Robert Walsers Prosastücke im Lichte Friedrich Nietzsches: Ein poetologischer Vergleich 9783110639056, 9783110638523

For the first time, this study undertakes a comparison of Robert Walser’s and Friedrich Nietzsche’s poetic methodologies

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German Pages 238 Year 2019

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Inhalt
Siglenverzeichnis der verwendeten Schriften
1. Einleitung
2. Einzelanalysen
3. Ausblick
4. Literatur-/Abbildungsverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Robert Walsers Prosastücke im Lichte Friedrich Nietzsches: Ein poetologischer Vergleich
 9783110639056, 9783110638523

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Bastian Strinz Robert Walsers Prosastücke im Lichte Friedrich Nietzsches

Textologie

Herausgegeben von Martin Endres, Axel Pichler und Claus Zittel Wissenschaftlicher Beirat: Alexander Becker, Christian Benne, Lutz Danneberg, Sabine Döring, Petra Gehring, Thomas Leinkauf, Enrico Müller, Dirk Oschmann, Alois Pichler, Anita Traninger, Martin Saar, Ruth Sonderegger, Violetta Waibel

Band 5

Bastian Strinz

Robert Walsers Prosastücke im Lichte Friedrich Nietzsches Ein poetologischer Vergleich

D93

ISBN 978-3-11-063852-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-063905-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-063866-0 Library of Congress Control Number: 2019937563 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Siglenverzeichnis der verwendeten Schriften

VII

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1 Einleitung Thesen 3 Nietzsche und Walser – Forschungsstand 4 5 Die Ubiquität Nietzsches und seiner Schlagworte Motivischer Ansatz 5 Nietzsches Namensnennung/Nietzsche als Kontrastfigur Gangarten 7 Selbstreflexion/ Selbstreferenz/ Subjektkritik 8 10 Rephilologisierung – philologische Lektüre Aufbau der Arbeit 12 13 Erweiterter Vergleich Exkurs 1: Paralleldrucke 14

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20 Einzelanalysen JGB 17 20 Zusammenfassung der poetologischen Merkmale als Grundlage 30 für den Vergleich Sechs kleine Geschichten 32 32 Die Insel – Monatsschrift mit Buchschmuck und Illustration Von einem Dichter 35 45 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz Der Spaziergang/Hans [der Träumer] 57 Miniatur: Horaz und Platon 63 Zarathustra-Miniaturen in Der Spaziergang (1917) und in Hans 67 (1917) In Prolepsen denken – Gangarten des Denkens 71 75 Lichtblitze und Blitzlichter – Zarathustras Heimatlosigkeit Einschub: Walsers Kampf mit dem Dämon Nietzsche: Unterhaltung mit dem Feuerhund 89 94 Zarathustra-Miniatur II 102 Exkurs 2: Hans [der Träumer] Das Motiv ,Hans der Träumer‘ als Grundlage für ein literarischstrukturelles Modell – entwickelt am Beispiel von Hans und Der Spaziergang 103

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Inhalt

Rudolf Huch: Hans der Träumer (1903): erste Ichheiten/Maria Czygan-Waldemar: Hans der Träumer (1922): Kitsch 109 113 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung 113 Close Reading Zeugenschaft: Dichterlüge, Meinung, Wissen 120 123 Der Räuber 125 Ästhetisch-philosophische Annäherung Der Räuber 126 130 Miniatur: Edith-Rezension Prätexte 136 Spiegel 142 152 Der Räuber – ein Roman? Walsers Prager Texte 158 Zeitungsdrucke 158 163 Prager Texte Poetologie der Unverständlichkeit – ein unverständlicher 183 Dichter

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Ausblick 195 195 Weitere Vergleichstexte Poetologischer Vergleich: Lyrik



Literatur-/Abbildungsverzeichnis 199 Literatur 199 199 Weitere Primärliteratur Zeitgenössische Zeitungsbeiträge 201 202 Sekundärliteratur 220 Abbildungsverzeichnis

Personenregister Sachregister

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Siglenverzeichnis der verwendeten Schriften Friedrich Nietzsche BAW

Nietzsche Friedrich (1933 – 1940): Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe: Werke, 5 Bde. [Jugendschriften 1854 – 1869], München: Ullstein Buch. EH Nietzsche, Friedrich (1888): Ecce homo. Wie man wird, was man ist. In: KSA 6, S. 255 – 374. FW Nietzsche, Friedrich (1882/87): Die fröhliche Wissenschaft („la gaya scienza“). In: KSA 3, S. 343 – 651. GD Nietzsche, Friedrich (1888): Götzen-Dämmerung oder Wie man mit dem Hammer philosophirt. In: KSA 6, S. 55 – 161. GT Nietzsche, Friedrich (1872): Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. In: KSA 1, S. 9 – 156. JGB Nietzsche, Friedrich (1886): Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft. In: KSA 5, S. 9 – 243. KGB Nietzsche, Friedrich (1975 ff.): Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari. Berlin, New York: De Gruyter. KGW Nietzsche, Friedrich (1967 ff.): Werke. Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari. Berlin, New York: De Gruyter. KSA Nietzsche, Friedrich (1999): Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden. Hrsg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari. Berlin, New York: De Gruyter. KSB Nietzsche, Friedrich (2003): Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden. Hrsg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari. Berlin/New York: De Gruyter. MA Nietzsche, Friedrich (1878/86): Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister = KSA 2. NL Nietzsche, Friedrich: Nachgelassene Fragmente/Notate/Aufzeichnungen Nietzsches, zitiert nach KSA. NPB Campioni, Giuliano/D’Iorio, Paolo/Fornari, Maria Cristina/ Fronterotta, Francesco / Orsucci, Andrea (Hrsg.) (2003): Nietzsches persönliche Bibliothek. Berlin, New York: De Gruyter. UB Nietzsche, Friedrich (1874): Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben. In: KSA 1, S. 243 – 334. WL Nietzsche, Friedrich (1873): Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. In: KSA 1, S. 873 – 890. WA Nietzsche, Friedrich (1888): Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem. In: KSA 6, S. 9 – 54. WS Nietzsche, Friedrich (1880), Der Wanderer und sein Schatten. In: MA II. Z Nietzsche, Friedrich (1883/85): Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen = KSA 4. Aus FN UaW Aus Friedrich Nietzsches „Umwertung aller Werte“. Fragmente zur „Physiologie der Kunst“; Insel II/4, S. 241

https://doi.org/10.1515/9783110639056-001

VIII

Siglenverzeichnis der verwendeten Schriften

Robert Walser AdB

Walser, Robert (1985 – 2000): Aus dem Bleistiftgebiet. Hg. v. Bernhard Echte/ Werner Morlang. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.. Br Walser, Robert (1979): Briefe. Hrsg. v. Jörg Schäfer unter Mitarbeit v. Robert Mächler. Genf, Hamburg: Kossodo 1975 [= GW 12/2]. Um Nachträge erweitert als Taschenbuch. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. FKA Walser, Robert (1904): Fritz Kocher‘s Aufsätze. In: KWA I/1. KWA Walser, Robert (2008 ff.): Kritische Ausgabe sämtlicher Drucke und Manuskripte. Hg. v. Wolfram Groddeck/Barbara von Reibnitz. Basel/Frankfurt a. M.: Stroemfeld/ Schwabe. Spaziergang Walser, Robert (1917): Der Spaziergang. In: KWA I/8. SW Walser, Robert (1985 – 1986): Sämtliche Werke in Einzelausgaben. 20 Bd. Hrsg. v. Jochen Greven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Sonstige Insel

Die Insel – Monatsschrift mit Buchschmuck und Illustration. Hrsg. v. Otto Julius Bierbaum, Alfred Walter Heymel und Alexander Schröder (1899 – 1902). Faksimileausgabe in zwölf Bänden. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1981. Nämlich Adler, Paul (1915): Nämlich. Dresden-Hellerau: Hellerauer Verlag. Zauberflöte Adler, Paul (1916): Die Zauberflöte. Roman. Dresden-Hellerau: Hellerauer Verlag.

1 Einleitung Die Walserforschung hat ausgewählte Texte Walser bereits mehrfach mit Nietzsche in Verbindung gebracht.¹ Im Fokus dieser der traditionellen Quellenforschung folgenden Zusammenführung standen – neben der bloßen Erwähnung Nietzsches – vermeintlich offensichtliche Paraphrasen oder Zitate aus Texten Nietzsches; ein Ansatz, von dem sich die vorliegende Arbeit, die eine überarbeitete Version einer an der Philosophischen Fakultät der Universität Stuttgart entstandenen Promotion ist, bewusst abgrenzt. Stattdessen wird eine neue Lesart für diese Texte entwickelt, die deren ästhetischen Merkmale in den Blick nimmt, welche in signifikanter Weise durch einzelne oder mehrere Besonderheiten der bei Nietzsche zu identifizierenden Schreibweisen ähnlich sind. Zusätzlich werden weitere Texte, welchen die Walserforschung (in Bezug auf Nietzsche) überhaupt noch keine Aufmerksamkeit entgegengebracht hat, in diesen Kanon eingereiht werden. Auf Basis einer Analyse der ästhetischen Verfahren können dann jeweils Rückschlüsse auf eine immanente Poetik in Nietzsches und Walsers Texten gezogen werden. Bei einem solchen Vergleich der Poetologien treten sowohl literarische als auch philosophische Aspekte bei Walser und Nietzsche gleichermaßen konturiert hervor, da diese – so die These der jüngeren textnahen Nietzscheforschung (Zittel 2000, Stegmaier 2011, Dellinger 2014, Pichler 2014) – von einander nicht zu trennen sind. Die auch in der Walserforschung immer stärker in den Fokus rückende Poetologie (Wagner 2011; Stiemer 2013; Walt 2015, Caduff 2016; Pfeiffer/ Sorg 2019, S. VII) wird im Folgenden verstanden als das Phänomen, dass literarische Erzeugnisse kaum je von ihnen unabhängige Regeln und Prinzipien erfüllen, sondern ihre Poetik, das heißt hier: die Bedingungen und die Art ihres Gemachtseins, ihres Bedeutens oder Zu-lesen-Gebens, immanent, an ihren vielschichtigen Materialien zu verstehen geben. (Christen, Forrer, Stingelin und Thüring 2014, S. 10)

Demnach ist Poetologie als eine immanente Poetik zu verstehen, die durch die Texte realisiert, jedoch nicht zwingend artikuliert wird (Vgl. Fricke 2003, S. 100). Mit Blick auf Nietzsches Textverfahren bedeutet dies, dass man nicht mehr zwischen Darstellungsform und Inhalt trennen kann. Nietzsches philosophische Schreibweisen, die nicht sowohl als auch literarisch und philosophisch sind, stehen dann in Anknüpfung an Beda Allemann „nicht [für Nietzsches] Reflexion

 Bspw. die Textsammlung Fritz Kocher’s Aufsätze, und Texte wie Hans und Der Spaziergang sowie den Räuber (Utz 1994, 1998, 2019, Bohren 1995, A. Müller 2007, Scheffler 2010). https://doi.org/10.1515/9783110639056-002

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1 Einleitung

auf Kunst und Künstlertum, sondern was sich an [… philosophischem Gehalt] aus seiner literarisch-poetischen Praxis ableiten und erörtern läßt […].“ (Allemann 1993, S. 22 f.). Die philosophische Fragestellung, die den hier vorgenommenen poetologischen Vergleich leitet, ist Nietzsches Subjektkritik in Zusammenhang mit seiner späten Erkenntniskritik.² Im Zuge textnaher Lektüre soll die Poetologie ausgewählter subjektkritischer Texte von Nietzsche herausgearbeitet werden, anhand derer das reziproke Verhältnis von Subjektkritik und Darstellungsformen zu bestimmen ist, wobei Ähnlichkeiten und Abweichungen zwischen Nietzsches und Walsers sprachlichen Verfahren dokumentiert werden. Die Forschung hat sich in Bezug auf das Subjekt bei Walser dem poetologischen Phänomen der Selbstreferenz mit besonderer Aufmerksamkeit gewidmet. Nach Dauner (2009) ist das Phänomen der Selbstreferenz dann gegeben, wenn ein Text oder dessen Figuren über sich selbst oder seine ihn/ihre sie konstituierenden Verfahren sprechen. Da bei Walser die Sprecherinstanzen oft mit sich selbst kommunizieren oder zum Teil reale Dichter als Dichterfiguren besprechen und adressieren, nähert sich die Forschung dieser Selbstreferentialität – selten jedoch den diese umsetzenden narrativen Verfahren – in den Texten Walsers mit unterschiedlichen, jedoch meist rein literaturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen: Die Selbstreferentialität wird mitunter naiv als brüderliches „Spiegelbild“ (Brändle 1971, S. 23) des Autors Robert Walser gedeutet, als „Doppelgänger seiner selbst“ (Böschenstein 2013, S. 85) oder als Selbstreferentialiät innerhalb des autopoietischen Literatursystems – will heißen: wenn ein Dichter über Dichter schreibt – oder als Selbstreferentialität der Sprache.³ Sieht man von einigen Arbeiten wie denjenigen von Greven (1960/2009) Villwock (1993) oder Oehm (1993) ab, so mangelt es an philosophisch-ästhetischen Erklärungsansätzen, welche die Selbstreferenzialität nicht als reinen Selbstzweck und finales Ziel ihrer Analysen behandeln. Diesen Mangel möchte die vorliegende Arbeit jenseits von rein literaturwissenschaftlichen Ansätzen beheben, indem sie zeigt, auf welche Art Selbstreferenzialität eine rückbezügliche Relationsform darstellt, die im Verbund mit den anderen poetischen Verfahren der Textorganisation deutungsrelevant wird.

 Zur Zusammenführung von Subjektkritik und Erkenntniskritik vgl. Zittel 1995 und 2003.  Vgl.: Evans (1999) und jüngst Banki (2018), die diesen Forschungsstrang zusammenfassen.

1.1 Thesen

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1.1 Thesen Ausgangshypothese der vorliegenden Studie ist, dass Robert Walser ein feineres Sensorium für Nietzsche und dessen Textverfahren besaß, als bisher in der Forschung angenommen wurde. Dadurch drängt sich die Frage auf, in welchem Maße Walsers Reflexion auf die nietzscheschen Textverfahren Auswirkungen auf dessen eigenes Schreiben gehabt hat. Daraus lassen sich für den in dieser Arbeit vorzunehmenden Vergleich folgende Thesen ableiten, die an den Forschungsstand zu Walser anschließen: 1. Die für das Spätwerk, speziell für den Räuber, festgestellten und weiter noch aufzuzeigenden Kennzeichen von Walsers ästhetischem Verfahren wie Selbstreflexivität, Dissoziation des Ichs oder Fragmentarisierung sind bereits in frühen ausgewählten Veröffentlichungen Walsers angelegt.⁴ Die Kennzeichen verdichten sich jedoch zusehends im Lauf der Jahre und radikalisieren sich im Räuber und den Texten dieser Zeit als dem Fluchtpunkt dieser Entwicklung.⁵ Die in den Walsertexten realisierten Verfahren sind mit den Verfahren Nietzsches in dessen Texten vergleichbar. 2. Grundsätzlich zielt die Analyse der Poetologie Nietzsches darauf ab, einen Deutungsansatz für die Funktionsweise der experimentellen Prosa Walsers zu generieren. Es wird zu belegen sein, dass die Poetologien ausgewählter Texte von Walser darauf angelegt sind, ein kalkuliertes Missverständnis zu provozieren. Evoziert wird auf diese Weise eine Poetologie der Unverständlichkeit, die als visuelles und akustisches Wahrnehmungskonzept in den Texten Walsers nachweisbar ist. Ausgehend von Nietzsches Subjektkritik scheint sich in einigen von Walsers Texten die organisierende Mitte der Texte, das ,Ich‘, aufzulösen, so dass eine alternative Ordnung der Texte, einer Poetologie der Unverständlichkeit folgend, mit z.T. individuellen Ausprägungen bei Nietzsche und Walser zu skizzieren ist. Mit dem Fokus des Vergleichs auf die Poetologien insbesondere der wechselseitigen Korrelation von philosophischer Subjektkritik und Darstellungsformen wird es nötig, Nietzschetexte oder deren Passagen daraus für den Vergleich heranzuziehen, denen die Walser-Forschung bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt

 Vgl. dazu die einschlägige Analysen Rodewalds (1970) und Thürings (2014) des Prosastücks Der Greifensee, die darlegt, dass die poetischen Möglichkeiten des Schreibens auf einer Metaebene explizit über die „moderne“ Selbstreflexion transportiert wird.  Bolli (1991) hat auf das intratextuelle Verfahren des Räubers motivischer, nicht poetologischer Art hingewiesen, welches sich Motive, Figuren oder Formulierungen aus den frühen Texten Walsers bedient.

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1 Einleitung

hat: Die bisherigen Analysen von Walsertexten mit Blick auf Nietzsche suchen hauptsächlich nach motivischen Vergleichsmöglichkeiten und zeitigen in der Tendenz eher ein Ergebnis, das apollinisch-dionysische Gegensätze von Nietzsche und Walser betont (z. B. groß/ klein). Es sollen daher in dieser Arbeit erstmals Nietzschetexte herangezogen werden, welche die Subjektkritik entwickeln und dabei performativ realisieren (hauptsächlich JGB und Texte aus dem NL). Es gilt, die auf Nietzsches Philosophemen basierenden Deutungen von Walsers Texten und Textabschnitten mit dem neuen Vergleichshorizont zu korrigieren sowie die Validität dieser neuen Lesart an weiteren Texten zu belegen. Als verallgemeinerte Konsequenz legt der Nietzsche-Vergleich nahe, dass Walsers Texte qua Form skeptisch-nihilistische Positionen reflektieren.

1.2 Nietzsche und Walser – Forschungsstand In der Forschungsliteratur scheint eine Auseinandersetzung Robert Walsers mit Friedrich Nietzsche ausgemacht. Diese Position wird in diesem Subkapitel in ihrer interpretativen Bandbreite skizziert und bildet die Grundlage sowie Abgrenzungsund Anknüpfungspunkt für die weiteren Untersuchungsschritte dieser Arbeit. Dass Walser – wie viele Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Nietzsche zur Kenntnis genommen haben muss, ist bekannt: Ein Indiz dafür sind die rund ein Dutzend namentlichen Nennungen Nietzsches und zum Teil damit verbundene vermutete oder belegte Bezüge zu Robert Walser im Index des Robert-WalserHandbuchs (Gisi 2015). Diese gehen von vermuteten Lektüreeinflüssen und der Einordnung Walsers in die Nietzsche-Kritik der Zeit über den Einfluss Nietzsches auf Walser, über die Maskenthematik⁶ bis hin zur Übernahme bzw. Nachahmung der Wissens- und Wahrheitskritik. Bei der Zusammenschau der Forschung zu Walser und Nietzsche ist zu konstatieren, dass die Relation Walser und Nietzsche bisher ausschließlich in Aufsätzen oder maximal in einzelnen Kapiteln größerer Walserstudien unter bestimmten, stark eingeschränkten Fragestellungen abgehandelt worden ist. Bisher wurde die Forschung insbesondere von den im Folgenden dargestellten Positionen geprägt.

 Mit Verweis auf den direkten Bezug zu Nietzsche: Benne 2007, S. 32– 53; mit Verweis auf die Maskenthematik: Antoniwicz 1995.

1.2 Nietzsche und Walser – Forschungsstand

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1.2.1 Die Ubiquität Nietzsches und seiner Schlagworte Die meisten Autoren teilen die im Grunde richtige Einschätzung von Peter Utz, dass Nietzsche mit seinen Schriften und den darin enthaltenen Schlagworten wie ,Übermensch‘, Umwertung aller Werte‘ bis zum ,Willen zur Macht‘ um 1900 ubiquitär gewesen ist, und bauen darauf ihre Argumentation auf (Utz 1998, S. 149; Böckmann 1953; Steffen 1974; Pütz 1975; Hillebrand 1978).⁷ Die Forschung beruft sich unter dieser Prämisse gerne auf die exemplarisch genannten Schlagworte und überlässt es dem Leser, sich auszumalen, inwieweit die vermeintliche Kürze und scheinbar handliche Prägnanz von Nietzsches Aphorismen⁸ in die Methodik der Forschung selbst hineinreicht und zu einer verkürzenden Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Nietzsche und Walser führt, da Bruchstücke von dessen Philosophie als ubiquitäres Wissen vorausgesetzt zu sein scheint.

1.2.2 Motivischer Ansatz Einen Untersuchungsansatz, der systematisch die Verbindung zwischen Walser und Nietzsche auslotet und dabei die Texte Walsers über fast dessen gesamte Schaffensperiode in den Blick nimmt, hat Peter Utz in Form mehrerer Aufsatzbeiträge und einer umfassenden Monographie vorgelegt (Utz 1996; 1998; 1999; 2000; 2001; 2002; 2007). Das zentrale Motiv, das Utz in seiner Monographie als verbindendes Element für die Untersuchungsgegenstände seiner Kapitel festlegt  Selbstverständlich gibt es im gleichen Maße eine Nietzsche-Rezeption zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich – entgegen der von Hilty und von Utz vertretenen Meinung – in philosophischer, philologischer und ästhetischer Genauigkeit mit dem Leben und den einzelnen Schriften Nietzsches auseinandersetzt. Einen guten Allgemeinüberblick geben hierzu: Hillebrand 1978; Böckmann 1953; Steffen 1974; Pütz 1975. Zieglers in der Neuen Rundschau als Paralleldruck zu Walsers Leben eines Malers erschienenen Zarathustra-Glossen I/II (Ziegler 1915/1916) belegen mit der Ausbreitung eines subjektkritischen Modells eine textkenntnisreiche Auseinandersetzung mit Nietzsche (vgl.: Strinz 2017). Eine sehr genaue Auseinandersetzung erfordert auch die parodistische Annäherung an Nietzsche, die Christian Benne als Kritik der gedankenlosen, zeitgenössischen Nietzscheverehrer dokumentiert hat (Benne 2004).  Die Annahme, dass die sogenannten „Aphorismen“ Nietzsches einer prägnanten Kürze unterliegen, ist ein leidiger Allgemeinplatz, da viele der „Aphorismen“ Nietzsches in Wirklichkeit zum Teil recht ausführliche Essays sind; während das autorisierte Spätwerk eine Vielzahlunterschiedlichster Textformen realisiert (vgl. die Präsentation der Internationalen Nietzscheforschungsgruppe Stuttgart: http://www.ts.uni-stuttgart.de/infg/index.html, besucht am 25.1. 2019), handelt es sich bei den nachgelassenen Aufzeichnungen zu großem Teil um fragmentarische Notate, sodass die wirklichen „Aphorismen“ tatsächlich nur einen bestimmten Teil des Gesamtwerks ausmachen.

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1 Einleitung

und das in seinen Aufsätzen wiederkehrt, ist die Metaphorik des Tanzes, die Utz zur Analyse der Walser-Texte bei Nietzsche entleiht.⁹ Diese Lesart bereitet weitere ähnliche Interpretationen vor, wie den Eintrag „Spiel“ im Lexikon Ästhetische Grundbegriffe von Tanja Wetze, die unter dem Aspekt des Spiels eine Übernahme von Gedanken Nietzsches durch Walser vermutet (Wetze 2001) und deren Sichtweise auch Andreas Mascha folgt (Mascha 2008).

