vielmehr versorgt die Innenstadt einen besonders großen Einzugsbereich. Umgekehrt muss der Großteil der Verbraucher größere Distanzen überwinden, um das Innenstadtzentrum zu erreichen. Zwar mag das Innenstadtzentrum besonders gut erreichbar sein, weil das öffentliche Verkehrsnetz gezielt darauf ausgerichtet wurde. Der Hauptgrund, den Einzelhandel historisch gewachsener Innenstädte zu schützen, liegt aber darin, dass man diesen einen ästhetischen und ideellen Eigenwert zuschreibt. Begrifflich lässt sich dieser Eigenwert nur schwer fassen. So erklärt das Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen in einer Arbeitshilfe anschaulich39: „Aus Sicht der Autoren ist sie (Anmerkung: die Stadt) in erster Linie Lebensraum für eine sozial stark differenzierte Einwohnerschaft. Im günstigsten Fall besitzt eine Stadt eine Identität, die ihren Bürgerinnen und Bürgern ein Heimatgefühl verschafft. Eine Stadt bietet Raum für unterschiedlichste Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten, Handel, Kultur, Freizeit und Verkehr. Hiermit verbunden ist ein klassisches Verständnis von Öffentlichkeit und vom 35
KPMG (2006), S. 53. KPMG (2006), S. 52 f. 37 BVerwG, Urteil vom 17.12.2009 – 4 C 2/08 –; Schoen (2010), S. 2041. 38 BVerwG, Urteil vom 11.10.2007 – 4 C 7/07. 39 Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen (2011), S. 9. 36
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung ö ffentlichen Raum. Öffentlichkeit entsteht nur dort, wo erst mit Hilfe eines distanzierten und förmlichen Verhaltens Kommunikation und Arrangement zwischen Menschen zustande kommen kann. Die Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit ist das wohl wichtigste Merkmal einer Stadt überhaupt. „Urbanität“ bezeichnet deshalb eine städtische Lebensform, die am besten mit den Eigenschaften Distanz, Toleranz und Weltoffenheit charakterisiert werden kann und sich vor allem da entfaltet, wo dieses spannungsreiche Verhältnis zwischen der privaten und öffentlichen Sphäre ausgeprägt ist. Gerade hierfür muss der städtische (öffentliche) Raum durch Offenheit, Verschiedenartigkeit und Überraschungen eine geeignete Bühne bilden. Die Stadt europäischen Zuschnitts erfand für das Bedürfnis nach öffentlichem Lebensraum Parks, Grünanlagen, Stadtstraßen und Stadtplätze. Änderungen der menschlichen Lebens-, Wohn- und Arbeitsweise sowie der Kommunikations- und Verkehrsformen haben im Laufe der Zeit die Nutzung des städtischen Raumes stark beeinflusst. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten haben sich innerstädtische Strukturen verändert. Dabei ist es zum Teil auch zu größeren Umwertungen öffentlicher Räume gekommen. So verwandelten sich vor allem Innenstadtbereiche zunehmend in Konsumareale und verkehrsberuhigte Flaniermeilen. Dennoch bleiben die oben genannten Grundprinzipien der städtischen Sphäre grundsätzlich noch erkennbar. Noch sind Innenstädte das Aushängeschild für die Gesamtstadt. Sie sorgen für Identifikation und Identität nach Innen und für das Image nach Außen. Die hier anzutreffende Vielfältigkeit von Nutzungen und die damit verbundene baulich-räumliche Dichte sorgen dafür, dass Bürger und Besucher der Stadt sich von der Innenstadt angezogen fühlen und sie intensiv nutzen. Die seit langem praktizierte und seit einigen Jahren nochmals verstärkte Planungspolitik für eine integrierte Stadtentwicklung soll diese Prozesse unterstützen.“40
Protektionistische Bauleitplanung zum Schutz des Innenstadthandels rechtfertigt sich mit der Verantwortlichkeit der Bauaufsichtsbehörde für die städtebauliche Gestalt und das Ortsbild der Gemeinde (§ 1 Abs. 5 S. 2 BauGB). Außerdem ist die „mittelständische Struktur“ der Wirtschaft (§ 1 Abs. 6 Nr. 8a BauGB) gesetzlich anerkanntes Schutzgut des Bauplanungsrechts. Die verbrauchernahe Versorgung (§ 1 Abs. 6 Nr. 8a BauGB) sowie der nichtmotorisierte Verkehr (§ 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB) werden ebenfalls durch die gesetzlichen Wertungen als förderungswürdig anerkannt und spielen eine Rolle, weil die Innenstadt im Regelfall gut über den öffentlichen Personennahverkehr erreichbar ist.41 Vor diesem Hintergrund will man vermeiden, dass die Innenstädte im Wettbewerb mit Einzelhandelsgroßprojekten wirtschaftlich veröden. Kennzeichnend für den Einzelhandel in den Innenstädten ist, dass Güter des täglichen Bedarfs eher untergeordnet angeboten werden. Zentrenrelevante Sorti 40 Den ideellen Eigenwert der traditionellen Innenstädte bezeichnet Sparwasser (2006) als „identitätsstiftende und sozialintegrierende Wirkung lebendiger Siedlungsbereiche und die Anziehungskraft benachbarter Unterhaltungs- und Kulturangebote“, S. 265. Uechtritz (2007) nennt sie ein „gesellschaftlich akzeptiertes Leitbild der räumlichen Entwicklung“, S. 1337. „Texas wollen wir nicht“ schreibt Stüer (2006), S. 747. 41 Belange, die den Schutz der Innenstadt rechtfertigen, werden zusammengefasst durch OVG NRW, Urteil vom 22.04.2004 – 7a D 142/02.NE – und Urteil vom 13.05.2004 – 7a D 30/03.NE.
A. Zentrale Versorgungsbereiche
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mente42 bedienen dagegen bevorzugt den sogenannten aperiodischen Bedarf und umfassen die meisten nichtsperrigen Waren. Den Großteil seines Umsatzes erzielt der innerstädtische Einzelhandel typischerweise mit den Sortimenten Bekleidung und Schuhe. Der Hauptnachteil der Innenstadt ist ihr Mangel an preisgünstiger Fläche. Zum einen kann sie deshalb dem Trend zur Verkaufsflächenausweitung im Einzelhandel nur begrenzt folgen. Zum anderen können in der Innenstadt sperrige Güter, die große Lagerflächen und nahegelegene Stellflächen zur Abholung benötigen, allen voran Möbel43, üblicherweise nicht angeboten werden.44 Wie sich im Weiteren zeigen wird, versucht man mit den Instrumentarien der Einzelhandelssteuerung den Verkauf zentrenrelevanter Sortimente außerhalb der Innenstadt zu begrenzen oder ganz zu verhindern.
III. Nebenzentren Nebenzentren (auch Stadtteilzentren genannt) treten nur in größeren Städten auf und bieten ein der Innenstadt vergleichbares Sortiment von geringerem Umfang.45 Das OVG NRW definiert sie als Zentren, „die einen mittleren Einzugsbereich, zumeist bestimmte Bezirke größerer Städte, versorgen und in denen regelmäßig ein zumindest breiteres Spektrum von Waren für den mittel- und kurzfristigen, ggf. auch den langfristigen Bedarf angeboten wird.“46 In Nebenzentren fließen die Funktionen von Innenstadt und Nahversorgungszentren zusammen. Eine gesonderte Betrachtung erübrigt sich.47
IV. Die mittelständische Struktur der Wirtschaft als Schutzgut (§ 1 Abs. 6 Nr. 8a BauGB) Ausweislich des Wortlautes von § 1 Abs. 6 Nr. 8a BauGB ist auch die mittelständische Struktur der Wirtschaft Schutzgut des Bauplanungsrechts. Der Gesetzestext unterstellt dem Mittelstand, er begünstige eine verbrauchernahe Versorgung. Die Formulierung legt eine Deutung nahe, nach der Einzelhandelsbetriebe dann zu privilegieren seien, wenn ihr Inhaber ein ortsansässiger Mittelständler und 42 Der Begriff „zentrenrelevante Sortimente“ ist ein einzelhandelssteuernder Fachterminus und bezeichnet solche Sortimente, die möglichst in den Innenstädten angesiedelt werden sollen. Sie werden von „nahversorgungsrelevanten Sortimenten“ und „nichtzentrenrelevanten Sortimenten“ abgegrenzt. Vgl. z. B. Begründung zu Rn. 4.3.2 LEP MV; zu Problemen der Abgrenzung in der Praxis Heinritz (2001), S. 200 ff. 43 KPMG (2006), S. 74. 44 Flächenintensive Güter gelten als nichtzentrenrelevante Sortimente, vgl. ebenfalls Begründung zu Rn. 4.3.2 LEP MV; dazu Kuschnerus (2007), Rn. 89 ff. 45 Kuschnerus (2007), Rn. 154. 46 OVG NRW, Urteil vom 11.12.2006 – 7 A 964/05. 47 Diese Arbeit fasst Innenstadtzentren und Nebenzentren im Weiteren unter dem Oberbegriff „gewachsene Zentren“ zusammen.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
nicht ein bundesweit operierendes Großunternehmen sei. Dem Gesetzgeber selbst ging es bei der Formulierung jedoch vorrangig um die gute Erreichbarkeit privater Vorhaben.48 In der Rechtswissenschaft wird der Hinweis auf den Mittelstand weitgehend ignoriert. Aus der Vorschrift leitet man ab, dass die verbrauchernahe Versorgung ein besonders Schutzgut sei und vor allem Betriebe mit einer großen Verkaufsfläche sie gefährdeten.49 Die Berücksichtigung des Inhabers bestimmter Bauvorhaben ist dem Bauplanungsrecht dagegen fremd. Ein Einzelhandelsbetrieb wird niemals allein deshalb planungsrechtlich unzulässig, weil sein Inhaber wechselt, sofern die Nutzung gleichartig bleibt.50 Betrachtet man hingegen zahlreiche politische Stellungnahmen, die einzelhandelssteuernde Maßnahmen begleiten, so zeichnet sich ein klarer Wille ab, den Mittelstand im Konkurrenzkampf mit überörtlichen Großunternehmen und ihren Filialen zu unterstützen.51 In einer viel zitierten Studie52 des Verbands Region Stuttgart53 heißt es beispielsweise: „Kleine und mittlere Betriebe sind eine wichtige Grundlage und ein Motor der hiesigen Wirtschaft. Das Baugesetzbuch erwähnt ausdrücklich die mittelständische Struktur der Wirtschaft im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung. Die Entwicklung zeigt, dass im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels (wie auch der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung) der Mittelstand ernsthaft gefährdet ist. Gerade eigentümergeführte Geschäfte sind aber für die Nahversorgung wichtig: Bei den Selbständigen finden die Kommunen noch kompetente Ansprechpartner vor Ort, die Kunden jemanden, der das Quartier aus eigener Erfahrung kennt. Sie müssen die ungünstigen Wettbewerbsbedingungen durch überdurchschnittlichen persönlichen Einsatz ausgleichen und haben am Fortbestand ihres Geschäfts ein eigenes Interesse. Oft sind die Inhaber auch darüber hinaus für das gemeindliche Leben engagiert. Sie haben im Verhältnis zur Fläche eine hohe Zahl an Arbeits- und oft auch Ausbildungsplätzen. Durch ihre gute Kenntnis der örtlichen Verbraucherwünsche können sie unter bestimmten Bedingungen (Schaffung günstiger Rahmenbedingungen durch die Kommune, Kombination mit Bäcker oder Metzger, Verkauf regionaler Produkte) oft auch noch auf einer Fläche unter 800 m² ein hinreichend umfassendes Angebot vorhalten. Die Existenz selbständiger Einzelhändler, die vor Ort stark verankert sind, erweitert die kommunalen Handlungsmöglichkeiten, stellt aber auch entsprechende Anforderungen.“
Besonders die Schutzmaßnahmen zur Erhaltung des innerstädtischen Handels werden in dem Bewusstsein ergriffen, dass viele der innerstädtischen Einzelhandelsbetriebe als mittelständische Unternehmen durch ihren Inhaber geführt werden. Die Planungsbehörde sagt wesentlich deshalb den Einkaufszentren auf der grünen Wiese den Kampf an, weil sich auf ihren Flächen fast ausschließlich die
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BT-Drucks. 10/4630, S. 61. Stüer (2015), Rn. 1571; Battis/Krautzberger/Löhr (2016), § 1 Rn. 72. 50 OVG NRW, Urteil vom 21.11.2005 – 10 A 1166/04. 51 Mattmüller (1994), S. 32 ff.; Finck (1990), S. 54. 52 Verband Region Stuttgart (2001), S. 100. 53 Der Verband Region Stuttgart ist ein Regionalverband und Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er vertritt Kreistage und Gemeindevertretungen. 49
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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Einzelhandelsfilialen von Großunternehmen („Handelsketten“) ansiedeln. Und nicht zuletzt sind es die Mittelstandslobbys, welche mit besonderer Entschlossenheit auf einzelhandelssteuernde Planungen drängen.54 Auch wenn die emotionale Verbundenheit mit dem Mittelstand eine wesentliche Motivation einzelhandelssteuernder Planungen war,55 ist sie in der praktischen Umsetzung weitgehend in den Hintergrund gerückt. Denn das Planungsrecht ist – wie oben ausgeführt – inhaberneutral. Es kann bestimmte Einzelhandelsstandorte im Wettbewerb begünstigen, indem ihre Konkurrenzstandorte mit Ausschlussplanungen belegt werden. Es kann aber nicht verhindern, dass mittelständische Betriebe an den geschützten Standorten auf längere Sicht durch Großunternehmen aufgekauft und als Filialen in eine Konzernstruktur eingebunden werden. Der „Tante-Emma-Laden“ ist Nostalgie. Niemand glaubt noch, dass sich hinter diesem Begriff ein Betriebsmodell für die Zukunft verbirgt. Doch soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass der ästhetische und ideelle Wert des innerstädtischen Handels wesentlich in den dort ansässigen Mittelstandsbetrieben gesehen wird.
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen Die maßgeblichen Rechtsvorschriften zur Einzelhandelssteuerung ergeben sich aus dem Baugesetzbuch, der Baunutzungsverordnung sowie aus dem Raumordnungsrecht der Länder. Sofern die Gemeinde von ihrer Planungsbefugnis keinen Gebrauch macht, bleibt es bei den Planersatzregeln der §§ 34, 35 BauGB. Während im unbeplanten Außenbereich eine Einzelhandelsnutzung von erheblichem Umfang eher nicht in Betracht kommt56, steht der unbeplante Innenbereich dem Einzelhandel grundsätzlich offen. Mit der Baurechtsnovelle von 200457 hat der Gesetzgeber mit dem neueingeführten § 34 Abs. 3 BauGB den Schutz zentraler Versorgungsbereiche aber auch hier zum Grundsatz erhoben: Zentrale Versorgungsbereiche genießen durch diese Vorschrift Schutz vor „schädlichen Auswirkungen“. 54
Kruse (2012), S. 236, 248; Hoffmann (1984), S.74. Ahlert/Schröder (1999), S. 269. 56 Im Außenbereich gelten Einzelhandelsvorhaben weitgehend als unzulässig. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sieht den förmlichen Planungsbedarf als einen öffentlichen Belang i. S. v. § 35 Abs. 2 BauGB an, der durch großflächige Einzelhandelsprojekte beeinträchtigt wird. Maßgeblich für die Auslösung eines solchen Planungsbedarfs sind die Wertungen des § 11 Abs. 3 BauNVO, außerdem die Auswirkungen eines Einzelhandelsvorhabens auf Nachbargemeinden. Werden im Außenbereich großflächige Einzelhandelsbetriebe genehmigt, ist die Nachbargemeinde regelmäßig klagebefugt. Grundlegend BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 – 4 C 5/01 –; kritisch dazu Jochum (2003), S. 31; Wurzel/Probst (2003), S. 197; siehe ferner Kuschnerus (2007), Rn. 374 ff.; Hoffmann/Kassow (2010), S. 714; Kopf (2009), S. 15; Bunzel (2008), S. 138. 57 BGBl. I, S. 1359 vom 24.06.2004. 55
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Der Gemeinde steht im Rahmen ihrer Planungshoheit die Möglichkeit offen, diesen Schutz gebietsabhängig zu verschärfen, abzuschwächen oder im Interesse der Rechtsklarheit näher zu bestimmen. Sie kann beispielsweise nach § 11 Abs. 3 BauNVO großflächigen Einzelhandel von Beschränkungen lösen, indem sie ihn durch Kern- und Sondergebietsfestsetzungen zulässt. Sofern sie sich entscheidet, Einzelhandelsnutzungen verstärkt zuzulassen, muss sie jedoch höherrangiges Recht beachten: Zum einen sind die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche nach § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB abwägungsrelevante Belange. Zum anderen zwingen das interkommunale Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB sowie verschiedene raumordnungsrechtliche Vorgaben zur Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Interessen von Nachbargemeinden.
I. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Innenbereich 1. Die Schlüsselvorschrift: § 34 Abs. 3 BauGB Im unbeplanten Innenbereich hängt die Zulässigkeit von Vorhaben zunächst davon ab, ob diese sich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfügen. Treten gemäß § 34 Abs. 2 BauGB faktische Baugebiete im Sinne der BauNVO auf, bemisst sich die Zulässigkeit nach deren Voraussetzungen. Um die einzelhandelssteuerungsrelevanten Fernwirkungen zu berücksichtigen, hat der Gesetzgeber ergänzend § 34Abs. 3 BauGB geschaffen. § 11 Abs. 3 BauNVO beschränkt die Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsvorhaben auf Sonder- und Kerngebiete und ist auch in faktischen Baugebieten anwendbar. Die Vorschrift kann aber nicht verhindern, dass sich faktische Sonderund Kerngebiete entwickeln, die dem großflächigen Einzelhandel offenstehen.58 Im diffusen Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB findet § 11 Abs. 3 BauNVO keine Anwendung.59 Sobald in einem Gebiet bereits großflächiger Einzelhandel vorhanden war, konnten vor Einführung des § 34 Abs. 3 BauGB weitere Vorhaben nicht verhindert werden. Gegen kleinflächige Einzelhandelsbetriebe bot § 11 Abs. 3 BauNVO keinen Schutz. Verweigerte eine Gemeinde sich der Verhinderungsplanung, trat eine Schutzlücke auf. Der Empfehlung einer Expertenkommission60 folgend61 reagierte der Gesetzgeber durch die Einführung des § 34 Abs. 3 BauGB: Unzulässig sind nunmehr alle Vorhaben, die schädliche Auswirkungen 58 Kritisch zur alten Rechtslage Spannowsky (1999), S. 242. Zur Schutzlücke der Abs. 1, 2 des § 34 BauGB ferner Janning (2005), S. 1723; Kuschnerus (2007), Rn. 318 f. Schoen (2010) bezweifelt hingegen, dass es faktische Sondergebiete begrifflich überhaupt geben kann, S. 2037. 59 Uechtritz (2006), S. 806; Kuschnerus (2007), Rn. 310; Reidt (2007), S. 664. 60 Siehe Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2002a), Rn. 212 ff. 61 Die Gesetzesbegründung stützt sich auf den Kommissionsbericht, siehe BT-Drucks. 15/2250, S. 54.
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in Nachbargemeinden erwarten lassen. Mit den Begriffen des „zentralen Versorgungsbereichs“ und der „schädlichen Auswirkungen“ stützt sich die Vorschrift auf zwei unbestimmte Rechtsbegriffe, die in der Literatur umfangreiche Diskussionen hervorgerufen haben.62 a) Durch § 34 Abs. 3 BauGB geschützte zentrale Versorgungsbereiche Der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs wurde im Abschnitt A bereits skizziert. Geschützt werden jedenfalls faktische zentrale Versorgungsbereiche.63 Im Zusammenhang mit § 34 Abs. 3 BauGB war in der Literatur umstritten, ob auch allein durch informelle Planung – namentlich in Einzelhandelskonzepten – festgesetzte zentrale Versorgungsbereiche Schutz genießen, auch wenn eine hinreichende Einzelhandelsnutzung tatsächlich noch nicht vorhanden ist.64 Umgekehrt stellt sich die Frage, ob durch ein Einzelhandelskonzept Betriebe aus einem zentralen Versorgungsbereich ausgegrenzt werden dürfen, die diesem nach den tatsächlichen Verhältnissen angehören. Bejaht wurde all dies vor allem unter Verweis auf die Gesetzesbegründung.65 Infolgedessen begannen Gemeinden zentrale Versorgungsbereiche über Einzelhandelskonzepte zu bestimmen. Demgegenüber stützt sich die Gegenauffassung auf die Dogmatik des § 34 BauGB, für den gerade in Abgrenzung zu § 30 BauGB nur die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich sein können. Auch müsse beachtet werden, dass die Festsetzung zentraler Versorgungsbereiche unmittelbar die Schranken der Eigentumsfreiheit gestaltet und hierbei informelle Planung nicht die Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes erfüllen könne. Schwierig erschien es im Übrigen, schädliche Auswirkungen auf einen zentralen Versorgungsbereich zu bestimmen, der noch gar nicht existiert. Höchstrichterlich wurde mittlerweile entschieden, dass die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich sind und diese nicht durch informelle Planung korrigiert werden können.66 62
Kritisch zur unscharfen Begrifflichkeit etwa Hoppe/Bönker/Grotefels (2004), S. 287; Claus (2010), S. 754; Gatawis (2006), S. 274; Reichelt (2006), S. 41; Rieger (2007), S. 367; Uechtritz (2006), S. 799; ders. (2004), S. 1029; Schoen (2010), S. 2046. 63 BVerwG, Beschluss vom 17.02.2009 – 4 B 4/09. 64 Dafür Uechtritz (2006), S. 808; ablehnend dagegen Kuschnerus (2007), Rn. 329 ff.; Gatawis (2006), S. 273; Mikesic/Würsig (2009), S. 197; Reidt (2007), S. 665; Battis/Krautzberger/ Löhr (2016), § 34 Rn. 69. 65 Siehe Fn. 25. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Zentrale Versorgungsbereiche ergeben sich insbesondere aus planerischen Festlegungen, namentlich aus Darstellungen und Festsetzungen in den Bauleitplänen oder aus Festlegungen in den Raumordnungsplänen; sie können sich aber auch aus sonstigen planungsrechtlich nicht verbindlichen raumordnerischen und städtebaulichen Konzeptionen ergeben“. 66 BVerwG, Beschluss vom 12.02.2009 – 4 B 5/09 –; dazu Maidowski/Schulte (2009), S. 1383; Kassow/Lee (2013), S. 969; Hoffmann/Kassow (2010), S. 714.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Das Bundesverwaltungsgericht ließ jedoch ausdrücklich offen, ob ein Einzelhandelskonzept wenigstens die Konturen eines zentralen Versorgungsbereichs präzisieren kann.67 Da § 34 Abs. 3 BauGB auch kein Ermessen gewährt, lässt er der Bauaufsichtsbehörde bei seiner Anwendung keinen Gestaltungsspielraum. b) Der Begriff der schädlichen Auswirkungen Nach § 34 Abs. 3 BauGB sind alle Vorhaben unzulässig, die schädliche Auswirkungen auf diese zentralen Versorgungsbereiche entfalten. In der Literatur hat eine breite Diskussion stattgefunden, um für die Bestimmung schädlicher Auswirkungen prüfbare Kriterien zu entwickeln. Anerkannt ist mittlerweile, dass die Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 BauNVO68 für großflächige Einzelhandelsbetriebe innerhalb von § 34 Abs. 3 BauGB keine Anwendung findet.69 Stattdessen haben sich zwei Hauptkriterien herausgebildet, mit denen die Rechtsprechung die Schädlichkeitsschwelle bemisst: Zum einen wird die zu erwartende Umsatzumverteilung70 prognostiziert, zum anderen ein branchenspezifischer Verkaufsflächenvergleich71 vorgenommen. Weiterhin ist höchstrichterlich anerkannt, dass die Schädlichkeitsschwelle nicht erst dann überschritten wird, wenn die Existenz eines zentralen Versorgungsbereichs bedroht ist. Es genügen schon städtebaulich nachhaltige Auswirkungen, um die Unzulässigkeit eines Vorhabens herbeizuführen.72 Orientiert man sich an der Umsatzumverteilung, so kommt es darauf an, welchen Grad an Kaufkraftabfluss der zentrale Versorgungsbereich bei Verwirklichung des Vorhabens zu erwarten hätte. Bei der Prognose kann auf Marktgutachten zurückgegriffen werden.73 Sie muss sich allerdings allein an baurechtsrelevanten Faktoren orientieren, weil „Preisgestaltung, Werbemethoden, Schaufensterdekoration, 67 Davon gehen überwiegend auch jene Stimmen in der Literatur aus, welche im Übrigen eine Bestimmung von zentralen Versorgungsbereichen durch informelle Planung ablehnen, siehe Kuschnerus (2007), Rn. 329. 68 Siehe dazu Kapitel 1 B. II. 1. a). 69 Höchstrichterlich entschieden durch BVerwG, Beschluss vom 12.02.2009 – 4 B 3/09 –; Beschluss vom 17.02.2009 – 4 B 4/09. Dies entspricht auch der überwiegenden Literaturauffassung, vgl. Gatawis (2006), S. 275; Mikesic/Würsig (2009), S. 197; Uechtritz (2006), S. 808. Der Vorschlag stammte von Reidt (2005), S. 244. Für den Rückgriff auf die Vermutungsregel auch Janning (2005), S. 1726; Stüer (2015), Rn. 2791. 70 Anerkannt als Kriterium durch BVerwG, Urteil vom 11.10.2007 – 4 C 7/07. Kritisch hingegen die Vorinstanz OVG NRW, Urteil vom 11.12.2006 – 7 A 964/05. Für den Kaufkraftabfluss als Hauptkriterium auch Gatawis (2006), S. 274. 71 Dafür OVG NRW – 7 A 964/05 –; zustimmend Jaeger (2009), S. 1677. 72 BVerwG – 4 C 7/07 – in Übereinstimmung mit der Vorinstanz OVG NRW – 7 A 964/05 –; zustimmend Mikesic/Würsig (2009), S. 197. Nach Heilshorn/Seits (2004) genügt bereits die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen, S. 410. 73 BVerwG – 4 C 7/07 –; a. A. OVG NRW – 7 A 964/05.
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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Sachkunde und Freundlichkeit des Personals nicht zum Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde gehören“.74 Ein anderer Ansatz ist der Vergleich von Verkaufsflächen. Er hat den Vorteil, direkt an ein planungsrechtlich relevantes Kriterium anzuknüpfen.75 Dabei wird die Verkaufsfläche des Vorhabens in Relation zu der Verkaufsfläche jener Betriebe derselben Branche gesetzt, die dem maßgeblichen zentralen Versorgungsbereich angehören und auf die es wettbewerblich einwirkt.76 Ergänzend muss zuvor bestimmt werden, wie stark die wettbewerbliche Einwirkung auf die geschützten Betriebe ist. Dies hängt von der Vergleichbarkeit des Einzugsbereichs und daher insbesondere der räumlichen Nähe ab.77 Weder eine hohe Umsatzumverteilung noch ein hoher Verkaufsflächenanteil sind fixe Kriterien. Als weitere Gesichtspunkte, die im Einzelfall die Ausgangswertung verschieben können, sind erstens etwaige Vorschädigungen des Versorgungsbereichs gesondert zu berücksichtigen: Steht ein Versorgungsbereich bereits an der Grenze der Existenzgefährdung, ist weitere Konkurrenz grundsätzlich zu verhindern. Zweitens verleiht die Gefährdung bestimmter Magnetbetriebe wettbewerblichen Auswirkungen besonderes Schädigungspotential, wenn diese Magnetbetriebe einen Kundenzulauf veranlassen, von dem die Funktionsfähigkeit des gesamten zentralen Versorgungsbereichs abhängt.78 Letztlich ist keiner der Ansätze geeignet, feste Schwellenwerte anzugeben, nach denen der Schädlichkeitsbegriff abgegrenzt werden kann. Für den Verkaufs flächenanteil wird ganz darauf verzichtet, wenigstens als Richtwert einen festen Prozentsatz anzugeben.79 Stellt man auf den Kaufkraftabfluss ab, so besteht mittlerweile Tendenz, sich am Richtwert von zehn Prozent des Umsatzes des zentralen Versorgungsbereichs zu orientieren.80 Doch selbst dieser vorsichtige Schematisierungsversuch ist bereits starker Kritik ausgesetzt.81 Der Verzicht auf klare Schwellenwerte mag dogmatisch konsequent erscheinen, schafft aber für die Praxis einen hohen Grad an Rechtsunsicherheit.
74
BVerwG – 4 C 7/07. Aus diesem Grund will Kuschnerus (2007) die Verkaufsfläche als Hauptindikator verwenden, Rn. 344. 76 So OVG NRW – 7 A 964/05. 77 Kuschnerus (2007), Rn. 350. 78 BVerwG – 4 B 4/09 –; OVG NRW – 7 A 964/05 –; Janning (2005), S. 1725; Schoen (2010), S. 2045; Bunzel (2008), S. 135. 79 Ablehnend zum Verkaufsflächenvergleich OVG NRW – 7 A 964/05 –; zustimmend BVerwG – 4 C 7/07 –; zustimmend ebenfalls Kuschnerus (2007), Rn. 345. 80 OVG BY, Urteil vom 13.12.2011, – 2 B 07/377 –; OVG NRW, Urteil vom 06.06.2005 – 10 D 148/04.NE –; tendenziell zustimmend Uechtritz (2006), S. 809; ders. (2004), S. 1031 Fn. 61, m. w. N. 81 Der bedeutendste Kritiker ist Kuschnerus (2007), Rn. 341 ff.; siehe auch Butt (2007), S. 370; Brügelmann (2011), § 34 BauGB Rn. 106c. 75
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
c) Darlegungs- und Beweislast Wer im Rechtsstreit die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der schädlichen Auswirkungen eines Vorhabens trägt, wurde höchstrichterlich noch nicht entschieden.82 Denkbar ist zum einen, dass die Genehmigungsbehörde das Vorliegen schädlicher Auswirkungen positiv nachweisen muss, wenn der Vorhabenträger eine Genehmigung im Wege der Verpflichtungsklage erzwingen will. Umgekehrt könnte der Vorhabenträger deren Ausbleiben negativ nachweisen müssen. Aufgabe der Behörde ist es jedenfalls, sich einen Überblick über ihre zentralen Versorgungsbereiche zu schaffen. Regelmäßig lässt sie Marktgutachten zur Ermittlung ihres Einzelhandelsbestandes erstellen, aus denen sie Einzelhandelskonzepte entwickelt. Dies legt nahe, die Darlegungs- und Beweislast ihrer Verantwortungssphäre zuzuweisen. Diese Auffassung wird in der Rechtsprechung vertreten, während die Literatur sie überwiegend dem Vorhabenträger zuweist.83 In der Praxis fordern die Behörden schon im Antragsverfahren vom Vorhabenträger, dass er die Erwartbarkeit schädlicher Auswirkungen durch von ihm erstellte Marktgutachten widerlegen muss, wenn die Behörden diese nach dem ersten Anschein für wahrscheinlich hält.84 Dieser Forderung werden sich Vorhabenträger in der Hoffnung auf eine außergerichtliche Einigung i. d. R. fügen. 2. Rückgriff auf § 11 Abs. 3 BauNVO im faktischen Baugebiet Wie bereits angedeutet, ist § 34 Abs. 3 BauGB nicht die einzige Vorschrift, welche im unbeplanten Innenbereich Fernwirkungen berücksichtigt. Liegt ein faktisches Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB vor, so kommt ergänzend § 11 Abs. 3 BauNVO zur Anwendung, der schädliche Auswirkungen über eine verkaufsflächenabhängige Regelvermutung reguliert.85 Sofern kein faktisches Sondergebiet oder Kerngebiet vorliegt, können auf dieser Grundlage großflächige Einzelhandelsvorhaben verhindert werden. Die Maßstäbe des § 11 Abs. 3 BauNVO werden im folgenden Abschnitt näher dargestellt.
82
Offen gelassen durch BVerwG, Beschluss vom 17.02.2009 – 4 B 4/09. Für die Darlegungs- und Beweislast der Genehmigungsbehörde OVG NRW, Urteil vom 13.06.2007 – 10 A 2439/06 –; VG München, Urteil vom 26.09.2011 – M 8 K 10/243 – und Urteil vom 17.05.2011 – M 1 K 10/6229 –; Uechtritz (2006), S. 809. Für die grundsätzliche Darlegungslast des Vorhabenträgers bei Mitwirkungspflicht der Gemeinde dagegen Gatawis (2006), S. 276; Janning (2005), S. 1729; Rieger (2007), S. 372; Battis/Krautzberger/Löhr (2016), § 34 Rn. 71; Stüer (2006), S. 748 ff. 84 Brügelmann (2011), § 34 BauGB Rn. 106i. 85 BVerwG, Beschluss vom 12.02.2009 – 4 B 3/09 –; Beschluss vom 17.02.2009 – 4 B 4/09 –; Mikesic/Würsig (2009), S. 196. 83
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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II. Planungsinstrumentarien der Gemeinde Die planende Gemeinde hat gebietsabhängig zwei Möglichkeiten: Entweder hält sie die Grundregel des § 34 Abs. 3 BauGB aufrecht. Dann kann sie die Verhinderungsschwelle durch einen einfachen Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2a BauGB anheben und gleichzeitig im Interesse der Rechtsklarheit schärfer konturieren. Alternativ erlässt sie einen qualifizierten Bebauungsplan. In diesem Fall kommt § 34 Abs. 3 BauGB nicht mehr zur Anwendung. Auf diese Weise ist sie in der Lage, die Einzelhandelsrestriktionen nicht nur zu verschärfen, sondern auch zu lockern. 1. Qualifizierter Bebauungsplan Der qualifizierte Bebauungsplan kennzeichnet sich gemäß § 30 Abs. 1 BauGB dadurch, dass er Art (§§ 1 bis 15 BauNVO) und Maß (§§ 16 bis 21a BauNVO) der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen (§ 23 BauNVO) sowie die örtlichen Verkehrsflächen festsetzt. Ist die Erschließung des Vorhabens gesichert, wird er gemäß § 30 Abs. 1 BauGB zum alleinigen Maßstab bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit. Die Regelungen der §§ 34, 35 BauGB erlangen keine ergänzende Geltung. Damit findet insbesondere § 34 Abs. 3 BauGB keine Anwendung, weshalb der qualifizierte Bebauungsplan der Gemeinde die Möglichkeit eröffnet, die Einzelhandelsrestriktionen zu lockern. Doch auch im beplanten Bereich gilt die grundsätzliche Unzulässigkeit von Einzelhandelsvorhaben, die schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche entfalten, nämlich über die Schlüsselvorschrift des § 11 Abs. 3 BauNVO. a) Grundsatz: Ausschluss großflächigen Einzelhandels außerhalb von Kerngebieten nach § 11 Abs. 3 BauNVO Nach § 11 Abs. 3 BauNVO sind großflächige Einzelhandelsbetriebe und vergleichbare Handelsbetriebe nur in Kerngebieten und Sondergebieten zulässig, wenn sie schädliche Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO entfalten. Gleiches gilt für Einkaufszentren, ohne dass es des Nachweises schädlicher Auswirkungen bedarf. Kerngebiete sind im Regelfall nur das Innenstadtzentrum und gegebenenfalls Nebenzentren.86 Der Gesetzgeber geht somit von der Vermutung aus, die Gemeinde wünsche Einzelhandelsunternehmen mit größerem Einzugsbereich ausschließlich in ihrem Stadtzentrum, und macht die meisten Ausnahmen von der gemeindlichen Sondergebietsfestsetzung abhängig.
86
Kuschnerus (2007), Rn. 152.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Welche Vorhaben durch die Vorschrift erfasst werden, hängt von den Begriffen des „Einkaufszentrums“ und der „schädlichen Auswirkungen“ ab. Ein Einkaufszentrum wird durch die Rechtsprechung als eine entweder einheitlich geplante oder aus anderen Gründen sich als gewachsen darstellende räumliche Konzentration von Einzelhandelsbetrieben verschiedener Art und Größe, die zumeist in Kombination mit verschiedenartigen Dienstleistungsbetrieben auftreten, definiert.87 Abgegrenzt wird es von einem unkoordinierten Nebeneinander von Einzelhandelsnutzungen. Demnach kennzeichnen sich Einzelhandelszentren durch ein einheitliches Gesamtkonzept, nach dem die verschiedenen nebenein ander gelegenen Einzelhandelsbetriebe miteinander kooperieren.88 Hinsichtlich der Mindestgröße, die ein Einkaufszentrum erreichen muss, herrscht keine Einigkeit; anerkannt ist allerdings, dass es wenigstens die durch § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO bestimmte Geschossfläche von 1.200 m² erreichen muss.89 Sonstige Einzelhandelsbetriebe und vergleichbare Betriebe fallen unter § 11 Abs. 3 BauNVO, wenn sie sich nicht nur unwesentlich „auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung“ auswirken können. Während diese Begriffsbestimmung noch vage erscheint, wird sie durch die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 S. 3 u. 4 BauNVO konkretisiert, welche dem Wortlaut nach an die Geschossfläche des Vorhabens anknüpft. Sie geht widerleglich von schädlichen Auswirkungen aus, sobald dessen Geschossfläche 1200 m² übersteigt. Die Rechtsprechung leitet aus dieser Regelung die Abgrenzung von kleinflächigem und großflächigem Einzelhandel als Rechtsgedanken ab, erhebt aber abweichend vom Wortlaut die Verkaufsfläche90 statt der Geschossfläche zum Maßstab. Deren Größe passt sie an die Marktentwicklung an und lässt Großflächigkeit gegenwärtig ab einer Verkaufsfläche von 800 m² beginnen.91 Diese Grenzziehung ist deshalb bedeutsam, weil sie die gängigen Lebensmitteldiscounter gerade nicht mehr als großflächige Einzelhandelsbetriebe erfasst und auch nicht erfassen soll.92 Denn als Hauptanbieter von Lebensmitteln und anderen 87
BVerwG – 4 C 5/01. BVerwG – 4 C 5/01 –; König/Roeser/Stock (2014), § 11 Rn. 48 ff.; Kuschnerus (2007), Rn. 123 ff. 89 Bzw. die nach Rechtsprechungsauffassung maßgebliche Verkaufsfläche; vgl. Kopf (2009), S. 12; König/Roeser/Stock (2014), § 11 Rn. 46; Kuschnerus (2007), Rn. 132. 90 Verkaufsfläche sind alle Flächen, die vom Kunden betreten werden können, siehe dazu BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 14/04 –; Jeromin (2006), S. 623. 91 Ursprünglich ging die Rechtsprechung von 700 m² aus, vgl. dazu die Grundentscheidung BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 – 4 C 19/85. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Fläche auf 800 m² angehoben, nämlich mit dem Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 10/04. Siehe auch Maidowski/Schulte (2009), S. 1382. 92 Maidowski (2008), S. 174; Kuschnerus (2007), Rn. 96 ff. Bis zu einer Verkaufsfläche von 799 m² findet die Vermutung keine Anwendung, OVG MV, Urteil vom 17.02.2016 – 3 L 159/12. Mittlerweile erreichen aber selbst Discountbetriebe bis zu 1.300 m² und überschreiten damit ebenfalls die Großflächigkeitsschwelle, dazu Janning (2014a), S. 220. 88
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Gütern des täglichen Bedarfs sind Discounter zunächst überall im Gemeindegebiet erwünscht, namentlich in den oben beschriebenen Nahversorgungszentren. Die Vermutung verteilt die Darlegungs- und Beweislast, ist aber, wie § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO deutlich macht, in beide Richtungen widerleglich. So kann es großflächigen Einzelhandel geben, der keine schädlichen Auswirkungen entfaltet und umgekehrt kleinflächigen, aber dennoch schädlichen Einzelhandel. Wie bei § 34 Abs. 3 BauGB entscheidet über die Widerlegung eine Einzelfallbetrachtung. Im Falle der Großflächigkeit trägt der Vorhabenträger die Darlegungslast, im Falle der Kleinflächigkeit dagegen die Genehmigungsbehörde.93 Es lassen sich dabei gängige Wertungsgesichtspunkte skizzieren: Ob eine Widerlegung möglich ist, hängt wesentlich vom Verkaufssortiment ab (vgl. § 11 Abs. 3 S. 4 Hs. 2 BauNVO: Warenangebot des Betriebs). Nicht schädlich sind aus den genannten Gründen regelmäßig Güter des täglichen Bedarfs, insbesondere Lebensmittel. Die Privilegierung der Lebensmittel ist deshalb relevant, weil moderne Lebensmittelvollsortimenter fast immer die Grenze zur Großflächigkeit überschreiten, gegenüber den Discountern aber nicht benachteiligt werden sollen.94 Solange die Großflächigkeitsschwelle schematisch angewandt wird, sind sie kern- und sondergebietspflichtig. Diese Benachteiligung soll über § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO ausgeräumt werden. Ebenfalls privilegiert werden sperrige Güter wie Möbel, da sie nicht zentren relevant sind.95 Dagegen kann auch kleinflächiger Einzelhandel unzulässig sein, wenn er zentrenrelevante Sortimente nicht nur als Randsortiment führt oder in peripherer Lage angesiedelt ist. In der Verwaltungspraxis werden jedoch selten Ausnahmen von der 800-m²-Grenze gemacht.96 Die Großflächigkeitsschwelle des § 11 Abs. 3 BauNVO bewertet die Verkaufsfläche jedes Betriebes einzeln. Von der Abgrenzung des Betriebsbegriffs kann es abhängen, ob ein Vorhaben einen unzulässigen großflächigen Betrieb darstellt oder zwei zulässige kleinflächige. Die Abgrenzung der Betriebe erfolgt funktional. Sind verschiedene Nutzungseinheiten in verschiedenen Gebäuden untergebracht, so handelt es sich im Regelfall um selbstständige Betriebe. Befinden sie sich im selben Gebäude, kann die Abgrenzung problematisch werden. Von einem einheitlichen Betrieb ist auszugehen, wenn eine Nutzungseinheit bloß als Nebenleistung zum Hauptbetrieb hinzutritt, dessen Angebot abrundet und aufgrund 93 BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 10/04 –; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (2015), § 11 BauNVO Rn. 82a. 94 So die Auslegungsanweisung der Arbeitsgruppe für Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel, welche auch großflächige Supermärkten für zulässig hält, sofern deren Anteil innenstadtrelevanter Sortimenter nicht mehr als zehn Prozent der Verkaufsfläche ausmacht, siehe Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2002b), S. 598. Die Rechtsprechung erkennt die Auslegungsanweisung ausdrücklich an, siehe BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 10/04; eingehend Janning (2014a), S. 220. 95 Kuschnerus (2007), Rn. 89 ff. 96 Kuschnerus (2007), Rn. 85; Maidowski (2008), S. 174; kritisch zum 800-m²-Schematismus Jeromin (2006), S. 619.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
dieses inneren Zusammenhangs seine Selbstständigkeit verliert.97 Die betriebsbezogene Betrachtungsweise bewirkt, dass sich auch außerhalb von Kern- und Sondergebieten eine gewichtige Einzelhandelsnutzung herausbilden kann – vornehmlich in Misch-, Gewerbe- und Industriegebieten – sofern die einzelnen Betriebe für sich genommen die Großflächigkeitsschwelle nicht überschreiten. Obwohl § 11 Abs. 3 BauNVO auf den ersten Blick eine ähnliche Zielrichtung wie § 34 Abs. 3 BauGB verfolgt, unterscheiden sich beide Vorschriften funktional. Großflächige Einzelhandelsbetriebe werden durch § 11 Abs. 3 BauNVO strenger beurteilt. Soweit die Vorschrift Anwendung findet, werden großflächige Vorhaben fast ausnahmslos verhindert. Auf diese Weise soll der Innenstadthandel vor Konkurrenzstandorten geschützt werden. Geht es um den Innenstadtschutz, ist § 34 Abs. 3 BauGB großzügiger: Seine prozentualen Schädlichkeitsschwellen werden bei so umsatzstarken zentralen Versorgungsbereichen wie der Innenstadt nur selten überschritten. Ihr Hauptanwendungsfeld hat die Vorschrift beim Wettbewerb im Nahversorgungssegment: Hier kann sie etablierte Nahversorgungszentren vor einer Beeinträchtigung durch Neuvorhaben bewahren. § 11 Abs. 3 BauNVO erfasst dagegen grundsätzlich keine kleinflächigen Nahversorgungsbetriebe und bereitet insbesondere Lebensmitteldiscountern keine Marktzugangshindernisse. Überplant die Gemeinde einen zuvor unbeplanten Bereich qualifiziert, dann setzt sie § 34 Abs. 3 BauGB außer Kraft und senkt regelmäßig das Schutzniveau für Nahversorgungszentren.98 Diese Wertungsverschiebung ist gewollt: Während die planerisch untätige Gemeinde über § 34 Abs. 3 BauGB einen umfassendes Verhinderungsinstrument erhält, erwartet man von der planenden Gemeinde, dass sie durch aktive Bauleitplanung die Schutzlücken des § 11 Abs. 3 BauNVO schließt und ihre Nahversorger verteidigt.99 Wie dies möglich ist, zeigen die im Folgenden dargestellten zulässigen Festsetzungsinhalte.
97 BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 14/04 – und – 4 C 3/05 –; Stüer (2015), Rn. 680; kritisch Jeromin (2006), S. 621; sehr weit gefasst wurde der Betriebsbegriff durch OVG NRW, Urteil vom 04.05.2000 – 7 A 1744/97 –; kritisch dazu Hauth (2001), S. 1037. 98 Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass § 34 Abs. 3 BauGB auch für Einzelhandelsbetriebe unterhalb der Schwelle der Großflächigkeit gilt, vgl. Urteil vom 17.12.2009 – 4 C 2/08. Das OVG NRW betont, dass § 34 Abs. 3 BauGB gegenüber dem kleinflächigen Einzelhandel strenger ist als § 11 Abs. 3 BauNVO, siehe OVG NRW, Urteil vom 01.07.2009 – 10 A 2350/07 –; ähnlich OVG NRW, 13.06.2007 – 10 A 2439/06. Das Gericht stützt sich auf Stellungnahmen aus der Literatur, nämlich von Gatawis (2006), S. 273, und Uechtritz (2004), S. 1029, Fn. 44. Dass § 34 Abs. 3 BauGB im Gegensatz zu § 11 Abs. 3 BauNVO auch den Wettbewerb von Discountern steuert, betont auch Janning (2005), S. 1724. Jeromin (2006) schlägt hingegen eine weniger schematische Anwendung der Verkaufsflächengrenze des § 11 Abs. 3 BauNVO vor, die offenbar zu weitgehend deckungsgleichen Wertmaßstäben mit § 34 Abs. 3 BauGB führen würde, S. 619 ff. 99 Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (2002a), Rn. 217 ff.
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b) Grobdifferenzierung nach Gebietstypen Bei der Überplanung von Gebieten ist die Gemeinde an den numerus clausus von Gebietstypen der BauNVO gebunden.100 Die Gebietstypen verbieten Nutzungen, die gebietsunverträgliche Störungen hervorrufen. Auf Fernwirkungen zielen die Regelungen der §§ 2 bis 10 BauNVO nicht. Dennoch kann die Gemeinde die Festsetzungen zur Steuerung des Einzelhandels einsetzen, wenn sie auf eine Ausschlussplanung abzielt. So sind in reinen Wohngebieten (§ 3 BauNVO) nur Läden zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets zulässig. Mit der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebietes (§ 4 BauNVO) wird die Einzelhandelsnutzung auf Läden zur Versorgung des Gebiets beschränkt. Die heute gängigen Discounter fallen nicht mehr unter diese Begriffe, sondern zielen auf einen größeren Einzugsbereich ab.101 Auf diese Weise können Nahversorgungszentren im Wettbewerb um den Vertrieb von Gütern des täglichen Bedarfs abgesichert werden. Güter des mittel- und langfristigen Bedarfs und damit die innenstadrelevanten Sortimente dienen zumeist ebenfalls nicht der Gebietsversorgung.102 In allen anderen Gebietstypen103 ist der Einzelhandel bis an die Schwelle des § 11 Abs. 3 BauNVO grundsätzlich zulässig. Das gilt auch für Gewerbe- und Industriegebiete, obgleich die §§ 8, 9 BauNVO den Einzelhandel nicht ausdrücklich erwähnen.104 Setzt man diese Gebietstypen fest, können sich insbesondere kleinflächige Discounter ohne regulative Hindernisse entfalten. Im Gegensatz zum unbeplanten Bereich steht ihnen § 34 Abs. 3 BauGB nicht mehr im Wege. Schließlich kann die Gemeinde Einzelhandelsvorhaben im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO durch Kerngebiets- oder Sondergebietsfestsetzungen zulassen und damit den Einzelhandel gänzlich von Beschränkungen lösen. Zu beachten ist, dass aber auch in diesen Fällen für die Vorhaben gemäß § 30 Abs. 1 BauGB die Erschließung gesichert sein muss. Gerade für großflächigen Einzelhandel, der auf einen großen Einzugsbereich zielt und demgemäß ein großes Verkehrsaufkommen auslöst, kann die Erschließung zur Herausforderung werden.105
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Kuschnerus (1997), Rn. 75. Jeromin (2006), S. 621; Kuschnerus (2007), Rn. 66. Maidowski (2008) mahnt hingegen einen vorsichtigen Umgang mit dieser „Daumenregel“ an und weist darauf hin, dass in einem allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise auch Lebensmitteldiscounter zulässig sein können. Ohne große Wohnblöcke, in denen der potentielle Kundenstamm des Discounters dicht konzentriert lebt, ist das aber kaum denkbar, S. 170 f. 102 Kuschnerus (2007), Rn. 70. 103 Ausgenommen sind Kleinsiedlungsgebiete, die aber keine praktische Relevanz haben, BVerwG – 4 C 10/03. 104 Kuschnerus (2007), Rn. 241; Maidowski (2008), S. 172 f. 105 Paul (2004), S. 1035. 101
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
c) Feindifferenzierung innerhalb von Gebietstypen Neben der Festsetzung der vorgegebenen Gebietstypen stehen der Gemeinde verschiedene Möglichkeiten der Feindifferenzierung offen. Auf diese Weise können dem kleinflächigen Einzelhandel, insbesondere den Discountern, weitere Beschränkungen auferlegt werden. Im Wesentlichen geht es um drei Arten von Festsetzungen: Nach § 1 Abs. 5 BauNVO kann die Gemeinde in beplanten Gebieten den Einzelhandel als Nutzungsart generell ausschließen. § 1 Abs. 9 BauNVO lässt es zu, den Ausschluss auf spezielle Unternutzungsarten zu verfeinern, sodass sie nur den Verkauf bestimmter Sortimente verhindern darf. Schließlich ermöglicht § 16 Abs. 2 BauNVO in Sondergebieten eine noch weiterreichende Feinsteuerung: Die Gemeinde kann in diesen Gebieten Sortimente nicht bloß ganz ausschließen, sondern ihre Verkaufsfläche auf bestimmte Quadratmeterwerte begrenzen.106 Der generelle Ausschluss des Einzelhandels bietet sich vor allem für Gewerbeund Industriegebiete an, da es hier an einer Wohnbevölkerung fehlt, die auf Nahversorgung angewiesen ist. Doch prinzipiell darf auch in Mischgebieten der Einzelhandel vollständig ausgeschlossen werden.107 Soweit der Ausschluss durch ein nachvollziehbares, widerspruchsfreies Einzelhandelskonzept getragen wird, verlangt die Rechtsprechung nicht, dass jedes ausgeschlossene Sortiment tatsächlich zentrenschädigend wirken muss. Gegenüber dem Ausschluss einzelner Sortimente benötigt der generelle Ausschluss als schärferer Eingriff dennoch eine gewichtige Begründung seiner Erforderlichkeit.108 Der Ausschluss von Einzelhandel kann durch eine Unterscheidung von anerkannten Einzelhandelstypen weiter ausdifferenziert werden, zum Beispiel kann die Gemeinde Tankstellenshops vom Ausschluss ausnehmen.109 Nach § 1 Abs. 9 BauNVO können Unterarten von Nutzungen ausgeschlossen werden, sofern sie typisierbar sind. Dies ermöglicht den Ausschluss zentrenrele vanter Sortimente. Aus dem Typisierbarkeitserfordernis ergibt sich, dass eine festgesetzte Warenkategorie tatsächlich „in der sozialen und ökonomischen Realität“ anerkannt sein muss.110 Grundsätzlich werden Sortimentsbeschränkungen durch das Ziel, den Innenstadthandel zu stärken, städtebaulich gerechtfertigt.111 Es droht allerdings eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots, werden in der Fest 106
Zusammenfassend Bienek (2008), S. 375. Höchstrichterlich BVerwG, Urteil vom 26.03.2009 – 4 C 21/07 –; zuvor kritisch Bischopink (2007), S. 830; Reidt (2007), S. 2004. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung stimmt unter Verweis auf Rechtssicherheitserwägungen Jaeger (2009) zu, S. 1678; ebenfalls zustimmend Janning (2009), S. 439. 108 Eingehend Janning (2014b), S. 427 ff.; Janning (2009) empfiehlt, den Ausschluss nur auf zentrenrelevante Sortimenter zu beschränken, S. 438. 109 Maidowski (2008), S. 177 f. 110 BVerwG, Beschluss vom 27.07.1998 – 4 BN 31/98 –; Mikesic/Würsig (2009), S. 197; Janning (2005), S. 1100; Füßer/Lau (2009), S. 1833. 111 Janning (2005), S. 1097; Mikesic/Würsig (2009), S. 200. 107
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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setzung pauschal „innenstadtrelevante Sortimente“ ausgeschlossen, diese aber nicht im Einzelnen bezeichnet.112 Ebenso genügt es nicht, unkritisch beispielhafte Sortimentslisten aus Einzelhandelserlässen113 zu übernehmen. Stattdessen muss die Differenzierung zwischen Sortimenten nach § 1 Abs. 9 BauNVO durch besondere städtebauliche Gründe getragen sowie abwägungsfehlerfrei festgesetzt werden. Dafür müssen die ausgeschlossenen Sortimente auch tatsächlich zentrenrelevant sein.114 Dies verlangt nicht zwingend, dass sie im Zentrum bereits angeboten werden, auch Entwicklungspotentiale werden geschützt.115 Es bedarf aber eines schlüssigen städtebaulichen Konzepts.116 Üblicherweise kennzeichnen sich innenstadtrelevante Sortimente durch eine hohe Flächenproduktivität und leichte Transportierbarkeit, außerdem werden sie eher im „Erlebniseinkauf“ als im Versorgungseinkauf erworben. Die Gemeinde muss somit ihre zentrenrelevanten Sortimente ermitteln und im Bebauungsplan einzeln auflisten. Dies setzt ein Einzelhandelskonzept voraus.117 Insbesondere Marktgutachten eignen sich zur Rechtfertigung.118 Zur beachten ist, dass der Sortimentsausschluss nur Hauptsortimente erfasst, während der Verkauf von zentrenrelevanten Gütern als Randsortiment weiterhin zulässig bleibt.119 Überplant die Gemeinde eine Lage mit den Gebietstypen nach §§ 2 bis 10 BauNVO, gibt das Gesetz die zulässigen Nutzungsarten vor, die nur auf Grundlage des § 1 Abs. 5 u. 9 BauNVO verfeinert werden dürfen. Es gilt der Grundsatz, dass sich die Gemeinde bei der Feindifferenzierung an abstrakten Anlagentypen orientieren muss und keine Projektplanung betreiben darf. Konkrete Vorgaben in Form von Verkaufsflächenbeschränkungen sind mangels Ermächtigungsgrundlage unzulässig.120 Anders stellt es sich in Sondergebieten dar. Das Sondergebiet 112 Maidowski (2008), S. 178; Reidt (2007), S. 2005. Das OVG NRW geht bereits von mangelnder Bestimmtheit aus, wenn konkreten Sortimentslisten Auffangklauseln beigefügt werden, siehe Urteil vom 03.06.2002 – 7a D 92/99.NE – und Urteil vom 09.10.2003 – 10a D 76/01. NE. Zustimmend Bischopink (2007), S. 830; kritisch dagegen Janning (2005), S. 1095; ablehnend OVG RP, Urteil vom 24.08.2000 – 1 C 11457/99 –; VGH Hessen, Urteil vom 18.12.2003 – 4 N 1372/01. 113 Einzelhandelserlässe sind Verwaltungsvorschriften, die den Gemeinden die Anwendung einzelhandelssteuernder Instrumentarien erläutern. 114 Janning (2005), S. 1101; Bischopink (2007), S. 832; Reidt (2007), S. 2005; Füßer/Lau (2009), S. 1833. 115 Janning (2005), S. 1103. 116 Maidowski (2008), S. 178. 117 Janning (2005), S. 1102. 118 VGH BW, Urteil vom 21.05.2001 – 5 S 901/99. 119 Janning (2005), S. 1107. 120 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 22.05.1987 – 4 C 77/84. Ergänzend sei angemerkt, dass das Bundesverwaltungsgericht Verkaufsflächenbeschränkungen auch außerhalb von Sondergebieten zulässt, wenn die Verkaufsfläche als das maßgebliche Kennzeichen eines bestimmten Betriebstyps gilt. In seinem Beschluss vom 08.11.2004 – 4 BN 39/04 – wurde es hingenommen, innerhalb eines Gewerbegebiets den zugelassenen Betriebstyp „Nachbarschaftsladen“ über eine Verkaufsflächenbegrenzung auf 400 m² zu bestimmen. Siehe auch Janning (2005), S. 1108; Bischopink (2007), S. 831; Füßer/Lau (2009), S. 1834.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
zeichnet sich durch einen Festsetzungsgehalt aus, der keinem der in §§ 2 bis 10 BauNVO geregelten Gebietstypen entspricht. Stattdessen bestimmt die Gemeinde selbst die im Sondergebiet zulässigen Nutzungen, ohne auf § 1 Abs. 5 u. 9 BauNVO beschränkt zu sein. Nach § 16 Abs. 2 BauNVO kann sie Verkaufsflächen generell und sortimentsbezogen beschränken.121 Seit der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung vom 03.04.2008122 wurde allerdings einschränkend klargestellt, dass solche Verkaufsflächenbegrenzungen nur vorhabenbezogen, nicht aber gebietsbezogen erfolgen dürfen. Die Gemeinde ist nicht berechtigt, für ein Gebiet eine Gesamthöchstgrenze der Verkaufsfläche festzusetzen, welche die einzelnen Grundstückseigentümer nur in einem Wettlauf auf Kosten der jeweils anderen ausschöpfen könnten. Die Veranstaltung eines solchen „Windhundrennens“ ist durch die Ermächtigungsgrundlage des § 16 Abs. 2 BauNVO nicht gedeckt. Zulässig sind dagegen vorhabenbezogene Verkaufsflächenbegrenzungen, die jedem Vorhabenträger die Möglichkeit geben, sein jeweiliges Kontingent unabhängig von den Nutzungen seiner Nachbarn auszuschöpfen. Diese Differenzierung hat auch in der Literatur Zustimmung gefunden.123 2. Einfacher Bebauungsplan nach § 9 Abs. 2a BauGB Mit der am 01.01.2007 in Kraft getretenen Baurechtsnovelle124 hat der Gesetzgeber durch § 9 Abs. 2a BauGB ein Instrument geschaffen, Einzelhandelssteuerung auch durch einfache Bebauungspläne zu betreiben. Allgemein darf die Gemeinde die Feinsteuerung nach § 1 Abs. 5 u. 9 BauNVO nur dann anwenden, wenn sie zuvor einen Baugebietstyp festgesetzt hat. § 9 Abs. 2a BauGB lässt Feinsteuerung nunmehr auch im unbeplanten Bereich zu.125 Obwohl diese Vorschrift nicht ausdrücklich auf § 1 Abs. 5 u. 9 BauNVO verweist, ist davon auszugehen, dass sie dieselben Festsetzungsmöglichkeiten unter denselben Zulässigkeitsvoraussetzungen gewährt.126 Demnach können vor allem Einzelhandels- und Sortimentsausschlüsse festgesetzt werden. Auf diese Weise kann die Gemeinde zwei Schwächen des § 34 Abs. 3 BauGB ausgleichen:127 Zum einen vermeidet eine Gemeinde, die Einzelhandelsvorhaben verhindern will, die komplizierte Beweisführung im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB, wenn sie eindeutige Sortimentsausschlüsse oder Einzelhandelsausschlüsse festsetzt. Zum anderen schützt § 34 Abs. 3 BauGB nur tatsächlich vorhandene zentrale 121
Maidowski (2008), S. 173. BVerwG, Urteil vom 03.04.2008 – 4 CN 3/07. 123 Ausführlich Bischopink (2010), S. 223; im Ergebnis zustimmend auch Mampel (2009), S. 435; Kopf (2010), S. 170. 124 BGBl. I, 3316 vom 21.12.2006. 125 Dazu Gronemeyer (2007), S. 819; Uechtritz (2007), S. 487; Reidt (2007), S. 2006. 126 Uechtritz (2007), S. 488; Bischopink (2007), S. 834; Reidt (2007), S. 2006; Mikesic/ Würsig (2009), S. 201; Michallik (2010), S. 115 f. 127 Vgl. Mikesic/Würsig (2009), S. 197; Bischopink (2007), S. 833. 122
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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Versorgungsbereiche, nicht aber Entwicklungsabsichten der Gemeinde.128 Demgegenüber können Festsetzungen nach § 9 Abs. 2a BauGB auch zur „Entwicklung“ zentraler Versorgungsbereiche getroffen werden: Ausdrücklich verweist der Gesetzeswortlaut über § 1 Abs. 4 Nr. 11 BauGB auf die informelle Planung der Gemeinde durch Einzelhandelskonzepte.129 Nach § 30 Abs. 3 BauGB findet ergänzend immer noch § 34 BauGB und insbesondere dessen Abs. 3 Anwendung. Somit wird über § 9 Abs. 2a BauGB das Zulässigkeitsspektrum niemals erweitert.130 3. Bestandsschutz, Veränderungssperre und Rückstellung Soll ein Vorhaben verwirklicht werden, dem keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (materielle Legalität), so ist die Bauaufsichtsbehörde zu dessen Genehmigung verpflichtet. Mit der Genehmigung erhält das Vorhaben Bestandsschutz.131 Wegen des Bestandsschutzes können einmal genehmigte Nutzungen weiterhin rechtmäßig ausgeübt werden, wenn sich die Rechtslage nachträglich verändert, insbesondere wenn das betreffende Gebiet nachträglich derart überplant wird, dass eine erneute Genehmigung an materieller Illegalität scheitern würde. Die Gemeinde muss also danach streben, ihr Gebiet so zu überplanen, dass nur Einzelhandelsvorhaben zulässig sind, die durch ihr Einzelhandelskonzept auch gewünscht werden. Weist die Überplanung Lücken auf, stoßen durch diese Lücken womöglich Einzelhandelsvorhaben, erlangen Bestandsschutz und können von da an nicht mehr verhindert werden. Dies wiederum bedroht das Einzelhandels konzept. Es verliert bei inkonsequenter Anwendung seine Rechtswirkung.132 Typischerweise raten Einzelhandelskonzepte einer Gemeinde, Einzelhandelsansiedlungen in Industrie- und Gewerbegebieten zu verhindern. Werden hier nun Baugenehmigungen für Einzelhandelsvorhaben beantragt, hat die Gemeinde diesen aber noch nicht vorgebeugt – etwa durch einen Einzelhandelsausschluss –, so gerät sie in Bedrängnis. Für diesen Fall stellt das BauGB mit der Veränderungssperre und der Zurückstellung von Baugesuchen zwei Instrumente zur Verfügung, die in der Praxis regelmäßig eingesetzt werden.133 128
Siehe oben Abschnitt B. I. 1. a). Maidowski (2008), S. 179; siehe dazu auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/2496, S. 11 f.; kritisch wegen der Gefahr einer reinen Negativplanung bei aussichtslosen Entwicklungshoffnungen, Gronemeyer (2007), S. 820. 130 Kuschnerus (2007), Rn. 565; Reidt (2007), S. 2007. Bienek/Krautzberger (2008) gehen hingegen davon aus, Festsetzungen nach § 9 Abs. 2a BauGB verdrängten § 34 Abs. 3 BauGB, was eine Lockerung des Schutzniveaus ermöglichen würde, S. 84 f. 131 Dazu ausführlich Brohm (2002), § 22; ferner Schrödter (2006), § 35 Rn. 125; Stüer (2015), Rn. 2027 ff.; Ferner/Kröninger/Aschke (2008), § 30 Rn. 4. 132 BVerwG, Urteil vom 29.01.2009 – 4 C 16/07. 133 Michallik (2010), S. 119 ff. 129
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Eine Veränderungssperre nach §§ 14, 16 BauGB wird als Satzung erlassen und verbietet grundsätzlich die Durchführung aller Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB. Ihr Erlass setzt einen Planaufstellungsbeschluss nach § 2 Abs. 1 BauGB voraus und hat zur Sicherung der Planung erforderlich zu sein. Deshalb muss die Planung einen Stand erreicht haben, der den Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans in einem Mindestmaß vorhersehbar macht.134 Die Gemeinde darf nicht allein Verhinderungsplanung gegen einzelne Vorhaben betreiben, sondern muss auch einen erkennbaren Planungsinhalt, zum Beispiel einen Einzelhandelsausschluss, vor Augen haben. Sehr wohl darf sie aber auf bestimmte Bauabsichten reagieren.135 Will die Gemeinde nur einzelne Vorhaben verhindern, statt Veränderungen im ganzen Gebiet zu sperren, oder ist die Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, so kann die Bauaufsichtsbehörde auf Antrag der Gemeinde Baugesuche nach § 15 BauGB durch Verwaltungsakt zurückstellen. Hat der Vorhabenträger bereits Planungskosten aufgewendet, die durch eine solche ad-hoc-Entscheidung der Gemeinde ihren Zweck verfehlen, kann er nach § 39 BauGB regelmäßig deren Ersatz fordern.136 Im Übrigen ist zu bemerken, dass für die planungsrechtliche Zulässigkeit der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht maßgeblich ist.137 Will die Gemeinde ein Einzelhandelsvorhaben demnach verhindern, wird ihr die Planaufstellung gelingen, ehe der Vorhabenträger im Wege einer Verpflichtungsklage eine Baugenehmigung erlangt. Da sie auf Bauabsichten reagieren darf, ist ein solches Vorgehen rechtmäßig. Es kann aber zu Ersatzansprüchen führen.138 4. Weitere Einflussmöglichkeiten der Gemeinde Bauleitpläne und der Vollzug von Planersatzregeln sind zwar die konventionellen Methoden der Einzelhandelssteuerung. Sie sind aber selbstverständlich nicht die einzigen Einwirkungsmöglichkeiten, mit denen eine Gemeinde auf den Einzelhandel in ihrem Gebiet Einfluss nehmen kann. Abhängig von ihrer Handlungsentschlossenheit und Improvisationsbereitschaft eröffnet sich ein beträchtlicher Spielraum, um Unternehmen zu behindern, zu unterstützen oder ihre Willens bildung zu beeinflussen.
134
BVerwG, Urteil vom 10.09.1976 – 4 C 39/74. Zur Abgrenzung von unzulässiger Negativplanung und zulässiger Reaktionsplanung BVerwG, Beschluss vom 18.12.1990 – 4 NB 8/90 –; speziell zur Einzelhandelssteuerung siehe OVG NRW, Beschluss vom 11.07.2007 – 7 A 3851/06 –; zur dogmatischen Fundierung des Verbots der Negativplanung Michallik (2010), S. 150 f. 136 Zum Planungsschadensrecht siehe Tyczewski/Freund (2007), S. 491. 137 Erbguth/Schubert (2014), S. 485 f. 138 Vgl. z. B. VG Aachen, Urteil vom 30.11.2009 – 5 K 1777/08. 135
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Allem voran durch Vertragsgestaltungen kann die Gemeinde Vorhabenbetreiber auf ganz konkrete Vorgaben verpflichten und somit aktive Projektplanung betreiben.139 Bei der Vertragsgestaltung sind der Kreativität der Gemeinde kaum Grenzen gesetzt.140 Wenn die Gemeinde dazu in der Lage ist, einem Unternehmen verschiedene Vorteile anzubieten, zum Beispiel opportune Bebauungspläne oder die Überlassung gemeindlicher Grundstücke, kann sie Gegenleistungen aller Art einfordern. Wird ein Einzelhandelsbetrieb durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 BauGB zugelassen, kann die Gemeinde den Vorhabenträger im Durchführungsvertrag an Vorgaben binden, bei deren Gestaltung sie nicht an den Festsetzungskatalog der BauNVO gebunden ist.141 Verträge bestimmen nicht nur die ästhetische Gestaltung und die Erschließung von baulichen Anlagen. Die Gemeinde kann auch als Gegenleistung von einem Unternehmen einfordern, dass es unrentable Einzelhandelsbetriebe fortführt, deren Erhaltung sie wünscht.142 Ihre Einflussmöglichkeit wächst, wenn sie leerstehende Grundstücke aufkauft. Unter den Interessenten wählt sie dann jene, die ihre Vorstellungen über die Grundstücksnutzung teilen.143 Seit der Baurechtsnovelle von 2007 ist der Landesgesetzgeber ferner befugt, seine Gemeinden gemäß § 171f BauGB zur Förderung privater Stadtentwicklungsinitiativen in sogenannten Business Improvement Districts (BID) zu ermächtigen. Diese Stadtentwicklungsinitiativen sollen in als BID ausgewiesenen zentralen Orten die Funktion eines Centermanagements übernehmen, um ihre Koordinationsfähigkeit auf das Niveau konkurrierender Einkaufszentren zu heben. Der Kern der Regelung besteht darin, dass die Gemeinden ermächtigt werden können, die Tätigkeit des Aufgabenträgers dieser Stadtentwicklungsinitiativen durch eine Zwangsabgabe auf Kosten der Grundstückseigentümer zu finanzieren.144 Faktisch begrenzt nicht einmal die Illegalität den gemeindlichen Einfluss. Wenn die Gemeinde Einzelhandelsprojekte verhindern will, genügt es oft, die Genehmigungsentscheidung gezielt zu verzögern, um den Investor zu verschrecken. Ohne eine Zurückstellung oder Veränderungssperre zu verfügen, mag dieses Vorgehen rechtswidrig sein. Es bleibt gleichwohl effektiv.145
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Zu der sich ausweitenden Praxis der Vertragsplanung Sparwasser (2006), S. 369. Zur Einzelhandelssteuerung durch städtebauliche Verträge Michallik (2010), S. 121 ff. 141 Zur Einzelhandelssteuerung mittels vorhabenbezogener Bebauungspläne Michallik (2010), S. 117 ff. 142 Dies empfiehlt der Praxisratgeber Junker/Kühn (2006), S. 106 f. 143 Koob (1993), S. 124. 144 Kersten (2007); Butt (2007), S. 372. 145 Koob (1993), S. 117 ff. 140
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
III. Gesetzliche Planungsvorgaben Das Bundesrecht lässt es grundsätzlich im Verantwortungsbereich der Gemeinde, inwieweit sie ihre Innenstadt oder ihre Nahversorger durch Einzelhandelssteuerung mit den oben dargestellten Instrumentarien schützt oder Einzelhandel in großem Umfang zulässt. Materielle Grenzen setzt nur das Gebot gerechter Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB. Dies ändert sich, sobald der Umfang des Einzelhandels die gemeindeeigene Nachfrage übersteigt und er Nachbargemeinden in seinen Einzugsbereich einschließt. Der sich dann ergebende Wettbewerb zwischen Gemeinden wird durch § 2 Abs. 2 BauGB beschränkt. Darüber hinaus greift das Raumordnungsrecht der Länder verschiedentlich in die Planungshoheit von Gemeinden ein. Raumordnungsrechtliche Vorgaben steuern nicht nur übergemeindliche Auswirkungen, sondern zwingen die Gemeinde darüber hinaus, die Wettbewerbsbeziehungen des eigenen Einzelhandels im Interesse von Zentrum und Nahversorgung zu beeinflussen. 1. Gebot gerechter Abwägung und städtebauliche Rechtfertigung Auch auf dem Gebiet der Einzelhandelssteuerung muss die Gemeinde gemäß § 1 Abs. 7 BauGB Abwägungsfehler146 vermeiden und Festsetzungen treffen, die gemäß § 1 Abs. 3 BauGB städtebaulich erforderlich sind. Andernfalls droht die Unwirksamkeit ihrer Bauleitpläne. Da Einzelhandelssteuerung immer über gebietsbezogene Einzelhandelsverhinderung wirkt, steht sie in einem ständigen Spannungsverhältnis mit der Eigentumsfreiheit von Grundstückseigentümern.147 Belange, welche die Einzelhandelssteuerung rechtfertigen können, sind zahlreich und ergeben sich aus § 1 Abs. 6 BauGB: Insbesondere gehören hierzu die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche (Nr. 4), die mittelständische Struktur der Wirtschaft, verbrauchernahe Versorgung (Nr. 8 lit. a), Vermeidung und Verringerung von Verkehr (Nr. 9) und die Ergebnisse eines beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzepts (Nr. 11). Gerade städtebaulichen Entwicklungskonzepten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Hat die Gemeinde ein schlüssiges und realisierbares148 Einzelhandelskonzept beschlossen, so ist dieses im Regelfall in der Lage, alle Festsetzungen im Sinne der §§ 1 Abs. 5 u. 9 BauNVO, 9 Abs. 2a BauGB zu rechtfertigen, die es verwirklichen.149 Mit dem 146
Grundlegend BVerwG, Urteil vom 05.07.1974 – IV C 50/72 – (Flachglas-Urteil); Brohm (2002), § 13 Rn. 13 ff. 147 Maidowski/Schulte (2009), S. 1384; Maidowski (2008), S. 169; grundsätzlich Lege (2014), S. 242. 148 Zur erforderlichen Stringenz und Realisierbarkeit von Einzelhandelskonzepten Füßer/Lau (2009), S. 1836. 149 Dazu Hoffmann/Kassow (2010), S. 715; Butt (2007), S. 371; ausführlich, auch mit Darstellung der Anforderungen an Kern- und Sondergebietsfestsetzungen, Bischopink (2007), S. 825; zur jüngeren Rechtsprechung Battis (2015), 1422.
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Beschluss löst das Konzept eine interne Bindung der Gemeinde aus.150 Das Einzelhandelskonzept ist der Schlüssel zur abwägungsfehlerfreien Einzelhandelssteuerung. Selbst wenn es nicht formell im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB beschlossen wurde, so muss die gemeindliche Planung zumindest informell durch eine einheitliche und schlüssige Gesamtkonzeption getragen sein, die das vollständige Gemeindegebiet umfasst.151 Zudem muss die Gemeinde das Konzept konsequent umsetzen. Je häufiger sie das Einzelhandelskonzept durchbricht, desto geringer ist sein Gewicht bei der Abwägung.152 2. Raumordnungsrecht und Zentrale-Orte-Konzept Die Länder haben den Gemeinden in ihren Landesentwicklungsprogrammen und Landesentwicklungsplänen raumordnungsrechtliche Grenzen für die Einzelhandelsentwicklung gesetzt. Bei der Auslegung dieser Bestimmungen müssen Ziele und Grundsätze der Raumordnung unterschieden werden. Ziele der Raumordnung sind nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ROG verbindliche Vorgaben, über welche sich die Gemeinde nicht im Wege der Abwägung hinwegsetzen darf.153 Diese lösen eine Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB aus. Um als verbindliche Zielvorgaben geeignet zu sein, müssen raumordnungsrechtliche Regelungen allerdings ein hinreichendes Maß an Bestimmtheit aufweisen. Eine Durchbrechung von Zielen ist ausnahmsweise im so bezeichneten Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 ROG möglich. Dabei ist die Gemeinde selbst nicht zur Durchführung eines Zielabweichungsverfahrens befugt, sondern eine andere, nach Landesrecht ausgewiesene Stelle. Grundsätze der Raumordnung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind dagegen allein nach § 1 Abs. 7 BauGB abwägungsrelevant und können im Rahmen der Abwägung hinter andere Belange zurückgestellt werden.154 Raumordnungsrechtliche Vorgaben binden nur die Gemeinde, nicht unmittelbar den Vorhabenträger.155 Aus ihnen kann sich jedoch eine Pflicht zur Erstaufstellung von Bebauungsplänen ergeben, durch welche die Gemeinde zur Ausschluss 150
Bischopink (2007), S. 827. Deutlich OVG SN, Urteil vom 17.07.2007 – 1 D 18/05. 152 BVerwG, Urteil vom 29.01.2009 – 4 C 16/07; Füßer/Lau (2009), S. 1833 f. 153 Siehe zu den Zielen der Raumordnung Kümper (2012), S. 632 f.; Koch/Hendler (2009), § 3 Rn. 14 ff.; Kuschnerus (2007), Rn. 393 ff.; Hager (2011), S. 193; Schulte (1999), S. 944; Hoppe (1993), S. 682 f. 154 Siehe zu den Grundsätzen der Raumordnung Koch/Hendler (2009), § 3 Rn. 3 ff.; Hoppe (1993), S. 683 f. 155 Es wird allgemein davon ausgegangen, dass mit Erlass des Baugesetzbuches das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 Var. 2 GG) abschließend durch den Bund geregelt ist und für landesgesetzliche Bestimmungen nach Art. 72 Abs. 1 GG kein Raum mehr bleibt. Unmittelbar für Vorhabenträger verbindliche Regelungen würden dem Bodenrecht zugeordnet. Stattdessen müssen Ziele der Raumordnung verfassungskonform so verstanden werden, dass sie nur Vorgaben für die Bauleitplanung i. S. d. § 1 Abs. 4 BauGB darstellen. Dies ergibt sich auch aus § 4 ROG. Vgl. dazu etwa Kuschnerus (2010), S. 326; Schulte (1999), S. 942. 151
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
planung gezwungen wird.156 Die Länder können solche Ausschlussplanung im Wege der Rechtsaufsicht erzwingen, sobald die Gemeinde die raumordnungsrechtlichen Planungspflichten verletzt. Darüber hinaus verlieren Bebauungspläne bei Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BauGB ihre Wirksamkeit und es bleibt dann bei dem Maßstab der §§ 34, 35 BauGB. Großflächige Einzelhandelsvorhaben können deren Anforderungen im Regelfall nicht erfüllen, sondern sind auf Kern- oder Sondergebietsausweisungen angewiesen. Schließlich ist die raumordnungsrechtlich zugewiesene Funktion einer Gemeinde nach § 2 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BauGB Schutzgut im Rahmen der interkommunalen Abstimmung. Nachbargemeinden steht zu ihrer Verteidigung der Rechtsweg offen. a) Das Zentrale-Orte-Konzept Abgesehen von den Stadtstaaten folgen die raumordnungsrechtlichen Regelungen der Länder durchwegs dem Prinzip der zentralen Orte. Zentrale Orte sind Gemeinden, die raumordnungsrechtlich als Siedlungsschwerpunkte ausgewählt wurden. Wie von § 8 Abs. 5 Nr. 1 lit. b) ROG gefordert, geschah dies, indem die Länder unter ihren Gemeinden Ober-, Mittel-, und Grundzentren ausgewiesen haben.157 Diese Bestimmung erfolgt nicht abstrakt, sondern bezeichnet die betreffenden Gemeinden individuell. Je höher die Zentralitätsstufe einer Gemeinde, desto größer soll auch der Einzugsbereich ihres Einzelhandels sein und desto weiter darf er über das Gemeindegebiet hinausreichen. Der hessische Landesentwicklungsplan geht beispielsweise davon aus, dass seine ausgewiesenen Oberzentren „Großstädte mit möglichst 100.000 Einwohnern“ sind, die einen Einzugsbereich von 250.000 bis 500.000 Einwohnern versorgen.158 Auf diese Zentrenausweisungen nehmen verbindliche Zielvorgaben Bezug. Typischerweise enthalten die Landesentwicklungsprogramme und -pläne eine Bestimmung, welche die Ansiedlung großflächigen Einzelhandels außerhalb der zentralen Orte untersagt (durch das sogenannte Konzentrationsgebot oder Zentralitätsgebot).159 Die Regelungsstruktur ist je nach Bundesland unterschiedlich 156
Kuschnerus (2007), Rn. 424; ders. (2010), S. 326; Kopf (2009), S. 15. Für Baden-Württemberg siehe Nr. 2.5 LEP BW; Bayern siehe 2.1.5 und Anhang 1 LEP BY; Berlin-Brandenburg siehe Nr. 2 und Festsetzungskarte 1 LEP B-B; Hessen siehe Nr. 4.2 LEP HE; Mecklenburg-Vorpommern siehe Nr. 3.2 LEP MV; Niedersachsen siehe 2.2 LROP NI; Nordrhein-Westfalen siehe § 22 LEPro NRW; Rheinland-Pfalz siehe Nr. 3.1.1 LEP IV RP; Saarland siehe Nr. 2.1.2 LEP SL Teilabschnitt „Siedlung“; Sachsen siehe Nr. 1.3 LEP SN; Sachsen-Anhalt siehe Nr. 3.2 LEP LSA; Schleswig-Holstein siehe Nr. 2.2 LEP SH; Thüringen siehe Nr. 2.2 LEP TH. 158 LEP HE Nr. 4.2.2.1. 159 Konzentrationsgebote normiert das Landesrecht von Baden-Württemberg (Nr. 3.3.7 LEP BW); Bayern (5.3.1 LEP BY); Berlin-Brandenburg (Nr. 4.7 Abs. 1, 4, 6 LEP B-B); Hessen (Nr. 4.1.2 LEP HE); Mecklenburg-Vorpommern (Nr. 4.3.2 Abs. 1 LEP MV); Niedersachsen (2.3.03 Satz 5 LROP NI); Rheinland-Pfalz (Nr. 3.2.3 Z57 LEP IV RP); Saarland 157
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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differenziert. Durchwegs sehen die Regelungen Ausnahmen vor, etwa durch Normierung einer Soll-Bestimmung. Zum Teil wird zusätzlich nach Geschossflächen unterschieden und werden somit Einzelhandelsvorhaben bestimmter Größen nur in Mittel- oder Oberzentren zugelassen. Das Konzentrationsgebot wird durch Integrationsgebote weiter verfeinert.160 Nachdem Einzelhandelsgroßprojekte in zentralen Orten konzentriert wurden, verweisen Integrationsgebote sie innerhalb solcher zentraler Orte auf städtebaulich integrierte Standorte und verbieten sie in Randbereichen. Eine weitere gängige Regelung sind Beeinträchtigungsverbote.161 Sie stellen auf die Kaufkraftumverteilung ab, die ein großflächiges Vorhaben auslösen würde. Raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbote verbieten Einzelhandelsgroßprojekte, welche die Funktion benachbarter zentraler Orte erheblich stören. Welche Funktion den zentralen Orten zugewiesen ist, hängt wiederum davon ab, ob es sich um ein Ober-, Mittel- oder Grundzentrum handelt. Städtebauliche Beeinträchtigungsverbote untersagen dagegen Beeinträchtigungen von Stadtkernen sowie der verbrauchernahen Versorgung und damit innergemeindliche Auswirkungen. Ebenfalls auf die Auswirkungen von Vorhaben zielt das Kongruenzgebot: Der Einzugsbereich eines Einzelhandelsgroßprojekts soll den Verflechtungsbereich des zentralen Ortes, in dem es sich befindet, nicht wesentlich überschreiten.162 Die Gebote der Konzentration und Kongruenz sowie das raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbot beschränken den Wettbewerb zwischen Gemeinden und verteidigen die Stellung von Orten höherer Zentralitätsstufe. Dies geschieht mit dem Ziel, Einzelhandelsschwerpunkte in regional gut erreichbare Lagen zu (Nr. 2.5.2 (42) LEP SL Teilabschnitt „Siedlung“); Sachsen (Nr. 2.3.2.1 und 2.3.2.2 LEP SL); Sachsen-Anhalt (Nr. 3.2.8 Satz 1, 2 LEP ST); Schleswig-Holstein (Nr. 2.8 3Z LEP SH); Thüringen (Nr. 3.2.1 und 3.2.2 LEP TH); dazu Michallik (2010), S. 53 ff. 160 Integrationsgebote: Baden-Württemberg (Nr. 3.3.7.2 Satz 2, 3 LEP BW); Bayern (5.3.2 LEP BY); Berlin-Brandenburg (Nr. 4.8 LEP B-B); Hessen (Nr. 4.1.2 LEP HE); MecklenburgVorpommern (Nr. 4.3.2 Abs. 4, 5, 7 LEP MV); Niedersachsen (2.3.03 Satz 6, 7, 8 LROP NI); Nordrhein-Westfalen (§ 24a Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2, LEPro NRW); Rheinland-Pfalz (Nr. 3.2.3 Z58, Z61 LEP IV RP); Saarland (Nr. 2.5.2 (46), (47), (48) LEP SL Teilabschnitt „Siedlung“); Sachsen (Nr. 2.3.2.3 und 2.3.2.6 LEP SN); Sachsen-Anhalt (Nr. 2.3.2.3 S. 3 Nr. 2, 4 LEP ST); Schleswig-Holstein (Nr. 2.8 6Z LEP SH); Thüringen (Nr. 3.2.3 LEP TH; dazu Michallik (2010), S. 60 ff. 161 Beeinträchtigungsverbote: Baden-Württemberg (Nr. 3.3.7.1 S. 1 und 3.3.7.2 S. 1 LEP BW); Bayern (5.3.3 LEP BY); Berlin-Brandenburg (Nr. 4.7 Abs. 2 LEP B-B); Hessen (Nr. 4.1.2 LEP HE); Mecklenburg-Vorpommern (Nr. 4.3.2 Abs. 3 u. 8 LEP MV); Niedersachsen (2.3.03 Satz 19 LROP NI); Nordrhein-Westfalen (§ 24a Abs. 1 S. 3 LEPro NRW); Rheinland-Pfalz (Nr. 3.2.3 Z60 LEP IV RP); Saarland (Nr. 2.5.2 (45) LEP SL Teilabschnitt „Siedlung“); Sachsen (Nr. 2.3.2.5 LEP SN); Schleswig-Holstein (Nr. 2.8 4Z ); Thüringen (Nr. 3.2.4 LEP TH); dazu Michallik (2010), S. 58 ff. 162 Kongruenzgebote: Baden-Württemberg (Nr. 3.3.7.1 S. 1 LEP BW); Berlin-Brandenburg (Nr. 4.7 Abs. 3 LEP B-B); Hessen (Nr. 4.1.2 LEP HE); Mecklenburg-Vorpommern (Nr. 4.3.2 Abs. 2 LEP MV); Niedersachsen (2.3.03 Satz 1 LROP NI); Saarland (Nr. 2.5.2 (44) LEP SL Teilabschnitt „Siedlung“); Sachsen (Nr. 2.3.2.4 LEP SN); Sachsen-Anhalt (Nr. 3.2.8 S. 3 Nr. 1 LEP ST); Schleswig-Holstein (Nr. 2.8 5Z LEP SH); dazu Michallik (2010), S. 56 ff.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
steuern. Demgegenüber betreffen das Integrationsgebot sowie das städtebauliche Beeinträchtigungsverbot rein innergemeindliche Belange. Der Landesgesetzgeber zwingt die Gemeinden mit diesen Mitteln zum Eingriff in den innergemeindlichen Wettbewerb, um Stadtzentren und eine verbrauchernahe Versorgung zu schützen. b) Regelungstechnische Probleme bei raumordnerischer Einzelhandelssteuerung Die oben genannten Regelungen greifen oft auf allgemein gehaltene RegelAusnahme-Strukturen zurück. Häufig werden auch schlichte „Soll“-Bestimmungen verwendet, die insofern Verbindlichkeit beanspruchen, als ihre Durchbrechung einen atypischen Fall verlangt. Dies lässt es oft zweifelhaft erscheinen, ob sie den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots für raumordnungsrechtliche Ziele genügen. Daneben greifen die landesrechtlichen Vorgaben durchwegs in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ein und müssen dabei verhältnismäßig sein. Das macht flexible Regelungen notwendig, um besonderen regionalen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Damit geraten die Länder in ein Spannungsverhältnis. Einerseits drängt sie das Verhältnismäßigkeitsprinzip dazu, ihre Vorgaben aufzuweichen, um den Einzelfall zu berücksichtigen. Gleichzeitig sind bei weich gefassten Vorgaben aber deren Bestimmtheit und damit ihre Zielqualität bedroht.163 Musterhaft zeigt dies die Geschichte des Landesentwicklungsprogramms von Nordrhein-Westfalen: Um großflächigen Einzelhandel zu steuern, forderte § 24 Abs. 3 LEPro NRW a. F., dass Sondergebietsausweisungen nur vorgenommen werden „sollen“, wenn die Betriebe „der angestrebten zentralörtlichen Gliederung sowie der in diesem Rahmen zu sichernden Versorgung der Bevölkerung entsprechen und wenn sie räumlich und funktional den Siedlungsschwerpunkten zugeordnet sind.“ Das Oberverwaltungsgericht sprach der Vorschrift eine hinreichende Bestimmtheit und damit die Verbindlichkeit eines Ziels ab.164 Daraufhin wurden mit einem neuen § 24a Abs. 1 S. 4 LEPro NRW a. F.165 für Factory-Outlet-Center166 feste Schwellenwerte von maximal 5.000 m² Verkaufsfläche festgelegt, sofern sie in Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern angesiedelt werden sollen. Das Landesverfassungsgericht sah durch diese neue Regelung die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ver 163
Michallik (2010), S. 62 ff. OVG NRW, Urteil vom 06.06.2005 – 10 D 145/04.NE. 165 Änderungsgesetz vom 19.06.2007, GV. NRW S. 225. 166 Ein Factory-Outlet-Center (FOC) ist ein Großbetrieb, in dem mehrere kooperierende Markenartikelhersteller ihre Ware direkt an den Endabnehmer verkaufen, statt zunächst an den Großhandel. Das Preisniveau liegt wesentlich unter üblichen Einzelhandelspreisen, weil der Verkauf vor allem Überproduktion, Ausschussware und Auslaufmodelle umfasst und es kaum Beratung und Bedienung gibt. Der Schwerpunkt des Angebots liegt meist bei Bekleidung. Im Normalfall überschreitet die Verkaufsfläche eines FOC 5.000 m² deutlich. Siehe Geml/Lauer (2008), S. 102; Hahn/Pudemat (1998), S. 339 f. 164
B. Maßgebliche Rechtsvorschriften und Regelungsstrukturen
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letzt, weil der strikte Schwellenwert „Hersteller-Direktverkaufszentren landesweit generell untersagt, ohne die jeweiligen regionalen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen“.167 Die Regelung wurde ohne Ersatz aufgehoben.168 Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr klargestellt, dass auch bloße SollBestimmungen Zielqualität aufweisen können.169 Eine Regel-Ausnahme-Struktur brauchen die raumordnungsrechtlichen Vorgaben nicht aufweisen. Allerdings müssen sie in einen Regelungskomplex eingebunden sein, mit dem sich bestimmen lässt, wann ein atypischer Fall vorliegt. Hinsichtlich der Bestimmtheitsanforderungen zeigte sich das Gericht somit eher großzügig.170 Dennoch bleibt die Rechtsunsicherheit bestehen. 3. Interkommunales Abstimmungsgebot Auch bundesrechtlich wird die Gemeinde gezwungen, auf die Interessen von Nachbargemeinden Rücksicht zu nehmen. Dies erzwingt das interkommunale Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB. Hierbei handelt es sich um eine besondere Ausformung des Abwägungsgebots, welches die Planungshoheit von Nachbargemeinden als Schutzgut zum abwägungsrelevanten Belang erhebt.171 Seit der Baurechtsnovelle von 2004 kann sich die Nachbargemeinde nunmehr ausdrücklich auf den Schutz ihrer zentralen Versorgungsbereiche sowie zudem auf ihre raumordnungsrechtliche Funktion berufen. Für den Nachbarbegriff selbst kommt es nicht auf die unmittelbare räumliche Angrenzung an. Maßstab ist stattdessen, ob eine Gemeinde von planungsrechtlichen Auswirkungen betroffen ist.172 Im Rahmen der Einzelhandelssteuerung zu betrachtende Auswirkungen sind durch Einzelhandelsvorhaben veranlasste Kaufkraftabflüsse aus den Nachbargemeinden. Das Gebot interkommunaler Abstimmung bindet grundsätzlich nur die Gemeinde, nicht unmittelbar den Vorhabenträger. Führt seine Verletzung indes zur Unwirksamkeit von Bauleitplänen, so schlagen seine Rechtsfolgen unmittelbar auf die Zulässigkeit des Vorhabens durch.173
167 Verfassungsgerichtshof NRW, Urteil vom 26.08.2009 – 18/08 –; dazu Kaltenborn/Würtenberger (2010), S. 236 ff. 168 Änderungsgesetz vom 17.12.2009, GV. NRW S. 874. 169 BVerwG, Urteil vom 16.12.2010 – 4 C 8/10 –; so auch die Vorinstanz VGH BW, Urteil vom 17.12.2009 – 3 S 2110/08 –; dazu Uechtritz (2011), S. 648; Hager (2011), S. 1093. Als generellen Ausschluss der Zielqualität von Soll-Bestimmungen interpretierte dagegen zuvor noch Hoppe (2004) in die Rechtsprechung des BVerwG, S. 478. 170 Kritisch zu den maßgeblichen Vorschriften des LEP BW äußert sich dagegen Kuschnerus (2010), S. 324 ff. 171 Zierau (2009), S. 697; Bunzel (2008), S. 132. 172 Kuschnerus (2007), Rn. 669. 173 Beispielhaft BVerwG, Urteil vom 15.12.1989 – 4 C 36/86.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
a) Überprüfung von planungsrechtlichen Auswirkungen Die Bewertung von Auswirkungen, insbesondere solcher auf zentrale Versorgungsbereiche, erfolgt in einer zweistufigen Prüfung: Auf der ersten Stufe geht es darum, ob die Auswirkungen überhaupt abwägungsrelevant sind. Davon ist auszugehen, wenn die nachbargemeindlichen Belange „mehr als geringfügig“ betroffen sind (einfacher Abstimmungsbedarf). Darüber hinaus kennt das Bundesverwaltungsgericht auf dieser ersten Stufe einen qualifizierten Abstimmungsbedarf. Er liegt vor, wenn unmittelbare „Auswirkungen gewichtiger Art“ entfaltet werden.174 Der qualifizierte Abstimmungsbedarf schlägt innerhalb des Abwägungsvorgangs mit besonderem Gewicht zu Buche.175 Außerdem ist er ein Indiz für Planungsbedarf als entgegenstehender Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB. Weder der einfache noch der qualifizierte Abstimmungsbedarf verlangen aber ein bestimmtes Planungsergebnis.176 Vielmehr kann die Gemeinde die Auswirkungen auf Nachbargemeinden in beiden Fällen hinter andere gewichtige Belange zurückstellen.177 Nur wenn sie die Auswirkungen gar nicht in die Abwägung mit einbezieht, liegt ein Abwägungsdefizit vor.178 Zudem verleiht bereits der einfache Abstimmungsbedarf einer Nachbargemeinde Antrags- und Klagebefugnis.179 Die Grenzen der Abwägung werden allerdings dann überschritten, wenn die Gemeinde von ihren Planungsbefugnissen „rücksichtslos Gebrauch macht“180 bzw. die Planungshoheit der Nachbargemeinde „unzumutbar“ beeinträchtigt.181 Auf dieser zweiten Stufe verdichtet sich das Planungsermessen zu einer Planungspflicht. Insbesondere macht es dann die städtebauliche Entwicklung und Ordnung gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB erforderlich, erstmalig Bebauungspläne aufzustellen oder zu ändern, um derartige Auswirkungen zu verhindern.182 Beeinträchtigt ein Bebauungsplan die Interessen der Nachbargemeinde unzumutbar, leidet er unter dem Fehler der Abwägungsdisproportionalität.183
174 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 – 4 C 5/01 –; dazu Halama (2004), S. 79; Zirau (2009), S. 695; Jochum (2003), S. 31; Wurzel/Probst (2003), S. 197; Bunzel (2008), S. 133. 175 So Halama (2004), S. 81; zustimmend Bunzel (2008), S. 133. 176 Uechtritz (1999), S. 574; Kopf (2010), S. 169. 177 So ausdrücklich BVerwG – 4 C 5/01 –; siehe dazu auch Paul (2004), S. 1037. 178 Beispielhaft VGH BW, Urteil vom 27.09.2007, – 3 S 2875/06 –; OVG RP, Entscheidung vom 25.04.2001 – 8 A 11441/00 –; zum Begriff des Abwägungsdefizits grundlegend BVerwG – IV C 50/72 – (Flachglasurteil); siehe auch Ferner/Kröninger/Aschke (2008), § 1 Rn. 54; Battis (2006), S. 98; Peine (2003), Rn. 368. 179 So auch VGH BW – 3 S 2875/06. 180 BVerwG – 4 C 5/01. 181 BVerwG, Urteil vom 17.09.2003 – 4 C 14/01 –; Beschluss vom 09.05.1994 – 4 NB 18/94. 182 BVerwG – 4 C 14/01 –; Kopf (2010), S. 171; Stüer (2006), S. 748. 183 Zum Begriff der Abwägungsdisproportionalität grundlegend BVerwG, – IV C 50/72 –; siehe auch Battis (2006), S. 99; Peine (2003), Rn. 368.
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Diese Grundsätze machen deutlich, dass ein zu erwartender Kaufkraftabfluss nur darüber entscheiden kann, ob ein einfacher oder qualifizierter Abstimmungsbedarf besteht. Ob ihm die planende Gemeinde im Rahmen der Abwägung gewichtigere Belange entgegenhalten kann, um den Bauleitplan nicht rücksichtslos und unzumutbar erscheinen zu lassen, bleibt hingegen offen.184 Die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung geht faustformelhaft bei zehn Prozent Kaufkraftabfluss von einem Abstimmungsbedarf aus.185 Eine Abwägungsdisproportiona lität wird dadurch noch nicht indiziert, sondern verlangt eine weitaus gewichtigere Umsatzumverteilung. Unzumutbare Auswirkungen liegen eher ab Werten von 20–25 Prozent Kaufkraftumverteilung nahe.186 Das bedeutet, dass allein bei Einzelhandelsgroßprojekten mit mehreren tausend Quadratmetern, allen voran Factory-Outlet-Centern, rücksichtslose Auswirkungen denkbar sind. Von Seiten der Literatur wird angemahnt, die Kaufkraftumverteilung nicht zum alleinigen Maßstab zu erheben.187 b) Überprüfung raumordnungsrechtlicher Funktionszuweisungen Durch den 2004 hinzugefügten § 2 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BauGB muss durch interkommunale Abstimmung auch auf die raumordnungsrechtliche Funktion einer Gemeinde Rücksicht genommen werden. Infolgedessen erhalten raumordnungsrechtliche Zielvorgaben mittelbar drittschützende Wirkung und können durch die Gemeinden im Rechtsweg verteidigt werden. Zuvor wurde ein solcher Drittschutz überwiegend verneint.188 Mangels höchstrichterlicher Judikatur ist die Bedeutung raumordnungsrechtlicher Funktionen innerhalb von § 2 Abs. 2 BauGB noch ungeklärt. Insbesondere ist die Frage gerichtlich unentschieden, ob die Ziele der Raumordnung nach obigen Grundsätzen als „Belange“ in eine Abwägung einfließen und dabei hinter andere Belange zurückgestellt werden können oder ob für sie die strikte Bindung der §§ 1 Abs. 4 BauGB, 3 Nr. 2 ROG gilt. Weil Ziele der Raumordnung im Gegensatz 184
Ähnlich Uechtritz (1999), S. 575; Kopf (2010), S. 169. Mindestens zehn Prozent Kaufkraftabfluss verlangt OVG BB, Beschluss vom 16.12.1998 – 3 B 116/98 –; eine Zehn-Prozent-Grenze zieht OVG RP, Beschluss vom 08.01.1999 – 8 B 12650/98 –; nochmals bestätigt in Entscheidung vom 25.04.2001 – 8 A 11441/00 –; zustimmend OVG SN, Beschluss vom 06.06.2002 – 1 BS 108/02 –; ähnlich OVG RP, Beschluss vom 08.01.1999 – 8 B 12650/98 –; OVG NRW, Urteil vom 06.06.2005 – 10 D 145/04.NE –; Uechtritz (1999), S. 579; El Bureiasi (2005), S. 92 f.; Ferner/Kröninger/Aschke (2008), § 2 Rn. 11. Das Bundesverwaltungsgericht weist ausdrücklich darauf hin, sich zu solchen Schwellen werten noch nicht geäußert zu haben, Urteil vom 17.09.2003 – 4 C 14/01. 186 OVG RP, Entscheidung vom 25.04.2001 – 8 A 11441/00 – unter Berufung auf Uechtritz (1999), S. 583; zustimmend OVG SN, Beschluss vom 06.06.2002 – 1 BS 108/02 –; Bunzel (2008), S. 134; El Bureiasi (2005), S. 93 ff. 187 Kuschnerus (2007), Rn. 680 ff. 188 Uechtritz (1999), S. 578; Kment (2007), S. 996; Bunzel (2008), S. 136. 185
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
zu Grundsätzen ihrem Wesen nach gerade abwägungsresistent sind, erscheint die zweite Lösung überzeugender.189 Dann beruft sich die Gemeinde abweichend vom Wortlaut nicht auf eine unscharfe raumordnungsrechtliche „Funktion“, sondern auf landesrechtlich normierte Ziele, die dem Bestimmtheitsgebot genügen müssen190, namentlich auf Konzentrations-191, Nichtbeeinträchtigungs- und Kongruenzgebote.192 Folglich normiert § 2 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 BauGB eine eigenständige Befugnis von Nachbargemeinden, die Einhaltung dieser Raumordnungsziele zu überprüfen. Deren Maßstäbe bestehen losgelöst von den Wertungen der herkömmlichen interkommunalen Abstimmung, die oben skizziert wurden. Offen bleibt damit noch, welche Typen von Raumordnungszielen der Drittschutz umfasst und ab welchem Grad der Beeinträchtigung er greift. Hinsichtlich des Beeinträchtigungsgrades liegt es entsprechend der Grundsätze des § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB nahe, auf eine mehr als nur geringfügige Betroffenheit als Kriterium abzustellen.193 Verteidigungsfähig können Ziele nur dann sein, wenn sie dem Schutz der zentralörtlichen Gliederung dienen und nicht bloß Gemeinden zum Schutz ihrer eigenen zentralen Versorgungsbereiche und ihrer eigenen verbrauchernahen Versorgung zwingen. Daher darf der Drittschutz nicht für Integrationsgebote und städtebauliche Beeinträchtigungsverbote gelten. Dagegen sind Konzentrationsgebote, Kongruenzgebote und raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbote allein zum Schutz der zentralörtlichen Gliederung geschaffen. Sie bewahren Gemeinden vor Kaufkraftabzügen aus dem eigenen Verflechtungsbereich durch den Einzelhandel ihrer Nachbarn und haben daher eine drittschützende Funktion.
IV. Rechtskontrolle Sofern die Gemeinde einem Vorhabenträger die Baugenehmigung rechtswidrig verweigert, kann dieser ihre Erteilung mittels einer Verpflichtungsklage erzwingen. Im Rahmen der Verpflichtungsklage werden inzident planungsrechtliche Festsetzungen überprüft194; diese sind auch gesondert über einen Normenkontrollantrag angreifbar. Umgekehrt sieht sich die Bauaufsichtsbehörde regelmäßig keiner rechtlichen Sanktion ausgesetzt, wenn sie eine Baugenehmigung unter Verstoß gegen Vorschriften der Einzelhandelssteuerung erteilt. Konkurrierende privatwirtschaftliche Marktakteure sind in diesen Fällen nämlich nicht klagebefugt. Dies 189
Kment (2007), S. 997; Zierau (2009) S. 700; Bunzel (2008), S. 137; anders dagegen VG Stuttgart, Beschluss vom 15.09.2011 – 13 K 2157/11 – unter Berufung auf Uechtritz (2006), S. 803; ebenfalls für eine Abwägung von Zielen sind Hoppe/Otting (2004), S. 1128 (für diese Gegenauffassung spricht der Wortlaut). 190 Zierau (2009), S. 701. 191 Beispiel bei Kuschnerus (2007), Rn 328. 192 Bunzel (2008), S. 136; Heilshorn/Seits (2004), S. 412. 193 Kment (2007), S. 1000; für eine weitgefasste Antragsbefugnis auch Zierau (2009), S. 702. 194 Battis (2006), S. 240; Kuschnerus (2007), Rn. 744 f.; ders. (1997), Rn. 669 ff.
C. Die Praxis gemeindlicher Einzelhandelssteuerung
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folgt aus dem Gedanken, dass die Regelungen der Einzelhandelssteuerung allgemeinem städtebaulichem Interesse dienen und Begünstigungen im Wettbewerb nur reflexhafte Nebenfolgen sind. Sie stellen keine drittschützenden Normen dar, auf die konkurrierender Einzelhandel eine Anfechtungsklage stützen könnte.195 Anders sieht es aus, wenn wirtschaftliche Auswirkungen städtebauliche Belange der Nachbargemeinde beeinträchtigen. Einzelhandelssteuerungsvorschriften sind zugunsten der Nachbargemeinde drittschützend. Diese kann sich über § 34 Abs. 3 BauGB und § 2 Abs. 2 BauGB gegen rechtswidrige Genehmigungen und Planungen wehren.196 Darüber hinaus steht Anwohnern aus § 11 Abs. 3 BauNVO ein Gebietserhaltungsanspruch zu, obgleich die Vorschrift auf Vermeidung von Fernwirkungen zielt. Sie sind befugt, gegen großflächigen Einzelhandel vorzugehen, wenn er dem Gebietstyp widerspricht, in dem ihr Grundstück liegt.197 Schließlich kann rechtswidriges Gemeindehandeln jederzeit im Wege der Kommunalaufsicht beanstandet und korrigiert werden. Dies ermöglicht es vor allem, die Einhaltung von Raumordnungsgeboten zu erzwingen.198
C. Die Praxis gemeindlicher Einzelhandelssteuerung In allen Flächenstaaten gelten raumordnungsrechtliche Integrationsgebote. Die rechtstreue199 Gemeinde muss daher Einzelhandelssteuerung betreiben. Dem freien Spiel der Kräfte darf sie die Einzelhandelsentwicklung nicht überlassen. Dabei hat sie sich vorrangig zwei Zielen zu widmen: der verbrauchernahen Versorgung mit Verbrauchsgütern des täglichen Bedarfs und dem Schutz ihres Innenstadtzentrums. Mittlerweile ist es üblich geworden, dass Gemeinden zu diesem Zweck Marktforschungsunternehmen mit der Erstellung von Einzelhandelskonzepten beauftragen.200 Neben allgemeinen Strukturdaten wie Arbeitslosigkeit, Kaufkraft und Demographie ermitteln diese Unternehmen vor allem den gesamten Einzelhandelsbestand. Auf Grundlage dieses Datenmaterials weisen sie innenstadtrelevante 195
Zu § 34 Abs. 3 BauGB OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2007 – 10 B 2675/06 –; Uechtritz (2006) ebenfalls zu § 34 Abs. 3 BauGB, S. 810; Kuschnerus (2007), Rn. 347, 754; auf die Aufstellung von Bebauungsplänen besteht nach § 1 III S. 2 BauGB ohnehin kein Anspruch. 196 Zu § 34 Abs. 3 BauGB OVG BW, Beschluss vom 09.12.2010 – 3 S 2190/10 –; Johlen (2014), S. 1225; Uechtritz (2006), S. 810; Kuschnerus (2007), Rn. 347. Auf § 2 Abs. 3 BauGB kann die Nachbargemeinde allen voran Normenkontrollanträge stützen, Kuschnerus (2007), Rn. 734. § 2 Abs. 2 BauGB ermöglicht allerdings in bestimmten Konstellationen sogar die Kontrolle von Baugenehmigungen, Uechtritz (1999), S. 575. 197 OVG NRW, Urteil vom 21.12.2010 – 2 A 1419/09 –; Kuschnerus (2007), Rn. 753. 198 OVG RP, Urteil vom 23.03.2012 – 2 A 11176/11. 199 Praktisch ist eine Rechtskontrolle des Integrationsgebots mangels Antragsbefugnis von Nachbargemeinden oder Bauherren eher unwahrscheinlich, aber im Wege der Rechtsaufsicht denkbar. 200 Zur Bedeutung von Einzelhandelskonzepten Michallik (2010), S. 125 f.
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Kap. 1: Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung
Sortimente, zentrale Versorgungsbereiche und unterversorgte Gebiete aus. Zugleich zeigen sie nichtintegrierte Standorte auf, an denen die Entwicklung von Einzelhandel droht, der dem Konzept nach nicht gewünscht wird.201 Das ist entweder der Fall, weil Güter zur Nahversorgung angeboten werden, ohne dass eine Wohnbevölkerung im näheren Umfeld vorhanden ist, oder weil sich eine Konkurrenz zum Innenstadthandel mit innenstadtrelevanten Sortimenten bilden könnte. Diesen Gefährdungspotentialen stehen Entwicklungspotentiale gegenüber, die als eher unproblematisch angesehen werden und für welche die Lockerung der Einzelhandelsrestriktionen empfohlen wird. Die Betrachtung kann unterschiedlich differenziert ausfallen. Um Nahversorger und Innenstadt zu schützen, kann die Gemeinde grundsätzlich zwei Wege gehen: Entweder überplant sie das Gemeindegebiet. Dann hat sie die Möglichkeit, an allen nichtintegrierten Standorten erheblichen Einzelhandel zu verhindern, indem sie reine oder allgemeine Wohngebiete ausweist und in Gewerbe- und Industriegebieten Einzelhandelsausschlüsse festsetzt. Bereiche, in denen sie Nahversorgungsbetriebe wünscht, überplant sie mit Mischgebieten. Solche Gebiete sollten erstens fußläufig erreichbar am Rand von Wohngebieten liegen, zweitens an stark frequentierte Straßen grenzen und drittens genug Fläche für Stellplatzanlagen aufweisen. Die fußläufige Erreichbarkeit dient der Nahversorgung, gleichzeitig bedarf es aber der PKW-Kunden, um am Markt überlebensfähig zu bleiben. Eine Gefahr für den Innenstadthandel droht durch diese Mischgebiete tendenziell nicht, weil § 11 Abs. 3 BauNVO großflächigen Einzelhandel verhindert. Sicherheitshalber sind Sortimentsausschlüsse denkbar. Alternativ verzichtet die Gemeinde auf eine Überplanung und steuert den Einzelhandel über § 34 Abs. 3 BauGB. Auf diese Weise spart sie sich den Planungsaufwand, hat aber vor Gericht größere Schwierigkeiten bei der Beweisführung und fördert die Rechtsunsicherheit. Gegebenenfalls kann sie durch einfache Bebauungspläne nach § 9 Abs. 2a BauGB schärfere Kriterien festsetzen, um Rechtsklarheit zu schaffen, und so eine Art Mittelweg einschlagen. Die Innenstadt ist zumeist beplantes oder faktisches Kerngebiet, sodass hier keine Einzelhandelsrestriktionen gelten. Aus praktischen Gründen, nämlich mangels Fläche, können hier allerdings kaum sperrige Güter, insbesondere Möbel und anderer Einrichtungsbedarf angeboten werden. Dies zwingt die Gemeinde, außerhalb des Zentrums Sondergebiete für den großflächigen Einzelhandel i. S. v. § 11 Abs. 3 BauNVO auszuweisen. Innerhalb der Sondergebiete wird üblicherweise die Verkaufsfläche für innenstadtrelevante Sortimente beschränkt oder deren Verkauf ganz ausgeschlossen. Die Ansiedlung von Nahversorgern in diesen Sondergebieten toleriert man hingegen. Das Gebot interkommunaler Abstimmung wird relevant, wenn die Gemeinde Einzelhandelsgroßprojekte mit mehreren tausend Quadratmetern Verkaufsfläche 201
Kassow/Lee (2013), S. 969.
C. Die Praxis gemeindlicher Einzelhandelssteuerung
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zulassen will. Gesonderte Marktgutachten stellen hier sicher, dass sie die durch § 2 Abs. 2 BauGB gesetzten Grenzen nicht überschreitet und ihren Abwägungspflichten nachkommt. Bei der Verwirklichung solcher Konzepte gerät die Gemeinde immer dann unter Druck, wenn ihre Planung Lücken aufweist und diese sich erst zeigen, wenn ein Investor mit der Projektplanung beginnt. Typischerweise beantragt er zunächst einen Bauvorbescheid. Ist das Vorhaben bei geltender Rechtslage ungewollt zulässig und gäbe die Bauaufsichtsbehörde dem Antrag statt, erlangte es Bestandskraft und wäre nicht mehr zu verhindern. Stattdessen kann die Gemeinde mit einer gezielten Ausschlussplanung reagieren. Dazu beschließt sie die Aufstellung eines Bebauungsplans mit einschlägigen Einzelhandelsausschlüssen und wehrt das Vorhaben zwischenzeitlich durch Veränderungssperre oder Zurückstellung ab. Bei allen diesen Bemühungen bleibt für die Gemeinde ein Hauptproblem: Sie wünscht sich selbstverständlich Einzelhandel in gewichtigem Umfang. Gleichzeitig will sie aber positiv bestimmen, wo welche Ware räumlich angeboten wird und wo welcher Verbraucher räumlich einkauft. Dies bleibt aber letztlich die Entscheidung der Marktakteure selbst. Einfluss nehmen kann die Gemeinde nur mittelbar und negativ: indem sie Einzelhandel an anderen Orten verbietet, um Anbieter und Verbraucher zu den gewünschten Standorten zu treiben. Ob ihr das letztlich gelingt, ist mit Unsicherheit behaftet.
Kapitel 2
Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks dient in dieser Untersuchung als Bewertungsmaßstab der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung. Ihrem Gedankengebäude lässt sich ein ökonomischer Gerechtigkeitsbegriff entnehmen, der die Effizienz ökonomischer Mittelverwendungen mit dem Charakter von Rechtsregeln in Verbindung setzt. Wohlgemerkt hat Hayek seinen Gerechtigkeitsbegriff nicht isoliert entworfen. Der Begriff ist Teil einer umfassenden philosophischen Weltsicht, die Hayek im Laufe seiner intellektuellen Schaffenstätigkeit fortlaufend weiterentwickelt und ausgeweitet hat und die neben seiner Rechtsphilosophie auch reine Ökonomie202, Konjunkturtheorie203, Demokratietheorie204, Psychologie205, Erkenntnistheorie206 und Kulturtheorie207 umfasst. Sie ist keinesfalls scharf systematisiert, widerspruchsfrei und vollständig. Damit sie im Rahmen dieser Arbeit als Maßstab die Bewertung positiven Rechts ermöglicht, wird es erforderlich, einzelne Schlüsselgedanken durch Interpretation herauszuarbeiten und mit eigenen Begrifflichkeiten zu konturieren. Das folgende Kapitel ist in zwei Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt gibt einen allgemeinen Überblick über Hayeks Rechtsphilosophie. Dieser Überblick soll es dem Leser ermöglichen, die später gewonnen Argumentationsstränge im philosophischen Gesamtsystem zu verorten. Dabei zieht sich ein Gedanke durch die meisten Werke Hayeks: Planwirtschaft und Marktwirtschaft sind seiner Auffassung nach zwei vollkommen unterschiedliche Ordnungstypen, die beide ihre Vorzüge und Nachteile haben. Aber es ist nicht möglich, beide Ordnungstypen nach Belieben zu kombinieren, ohne die Effizienz der Gesellschaftsordnung zu zerstören. Solche zerstörerischen Kombinationsversuche werden in dieser Arbeit als Mischordnungen bezeichnet. Durch Interpretation wird im zweiten Abschnitt das so bezeichnete Mischordnungsproblem gewonnen und abstrakt definiert. In ihm findet diese Arbeit ihren zentralen Bewertungsmaßstab. Er bereitet den Über 202
Hayek (1941/2006). Siehe vor allem Hayek (1931). 204 Hayek (1976/1996a). 205 Hayek (1953/2003); ders. (1968/1996). 206 Hayek (1967/1996a). 207 Hayek (1967/1994a); ders. (1978/1996a); (1982/1996); (1988/1996). 203
A. Überblick über Hayeks Staatsphilosophie
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gang zum dritten Kapitel vor: Dort wird sich zeigen, dass die Regeln der Einzelhandelssteuerung in eine solche Mischordnung führen.
A. Überblick über Hayeks Staatsphilosophie I. Die zwei Ordnungstypen: Kosmos und Taxis In seiner Sozialtheorie geht Hayek vom Begriff der Ordnung aus. Hierunter ist ein „Zustand zu verstehen, in dem verschiedenartige Elemente in großer Anzahl so aufeinander bezogen sind, daß die Kenntnis eines räumlichen oder zeitlichen Teils des Ganzen uns erlaubt, richtige Erwartungen hinsichtlich des Übrigen zu bilden oder zumindest Erwartungen, die sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit als richtig herausstellen.“208 Ausgangspunkt von Hayeks Überlegungen ist die Abgrenzung zweier gegenläufiger Ordnungstypen. Diese bezeichnet er als Kosmos und Taxis oder weitgehend synonym als spontane Ordnung und Organisation.209 Der Kernunterschied zwischen diesen Ordnungen besteht darin, dass die Taxis durch eine Ordnungsinstanz planmäßig geschaffen wird, um deren Zwecke zu verwirklichen. Diese Ordnungsinstanz legt für die Elemente dieser Ordnungsform eine einheitliche Zweckhierarchie fest und setzt sie als Mittel zur Verfolgung dieser Zwecke nach einem Gesamtplan ein. Diese ordnende Instanz fehlt beim Ordnungstyp des Kosmos. Der Kosmos strebt keine konkreten Zwecke an, sondern ist aus vielen Einzelzwecken und Einzelplänen, die seine Mitglieder unabhängig von einem Gesamtplan verfolgten, gewachsen. Die ordnenden Kräfte innerhalb des Kosmos können das konkrete Ordnungsergebnis nicht vorhersehen. Es wird sich erst offenbaren, wenn die Mitglieder ihre Einzelpläne verwirklichen. Demgemäß weicht auch das Fortschrittsverständnis beider Ordnungen voneinander ab. Während die Weiterentwicklung der Taxis von deren Zentralinstanz aus bewusst geplant wird und sich an ihrer Zielhierarchie misst, gibt es im Kosmos diese Möglichkeit schon begrifflich nicht. Der Fortschritt innerhalb des Kosmos folgt stattdessen dem Mechanismus der Evolution. Hayek präferiert grundsätzlich den Kosmos gegenüber der Taxis. Dies führt er auf ein Schlüsselargument zurück: den Mangel an Wissen. Dadurch, dass innerhalb des Kosmos jedes Mitglied seine eigenen Pläne umsetzen kann, ist es auch in der Lage, sein eigenes Wissen für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Verwertet wird dadurch das Wissen aller. Und da jeder mit seinen Plänen scheitern oder Erfolg haben kann, wird durch dieses Experimentieren ständig neues Wissen hervorgebracht. Die Taxis hingegen kann nur so viel Wissen nutzen, wie sie in der zentralen Ordnungsinstanz zu zentralisieren in der Lage ist.210 208
Hayek (1979/2003), S. 38. Hayek (1979/2003), S. 39. 210 Hayek (1988/1996), S. 91 ff. 209
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
Wie Hayek in seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft“211 skizziert, stellt sich die reine Taxis als totalitäres System dar, welches er vor allem im Faschismus oder im planwirtschaftlichen Sozialismus identifiziert. Hayeks Appelle richten sich an die Mitglieder demokratischer Rechtsstaaten – Staaten, deren Ordnung Hayek überwiegend als Kosmos einstuft. Er warnt sie davor, den Kosmos in eine Taxis umzuwandeln. Er fordert sie auf, der Versuchung zu widerstehen, Ordnungsmethoden der Taxis einzusetzen, um die Abläufe im Kosmos zu verbessern. Ordnungsmethoden der Taxis sind alle Methoden, die darauf zielen, ein konkretes Ordnungsergebnis planmäßig herbeizuführen. Wiederum greift Hayek auf das Wissensargument zurück. Dadurch, dass der Kosmos mehr Wissen nutzen kann, als irgendwo zentral gesammelt ist, erzeugt er eine Komplexität, die nicht mehr zentral überschaut werden kann. Zwar ist es möglich, bestimmte konkrete Ergebnisse zu erzwingen. Dabei ist aber nicht vorhersehbar, welche Nebenfolgen dies für die Gesamtordnung hat. Zeigen sich später diese Nebenfolgen, so sieht sich die Ordnungsgewalt zu weiteren Interventionen gezwungen, um ihrer Herr zu werden. Es droht die Zerstörung der komplexen Ordnung und ihre Umwandlung in die Taxis. Die Taxis muss die spontanen Ordnungskräfte beseitigen, damit jene ihre Zwecke nicht konterkarieren.212 Typischerweise greift die Ordnungsgewalt der Taxis auf ein bestimmtes im Evolutionsprozess entstandenes Element zu und setzt es ein, um einen bestimmten Zweck zu verfolgen. Damit wird dieses Element zu einem Mittel im Plan der Ordnungsgewalt. Die Ordnungsgewalt ist folglich auf den Bestand des Elementes angewiesen, um diesen Plan zu verwirklichen und den gewünschten Zweck zu erreichen. Besteht aber die spontane Evolution fort, so droht stets der Untergang des Elementes im Rahmen des Selektionsprozesses, was auch den Plan scheitern ließe. Deshalb muss die Ordnungsgewalt das Element nun im Existenzkampf gegen andere Elemente verteidigen, indem sie letztere schwächt oder vernichtet. Mangels Wissen über die Wirkungsweise der Evolution kann diese Verteidigung selbst nicht mehr planmäßig erfolgen, weil nie vorhersehbar ist, welche Entwicklungen die Evolution als nächstes nimmt. Die Ordnungsgewalt muss mit ihren Methoden fortlaufend reagieren und diese variieren. Evolution ist ein Anpassungsprozess. Unter einem unvorhersehbar variierenden Einsatz von Ordnungsgewalt ist eine Anpassung aber schwerlich möglich. So kann sich wegen der wechselseitigen Unkalkulierbarkeit weder die Ordnungsgewalt an die Evolution noch die Evolution an die Ordnungsgewalt anpassen. Nunmehr verwirklicht sich weder ein Plan noch ein evolutionärer Anpassungsprozess. Gibt die Ordnungsgewalt ihre Zwecke dennoch nicht auf, so ist sie stärker als die Evolutionskräfte und nach der Logik der Zweckrationalität gezwungen, letztere zu beseitigen.
211
Hayek (1944/1994). Hayek (1979/2003), S. 40.
212
A. Überblick über Hayeks Staatsphilosophie
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II. Die Evolution spontaner Ordnungskräfte Gibt es keine ordnende Kraft, die allen Elementen der Ordnung ihren Platz zuweist, so liegt zunächst die Befürchtung nahe, alles werde sich in Chaos auflösen. Dass es spontane Ordnungskräfte gibt, die ohne Gesamtplan eine spontane Ordnung des Kosmos hervorbringen, ist eine Kernthese Hayeks. Im Weiteren soll die Wirkungsweise dieses spontanen Ordnungsmechanismus beschrieben werden. Nach Hayek ist diese Wirkungsweise eine Evolution von Regeln.213 Die einzelnen Elemente des Prozesses müssen in ihrem Verhalten eine Regelmäßigkeit aufweisen, der sie fortlaufend folgen. Diese Regeln brauchen für die soziale Evolution nicht in verbalisierter Form bekannt zu sein. Es genügt, dass sie innerhalb von Gruppen intuitiv weitergegeben werden. Dabei wird sich zeigen, dass bestimmte Regeln vorteilhafter sind als andere. Es kommt zu einer Auslese, einem Selektionsprozess. Breitet sich eine vorteilhafte Regel aus, führt dies zu einer negativen Rückkopplung: Nachteilige Regeln werden verdrängt und verworfen. Als vorteilhaft werden sich wiederum jene Regeln erweisen, die sich in das Gesamtsystem an Regeln widerspruchsfrei einfügen können, sodass innerhalb der Regelevolution immer mehr Widersprüche beseitigt werden. Mit jeder Selektion ändert sich indes auch das Gesamtsystem und neue Widersprüche treten auf. So entsteht wieder neuer Anpassungsdruck. Auf diese Weise entwickeln Ordnungen eine Komplexität, die nicht mehr von einem einzelnen Verstand überblickt werden kann. Es ist nicht möglich, den weiteren Evolutionsverlauf konkret vorherzusagen und ein zukünftiges Evolutionsergebnis in allen Einzelheiten zu beschreiben. Selbst wenn es der Wissenschaft gelänge, eine präzise Wenn-Dann-Formel aufzustellen, mit der aus dem heutigen Gesellschaftszustand der morgige abgeleitet werden könnte, wäre es nicht möglich, alle Variablen auf der Wenn-Seite auszufüllen. Denn dazu müsste man erst einmal ein Wissen über alle Elemente der komplexen Ordnung erlangen, und das ist nicht möglich.214 Trotz der beschränkten Vorhersagemöglichkeit ist Hayek Evolutionsoptimist. Man kann nach seiner Auffassung zwar das Evolutionsergebnis nicht in allen seinen konkreten Einzelheiten vorhersagen, sehr wohl aber dessen abstraktes Muster.215 Entscheidend wird im Folgenden sein, welches Muster die Evolution des Marktes hervorbringt.
213
Hayek (1979/2003), S. 45; ders. (1967/1994a). Siehe dazu Hayek (1967/1996a), S. 282 ff. 215 Dazu Graf (1978); Gray (1985/1995), S. 79. 214
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
III. Der Marktmechanismus Auch am Markt vollzieht sich ein Evolutionsprozess. Die Verhaltensregelmäßigkeiten, welche am Markt selektiert werden, sind im Wesentlichen die verschiedenen Produktionsmethoden. Kennzeichnend ist wiederum, dass der Markt keine Zielordnung ist, die nach einem einheitlichen Plan funktioniert. Stattdessen dient er der Vielfalt der Ziele aller seiner Mitglieder.216 Das Zusammenwirken der Mitglieder in der Marktordnung erfolgt durch den Tausch, weshalb Hayek die Marktordnung auch als Katallaxie217 bezeichnet. Es ist für einen Tausch nicht erforderlich, sich auf gemeinsame Zwecke zu einigen. Jeder Beteiligte an einer Transaktion kann seine eigene Zielsetzung verfolgen und dadurch wechselseitig für die Bedürfnisse des jeweils anderen sorgen.218 Marktordnungen sind komplexe Ordnungen, die für den Einzelnen nicht vollständig durchschaubar sind. Marktakteure tauschen Güter und Leistungen, mit deren Hilfe sie höherwertige Güter und Leistungen erzeugen und durch Tausch weiterreichen. Es entstehen dynamische Transaktionsketten, in die sich zahllose Marktakteure freiwillig ein- und ausklinken. Der einzelne Marktakteur innerhalb einer solchen Transaktionskette weiß regelmäßig nicht, welche Bedürfnisse diese letztlich befriedigt und welchen Bedürfnissen er somit dient.219 Dass jemand Bedürfnissen dienen kann, von denen er keine Kenntnis und an denen er kein Interesse hat, erscheint zunächst paradox. Ermöglicht wird dies durch den Preismechanismus: Es sind die Preise, die dem Einzelnen die Informationen über fremde und im Konkreten unsichtbare Bedürfnisse anzeigen. Sie lassen ihn diesen Bedürfnissen allein durch das Streben nach eigenem Ertrag dienen. Der Preis zeigt an, was getan werden sollte. Er honoriert allenfalls sekundär, was getan wurde. Der Preis selbst ergibt sich aus dem Wettbewerb. Im Wettbewerb zeigt sich, welche Pläne falsch und welche richtig sind. Somit wird weitverstreutes Wissen sichtbar gemacht und offengelegt, nämlich das Wissen darüber, welches denkbare Produktionsverfahren das wirtschaftlichste ist. Mehr noch: Nicht nur bündelt der Wettbewerb vorhandenes Wissen im Preis. Er stellt zugleich ein Entdeckungsverfahren dar, welches neues Wissen hervorbringt. „Es wäre offensichtlich sinnlos, einen Wettbewerb zu veranstalten, wenn wir im Voraus wüßten, wer der Sieger sein wird.“220 Erst der Wettbewerb entdeckt, was ein Gut ist, dass es knapp ist und was sein Wert ist.221 Vor diesem Hintergrund kann kein gerechter Preis festgelegt werden. Das Wissen, welche wirtschaftliche Tätigkeit die wünschenswerte und somit gerechteste wäre, wird nämlich erst durch den Preis aufgedeckt. Das „Spiel 216
Hayek (1979/2003), S. 259; ders. (1968/1994a), S. 254. Aus dem Griechischen von katallagé; bedeutet Tausch und zugleich, „aus einem Feind einen Freund machen“. 218 Hayek (1979/2003), S. 260. 219 Hayek (1979/2003), S. 261. 220 Hayek (1968/1994a), S. 249. 221 Hayek (1968/1994a), S. 253. 217
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der Katallaxie“ ist daher immer auch ein Glücksspiel222, zukünftige Preise sind nur begrenzt vorhersehbar. Der Wettbewerb enttäuscht regelmäßig Erwartungen von Konkurrenten, denen eine erwartete Transaktion nicht mehr angeboten wird, weil ein neuer Partner bessere Bedingungen bietet. Seine Entdeckung besteht eben darin, unter zwei konkurrierenden Produktionsmethoden die überlegene zu finden. Die Konkurrenten müssen mit dem Verlust ihrer materiellen Position rechnen, was regelmäßig Vorbehalte gegenüber der Marktwirtschaft hervorruft. Wer zum Konkurrenten überläuft, tut aber nichts Falsches. Er folgt dem Preismechanismus, der wiederum die Wirtschaftlichkeit der Verhaltensabstimmung bewirkt. Und gerade durch den preislich veranlassten Wechsel der Transaktionspartner wird sichergestellt, dass sich der Markt immer an neue und vielfach unbekannte Bedingungen anpasst und sich seine evolutionäre Fortentwicklung vollzieht.223 Hayek sieht hierin den Evolutionsmechanismus der „negativen Rückkoppelung“ – „negativ“, weil sie das Unvorteilhafte „aussortiert“.224 Ein Marktgleichgewicht, in dem die Erwartungen aller Marktteilnehmer erfüllt werden, ist hingegen ein nicht realisierbares Ideal, auf das der Markt aber stetig zuläuft.225 Die marktwirtschaftlichen Anpassungen sind vorteilhaft, obwohl wegen der weiten Zerstreuung ihrer positiven Wirkung und des damit verbundenen Wissensdefizits die Vorteile größtenteils unsichtbar bleiben. Wer hingegen seine Position verliert, wird einen konzentrierten und damit sichtbaren Schaden erleiden. Dies provoziert die Fehlbewertung von Marktveränderungen.226 Die Katallaktik ist kein Nullsummenspiel, sondern verbessert die Chancen aller.227 Zwar ist das Ergebnis des wettbewerblichen Entdeckungsverfahrens in seiner Feinstruktur nicht vorhersehbar. Dies scheitert beim Markt als komplexem Phänomen am fehlenden Wissen über alle seine Elemente. Indes sind Mustervoraussagen möglich. Ein vorhersagbares Muster, welches alle Marktergebnisse aufweisen, ist folgendes: Der Markt „bewirkt, daß alles, was erzeugt wird, von denen erzeugt wird, die diese Dinge billiger (oder zumindest ebenso billig) erzeugen können wie irgendjemand, der sie tatsächlich nicht produziert, und daß die Güter zu Preisen verkauft werden, die niedriger sind als jene, zu denen sie irgendjemand anbieten könnte, der das Gut nicht anbietet“.228
222
Hayek (1979/2003), S. 270. Hayek (1979/2003), S. 272. 224 Hayek (1968/1994a), S. 256; ders. (1967/1994b), S. 187. 225 Hayek (1941/2006), S. 12 ff.; ders. (1967/1994b), S. 166. 226 Hayek (1979/2003), S. 273. 227 Hayek (1979/2003), S. 266. 228 Hayek (1968/1994a), S. 256; ders. (1967/1994b), S. 168; (1979/2003), S. 380. 223
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
IV. Das Recht der spontanen Ordnung 1. Recht und Zwang Die Kernaufgabe des Rechts einer spontanen Ordnung ist nach Hayek die Verteidigung der Freiheit. Freiheit wiederum ist die Abwesenheit von willkürlichem Zwang.229 Unter Zwang versteht er einen Akt, durch den „das Handeln eines Menschen dem Willen eines anderen unterworfen wird, und zwar nicht für seine eigenen Zwecke, sondern für die Zwecke des anderen.“230 Mittel des Zwangs sind Gewalt und – was vom Wortsinn her nicht unmittelbar einleuchtet – Betrug und Irreführung.231 Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten ist das konsequent: Zwang ist das Mittel, um Mitglieder einer planmäßigen Organisation für eine einheitliche Zielhierarchie einzusetzen. Die spontane Ordnung des Marktes verlangt hingegen, dass der Preismechanismus wirksam wird. Dazu müssen die Marktakteure nach Ertrag und damit ihren eigenen Zielen streben. Nur wenn sie ihr eigenes Wissen für ihre eigenen Zwecke einsetzen, kann der Preis dieses Wissen bündeln. Nicht jede Beeinträchtigung fremder Handlungsfreiheit hat nach Hayek Zwangsqualität. Entscheidend für Zwang ist, dass dem Gezwungenen vielleicht eine Wahlmöglichkeit verbleibt, die Alternativen aber vom Zwingenden so gestellt sind, dass er wählen wird, was der Zwingende will.232 Demgegenüber liegt kein Zwang vor, wenn man Mitmenschen nur unter bestimmten Bedingungen Vorteile und Dienste anbietet, sie also durch ein Leistungsangebot zu einer Gegenleistung veranlasst.233 Dass erklärt sich auf den ersten Blick von selbst: Ohne das Recht zur Verweigerung einer Transaktion kann die Katallaxie nicht funktionieren. Abgrenzungsprobleme zeigen sich aber, sobald Hayek sich mit der Problematik der Monopole befasst: Hayek geht davon aus, dass der Monopolist zwar grundsätzlich keinen Zwang ausübt, wenn er Leistungen nur unter engen Bedingungen gewährt. Anders sähe dies indes aus, sobald die Leistungen für den Erhalt höchster Werte unentbehrlich sind. Dies sieht Hayek mustergültig für den Oasenbesitzer in der Wüste gegeben. Doch auch in einem Beschäftigungsverhältnis in Zeiten großer Arbeitslosigkeit oder unter lokalen Verhältnissen, in denen alle Beschäftigungsmöglichkeiten in der Hand eines Unternehmens liegen, bestehe echte Zwangsmacht.234 Damit weicht Hayek den Zwangsbegriff auf. Offenbar lässt sich sein Zwangsbegriff nur nach dem Kriterium der Erheblichkeit eingrenzen.235 229
Hayek (1960/1991), S. 13 ff. Hayek (1960/1991), S. 161. 231 Hayek (1960/1991), S. 173. 232 Hayek (1960/1991), S. 162. 233 Hayek (1960/1991), S. 164. 234 Hayek (1960/1991), S. 165. 235 Kritisch hinsichtlich der Abgrenzbarkeit des Zwangsbegriffs Erning (1993), S. 182 ff. 230
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Als ungefährlich stuft Hayek dagegen wirtschaftliche Macht stets dann ein, wenn sie auf mehrere Konkurrenten verteilt ist. Sogenannte Oligopole, selbst wenn es sich um konzernmäßig organisierte Großunternehmen236 handelt, sind keine Bedrohung seines Freiheitsideals. Denn ein Arbeitnehmer oder Kunde hat immer die Freiheit zum Konkurrenten zu wechseln. Deshalb zwingen sich die Oligopolisten wechselseitig dazu, seinen Interessen entgegenzukommen. Selbst wenn ein Anbieter einen bestimmten Markt alleine abdeckt, kann er die Nachfrager immer noch nicht missbrauchen, solange der Markteintritt eines Konkurrenten strukturell möglich ist. Wegen dieser Ausweichmöglichkeit besitzt der oligopolistische Unternehmer niemals die Fähigkeit, eine Zwangsgewalt auszuüben. Die Macht eines Monopolisten und allem voran des Staats als Gewaltmonopolisten ist qualitativ etwas gänzlich Neues verglichen mit jener eines Wettbewerbsakteurs. „Und wer würde nicht einsehen“, fragt Hayek rhetorisch, „dass ein Multimillionär, der mein Nachbar und vielleicht mein Arbeitgeber ist, weit weniger Macht über mich hat als der kleinste Funktionär, der die Zwangsgewalt des Staates ausübt und von dessen Belieben es abhängt, ob und unter welchen Bedingungen man mir zu leben und arbeiten erlaubt?“237 Nunmehr stellt sich die Frage, wie das Recht Zwang vermeiden soll. Zunächst freilich, indem das Recht den Zwang verbietet. Durchgesetzt werden diese Zwangsverbote allerdings ebenfalls durch Androhung und Einsatz von Zwang durch den Staat. Der Zwang kann mithin nicht vermieden werden.238 Die Herausforderung besteht nun darin, den Einsatz von Zwang so zu beschränken, dass er die Entfaltung der spontanen Ordnung nicht gefährdet. Dies gelingt, indem der Zwang nur zur Durchsetzung von Zwangsverboten eingesetzt wird und diese Zwangsverbote als abstrakte Regeln formuliert werden, die vorhersehbar machen, wann der Bürger mit Zwang zu rechnen hat.239 Gesetzesexekutierenden Zwang sieht Hayek im Gegensatz zu willkürlichem Zwang als zulässig an. Damit gesetzliche Regeln es dem Bürger nicht verbieten, sein eigenes Wissen für eigene Zwecke einzusetzen, ist die Abstraktheit das entscheidende Kriterium für gesetzliche Rahmenregeln der spontanen Ordnung.
236
Zur Größe von Unternehmen Hayek (1979/2003), S. 383. So die Quintessenz in Hayek (1944/1994), S. 138; siehe auch S. 125; ähnliche Argumentation in Hayek (1979/2003), S. 387. 238 Hayek (1960/1991), S. 171. 239 Hayek (1960/1991), S. 171 f.; ders. (1966/1994), S. 110 Rn. 8. 237
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
2. Die abstrakte Regel a) Befehl und Gesetz Abstraktion meint zunächst, dass die Regeln abstrakt von konkreten Zwecken und einem konkreten Ordnungsergebnis sind.240 Statt positive Zwecke vorzugeben, schützen sie Menschen bei der Verfolgung ihrer sich selbst gesetzten positiven Pläne vor den Interventionen Dritter. Sie verlangen als Verbote das Unterlassen bestimmter Handlungen, das heißt sie sind negativ.241 Aufgabe des Rechts ist es zwar, berechtigte Erwartungen zu schützen, damit Individuen ihre Pläne verwirklichen und ihr eigenes Wissen nutzen können.242 Recht kann dabei aber nicht die Erfüllung aller Erwartungen sicherstellen, weil verschiedene Pläne immer in Widerspruch geraten werden.243 Dies geschieht vor allem dann, wenn zwei Marktakteure um denselben Geschäftspartner konkurrieren. Stattdessen ist es Aufgabe des Rechts, Handlungsbereiche der Menschen untereinander abzugrenzen, das heißt Freiheitssphären zu schützen, innerhalb deren jeder sein eigenes Wissen für seine eigenen Zwecke nutzen kann.244 Des Schutzes bedürfen vor allem das Eigentum und verschiedene immaterielle Werte wie das Leben und die Bewegungsfreiheit245, außerdem sind Verträge durchzusetzen. Hierbei beruft sich Hayek auf David Hume, der als die drei Grundpostulate des Naturrechts „die Beständigkeit des Besitzes, seine Übertragung durch Übereinkunft und die Erfüllung von Versprechen“ angesehen hat.246 Auf diese Weise bildet das Recht den Ordnungsrahmen für die Katallaktik. Damit kann sich der oben beschriebene Evolutionsmechanismus des Marktes entfalten, der zwar Erwartungen systematisch enttäuscht, aber auf diese Weise die Chancen zur Verwirklichung möglichst vieler Erwartungen erhöht.247 Allgemeine Gesetze bezeichnet Hayek als Nomos. Die sich aus ihnen ergebende Herrschaftsform nennt er Nomokratie. Sie konstituiert den Kosmos.248 Gegenbegriff zum allgemeinen Gesetz ist bei Hayek der Befehl. Hierunter versteht er eine konkrete Handlungsanweisung, die auf einen konkreten Zweck zielt und ein positiv bestimmtes Handlungsergebnis bewirken will.249 Der Befehl unterwirft den Befehlsempfänger den Zwecken des Befehlenden und verhindert, dass er sein eigenes Wissen für eigene Zwecke nutzen kann. Er ist das Instrument der Organisation und gefährdet die spontane Ordnung. Denn dem Befehlenden fehlt stets das Wissen, um deren Komplexität und damit die Auswirkungen seiner 240
Hayek (1979/2003), S. 100, 115 ff. Hayek (1979/2003), S. 101. 242 Hayek (1979/2003), S. 159. 243 Hayek (1979/2003), S. 104. 244 Hayek (1979/2003), S. 110; ders. (1960/1991), S. 188. 245 Hayek (1979/2003), S. 110; ders. (1966/1994), S. 115 Rn. 26. 246 Hayek (1979/2003), S. 190. 247 Hayek (1979/2003), S. 106. 248 Hayek (1979/2003), S. 165; ders. (1968/1994b), S. 223 f. 249 Hayek (1960/1991), S. 180 ff.; ders. (1979/2003), S. 102. 241
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Entscheidung zu überblicken. Eine Ordnung, die planmäßig durch Befehle erzeugt wird, ist die oben beschriebene Taxis. Die Herrschaft zweckgerichteter Befehle in dieser Ordnung nennt Hayek Teleokratie.250 Teleokratie droht überall dort, wo Gesetze den Behörden Ermessensspielräume einräumen. Hayek sieht es nicht als bedrohlich an, wenn Richter allgemeine Regeln auslegen. Hierbei stellen sie keine Zweckmäßigkeitserwägungen an.251 Auch erkennt Hayek an, dass der Staat bei der Verwaltung seiner Mittel zweckmäßig planen muss.252 Problematisch wird es, sobald die Verwaltung über Ermessensspielräume verfügt, wenn sie in den privaten Bereich des Staatsbürgers eingreift, also bei materiell-rechtlichen Entscheidungen mit Außenwirkung.253 Hier wird Zwang ausgeübt, der den Bürger zum Mittel fremder Zwecke macht. b) Kollision von Zielen Es stellt sich die Frage, warum eine Ordnung von Wert sein kann, die sich gar nicht an Zielen misst. Zunächst erscheint es wertlos, Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, Ziele zu verfolgen, deren Richtigkeit man gar nicht überprüft hat. Dabei wird jedoch übersehen, dass die meisten im Wirtschaftsleben verfolgten Ziele keine letzten Ziele mit Wert in sich selbst sind, sondern Zwischenziele: die Beschaffung von Mitteln als Zwischenschritt auf dem Weg zum Zweck-insich-selbst. Zu beachten ist, dass die Handlungsmöglichkeiten und Zweck-Mittel- Ketten, die im Ergebnis in die letzten Ziele münden, vielfältig und austauschbar sind. Es kommt darauf an, gerade den Weg zu entdecken, der am wirtschaftlichsten, das heißt effizient ist. Dies aber kann der Einzelne im Rahmen der Marktordnung besser als eine Zentralgewalt beurteilen, weil er das größte Wissen über seine eigenen Handlungsmöglichkeiten besitzt. Wenn Regeln keine Ziele vorgeben sollen, so liegt der Grund darin, dass der Gesetzgeber nicht beurteilen kann, welches das wirtschaftlichste Zwischenziel ist.254 Hinsichtlich der Beurteilung letzter Ziele bleibt Hayek neutral. Aus seiner Sicht beschreibt er nur Tatsachen und Wirkungszusammenhänge, die aus sich heraus nicht bestimmen, was gut oder böse ist. Er weist allerdings mit Nachdruck darauf hin, dass die Missachtung dieser Wirkungszusammenhänge zu Wohlstandsverlust und Armut führen wird und man nur in ihrer Kenntnis moralisch urteilen sollte.255 Wenn Sozialisten staatliche Eingriffe fordern, weil sie etwa die marktwirtschaftlichen Arbeitszeiten für zu lang, die Löhne für zu niedrig, die Tätigkeiten für zu monoton, die Kultur für vernachlässigt und den Umweltschutz für unzureichend 250
Hayek (1979/2003), S. 165; ders. (1968/1994b), S, 223 f. Hayek (1960/1991), S. 276 ff. 252 Hayek (1960/1991), S. 277. 253 Hayek (1960/1991), S. 277 f. 254 Hayek (1979/2003), S. 159. 255 Hayek (1988/1996), S. 25 f. 251
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halten, so geben sie die Erreichbarkeit von Zielen vor, die sie mit den vorgeschlagenen Methoden nicht erreichen können, jedenfalls nicht zugleich, weil die Mittel begrenzt sind. Die sozialistische Position könne sich daher nicht allein mit dem Hinweis verteidigen, sie beruhe nur auf unterschiedlichen Werturteilen. Auch müsse sie ein Verfahren vorweisen können, mit dem die Werte, welche man zu verwirklichen versucht, in ein angemessenes Verhältnis zueinander gesetzt werden.256 Dazu sei der Markt in der Lage, die Planwirtschaft hingegen nicht. Zwar kann die Teleokratie fast alle Ziele erreichen, während für den Markt bestimmte Ziele unerreichbar bleiben. Weil der Markt aber die Mittel effizienter einsetzt, erreicht er eine größere Zahl von Zielen zugleich. Keinesfalls dürfe man die Bedeutung wirtschaftlicher Effizienz also unterschätzen. Am Beispiel von Gesundheit und Leben verdeutlicht Hayek, dass selbst anerkannte Höchstwerte hinter wirtschaftliche Erwägungen zurückgestellt werden: „Wir können natürlich die Zahl der Autounfälle auf Null reduzieren, wenn wir bereit wären, die Kosten zu tragen – nötigenfalls durch Abschaffung der Automobile. Dasselbe gilt bei Tausenden von andern Beispielen, in denen wir fortgesetzt Leben und Gesundheit und hohe geistige Werte, unsere eigenen wie unserer Mitmenschen, aufs Spiel setzen, nur zur Erhöhung unseres materiellen Wohlbefindens, wie wir es im selben Atem geringschätzig bezeichnen. Es kann auch gar nicht anders sein, da ja alle unsere Ziele um dieselben Mittel zu ihrer Befriedigung rivalisieren, und wenn jene absoluten Werte unter gar keinen Umständen aufs Spiel gesetzt werden sollen, so müssen wir alles andere hinter ihnen zurückstellen.“257
c) Materielle Unterscheidung von abstrakt und konkret Die Abgrenzung von Befehl und Gesetz erscheint im Grenzbereich schwierig. Keinesfalls dürfen diese Begriffe rein formal verstanden werden, etwa in dem Sinne, dass Befehle bloß Verwaltungsakte258, Parlamentsgesetze259 dagegen immer allgemeine Regeln sind.260 Stattdessen kommt es auf den materiellen Regelungsgehalt an. Hayek gesteht ein, dass der Unterschied zwischen Gesetz und Befehl graduell ist.261 Die Idealform des Gesetzes wird von ihm als Befehl „ein-für-alleMal“262 verstanden. Das heißt, die Abstraktheit eines Gesetzes kennzeichnet sich 256
Hierzu Hayek (1976/1996b), S. 151 ff. Hayek (1944/1994), S. 130. 258 Siehe zum Begriff des Verwaltungsakts § 35 VwVfG; Maurer (2011), § 9; HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (2008), § 35; Creifelds (2007), S. 1297; Tilch/Arloth (2001c), S. 4614 f. Der Begriff war schon lange vor der Geltung des Verwaltungsverfahrensgesetzes etabliert, siehe beispielsweise Stier-Somlo/Elster (1929), S. 577 ff. 259 Sog. Gesetz im formellen Sinne, siehe zum Begriff Stier-Somlo/Elster (1927), S. 858 ff.; Creifelds (2007), S. 497; Tilch/Arloth (2001b), S. 1962 f.; Sachs (2014), Vor Art. 1 Rn. 109.; Maunz/Dürig (2012), Art. 70 Rn. 35. 260 Hayek (1960/1991), S. 187. 261 Hayek (1960/1991), S. 181. 262 Hayek (1960/1991), S. 181. 257
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wesentlich durch dessen (antizipierte) Dauerhaftigkeit.263 Die Dauerhaftigkeit ist zum einen deshalb von Wert, weil sich auf Grundlage bestehender Regeln Erwartungen bilden. Werden neue Regeln eingeführt, so droht immer die Enttäuschung dieser Erwartungshaltung.264 Darüber hinaus ist ein Gesetzgeber, der Regeln für die Ewigkeit erlässt, gezwungen, sich von einer konkreten Zweckverfolgung zu lösen. Würde er die Zwecke erreichen, hätte die Regel ihren Wert verloren und müsste ersetzt werden. Nur Regeln mit abstraktem Ordnungszweck zielen nicht auf vorübergehende Erfolge. Vielmehr muss man sich bei der Gesetzgebung für die Ewigkeit vor Augen führen, dass man die evolutionäre Entfaltung der spontanen Ordnungskräfte nicht im Detail vorhersehen kann und daher die Rechtsordnung evolutionsoffen gestalten muss. Dann liegt es stattdessen beim Marktmechanismus, die Ordnung an sich verändernde Bedingungen anzupassen. Der Gesetzgeber vermeidet so eine „Anmaßung von Wissen“265 und vertraut darauf, dass der Markt das verstreute Wissen über die komplexe Ordnung effizienter verwerten kann. Weiterhin kennzeichnet die abstrakte Regel, dass sie für eine unbekannte Anzahl zukünftiger Fälle gilt.266 Für die Abstraktion reicht es Hayek nicht, dass sie bestimmte Personen oder Situationen nicht ausdrücklich benennt. Schließlich könnte die Regel ihren Anwendungsfall so genau eingrenzen, dass vorhersehbar ist, wen sie trifft und welche konkreten Ergebnisse sie herbeiführt. Je unvorhersehbarer die Anwendungsfälle einer Regel sind, desto mehr öffnet sie sich für die spontane Ordnung. Rein formelle Gesetze dagegen, die inhaltlich den Charakter eines Befehls aufweisen, sieht Hayek als „Hauptinstrument der Unterdrückung“267 an. „Wenn die Regierung bestimmen muß, wieviel Schweine aufzuziehen sind oder wie viele Autobusse verkehren sollen, welche Kohlebergwerke arbeiten oder zu welchem Preise Schuhe verkauft werden sollen, so können diese Entscheidungen nicht nach formalen Prinzipien und nicht für lange Zeit im voraus getroffen werden. Sie hängen notwendigerweise von der jeweiligen Situation ab, und bei solchen Entscheidungen wird man immer die Interessen verschiedener Personen oder Gruppen gegeneinander abwägen müssen. Schließlich wird die Privatmeinung eines einzelnen darüber entscheiden, wessen Interessen wichtiger sind, und diese Meinungen werden Teil des Landesrechts werden und zu einer neuen Rang abstufung führen müssen, die der Zwangsapparat der Regierung dem Volke auferlegt.“268
Zudem führt diese Unvorhersehbarkeit der Anwendung zu einem weiteren Grundsatz: der Gleichheit vor dem Gesetz. Der Gesetzgeber soll nicht bestimmte Gruppen gegenüber anderen privilegieren. Ist dem Normgeber nicht klar, wem er mit einer Regel Vor- oder Nachteile zufügt, verliert er sein Interesse an einer
263
Hayek (1979/2003), S. 179. Hayek (1979/2003), S. 91 ff., 105. 265 „Pretence of Knowlege“ ist der Titel von Hayeks Rede zum Empfang des Nobelpreises, Hayek (1973/1996). 266 Hayek (1967/1994b), S. 177; ders. (1979/2003), S. 185 ff. 267 Hayek (1960/1991), S. 187. 268 Hayek (1944/1994), S. 103. 264
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Diskriminierung.269 Zugleich sind wirtschaftliche Interventionen moderner Wirtschaftspolitik nicht möglich, will man den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz respektieren.270 Staatliche Wirtschaftsplanung müsste immer dem einen erlauben, was sie dem anderen verbietet, weil sie Arbeitsteilung durch Zwang zu organisieren hätte. Hayek erkennt an, dass der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz ebenfalls nur ein Ideal ist. Klassifikationen von Gruppen sind bei der Gesetzgebung unvermeidbar und ein befriedigendes Kriterium für deren Zulässigkeit wurde noch nicht gefunden.271 Hayek schlägt als Rechtfertigungsmaßstab eine doppelte Anerkennung der Legitimität vor: Sowohl die ausgesonderte als auch die ausgeschlossene Gruppe müsse die Klassifikation als legitim anerkennen.272 Zweifellos wäre die Klassifikation in einem solchen Fall unproblematisch, denn dies liefe auf die Einigkeit aller Betroffenen hinaus. Sehr zweifelhaft ist dagegen, ob ein so hohes Maß an Einigkeit in allen Fällen erzielbar ist, in denen Klassifikationen sachgerecht erscheinen.273 d) Die Gerechtigkeit abstrakter Regeln Zielen die Rechtsregeln darauf, eine spontane Ordnung zu entfesseln, so kann bei der Frage, ob sie gerecht sind, nicht auf das konkrete Ergebnis geschaut werden. Weil bei Erlass der Normen niemand das Ordnungsergebnis kennt, wird kein Ergebnis bewusst herbeigeführt. Aus Sicht der rechtsetzenden Akteure ergibt sich der konkrete Ordnungsinhalt zufällig, sie können für ihn nicht verantwortlich gemacht werden. In einer spontanen Ordnung kann Gerechtigkeit daher nur Verfahrensgerechtigkeit sein.274 Wollte man ein bestimmtes Ergebnis, insbesondere eine bestimmte Verteilungsgerechtigkeit herbeiführen, so könnte man dabei nicht auf das verstreute Wissen zurückgreifen, welches nur in einem ergebnisoffenen Ordnungsprozess verwertet werden kann.275 Eine Gerechtigkeit, die auf das Ergebnis schaut, ergibt begrifflich nur innerhalb der Taxis Sinn. Und wer eine solche Gerechtigkeit anstrebt, neigt daher dazu, die spontane Ordnung in eine Organisation umzuwandeln.276 Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ heftiger Kritik Hayeks ausgesetzt.277
269
Hayek (1963/1994), S. 50; ders. (1960/1991), S. 273. Hayek (1963/1994), S. 51. 271 Hayek (1960/1991), S. 272. 272 Hayek (1960/1991), S. 273. 273 Kritisch zum „doppelten Vetorecht“ auch Zeitler (1996), S. 226 ff. 274 Hayek (1967/1994b), S. 185. 275 Hayek (1967/1994b), S. 190. 276 Hayek (1967/1994b), S. 191 f. 277 Hayek (1976/1996c), S. 181 ff.; ders. (1976/1996d), S. 192 ff.; (1979/2003), S. 213 ff.; (1988/1996), S. 127 ff.; dazu Gray (1985), S. 71 ff. 270
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3. Der Universalisierbarkeitstest Allein die Abstraktion von Regeln genügt nicht, um eine spontane Ordnung entstehen zu lassen. Es versteht sich von selbst, dass eine beliebige Ansammlung abstrakter Verbote noch nicht die Abstimmung menschlichen Verhaltens ermöglicht. Die Regeln müssen vielmehr selbst schlüssig aufeinander abgestimmt sein. Um dies zu überprüfen, bietet Hayek wiederum ein negatives Kriterium an, den von ihm so bezeichneten, an Immanuel Kants „Kategorischen Imperativ“278 angelehnten, „Universalisierbarkeitstest“. Hierbei ist zu prüfen, „ob man wollen kann, dass diese Regel in jedem Fall gelte, in dem die entsprechenden, in ihr aufgeführten Bedingungen vorliegen.“279 Bei der zu prüfenden Verallgemeinerbarkeit geht es um die Verallgemeinerbarkeit innerhalb des gegebenen Systems von Verhaltensregeln; die Regel darf keiner anderen Regel widersprechen, sondern muss sich in eine konsistente Handelsordnung einfügen.280 Weil der Universalisierbarkeitstest auch im Zusammenspiel mit dem oben beschriebenen Abstraktionskriterium einen rein negativen Maßstab beschreibt, lässt sich aus ihm keine positive Rechtsordnung ableiten. Stattdessen soll er nur auf einen bereits vorhandenen Bestand von Verhaltensregeln angewendet werden, um diese im Wege „immanenter Kritik“281 zu verbessern und sich dem Gerechtigkeitsideal schrittweise anzunähern.282 Fraglich ist, ob der Test dabei überhaupt eine relevante Aussagekraft entfaltet. So wurde Hayek vorgeworfen, sein Ideal der Herrschaft allgemeiner Gesetze bedeute noch lange nicht die Herrschaft guter Gesetze.283 Hier kann der Universalisierbarkeitstest eine weitere Korrektur vornehmen, aber nur, sofern er eine materielle Substanz aufweist und nicht bloß formal-logische Widersprüche aufdeckt. Zweifellos widerspräche eine Regel der Handlungsordnung, wenn sie gebietet, was andere Normen der Ordnung verbieten, oder verbietet, was diese gebieten. Ein solcher formaler Widerspruch könnte in den meisten Rechtssystemen gleichwohl schon deshalb nicht auftreten, weil er mit Hilfe von Kollisionsregeln automatisch von Rechtsanwendern durch Auslegung beseitigt würde.284 Allein die Vermeidung formaler Widersprüche macht das Recht noch nicht gerecht. Entscheidend ist nun, ob dem Universalisierbarkeitstest darüber hinaus ein weiterreichender materieller Aussagegehalt zukommt. Bei der Beantwortung dieser Frage muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich die Verallgemeinerung nicht 278 „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“, Kant (1785/1974), S. 51. 279 Hayek (1966/1994), S. 115 f. Rn. 27. 280 Hayek (1979/2003), S. 174 ff.; ders. (1966/1994), S. 115 f. Rn. 27. 281 Hayek (1979/2003), S. 178 f. 282 Zur Negativität Hayek (1979/2003), S. 189 ff. 283 Raz (1979), S. 3 ff.; Hamovy (1961), S. 28 ff. 284 Hayek (1979/2003), S. 174.
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bloß auf das System von Regeln, sondern auch auf das System von Werten285 beziehen soll, welche den Regeln zugrunde liegen. Unter Werten versteht Hayek alles das, „was das Handeln eines Menschen fast sein ganzes Leben hindurch leitet, im Unterschied zu den konkreten Zielen, die sein Handeln in bestimmten Augenblicken bestimmen.“286 Werte sind nicht mit den Regeln identisch. Sie sind hingegen das Motiv, welches den Gesetzgeber zur Aufstellung einer Regel bewegen soll (im Gegensatz zu Zielen, von denen der Gesetzgeber sich nicht leiten lassen soll) und welches sich in den Regeln ausdrückt. Sie entsprechen damit dem Begriff der „Maxime“ aus dem kantschen „Kategorischen Imperativ“, sofern diese Maxime als allgemeines Gesetz gewollt ist. Die Werte selbst sind zeitlos. Sie beziehen sich nicht „auf bestimmte Sachen, Personen oder Vorfälle, sondern auf Eigenschaften, die viele verschiedene Sachen, Personen oder Vorfälle zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten haben können, und wenn wir sie zu beschreiben versuchen, werden wir das gewöhnlich tun, indem wir eine Regel aufstellen, unter die diese Sachen, Personen oder Vorfälle fallen.“287 So sind die Werte den Menschen zwar intuitiv bewusst. Sie aber in Sprache zu formulieren und in Rechtsregeln auszudrücken, bleibt eine intellektuelle Herausforderung, die sich nur schrittweise vollzieht. Beim Universalisierbarkeitstest überprüft man mithin nicht nur, ob sich die bereits positivierten Regeln formal widersprechen, sondern ebenfalls, ob deren zugrundeliegenden Werte einen materiellen Widerspruch aufweisen. Da die Werte auf die Ewigkeit zielen und keine Rücksicht auf zeitbedingte technische, soziale und wettbewerbsbedingte Veränderungen nehmen – sie gelten universell – sind vor den Werten alle gleich. Überprüft wird somit die Unparteilichkeit einer Regel gegenüber spezifischen Präferenzen und Positionen der Rechtsunterworfenen.288 Diese Unparteilichkeit wird verfehlt, wenn das Recht einen Wertungswiderspruch aufweist, das heißt, wenn eine Rechtsnorm zwei Konstellationen unterschiedlich bewertet, obwohl in beiden Fällen die abstrakten Eigenschaften eines Werts keine Unterscheidung rechtfertigt. Dann werden zwei verschiedene Personen an zwei sich widersprechenden Werten gemessen und die jeweiligen Werte somit nicht innerhalb der Rechtsordnung universalisiert. Umgangssprachlich würde man wohl von einer „Doppelmoral“ sprechen. Von Bedeutung ist, dass der Universalisierbarkeitstest nach Hayeks Auffassung verbietet, bestimmten Gruppen eine Art „angemessenes“ Einkommen zuzusichern und ihren Abstieg im Wettbewerb zu verhindern. Denn ein allgemeiner Wert, dass die Erwartung, in seiner bisher errungenen Position zu verharren, schutzwürdig ist, kann in einer dynamischen Gesellschaft, die sich an wandelnde Umstände 285
Hayek (1966/1994), S. 115 f. Rn. 27. Hayek (1968/1994b), S. 222. 287 Hayek (1968/1994b), S. 222. 288 Gray geht davon aus, dass der Universalisierbarkeitstest ein Unparteilichkeitstest ist, der moralische Neutralität gegenüber den Präferenzen der Rechtsunterworfenen einfordert, siehe Gray (1985/1995), S. 62 ff.; zustimmend Zeitler (1996), S. 284 ff. 286
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anpassen muss, nicht aufgestellt werden. Nur als willkürliches Privileg für bestimmte Gruppen wäre die Bestandssicherung denkbar. Ebenso lässt sich für jede andere Einkommensfestsetzung, welche das am freien Markt zustande gekommene Einkommen übersteigt, kein Wert finden, vor dem alle gleich sind.289 Denn mangels Wirtschaftsleistung können nicht alle Marktteilnehmer über das Marktniveau gehoben werden, sondern immer nur wenige Markteilnehmer auf Kosten anderer. An die Stelle der Gleichheit vor einem Wert muss die Anwendung widersprüchlicher Werte auf unterschiedliche Gruppen treten. Statusfestsetzungen innerhalb des Wettbewerbs sind damit niemals universalisierbar. 4. Gesetze als Ergebnis eines Evolutionsprozesses Nicht nur im Rahmen allgemeiner Gesetze vollzieht sich nach Hayeks Auffassung ein Evolutionsprozess. Auch die Rechtsordnung selbst sieht er als Ergebnis eines evolutionären Prozesses an. Dies füllt eine Lücke in Hayeks Philosophie, die sich daraus ergibt, dass seine Kriterien durchwegs negativ sind. Aus ihnen lässt sich kein positiver Inhalt einer Rechtsordnung ableiten. Sie können nur auf einen bereits vorhandenen Bestand an Normen angewendet werden, um diesen schrittweise zu verbessern. Deshalb erscheint die Bezugnahme auf den vorhandenen Normenbestand als Zwischenergebnis der bisherigen Rechtsevolution konsequent. Hayek skizziert diese Evolution durch zwei verschiedene Wirkungsmechanismen. Zum einen weist er darauf hin, dass wesentliche Prinzipien der Rechtsordnung nicht durch Gesetzgeber gesetzt, sondern durch Richter und Rechtsgelehrte entdeckt wurden.290 Dabei hat er vor allem das angelsächsische Case-Law-System im Hinterkopf. Doch auch die deutsche Rechtsordnung ist ohne richterliche Rechtsauslegung und -fortbildung nicht denkbar und unterliegt in dieser Hinsicht einem Entwicklungsprozess. Wenn es jedoch darum geht, gesetztes Recht zu bewerten, hilft dieser Gedanke nicht weiter. Zum anderen beschreibt Hayek die Entwicklung der Rechtsordnung als Selektion von Gruppen, die bestimmte Verhaltensregeln aus Gewohnheit befolgten. Dabei zeigten einige Regeln ihre Überlegenheit, was zum Anwachsen der Gruppen führte, in denen sie galten. Die Gruppen seien nicht unbedingt deshalb überlegen gewesen, weil sie konkurrierende Gruppen aktiv vernichteten, sondern wesentlich deshalb, weil sie für Außenstehende attraktiv waren und auf diese Weise immer weitere Mitglieder anzogen. Entscheidend sei also gewesen, ob sie auf einer Art „Markt der Regeln“ die meisten Mitglieder gewinnen konnten. So wuchsen Kleinstgruppen und Stämme zu Großgesellschaften an. Hayeks These ist nun, dass eine Gruppe umso mehr Mitglieder integrieren kann und für umso mehr Menschen 289
Hayek (1979/2003), S. 292. Hayek (1966/1994), S. 113 Rn. 21.
290
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attraktiv ist, je abstrakter ihre Regeln sind. Nur Kleinstgruppen können vollständig nach Zweckmäßigkeitserwägungen organisiert werden, weil nur dort jeder jeden kennt und die Abläufe überschaubar sind. Sobald sich anonyme Großgesellschaften bilden, fehlt es am notwendigen Wissen, sie sind zu komplex. Stattdessen entfalten hier notwendig abstrakte Regeln die Integrationskraft. Zugleich ermöglichen abstrakte Regeln, gänzlich unterschiedliche Lebensweisen einzubinden und es fällt leichter, sich im Kompromiss auf solche Regeln zu einigen.291 Somit setzten sich Privateigentum, Freiheit des Handels und Vertragsautonomie durch.292 Den kulturell überlieferten Verhaltensregeln stellt Hayek die angeborenen Instinkte gegenüber. Diese seien auf Kleinstgruppen zugeschnitten und drängen die Menschen zur Solidarität mit bekannten Gruppenmitgliedern. Mit derartiger „Stammesmoral“ könne aber die moderne Großgesellschaft nicht überleben.293 Durch die Gegenüberstellung von Stamm und anonymer Großgesellschaft wird der Begriff der Abstraktheit von Regeln besonders anschaulich. Der skizzierte Evolutionismus bedeutet nicht, dass Recht einfach aus sich selbst heraus entstünde und dem Menschen keine Möglichkeit bliebe, gestalterisch Einfluss zu nehmen. Das Argumentationsmuster richtet sich in erster Linie gegen die Vorstellung, die gesamte Rechtsordnung entspringe einem einzigen Entwurf und könne in ihrer Gesamtheit vollkommen neu entworfen werden.294 Einer solchen „konstruktivistischen Anmaßung“ hält Hayek entgegen, der Mensch sei nicht intelligent genug, die Rechtsordnung als Ganze zu erfinden. Vielmehr bedürfe es dafür der Weisheit und Erfahrung von Generationen, die sich im bestehenden Recht bündele. Seine Rationalismuskritik mündet in ein Bild vom Menschen, dessen Vernunft nicht etwa denkend die Kultur geschaffen habe, sondern dessen Vernunft umgekehrt ein Produkt der Kulturtradition sei.295 Dieses Menschenbild mit all seinen metaphysischen Implikationen soll hier nicht weiter untersucht werden.296 5. Die Grenzen der Nomokratie: Schutz öffentlicher Güter Aus dem Vorangesagten ergibt sich Hayeks Herrschaftsideal: die Herrschaft des Gesetzes (Nomokratie). Allgemeine Gesetze werden auf Dauer erlassen, ohne dass vorhersehbar ist, welche Konsequenzen sie im Einzelfall nach sich ziehen. Diese Gesetze verbieten willkürlichen Zwang durch gesetzlichen Zwang. Weil die Gesetze selbst keinen bestimmten Zwecken dienen, werden die Rechtsunterworfenen nicht zum Mittel fremder Pläne. Sie können innerhalb der geschützten Freiheits 291
Hayek (1979/2003), S. 163 ff. Hayek (1978/1996a), S. 49 ff. 293 Hayek (1978/1996a), S. 55 ff. 294 Derartige Auffassungen bezeichnet Hayek als Konstruktivismus, dazu Hayek (1970/1996); ders. (1978/1996a), S. 16 ff. 295 Hayek (1988/1996), S. 18 ff.; ders. (1978/1996a), S. 41. 296 Kritisch zum hayekschen Evolutionismus Gray (1980), S. 119 ff. 292
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sphären ihr eigenes Wissen für ihre eigenen Zwecke verwenden. Durch einen Marktprozess entfaltet sich dabei die spontane Ordnung. Dies sei ein Zustand, in dem nicht etwa Menschen herrschen, sondern das Recht selbst. Obwohl Hayek im Grundsatz von diesem Ideal ausgeht, gibt er sich nicht der Illusion hin, es könne in Reinform verwirklicht werden. Er erkennt die Notwendigkeit einer Regierung an. Schon um die allgemeinen Regeln durchzusetzen braucht es einen beträchtlichen Apparat mit umfangreichen Mitteln und Personal. Dieser Apparat muss in der Form einer Taxis organisiert werden, um seine Mittel wirtschaftlich verwalten zu können, denn er muss Effektivitäts- und Effizienzerwägungen anstellen. Hierfür sind Organisationsregeln zu erlassen, die keine allgemeinen Regeln gerechten Verhaltens sind und sein können.297 Doch will Hayek die Staatsfunktion nicht allein auf die Durchsetzung allgemeiner Verhaltensregeln beschränken. Überraschenderweise sieht Hayek es als sinnvoll an, dass der Staat innerhalb einer modernen Gesellschaft, in der sich die soziale Sicherheit örtlicher Bindungen aufgelöst hat, ein Mindesteinkommen sicherstellt.298 Darüber hinaus ist ihm bewusst, dass es schutzwürdige Kollektivgüter gibt, die der Markt nicht bereitstellen kann. Der Markt scheitere insbesondere dann, wenn er den Kreis der Nutznießer eines Gutes nicht auf den Kreis jener begrenzen kann, die auch für dessen Kosten aufkommen, oder er Schädiger eines Gutes nicht zur Haftung ziehen kann. In diesen Fällen treten externe Effekte auf. Der Markt versagt. Der Begriff des externen Effektes ist ein verbreiteter Terminus der Mikroökonomie. Er beschreibt Leistungsbeziehungen zwischen Marktakteuren, welche nicht durch Preise abgegolten werden. Ein positiver externer Effekt tritt auf, wenn für eine Leistung keine Vergütung von ihrem Empfänger gefordert werden kann (zum Beispiel die Veröffentlichung von Informationen). Umgekehrt kommt es zu negativen externen Effekten, wenn bei einer Schädigung kein Schadensersatz vom Schädiger gefordert werden kann (zum Beispiel Schadstoffausstoß). Der Verursacher eines externen Effekts bezieht deshalb die Auswirkungen seines Verhaltens auf die Interessen Dritter nicht in die eigene Kosten-Nutzen-Kalkulation ein. Er hat weder einen Anreiz, positive externe Effekte zu veranlassen, noch negative externe Effekte zu vermeiden. So kommt es im interventionsfreien Marktprozess zur Fehlallokation von Produktionsfaktoren.299
297
Hayek (1979/2003), S. 127 ff. und S. 354 ff. Hayek (1960/1991), S. 316 f.; ders. (1979/2003), S. 361 f. 299 Siehe z. B. Schumann/Meyer/Ströbele (2011) S. 39; Varian (2009), S. 719 ff.; Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 835 ff.; Natrop (2006), S. 268 ff.; Eichberger (2004), S. 195 ff.; Wiese (2002), S. 397 ff.; Reiß (1998), S. 388. 298
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Hayek sieht es in diesen Fällen als gerechtfertigt an, dass die Kosten von öffentlichen Gütern durch staatlichen Zwang auf die Nutznießer umgelegt werden. Dies sei akzeptabel, wenn man hinter dieser Kostenumlage eine Art Tausch erblicken könne.300 Es erscheint offensichtlich, dass solch ein erzwungener Tausch kein echter Tausch im Sinne der obigen Terminologie ist. Denn mangels Wahlfreiheit kann man auf keine Konkurrenten ausweichen, und somit kann sich auch nicht die evolutionäre Katallaktik entfalten. Auch zielt der Zwang auf ein bestimmtes Kollektivgut und damit einen konkreten Zweck. Argumentiert man über die externen Effekte, so lassen sich leicht die Kriterien für die obige spontane Ordnung aufweichen. Dies sieht Hayek selbst und weist dabei auf zweierlei hin: Bei der Bereitstellung der öffentlichen Güter dürfe der Staat zwar die Finanzierung übernehmen, bei der Dienstleistung selbst soll er dagegen nach Möglichkeit auf private Anbieter zurückgreifen. Zudem soll der Marktmechanismus gegenüber staatlicher Intervention immer Vorrang haben; stets ist zu beachten, dass die Funktionsfähigkeit einer spontanen Ordnung nicht übermäßig beeinträchtigt wird.301 Demnach lässt Hayek die Durchbrechung seiner obigen Grundsätze zu, sofern dies durch sachliche Gründe – externe Effekte nämlich – hinreichend gerechtfertigt ist. Hayek erkennt also, dass in bestimmten Konstellationen teleokratische Methoden sinnvoll und sogar notwendig sind. Er appelliert allerdings, ihren Einsatz zu minimieren.
V. Staatliche Interventionen, die einer spontanen Ordnung fremd sind; Hayeks Gegnerschaft zur „Mischordnung“ Sieht man, dass die Durchbrechung von Hayeks Freiheitsideal durch das Schutzbedürfnis von öffentlichen Gütern gerechtfertigt werden kann und dass diese Rechtfertigung nur eine Frage der Abwägung ist, so scheint es zunächst, als lösten sich alle seine Maßstäbe in Abwägungen auf. Entscheidende Konturen werden aber deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der teleokratische Schutz öffentlicher Güter eben eine Durchbrechung des Nomos ist und es an dieser Stelle keinen fließenden Übergang gibt. Was Hayek in jedem Fall vermeiden möchte, ist eine Verflechtung von Teleokratie und spontaner Ordnung, bei der zentrale Pläne und spontane Ordnungskräfte ihre Wirksamkeit wechselseitig konterkarieren. „Das Wichtigste ist die Art und nicht das Ausmaß der Staatstätigkeit“, schreibt Hayek. „Das Wesentliche ist“, so führt er weiter aus, „dass alle Zwangsausübung der Regierung durch ein dauerndes gesetzliches Rahmenwerk eindeutig bestimmt sein muss, so dass der Einzelne mit einem gewissen Vertrauen planen kann und 300
Hayek (1979/2003), S. 350 ff.; ähnlich ders. (1960/1991), S. 288 ff. Hayek (1979/2003), S. 353 ff.
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die menschliche Unsicherheit so gering wie möglich wird.“302 Die Unsicherheit droht hingegen dann auszuufern, wenn mit Ermessensvollmachten innerhalb des Wettbewerbs Zwecke verfolgt werden, die selbst nicht zeitlos sind, allen voran die Sicherung von Stellungen bestimmter Marktakteure.303 Staatliche Interventionen, selbst wenn sie im Ausnahmefall bestimmte Ergebnisse erzwingen, müssen wenigstens einem Prinzip folgen, welches insofern allgemein und von Dauer ist, als es sich gegenüber zeitbedingten Kräfteverhältnissen im Wettbewerb neutral verhält. Hayek akzeptiert es, wenn der Staat das Existenzminimum für außerhalb des Wettbewerbs stehende Personen sichert.304 Inakzeptabel sei es aber, wenn der Staat sich mit Zwangsgewalt Marktentwickelungen und Kräfteverschiebungen entgegenwirft, die einem Wettbewerb auf Grundlage allgemeiner Regeln entspringen. Diese Marktentwicklungen folgen dem gebündelten Wissen der Preissignale, sind aber für den Staat undurchschaubar und unvorhersehbar, weil der Wettbewerb eben ein Entdeckungsverfahren ist. Will der Staat gegen diesen Marktmechanismus bestimmte Stellungen bestimmter Marktakteure durchsetzen, kann das Preissignal eine wirtschaftliche Lenkung der Produktion nicht mehr sicherstellen. Dann besteht aber zugleich nur eine halbe Teleokratie, die wegen dieser Halbheit ebenfalls nicht in der Lage ist, die vorhandenen Mittel umfassend in einen zweckmäßigen Plan einzubinden; zumal sie wegen des Mangels an Wissen den ökonomischen Sinn der Marktentwicklungen gar nicht versteht, die sie bekämpft. Anschaulich gesprochen: Eine Art „Nebel des Marktes“ liegt über der spontanen Ordnung, der es einem Planer unmöglich macht, ihre Funktionsmechanismen im Einzelnen zu überblicken. Kernthese Hayeks ist, „dass die enge Verflechtung aller wirtschaftlichen Erscheinungen es erschwert, mit der Planwirtschaft gerade dort aufzuhören, wo wir möchten, und dass, sobald das freie Funktionieren der Marktwirtschaft über einen bestimmten Punkt hinaus gehemmt wird, der Planwirtschaftler zur Ausdehnung seiner Zwangsmaßnahmen gezwungen sein wird, bis sie alles umfassen.“305 Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass sich hinter den obigen Erwägungen ein allgemeiner Kerngedanke verbirgt, der im Weiteren als Mischordnungsproblem bezeichnet wird. Hayek selbst verwendet den Begriff der Mischordnung nicht. Zumeist warnt er allgemein vor den Folgen einer Vermischung der nomokratischen mit der teleokratischen Sphäre und illustriert die Probleme der Sphärenvermischung anhand von Beispielen. Um im zweiten Abschnitt ein abstraktes Problemmuster aller Mischordnungen zu gewinnen, muss Hayeks Philosophie daher durch Interpretation verfeinert werden. An dieser Stelle sei vorerst festgehalten, dass Hayek teleokratische Eingriffe in katallaktische Prozesse mit großer Skepsis betrachtet.