1.2.3 Nietzsches Namensnennung/Nietzsche als Kontrastfigur Nicht viel erhellender für die Frage nach Walsers Auseinandersetzung mit Nietzsche ist der Ansatz, in Walsers Werk allein nach Namensnennungen Nietzsches oder Äußerungen über Nietzsches Werk Ausschau zu halten, auch wenn Robert Mächler feststellt, dass Nietzsche „der einzige berühmte Philosoph [ist], über den er [Walser, B.S.] sich geäußert hat.“ (Mächler 2002a, S. 35). Dies stimmt zwar, da Walser sich sonst nicht über Philosophen, sondern ausschließlich über Schriftsteller, Autoren oder Verleger äußert, deren Werke er in seinen Prosastücken bespricht, namentlich erwähnt oder geschickt mit Andeutungen beschreibt, doch ist dieser Ansatz nicht sonderlich erkenntnisfördernd, was die ästhetische Verfasstheit der Texte Walsers an sich betrifft: Denn diese Einzelbefunde der Namensnennungen werden in der Forschung vorrangig in den unmittelbaren Kontext derjenigen Walsertexte gestellt, in denen aus davorstehenden oder nachfolgenden Sätzen ohnehin die aus den oben genannten Schlagwörtern wie auch immer gearteten ,nietzscheanischen Strukturen‘ ableitbar sind. Die Folge ist eine oftmals eine „statisch“ wirkende Gegenüberstellung von Walser und Nietzsche (Utz 1998, S. 177) als „Kontrastfigur[en]“ (Gellhaus 2008, S. 36) bei der Walser durch sein „Bekenntnis zur Kleinheit“ (Sprengel 2009, S. 213) gar als „Überwinder“ Nietzsches interpretiert wird (Scheffler 2010, S. 106). Befeuert wird die Wahrnehmung Walsers als Kontrastfigur offensichtlich auch – ähnlich wie die von der Textarbeit losgelöste unkritische Übernahme von Schlagworten – durch Rückgriff auf Einschätzungen Walsers durch seine Zeitgenossen wie die von Max Brod, der in Walser „einen ,neuen Ton‘ hat erkennen wollen, den er selbst als Antithese zu Nietzsche formuliert: Robert Walser sei ,endlich, endlich die Reak-

 Nietzschestellen wie im Zarathustra, „Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.“ (Z I Lesen, KSA 4, S. 49), oder im Ecce Homo „Dichter des Zarathustra“: „Zarathustra ist ein Tänzer“ (EH, Zarathustra, KSA 6, S. 345), bilden das Fundament für Utzens Argumentation, die – nicht zuletzt durch die Übernahme der Metapher im Titel seiner Monographie Tanz auf den Rändern – damit das Spielerische als produktive Eigenart der Texte betont (Utz 1996, S. 170 f.).

1.2 Nietzsche und Walser – Forschungsstand

7

tion auf Nietzsche, die Freiheit, die Entspannung der Seele‘“ (Scheffler 2010, S. 142; auch: Birkner 2016. S. 423).

1.2.4 Gangarten Die von Nietzsche in der viel zitierten Textstelle in JGB 27 eingeführten „Gangarten“¹⁰ werden in den vorherrschenden Ansätzen, durch einen Vergleich der unterschiedlichen schriftstellerischen Gangarten bei Nietzsche und Walser eine Typologie derselben zu entwickeln, oftmals in der starren Opposition von geographischem Oben und Unten, Gipfel und Tal behandelt (Roth 2003, Gellhaus 2008). Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die untersuchte Metaphorik von oben und unten, die wohl auf den Zarathustra anspielt, als parodistische Selbstaufhebungsfigur entlarvt worden ist (Zittel 1995, S. 79). Aus diesem Grund soll in dieser Arbeit besagte Opposition für die Analyse der Poetologien der Texte beider Autoren fruchtbar gemacht werden, die ihren Ausgangspunkt in der Denkfigur der Gangarten hat (Vgl. das Kapitel: „Der Spaziergang/Hans [der Träumer]“). Vorbildhaft für diese Herangehensweise steht Stegmaier (2000), der anhand der Gangarten in JGB 27 das Spannungsfeld von Verstehen und NichtVerstehen diskutiert. Die aufgezeigte statische Gegenüberstellung von Walser und Nietzsche lassen sich auch mit dem Ansatz von Walt überwinden. Um mythologisierende Erklärungsansätze der Mikrogramme Walsers in der Forschungsliteratur als Demutsgebärde (Morlang 1984, S. 101), als Inszenierung des eigenen Verschwindens (Treichel 1995, S. 7– 36; Strelis 1991, S. 123 – 133; Gräfin von Schwerin 2001), oder als Pathologisierung des Walserschen Schreibens (Schwarz 1996,. S. 171– 189; Scheffler, 2010) zu widerlegen, möchte Christian Walt „Robert Walsers Mikrogramme als Ausdruck einer konsequent ausgestalteten Poetik […] lesen“ (Walt 2015, S. 8).Walt stützt sich bei seiner Argumentation auf Nietzsche: In Entlehnung eines Gedanken Groddecks zu Hölderlins Elegie „Brod und Wein“ (Groddeck 2012,

 Gast notiert Folgendes: Gangasrotogati, wie der Strom des Ganges dahinfließend – musikalische Tempo-Bezeichnung der Inder, unserem Presto entsprechend. Kurmagati ,nach der Gangart der Schildkröte‘ = Lento. Madeikagati ,nach der Gangart des Frosches‘ = Staccato; Eichberg 2009, S. 130. Eine ähnliche Notiz befindet sich in Nietzsches Nachlass: „gangasrotogati ,wie der Strom des Ganges dahinfließend‘ = presto / kurmagati ,von der Gangart der Schildkröte‘ = lento / mandeikagati ,von der Gangart des Frosches‘ = staccato“; NL Anfang 1886 – Frühjahr 1886, KSA 12, S. 175.

8

1 Einleitung

S. 30) führt Walt aus¹¹ dass die Lektüre der Mikrogramme eine nicht abschließbare sei, da deren Poetologie eine improvisatorische sei, was folglich auch für ihre Rezeption gelten müsse. Walt unterstreicht seine Lesart mit dem flankierenden Zitat aus Nietzsches AC: Unter Philologie soll hier, in einem sehr allgemeinen Sinne, die Kunst, gut zu lesen, verstanden werden, – Thatsachen ablesen können, ohne sie durch Interpretation zu fälschen, ohne im Verlangen nach Verständnis die Vorsicht, die Geduld, die Feinheit zu verlieren. Philologie als Ephexis in der Interpretation: handle es sich nun um Bücher, um ZeitungsNeuigkeiten, um Schicksale oder Wetter-Thatsachen […]. (AC 52, KSA 6, 233)

Indem Walt sich hier auf Nietzsches ,Konzept‘ der Ephexis, dem Anhalten der Interpretation¹², bezieht, richtet er sein Augenmerk nicht allein auf das poetologische Verfahren Walsers, das zur Herstellung der Mikrogramme geführt hat, sondern gibt vielmehr eine Handlungsanweisung für die Rezeption dieser Texte. Demzufolge müsse die Interpretation der Mikrogramme in einer Art „semantische[m] Schwebezustand“ (Walt 2014, S. 84) bleiben, da die Ephexis, das Anhalten der Interpretation, eine finale semantische Zuschreibung verhindere.

1.2.5 Selbstreflexion/ Selbstreferenz/ Subjektkritik Jochen Greven hat in einigen kleineren Untersuchungen Ansätze entwickelt, die alle auf seiner grundlegenden Dissertation aus dem Jahr 1960 aufbauen, in der er Grundstrukturen für das Werk Walsers bestimmend, dessen Figuren „jenseits von Gut und Böse“ als „provisorische Existenz[en]“ verortet (Greven 1960/2009, S. 29, 55, 1987, 1992, 1994, 1996). Grevens Beiträge bieten einen hervorragenden Ausgangspunkt, einen Vergleich zwischen Walser und Nietzsche durchzuführen

 Groddeck schlägt einen „poetologisch-philologischen Kommentar“ vor, der poetologisch die „Aufmerksamkeit auf die technischen Verfahrensweisen des Textes – Metrik, Komposition, Rhetorik – und ihre immanente Reflektion“ lenkt und philologisch seine „Arbeitsschritte einer konstanten textkritischen Überprüfung unterzieht.“  Vgl. Benne, der – ausgehend vom Nietzsche-Zitat: „Im Gegensatz zu den Philologen haben etwa Philosophen ,nicht gelernt ordentlich zu lesen und zu interpretieren“ (IV 23[22]) – sehr schön die von diesem gemeinte Unterscheidung zwischen Lesen und Interpretieren herausarbeitet (vgl. sein Kapitel: Philologische Methode II: Lesen statt Interpretieren, dort. Lesekunst und Reisekunst): Gründliches, mehrfaches und v. a. langsames Lesen derselben Schrift – das gute Lesen – steht dem hastigen, rein konsumierende[n] Lesen“ gegenüber (Christian Benne: Nietzsche und die historisch-kritische Philologie. Berlin 2005 (Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung, Bd. 49), S. 155). Dabei plädiere Nietzsche nicht auf einen Verzicht der Interpretation, vielmehr stehe ein Zuviel an Interpretation dem grünlichen Lesen im Wege (Benne, S. 151).

1.2 Nietzsche und Walser – Forschungsstand

9

und über die gängige Namensnennung- und Schlagwortsuche nietzschescher Zitate hinauszugehen. Denn Greven interessieren insbesondere strukturelle Mechanismen der Texte Walsers wie Konstellationen bestimmter Merkmale und die die Subjektkonstitution in das Visier nehmenden selbstreflexiven Verfahren Walsers.¹³ Dass die Figuren, meist repräsentiert durch einen Erzähler in der ersten Person, zu keiner Einheit zu finden vermögen, liegt Grevens Meinung nach in ihrer strukturbildenden, auf Selbstreflexion ausgelegten Konzeptualisierung und steht gleichermaßen für die Verfasstheit der Prosastücke an sich, die, da sie aus vielen sich widersprechenden Details und Einzelheiten bestehen, sich nicht recht zu einer größeren Einheit fügen möchten. Dieser grundlegenden Beschreibung Grevens schließen sich über die Jahre mehrere Richtungen der Walserforschung an: De Bruyker kommt zu der Annahme, dass es z. B. im Räuber durch die Vielzahl der Stimmen zu einer allgemeinen Zurücknahme, ja sogar zu einem resoluten Schweigen der Erzählung, deren Figuren bis hin zum Leser komme (De Bruyker 2008, S. 240). A. Müller stellt die Frage: „Wer spricht?“ und beginnt die Annäherung der Beantwortung der Frage unter Zuhilfenahme von Foucaults einschlägigem Aufsatz „Qu′est-ce qu‘un auteur?“ mit poststrukturalistischen Analysemethoden (A. Müller 2007, S. 12 f.). Auch die Genderforschung hat die verwirrenden Konsequenzen des mit sich selbst kommunizierenden Ichs in Walsers Texten für sich in der Analyse der Dramolette entdeckt (Heffernan 2007). Eine der Grevens ähnliche Annäherung an Walser mit und über Nietzsche unternehmen Villwock (1993) und Oehm (1993): Villwock kann in seiner Studie über das Grundmodell des Räubers auf seine Nietzsche-Kenntnisse zurückgreifen¹⁴ und liest das erzählende Ich der Räuberfigur entsprechend der Subjektkritik Nietzsches als ein Modell, das sich variabel und kontextabhängig konstituiert. Oehm zeigt auf Grundlage ihrer Analyse der nietzscheschen Subjektkritik explizit den Zusammenhang zwischen Subjektivität und Gattungsform im Expressionismus anhand der Rezeption Kierkegaards und Nietzsches bei mehreren Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts und reiht Walser in diese „experimentelle Reflexionsprosa“ ein (Oehm 1993, S. 258).

 Greven argumentiert zum einen mit einer „selbstreferenten Beschreibung“ im o. g. Sinne – wenn ein Text oder dessen Figuren über sich selbst oder seine ihn/ihre sie konstituierenden Verfahren spricht – und zum anderen mit der intradiegetischen, „selbstreflexiven Beobachtung“ der Figuren im Text (Greven 1994, S. 12).  Diese sind belegt durch die Tatsache, dass er seine Magisterarbeit und später seine Dissertation im Nietzsche-Haus in Sils-Maria geschrieben hat und als Kustor des Hauses tätig ist (vgl.: http://www.zollfreilager.net/agencies/die-welt-im-dorf-interview-mit-peter-villwock-kustos-desnietzsche-hauses-in-sils-maria/, besucht am 25.1. 2019) sowie durch seine Publikationen zu Nietzsche, bspw.: Villwock 2000; 2011; 2014.

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1 Einleitung

1.3 Rephilologisierung – philologische Lektüre Um in den Texten Nietzsches das innige Zusammenspiel zwischen philosophischen Fragestellungen und deren formaler Umsetzung wie narrative Strukturen und Figurenkonstellation aufzuzeigen, wurden in den letzten Jahren in der Forschung solide Grundlagen geschaffen. Die Tradition der Nietzscheforschung, an die hier in der textnahen Lektüre angeknüpft wird, zeichnet sich vorrangig dadurch aus , dass sie davon ausgeht, dass zwischen philosophischem Gehalt und Darstellungsform nur mehr heuristisch unterschieden werden kann (Zittel 2000, Stegmaier 2011, Dellinger 2014, Pichler 2014). Dabei gilt es eine „Praxis der Lektüre“ (Banki 2017, S. 1) zu erproben, die im literaturwissenschaftlichen aber auch zunehmend im philosophischen Diskurs unter dem Schlagwort ,Rephilologisierung‘ kursiert, und die sich in Anknüpfung an das Postulat der Reihe Textologie gegen den Trend eines „Umgang[s] mit Texten, der diese als bloße Stichwortgeber für aktuelle Fragen und Theorietrends behandelt“ (Endres/ Pichler/ Zittel 2017, S. 1), wendet. Die Praxis der Lektüre folgt demnach einem Textbegriff, der den Text nicht auf Kultur oder kulturwissenschaftliche Ansätze weitet¹⁵, sondern den Text als „das Resultat eines komplexen Entstehungs- und Produktionsprozesses“ (Endres/ Pichler/ Zittel 2017, S. 1) in einem engeren Fokus versteht. Der durchaus philologisch gedachte Ansatz eröffnet derart „Erkenntnismöglichkeiten, die nicht nur auf anderem Wege zu Erkenntnissen kommen, sondern auf diesem Weg auch zu anderen Erkenntnissen, zu einem anderen Wissen führen.“ (Banki/ Scheffel 2017, S. 1)¹⁶. Die Zweiteilung von Theorie der literaturwissenschaftlichen Textinterpretation und analytischer Exemplifizierung aufhebend, soll diese Lektürepraxis textologisch gegenstandsnah und immer wieder kritisch überprüfend¹⁷ die

 Bei der hier formulierten Forderung nach Rephilologisierung sind nicht diejenigen Ansätze gemeint, die „historische[…] Wirklichkeitserfahrung allgemein erschließen.“ und explizit „außerliterarische[…] Diskurse“ mit einbeziehen; vgl. etwa: Stockinger 2004, S. 247, 248. Auch ist nicht solch ein qasi imperativischer Ausschließlichkeitsanspruch gemeint, wie er von Steffen Martus in der provokanten Formel Rephilologisierung ist Kulturwissenschaft postuliert wird (Martus 2004).  „Doch genau diese Doppelheit von Materialität der Lektüre und Sinnkonstitution durch Lektüre verweist auf ein abwesendes oder anwesendes Drittes, denn beide zusammen ergeben kein Ganzes, Editionswissenschaft und Hermeneutik ergänzen sich nicht zum Ganzen der Philologie. Sondern die Philologie kommt zu sich selbst eben in dem Bruch zwischen den beiden Dimensionen der Materialität und der Sinnkonstitution.“ (Banki/ Scheffel 2017, S. 4).  Dies führt Marin Endres am Beispiel von Hölderlins „Seyn… / Urtheil… Wirklichkeit…“ anhand von fünf Kommentaren vor: Die Aufhebung von (literatur)wissenschaftlicher Theorie und analytischer Exemplifizierung „bewahrt mich in der hier folgenden Lektüre jedoch nicht vor dem theoretischen Dilemma, dass auch sie [die Textologie] – so sehr sie sich auch dem Gegenstand,

1.3 Rephilologisierung – philologische Lektüre

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„Komplexität, […] Mehrdeutigkeit und Mehrstelligkeit“ (Endres 2017, S. 100 f.) der analysierten Texte aufzeigen , aus der vordergründigen Unordnung eine alternative Ordnung der Texte herausarbeiten, die als ähnliche Poetologie der beiden Autoren identifiziert werden kann. Die komparative Zusammenschau der Texte und Textsegmente¹⁸ Walsers und Nietzsches stellt sich in diesem Ansatz durchaus nicht als Gegensatz zu werkimmanenten Einzelanalysen dar¹⁹; vielmehr ermöglichen diese im Gegenteil erst einen die Poetologie(n) erhellenden Vergleich, der gleichermaßen Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeitet²⁰: „Die Gegenüberstellung zerstört in keiner Weise die besondere Eigenart des untersuchten Phänomens, ganz gleich ob es sich um ein individuelles, ein nationales oder historisches handelt. Sie ist viel-

dem ,einzelnen‘ oder ,konkreten‘ Text verpflichtet sieht – von Vorbegriffen, Vorverständnissen und Überzeugungen geprägt ist und von diesen ausgeht: einem bestimmten ,Textbegriff‘, der sich in meinem Fall stark an einer bestimmten editionsphilologischen Theorie und Praxis orientiert, von einem ,Interpretationsbegriff‘, der sich in der Auseinandersetzung mit literaturwissenschaftlichen und philosophischen Theorieansätzen herausgebildet hat (Hermeneutik, Dekonstruktion, werkimmanente Interpretation, close reading, Schreibprozessforschung), und literarischen Texten und Poetiken bestimmter Autoren, die oftmals mit diesen Theorieansätzen verbunden sind (etwa Hölderlin, Kafka, Kleist oder Celan).“ (Endres 2017, S. 79 f.).  Folgt man Pichler (2012) in dessen Präferenz der Fokussierung auf das Segmentale, so lässt sich darüber eine poetologische Gemeinsamkeit auf der Formebene aufzeigen, die wiederum losgelöst von möglichen Lektüreeinflüssen zu verstehen ist. Für die folgenden Analysen sollen die „Textsegmente“ (Pichler 2012, S. 308) von Walsers kleiner Prosa mit dem Begriff der ,Miniatur‘ beschrieben werden, der von Walser selbst in einem Brief an Otto Pick über das Mikrogramm Stil (Mkg. 124, Nr. 2; Mkg. 126, Nr. 2. AdB 4, S. 175 – 178) verwendet wird, das er als „kleine[n] Miniaturroman“ (BRr, S. 276) bezeichnet. Unklar ist dabei, ob Walser hier einen Roman meint, der aus mehreren kleinen Miniaturen besteht, oder ob Stil die Miniatur eines Romans meint. (Die Bezeichnung ‚Miniaturroman‘ für ein Prosastück ist für sich bereits eine Widersprüchlichkeit, da die kleine Form des Prosastücks mit der klassischen Vorstellung eines länger angelegten Textes wie einem Roman nicht vereinbar ist). Abgesehen von dieser Aporie verwendet die Walserforschung den Begriff gerne und ordnet die Prosastücke Walsers in die Gattung der „Prosaminiaturen“ (Groddeck 2014, S. 48) ein oder spricht von einer walserschen „Wortfügung en miniature“ (Fries 2012, S. 24). Für die folgenden Untersuchungen soll Miniatur in den Texten Walsers im erstgenannten Sinne verstanden werden: Kleine Einheiten (Textsegmente) eines Textes, die durch ihre individuelle poetologische Prägung Rückschlüsse auf die ästhetische Verfasstheit des Gesamttextes erlauben. Rückbeziehen lässt sich die walsersche Miniatur beispielsweise auf Christian Andersens Bilderbuch ohne Bilder oder auf Bonaventuras Nachtwachen, deren struktureller Aufbau ästhetischen Verfahrensweisen unterliegt, die in miniaturhaften Einzelbildern („Textsegmenten“) einen Gesamttext konstituieren (vgl. das Kapitel Fritz Kocher’s Aufsätze).  „Der literaturwissenschaftliche Textvergleich stellt tatsächlich den methodischen Gegensatz zur werkimmanenten Textinterpretation dar, die zumindest ihrem eigenen Anspruch nach den Horizont des einzelnen Werkes nicht überschreitet.“ (Lamping 2007, S. 218).  Lamping 2007, S. 221.

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1 Einleitung

mehr der einzige Weg, auf dem man feststellen kann, worin diese besondere Eigenart liegt.“ (Zirmunskij 1973, S. 104 f.).²¹

1.4 Aufbau der Arbeit Anhand einer textnahen Lektüre von JGB 16 und 17 wird das diesen Textpassagen inhärente poetologische Verfahren bestimmt, das als Folie für den Vergleich zu den Texten Robert Walsers in den Folgekapiteln herangezogen wird. Dabei werden signifikante rhetorisch-stilistische Merkmale identifiziert, aufgrund derer die – entsprechend den Erscheinungsdaten – chronologisch vorgenommenen Analysen ausgewählter Textpassagen Walsers im Verlauf der Arbeit die aufgestellte These der poetologischen Ähnlichkeiten und Differenzen bestätigen sollen. Für die vergleichende Lektüre werden folgende Texte Walsers oder einzelne Textpassagen daraus ausgesucht: Von einem Dichter (1901), Fritz Kocher’s Aufsätze und Der Commis (1904), Hans (1916), Der Spaziergang (1917), Prosper Merimée (Mkg. 183, Nr. 2, ohne Jahr, vermutlich: 1924/25), Räuber (1925), sowie Prosastücke, die als Feuilletonbeitrag in der Prager Presse veröffentlicht wurden (Über Girardi und allerlei Sonstiges (1928), Emil und Natalie (1930), Je t′adore (1928)). Bei Bedarf werden weitere Texte Walsers zur Argumentation hinzugezogen, um diese zu unterstützen oder auch zu kontrastieren. Bei den vorgestellten Texten Walsers handelt es sich ausnahmslos um Prosatexte (die sogenannten Prosastücke, längere Texte mit dem Charakter einer Erzählung (Hans, Der Spaziergang) oder eben die Mikrogramme, die unter dem Titel Räuber-Roman firmieren). Lyrische Texte oder Gedichte werden in dieser Arbeit nicht behandelt und stellen somit mit Blick auf einen poetologischen Vergleich mit Nietzsche ein Forschungs-Desiderat dar.²²

 Festgehalten werden muss jedoch, dass der, die hier vorgenommene Lektürepraxis ergänzende, Vergleich sich nicht eindeutig nach den von der Forschung vorgeschlagenen Typologien fixieren lässt: Es handelt sich weder eindeutig um einen genetischen Vergleich als Kontaktstudie, d. h. durch direkte oder indirekte Beeinflussung entstehende Texte, noch um einen typologischen Vergleich, der Ähnlichkeiten untersucht, „die ohne Kontakt aufgrund von analogen Produktionsoder Rezeptionsbedingungen zustande kommen.“ (Zima 2000, S. 16). Aufgrund der beiden unterschiedlichen Ansätze – 1. der vorgenommenen strukturellen Analysen auf der Mikroebene der Texte und 2. der Darstellung der druckortbezogenen Relation im Exkurs Paralleldrucke – wird eine Zuordnung zu einer der von Zima vorgeschlagenen Typologien nicht vorgenommen.  Der Sammelband Nietzsche als Dichter. Lyrik – Poetologie – Rezeption nimmt den poetologisch-selbstreflexiven Charakter der Gedichte Nietzsches sowie dessen Rezeption vor allem bei Dichtern um die Jahrhundertwende in den Blick (Grätz/ Kaufmann 2017).

1.5 Erweiterter Vergleich

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Um die Ähnlichkeiten zu anderen Texten Nietzsches motivischer oder poetologischer Art deutlich zu machen, werden die jeweiligen Nietzsche-Texte bei Bedarf kontextbezogen zitiert. In einem größeren Exkurs wird die motivische Interferenz, welche sich aus dem Motiv ‚Hans der Träumer‘ aus der Geburt der Tragödie ergibt, mit der Textgruppe Maria Czygan-Waldemar: Hans der Träumer (1922) und Rudolf Huch: Hans der Träumer (1903) aufgezeigt, um ein darauf basierendes strukturelles Modell zu entwickeln. Hinsichtlich der Poetologie der Unverständlichkeit, die auf dem visuellen und akustischen Wahrnehmungskonzept basiert, wird eine Brücke geschlagen werden zu einer experimentellen, den Wahnsinn darstellenden Prosa, wie sie in den Prager Texten Robert Walsers vorgeführt wird, die in der Prager Presse abgedruckt wurden. Für diesen Aspekt wird der Untersuchungskanon um folgende Autoren und deren Texte erweitert: Paul Adler: Nämlich (1915); Die Zauberflöte. Roman. (1916), Karl Brand: Novelle im Traum (1916), Leonhard Frank: Der Irre (1918), Hans Natonek: Wahnsinnig. Groteske (1920) Franz Werfel: Blasphemie eines Irren (1918). Auf Grundlage der zwischen Walser, Nietzsche und den genannten Autoren gemeinsamen Elemente der experimentellen Prosa kann eine neue Definition dessen, was einen Prager Text ausmacht, zur Diskussion gestellt werden.

1.5 Erweiterter Vergleich Neben dem Hauptautorenpaar der Untersuchung Nietzsche und Walser werden drei weitere Arten von Vergleiche durchgeführt, die jeweils mit Beispielautoren in einem jeweiligen Abschnitt behandelt werden: 1. Autoren und deren Texte, die chronologisch vor Walser und Nietzsche erschienen sind. Sie weisen in ihrer narrativen Struktur, ihrer Motivwahl oder ihren philosophischen Positionen ex ante ähnliche Charakteristika mit den Texten zunächst vor allem Nietzsches und – (auch) über diesen vermittelt – mit den Texten Walsers aus: – Platon: Politeia. – William Shakespeare: Hamlet. – August Klingemann: Bonaventura‘s Nachtwachen. – Hans Christian Andersen: Bilderbuch ohne Bilder. 2. Autoren und deren Texte, die in einem zeitgenössischen Kontext mit Walser stehen. Diese Autoren hatten in aller Regel keinen Kontakt zu Walser, können aber über die wesensbildenden Charakterstika ihrer Texte nah an Walser herangerückt werden. Diese Texte zeichnet eine reflexive und instabile Erzähler-Instanz aus, was zu einer Dissoziierung des sprechenden ,Ichs‘ führt,

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1 Einleitung

das kaleidoskopartig Eindrücke festhält. Als letztes Merkmal besitzen diese Texte Fragmentcharakter. Im Kapitel „Walsers Prager Texte“ werden die Texte folgender Autoren unter diesem Aspekt besprochen (hier in alphabetischer Reihenfolge): – Paul Adler: Nämlich (1915); Die Zauberflöte (1916) – Karl Brand: Novelle im Traum (1916) – Leonhard Frank: Der Irre (1918) – Hans Natonek: Wahnsinnig. Groteske (1920) – Franz Werfel: Blasphemie eines Irren (1918)

Exkurs 1: Paralleldrucke Ein Ansatz, eine Beziehung zwischen Walser und Nietzsche herzustellen, sind die Paralleldrucke, d. h. wenn Texte von oder über Nietzsche in Publikationsorganen abgedruckt worden sind, in denen auch Walser veröffentlicht hat.²³ Walser hat seine Karriere als Schriftsteller mit Gedichten begonnen, die von seinem Entdecker und ersten Verleger Josef V. Widmann erstmals 1898 im Sonntagsblatt der besagten Berner Tageszeitung Der Bund unter dem Titel Lyrische Erstlinge ²⁴ (sowie 1902 auch Fritz Kocher’s Aufsätze – Mitgeteilt von Robert Walser ²⁵ auszugsweise noch zwei Jahre vor der bekannten Insel-Ausgabe von 1904) veröffentlicht wurden.²⁶ Im Bund wurden regelmäßig Texte Nietzsches oder über Nietzsche rezensiert. Morlang stellt zwar ausführlich die Begegnung zwischen Walser und Widmann sowie dessen bildungserzieherischen Einfluss, den der erfahrene und belesene Redakteur auf den jungen Walser gehabt hat, dar, erwähnt jedoch in diesem Kontext Nietzsche nicht mit einer Silbe²⁷. Dass auch Widmann als Nietzsche-Kritiker im Feuilleton eben dieses Berner Bund mehrmals Nietzsches Schriften rezensiert und sich zu Nietzsche geäußert hat, ist in der Nietzsche-Forschung bekannt.²⁸ In der wohl bekanntesten Besprechung Wid Vgl. Widmann 1924, Waser 1927.  Sonntagsblatt des Bund 19 (8. Mai 1898).  Beispielsweise: Der Mensch. Sonntagsblatt des Bund 12 (23. März 1902).  Vgl. Baier 1966.  Vgl. Morlang 2002.  Über Nietzsches Antichrist. In: Der Bund 7– 11 (8. – 12. Januar 1895); Über Nietzsches Wille zur Macht. In: Der Bund 135– 149 (16.–30. Mai 1902); C. Spitteler und F. Nietzsche in ihren persönlichen Beziehungen. In: Der Bund 470 (6. Oktober 1907).Vgl.: Käser 1994, S. 122 – 132; Langer 2005, S. 108; Reich 2013, S. 9, S. 12, S. 968. Zur Ergänzung von Bennes Nietzsche-Parodien-Studie könnte man als Untersuchungsgegenstand noch Widmanns Text Also sprach Sarastro. Literarische Idylle aus dem Sonntagsblatt des Bund Nr. 48 vom 20. November 1908 hinzufügen. S. auch die Bespre-

Exkurs 1: Paralleldrucke

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manns – über JGB – hat er dieses „gefährliche“ Buch mit „jene[n] Dynamitvorräte[n], die beim Bau der Gotthardbahn verwendet wurden“ (Bund, 16.9.1886, 37. Jg. Nr. 256) verglichen. Nietzsche erwähnt in seinen Briefen an Bekannte und Verleger den Namen Widmann und dessen berühmte Besprechung mehrmals und schreibt Widmann selbst sogar zweimal, um ihn auf diese Rezension selbst anzusprechen.²⁹ Weiß man um diesen Hintergrund Widmanns und seine Kennerschaft Nietzsches³⁰, so ist es möglich anzunehmen, dass Widmann den in seinen frühen Jahren noch unbelesenen Walser, im Kontext der allgemeinen NietzscheAuseinandersetzung der Zeit³¹, speziell auf Nietzsche aufmerksam gemacht haben könnte, zumal Widmann Walser an weitere Zeitungsverleger und Herausgeber vermittelt hat, so auch an die Herausgeber der Insel. ³² Die Erstdruckbelege der Zeitungen und Zeitschriften, die Walser als Verfasser seiner Beiträge von den Redaktionen und Verlegern zugeschickt bekommen hat, sind (leider nicht vollständig) im Walser-Archiv in Bern als Teil des WalserNachlasses dokumentiert. Man kann daher davon ausgehen, dass Walser, da er

chungen von Veröffentlichungen in den Sonntagsblättern des Bund: Julius Zeiter: Nietzsches Ästhetik. Leipzig 1900. Sonntagsblatt des Bund. 18. August 1901, Nr. 33. S. 263 f.; Nietzsche. Eine psychiatrisch-philosophische Untersuchung von Wilhelm Schacht. Sonntagsblatt des Bund. 11. August 1901, Nr. 32. S. 253 f; Also sprach Zarathustras Sohn. Aus der Geistesgeschichte eines Modernen. Von Otto Leixner. Sonntagsblatt des Bund Nr. 6 (6. Februar 1898) S. 47.  Vgl. die Postkarte vom 13. Febr. 1888 an Josef Viktor Widmann in Bern. In: KGB III/5, [992], S. 253; Brief vom 28. Juni 1887 an Josef Viktor Widmann in Bern (KGB III/5, [869], S. 101– 102). Mit dem Vergleich des Buches mit den Dynamitvorräten hat Widmann den Begriff des Dynamits für die Schriften Nietzsches vorbereitet, den dieser später in EH aufnimmt: Was in den früheren Briefen Nietzsches noch zum Teil wörtlich aus der Besprechung zitiert wird, z. B. an Ernst Wilhelm Fritzsch in Leipzig, Sils-Maria, 24. Sept. 1886 (KGB III/3, [755], S. 256) oder an Franz Overbeck in Basel, Ruta Ligure 12 Oct. 1886 (KGB III/3, [761], S. 264 f.), wird in den späteren mit etwas zeitlichem Abstand und deutlich anklingendem Stolz zu „Dynamit“. Beispielsweise im Brief vom 10. Oktober 1887 an seine Schwester Franziska Nietzsche in Naumburg (KGB III/5, [924], S. 165) und schließlich in EC zu dem berühmten Ausspruch „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit“ (EH Schicksal, KSA 6, S. 365), wie es im entsprechenden Kapitel „Warum ich ein Schicksal bin“ heißt.  Vgl.: Trog 1913.  Diese ist auch in Bern nachweisbar: Vgl. die Vorträge und Veröffentlichung von Stein 1892; Böttcher 1897; Hornesser 1904.  Im Sonntagsblatt des Bund Nr. 25 vom 23. Juni 1901 wird die Juni-Ausgabe 1901 der Monatsschrift Die Insel (Insel 9) besprochen. Dort heißt es zu den Veröffentlichungen von Franz Blei, Gustav Falke, Emanuel von Bodman u. a.: „Schade, daß Nietzsche die ,Insel‘ nicht mehr erlebt hat; die drei Zeichen der Dekadenz: Das Krankhafte, das Brutale und das Unschuldig-Idiotische würde er fast in jedem Heft beisammen finden“ (Der Bund, S. 199).

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1 Einleitung

die Druckbelege selbst aufgehoben hat, die seine eigenen Texte umgebenden Beiträgezur Kenntnis genommen hat.³³ Lediglich Peter Utz (1994 und 1998) gibt mit Blick auf den Bezug zwischen Walser und Nietzsche neben der aufgezeigten ubiquitären Verfügbarkeit von Nietzsches philosophischen Gedanken im zeitgenössischen Diskurs auszugsweise Paralleldrucke an, um seine Argumentation zu untermauern (diese bewegt sich, wie gezeigt, allerdings auf der Ebene der Motivübernahme, ohne eine genaue Analyse der jeweiligen Texte vorzunehmen). Neben einem vermuteten Lektüreeinfluss über die Begegnung Walsers mit dem Zürcher Privatdozenten Rudolf Willy, der 1904 eine Gesamtschilderung Nietzsches publiziert hatte³⁴, weist Utz daraufhin, dass Walsers Schneewittchen-Dramolett in der Insel-Ausgabe von 1901 mit einer Sammlung von Nietzsches späteren Aphorismen herausgeben worden ist.³⁵

 Das Editionsprojekt der Kritischen Walser Ausgabe, die Wolfram Groddeck und Barbara von Reibnitz in Basel und Zürich besorgen, fokussiert sich mit deren Editionsteam auf „ein kontextualisierendes, druckortbezogenes Editionskonzept“. Sie gehen davon aus, dass Walser so gut wie keinen Einfluss auf Textgestalt, Typographie und Positionierung der Texte in der Zeitung hatte und die Texte zuvor schon durch Weitergabe an Redakteure von diesen aufbereitet worden sind. Vgl. von Reibnitz 2012, S. 582. Dieser Eindruck wurde auch durch den Aufenthalt des Verfassers im Robert-Walser-Archiv in Bern bestätigt: Die dort archivierten Erstdruckbelege, die Walser von den Reaktionen der Zeitschriften und Zeitungen zugeschickt wurden, in denen er veröffentlichte, weisen ebenfalls keine handschriftlichen Anmerkungen Walsers auf. Vorhandene Anmerkungen könnten von Carl Seelig stammen, wie Lucas Marco Gisi vermutet. Beispielsweise: Der Handharfer (EDG-4, 10 Tga./Zsa. Box 105), Klopfen. Ein wenig ironisch gemeint (ED-20, 10 Ztga, Box 103.). Letzteres Beispiel ist editionsgeschichtlich interessant: Der Text wurde unter verschiedenen Titeln zu Lebzeiten Walsers veröffentlicht (Nachweise aus dem elektronischen Findbuch der KWA): Neue Zürcher Zeitung 146/11, 1. Sonntagausgabe, 2. Blatt, unter dem Titel: Ich bin ganz zerklopft, der Kopf tut mir weh; Leipziger Tageblatt und Handelszeitung 119/9, Stadt-Ausgabe (09.01.1925), S. 3, unter dem Titel: Etwas vom Klopfen; Weser-Zeitung 85/111 A, Morgenausgabe (18.02.1928), Erste Beilage, unter dem Titel: Klopfen. Etwas ironisch gemeint. Nicht nur ist der im Walser-Archiv vorhandene Erstdruckbeleg im elektronischen Findbuch unter seinem Titel so nicht aufgeführt, die handschriftliche Durchstreichung des Untertitels Ein wenig ironisch gemeint – vermutlich von Seelig – wurde in allen darauf folgenden Editionen gänzlich getilgt: DiPr II/96 – 97 (unter dem Titel „Klopfen“), GW VII/340 – 341 (unter dem Titel Klopfen), GWS IX/348 – 349 (unter dem Titel Klopfen), KWA III 3/224– 226 (unter dem Titel Klopfen), SW 17/199 – 200 (unter dem Titel Klopfen).  Willy 1904. Zu Walsers Bekanntschaft mit Willy vgl. dessen Brief an Frieda Mermet vom April 1918 (GW XII/2, S. 128) und Eine Weihnachtsgeschichte (SW 16, S. 61– 66).  Vgl.: Utz 1994, S. 149; Utz 1998, S. 174. Bemerkenswerterweise erwähnt Utz (2002) Nietzsche bei seiner Analyse von Aschenbrödel nicht, obwohl er damit genau jenes Feld der Subjektkritik eröffnet, in das man sich mit Nietzsche einklinken kann: „Aschenbrödel weigert sich bis zu ihrem allerletzten Wort, sich in ein komisch-märchenhaftes oder ein tragisch-heroisches Register der Identitätskonstitution einzutragen. Ihre Nicht-Identität mit der von der Gattung und der Mär-

Exkurs 1: Paralleldrucke

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Dieser Exkurs gibt, der Vollständigkeit halber, einen positivistisch-tabellarischen Abriss über Publikationsorgane, in denen als Paralleldrucke Texte von Walser zusammen mit denen von bzw. über Nietzsche abgedruckt worden sind.³⁶ Die Paralleldrucke sind in chronologischer Reihenfolge ihres Abdrucks aufgeführt: Text(e) von Walser (in den Fußnoten ist der Verweis auf den Erstdruck zu finden)

‒ Drei Lieder von Robert Walser ‒ Vor Schlafengehen ⁴⁰

Publikationsorgan (Druckbeleg)

Text(e) von/ über Nietzsche

Die Insel. Zweiter Jahrgang. Erstes Quartal. Oktober bis Dezember .

Nachrufe: ‒ Friedrich Nietzsche. Gestorben am . August  ³⁷ ‒ Was duenket Euch um Nietzsche? Von Michael Georg Conrad ³⁸ ‒ Brief von Friedrich Nietzsche an Dr. Carl Fuchs/ Musikkritiker in Danzig ³⁹ ‒ Genueser Gedankengänge. Buchplaene und Aphorismen

Die Insel. Zweiter Jahrgang. Drittes Quartal. April bis Juni .

chenvorlage verlangten Identität ist vielmehr gerade die Bedingung ihrer Identität. Wie Walser diese Dialektik zwischen Gattung und literarischer Konstitution des Subjekts auf anderen Feldern weiterentwickelt, ist hier nur anzudeuten. So etwa unterläuft Walser im Jakob von Gunten die von der bürgerlichen Konzeption des Subjekts geprägte Gattung des Bildungsromans. Der RäuberRoman treibt mit seinem Spiel der Erzählinstanzen die Zersetzung der Romanform noch weiter und macht gar psychoanalytische Deutungsmuster selbst zum Mittel seiner Subversion des zeitgenössischen Diskurses über Subjektivität. Inwiefern auch Walsers kleine Prosa die für die Gattung des Feuilletonsbeitrags geltenden Regeln, insbesondere den Autoritätsgestus des schreibenden Subjekts, das dem Thema seinen Stempel aufdrückt, permanent unterläuft, wäre noch zu untersuchen“ (Utz 2002, S. 186).  Publikationsorgane, in denen Texte von Walser und von oder über Nietzsche abgedruckt worden sind, sind bspw. Die weissen Blätter: Levy 1919; Die neue Rundschau: Joёl 1903; FörsterNietzsche 1904; Overbeck 1906; Fränkel 1906; Saenger 1909; Huch 1916; Singer 1919; Bertram 1918; Die Schaubühne: Zu diesem Kriege 1914.  Insel II/1, S. 1– 2.  Insel II/1, S. 200 – 207.  Insel II/1, S. 218 – 220.  SW 13, S. 23. (ED: Sonntagsblatt des Bund, Nr. 19 (08.05.1898), S. 149, Obertitel „Lyrische Erstlinge“).  SW 13, S. 28. (ED: Wiener Rundschau, Jg. III/18 (August 1899), S. 423, Obertitel „Gedichte).  SW 13, S. 27 (unter dem Titel „Und ging“); ED: Wiener Rundschau, Jg. III/18, (August 1899), S. 422, Obertitel „Gedichte“.

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1 Einleitung

Fortsetzung Text(e) von Walser (in den Fußnoten ist der Verweis auf den Erstdruck zu finden)

Publikationsorgan (Druckbeleg)

‒ Müdigkeit ⁴¹ ‒ Und gieng ⁴²

‒ Aschenbroedel Komödie in Die Insel. Zweiter Jahrgang. Versen ⁴⁴ Viertes Quartal. Juli bis Sep‒ Sechs kleine Geschichten tember  (Von einem Dichter, Laute, Klavier, ohne Titel, ohne Titel, Der schöne Platz)⁴⁵ ‒ Schneewittchen ⁴⁶ Die Insel. Dritter Jahrgang. Erstes Quartal. Oktober bis Dezember .

Bedenkliches ⁴⁸

Die Rheinlande,  ()

Blumentage ⁵⁰

Die Neue Rundschau  () Die Neue Rundschau.  () Die Neue Rundschau,  (), und  ()

Fabelhaft ⁵² Robert Walser: Leben eines Malers ⁵⁴

Text(e) von/ über Nietzsche

(Ende Winter ) von Friedrich Nietzsche ‒ Passio Nova oder von der Leidenschaft der Redlichkeit (Titels eines unausgeführten Buches) ⁴³ ‒ Aus Friedrich Nietzsches „Umwertung der Werte“ ‒ Fragmente zur „Physiologie der Kunst“ ⁴⁷

‒ Aus Friedrich Nietzsches „Umwertung aller Werte“. ‒ Fragmente aus dem Kapitel „Die Philosophie als Decadence.“ Bildnis Friedrich Nietzsches (Beitrag)⁴⁹ Nietzsche-Briefe von Samuel Saenger. ⁵¹ Friedrich Nietzsche: Briefe aus dem Jahre  ⁵³ Leopold Ziegler: ZarathustraGlossen II ⁵⁵

 Insel II/3, S. 3 – 16.  SW 14, S. 29 – 73 (ED: Insel, Jg. II/4, Nr. 10 (Juli 1901), S. 3 – 50).  SW 2, S. 7– 14 (ED: Insel, Jg. II/4, Nr. 11 (August 1901)).  SW 5, S. 159 – 162 (ED: Insel, Jg. II/4, Nr. 12 (September 1901), S. 265 – 307).  Insel II/4, S. 241– 260.  Bedenkliches. Die Rheinlande: Vierteljahresschrift d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein. Hg. v. Wilhelm Schäfer. – 20 (1910). S. 22– 23.  Bildnis Friedrich Nietzsches (Beitrag). Ebd. S. 212– 224.  Die neue Rundschau. JG. 22. Bd. 2. 1911. S. 1175 – 1176.  Ebd. S. 1479 – 1483.  SW 15, S. 58 – 60 (ED: Die Neue Rundschau, Jg. XVIII/2, H. 11 (November 1907), S. 1405 – 1406).  Ebd. 24 (1913), S. 1367– 1390.  SW 7, S. 7– 31 (ED: Die Neue Rundschau, Jg. XXVII/1, H. 1 (Januar 1916), S. 94– 108).

Exkurs 1: Paralleldrucke

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Da die hier aufgeführten Sechs kleinen Geschichten von Robert Walser, Nietzsches Umwertung der Werte. Fragmente zur „Physiologie der Kunst“ sowie die Zarathustra-Glossen von Leopold Ziegler als Untersuchungsgegenstand sowie zur Argumentation dieser Arbeit in späteren Kapiteln als Textgrundlage hinzugezogen werden, sei an dieser Stelle betont, dass das Aufzeigen der Paralleldrucke als Hinweis auf deren Existenz verstanden wird. Sie bilden nicht die Grundlage für eine Argumentation, die auf einer vermuteten Lektüre, einer auf einem Kausalzusammenhang basierenden intertextuellen Lektüre, zumeist im Sinne von „Kontextstudien“ (Caduff 2016, S. 18), abzielt – ein Ansatz, der auch in der Nietzscheforschung angewendet wird. So argumentiert Loukidelis in seinem Kommentar zum Aphorismus 17 in JGB vorrangig mit Prätexten aus Nietzsches Bibliothek, in denen Gebrauchs- und Lesespuren eine Lektüre Nietzsches glaubhaft zu machen scheinen.⁵⁶ Dieser Ansatz ist gegenüber einer vergleichenden Lektüre abzulehnen, da er mit einigen Unschärfen einhergeht, wie sie Dirk von Petersdorff in seinem Vergleich der Ironie Nietzsches mit derjenigen der Romantiker als Einflussforschung beschrieben hat: Nicht selten verlieren sich solche grundsätzlich berechtigten Nachforschungen in einem Gewirr aus Einzelbemerkungen, die aus ihren Kontexten herausgelöst werden, bleiben auf Vermutungen angewiesen, müssen mit einkalkulieren, dass ein Autor Einflüsse unterschlägt oder dass sie ihm selber nicht bewusst sind. (von Petersdorff 2014, S. 30)

Stattdessen präferiert von Petersdorff lieber einen systematischen Ansatz⁵⁷, der auf motivische und strukturelle Ähnlichkeiten der nebeneinander gestellten Autoren und deren Texte fokussiert ist. Um einen rein poetologischen Lektüreansatz wird diese Einschätzung von Petersdorffs durch die grundlegende Methodik in Claus Zittels Dissertation erweitert, welche die „die bloße Nennung eines Quellentatbestands [als] unerheblich [einschätzt] im Vergleich zu einer Untersuchung der Art und Weise, wie ein Prätext in das Werk integriert wird, denn erst eine solche Analyse vermag entscheidende Einblicke in das poetische Verfahren des Textes selber zu eröffnen“ (Zittel 2011, S. 31).