302
Hayek (1960/1991), S. 287. Hayek (1960/1991), S. 292. 304 Hayek (1960/1991), S. 230; ders. (1979/2003), S. 294. 305 Hayek (1944/1994), S. 140. 303
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
Vor diesem Hintergrund lehnt Hayek die staatliche Festsetzung „gerechter“ Preise oder einer „gerechten“ Einkommensverteilung ab.306 Der Preis bündelt das Wissen über die wirtschaftlichste Produktionsweise innerhalb der spontanen Ordnung, sofern der Preis am freien Markt zustande gekommen ist. Jede staatliche Preisfestsetzung muss diesen Mechanismus sabotieren. Zudem wurde nie ein Kriterium für den gerechten Preis entdeckt, sodass jede Festsetzung willkürlich und diskriminierend erfolgen muss. Das zeigt sich schon darin, dass Preise nie nach langfristigen Regeln bestimmt werden können. Sie hängen nämlich von sich ständig ändernden Umständen ab. Weil sie Zwangsmittel zur Preisfestsetzung einsetzen, sind insbesondere die Gewerkschaften einer scharfen Kritik Hayeks ausgesetzt.307 Aus ähnlichen Gründen wendet sich Hayek gegen Formen staatlicher Bedarfsplanung und staatlicher Mengenkontrolle.308 Der Unternehmer, welcher sich an der Preisentwicklung des Marktes orientiert, kann nämlich weitaus besser vorhersehen, wann die Produktionsmenge sich mit der Nachfrage deckt. Zwar können die Mengen bisheriger Güterverschiebungen am Markt durch Behörden statistisch erfasst werden. Sie sind jedoch keine hinreichende Orientierungshilfe: Zum einen bilden sie längst nicht die unendliche Komplexität der Produktionsprozesse ab.309 Zum anderen beziehen sie sich allein auf die Vergangenheit, während gerade die Zukunft der Marktentwicklung unvorhersehbar ist.310 Damit korrespondiert ein Verbot, durch staatliche Entscheidung den Zugang zu bestimmten Berufen und Wirtschaftsbereichen zu beschränken, was die Konsequenz jeder Kontingentierung wäre.311 Weil die Entwicklung des Marktes ein offener Prozess ist, dürfen durch staatliche Interventionen keine Marktergebnisse eingefroren werden.312 Dies erscheint immer dann schmerzlich, wenn materielle Positionen verloren gehen, an welche sich Menschen gewöhnt haben und aus denen sie eine berechtige Erwartung auf deren Fortdauer ableiten. Sobald der Staat nämlich den Abstieg verhindert, sabotiert er die spontane Ordnung: Denn „auf diese Art und Weise wirkt das kybernetische Prinzip der negativen Rückkopplung, das die Ordnung des Marktes erhält.“313 Sabotiert man es, muss die Wirtschaft langsam verfallen, weil sie nicht mehr an den Wandel der Umstände angepasst wird. Die Forderung, ein bestimmtes Marktergebnis durch staatlichen Zwang einzufrieren, erscheint schon deshalb inkonsequent, weil sich dieses Ergebnis nur an einem freien Markt ohne Zwang bilden konnte. Der soziale Aufstieg legitimiert sich nur durch die Spielregel der 306
Hayek (1960/1991), S. 293 ff.; ders. (1966/1994), S. 118 Rn. 35. Hayek (1960/1991), S. 339 ff. 308 Hayek (1967/1996b), S. 172 ff. 309 Hayek (1967/1996b), S. 176. 310 Hayek (1967/1996b), S. 177. 311 Hayek (1979/2003), S. 292. 312 Hayek (1979/2003), S. 244 ff. 313 Hayek (1979/2003), S. 245. 307
A. Überblick über Hayeks Staatsphilosophie
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Katallaxie, innerhalb deren er erfolgte. Diese Regeln dürfen dann aber nicht manipuliert werden, wenn sie unter anderen Umständen einen sozialen Abstieg veranlassen. Umgekehrt können Regeln gerechten Verhaltens auch nicht sicherstellen, dass Anstrengungen am Markt Erfolg haben. Sie legen nur die Bedingungen für Übereinkünfte fest, sichern aber nicht, dass sich ein Transaktionspartner findet.314
VI. Hayeks Auffassung zur Stadtplanung In „Die Verfassung der Freiheit“ hat Hayek sich ausdrücklich zur Stadtplanung geäußert.315 Er erkennt an, dass für Grundeigentum innerhalb von Städten die Eigentumsfreiheit nicht unbeschränkt bestehen kann, weil „Nachbarschaftswirkungen“ unvermeidlich sind.316 Dabei befürchtet er, dass es wahrscheinlich „keine vollkommene Lösung der wirklichen Schwierigkeiten“ gibt, „die die Komplexität dieses Problems bereitet.“317 Hayek drängt auf eine Stadtplanung, welche den Markt ergänzt und die Wirksamkeit des Preismechanismus unterstützt. Hingegen lehnt er es ab, diesen Preismechanismus durch eine zentrale Lenkung zu ersetzen. Er warnt insbesondere vor „einem im Voraus festgelegten Plan, der die Verwendung jedes Grundstücks vorschreibt.“318 Anders herum akzeptiert er eine Stadt planung, deren Wirkungsweise „die Festlegung der allgemeinen Bedingungen ist, denen alle Entwicklungen in einem Bezirk oder einer Gegend entsprechen müssen, die aber innerhalb dieser Bedingungen die Entscheidungen dem einzelnen Eigentümer überläßt,“ und sieht sie „als Teil der Bemühung, den Marktmechanismus besser wirken zu lassen“ an.319 Offenbar kommt es ihm wiederum darauf an, die Planung so allgemein wie möglich zu halten und das konkrete Ergebnis grundstücksbezogener Nutzungsweisen dem Wirken des Marktes zu überlassen. Der graduelle Charakter des Übergangs von einer abstrakten Rahmenordnung zu einer konkreten Ergebnisordnung wird hier besonders deutlich. Hayeks städtebauliche Vision ist die Übertragung der hoheitlichen Planungsbefugnis auf private Grundbesitzgesellschaften, die an Stelle der Gemeinde einzelne Bezirke verwalten und miteinander im Wettbewerb stehen.320 Aber selbst wenn die Träger hoheitlichen Charakter haben, so soll zwischen ihnen größtmöglicher Wettbewerb stattfinden.321 314
Hayek (1979/2003), S. 276. Hayek (1960/1991), S. 426 ff., insbesondere S. 435 ff. 316 Hayek (1960/1991), S. 427, 435. 317 Hayek (1960/1991), S. 438. 318 Hayek (1960/1991), S. 436. 319 Hayek (1960/1991), S. 436. 320 Hayek (1960/1991), S. 437 f.; später auch zum größeren Wettbewerb als Vorzug lokaler gegenüber zentralen Behörden, S. 442. 321 Hayek (1960/1991), S. 438. 315
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
Abschließend mahnt Hayek: „Alle Bemühungen, bei Grund und Boden den Marktmechanismus auszuschalten und durch zentrale Lenkung zu ersetzen, müssen zu irgendeinem solchen Kontrollsystem führen, das der Behörde eine vollkommene Gewalt über die Entwicklung gibt.“322 Während Hayek das Bauplanungsrecht also mit erheblichen Sorgen betrachtet, steht er dem Bauordnungsrecht weitgehend bedenkenlos gegenüber. Die „Nützlichkeit“ baurechtlicher Schutzvorschriften könne kaum bestritten werden. Nur „Mißbrauch“ und „völlig irrationale Einschränkungen“ müsse man vermeiden.323
VII. Hayeks Kernproblem: Das Verhältnis von teleokratischen und nomokratischen Ordnungsmethoden Hayeks Ausgangspunkt ist die Unterscheidung von Teleokratie und Nomokratie. In der Teleokratie wird durch zweckmäßige Regeln die Verwirklichung eines Gesamtplans erzwungen. Der Wert der Regeln misst sich an dem Ergebnis, welches der Regelsetzer planmäßig herbeiführen will. Innerhalb der Nomokratie strebt der Regelsetzer hingegen keine konkreten Ergebnisse an. Hier verhindert das Recht willkürlichen Zwang. Damit der Zwang, den das Recht seinerseits zur Vermeidung von Zwang ausübt, nicht willkürlich ist, haben die Rechtsregeln abstrakt zu sein. Die abstrakten Regeln wiederum müssen sich in das Gesamtsystem von Verhaltensregeln derart einfügen, dass eine konsistente Handlungsordnung entsteht. Dies überprüft der Test der Universalisierbarkeit. Gelingt es, eine Rahmenordnung nach diesen Grundsätzen zu konstruieren, dann kann in dieser Rahmenordnung jeder sein eigenes Wissen für eigene Zwecke einsetzen. Die Individualpläne stimmen sich durch Wettbewerb und Preismechanismus aufeinander ab. Auf diese Weise verwertet die Nomokratie mehr Wissen als Planungsinstanzen einer Teleokratie auch nur ermitteln könnten und ist dadurch effizienter. Die grundsätzliche Überlegenheit der Nomokratie über die Teleokratie hat etwas Überraschendes. Aus Sicht des staatlichen Gewaltmonopols leuchtet es zunächst nicht ein, warum man die abstrakten Regeln der spontanen Ordnung zielgerichteten Plänen vorziehen sollte. Schließlich weiß man nie genau, welchen Lauf die spontane Ordnung nimmt und welche spontanen Ordnungskräfte sich durchsetzen. Man kann nicht einmal prognostizieren, welche Werte sie herausbildet und welche sie zurückstellt. Für einen Gesetzgeber, der die Qualität seiner Regeln an ihren Folgen misst, ist das unbefriedigend. Aus seiner Sicht müssen bestimmten Gütern bestimmte relative Werte zugemessen werden und dann ein Plan gefasst werden, wie man entsprechend dieser Werterelation den höchsten Güterwert realisiert. Was für ihn zählt, ist das vorhersehbare und planmäßig herbeigeführte 322
Hayek (1960/1991), S. 440. Hayek (1960/1991), S. 441.
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A. Überblick über Hayeks Staatsphilosophie
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Ergebnis. Ein planbares Ergebnis kann man indes nur bei übersichtlichen Kausalketten vorhersehen, nicht dagegen innerhalb der komplexen Wechselwirkungen einer spontanen Ordnung. Um die spontane Ordnung zu wollen, braucht es deshalb Vertrauen. Man muss darauf vertrauen, dass ihre Mechanismen die Dinge schon zum Guten wenden. Nur mit einer solchen Haltung kann man die Freiheit einem greifbaren Planungsziel vorziehen. Ausgehend von dieser Grundannahme macht Hayek zahlreiche Einschränkungen bei seinem Ordnungsideal. Er sieht ein, dass der Markt eine teleokratisch durchgesetzte Rahmenordnung braucht. Zudem sei der Markt nicht in der Lage, ein angemessenes Existenzminimum zu garantieren. Schließlich bewertet der Markt wegen sogenannter externer Effekte bestimmte Güter und Interessen zu gering, sodass eine Fehllenkung der spontanen Ordnungskräfte zu erwarten sei. Deshalb sind teleokratische Methoden letztlich unvermeidbar, selbst wenn man in der Nomokratie die Primärordnung erblickt. Hayek schreibt: „Weit entfernt davon, solch einen „Minimalstaat“ zu propagieren, steht für uns außer Frage, dass in einer fortgeschrittenen Gesellschaft der Staat seine Macht zur Mittelbeschaffung durch Besteuerung dazu gebrauchen sollte, eine Reihe von Dienstleistungen bereitzustellen, die aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht ausreichend über den Markt bereitgestellt werden können. Man könnte sogar behaupten, daß selbst dann, wenn keine andere Notwendigkeit eines Zwanges bestünde, weil jeder freiwillig die herkömmlichen Regeln gerechten Verhaltens befolgt, immer noch alles dafür spräche, die Territorialbehörden zu ermächtigen, die Bewohner zu einem gemeinsamen Fonds beitragen zu lassen, aus dem solche Leistungen finanziert werden können. Die Behauptung, daß dort, wo man den Markt dazu nutzen kann, die erforderlichen Leistungen anzubieten, dies die wirksamste Methode ihrer Erbringung wäre, besagt nicht, daß wir nicht auch andere Methoden anwenden dürfen, wenn die genannte nicht anwendbar ist.“324
Hayek fordert also, dass bestimmte Leistungen mit teleokratischen Methoden herbeigeführt werden sollen, während parallel zu diesen Methoden der Markt bestehen bleibt. Doch zugleich fürchtet er bei teleokratischen Eingriffen in den Markt, dass sich die Teleokratie auf lange Sicht auf Kosten der Marktordnung ausweitet. Es stellt sich also die Schlüsselfrage, in welches Verhältnis Teleokratie und Nomokratie zu einander gestellt werden müssen, damit eine stabile Parallel existenz möglich bleibt. Diese Arbeit stellt die These auf, dass es Hayek dabei allen voran um die Vermeidung von Mischordnungen geht. Deren Problematik soll im nächsten Abschnitt näher ausgeführt werden.
324
Hayek (1979/2003), S. 348 f.
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
B. Interpretation: Das Mischordnungsproblem Es wurde gezeigt: Nach Hayek sind die Methoden von Marktwirtschaft und Planwirtschaft grundverschieden, haben aber beide eine Einsatzberechtigung. Während der marktwirtschaftliche Wettbewerb innerhalb eines nomokratischen Regelsystems die vorhandenen Mittel effizienter einsetzt, ist er dennoch nicht in der Lage, alle für wichtig gehaltenen Ziele zu erreichen. Mit planwirtschaftlichem Zwang kann man hingegen fast jedes wirtschaftliche Ziel verwirklichen. Jedoch wird mit planwirtschaftlichen Methoden niemals so viel Wissen verwertet, wie es der Wettbewerb zu leisten vermag, weshalb ihr Einsatz Effizienzverluste mit sich bringt. Beide Ordnungsmethoden haben also ihre Vor- und Nachteile. Dass der Staat auf beide Ordnungsmethoden kombiniert zurückgreift, sieht Hayek als eine Selbstverständlichkeit an. Die politische Kernherausforderung besteht nun darin, Planwirtschaft und Marktwirtschaft in ein gesundes Verhältnis zueinander zu setzen. Dies gelinge nur, wenn innerhalb der Gesamtordnung Teleokratie und Nomokratie als zwei abgrenzbare Sphären nebeneinander bestehen können. Zum Problem kommt es dagegen, werden planwirtschaftliche und marktwirtschaftliche Methoden miteinander vermengt. Terminologisch wird im Weiteren von der gesunden „Parallelordnung“ und der problematischen „Mischordnung“ gesprochen. Es stellt sich damit die Kernfrage, welche Kombinationen von Teleokratie und Nomokratie einen Mischordnungscharakter aufweisen und worin das Mischordnungsproblem eigentlich besteht. In diesem Abschnitt werden zunächst die Erwägungen eines teleokratisch und eines nomokratisch agierenden Regulierers gegenübergestellt. Sobald die Methoden der Teleokratie und Nomokratie geklärt wurden, wird ihre Anwendung in der Parallelordnung und in der Mischordnung definiert. Darauf aufbauend zeigt sich, dass Mischordnungsmethoden den Regulierer auf längere Sicht in ein Entscheidungstrilemma treiben, in dem er nur noch zwischen schädlichen Handlungsoptionen wählen kann.
I. Planwirtschaftliche Regulierung mit positiver Zielrichtung (Teleokratie) Der planwirtschaftliche Regulierer strebt nach der positiven Herbeiführung eines ihm in seinen konkreten Details bekannten Ergebnisses. Um dieses Ergebnis herbeizuführen, entwirft er eine ebenfalls konkrete Kausalkette, die nach seiner Vorstellung in dieses Ergebnis münden wird. Der Plan des Planwirtschaftlers besteht also darin, durch eigenes Handeln auf einem konkret bekannten Weg ein konkret bekanntes Ergebnis zu verwirklichen. Bei dem Entwurf eines ergebnisbezogenen Plans muss der Regulierer zwei Arten von Entscheidungen treffen: Zum Ersten wählt er das gewünschte Ergebnis, welches
B. Interpretation: Das Mischordnungsproblem
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er anzustreben gedenkt. Und zum Zweiten muss er eine Kausalkette entwerfen, die in das gewählte Ergebnis mündet. Kausalität und Ergebnisinhalt sind dabei nicht voneinander unabhängig. Denn der Regulierer konstruiert die Kausalkette aus Mitteln, die begrenzt sind. Wie viele Ziele er im Ergebnis verwirklichen kann, hängt davon ab, wie effizient die Konstruktion seiner Kausalkette ist. Doch selbst bei höchster Effizienz wird er von der Verwirklichung bestimmter Ziele absehen müssen. Auch wenn sich ein sozialistischer Staat alle gesellschaftlich vorhanden Mittel zueignet, werden sie nicht ausreichen, um alle Wünsche der Planer zu erfüllen – oder gar ein Paradies auf Erden zu erschaffen. Stattdessen ist der Regulierer immer gezwungen, bestimmte Ziele zu opfern. Dies geschieht automatisch – er vereitelt ein Ziel allein dadurch, dass er Mittel von ihm abzieht und sie einem anderen Ziel zuführt. Will der Regulierer seine Zielauswahl rational durchführen, so bleibt ihm nichts Anderes übrig, als zuvor die relative Wichtigkeit seiner Ziele zu definieren. Nur so ist begründbar, warum Mittel von einem unwichtigeren zu einem wichtigeren Ziel verschoben werden. Entsprechend der relativen Wertzumessung der verschiedenen Ziele versucht der rationale Planer aus den begrenzten Mitteln eine Kausalkette zu entwerfen, deren Ergebnis den höchsten Zielwert realisiert. Effizienz misst sich an dem Ergebnis, in das die Kausalkette führt: In diesem Ergebnis sollen die Zielwerte höchstmöglich verwirklicht sein. Dabei ist die Frage des effizientesten Kausalverlaufs ein technisch-methodisches Problem, die Frage der Wertzumessung dagegen insoweit technisch, als es sich um Zwischenziele handelt, und insoweit ideologisch, als es Ziele-in-sich-selbst sind. Ein erster wesentlicher Unterschied zwischen teleokratischer und nomokratischer Regulierung ist jener, dass der teleokratische Regulierer dem Risiko unterliegt, zu scheitern. Er hat immer nur dann Erfolg, wenn die von ihm angestoßene Kausalkette wie geplant in das gewünschte Ergebnis mündet. Verfehlt er sein Ziel, so versagt er. Dies lässt ein Spannungsverhältnis entstehen: Einerseits strebt er nach Effizienz, das heißt, er will nur so viele Mittel einsetzen, wie zur Erreichung des gewünschten Ergebnisses auch notwendig sind. Andererseits kennt er im vornhinein das Maß der Notwendigkeit oft nicht. Um das Risiko des Scheiterns zu reduzieren, ist es deshalb zumeist rational, weitaus mehr Mittel einzusetzen, als es aus der ex-post-Sicht gebraucht hätte. Ein zweiter wesentlicher Unterschied zwischen Teleokratie und Nomokratie besteht darin, dass teleokratische Regeln nicht von Dauer sein können. Wenn sich die verfügbaren Mittel verändern, muss der Regulierer auch seine Pläne ändern. Mit den Umständen wandelt sich zugleich die Effizienz verschiedener Zweck-MittelVerbindungen. Während unter einem nomokratischen Regelsystem der Wettbewerb den Mitteleinsatz automatisch an die sich wandelnden Umstände anpasst und daher das Regelwerk selbst statisch bleiben kann, muss in der Teleokratie der Regulierer leisten, was der Wettbewerb nicht zu leisten vermag. Unter neuen Umständen müssen mit neuen Regeln neue Kausalketten veranlasst werden, um die alten Ergebnisse zu verwirklichen.
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
II. Marktwirtschaftliche Regulierung mit negativer Zielrichtung (Nomokratie) Hayek geht von einem Markt aus, der eine unüberschaubare Komplexität aufweist und als Entdeckungsverfahren einen Verlauf nimmt, der mit dem jetzigen Kenntnisstand nicht vorhersehbar ist. Wenn also ein Regulierer Marktkräfte entfesselt, so sind für ihn der Kausalverlauf und das Ergebnis seiner Regulierungsentscheidung nicht konkret vorhersehbar. Stattdessen wird ihm sowohl die Entscheidung über die relative Wichtigkeit von Zielen wie auch die Entscheidung über die effiziente Verwirklichungsmethode durch den Marktmechanismus abgenommen. Am Markt stehen verschiedene Ziele und Verwirklichungsmethoden im Wettbewerb miteinander und ihre Wettbewerbsstärke bildet sich in Preisen ab. Dadurch bündelt sich im Preis ein Wissen über die größtmögliche Effizienz. Bei der Verwirklichung einer Produktionskette gliedern sich verschiedene Marktakteure ein und klinken sich aus, während ein „Strom von Gütern und Leistungen“325 bis zu den letzten Zielen-in-sich-selbst fließt. Wegen der Bündelung von Wissen ist dieser Strom effizienter als jene Kausalketten, die ein Regulierer selbst bewusst plant. Doch wird es für den Regulierer schwierig, durch Gestaltung einer abstrakten Rahmenordnung die relative Gewichtung der letzten Ziele in sich selbst zu beeinflussen. Außerdem können Schwächen in der Rahmenordnung zu Fehlallokationen führen, insbesondere durch die fehlende Internalisierung externer Effekte. Entscheidend ist, dass die marktwirtschaftlichen Rahmenregeln dauerhaft gelten können, weil sich der Markt automatisch an den Wandel der Umstände anpasst. Wenn Hayek von marktwirtschaftlichen Anpassungen spricht, so meint er wirtschaftliche Entwicklungen, die auf ein sogenanntes Marktgleichgewicht zulaufen.326 Das Marktgleichgewicht ist ein Schlüsselbegriff des ökonomischen Standard-Modells. Um seinen Inhalt zu verdeutlichen, nehmen die gängigen Erläuterungen einen fiktiven Markt an, an welchem vollständige Konkurrenz herrscht. Das bedeutet, eine annähernd unbegrenzte Zahl von Anbietern konkurriert – ohne dabei rechtlichen Restriktionen ausgesetzt zu sein – um eine annähernd unbegrenzte Zahl von Nachfragern. Alle Marktteilnehmer sind umfassend informiert, tragen keinerlei Transaktionskosten und streben rational nach der Maximierung ihres Eigennutzes.327 Unter diesen Bedingungen wird der Wettbewerb auf ein vorhersehbares Ergebnis zulaufen: das so bezeichnete Marktgleichgewicht. Weil die rationalen 325
Hayek (1981/1996), S. 130. Hayek (1981/1996), S. 138; Hayek (1967/1994b), S. 166 ff. 327 Siehe dazu zum Beispiel Grote/Wellmann (1999), S. 100.; Oberender (2003), S. 149 f.; Klump (2011), S. 57 f.; Schöler (1999), S. 101 f. 326
B. Interpretation: Das Mischordnungsproblem
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Nachfrager nur diejenigen Anbieter wählen werden, welche das Produkt zum niedrigsten Preis auf den Markt bringen, sind letztere gezwungen, sich fortlaufend im Preiswettbewerb zu unterbieten. Weil wiederum rationale Anbieter nur dann auf dem Markt verbleiben werden, wenn sie keine Verluste erwirtschaften, senken sie ihre Preise allenfalls auf das Niveau der Kosten ihrer Produktion ab. Im Wettbewerb um den niedrigsten Preis können deshalb nur jene Anbieter bestehen, die ihre Produktionskosten bei dem gegebenen Stand der Technik minimiert haben. Am Ende bleiben nur die Anbieter mit der höchsten denkbaren Produktionseffizienz am Markt und verkaufen ihre Produkte zu Preisen, die ihren Produktionskosten entsprechen – sie erzielen also keinen Gewinn. Die Nachfrager profitieren von dieser Entwicklung, weil die Preise nun minimal sind.328 In der Realität sind die Wettbewerbsbedingungen zwar ungleich komplexer. Der beschriebene Wirkungsmechanismus bleibt jedoch im Grundsatz erhalten. Hayek selbst definiert das Marktgleichgewicht als einen Zustand, in dem alle bestehenden Erwartungen der Marktakteure erfüllt werden könnten, weil sie nicht im Widerspruch zu einander stehen.329 Inwieweit sich der hayeksche Gleichgewichtsbegriff vom etablierten Gleichgewichtsbegriff der neoklassischen Theorie unterscheidet, soll hier nicht näher untersucht werden.330 Diese Arbeit geht von dem etablierten Begriff des Marktgleichgewichts aus, da er durch die Wirtschaftswissenschaften am weitesten entwickelt und am klarsten definiert wurde. Das Marktgleichgewicht ist keinesfalls ein statischer Zustand, den der Wettbewerb irgendwann erreicht und aufrechterhält, wenn man seine Kräfte nur lange genug ungehindert wirken lässt.331 Sobald sich nämlich äußere Umstände verändern, verändert sich gleichzeitig der Inhalt des Marktgleichgewichts, auf welches der Wettbewerb zuläuft. Solche Umstände wandeln sich vor allem dann, wenn die Nachfrager ihre Präferenzen verschieben oder sich die zur Verfügung stehenden Mittel verändern, von denen die Produktionskosten abhängen. Letzteres gilt insbesondere bei Innovationen, mit denen sich der gegebene Stand der Technik verbessert. So wird sich der Inhalt des Marktgleichgewichts zumeist schon verschoben haben, bevor es durch den Wettbewerb realisiert wurde. Der Wert des Wettbewerbs liegt nach Hayeks Auffassung nun weniger darin, dass er das Marktgleichgewicht tatsächlich erreicht, sondern vielmehr darin, bei einem Wandel der Umstände immer aufs Neue nach einem Marktgleichgewicht
328 Hayek (1979/2003), S. 371; siehe außerdem Fritsch (2011), S. 25 ff.; Schumann/Meyer/ Ströbele (2011), S. 22 ff.; Natrop (2006), S. 189 ff.; Varian (2009), S. 7 ff.; Sloman (2000), S. 237 ff.; Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 54 ff.; Franke (1992), S. 5 ff.; Wiese (2002), S. 244 ff. 329 Hayek (1967/1994b), S. 166; ders. (1981/1996), S. 138. 330 Dazu Gray (1985/1995), S. 83 ff. 331 Hayek (1941/2006), S. 12 ff.; ders. (1978/1996b), S. 312.
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks
zu streben. In der Realität liegen die Preise zumeist über oder unter dem Gleich gewichtsniveau. Kann ein Wettbewerber zu Preisen absetzen, die über dem Gleichgewichtsniveau liegen, so nur deshalb, weil er als erster angemessen auf Veränderungen der Umstände reagiert hat. Vorübergehend erlangt er durch diese Innovation eine monopolartige Stellung und kann einen Gewinn erzielen. Dieser Pioniergewinn ist ein Anreiz für weitere Anbieter, seinem Beispiel zu folgen und in den Wettbewerb um diese Monopolstellung einzutreten.332 Die Monopolstellung geht dann im Wettbewerb verloren, das Marktgleichgewicht stellt sich her. Wenn dagegen ein Anbieter nur Preise unterhalb des Gleichgewichtsniveaus erzielt, ist sein Angebot durch den Markt nicht hinreichend gefragt, er erleidet Verlust. Der Anbieter hat eine Anpassung an wandelnde Umstände versäumt, der Verlust ist für ihn ein Anreiz, sich aus dem Markt zurückzuziehen. Er wird davon abgehalten, Produktionsfaktoren333 für seine unerwünschte Produktionsweise einzuziehen. Die Produktionsfaktoren werden frei und können an anderer Stelle effizienter ein gesetzt werden.334 Der Markt ist in der Realität also immer im Ungleichgewicht. Dieses Ungleichgewicht kann unterschiedliche Ausmaße annehmen. Der freie Wettbewerb reduziert das Ausmaß der Marktungleichgewichte, solange man seinen Mechanismus nicht durch regulative Interventionen beeinträchtigt. Doch jede Anpassung wird leicht zu Empörungen führen und den Regulierer der Versuchung aussetzen, zu intervenieren. Einerseits rufen die hohen Pioniergewinne moralische Bedenken hervor, weil sie naturgemäß gerade nicht im Verhältnis zum Produktionsaufwand stehen. Andererseits empören sich jene Marktteilnehmer, die infolge des Anpassungsdrucks zur Einstellung ihrer Betriebe gezwungen werden. Doch geschieht durch die Anpassung nichts anderes, als die Pläne und Erwartungen unter neuen Umständen wieder auf effiziente Weise in Übereinstimmung zu bringen. Der Preismechanismus erzwingt diese Planänderungen. Deshalb sind Preise nicht nur dann gerecht, wenn es sich um Gleichgewichtspreise handelt – gerecht sind auch höhere oder niedrigere Preise, weil sie einen Anreiz schaffen, sich dem Marktgleichgewicht anzunähern. Aus Sicht Hayeks ist die Anpassung bei einem Wandel der Umstände notwendig, obwohl sie wirtschaftliche Schäden verursacht, indem sie die Erwartungen einiger Markakteure durchkreuzt. Während die Anpassung an den Wandel der Umstände notwendig ist, muss der Wandel von Umständen allerdings selbst nicht zwingend notwendig sein. Von Bedeutung ist insbesondere, dass aus Sicht des Marktes seine eigenen Rahmenregeln ebenfalls äußere Umstände sind, bei deren Änderung neue Anpassungen stattfinden müssen. Deswegen sollten einmal in 332
Hayek (1979/2003), S. 372 f. Als Produktionsfaktoren bezeichnet man alle Güter, welche die Herstellung anderer Güter ermöglichen, insbesondere Arbeit, Sachkapital, Finanzkapital sowie Boden, siehe Wöhe/Döring (2013), S. 28 f.; Kyrer (2001b), S. 446; Woll (2000), S. 604; Dichtl/Issing (1993), S. 1708 f. 334 Hayek (1979/2003), S. 244 f. 333
B. Interpretation: Das Mischordnungsproblem
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Kraft getretene Rahmenregeln der Marktordnung so lange wie möglich gelten, um neuen Anpassungsdruck zu vermeiden. „Der Sinn von Regeln gerechten Verhaltens kann somit nur darin bestehen, dass sie den Leuten sagen, auf welche Erwartungen sie bauen können und auf welche nicht. Die Entwicklung derartiger Regeln bringt offensichtlich eine andauernde Wechselwirkung mit sich: Während zum Schutz bestehender Erwartungen neue Regeln festgelegt werden, pflegt jede neue Regel auch neue Erwartungen zu erzeugen. […] Jede neue Regel, die einen Konflikt beheben soll, kann sich leicht als Ursache für Konflikte an anderer Stelle erweisen, weil die Einführung einer neuen Regel immer auf eine Handelnsordnung einwirkt, die nicht allein vom Recht bestimmt ist.“335
Die Variation der marktwirtschaftlichen Rahmenordnung sollte deshalb soweit als möglich vermieden werden. Sollte es erheblichen Verbesserungsbedarf geben, so kann sich die Variation auf lange Sicht rechnen. Verschlechterungen der Rahmenordnung sind dreifach schädlich, nämlich erstens durch den Anpassungsdruck bei Einführung, zweitens durch ihre inhaltlich bedingte Fehlsteuerung, und drittens, weil sie nach ihrer Abschaffung verlangen und damit wiederum neuen Anpassungsdruck auslösen.
III. Parallelexistenz beider Ordnungstypen Grundsätzlich geht Hayek davon aus, dass marktwirtschaftliche und teleokra tische Regulierung eine funktionierende Parallelexistenz führen können. Damit bei diesem Nebeneinander der Markt seine Funktionsfähigkeit behält, ist es entscheidend, dass seine Anpassungsmechanismen wirksam bleiben. Die Anpassung erfolgt durch den Wettbewerb. Über die Preise signalisiert er die Richtung, in welche die Anpassungstendenzen sich bewegen müssen. „Ein freies System kann sich an fast alle Gelegenheiten anpassen, an fast alle allgemeinen Verbote oder Regelungen, solange der Anpassungsmechanismus selbst in seiner Funktion erhalten bleibt. Hauptsächlich sind es die Preisveränderungen, die diese notwendigen Anpassungen bewirken. Das bedeutet, daß es zum richtigen Funktionieren des Marktes nicht ausreicht, daß die Gesetzesregeln, unter denen er wirkt, allgemeine Regeln sind, sondern daß ihr Inhalt so beschaffen sein muß, daß er einigermaßen gut arbeiten wird. Die Tatsache, die für ein freies System spricht, ist nicht, daß jedes System zufriedenstellend funktionieren wird, in dem der Zwang durch allgemeine Regeln beschränkt ist, sondern daß in einem freien System diesen Regeln eine Form gegeben werden kann, die seine Funktion ermög lichen. Wenn im Markt eine wirkungsvolle Anpassung der verschiedenen Tätigkeiten stattfinden soll, müssen gewisse Mindesterfordernisse erfüllt sein; die wichtigeren darunter sind, wie wir gesehen haben, die Verhütung von Gewalt und Betrug, der Schutz des Eigentums und die Erzwingung von Verträgen, und die Anerkennung gleicher Rechte für alle Individuen, in beliebigen Mengen zu erzeugen und zu beliebig festgesetzten Preisen zu verkaufen.
335
Hayek (1979/2003), S. 105.
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Kap. 2: Die Rechtsphilosophie Friedrich August von Hayeks Wenn diese grundlegenden Bedingungen erfüllt sind, wird die Leistungsfähigkeit des Systems immer noch vom speziellen Inhalt der Regeln abhängen. Doch wenn sie nicht erfüllt sind, wird die Regierung durch direkte Befehle erreichen müssen, was individuelle Entscheidungen erreichen, die durch Preisbewegungen gelenkt sind.“336
Es zeigt sich also: Solange die Rahmenregeln des Marktes „einigermaßen gut arbeiten“, kann der Staat mittels teleokratischer Methoden verschiedenste Ergebnisse positiv herbeiführen und der Markt wird sich daran anpassen. Doch bleibt die Schlüsselfrage offen: Welchen Charakter haben teleokratische Methoden, bei denen der Markt seine Fähigkeit zur Anpassung verliert? So viel sei vorweggenommen: Teleokratische Methoden sind dann zulässig, wenn es zu keiner Vermengung von Teleokratie und Nomokratie kommt, das heißt, wenn sich keine Mischordnung herstellt. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die teleokratischen Regeln nur der effektiven Durchsetzung der nomokratischen Rahmenordnung des Wettbewerbs dienen. Der Wettbewerb braucht nämlich Rahmenregeln, der Markt lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Indem der Regulierer diese Rahmenordnung modifiziert, kann er die Anreize schaffen, um bestimmte öffentliche Güter zu fördern oder zumindest nicht zu gefährden. Darüber hinaus ist es zulässig, dass der Staat öffentliche Güter selbst planmäßig erzeugt, entweder durch einen hoheitlichen Eigenbetrieb oder durch Beauftragung privater Unternehmen. Ergebnisbezogene staatliche Aufgaben wie der Straßenbau werden durch Hayek nicht in Frage gestellt. Der Markt passt sich an die Verwendbarkeit hoheitlich bereitgestellter Straßen an. Dies gilt genauso für andere staatlich organisierte öffentliche Güter.
IV. Mischordnung (Planung von Wettbewerbskausalitäten) 1. Charakter der Mischordnung Die Art der Intervention, vor der Hayek am stärksten warnt, ist der Eingriff in die Preise.337 Die Preise sind es nämlich, welche sich im Wettbewerb bilden und die spontane Ordnung hin zu einem Marktgleichgewicht lenken. Auf diese Weise stimmen sie die Pläne aller Marktakteure aufeinander ab. Weil die Preise verstreutes Wissen offenbaren und als Signale das zukünftige Verhalten von Wettbewerbsakteuren lenken, offenbaren sich in ihnen am deutlichsten die Kausalzusammenhänge des Wettbewerbs. Auf der anderen Seite hat Hayek die Planwirtschaft dadurch gekennzeichnet, dass sie nach einem konkret-bekannten Ergebnis strebt und ihr Plan in einer Kausalkette besteht, mit der sie dieses Ergebnis erreichen will. Mit derartigen teleokratischen Methoden soll gerade nicht in den Preis und damit in die 336
Hayek (1960/1991), S. 294. Siehe etwa Hayek (1960), S. 292 ff.; ders. (1981/1996), S. 139 f.
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B. Interpretation: Das Mischordnungsproblem
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Wettbewerbskausalitäten eingegriffen werden. Vor diesem Hintergrund soll eine Mischordnung als eine Marktordnung definiert werden, in der ein Regulierer Wettbewerbskausalitäten plant, um durch Interventionen gewünschte Wettbewerbsergebnisse zielgerichtet zu bewirken. Kurz: Der Regulierer betreibt die Planung von Wettbewerbskausalitäten. Will der Regulierer Wettbewerbskausalitäten so umlenken, dass sie seinem Plan gemäß in ein gewünschtes Ergebnis münden, dann muss er das Verhalten von Marktakteuren beeinflussen. Diese richten sich als Nachfrager nach dem Preis und der Art eines Guts und als Anbieter nach der Zahlungsbereitschaft der Nachfrager und den Produktionskosten des Guts. Dabei konkurrieren Nachfrager um Anbieter und umgekehrt. Will der Regulierer eine Wettbewerbskausalität beeinflussen, so muss er in spezifischen Wettbewerbsverhältnissen einem Favoriten zum Erfolg über seinen Konkurrenten verhelfen. Dies gelingt entweder, indem er den Favoriten durch Begünstigungen stärkt, so dass er aus Sicht seines Transaktionspartners attraktiver erscheint, oder indem er seinen Konkurrenten schwächt, sodass dieser an Attraktivität für den Transaktionspartner verliert. In jedem Fall lässt sich der Wettbewerbserfolg eines Favoriten nur auf Kosten von dessen Konkurrenten verwirklichen. Die weiteren Ausführungen zum Mischordnungsproblem konzentrieren sich auf den Wettbewerb von Betrieben, weil die Einzelhandelssteuerung dem Erhalt bestimmter Betriebe dient. Unter einem Betrieb versteht diese Arbeit entsprechend der gängigen juristischen Definition eine organisatorische Einheit, die mithilfe von personellen, technischen und immateriellen Mitteln (den sogenannten Produktionsfaktoren, vgl. Fn. 333) bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt.338 Wenn der Regulierer bestimmten Wettbewerbern zum Markterfolg verhilft, dann deshalb, weil von ihren Betrieben Leistungen ausgehen, die er als wünschenswert betrachtet. In fast jedem Fall kann er positive Ergebnisse auch dadurch erreichen, dass er die betreffende Leistung mittels eines öffentlichen Betriebs bewirkt oder indem er einen privaten Anbieter für die Leistung bezahlt. Auch könnte er durch Umgestaltung der Rahmenordnung Anreize zur Erbringung der gewünschten Leistung wettbewerbsneutral verstärken. Doch erscheinen solche Parallelordnungsmethoden oft weitaus aufwendiger als eine nur leichte Verzerrung des Wettbewerbs. Ist bereits ein Betrieb auf dem Markt vorhanden, welcher die gewünschte Leistung erbringt, wirtschaftet dieser Betrieb aber mittlerweile unter 338
Siehe z. B. BAG, Beschluss vom 25.05.2005 – 7 ABR 38/04 –; Beschluss vom 09.02.2000 – 7 ABR 21/98 –; Stier-Somlo/Elster (1926), S. 708 ff.; Creifelds (2007), S. 191; Tilch/Arloth (2001a), S. 760 f.; Fitting (2016), § 1 Rn. 64 ff.; Däubler u. a. (2016), Einl. Rn. 110 ff.; Kollmer/ Klindt (2011), § 13 Rn. 37 ff.; Nerlich/Römermann (2012), § 162 Rn. 7.
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Verlusten, so genügt zunächst nur eine geringe Subvention oder eine leichte Schikane der Konkurrenz, um ihn am Markt zu halten. 2. Probleme der Mischordnung a) Ineffizienz der teleokratischen Intervention Der Markt ist nach Hayeks Auffassung zentraler Planung überlegen, weil er über den Preismechanismus mehr verstreutes Wissen verwerten kann, als jede Planungsinstanz zentralisieren könnte. Deshalb gestaltet er Abläufe grundsätzlich effizienter. Dieser Gedanke muss auch dort gelten, wo durch zentrale Planung Wettbewerbskausalitäten gelenkt werden. Wenn die interventionsfreie Marktordnung einen Betrieb nicht erhält – auch wenn von diesem Leistungen erbracht werden, die einige Marktteilnehmer begrüßen –, so muss dies dennoch im Regelfall die Effizienz vergrößern. Dies geschieht deshalb, weil die Produktionsfaktoren, die dieser Betrieb einsetzt, an anderer Stelle für die Marktteilnehmer einen größeren Wert haben. Dasselbe gilt, wenn bestimmte Betriebe am Markt gar nicht erst errichtet werden, weil ihre vorhersehbaren Umsätze die Kosten der notwendigen Produktionsfaktoren nicht decken werden. Diese Ineffizienz wird nur über die Preise offenbart – welche Zwecke andere Markteilnehmer an anderer Stelle mit den freigewordenen Produktionsfaktoren konkret verwirklichen werden, kann wegen der Komplexität der Marktordnung kaum eingesehen werden. Beschließt ein Regulierer die Wettbewerbskausalität gegenläufig zu Preissignalen umzulenken und den Betrieb zu erhalten, so kann er die verursachte Ineffizienz folgerichtig nicht erkennen. Er sieht nur das positive Ergebnis, während sich die Kosten irgendwo im „Nebel des Marktes“ verlaufen. Dies lässt eine Fehlsteuerung erwarten. Den Preisen zufolge wäre es effizienter gewesen, den Betrieb zu opfern. Diese erkennt der Regulierer jedoch nicht als Bewertungsmaßstab an, sondern manipuliert die Preise stattdessen willentlich. Einen besseren Bewertungsmaßstab kann er jedoch nicht anbieten. Deshalb vergrößert bereits das Planungsergebnis die Ineffizienz. Dieselbe Ineffizienz muss die geplante Wettbewerbskausalität kennzeichnen, die zum geplanten Ergebnis hinführen soll. Denn dem Regulierer fehlt das Wissen, um Wettbewerbskausalitäten annähernd genau zu prognostizieren. Diese Prognoseschwierigkeiten werden zum Planungshindernis, will der Regulierer Wettbewerbskausalitäten durch eine Intervention umlenken. Er steht nun vor der Wahl: Entweder geht er auf Nummer sicher und setzt im Zweifel weitaus mehr Mittel ein, als nötig sind, um sein Ziel zu erreichen. So vergrößert er die Ineffizienz. Oder er riskiert, mittels der Intervention sein Ziel zu verfehlen. Dann wäre sie nicht einmal effektiv und die Mittel sind verschwendet. Das Problem spitzt sich zu, weil die Marktakteure niemals ein Interesse daran haben, den Regulierer verlässlich mit Wissen über Marktzusammenhänge zu versorgen. Ihr Interesse beschränkt sich
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darauf, hoheitliche Interventionen zu ihren Gunsten zu veranlassen, und zwar mit so vielen Mitteln wie nur möglich. In diesem Sinne müssen sie den Vorstellungshorizont des Regulierers durch verzerrte Informationsweitergabe beeinflussen. Die Lenkung von Wettbewerbskausalitäten erfolgt durch Verzerrung eines Wettbewerbsverhältnisses: Ein Marktakteur hat die Wahl zwischen zwei konkurrierenden Transaktionspartnern, von denen einer der Favorit des Regulierers ist. Der Regulierer interveniert, indem er entweder den Favoriten durch Subventionen stärkt oder den Konkurrenten durch eine Schikane schwächt. Schikaniert er den Konkurrenten zu wenig, überlebt der Favorit möglicherweise nicht. So muss der Regulierer zu überzogenen Konkurrentenschikanen neigen. Ähnlich ist es mit den Subventionen: Sind sie zu gering, fließen sie in einen Bankrotteur. Die Erfolgschancen erhöhen sich bei einer voraussehbaren Übersubventionierung. Hinzu kommt, dass ein rechtsetzender Regulierer selten in der Lage ist, Schikanen und Subventionen bestimmten Marktakteuren präzise zu injizieren und sie präzise zu dosieren. Stattdessen drohen wegen handwerklicher Schwächen in der Rechtsgestaltung zahlreiche Verzerrungen, die nicht einmal eine teleokratische Funktion erfüllen. Bei Mischordnungsinterventionen besteht mithin eine doppelte Ineffizienz, nämlich zum einem im Planungsergebnis, zum anderen in der geplanten Kausalität. b) Die mittelfristige Notwendigkeit, Mischordnungsregeln nachzukorrigieren und die Teleokratie auszudehnen Zwar mag die Planung von Wettbewerbsergebnissen ineffizient sein. Doch regelmäßig erscheint diese Ineffizienz auf den ersten Blick verkraftbar. Dies stellt sich anders dar, wenn man einen zweiten Gedanken Hayeks einführt: Auf lange Sicht – so behauptet Hayek – muss sich innerhalb der Mischordnung die Teleokratie auf Kosten der Nomokratie ausdehnen. aa) Mischordnungsregeln können ihr Wettbewerbsergebnis nicht auf Dauer garantieren Der Wettbewerb hat die Fähigkeit, unter wandelnden Umständen immer wieder die Pläne aller Marktakteure kostenminimierend auf das Markgleichgewicht auszurichten. Der Wettbewerb erzwingt Anpassungen an das Marktgleichgewicht, indem er bestimmte Betriebe schließt und deren Produktionsfaktoren an anderer Stelle einsetzt. Beschließt der Regulierer nun, einen bestimmten Betrieb gegen den Druck der Marktkräfte zu erhalten, so blockiert er diese Entwicklungen. Einerseits erhält er einen Betrieb, der nicht oder nicht mehr dem Gleichgewichtsniveau entspricht. Andererseits hindert er seine Konkurrenten daran, auf Gleichgewichtsniveau am Markt zu agieren.
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Gelingt die Erhaltung des Betriebs, so muss aber Folgendes beachtet werden: Die Marktumstände sind genauso wenig statisch wie das Marktgleichgewicht. Genügt die Wettbewerbsverzerrung unter bestimmten Umständen, um einen Betrieb zu erhalten, so genügt eine nur leichte Veränderung der Marktlage, und er fällt wieder unter die Verlustschwelle. Während seine Konkurrenz am Markt weitgehend frei agiert und sich deshalb an solche Änderungen anpassen kann, ist der betreffende Betrieb in eine hoheitlich geplante Wettbewerbskausalität eingebunden, und dieser Plan bleibt ohne weitere hoheitliche Entscheidungen statisch. Im Laufe der Zeit ist es wahrscheinlicher, dass sich die Gesamtkonstellation aller Umstände von der Ausgangskonstellation in eine beliebige Richtung weg bewegt, als dass sie zu ihr zurückkehrt. Vor allem ist denkbar, dass sich Trends, die durch eine Intervention vorerst ausgeglichen werden konnten, weiter verstärken. Bleiben die Interventionsregeln statisch, so werden sie mittelfristig den Betrieb nicht erhalten und ihr positives Ergebnis nicht mehr erreichen können. Die Mischordnungsregeln können ihr Ergebnis nicht auf Dauer garantieren. bb) Das Mischordnungstrilemma Hat der Regulierer Mischordnungsregeln aufgestellt, die das angestrebte Wettbewerbsergebnis nach Veränderung der Marktlage nicht mehr verwirklichen, so gerät er in ein Entscheidungstrilemma. In dieser Situation hat er drei Handlungsoptionen, von denen keine attraktiv ist: Erstens kann er die Mischordnungsregeln einfach wie bisher gelten lassen. Zweitens hat er die Option, die Mischordnungsregeln aufzuheben und zur reinen Nomokratie zurückzukehren. Drittens kann er die Mischordnungsregeln so nachkorrigieren, dass sie unter den neuen Marktumständen das gewünschte Wettbewerbsergebnis wiederherstellen. (1) Die erste Option: Die Mischordnungsregeln gelten fort Dass die erste Option nicht attraktiv ist, erschließt sich von selbst. Die Mischordnungsregeln wurden aufstellt, um ein bestimmtes Wettbewerbsergebnis zu erreichen. Sind sie dazu nicht mehr in der Lage, so erfüllen sie keine teleokratische Funktion mehr und sind unzweckmäßig. Gleichzeitig wurden die Regeln niemals erschaffen, um als verlässliche nomokratische Rahmenordnung auf Dauer einen funktionierenden Wettbewerb zu ummanteln. Auch nach nomokratischen Maß stäben gibt es keinen Grund, an der Regel festzuhalten. Egal ob man sie also aus teleokratischer oder nomokratischer Perspektive bewertet: Die Regeln richten ohne sinnvolle Funktion einen wirtschaftlichen Schaden an.
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(2) Die zweite Option: Rückkehr zur Nomokratie So scheint die Entscheidung des Regulierers auf den ersten Blick leicht: Die funktionslosen Regeln müssen beseitigt und es muss zur Nomokratie zurückgekehrt werden. Doch das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich, ohne einen konzentrierten wirtschaftlichen Schaden zu verursachen. Durch seine Intervention in den Wettbewerb ruft der Regulierer nämlich die Erwartung hervor, er werde sie aufrechterhalten. Im Vertrauen auf den Fortbestand der Wettbewerbsverzerrung verbleibt ein Betrieb am Markt, der bei Herstellung des Marktgleichgewichts nicht lebensfähig wäre. Die Intervention richtet sich gegen die Konkurrenz des geschützten Betriebs. Der Regulierer will dem betreffenden Betrieb eine ausreichende Nachfrage erhalten. Passten sich die Konkurrenten an das Marktgleichgewicht an, so würden sie den betreffenden Betrieb im Wettbewerb verdrängen und seine Nachfrage selbst bedienen. Die Intervention muss daher ebenfalls bewirken, dass die Konkurrenz an einer Anpassung an das Marktgleichgewicht gehindert wird. Somit entspricht nicht mehr nur der Betrieb selbst nicht dem Gleichgewichtsniveau, für seine Konkurrenz gilt nunmehr dasselbe. Die Auswirkungen der Intervention setzen sich bis zu den Stakeholdern339 des Betriebes und wiederum deren Stakeholdern fort. Zwischen der realen Marktlage und dem Marktgleichgewicht, das innerhalb der reinen Nomokratie bestünde, hat sich eine künstliche Diskrepanz gebildet. Zahllose Marktakteure haben Dispositionen getroffen, die ihr wirtschaftliches Ziel nur unter teleokratischer Protektion er reichen können. Steigt der Regulierer nun aus der Mischordnung aus und beseitigt die Interventionsregeln, so muss sich die Anpassung an das Marktgleichgewicht sprungartig vollziehen. Ein Anpassungsprozess, der sich ohne die Intervention schrittweise und weitgehend berechenbar vollzogen hätte, wird nun als sprunghaftes Anpassungschaos wirksam. Das Marktgleichgewicht, welches ohne die Intervention realisiert worden wäre, ist nämlich niemandem konkret bekannt. Es wird nunmehr erst beschleunigt „entdeckt“. Während dieser beschleunigten Anpassungsphase leiden die Marktakteure unter erheblicher Planungsunsicherheit. Zudem wurde der Weg zum Marktgleichgewicht verlängert. Durch die Intervention wurde der Anpassungsprozess nämlich auf einen Umweg gelenkt: Vor der Intervention hätten die Anpassungen an das Marktgleichgewicht nur den Marktaustritt eines einzigen Betriebes bewirken müssen. Nunmehr sind auch seine Konkurrenten und sogar deren Stakeholder bedroht, die sich vorübergehend an die künstlich geschaffenen Interventionsbedingungen anpassen mussten. Die Rentabilität jeder Produk 339 Der Begriff der Stakeholder bezeichnet die internen und externen Wirtschaftseinheiten, deren Interessenlage von der unternehmerischen Tätigkeit unmittelbar oder mittelbar beeinflusst wird, also die Eigentümer, Mitarbeiter, Fremdkapitalgeber, Lieferanten, Kunden, Konkurrenten, Hoheitsträger und Verbände. Deren Zahl verläuft sich schnell ins Uferlose. Vgl. dazu Pepels (2010), S. 13 ff.; Wöhe/Döring (2013), S. 50 f.; Töpfer (2007), S. 103 ff.; Vahs/SchäferKunz (2007), S. 17 f.; Balderjahn/Specht (2007), S. 88 ff.
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tionsmethode, die nicht dem Gleichgewichtsniveau entspricht, muss verloren gehen. Die entsprechenden Pläne der Marktakteure müssen scheitern. Die Option, nachträglich aus der Mischordnung auszusteigen, wird dem Regulierer daher nicht attraktiv erscheinen. Nicht nur muss er zugeben, sein ursprüngliches Ergebnis nicht erreicht und deshalb versagt zu haben. Der Ausstieg würde darüber hinaus einen konzentrierten wirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen, den der Regulierer sich in dem Moment zurechnen lassen muss, da er sein Versagen eingesteht und den Ausstiegsbeschluss fällt. Vor diesem Hintergrund werden sowohl die hoheitlichen wie auch die meisten am Markt vertretenen Akteure zu der Ansicht gelangen, dass der Ausstieg aus der Mischordnung ihren Interessen zuwiderläuft.
(3) Die dritte Option: Nachkorrektur der Mischordnungsregeln Aus diesen Gründen wird der Regulierer eher zu einer dritten Option neigen: nämlich der Nachkorrektur der Mischordnungsregeln. Verfehlt die erste Intervention das gewünschte Wettbewerbsergebnis unter veränderten Umständen, so erscheint es nur konsequent, die Interventionsregeln so anzupassen, dass sie das Ergebnis wieder erreichen. Auf den ersten Blick bleibt dann am Markt alles wie bisher und nur das juristische Korsett verändert sich. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass diese Nachkorrektur immer eine Ausweitung der Teleokratie innerhalb der Mischordnung bedeuten muss. Die Erstintervention erfolgte mit dem Ziel, die Unterlegenheit eines bestimmten Betriebes im Wettbewerb auszugleichen. Ist diese Intervention nicht mehr zur Erhaltung des betreffenden Betriebes in der Lage, so kann das nur daran liegen, dass seine Unterlegenheit gewachsen ist. Spiegelbildlich muss auch der teleokratisch bewirkte Ausgleich wachsen. Erfolgte die Intervention durch eine Subventionierung des Betriebs, so genügt offenbar das bisherige Leistungsvolumen nicht mehr, um seine zu hohen Kosten auszugleichen. Erfolgte die Intervention durch Behinderung der Konkurrenz, so haben die Konkurrenten entweder einen Weg gefunden, die rechtliche Behinderung zu umgehen, oder die Behinderungswirkung ist nicht stark genug, um die Nachfrager weiterhin beim geschützten Betrieb zu halten. Will der Regulierer durch Nachkorrektur also das gewünschte Wettbewerbsergebnis wieder herbeiführen und den Betrieb erhalten, muss er entweder dessen Subventionierung oder die Behinderung seiner Konkurrenz verstärken. Innerhalb der Mischordnung weitet sich die Teleokratie zulasten der Nomokratie aus. Dies bedeutet zugleich: Der Regulierer blockiert erneut Anpassungen des Marktes. Die reale Marktlage entfernt sich noch stärker vom Gleichgewichtszustand. Im Verhältnis zum Marktgleichgewicht verringert sich die Effizienz der realen Marktordnung weiter. Und ein Ausstieg aus der Mischordnung würde einen noch weiter
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gehenden Anpassungssprung auslösen. Der Regulierer bewegt sich also in einen Teufelskreis. Solange er nicht dem Marktmechanismus vertraut, wird er die Gefahr nicht sehen. Er erkennt nicht, dass die blockierten Anpassungen die Effizienz der Gesamtordnung erhöhen würden. Und umgekehrt verkennt er, dass seine Nachkorrekturen langfristig immer weiterreichende Effizienzverluste nach sich ziehen müssen. Hayek schreibt: „Die oft gehörte Behauptung, gewisse politische Maßnahmen seien unumgänglich gewesen, ist von merkwürdiger Doppelsinnigkeit. Im Hinblick auf Entwicklungen, die von denjenigen gebilligt werden, die mit diesem Argument operieren, wird sie ohne weiteres akzeptiert und zur Rechtfertigung des Geschehens gebraucht. Nehmen aber Entwicklungen eine unerwünschte Wendung, so wird der Hinweis, das sei nicht durch außerhalb unserer Kontrolle liegende Umstände bewirkt, sondern notwendige Folge unserer früheren Entscheidungen, verachtungsvoll abgetan. Der Gedanke, daß es uns nicht völlig frei steht, jede beliebige Kombination von Eigenschaften, die wir uns für unsere Gesellschaft wünschen, auszuwählen oder sie zu einem entwicklungsfähigen Ganzen zusammenzufügen, daß wir also eine wünschenswerte Gesellschaftsordnung nicht wie ein Mosaik zusammensetzen können, indem wir jeweils die Einzelteile wählen, die uns am besten gefallen, und daß viele wohlgemeinte Maßnahmen eine lange Kette von unvorhersehbaren und unerwünschten Folgen hinter sich herziehen können, scheint dem modernen Menschen unerträglich zu sein. […] In Wirklichkeit ist natürlich der Hauptumstand, der gewisse Maßnahmen als unvermeidlich erscheinen läßt, für gewöhnlich die Resultante aus unseren vergangen Handlungen und den nunmehr vertretenen Ansichten. Die meisten „Notwendigkeiten“ der Politik haben wir uns selbst geschaffen. Inzwischen bin ich selbst alt genug, um von noch Älteren mehr als einmal gehört zu haben, gewisse von mir vorhergesehene Folgen ihrer Politik würden nie eintreten, nur um dann später, als sie doch eintraten, von Jüngeren zu hören, diese seien unumgänglich und ganz unabhängig von dem, was man tatsächlich unternahm, gewesen. Ein zusammenhängendes Ganzes durch Aneinanderfügen irgendwelcher beliebigen Elemente zu schaffen ist uns deshalb nicht möglich, weil die Brauchbarkeit einer bestimmten Teilordnung innerhalb einer spontanen Ordnung von allem Übrigen abhängen wird und irgendeine von uns daran vorgenommene Veränderung kaum Aufschluß darüber geben wird, wie sie in einem anderen Zusammenhang wirken würde. Ein Versuch kann uns nur sagen, ob eine beliebige Neuerung in einen vorgegebenen Rahmen paßt oder nicht. Hingegen ist es illusorisch, zu hoffen, wir könnten eine konsistente Ordnung schaffen, indem wir aufs Geratewohl bestimmte Lösungen einzelner Probleme ausprobieren, ohne uns dabei von Grundsätzen leiten zu lassen. Die Erfahrung sagt uns viel über die Wirksamkeit unterschiedlicher Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme als Ganzes. Doch eine Ordnung vom Komplexitätsgrad einer modernen Gesellschaft läßt sich weder als Ganzes entwerfen noch durch gesonderte Gestaltung jedes einzelnen Teils ohne Rücksicht auf das Übrige, sondern nur durch konsequente Befolgung gewisser Grundsätze im Verlauf eines Entwick lungsprozesses.“340
340
Hayek (1979/2003), S. 61 f.
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Bildlich gesprochen: Der Regulierer kann Marktanpassungen durch eine Intervention blockieren, um von ihm gewünschte Wirtschaftsstrukturen zu schützen. Mit den Marktanpassungen blockiert er die Verwirklichung privater Pläne. Doch je länger er den wirtschaftlichen Status Quo aufrechterhalten will, desto weitreichender muss die Blockade werden. Wie ein Damm, der immer höher errichtet wird, je größere Wassermassen er aufstaut, so muss auch die Intervention umso weiter getrieben werden, je größer die unerfüllten Marktpläne werden, welche sie vereitelt. Lässt der Regulierer die Blockade schließlich fallen, bricht die Marktanpassung wie bei einem Dammbruch über die zuvor geschützten Wirtschaftsstrukturen hernieder und droht sie vollständig zu ertränken. (4) Nachkorrekturen können nicht durch Rechtsauslegung vorgenommen werden Wenn der Regulierer bestimmte Wettbewerbsergebnisse und Preisentwicklungen auch unter wandelnden Umständen aufrechterhalten will, muss er die Regelordnung nachkorrigieren. Um schnell auf wandelnde Umstände reagieren zu können, wird es erforderlich, der Exekutive entsprechende Ermessensbefugnisse zu erteilen: „Aus verschiedenen Gründen ist jede direkte staatliche Preiskontrolle mit dem Funktionieren eines freien Systems unvereinbar, ob nun die Regierung tatsächlich Preise festsetzt oder bloß Regeln aufstellt, nach denen die zulässigen Preise zu bestimmen sind. Zunächst ist es unmöglich, Preise, die die Produktion wirkungsvoll lenken sollen, nach langfristigen Regeln festzusetzen. Angemessene Preise hängen von Umständen ab, die sich ständig ändern und an die sie ständig angepaßt werden müssen. Anderseits werden Preise, die nicht direkt festgesetzt, sondern durch irgendeine Regel bestimmt werden (etwa, daß sie in einem bestimmten Verhältnis zu den Kosten stehen müssen), nicht für alle Verkäufer dieselben sein und daher die Funktion des Marktes behindern. Noch wichtiger ist die Überlegung, daß bei anderen als den Preisen, die sich auf dem freien Markt bilden würden, Angebot und Nachfrage nicht gleich sein werden, und wenn die Preiskontrolle wirksam sein soll, eine Methode gefunden werden muß, zu entscheiden, wer kaufen oder verkaufen darf. Das müßte einem Ermessen überlassen sein und in ad-hoc-Entscheidungen bestehen, die zwischen Personen aus durchaus willkürlichen Gründen Unterschiede machen müssen. Wie die Erfahrung reichlich bestätigt hat, können Preiskontrollen nur durch quantitative Kontrollen durchgeführt werden, durch Entscheidungen von Seiten der Behörde, wie viel einzelne Personen oder Firmen kaufen oder verkaufen dürfen. Alle mengenmäßigen Kontrollen müssen notwendig dem Ermessen anheimgestellt sein, können nicht nach einer Regel, sondern nur nach dem Urteil einer Behörde bezüglich der relativen Wichtigkeit einzelner Zwecke durchgeführt werden.“341
Es stellt sich die Frage, ob man die Regeln nicht auch so konstruieren könnte, dass die notwendigen Anpassungen durch die Rechtsprechung im Wege der 341
Hayek (1960/1991), S. 293 f.
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Rechtsauslegung vorgenommen werden. Schließlich agieren Richter nicht als bloße „Subsumtionsautomaten“, sondern können bei der Rechtsauslegung auch komplizierte Abwägungen vornehmen. Hayek verneint diese Frage. Die Richter seien nämlich nicht befugt, konkrete Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen. „Die einzelne Gesetzesauslegung mag strittig sein, und es mag manchmal unmöglich sein, zu einem völlig überzeugenden Schluß zu kommen; aber das ändert nichts daran, daß der Streit durch eine Berufung auf die Regeln und nicht durch einen einfachen Willensakt entschieden werden muß.“342
Der Grund, weshalb Gerichte Wettbewerbskausalitäten nicht garantieren können, liegt in der Mannigfaltigkeit wirtschaftlich relevanter Gesichtspunkte innerhalb einer komplexen Marktordnung. Der Markterfolg eines Betriebes hängt von zahllosen Konkurrenz- und Kooperationsbeziehungen mit anderen Marktakteuren ab, die mit unterschiedlichem Gewicht seine Gewinn- oder Verlustspanne prägen. Diese Beziehungen verlaufen sich innerhalb der marktwirtschaftlichen Gesamtordnung, in der jedes Element mit jedem anderen Element in einer mittelbaren Wechselwirkung steht. Weder gibt es den einen entscheidenden Faktor, mit dem ein Wettbewerbsergebnis steht oder fällt, noch gibt es einen Faktor, der vollkommen irrelevant ist. Alle Elemente der Marktordnung sind Teil jeder Kausalkette, die jedem einzelnen konkreten Marktergebnis zugrunde liegt. Sollte eine Norm in der Rechtsfolge ein bestimmtes Marktergebnis für die Zukunft garantieren, so müsste ihre Tatbestandsseite auf die gegenwärtige Marktlage Bezug nehmen. Rechtsfolge und Tatbestand müssten derart miteinander verknüpft werden, dass die tatbestandliche Marktlage durch die Rechtsfolge so umgesteuert wird, dass sie in das gewünschte Marktergebnis mündet. Es gibt jedoch verschiedenste denkbare Kausalverknüpfungen, die zur Herbeiführung eines bestimmten Marktergebnisses geeignet sind. Die Wahlentscheidung zwischen verschiedenen gangbaren Wegen ist eine Entscheidung über die relative Wichtigkeit wirtschaftlicher Ziele. Will man der Rechtsprechung kein Ermessen zugestehen, um diese Entscheidung nach Gutdünken auszuführen, muss die Rechtsnorm die einzig richtige Entscheidung durch ihren Tatbestand vorgeben. Weil aber alle Wechsel wirkungen der komplexen Wirtschaftsgesamtordnung Teil jeder ökonomischen Kausalität sind und die Norm aus allen denkbaren Kausalitäten für jeden konkreten Fall nur eine einzige auswählen soll – die zugleich effektiv wie effizient ist –, müsste die Norm unendlich viele Tatbestandsmerkmale aufweisen. Mit unendlich vielen Tatbestandsmerkmalen kann die Rechtspflege nicht operieren. Weder ist es möglich, im Beweisverfahren unter unendlich viele Tatbestände zu subsumieren – denn dazu müsste das gesamte in der spontanen Ordnung zerstreute Wissen ermittelt werden –, noch ist die Rechtswissenschaft dazu in der Lage, ein theoretisches Werkzeug zu entwickeln, um derart viele Tatbestandsmerkmale zu systematisieren. Jeder Versuch, eine derartige Leistung zu vollbrin 342
Hayek (1979/2003), S. 276.
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gen, muss zu einer schwer erträglichen Rechtsunsicherheit führen. Nahe liegt es aus Sicht der Rechtsprechung, sich dem Komplexitätsproblem durch Typisierung zu entziehen. Sie könnte versuchen, nur jene Merkmale zu berücksichtigen, die wirtschaftlich typischerweise entscheidend sind. Doch letztlich ist innerhalb der komplexen Marktordnung jeder Gesichtspunkt entscheidend, und die Gewichtung kann sich je nach Konstellation verschieben. Somit kann eine Typisierung den Zusammenhängen jener komplexen Ordnung nie gerecht werden. Durchbricht man die Typisierung in atypischen Fällen, so ist das Gericht wieder zum Ausgangsproblem zurückgeworfen. Da jenseits der Typisierung die Mannigfaltigkeit marktwirtschaftlicher Verflechtungen unendlich viele relevante Faktoren in die Marktkausalität einbezieht, kann die Rechtsprechung einen atypischen Fall nur erkennen, wenn sie wiederum unter unendlich viele Tatbestandsmerkmale subsumiert. Diesem Dilemma kann eine gerichtliche Wirtschaftsplanung nicht entrinnen. Bei dem Versuch, Wettbewerbsergebnisse aufrecht zu erhalten, stößt die Rechtsprechung an eine Funktionsgrenze. c) Zusammenfassung: Die sich ausdehnende Mischordnungsineffizienz In der Mischordnung plant ein Teleokrat innerhalb des Marktmechanismus Wettbewerbskausalitäten, um bestimmte Ergebnisse herbeizuführen. Was auf den ersten Blick eher unverdächtig erscheint, muss bei genauerem Hinsehen zu einer sich fortlaufend ausweitenden Ineffizienz führen. Der Regulierer kann mangels Wissen über die Komplexität der Marktordnung die Funktionsweise und den Sinn der konkreten Abläufe nicht genau erkennen, in die er interveniert. Beschließt er, den Wettbewerb zu korrigieren, weil er die Erreichung eines bestimmten Ziels für wünschenswert hält, so verschätzt er sich im Regelfall. Der Markt hat Gründe dafür, dieses Ziel nicht eigenständig zu verwirklichen. Er kann die dafür erforderlichen Mittel nämlich an anderer Stelle effizienter einsetzen. Will der Regulierer dennoch eine Wettbewerbskausalität korrigieren, so kommt hinzu, dass er diese Kausalketten nur vage prognostizieren kann und zudem das Recht bloß ein grobes Instrument ist. So folgt der ineffizienten Zielauswahl eine ineffizient geplante Kausalität. Die Kräfteverhältnisse im Wettbewerb wandeln sich mit den Umständen und verschieben sich zugunsten dessen, der sich am besten anpasst. Eine Manipulation von Wettbewerbskausalitäten muss somit stetig nachkorrigiert werden, um auch mittelfristig in das gewünschte Ergebnis zu münden. Zumeist leiden diejenigen Betriebe unter Anpassungsschwierigkeiten, die man in die Kausalkette eingebunden hat. Schließlich folgen sie einem schwerfälligen Zentralplan, statt den reaktionsschnellen Preismechanismen. So muss bei der Nachkorrektur des Regelsystems die Wettbewerbsverzerrung zugunsten der geschützten Betriebe immer stärker ausgeweitet werden. Damit werden gleichzeitig die Effizienzverluste immer größer. Zwar wäre auch der Ausstieg aus der Mischordnung denkbar.
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Doch wurde die Intervention vorgenommen, um bestimmte Anpassungen zu verhindern, die der Wettbewerb auf dem Weg zum Gleichgewicht erzwungen hätte. Mit der Ausweitung der Intervention entfernte sich auch die reale Marktlage immer weiter vom Marktgleichgewicht. Steigt man nun aus der Mischordnung aus, würden alle Anpassungen, die die Intervention künstlich verzögert hat, sprungartig nachvollzogen. Alle Betriebe, die dazu nicht in Lage sind, gingen unter. Hat der Regulierer diese Folgen vor Augen, scheint die Ausweitung der Teleokratie attraktiver. Nachkorrekturen kann das Recht nicht selber leisten. Die Rechtsprechung ist nicht in der Lage, durch Auslegung bestimmte Marktergebnisse zu garantieren. Der Markt und seine Wirkungszusammenhänge sind unendlich komplex. Eine Rechtsnorm, die sie gezielt steuern wollte, müsste unendlich viele Tatbestandsmerkmale aufweisen. Typisiert man auf Tatbestandsebene, würde man nicht allen Marktkonstellationen gerecht und könnte daher das Ergebnis nicht mit Sicherheit erreichen.
3. Versuchung zur Mischordnung Ein zweckmäßig denkender Regulierer, der sich dieses Mischordnungsproblem nicht bewusst macht, ist stets der Versuchung ausgesetzt, in den Wettbewerb zu intervenieren. Er unterliegt einer ständigen Mischordnungsversuchung, weil sich ihm ohne Vertrauen in den Marktmechanismus der Sinngehalt von Marktentwicklungen nicht erschließt. Wollte er positive Ergebnisse innerhalb einer Parallelordnung verwirklichen, so müsste er die Mittel selbst aufbringen und hätte einen sichtbaren Kostenbetrag vor Augen. Solange der Regulierer dagegen Markteilnehmer durch Wettbewerbsmanipulationen zur Herbeiführung der gewünschten Ergebnisse veranlasst, scheint das Ziel nahezu kostenfrei erreichbar. Hayek schreibt: „Da der Wert der Freiheit in Gelegenheiten besteht, die sie für unvorhergesehenes und unvorhersagbares Handeln eröffnet, werden wir selten wissen, was uns durch eine bestimmte Beschränkung der Freiheit entgeht. Jede solche Beschränkung, jeder über die Durchsetzung allgemeiner Regeln hinausgehende Zwang wird auf die Erreichung eines bestimmten, vorhersehbaren Ergebnisses abzielen; doch bleibt für gewöhnlich unbekannt, was hierdurch verhindert wird. Die direkten Auswirkungen eines Eingriffs in den Marktmechanismus werden in den meisten Fällen zeitlich nahe liegen und deutlich sichtbarer sein, während die indirekten und Spätwirkungen zumeist unbekannt sein werden und deshalb unbeachtet bleiben. Wir werden nie die gesamten Kosten der Erzielung bestimmter Ergebnisse durch derartige Eingriffe kennen. Wenn wir daher jedes auftretende Problem anhand von Kriterien entscheiden, die uns in ihm selbst vorgegeben scheinen, so überschätzen wir immer die Vorteile zentraler Lenkung. Unsere Entscheidung wird sich regelmäßig darstellen als eine zwischen einem sicheren bekannten und greifbaren Gewinn und der bloßen Wahrscheinlichkeit der Verhinderung ir-
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gendwelcher unbekannter vorteilhafter Handlungen. Wird somit die Entscheidung zwischen Freiheit und Zwang zu einer Frage der Zweckmäßigkeit, so muß in fast allen Fällen die Freiheit aufgeopfert werden. Da wir im Einzelfall kaum jemals wissen werden, welche Folge es hätte, wenn man die Menschen ihre eigene Wahl treffen ließe, muß es zu progressiver Zerstörung der Freiheit kommen, wenn man die Entscheidung in jedem Fall nur von den jeweils vorhersehbaren Ergebnissen abhängig macht. Es gibt wahrscheinlich wenige Beschränkungen der Freiheit, die sich nicht damit rechtfertigen ließen, daß wir nicht wissen, welchen konkreten Verlust sie zur Folge haben werden.“343
V. Fazit: Die Parallelordnung ist der Mischordnung überlegen Hayek ist davon überzeugt, dass die spontane Ordnung des Marktes das beste Verfahren ist, um eine effiziente Verwendung aller Mittel zu gewährleisten. Dennoch gibt es bedeutende Ziele – zumeist die Erhaltung sogenannter öffentlicher Güter – die für den Markt nicht erreichbar sind. Sofern der Markt sie nicht wegen korrigierbarer Schwächen in der abstrakten Rahmenordnung verfehlt, können sie nur mit teleokratischen Methoden verwirklicht werden. Um diese Ziele zu erreichen, hat der Regulierer grundsätzlich drei Möglichkeiten: Er kann erstens die Rahmenordnung des Wettbewerbs so umgestalten, dass er die Anreize zur Förderung dieser Ziele wettbewerbsneutral verstärkt. Zweitens ist er in der Lage, Mittel einzuziehen und das Ergebnis auf eigene Kosten zu verwirklichen. Schließlich steht ihm drittens die Möglichkeit offen, in konkrete Wettbewerbsverhältnisse zu intervenieren, um Marktentwicklungen mit Blick auf die eigenen Zielvorstellungen zu verzerren. Die ersten beiden Varianten begründen eine Parallelordnung von Planwirtschaft und Marktwirtschaft. Sie erzeugen keinen Widerspruch aus hoheitlichen und privaten Plänen, sondern ermöglichen deren stabile Parallelexistenz. Im dritten Fall kommt es hingegen zu einer Mischordnung, in der hoheitliche und private Planung widersprüchlich verfließen. Während der Regulierer bei Parallelordnungsmethoden deren Kosten im Regelfall vor Augen hat, werden sie bei Mischordnungsmethoden durch den „Nebel des Marktes“ verdeckt und lassen die Intervention kostenfrei erscheinen. Tatsächlich sind Mischordnungsinterventionen nicht bloß ineffizient – langfristig müssen sie zur Erreichung ihrer Ergebnisse auch immer stärker ausgeweitet werden, sodass sich diese Ineffizienz immer weiter vergrößert. Will man wieder aus der Mischordnung aussteigen, so führt dies kurzfristig zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden. Die Marktakteure müssen vorübergehend unter einer erheblichen Anpassungs unsicherheit leiden. Blickt man auf den Einzelfall und wägt zweckmäßig ab, so ist das Mischordnungsproblem kaum erkennbar. Der Gedankengang Hayeks läuft auf den Appell 343
Hayek (1979/2003), S. 59 und ähnlich S. 273.
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hinaus, sich auf derartige Abwägungen gar nicht erst einzulassen, sondern generell auf die Planung und Korrektur von Wettbewerbsergebnissen zu verzichten – und zwar aus Prinzip. „Eine wirksame Verteidigung der Freiheit muss daher dogmatisch sein und darf keine Zugeständnisse an die Zweckmäßigkeit machen, selbst dort, wo sich nicht zeigen läßt, daß eine Verletzung der Regeln neben den bekannten erwünschten Wirkungen eine bestimmte nachteilige Wirkung haben würde.“344
344
Hayek (1979/2003), S. 63.
Kapitel 3
Einzelhandelssteuerung als Mischordnung Diese Arbeit stellt die These auf, dass die Regeln der Einzelhandelssteuerung eine Mischordnung begründen. Daher führen die bauplanungsrechtlichen Interventionen in den Einzelhandelswettbewerb kurzfristig zu Ineffizienz. Mittelfristig müssen die Interventionen verstärkt werden, sodass sich diese Ineffizienz weiter vergrößert. Aufgabe des 3. Kapitels wird es sein, das zuvor dargestellte Mischordnungsproblem anhand der verschiedenen Regelungskomplexe der Einzelhandelssteuerung nachzuvollziehen. Gezeigt wird, dass die verschiedenen Rechtsvorschriften auf die Planung von Wettbewerbskausalitäten zielen und bestimmte konkrete Marktergebnisse herbeiführen sollen.345 Aus dieser Erkenntnis ergeben sich zwei auf Hayeks Philosophie gestützte Argumente gegen den einzelhandelssteuernden Anspruch des Bauplanungsrechts. Erstens: Der Regulierer plant im „Nebel des Marktes“ und kann über die allermeisten Auswirkungen seiner Handlungen nur mutmaßen. Vor diesem Hintergrund sind Ineffizienz und Fehlsteuerungen zu erwarten, die bei Parallelordnungsmethoden vermeidbar wären. Zweitens: Das Regelungsanliegen führt mittelfristig in ein Trilemma. In plausiblen Marktkonstellationen können die Regeln der Einzelhandelssteuerung die angestrebten Marktergebnisse nicht erreichen. Lässt man sie bestehen, so sind sie sinnlos. Hebt man sie auf, entsteht ein erhebliches Marktungleichgewicht, das unter zahlreichen Marktakteuren Widerstände hervorruft. Will man die positiven Ergebnisse weiterhin erreichen, so muss man die Intervention ausweiten. Die Ausweitung wird jedoch zu weiteren Effizienzverlusten führen. Dieses Kapitel wird sich schwerpunktmäßig noch nicht inhaltlich mit den Effizienzverlusten befassen, welche die Interventionen verursachen. Diese Frage bleibt dem 4. Kapitel vorbehalten und wird mit spieltheoretischen Methoden der Mikroökonomie untersucht. Vorerst bleibt es bei der Bezugnahme auf Hayeks „Dogma“346 von der Effizienzüberlegenheit der Parallelordnung über die Mischordnung. 345 Auch Sauter (2005) erkennt, dass mit den Methoden der Einzelhandelssteuerung eine ergebnisbezogene Steuerung des Wettbewerbs angestrebt wird. Er hält die Veränderung wettbewerblicher Rahmenbedingungen für die bessere Vorgehensweise, S. 202 f. Wie hier kontrastiert Schmalen (1998) die Zielrichtung der Einzelhandelssteuerung mit den Wertungen der Philosophie Hayeks, S. 28 ff. 346 Vgl. Fn. 345.
A. Methodisches Vorgehen
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A. Methodisches Vorgehen Methodisch ist das Kapitel in drei Abschnitte untergliedert, die sich mit drei Regelungskomplexen der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung befassen. Unterschieden werden die Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung, die Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich und die Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht. Für jeden dieser Regelungskomplexe wird das Mischordnungsproblem in fünf gedanklichen Schritten nachvollzogen. Erstens wird das positive Planergebnis (1) benannt, welches durch die Mischordnungsintervention herbeigeführt werden soll. Jeder Regelungskomplex zielt darauf, bestimmte Betriebe in bestimmten Lagen zu erhalten und anzusiedeln. Notwendig wird die Intervention aber zweitens nur, weil der Regulierer befürchtet, ein interventionsfreier Wettbewerb werde dieses Ergebnis nicht von selbst erreichen. Dem positiven Planungsergebnis ist daher das mutmaßliche Ergebnis eines interventionsfreien Wettbewerbs (2) gegenüberzustellen. In diesem Ergebnis wären die geschützten Betriebe entweder untergegangen oder erheblich geschwächt, andernfalls wäre die Intervention sinnlos. Im dritten Schritt wird die geplante Wettbewerbskausalität (3) skizziert, welche die bauplanungsrechtlichen Regeln veranlassen sollen. Der Verlauf des Wettbewerbs soll so umgelenkt werden, dass er in das positive Planungsergebnis mündet. Diese ersten drei Schritte folgen der obigen Definition der Mischordnung: Sollen Regeln Marktkausalitäten so umlenken, dass sie in ein positiv geplantes Ergebnis münden, dann liegt eine Mischordnung vor. In zwei weiteren Schritten wird gezeigt, warum die Mischordnungsregeln in das oben beschriebene Trilemma führen: Zunächst muss untersucht werden, ob sich bei Ausstieg aus der Mischordnung ein Marktungleichgewicht (4) bilden würde, das den Untergang zahlreicher bestehender Betriebe nach sich zöge. Notwendigerweise muss die Mischordnungsintervention Anpassungen an das Marktgleichgewicht verhindert haben, als sie Betriebe unterhalb des Gleichgewichtsniveaus mit Schutzmaßnahmen erhielt und deren Konkurrenz an der Anpassung an das Gleichgewichtsniveau hinderte. Diese Diskrepanz zwischen realer Marktstruktur und einem Marktgleichgewicht unter nomokratischen Bedingungen ist zu veranschaulichen. Das Mischordnungsproblem spitzt sich erst dann zu, wenn die Regeln der Einzelhandelssteuerung in bestimmten Marktkonstellationen nicht mehr in der Lage sind, die geplante Wettbewerbskausalität zu garantieren, die zum positiven Planungsergebnis führt. In einem letzten Schritt werden daher Marktszenarien dargestellt, unter denen die Einzelhandelssteuerungsregeln ihr positives Ziel verfehlen werden. Deshalb entsteht innerhalb des Regelsystems der Mischordnung ein Nachkorrekturbedarf (5). Dem Nachkorrekturbedarf kann auf verschiedene Arten und Weisen Genüge getan werden. Er muss aber in einer Interventionsausweitung
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
bestehen, sollte das Planergebnis wieder erreicht und die Realisierung des zuvor beschriebenen Marktungleichgewichts verhindert werden. Somit zeigt sich schließlich, dass die Regeln der Einzelhandelssteuerung die Teleokratie innerhalb der Markordnung immer weiter ausdehnen müssen, solange nicht der Regulierer zu der Einsicht gelangt, einen falschen Weg beschritten zu haben. Steigt er dann konsequenterweise aus der Mischordnung aus, bedroht er aber zugleich alle Betriebe, die das Niveau des Marktgleichgewichts nicht mehr er reichen. Die Zahl der Betriebe unter Gleichgewichtsniveau wird umso größer sein, je später der Ausstieg aus der Mischordnung erfolgt.
B. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung Erster Untersuchungsgegenstand ist die Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung. Die Gemeinde kann durch Ausschlussplanung eine Art „Bannmeile“347 um Betriebe errichten, die sie zu erhalten wünscht. Bei der Bauleitplanung kann sie Grobdifferenzierungen nach den Gebietstypen der §§ 2 bis 11 BauNVO und Feinddifferenzierungen über § 1 Abs. 5 u. 9 BauNVO sowie im Rahmen der Sondergebietsfestsetzungen nach §§ 11, 16 BauNVO vornehmen. Darüber hinaus können Feindifferenzierungen gemäß § 9 Abs. 2a BauGB auch durch einfachen Bebauungsplan festgesetzt werden. Der Gesetzgeber geht von vornherein davon aus, dass großflächiger Einzelhandel besonderen Restriktionen unterworfen werden muss. Er beschränkt dessen Zulässigkeit nach § 11 Abs. 3 BauNVO auf Kern- und Sondergebiete. Diese Regelung zielt nicht allein auf die Vermeidung gebietsunverträglicher Störungen, welche jedenfalls in einem Gewerbe- oder Industriegebiet typischerweise nicht zu erwarten wären, sondern auf wettbewerbliche Fernwirkungen. Die Festsetzungsmöglichkeiten wurden ausführlich im 1. Kapitel vorgestellt348 und sollen hier nicht erneut vertieft werden. Bei der Ausschlussplanung muss die Gemeinde präventiv vorgehen, da einmal zugelassener Einzelhandel Bestandsschutz genießt und nicht nachträglich untersagt werden kann, wenn er unerwünschte Fernwirkungen entfaltet. Die Gemeinde folgt dabei einem Einzelhandelskonzept, dass im Regelfall auf dem Gutachten eines Marktforschungsunternehmens beruht. Sie unterscheidet zwischen erwünschten und unerwünschten Standorten. Diese hängen von dem Typus der Einzelhandelssortimente ab. Das heißt, es kommt wesentlich darauf an, ob es sich um Güter des täglichen Bedarfs oder innenstadtrelevante Sortimente handelt. Weil die Gemeinde mittels Planung nicht positiv erzwingen kann, dass sich Einzelhandel an von ihr gewünschten Standorten niederlässt, verhindert sie stattdessen den kon 347 Der Begriff der Bannmeile als Bezeichnung für Einzelhandelssteuerungsmaßnahmen stammt von Mikesic/Würsig (2009), S. 192. 348 Dort Abschnitt B.II.
B. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung
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kurrierenden Einzelhandel an unerwünschten Standorten. Die Restriktionen für Standorte, die ihr auf den ersten Blick zur marktmächtig erschienen, kann sie schrittweise lockern und dabei abwarten, ob tatsächlich Konkurrenzstandorte gefährdet werden. Wegen des Bestandsschutzes bleibt dies aber immer eine Einbahnstraße. Hat sie die Restriktionen so weit gelockert und daraufhin so weitgehend Vorhaben genehmigt, dass ein erwünschter Standort ernstlich gefährdet wird, gibt es für sie kein Zurück mehr. Die erteilten Baugenehmigungen sind bestandsgeschützt. Die einmal zugelassene Konkurrenz kann deshalb nicht wieder zurückgedrängt werden. Dieses Problem wird besonders akut, wenn die Gemeinde zwei mit einander im Wettbewerb stehende Standorte erhalten will und durch Restriktionen den Wettbewerb zwischen beiden auszubalancieren versucht. All diese Probleme würden sich nicht stellen, wenn die Gemeinden den Anspruch, den Einzelhandel räumlich zu steuern, aufgäben. In einem nomokratischen Bauplanungsrecht müsste die Gemeinde nämlich nur gebietsunverträgliche Störungen von Vorhaben regulieren und nicht die wettbewerblichen Fernwirkungen. Zwar bedeutet auch dies die Verhinderung von Einzelhandel, insbesondere wenn und weil dieser Kraftfahrzeugverkehr und damit Lärmemissionen auslöst. Aus diesem Grund nähmen die Festsetzungen durchaus Einfluss auf den Standortwettbewerb des Einzelhandels. Indes würde dieser Einfluss im Rahmen der gemeindlichen Planungserwägungen nicht berücksichtigt und die Gemeinde übernähme damit keinerlei Verantwortung dafür, ob dieser Einfluss nun schädlich oder wünschenswert ist. Sie würde lediglich versuchen, die Eigentumsfreiheit in den Grenzen der Gebietsverträglichkeit zu maximieren. Im Übrigen gälte das freie Spiel der Kräfte, dessen Rahmenbedingungen zwar mittels Gebietsfestsetzungen gestaltet würden, aber ohne ergebnisbezogenes Gestaltungskonzept.
I. Positives Planergebnis Durch einzelhandelssteuernde Ausschlussplanungen sollen drei positive Hauptziele verfolgt werden. Erstes Ziel ist die Erhaltung bestimmter Nahversorger, die aus Wohnquartieren fußläufig erreichbar sind. Indem man sich bemüht, die Einkaufsdistanzen zu verkürzen, soll zweitens die Verkehrsbelastung verringert werden. Drittes Ziel ist die Erhaltung von historisch gewachsenen Einzelhandels zentren, insbesondere der Innenstädte.
1. Erhaltung der Nahversorgung Der Fortbetrieb bestimmter Nahversorger ist das erste positive Marktergebnis, welches die einzelhandelssteuernde Bauleitplanung gewährleisten soll. Nahversorger sind Einzelhandelsbetriebe, die Güter des täglichen Bedarfs anbieten, vor allem Nahrungsmittel und Hygieneartikel. Die Schutzwürdigkeit hängt von der
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Lage dieser Betriebe ab. Als erhaltenswert gilt ein Nahversorger, sobald er aus einem Wohnquartier fußläufig erreichbar ist.349 Der Schutzgrund besteht darin, Verbrauchern ohne PKW eine schnell erreichbare Einkaufsmöglichkeit für Alltags einkäufe zu erhalten. Weil der Einkauf von Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln mehrfach wöchentlich notwendig ist, wäre es eine erhebliche Alltagsbelastung, müsste man für diesen Einkauf jedes Mal große Distanzen zu Fuß überwinden. Der Einzelhandelserlass von Nordrhein-Westfalen fasst das anzustrebende Planungsergebnis zusammen: „Es ist davon auszugehen, dass die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs – v. a. mit Lebensmitteln, Getränken sowie Gesundheits- und Drogerieartikeln – i. d. R. noch in einer Gehzeit von 10 Minuten möglich sein soll. Dies entspricht in etwa einer fußläufigen Entfernung von 700–1.000 m.“350 Schutzbemühungen werden erst ergriffen, wenn diese Nahversorger hinreichend bedeutsam sind. Dies ist vor allem bei Vollsortimentern und Discountern der Fall, während ein Kiosk im Regelfall durch bauleitplanerische Bemühungen ignoriert wird. Die Schutzbemühungen werden allerdings nicht erst dann ergriffen, wenn sich um Nahversorger ein zentraler Versorgungsbereich gruppiert hat. Auch isolierte Betriebe will man erhalten.351 Durch Markgutachten lässt die Gemeinde ihren Gesamtbestand an Nahversorgungsbetrieben ermitteln. Auf Grundlage der Gutachten wählt sie dann Nahversorgungsbetriebe in der Nähe der Wohnquartiere aus, auf die sie ihre Schutzbemühungen konzentriert. Sie setzt sich zum Ziel, diese Betriebe vor einer Verdrängung im Wettbewerb zu bewahren. 2. Verringerung der Verkehrsbelastung Das zweite Ziel bauleitplanerischer Einzelhandelssteuerung ist die Verringerung von Verkehrsbelastungen. Straßenverkehr, insbesondere durch PKW, soll gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB geringgehalten werden. Einerseits kann er zu einer Verstopfung und Abnutzung öffentlicher Straßen führen. Andererseits emittiert er Schadstoffe, die insbesondere im Interesse des Klimaschutzes (§ 1 Abs. 5 S. 2 BauGB) zu vermeiden sind. Durch die Erhaltung quartiereigener Nahversorger soll auch der PKW-Verkehr verringert werden. Gelingt es, Nahversorger in fußläufiger Entfernung zum Wohnquartier zu erhalten, so hofft man, die Verbraucher werden beim Einkauf auf den PKW verzichten. In jedem Fall aber hat man auf diese Weise die Anfahrtstrecke verkürzt.