 Ziegler 1916/1917.  Vgl.: Loukidelis 2013.  von Petersdorff 2014, S. 41.

2 Einzelanalysen 2.1 JGB 17 Die stark durch die Interpretation des Philosophen Afrikan Spir in Denken und Wirklichkeit aus dem Jahr 1873 inspirierte und beeinflusste Subjektkritik¹ hebt in JGB 17 wie folgt an: Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Thatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen zugestanden wird, – nämlich, dass ein Gedanke kommt, wenn „er“ will, und nicht wenn „ich“ will; so dass es eine F ä l s c h u n g des Thatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt „ich“ ist die Bedingung des Prädikats „denke“. Es denkt: aber dass dies „es“ gerade jenes alte berühmte „Ich“ sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor Allem keine „unmittelbare Gewissheit“. (JGB 17, KSA 5, S. 30 f.)²

 Im ersten Buch, das mit „Vorbereitung“ untertitelt ist, legt Spir die Methode seiner Philosophie derart fest, dass es darin vorrangig um die Feststellung von Tatsachen gehe: „DAS UNMITTELBAR GEGEBENE UND GEWISSE. / Als selbstverständlich setze ich es hier voraus, dass das Ziel der Philosophie, wie dasjenige einer jeden Wissenschaft, die Gewissheit ist, d. h. die richtige und mit dem Beweise ihrer Richtigkeit versehene Erkenntniss der Wirklichkeit. Ja, bei der Philosophie ist dieses noch in höherem Grade als bei anderen Wissenschaften der Fall; denn von ihr gerade erwartet man den Aufschluss darüber, wie wir überhaupt Gewissheit Erlangen und unter welchen Bedingungen dieselbe berechtigt ist. Das Streben der echten Philosophen – ich erinnere nur an Descartes, Locke, Kant – war daher ausgesprochenermassen auf die Erwerbung der Gewissheit gerichtet“ (Spir 1877, S. 27). Nikolaos Loukidelis hat in seiner Dissertation über den Aphorismus 17 aus JGB weitere Vorbilder wie Maximilian Drossbach, Paul Heinrich Widemann oder Gustav Teichmüller für die Subjektkritik Nietzsches identifiziert.  Loukidelis (2013) weist mit dem Verweis auf Stingelin (1996, S. 123, 179) nach, dass Nietzsche die Formulierung des Es denkt wohl von Lichtenberg übernommen haben muss: „In Nietzsches Exemplar sind die siebente und achte Zeile der Es-denkt-Bemerkung rot angestrichen“ (Loukidelis 2013, S. 27). Die entsprechende Passage heißt bei Lichtenberg: „Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewusst, die nicht von uns abhängen; andere, glauben wir wenigstens, hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis“ (SB II, K 76, Lichtenberg 1998, S. 23). In den Nachgelassenen Fragmenten gibt Nietzsche bei seiner Auseinandersetzung mit den Philologen eine poetologische Anweisung, wie mit studierten Prätexten – in Abgrenzung zu dem aus ihrer Sicht unfruchtbaren konventionellen philologischen Verfahren – am besten zu verfahren sei. Die Sprecherinstanz gibt an, selbst interessante Texte zu produzieren, die philologische Aufmerksamkeit erzeugen müssen: „Ich ziehe vor, etwas zu schreiben, was so gelesen zu werden verdient, wie die Philologen ihre Schriftsteller lesen, als über einem Autor zu hocken. Und überhaupt – auch das geringste Schaffen steht höher als das Reden über Geschaffnes“ (NL 1875, KSA 8, S. 123). Nach diesem Ansatz ,arbeitet‘ Nietzsche https://doi.org/10.1515/9783110639056-003

2.1 JGB 17

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Allein dieser kurze Einstieg von JGB 17 lädt geradewegs dazu ein, die hier angelegte subjektkritische Auseinandersetzung Nietzsches mit dem cartesianischen cogito-Begriff und ihren weiteren Ausführungen in JGB einer genaueren und textnahen Lektüre zu unterziehen, um aus dieser Lektüre die Grundlage für ein poetologisches Verfahren zu ziehen, zu dem die später zu analysierenden Texte Walsers Ähnlichkeiten aufweisen. Wenn Spir in Bezug auf die Frage nach ‚unmittelbar Gegebene[m] und Gewisse[m]‘ eine rein philosophische Perspektive einnimmt und von einem ‚Streben der echten Philosophen‘ nach der Richtigkeit einer ‚Gewissheit‘ spricht (Spir 1877, S. 27), so scheint Nietzsche diesem Ansatz, nämlich auf einer rein philosophischen Ebene, zu folgen. So macht es zumindest noch der Ansatz von Loukidelis (2013) Glauben, der sich mit der philosophischen Genese des subjektkritischen Ansatzes in JGB 17 (er nennt ihn Aphorismus 17) auseinandersetzt. Einen anderen Blick nimmt der von Axel Pichler und Marcus Born herausgegebene Sammelband Texturen des Denkens. Nietzsches Inszenierung der Philosophie in JGB (Born, Pichler 2013, S. 15 – 46) ein: Der Sammelband geht der Fragestellung nach, inwieweit „rhetorisch-stilistische Aspekte als gewichtige Elemente von Nietzsches Philosophieren selbst und eben nicht als dekoratives Beiwerk desselben aufgefasst werden können“ (Born, Pichler 2013, S. 30). Beispielhaft sei an dieser Stelle die konkrete Anwendung dieses Paradigmas in zwei Beiträgen skizziert: Christian Benne hat das ästhetische Potenzial des Textes belegt, indem er in seiner synästhetischen Lektüre von JGB 296 die „geschriebenen und gemalten Gedanken“ (JGB 26, KSA 5, S. 239) Nietzsches als Allusionsartistik auf Diskurse der Malerei oder Lessings Laokoon deutet. Die bei Nietzsche ubiquitären Sperrungen im Text legt Benne als akzentuierende Rhythmisierung des Textes aus, die, je nach Lesart, den Lesefluss verlangsamt oder beschleunigt.³ Die in der Einleitung des Sammelbandes sogenannte „Per-

ja auch in JGB: Vordergründig sind in dem Text die Gedanken einer Sprecherinstanz zu lesen; allerdings kann man diese in philologischer Arbeit als Meinungen anderer Autoren (wie bspw. Lichtenberg, Spirs, Kant etc.) identifizieren. Anhand des Walserschen Prosastücks Kleist in Thun hat Banki (2018) eindrucksvoll zeigen können, dass auch Robert Walser die Gedanken und Meinungen, ja sogar die ursprüngliche Ausdrucksweise anderer Autoren adaptiert: „Das Besondere der Porträterzählung liegt also darin, dass nicht etwa Walser Kleists Sprache imitiert, sondern umgekehrt der walsersche Kleist walsersche Ausdrucksweisen annimmt“ (Banki 2018, S. 109). Eine plausible Verortung der Subjektproblematisierung bei Nietzsche in die zeitgenössische Debatte über das Ich und die Seele in Psychologie, Philosophie und Psychophysik als mögliche Grundlage für praktische und moralische Handlungsimplikationen gibt Gori (2015).  Rhythmus: „Nietzsches Prosa zielt weniger stark auf Rhythmisierung durch Akzentuierung, wie es im Deutschen ja fast gar nicht anders geht, sondern zusätzlich durch markierte Pausen, langsamer und schneller zu lesende Passagen. Die Hervorhebungen (Sperrungen) sind mögli-

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2 Einzelanalysen

spektivierungstechnik“ (Born, Pichler 2013, S. 34) wird von Corinna Schubert anhand des Wanderer-Motivs und der Masken-Problematik in ihrer Lektüre von JGB 278 analysiert: Sie kommt zu dem Schluss, dass die von ihr gestellte Frage Wer bist du? nicht beantwortet werden kann, da in JGB 278 konsequent die unterschiedlichen Erzählebenen durchkreuzt werden und in der Folge die Wandererfigur sich nicht endgültig „fest-stellen“ lässt (Schubert 2013, S. 302). Übertragen auf den Vergleich von Nietzsches und Walsers Texten hieße dies, die rhetorisch-stilistischen Aspekte nicht allein als Element von Nietzsches Philosophieren zu betrachten, sondern sie als Grundlage eines poetologischen Modells in Nietzsches Text zu bestimmen. Durch textnahe Lektüre wird eine erweiternde Betrachtung von JGB zu der in dem von Pichler und Born herausgegebenen Sammelband entwickelten Ansatz gegeben werden. Nähert man sich JGB 16 und 17 über die von Pichler und Born gestellte Frage nach den rhetorisch-stilistischen Aspekten, so steht im Kontext dieser Arbeit die Überschreitung von narrativen Ebenen und die Vermischung von Erzählerinstanzen im Fokus. Und: Wer beherrscht als Sprecherinstanz oder als „Regent“, wie diese in Analogie zu Nietzsches nachgelassenen Fragmenten bezeichnet werden kann (NL KSA 11, 40[21], S. 638), den Text und seine Erzählebenen? Die Sprecherinstanz in JGB 17 scheint – ähnlich eines Gelehrten – über die philosophischen Positionen der Logiker zu dozieren und dabei die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es „‚unmittelbare Gewissheit[en]‘“ nach dem Ansatz der Logiker nicht geben kann. Die „‚unmittelbaren Gewissheiten‘“ sind wie in einer wissenschaftlichen Abhandlung in Anführungszeichen gesetzt, was auf den ersten Blick die Vermutung nahelegt, dass es sich um ein standesgemäßes, wissenschaftliches Zitat handeln könnte (JGB 17, KSA 5, S. 31). Über den Urheber des Zitats gibt im Ansatz JGB 16 Aufschluss, wo die Sprecherinstanz als Beispiel für solche „harmlose[n] Selbst-Beobachter“, welche unmittelbare Gewissheiten vertreten, Schopenhauer anführt (JGB 16, KSA 5, S. 29). Jene argumentieren, „als ob hier das Erkennen rein und nackt seinen Gegenstand zu fassen bekäme“ und so „‚unmittelbare Gewissheiten‘“ produziert würden. Nikolaos Loukidelis (2010) hat in seiner Studie zum Aphorismus 17 in akribischer Arbeit die Spuren zu weiteren von Nietzsche verklausuliert angedeuteten „Logiker[n]“ (JGB 17, KSA 5, S. 31) und deren Überlegungen unter anderem zum Subjektbegriff identifiziert und so zeigen können, dass sich Nietzsche in aller Regel nicht über die Originaltexte, sondern über die Sekundärliteratur seiner Zeit mit den Überlegungen von Descartes, Teichmüller, Kant, Spir und anderen auseinandergesetzt hat. Loukidelis

cherweise langsamer, nicht dynamischer zu lesen. Die Verwendung der Satzzeichen folgt nicht nur grammatischen, sondern auch rhythmischen Gesetzen“ (Benne 2013, S. 311).

2.1 JGB 17

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liefert so eine souveräne „Darstellung von Nietzsches Auseinandersetzung mit der europäischen Denktradition“ (Yhee 2015, S. 276). Die Schwäche von Loukidelis’ Ansatz in Bezug auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist jedoch, dass er die Verbindungen zu den Prätexten von JGB fast ausschließlich über Gebrauchs- und Lesespuren in Textausgaben aus Nietzsches Bibliothek nachweist. Damit entgeht ihm die Möglichkeit, Beziehungen zwischen Nietzsche und Autoren aufzuzeigen, deren Kenntnisnahme durch Nietzsche auf den ersten Blick nicht auf der Hand liegt. Die in JGB namentlich genannten „Selbst-Beobachter“ (wie Schopenhauer) sind somit in der Minderheit, die Diskurse der von Loukidelis genannten Philosophen schwingen in Nietzsches „Allusionsartistik“ (Benne 2013) über die von Nietzsche rezipierten Sekundärtexte immer mit, ohne dass sie von der Sprecherinstanz explizit erwähnt werden. Die Anführungszeichen liefern Indizien für das wissenschaftliche Arbeiten der Sprecherinstanz und verleihen dieser und ihrem Text somit, auf den ersten Blick, den Anschein von Glaubwürdigkeit. Dies ist jedoch aus zweierlei Gründen anzuzweifeln, da in JGB die Anführungszeichen nicht allein für das wissenschaftliche Zitieren eingesetzt werden: 1. verwendet Nietzsche die Anführungszeichen z. B. in JGB 27, um bestimmte Sachverhalte zu ironisieren. Hier sind es „,die guten Freunde‘“ (JGB 27, KSA 5, S. 45), welche die Sprecherinstanz mit den Anführungszeichen in Bezug auf eine gelungene Kommunikation ironisiert: Entweder „‚die guten Freunde‘“ akzeptieren ihre Stellung auf dem „Spielraum und Tummelplatz des Missverständnisses“ oder sie seien ganz abzuschaffen (JGB 27, KSA 5, S. 46). Die Sprecherinstanz legt es demnach also gar nicht darauf an, verstanden zu werden, und führt dies auf die ihr eigene Art und Gangart des Denkens zurück, die sie von den Meisten unterscheidet. 2. verwendet Nietzsches Sprecherinstanz Anführungszeichen für eine fiktive direkte Rede eines an dieser Stelle nicht näher definierten Philosophen: „Mag das Volk glauben, dass Erkennen ein zu Ende-Kennen sei, der Philosoph muss sich sagen: ,wenn ich den Vorgang zerlege, der in dem Satz ,ich denke‘ ausgedrückt ist, so bekomme ich eine Reihe von verwegenen Behauptungen […]“ (JGB 16, KSA 5, S. 29 f.). Die fiktive Figur des Philosophen erhält seine Definition zunächst ex negativo in der Gegenüberstellung zu den „harmlosen Selbst-Beobachtern“ und den „Logikern“ die in abwertender Weise mit dem „Volk“ gleichgesetzt werden, das, wie man vermuten muss, über keine akademische Bildung verfügt. Auf die positive und vermeintlich eindeutige Definition der in JGB fiktiven Figur des Philosophen und ihr Verhältnis zur Sprecherinstanz wird gleich eingegangen werden.

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2 Einzelanalysen

Zunächst muss festgehalten werden, dass der Einsatz der Anführungszeichen – oder „Gänsefüßchen“ (NL, 1885, KSA 11, S. 580) – bei Nietzsche stets eine Bedeutung hat und jenen in der Forschungsliteratur unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden, ja sogar eine „Philosophie der ,Gänsefüsschen‘“ postuliert werden kann (Heftrich 1962, S. 51): So können sie eine Sinnverschiebung⁴, eine „dekonstruierende Ironie“ (Wachendorff 1998, S. 109), eine „sprachphilosophische Konsequenz“⁵ auslösen oder „Irritation gewohnter Rezeptionsprozesse“ bewirken, indem sie in letzterer Funktion als „Performationszeichen“ (Pichler 2014, S. 59) gedeutet werden.⁶ Folglich können die Anführungszeichen der zitierten Textabschnitte zumindest dreierlei Bedeutungsebenen markieren: 1. Die Andeutung einer wissenschaftlichen Zitation („‚unmittelbare Gewissheiten‘“), die Ironisierung (wie bei den „‚guten Freunde[n]‘“) sowie die Rede einer fiktiven Figur (der Philosoph hätte auf diese oder jene Weise zu denken).  „In allen Funktionen wirken Gänsefüßchen distanzierend und modalisierend, aber, indem sie unterschiedliche Kontexte zusammenführen, auch kontextualisierend. So erzwingen sie kontextuelle Interpretationen. Sie zeigen ein reflektiertes Verhältnis zur Sprache an, sei es eine Sprachnot, wenn man gerade keinen passenderen Ausdruck hat, sei es eine Verlegenheit, wenn man von etwas reden muss, von dem man eigentlich nicht reden will, sei es eine Überlegenheit, wenn man einen von andern gebrauchten Ausdruck vorführen will, um sie zu kompromittieren, sei es ein fröhliches Spiel mit der Sprache, wenn man der gewohnten Ausdrucksweise überdrüssig ist“ (Stegmaier 2012a, S. 291). Vgl. auch Stegmaier 2012b, S. 27. In der Forschungsliteratur gibt es neben Stegmaier und Wachendorff erstaunlicherweise ein Spektrum der Interpretation der Anführungszeichen, die das ästhetische Potenzial der „Gänsefüßchen“ (NL 1885, KSA 11, S. 580) jedoch vollkommen zu vernachlässigend scheint. Georg Picht erkennt in den Anführungszeichen bei Nietzsche lediglich ein Selbstzitat (Picht 1988, S. 130); Müller-Lauter beobachtet zwar, „daß Nietzsche an zwei von mir zitierten Stellen den Plural in Anführungszeichen setzt, während der Singular nicht in ihnen steht“, bleibt jedoch bei dieser Beobachtung stehen, ohne dabei das ästhetische Potenzial der Gänsefüßchen bei Nietzsche zu erkennen, das sich durch die z. B. von Stegmaier aufgezeigten Bandbreite der Bedeutung erschließt (Müller-Lauter 1999, S. 93). Editionsphilologisch hat Wolfram Groddeck den Gänsefüßchen bei den Dionysos-Dithyramben Aufmerksamkeit geschenkt (Groddeck 1991, S. 5, S. 365, S. 371).  „Der Befund, dass Nietzsche die ,Gänsefüßchen‘ ihrerseits durch Gänsefüßchen markiert […], führt zwei sprachphilosophische Konsequenzen mit sich, die sich wie die zwei Seiten ein und derselben Linse ausnehmen. Zum einen wird dem sprachtheoretischen Konzept eine Absage erteilt, das auf die Differenz von sprachlicher ,Eigen-‚ und ,Uneigentlichkeit‘ abstellt. Zum andern, im Gleich- und doch im Gegenzug, wird ersichtlich, dass über Übertragen nur im Modus des Übertragens gesprochen werden kann“ (Bourquin 2009, S. 192).  Bemerkenswerterweise scheinen bei Walser die Anführungszeichen, die Walser nicht oder nur sehr selten verwendet, quasi in absentia bei der Lektüre mitgehört: „Peter Utz weist darauf hin, dass Walser ganz ausdrücklich einen ,Jetztzeitstil‘ propagiert und sich damit ein ,Zeit- und Modewort, das von der konservativen Sprach- und Kulturkritik negativ besetzt ist‘, positiv aneignet, jedoch so, ,daß man die zitierenden und distanzierenden Anführungszeichen mithören kann‘“ (Gisi 2015, S. 69; Vgl. Utz 1998, S. 16 f).

2.1 JGB 17

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Schon allein diese Ambiguität der orthographischen Markierung durch die Anführungszeichen muss in Bezug auf die vermeintlich wissenschaftliche Zitation irritierend wirken, da jene deren Inhalte gleichsam ironisieren, werden doch die Autoren dieser Zitate als „harmlose Selbstbeobachter“ eingeführt (JGB 16, KSA 5, S. 29). Wären die Selbstbeobachter tatsächlich harmlos und hätten ihre Gedanken zu einer, wie auch immer gearteten, unmittelbaren Gewissheit kein schlagkräftiges Potenzial, dann dürfte sich die Sprecherinstanz eigentlich nicht mit diesen Gedanken beschäftigen – sie wären harmlos und nicht der Betrachtung wert. Und doch beschäftigt sich die Sprecherinstanz mit ihnen. Auch werden die „SelbstBeobachter“ durch die Sprecherinstanz mit dem „Volk“ gleichgesetzt, was ihrer Arbeits- und Denkweise die wissenschaftliche Seriosität entzieht, die in JGB 16 und 17 durch die scheinbar wissenschaftliche Zitationsweise simuliert wird. Es muss an dieser Stelle offen bleiben, ob die Zitate philologisch ernst gemeint sind oder ob die zitierten Inhalte durch die Markierung der Anführungszeichen bereits ironisiert und damit verharmlost werden – ähnlich wie dies mit den „,guten Freunden‘“ geschieht (JGB 27, KSA 5, S. 45). Verstärkt wird diese Ungewissheit bei der genaueren Betrachtung der Sprecherinstanz in ihrem Verhältnis zu der fiktiven Figur des Philosophen, die ein ideales Denken zu verkörpern scheint. Die Figur wird durch ihre intradiegetische Rede in Opposition zu den „Selbst-Beobachtern“ gebracht, in einem ersten Hauptstück, das selbst „von den Vorurtheilen der Philosophen“ handelt. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Philosophen ist an dieser Stelle herausfordernd, da der die Rede einleitende Satz nicht im Konjunktiv steht, der Philosoph müsste sich sagen, sondern im Indikativ: „der Philosoph muss sich sagen“ – woher kann die Sprecherinstanz diese „,unmittelbare Gewissheit‘“ nehmen? Gerade der archimedische Punkt der Erkenntnis, der ja vehement durch die Sprecherinstanz in Frage gestellt wird – genannt sei die Ablehnung der unhinterfragten Aussage „ich denke“, die Ablehnung der unbedingten grammatischen Bedingtheit von Prädikat und Objekt sowie die Ablehnung der „ältere[n] Atomistik“ (JGB 17, KSA 5, S. 31), die nach der unteilbaren Ursprungseinheit sucht und aus dieser wiederum eine Kausallogik ableiten möchte – dieser in Frage gestellte archimedische Punkt scheint hier einen Fixpunkt der Gewissheit für den fiktiven Philosophen zu bilden. Dies ist merkwürdig, da die Sprecherinstanz zu Ende von JGB 17 auf derselben Erzählebene, auf der der fiktive Philosoph seine Rede anhebt, festhält, dass sich das „ehrliche alte Ich“ bereits in „jenes kleine ,es“‘ verflüchtigt hat (JGB 17, KSA 5, S. 31).⁷

 Im fünften Abschnitt von „Die ‚Vernunft‘ in der Philosophie“ in der Götzendämmerung beschreibt Nietzsche diesen Glauben an die grammatische Bedingtheit von Prädikat und Objekt wie