349
Sauter (2005), S. 143. Einzelhandelserlass NRW Rn. 2.8. 351 Janning (2012), S. 215. 350
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3. Erhaltung gewachsener Zentren Drittes Hauptziel der Planungsbemühungen ist die Erhaltung von gewachsenen Zentren, namentlich dem Innenstadtzentrum und seinen Nebenzentren. Die Regulierer messen ihnen einen besonderen ästhetischen und kulturellen Wert zu. Dieser ästhetische Wert entspringt wesentlich den denkmalgeschützten Altbaufassaden historischer Stadtkerne. Die Gemeinde wünscht sich, dass sie den architektonischen Rahmen des städtischen Lebens bilden. Außerdem kennzeichnet die Innenstädte eine besondere Sozialkultur, die sich aus der Vielfalt der räumlich aufeinandertreffenden Nutzungsformen ergibt und die für besonders schutzwürdig gehalten wird. Neben Gastronomie, Dienstleistungsangeboten sowie verschiedensten Kulturveranstaltungen wünscht man innerhalb der Zentren auch ein gewichtiges Einzelhandelsangebot, weil der Einzelhandel durch die durch ihn veranlasste Kundenfrequenz eine besonders belebende Wirkung hat.352 Darüber hinaus gibt es in den Innenstädten noch verstärkt mittelständische Einzelhandelsbetriebe, die man als Alleinstellungsmerkmal der eigenen Stadt für erhaltenswürdig hält.353 Im Rahmen von klassischer Architektur und wirtschaftlich-kultureller Vielfältigkeit soll sich für die Einzelhandelskunden der Versorgungseinkauf zum Erlebniseinkauf wandeln. Wird hingegen das Einzelhandelsangebot gewachsener Zentren im Wettbewerb ausgedünnt, sieht man dieses Ziel gefährdet.354
II. Mutmaßliches Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs Die Ausschlussplanungen wären sinnlos, ginge man davon aus, der Wettbewerb werde Nahversorger und gewachsene Zentren von selbst erhalten. Stattdessen liegt den Planungsbemühungen die Annahme zu Grunde, die positiven Ziele würden 352
Vgl. Kapitel 1 Abschnitt A. II. Vgl. Kapitel 1 Abschnitt A. IV. 354 Streng genommen begann der Weg in die einzelhandelssteuernde Mischordnung bereits, als die Länder ihren Gemeinden finanzielle Städtebauförderleistungen zur Vitalisierung ihrer Innenstädte zukommen ließen. Nachdem die Gemeinden diese Leistungen entgegengenommen und eingesetzt hatten, begannen die Länder zu befürchten, dass ihr Leistungszweck verfehlt würde, wenn die Innenstädte nunmehr im Wettbewerb mit peripheren Einkaufszentren verödeten. Sie drohten Gemeinden, die großflächige Einzelhandelsbetriebe an nichtintegrierten Standorten zulassen wollten, mit dem Entzug der Förderungen, Heinritz (2001), S. 199. Dies ist ein wesentlicher Grund für den Erlass raumordnungsrechtlicher Integrationsgebote, durch die Gemeinden zum Schutz der Innenstädte verpflichtet werden, wie etwa die Begründung zu Ziel 2.3.2.3 LEP SN deutlich macht. Dort heißt es: „Das Integrationsgebot dient dem Schutz der Innenstädte. Die Zentralen Orte sind bemüht, die Funktionsfähigkeit und Attraktivität ihrer Stadtzentren und innerstädtischen Nebenzentren zu stärken. Hierfür wurden in der Vergangenheit in erheblichem Maße Städtebaufördermittel eingesetzt. Dieses Bemühen darf nicht durch dem widersprechende Ansiedlungen großflächiger Einzelhandelseinrichtungen zunichte gemacht werden“. 353
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ohne Intervention des Regulierers durch die Marktkräfte vereitelt. Der Regulierer erwartet eine Wettbewerbskausalität, die das positive Planergebnis verfehlt. 1. Auswirkungen auf die Nahversorgung Die klassischen Nahversorger liegen in Wohnquartieren und sind zahlreich und klein. Weil es hier an Grundstücksflächen mangelt, können sie regelmäßig weder eine große Verkaufsfläche noch eine große Stellplatzanlage anbieten. Wegen ihrer geringen Größe und ihrer eher geringen Vertriebsmenge sind ihre Möglichkeiten zur Rationalisierung von Abläufen gering und ihre Preise müssen eher hoch ausfallen. Die geringe Verkaufsfläche lässt außerdem nur ein verhältnismäßig kleines Sortiment zu. Im Übrigen sind klassische Supermärkte wegen ihrer Lage in Wohngebieten oft eher „versteckt“ und für den fließenden PKW-Verkehr nicht ohne Umwege und Ortskenntnisse zu erreichen. Dennoch können sie im Wettbewerb zunächst bestehen, weil ihre wohnortnahe Lage einen erheblichen Wettbewerbsvorteil aus Sicht der Bewohner im betreffenden Quartier darstellt. Doch mit der Zeit haben sich die Verbraucherinteressen gewandelt: Während 1963 nur 27,3 Prozent der privaten Haushalte über einen PKW verfügten, stieg die Quote bis 2008 auf 77,1 Prozent. Erst seit der Jahrtausendwende beginnt der Trend zu stagnieren.355 Infolgedessen verändern sich auch die Pläne größerer Verbrauchergruppen: Deren Interesse an kurzen Einkaufswegen sinkt wegen der höheren Mobilität relativ zu dem Interesse an niedrigen Preisen und einem großen Sortiment. Außerdem legen Verbraucher mit PKW besonderen Wert auf Stellplatzanlagen in möglichst kurzer Distanz zum Einzelhandelsbetrieb und bevorzugen Lagen an zentralen Zufahrtsstraßen, die bei PKW-Fahrten regelmäßig passiert werden. Im Wettbewerb setzen sich jene Einzelhandelsbetriebe durch, die diesen Verbraucherinteressen am besten entgegenkommen. Moderne Discounter und Vollsortimenter reduzieren ihre Betriebszahl und vergrößern ihre Verkaufsflächen. So können sie ihre Abläufe rationalisieren, ihre Preise reduzieren und ein größeres Sortiment anbieten. Zugleich werden sie neben großen Stellplatzanlagen an zentralen Zufahrtsstraßen errichtet. Kaufkraft, die solch modernen Konkurrenzbetrieben zufließt, geht den klassischen Nahversorgern in den Wohnquartieren verloren. Immer mehr Einzelhandelsbetriebe werden existenziell bedroht oder gehen unter. Dieser Trend kann für jene Verbraucher zum Problem werden, die über keinen eigenen PKW verfügen. Gehen die Nahversorger in den Wohnquartieren unter, müssen sie einen längeren Weg zu einem moderneren Betrieb aufnehmen. Dort wird ihnen zwar zu günstigeren Preisen ein größeres Sortiment angeboten,
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Statistisches Bundesamt (2009), S. 16 f.
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doch bleibt fraglich, ob dies aus ihrer Sicht den nunmehr längeren Einkaufsweg aufwiegt.356 2. Auswirkungen auf die Verkehrsbelastung Durch den Einkauf mit dem PKW werden die Straßen belastetet und Schadstoffe emittiert. Solange man nur zum Nahversorger im Wohnquartier fährt, bleibt die Verkehrsbelastung gering. Wird dieser verdrängt oder ein weiter entfernter moderner Betrieb vorgezogen, so vergrößern sich Straßenbelastung und Schadstoffausstoß. 3. Auswirkungen auf die gewachsenen Zentren Der Motorisierungstrend bedroht auch die Innenstädte und andere gewachsenen Zentren. Der Einzelhandelsbestand der Innenstadt ist regelmäßig um eine Fuß gängerzone gruppiert. Parkmöglichkeiten sind knapp und ein großer Einkauf ist daher schwer abzutransportieren. Darüber hinaus sind die Einzelhandelsbetriebe wegen des gewachsenen Charakters des Zentrums stärker verstreut, die Wege sind länger und die Lagen sind unübersichtlicher. Aufgrund der dichten Bebauung sind die Betriebe daran gehindert, ihre Verkaufsfläche zu vergrößern, um größere Sortimente anzubieten und Rationalisierungspotential zu schaffen. Große Fachmärkte lassen sich in den gewachsenen Zentren oft nur schwer unterbringen. Diese Schwächen werden zu Wettbewerbsnachteilen, sobald einheitlich geplante Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“357 errichtet werden, die mit den gewachsenen Zentren in Konkurrenz treten. Diese Einkaufszentren sind auf das Einkaufsverhalten von PKW-Kunden abgestimmt. Ihre Geschäfte gruppieren sich um große Stellplatzanlagen. So wird den Kunden ermöglicht, den Einkauf mit dem Einkaufswagen direkt zum PKW zu befördern. Innerhalb der Einkaufsparks siedeln sich große Fachmärkte an, die wegen ihres größenbedingten Rationalisierungspotentials in der Lage sind, ihre Ware zu geringeren Preisen anzubieten. Die Einkaufsparks sind gezielt auf das Einkaufserlebnis abgestimmt und ergänzen das Einzelhandelsangebot nur mit einigen untergeordneten Dienstleistungen. Deshalb sind sie weitaus übersichtlicher als die gewachsenen Zentren. Die gewachsenen Zentren können sich nicht in vergleichbarer Weise an die Interessen motorisierter Kunden anpassen. Die einzelnen Grundstücke fallen unterschiedlichen Eigentümern zu. Eine vergleichbare Abstimmung, wie sie in Einkaufsparks durch ein „Centermanagement“ vorgenommen wird, ist schwer
356
Vgl. Kapitel 1 Abschnitt A. I. Derartige Einkaufszentren werden im Weiteren als „Einkaufsparks“ bezeichnet.
357
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praktikabel. Wegen der dichten Bebauung können einzelne Betriebe zumeist weder Stellplatzanlagen errichten, noch ist eine Ausweitung der Verkaufsfläche möglich. Eine Verdrängung der gewachsenen Zentren durch Einkaufsparks würde von den Regulierern als unbefriedigend empfunden. Denn den Einkaufsparks spricht man einen vergleichbaren ästhetischen Wert ab. Durch die bereits zitierte Arbeitshilfe des Wirtschaftsministeriums von Nordrhein-Westfalen soll der ästhetische Unterschied veranschaulicht werden: „Vor allem große Center in kleineren Städten übernehmen immer mehr die Funktion des ehemaligen (öffentlichen) Hauptgeschäftsbereichs einer Stadt. Wegen der einseitigen Ausrichtung auf den Einzelhandel nimmt die funktionale Vielfalt der traditionellen europäischen Stadt in den meisten Innenstädten seit Jahren ab. Monofunktionale, ausschließlich auf den Einzelhandel fixierte Center intensivieren diese Entwicklung. Alle baulichen Elemente der Center sind auf den Konsum angelegt. Die Gestaltung und Belichtung der Räume hinterlassen tiefe Sinneseindrücke auf die Besucher. Kulturelle Veranstaltungen dienen als Marketingzweck. Das Shopping soll dadurch Event-Charakter erhalten. Die Materialien der Fußböden, Brüstungen, Decken sind meist freundlich und in aller Regel edel. Sie unterstreichen das organisatorische Konzept der drei großen „S“: Sicherheit, Sauberkeit, Service, die das gesellschaftliche Leitbild der Einkaufscenter bilden. Dieses Leitbild steht in bewusstem Kontrast zur Außenwelt, die den Besuchern im Vergleich immer weniger attraktiv zu der Innenwelt des Centers erscheint und für sie an Attraktivität verliert. Kulturkritiker sprechen von ‚Disneyfizierung‘, um den Trend der funktionalen Einengung der Stadt auf die Themen wie ‚Shopping‘, ‚Entertainment‘ und ‚Event‘ plakativ zu beschreiben. In erstaunlicher Widersprüchlichkeit steht dem Wunsch nach Revitalisierung der Innenstadt eine monostrukturelle und funktionale Verarmung in Form gleicher Bautypologien und Erscheinungsbilder der Einkaufscenter und ihrer Nutzungen mit dem allerorten bekannten gleichen Warenangebot internationaler Ladenketten gegenüber. Eine räumliche oder funktionale Bezugnahme auf den real existierenden Ort geht durch die gleichzeitige Verdrängung gewachsener Strukturen immer weiter verloren. An die Stelle einer funktionalen und architektonischen Vielfalt aus Einzelhandel, Arbeiten und Wohnen, Kultur und Freizeiteinrichtungen mit ihren breit gefächerten architektonischen Ausdrucksformen treten in Form großer Einkaufscenter großmaßstäbliche Erlebnisräume mit nach außen abgekapselten Binnenwelten. Es entstehen Bereiche in den Städten, aus denen den Konsum störende Erscheinungen des städtischen Lebens ausgesperrt werden: die Witterung und der Straßenverkehr, aber auch bestimmte Bevölkerungsgruppen. Diese Bereiche „gehören“ also nicht mehr allen und können nicht mehr von allen genutzt werden, weil es rechtliche und temporäre Zugangsbeschränkungen gibt. Private Hausregeln ergänzen hier das öffentliche Recht, private Sicherheitskräfte sollen an Stelle staatlicher Ordnungshüter für den Schutz und die Sicherheit der Besucher sorgen. Center-Manager sehen sich als Bürgermeister ihrer eigenen Stadt.“358
358 Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnung und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen (2011), S. 31.
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III. Geplante Wettbewerbskausalität Durch Ausschlussplanungen soll der Wettbewerb so beeinflusst werden, dass er die positiven Planungsziele erreicht. Die Gemeinde will ihre gewachsenen Zentren und die Nahversorger in den Wohnquartieren erhalten. Deshalb muss sie die erwartete mutmaßliche Wettbewerbskausalität eines interventionsfreien Marktes – namentlich die Kundenströme – so umlenken, dass sie in das gewünschte Wettbewerbsergebnis – die hoheitlich gewünschten Betriebe – mündet. 1. Erhaltung der Nahversorgung Um Nahversorgern die Existenzgrundlage zu sichern, muss die Gemeinde ihre Kundenfrequenz aufrechterhalten. Sie muss verhindern, dass deren Konkurrenz aus Verbrauchersicht attraktiver erscheint, das heißt sich besser an die Verbrauchererwartungen anpassen kann. Dies versucht sie durch Ausschlussplanungen zu erreichen. Zum einen steht der Gemeinde die Möglichkeit offen, um die erhaltenswürdigen Nahversorger eine Art „bauleitplanerische Bannmeile“ errichten, welche die Errichtung gewichtiger Einzelhandelsvorhaben verbietet. Dies geschieht insbesondere durch die Festsetzung von reinen und allgemeinen Wohngebieten oder von Einzelhandelsausschlüssen in anderen Gebietstypen. Auf diese Weise kann die Gemeinde den Abstand eines Wohngebietes zum nächsten modernen Vollsortimenter oder Discounter vergrößern. Zwar ist die Länge der Einkaufswege für den PKWFahrer von geringerer Bedeutung. Sie ist aber nicht gänzlich zu vernachlässigen. Gelingt es, die Vorhaben ausreichend vom Wohnquartier zu entfernen, so werden auch die mobilen Verbraucher weiterhin innerhalb des Wohnquartiers einkaufen. Dabei kommt der Gemeinde zugute, dass die Zahl geeigneter Standorte für weitere Nahversorgungsbetriebe meist überschaubar ist. In Frage kommen nur freie Standorte an zentralen Zufahrtsstraßen, auf denen für den Einzelhandelsbetrieb und dessen Stellplatzanlage eine Nutzfläche von mindestens 3.000 m² zur Verfügung steht.359 Diese Standorte lassen sich leicht identifizieren und durch Ausschlussplanung blockieren. Zum anderen ist die Gemeinde in der Lage, neue Vorhaben gezielt zu schwächen. Um Vorhaben zu ermöglichen, weist sie im Regelfall Misch- oder Sondergebiete aus. Dabei kann sie die Sortimentsbreite und die Fläche beschränken und so die Wettbewerbsstärke des Betriebes verringern. Ebenso ist es möglich, das Vorhaben in eher ungünstige Lagen zu manövrieren. Dies tut die Gemeinde mit Blick auf den nächsten Nahversorger in einem Wohnquartier, den sie als bedroht ansieht. Auf diese Weise wird die Attraktivität neuer moderner Vollsortimenter und Discounter reduziert. 359
Uttke/Reicher (2006), S. 5 f.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
Infolge der Intervention soll auch aus Sicht der mobilen Verbraucher der Einkauf im quartiereigenen Nahversorger attraktiver erscheinen als der Einkauf in den nunmehr geschwächten Konkurrenzbetrieben. Die mobilen Verbraucher sollen mit ihrer Kaufkraft diejenige der immobilen Verbraucher ergänzen und so dazu beitragen, den quartiereigenen Betrieb zu erhalten. 2. Reduktion von PKW-Emissionen Kaufen die mobilen Verbraucher in ihrem eigenen Wohnquartier ein, dann gehen sie entweder auch zu Fuß, nutzen Fahrräder oder fahren mit dem PKW zumindest eine kürzere Strecke. Dabei stoßen sie keine oder wenigstens nur geringe Schadstoffe aus. 3. Erhaltung gewachsener Zentren Den Einzelhandel der Innenstädte und anderer gewachsener Zentren versucht die Gemeinde zu erhalten, indem sie Konkurrenzbetriebe in der Peripherie, insbesondere Einkaufsparks, durch Ausschlussplanungen schwächt und verhindert. Die Einkaufsparks sind wegen § 11 Abs. 3 BauNVO nahezu durchgängig auf Sondergebietsausweisungen angewiesen. Deshalb kann die Gemeinde über Sondergebiete die Zahl der Einkaufsparks bestimmen. In Einkaufsparks werden überwiegend Sortimente mit Gütern des aperiodischen Bedarfs angeboten. Ihnen kommt auch die entscheidende Magnetfunktion zu. Zwar sind umfangreiche Angebote von Gütern des täglichen Bedarfs auch in Einkaufsparks üblich, allerdings nur ergänzend um die schon vorhandene Kunden frequenz zu nutzen. Verglichen mit dem Nahversorgungssegment ist beim Vertrieb von Gütern des aperiodischen Bedarfs eine verbrauchernahe Lage von untergeordneter Bedeutung. Der Einkauf erfolgt seltener, deshalb sind Verbraucher auch bereit, sich größere Distanzen für ein gutes Angebot zuzumuten. Die Vorstellungen der Verbraucher von einem guten Angebot weichen allerdings stark voneinander ab. Güter des aperiodischen Bedarfs kennzeichnen sich durch eine umfangreiche Bandbreite verschiedenartigster Sortimente und Untersortimente. Reduziert die Gemeinde Zahl und Flächen der Einkaufsparks, sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Sortimente soweit zu vergrößern, dass sie alle Verbraucherinteressen bedienen können. In dadurch entstandene Angebotslücken kann der Einzelhandel der gewachsenen Zentren stoßen. Er bleibt lebensfähig, weil es weiterhin stark nachgefragte Güter geben wird, die in den gezielt verkleinerten Einkaufsparks nicht mehr angeboten werden können. Durch zusätzliche Festsetzungen in Sondergebieten kann die Attraktivität der Einkaufsparks weiter reduziert werden. So können sortimentsbezogene Verkaufs-
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flächenbeschränkungen zwar nur vorhabenbezogen und nicht gebietsbezogen festgesetzt werden.360 Doch solange die Gemeinde die Zahl der Vorhaben einschätzen kann, ist sie in der Lage, dem Spielraum der Zentrenbetreiber erhebliche Grenzen zu setzen. Die Einkaufsparks dürfen dann insbesondere nicht in der Größe errichtet werden, die ihnen am freien Markt den größten Gewinn verschafft hätte. Sie können sich größenmäßig nicht optimal an die Erwartungen der Nachfrager anpassen. Die Möglichkeit der Verbraucher, mit einem einzigen Kombinationseinkauf jeden Bedarf zu decken, wird durch die künstliche Verringerung des Sortiments genommen. Zudem verlieren die Einkaufsparks wegen der geringeren Größe an Rationalisierungspotential, sodass auch ihre Preise höher ausfallen müssen. In den gewachsenen Zentren steht oft ein umfangreicheres Sortiment zu Verfügung und auch im Preiswettbewerb kann es infolge der Wettbewerbsverzerrung eher standhalten. Somit erhöhen sich die Überlebenschancen der innerstädtischen Einzel handelsbetriebe merklich.
IV. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung Die Gemeinde hat somit durch Interventionen eine Mischordnung begründet. Sie hat innerhalb einer grundsätzlich marktwirtschaftlichen Ordnung gezielt konkrete Ergebnisse herbeigeführt, nämlich bestimmte Betriebe erhalten, die ohne diese Intervention nicht lebensfähig gewesen wären. Ihre Motivation liegt darin, dass diese Betriebe ein bestimmtes Verbraucherinteresse bedienten, das aus Sicht der Gemeinde am interventionsfreien Markt unterbewertet worden wäre. Dies gelang der Gemeinde nur, indem sie deren Konkurrenten schwächte. Zum einen verringerte sie deren Zahl. Zum anderen beschränkte sie die Attraktivität der Konkurrenzbetriebe, vor allem indem sie deren Größe und damit deren Rationa lisierungspotentiale reglementierend verringerte. Jede dieser Interventionen verhindert Anpassungen des Einzelhandels an die Erwartungen der Verbraucher. Einerseits hätten sich die Konkurrenzbetriebe an die Verbrauchererwartungen angepasst, indem sie in größerer Zahl und größerem Umfang errichtet worden wären. Andererseits hätten die gemeindlich geschützten Betriebe eingestellt werden müssen. Der Markt hätte sie durch andere Betriebe ersetzt. Er hätte die Einkaufsästhetik und die Nahversorgung auf andere als die planmäßig vorgesehene Weise gefördert. Stiege der Regulierer nachträglich aus der Mischordnung aus, müsste sich der Markt wieder auf diesen Gleichgewichtszustand hinbewegen. Während sich diese Bewegung ohne die Intervention schrittweise und ohne Umweg vollzogen hätte, besteht nun die Gefahr eines Anpassungssprungs. Diesem Anpassungssprung müssen nicht nur jene Betriebe zum Opfer fallen, welche die Gemeinde durch Intervention schützte. Ebenso sind die Konkurrenzbetriebe gefährdet, die nur un 360
Siehe Fn. 123 und 124.
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ter Restriktionen errichtet werden konnten und die deshalb nicht dem Niveau des Marktgleichgewichts entsprechen. Deshalb muss der Ausstieg aus der Mischordnung noch bedrohlicher empfunden werden als die Marktentwicklungen, auf die man mit dem Einstieg in die Mischordnung reagierte. Das entstehende Marktungleichgewicht beim Mischordnungsausstieg soll sowohl in Bezug auf den Ausstieg aus dem Schutz der Nahversorger als auch hinsichtlich des Ausstiegs aus dem Schutz gewachsener Zentren näher skizziert werden. Auf das dritte Ziel, die Reduktion von Schadstoffausstößen, wird nicht gesondert eingegangen. Schließlich soll es durch den Schutz der Nahversorger reflexartig mitverwirklicht werden. 1. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus dem Nahversorgerschutz Der Schutz von Nahversorgern erfolgte, indem man eine bauleitplanerische „Bannmeile“ um klassische Supermärkte in den Wohnquartieren errichtete und durch verschiedene Beschränkungen verhinderte, dass modernere Betriebe in optimaler Lage und mit optimaler Größe errichtet werden konnten. Wenn klassischen Supermärkten nur noch die Kaufkraft immobiler Verbraucher zufließt und deren Anteil an der Gesamtzahl der Verbraucher abnimmt, erzielen sie zunehmend geringeren Umsatz. Im interventionsfreien Markt wäre nun eine Anpassung erfolgt: Die Supermärkte hätten zu große Kapazitäten und verursachten zu große Kosten. Sie müssten geschlossen und durch kleine Betriebe ersetzt werden. Derartige Betriebe werden in der in der wirtschaftlichen Praxis als „Nachbarschaftsläden“ oder „Convenience Shops“ bezeichnet.361 Erhält man die klassischen Supermärkte, so entsteht keine vorübergehende Marktlücke und die Ansiedlung von Nachbarschaftsläden bleibt aus. Die Nachfrage der mobilen Verbraucher, die man künstlich den klassischen Supermärkten zuführte, geht modernen Betrieben verloren, deren Zahl man auf diese Weise unter das Gleichgewichtsniveau reduziert hat. Sobald die Ausschlussplanungen beseitigt werden, muss ihre Zahl also schlagartig zunehmen. Problematisch ist dabei folgender Zusammenhang: Wenn die Gemeinde einen quartiereigenen Nahversorger erhalten will, verhindert sie mit Ausschlussplanungen, dass sich andere Nahversorgungsbetriebe in dessen mittlerem Umfeld ansiedeln. Solange der quartiereigene Nahversorger deshalb von den mobilen Ver 361 Das Beratungsunternehmen KPMG (2012) sieht die Entwicklung von Nachbarschaftsläden optimistisch: „Die Perspektiven für Convenience-Geschäfte werden hingegen durch weg positiv gesehen. […] Zahlreiche andere deutsche Unternehmen arbeiten an neuen Kleinflächenkonzepten, die zum Teil bereits im Markt platziert sind. Zwar stecken die Konzepte im internationalen Vergleich noch in den Kinderschuhen, im Zuge einer ständigen experimentellen Optimierung kann aber damit gerechnet werden, dass die Zahl der Geschäfte in den kommenden Jahren deutlich zunehmen wird.“, S. 44.
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brauchern genutzt wird, bleibt er erhalten und der Einkaufsweg für die immobilen Verbraucher in dem Quartier kurz. Doch fahren die mobilen Verbraucher stattdessen zu Konkurrenzbetrieben im weiteren Umfeld des Quartiers, geht der Nahversorger unter. Nunmehr gibt es im mittleren Umfeld des Quartiers keinen Ersatz mehr, auf den die immobilen Verbraucher zurückgreifen können. Ihn haben die einzelhandelssteuernden Initiativen verhindert. Dadurch erreichten sie das Gegenteil ihrer Zielsetzung: Der Weg zum nächsten modernen Nahversorger wurde auch für die immobilen Verbraucher um die Distanz künstlich verlängert, die man mit Ausschlussplanungen belegt hat. Außerdem erhöhen sich der Einkaufsweg für die mobilen Verbraucher und damit ihr Schadstoffausstoß. Gefährlich wird es weiterhin, wenn die Ausschlussplanungen nicht bloß die Zahl moderner Nachversorger reduzieren, sondern bewusst deren Attraktivität verringern, indem das Planungsrecht die Ansiedlung an Gleichgewichtslagen und mit Gleichgewichtsgrößen verhindert. Steigt man aus der Mischordnung aus, ist die Existenz all dieser Konkurrenzvorhaben bedroht. Wäre man nie in die Mischordnung eingestiegen, so hätten sie nicht unnötigerweise errichtet werden müssen. 2. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus dem Schutz gewachsener Zentren Durch den Schutz gewachsener Zentren wird ebenfalls sowohl deren eigene Anpassung an das Marktgleichgewicht als auch die Anpassung ihrer Konkurrenz verhindert. Würde man nicht zugunsten der gewachsenen Zentren intervenieren, reduzierte sich deren Einzelhandelsbestand auf das Gleichgewichtsniveau. Hebt man die Ausschlussplanungen für Einkaufsparks auf, so muss der Einzelhandelsbestand auf dieses Niveau zurückfallen. Existenzbedrohend wird es auch für jene Einkaufsparks, die unter planungsrechtlichen Beschränkungen errichtet wurden. Sie konnten nicht die Größe erlangen, die dem Gleichgewichtsniveau entsprochen hätte. Vorübergehend waren sie dennoch am Markt überlebensfähig, weil ihnen die geringe Zahl von Sondergebieten, auf denen Einkaufsparks zulässig sind, eine wirtschaftliche Vorzugsstellung verschaffte. Verzichtet man nachträglich auf derartige Beschränkungen, wird dies die Errichtung von Einkaufsparks auf Gleichgewichtsniveau zufolge haben. Solchen Konkurrenten sind die älteren Einkaufsparks im Wettbewerb häufig nicht mehr gewachsen. Hätte die Gemeinde von Anfang an Anpassungen an das Marktgleichgewicht zugelassen, wäre dieser kostenintensive Umweg eingespart worden. Besondere Auswirkungen hätte die Marktöffnung zudem auf die Marktwerte der innerstädtischen Immobilien. Ist die Innenstadt der einzige Ort, an dem Einzelhandelsbetriebe ohne Restriktionen zulässig sind, hat dies eine erhebliche Wertsteigerung der dortigen Grundstücke zur Folge. Sie können knappheitsbedingt zu
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
erheblich höheren Preisen an die Einzelhändler vermietet werden. Eine Marktöffnung hätte hingegen zur Folge, dass mit den innerstätischen Grundstücken eine vermeintlich sichere Kapitalanlage schlagartig entwertet würde.
V. Nachkorrekturbedarf im Regelsystem der Mischordnung Mit einer Erstintervention hat man planungsrechtliche Regeln gesetzt, mit denen es möglich war, die gewünschten positiven Planergebnisse herbeizuführen. Solange der Wettbewerb unter diesem neuen Regelsystem fortlaufend in das gewünschte Ergebnis mündet, muss der Regulierer nicht über einen Ausstieg aus der Mischordnung nachdenken. Doch die Kräfteverhältnisse im Wettbewerb wandeln sich dynamisch. Bedingungen, unter denen die geschützten Betriebe heute noch die Wettbewerbssieger waren, können sich in Zukunft ganz anders darstellen. Verlangt heute der Wandel der Umstände bestimmte Anpassungen, kann das Anpassungsdefizit durch eine Intervention zulasten der Konkurrenz ausgeglichen werden. Doch wandeln sich die Umstände morgen weiter, so vergrößert sich das Anpassungsdefizit und zum Ausgleich muss der Regulierer der Konkurrenz noch größere Hindernisse bereiten. Wenn die Regeln, die erstmalig zur Schwächung der Konkurrenz aufgestellt wurden, das Anpassungsdefizit der geschützten Betriebe nicht mehr ausgleichen können, entsteht ein Nachkorrekturbedarf im Regelsystem der Mischordnung. Die Regeln, mit denen die Erstintervention begann, haben ihren teleokratischen Wert allein deshalb, weil sie durch Erhaltung bestimmter Betriebe ein positives Ergebnis herbeiführten. Genügen sie nicht mehr, um die Anpassungsdefizite dieser Betriebe auszugleichen, so werden sie ihr positives Ergebnis nicht mehr erreichen. Ihre einzige Wirkung ist eine funktionslose Behinderung der Marktentfaltung. Es leuchtet sowohl aus teleokratischer wie auch aus nomokratischer Perspektive ein, dass innerhalb des Regelsystems eine Nachkorrektur erfolgen muss. Diese kann entweder durch eine Rückkehr zur reinen Nomokratie oder einer Rückkehr zum teleokratischen Ergebnis bestehen. Im ersten Fall wird die Erstintervention beseitigt, im zweiten Fall wird die Erstintervention um den Grad des Anpassungs defizits verstärkt. Zu beachten ist nun, dass bei einer Rückkehr zur Nomokratie das oben beschriebene Marktungleichgewicht ausgelöst wird. Wer sich für diesen Schritt entscheidet, wird kurzfristig einen sichtbaren und konzentrierten Schaden auslösen. Dagegen gelingt es, bei einer Interventionsausweitung den Schaden in der langfristigen Mischordnungsineffizienz zu verstreuen. Wer nicht in die Effizienzsteigerung von Marktentwicklungen vertraut und sie wegen des Nebels des Marktes nicht sieht, wird die Interventionsausweitung der Nomokratie vorziehen.
B. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung
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1. Nachkorrektur oder Untergang der verbrauchernahen Nahversorger Zum Schutz bestimmter Nahversorger hat die Gemeinde durch Ausschlussplanungen Konkurrenzvorhaben von diesen räumlich entfernt und sie durch weitere Restriktionen geschwächt. Auf diese Weise konnte sie die Anpassungsdefizite der Nahversorger aus Sicht der Kunden im betreffenden Quartier ausgleichen, auch die mobilen Kunden zogen in einigen Fällen den Einkauf im Quartier der Fahrt zu einem modernen Vollsortimenter oder Discounter vor. So konnte der Nahversorger einen ausreichenden Umsatz erlangen, um seine Betriebskosten zu decken. Doch sind eine Reihe plausibler Marktszenarien denkbar, in denen ein Nahversorger unter demselben Regelsystem keinen ausreichenden Umsatz mehr erzielen wird. Will man ihn dennoch erhalten, muss durch eine weitere teleokratische Intervention nachkorrigiert werden. In diesem Abschnitt sollen drei Szenarien skizziert werden, in denen Nachkorrekturbedarf entsteht: a) Erstes Szenario: Zunahme des PKW-Besitzes Mobile Verbraucher werden immer einen kleineren Teil ihrer Einkäufe in dem wohnortnahen Nahversorgungsbetrieb erledigen als immobile Verbraucher. Gelingt es der Gemeinde, die Distanz zu allen Konkurrenzvorhaben erheblich zu vergrößern, erscheint für die mobilen Verbraucher der Einkauf beim quartiereigenen Nahversorger zwar sinnvoll, wenn sie von zuhause aus einkaufen. Doch sind sie aus anderem Anlass mit dem PKW in der Stadt unterwegs – insbesondere auf dem Rückweg von der Arbeit – liegt es näher, modernere Einzelhandelsbetriebe zu nutzen, die man bei solchen Fahrten ohnehin passiert. Der Nahversorger im Quartier hat dann nur noch eine ergänzende Funktion. Die Gemeinde kann versuchen, diese ergänzende Funktion des quartiereigenen Nahversorgers soweit zu stärken, dass sie zusammen mit der Kaufkraft der immobilen Verbraucher ausreicht, um ihn zu erhalten. Als Trend wird nun angenommen, dass innerhalb des Wohnquartiers der PKWBesitz zunimmt. Ein solcher Trend ist plausibel. Bundesweit stagniert der Motorisierungstrend zwar gegenwärtig,362 in einzelnen Quartieren kann sich der Trend aber durchaus fortsetzen. Damit stiege der Teil der Verbraucher an, die nur einen Bruchteil ihrer Kaufkraft im Quartier einsetzen und im Übrigen auf modernere Betriebe zurückgreifen. Der Umsatz des Nahversorgers fällt. Haben ihn die Ausschlussplanungen knapp über der Verlustgrenze halten können, muss er an dieser neuen Entwicklung zugrunde gehen. Die Ausschlussplanungen würden das Planungsergebnis verfehlen. Um den Nahversorger dennoch zu erhalten, wäre eine weitere Intervention notwendig. 362
Vgl. Fn. 356.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
b) Zweites Szenario: Abnahme der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft im Quartier Eine ähnliche Entwicklung droht im zweites Szenario: Die Gemeinde hat eine Bannmeile aus Ausschlussplanungen gerade weit genug errichtet, um dem dadurch geschützten Nachversorger einen Umsatz zu garantieren, der seine Betriebskosten deckt. Unter diesen Bedingungen soll angenommen werden, dass die Bewohner des Quartiers weniger Kaufkraft für Angebote des Einzelhandels einsetzen. Hierfür sind verschiedene Gründe denkbar. Zum einen kann die Gesamtzahl der Quartierbewohner abnehmen. Ein solcher Trend ist bundesweit infolge des demographisch begründeten Bevölkerungsrückgangs auf lange Sicht zu erwarten.363 Zum anderen kann es zu einer verstärkten Nutzung des Versandhandels kommen, ein Trend der sich wegen der flächendeckenden Verbreitung von Internetverbindung bereits jetzt zeigt.364 Schließlich sind verschiedenste weitere Trends denkbar, etwa eine Verarmung des Quartiers, eine Verschiebung der Konsumpräferenzen oder ein plötzlicher Sparwille. Jede diese Entwicklungen würde den Umsatz des Nahversorgers verringern und ihn unter die Verlustgrenze treiben. Er ginge unter und der Plan des Regulierers scheitert. c) Drittes Szenario: Planungsrechtlich nicht beeinflussbare Managemententscheidungen Auch im dritten Szenario ist es gelungen, den Nahversorger gerade über der Verlustgrenze zu erhalten. Die Konkurrenzbetriebe wurden soweit geschwächt, dass aus Sicht einer hinreichenden Zahl von Verbrauchern der Einkauf im Quartier häufig genug als attraktiver empfunden wird. 363 Eine solche Erwartung hegt etwa Kuschnerus (2007), Rn. 337. Die Kaufkraft wird allerdings zunächst steigen, weil es zu einem Anwachsen der besonders konsumfreudigen Generation 50 + kommt (sog. „best ager“). Erst ab 2020 schlägt der Trend um, siehe KPMG (2012), S. 13; dies. (2006), S. 20. 364 Der Marktanteil des Versandhandels wächst mit der Verbreitung des Internets stark. Sein Anteil lag nach Aussage des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (2015) 2015 bereits bei 11,7 Prozent. Die Entwicklung des Onlinehandels wird weiterhin äußerst positiv eingeschätzt, wie etwa die Befragung des Beratungsunternehmens Ernst&Young (2012) zeigt, vgl. S. 14; siehe auch KPMG (2012), S. 20. Bezogen auf Lebensmittel ist die Prognose allerdings pessimistisch, vor allem weil die Kühlung der Waren ein erhebliches praktisches Problem darstellt, KPMG (2012), S. 45. Deshalb ist der Einfluss des Versandhandels auf die Nahversorgung noch gering. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es gelingt, die praktischen Probleme zu überwinden. Auf die Gefährdung der einzelhandelssteuernden Zielsetzung durch den Versandhandel weist Schmalen (1999) hin, S. 469, 476; ders. (1998), S. 29 f.; ebenso Matt müller (1994), S. 35.
B. Einzelhandelssteuerung durch Bauleitplanung
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Gelingt es nun den Konkurrenzbetrieben, sich innerhalb der planungsrechtlichen Grenzen besser zu organisieren als bisher, so können sie ihre Preise weiter senken oder anderweitig ihr Angebot verbessern. Aus Verbrauchersicht würde sich das Attraktivitätsverhältnis zwischen dem Einkauf im Quartier oder bei der Konkurrenz zugunsten der zweiten verschieben. Dieselbe Konsequenz hätte es, wenn der Nahversorger innerhalb des Quartiers infolge von Missmanagement an Attraktivität verlöre. Einzelhandelssteuernde Maßnahmen orientieren sich nahezu ausschließlich an drei Faktoren, nämlich der Lage, dem Sortiment und der Verkaufsfläche eines Betriebs. Die Attraktivität eines Einzelhandelsbetriebes hängt jedoch von zahllosen weiteren Faktoren ab, deren Optimierung von der Qualität ihres Managements abhängt. Im Ergebnis kann sich zwischen planungsrechtlich gleich zu beurteilenden Vorhaben das Attraktivitätsniveau erheblich verschieben.365 Die herrschende Auffassung geht davon aus, dass man mittels planungsrechtlichen Restriktionen derartige Verschiebungen nicht beeinflussen darf, denn zum Beispiel „Preisgestaltung, Werbemethoden, Schaufensterdekoration, Sachkunde und Freundlichkeit des Personals“ gelten als nicht planungsrelevant.366 Seit der Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung vom 01.11.1974367 ist anerkannt, dass das Bauplanungsrecht nur Vorhabeneigenschaften mit bodenrechtlicher Relevanz regeln darf. Bodenrechtlich relevant ist nur, was die in § 1 Abs. 5 u. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.368 Seit der Baurechtsnovelle von 2004 gehören zu diesen Belangen nunmehr auch die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche (§ 1 Abs. 6 Nr. 4 Alt. 2 BauBG) und damit alle Vorhabeneigenschaften, die das Marktverhalten der Verbraucher beeinflussen. Nach Hayek verwertet der Markt das Wissen über alle Elemente der spontanen Ordnung, die wiederum über eine komplexe Wechselwirkung umfassend miteinander verknüpft sind. Wird also die Erhaltung bestimmter Vorhaben am Markt zum städtebaulichen Belang erhoben, dann ist streng genommen alles baurechtsrelevant, auch etwa „die Freundlichkeit des Personals“.369 Wenn das Recht also den Anspruch erhebt, Marktwirkungen zu steuern, 365 Die gewichtigen Folgen eines Managementversagens wurden der Öffentlichkeit vor wenigen Jahren durch die Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker vor Augen geführt. Kurz vor der Insolvenz kennzeichneten sich ihre über 10.000 Filialen neben einer sehr kleinen Verkaufsfläche durchwegs durch falsche Schwerpunktsetzungen der Sortimentspolitik, überdurchschnittliches Preisniveau, schlechten Service und eine mangelhafte ästhetische Gestaltung, gerade im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten Rossmann und dm. Ihre einzige Stärke waren verbrauchernahe Lagen. Siehe dazu Alter (2013), S. 759 ff. 366 Siehe Fn. 75. 367 Aktenzeichen IV C 13/73. 368 Grundlegend Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.08.1973 – IV C 33.71 –; Ferner/ Kröninger/Aschke (2008), § 29 Rn. 6; Peine (2003), Rn. 312. 369 Frank (1987) erkannte, dass die Erhaltung von Einzelhandelsstrukturen als planungsrechtlicher Belang notwendig auch den Schutz von „Erwerbschancen“ als Mittel zum Zweck umfassen muss, S. 371. Doch diese Erwerbschancen hängen von derart vielen Faktoren ab, dass sich die städtebaulichen Belange nicht mehr eingrenzen lassen. Der Autor verliert sich konsequenter
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
erhebt es den Anspruch, alles zu steuern. Es kann funktional nicht mehr begrenzt werden. Auch andere funktionsbegrenzende Grundsätze des Planungsrechts, insbesondere, dass die Gemeinden nur allgemeine Angebotsplanung, aber keine konkrete Projektplanung370 betreiben dürfen, müssten vor diesem neuen Anspruch fallen. Solange aber die Rechtsprechung nicht bereit ist, solche Grundsätze aufzugeben und den Planungsbehörden ohne Rücksicht auf die Eigentumsfreiheit die volle Kontrolle über konkrete Grundstücksnutzungen zu geben, wird es immer Entwicklungen geben, welche die angestrebte Balance von Kaufkraftzuflüssen zwischen den Nahversorgungsbetrieben verschieben, planungsrechtlich aber nicht verhindert werden können. Verändert sich infolge von „planungsirrelevanten“ Managemententscheidungen das Attraktivitätsgefälle zwischen den Nahversorgern und ihrer Konkurrenz, könnten sie Kaufkrafteinbußen erleiden, die sie unter die Verlustgrenze treiben. Der Nahversorger im Quartier würden die planungsirrelevanten Entscheidungen nicht verkraften. Wieder müsste die Mischordnung nachkorrigiert werden. d) Methoden der Nachkorrektur In welcher Weise der Regulierer auf den Nachkorrekturbedarf reagiert, ist ihm generell selbst überlassen. Die Handlungsmöglichkeiten sind vielfältig. Will er einen bestimmten Nahversorger erhalten, sind alle Methoden zweckmäßig, die dessen Attraktivität steigern oder seiner Konkurrenz schaden. Zur Veranschaulichung sollen die Handlungsmöglichkeiten der Regulierer an dieser Stelle näher darstellt werden. Zunächst ist zu beachten, dass wegen des Grundsatzes des Bestandsschutzes bereits genehmigte Betriebe nicht nachträglich mit für sie verbindlichen planungsrechtlichen Restriktionen belegt werden können. Erweist sich eine bestimmte Konkurrenz nachträglich als zu stark, kann man ihr also weder durch einen Bebauungsplan rechtmäßig die Verkaufsfläche oder das Sortiment reduzieren noch die Betriebsschließung durch einen Einzelhandelsausschluss erzwingen. Die Nachkorrektur muss also mit Instrumentarien erfolgen, die über die gängige Praxis der Einzelhandelssteuerung hinausgehen. Einerseits ist alles zweckmäßig, was der Konkurrenz schadet. So würde jede beliebige Art von Schikane das Planungsziel fördern, egal ob rechtmäßig oder rechtswidrig. Ob der Gesetzgeber eine Pflicht zur Kontingentierung der Marktanteile normiert oder eine Gruppe von Gangstern in der Nacht Feuer legt – dem gewünsch-
weise in unlösbaren Abgrenzungsproblemen zwischen „wirtschaftlichen Interessen Einzelner“ und „der Versorgungsstruktur der Bevölkerung“ sowie zwischen mittelbaren und unmittelbaren Wirkungen. 370 Vgl. Kapitel 1 Abschnitt B. II. 1. c).
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ten Planungsergebnis wäre beides gleichermaßen zuträglich. Selbstverständlich haben die Regulierer gegenüber solchen direkten Schikanen Hemmungen. Näher liegt eine Förderung des Nahversorgers im Quartier mittels Geld- und Sachleistungen. Diese Förderung ließe sich aber ebenfalls nur zulasten der Konkurrenz durchführen. Erhält man den Nahversorger künstlich, so wird ihm Kaufkraft zufließen, welche die Konkurrenz künstlich verliert. Da er am Markt nur unter Verlust betrieben werden kann, müssen diese Verluste dem Umfang der Förderung entsprechen und durch den Regulierer getragen werden. Er ist gezwungen, die entsprechenden Mittel selbst an anderer Stelle einziehen, und über die Umwege marktwirtschaftlicher Verflechtungen wird dieser Mitteleinzug ebenfalls die Konkurrenz treffen. Doch wird ein solches Vorgehen weniger Hemmungen hervorrufen, weil es den Schaden nur indirekt durch den „Nebel des Marktes“ hindurch verursacht. Die Begünstigung einzelner Nahversorger wird bereits praktiziert: Wenn der Nahversorger nicht durch einen eigenen Inhaber, sondern als Filiale eines großen Unternehmens betrieben wird, kann die Gemeinde diesem Unternehmen eine „Paketlösung“ anbieten: Das Unternehmen verpflichtet sich vertraglich zur Weiterführung des unrentablen Betriebs. Als Gegenleistung gewährt die Gemeinde dafür einer anderen Filiale desselben Unternehmens innerhalb ihres Bezirks einen Vorteil, zum Beispiel die Überlassung eines gemeindeeigenen Grundstücks oder einen günstigen Bebauungsplan.371 Hierdurch weitet sich die Teleokratie erheblich aus: Die Gemeinde kann innerhalb der vertraglichen Gestaltung nun auch Einfluss auf die Betriebsgestaltung der zweiten Filiale nehmen. Ihre Einflussnahme wird immer konkreter. 2. Nachkorrektur oder Untergang der gewachsenen Zentren Im Weiteren werden Markt-Szenarien betrachtet, bei denen innerhalb des Regelsystems der Mischordnung ein Untergang der gewachsenen Zentren zu befürchten wäre. Auch mit Blick auf das zweite Planergebnis ist also Nachkorrekturbedarf zu erwarten. a) Erstes Szenario: Zunahme des PKW-Besitzes Einkaufsparks sind für mobile Verbraucher besonders attraktiv. Während sie beim Einkauf in der Innenstadt durch Fußgängerzonen behindert werden, jenseits derer die Parkflächen häufig knapp sind, bieten Einkaufsparks Parkfläche im Überfluss. Deshalb werden PKW-Besitzer einen größeren Anteil ihrer Kaufkraft in den Einkaufsparks ausgeben als immobile Verbraucher. Immobile Verbraucher 371
Dieses Vorgehen wird empfohlen durch Junker/Kühn (2006), S. 106 f.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
nutzen stattdessen häufiger die Innenstädte, weil diese besser in das öffentliche Personennahverkehrsnetz eingebunden sind. Weist die Gemeinde so weitgehend Sondergebiete für Einkaufsparks aus, dass neben diesen die gewachsenen Zentren auf hinreichendem Niveau lebensfähig bleiben, ist dieser Zustand nicht statisch. Steigt der PKW-Besitz in der Gemeinde, verlagert sich Kaufkraft von den gewachsenen Zentren zu den Einkaufsparks. Die gewachsenen Zentren verlieren an Umsatz und können daher nicht mehr die Betriebskosten einer gleichbleibenden Betriebszahl schultern. Deshalb fällt das Angebotsniveau unter das angestrebte Plansoll. Will die Gemeinde dies nicht hinnehmen, so muss sie das Regelsystem nachkorrigieren.
b) Zweites Szenario: Verlust der kulturell-ästhetischen Qualität der gewachsenen Zentren im Binnenwettbewerb Die Gemeinde schützt Innenstädte und andere gewachsene Zentren vor Konkurrenzdruck von außen, weil sie diesen Zentren wegen ihrer Altbauarchitektur und der Vielfalt ihrer Angebotsarten einen kulturell-ästhetischen Eigenwert zumisst. Gegenüber Gefährdungen der Einkaufsästhetik im Binnenwettbewerb ist sie hilflos. Sie kann nicht verhindern, dass sich konkurrierende Wettbewerber innerhalb der Innenstädte ansiedeln und diese Angebotsvielfalt von innen heraus zerstören. Zweifellos werden die Altbaufassaden durch solche Entwicklungen nicht bedroht, da sie wegen des Denkmalschutzes nicht beseitigt werden dürfen. Jedoch verhindern bauleitplanerische Regeln nicht, das bundesweit und sogar international operierende Großunternehmen die innerstädtischen Räumlichkeiten anmieten oder aufkaufen, dort reihenweise Betriebsfilialen ansiedeln und mittelständische Einzelhändler sowie die übrige Vielfalt an Angeboten verdrängen. Sie können nicht vermeiden, dass durch eine solche Entwicklung die Innenstädte langfristig die Gestalt eines Einkaufsparks mit Altstadtarchitektur annehmen. Auch in diesem Fall verfehlen die Gemeinden ihr Planungsziel teilweise. Dieses Szenario hat sich in deutschen Städten weitgehend realisiert. Je dichter die Einzelhandelspräsenz und je höher die Mieten in deutschen Innenstädten ausfallen, desto stärker werden sie meist durch Filialbetriebe dominiert.
c) Drittes Szenario: Abnahme der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft Weist die Gemeinde Sondergebiete für großflächigen Einzelhandel außerhalb der gewachsenen Zentren aus, so beruhen ihre Planungserwägungen auf einer gutachterlich ermittelten Gesamtkaufkraft. Die hoheitliche Planung einer Wettbewerbskausalität erfolgt, indem die Gemeinde schätzt, welches Ausmaß an Kaufkraft der Innenstadthandel zur Erhaltung seines Angebots benötigt und wie viel
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Kaufkraft ein zukünftiger sondergebietspflichtiger Einkaufspark anziehen wird. In ihren Überlegungen wird die gemeindliche Kaufkraft wie ein Kuchen behandelt, dessen Stücke die Planer zwischen den einzelnen Einzelhandelsagglomerationen aufteilen.372 Die gemeindlichen Kalkulationen müssen in sich zusammenbrechen, sobald sich dieser Kuchen verringert und insgesamt weniger Kaufkraft in den Einzelhandel fließt. Dies würde mittelfristig bei Abnahme, Verarmung oder einer neuen Sparsamkeit im Gemeindegebiet und Umland geschehen. Eine Verringerung zentrenbezogener Einkaufsausgaben ist außerdem deshalb zu erwarten, weil der Marktanteil des Internethandels kontinuierlich wächst und dieser vor allem zentrenrelevante Sortimente vertreibt.373 Unter verringerter Gesamtkaufkraft wird dem Innenstadthandel ein kleinerer Anteil der Kaufkraft zu fallen, als nach den gemeindlichen Kalkulationen zur Aufrechterhaltung des gewünschten Einzelhandelsniveaus notwendig ist. Insbesondere das Elektroniksegment wird durch den Internethandel dominiert und ist aus deutschen Innenstädten weitgehend verschwunden. Die fehlende Maßgeblichkeit für den nichtstationären Versandhandel erweist sich als „offene Flanke“ der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung. d) Viertes Szenario: Nachbargemeinde lässt größere Einkaufsparks zu Das vierte Szenario beginnt mit derselben Ausgangsstellung: Die Gemeinde hat den „Kaufkraftkuchen“ so zwischen Einkaufsparks und gewachsenen Zentren aufgeteilt, wie sie es im Ergebnis für angemessen hält. Diese Aufteilung würde gestört, sobald eine nahegelegene Nachbargemeinde beschließt, weitere Einkaufsparks mittels Sondergebietsausweisungen zuzulassen, deren Einzugsbereich sich auf die Ausgangsgemeinde erstreckt. Besonders kleinere Gemeinden haben ein Interesse daran, denn sie erhalten auf diesem Weg höhere Gewerbesteuereinnahmen, wenngleich auf Kosten der Kaufkraft ihres größeren Nachbarn. Sie können durch Zulassung von Einkaufsparks einen Teil der Kaufkraft der Ausgangsgemeinde abschöpfen. Dadurch stören sie allerdings die Kaufkraftaufteilung zwischen gewachsenen Zentren und Einkaufsparks, welche die Ausgangsgemeinde vorgenommen hat. Wegen des geringeren Umsatzes werden die gewachsenen Zentren mit ihrem Angebotsniveau das Plan-Soll nicht mehr erreichen.
372
Mattmüller (1994), S. 35 f. Vgl. Fn. 365; wie die Innenstädte, so erzielt auch der interaktive Versandhandel mit dem Vertrieb von Bekleidung seinen größten Umsatz, nämlich 12,12 Mrd. € im Jahre 2015, siehe Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (2015); ähnlich KPMG (2012), S. 20. 373
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
aa) Das Problem zwischengemeindlichen Regulierungswettbewerbs Die Möglichkeit, dass die eigenen Wirtschaftspläne durch die Pläne einer Nachbargemeinde unterlaufen werden können, treibt den teleokratischen Regulierer in ein Dilemma. Zum einen will er die Kaufkraft im eigenen Gemeindegebiet halten. Andererseits beruhen aber alle Mechanismen der Einzelhandelssteuerung darauf, bestimmte Anpassungen der Pläne von Marktakteuren zu blockieren. Der Grund, weshalb die Kaufkraft nicht wie gewünscht in die gewachsenen Zentren, sondern in Einkaufsparks fließt, liegt darin, dass die Käufer diese Einkaufsparks vorziehen. Und der Grund, weshalb Unternehmer Einkaufsparks errichten, liegt darin, dass sie bemüht sind, den Verbrauchererwartungen entgegenzukommen. Will die Gemeinde sich diesen beiderseitigen Plänen entgegenstellen, so darf sie kein Schlupfloch offenlassen, durch das die Marktakteure ihre gemeinsamen Ziele erreichen könnten. Weil die Restriktionen durch die Betroffenen eben nicht gewollt sind, werden die Verbraucher und Einzelhändler immer dort die regulativ unerwünschte Transaktion durchführen, wo man die Restriktionen lockert. Zwischen zwei Gemeinden lässt dies einen Regulierungswettbewerb entstehen, sobald sie sich nicht unter einander auf ein einheitliches Restriktionsniveau einigen können. Um Erfolg in diesem Regulierungswettbewerb zu erreichen, müssen Regulierungen immer so erfolgen, dass sie den Plänen der Marktakteure größtmöglich entgegenkommen. Dadurch wird jede Mischordnungsplanung erschwert. Will ein Investor einen Einkaufspark errichten, so kann er mit der Drohung, zur Nachbargemeinde auszuweichen, ein planerisches Entgegenkommen erzwingen.374 Auch Hayek sieht, dass sich zwischen lokalen Körperschaften wie Gemeinden ein Regulierungswettbewerb ergeben kann. Den Wettbewerb privater Unternehmen sieht er nicht als die einzige spontane Ordnungskraft an. Er geht davon aus, dass auch diese spontane Ordnungskraft eine gedeihliche Wirkung hat. Schließlich sind die öffentlichen Körperschaften in diesem Regulierungswettbewerb gezwungen, Marktentwicklungen zu begleiten statt zu konterkarieren. Nur solange die Politik einer Gemeinde attraktiv für Bewohner und Unternehmer ist, werden diese sich in der betreffenden Gemeinde ansiedeln. Andernfalls ziehen sie zu attraktiveren Nachbargemeinden weiter. Um diesen Wettbewerb zu beflügeln, sollten im Sinne Hayeks Bauvorschriften gerade durch lokale statt durch zentrale Behörden erlassen werden. „Im Allgemeinen dürfte jedoch bei lokaler Festlegung der Regelung der Wettbewerb zwischen den lokalen Behörden schneller zur Aufhebung hinderlicher oder unvernünftiger Beschränkungen führen, als wenn die Vorschriften für ein ganzes Land oder ein großes Gebiet durch Gesetz einheitlich festgelegt werden.“375 374
Dazu Verband Region Stuttgart (2001), S. 101; Ahlert/Schröder (1999), S. 268. Hayek (1960/1991), S. 442; in der politischen Ökonomik wird dieser Mechanismus unter dem Stichwort „Exit or Voice“ diskutiert, vgl. z. B. Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 419 ff. 375
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bb) Nachkorrektur durch das Gebot interkommunaler Abstimmung Dies sieht der Gesetzgeber anders. Während man in den meisten Fällen über die Nachkorrektur der Mischordnungsregeln nur mutmaßen kann, hat der Gesetzgeber zur Vermeidung des beschriebenen Regulierungswettbewerbs bereits interveniert: Durch § 2 Abs. 2 BauGB werden Nachbargemeinden zu einer interkommunalen Abstimmung verpflichtet. Sie müssen auf dem Markt der Angebotsplanungen eine Art Kartell bilden, statt miteinander in einen Wettbewerb zu treten. Das Gebot interkommunaler Abstimmung nach § 2 Abs. 2 BauGB verlangt von einer Gemeinde, die Interessen anderer Gemeinden in ihren Abwägungen zu berücksichtigen, sofern die Belange dieser Nachbargemeinde durch die Planungen „mehr als geringfügig“ betroffen sind (andernfalls wäre die Planung abwägungsdefizitär). Bei der Betroffenheit geht es stets um Kaufkraftabzüge, welche die Zulassung von Einzelhandelsvorhaben im eigenen Gebiet veranlasst. Die Grenzen des Planungsspielraums (Abwägungsdisproportionalität) werden erst überschritten, sobald die Beeinträchtigung „rücksichtslos“ erfolgt. Während für die Planungserheblichkeit allein der Grad der Betroffenheit (etwa zehn Prozent Kaufkraftabzug376) maßgeblich ist, hängen die Grenzen des Planungsspielraums weiterhin davon ab, ob die planende Gemeinde eigene Interessen geltend machen kann, die eine Beeinträchtigung rechtfertigen. Auch bedarf es für rücksichtslose Planungen eines weitaus stärkeren Kaufkraftabzugs. Solange eine Gemeinde die Interessen der Nachbargemeinde nur in ihre Abwägung einbeziehen muss, bereitet das kaum Probleme. Doch müssen im Wettbewerb befindliche Pläne darüber hinaus soweit in Übereinstimmung gebracht werden, dass ihr Verhältnis nicht als „rücksichtslos“ zu bewerten ist. Hierbei handelt es sich um die Konturen eines Wettbewerbsergebnisses. Wenn eine Gemeinde durch Bauleitpläne bestimmte Einzelhandelsbetriebe zulässt, ist die dadurch veranlasste Wettbewerbskausalität planmäßig nachzuvollziehen und vom Ergebnis her zu bewerten. Der Bauleitplan wäre rechtswidrig, wenn er den Wertungen dieser Wirtschaftsplanung widerspricht. Nach der Regelungsstruktur des § 2 Abs. 2 BauGB fällt die Planung solcher zwischengemeindlichen Wettbewerbskausalitäten der Rechtsprechung zu. Wie im zweiten Kapitel beschrieben377 muss diese Aufgabe die Rechtsprechung überfordern. Über die relative Wichtigkeit der Wirtschaftspläne zweier Gemeinden kann nämlich nicht nach einer allgemeinen Regel entschieden werden. An den gemeindlichen Wirtschaftsplänen hängen wiederum die Wirtschaftspläne zahlloser Verbraucher und Unternehmer und deren Inhalt und Verflechtung muss von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich ausfallen. Wollte man den Inhalt aller dieser Pläne auf der Tatbestandsseite gewichten und abwägen – und dies wäre notwendig, 376
Vgl. Fn. 186. Vgl. Kapitel 2 B. IV. 2. b) bb) (4).
377
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
um in der Rechtsfolge zu einer Abwägungsdisproportionalität und schließlich der Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans zu gelangen – müsste man ein umfassendes Wissen über den Inhalt der komplexen spontanen Ordnung haben. Den Ausweg aus diesem Problem kann nur eine typisierte Betrachtungsweise bieten. Diese Arbeit geht von der These aus, dass jede Typisierung eine Fehlsteuerung veranlasst. Da weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur Vorschläge für eine Typisierung entwickelt wurden, soll das Problem an dieser Stelle jedoch nicht weiter erörtert werden. Seit der Baurechtsnovelle von 2004 verweist der Tatbestand des § 2 Abs. 3 BauGB auf die den Gemeinden durch „Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen“ und somit auf das System zentraler Orte. Inwieweit dies die Auslegung erleichtert, soll vorerst offenbleiben – auf das System zentraler Orte wird an späterer Stelle eingegangen.378
VI. Zusammenfassung: Die Wirkung einzelhandelssteuernder Bauleitpläne Durch einzelhandelssteuernde Bauleitpläne wird eine Mischordnung aus Teleokratie und Marktwirtschaft begründet. Die Gemeinde will Nahversorger in Wohnquartieren erhalten, um die Einkaufswege für immobile Verbraucher und den Schadstoffausstoß der mobilen zu verringern. Außerdem will sie vermeiden, dass der Einzelhandelsbestand ihrer gewachsenen Zentren sinkt. Ließe man den Einzelhandel überall dort zu, wo er keine gebietsunverträglichen Störungen verursacht, so würde der Wettbewerb diese Ziele voraussichtlich nicht verwirklichen. Besonders wegen der zunehmenden Motorisierung der Bevölkerung gelten viele Nahversorger in Wohnquartieren nicht mehr als wettbewerbsfähig. Außerdem befürchtet man, dass Innenstädte und andere gewachsene Zentren im Wettbewerb mit einer wachsenden Zahl von Einkaufsparks veröden. Deshalb versucht die Gemeinde, diese Wettbewerbskausalitäten umzulenken. Dazu muss sie die Konkurrenten der von ihr favorisierten Betriebe schwächen oder zahlenmäßig reduzieren. Dies gelingt durch Ausschlussplanungen mit wettbewerbssteuernder Zielsetzung. In diesem Kapitel wird davon ausgegangen, dass im Wettbewerb gewachsene Effizienz zentral geplanter Effizienz überlegen ist. Durch die Ausschlussplanungen muss also die Effizienz verringert werden. Doch nicht nur das: Die Interventionen führen in ein Trilemma. Einerseits ist der Ausstieg aus der Mischordnung nur zum Preis eines erheblichen Marktungleichgewichts möglich. Werden Betriebe im Wettbewerb verdrängt, so ist dies ein Anpassungsprozess, der auf ein Marktgleichgewicht zuläuft. Verhindert man durch Ausschlussplanungen eine solche Anpassung, so kann sie sich nicht schrittweise vollziehen. Sie wird aber sprungartig nachgeholt, sobald man die Ausschluss
378
In diesem Kapitel, nämlich in Abschnitt D.
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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planungen wieder beseitigt, und dabei alle Betriebe gefährden, die nicht dem Gleichgewichtsniveau entsprechen. Andererseits können Ausschlussplanungen das Planungsziel nicht dauerhaft aufrechterhalten. Im Ideal setzt die Gemeinde ihre Ausschlussplanungen nur so weit ein, dass der Umsatz der geschützten Nahversorgungs- und Innenstadtbetriebe deren Betriebskosten abdeckt und sie allenfalls einen Minimalgewinn erzielen. Jede weitergehende Ausschlussplanung würde unnötige wirtschaftliche Schäden anrichten. Diese Idealdosierung kann aber keinen dauernden Bestand haben. Bei Veränderung bestimmter Marktumstände geht ihre Balance verloren und den geschützten Betrieben droht der Untergang. Das angestrebte Planergebnis würde verfehlt, die einzelhandelssteuernden Regeln wären funktionslos. Innerhalb des Regelsystems der Mischordnung muss nachkorrigiert werden. Soll das Planergebnis weiterhin erreicht werden, müssen diese Nachkorrekturen in einer Ausweitung der Teleokratie und einer Behinderung der Konkurrenz bestehen. Die Behinderung der Konkurrenz bedeutet dabei zugleich, dass weitere Marktanpassungen verhindert werden und sich die Effizienz der Gesamtordnung weiter verringert.
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich Im unbeplanten Bereich ist der Einzelhandel drei Arten von Restriktionen ausgesetzt: Im unbeplanten Außenbereich ist großflächiger Einzelhandel im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO generell ausgeschlossen, weil die Rechtsprechung von einem unbeschriebenen öffentlichen Belang des „Planungsbedarfs“ ausgeht, den er beeinträchtigt. Im unbeplanten Innenbereich reglementiert § 11 Abs. BauNVO ebenfalls den großflächigen Einzelhandel, sobald ein faktisches Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB vorliegt. Wichtigste Vorschrift ist § 34 Abs. 3 BauGB, welcher Vorhaben verhindert, die schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche entfalten. Verzichtet die Gemeinde auf Bauleitplanungen, so sind Einzelhandelsvorhaben im Innenbereich grundsätzlich überall dort zulässig, wo sie sich in die nähere Umgebung einfügen. Jedoch gelten Planersatzvorschriften, die – wie sogleich gezeigt werden wird – ebenfalls auf konkrete Marktergebnisse zielen und daher ein Mischordnungssystem erzeugen. Wie die Gemeinde bei der bauleitplanerischen Umsetzung von Einzelhandelskonzepten sollen auch die Planersatzvorschriften die Nahversorger und gewachsenen Zentren erhalten. Während die Gemeinde allerdings ihre Bauleitpläne auf die ihr eigentümlichen Besonderheiten zuschneidet und bei Bedarf nachträglich anpassen kann, haben die Planersatzregeln für jede Gemeinde und zu jeder Zeit denselben Inhalt. Gelingt es diesen Regeln nicht, die gewünschten Marktergebnisse zu veranlassen, kann die Gemeinde das Regelsystem durch Bauleitplanung nachkorrigieren. Bei Geltung eines qualifizierten Bebauungsplans kämen die §§ 34, 35 BauGB nicht mehr zur Anwendung.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
I. Steuerungswirkung des § 34 Abs. 3 BauGB § 34 Abs. 3 BauGB ist die wichtigste Planersatzvorschrift. Während § 11 Abs. 3 BauNVO die gängigen Discounter379 nicht erfasst und erfassen soll und daher nicht auf eine Steuerung der Nahversorgung zielt, sind die durch § 34 Abs. 3 BauGB geschützten „zentralen Versorgungsbereiche“ nach herrschender Meinung380 auch Nahversorgungszentren. Beide Vorschriften überschneiden sich insofern funktional, als sie dem Erhalt größerer gewachsener Zentren dienen. Im Folgenden wird das Mischordnungsproblem anhand von § 34 Abs. 3 BauGB nachvollzogen. 1. Positives Planergebnis und das Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs § 34 Abs. 3 BauGB verhindert Vorhaben, die „schädliche Auswirkungen“ auf „zentrale Versorgungsbereiche“ entfalten. In dieser Formulierung steckt das Wettbewerbsergebnis, welches durch einen positiven Plan herbeigeführt werden soll: der Bestand zentraler Versorgungsbereiche. Die Regel erfasst prinzipiell alle gewachsenen Zentren. Diese sind stets groß genug, um als zentrale Versorgungsbereiche zu gelten. Ihren Hauptanwendungsfall hat sie aber im Schutz kleinerer Nahversorgungszentren. Während die Gemeinde durch Bauleitplanung auch isolierte Nahversorger in Wohnquartieren schützen kann, gelten diese erst dann als zentrale Versorgungsbereiche, sobald sich um sie ein erheblicher Bestand weiterer Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe gruppiert hat. Um ihre Nahversorgungsfunktion auch zu erfüllen, müssen sich die Nahversorgungszentren in einer integrierten Lage befinden. Isolierte Zentren, die nur mit dem PKW erreichbar sind, werden nicht erfasst.381 Genauso wie Gemeinden, die einzelhandelssteuernde Bauleitplanung betreiben, erwartet der Gesetzgeber vom interventionsfreien Wettbewerb, dass er die Nahversorger in den Quartieren und die gewachsenen Zentren schädigt und deshalb das positive Planergebnis nicht von selbst erreicht. So soll vermieden werden, dass moderne Vollsortimenter und Discounter an zentralen Straßenlagen die quartiereigenen Nahversorger verdrängen. Ebenso befürchtet man, dass die Konkurrenz großer Einkaufsparks die gewachsenen Zentren veröden lässt.
379
Siehe Fn. 27. Siehe Fn. 23. 381 Siehe Fn. 37. 380
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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2. Geplante Wettbewerbskausalität Der Gesetzgeber hat es sich leicht gemacht. Er verbietet mit § 34 Abs. 3 BauGB alle Vorhaben, die schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche und somit das geplante Marktergebnis erwarten lassen. Konnten die zentralen Versorgungsbereiche bisher am Markt überleben, so muss der Markteintritt aller Konkurrenten verhindert werden, welche ihnen den Kundenstamm in einem Umfang abwerben würden, der eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Was auf den ersten Blick konsequent und unkompliziert erscheint, reicht auf den zweiten Blick die Herausforderung, den Markt zu steuern, mit Hilfe von unbestimmten Rechtsbegriffen an die Verwaltung und die Rechtsprechung weiter.382 Sie stehen vor der Herausforderung, die maßgeblich Erheblichkeitsschwelle zu bestimmen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Rechtswissenschaft Kriterien finden und etablieren wird, mit denen sich alle Vorhaben identifizieren lassen, die das geplante Wettbewerbsergebnis sabotieren würden. Die Gerichte müssen bei der Vorhabenzulassung eine Marktaufteilung konzipieren, deren innerer Kausalablauf die zentralen Versorgungsbereiche am Leben erhält. Es versteht sich dabei von selbst, dass die Gerichte so viele Vorhaben zulassen sollen, wie es ohne Gefährdung der zentralen Versorgungsbereiche möglich ist. 3. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung Solange nicht feststeht, wie die Gerichte den Begriff der „schädlichen Auswirkungen“ auslegen werden, lässt sich über die Einzelheiten des Marktungleichgewichts, welches sich bei Aufhebung des § 34 Abs. 3 BauGB einstellte, nur mutmaßen. Allgemein lässt sich aber folgendes sagen: Relevant wird § 34 Abs. 3 BauGB nur, wenn er den Markteintritt von Betrieben auf Gleichgewichtsniveau verhindert, also von solchen Betrieben, die bei Zulassung erfolgreich gewirtschaftet hätten. Alle anderen Betriebe würden auch ohne § 34 Abs. 3 BauGB entweder gar nicht erst errichtet oder könnten am Markt nicht überleben. Wann immer ein Betrieb auf Gleichgewichtsniveau verhindert wird, bleibt eine Anpassung an das Marktgleichgewicht aus. Entweder findet der Markteintritt gar nicht statt, weil er unter den Restriktionen unzulässig ist oder nicht lukrativ erscheint, oder er muss auf Ungleichgewichtsniveau erfolgen, um das gesetzliche Verbot zu umgehen. Betriebe auf Ungleichgewichtsniveau bleiben lebensfähig, solange § 34 Abs. 3 BauGB auch die Konkurrenz daran hindert, sich an das Gleichgewichtsniveau anzupassen. Steigt man aber aus der Mischordnung aus, werden die Anpassungsdefizite zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen, welche die betroffenen Einzelhandelsbetriebe existenziell gefährden. 382 Schoen (2010), S. 2046; zu den daraus resultierenden Auslegungsproblemen in der Rechtswissenschaft vgl. Fn. 63.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
4. Nachkorrekturbedarf im System der Mischordnung Sobald § 34 Abs. 3 BauGB sein positives Planergebnis nicht verwirklichen kann, wird es notwendig, die Regeln der einzelhandelssteuernden Mischordnung nachzukorrigieren. Wann eine solche Konstellation auftritt, lässt sich allerdings nicht allgemein beantworten, sondern hängt davon ab, wie der Begriff der „schädlichen Auswirkungen“ durch die Gerichte ausgelegt wird. Prinzipiell wäre es denkbar, dass eine Auslegungsvariante existiert, welche die gewünschten Marktergebnisse ausnahmslos in jeder Marktkonstellation garantieren kann. Diese Arbeit folgt der gegenläufigen These und behauptet, dass eine solche Auslegungsvariante nicht existiert.383 Um die These zu prüfen wird für die gängigen Auslegungsvarianten dargestellt, wie sich der Markt bei ihrer konsequenten Anwendung entwickelte. a) Minimalgewinngarantie durch Auslegung Zunächst wäre denkbar, eine „schädliche Auswirkung“ immer dann anzunehmen, wenn ein wesentlicher Teil der Betriebe eines zentralen Versorgungsbereichs bei Verwirklichung eines neuen Vorhabens keinen Gewinn mehr erzielen könnte und unter die Verlustgrenze fiele. Der Gedanke, dass schädliche Auswirkungen umso eher angenommen werden müssen, umso geringer die Gewinnspanne des zentralen Versorgungsbereiches ist, wird insofern durch die Rechtsprechung anerkannt, als sie dessen „Vorschädigungen“ berücksichtigen will.384 Durch die Auslegung müsste ein Minimalgewinn garantiert werden, führte man diesen Gedanken zu Ende. Diese Auslegungsvariante erscheint deshalb konsequent, weil nur so die Erhaltung eines jeden zentralen Versorgungsbereichs sichergestellt werden könnte. Erzielt der Zentrale Versorgungsbereich nur noch den Minimalgewinn, so stünde er an der Grenze zum „bis hier hin und nicht weiter“. Jedes neue Vorhaben, von dem nunmehr ein auch noch so geringer Kaufkraftabzug zu erwarten wäre, müsste verhindert werden. Es leuchtet jedoch ein, dass die Verbotswirkung des § 34 Abs. 3 BauGB ausufern muss, sobald ein zentraler Versorgungsbereich erst einmal an die Grenze zum Minimalgewinn getrieben wurde. Schließlich bewegen sich die meisten Verbraucher im gesamten Gemeindegebiet und führen überall irgendwann einmal Gelegenheitseinkäufe durch. Dies gilt vor allem für motorisierte und deshalb überaus bewegliche Verbraucher. Selbst wenn Betriebe, die weit voneinander entfernt liegen, nur geringfügige Auswirkungen aufeinander erwarten lassen – irgendeine Veränderung der Kaufkraftverteilung wird es fast immer geben. Steht ein zentraler Versorgungsbereich erst einmal an der Verlustgrenze, muss der gemeindliche Markt daher vollständig abgeschottet werden. Dies führt zu absurden 383
Vgl Kapitel 2 Abschnitt B. 2. b) bb) (4). Siehe bereits Kapitel 1 Abschnitt B. I. 1. b).
384
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Konsequenzen: So könnte etwa ein Nebenzentrum, das an der Grenze zum Verlust steht, jedwede neue Vorhaben im Innenstadtzentrum blockieren. Womöglich müsste an anderer Stelle die Errichtung eines Nahversorgers innerhalb eines großen Wohnquartiers unterbleiben, weil in einem kleinen Nachbarquartier ein Nahversorger an der Verlustgrenze steht. Noch bedenklicher wird dieses Kriterium, weil es das schwächste Glied zum Maß erhebt: Die Missorganisation eines zentralen Versorgungsbereichs könnte die Genehmigung von Vorhaben in allen umliegenden zentralen Versorgungsbereichen blockieren. Deshalb ist der Preis dieser Auslegungsvariante ersichtlich zu hoch. Es versteht sich von selbst, dass der Gesetzgeber keine Totalabschottung des Marktes veranlassen wollte. b) Verkaufsflächenvergleich Ein anerkanntes Kriterium zur Bestimmung von schädlichen Auswirkungen ist der Vergleich von Verkaufsflächen.385 Verglichen werden dabei nur die Verkaufsflächen von Vorhaben, deren Einzugsbereiche sich überschneiden. Die Vorhaben müssen also Sortimente derselben Branche anbieten und dürfen nicht zu weit voneinander entfernt sein. Unklar bleibt aber, bis zu welchem Grad sich die Einzugsbereiche überschneiden sollen. Und offen bleibt ferner die Frage, welche Verhältnisse von Verkaufsflächenunterschieden „schädliche Auswirkungen“ erwarten lassen und daher zur Unzulässigkeit führen. Nahe läge eine Formel nach dem Prinzip: Je stärker sich die Einzugsbereiche decken, desto mildere Flächenrelationen reichen.386 Doch ist es unmöglich, dieser Formel einen klaren Grenzwert zu entnehmen. Die Feststellung, dass bestimmte Vorhaben auf den Kundenstamm eines zentralen Versorgungsbereichs zielen und womöglich noch eine besonders große Verkaufsfläche haben, sagt für sich genommen nichts aus. Ohne einen Grenzwert benennen zu können, ist das Kriterium des Verkaufsflächenvergleiches jedoch nicht anwendbar. Es ist lediglich geeignet, willkürlichen Entscheidungen den Schein dogmatischer Fundierung zu verleihen. c) Zehn-Prozent-Regel Das Schlüsselkriterium der meisten Entscheidungen ist die Prognose des zu erwartenden Kaufkraftabflusses. Prognostizieren verlässliche Marktgutachten, dass einem neuen Vorhaben mehr als zehn Prozent der Kaufkraft eines zentralen Versorgungsbereiches zufließen wird, so gilt dieses Vorhaben als unzulässig. Von Bedeutung ist dabei, dass eine schädigende Wirkung auf mehrere zentrale Versorgungs 385
Vgl. Fn 76, 77. So auch Kuschnerus (2007), Rn. 350.
386
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
bereiche nicht addiert wird. Für die Zulässigkeit kommt es deshalb nur auf den zentralen Versorgungsbereich an, dem der größte Schaden zugefügt wird. Ein Einzelhandelsbetrieb, der einer Vielzahl von zentralen Versorgungsbereichen jeweils 9 Prozent der Kaufkraft abzöge, wäre zulässig, ein Betrieb, der von einem einzelnen zentralen Versorgungsbereich zehn Prozent Kaufkraft abzöge, hingegen nicht.387 aa) Nahversorgung Das erste Marktergebnis, welches § 34 Abs. 3 BauGB herbeiführen soll, ist die Erhaltung und Ansiedlung von Nahversorgungszentren in den Wohnquartieren. Zuerst werden also die Auswirkungen von § 34 Abs. 3 BauGB auf die quartiereigene Nahversorger untersucht. (1) Erstes Szenario: unterversorgter Markt Zunächst wird von einem Szenario ausgegangen, in dem in einer größeren Gemeinde nur ein einziges Nahversorgungszentrum mit einem einzigen Nahversorgungsbetrieb in einer Randlage existiert. Alle Bewohner dieser Gemeinde müssten das Nahversorgungszentrum über große Distanzen hinweg aufsuchen, um sich zu versorgen, sie wäre somit massiv unterversorgt. Umgekehrt fließt die Kaufkraft der ganzen Gemeinde zu dem einzigen Nahversorgungsbetrieb, der dadurch weit überdurchschnittliche Umsätze erzielt. Wollte man nunmehr einen weiteren Nachversorgungsbetrieb auf der entgegengesetzten Randlage errichten, so wird er weitaus mehr als zehn Prozent vom Umsatz des zuvor einzigen Nahversorgungszentrums abziehen. Bei strenger Anwendung der Zehn-Prozent-Regel wäre ein solches Vorhaben unzulässig und daher dürfte der Markt die Unterversorgung nicht beseitigen. Statt die Nahversorgung zu stärken, hätte § 34 Abs. 3 BauGB den gegenläufigen Effekt: Die Bevölkerung müsste große Distanzen überwinden, um das einzige Nahversorgungszentrum zu erreichen. Geschützt werden nicht etwa kurze Einkaufswege, sondern die Gewinnspanne eines regionalen Monopolisten. Dieses Ergebnis lässt an der Sinnhaftigkeit der Vorschrift zweifeln. (2) Zweites Szenario: gesättigter Markt Die gegenwärtige Marktsituation im Einzelhandel ist eher gegenteilig, der Einzelhandelsmarkt ist weitgehend gesättigt.388 Die Expansion im Nahversorgungsbereich ist fast nur durch Verdrängungswettbewerb denkbar. Dies ist in einem 387
Kuschnerus (2007), Rn. 351. KPMG (2006), S. 51; Ahlert/Schröder (1999), S. 269.
388
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Extrembeispiel zu betrachten: Es wird von einer Einzelhandelsdichte ausgegangen, die so stark ist, dass sie die Kaufkraft der gesamten Gemeinde vollständig abschöpft und dass mit den dabei erzielten Umsätzen gerade alle Betriebskosten der einzelnen Betriebe gedeckt werden können. Nun fragt sich, wie unter solchen Bedingungen ein zulässiges Vorhaben errichtet werden kann, das sich auch wirtschaftlich trägt. Es müsste einen Umsatz erzielen, der mindestens seine Betriebskosten deckt, dürfte aber von einem einzelnen Nahversorgungszentrum niemals mehr als zehn Prozent von dessen Umsatz abziehen. Unter diesen Voraussetzungen könnte der neue Betrieb nur genug Kaufkraft anziehen, wenn er die Kaufkraft nicht von einem, sondern von zahlreichen über die Stadt verstreuten Nahversorgungszentren abzieht. Das wiederum ist nicht möglich, wenn er sich neben einem bestehenden wohnortnahen Betrieb ansiedelt und dessen Laufkundschaft abwirbt – denn dadurch würde er die Zehn-Prozent-Schwelle in Bezug auf diesen Betrieb überschreiten.389 Stattdessen müsste er sich aus einer Randlage heraus auf zahlreiche mobile Verbraucher ausrichten, die aus vielen Teilen der Stadt anfahren und dort von vielen verschiedenen Konkurrenzbetrieben abgeworben werden. Nur die Zielgruppe der mobilen Verbraucher ist nicht an ein Nahversorgungszentrum fest angebunden, so dass ihr Abzug dessen Schädigung bewirkte. Nur im Randbereich kann ein neuer Betrieb den Wettbewerbsdruck auf mehrere Zentren streuen. Spätestens wenn noch mehr Vorhaben dieser dezentralen Art verwirklicht würden, ginge den bereits bestehenden Nahversorgungszentren so viel mobile Kundschaft verloren, dass zumindest einige den Betrieb einstellen müssten. Auch in dieser Konstellation wäre das durch § 34 Abs. 3 BauGB veranlasste Ergebnis geradezu gegenläufig zum angestrebten Marktergebnis: Statt Einzelhandelsvorhaben in fußläufig erreichbare Nähe zu den Anwohnern zu steuern, werden sie in periphere Randlagen gedrängt, die nur für mobile Nachfrager attraktiv sind. Wünschenswert wäre es demgegenüber, dass moderne Nahversorger zwar veraltete Betriebsformen verdrängen, sich dabei aber in der Nähe von Wohnquartieren ansiedelten. Durch § 34 Abs. 3 BauGB wird das regelmäßig untersagt. (3) Drittes Szenario: Marktentwicklungen, die nicht nach § 34 Abs. 3 BauGB genehmigungsbedürftig sind Im Übrigen gibt es eine Reihe von Marktentwicklungen, die keiner baurechtlichen Genehmigung bedürfen und daher nicht auf Grundlage von § 34 Abs. 3 BauGB verhindert werden können. Hierbei handelt es sich um die unter Abschnitt B. V. 1. skizzierten Entwicklungen, die auch beim Nahversorgungsschutz durch Bauleitplanungen eine Nachkorrektur des Regelsystems verlangen. Selbst wenn es durch Anwendung von § 34 Abs. 3 BauGB gelänge, bei einer Marktaufteilung, 389 Beispielhaft als ausdrückliche Begründung der Unzulässigkeit durch das VG München, siehe Urteil vom 26.09.2011 – M 8 K 10/243.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
unter der alle quartiereigenen Nahversorger lebensfähig sind, jeden weiteren Marktzugang zu blockieren, wäre das Ergebnis nicht statisch. Nicht genehmigungsbedürftige Marktentwicklungen würden dazu führen, dass diese Marktaufteilung keinen dauerhaften Bestand haben könnte. Nimmt der PKW-Besitz in dem maßgeblichen Quartier zu, so wird ein veralteter Nahversorger verstärkt Umsatz an modernere Konkurrenzbetriebe verlieren. Ebenso verliert er an Umsatz, sobald von Seiten der Quartierbewohner generell weniger Geld im Einzelhandel ausgegeben wird – sei es wegen einer Abnahme der Bevölkerung, einer stärkeren Nutzung des Versandhandels, eines besonderen Sparverhaltens oder einer Quartiersverarmung. In allen diesen Fällen kann § 34 Abs. 3 BauGB es nicht verhindern, dass der Nahversorger unter die Verlustgrenze getrieben wird. Außerdem sollen bei der Auswirkungsprognose Einflussfaktoren nicht berücksichtigt werden, die als nicht baurechtsrelevant gelten.390 Zahllose Feinheiten, die im Rahmen von Management und Missmanagement entschieden werden, kann § 34 Abs. 3 BauGB nicht blockieren – sie haben aber erhebliche Auswirkungen auf den Erfolg der Betriebe. (4) Zusammenfassung: Auswirkungen einer Zehn-Prozent-Regel auf die quartiereigene Nahversorgung In der Zusammenfassung muss bezweifelt werden, dass Einzelhandelsbetriebe wirksam in die Wohnquartiere gesteuert werden, wenn man den Begriff der „schädlichen Auswirkungen“ als eine Umsatzumverteilung von zehn Prozent versteht. In vielen Konstellationen konterkariert § 34 Abs. 3 BauGB aber seine eigene Zielsetzung: Zum einen begünstigt die Vorschrift die Streuwirkung von Kaufkraftabflüssen und dadurch Einzelhandelsbetriebe, die sich allein an motorisierte Kundschaft richten. Zum anderen muss jede Zugangsbeschränkung zum Markt die Gesamtzahl an Einzelhandelsbetrieben verringern und deshalb das Netz an Nahversorgern ausdünnen. Dabei zielt die Vorschrift keinesfalls darauf, die Gesamtzahl an Betrieben zu maximieren – wenn nämlich ein Kaufkraftabzug von zehn Prozent verhindert wird, so geschieht dies unabhängig davon, ob das betroffene Nahversorgungszentrum existenziell oder nur in seiner Gewinnmarge beeinträchtigt wird. Schließlich hängt das Überleben bereits bestehender zentraler Versorgungsbereiche nicht allein davon ab, ob weitere Marktzutritte erfolgen, sondern es gibt eine Reihe weiterer Marktentwicklungen, die sie ebenfalls existenziell gefährden können.
390
Vgl. Fn. 75 und oben Abschnitt B. V.1.c).
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bb) Gewachsene Zentren und Zentrenästhetik Des Weiteren dient § 34 Abs. 3 BauGB dem Schutz gewachsener Zentren. Im Gegensatz zu kleinen Nahversorgungszentren erreichen diese Zentren weitaus größere Umsätze und werden umgekehrt auch nur durch besonders große Konkurrenzvorhaben bis über die zehn-Prozent-Schwelle geschädigt. Dass § 34 Abs. 3 BauGB in derartigen Fällen entscheidungsrelevant wird, ist in der Praxis eher selten.
(1) Erstes Szenario: Fließende Aushöhlung des Zentrenumsatzes Begreift man schädliche Auswirkungen als eine Umsatzumverteilung von zehn Prozent, können Vorhaben den Umsatz gewachsener Zentren Stück für Stück aushöhlen, solange sie nur nach einer Art „Salamitaktik“ vorgehen. Es ist möglich, Vorhaben im Einzugsbereich der Innenstadt zu errichten, die maximal einen Kaufkraftabzug von neun Prozent veranlassen. Die Zehn-Prozent-Hürde würde regelmäßig kein Problem darstellen, da der innerstädtische Umsatz in den meisten Gemeinden zunächst sehr groß ist. Würde ein solches Vorhaben verwirklicht, reduzierte sich der innerstädtische Umsatz um die besagten neun Prozent, welche nunmehr dem neuen Vorhaben zuflössen. Solange der Innenstadt und den auf diese Weise nach und nach neu errichteten Vorhaben jeweils nicht mehr als neun Prozent ihres Umsatzes abgeworben wird, sind immer weitere Vorhaben zulässig. Dieser Prozess kann sich innerhalb des Zehn-Prozent-Schematismus unbegrenzt fortsetzen. während der Umsatz des gewachsenen Zentrums immer weiter schrumpft. § 34 Abs. 3 BauGB könnte den Untergang des gewachsenen Zentrums nicht verhindern, nur verzögern.
(2) Zweites Szenario: Einheitlich geplanter zentraler Versorgungsbereich sperrt gewachsene Zentren Die zweite Schwäche von § 34 Abs. 3 BauGB liegt darin, zwar auf den Schutz einer gewachsenen Ästhetik zu zielen, aber alle zentralen Versorgungsbereiche unabhängig von ihrer Ästhetik zu erfassen. Auch Einkaufsparks können die Qualität eines zentralen Versorgungsbereichs erlangen. Erforderlich ist dazu nur, dass sie eine städtebaulich integrierte Lage aufweisen. Eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus wird ihnen immer zukommen. Es wird aber nicht verlangt, dass sie in irgendeiner Form „gewachsen“ sind und damit die besondere Ästhetik gewachsener Zentren aufweisen, die eigentliches Schutzgut ist. Wenn aber ein zentraler Versorgungsbereich ohne Nahversorgungsfunktion und ohne besonderen ästhetischen Wert geschützt wird, so ist die Verhinderungswirkung des § 34 Abs. 3 BauGB funktionslos. Die Regel kann in diesen Fällen ihr eigentliches Schutzziel sogar konterkarieren. Ein kleiner Einkaufspark neben einem großen gewachsenen Zentrum wie der
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
Innenstadt erhält prinzipiell einen stärkeren Schutz – wegen seines geringeren Umsatzes würde eine Schädigungsschwelle von zehn Prozent Kaufkraftabzug schneller überschritten. Balanciert also § 34 Abs. 3 BauGB den Wettbewerb zwischen der Innenstadt und einem kleineren nahegelegenen Einkaufspark aus, der als zentraler Versorgungsbereiche anerkannt wird, so begünstigt die Vorschrift letzteren. Größere Vorhaben in der Innenstadt würden blockiert, so etwa, wenn innerhalb der Innenstadt ein großes Kaufhaus oder ein Einkaufszentrum mit Magnetfunktion angesiedelt werden soll. Größere Erweiterungen des Einkaufsparks erfasste § 34 Abs. 3 BauGB dagegen regelmäßig nicht. Der Umsatz der Innenstadt wäre in den meisten Fällen zu groß, als dass die Zehn-Prozent-Schwelle überschritten würde. Zwar wären die Betreiber von Einkaufsparks nicht antragsbefugt und könnten Baugenehmigungen von Großvorhaben in der Innenstadt nicht auf § 34 Abs. 3 BauGB gestützt anfechten.391 Die Gemeinden könnten ihre Innenstädte faktisch sehenden Auges in die Illegalität erweitern. Doch wäre eine solche Praxis rechtsstaatlich schwer erträglich. (3) Drittes Szenario: Verlust der kulturell-ästhetischen Qualität der gewachsenen Zentren im Binnenwettbewerb § 34 Abs. 3 BauGB schützt zentrale Versorgungsbereiche nicht vor sich selbst. Ebenso wie die Bauleitplanung kann die Regel nicht verhindern, dass sich Betriebsfilialen großer Ketten innerhalb der Innenstädte ausbreiten und die gewachsene Vielfalt der Angebotsformen verdrängen. Auf lange Sicht verlören die gewachsenen Zentren einen großen Teil ihres kulturell-ästhetischen Sonderwertes. Das regulativ gewünschte Planergebnis wäre beeinträchtigt. Diese Entwicklung hat sich bereits bundesweit realisiert. (4) Viertes Szenario: Marktentwicklungen, die nicht nach § 34 Abs. 3 BauGB genehmigungsbedürftig sind Auch beim Schutz gewachsener Zentren sind Marktentwicklungen denkbar, die keiner baurechtlichen Genehmigung bedürfen und daher nicht auf Grundlage von § 34 Abs. 3 BauGB verhindert werden können. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die einzelhandelsrelevante Kaufkraft insgesamt verringert. Wäre es auf Grundlage von § 34 Abs. 3 BauGB gelungen, die Markanteile der gewachsenen Zentren und Einkaufsparks im Verhältnis zueinander auszubalancieren, so könnte diese Balance unter sich verringernden Gesamtumsätzen nicht mehr aufrechterhalten werden. Bei fallender Kaufkraft setzte ein Verdrängungswettbewerb ein, der sich leicht zulasten der gewachsenen Zentren 391
Vgl. Kapitel 1 B. IV.
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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auswirkt. Eine ähnliche Wirkung hätten Planungsentscheidungen der Nachbargemeinde, unter denen Einzelhandelsvorhaben in größerem Umfang zulässig sind. Zwar könnte die Ausgangsgemeinde Baugenehmigungen der Nachbargemeinden auf Grundlage von § 34 Abs. 3 BauGB anfechten, solange diese Vorhaben im unbeplanten Bereich verwirklicht werden sollen. Doch gegen qualifizierte Bauleitpläne böte lediglich das Gebot interkommunaler Abstimmung Schutz, dessen Schwellenwerte weitaus höher liegen. (5) Zusammenfassung: Auswirkungen einer Zehn-Prozent-Regel auf die gewachsenen Zentren § 34 Abs. 3 BauGB kann große Innenstädte kaum schützen, sollte man den Begriff der schädlichen Auswirkungen als zehn Prozent Kaufkraftabfluss definieren. Der Gesamtumsatz der Innenstadt ist meist so groß, sodass von einzelnen Einkaufsparks eine Umsatzumverteilung von über zehn Prozent nicht zu erwarten ist. Sobald die ersten kleinen Einkaufsparks zugelassen wurden, muss die Wirkung der Regel streng genommen in ihr Gegenteil umschlagen, sollten die Einkaufsparks eine integrierte Lage aufweisen und deshalb zentrale Versorgungsbereiche darstellen: Sie wären vor dem innerstädtischen Handel zu schützen. Zugleich kann § 34 Abs. 3 BauGB vielen Entwicklungen nicht entgegenwirken – entweder, weil sie keiner Baugenehmigung bedürfen oder weil sie als Bauvorhaben die Ästhetik zentraler Versorgungsbereiche von innen bedrohen. cc) Ergebnis: Steuerungswirkung der Zehn-Prozent-Regel Die Prognose von Kaufkraftabflüssen und ihre Bewertung anhand einer ZehnProzent-Regel ist das wichtigste und praktikabelste Kriterium, um schädliche Auswirkungen zu bestimmen. Doch zeigt sich, dass die Regel nicht bloß ungeeignet ist, jedwede Entwicklung zu blockieren, die das gewünschte Planergebnis gefährdet. In vielen Konstellationen wird sie das Planergebnis sogar konterkarieren, indem die Regel Vorhaben innerhalb von Wohnquartieren oder gewachsenen Zentren verhindert und sie in unerwünschte Lagen steuert. Dieses Ergebnis ist unbefriedigend: Der Sinngehalt von Mischordnungsinterventionen ist für sich genommen bereits höchst zweifelhaft. Nicht nur werden bei dem Versuch, ein Wettbewerbsergebnis zu erzwingen, Marktanpassungen verhindert und die Effizienz der Wirtschaftsordnung bedroht. Von § 34 Abs. 3 BauGB ist ferner zu erwarten, dass die Vorschrift in zahlreichen Marktkonstellationen die gewünschten Wettbewerbsergebnisse nicht einmal begünstigt und sogar behindert. So ist die Vorschrift – in der Zehn-Prozent-Auslegung – weder effizient noch mit Blick auf das Planergebnis effektiv.
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d) Lösung des Problems durch materielle Auslegung? Mit Blick auf all diese Probleme erscheint zweckmäßig, dass die Rechtsprechung alle Fehlsteuerungen durch eine Art „materielle“ Auslegung selbst korrigiert. Sie müsste dazu stärker auf das Planergebnis und damit den Sinn und Zweck des § 34 Abs. 3 BauGB blicken und sich weniger am Wortlaut der Vorschrift orientieren. § 34 Abs. 3 BauGB hat zwei zentrale Schutzgüter: Einerseits soll er die verbrauchernahe Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs innerhalb der Wohnquartiere schützen, anderseits dient er der Erhaltung historisch gewachsener Stadtzentren mit besonderem ästhetischen Wert. Im Übrigen ist ein weitgehend offener Marktzugang wünschenswert. Schließlich erbringt jeder Einzelhandelsbetrieb, der am Markt lebensfähig ist, Leistungen, die von einer erheblichen Verbraucherzahl genutzt werden. Will man diese drei Werte maximieren, erscheint eine fließende ökonomische Abwägung am Einzelfall zweckmäßiger als unflexible Kriterien wie „zentraler Versorgungsbereich“ oder „schädliche Auswirkungen“, die man nur mit „ja“ oder „nein“ beantworten kann. Lösten sich die Gerichte von der starren Subsumtion unter solche Begrifflichkeiten, dann könnten sie abwägen, welches Gewicht der Nahversorgungsfunktion eines alten Vorhabens zufällt, das durch ein neues Vorhaben gefährdet wird, oder welcher ästhetische Schaden einem gewachsenen Zentrum durch ein neues Vorhaben droht. Unter besonderer Berücksichtigung des Nahversorgungsinteresses und der Einkaufsästhetik würden sie bei zu erwartendem Verdrängungswettbewerb entscheiden müssen, ob das neue Vorhaben oder die alten Betriebe wertvoller sind. Die oben beschriebenen Probleme löste eine wertende Auslegung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls. Es erschließt sich jedoch von selbst, dass eine gerichtliche Wirtschaftsplanung solcher Art vollkommen unberechenbar ausfallen muss. Dies beginnt bereits bei dem Problem, ein Nahversorgungsinteresse, ein ästhetisches Interesse und zahlreiche sonstige Verbraucherinteressen relativ zu gewichen, zumal diese Gewichtung nur am Einzelfall erfolgen kann. Hinzu käme eine umfassende und langfristige Prognose aller wirtschaftlichen Folgen einer jeden Genehmigung, einschließlich der Managementqualität der Betreiber, Bevölkerungsentwicklungen, Kaufkraftentwicklungen und der Entwicklung des Nachfragerverhaltens. Keine dieser Prognosen könnte exakt ausfallen, weil die meisten Wirkungszusammenhänge durch den „Nebel des Markts“ verdeckt, das heißt dem Gericht nicht bekannt sind. Das Gericht könnte sich willkürlich allein an jenen Zusammenhängen orientieren, die ihm zufällig bekannt sind. Dadurch erlangten die Gerichte eine Art Ermessen, das ihrer eigentlichen Funktion widerspräche. Weder könnten Entscheidungen sinnvoll durch eine höhere Instanz überprüft werden, noch könnte sich eine Judikatur herausbilden, die Genehmigungsentscheidungen vorhersehbar macht. Durch eine derartige materielle Auslegung ist also keine sinnvolle Lösung des Problems möglich.
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5. Zusammenfassung: Steuerungswirkung von § 34 Abs. 3 BauGB In vielen Konstellationen verursacht § 34 Abs. 3 BauGB Fehlsteuerungen, die durch Bauleitplanungen verhindert werden können. Dies gilt insbesondere, wenn § 34 Abs. 3 BauGB Vorhaben in Wohnquartieren und gewachsenen Zentren verhindert, Einkaufsparks zulässt und Nahversorger in die Peripherie treibt. In allen Fällen, wo es um solche Zulassungsentscheidungen geht, ist die Gemeinde in der Lage, eine Nachkorrektur durch Bauleitplanung vorzunehmen. Will sie ein Vorhaben aufhalten, das § 34 Abs. 3 BauGB zuließe, so kann sie eine Veränderungssperre festsetzen und das Gebiet nach § 9 Abs. 2a BauGB mit einem Einzelhandelsausschluss überplanen. Wird durch § 34 Abs. 3 BauGB der Einzelhandel in gewachsenen Zentren gestört, kann sie die Regel außer Kraft setzen, indem sie die gewachsenen Zentren als Kerngebiete festsetzt. Will sie Nahversorger zulassen, so genügt die Ausweisung eines Mischgebiets. Folglich ist § 34 Abs. 3 BauGB nur als provisorisches Steuerungsinstrument geeignet. Wann immer die Steuerung in eine falsche Richtung weist – und das ist in vielen Konstellationen zu erwarten – ist es aus Sicht der Gemeinde zweckmäßig, am Einzelfall durch Bauleitplanung nachzusteuern.
II. Steuerungswirkung des § 11 Abs. 3 BauNVO i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB Die zweite Vorschrift mit einzelhandelsteuernder Zielrichtung, die im unbeplanten Bereich zur Anwendung kommt, ist § 11 Abs. 3 BauNVO. Großflächige Einzelhandelsbetriebe sind außerhalb faktischer Kern- und Sondergebiete unzulässig. Zum einen findet die Vorschrift nach § 34 Abs. 3 BauGB im Innenbereich Anwendung, wenn dort die Bebauung ein faktisches Baugebiet bildet. Im diffusen Innenbereich sind hingegen großflächige Einzelhandelsvorhaben zulässig, solange sie sich in die nähere Umgebung einfügen. Im Außenbereich leitet sich aus den Wertungen des § 11 Abs. 3 BauNVO das ungeschriebene öffentliche Interesse des Planungsbedarfs ab, welches nach § 35 Abs. 2 BauGB großflächigen Vorhaben im Wege steht.392 Damit ist der Außenbereich für großflächige Einzelhandelsvorhaben gesperrt.
392
Vgl. Fn. 56.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
1. Positives Planergebnis und das Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs § 11 Abs. 3 BauNVO dient der Verhinderung von Einkaufsparks mit zentrenrelevanten Sortimenten. Positives Planergebnis ist die Erhaltung von Einzelhandelsbetrieben innerhalb der Innenstädte und anderer gewachsener Zentren. Geschützt werden sie vor einer Konkurrenz durch großflächige Einkaufsparks. § 11 Abs. 3 BauNVO verhindert großflächigen Einzelhandel auch in Misch-, Gewerbeund Industriegebieten, obwohl er dort im Regelfall keine gebietsunverträglichen Störungen verursachen würde. Denn man befürchtet, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe sich so stark über das Gemeindegebiet ausbreiten würden, ließe man sie überall im Rahmen der Gebietsverträglichkeit zu, dass die Innenstädte unter dem Wettbewerbsdruck verödeten. Auf den Handel mit Gütern des täglichen Bedarfs und sperrigen Gütern, die in den gewachsenen Zentren ohnehin nicht vertrieben werden können, soll § 11 Abs. 3 BauNVO dagegen keinen Einfluss haben.393 Die Regel zielt auf eine Balance zwischen Zentrenerhaltung und Marktöffnung. 2. Geplante Wettbewerbskausalität Innerhalb von Kerngebieten sind großflächige Einzelhandelsbetriebe uneingeschränkt zulässig. Solange die gewachsenen Zentren faktische und beplante Kerngebiete darstellen, bereitet ihnen § 11 Abs. 3 BauNVO keinerlei Hindernisse. Dagegen sind schwerlich faktische Kerngebiete denkbar, die keine gewachsenen Zentren sind. Wollen Konkurrenzvorhaben aus der Peripherie heraus in den Wettbewerb mit dem Einzelhandel dieser Kerngebiete treten, darf ihre Verkaufsfläche wegen § 11 Abs. 3 BauNVO grundsätzlich 800 m² nicht überschreiten. Deshalb ist es nicht zulässig, große Einkaufsparks einfach „auf der grünen Wiese“ vor der Stadt zu errichten. Den Marktzutritt kleinerer Betriebe duldet die Vorschrift. Kleinere Betriebe verfügen über geringere Rationalisierungspotentiale, die der Einzelhandel gewachsener Kernbereichszentren mangels Verkaufsflächenbegrenzung uneingeschränkt nutzen kann. Sie unterliegen dadurch einem künstlichen Wettbewerbsnachteil, der es ihnen erschwert, den Einzelhandel gewachsener Zentren zu verdrängen. Auf diese Weise erscheint das Planergebnis erreichbar. Indem § 11 Abs. 3 BauNVO grundsätzlich jedweden großflächigen Einzelhandel mit zentrenrelevanten Sortimenten verhindert – selbst wenn die gewachsenen Zentren über ein hinreichendes Umsatzpolster verfügen – würde die Vorschrift in den meisten Gemeinden über ihr Ziel hinausschießen, käme sie ausnahmslos zur Anwendung. Solange die gewachsenen Zentren noch nicht bedroht sind, wird die 393
Fn. 96.
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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Gemeinde durch Sondergebietsausweisungen dem großflächigen Einzelhandel vereinzelte Inseln außerhalb der gewachsenen Zentren anbieten, in denen sich Einkaufsparks unter beschränkenden Vorgaben entfalten können.
3. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung Solange § 11 Abs. 3 BauNVO den großflächigen Einzelhandel außerhalb der Innenstädte und anderer gewachsener Zentren verhindert, werden letztere zum Hauptanlaufpunkt von Einzelhandelsunternehmen. Weil innerhalb der Innenstädte der Marktzutritt frei von Restriktionen zulässig ist, werden die Unternehmen alle verfügbaren Flächen mit Einzelhandelsbetrieben auffüllen und Leerstände beseitigen. Die Einzelhandelsdichte innerhalb der Innenstädte überschreitet damit das Marktgleichgewicht. Außerhalb der Kerngebiete siedeln sich verstärkt kleinflächige Betriebe unterhalb des Gleichgewichtsniveaus an, weil sie allein in dieser Form zulässig sind. Wo großflächige Einkaufsparks außerhalb der Innenstadt durch Sondergebiete zugelassen wurden, genießen diese monopolartigen Schutz von vergleichbaren Wettbewerbern. Sollte die Ausschlusswirkung des § 11 Abs. 3 BauNVO nunmehr beseitigt werden, realisierte sich das Marktgleichgewicht durch die Ausbreitung von Einkaufsparks außerhalb der Kerngebiete. Zuvor errichtete Einkaufsparks würden existenziell bedroht, insbesondere, wenn man sie bei der Sondergebietsausweisung durch beschränkende Festsetzungen unter das Gleichgewichtsniveau getrieben hat oder sie sich zu lange auf ihrer Monopolstellung „ausgeruht“ haben. Gleiches gilt für kleinflächigen Einzelhandel außerhalb der Zentren, welcher mangels Rationalisierungspotential nur begrenzt konkurrenzfähig ist. Innerhalb der Kerngebiete muss sich die Einzelhandelsdichte wieder auf das Normalmaß nivellieren. Die Mietpreise für Verkaufsflächen fallen, Grundstückseigentümern würde ein vermeintlich sicheres Einkommen genommen. Die Anpassung an das Marktgleichgewicht hätte also gewichtige Verwerfungen zur Folge.
4. Nachkorrekturbedarf § 11 Abs. 3 BauNVO soll die Erhaltung der gewachsenen Zentren als positives Ergebnis sichern. Der Zugang zum Markt soll für Einzelhandelsvorhaben nur soweit gesperrt werden, wie dieses Ergebnis gefährdet wird. Wo immer die Verbotswirkung über das Ziel hinausschießt, ist sie funktionslos. Es wird sich zeigen, dass § 11 Abs. 3 BauNVO Schwierigkeiten hat, diese Balance zu finden. Die Art der Schwierigkeiten hängt wiederum von der Auslegung der Regel ab. Einerseits kann man sich im Rahmen der Auslegung weitgehend ausnahmslos am Großflächigkeitsbegriff orientieren und Vorhaben jenseits von 800 m² verhindern. Andererseits ist schon wegen § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO anerkannt, dass es sich bei
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
der 800-m²-Formel nur um eine Regelvermutung handelt.394 Geht man großzügig mit deren Widerleglichkeit um, so erhält man einen erheblichen Spielraum, um weitere Gesichtspunkte in die Auslegung einfließen zu lassen. a) Strikte Anwendung der 800-m²-Formel aa) Erstes Szenario: Unterversorgung Auf der einen Seite kann § 11 Abs. 3 BauNVO schnell zu einer Unterversorgung des Gemeindegebiets führen. Kleine Gemeinden verfügen regelmäßig über keine Innenstadt und damit kein Kerngebiet. Die Kaufkraft ihrer Anwohner reicht allein nicht aus, um ein Einzelhandelsangebot zu tragen, welches die Grundversorgung an zentrenrelevanten Sortimenten umfasst. Grundsätzlich wäre es möglich, dass sich mehrere kleine Gemeinden eine Einzelhandelsagglomeration teilen. Eine solche Agglomeration kann wegen § 11 Abs. 3 BauNVO aber ohne Sondergebietsausweisung nicht als großflächiger Einkaufspark in zentraler Straßenlage zwischen diesen Gemeinden errichtet werden. Sondergebietsausweisungen werden wiederum regelmäßig an den raumordnungsrechtlichen Vorgaben scheitern.395 Stattdessen bleibt den Anwohnern nichts Anderes übrig, als zeitaufwändige Versorgungsfahrten bis zur nächsten großen Stadt durchzuführen, innerhalb derer ein Innenstadtzentrum existiert.396 Das Problem setzt sich fort, weil § 11 Abs. 3 BauNVO auch solche Vorhaben verhindert, die keine zentrenrelevanten Sortimente vertreiben. Die Regel verzerrt insbesondere den Wettbewerb im Nahversorgungssegment. Während herkömmliche Discounter397 nicht erfasst werden, würden moderne Vollsortimenter bei ihrer strikten Anwendung verhindert. Sie sind stetig auf Sondergebietsausweisungen angewiesen, und selbst wenn diese gewährt werden, so leiden sie doch unter einer verfahrenstechnischen Marktzutrittsbarriere.398 Auf diese Weise fällt ihr Marktanteil hinter die Verbraucherwünsche und das interventionsfreie Marktgleich gewicht zurück. Eine ähnliche Wirkung hat die Regel auf den Vertrieb sperriger Güter wie Möbel und Einrichtungsbedarf. Sie können ohne Sondergebietsausweisung nicht errichtet werden und ihr Markt bleibt unterversorgt.
394
Siehe Kapitel 1 Abschnitt B. II. 1. a). Vgl. Kapitel 1 B. III. 2. a). 396 Vor allem raumordnungsrechtliche Konzentrationsgebote verbieten Gemeinden ohne Zentralitätswert die Zulassung großflächiger Einzelhandelsbetriebe durch Bauleitplanung, vgl. Kapitel 1 Abschnitt B. III. 2. a). 397 Zumindest in der Vergangenheit lag deren Verkaufsfläche regelmäßig unter 800 m², vgl. Fn. 27 u. 93. 398 Für moderne Supermärkte beträgt die gängige Verkaufsfläche 1.500 m², vgl. Fn. 26. 395
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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bb) Zweites Szenario: Gewachsenes Einzelhandelsgebiet Während durch § 11 Abs. 3 BauGB einerseits eine Unterversorgung droht, bietet die Regel andererseits Schutzlücken, die das Planergebnis gefährden. Es gibt zunächst zwei Fälle, in denen die Vorschrift außerhalb von Kerngebieten dem großflächigen Einzelhandel nicht im Wege steht: Zum einen ist § 11 Abs. 3 BauNVO im diffusen Innenbereich nicht anwendbar. Zum anderen können sich nach herrschender Meinung399 faktische Sondergebiete bilden, innerhalb derer großflächige Einzelhandelsbetriebe gemäß §§ 34 Abs. 2 BauGB, 11 Abs. 3 BauNVO zulässig sind. Fügt sich in diesen Fällen ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb in die nähere Umgebung ein und ist seine Erschließung gesichert, so stehen ihm keine bauplanungsrechtlichen Regelungen mehr im Wege. Sobald die ersten großflächigen Einzelhandelsbetriebe errichtet wurden, verringern sich die Anforderungen an das „Einfügen in die nähere Umgebung“ immer weiter. Nunmehr steht das Gebiet dem großflächigen Einzelhandel uneingeschränkt offen.400 Diese Regelungslücke sollte durch § 34 Abs. 3 BauGB geschlossen werden.401 Doch sobald die einzelnen Vorhaben unterhalb der Schädlichkeitsschwelle bleiben, kann auch § 34 Abs. 3 BauGB nicht verhindern, dass sich ein gewichtiger Konkurrenzstandort zur Innenstadt bildet und er deren Einzelhandelsbetriebe mit einer „Salamitaktik“ verdrängt. Zwar wären auch solche Einkaufsparkgebiete „gewachsen“. Sie wiesen aber nicht den besonderen ästhetisch-kulturellen Wert der Innenstadt auf. Stattdessen wechselten sich große Einkaufshallen mit großen Stellplatzanlagen ab. Es entstünde ein Stadtbild, das aus Sicht der Ergebnisplaner nicht dem Leitbild entspricht. Außerdem verhindert § 11 Abs. 3 BauNVO nicht den kleinflächigen Einzelhandel. Unterhalb der Schwelle zur Großflächigkeit sind Betriebstypen auch dann zulässig, wenn sie zentrenrelevante Sortimente vertreiben. Unternehmen können bei Geltung des § 11 Abs. 3 BauNVO zwar keine Verbrauchermärkte und SBWarenhäuser errichten. Dieselbe Vertriebspraxis kann aber fortgesetzt werden, indem man die betreffenden Sortimente auf mehrere kleinflächige Betriebe aufteilt und nicht mehr unter einem Dach vertreibt. Diese Umgehung der Großflächigkeitsschwelle wird durch die Rechtsprechung in den meisten Fällen akzeptiert.402 399
Ob es faktische Sondergebiete überhaupt gibt, ist umstritten, siehe Fn. 58. Kopf (2009), S. 13. 401 Siehe oben Kapitel 1 Abschnitt B. II. 1. a). 402 Durch Auslegung war man bemüht, die Umgehung des § 11 Abs. 3 BauNVO durch Betriebsaufspaltungen zu verhindern. Nach nunmehr erfolgter höchstrichterlicher Entscheidung darf ein gespaltener Betrieb aber nur dann einheitlich bewertet werden, wenn die Betriebsteile eine Funktionseinheit aus Haupt- und Nebenbetrieb bilden. Diese Fallkonstellation ist sehr eng zu verstehen und kommt daher selten in Betracht. Zulässig ist deshalb etwa das typische Nebeneinander von Lebensmitteldiscounter und Getränkemarkt, selbst wenn die zusammengerechnete Verkaufsfläche 800 m² überschreitet. Grundlegend BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 8/05 –; dazu Schröer (2009); Haaß (2009), S. 12; Maidowski (2008), S. 175. 400
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
So wundert es nicht, dass die Verschärfung des § 11 Abs. 3 BauNVO die inflationsartige Ausbreitung von Discountbetrieben zur Folge hatte. Typischerweise wird ein großflächiger Nahversorger in einen Discountbetrieb und einen Getränkefachmarkt gespalten. Durch die Aufteilung eines Großbetriebes in mehrere kleinere kann § 11 Abs. 3 BauNVO umgangen werden.403 Bleibt die Gemeinde planerisch untätig, können in faktischen Misch- oder Gewerbegebieten Agglomerationen von kleinflächigen Betrieben anwachsen, die den Innenstadthandel ernstlich gefährden. cc) Drittes Szenario: Marktentwicklungen, die nicht genehmigungsbedürftig sind Selbstverständlich können auch unter Verweis auf § 11 Abs. 3 BauNVO Marktentwicklungen nicht verhindert werden, die keiner Baugenehmigung bedürfen. Hierunter fällt ein Anstieg des PKW-Besitzes, ein Rückgang der Kaufkraft, die in den Einzelhandel fließt, genauso wie Kaufkraftverschiebungen, die durch Managementgeschick und -ungeschick veranlasst werden. Sie könnten die Umsatzbalance zugunsten der Einkaufsparks und zulasten gewachsener Zentren verzerren. Ebenso kann die Regel nicht verhindern, dass in der Nachbargemeinde Sondergebiete für den großflächigen Einzelhandel ausgewiesen werden. b) Korrektur nach § 11 Abs. 3 S. 4 BauNVO durch Auslegung Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die an der Verkaufs- und Geschossfläche orientierten Regelvermutungen des § 11 Abs. 3 BauNVO widerlegbar sind.404 Deshalb bleibt denkbar, dass bei einem großzügigen Umgang mit dieser Widerlegbarkeit Fehlsteuerungen vermieden werden können. Zunächst ist festzuhalten, dass Marktentwicklungen, die keiner baurechtlichen Genehmigung bedürfen, auf diese Weise kein Widerstand geleistet werden kann. Außerdem bleibt der Marktzugang im diffusen Innenbereich und in faktischen Sondergebieten weiterhin offen. Da hier § 11 Abs. 3 BauNVO entweder keine Anwendung findet oder den großflächigen Einzelhandel nicht beschränkt, kommt es auf die Auslegung seines Satz 4 nicht an. Durch Auslegung des Satz 4 ist lediglich möglich, solchen Vorhaben zusätzlichen Spielraum zu gewähren, die bei einer bestehenden Unterversorgung Abhilfe schaffen können, sowie solche kleinflächigen Vorhaben zu verhindern, die gleichwohl für zentrengefährdend gehalten werden. Hierbei muss zwischen Vorhaben differenziert werden, die gar keine zentrenrelevanten Sortimente vertreiben, und 403
Mattmüller (1996), S. 104. Siehe Kapitel 1 Abschnitt B. II. 1. a).
404
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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Vorhaben, die zwar zentrenrelevante Sortimente vertreiben, deren Konkurrenz für die gewachsenen Zentren allerdings verkraftbar ist. Zunächst könnte man die Widerleglichkeit die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 BauNVO dann annehmen, wenn großflächige Einzelhandelsvorhaben zentrenrelevante Sortimente nur als Randsortiment führen (als sogenannter non-food-Bereich) und im Übrigen Güter des täglichen Bedarfs oder sperrige Güter anbieten. Die Arbeitsgruppe für Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel bemühte sich, Kriterien zu entwickeln, anhand derer die Widerleglichkeit der Regelvermutung beurteilt werden kann. Ihr Ziel war es, die Benachteiligung von Vollsortimentern gegenüber den Discountern zu beseitigen. Doch handelt es sich bei Abwägung von Zentrenschutz und Verbraucherinteressen um eine Entscheidung über die relative Wichtigkeit von Zielen mit teleokratischem Charakter. Soll sie optimal ausfallen, so müsste man unüberschaubare Marktzusammenhänge auswerten, und damit wird eine an allgemeinen Regeln orientierte Rechtsprechung funktional überfordert.405 Folgerichtig fallen die Kriterien alles andere als klar aus. In der Zusammenfassung des Arbeitsgruppenberichts406 heißt es: „Die Arbeitsgruppe ist mehrheitlich der Auffassung, dass eine Änderung von § 11 Abs. 3 BauNVO nicht erforderlich ist, da die in § 11 Abs. 3 BauNVO angelegte Flexibilität grundsätzlich ausreicht, um unter Berücksichtigung des Einzelfalls sachgerechte Standortentscheidungen für den Lebensmitteleinzelhandel zu treffen. Die Arbeitsgruppe betont in ihrem Bericht: – dass nicht allein das Erreichen der Großflächigkeit (d. h. einer Verkaufsfläche von rd. 700 m²) eines Einzelhandelsbetriebs die Vermutung unerwünschter städtebaulicher Auswirkungen (z. B. auf Verkehr, Umwelt, Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche und die verbrauchernahe Versorgung) rechtfertigt; – dass § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO auch die Darlegungslast zuweist; unterhalb des Wertes der Regelvermutung von über 1.200 m² Geschossfläche ist es danach Aufgabe der Genehmigungsbehörde, im Einzelfall Anhaltspunkte dafür geltend zu machen, dass mit maßgeblichen Auswirkungen zu rechnen ist; oberhalb des Wertes kommt dagegen die Darlegungslast, dass mit keinen Anhaltspunkten für maßgebliche Auswirkungen zu rechnen ist, dem Antragsteller zu; – dass auch oberhalb der Regelvermutungswertes von 1.200 m² Geschossfläche Anhaltspunkte dafür bestehen können, dass die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen nicht vorliegen. Bezogen auf Lebensmittelsupermärkte können sich solche Anhaltspunkte nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO insbesondere aus: – der Größe der Gemeinde/des Ortsteils, – aus der Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und – dem Warenangebot des Betriebes ergeben, 405
Ähnlich Sauter (2005), S. 54. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (2002b), S. 598 ff.
406
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
– dass dem Lebensmitteleinzelhandel eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Sicherung einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zukommt, so dass von großflächigen Lebensmitteleinzelhandelsbetrieben in größeren Gemeinden und Ortsteilen auch oberhalb der Regelvermutungsgrenze von 1200 m² aufgrund einer Einzelfallprüfung dann keine negativen Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung und den Verkehr ausgehen können, wenn: – der Non-Food-Anteil weniger als 10 v.H. der Verkaufsfläche beträgt, und – der Standort – verbrauchernah und – hinsichtlich des induzierten Verkehrsaufkommens „verträglich“ – sowie städtebaulich integriert ist. – Die dazu erforderlichen Prüfungen sollten, sofern keine Besonderheiten vorliegen, im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise erfolgen.“
Die Entwicklung einer solchen typisierenden Betrachtungsweise, die ansatzweise Rechtsklarheit schaffen könnte, erscheint in Anbetracht der vielen unbestimmten Kriterien überaus Problem behaftet. Damit sich überhaupt eine Judikatur bilden kann, bedarf es eines Rechtsstreites zu jedem dieser Punkte. Für jeden Rechtsstreit muss ein Vollsortimenter geplant, ein Bauvorbescheid beantragt und abgelehnt werden. Anschließend müssen sich die Beteiligten auf einen jahrelangen Rechtsstreit bis zur höchsten Instanz einlassen. Vielleicht erfährt der Betreiber dann, wann das Bundesverwaltungsgericht die Geschossfläche oder das Warensortiment für akzeptabel hält. Leider gälte das Präjudiz nur bei einer bestimmten „Größe der Gemeinde/des Ortsteils“. In jedem anderen Ortsteil derselben Gemeinde können die Maßstäbe bereits anders ausfallen. Nicht zuletzt muss beachtet werden, dass sich jede Typisierung an der gängigen Marktpraxis orientieren muss.407 Ehe die Typisierung halbwegs nachvollziehbare Konturen erlangt, ist sie womöglich bereits veraltet.408 Sollte die gewünschte typisierende Betrachtungsweise tatsächlich wenigstens theoretisch konstruiert werden können (etwa mit einer Art Punktesystem), so erwartete die Arbeitsgruppe vielleicht, dass das Bundesverwaltungsgericht sie in einem obiter dictum bei der ersten Gelegenheit umfassend niederschreibt. Doch müsste sich das Gericht bei einem solchen Vorgehen endgültig eine legislative Funktion anmaßen. Wohlgemerkt überfordert die Rechtsprechung bereits der Versuch, die Diskriminierung der Vollsortimenter zu beseitigen. Die Rechtsklarheit ginge endgültig verloren, wollte die Rechtsprechung Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevan 407 So wurde die Großflächigkeit erst bei 700 m², später aber bei 800 m² Verkaufsfläche angenommen, weil die Marktpraxis sich veränderte, siehe Fn. 92. 408 Zu Recht weist Janning (2014a), S. 220 auf den Umstand hin, dass moderne Discountbetriebe mittlerweile regelmäßig die Großflächigkeitsschwelle überschreiten, sodass sie keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Vollsortimentern mehr aus § 11 Abs. 3 BauNVO ziehen können.
C. Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich
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ten Sortimenten so weit zulassen, wie deren Konkurrenz den Innenstädten ohne erhebliche Umsatzeinbußen zugemutet werden kann. Denn der Zumutbarkeitsbegriff wäre nicht zu konturieren. Die Judikatur würde sich in komplexe Einzelfallbetrachtungen auflösen. Die Typisierung des § 11 Abs. 3 BauNVO mag zwar zu Fehlsteuerungen führen. Doch gäbe man sie auf, verlöre man in der grenzenlosen Komplexität der spontanen Marktordnung jedes Kriterium.409 5. Zusammenfassung: Die Steuerungswirkung von § 11 Abs. 3 BauNVO § 11 Abs. 3 BauNVO kann die Erhaltung der gewachsenen Zentren in den meisten Konstellationen sicherstellen. Doch erreicht die Regel ihre Effektivität nur unter erheblichen Effizienzverlusten. Der Marktzutritt wird nämlich viel weiter eingeschränkt, als dies zur Zentrenerhaltung notwendig ist. Die Verbotswirkung erfasst nicht bloß Betriebe, deren Einzugsbereich sich mit dem Handel gewachsener Zentren überschneidet, sondern beeinträchtigt zusätzlich den Handel mit sperrigen Gütern und Gütern des täglichen Bedarfs. Auch lässt sie den großflächigen Konkurrenzbetrieben der gewachsenen Zentren nicht etwa Spielraum bis an die Grenze der Ergebnisgefährdung. Die Vorschrift lässt ihnen gar keinen Spielraum. Jeder Versuch, diesen übertriebenen Protektionismus durch Auslegung zu korrigieren, muss die Rechtsprechung funktional überfordern und jede Rechtsklarheit beseitigen. Die Gemeinde wird gezwungen, die Wirkung des § 11 Abs. 3 BauNVO durch Sondergebietsausweisungen einzuschränken. Trotzdem lässt § 11 Abs. 3 BauNVO Schutzlücken im diffusen Innenbereich sowie in faktischen Sondergebieten offen. Auch in faktischen Misch- und Gewerbegebieten ist der Ausbreitung kleinflächigen Discounthandels keine Grenze gesetzt. Und selbstverständlich ist die Vorschrift nicht in der Lage, Marktentwicklungen zu verhindern, die keiner baurechtlichen Genehmigung bedürfen. Deshalb könnte sie selbst bei uneingeschränkter Geltung das gewünschte Planergebnis nicht garantieren.
III. Ergebnis: Einzelhandelssteuerungsvorschriften im unbeplanten Bereich sind teleokratisch unbefriedigend Sowohl § 11 Abs. 3 BauNVO als auch § 34 Abs. 3 BauGB sichern das gewünschte positive Planergebnisse nicht. Dies gilt sowohl bei der Sicherung einer Nahversorgung in den Wohnquartieren als auch bei der Erhaltung gewachsener Zentren. Stattdessen entfalten die Regeln zahllose Verbotswirkungen, die nicht 409
So auch Maidowski (2008), S. 174.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
einmal eine teleokratische Funktion erfüllen. § 34 Abs. 3 BauGB konterkariert in bestimmten Konstellationen sogar sein eigentliches Ziel. Jeder Versuch, die Probleme im Wege der Rechtsauslegung zu beseitigen, kann sich nicht als vorhersehbare Judikatur festigen. Wollen die Baubehörden diese Fehlsteuerungen nicht hinnehmen, so bleibt ihnen (abgesehen von rechtswidrigen Baugenehmigungen und rechtswidrigen Genehmigungsverweigerungen) nichts anderes übrig, als bauleitplanerisch nachzukorrigieren. Schließen die §§ 34 Abs. 3 BauGB, 11 Abs. 3 BauNVO ein teleokratisch erwünschtes Vorhaben aus, so muss die Gemeinde Sonder- oder Mischgebiete ausweisen. Lassen sie dagegen ein teleokratisch unerwünschtes Vorhaben zu, so kann sie insbesondere über § 9 Abs. 2a BauGB Einzelhandelsausschlüsse festsetzen. Die letzte Entscheidung sollte also bauleitplanerisch fallen. Indem der Gesetzgeber die Einzelhandelssteuerung im unbeplanten Bereich zum Grundsatz erhoben hat, stellt er aber eines klar: Keine Gemeinde kann sich aus dem Einzelhandelswettbewerb heraushalten. Insbesondere bei notwendigen Sondergebietsausweisungen wird sich die Gemeindevertretung immer wieder in Diskussionen über Wettbewerbsergebnisse verwickeln müssen. Auch ist es nicht möglich, raumordnungsrechtliche Zielvorgaben durch planerische Untätigkeit zu umgehen. Die reine Nomokratie steht damit nicht mehr als Option offen. Selbst wenn genügend Gemeindevertreter es wollten, sie könnten die Mischordnung nicht abschaffen.
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht Das Raumordnungsrecht aller Bundesländer enthält verbindliche Zielvorgaben im Sinne des § 1 Abs. 4 BauGB, die sich mit der Steuerung des Einzelhandels befassen. Die Regeln sind nicht an die Betreiber von Einzelhandelsbetrieben selbst adressiert.410 Stattdessen binden sie die Gemeinden bei der Bauleitplanung. Wann immer Gemeinden Baugebiete festsetzen, in denen großflächiger Einzelhandel zulässig ist, müssen sie die raumordnungsrechtlichen Zielvorgaben beachten. Wegen § 11 Abs. 3 BauNVO ist der großflächige Einzelhandel zumeist auf Sondergebietsausweisungen angewiesen. Verletzen die Sondergebietsausweisungen das Raumordnungsrecht, so sind sie nichtig; das Vorhaben befindet sich de jure wieder im unbeplanten Bereich und wird im Regelfall an § 11 Abs. 3 BauNVO scheitern.
410
Siehe Fn. 156.
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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I. Positives Planergebnis Die raumordnungsrechtlichen Vorgaben verfolgen eine doppelte Zielsetzung. Einerseits sollen sie ein „System zentraler Orte“ verwirklichen und dadurch den zwischengemeindlichen Wettbewerb ergebnisbezogen steuern. Andererseits verpflichten sie die Gemeinden zum Schutz ihrer zentralen Versorgungsbereiche und zwingen ihnen dadurch ein bauleitplanerisches Mischordnungssystem auf. 1. Erhaltung der zentralörtlichen Gliederung a) Das System zentraler Orte Das System der zentralen Orte wurde durch den Geographen Walter Christaller entwickelt und entstammt seinem Hauptwerk „Die zentralen Orte in Süddeutschland“411. Christaller erklärt ökonomisch die räumliche Anordnung der Größen von Gemeinden. Dabei entwickelt er folgenden Kerngedanken: Zur Verwirklichung größtmöglicher ökonomischer Rationalität müssen wirtschaftliche Betriebe (und damit einhergehend der Einzelhandel) räumlich so gelegt werden, dass die Einkaufswege möglichst gering, das Angebotsspektrum möglich breit und die Preise möglichst niedrig sind. Die Interessen an kurzen Wegen, einem breiten Angebotsspektrum und niedrigen Preisen stehen in einem Spannungsverhältnis. Jedes Einzelhandelsangebot verursacht Betriebskosten. Wollte man in der Nähe jeder Wohnlage ein Angebot von umfassender Breite aufrechterhalten, triebe dies die Preise in die Höhe. Über die Preise müssten die Betriebskosten der Anbieter nämlich an die Verbraucher weitergereicht werden. Konzentrierte man umgekehrt das gesamte Angebot an nur einem Standort, müssen die Bewohner des Umlandes unverhältnismäßig lange Wege überwinden, um sich auch nur mit dem Grundbedarf zu versorgen. Ökonomisch rational erscheint es dagegen, die Angebotsdichte verschiedener Agglomerationen abzustufen. Christaller bezeichnet diese Agglomerationen als „zentrale Orte“. Das Angebot zentraler Orte mit hoher Stufe fällt dann so umfassend aus, dass es auch Güter für den spezielleren Bedarf, die nur selten eingekauft werden müssen, miteinschließt. Zentrale Orte mit niedrigerer Stufe bieten hingegen nur Güter an, deren Einkauf häufiger notwendig wird. Den spezielleren Bedarf müssen die Bewohner niedrig gestufter zentraler Orte innerhalb der höher gestuften zentralen Orte befriedigen. Auf diese Weise fließt den höher gestuften zentralen Orten die Kaufkraft aus dem Umland zu. Ihr Einzelhandel erzielt höhere Umsätze, mit denen er höhere Betriebskosten abdecken und deshalb ein besonders breites Angebot zur Verfügung stellen kann.
411
Christaller (1933).
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
Berechnet man bei unterstellten einheitlichen Wegkosten das gesamtwirtschaftliche Optimum, so ergibt sich eine optimale Raumgliederung: Um jeden zentralen Ort gliedern sich dann sechs Orte mit der nächst niedrigeren Zentralitätsstufe und gleichmäßigem Abstand (das sogenannte Ergänzungsgebiet). Diese Hexagonalgliederung setzt sich auf jeder Zentralitätsstufe um jeden zentralen Ort fort. Die gleichmäßige hexagonale Anordnung der zentralen Orte ermöglicht es, dass sie aus jeder Lage bei minimalen Wegkosten erreichbar sind. Die Stufung der Angebote nach der Spezialität des Bedarfs schafft eine Angebotsstruktur, unter der für häufige Einkäufe nur kurze Wegkosten anfallen und nur bei seltenen Sondereinkäufen lange Wege in Kauf genommen werden müssen. Diese Optimalgliederung bezeichnet Christaller als „Versorgungsprinzip“. Im Laufe seiner Arbeit relativiert er dieses Prinzip. Er weist darauf hin, dass es in der Realität wegen verschiedener anderer Faktoren, insbesondere der willkürlichen Anordnung von Verwaltungseinrichtungen (Verwaltungsprinzip) und Verkehrswegen (Verkehrsprinzip) nur verzerrt auftritt. b) Die Festlegung zentraler Orte in den Landesentwicklungsplänen Das Raumordnungsrecht legt fest, in welchen Gemeinden sich zentrale Orte herausbilden und welche Stufen die zentralen Orte einnehmen sollen. Auf diese Weise wird das Marktergebnis zwischengemeindlichen Wettbewerbs positiv definiert. Beispielhaft soll die Regelungstechnik des Landesentwicklungsplans von Mecklenburg-Vorpommern skizziert werden. In den anderen Bundesländern wird ähnlich vorgegangen: Zunächst legt der Landesgesetzgeber unter seinen Gemeinden die zentralen Orte und ihre Hierarchie fest. Er unterscheidet Oberzentren (Rn. 3.2.1 Abs. 5) und Mittelzentren (Rn. 3.2.2 Abs. 3). Außerdem sind Grundzentren in den regionalen Raumordnungsprogrammen (Rn. 3.2.3 Abs. 3) auszuweisen. Abhängig von dieser Zentrenausweisung wird nun der gewünschte Markterfolg der Gemeinden definiert. Dies geschieht über ihr Sortiment und ihren Einzugsbereich. Bezogen auf das Sortiment heißt es: „Oberzentren versorgen die Bevölkerung ihres Oberbereichs mit Leistungen des spezialisierten, höheren Bedarfs.“ (Rn. 3.2.1 Abs. 1), „Mittelzentren versorgen die Bevölkerung ihres Mittelbereichs mit Leistungen des gehobenen Bedarfs.“ (Rn. 3.2.2 Abs. 1), Grundzentren schließlich bieten nur Leistungen des „qualifizierten Grundbedarfs“ an (Rn. 3.2.3). Der gewünschte Einzugsbereich einer Gemeinde wird in der raumordnungsrechtlichen Terminologie als Verflechtungsbereich bezeichnet. Der Verflechtungsbereich eines Oberzentrums heißt Oberbereich, der eines Mittelzentrums Mittelbereich. Ein Oberbereich schließt mehrere Mittelbereiche ein, ein Mittelbereich mehrere Grundbereiche. Deutlich macht dies erstens eine Landkarte, auf welcher die Grenzen der Verflechtungsbereiche eingezeichnet sind (Abbildung 9). Zum
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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zweiten listet eine Vorschrift unter den Oberbereichen die ihnen zugehörigen Mittelbereiche auf und unter den Mittelbereichen die zugehörigen Gemeinden (Abbildung 23). Somit hat das Planergebnis folgende Konturen: Jedes Oberzentrum versorgt einen definierten Oberbereich mit Gütern des spezialisierten höheren Bedarfs. In den Gemeinden, die dem Oberbereich außerhalb des Zentrums angehören, soll ein Angebot derartiger Güter fehlen. Wenn die Einwohner sie erwerben wollen, sollen sie eine Versorgungsfahrt in das Oberzentrum unternehmen. Dasselbe Prinzip gilt in Bezug auf die Mittelbereiche: Hier wird von den Einwohnern des Mittelbereichs erwartet, ihren Anspruch nach gehobenem Bedarf im Mittelzentrum zu befriedigen. 2. Verpflichtung der Gemeinden zum Schutz ihrer zentralen Versorgungsbereiche Das Raumordnungsrecht enthält darüber hinaus Regeln, die Gemeinden zum Schutz ihrer gewachsenen Zentren und der Nahversorgungsbetriebe in den Wohnquartieren verpflichten. Meist greifen sie auf den Begriff der „zentralen Versorgungsbereiche“ zurück, um ihr Schutzgut zu definieren. Doch regelmäßig ist auch von „integrierten Versorgungsstandorten“, „ausgeglichenen Versorgungsstrukturen“ oder einer „verbrauchernahen Versorgung“ die Rede, welche nicht beeinträchtigt werden dürfe.412 In wieweit diese Begriffe inhaltlich vom Begriff des zentralen Versorgungsbereichs abweichen, ist nicht ganz klar.413 Im Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Verpflichtung zum Schutz der zentralen Versorgungsbereiche die Kernfunktion dieser Regeln ist.
II. Mutmaßliches Ergebnis interventionsfreien Wettbewerbs 1. Wirkung auf die zentralörtliche Gliederung Steuerten sie den zwischengemeindlichen Wettbewerb nicht ergebnisbezogen, befürchten die Länder, dass die zentralörtliche Gliederung nicht die gewünschten ökonomischen Strukturen aufweisen werde. Stattdessen könnten niederrangige Zentren ihr Betriebsangebot erweitern und dadurch mit höherrangigen Zentren 412 So heißt es in Rn. 2.3.03.19 des Landesentwicklungsprogramms von Niedersachsen etwa: „Ausgeglichene Versorgungsstrukturen und deren Verwirklichung, die Funktionsfähigkeit der zentralen Orte und integrierter Versorgungsstandorte sowie die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung dürfen durch neue Einzelhandelsgroßprojekte nicht wesentlich beeinträchtigt werden (Beeinträchtigungsverbot)“. 413 Kritisch zum Begriff der verbrauchernahen Versorgung als Schutzgut von Landesentwicklungsprogrammen Kuschnerus (2010), S. 328.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
in Konkurrenz treten. Den höherrangigen Zentren würde weniger Kaufkraft zufließen und sie wären gezwungen, ihr Einzelhandelsangebot zu reduzieren. Eine solche Marktentwicklung könnte zu einer unwirtschaftlichen räumlichen Verteilung der Einzelhandelsbetriebe führen, bei der sich Einzelhandelsschwerpunkte in schwer erreichbaren Lagen durchsetzen, die ein unnötiges Verkehrsaufkommen hervorrufen. Außerdem wäre denkbar, dass sich das Angebotsniveau auf ein Mittelmaß nivelliert. Ob solche Befürchtungen berechtigt sind, soll an dieser Stelle nicht bewertet werden.414 2. Wirkung auf die zentralen Versorgungsbereiche Es wurde bereits dargestellt, dass die Regulierer bei einem interventionsfreien Wettbewerb die Gefährdung von Nahversorgungszentren und gewachsenen Zentren befürchten. Diese Gefährdung müsste sich realisieren, beschlösse eine Gemeinde, auf Schutzinterventionen zu verzichten. Weil die Länder sowohl Nahversorgungszentren als auch gewachsene Zentren als erhaltenswert ansehen, wollen sie die Entscheidung über das „Ob“ einer Intervention nicht den Gemeinden überlassen.
III. Geplante Wettbewerbskausalität 1. Erhaltung der zentralörtlichen Gliederung Die Ziele der Raumordnung verhindern Sondergebietsausweisungen für den großflächigen Einzelhandel. Auf diese Weise können sie eine Gemeinde daran hindern, ein größeres Einzelhandelsangebot zuzulassen, als ihrer Zentralitätsstufe entspricht. Um das Planergebnis zu erreichen, darf der Einzugsbereich der Gemeinde ihren Verflechtungsbereich und der Angebotsinhalt die vorgesehene Zentralitätsstufe nicht überschreiten. Angebot und Einzugsbereich hängen eng zusammen. Bewohner einer Nachbargemeinde werden nur dann eine Versorgungsfahrt in die Ausgangsgemeinde unternehmen, wenn deren Angebotsinhalt über das Spektrum der Herkunftsgemeinde hinausgeht. Das Angebot wiederum wird umso spezielleren Bedarf bedienen und umso umfangreicher ausfallen, je größer die Zahl der konkurrierenden Betriebe und deren Verkaufsflächen sind. Die letzte Einflussgröße hat eine Gemeinde dank der Instrumentarien der Bauleitplanung in der Hand. Indem das Raumordnungsrecht ihr die Ausweisung von Sondergebieten verbietet, verhindert es die Großflächigkeit des Einzelhandels und kann den gemeindlichen Einzelhandelsbestand kontingentieren. 414
Die Bewertung erfolgt in Kapitel 4 Abschnitt D.
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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Es gibt drei Regelungstypen, mit denen die Kontingentierung von Verkaufsflächen erzwungen wird und an denen sich das Raumordnungsrecht aller Länder orientiert: Es handelt sich um das Kongruenzgebot, das raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbot und das Konzentrationsgebot. Das Kongruenzgebot verpflichtet eine Gemeinde, mit ihrem Einzugsbereich den ihr zugewiesenen Verflechtungsbereich nicht „wesentlich“ zu überschreiten. Sie darf keinen Markterfolg erreichen, der wesentlich über das Planergebnis hinausgeht. Dies bedeutet, dass der Einzelhandel dank Sondergebietsausweisungen nicht zu attraktiv werden darf. Attraktivität misst sich dabei relativ zu der Attraktivität der Nachbargemeinden, also in einem Konkurrenzverhältnis. Wiegt die überlegene Attraktivität die Wegkosten von einer Nachbargemeinde zur Ausgangsgemeinde auf, so werden die Verbraucher sich die Versorgungsfahrt zumuten und der Einzugsbereich der Ausgangsgemeinde vergrößert sich. Vorausgesetzt natürlich, es gibt keine näher gelegene Gemeinde mit vergleichbar attraktivem Einzelhandelsgebot. Das Kongruenzgebot muss also Sondergebietsausweisungen verhindern, die das Einzelhandelsangebot einer Gemeinde relativ zu dem ihrer Nachbargemeinden zu attraktiv werden ließen, und zwar unter Berücksichtigung der Wegkosten bestimmter Verbraucherkreise. Dann nämlich würden die betroffenen Nachbargemeinden die Kaufkraft dieser Verbraucherkreise an die Ausgangsgemeinde verlieren, es verringerte sich ihr Umsatz und folglich ihr Einzelhandelsangebot. Das Attraktivitätsgefälle soll sich nicht frei entwickeln, sondern dem Planergebnis entsprechen. Einen ähnlichen Regelungsgehalt hat das raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbot.415 Das Beeinträchtigungsverbot verbietet die wesentliche Beeinträchtigung des Einzelhandelsangebots von Nachbargemeinden, die ebenfalls durch Sondergebietsausweisungen und schließlich durch Kaufkraftabflüsse ausgelöst werden könnte. Durch den Kaufkraftabfluss darf das Einzelhandelsangebot nicht soweit ausgedünnt werden, dass es wesentlich unter das im Planergebnis definierte Niveau fällt. Dies aber wäre der Regelfall, sollte der Einzugsbereich der Ausgangsgemeinde in den Verflechtungsbereich ihres Nachbarn eindringen.416 Dritter Regelungstypus sind Konzentrationsgebote. Sie definieren ihre Verbotswirkung nicht über ein Marktergebnis, sondern verbieten Gemeinden niederer Zentralitätsstufen, Vorhaben durch Sondergebietsausweisungen zuzulassen, die eine bestimmte Verkaufsfläche erreichen. Häufig sind großflächige Einzel 415
Es wird in der Literatur sogar vorgeschlagen, Kongruenzverbote und städtebauliche Beeinträchtigungsverbote identisch auszulegen. Der Vorschlag stammt von El Bureiasi (2005), S. 124 ff.; zustimmend Hoppe (2006), S. 1345 ff. 416 In Rn. 4.3.2 Abs. 2 LEP MV heißt es: „Einzelhandelsgroßprojekte nach (1) sind nur zulässig, wenn die Größe, die Art und die Zweckbestimmung des Vorhabens der Versorgungsfunktion des Zentralen Ortes entsprechen, den Verflechtungsbereich des Zentralen Ortes nicht wesentlich überschreiten und die Funktionen der Zentralen Versorgungsbereiche des Zentralen Ortes und seines Einzugsbereiches nicht wesentlich beeinträchtigt werden.“ Hierdurch werden Kongruenzgebot und Beeinträchtigungsverbot in einer Regelung zusammengefasst.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
handelsbetriebe nur in zentralen Orten erlaubt.417 In vielen Ländern wird außerdem der Betriebstyp des Factory-Outlet-Centers gesondert geregelt. Deshalb fehlen dem Einzelhandel innerhalb von Gemeinden niederer Zentralitätsstufe größenbedingte Rationalisierungspotentiale. Ihm wird ein Wettbewerbsnachteil zugefügt, der das Planergebnis begünstigt. 2. Schutz der zentralen Versorgungsbereiche Zum Schutz ihrer zentralen Versorgungsbereiche werden Gemeinden durch Integrationsgebote und städtebauliche Beeinträchtigungsverbote verpflichtet. Integrationsgebote verbieten grundsätzlich die Ausweisung von Sondergebieten für den großflächigen Einzelhandel an nichtintegrierten Standorten. Die Regelungen fallen unterschiedlich differenziert aus. Zuweilen wird zwischen integrierten und teilintegrierten Standorten unterschieden. Andernorts gibt es eine Reihe von Ausnahmen abhängig vom Sortiment oder der Beeinträchtigungswirkung. Verhindert wird das Einzelhandelsgroßprojekt auf der „grünen Wiese“. Städtebauliche Beeinträchtigungsverbote verbieten Sondergebietsausweisungen, durch welche die zentralen Versorgungsbereiche wesentlich beeinträchtigt würden. Insoweit ähnelt der Regelungsgehalt dem § 34 Abs. 3 BauGB, ist aber nicht an die Vorhabenbetreiber, sondern die Gemeinde adressiert, und befasst sich nur mit dem großflächigen Einzelhandel. Häufig wird die Regelungstechnik von Beeinträchtigungsverboten verwendet, um Ausnahmen vom Integrationsgebot zu beschränken.418
IV. Marktungleichgewicht bei Ausstieg aus der Mischordnung 1. Ungleichgewicht in der zentralörtlichen Gliederung Beim Schutz einer vom Ergebnis her geplanten zentralörtlichen Gliederung werden zwei Arten von Anpassungen verhindert: Zum einen passt sich die zentralörtliche Gliederung selbst nicht an das Kaufverhalten der Bevölkerung an, welches ohne eine Intervention bestünde. 417
So heißt es beispielsweise in Rn. 4.3.2 Abs. 1 LEP MV: „Einzelhandelsgroßprojekte und Einzelhandelsagglomerationen im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO sind nur in Zentralen Orten zulässig.“ 418 Rn. 4.3.2 Abs. 4, 5 LEP MV regelt beispielsweise: „Einzelhandelsgroßprojekte mit zentrenrelevanten Sortimenten sind nur an städtebaulich integrierten Standorten zulässig. Bei Standortentwicklungen außerhalb der Innenstadt ist nachzuweisen, dass diese die Funktionsentwicklung und Attraktivität der Innenstadt nicht gefährden.“ Hinter dem Begriff der Gefährdung verbirgt sich eine Beeinträchtigungsprognose, die einem Beeinträchtigungsverbot auf der Ausnahmeebene gleichkommt.
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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Zum anderen kann die Gemeinde so weit in ihrem Planungsspielraum b eschränkt werden, dass im innergemeindlichen Wettbewerb Anpassungen nicht mehr stattfinden können. Solange die Gemeinden nach größtmöglichem Wettbewerbserfolg streben, werden sie dem großflächigen Einzelhandel bis an die Grenze der raumordnungsrechtlichen Unzulässigkeit Sondergebiete ausweisen. Von da an wäre jede weitere Sondergebietsausweisung eine wesentliche Überschreitung des eigenen Verflechtungsbereichs oder eine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit eines anderen zentralen Orts. Nunmehr hat sich die gemeindliche Planung in die Handlungsunfähigkeit manövriert. Ausgehend von dieser Konstellation sollen die Anpassungsdefizite beschrieben werden. a) Keine Anpassung der zentralörtlichen Gliederung der Einzelhandelsstruktur Sind Gemeinden handlungsunfähig, die bei einem interventionsfreien Wettbewerb die Sieger wären, dann findet keine wettbewerbliche Anpassung der zentralörtlichen Gliederung mehr statt. Dies wird zum Problem, wenn sich die Kaufkraftverteilung zwischen den Gemeinden verschiebt, insbesondere, weil durch Wohnsitzverlagerungen große Gemeinden schrumpfen und kleinere wachsen. Ebenso ist denkbar, dass einhergehend mit PKW-Besitz oder Benzinpreisen die Mobilität der Bevölkerung sinkt oder steigt und mit ihr die Wegkosten zum nächsten Ort höherer Zentralitätsstufe. Eine Anpassung des Einzelhandelsangebots würde dann verboten. Die Kapazitäten von Orten höherer Zentralitätsstufe würden über dem Gleichgewichtsniveau erhalten, während das Einzelhandelsangebot von Orten niedrigerer Zentralitätsstufe unter dem Gleichgewichtsniveau bliebe. Sobald man die Intervention beseitigte, hätte dies Betriebsschließungen in den Orten der höheren Zentralitätsstufe zufolge, die nunmehr dammbruchartig erfolgen müssen. b) Keine Anpassung der Einzelhandelsstruktur im innergemeindlichen Wettbewerb In einer Gemeinde, deren Einzelhandel im zwischengemeindlichen Wettbewerb erfolgreich expandierte, bis ihn raumordnungsrechtliche Zielbestimmungen stoppten, wird fast jeder großflächige Betrieb lebensfähig sein. Diese Gemeinde ist aus Verbrauchersicht unterversorgt. Die Konsequenz einer solchen Marktlage besteht darin, dass jeder Betrieb eine Monopolstellung erhält und Verdrängungswettbewerb nicht mehr stattfindet. Denn um Verdrängungswettbewerb zu ermöglichen, müsste die Gemeinde mehr Verkaufsfläche zur Verfügung stellen, als bei gesättigtem Markt Verwendung finden könnte419, und genau das darf sie nicht. Die Betriebe können wegen der Angebotsknappheit höhere Preise anbieten und dadurch 419
Schmalen (1999), S. 483; ders. (1997), S. 407; Sauter (2005), S. 8 f.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
entweder höhere Gewinne einfahren oder durch Missorganisation verursachte Kosten auffangen. Unter diesen Bedingungen ist zu erwarten, dass sich Missorganisation unter den bestehenden Einzelhandelsbetrieben ausbreitet. Wegen der Markzugangssperre können sich die Einzelhandelsbetriebe zudem nicht an Verschiebungen der räumlichen Wohnlagen der Bevölkerung anpassen. Noch problematischer wird es, wenn Konzentrationsgebote in niederrangigen zentralen Orten Vorhaben bestimmter Größe generell verhindern. Zu befürchten ist, dass eine Wirtschaft entsteht, die im Wettbewerb mit großflächigen Konkurrenten niemals lebensfähig wäre. Stiege man nun aus der Mischordnung aus, befände sich ein beträchtlicher Teil der Einzelhandelsbetriebe unter Gleichgewichtsniveau und wäre nicht mehr lebensfähig. 2. Schutz zentraler Versorgungsbereiche Anpassungsdefizite, die aus dem Schutz von Nahversorgungsbetrieben und gewachsenen Zentren resultieren, wurden bereits in den Abschnitten B. IV., C. I. 3. und C. II. 3. dargestellt. Eine gesonderte Erörterung erübrigt sich.
V. Nachkorrekturbedarf 1. Erhaltung der zentralörtlichen Gliederung Der Erhalt der zentralörtlichen Gliederung ist nicht Selbstzweck.420 Die zentralörtliche Gliederung soll für jeden Bewohner des Landes ein breites Angebotsspektrum zur Verfügung stellen, dass aus jeder Wohnlage bei möglichst geringen Wegkosten erreichbar ist. Wie sich zeigen wird, kann die zentralörtliche Gliederung nicht in allen Konstellationen aufrechterhalten werden und in bestimmten Konstellationen nur unter erheblichen Einschränkungen des Einzelhandelsangebots. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die planerischen Mittel, die einer Gemeinde zur Verfügung stehen, vielfach nicht ausreichen, um die Überschreitung ihrer Verflechtungsbereiche zu verhindern.421 a) Erstes Szenario: Schrumpfende Kaufkraft Zunächst ist auch eine bestimmte zentralörtliche Gliederung ein Marktergebnis, das von Marktentwicklungen bedroht wird, die nicht von einer baurechtlichen Genehmigung abhängen. 420
Blotevogel (1996b), S. 653. Kuschnerus (2010), S. 329 f.
421
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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Dies gilt allen voran für ein Sinken der Kaufkraft, die in den Einzelhandel fließt. Die Kaufkraft kann mit einem Bevölkerungsschwund im Lande fallen, durch eine stärkere Beanspruchung des Versandhandels, durch Verarmung der Bevölkerung oder durch neue Sparsamkeit. Mit der Verringerung der Kaufkraft ergeben sich Einzelhandelsüberkapazitäten in allen Gemeinden. Aus den Geboten der Raumordnung kann nicht abgeleitet werden, dass diese Überkapazitäten vorrangig durch die Gemeinden niederer Zentralitätsstufe abgebaut werden müssen. Denn dazu wären die betreffenden Gemeinden nicht in der Lage: Die Betriebe hätten Bestandsschutz erlangt, die Erfüllung einer solchen Pflicht wäre den Gemeinden unmöglich. Stattdessen entschiede der Wettbewerb darüber, in welcher Gemeinde die Überkapazitäten durch Betriebsschließungen und Insolvenzen verschwinden. Wäre es gelungen, mit raumordnungsrechtlichen Methoden künstlich den Einzugsbereich einer Gemeinde entsprechend ihrer Zentralitätszuweisung über das Gleichgewichtsniveau auszuweiten, dann wird es diese Gemeinde sein, deren Einzelhandelsangebot im Wettbewerb den größten Schaden erleidet. Es würde nicht mehr dem definierten Planergebnis entsprechen. Das Interventions ziel wäre verfehlt. b) Zweites Szenario: Verlagerung der Bevölkerung Eine ähnliche Gefährdung des Planergebnisses ergibt sich, sobald die Kaufkraft nicht absolut schrumpft, sondern sich regional verschiebt. Wächst die Bevölkerung der Grundzentren, während die Bevölkerung von Ober- und Mittelzentren schrumpft422, so wird auch ein höheres Maß an Kaufkraft in den Einzelhandel der Grundzentren fließen. Dies gälte selbst dann, wenn sich das Einzelhandelsangebot des Grundzentrums wegen raumordnungsrechtlicher Restriktionen nicht vergrößern kann. Schließlich wägt die Bevölkerung des Grundzentrums bei jedem Einkauf die Wegkosten ab und wird deshalb den Einkauf vor Ort häufig vorziehen, selbst wenn das Angebot dort nicht besonders attraktiv ist. Zwar mag man durch Einzelhandelsrestriktionen Bevölkerungsverschiebungen mittelbar beeinflussen können. Die Unterversorgung einer Gemeinde macht diese als Wohnsitz nicht attraktiver. Doch ist das Einzelhandelsangebot ein nachrangiger Beweggrund für die Wohnsitzwahl.
422 Bevölkerungsverluste der Ober- und Mittelzentren zugunsten kleinerer Gemeinden sind eines der Hauptprobleme der Raumplanung, siehe Aring/Hefert (2001), S. 44 ff.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
c) Drittes Szenario: Wandel der Verbrauchermobilität Ebenfalls wäre das Planergebnis gefährdet, sobald sich die Mobilität der Verbraucher verändert. Beispielsweise könnte der PKW-Besitz zunehmen, weshalb die Wegkosten für die Verbraucher fielen. Andererseits könnten auch die Treibstoffpreise steigen und sich dadurch die Wegkosten erhöhen. Je mobiler die Verbraucher sind, desto eher werden sie Versorgungsfahrten zu Orten einer höheren Zentralitätsstufe unternehmen und desto größer wird das Einzelhandelsangebot infolge höherer Umsätze in diesen Orten sein. Zugleich geht Orten niederer Zentralitätsstufe der Umsatz verloren. Diese Entwicklung führt also zu Beeinträchtigungen der zentralörtlichen Funktion von Gemeinden, die bauplanungsrechtlich und raumordnungsrechtlich nicht vermieden werden kann. Genauso ist der umgekehrte Fall denkbar: Nimmt die Mobilität ab, so muss das Einzelhandelsangebot der niederrangigen Zentren steigen, weil weniger Versorgungsfahrten unternommen werden. Der Umsatz von Orten höherer Zentralitätsstufe wird zeitgleich abnehmen. d) Viertes Szenario: Ausbreitung kleinflächigen Einzelhandels Die raumordnungsrechtlichen Restriktionen verbieten ausschließlich die Zulassung großflächigen Einzelhandels. Wenn Gemeinden durch die Ausweisung von Misch- und Gewerbegebieten dem kleinflächigen Einzelhandel Spielraum schaffen, ist ihr Verhalten raumordnungsrechtlich irrelevant. Das ist nur regelungstechnisch konsequent. Um großflächigen Einzelhandel zuzulassen, muss eine Gemeinde zumeist Sondergebiete ausweisen, und dies kann ihr das Raumordnungsrecht verbieten. Damit sich ihr kleinflächiger Einzelhandelsbestand vergrößert, muss sie zumeist nichts tun. Kleinflächiger Einzelhandel ist im unbeplanten Bereich regelmäßig ohne jede bauleitplanerische Initiative zulässig. Diese Untätigkeit ist raumordnungsrechtlich kaum sanktionierbar. Mit Blick auf das teleokratische Planergebnis ist diese Regelungslücke hingegen höchst inkonsequent. Denn Agglomerationen kleinflächiger Einzelhandelsbetriebe sind genauso dazu in der Lage, Kaufkraft von Nachbargemeinden abzuziehen, wie es wenige Großbetriebsformen sind. Schöpft der großflächige Einzelhandel bereits die gesamte Kaufkraft des Verflechtungsbereichs ab, kann der Einzugsbereich einer Gemeinde mit dem kleinflächigen Einzelhandel über diesen hinauswachsen. Innerhalb dieser raumordnungsrechtlichen Regelungslücke kann sich der Markt weiter entfalten und das Planergebnis beeinträchtigen.
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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e) Fünftes Szenario: Wirtschaftliches Versagen einer Gemeinde Das Kongruenzgebot und das Beeinträchtigungsverbot verbieten Gemeinden, ihren Einzelhandel so attraktiv zu gestalten, dass er in den Verflechtungsbereich der Nachbargemeinden eindringt. Diese Attraktivität hat aber keine absolute Grenze; sie bemisst sich relativ zum Einzelhandelsangebot des unterlegenen Nachbarn. Denn ein rationaler Verbraucher stellt sich nicht die Frage, ob das Angebot nach absoluten Maßstäben „gut“ ist. Er vergleicht es stattdessen mit Alternativangeboten und wägt ab, welches unter Berücksichtigung seiner wohnsitzabhängigen Wegkosten für ihn relativ das Beste ist. Raumordnungsrechtliche Vorgaben erzwingen kein besonders attraktives Einzelhandelsangebot in der Gemeinde. Sie verbieten nur zu attraktive Einzelhandelsangebote relativ zum Nachbarn. Deshalb muss sich das zulässige Höchstmaß an Attraktivität immer am schwächsten Glied zu orientieren. Versagt eine Gemeinde wirtschaftlich, erzwingen die raumordnungsrechtlichen Vorgaben diesem Negativbeispiel zu folgen. In der Rechtsfolge bedeutet dies Folgendes: Bleibt der Einzugsbereich eines Oberzentrums deutlich unter seinem Soll, so führt das ab einem bestimmten Ausmaß (der von der Auslegung des Erheblichkeitsbegriffs abhängt) zum Planungsverbot in allen Mittelzentren des Verflechtungsbereichs sowie den konkurrierenden Oberzentren. f) Auslegungsspielraum und Auslegungsprobleme Der Auslegungsspielraum der raumordnungsrechtlichen Zielbestimmungen ist groß, beinahe uferlos. Entsprechend groß sind auch die Auslegungsprobleme. Regelmäßig werden Beeinträchtigungsverbote sowie Kongruenz- und Konzentrationsgebote als Soll-Bestimmungen formuliert und räumen der Rechtsprechung dadurch die Möglichkeit ein, sie in atypischen Fällen zu durchbrechen. Doch lässt sich der Begriff des atypischen Falls kaum eingrenzen.423 Unklar ist weiterhin, wie eine wesentliche Beeinträchtigung fremder oder die wesentliche Überschreitung des eigenen Verflechtungsbereichs zu definieren und zu prognostizieren ist.424 Und unklar ist insbesondere, wie sich überschneidende Verflechtungsbereiche zweier unterschiedlicher Hierarchiestufen voneinander abgrenzen lassen.425 Kuschnerus fällt ein vernichtendes Urteil: Die Vorgaben zur landesplanerischen Steuerung von Einzelhandelsnutzungen … „… enthalten immer wieder so nebulöse Formulierungen, dass die Adressaten, die die Vorgaben umsetzen müssen, nicht hinreichend bestimmbar erkennen können, was sie zu tun bzw. zu lassen haben. Mit der Aufgabe der Raumordnung unvereinbar ist es jedoch, wenn
423
Hoppe (2004), S. 479 ff.; Kuschnerus (2010), S. 331. Kuschnerus (2010), S. 329. 425 Kuschnerus (2010), S. 330. 424
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
letztlich die für die Raumordnung zuständigen Stellen selbst entscheiden, ob eine bestimmte gemeindliche Bebauungsplanung mit der als Ziel gedachten Vorgabe vereinbar ist oder nicht, wie dies in der Planungspraxis immer wieder geschieht. Sprachliche Stringenz und Eindeutigkeit bei der Formulierung dessen, was der Adressat der Vorgabe konkret zu regeln hat, könnte zudem die heilsame Wirkung haben, dass dem Plangeber des Raumordnungsplans ggf. selbst Zweifel kommen, ob seine Zielvorgabe von den ihm eingeräumten Kompetenzen gedeckt ist und ob die Adressaten sie mit den ihnen von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mitteln überhaupt planerisch umsetzen können.“426
Diese Arbeit folgt der These, dass gewichtige Auslegungsprobleme stets die Folge jeder dauerhaften Regelung sein müssen, die von der Rechtsprechung die Aufrechterhaltung bestimmter Marktergebnisse einfordert. Sichert die Rechtsprechung einem Marktakteur eine bestimmte Stellung, die er im freien Wettbewerb nicht verteidigen könnte, so muss sie fließend Restriktionen gegen dessen Konkurrenten anpassen. Derartige Restriktionen lassen sich schwerlich nach einer allgemeinen Regel festlegen, sondern müssen immer mit Blick auf ein bestimmtes Marktergebnis nach den Umständen des Einzelfalls geplant werden. Prinzipiell können die Gerichte zwar eine allgemeine Formel entwickeln, mit der sie ihre Urteile vorhersehbar machen. Doch ist es schwerlich möglich, anhand solcher Formeln die Wirtschaftlichkeit der Lenkung und die Erreichung teleokratischer Ergebnisse sicherzustellen. Dies wird besonders deshalb zum Problem, weil die Regeln der Einzelhandelssteuerung in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie und mittelbar in die Eigentumsfreiheit eingreifen. Willkürliche Verbote können deshalb nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen – sie müssen auch im Einzelfall eine wirtschaftliche Funktion erfüllen. Dazu sind die raumordnungsrechtlichen Gebote und Verbote nicht immer in der Lage. Das Kongruenzgebot verbietet die Überschreitungen des eigenen Verflechtungsbereichs auch dann, wenn der benachbarte Einzelhandel gar nicht beeinträchtigt würde. Das wäre der Fall, wenn er in der betreffenden Branche über gar kein Angebot verfügt und das Vorhaben nur eine Marktlücke füllt. Diese Verbotswirkung lässt sich dann schwerlich rechtfertigen.427 Dasselbe muss gelten, wenn ein Konzentrationsgebot Einzelhandelsvorhaben in kleineren Gemeinden verhindert, die zentrale Orte gar nicht gefährden.428 Belässt man es aber bei dem Beeinträchtigungsverbot, so müsste man Überschreitungen des Verflechtungsbereichs immer dann zulassen, sollte in der Nachbargemeinde gegenwärtig kein Angebot in der maßgeblichen Branche bestehen. Doch würde deshalb für die Zukunft das Interesse verringert, ein solches Vorhaben nachträglich in der Nachbargemeinde anzusiedeln. Die Marktlücke wurde schließlich geschlossen. Außerdem leidet 426
Kuschnerus (2010), S. 331. Hoppe (2000) spricht in Bezug auf das Kongruenzverbot vom „Makel der Unverhältnismäßigkeit“, die das Beeinträchtigungsverbot nicht aufweise, siehe S. 300; siehe auch ders. (2006), S. 345. 428 Das generelle Verbot von Factory-Outlet-Centern in einer bestimmten Gemeinde wird deshalb durch die Rechtsprechung für unzulässig gehalten, siehe Fn. 168. 427
D. Einzelhandelssteuerung durch Raumordnungsrecht
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das Beeinträchtigungsverbot unter dem Makel, das unbestimmteste der Raumordnungsziele zu sein. Der Landesgesetzgeber vermeidet oft Beeinträchtigungsverbote und versucht, den Problemen von Kongruenz- und Konzentrationsgeboten durch die Normierung von Ausnahmen und unbestimmten Rechtsbegriffen zu begegnen, mit denen besondere Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden können. Indem er auf diese Weise die Verantwortung an die Rechtsprechung weiterreicht, treibt er die Normen an die Grenze der Unbestimmtheit. Die Diskussion, ob den raumordnungsrechtlichen Vorgaben mangels Bestimmtheit die Zielqualität abgesprochen werden muss oder sie mangels Rücksichtnahme auf Besonderheiten des Einzelfalls unverhältnismäßig sind, bleibt deshalb ein juristisches Dauerproblem.429 2. Schutz zentraler Versorgungsbereiche Mit den Problemen beim Schutz zentraler Versorgungsbereiche hat sich diese Arbeit bereits auseinandergesetzt. Es wurde gezeigt: Statische Regeln, die für alle Gemeinden und alle Zeit denselben Inhalt haben, ohne auf die Besonderheiten des Einzelfalls Rücksicht nehmen zu können, entfalten erhebliche Steuerungsdefizite. Dies gilt sowohl für § 34 Abs. 3 BauGB als auch für die Anwendung des § 11 Abs. 3 BauNVO im unbeplanten Bereich. Um das Regelsystem zu verbessern – sei es im Interesse einer verlässlichen Nomokratie oder mit teleokratischer Zielrichtung – müssen die Planersatzregeln deshalb wenigstens in Einzelfällen durch Bauleitplanung außer Kraft gesetzt werden. Durch Regeln des Raumordnungsrechts, die ebenfalls dem Schutz zentraler Versorgungsbereiche dienen, wird der Bauleitplanung dabei eine erhebliche Grenze gesetzt. Integrationsgebote und städtebauliche Beeinträchtigungsverbote gelten ebenso wie §§ 34 Abs. 3 BauGB, 11 Abs. 3 BauNVO für alle Gemeinden zu aller Zeit mit demselben Inhalt und sind deshalb der gezielten Bauleitplanung am Einzelfall unterlegen. Sie sind der Bauleitplanung aber im Gegensatz zur den Planersatzregeln normhierarchisch nach § 1 Abs. 4 BauGB übergeordnet. So hat das Schlechtere Vorrang vor dem Besseren. Wie schädlich die raumordnungsrechtlichen Vorgaben letztlich sind, hängt davon ab, wie streng man sie auslegt. Eine gefestigte Judikatur gibt es nicht. Hier ist aber vielerlei denkbar: Verstünde man etwa die „wesentliche Beeinträchtigung“ eines zentralen Versorgungsbereichs, die durch Beeinträchtigungsverbote untersagt wird, inhaltlich deckungsgleich mit „schädlichen Auswirkungen“ auf einen zentralen Versorgungsbereich, so könnte die Ausschlusswirkung von § 34 Abs. 3 BauGB in Bezug auf großflächige Vorhaben nicht mehr durch Bauleitplanung außer Kraft gesetzt werden. Ähnliche Probleme müssen Integrationsgebote verursachen. Lassen sie großflächigen Einzelhandel nur in städtebaulich integrierten Lagen, also in der Nähe von Wohngebieten 429
Siehe schon Kapitel 1 B. III. 2. b).
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
zu, genießen die Bewohner zwar kurze Einkaufswege. Wird aber ein Großvorhaben mit mehreren tausend Quadratmetern Verkaufsfläche und einer noch größeren Stellplatzanlage in der Nähe einer Wohngegend angesiedelt, so werden die Anwohner dessen Betrieb wegen des Kraftfahrzeuglärms vor allem als Belästigung empfinden. Um solche Fehlsteuerungen zu vermeiden, kennen auch Integrationsgebote verschiedenste Ausnahmen, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Doch welche Regelungsmethodik der Gesetzgeber auch wählt, das Dilemma ist immer dasselbe. Entweder macht er klare Vorgaben – dann wird er in zahlreichen Konstellationen Fehlsteuerungen provozieren – oder er räumt der Rechtsprechung etwa durch eine „Soll-Bestimmung“ nahezu grenzenlose Auslegungsspielräume ein – dann könnten die Gerichte zwar theoretisch Wirtschaftsplanung am Einzelfall vornehmen. Täten sie das, würde die Judikatur aber unberechenbar. Diesem Dilemma zwischen Fehlsteuerung und Rechtsunklarheit kann der Landesgesetzgeber nicht entrinnen.
VI. Zusammenfassung: Die Steuerungswirkung des Raumordnungsrechts Das Raumordnungsrecht verfolgt eine doppelte Zielsetzung: Einerseits soll der zwischengemeindliche Wettbewerb zu einem Ergebnis gesteuert werden, das einer vorgegebenen zentralörtlichen Gliederung entspricht. Andererseits werden die Gemeinden verpflichtet, den innergemeindlichen Wettbewerb ergebnisbezogen zu steuern, um ihre zentralen Versorgungsbereiche zu erhalten. Statt Korrekturen der Marktentwicklungen durch gezielte Eingriffe im Einzelfall vorzunehmen, haben die Länder ein allgemein gehaltenes statisches Regelwerk aus Beeinträchtigungsverboten sowie Kongruenz-, Konzentrations- und Integrationsgeboten erlassen. Zweifellos verlangsamen Verbote bestimmter Bauleitplanungen die Marktentwicklung. Auf lange Sicht bleibt es aber zweifelhaft, ob die Regeln in das gewünschte Marktergebnis münden. Zunächst erwecken Beeinträchtigungsverbote und Kongruenzgebote den Eindruck, die zentralörtliche Gliederung der Verflechtungsbereiche zu garantieren. Doch können sie Marktentwicklungen nur insoweit beeinflussen, als sie in bestimmten Fällen die Ausweisung neuer Sondergebiete und Kerngebiete blockieren. Wurden Einzelhandelsbetriebe aber erst einmal unter bestimmten Marktbedingungen rechtmäßig zugelassen, erlangen sie Bestandsschutz. Von da an folgt die Einzelhandelsentwicklung allein den Marktgesetzen. Wohin sie führt, hängt von zahllosen Faktoren ab, die sich schwerlich auf lange Sicht prognostizieren lassen. Der Preis der Verbote ist eine Einschränkung des gemeindlichen Planungsspielraums, der in Gemeinden mit hohem Wachstumspotential erheblich werden muss. Dort findet Verdrängungswettbewerb nicht mehr statt. Alle zugelassenen großflächigen Betriebe erlangen eine monopolartige Stellung. Eine Anpassung der Einzelhandelslagen an neue Entwicklungen in der Wohnsituation wird blockiert, der Markt
E. Ergebnis
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abgeschottet. Dieser Effekt lässt sich nur vermeiden, wenn die Rechtsprechung in der Rechtsauslegung mit Erheblichkeitsschwellen und Ausnahmeregelungen sehr großzügig umgeht. Dann aber wird es noch unwahrscheinlicher, dass die raumordnenden Interventionen das Planziel erreichen. Ähnliche Probleme müssen Regeln hervorrufen, die Gemeinden zum Schutz ihrer zentralen Versorgungsbereiche zwingen. Die Vorschriften sind vor allem deshalb bedenklich, weil sie keine gemeindeübergreifenden Marktzusammenhänge regulieren, sondern der Gemeinde Vorgaben bei der Verfolgung ihrer eigenen Interessen im eigenen Verantwortungsbereich machen. Diese Interessen könnten die Gemeinden selbst aber viel dynamischer und sachnäher verfolgen. Beeinträchtigungsverbote und Integrationsverbote schränken dabei die Handlungsfähigkeit der Gemeinde zusätzlich ein. Je nach Strenge der Auslegung droht eine Abschottung des Markts durch bestandsgeschützte Betriebe oder die Wirkungslosigkeit der Regeln. Sollte sich der Gesetzgeber entscheiden, aus der Mischordnung auszusteigen, lässt sich schwerlich prognostizieren, wie weit der Weg zum Marktgleichgewicht nunmehr ist. Die raumordnungsrechtlichen Vorgaben blockieren die verschiedensten Marktanpassungen landesweit, sowohl im innergemeindlichen als auch im zwischengemeindlichen Wettbewerb. Hier ist die Komplexität der spontanen Ordnung zu groß, als dass es für den Gesetzgeber vorhersehbar wäre, wie groß die Ausstiegskosten sind. Sie liegen im „Nebel des Marktes“. Doch hat der Gesetzgeber bereits befürchtet, die zentralörtliche Gliederung, welche sich bei einem ungeregelten Markt herausbildete, sei nicht wirtschaftlich. Bleibt er bei dieser Auffassung, so müsste er auch erwarten, dass der Markt die zentralörtliche Gliederung zerstört, fielen die raumordnungsrechtlichen Einschränkungen. Weil eine exakte Prognose niemandem möglich ist, wird man ihn – solange er an einer teleokratischen Sicht auf den Markt festhält – somit auch nicht vom Gegenteil überzeugen können.
E. Ergebnis: Die einzelhandelssteuernde Mischordnung und ihr Problem Die Regeln der Einzelhandelssteuerung begründen eine Mischordnung. Durch die Planung von Wettbewerbskausalitäten sollen sie positive Marktergebnisse herbeiführen. Um bestimmte Betriebe und Einzelhandelszentren zu erhalten, verbieten sie dazu die Errichtung von Konkurrenzbetrieben in bestimmter Form und bestimmten Lagen. Auf diese Weise blockieren die Regeln Anpassungen privater Pläne, die zum Marktgleichgewicht führen würden. Doch können die Regeln bei statischer Geltung niemals alle Marktentwicklungen aufhalten, die eine Gefährdung der Wunschbetriebe zur Folge hätten. Konnten sie bei Erlass ihr Ergebnis noch garantieren, so werden Marktentwicklungen auf lange Sicht den Umsatz zahlreicher Wunschbetriebe ausdünnen.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
Stößt nun einer dieser Betriebe an seine Verlustgrenze, gerät der Regulierer in ein Trilemma. Die Regel in derselben Form aufrecht zu erhalten wäre funktionslos. Sie erreicht ihr positives Ergebnis nicht und hat daher weder einen teleokratischen noch einen nomokratischen Wert. Hebt der Regulierer die Regeln nun auf, realisiert sich das Marktungleichgewicht, welches er durch die Blockade von Marktanpassungen aufgestaut hat, und bedroht alle Betriebe unter Gleichgewichtsniveau. Aus teleokratischer Perspektive wäre es konsequent, die Wettbewerbsverzerrung durch weitere Regulierung zu verschärfen. Doch dadurch verschärft sich auch die Abweichung der realen Marktlage vom hypothetischen Marktgleichgewicht unter nomokratischen Bedingungen.
I. Das Verhältnis von Bauleitplanung und Planersatz Während der Bundesgesetzgeber vor allem gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen liefert, sind an der aktiven Einzelhandelssteuerung vor allem zwei Akteure beteiligt, nämlich die Gemeinden und die Länder. Teleokratisches Ziel der Gemeinden ist die Erhaltung von Nahversorgungsbetrieben in den Wohnquartieren sowie der Schutz ihrer gewachsenen Zentren. Um diese Ziele zu verwirklichen hat sie zwei Möglichkeiten: Entweder bemüht sie sich im Rahmen der Bauleitplanung unerwünschte Standorte mit Ausschlussplanungen zu blockieren oder wenigstens zu schwächen. Dann bevorzugt sie gezielt Standorte im Wettbewerb, die sie für erhaltenswert hält. Alternativ verzichtet sie auf aktive Bauleitplanung und vertraut auf die Steuerungswirkung der gesetzlichen Planersatzregeln, namentlich §§ 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit 11 Abs. 3 BauNVO sowie § 34 Abs. 3 BauGB. Die aktive Bauleitplanung innerhalb einer Gemeinde ist der Steuerungswirkung statischer Gesetze überlegen. Will man bestimmte Betriebe erhalten, so muss man ihre überlegene Konkurrenz behindern. Gleichzeitig wollen Gemeinden ihren lokalen Markt nicht gänzlich abschotten. Um zwischen bestimmten Wettbewerbsergebnissen und gleichzeitiger Marköffnung eine optimale teleokratische Balance zu finden, ist es erforderlich, Restriktionen gegen die Konkurrenz möglichst fein zu dosieren. Bundesweit einheitlich geltende Gesetze können schwerlich auf Feinheiten bestimmter Ortsteile Rücksicht nehmen und die Dosierung ihrer Ausschlusswirkung gezielt anpassen. Diese allgemeinen Gesetze haben bereits Schwierigkeiten, die erhaltenswürdigen Betriebe überhaupt zu identifizieren: Im Begriff des „zentralen Versorgungsbereichs“ findet sich nicht ohne weiteres die Nahversorgungsfunktion oder der Wert einer gewachsenen Ästhetik wieder. Dieses Problem kann die Rechtsprechung auch schwerlich auf der Auslegungsebene lösen. Bemüht sich die Rechtsprechung, jedem Einzelfall Rechnung zu tragen, kann sich keine verlässliche Judikatur herausbilden, die ihre Entscheidungen vorhersehbar macht. Die Interessen und Pläne, die am Markt zusammenfließen, sind zu komplex, als dass man sie nach einem übersichtlichen Maßstab gewichten oder überhaupt nur
E. Ergebnis
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in ihren Feinheiten überblicken könnte. Der Rechtsprechung bleibt nichts anderes üblich, als nach einer Typisierung zu suchen, die den geringsten Fehlsteuerungseffekt hat. Doch bei allen Bemühungen der Rechtsprechung werden ihre Auslegungskriterien niemals die Präzision gezielter Bauleitplanung erreichen. Man darf daher nicht der Illusion verfallen, Marktergebnisse könnten innerhalb der Mischordnung durch ein statisches Regelwerk garantiert werden. Die Gemeinde kommt deshalb nicht umhin, den Planersatz im Einzelfall durch Bauleitplanung zu korrigieren, sollten zulässige Bauvorhaben in Aussicht stehen, die sie ablehnt, oder unzulässige Bauvorhaben vorgeschlagen werden, die sie wünscht.
II. Landesrechtliche Vorgaben des Raumordnungsrechts Der Planungsspielraum der Gemeinden wird durch Vorgaben des Raumordnungsrechts beschränkt. Einerseits zwingt das Raumordnungsrecht mit Integrationsgeboten und städtebaulichen Beeinträchtigungsverboten die Gemeinden zum Schutz ihrer eigenen zentralen Versorgungsbereiche. Weil es sich hierbei um landesweit gültige statische Gesetze handelt, die allenfalls über Generalklauseln Rücksicht auf die Besonderheiten einzelner Gemeinden nehmen können, ist diese landesgesetzgeberische Intervention auch aus teleokratischer Perspektive wenig überzeugend. Andererseits gibt das Raumordnungsrecht die zentralörtliche Gliederung und damit die Ergebnisse zwischengemeindlichen Wettbewerbs vor. Die Regeln verbieten Gemeinden, denen ein niederer Zentralitätswert zugewiesen wurde, ab einem bestimmten Entwicklungsstand die Ausweisung weiterer Sonder- und Kerngebiete für den großflächigen Einzelhandel. Auf diese Weise wird verhindert, dass sich die Einzelhandelsangebote an den Wandel der Verbraucherinteressen anpassen. In Gemeinden, deren Einzelhandel bisher größeren Wettbewerbserfolg erzielte, als in den Raumordnungsprogrammen vorgesehen, blockieren raumordnungsrechtliche Vorgaben weitere Sonder- und Kerngebietsausweisungen. Deshalb muss das Einzelhandelsangebot innerhalb dieser Gemeinden unter dem Gleichgewichtsniveau bleiben. Außerdem zwingt das Raumordnungsrecht die Gemeinden im Wettbewerb dazu, sich am schwächsten Glied zu orientieren. Doch auch, wenn das Raumordnungsrecht den Planungsspielraum einer Gemeinde theoretisch massiv verringern und den Marktzugang für großflächige Betriebsformen fast vollständig verschließen kann, garantiert es dennoch nicht die angestrebten Planergebnisse. Zahlreiche Marktentwicklungen sind nämlich nicht auf Sondergebietsausweisungen angewiesen. Wegen der Komplexität landesweiter Einzelhandelsentwicklungen und zahlreicher ungeklärter Auslegungsfragen lassen sich die Auswirkungen der Regeln kaum prognostizieren. Jedenfalls aber stören sie das Marktgleichgewicht umso stärker, je strenger sie ausgelegt und angewendet werden, und garantieren das angestrebte Marktergebnis umso weniger, je großzügiger man mit ihren Ausnahmen und Unerheblichkeitsschwellen umgeht.