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2 Einzelanalysen

Eine solche Ungereimtheit zeigt sich in JGB bereits in der Vorrede. So beginnt die Sprecherinstanz dort in der ersten Person Plural (was in der Fragekaskade des ersten Aphorismus beibehalten wird), wechselt in JGB 16 auf die neutralere Ebene der dritten Person (nur in der Rede des fiktiven Philosophen taucht eine Sprecherinstanz in der ersten Person Singular auf), um in JGB 17 wieder in die erste Person Singular zu wechseln. Diese verschiedenen Instanzen scheinen jedoch identisch zu sein, da sie sich durchgängig von den „Vorurtheilen der Philosophen“ abzugrenzen versuchen und sich dabei zum einen mit der Position des fiktiven Philosophen in JGB 16 zu identifizieren scheinen sowie zum anderen mit den „freien, s e h r freien Geister[n]“, die in der Vorrede durch die erste Person Plural eingeführt werden (JGB Vorrede, KSA 5, S. 13). Prekär an den freien Geistern jedoch ist, dass diese von Nietzsche in MA I als eine Erfindung entlarvt werden. Die Sprecherinstanz berichtet dort in der nachträglich verfassten Vorrede in einer Selbstbeobachtung oder einer Art Selbstgeständnis: – So habe ich denn einstmals, als ich es nöthig hatte, mir auch die „freien Geister“ erfunden, denen dieses schwermüthig-muthige Buch mit dem Titel „Menschliches, Allzumenschliches“ gewidmet ist: dergleichen „freie Geister“ giebt es nicht, gab es nicht, – aber ich hatte sie damals, wie gesagt, zur Gesellschaft nöthig, um guter Dinge zu bleiben inmitten schlimmer Dinge (Krankheit, Vereinsamung, Fremde, Acedia, Unthätigkeit): als tapfere Gesellen und Gespenster, mit denen man schwätzt und lacht, wenn man Lust hat zu schwätzen und zu lachen, und die man zum Teufel schickt, wenn sie langweilig werden, – als ein Schadenersatz für mangelnde Freunde. (MA I, Vorrede 2, KSA 2, S. 15)⁸

folgt: „D a s [Bewusstsein, B.S.] sieht überall Thäter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache überhaupt; das glaubt an′s ,Ich‘, an’s Ich als Sein, an’s Ich als Substanz und p r o j i c i r t den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge – es s c h a f f t erst damit den Begriff ,Ding‘ … Das Sein wird überall als Ursache hineingedacht, u n t e r g e s c h o b e n ; aus der Conception ,Ich‘ folgt erst, als abgeleitet, der Begriff ,Sein‘…“; GD Vernunft 5, KSA 6, S. 77. Zum Bemühen der ‚Setzung des Ich‘ vgl. Pichler 2014, S. 242.  Die Geister tauchen im Epilog der Fröhlichen Wissenschaft ebenfalls auf, doch an dieser Stelle kommen sie aus dem Buch, das die Sprecherinstanz als sein eigenes bezeichnet und unterbrechen die Situation durch „das boshafteste, munterste, koboldigste Lachen […]“: „[D]ie Geister meines Buches selber fallen über mich her, ziehn mich an den Ohren und rufen mich zur Ordnung. ,Wir halten es nicht mehr aus – rufen sie mir zu –; fort, fort mit dieser rabenschwarzen Musik. Ist es nicht rings heller Vormittag um uns? Gab es je eine bessere Stunde, um fröhlich zu sein?“, (FW, KSA 3, S. 637). Von Petersdorff interpretiert die Verbindung von Ernst und Lachen an dieser Stelle als Ironie, da eine Aufforderung stattfindet, verschiedene Perspektiven mit einander zu verbinden; von Petersdorff 2014, S. 29. Auch im Zuge der Abrechnung mit dem Berufsstand der Philologen in den nachgelassenen Fragmenten sind die freien Geister nicht real, sondern werden im Konjunktiv für ein Gedankenspiel heraufbeschworen, das die personifizierte Bildung als Ergebnis der (schlechten) Arbeit der Philologen zur Selbstrechtfertigung vor ein ebenfalls fiktivem Tribunal führt: „Nehmen wir einmal an, es gäbe freiere und überlegenere Geister, welche mit der Bildung,

2.1 JGB 17

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Die „freien Geister“ werden hier in MA I nicht nur als eine Fiktion einer Sprecherinstanz (in diesem Fall erste Person Singular) entlarvt – sie sind erfunden und nicht real –, sondern sie werden ebenso durch den Vergleich mit Gespenstern als etwas Unheimliches charakterisiert.⁹ Es sind nicht intellektuelle Menschen, die man als intellektuelle oder helle Geister bezeichnen könnte, sondern eben Untote, die jedoch – so versichert die Sprecherinstanz hier jedenfalls – nach Lust und Laune gerufen und auch wieder zum Teufel geschickt werden können; evtl. aus der der Logik widersprechenden Tatsache, dass es sie nicht gibt und nicht gab.¹⁰ Aus diesem Befund leitet Heidemarie Oehm dementsprechend nachvollziehbar ab, dass das „Vollzugssubjekt der nihilistischen Bewegung der ,freie Geist‘ [ist] […], der dem Imperativ der Abschaffung der ,wahren‘ Welt und des Wahrheitsbegriffs selbst verpflichtet ist“ (Oehm 1993, S. 92).¹¹ Oehm führt diesen Gedanken weiter fort, indem sie den „freien Geist“ in ihrer Lektüre von Der Schatten (Z IV Schatten)¹² als einen sich entwickelnden, gleichsam als eine

die jetzt im Schwange geht, unzufrieden wären und sie vor ihren Gerichtshof führten: wie würde die Angeklagte zu ihnen reden?“, (NL, 1875, KSA 8, S. 125).  Der wirtschaftliche Untergang der Figur Toblers wird in Der Gehülfe u. a. folgendermaßen dargestellt: „Etwas Gespenstisches schien sich um das schöne Haus Tobler aufzuhalten […]“ (KWA I/3, S. 198).  Dellinger beschreibt in Bezug auf die Figur des Priesters unter dem Aspekt der Perspektivenverschiebungen im Umfeld von GM III 12 eine ähnliche Widersprüchlichkeit und Bedeutungsoffenheit: „Festhalten lässt sich also erstens, dass im 13. Abschnitt hinsichtlich der Beurteilung der Figur des asketischen Priesters eine Perspektivenumkehrung vollzogen sowie begrifflich deutlich und auf der Diktion klar an den 12. Abschnitt anschließende Weise markiert wird. Zweitens ist zu unterstreichen, dass mit dem im 13. Abschnitt vom Sprecher erhobenen Anspruch, eine die Sache nicht ,an sich‘ bezeichnende ,Auslegung‘ und ,Zurechtmachung‘, d. h. eine Interpretation, durch den ,Thatbestand‘, d. h. das ohne Interpretation Feststellbare, zu korrigieren und damit, so jedenfalls die Suggestion, eine ,Lücke der menschlichen Erkenntnis‘ zu schließen, ganz offenbar wieder ein anderes, nämlich sehr viel traditionelleres Objektivitätsverständnis an den Tag gelegt zu werden scheint als das im 12. Abschnitt proklamierte. Der Sprecher scheint hier keineswegs die andere Interpretationsperspektive und deren Verschiedenheit als Bereicherung anzunehmen, sondern diffamiert sie ganz offen als ,Unsinn‘ und stellt seine eigene Perspektive nicht als gleichberechtigte Alternative, sondern als epistemisch überlegene Korrektur dagegen“ (Dellinger 2017, S. 59 f).  „Der Nihilismus des ,freien Geistes‘, der die Welt von der Platonischen Ideensonne losgekettet hat und nun in der auf sich selbst bezogenen Reflexionsstruktur unendlicher Negativität wesenslos versinkt, endet im Zerfall des Individuums und seiner Welt, das sich der existentiellen Grundstimmung der Desorientiertheit, der Melancholie, der Indifferenz, des taedium vitae und der Verzweiflung überläßt“ (Oehm 1993, S. 92 f).  „Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unsteter Wille; Flatter-Flügel, ein zerbrochenes Rückgrat. / Das Suchen nach m e i n e m Heim: o Zarathustra, weißt du wohl, dies Suchen war m e i n e Heimsuchung, es frißt mich auf. / ,Wo ist – m e i n Heim?‘ Danach frage und

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2 Einzelanalysen

Kippfigur, interpretiert: „Das geistige Abenteurertum, die Selbstmächtigkeit, die unbegrenzte Neugier und der Wagemut des ,freien Geistes‘ schlagen um in die Klage um die verlorene Lebenssicherheit und Lebenseinheit und um den erlittenen Wirklichkeitsverlust“ (Oehm 1993, S. 93). Vor dem Hintergrund der nihilistischen Deutung des freien Geistes an sich sowie dessen fiktiven Charakters schlagen die von Oehm anfänglich genannten positiven Attribute, die dem freien Geist zugeschrieben werden, um in einen negativen, verneinenden Gestus. Übertragen auf die Textstellen in JGB bedeutet dies, dass der freie Geist hier für ein ironisierendes Prinzip steht, das alles Gesagte – gleich den ‚Gänsefüßchen‘ – in einen Schwebezustand der Sinnverschiebung sowie in eine Irritation gewohnter Denk- und ästhetischer Formprozesse bis hin zur Aufhebung derselben drängt. Diese nihilistische Deutung des freien Geistes ist über einen erkenntniskritischen Ansatz bereits in Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne angelegt, da dort das Erkennen an sich bereits im einleitenden Satz als Erfindung gekennzeichnet ist: „In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden“ (WL, KSA 1, S. 875).¹³ Ein diese radikale Deutung unterstreichendes druckgraphisches Indiz ist die übertriebene Steigerung „freie, s e h r freie Geister“ in der Vorrede zu JGB, die anzeigt, dass dieser Begriff „erfunden“ ist (JGB Vorrede, KSA 5, S. 13) und auch einen möglichen intertextuellen Verweis auf die eigene Schrift MA darstellen kann, welche im Veröffentlichungsjahr von JGB mit der nachträglichen Vorrede versehen worden ist. Der Sperrdruck des Wortes „s e h r “ – Christian Benne (2013) liest ihn als Element der Rhythmisierung – ist ein Argument für die Lesart, dass es sich um Ironie durch Übertreibung handelt: der Leser muss hier das Adjektiv „sehr“ durch die Längung überdeutlich betonen. Schon mit diesem Befund muss man Claus Zittels (2014) und Jakob Dellingers (2015, S. 376) mahnendem Rat über die Vorrede in MA I folgen, dass diese nicht als Lehrmeinung Nietzsches gelesen werden soll.¹⁴ Die Skepsis des Lesers gegenüber dem Verdacht einer Lehrmeinung des Autors Nietzsche oder dessen Alter Egos sollte noch weiter verstärkt werden

suche und suchte ich, das fand ich nicht O ewiges Überall, o ewiges Nirgendwo, o ewiges – Umsonst!“, (Z IV Schatten, KSA 4, S. 340 f).  Zwar werden die einleitenden Sätze durch die Sprecherinstanz als eine „Fabel“ und somit als eine fiktive Textsorte identifiziert, die wiederum von „Jemand“ erfunden worden sein könnte. Doch die Kritik in WL zielt ja unter der Betrachtung des Verhältnisses von Metaphern und Begriffen genau auf die Unmöglichkeit der Erlangung von Erkenntnis.  Vgl. auch schon Heftrich, der strikt vor einer biografischen Lesart warnt, wenn er über die von ihm sogenannten „Wahnsinnszettel“ Nietzsches mahnt: „die progressive Paralyse interessiert hier nicht“ (Heftrich 1962, S. 8, S. 10).

2.1 JGB 17

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durch die Vermischung der narrativen Ebenen in der unklaren Abgrenzung zwischen der Sprecherinstanz im Singular (Ich) und im Plural (Wir) sowie dem fiktiven Philosophen, die sich miteinander zu identifizieren scheinen. Die bereits angesprochene Fragekaskade der Sprecherinstanz in JGB 1 lässt alle Hoffnung auf einen archimedischen Punkt der Erkenntnis, wie es ihn in JGB 16 zu geben scheint, ins Leere laufen: Wird hier fragend formuliert „Wer ist das eigentlich, der uns hier Fragen stellt? Was in uns will eigentlich ,zur Wahrheit‘?‘“ oder „Wer von uns ist hier Ödipus? Wer Sphinx?“ (JGB 1, KSA 5, S. 15), so ist nicht eindeutig, wer der Fragende ist und wer der Befragte, wer das Subjekt der Handlung und wer das Objekt der Handlung ist.¹⁵ Aufschluss über den Wahrheitsbegriff gibt auch die folgende Passage aus den nachgelassenen Fragmenten, in der die Möglichkeit der perspektivischen Offenheit auch in Bezug auf Subjekt und Objekt verdeutlicht wird: „Wahrheit“: das bezeichnet innerhalb meiner Denkweise nicht nothwendig einen Gegensatz um Irrthum, sondern in den grundsätzlichsten Fällen nur eine Stellung verschiedener Irrthümer zu einander: etwa, daß der eine älter, tiefer als der andere ist, vielleicht sogar unausrottbar, insofern ein organisches Wesen unserer Art nicht ohne ihn leben könnte; während andere Irrthümer uns nicht dergestalt als Lebensbedingungen tyrannisiren, vielmehr, gemessen an solchen „Tyrannen“, beseitigt und „widerlegt“ werden können. Eine Annahme, die unwiderlegbar ist, – warum sollte sie deßhalb schon w a h r sein? (NL 1885, KSA 11, S. 598)

 Wie Pichler (2012, S. 311) gezeigt hat, treibt Nietzsche die Frage nach dem eigentlichen Subjekt und Objekt eines Textes noch weiter, wenn er in der nachträglichen Vorrede von MA I durch Formulierungen wie „Es ist mir […] ausgedrückt worden, dass […]“, „man hat mir gesagt“ oder „Man hat meine Schriften […] genannt“ als profilierte „nachträglich[e] Selbstcharakterisierung qua vermeintlich[e] Fremdcharakterisierung“ inszeniert. Der kritische Umgang mit dem Ich-Begriff wird in GD 1889 wieder aufgenommen: „Die Sprache gehört ihrer Entstehung nach in die Zeit der rudimentärsten Form von Psychologie: wie kommen ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Ve r n u n f t , zum Bewusstsein bringen. Das sieht überall Thäter und Thun: das glaubt an Willen als Ursache überhaupt; das glaubt an′s ,Ich‘, an’s Ich als Sein, an’s Ich als Substanz und p r o j i c i r t den Glauben an die Ich-Substanz auf alle Dinge – es s c h a f f t erst damit den Begriff ,Ding‘ … Das Sein wird überall als Ursache hineingedacht, u n t e r g e s c h o b e n ; aus der Conception ,Ich‘ folgt erst, als abgeleitet, der Begriff ,Sein‘ […]“ (GD Vernunft, KSA 6, S. 77). Vgl. zur Sphinx auch Blondel: „Wenn es, wie das Vorwort von Jenseits von Gut und Böse angibt, zutrifft, daß die Wahrheit etwas mit der Geschlechtlichkeit zu tun hat, Ve r k e h r mit ihr hat, erweist sich der [logos, im Orig. griech.] als das untergeschobene Kind der Wahrheit als Geschlechtlichkeit, das aus einer Ve r s c h i e b u n g […] hervorgegangene m e t a – p h o r i s c h e Kind. Und die Wahrheit der Geschlechtlichkeit kann nur metaphorisch, durch eine Verstellung oder eine Entstellung gesagt werden, durch Antworten, die im Verhältnis zum Subjekt der Untersuchung und der Fragen selbst entstellt sind“ (Blondel 1975, S. 189).

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2 Einzelanalysen

Nicht umsonst wählt Nietzsche an dieser Stelle von JGB den Mythos des Ödipus, um mit dessen Personal die Unauflösbarkeit dieses Fragekomplexes zu illustrieren. Die Frage der Sphinx ist immer eine existenzielle, denn wer ihre Frage falsch beantwortet, wird von ihr gefressen. Ödipus kann die ihm gestellte Frage zwar beantworten und bekommt als Belohnung für die Befreiung Thebens von der Sphinx Iokaste zur Gemahlin. Bekanntermaßen ist diese jedoch seine eigene Mutter. Ödipus kann somit zwar die Frage der Sphinx beantworten, jedoch nicht die Fragen nach seiner eigenen Existenz, was ihm schließlich der Seher Teiresias in der Tragödie König Ödipus von Sophokles vorwirft: „Du schaust umher und siehst nicht, wo du stehst im Üblen, / Nicht, wo du wohnst, und nicht, mit wem du lebst – / Weißt du, von wem du bist?“ (Sophokles 1963, S. 155). Wenn die Sprecherinstanz an dieser Stelle selbst mutmaßt, dass es sich um ein „Stelldichein, […] von Fragen und Fragezeichen“ (JGB 1, KSA 5, S. 15) zu handeln scheint, so ist nicht eindeutig, ob sie damit die intradiegetische Beschäftigung mit der Frage nach der Wahrheit der vorurteilsbeladenen Philosophen meint oder ob die Sprecherinstanz eine poetologische Analyse von JGB 1 selbst vorführt, in der sich die Fragen und Fragezeichen anhäufen. Sicher kann man nur sagen, dass ein „Stelldichein“ im deutschen Sprachgebrauch ein verabredetes und nicht beliebiges Zusammentreffen meist in romantischem Kontext meint.¹⁶ Ergo würde an dieser Stelle die Autorinstanz ihre Sprecherinstanz im Text (erste Person Plural) die ästhetische Verfahrensweise ihres eigenen Texts erläutern lassen und in einer Metalepse die Ebenen zwischen Autor, Text sowie dessen Sprecherinstanzen verwischen.

Zusammenfassung der poetologischen Merkmale als Grundlage für den Vergleich Aufgrund der Analyse lassen sich folgende poetologische Merkmale festhalten, die im Speziellen JGB 16 und 17 auszeichnen, und die eine Grundlage für Vergleich mit den Texten Walsers liefern, die im weiteren Verlauf der Arbeit mit diesen einer textnahen Analyse unterzogen werden. Dabei ist als einleitende Bemerkung festzuhalten, dass die Provokation von Missverständnissen als grundlegendes Kalkül der Textperformanz gesehen werden muss. Das poetologische Verfahren in JGB wird nach diesem Ansatz als daraufhin ausgelegt verstanden, irritierende Signale und bewusste Irreführungen so zu formulieren und

 „Stelldichein, als verdeutschung [sic!] für französ. rendez-vous vonn Campe vorgeschlagen, s. sein wb. Zur … verdeutschung“; Stelldichein (1941).

Zusammenfassung der poetologischen Merkmale als Grundlage für den Vergleich

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zu platzieren, dass kalkuliert Missverständnisse bei der Rezeption des Textes hervorgerufen werden. Diese Merkmale bedingen sich gegenseitig und bauen zum Teil aufeinander auf: 1) Vermischung von Erzählerinstanzen: Nietzsches Text zeichnet sich durch eine unklare Abgrenzung zwischen der Sprecherinstanz im Singular (Ich), im Plural (Wir) sowie dem fiktiven Philosophen aus. Dies verdeutlicht in praxi die für diese Arbeit grundlegende Frage Wer spricht? und zeitigt in der Folge eine ebenso unklare Abgrenzung zwischen Subjekt und Objekt im Sinne der Subjektkritik, die von Nietzsche anhand einer von ihm so genannten „Subjekts-Vielheit“ diskutiert wird (JGB 12, KSA 5, S. 27). Die jeweilige Sprecherinstanz muss auf diese Weise als unzuverlässig gelten. 2) Durchkreuzung der narrativen Ebenen (Metalepsen): Dieser Befund beruht in gleichem Maße sowohl auf der unter 1) genannten Feststellung, dass die Sprecherinstanzen nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen sind, wie er diese verstärkt: Die Sprecherinstanzen vertreten zum Teil wechselseitig die Meinung der jeweils anderen und begeben sich dadurch auch auf eine andere narrative Ebene des Textes. Bei dem „Stelldichein […] von Fragen und Fragezeichen“ ist zudem nicht deutlich, ob es sich um eine Kommentierung des Textinhalts oder um seine poetologische Praxis selbst handelt. 3) Aufschieben von Bedeutungsfestschreibungen Wenn der von Spirs adaptierte philosophische Begriff „Gewissheiten“ in den Kontext der „Philosophen“ und den „freien Geistern“ gesetzt wird, die ihrerseits durch die aufgezeigte Textpraxis ironisiert werden, so wird die Bedeutungsfestschreibung für den Begriff „Gewissheit“ aufgeschoben und eine – in diesem Fall doppelte – perspektivische Offenheit geschaffen: Zum einen wird das Wort „Gewissheit“ als Begriff an sich in Frage gestellt, zum anderen aber auch seine inhaltliche Wortbedeutung, denn als „gewiss“ kann im Text JGB durch dessen poetologisches Verfahren nichts gelten. So werden bei bereits vermeintlich festgeschriebenen Bedeutungen Ambiguitäten geschaffen, deren Deutungshorizont bis in das nihilistische Spektrum hineinreicht.

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2 Einzelanalysen

2.2 Sechs kleine Geschichten Die Insel – Monatsschrift mit Buchschmuck und Illustration Neben den zu Lebzeiten in rascher Folge veröffentlichten Romanen Geschwister Tanner (1907), Der Gehülfe (1908) und Jakob von Gunten (1909) wurden die Prosastücke Walsers bis 1925 in insgesamt zwölf weiteren Buchausgaben veröffentlicht (Groddeck 2008, S. 58). Walsers Publikationsmedien sind demnach hauptsächlich – und nach 1925 ausschließlich – die Zeitungen und Zeitschriften seiner Zeit (Tageszeitschriften, Monatsreihen, Almanache, Vierteljahresschriften, Kunstblätter – wobei man anmerken muss, dass die späteren Veröffentlichungen fast ausschließlich in Tageszeitungen erfolgten). Neben der Berner Tageszeitung Der Bund, in dem auf Initiative des Chefredakteurs Joseph V. Widmann Walsers Lyrische Erstlinge (1898) und Auszüge aus Fritz Kocher’s Aufsätze sowie Ein Maler und Der Commis (1902) veröffentlicht werden, kann Robert Walser seine frühen Texte v. a. in der Zeitschrift Die Insel – Monatsschrift mit Buchschmuck und Illustration veröffentlichen.¹⁷ Insgesamt 14 Gedichte, Prosatexte und Dramolette wurden aufgrund der Empfehlung und Vermittlung von Franz Blei an die Herausgeber Otto Julius Bierbaum, Alfred Walter Heymel und Rudolf Alexander Schröder in der Zeitschrift abgedruckt, die einem wenig programmatisch oder ideologisch geprägten Anspruch folgte und lediglich Texte „von literarisch wertvollem Inhalt“ (Schöffling 1981, S. 9) zu publizieren verfolgte. Die Insel wurde in einer Gründungswelle von Zeitschriften literarischer und kultureller Art um 1900 ins Leben gerufen¹⁸, konnte sich jedoch, entgegen anderen Zeitschriftengründungen dieser Zeit – wie z. B. Der Türmer, Das literarische Echo, Die Jugend, Die Neue Rundschau – als Zeitschrift nicht lange auf dem Markt halten. Sie ging nach nur vierjähriger Publikationstätigkeit (1899 – 1902) in den Insel-Verlag über, der 1904 Fritz Kocher′s Aufsätze nach dem auszugsweisen Abdruck in Der Bund erstmals gesammelt herausbrachte. Neben Buchbesprechungen werden in der Insel Beiträge von in der Zeit noch lebenden Schriftstellern wie Heinrich Mann, August Strindberg, Frank Wedekind oder Franz Blei veröffentlicht sowie Texte von verstorbenen Autoren wie beispielsweise Oscar Wilde, Walt Whitman, Paul Verlaine, Friedrich Hölderlin oder eben auch von oder über Friedrich Nietzsche, abgedruckt. Nietzsche ist in vier Insel-Ausgaben mit den vier Titeln Aus Friedrich Nietzsches Umwertung aller Werthe. Fragmente aus dem Kapitel Die Philosophie als

 Zur Entstehung des Kontakts zur Insel vgl. Groddeck 2014, S. 41.  „Zwischen 1900 und 1902 wurden über fünfzig neue Zeitschriften gegründet“ (Schöffling 1981, S. 7).