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Kap. 3: Einzelhandelssteuerung als Mischordnung
III. Zusammenfassung und offene Fragen Die Regeln der Einzelhandelssteuerung zielen auf positive Wettbewerbsergebnisse. Um bestimmte Betriebe zu begünstigen und dadurch ein konkretes Marktergebnis zu bewirken, müssen sie die Anpassungen der Marktpläne an das Marktgleichgewicht blockieren. In diesem Kapitel wurde davon ausgegangen, dass durch solche Anpassungen die Effizienz der Gesamtordnung erhöht wird. Wer sich ihnen entgegenstellt, kann wegen des komplexitätsbedingten „Nebel des Marktes“ nicht erkennen, welche Mittelverschwendung er herbeiführt. Auf lange Sicht muss sich das Problem zuspitzen. Reichte eine Intervention unter gegenwärtigen Marktbedingungen aus, um den Wettbewerbsnachteil eines schlecht anpassten Betriebes auszugleichen, so wird sie ihn mittelfristig dennoch im Regelfall nicht retten können. Die einzige Möglichkeit, das Ergebnis dennoch zu garantieren, ist die erneute Intervention. Mit jeder weiteren Intervention wird das Marktungleichgewicht jedoch weiter verstärkt. Bei dem Ausstieg aus der Mischordnung realisiert sich das Marktgleichgewicht und gefährdet die Existenz aller Betriebe, die zwischenzeitlich unter Gleichgewichtsniveau überleben konnten. Worin die veranlasste Ineffizienz eigentlich besteht, wurde bisher nicht vertieft. Hayek geht davon aus, der Preismechanismus könne mehr verstreutes Wissen über die komplexen Markzusammenhänge bündeln als jede zentrale Planungsinstanz. Deshalb werde der Wettbewerb die Pläne der Marktakteure effizienter aufeinander abstimmen. Letztere Annahme ist für ihn ein Dogma, das in demokratischen Prozessen idealerweise niemals zur Diskussion gestellt wird.430 Einem derartigen Dogma kann sich eine wissenschaftliche Untersuchung nicht unterwerfen. Im 4. Kapitel wird sich zeigen, dass die Grundbegriffe der Mikroökonomie es ermöglichen, Auswirkungen von Regulierungsentscheidungen auf das Nutzenniveau verschiedenster Marktakteure näher zu bestimmen. Auf dieser Basis soll die Evidenz der Hayekschen Lehre im Blick auf den Untersuchungsgegenstand, die bauplanrechtliche Einzelhandelssteuerung, überprüft werden.
430
Zur Demokratietheorie Hayeks siehe Schlussbetrachtung Abschnitt B. I.
Kapitel 4
Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen Das vierte Kapitel widmet sich der Ineffizienz bauplanungsrechtlicher Einzelhandelssteuerung. Es zeigt auf, dass die ergebnisbezogene Steuerung von Wettbewerbs entwicklungen im Einzelhandel zu Mittelverschwendungen führen muss. Diese Mittelverschwendungen könnten durch Steuerungsmaßnahmen vermieden werden, welche diese Arbeit mit dem Begriff der „Parallelordnungsmethode“ charakterisiert.
A. Methodik, Terminologie und Effizienzmaßstab I. Spieltheoretische Prognose rationalen Verhaltens Das Kapitel prognostiziert die Auswirkungen bauplanungsrechtlicher Mischordnungsinterventionen auf das Verhalten der Rechtsunterworfenen. Auch wenn bei der Verhaltensanalyse auf die Erkenntnisse verschiedener empirischer Studien verwiesen wird, ist der Schwerpunkt der Argumentation deduktiv. Sie beruht auf der Analysemethode der ökonomischen Spieltheorie. Die spieltheoretische Deduktion geht vom Menschenbild des homo oeconomicus aus. Versetzt man sich in die Perspektive eines Individuums, das diesem Menschenbild entspricht, kann man eine Verhaltensvorhersage unter bestimmten rechtlichen Bedingungen („Restriktionen“) deduzieren (methodologischer Individualismus).431 Diese spieltheoretischen Prognosen treffen wohlgemerkt nur so weit zu, wie das Menschenbild des homo oeconomicus der Realität entspricht. Weil das nicht exakt der Fall ist, erzeugen sie streng genommen nur Verhaltensmodelle432 und keine Wahrsagerei. Doch nähert sich das Verhaltensmodell des homo oeconomicus nach Auffassung des Verfassers hinreichend der Wirklichkeit an, um die zentralen Schwächen ergebnisbezogener Einzelhandelssteuerung aufzuzeigen. Im ökonomischen Begriffssystem hat das Individuum verschiedene Präferenzen, deren Erfüllung es wünscht. Deren Inhalt ist grundsätzlich offen und kann durch 431 Siehe zum methodologischen Individualismus Kirsch (2004), S. 19 f. Gegenmodell zum homo oeconomicus ist der „homo sociologicus“, der sich ohne eigene Mündigkeit in die gegebenen sozialen Normenstrukturen einfügt und bei dessen Prämisse der methodologische Individualismus einem methodologischen Strukturalismus weichen muss, vgl. Adams (2004), S. 26; grundlegend zum Konzept des homo sociologicus Dahrendorf (1965/2006). 432 Zum Modellbegriff Oberender/Fleischmann (2004), S. 48 f.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
das Individuum frei gewählt werden. Gelingt es ihm, seine Präferenzen zu erfüllen, erlangt es einen Nutzen. Die verschiedenen Präferenzen haben unterschiedliche Nutzenwerte, die sich zueinander in Relation setzen lassen. Aus der Natur dieser Begrifflichkeiten ergibt sich, dass das Individuum nach der Maximierung des realisierten Gesamtnutzenwertes strebt. Die Spieltheorie befasst sich mit den strategischen Entscheidungen, die einzelne Individuen – die als Spieler betrachtet werden – treffen können, um ihr Nutzenniveau zu verbessern. Hauptziel der Spieltheorie ist es, die optimale Strategie jedes Spielers zu bestimmen, das heißt jene Strategie, die aus seiner Sicht zum höchsten Gesamtnutzen führt.433 Das Menschenbild des homo oeconomicus unterstellt nun, dass alle Individuen rational agieren, also sich für die als optimal erkannte Strategie entscheiden werden („rational choice“).434 Spieltheoretisch wird diese Strategie als dominante Strategie bezeichnet.435 Solange die Präferenzen der einzelnen Individuen offen bleiben, scheint es auf den ersten Blick unmöglich, ihre optimale Strategie zu bestimmen. Dieser Eindruck relativiert sich jedoch deshalb entscheidend, weil zur Verwirklichung aller Präferenzen Mittel benötigt werden, die zu erlangen jedes Individuum als Zwischenschritt zur Präferenzverwirklichung wollen muss. In der modernen Marktwirtschaft ist ein Mittel annähernd zur Verwirklichung aller Präferenzen geeignet, nämlich Geld. Dominante Strategie des homo oeconomicus ist daher immer die Vergrößerung seines Geldvermögens. Wo immer er zur Verwirklichung anderer Ziele Geldmittel einsetzt, ist wegen der unterstellten Rationalität der Individuen anzunehmen, dass der Nutzenwert dieser Ziele den Wert des geopferten Geldes übersteigt. Die meisten Nutzenwerte lassen sich auf diese Weise monetarisieren.436 Das Menschenbild des homo oeconomicus gilt für viele als nicht realitätsgerecht. Real entscheiden sich Menschen nicht immer für die dominante Strategie, sie handeln oft irrational.437 Irrationales Verhalten kann durch die dargestellte deduktive Verhaltensprognose nicht vorhergesehen werden. Das Maß individueller Irrationalität korrespondiert mit der Abweichung des Modells von der Wirklichkeit. Es gibt aber ein entscheidendes Argument, das diesen Einwand abschwächt und aufzeigt, dass diese Abweichung gering ausfallen wird: Im unternehmerischen Wettbewerb werden jene Unternehmer den größten Erfolg haben, die rational agieren und der dominanten Strategie folgen. Wer sich irrational verhält, bankrottiert. Selbst wenn also die Mehrheit der Menschen irrational agieren mag, überträgt der Wettbewerb die Entscheidungsgewalt über die marktwirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen an Menschen vom Typus des homo oeconomicus. Deshalb wird die 433
Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 658 f.; Varian (2009), S. 579 ff.; Kyrer (2001a), S. 15 ff. Vgl. Kirsch (2004), S. 3 ff.; Kyrer (2001a), S. 8 ff.; Oberender/Fleischmann (2004), S. 55. 435 Varian (2009), S. 580. 436 Sog. Zahlungsbereitschaftsansatz der Nutzenbewertung, siehe dazu Mühlenkamp (1994), S. 27. 437 Kritisch zu Modellannahmen, die auf der Prämisse individueller Rationalität beruhen, äußert sich auch der „Hayekianer“ Gray (1987). S. 33 ff.; siehe auch Wittig (1993), S. 126 ff.; Meyer (2002), S. 68 ff. Zur Verteidigung der Rationalitätsprämisse Kirsch (2004), S. 6 ff. 434
A. Methodik, Terminologie und Effizienzmaßstab
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Anbieterseite größtenteils rational agieren. Für die Verbraucherseite gilt dieses Argument nur begrenzt. Dennoch sind Variablen einer Verbraucherentscheidung meist von geringerer Komplexität, sodass die meisten Menschen überwiegend dazu in der Lage sind, sich beim Einkauf rational zu verhalten. Die spieltheoretische Prognose der Regelwirkungen wird sich daher zu weiten Teilen mit der Wirklichkeit decken. Sie reicht aus, um das Verhalten der Regelunterworfenen wenigstens schematisch vorherzusehen.
II. Wertungsmaßstab: Effizienzniveau gemessen an den Präferenzen des Regulierers Dieses Kapitel bewertet die Effizienz der Regeln bauplanungsrechtlicher Einzelhandelssteuerung. Der Begriff der Effizienz beschreibt das Verhältnis von Kosten und Nutzen.438 Der Effizienzwert muss sich verschieben, je nachdem, auf welche Zwecke man den Nutzenbegriff ausrichtet. Aus der Perspektive der Rechtsunterworfenen ist die Effizienz der Regeln umso größer, je höher der Nutzen bezogen auf die selbst gewählten Präferenzen ausfällt. Die individualistische Perspektive des homo oeconomicus deckt nicht bloß zukünftige Verhaltensweisen, sondern zugleich die Kosten- und Nutzenwerte verschiedener Entscheidungsoptionen auf. Aus ihnen wird nämlich erst auf das zukünftige Verhalten geschlossen. Ineffizienz tritt immer auf, wenn ein bestimmtes Regelsystem die Entscheidungsoption mit der besten Kosten-Nutzen-Relation blockiert, diese Option hingegen in einem alternativ denkbaren Regelsystem offen stünde. Die Verhaltensprognose schließt somit automatisch eine Effizienzanalyse ein. Weil jedoch unterschiedliche Rechtsunterworfene unterschiedliche Präferenzen verfolgen, ist dieser Effizienzbegriff nicht objektivierbar, sondern hängt davon ab, wessen Perspektive man einnimmt. Der herrschende Effizienzbegriff der Wirtschaftswissenschaften folgt dem Pareto-Kriterium: Eine pareto-optimale Güterverteilung ist erreicht, wenn sich das Nutzenniveau keines Individuums mehr erhöhen lässt, ohne das Nutzenniveau eines anderen Individuums zu verschlechtern.439 Dieses Kriterium lässt keinen interindividuellen Kosten-Nutzen-Vergleich zu.440 Diese Arbeit nimmt stattdessen die Perspektive des Regulierers ein. Aus seiner Perspektive kann von bekannten Präferenzen ausgegangen werden, namentlich von den Zielen, welche die Einzelhandelssteuerung verfolgt. Diese Ziele sind jedoch nicht begreifbar, wenn man nicht das Nutzenniveau einzelner Rechtsunter 438
Kyrer (2001a), S. 63. Varian (2009), S. 16 f.; Reiß (2007), S. 392; Luckenbach (2000), S. 23 ff.; Böventer/ Illing (1997), S. 257 ff.; Kreps (1994), S. 135 ff.; Henderson/Quandt (1983), S. 300 ff. 440 Anders hingegen das Kaldor-Hicks-Kriterium, dessen Aussagekraft aber wegen gewichtiger wissenschaftlicher Einwände bezweifelt werden muss, siehe z. B. Aaken (2003), S. 93 ff.; Luckenbach (2000), S. 27 ff. 439
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
worfener in das Blickfeld nimmt. Unterstellt man nämlich dem Regulierer ein demokratisches Verantwortungsbewusstsein, betreibt er die Einzelhandelssteuerung nicht beliebig, sondern im Interesse rechtsunterworfener Individuen. Er erreicht seine Ziele nur dann, wenn er das Nutzenniveau dieser rechtsunterworfenen Individuen verbessert. Das Individuum wird damit als Autorität anerkannt, die entscheidet, was wünschenswert ist und was nicht.441 Der Regulierer wählt bei seinen Förderungsmaßnahmen jene Individuen aus, denen er diese Autorität zuspricht. Dabei handelt es sich vor allem um die Verbraucherseite. Jede einzelhandelssteuernde Maßnahme dient somit der Befriedigung vermuteter Präferenzen bestimmter Rechtsunterworfener. Insgesamt gibt es vier Ziele, die der Regulierer verfolgt: 1. Die Erhaltung der Nahversorgung; die Präferenz für kurze Wege soll im Interesse immobiler Verbraucher gefördert werden. 2. Die Erhaltung des Einzelhandels in Innenstädten und anderen gewachsenen Zentren; gefördert werden soll die Verbraucherpräferenz für ästhetische Einkaufslagen. 3. Die Erhaltung einer geplanten zentralörtlichen Gliederung; diese dient Verbraucherpräferenzen für ein ausgewogenes Verhältnis von Betriebskosten, Angebotsumfang und Wegkosten. 4. Die Reduktion der Verkehrsbelastung; Straßenverstopfung, Straßenerhaltungskosten und der Schadstoffausstoß sollen im Interesse der Allgemeinheit reduziert werden. Zu beachten ist, dass die Mischordnungsintervention nicht bereits dann das Nutzenniveau eines Verbrauchers verbessert, wenn die vermuteten Präferenzen auch tatsächliche Präferenzen der Verbraucher sind und diese in gewissem Maße gefördert werden. Vielmehr muss der Grenznutzen dieser Förderung ihre Grenzopportunitätskosten überwiegen. Mittel sind generell begrenzt. Die kardinale Nutzentheorie beschreibt mit Nutzen- und Kosteneinheiten den optimalen Mitteleinsatz. Dem Genuss eines Gutes wird ein bestimmter Nutzenwert zugemessen, der mit dem Genuss anderer Güter verglichen werden kann. Daraus ergibt sich, dass die begrenzten Mittel zur Produktion desjenigen Gutes eingesetzt werden sollten, dessen Genuss den höchsten Nutzenwert im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteleinheiten realisiert. Auf diese Weise wäre der Nutzen maximal, den man aus den begrenzten Mitteln zieht (dies ist die Denkweise eines homo oeconomicus). Ginge man davon aus, der Nutzenwert eines Gutes sei statisch, so wäre es rational, alle Mittel zur Produktion nur eines Gutes einzusetzen, nämlich des Gutes mit der besten Nutzen-Mittel-Relation. Ein statischer Nutzenwert ist 441
Zum normativen Individualismus der neuen politischen Ökonomie siehe Kirsch (2004), S. 20 ff.
A. Methodik, Terminologie und Effizienzmaßstab
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jedoch nicht realitätsgerecht. Stattdessen folgen die gängigen Modelle der Lehre vom fallenden Grenznutzen. Das erste „Gossensche Gesetz“442 (Sättigungsgesetz) besagt: „Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt.“443 Der abnehmende Genuss bezieht sich auf die Steigung des Nutzens bei gleichmäßigem Mitteleinsatz. Je mehr Mittel man in die Produktion eines Gutes investiert, desto geringer wird der Nutzenwert pro Mitteleinheit. Ab einer bestimmten Gütermenge wird kein Nutzen mehr erzielt, dies ist der Zustand der Sättigung. Die Steigerung des Nutzens im Verhältnis zum weiteren Mitteleinsatz an einem bestimmten Punkt der unten dargestellten Kurve wird als Grenznutzen bezeichnet.
Leitet man die dargestellte Nutzenfunktion ab, so erhält man den Steigungswinkel der Kurve. Diese Steigung gibt den Grenznutzen an. Bei Eintritt der Sättigung ist der Grenznutzen auf null gefallen. Die weitere Produktion des Gutes ist unnütz. Zu beachten ist, dass der Kurvenverlauf hypothetisch ist. In der Realität hängt der Verlauf der Kurven von der Art des produzierten Gutes ab und kann sich weitgehend unterscheiden. Allen Gütern ist jedoch gemein, dass ihr Nutzen pro Einheit ab einer bestimmten Menge sinkt und bei Erreichen einer Sättigung entfallen wird. Obwohl die Produktion eines Gutes bis zur Sättigung zweifellos nützlich ist, wäre es irrational, sie bis zu diesem Punkt fortzusetzen. Die begrenz 442
Benannt nach Herrmann Heinrich Gossen (1810–1858). Zitiert nach Fehl/Oberender (1999), S. 307.
443
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
ten Mittel können nämlich alternativ zur Produktion anderer Güter eingesetzt werden. Angenommen, die Produktion des Gutes A realisiert den höchsten Nutzen pro Mitteleinheit. Setzt man seine Produktion fort, verschlechtert sich dieses Verhältnis unter der Annahme des fallenden Grenznutzens fortlaufend. Irgendwann fällt die Mittel-Nutzen-Relation unter den Wert des Gutes B. Nunmehr wird es rational, die Produktion des Gutes A einzustellen und die verbliebenen Mittel zur Produktion des Gutes B einzusetzen. Dieser Gedanke führt zum zweiten „Gossenschen Gesetz“: „Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehreren Gütern frei steht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, alle vollaus sich zu bereiten, muß, wie verschieden auch die absolute Größe der einzelnen Genüsse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Größten zu bringen, bevor auch nur den größten sich vollaus bereitet, sie alle teilweise bereiten, und zwar in einem solchen Verhältnis, daß die Größe eines jeden Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Bereitung abgebrochen wird, bei allen die gleiche bleibt.“444 Die Produktion eines Gutes ist wegen der Begrenztheit der Mittel nur durch Verzicht auf die Produktion anderer Güter möglich. Die Nutzung des Gutes „kostet“ also die Nutzung anderer Güter. Diesen Nutzenverzicht nennt man Opportunitätskosten.445 Solange man jenes Gut produziert, das in seiner gegenwärtigen Menge die beste Mittel-Nutzen-Relation aufweist, übersteigt sein Nutzen die Opportunitätskosten. Bei optimalem Mitteleinsatz entspricht der Grenznutzen der Produktion jedes Gutes den Grenzopportunitätskosten und der vorhandene Bestand an Mitteln wird vollständig ausgeschöpft.446 444
Zitiert nach Fehl/Oberender (1999), S. 309. Paschke (2003), S. 30 ff. 446 Vgl. dazu Herdzina (1993), S. 54 ff. 445
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Nicht jeder regulative Akt, durch den bestimmte Präferenzen eines Verbrauchers gefördert werden, ist aus Sicht dieses Verbrauchers wünschenswert. Ist die Förderung einer Präferenz für den Verbraucher nur zu dem Preis zu haben, dass er Einbußen bei anderen Präferenzen erleidet, denen er einen höheren Wert zumisst (die Grenzkosten übersteigen den Grenznutzen), dann wird sein Nutzenniveau insgesamt beeinträchtigt, nicht verbessert. Der Regulierer handelt ineffizient, wenn er eine Regelordnung konstruiert, in der das Verhältnis von Grenzkosten und Grenznutzen schlechter ist als in alternativ denkbaren Regelordnungen.447 Das vorliegende Kapitel vergleicht das Nutzenniveau von drei Ordnungstypen: der Nomokratie, der realen einzelhandelssteuernden Mischordnung und verschiedener Parallelordnungsentwürfe, die der Regulierer alternativ realisieren könnte. Die Ineffizienz der Mischordnungsintervention offenbart sich, wenn das Nutzenniveau der Verbraucher innerhalb der Nomokratie oder einer denkbaren Parallelordnung höher ausfällt.
III. Abstraktes Wettbewerbsschema: Effizienzverluste durch Mischordnungsinterventionen im Modell der Substitutionskonkurrenz Bevor dieses Kapitel auf die Methoden der Einzelhandelssteuerung eingeht, wird eine abstrakte Mischordnungstheorie vorangestellt. Ohne auf die Einzelheiten der Einzelhandelssteuerung einzugehen, schematisiert diese Theorie generell das Marktverhalten und das Nutzenniveau der Regelunterworfenen innerhalb einer Mischordnung. Ihr Schematismus kann aufzeigen, wie im nomokratischen Wettbewerb die Anbieter verschiedene Verbraucherpräferenzen erfüllen und welche Preise sich dabei bilden. Wenn durch eine Mischordnungsintervention der Markteintritt von Anbietern verhindert wird, um ein bestimmtes Marktergebnis herbeizuführen, muss dies – wie sich sogleich zeigen wird – zu einer Beeinträchtigung des Nutzenniveaus der Verbraucher führen. Diese Wohlstandsverluste sind vermeidbar, wenn der Regulierer bei der Verfolgung seiner Ziele Parallelordnungsmethoden gebraucht. Der Abstraktionsgrad des Schematismus wird insoweit eingeschränkt, als er von Mischordnungsinterventionen ausgeht, welche die Standortwahl der Anbieter lenken sollen und mit Marktzutrittsbarrieren operieren. Erstes ist nämlich die Zielsetzung der Einzelhandelssteuerung, zweites ihre Methode. Zunächst bleiben Begriffe wie zum Beispiel Regulierer, Präferenz, Nutzen, Gut, Anbieter und Produktion offen. Erst im Anschluss werden sie durch Einordnung der einzelhandelssteuernden Maßnahmen in das gegebene Schema in Bezug auf den Einzelhandel konkretisiert. 447
Kyrer (2001a), S. 287.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
Wenn diese Arbeit von Produktion spricht, so verwendet sie diesen Begriff in einem sehr weiten Sinne. Produktion bezeichnet im Weiteren jeden Verbrauch von materiellen oder immateriellen Mitteln zur Erzeugung eines konsumierbaren materiellen oder immateriellen Gutes und schließt damit auch Dienstleistungen sowie den bloßen Warenvertrieb ein.448 Einzelhandel ist in diesem Sinne die „Produktion“ des immateriellen Gutes „Warenerreichbarkeit“, auch wenn dies dem natürlichen Sprachempfinden widerspricht. Keinesfalls sind mit Produktion bloß technische Verfahren der Gütererzeugung unter Verbrauch von Werkstoffen gemeint.449 Der hier zu entwickelnde Schematismus nimmt einen abstrakten Vergleich des Nutzenniveaus der Verbraucher innerhalb der Nomokratie, der Mischordnung und der Parallelordnung vor. Er typisiert die Nutzeneinbußen allgemein. Um Kosten und Nutzen genauer zu gewichten muss allerdings – wie im Weiteren geschehen – ein empirischer Fallbezug hergestellt werden. 1. Die Erfüllung von Verbraucherpräferenzen im nomokratischen Wettbewerb Innerhalb der Nomokratie ist der Markt frei. Berufe und Vertragspartner können frei gewählt werden. Rechtliche Marktzutrittsbarrieren existieren nicht. Einzelfallbezogene Hoheitseingriffe finden nicht statt. Es wird allein eine aus abstrakten Regeln bestehende Rahmenordnung durchgesetzt. a) Das Modell vollständiger Konkurrenz Um die Auswirkungen des Wettbewerbs (unter nomokratischen Bedingungen) auf das Nutzenniveau der Verbraucher zu veranschaulichen, greift die Ökonomie auf das Modell vollständiger Konkurrenz zurück.450 Das Modell geht von einer Reihe extremer und damit unrealistischer Annahmen aus, unter denen der Wettbewerb optimal funktioniert. Zu diesen Annahmen gehören das Auftreten einer unendlichen Vielzahl an Anbietern und Nachfragern, einheitliche Präferenzen unter den Nachfragern sowie das Fehlen jedweder Transaktionskosten.
448 Der weitgefasste Produktionsbegriff grenzt diese als Wertschöpfungsprozess von der Konsumtion ab und wird in neueren Veröffentlichungen immer häufiger zugrunde gelegt, so Sydow/ Möllering (2009), S. 7. 449 So hingegen die klassische Definition von Produktion, welche auf die Industrie zugeschnitten ist und diese insbesondere von Dienstleistungen abgrenzt, grundlegend Gutenberg (1951/1983), S. 3; siehe dazu Corsten/Gössinger (2012), S. 4 ff. 450 Siehe bereits Kapitel 2 Abschnitt B. II.
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Am Markt wird Geld zum Mittler zwischen den verschiedenen Produktionsformen. Tritt ein gesamtwirtschaftlich optimales Marktgleichgewicht ein, objektiviert der Marktpreis die Opportunitätskosten in Geldbeträgen. Unter den Bedingungen vollständiger Konkurrenz zwingt der Wettbewerb die Anbieter, ihre Grenzpreise auf das Niveau ihrer Grenzkosten abzusenken. In diesem Wettbewerb überleben nur die Anbieter, welche zu den niedrigsten Grenzkosten produzieren und deshalb zu den niedrigsten Grenzpreisen anzubieten in der Lage sind. Kein Anbieter kann einen Gewinn erzielen. Die Grenzkosten der Produktion, die Grenzpreise und der Grenznutzen der Verbraucher sind identisch. Damit sind die Preise und Produktionskosten minimal, der Verbrauchernutzen wurde hingegen unter Einsatz der begrenzten Mittel maximiert. Dieser Zustand stellt das soziale Optimum dar.451 b) Reale Abweichungen vom Modell vollständiger Konkurrenz Innerhalb des Modells vollständiger Konkurrenz findet ausschließlich Preiswettbewerb durch Erhöhung der Produktionseffizienz statt. In der Realität treffen seine Annahmen jedoch nicht zu: Zum einen ist die Zahl an Anbietern begrenzt, zum anderen divergieren die Präferenzen der Verbraucher.452 Dadurch, dass Transaktionskosten auftreten, werden beide Effekte verstärkt. Wegen ihrer Transportkosten weichen nämlich die standortbezogenen Präferenzen der Verbraucher voneinander ab und binden sie räumlich an eine noch weiter beschränkte Anbieterzahl. Wettbewerbsstrategien fallen unter diesen erweiterten Bedingungen erheblich komplexer aus. Im Preiswettbewerb kann ein Anbieter nur überleben, indem er die Grenzkosten seiner Produktion senkt. Wie dies gelingt, ist eine technische Frage und hängt von der Art des produzierten Gutes ab. Bei vielen Gütern ist es allerdings so, dass mit einer höheren Produktionsmenge die Durchschnittskosten (variable Kosten453) pro Einheit des produzierten Gutes sinken. Aus diesem Grund können Anbieter bei der Kostenreduktion nur Schritt halten, wenn sie eine bestimmte Größe erreichen. Werden Größenvorteile (auch als „Skaleneffekte“ bezeichnet) wirksam, dann sind an einem Markt nicht eine annähernd unbegrenzte Zahl kleiner Anbieter vorhanden, sondern nur wenige große. Die Großen verdrängen die kleinen automatisch, weil sie dank niedrigerer Produktionskosten auch zu niedrigeren Preisen veräußern können.454 Zusätzlich muss beachtet werden, dass die Verbraucherpräferenzen uneinheitlich sind. Die Präferenzpositionen der Verbraucher unterscheiden sich nach dem 451 Fritsch (2011), S. 25 ff.; Schneider (1995), S. 121; Varian (2009), S. 343 f.; Henderson/ Quandt (1983), S. 306 ff. 452 Herdzina (1993), S. 150. 453 Paschke (2003), S. 233 f. 454 Fritsch (2011), S. 159; Natrop (2006), S. 138 ff.; Paschke (2003), S. 219 f.
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Standort, der Geschmacksrichtung und der Qualitäts- bzw. Preisklasse eines Produkts. Entfernt sich das Produkt von der Präferenzposition eines Verbrauchers, ist diese Entfernung für ihn mit einer Nutzeneinbuße verbunden. Entfernt sich das Angebot räumlich von dem Bewegungsumfeld des Verbrauchers, bringt der Konsum des Angebots zusätzliche Wegkosten mit sich. Entfernt sich die Geschmacksrichtung des Angebots vom Verbrauchergeschmack, so erleidet er durch Konsum des Produkts Verluste bei der Geschmackspräferenz. Übertrifft das Produkt die Preisklasse des Verbrauchers, erleidet er unnötige Opportunitätskosten, unterschreitet es sie, so erleidet er sie möglicherweise bei der Qualitätspräferenz. Weil Größenvorteile ausgeschöpft werden müssen, ist die Zahl der Anbieter am Markt begrenzt. Da Verbraucher spezielle Präferenzpositionen einnehmen, beschränkt sich ihre Auswahlmöglichkeit nur auf einen Bruchteil der am Markt vertretenen Anbieter. Alle anderen entfernen sich räumlich, geschmacklich oder preislich zu weit von der Verbraucherposition, um als Substitut in Frage zu kommen, und verfehlen somit die Verbraucherpräferenzen. Diese Zusammenhänge sind für die Einzelhandelssteuerung von besonderer Relevanz. Deshalb nimmt diese Arbeit eine Modifikation des Modells der vollständigen Konkurrenz vor, indem sie dieses um die wettbewerbsstrategische Option der Produktdifferenzierung ergänzt. Was unter Produktdifferenzierung zu verstehen ist, wird im nächsten Abschnitt dargestellt. c) Modifikation des Modells: Substitutionskonkurrenz statt vollständige Konkurrenz Unter den Anbietern, die für den Verbraucher überhaupt in Betracht kommen, ist die Entfernung von der Präferenzposition des Verbrauchers unterschiedlich groß. Bei unterschiedlichen räumlichen Entfernungen vom Standort des Verbrauchers bringen die Angebote unterschiedlich hohe Wegkosten mit sich. Bei unterschiedlicher geschmacklicher Entfernung einen unterschiedlichen Geschmacksnutzen. Ähnliches gilt schließlich in Bezug auf die Preis- bzw. Qualitätsklasse des Produkts. Aus Verbrauchersicht lässt sich die Nutzendifferenz verschiedener Angebote mit einer Skala darstellen und in eine Rangfolge einordnen.455 Zwischen der Präferenzposition des Verbrauchers, dem erstplatzierten Angebot und dem zweitplatzierten bestehen jeweils Nutzendifferenzen. Dabei gilt folgendes: Die Nutzendifferenz zwischen der Präferenzposition des Verbrauchers und dem erstplatzierten Angebot ist eine Nutzeneinbuße, die in der Nichterfüllung von Verbraucherpräferenzen besteht. Die Nutzendifferenz zwischen dem erstplatzierten und dem zweitplatzierten Angebot gewährt dem ers 455 In der Ökonomie spricht man vom Hotelling-Straßenmodell, Wied-Nebbeling (2009), S. 173 ff.
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ten Anbieter eine begrenzte Monopolstellung.456 Er kann die Nutzendifferenz auf seinen Preis aufschlagen, ohne dass der rationale Verbraucher zum zweitplatzier ten Anbieter ausweichen wird. Auf diese Weise ist der erste Anbieter in der Lage, einen Gewinn zu erzielen, der unter den Annahmen vollständiger Konkurrenz nicht erzielbar wäre. Man spricht von „Substitutionskonkurrenz“ mit heterogenen Gütern, die im Gegensatz zur vollständigen Konkurrenz mit homogenen Gütern Monopolgewinne zulässt.457 Ein Substitutionsgut ist ein Gut, welches sich seiner Art nach vom Ausgangsgut unterscheidet, dieses aber aus Verbrauchersicht funktional ersetzen kann.458 Der zweite Anbieter ist Substitutionskonkurrent des ersten. Präferenzposition des Verbrauchers
unerfüllte Verbraucherpräferenzen
1. Anbieter
2. Anbieter
Monopolstellung des 1. Anbieters
Spezialisiert sich ein Anbieter abweichend von seiner Konkurrenz auf bestimmte Verbraucherpräferenzen, dann spricht man von Produktdifferenzierung.459 Man unterscheidet Standortdifferenzierung (räumlich), Geschmacksdifferenzierung (geschmacklich) und vertikale Differenzierung (nach Qualitäts- bzw. Preisklasse). Geschmacksdifferenzierung und vertikale Differenzierung fasst diese Arbeit unter dem Oberbegriff „inhaltliche Differenzierung“ zusammen. Je dichter das Angebot am Markt ausdifferenziert ist, desto geringer fallen unerfüllte Verbraucherpräferenzen und Monopolstellungen aus. Es erhöht sich die Wettbewerbsintensität, die Monopolpreise fallen und eine größere Zahl von Verbraucherpräferenzen wird erfüllt. Darin besteht der Differenzierungsnutzen. Allerdings bringt eine erhöhte Differenzierung auch höhere Kosten mit sich: Zunächst lässt sich ein zusätzliches Angebot oft nur mit einem zusätzlichen Betrieb bereitstellen, der zusätzliche Fixkosten460 verursacht. Diese Fixkosten lassen sich verringern, indem der zusätzliche Betrieb möglichst klein gehalten wird. Doch die Aufteilung eines Großbetriebs in mehrere ausdifferenzierte Kleinbetriebe führt zum Verlust von Größenvorteilen und daher zu höheren variablen Kosten461. Diese Kosten müssen über die Preise an die Verbraucher weitergegeben werden. Das gesamtwirtschaft 456 In der monopolistischen Wirtschaft tendiert der Grenzerlös des Monopolisten zu dessen Grenzkosten. Siehe zur monopolistischen Preispolitik Varian (2009), S. 513 ff.; Woll (2009), S. 186 ff.; Natrop (2006), S. 228 ff.; Paschke (2003), S. 292 ff. 457 Woll (2009), S. 197 ff.; Reetz (1997), S. 145; Eichberger (2004), S. 255 f.; Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 613 f.; Wöhe/Döring (2013), S. 422. 458 Wöhe/Döring (2013), S. 422; Neus (2007), S. 28; Thommen/Achleitner (2007), S. 1134 f. 459 Pfähler/Wiese (2008), S. 249 ff.; Wied-Nebbeling (2009), S. 173 ff.; Shy (2001), S. 149 ff.; Varian (2009), S. 534 ff.; Franke (1992), S. 207; Fehl/Oberender (1999), 406 ff. 460 Zum Begriff Paschke (2003), S. 231 f. 461 Zum Begriff Fn. 452.
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liche Optimum wird erreicht, wenn die Differenzierungsgrenzkosten der Produzenten dem Differenzierungsgrenznutzen der Verbraucher entsprechen. Es unterscheidet sich beispielsweise der Modegeschmack der Verbraucher. Zu ihren Präferenzen gehört damit auch, sich diesem individuellen modischen Geschmack entsprechend einzukleiden. Diese Differenzierungspräferenz können sie bis an die Grenze der Sättigung bedienen, indem sie sich von einem Maßschneider ein individuelles Outfit anfertigen lassen. Eine derartig präzise Geschmacksdifferenzierung ist jedoch ersichtlich nur zu erheblichen Differenzierungskosten möglich. Der Maßschneider verzichtet nämlich auf die Größenvorteile der Serienanfertigung in industriellen Betrieben. Er muss seine höheren variablen Kosten an den Verbraucher über einen entsprechend hohen Preis weiterreichen, will er nicht unter Verlusten wirtschaften. Für die meisten Verbraucher übersteigen diese Preise und die damit verbundenen Opportunitätskosten den zusätzlichen Geschmacksnutzen der Einzelanfertigung. Sie begnügen sich mit industriell gefertigten Konfektionen. An dieser Stelle fällt für sie der Grenznutzen mit den Grenzkosten zusammen. Noch niedriger wären die Preise, würden sich alle Verbraucher einheitlich einkleiden. Die Kosten für das Design verschiedener Kollektionen sowie verschiedene Fertigungsmethoden könnten auf diese Weise eingespart, die Größenvorteile der Produktion dagegen maximiert werden. Doch der Verbraucher ist bereit, diese Kosten zu bezahlen, um sich nicht entgegen seinem individuellen Geschmack uniformieren zu müssen. Für den uniformierten Verbraucher läge der Geschmacksgrenznutzen oberhalb der Grenzkosten einer weitergehenden Geschmacksdifferenzierung. Es wäre für ihn rational, höhere Kosten für eine individualisierte Bekleidung aufzuwenden. Daher tritt er in der Realität nicht auf. d) Optimale Produktdifferenzierung durch Wettbewerb Der Wettbewerb nähert sich dem gesamtwirtschaftlichen Optimum an. Haben die unerfüllten Verbraucherpräferenzen eines hinreichend großen Verbraucherkreises ein ausreichendes Gewicht, dann ist für Anbieter der Markteintritt an dieser Stelle besonders attraktiv. Denn die Erfüllung der unerfüllten Verbraucherpräferenzen wird mit einer Monopolstellung honoriert, die es ermöglicht, die Grenzpreise über die Grenzkosten der Produktion zu heben. Je größer die Unterversorgung eines bestimmten Präferenzschwerpunktes, desto größer fällt das Monopol bei Markteintritt aus. Je größer das Monopol ausfällt, desto attraktiver wird der Markteintritt indes für weitere Anbieter. Sie können durch günstige Positionierung ebenfalls einen Teil des Monopolgewinns erlangen. Der Wettbewerb schafft damit fortlaufend Anreize, unerfüllte Präferenzen zu bedienen und Monopolstellungen zu beseitigen. Erfolgt die Produktdifferenzierung hingegen in eine Richtung, die nicht den Verbraucherpräferenzen entspricht, so werden die Differenzierungsgrenzkosten den Differenzierungsgrenznutzen übertreffen. Der Anbieter erleidet Verluste, denn die Verbraucher sind nicht be-
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reit, diese zusätzlichen Kosten über den Preis zu tragen. Somit entsteht ein Anreiz, die Produktion von Fehldifferenzierungen einzustellen. Der Wettbewerb läuft damit auf ein Optimum zu, in dem die Differenzierungsgrenzkosten dem Differenzierungsgrenznutzen entsprechen. Wiederum sind die Anbieter nicht mehr in der Lage, Gewinne zu erzielen. An dieser Stelle erreicht die Produktdifferenzierung ihr Marktgleichgewicht (Gleichgewichtsdifferenzierung).462 e) Zusammenfassung: Die Wirkungen des Wettbewerbs Der Wettbewerb schafft somit zwei wesentliche Anreize, durch welche sich das Nutzenniveau der Verbraucher erhöht. Einerseits honoriert er Anbieter, die ihre Produktionsabläufe effizient gestalten. Die eingesparten Produktionskosten müssen sie nicht an die Verbraucher weitergeben, solange die Konkurrenz weiterhin teuer produziert und deshalb zu entsprechend hohen Preisen veräußern muss (so zeigt es bereits das Modell vollständiger Konkurrenz). Zweitens profitieren im Wettbewerb Anbieter, die eine unerfüllte Verbraucherpräferenz von erheblichem Gewicht bedienen. Aus Sicht der betreffenden Verbraucher werden derart innovative Anbieter zum Monopolisten. Sie können den höheren Verbrauchernutzen durch höhere Preise abschöpfen (dies wird erst durch das Modell der Substitutionskonkurrenz anerkannt). Jedoch handelt es sich in beiden Fällen nur um vorübergehende Pioniergewinne. Weil die Konkurrenz effizientere Produktionsmethoden kopiert und in Monopolstellungen eindringt, wird der Preiswettbewerb den Nutzen der Innovationen auf längere Sicht an die Verbraucher weiterreichen.463 2. Die Beeinträchtigung des Verbrauchernutzens durch Mischordnungsinterventionen Durch eine Mischordnungsintervention versucht der Regulierer, positive Marktergebnisse herbeizuführen. Im Falle der Einzelhandelssteuerung geht es darum, die Standortdifferenzierung der Betriebe durch Errichtung von Marktzutrittsbarrieren zu lenken. Der Schematismus zeigt auf, dass ein solches Vorgehen zu zusätzlichen Kosten führen muss.
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Ähnlich Woll (2009), S. 186. Ähnlich Hayek (1979/2003), S. 371 ff.
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a) Ineffizientes Differenzierungsergebnis: Zentral geplant, statt wettbewerblich gewachsen Der freie Markt differenziert das Angebot so weit aus, bis der Differenzierungsgrenznutzen den Differenzierungsgrenzkosten entspricht. Dabei konzentriert er seine Angebote auf solche Präferenzen, die mit einer hohen Zahlungsbereitschaft der Verbraucher korrespondieren und demgemäß aus Verbrauchersicht besonders bedeutsam sind. Greift man in die wettbewerbliche Differenzierung ein, droht man die Verbraucherpräferenzen zu verfehlen. Entweder differenziert man das Angebot zu unverhältnismäßigen Kosten aus, die letztlich durch die Verbraucher über höhere Preise getragen werden müssen. Dann lägen die Differenzierungsgrenzkosten oberhalb des Differenzierungsgrenznutzens. Oder man verhindert, dass Produktdifferenzierungen vorgenommen werden, deren Nutzen ihre Kosten übersteigt und die somit aus Verbrauchersicht ihre höheren Preise wert gewesen wären. In diesem Fall überstiege der Differenzierungsgrenznutzen die Differenzierungsgrenzkosten. b) Ineffiziente Differenzierungsmethode: Marktzutrittsbarrieren Durch Marktzutrittsbarrieren kann ein bestimmtes Angebot am Markt erhalten werden. Dies gelingt, wenn der verhinderte Marktzugang dessen Differenzierungsmonopol verteidigt. Auf diese Weise kann der Anbieter mit höheren Monopolpreisen mögliche Schwächen in der Effizienz seiner Produktion ausgleichen. Gleichzeitig wird verhindert, dass der Wettbewerb um die optimalen Differenzierungen voranschreitet und das geschützte Angebot verdrängt. Aus Verbrauchersicht sind Marktzutrittsbarrieren doppelt nachteilig. Zum einen verursachen sie erhöhte Monopolpreise. Zum anderen bewirkt die Behinderung des Differenzierungswettbewerbs, dass eine größere Zahl von Präferenzen unerfüllt bleibt. Der eingeschränkte Marktzutritt verhindert, dass die Angebotsbreite das nomokratische Differenzierungsgleichgewicht erreicht. Der Markt kann sein Angebot nicht so weit ausdifferenzieren, dass der Differenzierungsgrenznutzen die Differenzierungsgrenzkosten erreicht. Die Kosten vergrößern sich dadurch, dass der Regulierer nicht in der Lage ist, Monopolstellungen präzise zu dosieren. Zwischen dem Regulierer und dem geschützten Betrieb besteht ein Prinzipal-Agent-Verhältnis. Dieses Prinzipal-AgentVerhältnis beschreibt einen Unterfall des von Hayek beschriebenen Wissensdefizits des Zentralplaners. Die Prinzipal-Agent-Theorie beschreibt das Problem der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen dem Aufraggeber (Prinzipal) und dem Ausführenden (Agent). Der Prinzipal versucht den Agenten zu steuern, um eigene Ziele zu verwirklichen. Dies geschieht im Regelfall durch Mittelzufuhr, Prämien und Sanktionen. Dadurch, dass der Agent unmittelbar mit der Verwirk-
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lichung dieser Ziele befasst ist, erlangt er überlegenes Wissen über Fortschritt und Aufwand der Zielverwirklichung. Dem Prinzipal dagegen sind die Herausforderungen des Agenten nicht genau bekannt. Solange die Interessen des Agenten nicht mit denen des Prinzipals identisch sind, ist es für ihn von Nachteil, sein Wissen vollständig weiterzugeben. Indem er den Prinzipal stattdessen falsch informiert, kann er das Machtverhältnis umkehren. Vertraut der Prinzipal den Fehlinformationen, steuert er nicht mehr den Agenten, sondern der Agent steuert den Prinzipal. Aus diesem Grund kann der Prinzipal den Informationen nicht trauen, die ihm der Agent zuspielt. Steht ihm kein anderer Informationszugang zur Verfügung, dann ist der Prinzipal nicht zur gezielten Steuerung des Agenten in der Lage.464 Schützt der Regulierer Anbieter am Markt, indem er ihre Monopolstellungen durch Marktzutrittsbarrieren verteidigt, ist der Anbieter für ihn Agent, der seine Ziele verfolgt: Er soll eine bestimmte Standortdifferenzierung aufrechterhalten, die der Regulierer – der Prinzipal – als ergebnisbezogenes Ziel verfolgt. Der Prinzipal möchte dieses Ziel gewiss zu den geringsten möglichen Kosten erreichen. Er möchte den Marktzugang soweit wie möglich offenhalten, damit möglichst viele Verbraucherpräferenzen erfüllt werden und die Monopolstellungen und daraus resultierende Preiserhöhungen möglichst gering ausfallen. Aus seiner Sicht soll der Agent bloß einen Minimalgewinn erzielen und durch begrenzten Wettbewerb immer noch einem Rationalisierungsdruck ausgesetzt sein. Der Agent hat hingegen andere Interessen: Er wünscht sich möglichst weitreichende Marktzutrittsbarrieren und ein möglichst großes Monopol. Das Monopol verleiht ihm die Fähigkeit, seine Preise anzuheben und hält den Rationalisierungsdruck gering, dem er ausgesetzt ist. Deshalb hat der geschützte Anbieter als Agent ein Interesse daran, seine wirtschaftliche Lage gegenüber dem Regulierer wahrheitswidrig möglichst schlecht darzustellen. Agiert er rational, wird er dem Regulierer stets seinen baldigen Marktaustritt androhen, sollte er den Marktzutritt weiterer Konkurrenz zulassen. Vertraut der Regulierer diesen Informationen, wird er überzogene Marktzutrittsbarrieren errichten. Ein unterversorgter Markt wäre die Konsequenz, an dem zahlreiche Verbraucherpräferenzen unerfüllt blieben und Monopolstellungen zu Preissteigerungen führten. Vertraut der Regulierer den Informationen seines Agenten hingegen nicht, fehlt ihm ein präziser Informationszugang. Er kann nur schätzen, etwa indem er Durchschnittswerte generalisiert und auf den Einzelfall überträgt. Läuft die Schätzung fehl, erleidet der Agent womöglich Verlust, zieht sich aus dem Markt zurück und der Regulierer hat sein Ziel verfehlt. Dass der Regulierer in diesem Dilemma in der Lage ist, seine Marktzutritts barrieren sachgerecht zu dosieren, ist höchst unwahrscheinlich. Stattdessen hängt 464 Fritsch (2011), S. 258 ff.; Richter/Furubotn (2010), S. 173 ff.; Kreps (1994), S. 523 ff.; Schumann (1992), S. 453 ff.
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ihre Wirkung weitgehend vom Zufall ab. Sie fallen entweder zu grob aus und ziehen Monopolismus und unerfüllte Präferenzen nach sich. Oder sie sind zu schwach. In letzterem Fall konterkarieren sie ihr eigenes Ziel: Der Regulierer will den Agenten nämlich erhalten, weil der Differenzierungsstandpunkt von dessen Angebot bestimmte Verbraucherpräferenzen aus seiner Sicht am besten bedient. Die Erfüllung dieser Verbraucherpräferenzen ist das eigentliche Ziel des Regulierers. Durch Marktzutrittsbarrieren versucht er, dem Agenten nur seine gefährlichsten Konkurrenten vom Leib zu halten. Die gefährlichsten Konkurrenten sind aber stets jene Anbieter, deren Angebot vom Differenzierungsstandpunkt her ein besonders ähnliches Substitut darstellt. Die Marktzutrittsbarrieren hindern solche Anbieter am Marktzutritt. Dennoch besteht stetig die Gefahr, dass wegen einer zu schwachen Dosierung der Marktzutrittsbarrieren Anbieter von weiter entfernten Substituten zugelassen werden, welche von zahlreichen Verbrauchern trotz einer stärker abweichenden Produktdifferenzierung dem Angebot des Agenten vorgezogen werden. Geht der Agent infolge dieser Entwicklung unter, hat der Regulierer den Verbraucherpräferenzen, die er schützen wollte, geschadet: Der Agent ist untergegangen. Eine funktionsähnliche Substitution des Agenten wurde durch die Regulierung verhindert. Stattdessen müssen die Verbraucher auf Substitute zurückgreifen, die sich stärker vom Differenzierungsstandpunkt des Agenten unterscheiden, als dies ohne die Intervention der Fall gewesen wäre. c) Zusammenfassung: Effizienzverluste durch Mischordnungsinterventionen Im Ergebnis bewirken die Mischordnungsinterventionen erhebliche Effizienzverluste: Der Differenzierungsgrenznutzen liegt oberhalb der Differenzierungsgrenzkosten, weil der Markteintritt weiterer Produktdifferenzierungen verhindert wurde. Der Nutzen einer weitergehenden Differenzierung würde ihre Kosten übersteigen. Sie wird jedoch verhindert, um monopolistische Stellungen zu erzeugen. Wegen der Monopolstrukturen liegen die Grenzpreise oberhalb der Grenzkosten. Der Verbrauchernutzen wird somit durch höhere Preise und geringere Differenzierungsgewinne beeinträchtigt. Das Ausmaß der Nutzeneinbußen hängt von dem Verhalten des Regulierers ab. Obgleich eine Mischordnungsintervention, die mit Marktzugangsbarrieren operiert, immer zu Nutzeneinbußen führen wird, können ihre Kosten unterschiedlich hoch ausfallen. Einerseits sind Mischordnungsinterventionen denkbar, die ihr Ziel nicht erreichen und das Überleben der Agenten nicht gewährleisten. In diesem Fall sind die Marktzutrittsbarrieren zu schwach. Obwohl der Regulierer scheitert, kann sich das Ergebnis seines Verhaltens dem gesamtwirtschaftlichen Optimum jedoch weiter annähern als eine erfolgreiche Mischordnungsintervention. Denn schwache Marktzutrittsbarrieren lassen dem Wettbewerb größeren Spielraum, der die Präfe
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renzen der Verbraucher selbstständig erkennt und erfüllt. Für den Regulierer ist dieses Ergebnis dennoch schwer erträglich: Denn die Marktzutrittsbarrieren verhindern gezielt eine Substitution des Agenten durch Konkurrenz mit ähnlichem Differenzierungsstandpunkt. Verdrängt wird der Agent folgerichtig durch einen Substitutionskonkurrenten, der sich von seinem Differenzierungsstandpunkt noch weiter entfernt, als jene potentiellen Substitutionskonkurrenten, deren Marktzutritte der Regulierer verhindert hat. Das Angebot dieser Substitutionskonkurrenten entspricht somit noch weniger den Verbraucherpräferenzen, die der Regulierer über den Agenten unterstützen wollte. Der Regulierer hat daher seinem teleokratischen Ziel geschadet, statt es zu fördern. Hat die Mischordnungsintervention hingegen Erfolg, hängt das Ausmaß ihrer Kosten von mehreren Faktoren ab. Zunächst entscheidet das Interventionsziel: Deckt sich die regulativ angestrebte Produktdifferenzierung mit den Präferenzen der Verbraucher, sind die Wohlstandsverluste relativ zum nomokratischen Marktgleichgewicht gering. Je weiter sich das Differenzierungsergebnis von den Verbraucherpräferenzen entfernt, desto höher fallen die Kosten aus. Die Kosten, welche die Gestaltung der Marktzutrittsbarrieren verursacht, fallen umso geringer aus, je präziser sie dosiert werden. Reichen die Marktzutrittsbarrieren gerade aus, um den Agenten bei Minimalgewinn am Markt zu halten, ist die Dosierung optimal. Werden die Marktzutrittsbarrieren hingegen weiter gefasst, erhalten der Agent sowie verschiedene andere Anbieter im betroffenen Marktsegment unnötige Monopolgewinne, die mit höheren Preisen korrespondieren. Zusätzlich verengt sich die Produktdifferenzierung unnötig.
3. Die Instabilität der Mischordnung Im vorangegangen Kapitel wurde aufgezeigt, dass die Wirtschaftsstrukturen einer Mischordnung instabil sind. Steigt der Regulierer aus der Mischordnung aus und kehrt zur reinen Nomokratie zurück, wird sich ein erheblicher Teil der am Markt vorhandenen Betriebe als nicht lebensfähig erweisen. Dieser Gedanke soll in das oben dargestellte Begriffsschema eingeordnet werden. Zunächst erhält die Mischordnungsintervention jene Betriebe, die als Agenten die regulativ gewünschte Produktdifferenzierung aufrechterhalten. Sie wären unter Gleichgewichtsbedingungen nicht lebensfähig, andernfalls wäre die Intervention sinnlos. Ihre Lebensunfähigkeit beruht darauf, dass sie entweder ihre Produktionsabläufe nicht hinreichend effizient gestaltet haben und deshalb auf Monopolpreise angewiesen sind, um ihre Kosten zu decken. Oder sie haben eine Differenzierungsposition eingenommen, mit der sie die gewichtigen Schnittmengen der Verbraucherpräferenzen verfehlen. Von den Marktzutrittsbarrieren profitieren jedoch zahlreiche weitere Betriebe, selbst wenn sie keine Agenten des Regulierers sind. Die Marktzutrittsbarrieren
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verhindern, dass sich der Markt auf Gleichgewichtsniveau ausdifferenziert. Deshalb erlangen die am Markt vertretenen Betriebe Monopolstellungen. Auch wenn der Regulierer bemüht ist, die Monopolvorteile auf die Agenten auszurichten, werden sie auch den meisten anderen Betrieben der Branche zugutekommen. Solange die Produktdifferenzierung und Produktionseffizienz dieser Betriebe dem Marktgleichgewicht einer Nomokratie entspricht, wirken sich die Monopole nur in der Weise aus, dass die Betriebe ihre Preise über das Gleichgewichtsniveau anheben und Gewinne erzielen können. Regelmäßig ist das aber nicht der Fall: Stattdessen erhält sie die Monopolstellung am Leben, obgleich sie ineffizient produzieren oder ihre Produktdifferenzierung die Verbraucherpräferenzen verfehlt. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sie wegen der Marktzutrittsbarrieren nicht flexibel am Markt agieren können. Aus diesem Grund gedeiht unter der Protektion von Mischordnungsinterventionen eine ineffiziente Wirtschaftsstruktur. Die Marktzutrittsbarrieren selbst richten sich gegen potentielle Substitute dieser ineffizienten Wirtschaftsstruktur. Je stärker deren Ineffizienz wächst, desto weiter muss der Regulierer ihre Substitute zurückdrängen. Damit nimmt er der Wirtschaftsstruktur ein Auffangnetz aus Alternativangeboten. Während eine ausdifferenzierte Angebotsstruktur unter nomokratischen Wettbewerbsbedingungen sich durch zahlreiche Substitute einen doppelten Boden verschafft, wird dieser doppelte Boden durch die Mischordnung systematisch beseitigt, um den Verbrauchern Ausweichmöglichkeiten zu nehmen, die das Steuerungsergebnis gefährden. Werden die Marktzutrittsbarrieren nunmehr beseitigt, ginge die ineffiziente Wirtschaftsstruktur weitgehend zugrunde, während viele Verbraucher vorübergehend ohne Substitute auskommen müssten. In solch einer Anpassungsphase sind die Nutzeneinbußen daher besonders hoch. Vor diesen Kosten schreckt ein Regulierer aus naheliegenden Gründen zurück. 4. Die Überlegenheit der Parallelordnung In der Parallelordnung versucht der Regulierer nicht, Wettbewerbskausalitäten planmäßig zu steuern. Seine Ziele erreicht er stattdessen, indem er sie mit eigenen Mitteln, statt mittelbar über den Wettbewerb, verwirklicht oder indem er die Rahmenordnung des Wettbewerbs und damit die Anreizstrukturen verändert. In keinem der beiden Fälle macht er bestimmte Wettbewerbsakteure zu seinen Agenten. Stattdessen bleibt jeder Marktakteur austauschbar und seine Verdrängung im Wettbewerb wird durch den Regulierer akzeptiert. Beide Vorgehensweisen haben gegenüber der Mischordnungsintervention drei erhebliche Vorteile: Weil der Marktzutritt nicht verengt werden muss, gibt es keine Monopolstrukturen. Die Produktdifferenzierung wird nicht behindert. Schließlich entstehen keine Prinzipal-Agent-Verhältnisse, sodass die Wissensdefizite des Regulierers einen weitaus geringeren Schaden verursachen.
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Zusätzliche Differenzierungskosten sind jedoch unvermeidlich, will der Regulierer Betriebe an einem Standort halten, obwohl diese Standortdifferenzierung nicht dem nomokratischen Marktgleichgewicht entspricht. Schließlich müssen die zusätzlichen Differenzierungskosten durch irgendjemanden getragen werden. Setzt der Regulierer einen eigenen Betrieb ein, um die gewünschte Standortdifferenzierung einzunehmen (hoheitliche Eigenbetriebsführung), muss er diese Kosten selbst übernehmen. Hinzu kommen voraussichtlich zusätzliche Kosten hoheitlicher Unternehmensführung hinzu; nach allgemeiner wirtschaftlicher Erfahrung ist bei hoheitlichen Betrieben mit einem höheren Grad an Mittelverschwendung zu rechnen, als bei Betrieben in Privatbesitz.465 Die hoheitliche Eigenbetriebsführung ist dafür eine Methode, mit der annährend alle Ziele erreicht werden können. Durch eine Veränderung der Anreizstruktur der marktwirtschaftlichen Rahmenordnung (wettbewerbliche Anreizmodifikation) kann dieser Nachteil vermieden werden. Bei dieser Parallelordnungsmethode bleiben alle Betriebe in privater Hand. Der Regulierer gestaltet die Rahmenordnung derart um, dass die privaten Unternehmen einen erhöhten Anreiz erhalten, die regulativ gewünschten Standorte einzunehmen. Im Ideal weist der Hoheitsträger der Standortnahme einen besonderen Nutzenwert zu, den der Markt nicht von selbst zu erkennen in der Lage ist. Dieser Nutzen muss dem Unternehmer, der den Standort einnimmt, zugeführt werden („Internalisierung“466), in naheliegender Weise durch eine entsprechend hohe Geldsubvention, die durch einen wettbewerbsneutralen Schlüssel vergeben wird. Der Unternehmer wird dann rational abwägen, ob die zusätzlichen Kosten der Standortdifferenzierung den hoheitlich zugemessenen Nutzenwert übersteigen. Überwiegt der internalisierte Nutzen, wird er seinen Standort wie hoheitlich gewünscht auswählen. Überwiegen die Kosten, wäre die Standortwahl auch aus hoheitlicher Perspektive irrational. Die wettbewerbliche Anreizmodifikation ist gesamtwirtschaftlich gesehen zwar die überlegene Parallelordnungsmethode467, sofern die Internalisierung des Nutzenwertes präzise möglich ist. Regelmäßig erweist sich dies jedoch als eine unlösbare regulierungstechnische Herausforderung.468 465
Die politische Ökonomik gelangte insbesondere zu der Erkenntnis, dass in hoheitlichen Betrieben, selbst wenn ihre Aktivität ursprünglich sinnvoll und rational durchorganisiert war, nach und nach Verschwendungen zu wuchern beginnen. Denn mit der Zeit werden die Eigeninteressen der in dem Betrieb beschäftigten Verwaltungsangestellten wirksam. Diese streben regelmäßig nach einer Maximierung ihres Budgets und der Minimierung ihres Arbeitsaufwands. Ihr Interesse, Ineffizienz zu vermeiden ist gering, da sie kaum wettbewerblichen Sanktionen ausgesetzt sind. Die Aufsicht durch übergeordnete Instanzen ist wegen des PrincipalAgent-Verhältnisses nur begrenzt effektiv, durch ihren Informationsvorsprung können die Angestellten vielmehr den Principal steuern. Grundlegend Niskanen (1968); siehe außerdem Klump (2011), S. 297 ff.; Weimann (2006), S. 431 ff.; Woll (1992), S. 389 ff. 466 Luckenbach (2000), S. 152 ff.; Kirsch (2004), S. 32; Eichberger (2004), S. 202 ff.; Feess (1997), S. 749. 467 Ähnlich Kyrer (2001a), S. 292 f. 468 Zu den Problemen Eichberger (2004), S. 204 ff.
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IV. Weiteres Vorgehen: Einordnung von Einzelhandelswettbewerb und Einzelhandelssteuerung in das abstrakte Modell Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden die verschiedenen Mischordnungsinterventionen der Einzelhandelssteuerung in das dargestellte Schema eingeordnet. Dabei wird in vier Abschnitte untergliedert, welche die vier Ziele der Einzelhandelssteuerung behandeln. Das Schema wird in den Abschnitten jeweils in Bezug auf den Schutz der Nahversorgung (B), den Schutz der gewachsenen Zentren (C), den Schutz einer geplanten zentralörtlichen Gliederung (D) und die Reduktion der Verkehrsbelastung (E) konkretisiert. Hinter jedem dieser Ziele verbergen sich Präferenzen der Rechtsunterworfenen, deren Förderung im Rahmen einer Effizienzanalyse ihren Kosten gegenübergestellt werden kann. Für verschiedene Gruppen von Rechtsunterworfenen – zumeist Verbraucher – lässt sich mit dieser Methode das Nutzenniveau anhand ihrer jeweiligen Präferenzordnung modellieren. Mit Blick auf jedes Ziel werden die Nutzenniveaus in drei Ordnungstypen ermittelt und wertend verglichen. Jeder Abschnitt beginnt mit einer spieltheoretischen Analyse der Nutzenniveaus in der Nomokratie (I). Analysiert wird, in welchem Maße und zu welchen Kosten der Marktmechanismus die betreffenden Präferenzen eigenständig erfüllt. Im Anschluss wird die Veränderung des Nutzenniveaus durch die üblichen Mischordnungsinterventionen (II) prognostiziert und nach ihrem Effizienzgrad mit dem Marktgleichgewicht einer Nomokratie verglichen. Schließlich werden denkbare Regeln einer Parallelordnung (III) entworfen, bei deren Verwirklichung die Förderung der betreffenden Präferenz relativ zur Nomokratie verstärkt würde. Wie bereits das abstrakte Schema nahelegt, wird die Parallelordnung diese Präferenzförderung zu geringeren Kosten leisten, als dies die Mischordnungsintervention gegenwärtig kann. Die Ineffizienz der Mischordnung spiegelt sich stets in unerfüllten Präferenzen und erhöhten Monopolpreisen wider.
B. Schutz der Nahversorgung Erstes Ziel einzelhandelssteuernder Interventionen ist der Schutz der Nahversorgung. Gefördert werden soll die Verbraucherpräferenz für kurze Einkaufswege. Eine solche Verbraucherpräferenz wird vor allem bei immobilen Verbrauchern vermutet, deren Interessen die Förderung dient. Immobile Verbraucher sind Verbraucher ohne PKW, deren Wegkosten relativ zu PKW-Besitzern höher ausfallen. Deshalb vermutet der Regulierer, also i. d. R. die Gemeinde, dass sie der Präferenz für Nahversorgung einen relativ hohen Nutzenwert zumessen. Die Förderungsmaßnahmen sollen ihr Nutzenniveau erhöhen.
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Die Gemeinde versucht daher Nahversorgungsbetriebe zu erhalten, deren Standort sich in fußläufiger Nähe von Wohnquartieren befindet. Denn diese Nahversorger sind für die Anwohner zu geringen Wegkosten erreichbar. Dies tut die Gemeinde, indem sie ihre Substitutionskonkurrenz469 am Marktzutritt hindert. Zu diesem Zweck belegt sie Standorte, die sie für substitutionsfähig hält, mit Ausschlussplanungen. Die entsprechenden Bauleitpläne verhindern Einzelhandelsbetriebe entweder vollständig oder beschränken Verkaufsflächen und Sortiment.470 Die Effizienzanalyse dieser Intervention wird wie oben angekündigt in drei Schritten vollzogen. Zunächst wird beschrieben, wie sich der Wettbewerb im Nahversorgungssegment in einem interventionsfreien, nomokratisch regulierten Markt entwickelt. In einem zweiten Schritt skizziert die Arbeit, wie sich das Nutzenniveau der verschiedenen Verbrauchergruppen infolge der einzelhandelssteuernden Intervention verschiebt. Schließlich wird aufgezeigt, dass der Regulierer seine Ziele effizienter erreichen kann, wenn er auf Maßnahmen zurückgreift, die nicht auf konkrete Wettbewerbsergebnisse zielen (Parallelordnung statt Mischordnung).
I. Entwicklung der Nahversorgung in der reinen Nomokratie 1. Standortdifferenzierung in der Nomokratie a) Das unternehmerische Interesse an Standortdifferenzierung In der reinen Nomokratie entscheidet allein der Wettbewerbsmechanismus darüber, welche Präferenzen bedient werden und welche nicht. Unternehmer treten mit Einzelhandelsbetrieben in den Markt ein, um ihren Gewinn zu maximieren. Damit das Angebot dieser Betriebe eine hohe Zahlungsbereitschaft der Verbraucher auslöst, streben die Unternehmer danach, den Einkaufsnutzen der Verbraucher zu erhöhen. Den Einkaufsnutzen können sie dann über höhere Verkaufspreise abschöpfen. Gewinn erzielen sie nur, wenn die Produktionskosten die Preise unterschreiten. Deshalb ist die Minimierung der Produktionskosten gleichzeitiges unternehmerisches Ziel. Einerseits müssen sie höhere Produktionskosten an die Verbraucher über Preise weitergeben, um nicht unter die Verlustgrenze zu fallen. Andererseits müssen die Grenzpreise den Grenznutzen der Verbraucher übersteigen, damit für diese ein Einkauf rational erscheint. Im Wettbewerb tendieren die Grenzkosten der Produktion und die Grenzpreise zum Grenznutzen der Verbraucher. Der Weg des Verbrauchers zum Einkauf ist dabei ein Kostenfaktor, den der Verbraucher zu tragen hat und der vom Einkaufsnutzen abfällt. Ein Unternehmen, das den Verbrauchernutzen maximieren will, strebt deshalb danach, die Wegkosten als 469
Zur Erinnerung siehe oben Abschnitt A. II. 1. c). Vgl. Kapitel 1 Abschnitt B. II.
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Transaktionsaktionskosten des Verbrauchers zu minimieren. Diesem Ziel nähern sich die Betriebe, indem sie die Einzelhandelsstandorte so positionieren, dass sie für die Verbraucher unter möglichst geringen Wegkosten erreichbar sind. Zur Standortdifferenzierung muss es kommen, weil das Bewegungsumfeld verschiedener Verbrauchergruppen, insbesondere mit dem Wohnumfeld, variiert. Unternehmen betreiben Standortdifferenzierung, um sich an verschiedene Bewegungsumfelder anzupassen und auf diese Weise die Wegkosten für bestimmte Verbrauchergruppen zu reduzieren. Dies tun sie im Eigeninteresse: Sind sie der einzige Anbieter in einer guten Lage, erlangen sie ein Standortmonopol und können einen Preisaufschlag einfordern, der ceteris paribus den höheren Wegkosten zum Standort des nächsten Konkurrenzanbieters entspricht. Der Standortdifferenzierungsnutzen entspricht den durch die Verbraucher ersparten Wegkosten. Zugleich bringt die Standortdifferenzierung aber auch Kosten mit sich. Je mehr Standorte der Einzelhandel abdecken will, umso mehr Betriebe muss er errichten. Jeder dieser Betriebe verursacht Fixkosten. Um die Fixkosten zu reduzieren, müssen Großbetriebe in kleine Betriebe aufgeteilt werden. Dies kann nur unter dem Verlust von Größenvorteilen und deshalb unter Erhöhung des variablen Kostenanteils geschehen. Weil der Wettbewerbsmechanismus in der Nomokratie wirksam bleibt, nähern sich solche Grenzkosten der Standortdifferenzierung ihrem Grenznutzen an. Das Schlüsselproblem ergibt sich schließlich durch die begrenzte Betriebszahl. Es kann nicht auf die Beweglichkeit jedes einzelnen Verbrauchers Rücksicht genommen werden. Weil jeder Betrieb eine erhebliche Zahl von zumeist mehreren tausend Verbrauchern bedienen muss471, um seine Betriebskosten zu decken, kann er seine Standortdifferenzierung nur auf kumulierte Interessen einer großen Verbraucherzahl ausrichten. Dem Einsiedler wird kein persönlicher Supermarkt errichtet, reine Individualinteressen werden durch die Mechanismen ignoriert. Doch auch kumulierte Interessen von Verbrauchergruppen geraten in einen Widerstreit: Oft halten Investoren in einem grob umrissenen Einzugsbereich nur ein einziges Vorhaben für rentabel. Sie müssen innerhalb des Einzugsbereichs die Wahl zwischen mehreren denkbaren Standorten treffen. Nicht alle denkbaren Standorte werden allen ansässigen Verbrauchergruppen gleich gut gelegen erscheinen. Die Verbrauchergruppen konkurrieren daher mit ihrer Zahlungsbereitschaft um die Gunst der Investoren, sich bei der Standortwahl schwerpunktmäßig an ihrer Interessenlage auszurichten.472
471 Bei einer Verkaufsfläche von 700–1000 m² benötigt eine Aldi- oder Lidl-Filiale einen Einzugsbereich von 4000–9000 Einwohner, also etwa zwei Ortsteile, Junker/Kühn (2006), S. 36. 472 Finck (1990), S. 66.
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b) Der Einfluss der Motorisierung: Standortpräferenzen verlieren an Gewicht Die Wegkosten der Verbraucher hängen nicht allein von der absoluten räumlichen Distanz eines Einzelhandelsbetriebs zu ihrem alltäglichen Bewegungsumfeld zwischen Wohnung, Arbeits- und Freizeitstätte ab. Sie werden wesentlich dadurch bestimmt, wie schnell sich ein Verbraucher bewegen kann und über welche Kapazitäten er dabei zum Transport von Waren verfügt. Entscheidend für diese Werte ist die Frage, ob der Verbraucherhaushalt über einen eigenen PKW verfügt oder nicht. Sobald ein PKW verfügbar ist, steigt die Beweglichkeit selbst gegenüber einem Fahrradfahrer um ein Vielfaches. Außerdem sind die Transportkapazitäten annähernd unbegrenzt, sodass durch Vorratskäufe die Gesamtzahl der Einkäufe erheblich reduziert werden kann. Hinzu kommt, dass PKW-Fahrer regelmäßig – etwa auf dem Weg zur Arbeit – in einem großen Radius pendeln und diese Strecken mit Einkäufen kombinieren können, was die zu bewältigenden Zusatzstrecken noch weiter reduziert. Für Verbraucher mit PKW (mobile Verbraucher) sinken die Wegkosten auf einen Bruchteil derer eines immobilen Verbrauchers. Auf diese Weise differenzieren sich die Standortpräferenzen der Verbraucher innerhalb desselben Wohnquartiers aus. Während die immobilen Verbraucher ihrer Standortpräferenz einen hohen Wert zumessen, hat jene für die mobilen Verbraucher eine ungleich geringere Bedeutung. Der Standortdifferenzierungsgrenznutzen in Gestalt von verringerten Wegkosten fällt für sie entsprechend ihrer ohnehin niedrigeren Wegkosten wesentlich geringer aus.473 Für einen Betrieb, der auf die Versorgung mobiler Verbraucher zielt, fällt der Grenznutzen von Standortdifferenzierungen dementsprechend. Standortmonopolstellungen verringern sich mit den geringen Wegkosten eines PKW-Fahrers zum nächsten Betrieb. Der Gewinn fällt, gleichzeitig steigt die Wettbewerbsintensität und die Grenzpreise nähern sich stärker dem Niveau der Produktionsgrenzkosten. Umso dringender wird es, zusätzliche Betriebe und damit die betrieblichen Fixkosten zu reduzieren. Durch die Zusammenfassung von Kleinbetrieben zu Großbetrieben können zudem die variablen Kosten gesenkt werden. Nur nach Vollzug einer solchen Kostensenkung hält der Einzelhändler im Preiswettbewerb stand. Das Interesse immobiler Verbraucher an Standortdifferenzierung hat sich gleichzeitig nicht verringert.474 Solange sie weiterhin eine gewichtige Gruppe von mehreren tausend Personen innerhalb eines Quartiers darstellen, lohnt sich eine Standortdifferenzierung durch Errichtung eines zusätzlichen Betriebs, der gezielt auf ihre Interessen ausgerichtet ist. Doch sobald ihre Zahl wegen zunehmender Motorisierung innerhalb eines Wohnquartiers fällt, steigt das Risiko, dass ihre Standort 473
Kulke (2001), S. 57. Für empirische Befunde siehe Verband Region Stuttgart (2001), S. 81 ff.; so auch Strobl (2004), S. 288. 474
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präferenzen durch den Marktmechanismus ignoriert werden. Man befürchtet daher die Entwicklung eines Nahversorgungsdefizits. 2. Das Verkaufsflächenwachstum Das Verkaufsflächenwachstum ist ein vielbeschriebener ökonomischer Trend, der sich anscheinend unaufhörlich fortsetzt. Mit dem oben dargestellten Schematismus lässt er sich leicht erklären. Wachsen die Verkaufsflächen, ermöglicht das, die Vertriebskosten pro Wareneinheit, also die variablen Kosten zu senken. Die Kostensenkung wiederum lässt eine höhere Konkurrenzfähigkeit im Preiswettbewerb zu. Kostensenkend wirkt sich die Verkaufsflächenerhöhung insbesondere deshalb aus, weil die Konzentration eines großen Warenangebots innerhalb eines einzigen Betriebs ein höheres Rationalisierungspotential eröffnet. Vor allem kann kostenintensives Personal durch Verkaufsflächen substituiert werden. Pro Zulieferung kann eine größere Warenmenge bestellt werden, sodass die variablen Zulieferungskosten einer Ware fallen. Zudem kann der Warenbedarf langfristig besser kalkuliert und das Lager verkleinert werden. Hierbei handelt es sich um Größenvorteile, die wirksam werden.475 Faustformelhaft gilt: Mit steigender Fläche des einzelnen Betriebs sinken die Personalkosten und die Kosten der Zulieferung pro Verkaufsfläche. Gleichzeitig sinkt aber die Flächenproduktivität. Ab einer bestimmten Größe fallen Grenzersparnis durch Größenvorteile und die Flächengrenzproduktivität zusammen. An dieser Stelle ist die Effizienz am höchsten. Aus Verbrauchersicht sind großflächige Betriebsformen unabhängig von ihren Preisen außerdem deshalb interessant, weil sie wegen einer besonderen Angebotstiefe und -breite Kopplungseinkäufe ermöglichen, die andernfalls als Mehrfacheinkäufe unter höheren Transaktionskosten durchgeführt werden müssten.476 Ab einer bestimmten Größe steigen die Transaktionskosten allerdings wiederum, der Betrieb wird unübersichtlich. Ob für den Verbraucher die große Auswahl dadurch entstehende Orientierungsschwierigkeiten aufwiegt, ist eine Frage des persönlichen Verbrauchergeschmacks.477 Deshalb stellen gegensätzliche Vertriebsformen wie das SB-Warenhaus und Verbrauchermärkte auf der einen, kleinere Discounter und Läden auf der anderen Seite eine Form der Geschmacksdifferenzierung dar. Es ist also nicht zu erwarten, dass bei nomokratischen Wettbewerbsverhältnissen letztlich nur die größten Betriebsformen überleben. Die Vorteile von Großbetriebsformen können nur effizient genutzt werden, wenn man die Gesamtzahl der Betriebe reduziert. Andernfalls würden ihre Kapa 475
Dichtl (1988), S. 130; Kulke (2001), S. 58. Blank (2004), S. 140. 477 Siehe dazu Verband Region Stuttgart (2001), S. 57; ähnlich schon Hoffmann (1984), S. 194 f. 476
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zitäten nicht ausreichend ausgeschöpft. Außerdem fallen mit größerem Flächenbedarf die Mietpreise stärker ins Gewicht, die in dezentralen Lagen grundsätzlich niedriger ausfallen.478 Deshalb erfolgt die Schaffung von Großbetriebsformen auf Kosten der Standortdifferenzierung. Wenn aber die Wegkosten und damit der Differenzierungsgrenznutzen infolge einer zunehmenden Motorisierung der Verbraucher abnehmen, steigen relativ die Opportunitätskosten hoher Preise. Kostenreduktion ist damit wichtiger als Standortnähe. Der Preiswettbewerb intensiviert sich, der Standortwettbewerb wird schwächer. Unter der Bedingung zunehmender Motorisierung verlängert der Wettbewerb die Einkaufswege, während er die Einkaufspreise senkt. 3. Das Nutzenniveau von mobilen und immobilen Verbrauchern Auf den ersten Blick scheint es, als erfolge der oben beschriebene Trend allein im Interesse mobiler Verbraucher. Sie scheinen stärker von den niedrigeren Preisen großflächiger Betriebsformen zu profitieren, weil ihre geringeren Wegkosten weniger ins Gewicht fallen. Bei einer näheren Betrachtung muss diese Einschätzung aber erheblich eingeschränkt werden. Zunächst mag es sein, dass der größere Teil der Verbraucher mobil ist, dass der mobile Teil der Verbraucher zahlungskräftiger ist und dass sich deshalb die Betriebe vorrangig an ihnen ausrichten werden. Doch sind deshalb die Interessen immobiler Verbraucher nicht irrelevant: Auch sie verfügen über Kaufkraft und steigern die Umsätze. Selbst wenn großflächige Betriebe sich nicht allein an immobilen Verbrauchern orientieren, so werden sie doch nach Möglichkeit Standorte ansteuern, bei denen sie auch fußläufig erreichbar sind.479 Da sie zugleich um mobile Verbraucher konkurrieren und sich deshalb kaum auf einem Standortmonopol ausruhen können, zwingt sie die hohe Wettbewerbsintensität dazu, ihre Preise zu senken. Da sie schließlich keine Preisdifferenzierung vornehmen können, lassen sie die immobilen Verbraucher ebenfalls zu diesen Niedrigpreisen einkaufen. Produktdifferenzierung richtet sich nicht nur auf eine ganz bestimmte Präferenz einer abgrenzbaren Verbrauchergruppe, sondern zielt auf die Präferenzschnittmengen mehrerer Verbrauchergruppen, sofern dies ohne Nutzeneinbußen möglich ist. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass immobile Verbraucher im Normalfall deshalb über keinen PKW verfügen, weil dieser wegen ihres geringe 478
Butt (2007), S. 369. Greiner (1998) beschreibt die Standortprüfung der Rewe-Gruppe. Grundsätzlich bemühen sich die Prüfungsspezialisten von Rewe, Standorte im fußläufig erreichbaren Nahbereich zu besetzen, sie wägen diesen Vorteil aber mit anderen Gesichtspunkten ab. Weil PKW-Kunden die Hauptzielgruppe sind, können verbrauchernahe Standorte dann nicht genutzt werden, wenn dort die Parkplätze zu knapp, sie ungünstig anfahrbar oder die knappheitsbedingten Mieten zu hoch sind, S. 243 f. 479
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ren Einkommens für sie nicht bezahlbar ist. Ihr geringes Einkommen bedeutet nun zugleich, dass sie ein besonderes Interesse am Niedrigpreis-Einkauf haben, den großflächige Vertriebsformen ermöglichen.480 Wegen ihres geringen Geldvermögens sind ihre Grenzopportunitätskosten bei Geldaufwendungen stets höher. Deshalb werden die Opportunitätskosten eines längeren Weges zum Discountmarkt für sie regelmäßig niedriger sein, als die Opportunitätskosten eines teuren Einkaufs in einem Kleinbetrieb innerhalb ihres Wohnquartiers. Bis zu einem gewissen Grad homogenisiert der PKW-Besitz wohlhabender Verbraucher also die Verbraucherpräferenzen. Arm und Reich wollen zu günstigen Preisen einkaufen, weil dies für die wohlhabenden Verbraucher nunmehr bei gleichbleibendem Komfort möglich ist. Wo es nicht so ist, kann der Markt mit anderen Betriebsformen abhelfen. Ist die Zahl immobiler Verbraucher zu klein, um die hohen Fixkosten eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs zu tragen, kann ersatzweise ein kleinerer Nachbarschaftsladen mit niedrigeren Fixkosten errichtet werden.481 Diese niedrigeren Fixkosten werden jedoch wegen des Verzichts auf Größenvorteile durch höhere variable Kosten erkauft und müssen letztlich zu höheren Preisen führen. Solange sich diese Betriebsform jedoch am freien Markt nicht ausbreitet, muss dies daran liegen, dass die Zahl immobiler Verbraucher in einem Quartier entweder gering ist oder einen längeren Weg zur Großbetriebsform den höheren Preisen des Nachbarschaftsladens vorzieht. Tatsächlich zeigen empirische Studien durchwegs, dass durch die Verbraucher kaum ein Nahversorgungsdefizit wahrgenommen wird.482 Wo die Verbraucher mit ihrer Versorgungslage unzufrieden sind, liegt das weniger an der räumlichen Distanz zur nächsten Einkaufsmöglichkeit als an der Qualität des dortigen Angebots. Es erschließt sich indessen von selbst, dass ein Vollsortimenter in jeder Wohnlage nicht zu gleichbleibenden Preisen tragfähig wäre. Die Verringerung der Einkaufsdistanz durch Vermehrung der Einzelhandelsbetriebe kann nämlich nur durch eine Verschlechterung des Angebots innerhalb dieser Betriebe (bei Preis oder Leistung) erkauft werden. Es wirkt, als habe der Einzelhandelsmarkt die verschiedenen Verbraucherinteressen recht angemessen gewichtet.
480
Finck (1990), S. 294; Koob (1993), S. 245; Sauter (2005), S. 146 ff. Junker/Kühn (2006), S. 40 f. 482 Kein Nahversorgungsdefizit in Großstädten sehen Junker/Kühn (2006), S. 115; kein Versorgungsdefizit in Innenstadt, Trabantenstadt und ländlichen Vororten sah auch Finck (1990), S. 227 Tabelle 6.12.; ebenso Müller/Finck/Köglmayr (1982), S. 21 ff.; selbst an Standorten mit sehr schmalem Angebot finden sich noch Nachversorgungsbetriebe, das Problem ist niemals die völlige Abwesenheit von Nahversorgern, sondern allenfalls ihre Qualität, erkennt der Verband Region Stuttgart (2002) an, siehe S. 42 f.; kein Nahversorgungsdefizit in Österreich sehen Schnedlitz/Kotzab/Cerda (2000), S. 201 ff. Vgl. außerdem Spannagel/Bunge (1999), S. 574; Blank (2004), S. 257; Koob (1995), S. 387. 481
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II. Auswirkungen einzelhandelssteuernder Interventionen auf die Nutzenstruktur Die Regulierer vertrauen indessen nicht in die Fähigkeit der Marktmechanismen zur angemessenen Gewichtung von Verbraucherinteressen. Auch wenn sich bisher kein gewichtiges Nahversorgungsdefizit zeigte, befürchtet man doch, dass die Markttrends es ohne regulierende Intervention auf lange Sicht bewirken werden.483 Aus diesen Gründen werden bauleitplanerische Marktzutrittsbarrieren errichtet. Ordnet man diese Marktzutrittsbarrieren in das oben dargestellte Wettbewerbsschema ein, zeigt sich jedoch, dass sie das Nutzenniveau der Verbraucher beeinträchtigen. Sie verringern den Spielraum wettbewerblicher Produktdifferenzierung. Der effizienzorientierte Rationalisierungsdruck sinkt. Gleichzeitig steigern sich Monopolstellungen und mit ihnen das Preisniveau. 1. Planerische Zielsetzung: Lenkung der mobilen Verbraucher zu den quartiereigenen Nahversorgern Das Ziel der Marktzutrittsbarrieren besteht in der Umgestaltung der wirtschaftlichen Anreizstrukturen, unter denen die mobilen Verbraucher agieren. Die Intervention soll den Anreiz verstärken, ihre Kaufkraft den wohnortnahen Betrieben zuzuführen. Zu diesem Zweck werden die dezentralen Betriebe reguliert. Einerseits versucht man ihren räumlichen Abstand zu wohnortnahen Betrieben zu vergrößern. Dies verringert die Intensität ihrer Substitutionskonkurrenz. Aus Sicht eines mobilen Verbrauchers erhöht die Intervention die distanzbedingten Wegkosten, will er außerhalb seines eigenen Quartiers einkaufen. Distanzbedingte Wegkosten mögen zwar für PKW-Fahrer von geringerer Relevanz sein, als für immobile Verbraucher. Sie sind aber nicht irrelevant. Auch für sie verringert sich mit größerer Distanz die Attraktivität eines dezentralen Betriebs. Darüber hinaus ist man bei der Bebauungsplanung versucht, die Verkaufsflächen dezentraler Betriebe zu verringern. Sie werden daran gehindert, Größenvorteile auszuspielen, die ihre variablen Kosten senkten. Bleibt diese Kostenersparnis aus, müssen auch die Preise der Betriebe höher ausfallen. Im Übrigen muss bei kleinerer Verkaufsfläche auch das Sortiment verringert werden. So fällt es schwerer, Verbraucher durch einen Sortimentsumfang zu ködern, der Mehrfacheinkäufe ersetzen kann. Durch die Intervention entfallen mithin verschiedene Kosten- und Nutzenvorteile der dezentralen Konkurrenz. Der rationale Verbraucher vergleicht diese Konkurrenz mit dem kleinflächigen wohnortnahen Betrieb und bewertet, wo der Ein 483
Junker/Kühn (2006), S. 36 f.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
kauf ihm den höchsten Nutzen verschafft. Unter den neuen Bedingungen kann das Angebot im wohnortnahen Betrieb selbst für mobile Verbraucher attraktiver erscheinen. Gelingt es, den nomokratischen Wettbewerb bis zu diesem Punkt zu verzerren, werden die mobilen Verbraucher ihren Einkauf im eigenen Wohnquartier erledigen. Denkbar ist, dass hierdurch das Nutzenniveau für immobile Verbraucher steigt und zwar durch folgenden Mechanismus: Der Einzelhändler in wohnortnaher Lage trägt wegen der fehlenden Größenvorteile höhere variable Kosten und muss zusätzlich auf seine Preise einen Betrag aufschlagen, der seine Fixkosten deckt. Teilt er diese Fixkosten nur unter einem kleinen Kreis von immobilen Verbrauchern auf, so fallen die Preise höher aus, und sollten die immobilen Verbraucher sie nicht tragen wollen, ist er nicht überlebensfähig. Gelingt es, die mobilen Verbraucher zu dem wohnortnahen Betrieb umzulenken, kann dessen Inhaber den Fixkostenbetrag unter einer größeren Zahl von Verbrauchern aufteilen. Jeder Verbraucher hat einen kleineren Anteil zu tragen. Deshalb können die Preise gesenkt werden. In diesem Fall müssten zwar die mobilen Verbraucher auf den Mehrnutzen des dezentralen Konkurrenzbetriebs verzichten, den ihnen die planungsrechtliche Intervention genommen hat. Die immobilen Verbraucher genießen dafür im wohnortnahen Betrieb niedrigere Preise. Ziel des Regulierers ist also eine Verbesserung des Nutzenniveaus der immobilen auf Kosten der mobilen Verbraucher. 2. Kosten bei Steuerungserfolg a) Erhöhung der variablen Vertriebskosten und Monopolgewinne Steuerungserfolg tritt ein, wenn die mobilen Verbraucher tatsächlich den manipulierten Anreizstrukturen folgen und in wohnortnahen Betrieben einkaufen. Bereits in dieser Konstellation kommt es zu Wohlstandsverlusten. Der Regulierer will das Nutzenniveau eines dezentralen Betriebs aus Sicht mobiler Verbraucher so weit reduzieren, dass es unterhalb des Nutzenniveaus des wohnortnahen Betriebes liegt. Der dezentrale Betrieb ist deshalb attraktiver, weil die variablen Kosten eines Einkaufs geringer ausfallen als in dem wohnortnahen Konkurrenten. Der Preis einer Ware setzt sich aus drei Posten zusammen: einem Betrag zur Deckung der Fixkosten der Vertriebsstätte, den variablen Kosten ihres Vertriebs und dem Gewinn des Unternehmers. Unterstellt man, die Marktzutrittsbarrieren können so dosiert werden, dass die Wettbewerbsintensität den Gewinnanteil am Preis minimiert, dann ändern die Marktzutrittsbarrieren die Nutzenstruktur in folgender Weise: Die mobilen Verbraucher kaufen im wohnortnahen Betrieb zu höheren variablen Kosten ein als im dezentralen Betrieb. Der Wohlstandsverlust besteht
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in der Differenz dieser variablen Kosten. Die Fixkosten, die durch die immobilen Verbraucher eingespart werden, müssen vollständig durch die mobilen Verbraucher getragen werden. Ihr Umfang hat sich nicht verringert. Gelungen ist deshalb selbst im Ideal nur eine Umverteilung unter Wohlstandsverlusten. Weil die immobilen Verbraucher, zu deren Gunsten die Umverteilung stattfindet, überwiegend Arme, Alte und körperlich Beeinträchtigte sind, lässt sie sich allenfalls sozialstaatlich rechtfertigen. Die beschriebene ideale Dosierung der Wettbewerbsintensität ist aber nur schwerlich zu erreichen. Dazu müsste der Regulierer die Betriebskosten und den erwartbaren Umsatz des wohnortnahen Betriebs unter verschiedenen rechtlichen Regularien präzise kennen. Daran hindert ihn sein fehlendes Wissen. Wegen des Prinzipal-Agent-Verhältnisses zum wohnortnahen Betrieb wird ihn dessen Inhaber auch nicht verlässlich informieren. So besteht die Gefahr, dass der Regulierer das Nutzenniveau der dezentralen Konkurrenz nicht nur auf das Niveau des wohnortnahen Betriebs absenkt, sondern noch weitgehender schwächt. Dadurch verschafft er dem wohnortnahen Betrieb ein Standortmonopol. Nutzt der wohnortnahe Betrieb dieses Monopol rational, wird er seine Preise nicht auf die Summe von Fixkosten und variablen Kosten beschränken. Jeden weitergehenden Nutzenvorsprung seines Angebots gegenüber der künstlich geschwächten Konkurrenz wird er als Gewinnspanne auf den Preis aufschlagen. b) Regulierungsaufwand als Kostenfaktor Ein weiterer unvermeidlicher Kostenfaktor einzelhandelssteuernder Regulierung ist der Regulierungsaufwand selbst. Das Ausgangsproblem der marktwirtschaftlichen Komplexität schlägt sich hier ein weiteres Mal nieder. Die Gemeinde braucht zur gezielten Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung umfangreiche wirtschaftliche Informationen. Die Zielrichtung der Mischordnungsinterventionen erzeugt jedoch Prinzipal-Agent-Verhältnisse zwischen dem Regulierer und den marktwirtschaftlichen Akteuren. Der wechselseitige Informationsaustausch ist deshalb unzuverlässig und durch Misstrauen geprägt. Um Marktwirkungen zielgerichtet lenken zu können, muss die Gemeinde zunächst umfangreiche Daten erheben, aus denen sie Wettbewerbsprognosen ableiten kann. Diese Aufgaben werden im Regelfall durch unabhängige private Marktforschungsunternehmen gegen Entgelt durchgeführt. Auf deren Grundlage wird zunächst ein gemeindeweites Einzelhandelskonzept erstellt. Doch bleiben die Empfehlungen und Prognosen in diesen Konzepten meist eher oberflächlich. Deshalb wird es bei Zulassungsentscheidungen über bestimmte Einzelhandelsprojekte oft notwendig, weitere einzelfallbezogene Marktgutachten erstellen zu lassen – wiederum gegen Entgelt. Schließlich drohen die gemeindeweiten Einzelhandelskonzepte in wenigen Jahren zu veralten. Sie müssen durch Marktforschungsunternehmen daher regelmäßig überarbeitet werden.