2.2 Sechs kleine Geschichten

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Decadence (Insel III/1,6), Aus Friedrich Nietzsches Umwertung aller Werte. Fragmente zur Physiologie der Kunst (Insel III/1,6, S. 241), einem Brief an Dr. Carl Fuchs, Musikkritiker in Danzig (Insel III/1,6, S. 218) sowie Genueser Gedankengänge. Buchpläne und Aphorismen vertreten (Insel III/3, S. 3 – 16).¹⁹ Außerdem wurden in der Insel zwei Nachrufe auf Nietzsche veröffentlicht: Friedrich Nietzsche. Gestorben am 25. August 1900 sowie Was duenket Euch um Nietzsche? von Michael Georg Conrad (Insel II/1, S. 1– 2, S. 200 – 207). In jeder der Sechs kleinen Geschichten ²⁰, die in der Insel-Ausgabe vom August 1901 erstmalig abgedruckt wurden (Insel II/4, S. 217– 223), geht es im Kern um die Wirkung und die Rezeption von Kunst, die überwiegend anhand von Dichterfiguren und deren Einstellung zu den von ihnen geschaffenen Werken bzw. de-

 Dieser Text wurde den Insel-Herausgebern offensichtlich von Elisabeth Foerster-Nietzsche zur Verfügung gestellt, wie folgende Fußnote anzeigt – vermutlich wurden die übrigen NietzscheTexte in der Insel ebenfalls von E. Foerster-Nietzsche bereitgestellt. Sie genügen somit nicht den textkritischen Standards einer Kritischen Studienausgabe: „Im Herbst 1880, als mein Bruder sich auf lange Zeit nach Italien begab und ich in Deutschland zurückblieb, klagte ich ihm, wie sehr ich seine Unterhaltung entbehren würde. Er versprach mir darauf, Aufzeichnungen von den Gedanken, wie sie ihm durch den Kopf gingen, zu machen, damit ich an seinen Gedankengängen noch Anteil nehmen könnte. Zwei kleine Hefte mit den im Format dazu passenden Briefumschlägen legte ich ihm zu diesem Zweck in seine Brieftasche, die sonst noch Legitimationspapiere enthielt. Die Hefte waren später nicht mehr zu finden und mein Bruder glaubte eigentlich, er habe sie an mich abgesandt; sie waren aber mit der Brieftasche in einem alten Rock stecken geblieben, den er seiner Wirtin mit anderen Sachen zur Aufbewahrung gegeben hatte. Da mein Bruder aber niemals wieder danach gefragt hatte, so blieb der Rock bei der Wirtin in Verwahrung. Nur durch Zufall entdeckte ein junger Gelehrter 1898, dem die ehemalige Wirtin von meinem Bruder erzählt hatte, den Inhalt der Brieftasche. Da bei den aufgezeichneten Gedanken Persönliches und Unpersönliches neben einander stand – zumeist ohne sich gegenseitig zu ergänzen – so habe ich die Aphorismen nach diesen beiden Gesichtspunkten getrennt und geordnet und noch einige Aphorismen aus einem anderen Notizbuch zum besseren Verständnis eingefügt. E. FOERSTERNIETZSCHE“ (Insel II/3, S. 3).  Von einem Dichter (SW 2, S. 7– 8): Die Figur eines Dichters setzt sich mit der emotionalen Wirkung seiner Gedichte auseinander; Laute (SW 2, S. 8 – 9): Auch hier wird die emotionale Wirkung von Kunst, am Beispiel des Lautenspiels, reflektiert; Klavier (SW 2, S. 9 – 10): Diese kleine Erzählung thematisiert das erotische Verhältnis einer Klavierlehrerin mit ihrem Schüler, das über das Musikinstrument zustande kommt; 4 [ohne Titel, Sechs kleine Geschichten 4.] (SW 2, S. 10 – 11): Die vierte kleine Geschichte reflektiert die Machart und die Entstehungsbedingung von Dichtung. Die Gegenstände der Dichtung fängt der Dichter auf einem Spaziergang ein und schreibt seine Literatur ausschließlich aus der Phantasie; 5 [ohne Titel, Sechs kleine Geschichten 5.]? (SW 2, S. 11– 12): Die fünfte kleine Geschichte ist eine märchenhafte, phantasievolle Erzählung von sieben Dichtern, die sich durch einen Raum bezaubern und von ihm bannen lassen; Der schöne Platz (SW 2, S. 12– 14): Erzählt von zwei Dichtern und einer Dichterin, die mit der Sprecherinstanz zusammentreffen. Aufgrund der Redundanz der aufeinandertreffenden Dichterinstanzen, wird die Erzählung abgebrochen und endet im Nichts.

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2 Einzelanalysen

ren ästhetischen Verfahren dargestellt wird. Obwohl davon auszugehen ist, dass Walser den in der Insel-Ausgabe vom September 1901 abgedruckten Text von Nietzsche Umwertung aller Werthe. Fragmente zur Physiologie der Kunst (Insel II/4, S. 241– 260) mit hoher Wahrscheinlichkeit überhaupt oder gar vor dem Abdruck in der Insel gelesen hat, so weisen Walsers Sechs kleine Geschichten doch intradiegetisch unter (rezeptions‐)ästhetischer Fragestellung in besonderem Maße mit diesem große Ähnlichkeiten auf. Vor allem die erste der kleinen Geschichten, Von einem Dichter, wirft in stark konzentrierter Weise die Frage nach der ästhetischen Urteilsfähigkeit des Künstlers auf und führt diese zugleich poetologisch in ihrer Textperformanz vor. Von einem Dichter steht damit inhaltlich in auffälliger Nähe zur Umwertung aller Werte, in der Nietzsche die ästhetisch-wertende Unterscheidung am Beispiel des Schönen und Hässlichen unter einer physiologischen Perspektive auf die Kunst diskutiert. Neben dieser Nähe zu den Ausführungen Nietzsches in dem Inseltext Umwertung aller Werte weist Von einem Dichter einen hohen Grad an Selbstreflexivität auf, die als poetologische Handlungsanweisung die ästhetische Struktur des Textes selbst bestimmt. Diese soll im Folgenden zunächst durch ein CloseReading dargestellt werden, das sich ausschließlich auf eine Einzelanalyse jeder der acht Sätze des Textes Von einem Dichter konzentriert, um für die Exemplifikation bestimmter Verfahren bedarfsweise auf die übrigen fünf kleinen Geschichten zurückzugreifen. Die Gedankengänge Nietzsches in Umwertung aller Werte und sich daraus ableitende poetologische Umsetzungsmöglichkeiten werden an geeigneter Stelle zur Ergänzung des Lektüreverfahrens hinzugezogen, um die zwischen beiden Texten interferierenden Inhalte und Strukturen aufzuzeigen. Zusätzlich werden in Von einem Dichter bestimmte Motive und Textverfahren identifiziert, welche für spätere Walsertexte stilbildend sind und sich im Laufe der Jahre immer weiter verdichten und auch radikalisieren. Um dies zu belegen, wird in den Folgekapiteln der Analysebefund über die Sechs kleinen Geschichten in den Kontext weiterer Walsertexte gestellt, entsprechend der Chronologie der Texte um weitere Analysebefunde ergänzt und parallel dazu anhand einer vergleichenden Lektüre von einschlägigen Nietzschetexten mit den dort nachzuweisenden inhaltlichen und poetologischen Befunden, die mit den Texten Walsers interferieren, abgeglichen.

2.2 Sechs kleine Geschichten

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Von einem Dichter ²¹ Das Prosastück hebt im ersten Satz an mit der Beschreibung einer Lese- sowie einer Schreibszene, wobei die Leseszene auf dreifache Art gedeutet wird. Dabei werden verschiedene intradiegetische Ebenen des Textes sowie die empirische Lesesituation des Textes an sich adressiert: 1. Die intradiegetische Figur eines Dichters, die von einer Erzählerinstanz in der dritten Person beschrieben wird, liest als Leser die von ihm verfassten Gedichte. Durch den satzeinleitenden unbestimmten Artikel geht nicht hervor, ob es sich in der Leseszene um einen konkreten Dichter handelt oder um einen abstrakten Typus, der die Dichter allgemein bezeichnet. Die Überschrift des Prosastücks Von einem Dichter ²² legt die Vermutung nahe, dass ein konkreter Dichter gemeint sein könnte, da nicht ‚Von den Dichtern‘ gesprochen wird. Verstärkt wird diese Ambiguität durch die Tatsache, dass der in diesem Prosastück beschriebene Dichter keinen Namen führt, sowie durch den Kontext der Sechs kleinen Geschichten, in denen eine für das Märchen typische ahistorische Überzeitlichkeit herrscht, anhand derer eher von allgemeinen Typen auszugehen ist, als von konkreten Einzelfiguren. So beginnt die kleine Geschichte Nr. 4 mit der vagen Aussage: „Nun, ich besinne mich“ (Insel II/4, S. 219) und Nr. 5 mit dem für das Märchen typischen „Es war einmal ein Dichter“ (Insel II/4, S. 220).²³ 2. Zugleich wird die Leseszene dargestellt, die der empirische Leser vorführt, wenn er den Text Von einem Dichter in der Insel-Ausgabe von 1901 vor Augen hat. Auch er beugt sich über den Text, den er – auch wenn er ihn anders als der ‚Dichter‘ nicht selbst geschrieben hat – zu lesen hat. Wie sich im Laufe des Prosastücks herausstellen wird, stehen ‚Dichter‘ und Leser jedoch wiederum vor der gleichen Aufgabe, nämlich den vor sich liegenden Text zu deuten. Beiden Deutungsebenen gemein ist die Simulation einer Szene, die eine rezeptionsästhetische Situation vorbereitet, welche im Folgetext ausgeführt wird. Die Schreibszene ist dagegen eine singuläre und denkt den zurückliegenden Schreibprozess, der zur Entstehung der zwanzig Gedichte geführt hat, mit. Ob  ED: Insel II/4, Nr. 11 (August 1901), S. 217, Obertitel Sechs kleine Geschichten.  Der Titel an sich ist bereits ein Verweis auf die Poetologie – die Lehre vom Dichter –, die im Text selbst entfaltet wird, sowie intertextuell auf den Abschnitt ZII Dichtern.  Werner Wolf bezeichnet diese Einleitungsfloskeln als „textuelle Auslöser narrativer Illusion“ (Wolf: 1993, S. 89 f).

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2 Einzelanalysen

der Dichter diese Gedichte vor längerer Zeit oder erst kürzlich geschrieben hat, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, außer, dass sie ihm als „Buch“ vorliegen. Auch ist dabei nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob mit dem „Buch“ ein fertig gedrucktes Buch gemeint ist oder ein Schreibbuch, in das der Dichter handschriftlich seine „Poesien“– möglicherweise erst jüngst – niedergeschrieben hat. Unabhängig davon steht jedoch fest, dass der Dichter ein abgeschlossenes, zusammenhängendes „Werk“ vor sich liegen hat. Bei dessen Betrachtung stellt er im Folgesatz fest, „dass jedes Gedicht ein ganz besonderes Gefühl in ihm erweckt“, womit neben dem einfachen Lesen der Gedichte für alle drei Ebenen der Leseszene eine rezeptionsästhetische Situation erzeugt wird: Die beiden „Dichter“ (Insel II/4, S. 217), der möglicherweise konkrete und der abstrakte, sowie der Leser des Textes an sich, werden mit der Anforderung konfrontiert, sich ein Urteil über die jeweils vorliegenden Texte (Gedichte sowie Prosastück) machen zu müssen, die eine Emotion bei dem Dichter hervorrufen. Zieht man an dieser Stelle den intertextuellen Prätext Umwertung aller Werte von Nietzsche hinzu, so wird der Konflikt deutlich, der zwischen einem rationalen Werturteil über die Kunst und deren emotionaler Wirkung entsteht, denn nach Nietzsche enthält bereits jede ästhetische Wahrnehmung ein „U r t e i l “ (FN UaW, Insel II/4, S. 241). Die intradiegetische Figur des fiktiven Dichters tritt auf diese Art fast zwangsweise in Distanz zu ihrem eigenen Werk, um eine (nachträgliche) Reflexion des von ihr Geschaffenen zu vollführen, welche die Charakteristika einer „,eingekleideten‘ Selbstbeobachtung“ (Greven 1994, S. 14)²⁴ transportiert, wie Jochen Greven Von einem Dichter in die Reihe der selbstreflexiven und selbstbeobachtenden Texte Walsers stellt. Die reflexive Haltung der Dichterfigur wird in den beiden Folgesätzen durch den Text selbst vorgeführt: „Er zerbricht sich mit grosser Mühe den Kopf, was das wohl für ein Etwas ist, das über oder um seine Poesien schwebt“ (Insel II/4, S. 217). Das Verb „zerbrechen“ zeugt zum einen von dem angestrengten Denkvorgang, den der „Dichterleser“, an dieser Stelle unternimmt. Der Dichter muss dieses ominöse „Etwas“ erforschen, das auratisch über den oder um die Gedichte schwebt und zunächst für ihn etwas Abstraktes und nicht zu Greifendes seiner Kunst darstellt, aber zugleich auf eine poetologische Konzeption verweist. Dass Letzteres nicht von der Hand zu weisen ist, deutet die von Walser gewählte Vokabel „Poesien“²⁵ an, die nur einen Schritt entfernt von der klassisch gemeinten Poetik und damit auch nicht weit weg von der Poetologie ist. Im Folgesatz weist  Mit eingekleidet meint Greven die oftmals bei Walser vorkommende Situation, dass die Figuren sich zum Teil in mehrfacher Weise selbst beobachten, bis hin zu einem „Strudel der Selbstreferenz“ (Greven 1994, S. 12).  Poíēsis, poēsis: Dichtung. Vgl. Barner 2014, S. 390.

2.2 Sechs kleine Geschichten

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das Verb „zerbrechen“ auf einer zweiten Ebene auf die poetologische Ausführung im Text selbst hin, der mit verschiedenen Verben der handwerklichen Bildlichkeit unterschiedliche Annäherungen an das nicht bestimmte „Etwas“ der Gedichte aufzeigt: „Er drückt, aber es kommt nichts heraus, er stösst, aber es geht nichts hinaus, er zieht, aber es bleibt alles wie es ist, nämlich dunkel“ (Insel II/4, S. 217).²⁶ Zusammen mit den auf die Ergebnislosigkeit des Bemühens hinweisenden und kontrafaktischen drei „aber“ geben die leicht abgewandelten Anaphern dem Satz einen Sprachrhythmus, der durch seine gegensätzlichen Geschwindigkeiten an die Qualität von Poesie grenzt: Durch die verschiedenen, jeweils eine bestimmte Richtung anzeigenden Potenzen der Verben, die jeweils ein Bemühen ausdrücken, den Gedichten eine Sinnzuschreibung zu ermöglichen, erfährt der Satz einen dynamischen, beschleunigenden Anstoß, durch die widersprechenden „aber“ wird dieser Ansatz jedoch jeweils wieder gebremst und die durch den Dichter angestrebte Lösung verhindert. Es entsteht auf diese Weise eine Dichtkunst, die als Miniatur eines Prosagedichts das eigentliche Sujet dieses Prosastücks, nämlich die zwanzig Gedichte, thematisiert. Der große Bruch des Satzes an sich, der auch diesen Sprachrhythmus zerbricht, geschieht durch die, die erfolglosen Bemühungen zusammenfassende, knappe Schlussformel: „nämlich dunkel“. Das Verb „zerbrechen“ aus dem vorangehenden Satz wird also an dieser Stelle in einem poetologischen Verfahren in seine ästhetische Anwendung umgesetzt, indem es das poetische Konstrukt dieses Satzes ausbremst und den Rhythmus sprichwörtlich zerbricht. Beide Verbgruppen, die Walser an dieser Stelle verwendet – „drücken“, „stoßen“ und „ziehen“ im Zusammenhang der versuchten Sinnzuschreibung der zwanzig Gedichte, sowie „zerbrechen“ in der poetologischen Ausführung –, transportieren eine handwerkliche Bildlichkeit, die mit Körperlichkeit assoziiert wird und die auf ein Kunstverständnis referiert, das diese ähnlich wie Nietzsche in Umwertung aller Werte ²⁷ als einen physiologischen Prozess versteht. Nietzsche geht davon aus, dass „ALLE Kunst als Suggestion auf die Muskeln und Sinne [wirkt], welche ursprünglich beim naiven künstlerischen Menschen thätig sind“ (Aus FN UaW, Insel II/4, S. 242), und spekuliert sogar darauf, dass „man vermöge des Dynamometers die Wirkung einer tragischen Emotion“ messen könne (Aus

 Vgl. auch: „Es kam nichts dabei heraus, trotz der Bemühungen, aber es war wenigstens schön“ (Geschwister Tanner, KWA I/2, S. 261).  Vgl. auch die folgende Erläuterung aus der Götzendämmerung: „ Z u r P s y c h o l o g i e d e s Kü n s t l e r s . – Damit es Kunst giebt, damit es irgend ein ästhetisches Thun und Schauen giebt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der R a u s c h.“ ( GD 8 KSA 6, S. 116).

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2 Einzelanalysen

FN UaW, InselII/4, S. 249).²⁸ Geht man anknüpfend daran mit Nietzsche davon aus, dass – im Bild gesprochen – man „selbst noch mit den Muskeln [liest]“ (Aus FN UaW, Insel II/4, S. 243), so eröffnet der im Methodenkapitel bereits eingeführte Kraft-Begriff Nietzsches²⁹ die Möglichkeit, den Denkprozess des Dichters („Er zerbricht sich […] den Kopf“) auch in diesem Sinn als Resultat einer Kräftevielheit zu deuten, denn „[m]an teilt sich nie Gedanken mit, man teilt sich Bewegungen mit, mimische Zeichen, welche von uns auf Gedanken hin z u r ü c k g e l e s e n werden …“ (Aus FN UaW, Insel II/4, S. 243). Für den lesenden Dichter bleiben trotz seinen Bemühungen die zwanzig Gedichte „dunkel“, d. h. es ist ihm an dieser Stelle nicht gelungen, dem „Etwas“ seines Werks einen Sinn zuzuschreiben. Als Prätext für diese Szene käme Platons Höhlengleichnis aus dem siebten Buch der Politeia in Betracht, wo die Gefangenen ausschließlich die Schattenspiele vor ihnen an der Wand sehen (Platon 2017, 514a – 515b), jedoch nicht das diese Schatten erzeugende Licht, das hinter ihnen die Höhle fällt. Auch würden sie demjenigen aus ihren Reihen, der einmal die Höhle verlassen hat und die Bilder der Menschen und der anderen Dinge im Licht der Sonne gesehen hat, nicht glauben, wenn er ihnen von seinem Erlebnis berichten würde.³⁰ Dass er sich hierauf mit verschränkten Armen auf sein geöffnetes Buch legt und weint, verstärkt den Eindruck der Dunkelheit, denn in dieser Position dürfte er nicht viel von seiner direkten Umgebung, die nicht näher beschrieben wird, mitbekommen. Caduff (2016) scheint es, dass in den Sechs kleinen Geschichten „ein Intertext aufgerufen [wird]: Goethes Leiden des jungen Werther. Walsers Dichterfiguren versuchen sich in der Nachahmung Werthers, indem sie in sich selbst kehren und dabei eine Welt finden möchten.“³¹ Caduff bemüht und zitiert zwar den Intertext von Goethe, ohne jedoch auszuführen, was er unter einem Intertext versteht, und in welcher Relation sich dieser zu Walser verhält: Ist es eine motivische Übernahme, ein Paralleldruck oder eine konkrete Lektüre?

 Den Begriff des Dynamometers entlehnt Nietzsche von Charles Féré, auf den er explizit referiert: „(induction psycho-motrice meint Ch. Féré)“ (FN UaW, Insel II/4, S. 243); Féré 1887. Vgl. dazu Silenzi 2015, S. 147– 156.  Für Nietzsche bildet der „Mensch eine Vielheit von Kräften“ (NL 1885, KSA 11, S. 461).  Vgl. auch die Einleitung zu Fritz Kochers Aufsätzen in der es heißt, dass es der Figur Fritz Kocher vor dessen frühem Tod „vergönnt gewesen [ist], in seiner kleinen [Welt] hell zu sehen“ (KWA I/1, S. 9).  Caduff zu Werther: „Im Brief vom 22. Mai heißt es: ,daß alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschens nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sitzt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemalt. Das alles […] macht mich stumm.‘ MA 1.2, 203. Und am 18. Juli: ,Wilhelm, was ist unserm Herzen die Welt ohne Liebe! Was eine Zauberlaterne ist, ohne Licht! Kaum bringst du das Lämpgen hinein, so scheinen dir die buntesten Bilder an deine weiße Wand!‘ MA 1.2, 227“ (Caduff 2016, S. 15).

2.2 Sechs kleine Geschichten

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Er deutet zwar an, dass in den Sechs kleinen Geschichten ein Vorgriff auf spätere Lektüren stattfindet, die diesen Bezug fortführen, doch ruft er selbst das Möglichkeitspotenzial nicht ab, das diese intertextuelle Fundstelle für eine poetologische Interpretation eröffnet, stellt man die auch bei Goethe vorkommende Lichtmetapher in den Kontext anderer Interpretationszusammenhänge. Zwar erkennt Caduff, dass sich Walsers Geschichten „[d]urch die sprachliche Inszenierung in Form einer poetologischen Parodie […] als prägnante Absagen an verstehensorientierte, hermeneutische Interpretationskonzeptionen“ (Caduff 2016, S. 15) kennzeichnen, doch bleibt die von Caduff vorgenommene Verortung der Texte Walsers im „Echoraum der Literatur“ (Caduff 2016, S. 15) leider, wie am Beispiel Goethes gezeigt, auf einer Ebene stehen, die lediglich motivische Parallelen herausarbeitet. Die Konsequenzen der „poetologischen Parodie“ und ihre konkreten ästhetischen Umsetzungsformen lässt Caduff jedoch unbehandelt. Der Echoraum Caduffs müsste in Bezug auf die in sich gekehrte Welt der Dichter- oder Künstlerfiguren sicher noch um Christian Andersens Bilderbuch ohne Bilder ³² ergänzt werden, in dem jeden Abend der Mond in das Zimmer des Malers hineinscheint, um ihm durch seine Erzählung eine künstlerische Eingebung zu verschaffen. Was die Dichterfiguren Walsers in den Sechs kleinen Geschichten aus Erinnerung eines Spaziergangs (Die vierte Geschichte) oder ganz aus der Phantasie (Der schöne Platz) schriftstellerisch zu Papier bringen³³ wird im Bilderbuch ohne Bilder durch den Mond medial vermittelt. Wenn auch auf eine merkwürdige Art und Weise, haben die Gedichte nun tatsächlich eine physiologische, (traurige) Emotion hervorgerufen, wie im zweiten Satz bereits angekündigt worden ist – und dies nicht nur wörtlich und inhaltlich auf das „besondere[…] Gefühl“ bezogen, sondern wiederum auch in der poetischen Umsetzung eben dieses Gefühls: Denn schlägt der Dichter zu Beginn des zweiten Satzes „eine Seite nach der anderen um“ (Insel II/4, S. 217), so schlägt mit dem nun weinenden Dichter auch die emotionale Stimmung um. Bis zu diesem Punkt scheint Von einem Dichter der Vorstellung von der Kritikunfähigkeit des Künstlers aus Umwertung aller Werte zu folgen, da eine Sinnzuschreibung für die Gedichte nicht möglich erscheint.³⁴

 Gearbeitet wird mit der Ausgabe: Hans Christian Andersen: Bilderbuch ohne Bilder. Einzige vom Verfasser besorgte Original-Ausgabe. Leipzig 171900.  Das Zimmer der Sprecherinstanz als kleine Welt ist auch das Motiv des das Prosastück An die Heimat einleitenden Satzes: „Die Sonne scheint durch das kleine Loch in das kleine Zimmer, wo ich sitze und träume, die Glocken der Heimat tönen“ (SW 3, S. 11).  „Hiermit ist das Schöne und Hässliche als b e d i n g t erkannt; nämlich in Hinsicht auf unsere obersten E n t h a l t u n g s w e r t e . Davon abgesehen ein Schönes und Hässliches ansetzen wollen, ist sinnlos“ (Aus FN UaW, Insel, II/4, S. 241).

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Bemerkenswerterweise erscheint an dieser Stelle nun wie ein deus ex machina eine Instanz, deren Erscheinen nicht nur den Verlauf des Textes umschlagen lässt, sondern im Sinn des bereits bekannten poetologischen Verfahrens diesen Verlauf erzähltechnisch bricht: „Dagegen beuge ich mich nun, der Schelm von Verfasser, über sein Werk und erkenne mit unendlich leichtem Sinn das Rätsel der Aufgabe“ (Insel II/4, S. 217). Wiederum wie in der Miniatur eines Prosagedichts mit der Methode der Opposition ergreift nun der „Schelm von Verfasser“ die Rede und erzeugt damit durch den unerwarteten Wechsel der Erzählerinstanz einen Illusionsbruch. Durch diese narrative Metalepse steht nun der empirische Leser vor einer ähnlichen Herausforderung wie die intradiegetische Dichterfigur: Fragte diese zu Beginn des Prosastücks nach der Ursache und Funktion der besonderen Gefühle, so steht nun der Leser verblüfft vor der Frage, welche narrative Instanz dieser „Schelm von Verfasser“ verkörpert. Dieser nimmt offensichtlich der bisherigen Erzählerinstanz die narrative Führung des Prosastücks aus der Hand und irritiert mit seiner saloppen Aussage, dass er „mit leichtem Sinn das Rätsel der Aufgabe“ erkenne und offensichtlich „Regent“ im Sinne Nietzsches über den Text zu sein scheint. Dass der Dichter an der (ihm selbst) gestellten Aufgabe, seinen eigenen Gedichten ästhetische Werturteile zuschreiben zu können, erinnert – mythologisch überhöht – an die Rätsel formulierende Sphinx in der Ödipussage: Werden dort die Thebaner, die ihre Rätsel nicht lösen können, von ihr gefressen, so ist in Von einem Dichter das Scheitern des Dichters durch sein Weinen über seinen eigenen Gedichten ausgedrückt (Vgl. Schwab 1986, S. 259). Offensichtlich scheint das Diktum aus JGB, dass Philosophen zu keiner „unmittelbare[n] Gewissheit“ (JGB 17 KSA 5, S. 30 f.) gelangen können, das Absprechen der Kritikunfähigkeit des Künstlers in Umwertung aller Werthe zu bekräftigen. Allerdings wird die Glaubwürdigkeit der Erzählerinstanz, hier in der ersten Person Singular, durch den direkten Vergleich mit den Aussagen von den ihr erzähltechnisch ähnlichen Erzählerinstanzen in den Sechs kleinen Geschichten abgeschwächt: So hebt die vierte kleine Geschichte mit dem Incipit „Nun, ich besinne mich“ (Insel II/4, S. 219) an, das märchengleich von vergangenen Zeiten berichtet. Im Prosastück Der schöne Platz desavouiert die Erzählerinstanz gar ihre eigene Glaubwürdigkeit, indem sie an der Wahrscheinlichkeit der von ihr erzählten Geschichte zweifelt, die sie wiederum erzählt bekommen hat (Insel II/4, S. 221). Die Tatsache, dass die Sprecherinstanz sich selbst in der dritten Person in einem Relativsatz als „der Schelm von Verfasser“ näher bezeichnet, erlaubt folgende grammatikalische Interpretation, welche das Durchkreuzen der narrativen Ebenen um eine weitere ergänzt: Dieser Relativsatz ermöglicht die geschickte Finte, dass das Possessivpronomen „sein“ bei „sein Werk“ eine ähnliche Ambi-

2.2 Sechs kleine Geschichten

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guität wie der unbestimmte Artikel von „Ein Dichter“ aufweist. Dadurch bleibt offen, ob das Possessivpronomen „sein“ sich auf den Dichter oder auf den „Schelm von Verfasser“ bezieht³⁵ und es entsteht der Eindruck, dass beide mit einander verschwimmen.³⁶ Die konstatierte selbstreflexive und selbstbeobachtende Qualität von Von einem Dichter kulminiert demnach in der Figur des „Schelm von Verfasser“, die sich auf Nietzsches Ausführungen in FW 98 zurückführen lässt, wo Nietzsche mit Blick auf Shakespeares Julius Caesar eine regelrechte Poetik des Schelmen und Possenreissers entwirft. Nietzsche fordert dort den Leser anhand der „Melancholie des Brutus“ (FW 98, KSA 3, S. 452) regelrecht auf, die „Selbstreflexivität von Aussagen über Dichtung in Dichtung zu erkennen und auf den Dichter anzuwenden.“ (Zittel 2011, S. 169): Zweimal hat [Shakespeare] in [seiner Tragödie] einen Poeten vorgeführt und zweimal eine solche ungeduldige und allerletzte Verachtung über ihn geschüttet, dass es wie ein Schrei klingt, – wie der Schrei der Selbstverachtung. Brutus, selbst Brutus verliert die Geduld, als der Poet aufritt, eingebildet, poetisch, zudringlich, wie Poeten zu sein pflegen, als ein Wesen, welches von Möglichkeiten der Grösse, zu strotzen scheint und es doch in der Philosophie der That und des Lebens selbst bis zu gemeinen Rechtschaffenheit bringt. ,K e n n t e r d i e Z e i t , s o k e n n‘ i c h s e i n e L a u n e n , – fort mit dem Schellen-Hanswurst!‘ ruft Brutus. Man übersetzte sich diess zurück in die Seele des Poeten, der es dichtete. (FW 98, KSA 3, S. 452 f.)

Geht es beim Lösen des „Rätsel[s] der Aufgabe“ darum, ästhetische Werturteile für die zwanzig Gedichte zu sprechen, so werden diese durch den „Schelm von Verfasser“ auch mit der angekündigten Leichtigkeit im längsten Satz des Prosastücks aufgezählt:

 Jakob Dellinger hat exemplarisch anhand von FW 354 den grammatischen Doppelbezug als formal-stilistisches Merkmal Nietzsche’s in diesem Text herausgearbeitet: „So lässt sich das Relativpronomen ,seiner‘ einerseits auf das ,Bewusstsein[ ]‘ bzw. das ,Sich-Bewusst-Werden[ ]‘, andererseits aber auch auf das ,Problem‘ beziehen: Nicht nur das ,Sich-Bewusst-Werden[ ]‘ als solches, sondern auch das Problem bzw. seine Schilderung könnten (und werden) sich demgemäß als etwas erweisen, dem ,wir‘ gut und gerne ,entrathen könnten‘. Durch diesen grammatischen Doppelbezug deutet sich hier erstmals subtil an, das der Text zugleich von seinem Gegenstand und sich selbst handelt, das Problem des ,Sich-Bewusst-Werdens‘ also nicht einfach nur beschreibt, sondern zugleich performativ demonstriert“ (Dellinger 2016, S. 261 f).  Eine ähnliche Widersprüchlichkeit ist auch in Der schöne Platz inszeniert, in dem die Erzählerinstanz ankündigt, „die Geschichte kurz zu machen“ (Insel II/4, S. 222), wobei dieses Prosastück nicht nur das letzte der Sechs kleine[n] Geschichten ist, sondern zugleich auch deren längstes. Das im Text Ausgesagte durchkreuzt also offensichtlich dessen ästhetische – in diesem Fall quantitative – Ausführung.

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2 Einzelanalysen

Es sind ganz einfach zwanzig Gedichte, davon ist eines einfach, eines pompös, eines zauberhaft, eines langweilig, eines rührend, eines gottvoll, eines kindlich, eines sehr schlecht, eines tierisch, eines befangen, eines unerlaubt, eines unbegreiflich, eines abstossend, eines reizend, eines gemessen, eines grossartig, eines gediegen, eines nichtswürdig, eines arm, eines unaussprechlich und eines kann nichts mehr sein, denn es sind nur zwanzig einzelne Gedichte, welche aus meinem Mund eine, wenn nicht gerade gerechte, so doch schnelle Beurteilung gefunden haben, was mich immer am wenigsten Mühe kostet. (Insel II/4, S. 217)³⁷

Gleich dem durch die Anaphern einen bestimmten Rhythmus gewinnenden Satz über die physischen Bemühungen des Dichters, gewinnt dieser Satz durch die asyndetische Reihung der zwanzig Werturteile eine ihm eigene Dynamik, die durch den Satzteil „und eines kann nichts mehr sein“ mit ironischem Unterton und den Gesetzen der Logik wiedersprechend gestoppt wird. Ironisch deswegen, da die 21. Zuschreibung, die eines nichtgeschriebenen Gedichts, dem kein Werturteil zugeordnet werden kann („eines kann nichts mehr sein“) syntaktisch parallel zu den zwanzig davor aufgeführten Werturteilen aufgebaut ist. Der Logik widersprechend, da einem Gedicht, das nicht existiert, auch kein Werturteil zugeschrieben werden kann. Die aufgeführten ästhetischen Werturteile bilden eine ganze Bandbreite von Zuschreibungen ab und verweisen zum Beispiel auf philosophisch-ästhetische Theorien aus dem 18. Jahrhundert. So führt Friedrich Schlegel in den Philosophischen Lehrjahren zur Langeweile aus: „Die Begeisterung der Langeweile ist die erste Regung der Philosophie. Alle Langeweile, die man hat, macht man eigentlich sich selbst“ (Schlegel 1958, S. 87).³⁸ Das Werturteil „rührend“ des in dieser Aufzählung fünften Gedichts lässt sich auf Friedrich Schillers kunstphilosophi-

 Die Aufzählung erinnert an die chinesische Enzyklopädie von Jorge Luis Borges, in der er heißt, dass „die Tiere sich folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen“ (Borges 1966, S. 212). Dies kommentiert Michel Foucault: „Bei dem Erstaunen über diese Taxinomie erreicht man mit einem Sprung, was in dieser Aufzählung uns als der exotische Zauber eines anderen Denkens bezeichnet wird – die Grenzen unseres Denkens: die schiere Unmöglichkeit, das zu denken. Was ist eigentlich für uns unmöglich zu denken? Um welche Unmöglichkeit handelt es sich? Jeder dieser eigenartigen Rubriken kann man einen präzisen Sinn und einen bestimmbaren Inhalt geben. Einige umfassen zwar phantastische Wesen, Fabeltiere oder Sirenen, aber eben dadurch, daß sie ihnen einen eigenen Platz zuweist, lokalisiert die chinesische Enzyklopädie ihre Ansteckungsfähigkeiten. Sie unterscheidet sorgfältig die wirklichen Tiere (die sich wie Tolle gebärden oder die einen Krug zerbrochen haben) und diejenigen, die ihren Platz nur im Imaginären haben“ (Foucault 1971, S. 17).  Vgl. auch Kessel 2001.

2.2 Sechs kleine Geschichten

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sche Abhandlung Ueber die tragische Kunst aus dem Jahr 1792 zurückführen. Das Zusammenstellen dieser ästhetischen Urteile kostet den „Schelm von Verfasser“ „am wenigsten Mühe“, was wiederum auch hier die Glaubwürdigkeit der angeführten Werturteile relativiert. Diese sind, gleich einer Wertetafel aufgeführt und bedeuten durch ihre normative Unterscheidungskraft in gleichem Maße auch Kritik. Da Walser, wie ausgeführt, den größten Teil seiner Texte in Zeitschriften, Zeitungen und literarischen Blättern veröffentlichte, war er sehr wohl mit dem Mechanismus der Kritik, wie sie beispielsweise in Rezensionen über neu erschienene Texte im Literaturbetrieb stattfand, vertraut. Dass diese Kritik selbst einen Wertekanon von lobenden über neutrale Besprechungen bis hin zu Tadel und Verriss abbildet³⁹ und somit über das Wohl und Wehe eines Schriftstellers entscheiden kann, hat Walser nicht nur selbst erfahren, sondern zum Beispiel in seinem Mikrogramm Hier wird kritisiert (SW 19, S. 274– 277), das 1928 erstveröffentlicht wurde, selbst thematisiert⁴⁰: Die Sprecherinstanz in der ersten Person Singular („Ich“) dieses Prosastücks bekommt von einem Verleger ein Buch zugesandt, das das Ich auf der Stelle zu kritisieren beginnt und damit beweist, dass Kritik ein Leichtes ist und wenig Mühe kostet. Der Autor ist für das Ich ein „hochintelligente[r] Schwachkopf“ (SW 19, S. 276), „sein Buch jedoch ist unzart wie eine Ohrfeige, die er dem guten Geschmack versetzt“ (SW 19, S. 277). Als Reaktion auf diese Ehre, die ihm zu Teil wird, fühlt sich das Ich wie in einem „Klubsessel“ sowie „direktoriell“ und beginnt seine Omnipotenzphantasien wie folgt zu artikulieren: „Sollte übrigens ein Literaturdoktor etwas wie ein Bildungsdiktator sein? Bin ich etwa jetzt ein Machtfaktor?“ (SW 19, S. 275). Die Zitate aus Hier wird kritisiert zeigen in Verbindung mit Von einem Dichter zweierlei: 1. Auf einer motivischen Ebene führt Walser vor, wie leicht es scheint, einen Text zu rezensieren und diesen dabei mit ästhetischen Werturteilen zu bedenken – Gleich zwanzig fallen dem „Schelm von Verfasser“ mit wenig Mühe ein. Dadurch wird letzten Endes die ästhetische Beurteilung selbst kritisiert, da der Dichter an sich im Gegensatz dazu große Mühe hat, das ominöse „Etwas“ seiner Gedichte selbst zu entschlüsseln. Eine pragmatische Erklärung dazu wäre, dass das Verfassen von Literatur selbst einen ungleich schwereren

 Vgl. die Zusammenstellung von zeitgenössischen Rezensionen und Besprechungen der Werke Walsers von Kerr 1978.  Werner Morlang zeigt die Abhängigkeit Walsers von der mitunter persönlichen Gunst der Redakteure, die seine Texte herausgaben und auch besprachen sehr schön in seiner Analyse des genialen von Walser inszeniertem Versteck- und Verweisspiel in den Mikrogrammen, das auf einer Auseinandersetzung mit Eduard Korrodi beruht: Korrodi hatte Walser versprochen, ihm ein Stipendium zu beantragen – Korrodi hat sich aber nicht darum gekümmert (Morlang 2002).

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Prozess darstellt⁴¹ als die Kritik eines Textes und dass dabei die Rolle des Schriftstellers und des Kritikers zu trennen sei, da das jeweilige Metier unterschiedliche Anforderungen stellt. Eine ästhetische Erklärung ergibt sich wiederum aus der Lektüre der Umwertung aller Werthe, deren Überlegungen zu den Wirkungen auf denjenigen, der ästhetische Werturteile spricht, in frappanter Ähnlichkeit in Walsers zögerlich-fragender Formulierung in Hier wird kritisiert nach dem „Machtfaktor“ ihr Echo finden: Insofern steht das Schöne innerhalb der allgemeinen Kategorie der biologischen Werte des Nützlichen, Wohlthätigen, Lebenssteigernden: doch so, dass eine Menge Reize, die ganz von ferne an nützliche Dinge und Zustände erinnern und anknüpfen, uns das Gefühl des Schönen, d. h. der Vermehrung von Machtgefühl geben […] (Aus FN, UaW, Insel II/4, S. 241).

Dass dabei 2. Dichter und Schriftsteller die Rolle des Kritikers einnehmen, zeugt von einem Perspektivenwechsel und führt zum anderen wiederum zu einer Durchkreuzung der narrativen Ebenen in der poetologischen Umsetzung, welche die unter 1. angeführte Annahme der Trennung von Dichter und Kritiker in der poetologischen Ausführung ad absurdum führt: Was in Von einem Dichter dem Dichter selbst nicht gelingt, führt der „Schelm von Verfasser“ der sich ebenfalls über die Gedichte beugt, durch seine (wiederholende) Lektüre aus und bewerkstelligt so eine Sinnzuschreibung mit ästhetischen Werturteilen. Auf diese Weise wird der Dichter durch den „Verfasser“ rezensiert und kritisiert. Folglich kann man eben nicht wie Angerer ausschließlich behaupten, dass Walsers Texte „die literarische Illustration einer soziologischen Theorie“ (Angerer 2000, S. 206) seien, denn die von Angerer sogenannten ‚Rollen‘ müssen nicht unbedingt Teil eines Zusammenspiels sein, das auf soziologisch fundierte Wirklichkeit rekurriert. Der abschließende Satz von Von einem Dichter fasst die dargestellten Oppositionen noch einmal bildlich zusammen, wenn der „Verfasser“ den immer noch von Emotionen überwältigten Dichter verlacht.⁴² Der Dichter bleibt mit seinem physiologischen Ansatz, die emotionale Wirkweise seiner Kunst aus seinen Gedichten hervorzudrücken‘, ‚hervorzustoßen‘ und ‚hervorzuziehen‘ im symbolischen Dunkel, was seine immer noch über das Buch gebeugte Körperhaltung

 Vgl. dazu das Kapitel über Der Spaziergang, indem die Sprecherinstanz an mehreren Stellen über die Schwierigkeiten und Herausforderungen der Schriftstellerei reflektiert.  Vgl. die mitunter vernichtende Funktion des Lachens im Zarathustra (Z). Bspw.: „Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man“ (Z I Lesen, KSA 4, S. 49).

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz

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ausdrückt. Über ihn scheint die helle Sonne der dieser entgegenstehenden Position der (Rezeptions‐)Ästhetik, die rational versucht, die Funktionsmechanismen der zwanzig Gedichte durch Werturteile offen zu legen.

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz Wie bereits im Exkurs 1 gezeigt, wurden Fritz Kocher′s Aufsätze – Mitgeteilt von Robert Walser ⁴³ auszugsweise noch zwei Jahre vor der bekannten Insel-Ausgabe von 1904⁴⁴ im Berner Bund abgedruckt. Diese versammelt, neben den zwanzig Aufsätzen der titelgebenden Figur Fritz Kocher, Der Commis. Eine Art Illustration sowie die beiden längeren Prosastücke Der Maler ⁴⁵ und Der Wald. Den ersten drei genannten Texten gemein ist, dass sie jeweils mit einem einleitenden Paratext, der „Einleitung“ (KWA I/1, S. 9) eines fiktiven Herausgebers (FKA), einer „Vorrede“ (KWA I/1, S. 47) einer Erzählerinstanz (Der Commis) sowie einer der vor FKA ähnlichen, aber nicht bezeichneten Einleitung (Ein Maler) versehen sind. Andreas Müller (2007) vertritt die nachvollziehbare These, dass auch das letzte Prosastück Der Wald aus der Feder der Figur Fritz Kocher stammen könnte, da dieses mit der Illustration Fritz Kocher’s Grab sowie der Gesamtband FKA abgeschlossen wird. Dominik Müller geht sogar soweit, anzunehmen, „dass alle Texte (mit Ausnahme der Einleitung) als Werke Fritz Kochers betrachtet sein wollen“ (D. Müller 2018, S. 53).⁴⁶ Neben der eingehenden Analyse eines Textsegments des Kocher-Aufsatzes Aus der Phantasie, mit der anknüpfend an die Interpretation von Caduff (2016) eine Neuinterpretation der dort vorkommenden Spiegelmetapher vorgenommen wird, die eine Brücke zu dem Kapitel über den Walsertext Räuber (1925) schlägt, bilden die drei einleitenden Paratexte den Hauptgegenstand dieses Kapitels. Diesen gemein ist, dass sie unter dem Aspekt der Selbst- und Fremdzuschreibung

 Beispielsweise: Der Mensch. In: Sonntagsblatt des Bund, Nr. 12 (23. März 1902).  Diese kam als Fortsetzung der Zusammenarbeit Walsers mit den Herausgebern der Zeitschrift Die Insel zustande; zu einem Zeitpunkt, als Die Insel als Zeitschrift bereits eingestellt wurde und fortan seit 1901 als Verlagshaus tätig war. Die Ausgabe liegt als Faksimiledruck der ersten KWAAusgabe von Fritz Kocher’s Aufsätze bei (vgl. KWA I/1). Dort sind auch ab Seite 146 die relevanten Briefwechsel zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte des Druckes der Inselausgabe zusammengetragen.  Im Erstdruck ist dieses Prosastück in der Inhaltsangabe mit Der Maler angegeben, der Text an sich mit Ein Maler übertitelt. FKA ED, S. 75. KWA I/1 folgt der Titelüberschrift und führt das Stück als Ein Maler (S. 62).  Zur Anordnung und Bedeutung der Illustration wird im Laufe des Kapitels eine Lesart dargelegt, die einen motivischen Bezug zu den Walsertexten der Spaziergang sowie Hans vorschlägt, vgl. die entsprechenden Kapitel und A. Müller 2007, S. 11.

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ein Spiel mit der (Autor‐)instanz vorführen, welches dem in JGB vorgeführten gleicht. Dieses Spiel unterliegt weiter einem ähnlichen Mechanismus des „Illusionsbruch[s]“, der durch einen Fremd- und Selbstzuschreibung evoziert wird, wie ihn Pichler (2012, S. 312) für die nachträgliche Vorrede von MA I beschrieben hat und der hier vor der Darstellung des Forschungsstands und der eigentlichen Textarbeit ergänzend zu den Ausführungen zu JGB knapp erläutert sei: Für Pichler ist die Sprecherinstanz der Vorrede nicht zuverlässig, da sie „ihre eigenen Praktiken [für ihre Texte] preisgibt“ (Pichler 2012, S. 312), die ihr durch Fremdzuschreibungen vorgeworfen werden. Das „Gemeinsame und Auszeichnende an allen [ihren] Schriften“ sei, dass sie „Schlingen und Netze für unvorsichtige Vögel“ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 13) enthielten. Gerade das Eingeständnis der Sprecherinstanz, dass sie (sich) bestimmte Dinge „künstlich erzwingen, zurecht fälschen, zurecht dichten musste“ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 14), deutet Pichler nicht als Einlenken gegenüber diesen Vorwürfen, sondern vielmehr als eine rhetorische Finte der Sprecherinstanz gegenüber den unvorsichtigen Vögeln, welche die Leser eines Textes meinen, da es an diesem Punkt […] textintern nicht mehr festzustellen [ist], ob es sich bei der soeben zitierten Äußerung um eine paratextuelle Metaisierung mit ausschließlichem Bezug auf Menschliches, Allzumenschliches I oder eine, die Sprecherinstanz und mit dieser die Vorrede selbst betreffende, Selbstreflexion handelt. (Pichler 2012, S. 312)

Die Sprecherinstanz führt demnach in praxi in der Vorrede poetologisch vor, was ihr durch die Fremdzuschreibung „oft genug und immer mit grossem Befremden“ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 13) vorgeworfen wurde, und legt so tatsächlich Schlingen und Netze für ihre Leser. Dieser steht nun vor einem interpretatorischen Dilemma, wie anhand der „freien Geister“ in JGB mit Bezug auf die Vorrede von MA I gezeigt werden konnte: Im guten Glauben an die Wahrhaftigkeit der Aussagen zu den „,freien Geistern‘“ in der Vorrede „giebt es [sie] nicht, gab es [sie] nicht“, würden diese nicht existieren; glaubt man der Sprecherinstanz der Vorrede nicht, da der Verdacht gegenüber dem sich als „Vogelsteller“ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 15) überwiegt, so ginge dies wiederum nicht mit der die Ironie untermauernden Apostrophierung und druckgraphischen Sperrung der „freien, s e h r freien Geister“ in JGB zusammen (JGB Vorrede, KSA 5, S. 13). Auf diese Weise entsteht jene auf die Subjekts-Vielheit und den Wahrheitsbegriff anwendbare perspektivische Offenheit, die durch die „Ve r s c h i e d e n h e i t d e s B l i c k s “ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 13) hervorgerufen wird. Als Folge changieren die Wertzuschreibungen der philosophischen „‚Gewissheiten‘“ in JGB und der „Schelm von einem Verfasser“ (Insel, II/4, S. 217) kann in Von einem Dichter die Position eines Werturteile aussprechenden Rezensenten einnehmen.