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Auf Grundlage der Marktgutachten erfolgt erst die eigentliche Intervention: Nämlich Rechtsetzung durch Erlass von Bauleitplänen. Die Gemeinde steht dabei vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits dürfen die Bauleitpläne keine rechtlichen Fehler aufweisen, die bei einer gerichtlichen Überprüfung zu ihrer Aufhebung führen würden.484 Andererseits müssen sie geeignet sein, die gewünschten Marktentwicklungen auch zu bewirken. Im Planungsverfahren erfolgt daher eine komplizierte Vermittlung zwischen politischen und wirtschaftlichen Akteuren sowie ökonomischen und juristischen Fachleuten. Oft genügt bei Einzelhandelsgroßprojekten nicht nur die Überplanung des Gebiets. Zugleich versucht man, den Vorhabenbetreiber durch öffentlich-rechtliche Verträge auf die Interventionszielsetzung zu verpflichten. Die Gemeinde ist gezwungen, sich einen hohen Planungsaufwand zuzumuten; andernfalls sind ihre einzelhandelssteuernden Pläne wenig aussichtsreich. Gelingt schließlich die Rechtsetzung, so bleibt das Problem der Rechtsdurchsetzung. Einerseits können sich die Betriebe heimlich über Verkaufsflächen- und Sortimentsvorgaben hinwegsetzen. Typischerweise nutzen die Einzelhandelsbetriebe auch Kassenbereich und Außenfassade zur Präsentation der Waren und funktionieren sie nachträglich faktisch und ohne Genehmigung zur Verkaufsfläche um. Wird der Vertrieb innenstadtrelevanter Waren auf geringe Verkaufsflächen begrenzt, so brauchen nur wenige Regale umgeräumt werden, um sich dieser Begrenzung zu entziehen. Deshalb bedarf die einzelhandelssteuernde Regulierung einer ständigen Kontrolle durch die Bauaufsichtsbehörde. Außerdem können Betriebe versuchen, gemeindliche Genehmigungsverweigerungen gerichtlich anzugreifen. Möglicherweise gelingt es, fehlerhafte Festsetzungen in den Bauleitplänen geltend zu machen oder eine Fehlinterpretation der unscharfen Planersatzregeln des § 34 Abs. 3 BauGB oder § 11 Abs. 3 BauNVO nachzuweisen. Dabei fallen nicht nur Gerichtskosten auf beiden Seiten an. Obsiegt der Vorhabenbetreiber, kann er die Gemeinde unter Umständen zum Ersatz des Planungsschadens verpflichten.485 3. Kosten bei Steuerungsmisserfolg a) Wahrscheinlichkeit des Misserfolgs Sinn ergeben die einzelhandelssteuernden Interventionen erst, wenn es gelingt, die mobilen Verbraucher zu wohnortnahen Betrieben umzulenken. Bei nüchternem Blick auf die Wirklichkeit erscheinen die Erfolgsaussichten gering. Ein Schlüsselproblem ergibt sich, weil PKW-Besitzer nicht nur vom Wohnort aus ein 484 Zur statistisch signifikanten Häufigkeit der gerichtlichen Aufhebung einzelhandelssteuernder Bauleitpläne Maidowski (2008), S. 168. 485 Wird ein Einzelhandelsvorhaben durch die Bauaufsichtsbehörde rechtswidrig vereitelt, kann der Vorhabenträger unter Umständen den Gewinn der gesamten prognostizierten Lebensdauer des Betriebes als Schadensersatz fordern, Maidowski (2008), S. 168.
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kaufen. Bereits auf dem Weg zur Arbeit passieren sie zahlreiche moderne Einzelhandelsbetriebe, die an zentralen Straßenlagen errichtet wurden und mittlerweile unter planungsrechtlichem Bestandsschutz486 stehen. Erledigen sie den Einkauf nebenbei, fallen für sie gar keine Wegkosten an. Deshalb kombinieren rationale PKW-Fahrer ihre Einkäufe mit anderen Fahrten.487 Es genügt nicht, unerwünschte Betriebe von der Wohnstätte der mobilen Verbraucher fernzuhalten. Eine erfolgreiche Intervention müsste sie gänzlich aus ihrem alltäglichen Bewegungsumfeld entfernen. Andernfalls erhöhen die Interventionen die Wegkosten der mobilen Verbraucher überhaupt nicht. Zwar werden PKW-Besitzer den wohnortnahen Anbieter noch für kleinere Ergänzungseinkäufe aufsuchen, zum Beispiel, wenn sie den Einkauf kurzfristig benötigter Waren vergessen haben. Doch der rationale Verbraucher erledigt seinen umsatzträchtigen Wocheneinkauf dort, wo die Auswahl groß und die Preise niedrig sind, und vergisst dabei die zahllosen Alternativangebote nicht, die er täglich passiert. Sollten die mobilen Verbraucher also dennoch größere Einkäufe in wohnortnaher Lage durchführen, dann, weil das dortige Angebot auch ohne jede Intervention für sie attraktiv ist. b) Zusätzliche Kosten für immobile Verbraucher Gelingt die Umlenkung mobiler Verbraucher nicht, beeinträchtigt die Intervention die Interessen der immobilen Verbraucher. Hierbei sind zwei Konstellationen denkbar: Entweder der wohnortnahe Betrieb bleibt trotz der gescheiterten Umlenkung lebensfähig oder er geht unter. Überlebt der wohnortnahe Betrieb, so vor allem durch Abschöpfung der Kaufkraft immobiler Verbraucher. In dieser Konstellation reicht also die Kaufkraft dieser Verbrauchergruppe ohnehin aus, um ihn zu erhalten. Nun muss davon ausgegangen werden, dass der Betrieb rational agiert und die Kaufkraft der immobilen Verbraucher größtmöglich abschöpfen will. Gleichzeitig haben auch die immobilen Verbraucher die Möglichkeit – wenn auch unter vergleichsweise höheren Wegkosten – zum nächsten modernen Konkurrenzbetrieb auszuweichen. Gegenüber den immobilen Verbrauchern genießt der wohnortnahe Betrieb dadurch ein Standortmonopol, das so weit reicht, wie die höheren Wegkosten zum nächsten Substitutionskonkurrenten ausfallen. Und er wird durch höhere Preise versuchen, dieses Standortmonopol auszuschöpfen. Verhindert die Gemeinde den Marktzutritt eines Konkurrenzbetriebes, der bei geringerer Distanz erreichbar wäre, so verteidigt sie dieses Standortmonopol gegenüber den immobilen Verbrauchern und treibt für sie die Preise in die Höhe. Könnte sich der wohnortnahe Betrieb ohne das Standortmonopol nicht halten, so nur deshalb, weil aus Sicht der immobilen Verbraucher 486
Zum Begriff des Bestandsschutzes siehe oben Kapitel 1 Abschnitt B. II. 3. Verband Region Stuttgart (2001), S. 46 f.; Finck (1990), S. 65.
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der Einkauf beim neuen Substitutionskonkurrenten einen höheren Nettonutzen verwirklichte. Durch die Verhinderung seines Marktzutritts würde eine verbrauchernahe Versorgung gegen eine den Verbraucher zufriedenstellende Versorgung ausgespielt.488 In jedem Fall wirkt sich die planerische Intervention zulasten der immobilen Verbraucher aus, denen sie eigentlich dienen sollte. Die Intervention nimmt ihnen ein Substitut und bindet sie an einen Monopolisten. Der Schaden wird offensichtlich, sobald die Gemeinde den Marktzutritt eines Substitutionskonkurrenten verhindert hat und der wohnortnahe Betrieb dennoch untergeht. Nunmehr stehen die immobilen Verbraucher infolge der Intervention ohne Substitut vor einem noch längeren Einkaufsweg. Der Einkaufsweg wurde verlängert, nicht verkürzt. 4. Ergebnis: Ineffizienz und Kontraproduktivität der Mischordnung Das Einzige, was einzelhandelssteuernde Interventionen zum Schutz der Nahversorgung leisten können, ist eine Umverteilung zugunsten der immobilen Verbraucher. Selbst wenn diese Umverteilung gelänge – was wie aufgezeigt sehr unsicher ist –, würde sie erhebliche Wohlstandsverluste mit sich bringen: Die mobilen Verbraucher müssen auf die Vorzüge moderner Konkurrenzbetriebe verzichten, der wohnortnahe Betrieb veräußert dank einer künstlichen Monopolstellung zu Monopolpreisen und die Gemeinde hat erhebliche Regulierungskosten zu tragen. Der Erfolg der Intervention ist jedoch unwahrscheinlich. Viel eher ist es denkbar, dass der Regulierer sein Ziel sogar konterkariert und die Interessen immobiler Verbraucher beeinträchtigt, indem er ihnen gegenüber eine lokale Monopolstellung verstärkt oder die Substitution eines dem Untergang geweihten Nahversorgers vereitelt.
III. Parallelordnungsvorschlag: Gemeindlicher Eigenbetrieb von Nahversorgern Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Regulierer seine Ziele effizienter erreichen kann, wenn er auf die teleokratische Planung von Wettbewerbsergebnissen verzichtet. Er kann die Umverteilung zugunsten der immobilen Verbraucher stattdessen direkt – und nicht durch den Marktmechanismus vermittelt – bewirken. Die Mischordnungsintervention soll einen Teil der Kaufkraft der wohlhabenden mobilen Verbraucher zur Finanzierung der Fixkosten eines Nahversorgers umleiten, damit die ärmeren immobilen Verbraucher diese Fixkosten nicht selber tragen müssen. Der Sache nach zielt die Intervention auf die Umverteilung von Geld 488
So Sauter (2005), S. 218.
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mitteln von Reich zu Arm. Darüber hinaus sollen Verbraucher, die altersbedingt oder aus sonstigen Gründen körperlich beeinträchtigt sind, von den quartiereigenen Nahversorgern profitieren. Die Methode der Intervention – nämlich die Verzerrung von Wettbewerbskausalitäten – ist dabei kompliziert und unzuverlässig. Selbst wenn die Steuerung optimal gelänge, nähme sie den mobilen Verbrauchern die Vorteile des dezentralen Einkaufs, nur um einen Teil ihrer Kaufkraft mittelbar den immobilen Verbrauchern zuzuführen. Effizienter wäre es, die Geldmittel durch eine hoheitliche Abgabe direkt einzuziehen und sie dann zur Finanzierung zusätzlicher Nahversorgungsfixkosten einzusetzen. Im Ideal gestaltete der Regulierer die Rahmenordnung des Wettbewerbs so um, dass Einzelhandelsbetrieben eine Nahversorgungsbetätigung aus den Abgabeeinnahmen vergütet würde. Jedoch lässt sich der Nahversorgungsnutzen eines Betriebes nicht abstrakt definieren.489 Es ist schwer denkbar, in einem allgemeinen Gesetz wettbewerbsneutral zu bestimmen, wann ein Betrieb eine Nahversorgungsprämie in welcher Höhe erhalten soll und wann nicht. Eine wettbewerbliche Anreizmodifikation scheitert deshalb vermutlich an regulierungstechnischen Problemen. Möglich ist aber, gemeindeeigene Nahversorgungsbetriebe in versorgungsdefizitären Wohnlagen anzusiedeln. Die zusätzlichen Fixkosten dieser hoheitlichen Eigenbetriebe, welche sie unter die Grenze der Rentabilität treiben, würden durch die Einnahmen aus der hoheitlichen Abgabe gegenfinanziert. Auf diese Weise wären die mobilen Verbraucher nicht gehindert, in modernen Discountbetrieben einzukaufen und der Markt könnte sich im Übrigen ohne regulative Beschränkungen entfalten. Es entstehen keine Monopole, die Produktdifferenzierung wird nicht behindert und das Regulierungsziel erreicht man zu den geringst möglichen, wenn auch zusätzlichen Kosten. Möglicherweise findet der Markt als Entdeckungsverfahren einen Weg, wie man die hoheitlichen Eigenbetriebe rentabel weiterführen kann. Deshalb ist der Gemeinde anzuraten, die Betriebe zu verkaufen, sobald sich ein privater Investor findet, der dies für möglich hält.490 Allerdings machte die direkte Finanzierung von Nahversorgungsleistungen ihre tatsächlichen Kosten sichtbar. Sie verstreuten sich nicht in der Komplexität der Marktordnung, sondern müssten durch Abgaben unmittelbar durch die Regulierer eingezogen werden. Schreckt der Regulierer angesichts der nunmehr sichtbaren Kosten vor der direkten Umverteilung zurück, würde ihm nur bewusst, dass der Mischordnungsintervention erst recht eine unausgeglichene Kosten-NutzenGewichtung zugrunde liegt. Denn deren Effizienzverluste sind weitaus höher, nur verlaufen sie sich im Nebel des Marktes. Diese Kostentransparenz schafft einen Anreiz, hoheitliche Eigenbetriebsführung nur als Notlösung einzusetzen. Gelangt 489
Zu den uferlosen Problem einer wissenschaftlichen Definition des Versorgungsniveaus äußert sich eingehend Finck (1990), S. 66 ff. 490 Vorübergehenden gemeindeeigenen Nahversorgungsbetrieb empfiehlt unter Verweis auf erfolgreiche Beispiele auch der Verband Region Stuttgart (2001), S. 109 f.
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der Regulierer nachträglich zu der Auffassung, dass die Vorteile der Eigenbetriebsführung ihre Kosten nicht rechtfertigen, kann er den Betrieb ohne besondere Risiken einstellen. Es besteht nicht die Gefahr, dass sich ein zuvor aufgestautes Marktungleichgewicht realisiert, wie dies bei einer Mischordnungsintervention der Fall wäre.
C. Schutz der gewachsenen Zentren Das zweite Ziel der Gemeinde ist, den Einzelhandelsumfang in den gewachsenen Zentren aufrecht zu erhalten. Vorrangig geht es dabei um ihre Innenstädte. „In der öffentlichen und politischen Diskussion wird die lebendige Innenstadt als zentraler Ort für eine Vielzahl von Funktionen wie Handel, Kultur, Freizeit, Dienstleistungen, Arbeiten und Wohnen als das anzustrebende Leitbild angesehen.“491 Die Gemeinde will vermeiden, dass Leerstände das ästhetische Bild der Innenstädte trüben. Stattdessen soll jeder Besucher das Bild eines florierenden Handels erleben. Außerdem investieren Einzelhändler in die Gebäudesubstanz und tragen die Kosten der Fassadengestaltung. Für dieses ästhetisch-immaterielle Ziel stellt die Gemeinde andere Verbraucherinteressen zurück, indem sie dem außerhalb der Zentren befindlichen Einzelhandel Beschränkungen auferlegt. Dass ihre Methoden der effizienteste Weg sind, die Verbraucherpräferenz für Einkaufsästhetik zu fördern, ist zu bezweifeln. Wiederum werden in der Effizienzanalyse die Entwicklungsstruktur in der Nomokratie, der Einfluss der Interventionen und ein möglicher Parallelordnungsvorschlag einander gegenübergestellt.
I. Entwicklung gewachsener Zentren in der reinen Nomokratie 1. Produktdifferenzierung beim Handel mit zentrenrelevanten Gütern a) Inhaltliche Differenzierung (Service/Preis) Im Gegensatz zum Handel mit Gütern des täglichen Bedarfs bietet der Handel mit zentrenrelevanten Gütern ein weitaus größeres Potential für inhaltliche Differenzierungen. Dies gilt zum einen für die Produkte selbst: Besonders beim wichtigsten Sortiment der Bekleidung gibt es verschiedenste Bekleidungsstücke für verschiedenste Anlässe in zahllosen Geschmacksrichtungen und Preisklassen. Ähnlich stellt es sich bei anderen zentrenrelevanten Sortimenten wie Schuhen, Elektronik, Spielwaren oder Haushaltswaren dar. Von besonderer Bedeutung n eben 491
Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 66.
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den Waren selbst ist deren Präsentation: Hier treten spezialisierte, kleine Fachgeschäfte großen Fachmärkten gegenüber. Während das Fachgeschäft durch gute Beratung und eine zielsichere, aber kleine Sortimentsauswahl das Kaufrisiko des unsicheren Kunden verringert, zeichnen sich Fachmärkte durch ein breiteres Sortiment und niedrigere Preise beim Selbstbedienungskauf aus. Während es für Fachmärkte finanzierbar ist, sich durch eigenständige Werbung unter den Verbrauchern bekannt zu machen, muss das kleine Fachgeschäft sich in Lagen mit hoher Kundenfrequenz positionieren, damit es den Verbrauchern von selbst auffällt. Beide Vertriebsformen haben ihre Daseinsberechtigung: Sucht ein unerfahrener Kunde etwa einen gut sitzenden Anzug für ein wichtiges Bewerbungsgespräch, wird er die höheren Preise eines Fachgeschäftes gerne in Kauf nehmen, solange er sich gut beraten fühlt. Ein gut informierter Verbraucher wird dagegen die günstigen Preise und das umfangreiche Angebot des Selbstbedienungsvertriebs großer Fachmärkte vorziehen und auf eine Beratung verzichten.492 So bildet sich durch inhaltliche Differenzierung eine Arbeitsteilung der verschiedenen Betriebsformen heraus. Während sowohl der Betriebstyp des Fachgeschäftes wie auch des Fachmarktes eine Daseinsberechtigung haben, ergibt sich das quantitative Verhältnis der beiden Vertriebstypen aus der Substitutionskonkurrenz der Produktdifferenzierungen. Sind die Verbraucher mit einem Produkt unerfahren, überwiegt ihre Präferenz für Service, und Fachgeschäfte dominieren den Markt. Der selbstbewusste und gut informierte Verbraucher hat keine Präferenz für Service und profitiert lieber von niedrigen Preisen und großen Sortimenten. Überwiegt sein Anteil unter den Verbrauchern, dominieren die Fachmärkte. Der Wettbewerb läuft auf ein Gleichgewicht zu, unter dem die Verbraucherpräferenzen nach Preis und Service in einen optimalen Ausgleich gebracht wurden. Je näher der Wettbewerb diesem Gleichgewicht kommt, desto geringer fallen Monopolstellungen aus und desto stärker nähern sich die Grenzpreise den Grenzkosten der effizientesten Produktionsmethode an. b) Standortdifferenzierung (Agglomeration/Isolation) Im Rahmen der Standortdifferenzierung sind beim Handel mit zentrenrelevanten Gütern andere Gesichtspunkte von Bedeutung als beim Handel mit Gütern des täglichen Bedarfs. Das Potential an inhaltlichen Differenzierungen, die zentrenrelevante Sortimente bieten, kann nämlich nicht in jedem Quartier ausgeschöpft werden, ohne die Fixkosten der Betriebe unangemessen in die Höhe zu treiben. Ein längerer räumlicher Abstand des Angebots zur Wohnlage muss also hingenommen werden. Dieser räumliche Abstand fällt insgesamt weniger ins Gewicht, da zentrenrelevante Güter in deutlich größeren zeitlichen Abständen eingekauft werden. 492 Zum „hybriden Käufer“, der zwischen Service und Billigeinkauf schwankt, siehe Schmalen (1998), S. 31 ff.; ders. (1997), S. 408.
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Im Wettbewerb entscheiden vorrangig andere Gesichtspunkte: Betriebe, die zentrenrelevante Sortimente vertreiben, haben prinzipiell die Wahl zwischen zwei Arten von Standorten: Entweder positionieren sie sich an Standorten mit einer bereits bestehenden Agglomeration von Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gastronomiebetrieben, an denen bereits eine hohe Frequenz potentieller Kunden vorhanden ist. Beispielhaft sei die Innenstadt genannt. Oder sie siedeln sich auf größeren ungenutzten und eher dezentral gelegenen Flächen an, also bildlich gesprochen „auf der grünen Wiese“. Die erste Option erscheint prinzipiell attraktiver. Der Kunde hat an Standorten mit einer hohen Angebotsagglomeration die Möglichkeit, nach einer Anfahrt verschiedene Nutzungen zu koppeln und auf diese Weise Transaktionskosten einzusparen. Wegen der dadurch veranlassten hohen Passantenfrequenz werden Einzelhandelsbetriebe allein schon durch den Blick ins Schaufenster beim Vorbeigehen bekannt und können auf kostenintensive Werbung verzichten. Weil schließlich allgemein bekannt ist, dass sich an Agglomerationsstandorten Angebote aller Art befinden, wird sich der unsichere Kunde dort zuerst umschauen.493 Wegen solcher Agglomerationsvorteile verstärkt sich der Agglomerationsprozess von selbst. Doch muss dieser Prozess an eine natürliche Grenze stoßen, weil in Lagen mit hoher Angebotsdichte die Flächen knapp werden. Die Knappheit des Gutes Fläche schlägt sich in ihrem Preis nieder, der für den Einzelhandel höhere Mietpreise nach sich zieht. Schließlich führt der hohe Zulauf an PKW-Kunden irgendwann zu einer Verstopfung, die sowohl die Zufahrtsstraßen als auch die Stellplatzflächen betrifft. Können rationale Unternehmen am Markt frei agieren, so werden sich vorrangig jene Betriebe an Agglomerationsstandorten ansiedeln, welche von den Agglomerationsvorteilen besonders profitieren und welche die hohen Mieten am ehesten tragen können. Dies sind einerseits Betriebe, deren Angebot mit den bereits vorhandenen Angeboten durch Kunden typischerweise kombiniert (zum Beispiel beim Bekleidungseinkauf mit Freunden die Nutzung von Gastronomieangeboten) wird. Hinzu kommen Betriebe mit hohem Flächenumsatz oder geringem Raumbedarf. Sie werden nämlich durch hohe Mietpreise pro Quadratmeter geringer belastet.494 Schließlich sind Agglomerationsstandorte auch deshalb für kleinere und insbesondere Inhabergeführte Betriebe attraktiv, weil sich diese kaum eigene Werbung leisten können, die über ihre Schaufensterdekoration hinausgeht. Grundsätzlich gilt, dass in zentralen Lagen Personal nicht rational durch Fläche substituiert werden kann. Deshalb sind hier umgekehrt kleine und eher teure Geschäfte mit gutem Service profitabel. Dies macht Agglomerationsstandorte vor allem für Fachgeschäfte attraktiv.495 Umgekehrt müssen sich flächenintensive Betriebsformen 493 Allgemein zu standortbezogenen Kopplungsvorteilen des Einzelhandels Heinritz/Theiss (1996), S. 313 ff.; Müller-Hagedorn (1988), S. 163 ff.; mit Blick auf die Einzelhandelssteuerung Blank (2004), S. 53. 494 Hoffmann (1984), S. 189 f. 495 Schmalen (1999), S. 469, 480; Lademann (1999), S. 544.
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mit Niedrigpreisstrategie in dezentralen Lagen ansiedeln, weil dort die Mietpreise niedriger ausfallen.496 Dort sind die Zufahrtsstraßen und Stellplätze außerdem ausreichend groß, sodass sie sich für einen Kurzeinkauf eignen. Auf diese Weise bildet der Markt eine Arbeitsteilung zwischen zentralen und dezentralen Standorte heraus.497 2. Die Bewertung der Einkaufsästhetik durch den Markt (Ästhetik als öffentliches Gut) Prinzipiell ist ein angenehmes Einkaufsambiente eine Präferenz der meisten Verbraucher. Entsprechend gestaltete Betriebe verschaffen ihnen damit einen immateriellen Nutzen. Dieser Nutzen fließt ebenso wie Preis und Qualität der angebotenen Ware in eine rationale Kaufentscheidung ein. Der Markt internalisiert die Kosten, die Betriebe für ihre ästhetische Gestaltung aufwenden, indem letztlich der Käufer – der aus der Ästhetik einen immateriellen Nutzen zieht – sie über den Preis trägt. Das ästhetische Niveau stellt damit eine Form der vertikalen Differenzierung dar, sie ist auf Kunden angewiesen, die bessere Einkaufsästhetik mit höherer Zahlungsbereitschaft honorieren. Dieser Marktmechanismus funktioniert aber nur, solange Passanten, welche die ästhetische Gestaltung der Betriebe genießen, auch als Käufer den Umsatz derselben Betriebe erhöhen. Vielfach geschieht dies jedoch nicht. Einerseits passieren zahllose Bürger ohne jedes Kaufinteresse die Geschäfte, die sich gewiss ansehnliche Straßenzüge wünschen, die aber nicht den Umsatz der Geschäfte erhöhen. Entsprechend geringer fällt das Interesse der Betriebe an der Gestaltung ihrer Außenfassaden498 aus, gerade relativ zu ihrer Inneneinrichtung. Dabei werden die Außenfassaden regelmäßig durch weitaus mehr Menschen weitaus häufiger eingesehen. Zum anderen hat bei vielen Verbrauchern der Einkauf nicht bloß die Funktion schneller Warenbeschaffung, ebenso stellt er eine Freizeitbeschäftigung dar. Bei solch einem „Erlebniseinkauf“499 genießen die Verbraucher zwar gerne ein ansprechendes Einkaufsambiente, sind aber unverhältnismäßig weniger zahlungsbereit. Der Einkaufsgenuss wird zur eigenständigen Präferenz. Dies führt dazu, dass die ästhetische Gestaltung der Geschäfte bei Passanten ohne Kaufabsicht sowie bei Erlebniskäufern einen positiven externen Effekt verursacht. Die Ästhetik ist dadurch teilweise ein öffentliches Gut.500 496
Ähnlich Deiters (1996), S. 30; zur Marktstrategie von Verbrauchermärkten Bremme (1988), S. 102 f. 497 Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 62. 498 Die Kritik an Einkaufsparks und die Forderung nach einem regulativen Eingreifen beruht wesentlich auf der Erkenntnis, dass rationales Investitionsverhalten ein „uniformes architektonisches Erscheinungsbild und eine unzureichende landschaftliche Einbindung“ hinnimmt, Friedrich (2010), S. 309. 499 Kulke (2001), S. 63. 500 So auch Hoffmann (1984), S. 218.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
Ein öffentliches Gut wird von privaten Gütern abgegrenzt. Ein privates Gut kennzeichnet sich durch seine Rivalität im Konsum und die Möglichkeit des Verfügungsberechtigten, andere von der Nutzung des Gutes auszuschließen. Auf diese Weise kann der Verfügungsberechtigte für die Nutzung des Gutes ein Entgelt einfordern. Der Wettbewerb tendiert zu einem Marktgleichgewicht, indem der Verfügungsberechtigte gezwungen ist, die Grenzpreise auf die Grenzkosten des privaten Gutes abzusenken, die wiederum dem Grenznutzen der Verbraucher entsprechen. Dieser Marktmechanismus entfaltet sich bei öffentlichen Gütern nicht. Die Produktion öffentlicher Güter wird durch den Markt unterbewertet und es kommt zu Fehlallokationen. Der Grenznutzen des öffentlichen Gutes übersteigt unter Marktbedingungen die Grenzkosten, die für die Produktion öffentlicher Güter aufgewendet werden.501 Die Einkaufsästhetik ist öffentliches Gut, weil sie durch jedermann konsumiert werden kann, ohne dass es Verfügungsberechtigen möglich ist, Trittbrettfahrer, die nicht über Entgelte zur Finanzierung des Gutes beitragen, vom Konsum auszuschließen. Da dieser Nutzeneffekt nicht durch den Markt internalisiert wird, neigt er zur Unterbewertung ästhetischer Präferenzen. Wie gewichtig diese Präferenzen aus Verbrauchersicht sind, lässt sich schwer ermitteln, weil es an einem funktionierenden Markt fehlt, an dem sich ein Preis bilden könnte. Unterstellt man einen funktionierenden hypothetischen Markt für Stadtästhetik, so muss allerdings davon ausgegangen werden, dass sich die Verbraucher für eine bessere Ästhetisierung der Einkaufslagen höhere Opportunitätskosten zumuten würden, als sie das unter rein nomokratischen Marktbedingungen täten. Diese Differenz korrespondiert mit der Abweichung nomokratischer Marktgleichgewichte vom gesamtwirtschaftlichen Optimum und stellt einen Wohlfahrtsverlust dar. Der Grenznutzen der Ästhetisierung von Einkaufslagen liegt aus Sicht der meisten Gemeindeeinwohner oberhalb ihrer Grenzkosten. 3. Die gewachsenen Zentren im Wettbewerb Ein wesentlicher Nutzeneffekt der gewachsenen Zentren, vor allem der Innenstädte, wird also nur teilweise vergütet: nämlich die Einsehbarkeit ihrer Ästhetik für jedermann. Dies ist von Nachteil für die Einzelhändler in den Innenstädten, welche die Kosten der Fassadengestaltung tragen und wegen des Denkmalschutzes und anderer Auflagen dazu sogar gezwungen werden.
501 Siehe z. B. Schumann/Meyer/Ströbele (2011) S. 39 f.; Natrop (2006), S. 266 ff.; Varian (2009), S. 775 ff.; Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 836 ff.; Eichberger (2004), S. 211 ff.; Franke (1992), S. 78 f.; Wiese (2002), S. 425 ff.; Reiß (2007), S. 457 ff.
C. Schutz der gewachsenen Zentren
207
a) Der Wettbewerbsvorteil der Innenstadt: Agglomeration zahlreicher wirtschaftlicher Funktionen in zentraler, ästhetisch gestalteter Lage Allein dies bedeutet jedoch nicht, dass die Innenstädte im Wettbewerb hoffnungslos unterlegen sind. Zunächst bewirkt der Wettbewerb automatisch Betriebsagglomerationen an bestimmten Standorten. Einer dieser Standorte wird im Regelfall die Innenstadt sein. Zwar ist die Einkaufsästhetik zum Teil öffentliches Gut. Sie ist teilweise aber auch privates Gut und zieht Kunden an. Die städtebauliche Attraktivität der Innenstadt wird fast immer so viele Passanten anziehen, dass der rational agierende Handel sich in ihren Straßenzügen agglomeriert.502 Zudem liegt die Innenstadt üblicherweise im Mittelpunkt einer Gemeinde, sodass sie von allen Seiten gut erreichbar ist und sich auch deshalb als Agglomerationsstandort anbietet. Offen bleibt aber, wie hoch die dabei erreichte Agglomerationsdichte sein wird. Unter natürlichen Marktbedingungen wird der Agglomerationsprozess ab einem gewissen Grad durch höhere Mieten konterkariert. Zwar sind diese hohen Mieten ein Wettbewerbsnachteil des Standorts. Sie sind aber zugleich auch ein Indikator für seine Wettbewerbsstärke. Gegenwärtig sind hohe Mieten jedenfalls in den zentralen Einkaufspassagen der deutschen Innenstädte durchwegs Realität.503 Sie haben sich damit im Wettbewerb behauptet. Inwieweit dies auf ihre natürliche Wettbewerbsstärke oder auf die Protektion einzelhandelssteuernder Regulierung zurückgeführt werden muss, ist damit noch nicht beantwortet. b) Wettbewerbsnachteile der Innenstadt Abschließend sollen einige besondere Wettbewerbsnachteile der Innenstadt nicht unerwähnt bleiben. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang auf die knappen Parkmöglichkeiten und die überfüllten Zufahrtsstraßen in den meisten Innenstädten hinzuweisen.504 Einzelne Parkplätze sind über die ganze Stadt verstreut. Zudem sind die meisten Zufahrtsstraßen der Innenstadt durch Kraftfahrzeuge verstopft, die durch Einbahnstraßensysteme um die zentralen Fußgängerzonen herumgeführt werden müssen. Die Parkplatzsuche gestaltet sich unter diesen Verhältnissen unberechenbar und zeitaufwändig. Gerade mit Blick auf einheitlich geplante Einkaufsparks, bei denen der Verbraucher von vorneherein weiß, dass sie Parkplätze im Überfluss direkt vor den Eingangstoren der Geschäfte bieten, ist dieser Nachteil erheblich und wird durch die meisten innerstädtischen Einzelhänd-
502
Hoffmann (1984), S. 209. Naßmacher/Naßmacher (2007), S. 319; Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 59 ff. 504 Spannagel/Bunge (1999), S. 576; Lademann (1999), S. 541 f.; Vallée/Lenz (2007), S. 25; auch die empirischen Befunde belegen diese Problemwahrnehmung aus Verbrauchersicht siehe Verband Region Stuttgart (2001), S. 61 ff.; Gaebe (1985), S. 140. 503
208
Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
ler505 und Verbraucher506 beklagt. Einerseits ist dies eine natürliche Folge des Agglomerationsprozesses, der in den Innenstädten weit fortgeschritten ist. Das Problem ist aber andererseits dem Verantwortungsbereich der Gemeinde zuzurechnen. Während in dezentralen Einkaufsparks das Centermanagement die Stellplatzanlagen plant, ist in den Innenstädten vorrangig die Gemeinde dafür zuständig. Das fehlende zentrale Management der Innenstadt bewirkt ferner, dass sie auch marketing- strategisch unterlegen ist.507 Im Gegensatz zum Einkaufspark auf der grünen Wiese ist in der Innenstadt das Eigentum an den Immobilen unter zahlreichen Verfügungsberechtigten verstreut. Eine koordinierende Abstimmung etwa eines bestimmten Straßenzugs fällt deshalb schwer. Initiativen sind auf die freiwillige Unterstützung der Einzelhändler und Grundstücksinhaber angewiesen. Unprofessionelle Ladenbetreiber508, die als Eigentümer eines zentral gelegenen Geschäfts Fläche blockieren, ohne erhebliche Kundenfrequenz zu veranlassen, können nicht gegen ihren Willen vertrieben werden. Allenfalls kann man sie durch Vertragsangebote überzeugen. Schließlich machen der Innenstadt verschiedene Regulierungen zu schaffen. Am bedeutendsten sind hierbei Denkmalschutzauflagen, welche die Gebäudesanierung erschweren und es unmöglich machen, durch Abriss neue Nutzflächen zu schaffen.509 Stellplatzablösen, weitgefasste Fußgängerzonen und städtebauliche Gestaltungsauflagen schränken den Handel darüber hinaus ein.510 4. Zusammenfassung: Die Überlebensfähigkeit von Innenstädten und anderen gewachsenen Zentren im nomokratischen Wettbewerb Die Ästhetik der Innenstadt ist bis zu einem gewissen Grad öffentliches Gut, das dem Interesse der Allgemeinheit dient, durch den Markt aber nicht vergütet wird. Kann sich die innerstädtische Wirtschaft ohne diese Vergütung nicht am Markt behaupten, wird auch das öffentliche Gut nicht aufrechterhalten. Doch durch die Agglomeration zahlreicher Nutzungsformen in zentraler Lage hat die Innenstadt einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Die innerstädtische Lage zieht außerdem deshalb Kunden an, weil die Einkaufsästhetik bis zu einem gewissen Grad eben auch privates Gut ist. Solange innerstädtische Mieten in die Höhe schießen, solange geht es auch dem innerstädtischen Einzelhandel nicht schlecht. Auf der 505
Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 61. Verband Region Stuttgart (2001), S. 61. 507 Altenburg (1999), S. 1055; Vallée/Lenz (2007), S. 25. 508 Zur mangelnden Professionalität vieler mittelständischer Ladenbetreiber Maier (1999), S. 554; Sauter (2005), S. 192. 509 Spannagel/Bunge (1999), S. 578; Schmalen (1999), S. 484 f.; Sauter (2005), S. 39; Dichtl (1988), S. 117 f.; Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 59. 510 Schmalen (1999), S. 469, 485; ders. (1998), S. 39 ff. 506
C. Schutz der gewachsenen Zentren
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anderen Seite leidet der innerstädtische Handel wegen des Stellplatzmangels, schlechter PKW-Zufahrt, verstreuter Eigentumsrechte sowie Denkmalschutz- und anderen Auflagen unter einigen gewichtigen Nachteilen.
II. Auswirkungen einzelhandelssteuernder Interventionen auf die Nutzenstruktur Der Regulierer interveniert, um den Einzelhandel der gewachsenen Zentren, insbesondere der Innenstadt, im Wettbewerb mit peripheren Standorten zu unterstützen. Zu diesem Zweck reguliert er den Markteintritt in der Peripherie, ent weder indem er Einzelhandel ganz verhindert oder ihn nur unter Sortiments- und Verkaufsflächenbeschränkungen zulässt. 1. Zielsetzung der Intervention Unter den Bedingungen freien Wettbewerbs entwickelt der Handel mit zentrenrelevanten Gütern eine beachtliche Bandbreite an Differenzierungen, welche die verschiedensten Präferenzen der Verbraucher abdeckt. Er erreicht in dem Moment einen Gleichgewichtszustand, wo die Differenzierungsgrenzkosten der Produzenten dem Differenzierungsgrenznutzen der Verbraucher entsprechen. Ist das Niveau der Gleichgewichtsdifferenzierung erreicht, kann der Kunde die meisten Angebote durch das Ausweichen zur Konkurrenz ohne erhebliche Nutzeneinbuße substituieren. Deshalb sind Monopolstellungen allenfalls schwach vorhanden. Solange das Gleichgewichtsniveau nicht erreicht wurde, genießen die meisten am Markt vertretenen Angebote dagegen Differenzierungsmonopole. Unter Ungleichgewichtsbedingungen können den Verbrauchern Monopolpreise abverlangt werden. Dank dieser Monopolpreise können auch ungünstig differenzierte sowie ineffizient organisierte Betriebe am Markt überleben und Betriebe auf Gleichgewichtsniveau einen Gewinn erzielen. Indem der Regulierer außerhalb der gewachsenen Zentren Marktzutrittsbarrieren für Anbieter zentrenrelevanter Sortimente setzt und innerhalb der gewachsenen Zentren die Fläche knapp bleibt, verhindert er, dass sich die Gleichgewichtsdifferenzierung herausbildet. Die Wettbewerbsintensität verringert sich.511 Dies ermöglicht es, ineffiziente Handelsstrukturen mit Monopolstellungen zu erhalten, die unter Gleichgewichtsniveau nicht lebensfähig wären. Dabei vermutet der Regulierer, dass der Innenstadthandel wegen der beschriebenen Wettbewerbsnachteile unter Ineffizienz leidet und deshalb auf Monopolpreise angewiesen ist. Auf diese Weise bleibt der Einzelhandel gewachsener Zentren lebensfähig. Dies führt mittelbar auch dazu, die innerstädtische Ästhetik zu beleben. So bleiben 511
Lademann (1999), S. 529.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
Leerstände in den Straßenzügen aus und Einzelhändler besorgen die Fassadengestaltung der innerstädtischen Einkaufsmeilen. Zugleich wird durch die dichte Agglomeration von Betrieben und die hohe Kundenfrequenz, welche der Einzelhandel veranlasst,512 das Bild einer „pulsierenden Stadt“ in den gewachsenen Zentren aufrechterhalten. 2. Kosten der Intervention Wie sich aber schon bei Beschreibung dieses Wirkungsmechanismus zeigt, ist diese Zielsetzung der Intervention nur unter erheblichen Kosten zu erreichen. a) Generell: Unerfüllte Verbraucherpräferenzen und Monopolpreise Zunächst schränken die Marktzutrittsbarrieren die Bandbreite an Differenzierungen und den Preiswettbewerb ein. Wegen des geringeren Preiswettbewerbs verringert sich der Rationalisierungsdruck auf die Unternehmen und sie können selbst bei ungünstiger Produktdifferenzierung und ineffizienter Organisation überleben. Mangels Flächen, auf denen Einzelhandelsbetriebe zulässig sind, kann das Angebot an verschiedenen inhaltlichen Differenzierungen nicht das Gleichgewichtsniveau erreichen. Dadurch bleiben zahllose Verbraucherpräferenzen unerfüllt. Im Alltag offenbart sich die Angebotsverringerung in der erfolglosen Suche eines Kunden nach einem angemessenen Kleidungsstück oder Geschenk. Defizite in der Angebotsbreite und -tiefe wird jeder Gemeindebürger spüren. Auf der anderen Seite sind höhere Preise die notwendige Konsequenz, solange die Einzelhändler Monopolstellungen genießen. Gelingt es ihnen durch Rationalisierung der Abläufe die Kosten zu senken, müssen sie diese Kostensenkung nicht über niedrigere Preise an die Käufer weiterreichen. Rational ist es stattdessen, aus diesen Einsparungen einen Gewinn zu ziehen. Schöpfen sie Rationalisierungspotentiale nicht aus, so bleiben sie trotz der Ineffizienz ihrer Organisation am Markt überlebensfähig. Dieser Effekt ist für den Einzelhandel in den gewachsenen Zentren gewollt. Doch er muss sich notwendig auch auf die begrenzten Standorte in der Peripherie erstrecken.513 Sie erlangen dieselbe Monopolstellung, dank derer sie einen Gewinn erzielen und durch ineffiziente Organisation veranlasste Kosten auffangen können. Die Gemeinde kann versuchen, den Monopolismus bei gleichzeitigem Zentrenschutz zu minimieren. Doch sind die Wirkungen ihrer Planungsentscheidungen schwer kalkulierbar. Im Regelfall vergleicht sie anhand eines ermittelten Daten 512
Hoffmann (1984), S. 51. Blank (2004), S. 118; Ahlert/Schröder (1999), S. 269 f.; Olbrich (1998), S. 409; Ahlert/Olbrich (1994), S. 67 ff.; Ahlert (1985), S. 542 ff.; Mattmüller (1996), S. 106. 513
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materials die Kaufkraft der Bevölkerung mit dem vorhandenen Angebot und stellt Genehmigungen ein, sobald sich beides deckt. So können keine Überkapazitäten entstehen. Doch braucht der Wettbewerb gerade Überkapazitäten, damit er wirksam wird. Die Deckungsgleichheit von Angebot und Nachfrage sagt nichts über die Qualität des Angebots aus. Erst mit Überkapazitäten entsteht Verdrängungswettbewerb, der Angebote minderer Qualität aus dem Markt ausscheiden lässt.514 Welches dieses „Angebot minderer Qualität“ ist, weiß der Marktmechanismus. Für die Gemeinde ist die Marktentwicklung wegen ihrer Wissensdefizite kaum vorhersehbar. Da sie bei wirksamem Verdrängungswettbewerb auch mit dem Untergang der Einzelhandelsbetriebe in den gewachsenen Zentren zu rechnen hat, müssen die Marktentwicklung eingefroren und jedwede Überkapazitäten verhindert werden. b) Außerhalb der gewachsenen Zentren: Verzerrung des Wettbewerbs der Angebotsformen Die planerischen Vorgaben für Einzelhandelsbetriebe außerhalb der gewachsenen Zentren schränken die Handlungsfähigkeit der dortigen Betriebe erheblich ein. Bauleitpläne geben ihnen sowohl Standorte, Verkaufsflächen als auch Sortimente vor. Unter den strengen planungsrechtlichen Restriktionen ist die Genehmigungsfähigkeit der Betriebe vorrangiges unternehmerisches Ziel, hinter welches die Interessen der Verbraucher zurückgestellt werden müssen. Der Regulierer definiert die Bedingungen der Genehmigungsfähigkeit. Er typisiert Betriebsmerkmale, denen er ein besonderes zentrengefährdendes Potential zumisst und macht sie zum Maßstab planungsrechtlicher Unzulässigkeit. Zu diesen Merkmalen gehören im Wesentlichen zentrenrelevante Sortimente und große Verkaufsflächen. Verschätzt der Regulierer sich bei dieser merkmalsbezogenen Prognose, so verhindert er grundlos Betriebe, von denen eine Gefährdung der Innenstadt nicht zu erwarten wäre, oder er lässt Betriebe zu, die mit dem innerstädtischen Einzelhandel in unmittelbarer Konkurrenz stehen. Dies zeigte sich bei § 11 Abs. 3 BauNVO. Die Vorschrift vermutet vor allem bei Betrieben mit großer Verkaufsfläche eine Zentrengefährdung. Die Vorschrift stoppte somit die Ausbreitung großflächiger Betriebsformen. Insbesondere Markteintritte von Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern finden seit der Verschärfung der Vorschrift kaum noch statt.515 Stattdessen entwickelte der Markt branchengleiche Betriebsformen mit kleineren Verkaufsflächen und es folgte eine 514
Schmalen (1999), S. 483; ders. (1997), S. 407; Sauter (2005), S. 8 f.; Mattmüller (1994), S. 39; Gaebe (1985), S. 141; Hoffmann (1984), S. 192. 515 Kulke (2001), S. 60; Olbrich (1998), S. 408; Dichtl (1988), S. 123; Ahlert/Schröder (1999), S. 265.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
inflationsartige Ausbreitung von Discountern und Fachmärkten.516 Deren Betriebsgröße ähnelt nicht nur stärker den innerstädtischen Einzelhandelsbetrieben und verstärkt damit das Konkurrenzverhältnis.517 Die kleinen Flächen der Discounter zwingen die Betreiber außerdem dazu, ihr Sortiment auf das Wesentliche (also Produkte mit hoher Umsatzgeschwindigkeit) zu reduzieren und führen zu einer Monotonie in der Einzelhandelsstruktur. Diese Monotonie stellt das offensichtliche Gegenteil einer ausgewogenen inhaltlichen Differenzierung dar.518 Großflächige Betriebsformen sind prinzipiell origineller gestaltbar. Die Betreiber könnten mit den verschiedensten Gestaltungsideen experimentieren. Bei einem Markt mit wirksamem Wettbewerb entschieden schließlich die Kunden über das beste Konzept. Durch planungsrechtliche Vorgaben und einen mittlerweile weitgehend bestehenden Zulassungsstopp ist dieses Experimentierungspotential faktisch versperrt. Gegenwärtige Großbetriebe vom Typ SB-Warenhaus oder Verbrauchermarkt sind meist große sterile Hallen, in denen die Waren auf der begrenzten Verkaufsfläche dicht konzentriert werden. Viele Verbraucher klagen über eine als unangenehm Einkaufsatmosphäre und unübersichtlichen Aufbau.519 Doch weil der Gestaltungswettbewerb in den meisten Städten verhindert wird, kann der Markt solchen Verbraucherwünschen nicht entgegenkommen. Die bestehenden Großbetriebsformen befinden sich unter monopolistischem Bestandsschutz.520 Allein in Millionenstädten oder beim Handel mit nichtzentrenrelevanten Sortimenten wird der Markt geöffnet und entsprechend angenehmer fällt die Gestaltung der Großbetriebe aus. c) Innerhalb der Innenstädte: Überagglomeration und Funktionsverlust Weil innerhalb der Kerngebiete von Innenstädten das Bauplanungsrecht dem Einzelhandel keine Zulassungshindernisse setzt, werden sie zum Ventil gehemmter Marktpotentiale. Einzelhandelsunternehmen aller Art drängen sich auf ihre begrenzten Verkaufsflächen. Dies macht sie auch zum Hauptanlaufpunkt der Verbraucher. Die Konsequenz dieser Entwicklung ist eine funktionale Verarmung der Innenstadt. Der Einzelhandel hat ein so großes Interesse an den begrenzten Flächen und eine entsprechend hohe Mietzahlungsbereitschaft, dass er andere Interessenten verdrängt. So ziehen sich Büros, Dienstleister, Wohnungsvermieter und Freizeitangebote infolge der künstlich erhöhten Mietpreise zunehmend aus den Kern-
516 Blank (2004), S. 116; Mattmüller (1996), S. 103; ders. (1994), S. 39; Sauter (2005), S. 151; Ahlert/Schröder (1999), S. 271; Schmalen (1997), S. 407. 517 Mattmüller (1996), S. 106 f. 518 Bremme (1988), S. 115. 519 Verband Region Stuttgart (2001), S. 59. 520 Koob (1995), S. 386; Mattmüller (1994), S. 39.
C. Schutz der gewachsenen Zentren
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gebieten zurück.521 Aus der Funktionsvielfalt wird eine Funktionszweiheit aus Einzelhandel und Gastronomie. Mehr noch: Der Einzelhandel in der Innenstadt wird wegen der Miethöhen zunehmend kapitalintensiver. Mittelständische Kaufleute können durch persönliche Arbeit und Kundennähe die finanzielle Überlegenheit großer Handelskonzerne nicht mehr ausgleichen.522 Sofern sie selbst Eigentümer innerstädtischer Verkaufsflächen sind, ist deren Vermietung an Großunternehmen oft rentabler als die eigene Betriebsführung.523 Verfügen die Mittelständler dagegen über kein Grundeigentum, ist die Anmietung für sie überwiegend zu kostenintensiv. Provoziert wird somit die Ausbreitung der Filialen großer Handelsketten auf Kosten mittelständischer Eigenbetriebe. Paradoxerweise bewirkt die planungsrechtliche Protektion also das Gegenteil ihrer Zielsetzung. Statt spannungsreicher „Urbanität“ erzeugt sie monotone Shoppingmeilen mit den immer gleichen Filialen einer begrenzten Zahl von Großunternehmen.524 Auch die Einkaufsästhetik wird durch diese Entwicklung nicht allein begünstigt. Wie oben bemerkt ist sie nur teilweise öffentliches, aber wesentlich auch privates Gut. Weil gute Einkaufsatmosphäre Kunden anzieht, bedeutet Wettbewerb bis zu einem gewissen Grad auch immer Gestaltungswettbewerb der Geschäftsfassaden und Schaufenster. Durch die Protektion verliert dieser Wettbewerb an Intensität. Hat ein Einzelhändler wegen seiner Monopolstellung ohnehin genug Zulauf, steht er auch im ästhetischen Gestaltungswettbewerb nicht mehr unter Druck. Oft ist es rational, die Kosten einer Fassadenrenovierung einzusparen, solange die Monopolstellung ohnehin genug Kunden anzieht. Der Einzelhandelsüberagglomeration folgt eine Überfrequentierung durch die Verbraucher. Mangels alternativer Einkaufsmöglichkeiten steigt die Kundenfrequenz höher, als ein geordneter Verkehrsfluss verkraften kann. Dadurch werden sowohl die innenstädtischen Zufahrtsstraßen als auch die Stellplätze mit PKW verstopft.525 Der Zeitaufwand einer Einkaufsfahrt steigt für die Verbraucher an. Sie sind bei der Parkplatzsuche gezwungen, auf den engen und überfüllten Zufahrtsstraßen die bestehenden und regelmäßig ebenso überfüllten Stellplatzanlagen abzufahren und verlieren unkalkulierbar viel Zeit. Dieser Aufwand beeinträchtigt als Transaktionskostenfaktor das Nutzenniveau der Verbraucher zusätzlich.526
521
Sauter (2005), S. 205 f.; Hoffmann (1984), S. 100; Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 66 ff. Finck (1990), S. 37; Mattmüller (1996), S. 105; ders. (1994), S. 39. 523 Ohnehin gibt der Großteil mittelständischer Einzelhändler aus persönlichen Gründen auf, vgl. Hoffmann (1984), S. 180. 524 Kritisch zu dieser Entwicklung Hampe (2005), S. 199. 525 Hoffmann (1984), S. 209 ff. 526 Kritisch zu den verkehrlichen Erreichbarkeitsvorteilen der Innenstädte Hampe (2005), S. 199. 522
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
d) Unternehmenskonzentration und Oligopolstrukturen Mit neuen Betrieben in den Einzelhandelsmarkt einzutreten, wird durch das Planungsrecht in den meisten Lagen ausgeschlossen. Ein Markteintritt ist wegen § 11 Abs. 3 BauNVO allenfalls mit kleinflächigen Betriebsformen möglich. Doch auch in diesem Bereich bemühen sich Gemeinden um die Errichtung planungsrechtlicher Marktzutrittsbarrieren. So entwickelt sich eine Situation, in welcher die bestandsgeschützten527 bestehenden Betriebe weitgehend die einzigen Betriebe bleiben. Der Bestandsschutz eines Betriebes bewirkt allerdings nicht den Bestandsschutz seiner Inhaberschaft. Statt in einer neuen Lage in den Markt einzutreten, erscheint es deshalb meist attraktiver – wenn nicht gar alternativlos – bestehende Betriebe aufzukaufen. So weicht der Wettbewerb der Betriebsformen einem Wettbewerb um die Inhaberschaft über die bestehenden Betriebe. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die künstliche Flächenverknappung die Mietpreise in die Höhe treibt und die Kapitalintensität des Einzelhandelsbetriebs steigert. Auch im Wettbewerb um die Betriebsinhaberschaft entscheidet die Kapitalausstattung der Unternehmen. In diesem Wettbewerb setzen sich folglich die großen Kapitalgesellschaften durch. Weil man ihnen andere Möglichkeiten des Markteintritts erschwert, werden die Großen geradewegs dazu gedrängt, die Kleinen zu schlucken. So beschleunigt das Planungsrecht die unternehmerische Konzentration im Einzelhandel.528 Auf lange Sicht verringert sich die Zahl der Wettbewerber und es ergeben sich Oligopolstrukturen. Besonders im Lebensmitteleinzelhandel ist dieser Prozess sehr weit fortgeschritten.529 Zwar bleibt auch unter Oligopolen der Wettbewerb grundsätzlich erhalten. Preisabsprachen werden aber erheblich vereinfacht.530 Daher ist zu befürchten, dass der Oligopolismus den Preisanstieg beschleunigt und die Wettbewerbsintensität verringert.531
527
Zum Begriff des Bestandsschutzes siehe Kapitel 1 Abschnitt B. II. 3. Ahlert/Schröder (1999), S. 270 f.; Koob (1993), S. 161 ff.; Hoffmann (1984), S. 196 ff. Die Konzentration wird aber auch durch andere Faktoren begünstigt, sie vereinfacht die Logistik und erhöht die Verhandlungsmacht gegenüber den Herstellern, Schmalen (1997), S. 410. 529 KPMG (2012), S. 41. 530 Selbst wenn im oligopolistischen Wettbewerb ausdrückliche rechtswidrige Preisabsprachen unterbleiben, vermeiden rationale Konkurrenzunternehmen das Unterbieten des Preisführers, um keinen Unterbietungswettbewerb zu provozieren. Genau dieser Wettbewerb würde aber das Nutzenniveau der Verbraucher erhöhen. Siehe zur spieltheoretischen Analyse dominanter Oligopolstrategien Varian (2009), S. 588 ff.; Pindyck/Rubinfeld (2013), S. 615 ff.; Woll (2009), S. 203 ff. 531 Eine generelle Marktbeherrschung wird zwar nicht befürchtet, regionale Marktbeherrschung entsteht aber immer wieder, Schmalen (1997), S. 411. 528
C. Schutz der gewachsenen Zentren
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3. Ergebnis: Die einzelhandelssteuernde Intervention konterkariert unter erheblichen Wohlstandsverlusten ihr eigentliches Ziel Durch den Schutz der Innenstädte und anderer gewachsener Zentren soll das öffentliche Gut der Einkaufsästhetik gefördert werden. Doch ist diese Einkaufsästhetik zugleich privates Gut, welches dem Wettbewerb unterliegt. Während man einerseits die Zentren mit Betrieben belebt, schwächt man andererseits den Gestaltungswettbewerb unter diesen Betrieben und konterkariert das eigentliche Ziel gleichzeitig. Darüber hinaus führt die Überagglomeration des Einzelhandels innerhalb der Zentren zu einer funktionalen Verarmung und zu einer Kapitalintensivierung, die den Mittelstand verdrängt. Es ist deshalb letztlich zu erwarten, dass der Regulierer seinem eigenen Ziel genauso schadet wie dient. Dafür zahlt er einen beträchtlichen Preis: Der Angebotsumfang der ganzen Gemeinde wird reduziert und damit der Spielraum inhaltlicher Produktdifferenzierungen verengt. Außerhalb wie innerhalb der geschützten Zentren verstärken sich Monopolstellungen, die höhere Preise nach sich ziehen. Darüber hinaus schränken planungsrechtliche Vorgaben außerhalb der Zentren den Spielraum bei der Betriebsformentwicklung ohne Rücksicht auf die Verbraucherinteressen ein. Die Innenstadtzentren werden durch übermäßigen Kundenverkehr verstopft. Und schließlich beschleunigt die Verknappung von Einzelhandelslagen die unternehmerische Konzentration im Einzelhandel, die Bildung von Oligopolen und das Risiko wettbewerbsschädlicher Preisabsprachen.
III. Parallelordnungsvorschlag: Wettbewerbliche Anreizmodifikation durch Subventionierung des Innenstadthandels Die Gemeinde kann den Großteil der obigen Nachteile vermeiden und dennoch die gewachsenen Zentren im Wettbewerb unterstützen. Dazu muss sie die einzelfallbezogene Verzerrung des Wettbewerbs durch Marktzutrittsbarrieren aufgeben und stattdessen die wettbewerbliche Rahmenordnung derart modifizieren, dass Ansiedlungen in den Innenstädten mit höheren Anreizen verbunden sind. Wie festgestellt, ist die Einkaufsästhetik öffentliches Gut und hat einen städtebaulichen Wert. Der Einzelhandel innerhalb von Innenstädten und anderen gewachsenen Zentren erzeugt positive externe Effekte, indem er sich um die Gestaltung der Fassaden sorgt und Kunden anzieht, welche die Innenstadt ästhetisch beleben. Die Rahmenordnung des Wettbewerbs muss so gestaltet werden, dass dieser externe Effekt internalisiert wird, soll ein gesamtwirtschaftliches Optimum erreicht werden. Dies gelingt, wenn der Nutzen, den die Gemeindebevölkerung aus der Innenstadt zieht, jenen Akteuren zugeführt wird, die durch ihr Verhalten
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
die Kosten des öffentlichen Gutes tragen. Im Ideal erfolgt dies durch finanzielle Förderungen (die sogenannte negative Pigou-Steuer532). Die Kosten der finanziellen Förderung sollten jenen auferlegt werden, die einen Nutzen aus der Einkaufsästhetik ziehen. Mit vollständiger Treffsicherheit ist das schwerlich möglich. Es ist im Einzelfall zu aufwendig, zu ermitteln, wer Nutzenempfänger und wer Kostenträger ist. Doch kann man durch Typisierung diesem Ideal recht nahekommen. Vor diesem Hintergrund bietet sich folgendes Konzept an: Typischerweise nutzen alle Bewohner des Landkreises die Innenstadt der größten Gemeinde und profitieren von ihrer Einkaufsästhetik. Über eine kreisweite Abgabe können sie zu Kostenträgern gemacht werden. Selbiges gilt für Touristen, die über die Kurtaxe zur finanziellen Verantwortung gezogen werden können. Das öffentliche Gut wird durch die innerstädtischen Einzelhändler erhalten und sie sind die Kostenträger. Mittelbar findet die Finanzierung schließlich durch ihre Kunden statt. Subventioniert man durch die eingezogenen Geldmittel den innerstädtischen Einzelhandel, erlangt dieser höhere Einnahmen. Weil der Wettbewerb intakt bleibt, werden die Einzelhändler gedrängt, diese höheren Einnahmen über niedrigere Preise an ihre Kunden weiterzugeben. Die finanzielle Unterstützung muss nach einem festen wettbewerbsneutralen Schlüssel verteilt werden, ohne Rücksicht auf konkrete Marktergebnisse. Nahe liegt es, sie den Betrieben nach ihren Umsatzanteilen zuzuteilen. Bei diesem Konzept entfällt der Großteil der oben beschriebenen Nachteile. Da dem Einzelhandel außerhalb der gewachsenen Zentren keine Beschränkungen auferlegt werden müssen, können sich so viele Betriebe in der Gemeinde ansiedeln, dass der Angebotsumfang das Niveau der Gleichgewichtsdifferenzierung erreicht. Monopolstellungen entfallen. Auch der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Vertriebsformen bleibt intakt. Die Gemeinde muss keine einschränkenden Vorgaben, insbesondere bei den Verkaufsflächen, machen. Es besteht im Übrigen ein ausreichendes Angebot an potentiellen Einzelhandelsstandorten, sodass auch eine unternehmerische Konzentration nicht künstlich beschleunigt wird. Ob es zu einer Überagglomeration von Einzelhändlern und Kunden innerhalb der Innenstadt kommt, hängt von der Dosierung der finanziellen Umverteilung ab. Statt ihre Marktforschungsbemühungen auf die Erstellung von Einzelhandelskonzepten und Verträglichkeitsgutachten zu konzentrieren, hätte die Gemeinde an dieser Stelle ein zweckmäßiges Aufgabenfeld. Kontrolliert wird sie bei Kreistagsund Gemeinratswahlen. Das Umlageverfahren macht die Einzelhandelssteuerung für Wähler transparent und lässt eine wirksame demokratische Sanktionierung von Fehlsteuerungen zu.533 Denkbar bleibt indessen, dass die Gemeinde auf die vor-
532
Eichberger (2004), S. 204 ff.; Varian (2009), S. 732. Deshalb schreckt der demokratisch kontrollierte Regulierer vor direkten Subventionen zurück und bevorzugt indirekte Belastungen der Privatpersonen mit Mischordnungscharakter, vgl. Frey/Kirchgässner (1994), S. 155. 533
D. Schutz einer geplanten zentralörtlichen Gliederung
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geschlagene fiskalische Umverteilung verzichtet, wenn sie einen unzweifelhaften Kostenbetrag vor Augen hat. Ihr ist nun nämlich die Möglichkeit genommen, die Kosten des Zentrenschutzes innerhalb der komplexen Wettbewerbsprozesse zu verstreuen.534 Abschließend sei bemerkt, dass die Gemeinden für den gewichtigsten Wettbewerbsnachteil der Innenstädte selbst verantwortlich sind, nämlich die überfüllten Zufahrtsstraßen und die Stellplatzknappheit. Die Schaffung von Stellplätzen und Zufahrtsstraßen innerhalb der Innenstadt ist hoheitliche Aufgabe. Hierauf sollten die Gemeinden zuerst ihr Augenmerk richten, bevor sie protektionistische Marktzugangsbarrieren errichten.535
D. Schutz einer geplanten zentralörtlichen Gliederung Auf der Ebene der Raumordnung interveniert der Regulierer auf Grundlage des Zentrale-Orte-Konzepts in den Wettbewerb des Einzelhandels. Um ein ausgewogenes Verhältnis von Betriebskosten, Angebotsumfang und Wegkosten zu gewährleisten, legt er auf Grundlage einer räumlichen Bedarfsanalyse unter den Gemeinden Grund-, Mittel- und Oberzentren fest. Durch die Zuteilung von Zentralitätswerten und Verflechtungsbereichen versuchen die Raumplaner die Lage und Stärke von Einzelhandelsagglomerationen unter den Gemeinden zu definieren. Um die geplanten Agglomerationsstandpunkte vor Kaufkraftabflüssen im Wettbewerb zu schützen, werden konkurrierende Gemeinden durch Konzentrations- und Kongruenzgebote sowie Beeinträchtigungsverbote an der Zulassung großflächigen Einzelhandels gehindert. So hofft der Regulierer, die von ihm gewünschte Raumgliederung gegen die Marktmechanismen durchsetzen zu können. Mit einem idealen Verteilungsergebnis vor Augen interveniert er in die spontane Raumordnung.
I. Raumaufteilung in der reinen Nomokratie 1. Zwischengemeindliche Flächenaufteilung im Wettbewerb lächenaufteilung In der reinen Nomokratie würde die zwischengemeindliche F hingegen allein durch den Wettbewerb geregelt. Verschiedene Einzelhändler konkurrieren um die Kaufkraft der Verbraucher und versuchen sie vom eigenen Angebot zu überzeugen. Sie müssen dazu den Präferenzen der Verbraucher entgegenkommen, zu denen auch die Minimierung der Wegkosten zählt. Wegen 534
Auch Sauter (2005) spricht sich für eine monetäre Steuerung aus, nicht zuletzt wegen ihrer höheren Transparenz und Treffsicherheit, S. 213. Monetäre Förderung wird dagegen abgelehnt durch Spannagel/Bunge (1999), S. 577. 535 So auch Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 67.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
unterschiedlicher Wohn- und Bewegungsumfelder sind die Unternehmen zur Standortdifferenzierung gezwungen. Auf diese Weise bewirkt der Marktmechanismus eine verbraucherfreundliche Raumaufteilung von selbst. Die Standortdifferenzierung verbindet sich mit einer inhaltlichen Differenzierung, weil die Verbraucher in bestimmten Wohnlagen auch unterschiedliche Präferenzschwerpunkte haben. In armen Gegenden entscheidet beispielsweise bei der vertikalen Differenzierung eher ein niedriger Preis, in reichen dagegen ein hohes Qualitätsniveau. Um dem Verbraucher Kopplungsfahrten zu ermöglichen und an Standorten mit hoher Kundenfrequenz präsent zu sein, neigen Einzelhändler zur Ansiedlung an Standorten mit einer hohen Betriebsagglomeration.536 Agglomerationsvorteile und die Präzision inhaltlicher und standortbezogener Differenzierung müssen stets mit den dazugehörigen Kosten abgewogen werden. Unter den Bedingungen des Marktgleichgewichts entspricht der Agglomerationsgrenznutzen den Agglomerationsgrenzkosten und der Differenzierungsgrenznutzen den Differenzierungsgrenzkosten. Zu den Kosten der Agglomeration und Differenzierung gehören die Flächenpreise. Sie werden durch die Flächenknappheit bestimmt und sind an Agglomerationsstandorten höher. Zum anderen müssen Abstriche bei der Feingliedrigkeit der Differenzierungen gemacht werden, weil zur Reduktion der Fixkosten nur eine begrenzte Betriebszahl unterhalten werden kann und zur Reduktion der variablen Kosten oft einem Großbetrieb gegenüber mehreren Kleinbetrieben der Vorzug gegeben wird. Im Marktgleichgewicht verwirklicht sich wiederum ein optimaler Ausgleich zwischen den Verbraucherpräferenzen für wohnortnahe Lagen, Angebotsagglomeration und inhaltlicher Differenzierung auf der einen und der Reduktion von Flächen- und Betriebskosten auf der anderen Seite. In diesem Ausgleich entsprechen sich Grenznutzen, Grenzkosten und Grenzpreise. 2. Die Zentrale-Orte-Theorie von Christaller a) Zentrale-Orte-Theorie als affirmative Wettbewerbsprognose Die Zentrale-Orte-Theorie beschreibt auf den ersten Blick eine raumbezogene Idealverteilung der Einzelhandelsbetriebe. Sie mündet in die Darstellung eines Netzes hexagonaler Ergänzungsgebiete, die zentrale Orte einer bestimmten Stufe umgeben. Der zentrale Ort hat einen Bedeutungsüberschuss, der mit dem Bedeutungsdefizit des Ergänzungsgebiets korrespondiert. Bei dieser Anordnung kommt es, so die Theorie, zu einem ökonomisch rationalen Ausgleich zwischen den Wegkosten zum nächsten zentralen Ort und den Betriebskosten der Unterhaltung
536 Zur Bedeutung der zentralörtlichen Funktion eines Standorts in der Standortprüfung der Rewe-Gruppe, Greiner (1998), S. 244 ff.
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bestimmter Angebote innerhalb der zentralen Orte. Dieses Muster wird durch Christaller als Marktprinzip und Versorgungsprinzip bezeichnet.537 Die Darstellung einer Idealverteilung suggeriert, der Regulierer müsse diese Einteilung als konkretes Wettbewerbsergebnis gezielt ansteuern.538 Doch würde eine solche Deutung das zugrundeliegende Argumentationsmuster Christallers verkennen. Christaller geht nicht nur davon aus, die von ihm beschriebene Raumgliederung sei optimal. Er weist auch darauf hin, dass sie sich bei rationalem Verbraucher- und Anbieterverhalten auf einem freien Markt von selbst ergebe und von selbst ergeben habe. Tatsächlich geht sein Versorgungsprinzip von einem rational agierenden homo oeconomicus aus, der unter nomokratischen Wettbewerbsbedingungen die Betriebe selbst so anordnet, dass ein gesamtwirtschaftliches Optimum entsteht.539 Grundsätzlich bedürfte es dazu keiner Intervention des Regulierers. Vielmehr sucht Christaller nach Marktgesetzmäßigkeiten540, während er gleichzeitig die Rationalität von Marktprozessen nicht bestreitet.541 Nimmt man ihn ernst, so gibt es kein „Marktversagen“ bei der Raumgliederung und deshalb auch keinen Interventionsbedarf aus Sicht des Regulierers. Die Zentrale-Orte-Theorie ist eine affirmative Wettbewerbsprognose. b) Grenzen des Marktes: Verwaltungsprinzip und Verkehrsprinzip Christaller erkennt an, dass seine Wettbewerbsprognose dort an ihre Grenzen stößt, wo Einrichtungen nicht mehr durch den Marktmechanismus, sondern durch die öffentliche Hand gesteuert werden. Dies gelte sowohl bei der Ansiedlung von Verwaltungseinrichtungen (Verwaltungsprinzip542) wie auch bei der hoheitlichen Einrichtung von Verkehrswegen (Verkehrsprinzip543). Zwar bleiben Tendenzen des Versorgungsprinzips wirksam, die ideale Hexagonalgliederung der Orte werde jedoch verzerrt.544 Durch Verwaltungseinrichtungen setzt der Hoheitsträger selbst Orte, an denen Einrichtungsagglomerationen stattfinden. Im Rahmen des Verwaltungsprinzips lenkt der Hoheitsträger Geldflüsse und Wohnsitznahme und verschiebt somit wirtschaftliche Nachfrage künstlich. Private Unternehmen folgen dieser Nachfrage und richten ihre Betriebsagglomeration auf sie aus. Schafft der 537
Christaller (1933), S. 77. Kiehn (1996), S. 3. 539 Blotevogel (1996a), S. 13; ders. (2005), S. 1308; Heinritz (1979), S. 23 ff.; Kiehn (1996), S. 11. 540 Christaller (1933), S. 14 f. 541 Wohlgemerkt war Walter Christaller seiner persönlichen Überzeugung nach kein Liberaler, sondern bekannte sich zur KPD und kooperierte mit den Nationalsozialisten, vgl. Matzerath (1997), S. 63 f. Das Argumentationsmuster seines Hauptwerks „Die zentralen Orte in Süddeutschland“ stellt die Effizienz marktwirtschaftlicher Lenkung jedoch nicht in Frage. 542 Christaller (1933), S. 82 ff. 543 Christaller (1933), S. 77 ff. 544 Dazu Genosko (2000), S. 297. 538
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Hoheitsträger im Rahmen des Verkehrsprinzips die Verkehrswege nach seinem Gutdünken, so bestimmt er auch die Wegkosten der Nachfrager. Während sich das Versorgungsprinzip nur bei einheitlichen Wegkosten voll entfaltet, bestimmt vor dem Hintergrund des Verkehrsprinzips nicht bloß die räumliche Distanz von Orten die Wegkostenhöhe, sondern auch die Qualität ihrer verkehrsmäßigen Verbindung. Christallers Theorie liegen dabei Wertungen zugrunde, die nur einen norma tiven Schluss zulassen: Das Versorgungsprinzip und der vollständige Markt bewirken aus seiner Sicht optimale Rationalität. Wo immer hoheitliche Infrastrukturentscheidungen die Entfaltung des marktmäßigen Versorgungsprinzips verzerren, deckt sich diese Verzerrung mit Irrationalität und Mittelverschwendung. Diese Irrationalität schlägt sich in höheren Wegkosten nieder. Die höheren Wegkosten schwächen die Kaufkraft der Verbraucher. Sie entziehen die Kaufkraft den privaten Betrieben, ein geringeres Maß an Betriebskosten wird gedeckt und daher verringert sich der Angebotsumfang.545 Sollen hoheitliche Entscheidungen die Rationalität der marktmäßigen An ordnung nicht konterkarieren, so folgert Christaller, müssen der Verwaltungsaufbau und die Straßenplanung an das Idealschema des Marktprinzips angepasst werden.546 c) Schwächen der Zentrale-Orte-Theorie In Geographie und Zentralitätsforschung ist die Zentrale-Orte-Theorie Christallers seit Jahrzehnten umfangreicher Kritik ausgesetzt. Obwohl man in Wissenschaft und Praxis an ihren Grundbegriffen festhält, glaubt niemand mehr, dass sie ohne Modifikationen und Ergänzung in der Lage sei, die Wirklichkeit hinreichend genau zu erklären oder als normatives Konzept zweckmäßig zu gestalten.547 aa) Modellcharakter Einerseits ist Christallers Theorie nur im Rahmen begrenzter Prämissen konsequent. Diese Prämissen ignorieren gewichtige reale Wirkungszusammenhänge und verleihen der Theorie einen akademischen Modellcharakter, der zwar anschaulich ist, der Komplexität der Wirklichkeit aber nicht in allen Einzelheiten gerecht wird.548 Zu den wirklichkeitsfernen Prämissen, auf die immer wieder kritisch 545
Genosko (2000), S. 297. Christaller (1933), S. 127 f. 547 Kiehn (1996), S. 3. 548 Christaller (1993) gesteht den bloß schematischen Charakter seines Systems selbst ein, siehe S. 73 ff. Dazu auch Blotevogel (2005), S. 1310. 546
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hingewiesen wird, gehören vor allem die sogenannte single-purpose-shoppingtripHypothese549 und die nearest-centre-Hypothese550. Mit single-purpurpose-shoppingtrip-Hypothese ist gemeint, dass Christaller implizit voraussetzt, der Verbraucher würde bei einer Einkaufsfahrt nur ein einziges Gut erwerben. Ein solches Einkaufsverhalten wäre jedoch irrational und tritt in der Wirklichkeit nicht auf. Stattdessen bemühen sich Verbraucher vernünftigerweise, Kopplungseinkäufe und andere Nutzungskopplungen durchzuführen. Wenn sie sich einen längeren Einkaufsweg zu einem entfernten Standort zumuten, so bemühen sie sich, an diesem Standort gleich mehrere Güter zu erwerben. Andernfalls wären Mehrfacheinkäufe notwendig und die Wegkosten erhöhten sich. Wegen der single-purpose-shoppingtrip Hypothese ignoriert Christaller den entscheidenden Agglomerationsvorteil zentraler Orte, nämlich die Möglichkeit von Nutzungskopplungen dank einer höheren Angebotsvielfalt.551 Innerhalb seines Modells erscheint somit ein höherer Grad an Dezentralisierung rational, als es in der Wirklichkeit der Fall ist. Mit nearest-centre-Hypothese beschreibt man die Behauptung, der Verbraucher würde bei der Suche nach einem bestimmten Gut immer den nächsten Standort aufsuchen, an dem dieses Gut angeboten werde. Dies ist schon deshalb falsch, weil sich der Verbraucher dabei Kopplungsvorteile entfernter Standorte mit höherer Angebotsagglomeration entgehen lassen müsste. Die Hypothese ignoriert auch, dass es dem Verbraucher nicht nur um die Angebotsart geht, sondern ebenso um die inhaltliche Angebotsdifferenzierung und die Angebotsqualität. Möglicherweise wird er sich längere Wege zumuten, um ein Angebot zu erlangen, dass ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist oder seinem persönlichen Geschmack (Geschmacksdifferenzierung) sowie seiner persönlichen Preisklasse (vertikale Differenzierung) näherkommt.552 Will man die Zentrale-Orte-Theorie also aufrechterhalten, müssen ihre Prämissen durch Modifikationen ergänzt werden. Damit verlöre sie jedoch zugleich ihre Klarheit.553 Nur allzu schnell würde sie in der praktischen Anwendung mehr Probleme bereiten als lösen.554
549
Deiters (1996), S. 29; Blotevogel (2005), S. 1310. Deiters (1996), S. 29; Hoppe (2000), S. 288. 551 Blotevogel (2005), S. 1309; Sauter (2005), S. 204; Blank (2004), S. 38. 552 Blank (2004), S. 37. 553 Blotevogel (1996a), S. 13. 554 Zu den praktischen Unsicherheiten Deiters (1996), S. 27. 550
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bb) Ungenaue empirische Daten Zum anderen stellt die Zentrale-Orte-Theorie zunächst nur eine abstrakte Formel dar. Um sie auf die Wirklichkeit anzuwenden, müssen ihre Variablen mit empirischen Inhalten gefüllt werden, damit man die räumlichen Idealanordnungen berechnen kann. Zu diesen Variablen gehören insbesondere die Wegkosten der Verbraucher sowie die sogenannte „Reichweite eines Gutes“, das heißt die minimale Größe des Einzugsbereiches, den es braucht, damit ein Anbieter des Gutes seine Betriebskosten decken kann (untere Reichweite) und die maximale Größe des Einzugsbereichs, bei dem ein Verbraucher noch die Wegkosten zum Anbieter auf sich nehmen würde (obere Reichweite).555 Christaller hat diese Werte seinerzeit oberflächlich anhand der Raumgliederung von Süddeutschland ermittelt. Doch um das marktwirtschaftliche Effizienzniveau zu verbessern, genügt oberflächliches Pauschalisieren bei der Wertbemessung nicht. Stattdessen kommt es auf Exaktheit im Einzelfall ein. Diese zu erreichen erweist sich als praktisch unmöglich. Erstens gibt es keinen Einheitswert, sondern unterschiedliche Betriebe wirtschaften unterschiedlich kosteneffizient, und unterschiedliche Verbraucher sind unterschiedlich beweglich. Zweitens wandeln sich die Werte mit der wirtschaftlichen Entwicklung; der moderne PKW-Besitzer ist ungleich beweglicher als ein Verbraucher zur Christallers Zeiten, der moderne Discounter bietet zu geringeren Betriebskosten ein breiteres Sortiment an als die meisten Läden in den 30ern des vorigen Jahrhunderts. Bereits Christaller selbst erkannte die Komplexität der Zusammenhänge und ihre Wandelbarkeit, durch welche die Reichweite eines Gutes bestimmt wird. Er schreibt: „Das System der zentralen Orte ist einzig auf die Tatsache, daß es viele Arten von zentralen Gütern niederster bis höchster Ordnung gibt, von denen jede Art ihre besondere Reichweite hat, aufgebaut. Diese spezifischen Reichweiten sind zeitlich und örtlich verschieden, und wie wir im letzten Kapitel sahen, einer steten Änderung unterworfen, sobald sich irgendeiner der Faktoren, die die Reichweite bestimmen, ändert. Jede Geburt und jeder Todesfall, jede Berufsänderung eines einzelnen, jeder Modewandel, jeder individuell einmalige Wunsch nach bestimmten Gütern, jede Erfindung, jede Preisschwankung, jede neue Steuer usw. usw. beeinflussen schon, wenn auch in noch so kleinem Umfang, die Größe der Reichweite von zentralen Gütern; und jede Änderung der Reichweite irgendeines zentralen Guts an irgendeinem Ort muß wohl Verschiebungen innerhalb des Systems der zentralen Orte mit sich bringen. Allerdings, das rationale Schema des Systems an sich ändert sich nicht, sondern nur die in ihm maßgebenden Größen; es kann sich hierbei einmal um die Abstände der zentralen Orte voneinander, zum anderen um die typischen Größen der zentralen Orte handeln, außerdem um Änderungen der Lage und der Anzahl der zentralen Orte.“556
Bei der Anwendung der Theorie steht man also vor der empirischen Herausforderung, nahezu alle Elemente der komplexen Marktordnung ermitteln und gewichten zu müssen. Dieser Herausforderung kann sich ein Planer nur durch un 555
Christaller (1933), S. 54 ff. Christaller (1933), S. 113; dazu eingehend Linde (1977), S. 100 ff.
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genaue Schätzungen stellen. Eine Fehlschätzung führt dabei automatisch zu einer Verzerrung des Systems. Setzt man die Wegkosten zu gering an, begünstigt man irrationale Überzentralisierung, bewertet man sie zu hoch, übertreibt man es mit der Dezentralisierung.557 Überschätzt man die untere Reichweite eines Gutes, bewirkt man Unterversorgung, unterschätzt man sie, so zieht dies eine Überproduktion nach sich.558 Auf die Schlüsselfragen nach dem Maß der Zentralisierung und nach dem Angebotsumfang bietet die Zentrale-Orte-Theorie aus sich heraus keine Antwort. Je nachdem, wie die empirische Schätzung ausfällt, kann sie Tendenzen in alle Richtungen rechtfertigen.559 cc) Der Wert der Zentrale-Orte-Theorie Konkrete Folgerungen lassen sich aus der Theorie allein also im Regelfall gar nicht ableiten, sie benötigen eine unsichere empirische Schätzung. Und wo sich aus der Zentrale-Orte-Theorie dennoch klare Aussagen ableiten lassen, entsprechen diese Aussagen wegen der wirklichkeitsfernen Prämissen nicht der Realität, sondern treffen nur innerhalb ihres Modells zu. Weder erklärt sie verlässlich, warum ein bestimmter Betrieb wo angesiedelt wurde, noch wo er in ökonomischrationaler Weise angesiedelt werden sollte. Allenfalls gibt sie einen Schematismus vor, der sich mit dem gesamtwirtschaftlichen Optimum, das sich am freien Markt bilden würde, wenigstens im Gröbsten deckt; vorausgesetzt es gelingt, die notwendigen empirischen Daten annähernd korrekt zu schätzen. So stellt sich die Frage, warum man in Wissenschaft und Zentralitätsforschung überhaupt an der Zentrale-Orte-Theorie festhält. Die Antwort liegt auf der Hand: Die Wissenschaft verfügt über keine theoretische Alternative.560 Zwar mögen Geographie und Zentralitätsforschung dazu in der Lage sein, einzelne raumbezogene empirische Daten und Wirkungszusammenhänge zu ermitteln. Sollen diese Befunde jedoch umfassend in Verhältnis zueinander gesetzt werden, braucht es eine ebenso umfassende Theorie. Noch stärker gilt dies für die praktische Raumplanung. Sie muss bei der Verfolgung raumbezogener Ziele eine Abwägung mit den raumbezogenen Kosten vornehmen. Eine umfassende Theorie ist notwendig, weil diese Abwägung nur mit einem ganzheitlichen Wertungsmaßstab transparent durchgeführt werden kann. Die Raumordnung braucht ein Gesamtkonzept, und dafür liefert die Zentrale-Orte-Theorie den einzigen wissenschaftlich tragfähigen Ansatz. 557
Ähnlich Christaller (1933), S. 110. Ähnlich Christaller (1933), S. 112. 559 So rechtfertigte man in den 60ern die Förderung kleiner Gemeinden mit der ZentraleOrte-Theorie (Dezentralisierung), heutzutage dagegen die Förderung von Mittel- und Oberzentren (Zentralisierung). Weder die eine noch die andere Richtung wird durch die Theorie vorgegeben. Siehe dazu Blotevogel, (1996), S. 19 f.; ders. (2005), S. 1311 f. 560 Kiehn (1996), S. 3. 558
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Hayek selbst ist überzeugt davon, dass wissenschaftliche Methoden ungeeignet sind, um die Abläufe innerhalb komplexer561 Ordnungen wie der Marktwirtschaft im Einzelfall zu durchplanen: „Die Beschränktheit des Wissens, die uns hier beschäftigt, ist also nicht eine Beschränkung, welche die Wissenschaft überwinden könnte. Entgegen weitverbreiteter Ansicht besteht Wissenschaft nicht aus der Kenntnis von Einzeltatsachen; und im Fall sehr komplexer Phänomene ist die Macht der Wissenschaft zusätzlich beschränkt durch die praktische Unmöglichkeit, alle die Einzeltatsachen zu erfassen, die wir kennen müssten, wenn ihre Theorien uns befähigen sollen, bestimmte Ereignisse vorherzusagen. Das Studium der relativ einfachen Phänomene der physischen Welt hat dort, wo es sich als möglich erwies, die bestimmenden Zusammenhänge als im Einzelfall leicht festzustellende Funktionen einiger weniger Variabler darzustellen und wo infolgedessen der erstaunliche Fortschritt der damit befassten Disziplin möglich wurde, den Eindruck erweckt, daß Gleiches bald auch für die komplexen Phänomene gelten werde. Doch weder die Wissenschaft noch irgendeine bekannte Technik hilft uns, damit fertig zu werden, daß kein einzelner Kopf und daher auch keine bewußt gesteuerte Handlung all die Einzeltatsachen berücksichtigen kann, die jeweils gewissen Personen, aber nicht in ihrer Gesamtheit irgendeinem einzelnen bekannt sind.“562
Weil also die relevanten Elemente der Marktordnung zu komplex sind, müssen die Wertungsmaßstäbe und das ausgewertete Datenmaterial der Raumplaner gewichtige Ungenauigkeiten aufweisen, die eine effiziente Mittelverwendung vereiteln. 3. Das Verhältnis nomokratischer Wettbewerbsergebnisse zu dem Idealergebnis im Sinne der Zentrale-Orte-Theorie Das Verhältnis von nomokratischen Wettbewerbsergebnissen zu der idealen Raumgliederung im Sinne der Zentrale-Orte-Theorie kennzeichnet sich also durch Überschneidungen und Abweichungen. Normativ geht die Theorie von der Fähigkeit des Wettbewerbs aus, ein gesamtwirtschaftliches Optimum selbstständig zu formen. Die Theorie erhebt den Anspruch, Marktgesetze aufgedeckt zu haben, bei deren Kenntnis sich diese gesamtwirtschaftlich-optimale Form erklären und prognostizieren lässt. Sollte jedoch das Wettbewerbsergebnis von dieser theoretischen Form abweichen, so ist dies nicht durch Schwächen des Wettbewerbs, sondern durch Schwächen der Theorie bedingt.563 Wegen ihrer Ungenauigkeiten ist es ihr misslungen, die Form optimaler Rationalität zu prognostizieren; im Wettbewerbsergebnis hat sie sich hingegen verwirklicht.
561
Zur Komplexität von Faktoren, welche die Raumgliederung bestimmen Deiters (1996), S. 31 f. 562 Hayek (1979/2003), S. 17 f. 563 So auch Blank (2004), S. 34 ff.
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II. Auswirkungen einzelhandelssteuernder Interventionen auf die Raumaufteilung Vor diesem Hintergrund sind Interventionen in den Wettbewerb zur Herbeiführung eines angeblich rationalen christallerschen Idealergebnisses schon von der Zielsetzung her widersinnig: Die Marktwirtschaft soll durch hoheitlichen Eingriff zur Einhaltung ihrer eigenen Marktgesetze gezwungen werden. Wenn sich jedoch die Marktwirtschaft nicht an Marktgesetze hält, handelt es sich nicht um ein Marktversagen. Sondern es liegt ein Wissenschaftsversagen bei der Formulierung der vermeintlichen Marktgesetze vor. Weil die Abweichungen des Marktprozesses von der christallerschen Prognose selbst nach Christallers Überzeugung gesamtwirtschaftlich optimal sind, muss ihre raumordnungsrechtliche Korrektur zu Ineffizienz führen. Die sich ergebenden Effizienzverluste sollen in diesem Abschnitt überblicksweise skizziert werden. 1. Monopolismus und Vereitelung einer Gleichgewichtsdifferenzierung Bereits mehrfach wurde dargestellt, dass der freie Markt Angebotsdifferenzierung so weit treibt, bis der Differenzierungsgrenznutzen der Verbraucher den Differenzierungsgrenzkosten der Anbieter entspricht. Dieser Punkt ist erreicht, wenn die zusätzlichen Betriebskosten eines weiteren Vorhabens, welches den besonderen Standort-, Geschmacks- oder Preisklassenpräferenzen eines bestimmten Verbraucherkreises entgegenkäme, den Nutzen ebendieses Verbraucherkreises aus der Differenzierung übersteigen. Sobald die Differenzierung Gleichgewichtsniveau erreicht hat, gehen alle Monopolstellungen verloren. Ohne Monopolstellung können nur jene Betriebe überleben, die ihre Produktionskosten auf das Niveau höchster Effizienz reduziert und die Grenzpreise auf die Höhe der Grenzkosten ihrer Produktion gesenkt haben. Nunmehr ist sichergestellt, dass die vorhandenen Betriebe die vorhandenen Verbraucherpräferenzen bei höchstmöglicher Effizienz und niedrigsten Preisen abdecken. Raumordnungsrechtliche Vorgaben erschaffen mittelbare Marktzutrittsbarrieren. Sie hindern Gemeinden daran, Sondergebiete auszuweisen, auf denen großflächige Einzelhandelsbetriebe zulässig sind. Solange am Markt ein Ansiedlungsinteresse besteht, kann dies nur daran liegen, dass der Markt das Gleichgewichtsniveau noch nicht erreicht hat. Auf diese Weise werden Monopolstellungen erhalten und die Differenzierungsbreite künstlich unter dem Gleichgewichtsniveau gehalten. Der Markt wirtschaftet an den Präferenzen der Verbraucher vorbei. Ineffiziente Betriebe überleben, effiziente Betriebe erwirtschaften einen Gewinn auf Kosten der Verbraucher. Der Verbraucher leidet unter einem kleineren Angebot zu höheren Preisen.
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2. Fehlanordnung zentraler Orte durch hoheitliche Fehlplanung Das reale Einzelhandelsangebot bleibt nicht überall in demselben Maße hinter dem Gleichgewichtsniveau zurück. Wie weit sich der Angebotsbestand dem Gleichgewichtsniveau annähern kann, hängt von der Strenge der raumordnungsrechtlichen Restriktionen ab. Diese Restriktionen fallen für zentrale Orte höherer Stufe schwächer aus als für Gemeinden mit geringem oder gar ohne Zentralitätswert. Der Schaden für die Gesamtwirtschaft lässt sich also verringern, sofern die zentralen Orte sinnvoll festgelegt werden.564 Dass der Regulierer sich bei der Definition der Zentralitätswerte von tragfähigen Gemeinwohlerwägungen leiten lässt, muss indes bezweifelt werden. Zunächst erzwingt es die hoheitliche Zuständigkeitsverteilung, die Verflechtungsbereiche aus den Bezirken der Gebietskörperschaften zusammenzusetzen. Die Bezirkseinteilung entspricht aber nicht den realen wirtschaftlichen Verflechtungen.565 Daneben orientiert sich der Regulierer vorrangig an der Einwohnerzahl einer Gemeinde. In manchen Ländern wird zusätzlich gefordert, dass bestimmte öffentliche oder private Betriebe in der Gemeinde vorhanden sein müssen, damit sie eine bestimmte Zentralitätsstufe erhalten kann. Auf diese Weise aber werden die überkommenen Strukturen zum Ziel erhoben. Eine Suche nach Entwicklungspotentialen erfolgt nicht; stattdessen wird der Status Quo zum Maß für die Zukunft.566 In umfangreichen Diskussionen in verschiedensten politischen Gremien und Ausschüssen können die Gemeinden versuchen, Einfluss auf raumordnungsrechtliche Festsetzungen zu nehmen. Opportunistisches Verhalten der kommunalen Politiker muss dazu führen, dass sie nur ein Interesse an der Hochstufung der eigenen Gemeinde haben und gesamtwirtschaftliche Interessen ignorieren. Durch die Hochstufung erlangen sie nämlich nicht nur einen größeren Planungsspielraum, sondern erhalten regelmäßig höhere Leistungen aus dem kommunalen Finanzausgleich und bei den Zweckzuweisungen.567 In einigen Bundesländern hat dies eine Inflation von Oberzentren zur Folge.568 Auf der anderen Seite haben die Länder gegenüber den Gemeinden ein großes Interesse daran, deren Zentralitätswerte niedrig zu halten. So können sie nicht nur ihre Finanzmittel schonen, sondern erhalten über das häufiger notwendige Zielabweichungsverfahren auch einen stärkeren
564 Weil der Markt gesamtwirtschaftlich optimal agiert, wären schwache Restriktionen dort sinnvoll, wo Unternehmen in den Markt eintreten wollen, während starke Restriktionen dort verbleiben müssten, wo ohnehin gar kein Ansiedlungsinteresse besteht. Die Restriktionen bewirken nach dem Vorangesagten nämlich nur dann keine Ineffizienz, wenn sie faktisch unwirksam bleiben. 565 Sauter (2005), S. 131. 566 Deiters (1996), S. 27; Stiens (1990), S. 102 f. 567 Genosko (2000), S. 300 ff.; zustimmend Sauter (2005), S. 138 ff. Siehe zur Berücksichtigung zentralörtlicher Stufen beim Finanzausgleich Schelpmeier (1998), S. 299 ff. 568 Genosko (2000), S. 301 f.
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Einfluss auf die Bauleitplanung. Bleiben die Länder durchsetzungsstark, fallen die Zentralitätsstufen unnatürlich tief aus.569 Solange die raumordnungsrechtlichen Erwägungen vorrangig auf die Konservierung des Status Quo zielen und im Übrigen durch Körperschaftsegoismus bestimmt werden, lässt sich schwerlich erwarten, dass sie Schwächen der Zentrale-Orte-Theorie oder gar Schwächen der Marktwirtschaft ausgleichen können. Vielmehr droht die Zentrale-Orte-Theorie sich mit ihrer Interpretationsoffenheit zu einem Schlagwortlieferanten zu entwickeln, der willkürlichen Regulierungen den Schein eines wissenschaftlichen Fundaments verleiht. 3. Benachteiligung kleiner Gemeinden Besonders scharf steht die gegenwärtige Umsetzung der Zentrale-Orte-Theorie deshalb in der Kritik, weil sie kleine Gemeinden benachteiligt.570 Besonders raumordnungsrechtliche Konzentrationsgebote, aber ebenso die strengeren Maßstäbe im Rahmen von Beeinträchtigungsverboten und Kongruenzgeboten hindern kleine Gemeinden an der Zulassung großflächiger Einzelhandelsvorhaben. Nach der Vorstellung des Regulierers sollen in kleinen Vorortgemeinden und auf dem Lande lieber viele kleine – und entsprechend teure und sortimentsschwache – Dorfläden die örtliche Nahversorgung sicherstellen, statt einer geringeren Zahl großflächiger Vertriebsformen. Doch wegen der hohen PKW-Ausstattung vorortgemeindlicher und ländlicher Haushalte deckt sich diese Vorstellung regelmäßig nicht mit den Präferenzen der Verbraucher. Längere Versorgungsfahrten zur nächsten größeren Stadt werden dem Teuereinkauf vor Ort nur allzu oft vorgezogen.571 Die raumordnungsrechtlichen Restriktionen bewirken somit höhere Wegkosten und eine stärkere PKW-Frequenz mit allen ihren Externalitäten. Gerade auf dem Dorf sind die Anwohner mit ihrer Versorgung am unzufriedensten.572 Ausgerechnet hier wird durch die Vorgaben der Einzelhandelssteuerung der Markteintritt am stärksten erschwert. Randgemeinden ohne Innenstadt würden von großflächigen Einzelhandelsbetrieben am meisten profitieren.573 Umgekehrt könnte allerdings mit den Mitteln der Raumplanung auch potentiell wenig zur Stärkung kleiner
569
Genosko (2000), S. 301 f. Henkel (1990); ders. (2004), S. 294 ff. Die Kritik Henkels wird durch Blotevogel (1996a) mit dem Hinweis relativiert, das Zentrale-Orte-Konzept selbst sei nicht die Ursache der Benachteiligung kleiner Gemeinden. Dennoch gesteht er ein, dass die Anwendung zentralörtlicher Instrumentarien faktisch zur einer Verödung kleiner Gemeinden geführt hat, S. 19 f.; ders. (1996b), S. 649 f. 571 Anders als in Christallers Modell entscheidet für den motorisierten Verbraucher häufig weniger die Einkaufsdistanz, als die Einkaufsqualität, Sauter (2005), S. 136. 572 Finck (1990), S. 236. 573 Gaebe (1985), S. 121 ff. 570
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Gemeinden beigetragen werden.574 Somit führt die gegenwärtige Umsetzung des Zentrale-Orte-Konzepts zu einer Zentralisierung des Einzelhandels auf Kosten des Umlandes. Eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Zentrum und Umland wird vereitelt.575 Wenn Oberzentren zugunsten von Mittel- und Unterzentren an Bedeutung verlieren, wird diese Marktbereinigung als Problem und nicht als Chance begriffen.576 4. Ergebnis: Regulierung an den Verbraucherinteressen vorbei Schon Christallers Zentrale-Orte-Theorie erkannte an, dass am Markt die besten räumlichen Verteilungsmechanismen für private Einrichtungen wirksam werden. Welches die marktwirtschaftliche Optimalverteilung ist, kann sein Modell jedoch nicht präzise prognostizieren. Somit fehlt es an einer überzeugenden Theorie, mit der ein teleokratischer Planer ein effizientes Verteilungsergebnis bestimmen könnte. Dennoch versuchen Regulierer, durch raumordnungsrechtliche Restriktionen den Wettbewerb ergebnisbezogen zu steuern. Ihre Planungen finden im Rahmen starrer Bezirkseinteilungen statt und zielen auf die Konservierung überkommener Strukturen und die Verwirklichung zweifelhafter Körperschafts egoismen. Konsequenterweise verkennen die Regulierungsbemühungen die realen Präferenzen der Verbraucher. So verringern die Ansiedlungsverbote den Angebotsumfang, verstärken Monopolstellungen und vereiteln eine verbraucherfreundliche Produktdifferenzierung. Besonders in kleinen Gemeinden wird eine Unterversorgung provoziert. Diese Praxis lässt sich kaum plausibel begründen. In den städtebaulichen Debatten steht meist eine Problematik im Vordergrund, die mit dem Begriff „Speckgürtel“ ironisch-flapsig umschrieben wird: Paare aus dem gehobenen Mittelstand verlassen zur Familiengründung die als Mittel- oder Oberzentrum ausgewiesenen Städte und erwerben Eigenheime in den Vorortgemeinden, dem sogenannten Speckgürtel.577 Der Einzelhandel folgt bei der Standortwahl dieser kaufkraftstarken 574
Deiters (1996), S. 27. Blank (2004) weist darauf hin, dass Einzelhandelssteuerung immer nur Negativ-Steuerung ist und nicht positiv auf Ziele hinwirken kann, siehe S. 120. 575 Hoffmann (1984), S. 211 f. 576 Hoffmann (1984), S. 51 ff.; Gaebe (1985), S. 137 f. 577 Der wissenschaftliche Terminus in der Geographie für die Speckgürtelbildung lautet „Suburbanisierung“, vgl. dazu Hesse (2006), S. 97; Bahrenberg (1998), S. 13 ff.; Nuissl (1999), S. 237 ff.; Franz/Richert/Weilepp (1997), S. 48 ff.; Frey (1996), S. 13 ff. Jenseits allen wissenschaftlicher Analysen durchzieht den Diskurs um die „Suburbs“ eine ideologische Dimension, in der konservative Vorstellungen von geordneter Stadtentwicklung und eher linke Ressentiments gegen Bürgertum und „Spießigkeit“ zu einer feindseligen Haltung gegen den Lebensentwurf der Vorstadtfamilien verfließen, vgl. dazu Vicenzotti (2011); Tessin (1994), S. 174 ff. Aring/Hefert (2001) relativieren im Übrigen das Bild von der „klassischen MittelschichtsWohnsuburbanisierung“ und weisen auf die hohe Mieterquote und kinderlose Paare in den Vororten hin, S. 49 ff. Hahn (2001) veranschaulicht auf Grundlage persönlicher Befragungen die
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Schicht. Die Städte beklagen diesen Trend, weil sie Einkommens- und Gewerbesteuereinnahmen verlieren und der Unterschichtsanteil innerhalb ihrer Bevölkerung zunimmt. Sie befürchten, dass es innerhalb der Städte zu Ghettobildung komme, wenn sich die gebildeten Schichten ins Umland zurückziehen.578 Außerdem benötigten die Städte die Einkommenssteuern der Mittelschichtsfamilien sowie die Gewerbesteuereinnahmen aus dem Einzelhandel, um ihre zentralörtlichen Funktionen zu erfüllen. Wegen der Wohn- bzw. Betriebssitzabhängigkeit verlagert sich die Zuteilung der Steuer aber bei einem Ortswechsel in eine kleinere Vorstadtgemeinde.579 Ohnehin wird es nicht gerne gesehen, wenn dem eigenen Einzelhandel Kaufkraft verloren geht, besonders wenn dieser Trend Leerstände in den Innenstadtzentren nach sich zieht.580 Schließlich vergrößert die Wohnortverlagerung die Verkehrsbelastung, was wegen der Straßenverstopfung und des Schadstoffausstoßes Vorbehalte hervorruft.581 Deshalb kämpft die Raumplanung582 gegen die Entwicklung des Speckgürtels im Umland zu einer Art „Zwischenstadt“583. Man schimpft über „amerikanische Tendenzen“584 in der Wohnstruktur, deren man mit planungsrechtlichen Verboten Herr werden müsse. Motive für den Rückzug in die Vororte näher, S. 225 ff. Friedrichs (1975) liefert eine statistische Untersuchung mit umfangreichem Datenmaterial, S. 39 ff. 578 Blank (2004), S. 43; Priebs (2000), S. 118 ff. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer sich bildenden „A-Stadt“, deren Bevölkerung vorrangig aus Alten, Armen, Alleinstehenden, Alleinerziehenden, Abhängigen, Auszubildenden, Arbeitslosen, Ausländern, Asylbewerbern und Aussteigern bestehe, Frey (1996), S. 15. 579 Dazu Mäding (2001), S. 109 ff.; Frey (1996), S. 17 f.; Recker (1985), S. 340 ff. 580 Siehe oben Abschnitt C. 581 Frey (1996), S. 14. 582 Deutlich fordert etwa das niedersächsische Landesentwicklungsprogramm dazu auf, dem Suburbanisierungstrend entgegenzuwirken. In der Begründung zu 2.3.03 Satz 5 – 7 LROP NI heißt es: „In den stark verdichteten sowie siedlungsstrukturell und verkehrlich eng verflochtenen Räumen um und zwischen benachbarten Ober- und Mittelzentren lassen sich überörtliche zentrenbezogene Versorgungsbereiche häufig räumlich nicht mehr eindeutig abgrenzen bzw. Gemeindegebieten oder Einzugsbereichen zuordnen, sondern nur noch funktional (zweckund projektgebunden) ermitteln und bewerten. Die vielfältigen innerregionalen Verflechtungen stabilisieren dort zwar die überörtlichen Versorgungsstrukturen, erzeugen aber gleichzeitig eine hohe Veränderungsdynamik im Standortnetz, in den Angebotsformen und im Verbraucherverhalten mit deutlichen Ansätzen zur Dekonzentration und Ausbildung von Standortsubsystemen neben den bisherigen Zentren. Diese Entwicklungen führen tendenziell zu stärkerer Zersiedlung, höherer Verkehrsbelastung und zu Qualitätsverlusten für die Innenstädte. Dem soll durch entsprechende räumliche Planung entgegengewirkt werden.“ Siehe außerdem Friedrich (2010), S. 309 f.; Goppel (2001), S. 116. 583 Der Begriff der „Zwischenstadt“ wurde durch den Architekten Thomas Sieverts entwickelt, siehe Sieverts/Koch/Stein/Steinbusch (2005), S. 26 ff. 584 Die US-Amerikanische Raumgliederung verteidigt dagegen Holzner (2000), S. 121 ff. Eine zentrale Raumplanung gibt es in den Vereinigten Staaten nicht, Gemeinden stehen uneingeschränkt miteinander im Wettbewerb, Hahn/Pudemat (1998), S. 349. Müller/Rohr-Zänker (2001) gehen davon aus, dass die amerikanische Suburbanisierung, welche schließlich in die Urbanisierung der Suburbs mündete, kein kulturelles, sondern ein marktwirtschaftlich-ökonomisches Phänomen ist, dass sich wegen der Vorteile peripherer Räume mittelfristig auch in Deutschland durchsetzen wird, S. 27 ff.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
Bei näherer Betrachtung ist der Kampf der Raumplanung gegen diesen Suburbanisierungstrend mit gesamtgesellschaftlichen Interessen schwerlich zu rechtfertigen. Dass Eltern es lieber sehen, wenn ihre Kinder in ruhigen Vororten in einem eigenen Haus mit Garten aufwachsen statt in Etagenwohnungen verkehrsbelasteter Ballungsräume, ist ein nachvollziehbarer und legitimer Familienentwurf.585 Auch der in den Städten zurückbleibenden Unterschichte wäre wenig geholfen, wenn man die zahlungskräftigere gehobene Mittelschicht zwänge, dort ihren Wohnsitz zu nehmen. Deren Zahlungskraft hätte vor allem eine Steigerung der Wohnmieten und letztlich eine Vertreibung armer Bevölkerungsschichten zur Konsequenz – eine Entwicklung, die aus sozialen Gründen ebenfalls in der Kritik steht und aktuell unter dem Begriff „Gentrifizierung“ problematisiert wird.586 Deshalb kann man den Familien das Recht zum Rückzug in die Vororte schwerlich streitig machen. Bisherige Bemühungen erwiesen sich als weitgehend erfolglos.587 Siedeln zahlungskräftige Bevölkerungsschichten erst einmal in den Randgemeinden, reagiert der Marktmechanismus mit einer entsprechenden Standortdifferenzierung der Handelsbetriebe, solange ihm keine Restriktionen im Wege stehen.588 Wenn dagegen Planungsverbote den Einzelhandel daran hindern, sich durch Ansiedlung im Umland an die Wohnsitzverlagerung dieser Mittelschichtsfamilien anzupassen, so ist das vorrangig mit dem Körperschaftsegoismus der Mittel- und Oberzentren zu erklären. Christallers Zentrale-Orte-Theorie liefert die besten Argumente dafür, warum es gemeinwohlschädlich ist, wenn die Einzelhandelsbetriebe künstlich in den Großstädten konzentriert werden: Für die Verbraucher im Umland werden dadurch die Einkaufsfahrten verlängert und die Wegkosten in die Höhe getrieben, weil sie sich vor Ort nur eingeschränkt versorgen können. Sie verringern ihre Einkaufsausgaben, wodurch der Einzelhandelsumsatz und damit der Einzelhandelsumfang sich verkleinern. Die Allgemeinheit schließlich leidet unter erhöhter Straßenbelastung und stärkerem Schadstoffausstoß. Dass die Mittel- und Oberzentren zur Wahrnehmung zentralörtlicher Funktionen Finanzmittel, die sich als Gewerbesteuereinnahmen aus dem Einzelhandel ergeben, dringender benötigen als die kleinen Vorortgemeinden, ist denkbar. Dann
585
So auch Bahrenberg (1998), S. 24. Ideologisch tendenziös, aber deutliche kritisiert Brauerhoch (1993) die fiskalische Motivation der Gentrifizierungspolitik, S. 147 ff. Siehe zum Begriff und Problemen der Gentrifizierung auch Slawinski (2012), S. 13 ff.; Holm (2010a); ders. (2010b), S. 64 ff.; Glatter (2007), S. 7 ff.; Tietzsch (1996), S. 12 ff.; Wiest (1997), S. 19 f.; Alisch/Dangschat (1996), S. 95 ff. Bei den verdrängten Bevölkerungsgruppen handelt es häufig um Mittelalte und Rentner, die einen Großteil ihres Lebens in den betreffenden Quartieren verbracht haben und dort verwurzelt sind, siehe Slawinski (2012), S. 21 f. 587 Bereits 1978 erkannte Rohr (1978), dass die planerischen Instrumente ungeeignet sind, den Suburbanisierungsprozess aufzuhalten, S. 54 f. Siehe auch Mäding (2001), S. 112. 588 Bahrenberg (1998), S. 19 ff. 586
D. Schutz einer geplanten zentralörtlichen Gliederung
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aber ist es Aufgabe der Länder, aus dem Landesetat den notwendigen Finanz ausgleich589 vorzunehmen.590 Weder Bedenken wegen der zunehmenden Suburbanisierung noch der Verweis auf das Zentrale-Orte-Konzept rechtfertigen es mithin, durch raumordnungsrechtliche Ansiedlungsverbote den großflächigen Einzelhandel in kleineren Gemeinden zu behindern. Der Ansatz der raumordnungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung ist abzulehnen.591
III. Die Zentrale-Orte-Theorie in der teleokratischen Parallelordnung Wenn private Unternehmen unter Wettbewerbsbedingungen agieren, bewirken hoheitliche Interventionen auf Grundlage der Zentrale-Orte-Theorie keine Effizienzgewinne. Der Preismechanismus gewährleistet eine rationale Raumgliederung. Anders sieht dies bei hoheitlichen Ansiedlungsentscheidungen innerhalb der teleokratischen Parallelordnung aus. Wenn hoheitlich Straßen gebaut oder öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungsdienststellen geschaffen werden, fällt eine Lenkung durch Preis und Wettbewerb aus. Lenkungsaufgaben, die unter privaten Unternehmen der Markt von selbst erfüllt, müssen in der hoheitlichen Sphäre durch teleokratische Erwägungen ersetzt werden. Dass man dazu eine theoretische Konzeption zur Bedarfsermittlung und Standortpriorisierung benötigt, wird deshalb auch unter Autoren einhellig anerkannt, die grundsätzlich auf den Marktmechanismus vertrauen.592 Christaller weist selbst darauf hin, dass die Rationalität der zentralörtlichen Gliederung – die im kapitalistischen System durch den Preis gewährleistet wird – im Sozialismus durch eine regulative Vernunft konstruiert werden muss: „Es mag wohl interessant sein, einen grundsätzlichen Einblick zu geben, in welcher Weise sich die besondere Theorie anders darstellt, wenn nicht das kapitalistische Wirtschafts system, sondern ein andres, etwa ein sozialistisches Wirtschaftssystem herrscht. Kein Wirtschaftssystem wird ohne einen ‚Regulator‘ auskommen können, der die praktisch unbegrenzten Bedürfnisse der Menschen in Einklang bringt mit der Tatsache der Knapp 589 Dazu Mäding (2001), S. 116 f. Die fiskalpolitische Problematik hat sich vorwiegend bei den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg zugespitzt. Die Speckgürtelbildung führt nämlich dazu, dass Pendler zwar in den Stadtstaaten arbeiten und deren Infrastruktur sowie das kulturelle Angebot nutzen, wegen ihrer Wohnsitznahme die von ihnen gezahlte Einkommenssteuer jedoch Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg zugerechnet wird. Ein länderübergreifender Finanzausgleich existiert allerdings in der pauschalisierten Form des sog. Stadtstaatenprivilegs nach § 9 Abs. 2 FAG. 590 So auch Boustedt (1978), S. 81 ff. 591 So auch Hoffmann (1984), S. 218; Holzner (2000), S. 121 ff.; sehr kritisch Franz/Richert/ Weilepp (1997), S. 69. 592 Mattmüller (1996), S. 95 ff.; Hoffmann (1984), S. 173.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
heit der Güter und der Tatsache, daß die Herstellung dieser Güter Kosten verursacht, mögen diese Kosten in Arbeit bestehen oder in der Bereitstellung und dem Verbrauch von Produktionsmitteln wie Geräten, Gebäuden, Boden und Rohstoffen. Dieser Regulator kann der Instinkt, die Tradition, die religiöse Vorschrift, die staatliche Autorität oder der Wille eines Herrschers sein, in der kapitalistischen Wirtschaft ist es der Preis der Güter, der Arbeit usw. im Zusammenhang mit freier Konkurrenz, freier Produktion und freiem Verbrauch. In der sozialistischen Wirtschaft wird als solcher Regulator die Vernunft eines über den Individuen stehenden Apparats angesehen, der eigentlich nicht als Staat im heutigen Sinn, sondern eher als „Wirtschaftsgremium“, als Wirtschaftsrat zu bezeichnen ist. Dieser oberste Wirtschaftsrat hat die Aufgabe, jene praktisch unbegrenzten Bedürfnisse der Bevölkerung in Einklang zu bringen mit der begrenzt produzierbaren Menge der Güter. Dies ist nur auf die Weise möglich, daß eine entsprechende Menge von Bedürfnissen unbefriedigt bleibt; im kapitalistischen Wirtschaftssystem bleiben die Bedürfnisse jener Person unbefriedigt, die den Preis von bestimmter Höhe für die Güter, die diese Bedürfnisse befriedigen sollen, nicht mehr bezahlen wollen oder können. Der Preis entscheidet also, wer sich ein Stück von dieser beschränkten Menge von Gütern erwirbt und wer darauf verzichtet. In dem gedachten sozialistischen Wirtschaftssystem soll nicht der Preis der Güter dieser Regulator sein, sondern das Dafürhalten jenes Wirtschaftsrats, der entsprechend der Leistung des einzelnen für die Gesamtheit ihm einen Anteil von der begrenzten Menge der Güter zukommen läßt, und zwar gemäß bestimmten, auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhenden und rechtlich ‚verankerten‘ Vorstellungsnormen von Gerechtigkeit, Leistung, Bedürfnis, Gesamtheit usw. Es ist einleuchtend, daß, wenn der Preis als Regulator der Wirtschaft, der Produktion und des Verbrauchs ausfällt und ein anderer Regulator: die Satzung und die organisierte Vernunft einer Wirtschaftskörperschaft an dessen Stelle tritt, sich grundsätzlich nichts an dem Schema der Größe und Verteilung der zentralen Orte ändert, denn das sogenannte ökonomische Prinzip, mit möglichst geringem Aufwand (möglichst geringen Kosten) eine möglichst vollständige Befriedigung der Bedürfnisse zu erzielen, ist sowohl in dem kapitalistischen wie in dem sozialistischen Wirtschaftssystem wirksam und entscheidend.“593
Im Bereich der teleokratischen Staatsorganisation hat die Zentrale-Orte-Theorie also ihre Daseinsberechtigung. Die Hoheitsträger müssen den örtlichen Bedarf an öffentlichen Angeboten, deren Betriebskosten und die Wegkosten der Leistungsbezieher selbst abwägen. Dafür stellt die Zentrale-Orte-Theorie grundsätzlich einen geeigneten Ansatz da. Zwar muss ihr Modellcharakter durch Erweiterung der begrenzten Prämissen realitätsgerecht modifiziert werden. Diese Modifikation stellt eine beachtliche Herausforderung für die beteiligten Wissenschaftler dar. Anders können die Hoheitsträger ihrer ökonomischen Verantwortung jedoch nicht gerecht werden, die sie zusammen mit verschiedensten sozialstaatlichen Aufgaben übernommen haben. Nach Auffassung von Christaller verteilt das marktwirtschaftliche Versorgungsprinzip die Betriebe optimal. Hoheitliche Standortentscheidungen – von ihm unter den Begriffen Verkehrs- und Verwaltungsprinzip erfasst – drohen dieses Optimum zu verzerren. Eine realitätsgerecht verbesserte Zentrale-Orte-Theorie müsste also darauf zielen, solche Verzerrungen durch hoheitliche Entscheidungen zu 593
Christaller (1933), S. 135.
E. Verhinderung von Verkehrsbelastungen
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minimieren. In seiner Verantwortungssphäre steht der Hoheitsträger also nicht etwa vor der Aufgabe, Marktwirkungen zu korrigieren. Er soll sie imitieren.
E. Verhinderung von Verkehrsbelastungen Sowohl die Erhaltung von Nahversorgern als auch der Schutz der Innenstadt und ihrer Nebenzentren wird mit dem Argument gerechtfertigt, auf diese Weise ließe sich der PKW-Verkehr verringern. Der PKW-Verkehr verstopfe nicht nur die öffentlichen Straßen, sondern führe zu Schadstoffemissionen594 mit negativen Folgen für die Stadtluft und CO²-Bilanz.595 Lebensfähige Nahversorger und gewachsene Zentren bewirken nach Vorstellung des Regulierers eine Verkehrsentlastung. Besonders mit Blick auf die geschützten Nahversorger leuchtet dies zunächst ein: Sie sind wohnortnah gelegen. Somit wird die PKW-Fahrt von Zuhause aus kürzer. Idealerweise verzichtet der Verbraucher sogar auf das Kraftfahrzeug und geht zu Fuß. Darüber hinaus hofft die Gemeinde, dass ihre Innenstädte vorrangig mit öffentlichen Verkehrsmitteln angesteuert werden, und glaubt, deren zentrale Lage brächte wenigstens kürzere Fahrtstrecken für die Verbraucher mit sich, die andernfalls einen peripher gelegenen Einkaufspark aufsuchen würden. Diese Argumente halten einer näheren Betrachtung nicht stand, wie sich im Weiteren zeigen wird.
I. Verkehrsbelastung in der reinen Nomokratie Auch in der reinen Nomokratie sind Verbraucher bemüht, ihre PKW-Fahrten kurzzuhalten. Lange Fahrten kosten nicht nur Zeit, sondern ebenso Treibstoff und verursachen daher Transaktionskosten. Um Zeit zu sparen, versuchen die Verbraucher außerdem, verstopfte Straßen zu meiden. Der Wettbewerb zwingt die Einzelhändler dazu, diesem Verbraucherinteresse durch Standortdifferenzierung entgegenzukommen. Die Einzelhändler ziehen im eigenen Interesse Standorte vor, die auf kurzem Wege bei ungehemmtem Verkehrsfluss erreichbar sind. Tatsächlich siedeln sich Einzelhandelsbetriebe mit Vorliebe an zentralen Straßenlagen und Kreuzungen an und stellen ausreichend Stellplätze zur Verfügung. Dies dient der rationalen Verringerung von Wegstrecken. Die Verbraucher können ihren Einkauf auf dem Rückweg von der Arbeit im Vorbeifahren erledigen. Ein Umweg ist nicht erforderlich und auch die umständliche Stellplatzsuche entfällt. Weil sich die Stellplätze unmittelbar vor dem Einzelhandelsbetrieb befinden und mit dem Einkaufswagen erreichbar sind, können Großeinkäufe direkt in den PKW 594
Zur Bedeutung des Verkehrssektors für den Schadstoffausstoß siehe Molt (1997), S. 221 ff.; Münch (1995), S. 213 ff. 595 Zum Treibhauseffekt im ökonomischen Kontext Weimann (2009); Stiglbauer (1994), S 173 ff.; Bauer (1993).
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
verladen werden. Kleine Mehrfacheinkäufe sind nicht notwendig, sodass Zusatzfahrten entfallen. Dennoch neigt der Markt dazu, die Interessen an sauberer Luft, an Vermeidung von CO²-Ausstoß und an Entlastung der öffentlichen Straßen zu gering zu bewerten. Denn bei Luft, CO²-Bilanz und öffentlichen Straßen handelt es sich um öffentliche Güter. Wenn man sie schädigt, trägt man nicht selbst den vollen Schaden, sondern er verstreut sich als negativer externer Effekt unter der Allgemeinheit.596 Im eigenen Interesse ist es rational, diese öffentlichen Güter und ihren Nutzen für die Allgemeinheit zugunsten des Eigennutzes zu opfern. Handelt jedoch jeder auf solche Weise rational, verringert die individuelle Rationalität das kollektive Nutzenniveau, denn allen geht der Nutzen aus den öffentlichen Gütern verloren. Weil der Markt die externen Effekte einer Straßenbeanspruchung nicht internalisiert, ist der Grenznutzen der PKW-Fahrten niedriger als die Grenzkosten durch Straßenbelastung, Beeinträchtigung der Stadtluft und CO²-Ausstoß. Im nomokratischen Marktgleichgewicht wird das gesamtwirtschaftliche Optimum somit verfehlt.
II. Parallelordnung: Internalisierung externer Effekte durch Treibstoffbesteuerung Will man die externen Effekte internalisieren, so ist dies durch eine Modifikation der wettbewerblichen Anreizstrukturen mit hoher Treffsicherheit möglich597 und wurde bereits durch § 2 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 Energiesteuergesetz realisiert: nämlich durch eine Lenkungssteuer, die den Treibstoffverbrauch mit einer Zusatzabgabe belastet. Die Abgabenlast muss im Ideal den Kosten entsprechen, welche der Allgemeinheit wegen Luftverschmutzung, Straßenunterhaltung und Klimaschutz entstehen. So kann der PKW-Fahrer selbst abwägen, ob sein Interesse an der PKW-Fahrt den Wert der dabei beeinträchtigten öffentlichen Güter übersteigt, und er ersetzt der Allgemeinheit die Kosten automatisch über die Lenkungsabgabe. Die auf diese Weise erhöhten Transaktionskosten müssen auch durch die Einzelhandelsanbieter berücksichtigt werden. Der Wettbewerb am Markt zielt somit automatisch auf die Verkürzung der PKW-Fahrten. Wohlgemerkt erreicht die realisierte Lenkungssteuer nicht das Internalisierungsideal volkswirtschaftlicher Modelle (die sogenannte Pigou-Steuer598). Dazu wäre sie nur in der Lage, wenn der Steuerbetrag in jedem Einzelfall den monetarisierten volkswirtschaftlichen Kosten der Straßenbeanspruchung und des Schadstoffausstoßes entspräche. Doch ist es weder möglich, diese Kosten im Einzelfall exakt zu bemessen und monetär zu beziffern, noch knüpft die Steuer direkt an den Schadstoffausstoß – sondern stattdessen an den Treibstoffverbrauch – an (sie 596
Münch (1995), S. 220; Frey (1996), S. 43 f.; Stephan/Ahlheim (1996), S. 94. Frey (1996), S. 44 f.; Kyrer (2001a), S. 193; Frey/Kirchgässner (1994), S. 247. 598 Koch/Czogalla (2004), S. 379 f.; Weimann (1995), S. 176 ff.; Stiglbauer (1994), S. 163. 597
E. Verhinderung von Verkehrsbelastungen
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berücksichtigt deshalb insbesondere keine Schadstofffilter).599 Trotz dieser Pauschalisierung bei der Kostenzumessung schafft die Steuer aber einen gewichtigen Anreiz für den Verbraucher, sich mit der Vermeidbarkeit einzelner PKW-Fahrten auseinanderzusetzen und seine eigenen Interessen gegen die internalisierten volkswirtschaftlichen Kosten effizient abzuwägen.600 Die perfekte Einzelfallgerechtigkeit dieser Abwägung wird zwar nicht garantiert. Doch es erscheint offensichtlich, dass mit den Methoden der Einzelhandelssteuerung keine präzisere Steuerung möglich ist. Die Externalitäten von PKW-Fahrten werden somit annähernd internalisiert und den PKW-Fahrern selbst auferlegt. Am Markt werden sich rationale Akteure bemühen, so kurze Fahrten wie möglich durchzuführen. Längere Fahrten werden nur dann in Kauf genommen, wenn der Individualnutzen des PKW-Fahrers seine Kosten, einschließlich der (in der Lenkungssteuer pauschalisierten) Kosten für die Allgemeinheit, übersteigt. Denn der PKW-Fahrer muss die Kosten der Allgemeinheit über die Treibstoffverbrauchssteuer nunmehr selbst tragen.
III. Auswirkungen einer einzelhandelssteuernden Intervention auf den Straßenverkehr Weil das Marktgleichgewicht in der bereits realisierten Parallelordnung annähernd dem gesamtwirtschaftlichen Optimum entspricht, kann dessen Korrektur durch einzelhandelssteuernde Interventionen nur zu Effizienzverlusten führen. Der Regulierer versucht, die Einkaufswege einzelner Verbrauchergruppen konkret zu planen. Doch einerseits entdeckt der Wettbewerbsmechanismus effizientere Standortverteilungen als zentral entworfene Einzelhandelskonzepte. Und andererseits verlängern sich die Fahrtstrecken noch weiter, wenn der Verbraucher nicht dem hoheitlich vorgesehenen Einkaufsweg folgt, weil ihm der Einzelhandelsbetrieb nicht gefällt, zu dem dieser Weg führt. Verhindert die Regulierung ein weit entferntes Vorhaben, so hätte es der Verbraucher ohnehin nur dann mit einem PKW angesteuert, überwöge der Nutzen der Einkaufsfahrt ihre Kosten einschließlich der internalisierten Kosten für die Allgemeinheit. Dieser Nettogewinn ginge verloren.601 Wahrscheinlicher ist indes, dass die zurückgelegten Wegstrecken durch einzelhandelssteuernde Interventionen vor allem verlängert werden. Solange genügend attraktive Nahversorger an zentralen 599 Zu den Problemen ausführlich Münch (1995), S. 230 ff.; siehe auch Mussel/Pätzold (2005), S. 249 f.; Schmidt/Sander (1997), S. 82 f.; Stephan/Ahlheim (1996), S. 94 f., 99 f. 600 Allgemein zu den Vorteilen einer bloß pauschalisierten Emissionssteuer, Weimann (2009), S. 162 ff. 601 Der Vorteil der Umweltsteuer besteht gerade darin, Rücksicht auf die spezifischen Kosten der Emissionsreduktion des einzelnen Akteurs zu nehmen und ihm selbst die Wahlfreiheit hinsichtlich des kosteneffizientesten Weges zu lassen, vgl. Stiglbauer (1994), S. 165. Deshalb ist sie einem generellen Verbot überlegen.
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Kap. 4: Effizienzanalyse einzelhandelssteuernder Rechtsnormen
Straßenlagen positioniert sind, können die PKW-Fahrer ihren Lebensmitteleinkauf wie oben602 ausgeführt im Vorbeifahren erledigen, ohne dass zusätzliche Wegkosten anfallen. Verhindert das Planungsrecht hingegen die Ausbreitung attraktiver Betriebsformen, so müssen die PKW-Fahrer längere Fahrtstrecken auf sich nehmen, um die wenigen zugelassenen Betriebe dieses Niveaus zu erreichen. Noch bedenklicher ist der Protektionismus zugunsten der Innenstadt.603 Diese ist aus vielen Lagen nur über größere Distanzen erreichbar. Außerdem erhöhen stockender Verkehr in den überfüllten Zufahrtsstraßen und die Parkplatzsuche den Schadstoffausstoß weiter. Der Verkehr wird dort konzentriert, wo das Überlastungsrisiko der öffentlichen Straßen am höchsten ist. Würden Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevanten Sortimenten über die ganze Gemeinde verstreut zugelassen, könnten diese Kosten reduziert werden.
F. Ergebnis: Die Ineffizienz der einzelhandelssteuernden Mischordnung Die Regeln der Einzelhandelssteuerung führen in eine durch erhebliche Effizienzverluste geprägte Mischordnung. Die meisten Effizienzverluste, welche die planungsrechtlichen Marktzutrittsbarrieren im Verhältnis zur reinen Nomokratie verursachen, könnte der Regulierer in einer Parallelordnung vermeiden. Einzelhandelsangebote konkurrieren um die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher. Unterschiedliche Verbraucher haben sowohl räumlich als auch inhaltlich abweichende Einkaufspräferenzen. Da für jedes Einzelhandelsangebot erhebliche Betriebskosten aufgewendet werden müssen, können nicht jedwede Sonderpräferenz optimal befriedigt werden. Stattdessen müssen sich die Betriebe an den Präferenzschnittpunkten größerer Verbrauchergruppen orientieren. Selbst wenn einzelne Verbraucher daher auf das für sie persönlich beste denkbare Angebot verzichten müssen, bieten sich ihnen unter freien Marktbedingungen dennoch fast immer eine Reihe gut geeigneter Angebote. Der Wettbewerb entdeckt nicht nur die wesentlichen Präferenzschnittmengen. Er differenziert das Angebot gleichzeitig soweit aus, dass Präferenzschwerpunkte i. d. R. gleich durch mehrere konkurrierende Alternativangebote bedient und die Monopolstellungen einzelner Anbieter weitgehend minimiert werden. Anbieter, welche an den Präferenzschwerpunkten der Verbraucher vorbeiwirtschaften oder auf Monopolpreise angewiesen wären, um ihre zu hohen Kosten zu tragen, verschwinden vom Markt. Auf diese Weise wird die Effizienz der bestehenden Betriebe gemessen an den Verbraucherpräferenzen optimiert. Durch bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung interveniert der Regulierer in den Einzelhandelswettbewerb, um Einzelhandelsbetriebe zu erhalten, die 602
Abschnitt E. I. Mattmüller (1996), S. 96.
603
F. Ergebnis
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jene Präferenzschnittmengen von Verbrauchern bedienen, die er für wesentlich hält. Der Regulierer vertraut seinem Urteil über die optimale Schwerpunktsetzung stärker als dem Wettbewerbsmechanismus. Er befürchtet, dass ein ungehemmter Wettbewerb die von ihm bevorzugten Betriebe beseitigen und eine aus seiner Sicht unerwünschte Präferenzschwerpunktsetzung veranlassen würde. Schützen will er vor allem Nahversorgungsbetriebe in Wohnquartieren, innerstädtische Betriebe und das Einzelhandelsangebot in ausgewiesenen Ober- und Mittelzentren. Zu diesem Zweck verhindert er den Marktzutritt von Alternativangeboten, die geeignet wären, das Angebot der geschützten Standorte zu substituieren. Dadurch bleibt der Markt unterversorgt. Die bestehenden Betriebe erhalten Monopolstellungen. Sie können zu Monopolpreisen veräußern und dadurch trotz Ineffizienz am verzerrten Markt bestehen. Die veranlassten Effizienzverluste wurden in diesem Kapitel im Lichte des Modells der Substitutionskonkurrenz veranschaulicht und stellen sich als gewichtig dar. Die Wirtschaftsstruktur der so erzeugten Mischordnung ist zugleich instabil. Würden die protektionistischen Interventionsregeln beseitigt, wären die bestehenden, ineffizienten Betriebe im Wettbewerb der nunmehr zulässigen effizienteren Konkurrenz regelmäßig unterlegen. Substitutionsangebote wurden gezielt verhindert. Gingen die ineffizienten Betriebe daher unter, müssten Verbrauchergruppen vorübergehend ohne angemessenes Substitut auskommen. Die Marktöffnung würde zu erheblichen vorübergehenden Verwerfungen führen. Deshalb steht zu befürchten, dass sich die Marktakteure aus Furcht vor einem schmerzlichen Übergangsprozess immer tiefer in die Ineffizienz der Mischordnung flüchten. Denn die bestehenden Protektionsregeln werden auf Dauer nicht ausreichen, um den Status Quo zu erhalten. Der Marktprozess ist zu dynamisch, um durch ein statisches Regelwerk eingefroren zu werden. Neue Marktentwicklungen, beispielsweise die starke Expansion des Internetversandhandels, müssten durch immer weitere Protektionsregeln bekämpft werden.
Schlussbetrachtung Diese Arbeit bewertet den Regelungskomplex der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung ökonomisch. Der Argumentationsstruktur Hayeks folgend, wurden die Regeln bauplanungsrechtlicher Einzelhandelssteuerung einer mikroökonomischen Analyse unterzogen. Die Analyse zeigte, dass diese Regeln zunehmende Effizienzverluste nach sich ziehen müssen. Diese Schlussbetrachtung fasst abschließend den Argumentationsgang der Arbeit zusammen und wagt einen demokratietheoretischen Ausblick.
A. Zusammenfassung des Argumentationsgangs I. Bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung Bei der Einzelhandelssteuerung handelt es sich um hoheitliche Bemühungen, die Standortwahl von Einzelhandelsunternehmen durch bauleitplanerische Marktzutrittsbarrieren zu beeinflussen. Man versucht, bestehende Einzelhandels agglomerationen im Wettbewerb zu erhalten, indem man Standorte, die sich für den Markteintritt von Konkurrenten eignen, mit Ausschlussplanungen belegt. Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts begannen sich immer mehr Einkaufszentren in den Stadtrandlagen von Gemeinden anzusiedeln. Während man in diesem Trend anfänglich noch eine unbedenkliche Modernisierung sah, machten sich immer mehr Gemeinden bald Sorgen um die Überlebensfähigkeit ihres Innenstadthandels. Diese Sorgen bestätigten sich, als die Umsätze der großen Kaufhausketten infolge dieser Entwicklung einbrachen.604 Bald begannen die Gemeinden, der Ansiedlung von Einkaufszentren planungsrechtliche Hindernisse zu bereiten, um ihre Innenstädte zu schützen. Der Gesetzgeber akzeptierte diese zweifelhafte planerische Zielsetzung und schnitt die BauNVO mit § 11 Abs. 3 auf diese Verhinderungsfunktion zu. Seither haben sich das Aufgabenfeld und der Detailgrad einzelhandelssteuernder Regulierung immer stärker ausgeweitet. Dass man im Wettbewerb für die Innenstädte Partei ergriff, erfolgte vorrangig mit städtebaulich-ästhetischer Begründung. Doch rechtfertigte man die Überlegenheit der Innenstädte zugleich mit ihrer besseren Erreichbarkeit für die nichtmotorisierte Bevölkerung. Diesem Gedanken folgend, setzen um die Jahrtausendwende gemeindliche Einzelhandelssteuerungsbemühungen ein, die eine „verbraucher 604
Schmalen (1997), S. 405 f.
A. Zusammenfassung des Argumentationsgangs
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nahe Versorgung“ schützen wollten. Einzelhandelsbetriebe, die Lebensmittel und Hygieneartikel vertreiben, sollten nach Möglichkeit in allen Wohnlagen vorhanden sein. Weil man infolge des Verkaufsflächenwachstums am Markt eine Verdrängung kleiner quartiereigener Läden befürchtete, versuchte man diesen Trend mit Ausschlussplanungen zu vereiteln. Auf Grundlage empirischer Marktgutachten wurden daher von den Gemeinden immer konkretere Einzelhandelskonzepte erstellt, um die Einzelhandelsentwicklung bis zum einzelnen Betrieb zu durchplanen. Die Raumplanung begann parallel, den zwischengemeindlichen Einzelhandelswettbewerb zu regulieren. Als „Landesentwicklungsprogramme“ und „Landesentwicklungspläne“ bezeichnete Verordnungen kontingentieren nunmehr die Einzelhandelskapazitäten einzelner Gemeinden, indem sie ihnen die Zulassung großflächigen Einzelhandels ab einer bestimmten Wettbewerbsstärke verboten. Auf diese Weise sollen die jeweiligen Größen gemeindlicher Einzelhandelskapazitäten gesteuert und Gemeinden, denen besonders hohe Kapazitäten zugedacht sind, vor Konkurrenz geschützt werden. Dieses Vorgehen wird üblicherweise mit der Zentrale-Orte-Theorie von Walter Christaller gerechtfertigt, die auf einen ökonomisch-rationalen Ausgleich von Angebotsvielfalt, Betriebskosten und Einkaufswegen zielt.
II. Auf Hayek gestützte Mischordnungstheorie Aus der Rechtsphilosophie Hayeks hat diese Arbeit eine Mischordnungstheorie entwickelt, die schädliche Wechselwirkungen zwischen Hoheitsgewalt und Marktprozessen beschreibt. Unter Mischordnungen versteht sie marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnungen, innerhalb deren ein Hoheitsträger planmäßig bestimmte Wettbewerbsergebnisse anstrebt, indem er die Kräfteverhältnisse im Wettbewerb verzerrt. Derartige Bemühungen sind aus zwei Gründen schädlich: Erstens fehlt dem Hoheitsträger ein hinreichendes Wissen, um die komplexen und aus sich selbst heraus rationalen Marktentwicklungen zu durchschauen. Die Rationalität seiner Planung ist der Rationalität des Wettbewerbs unterlegen, sodass er Effizienzverluste bewirken muss. Zweitens führt die Mischordnung in ein Entscheidungstrilemma. Der Hoheitsträger wird dazu gedrängt, seine Intervention immer stärker auszuweiten. Er interveniert, um Marktergebnisse – insbesondere die wirtschaftliche Existenz bestimmter Betriebe – aufrecht zu erhalten, die unter natürlichen Marktbedingungen nicht mehr lebensfähig wären. Lebensfähig wären sie deshalb nicht, weil sie an sich gegenwärtig vollziehende Marktrends nicht hinreichend angepasst sind. Gleicht der Regulierer diese Nachteile durch eine Subventions- oder Protektionsregel aus, so kann diese Regel das Ergebnis nur vorübergehend aufrechterhalten. Setzt sich nämlich der Markttrend fort oder wandeln sich die Marktverhältnisse anderweitig erheblich, geht das hoheitlich angestrebte Marktergebnis ohne weitere In-
240
Schlussbetrachtung
terventionen verloren. Weil die regulative Intervention das angestrebte Ergebnis nicht mehr erreicht, wird sie sinnlos. Beseitigt man sie jedoch, kommt es zu einer sprungartigen Marktanpassung, die alle Entwicklungen auf einen Schlag nachholt, die der Regulierer zuvor blockierte. Diese Anpassung ginge voraussehbar mit einem Bankrott zahlreicher bestehender Wirtschaftsstrukturen einher und hat daher viele Gegner. So liegt es näher, das ursprünglich angestrebte Marktergebnis weiterhin aufrecht zu erhalten, indem man die Intervention verstärkt, das heißt entweder die Subventionierung der gefährdeten Strukturen erhöht oder ihrer Konkurrenz noch weitergehende Beschränkungen auferlegt. Doch mit der Ausweitung der Intervention vergrößert sich auch die Ineffizienz der Wirtschaftsordnung.
III. Mischordnungstheorie und Einzelhandelssteuerung Es lässt sich zeigen, dass die einzelhandelssteuernden Ausschlussplanungen in solch eine Mischordnung führen. Bei den angestrebten Marktergebnissen handelt es sich um die Erhaltung der in den Innenstädten angesiedelten Einzelhandelsbetriebe, die Erhaltung bestimmter quartiereigener Nahversorger sowie die raumordnungsrechtlich definierte zentralörtliche Gliederung der Einzelhandels kapazitäten. Methodisch versucht man, die gewünschten Einzelhandelsstrukturen vor Konkurrenz zu schützen, indem man letztere mit Ausschlussplanungen am Marktzutritt hindert oder ihnen erhebliche Beschränkungen auferlegt. Den Ausschlussplanungen liegen Marktgutachten zugrunde, welche Kaufkraftumverteilungen infolge des Markteintritts bestimmter Konkurrenzbetriebe zu prognostizieren versuchen und mittels derer der Wettbewerbsverlauf geplant und ergebnisbezogen beeinflusst werden soll. Entweder schafft die Gemeinde ihre Ausschlussplanungen einzelfallbezogen durch Bauleitpläne oder es greifen allgemeingesetzliche Planersatzregeln, nämlich § 34 Abs. 3 BauGB und § 11 Abs. 3 BauNVO, welche ebenfalls der zielgerichteten Steuerung des Einzelhandels dienen. Es zeigte sich, dass diese Wettbewerbssteuerung mit allgemeinen Gesetzen überhaupt nicht erfolgversprechend ist, weil deren Vorgaben zu pauschal sind, um zahllosen wirtschaftlichen Sonderfällen gerecht zu werden. Vielfach werden sie ihre Ziele konterkarieren statt fördern. Zweckmäßiger ist stattdessen die aktive Bauleitplanung im Einzelfall. Doch auch sie wird die gewünschten Marktergebnisse auf Dauer nicht garantieren können. Dazu gibt es zu viele Faktoren, die sich der Kontrolle der Bauaufsichtsbehörde entziehen, deren Wandel aber erhebliche Auswirkungen auf das Einkommen der geschützten Betriebe hat. Deshalb muss die Einzelhandelssteuerung auf längere Sicht in ein Mischordnungstrilemma geraten. Um die gewünschten Betriebe zu erhalten, werden die bestehenden Ausschlussplanungen irgendwann nicht mehr ausreichen – die Intervention müsste mit anderen Maßnahmen ausgeweitet werden.
A. Zusammenfassung des Argumentationsgangs
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IV. Ökonomische Ineffizienz Mit den Methoden der Mikroökonomie wurde aufgezeigt, dass Mischordnungsinterventionen, die durch Marktzutrittsbarrieren die Standortwahl von Betrieben lenken sollen, zu erheblichen Effizienzverlusten führen. Plant der Regulierer die Standortverteilung von Betrieben, dann korrigiert er diejenigen Wettbewerbsergebnisse, die sich an einem freien Markt von selbst bilden würden. Im Regelfall ist bereits das hoheitlich gewünschte Marktergebnis ineffizient, weil der Regulierer die Präferenzen der Marktteilnehmer unterstellt, statt es dem Markt zu überlassen, sie über die Preisbildung und die in ihr zum Ausdruck kommende Zahlungsbereitschaft offenzulegen. Noch größer werden die Effizienzverluste, weil der Regulierer Wettbewerbsprozesse durch Marktzutrittsbarrieren so zu steuern versucht, dass sie in das gewünschte Wettbewerbsergebnis münden. Der Regulierer versucht Betriebe zu erhalten, die unter natürlichen Marktbedingungen nicht lebensfähig wären, weil ihre Betriebskosten die erzielbaren Umsätze überstiegen. Indem er sie mit Marktzutrittsbarrieren schützt, verschafft er ihnen eine Monopolstellung. Dank dieses Monopols können sie ihre Preise anheben, ihren Umsatz erhöhen und im Ideal ihre höheren Kosten abdecken. Wegen seiner Wissensdefizite kann der Regulierer diese Monopolstellungen aber schwerlich so dosieren, dass Umsätze und Betriebskosten der geschützten Betriebe deckungsgleich sind. Zwischen dem Regulierer und den Betriebsinhabern besteht ein Prinzipal-Agent-Verhältnis, das heißt ein Wissensvorsprung des Betriebsinhabers als Agenten über die Verfassung seines eigenen Unternehmens. Er hat kein eigenes Interesse daran, dem Regulierer mitzuteilen, wann das Monopol zur Deckung seiner Kosten ausreicht. Stattdessen streben die Betriebsinhaber vernünftiger Weise nach einer Maximierung der Monopolstellung und werden dem Regulierer stets eine übertrieben schlechte wirtschaftliche Lage vortäuschen, die durch besonders weitreichende Marktzutrittsbarrieren ausgeglichen werden müsste. Weitet der Regulierer die Marktzutrittsbarrieren weiter aus als nötig, dann steigert er die Monopolpreise über die Betriebskosten hinaus. Die geschützten Betriebe können die Verbraucher ausbeuten und auf deren Kosten Gewinne erzielen. Dies ist besonders problematisch, weil die Marktzutrittsbarrieren nicht nur denjenigen Betrieben Monopolstellungen verleihen, die der Regulierer zu schützen beabsichtigt. Stattdessen trifft die künstlich verursachte Unterversorgung das gesamte Segment und alle Anbieter können ihre Preise anheben. Reichen die Monopolstellungen hingegen nicht zur Erhaltung der gewünschten Betriebe aus, dann konterkariert der Regulierer sein eigenes Ziel. Die Marktzutrittsbarrieren müssen sich immer gegen den gefährlichsten Konkurrenten des geschützten Betriebes richten, und das ist immer derjenige, der das Angebot des geschützten Betriebs am besten substituieren kann. Geht der Betrieb trotz Intervention unter, hat der Regulierer zusätzlich dessen Substitution verhindert. Den Verbraucherinteressen, die er eigentlich fördern wollte, hat er nunmehr geschadet.
242
Schlussbetrachtung
Die Instabilität der Mischordnung ergibt sich somit, weil der Regulierer durch Monopolismus ineffiziente Betriebe erhält, die unter natürlichen Marktbedingungen nicht lebensfähig wären, und gleichzeitig Substitute verdrängt, welche die geschützten Betriebe im Falle ihres Untergangs funktional ersetzen könnten. Im Falle einer Marktöffnung würden der gesamten Wirtschaftsstruktur erhebliche Anpassungsbemühungen aufgezwungen, unter denen zahlreiche Marktakteure vorübergehend ohne Substitut auskommen müssten.605
V. Eine irrationale Regulierungspraxis setzt sich beharrlich fort Diese Arbeit gelangt somit zu dem Ergebnis, dass die Regeln der bauplanungsrechtlichen Einzelhandelssteuerung nicht überzeugen. Die Kritik beschränkt sich nicht auf Feinheiten der Ausführung. Der gesamte Ansatz erscheint nach dem Vorangesagten verfehlt. Auch wenn die Zielsetzungen auf den ersten Blick sympathisch wirken, so erweisen sie sich nach genauerer Rechtswirkungsanalyse irrational, weil eine ergebnisbezogene Intervention in den Wettbewerb mit den Mechanismen des Marktes schlechthin unvereinbar ist. Nicht ohne Grund wurden den einzelhandelssteuernden Initiativen des Gesetzgebers schon von Anfang an entschiedene Warnungen von Seiten der Wirtschaftswissenschaften entgegengehalten.606 Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass die Hoheitsträger mit ihren einzelhandelssteuernden Bemühungen dennoch unbeeindruckt fortfahren und diese sogar fortlaufend stärker ausweiten. Die Kritik an dem Vorgehen hat die Sphäre der Wissenschaft kaum verlassen. In der politischen Sphäre steht ihr ein nahezu geschlossener Konsens gegenüber, der den einzelhandelssteuernden Ansatz befürwortet.
B. Ausblick: Einzelhandelssteuerung als Folge eines Demokratieversagens? Es stellt sich die Frage, weshalb zahlreiche hoheitliche Akteure eine Regulierungspraxis über Jahrzehnte fortsetzen und sogar fortlaufend ausdehnen, die der Sache nach weitgehend irrational erscheint. Will man einen Ausblick wagen, so ist 605 Eine solche Entwicklung war in Ostdeutschland nach dem Untergang der DDR zu beobachten: Die gesamte Einzelhandelsstruktur, welche die sozialistische Planwirtschaft errichtet hatte, brach in sich zusammen, ausgerechnet das Nahversorgungsnetz wurde mangels fehlender Wettbewerbsfähigkeit gänzlich ausgedünnt, vgl. Kulke (2001), 61 f.; Spannagel/Bunge (1999), S. 567 f.; Blank (2004), S. 133. Nach der Regeneration des ostdeutschen Einzelhandels lag der Marktanteil des peripher angesiedelten Einzelhandels weit über dem westdeutschen Niveau, nämlich bei 42 Prozent im Gegensatz zu 29 Prozent, Kulke (2001), S. 62. 606 Siehe allen voran Dichtl (1979), S. 65 ff.
B. Ausblick
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zu überlegen, ob der demokratische Prozess die Fehlregulierung baldigst erkennen und beseitigen wird oder ob die Demokratie bei der Lösung des Problems versagt. Eine mögliche Antwort auf diese Frage findet sich in der – bisher ausgeklammerten – Demokratietheorie Friedrich August von Hayeks.
I. Demokratietheorie und Demokratiekritik Hayeks Grundsätzlich ist Hayek Befürworter der Demokratie, weil sie die Möglichkeit eines friedlichen Machtwechsels eröffnet.607 Die Vorzüge der Demokratie werden in seiner Staatsphilosophie jedoch nicht vertieft. Hayeks Anliegen besteht vielmehr darin, Gefahren zu skizzieren, die sich ergeben, wenn ein demokratischer Staat mit Mischordnungsmethoden in den Marktprozess interveniert. Eine demokratische Kultur, davon ist Hayek überzeugt, werde sich selbst zugrunde richten, wenn sie Mischordnungsinterventionen akzeptiert. Jedoch werden Mischordnungsinterventionen in allen westlichen Staaten ohne größere Bedenken durchgeführt. Somit läuft die hayeksche Demokratietheorie vor allem auf eine Prognose der Selbstzerstörung der Demokratie im westlichen Sozialstaat hinaus.608 Bei einer Mischordnungsintervention erhält der Regulierer bestimmte Marktergebnisse aufrecht, die durch die natürlichen Entwicklungen des Wettbewerbs bedroht werden. Er macht Ausnahmen von den allgemeinen Spielregeln der Katallaxie und begünstigt bestimmte Betriebe, um sie vor dem Untergang zu retten. Auf diese Weise manövriert er sich in ein Trilemma, in dem er geneigt sein wird, die Intervention immer weiter zu verstärken, damit sie nicht durch Marktanpassungen konterkariert wird. Diese Ausweitungstendenz, der ein Regulierer schon wegen seiner teleokratischen Zielsetzung folgen muss, wird durch den demokratischen Prozess verstärkt. 1. Ausweitungstendenzen der Mischordnung werden durch den demokratischen Prozess verstärkt Der Wettbewerbsprozess ist wegen der Wissensdefizite nicht im Detail prognostizierbar. Die Vorteile, die wettbewerblich erzwungene Anpassungen mit sich bringen, liegen verstreut im „Nebel des Marktes“. Dagegen erfolgt die teleokratische Mischordnungsintervention, um ein vorhersehbares Ergebnisse herbeizuführen, welches vorhersehbare Interessen bestimmter Marktakteure bedient. Sobald die 607
Hayek (1979/2003), S. 311; ders. (1976/1996a), S. 204. Die Kerngedanken der demokratiekritischen Selbstzerstörungstheorie wurden nicht von Hayek selbst entwickelt, sondern stammen ursprünglich aus Mancur Olsons (1965/2004) Werk „Die Logik des kollektiven Handelns“; siehe zur Weiterentwicklung der Theorie ders. (1982/1991). Hayek (1979/2003) beruft sich ausdrücklich auf Olson und gibt zu, dessen Gedankengänge nur „wenig hinzuzufügen“, S. 450. 608
244
Schlussbetrachtung
Mischordnungsintervention einen Betrieb vor dem Untergang rettet, wissen dessen Nutznießer, dass ihre Einkommen allein von hoheitlichen Regulierungsentscheidungen abhängen. Der nach bekannten Merkmalen definierte Nutznießerkreis erhält dadurch ein gewichtiges Interesse, auf weitere Regulierungsentscheidungen Einfluss zu nehmen.609 Solche Einflussmöglichkeiten räumen ihnen die demokratischen Partizipationsrechte ein. Auf den ersten Blick ist die Demokratie die Herrschaft der Mehrheit. Betrachtet man den parlamentarischen Entscheidungsprozess nur oberflächlich, so würde man erwarten, dass die Mehrheit Anmaßungen von Minderheiten zurückweist und sich eine Art rousseauistischer „Allgemeinwille“610 verwirklicht. Doch schaut man genauer hin, so ist die Minderheit der Mischordnungsprofiteure bei der Durchsetzung ihrer Interessen im Vorteil. Erstens sind sich die Mischordnungsprofiteure ihrer Interessenlage bewusst. Die Mischordnungsinterventionen dienen vorhersehbar ihrem Interesse. Hingegen ist nicht vorhersehbar, welchen Interessen die blockierten Marktanpassungen dienen. Der Marktprozess hat wegen seiner Unvorhersehbarkeit keine politische Lobby. Die Opfer der Intervention wissen im Regelfall gar nicht, dass der Hoheitsträger zu ihrem Nachteil agiert. Daher können sich die Profiteure viel leichter organisieren und es leuchtet ihnen schnell ein, dass sich der Aufwand der politischen Druckausübung im Nachhinein rechnen wird.611 Die Opfer hingegen werden kaum Widerstand leisten. Im Regelfall beuten auf diese Weise Minoritäten die unorganisierte Mehrheit der Steuerzahler oder Verbraucher aus.612 Zur Ausbeutung der Verbraucher zielt das Streben der Mischordnungsprofiteure darauf, den Grenzpreis der von ihnen produzierten Güter auf den Grenznutzen der Verbraucher anzuheben – während der Markt den Grenzpreis auf die Grenzkosten der Produktion absenken würde.613 Selbst wenn die benachteiligte Großgruppe von den Folgen der Intervention wüssten, hätten ihre einzelnen Mitglieder dennoch kaum Anlass, tätig zu werden. Während ein Angehöriger der Minorität durch die Intervention einen hohen Ertrag erzielt, verstreuen sich die Kosten unter der großen Gruppe der Verbraucher und Steuerzahler und fallen für das einzelne Mitglied kaum ins Gewicht. Sie werden oft geduldet. Für kleine Gruppen ist daher der Anreiz lobbyistischer Einflussnahme weitaus größer, als dies für Großgruppen der Fall ist.614 Zweitens wird die Regierung in der Demokratie zwar durch eine parlamentarische Mehrheit eingesetzt und kontrolliert. Doch diese Mehrheit beruht auf einer Koalition verschiedenster Interessengruppen, die sich vorwiegend aus taktischen 609
Hayek (1979/2003), S. 394 f. Rousseau (1762/1996), S. 36 ff. 611 Hayek (1979/2003), S. 402 f. 612 Hayek (1979/2003), S. 403. 613 Hayek (1979/2003), S. 397. 614 Dies ist das Schlüsselargument von Olson (1965/2004), siehe S. 124 ff.; ders. (1982/1991), S. 20 ff. 610
B. Ausblick
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Gründen und nicht etwa auf Grundlage einer Einheitsmeinung zusammengefunden hat. Die verschiedenen Interessengruppen müssen koalieren, weil sie nur als Mehrheit im Parlament handlungsfähig sind. Dabei sind regierungswillige Gruppen immer auf die Unterstützung von Minderheiten angewiesen. Die organisierten Minderheiten können die Regierungsmehrheit erpressen, indem sie ihren Ausstieg aus der Koalition androhen. So erlangen sie ein Druckmittel, um Sonderbegünstigungen einzufordern. Agieren sie taktisch-opportun, werden sie eine Regierungskoalition nur unterstützen, wenn als Gegenleistung eine Mischordnungsintervention im Interesse ihrer Klientel ausgeweitet wird. Dadurch wird das Parlament zum Spielball organisierter Gruppenegoismen. Hayek spricht recht drastisch von einer „Schacher-Demokratie“ auf Kosten der Allgemeinheit.615 Seine weitreichenden Entscheidungsbefugnisse schwächen paradoxer Weise das Parlament. Weil es befugt ist, Erpressungen nachzugeben, wird es erpressbar.616 Viele sachlich sinnvolle politische Maßnahmen müssen daher durch Zugeständnisse an die Sonderinteressen organisierter Verbände erkauft werden.617 2. Der Zerfall der Demokratie Auf lange Sicht muss dieser Prozess die Demokratie zugrunde richten. Für die Etablierten bedeuten wettbewerbliche Innovationen immer Risiken, die Chancen hingegen werden wegen ihrer Unvorhersehbarkeit nicht angemessen gewürdigt. Je größer der Einfluss organisierter Interessengruppen innerhalb der Demokratie wird, desto stärker wird der Marktprozess blockiert. Die Mischordnungsinterventionen laufen auf ein Gleichgewicht zu, in dem der status quo fixiert wird und die Wirtschaft verkrustet. Sobald sich Marktumstände nicht mehr ändern können, entfällt auch der Anpassungsdruck, den die Etablierten scheuen.618 Mit einer innovationsunfähigen Wirtschaft ist es jedoch nicht möglich, ein Wohlstandsniveau gleichbleibend zu halten. Weil unerlässliche Anpassungen an unkontrollierbare äußere Veränderungen ausbleiben, muss die Wirtschaft langsam verfallen. Die Anpassungsfähigkeiten des Marktes sind durch Regulierungen blockiert. Eine Korrektur der Regulierungen wird wiederum durch die Interessengruppen über ihre demokratischen Partizipationsrechte vereitelt. 615 Hayek (1979/2003), S. 405; siehe auch Hayek (1976/1996a), S. 208 f.; Hayek (1976/1996e), S. 239 f. 616 Hayek (1976/1996a), S. 209. 617 Das von Olson entwickelte und von Hayek aufgegriffene Problemmuster der Verbandseinflussnahme auf den demokratischen Prozess genießt in der politischen Ökonomik eine sehr hohe Anerkennung, siehe etwa Klump (2011), S. 294 ff.; Erlei/Leschke/Sauerland (2007), S. 381 ff.; Weimann (2006), S. 427 ff.; Peters (2000), S. 194 ff.; Meier/Slembeck (1998), S. 76, 145 f.; Bernholz/Breyer (1994), S. 184 ff.; Külp/Berthold (1992), S. 146 ff. Die Gegenauffassung behauptet demgegenüber, dass ein politischer Wettbewerb der Interessengruppen die gesellschaftliche Wohlfahrt optimiert, grundlegend Becker (1989/1996). 618 Hayek (1979/2003), S. 399.
246
Schlussbetrachtung
Die notwendigen regulativen Entscheidungen sind im Wege demokratischer Verfahren nicht mehr durchführbar. Um die Effizienz der Gesamtordnung wiederherzustellen, bedürfte es eines autoritären Befreiungsschlages der Regierungsgewalt. Nunmehr erscheint es opportun, die liberale Demokratie durch eine sozialistische Diktatur zu ersetzen.619
II. Einzelhandelssteuerung als Ausfluss einer „Schacher-Demokratie“? Eine Reihe von Anhaltspunkten deutet darauf hin, dass die Maßnahmen der Einzelhandelssteuerung wesentlich durch das Drängen unternehmerischer Lobbys ausgelöst werden. 1. Interessenkonstellation: Wettbewerbsaversion etablierter Einzelhändler Dies legt bereits die Interessenkonstellation der Einzelhändler nahe. Eine hohe Wettbewerbsintensität zwingt sie zu Preissenkungen zulasten ihrer Umsätze. Vorrangig werden einzelhandelssteuernde Marktzugangsbarrieren zum Schutz der mittelständischen Kleinbetriebe errichtet, die besonders in den Innenstädten angesiedelt sind. Es wurde indessen gezeigt, dass die Großunternehmen in gleicher Weise vom geschwächten Preiswettbewerb eines unterversorgten Marktes profitieren. Wenn die Politik unter dem Banner des Mittelstandsschutzes zum Erhalt etablierter Standorte in den Wettbewerb interveniert, ist es auch im Interesse der Großunternehmen, diese Entwicklung stillschweigend zu dulden, wenn nicht gar zu fördern. Sie können weiterhin expandieren, indem sie mittelständische Betriebe aufkaufen. Gewiss wirken sich die planungsrechtlichen Vorgaben zum Nachteil bestimmter Betriebsformen aus. Wegen § 11 Abs. 3 BauNVO werden insbesondere Vollsortimenter benachteiligt. Doch die Mehrzahl der bereits etablierten Unternehmen würde von einem Innovationswettbewerb der Betriebsformen nicht profitieren. Einerseits produziert der Innovationswettbewerb unter den Etablierten zumeist mehr Verlierer als Gewinner. Andererseits zwingt jeder Wettbewerb die Unternehmen auf längere Sicht, ihre Grenzpreise auf das Niveau ihrer Grenzkosten zu senken, und minimiert ihre Gewinnspanne. Wird der Wettbewerb eingefroren, droht weder für jene Unternehmen der Bankrott, die eine Innovation verschlafen, noch stellen sich langfristig Preisgleichgewichte ein. Die etablierten Unternehmen der Gegenwart dürften daher offene Märkte mehrheitlich ablehnen.
619
Hayek (1979/2003), S. 399.
B. Ausblick
247
Unter den Unternehmern haben allenfalls Pioniere – die hoffen, die Etablierten der Zukunft zu werden – ein Interesse an ungehemmtem Wettbewerb. Diesen Pionieren fehlt aber in der Gegenwart stets die Lobby. Stattdessen sind es vorrangig die Verbraucher, welche von offenen Märkten und intensivem Wettbewerb profitieren würden. Doch sind die Verbraucherinteressen nur schwer organisierbar. Der durchschnittliche Verbraucher ist sich nicht einmal der Tatsache bewusst, dass Einzelhandelssteuerung stattfindet, geschweige denn, dass sie sich zu seinem Nachteil auswirkt. Zwar beeinträchtigt die Einzelhandelssteuerung die Interessen einer großen Zahl von Verbrauchern, aber stets nur zu einem geringen Grad. Selbst wenn einzelne Verbraucher sich ihrer Interessenlage gewahr würden, erschiene es ihnen müßig, sich politisch zu organisieren, um diese Beeinträchtigung abzuwehren, zumal sie sich die blockierten Innovationen nicht bildlich vorstellen können, von denen sie bei offenem Markt profitierten. 2. Lobbyismus der Einzelhandelsverbände auf Staatsebene Die Interessenverbände des Einzelhandels sind folgerichtig entschiedene Befürworter einer restriktiven Einzelhandelssteuerung.620 Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte beispielsweise in seinen „Wahlprüfsteinen“ zur Bundestagswahl 2013, Factory-Outlet-Center „nach den gleichen planerischen Regeln zu beurteilen wie großflächige Einzelhandelsbetriebe“ und das raumordnungsrechtliche Zentrale-Orte-System ausnahmslos durchzusetzen.621 Geschähe dies, wäre den Factory-Outlet-Centern der Marktzugang verwehrt, weil dieser Betriebstyp sich gerade durch seinen ortsübergreifenden Einzugsbereich kennzeichnet, er sich aber aus wettbewerbsstrategischen Gründen nicht an einem Verdichtungsraum mit zentralörtlicher Funktion ansiedeln kann.622 Deshalb kann ein Factory-Outlet-Center im Regelfall nur nach vorherigem Zielabweichungs verfahren zugelassen werden. Der Handelsverband versucht Druck aufzubauen, um derartige Zielabweichungsverfahren zu verhindern. Eine ähnliche Position nimmt der Einzelhandelsverband Nord ein. In einer Fachdiskussion unter Zuhörern wird als Fazit festgehalten, dass „von allen Be teiligten ein beherztes Eingreifen der Landesplanung gewünscht ist und für erfor 620 Siehe Sauter (2005) S. 213. Bieck (2010) schätzt die Wirksamkeit lobbyistischer Initiativen des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels generell als schwach ein, siehe S. 240 ff. Die Autorin wirft dem Verband vor allem vor, nicht durch Kampagnen gezielte Stimmungsmache in der Medienöffentlichkeit zu betreiben. Im Zusammenhang mit der Einzelhandelssteuerung trifft das jedoch nicht zu. Besonders auf kommunaler Ebene erweist sich der Einzelhandel durchaus als kampagnenfähig. 621 Handelsverband Deutschland (2013), S. 13. 622 Hahn/Pudemat (1998), S. 350 f.
248
Schlussbetrachtung
derlich gehalten wird, sobald gegen Regeln und Ziele des [sic!] Raumplanung verstoßen werde“.623 Besonders deutlich fallen die Stellungnahmen des Handelsverbands Bayern aus. Der Verband war damit befasst, Einfluss auf die Novelle des bayrischen Landesentwicklungsprogramms zu nehmen, um besonders restriktive Einzelhandelsbeschränkungen durchzusetzen. In einer Pressemitteilung lässt er erklären: „Der Entwurf für das neue bayerische Landesentwicklungsprogramm (LEP) stößt beim Einzelhandel auf wenig Gegenliebe. Der Präsident des Handelsverbandes Bayern (HBE), Ernst Läuger, forderte auf dem Neujahrsempfang des Verbandes (22.1.) dringend Nachbesserungen. Läuger: „Wir brauchen im LEP keine weiteren Lockerungen, sondern vielmehr die Streichung der zahlreichen Ausnahmeregelungen, welche im Laufe der letzten Jahre schrittweise eingefügt wurden.“ Nur so werde die Attraktivität und Lebendigkeit der Innenstädte und Ortskerne gesichert. Zwar hat sich der rasante Anstieg der Verkaufsflächen im Einzelhandel offenbar etwas verlangsamt, doch von Entwarnung, so Läuger, könne keine Rede sein. „Vor den Toren unserer Städte werden immer noch weitere Fachmärkte und Einkaufszentren aus dem Boden gestampft.“ Die Folgen seien Geschäftsaufgaben, Leerstände sowie ein Attraktivitätsverlust der Innenstädte. Läuger: „Eine Lockerung des LEPs wäre deshalb der vollkommen falsche Weg.“ Unter dem Deckmantel einer angeblichen Benachteiligung des ländlichen Raums würde man dadurch dem Wildwuchs von Einzelhandelsgroßprojekten auf der grünen Wiese Tür und Tor öffnen. Der Handelsverband begrüßt zwar grundsätzlich das Vorhaben der Bayerischen Staatsregierung, das neue LEP zu vereinfachen und zu deregulieren. Doch mit Blick auf den aktuellen Entwurf der bayerischen Staatsregierung müssen Lockerungen bei der Genehmigung von Einzelhandelsgroßprojekten verhindert werden. Läuger: „Das Ziel muss eine ausgewogene Einzelhandelsentwicklung in Bayern sein und keine amerikanischen Verhältnisse mit riesigen Shoppingcentern an den Autobahnen.“624
Wo Lockerungen gefordert werden, geschieht dies vorrangig in Eigeninitiative der Vollsortimenter. Sie wendeten sich wiederholt und bisher ohne Erfolg gegen die Verkaufsflächenbeschränkungen des § 11 Abs. 3 BauNVO, durch welche sie sich gegenüber den Discountern benachteiligt sehen. Um die Jahrtausendwende reagierte die Bundesregierung auf diese Initiativen, indem sie eine Arbeitsgruppe zum „Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel“ einrichtete. Die Arbeitsgruppe verzichtete auf eine Änderung der Rechtslage, wies das Anliegen der Vollsortimenterbetreiber zurück und begründete dies mit einer möglichen Flexibilität bei der Auslegung der Vorschrift.625 Seitdem klagen die Betreiber über eine unverändert statische Anwendungspraxis, durch welche die Genehmigung ihrer Betriebe weiterhin an der Großflächigkeitsschwelle des § 11 Abs. 3 BauNVO scheitere.626 623
Einzelhandelsverband Nord e. V. (2013). Handelsverband Bayern e. V. (2013a); ähnlich Handelsverband Bayern e. V. (2013b). 625 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (2002b), S. 598 ff. 626 Siehe etwa Edeka Zentrale AG & Co. KG (2012). Kritisch äußert sich auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende der REWE-Gruppe Hans Reischl im Geleitwort zu Sauter (2005). 624
B. Ausblick
249
Es fällt auf, dass die Einzelhandelsverbände mit besonderer Entschiedenheit gegen die Factory-Outlet-Center Sturm laufen.627 Diese Tendenz lässt sich mit Blick auf die zugrundeliegende Interessenlage leicht erklären: Innerhalb der FactoryOutlet-Center verkaufen die Bekleidungshersteller – deren Interessen die Einzelhandelsverbände nicht vertreten – eigenständig ihre Sortimente. Die in den Einzelhandelsverbänden organisierten Einzelhandelsunternehmen werden beim Vertrieb umgangen. Dass gerade die Factory-Outlet-Center in zahlreichen Raumordnungsprogrammen und innerhalb der politischen Debatten als die besonderen „Problemkinder“628 der Einzelhandelssteuerung behandelt werden, belegt, dass in der einzelhandelssteuernden Praxis organisierte Verbandsinteressen wirksam werden. 3. Lobbyismus des mittelständischen Einzelhandels gegen Großprojekte auf kommunaler Ebene Auf kommunaler Ebene sind die mittelständischen Einzelhändler offenbar dazu in der Lage, die Gemeindevertretung bei Ansiedlungsentscheidungen über Großbetriebe effektiv unter Druck zu setzen. Einerseits können die Einzelhändler durch den persönlichen Kontakt mit Gemeindevertretern Einfluss nehmen. Es ist denkbar, dass Einzelhändler die Gemeindevertreter im persönlichen Gespräch von ihren Sonderinteressen überzeugen, dass sie freundschaftliche Beziehungen spielen lassen oder sich gar selbst in die Gemeindevertretungen wählen lassen, um von dort eine Art Inside-Lobbying zu betreiben. Weil sich derartige Aktivitäten jenseits der öffentlichen Sphäre abspielen, lässt sich über deren Ausmaß und ihre Wirksamkeit nur spekulieren.629 Andererseits stehen Kommunen offen dazu, dass sie mittelständische Einzelhändler als „kompetente Ansprechpartner vor Ort“ schätzen.630 Unbestreitbar deutlich wird der Einfluss des Einzelhandels auf kommunale Entscheidungsträger in zahlreichen öffentlichen Kampagnen. Systematisch inszenie 627 In ihren Publikationen stellen die Einzelhandelsverbände regelmäßig ihren Protest gegen die Neuerrichtung von Factory-Outlet-Centern dar, siehe z. B. Handelsjournal (2008); Handelsjournal (2005); TextilWirtschaft (2005); Handelsjournal (2004); Handelsjournal (2003); Handelsjournal (2001); TextilWirtschaft (1997). Das Handelsjournal wird vom Handelsverband Deutschland herausgegeben, die TextilWirtschaft ist nach eigenen Angaben offizielles Organ des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels und der Europäischen Vereinigung der Spitzenverbände des Textileinzelhandels. Dazu weitere Nachweise bei Hahn/ Pudemat (1998), S. 338 f. 628 Hingegen hatte sich in Amerika – wo sich Factory-Outlet-Centern seit Jahrzehnten ohne regulative Gegeninitiative entfalten können – gezeigt, dass diese Vertriebsform nicht in der Lage ist, den klassischen Einzelhandel zu verdrängen. Stattdessen begannen die Factory-OutletCenter bei einem Marktanteil von zwei Prozent zu stagnieren, Hahn/Pudemat (1998), S. 337 und 349 f. 629 Ähnlich Hoffmann (1984), S.76 ff. 630 Verband Region Stuttgart (2001), S. 100.
250
Schlussbetrachtung
ren lokale Einzelhändler Protestaktionen gegen die Ansiedlungspläne von Großinvestoren, mit offenkundigem Einfluss auf die kommunale Willensbildung. Wo immer nämlich Gemeinden größere Einkaufszentren in Stadtrandlage zulassen wollen, werden solche Planungen durch den Protest des lokalen Einzelhandels begleitet. Eine beliebte Protestform ist etwa das Verhängen der Schaufenster mit Packpapier, um den Kunden ein Bild von vermeintlich drohenden Leerständen zu vermitteln.631 Auch wenn solche Darstellungen fast immer völlig übertrieben sind, eignen sie sich doch als Angstszenario, um Gemeindebürger, denen die wirtschaftlichen Hintergründe unbekannt sind, auf die Seite der Einzelhändler zu ziehen. Durch die Beeinflussung der Wähler kann es dem Einzelhandel gelingen, Mehrheiten in der Gemeindevertretung aufzubrechen. Häufig einigen sich die Gemeindevertretungen und die Investoren dann mit der Einzelhandelsinitiative auf einen Kompromiss, der in einer Verringerung der Verkaufsfläche des Neuvorhabens besteht.632 Lässt sich die Gemeindevertretung auf einen solchen Kompromiss nicht ein, werden durch den lokalen Einzelhandel Bürgerentscheide initiiert, um das gesamte Vorhaben zu stoppen.633 Es leuchtet ein, dass dem organisierten lokalen Einzelhandel insbesondere durch den unvorhersehbaren Ausgang des Bürgerentscheides ein effektives Druckmittel zur Verfügung steht. Die Planungssicherheit der Gemeinde und des Investors hängen von dem Verzicht auf solch einen Bürgerentscheid ab. Damit verfügt der organisierte Einzelhandel über erhebliche politische Verhandlungsmasse.
C. Fazit: Eine verbraucherschädliche Regulierungspraxis wird fortbestehen Wenn das Planungsrecht den Marktzugang für Einzelhandelsbetriebe verengt, um den Einzelhandel zu steuern, ist damit vorrangig gemeint, den etablierten Einzelhandel vor Innovationsdruck zu bewahren. Man schützt ihn vor neuer Konkurrenz und rechtfertigt dieses Vorgehen selektiv mit seinen Vorzügen. Dabei wird ignoriert, dass neue Konkurrenzbetriebe ihn nur dann gefährden, wenn diese Konkurrenzbetriebe den Verbrauchern das bessere Angebot machen. Auf diese Weise werden in der Einzelhandelsbranche Anpassungen an sich wandelnde Verbraucherwünsche, wettbewerblich erzwungene Preissenkungen sowie zukunftsweisende Innovationen weitgehend vereitelt. Die Zielrichtung der Einzelhandelssteuerung widerspricht ganz überwiegend den Verbraucherinteressen. 631 So beispielsweise in Kenzingen, siehe Badische Zeitung (2013), in Bad Bramstedt, siehe Segeberger Zeitung (2012), in Weil am Rhein, siehe Badische Zeitung (2011), in Emden, siehe Ostfriesenzeitung (2010), und in Hanau, siehe Frankfurter Rundschau (2009). 632 Siehe zum Beispiel Immobilien Zeitung (2012). 633 Erfolg hatte zum Beispiel ein von Einzelhändlern initiierter Bürgerentscheid in Weil am Rhein, siehe Immobilien Zeitung (2011), und Siegburg, siehe Westdeutsche Allgemeine Zeitung (2010). Ein entsprechender Bürgerentscheid scheiterte in Witzenhausen, siehe TextilWirtschaft (1995).
C. Fazit
251
Zweifellos mögen die Maßnahmen der Einzelhandelssteuerung für bestimmte Verbraucherminderheiten von Vorteil sein. Hauptprofiteur sind aber die etablierten Einzelhändler. Indem man den Marktzugang neuer Betriebsformen vereitelte, bewahrte man sie vor Anpassungsdruck und schützte ihre Gewinnspannen. Die Einzelhandelssteuerung hat Marktanpassungen nunmehr über einen längeren Zeitraum erheblich eingeschränkt. Für viele Unternehmer ist die Lebensfähigkeit ihrer Betriebe auf einem offenen Markt sehr zweifelhaft geworden. Durch einzelhandelssteuernde Maßnahmen wurden sie in die wirtschaftliche Abhängigkeit von hoheitlichen Interventionen getrieben. Umso stärker drängen sie auf die Aufrechterhaltung und Ausweitung der Marktzutrittsbarrieren und haben dabei dank ihrer Interessenverbände und kommunalen Initiativen auch erhebliche Einflussmöglichkeiten. Nach dem Vorangesagten wäre es zwar volkswirtschaftlich wünschenswert, die einzelhandelssteuernden Restriktionen aufzuheben. Ein fähiger und williger Initiator dieser Aufhebung ist jedoch weit und breit nicht in Sicht. Somit schließt diese Arbeit mit dem bedauerlichen Ergebnis, dass die bauplanungsrechtliche Einzelhandelssteuerung ein schwer behebbares Staatsversagen bleiben wird. „Es ist richtig, daß die Anpassungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft über viele Hindernisse, die der Betätigung des Unternehmers in den Weg gelegt wurden, gesiegt hat. Wir sehen täglich, daß es Unternehmern gelingt, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die Gesetz und Verwaltung ihnen bereiten, die Beschickung des Marktes mit Gütern und Diensten in Ausmaß und Beschaffenheit zu heben. Doch wir können nicht berechnen, um wie viel besser wir heute ohne größeren Arbeitsaufwand versorgt wären, wenn nicht das Um und Auf der Staatstätigkeit die Verschlechterung der Versorgung zum – freilich in letzter Linie nicht gewollten – Ziel hätte.“634 Ludwig von Mises
634
Mises (1929/1976), S. 19.
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Sachwortverzeichnis Abwägungsfehler 43, 48 f., 54 f., 127 f. Agglomeration 203 ff., 218 Ästhetik 27 f., 109, 111 f., 124, 205 f. Außenbereich, unbeplanter 31 Bauordnungsrecht 81 f. Beeinträchtigungsverbot 51, 155 Bestandsschutz 45, 122 f., 159 Bestimmtheitsgebot 42 f., 52 Betrieb 39 f., 91 Beweislast siehe „Darlegungs- und Beweislast“ Bodenrechtliche Relevanz 121 Bürgerentscheid 250 Business Improvement Districts 47 Darlegungs- und Beweislast 36, 39 Demographischer Wandel 26, 120 Demokratie 242 f. Discounter 25, 38 f., 41 Dominante Strategie 170 Dorf 227 f. Effizienz 171 Einkaufspark 111 Einkaufszentrum 38 Einzelhandel 23 Einzelhandelsausschluss 42, 44 ff., 45, 48 f., Einzelhandelskonzept 33, 42 57 ff., 197 Erschließung 41 Evolution 61 ff., 75 f. Externe Effekte 77 Fachgeschäft 203 Fachmarkt 203 Factory-Outlet-Center 52, 156, 247, 249 Faktisches Baugebiet 36 Filialen 29 ff., 124 Fixkosten 179 Freiheit 6
Gentrifizierung 230 Gerechtigkeit 72 ff., Gesamtwirtschaftliches Optimum 179 219 Geschmacksdifferenzierung 179 Geschossfläche 38 Gewerkschaften 80 Gleichgewichtsdifferenzierung 180 f. Gossensches Gesetz 173 f Grenznutzen 173 f. Größenvorteile 177 Großflächige Einzelhandelsbetriebe 32, 38, 50, 141 ff., 160 Grundsätze der Raumordnung 49 Güter des täglichen Bedarfs 27 Hoheitliche Eigenbetriebsführung 187, 201 homo oeconomicus 21, 169, 219 Immobile Verbraucher siehe „mobile Verbraucher“ Inhaltliche Differenzierung 179 Innenbereich, unbeplanter 32 ff. Innenstadzentrum 27 ff. Instinkte 76 Integrationsgebot 51, 156 Integrierte Lage 27 Interessengruppen 244 ff. Interkommunales Abstimmungsgebot 53 ff., 127 f. Internalisierung 187, 215 ff., 234 f. Internetversandhandel siehe „Versandhandel“ Kapitalintensität 213 f. Kardinale Nutzentheorie 172 ff. Katallaxie 64 Kategorischer Imperativ 73 Kaufkraftabfluss siehe „Umsatzumverteilung“ Klagebefugnis 54, 56 f. Kollektivgut siehe „öffentliches Gut“
270
Sachwortverzeichnis
Kongruenzgebot 51, 155 Konzentration 214 Konzentrationsgebot 51 f., 155 f. Kosmos 61 f., 68 Lebensmitteldiscounter siehe Discounter Letzte Ziele 69, 85, 86 Lobbyismus 247 ff. Makroökonomie 20 Marktgleichgewicht 65, 86 ff. Marktgutachten 34, 36, 197 Marktmechanismus 64 f. Marktversagen 17 f., 77, 219 Mikroökonomie 20 Mindesteinkommen 77 Mischordnung 78 ff., 90 ff., 105 f. Mittelstand 29 ff., 213 f., 246 Mobile Verbraucher 26, 110 f., 193 ff. Modell 169 ff., 176 ff. Monetarisierung 170 Monopol 66 f., 88, 178 ff. Nachbarschaftsladen 116, 194 Nahversorgung 107 f., 194 Nahversorgungszentrum 25 f., 130 Nebenzentrum 29 Nomokratie 68, 86 ff.
Qualifizierer Bebauungsplan 37 Rationalismus 76 Raumordnung 49 ff., 150 ff., 217 ff. Rechtsaufsicht 50, 57 Regulierungsaufwand 197 f. Regulierungswettbewerb 126 Restriktionen 169 Rückstellung 46 Schadstoffemissionen 233 f. Selbstverwaltungsgarantie, kommunale 52, 162 Skaleneffekte siehe „Größenvorteile“ Sortimentsausschluss 42 ff. Soziale Gerechtigkeit siehe „Verteilungs gerechtigkeit“ Soziales Optimum 177 Spieltheorie 169 f. Spontane Ordnung 61 ff. Staatshaftung 45, 197 Stadtteilzentrum siehe „Nebenzentrum“ Stakeholder 95 Standortdifferenzierung 179 Substitut 179, 184, 185 Substitutionskonkurrenz 179 Suburbanisierung 228 Subvention 93
Öffentlicher Personennahverkehr 26 Öffentliches Gut 77, 205 f., 234 Ökonomische Analyse des Rechts 21 f. Oligopol 67, 214 Opportunistisches Verhalten 226, 245 Opportunitätskosten 172 ff. Ordnung 61
Tante-Emma-Laden 31 Taxis 61 f. Teleokratie 69, 84 f. Treibhauseffekt 223
Parallelordnung 89 f., 186 f. Pareto-Kriterium 171 Parkplätze 207 f. Pigou-Steuer 216., 234 Planersatz 32 ff., 129 ff. Präferenzen 170 f. Preismechanismus 164 f. Prinzipal-Agent-Theorie 182 f. Produktdifferenzierung 178 ff. Produktion 176 Produktionsfaktoren 88, 92
Variable Kosten 177, 179 Veränderungssperre 45 f. Verbraucher, mobile 26, 191, 198 f. Verbrauchernahe Versorgung 25 ff., 108 Verflechtungsbereich 152 f. Verkaufsfläche 26 f., 38 ff., 192 f. Verkaufsflächenbegrenzung 43 f. Verkaufsflächenvergleich 34 f., 133 Versandhandel 120, 125 Verteilungsgerechtigkeit 72 Vertikale Differenzierung 179
Umsatzumverteilung 34 f., 54 f., 133 ff. Universalisierbarkeitstest 73 ff.
Sachwortverzeichnis Vollsortimenter 25, 39 Vollständige Konkurrenz 86, 176 ff. Vorhabenbezogener Bebauungsplan 47 Wegkosten 189 f. Wettbewerb 64 f. Wettbewerbliche Anreizmodifikation 187 Wiener Schule 19 Zentrale-Orte-Konzept 50 ff., 151 f., 217 ff.
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Zentrale Versorgungsbereiche 24 ff., 33 f., 129 ff. Zentralitätsforschung 220, 223 ff. Zentralitätsgebot siehe „Konzentrationsgebot“ Zentrenrelevante Sortimente 28 f., 42 f. Zielabweichungsverfahren 49 Ziele der Raumordnung 49 Zwang Kapitel 2.A.IV.1 Zweck-in-sich-selbst siehe „letzte Ziele“ Zwischenstadt 229