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz

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Aufgrund dieses kurzen Abrisses der textnahen Lektüremethode und der daraus resultierenden Offenlegung der spezifischen poetologischen Eigenschaften der Texte Nietzsches wird deutlich, weswegen die bisherigen Annäherungen an die Texte in FKA einer Erweiterung bedürfen, um deren poetologisches Potenzial – natürlich angesichts des Vergleichs mit der Poetologie Nietzsches – freizulegen⁴⁷: Einen umfassenden Überblick über die Forschungsliteratur und deren Lesarten von FKA gibt Caduff in seiner 2016 erschienenen Dissertation, die hier kurz geschildert sei, da sie bis dato den aktuellen Stand widergibt, um die folgenden Argumentationen der Analyse in diesen verschiedenen Lesarten zu positionieren. Auffallend dabei ist, dass mit Ausnahme von der bereits im Methodenkapitel zitierten Lektüre Müllers (2007) und Caduffs⁴⁸ selbst FKA schon länger nicht mehr Gegenstand einer einschlägigen Auseinandersetzung in der Forschung gewesen ist.⁴⁹ Der Kernthese seiner Schrift in Bezug auf das Frühwerk Walsers folgend liest Caduff FKA im entsprechend übertitelten Kapitel als eine Schule der (Selbst‐)„Revision“⁵⁰, die in FKA vor allem durch die rhetorische Figur der correctio vollzogen wird (Caduff 2016, S. 78). Caduff setzt sich damit

 Ein Indiz dafür, dass Walser nicht, wie in der Forschung oftmals behauptet, bei wörtlichen oder motivischen Übernahmen von Nietzsche stehen bleibt, sondern sich produktiv mit dessen philosophisch-ästhetischen und poetologischen Verfahren auseinandergesetzt hat, liefert ein Zitat aus dem Aufsatz Höflichkeit aus Fritz Kocher′s Aufsätze von 1904, das eine Kenntnis Walsers von JGB plausibel scheinen lässt: „Die Höflichkeit ist für gesittete Menschen ein Vergnügen, und am Grad und an der Art seiner Höflichkeit erkennt man das Wesen eines Menschen wie von einem Spiegel zurückgeworfen“ (KWA I,1, S. 21). Die Formulierung Walsers „am Grad und an der Art der Höflichkeit“ erinnert stark an den 75. Abschnitt aus JGB, in dem es heißt: „Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf“ (JGB, KSA 5, S. 87). Die Phrase Walsers allein als bloße Ironie auf die Sentenz Nietzsches zu deuten, wäre zu kurz gegriffen, bestimmt doch das Spazierengehen als leibliches Element die Struktur und das Tempo einer Vielzahl von Walsers Texten (Gellhaus 2008, S. 36). Somit wäre die Denkfigur Walsers des Grads und Art der Höflichkeit als bereits sublimierte Geschlechtlichkeit, als sublimierte Leiblichkeit zu bestimmen, eine Bestimmung, die, in der Analyse des Prosastücks Von einem Dichter durch einen physiologischen Kraftbegriff vorgeführt wurde. Vgl. auch Jaspers 1981, S. 134. Zur Sublimierung vgl. auch Gasser 1997, S. 322.  Caduff geht nicht wie Müller mit dem Moderne-Begriff in die Offensive, der ihn im Titel prominent platziert, jedoch scheinen Revision und Revolte ein Merkmal der Moderne für Caduff zu sein, da er eine Definition von Moderne sowie den Begriff im Fließtext überhaupt so gut wie vermeidet, ihn dafür aber in den Fußnoten über die Titel seiner zitierten Literatur versteckt. Ruskin 1976, S. 683 – 724; Eicher 1996, S. 21– 47; Neumeyer 1999.  Dennoch scheint der Text international von Bedeutung zu sein, wie die in den letzten Jahren erschienenen Übersetzungen belegen: Walser 2011; Walser 2013a; Walser 2013b; Walser 2013c.  Caduff unterscheidet drei unterschiedliche Modi der Revision: a) die intertextuelle Revision, b) die textinterne, rhetorische Revision, c) in Bezug auf die Bearbeitung eigener Texte: die Selbstrevision. (Caduff 2016, S. 22).

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gegen Pestalozzi ab, der Fritz Kochers Schreiben als eine Bemühung deutet, „die Norm zu erfüllen, die in den Erwartungen des Lehrer [sic!] liegt“ (Pestalozzi 1986, S. 112). Caduff insinuiert stattdessen, dass „die Korrektur als rhetorische Figur viel eher von einer ständigen Selbstrevision des Schreibprozesses“ zeuge als von „einer vorwegnehmenden Zensur“ (Caduff, 2016 S. 78). Caduff setzt sich ebenfalls von Ehrich-Haefelis Ansatz ab, die von einem „Modell subversiver Anpassung“ (Ehrich-Haefeli 1995, S. 331) spricht und FKA – wie dies auch Müller (A. Müller 2007) speziell anhand von Nietzsches Schrift Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten vorgeführt hat – mit den historischen Normen des Schulaufsatzes vergleicht. Ehrich-Haefelis Vorgehen verspiele allerdings durch seine ständige historische Kontextualisierung und allzu unkritische Psychologisierung die Möglichkeit, „das genuin fiktionale Dispositiv samt seinem rhetorischen Potential grundlegend zu entfalten“ (Caduff 2016, S. 79), da auch dadurch durchgängig auf eine externe Zensurinstanz referiert werde. Stattdessen präferiert Caduff Pornschlegels Deutung des freien Assoziierens und bestätigt diese als vorbildhaft für sein Unterfangen: Die Ironie der Kocherschen Aufsätze besteht […] darin, die normativen Wertschätzungen anzuerkennen auf der propositionalen Ebene, um sie so besser unterlaufen zu können, auf der Ebene eines digressiven […] Schreibens, in dem sich Wort an Wort reiht und das Subjekt sich gehen läßt und sich dem Reiz der Worte und freier Assoziation überläßt, das heißt, ohne sein Schreiben permanent auf eine Zensurinstanz hin zu reflektieren. (Pornschlegel 2003, S. 263)

Im Einklang mit Pornschlegel deutet Caduff die Aufsätze „als Satire oder Parodie des literaturwissenschaftlichen Geschäfts“ (Caduff 2016, S. 78), in das sich die Autorfiktion [der Figur Fritz Kocher, B.S.] „beinahe bruchlos als weiterführende poetische Fiktionalisierung der Rolle des vermeintlich naiven Epheben [lesen lässt], die Walser nach der Veröffentlichung seiner ersten Gedichte von seinen allerersten Förderern und Kritikern zugeschrieben wurde“.⁵¹ Merkwürdig an Caduffs Argumentation und analytischer Methodik ist jedoch, dass er genau jenes Element selbst anwendet, das er bei Pestalozzi und EhrichHaefeli kritisiert: der Bezug auf eine externe Zensurinstanz, aber vor allem die historische Kontextualisierung, da er die „rhetorisch-agonalen Dynamiken […] der frühen Walsertexte im Echoraum der Literatur“ (Caduff 2016, S. 23) verorten möchte. So führt Caduff als Vorbild für das von ihm über Pornschlegel präferierte Verfahren des Assoziierens die Abhandlung Über die allmähliche Verfertigung der

 „Es ist ja überliefert, daß bereits Fritz Kochers Aufsätze, als sie im Berner Bund erschienen, Abonnentenproteste zur Folge hatten […]“ (Caduff 2016, S. 78). Vgl. Greven 1987, S. 86.

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz

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Gedanken beim Reden von Kleist an, um seine These, dass Worte aus Worten entstehen, mit einem, wie er es nennt, „Intertext“ (Caduff 2016, S. 83) zu untermauern. Auch führt er bei seiner Analyse des Aufsatzes Jahrmarkt Lessings Laokoon oder Über die Grenzen von Malerei und Poesie als motivischen Prätext vorrangig für die Prosastücke an, welche die Grenzen zwischen Malerei und Poesie ausloten (Caduff 2016, S. 87). Was inhaltlich in Bezug auf die intertextuellen Motive argumentativ überzeugt, hinkt jedoch aus der genannten Selbstwidersprüchlichkeit heraus methodisch. Auch wenn Caduff betont, dass er nicht auf „eine wie auch immer verstandene ,Verbesserung‘ ab[ziele], mit der beispielsweise eine Annäherung an ein ideales aptum gelingen könnte“ und Walsers Revision „deshalb explizit nicht im Zeichen einer nachträglichen Verbesserung des zuvor Unvollkommenen, Fehlerhaften, und auch nicht in dem der Vervollständigung des Vorgängigen“ (Caduff 2016, S. 25) stehe, so entgeht ihm mit seinem Ansatz das Potenzial einiger auch von ihm analysierter poetologischer Schlüsselstellen, das sich gerade durch den Status des Unvollkommenen und Fehlerhaften auszeichnet. Denn dadurch entstehen jene Irritationen durch Widersprüchlichkeiten, die mit dem poetologischen Verfahren Nietzsches interferieren. So zum Beispiel in der „Vorrede“ von Der Commis, in der sich die Erzählerinstanz, ähnlich wie in der „Einleitung“ zu FKA („Adieu Leser!“, KWA I/1, S. 9), mit den Worten „Leb‘ wohl und verzeih mir“ (KWA I/1, S. 47⁵²) von seinem Leser verabschiedet. Caduff bemerkt angesichts der insgesamt drei „Vorreden“ in FKA lediglich die Pointe „dass sich der Schreiber durch die Einnahme der Außenperspektive zum Kritiker seiner selbst aufspielen kann“, sowie der Vervielfachung eines mehrstufigen, metaleptischen Erzählens innerhalb des Bandes.⁵³ Aufgrund dieser Abschiedsformel müsste der Leser jedoch eigentlich annehmen können, dass die Erzählerinstanz sich weitestgehend aus dem Text zurückzieht; stattdessen spricht sie den Leser im weiteren Verlauf von Der Commis noch zwei Mal explizit an (KWA I/1, S. 47).⁵⁴ Obwohl sich auch der fiktive Herausgeber von FKA  Der letzte Satz des Jakob von Gunten heißt: „Nun denn Adieu, Institut Benjamenta“ (KWA I/4, S. 139).  „Die Pointe liegt also darin, dass sich der Schreiber durch die Einnahme der Außenperspektive zum Kritiker seiner selbst aufspielen kann. Andererseits vervielfacht sich das mehrstufige, metaleptische Erzählen innerhalb des Bandes insofern selbst, als auch Ein Maler das Vorwort einer Herausgeberfigur voranstellt, bzw. Der Commis eine Vorrede erhält“ (Caduff 2016, S. 80).  „Der verehrte Leser gestatte, daß ich ihm ein Exemplar auf meiner Handelsmenagerie vorstelle.“ (KWA I/1, S. 52); „Ja, lieber Leser, in diesem Aufsatz, in welche ich dir von dem armen verachteten Stellenlosen berichte, vermag ich den spaßhaften Ton früherer Abschnitte nicht aufzunehmen, es wäre auch zu grausam“ (KWA I/1, S. 55).

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von seinen Lesern verabschiedet hat, erfolgt auch im Aufsatz Weihnacht in FKA eine implizite Ansprache an den Leser, wenn die Figur Fritz Kocher halb sich selbst, halb den Leser adressierend, fragt: „Nicht wahr, das alles ist schlecht geschrieben?“, (KWA I/1, S. 37). Auf den ersten Blick ist dies nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass diese Äußerung von der Figur Fritz Kocher getätigt wird und nicht von der sich vom Leser verabschiedenden Herausgeberinstanz in der „Einleitung“. Verkompliziert wird der scheinbar einfache Sachverhalt jedoch durch einen genaueren Blick auf die in der „Einleitung“ vorkommenden und diese gestaltenden Instanzen sowie ihren Bezug zum Gesamttext FKA. In Übereinstimmung mit Müller (2007) lassen sich zunächst folgende Instanzen ausmachen, die in den vierzehn Sätzen erwähnt, beziehungsweise adressiert werden und als fiktionale Figuren sowie als narrative Instanzen, die erzähltheoretisch den Text und seine poetologische Machart formen, untereinander agieren. Sie sind hier in der Reihenfolge ihres Erscheinens in der „Einleitung“ wiedergegeben sowie mit einer Erläuterung ihrer Funktion versehen: 1) „Der Knabe, der diese Aufsätze geschrieben hat“ und der „kurz nach seinem Austritt aus der Schule gestorben“ (FKA, KWA I/1, S. 9)⁵⁵ ist, also die Figur Fritz Kocher, die als Autor der nachfolgenden zwanzig Aufsätze charakterisiert wird. Mit diesem ersten Satz wird bereits ein doppelter Bogen geschlagen: Zum vorletzten Satz der „Einleitung“, in dem sich der fiktive Herausgeber von diesem Fritz Kocher verabschiedet (‚Adieu, mein Kleiner!‘) sowie im Erstdruck von 1904 zur letzten Seite der Insel-Ausgabe, auf der die von Karl Walser besorgte Illustration Fritz Kocher’s Grab abgedruckt ist.⁵⁶ 2) Die Erzählinstanz der „Einleitung“, die in der Fokalisierung eines Ich-Erzählers agiert und sich selbst als fiktiven Herausgeber der Aufsätze kenntlich macht⁵⁷: ‚Ich hatte einige Mühe, seine Mutter, eine verehrungswürdige, liebe Dame, zu bewegen, mir die Stücke zur Veröffentlichung zu überlassen.‘ Der Ich-Erzähler führt mit diesem Satz gleichzeitig 3) die fiktive Mutter⁵⁸ der fiktiven Figur Fritz Kocher ein, die als eine Art Nachlassverwalterin der Aufsätze agiert.

 Dieses und alle nachfolgenden Zitate aus der „Einleitung“ stammen aus: FKA, KWA I/1, S. 9.  Vgl. zu diesem Bogenschlag eines angekündigten Unglücks das Kapitel „Der Spaziergang/ Hans [der Träumer]“.  Er konkurriert hier mit dem realen Herausgeberteam des Insel-Verlags.  Ein biographisches und in Bezug auf den Fiktionalitätsstatus von Literatur sehr aufschlussreiches Kuriosum zeigt sich durch den erhaltenen Brief von Margrit Wyss-Kocher an den InselVerlag (datiert auf den 22.6.1978): Sie reklamiert für sich, dass ihr Vater der reale Fritz Kocher gewesen sei, mit dem Robert Walser zur Schule gegangen ist. Sie bittet den Insel-Verlag um eine entsprechende Erklärung, da die Inhalte von FKA aus ihrer Sicht keinesfalls der Realität ent-

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz

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4) Ein idealer Leser, der von dem Ich-Erzähler im letzten Satz der „Einleitung“ verabschiedet wird („Adieu Leser!“). 5) Der empirische Autor oder Herausgeber, der in der „Einleitung“ namentlich nicht, dafür aber auf dem Titelblatt des Erstdrucks als Autor Robert Walser genannt und auf den ersten Seiten wie folgt von den Druckverantwortlichen des Verlags eingeführt wird: „Fritz Kocher’s Aufsätze. Mitgeteilt von Robert Walser“.⁵⁹ Müller (2007) hat unter dem Begriff „Autor-Rollenprosa“ mit Blick auf das ästhetische Gesamtkonstrukt der Erstausgabe von 1904 bereits vier mögliche Varianten ausgemacht, das Verhältnis von Autor und Herausgeber zu denken: 1) Beide sind real und die auf dem Titelblatt vermerkten Angaben stimmen. Robert hat also tatsächlich die Aufsätze des Fritz herausgegeben. 2) Beide sind fiktiv und die Texte sind von einem Dritten verfasst. 3) Nur Fritz ist fiktiv und Robert hat in seinem Namen die Texte verfasst. Und letztlich: 4) Robert ist fiktiv und der reale Fritz schiebt ihm raffiniert seinen eigenen Text oder den eines Dritten unter. (A. Müller 2007, S. 12)

sprächen. Auf diese Art fügt sie unwissentlich der ohnehin bereits recht komplexen Situation um die Instanzen und narrativen Ebenen in FKA eine weitere Dimension hinzu: „Mit grossem Befremden lese ich nun die Einleitung des Buches ,Fritz Kocher’s Aufsätze‘. Ich gestehe dem Dichter Walser selbstverständlich dichterische Freiheit zu, aber hier handelt es sich um ganz falsche Angaben, die Robert Walser bestimmt nicht gemacht hat. Mein Vater, Fritz Kocher, verstarb im Alter von 63 Jahren. Er war der scheue und intelligente Bub und Klassenfreund von Robert Walser. Die Eltern Kocher waren bescheidene und geachtete Bieler-Bürger, aber bestimmt nicht wohlhabend. Warum also diese Einleitung? Die Aufsätze des jungen Fritz Kocher und die dichterische Verarbeitung des Robert Walser sprechen doch für sich, wozu eine Einleitung, die absolut unwahr ist? Ich bitte Sie nun sehr um eine diesbez. Erklärung. Ich möchte mich so sehr freuen über das reizende Prosa-Bändchen mit den vertrauten Aeusserungen in den Aufsätzen meines Vaters, aber was stimmt nun? die ,Einleitung‘ oder die Aufsätze?“, (KWA I/1, S. 191).  FKA ED: Insel-Verlag. Leipzig 1904. In Geschwister Tanner wird das Verhältnis zwischen Text, (realem oder fiktiven) Autor und (realem oder fiktivem) Herausgeber in anderer Konstellation exemplarisch durchexerziert: Der erfrorene Dichter Sebastian alias der verstorbene Schüler Fritz Kocher und Simon Tanner als der Entdecker und potenzielle Herausgeber seiner Dichtung: „Deine Gedichte, lieber Sebastian, will ich in die Redaktion tragen, wo man sie vielleicht lesen und dem Druck übergeben wird, damit von dir wenigstens dein armer, funkelnder, schönklingender Name der Welt erhalten bleibt. […] Vor dem ihm bezeichneten Hause angekommen, fiel ihm ein, daß es nicht klug wäre, selbst hineinzugehen und Gedichte eines Totaufgefundenen abzugeben. Er schrieb daher auf den Umschlag des blauen Heftes den Titel: ,Gedichte eines im Tannenwald erfrorenen und aufgefundenen jungen Mannes zur Veröffentlichung, wenn es möglich ist“ (KWA I/2, S. 123 f).

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Müller greift bei der Auswertung seines Befundes auf Foucaults Ausführungen zur Autorschaft zurück. Nach Foucault könne der Autorname nicht wie ein gewöhnlicher Eigenname behandelt werden, da er stets mit einem bestimmten Diskurs in Verbindung gebracht wird.⁶⁰ Folglich erläutert Müller die Spezifika der Autorschaft in FKA diskurstheoretisch: Die Rollen-Autorprosa demonstriert die Autorfunktion, die durch die Zerstreuung der drei bei der Textproduktion beteiligten Ichs – des realen Autors, des Erzählers im Text und der Instanz, die über den Inhalt des Textes spricht – erst entsteht. (A. Müller 2016, S. 12)

Einen ähnlich ambigen Befund hinsichtlich der Sprecherinstanz, die nicht eindeutig festlegbar ist, und dem Spiel mit der Autorfunktion huldigt, ergibt die textnahe Analyse der „Vorrede“ von Der Commis, die, so weit überschaubar, bis dato – bis auf die allgemeine Feststellung, dass sie der „Einleitung“ von FKA gleiche – im Detail noch nicht vorgenommen wurde. In beiden Paratexten kann für die diegetische Autorfunktion der beiden Figuren Fritz Kocher (ein Schüler) sowie des namenlosen Commis Hoffmanns Klassifizierung von Schreiber, Verfasser, Autoren angewendet werden, die dieser für die von ihm sogenannten „Schreibpositionen“ – das Verhältnis des Schreibenden zu seinem und die Verantwortlichkeit für seinen Text – einführt: Der Schreiber trägt die Verantwortung für die fachgerechte Anfertigung einer Schreiberei; so werden Tippfehler im Protokoll der Schreibkraft angelastet. Der Verfasser trägt hingegen die Verantwortung für den Inhalt der Schreiberei […]. (Hoffmann 2017, S. 167)

Beide, der Verfasser Fritz Kocher und der Schreiber, der Commis, unterliegen nach Hoffmanns Kategorium „in ihren Schreibereien vielfältigen Normen, die ihren Anteil daran haben, wie das Produkt aussieht“ (Hoffmann 2017, S. 167). Muss jener darauf achten, bei seinem Broterwerb Schreibfehler zu vermeiden⁶¹, so hat sich dieser in seinen zwanzig Aufsätzen gleichwohl mit Blick auf Form und Stil an

 Nach Foucault (1994) gibt es drei Instanzen für einen Text: Autor, Erzähler und Herausgeber des Textes. Dazu Müller: „Die Eigennamen auf dem Buchdeckel von Fritz Kocher′s Erstausgabe sind in der Konvention der Buchkultur als Autorennamen zu lesen. Fritz hat die Aufsätze geschrieben, Robert hat sie herausgegeben und KW ist verantwortlich für die Illustration. Dabei ist Fritz der empirische Autor, der Urheber des Textes, und die zwei anderen Namen stehen für sekundäre Instanzen, die zusammen mit der Institution hinter dem Verlagsnamen das Buch hergestellt und verkauft haben“ (A. Müller 2007, S. 15).  Der Commis arbeitet in der Schreibstube zu Walsers Zeit noch nicht mit der Schreibmaschine, produziert also keine Tippfehler im Sinne Hoffmanns, sondern schreibt seine Texte von Hand.

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz

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die Vorgaben eines idealen Schulaufsatzes zu halten, sowie an die Themenvorgabe seines Lehrers (Vgl. Müller 2007, S. 42).⁶² Die für den Befund der ambigen Sprecherinstanz in beiden Paratexten sprechende und diesen untermauernde Textpassage ist in dem Zweizeiler zu finden, der der eigentlichen „Vorrede“ noch zusätzlich vorangestellt ist: „Der Mond scheint zu uns hinein, / Er sieht mich als armen Commis – –“ (KWA I/1, S. 47)⁶³ und der mit dem zu ihm hereinblickenden Mond ein Motiv aufnimmt und verarbeitet, das in Christian Andersens Bilderbuch ohne Bilder ⁶⁴ zu finden ist.⁶⁵ Auch

 Im neunten Aufsatz Freithema reflektiert die Figur Fritz Kocher die Vorgabe durch den Lehrer und damit seine „Schreiberei“ (Hoffmann) auf einer Metaebene ironisch auf zwei Ebenen: „Diesmal, sagte der Lehrer, dürft ihr schreiben, was euch gerade einfällt. Ehrlich gestanden, mir will nichts einfallen. Ich liebe diese Art von Freiheit nicht. Ich bin gern an einen vorgeschriebenen Stoff gebunden“. Die Figur Fritz Kocher kommt nach dieser Reflektion über die nicht vorhandene Themenvorgabe schließlich auf die Idee, „ein Porträt der Schulstube zu zeichnen“ (KWA I/1, S. 25).  Groddeck weist anhand der handschriftlichen Anmerkungen im Manuskript von Geschwister Tanner den intratextuellen Ursprung dieser Zeilen nach. Das Manuskript zeigt zahlreiche Streichungen: „[…] Der Mond schien oft, wenn er arbeitete, zum Fenster hinein, das entzückte ihn so sehr, daß er nicht umhin konnte, heimlich, so, daß niemand es bemerkte, auf einen Papierrand Verse darüber zu krizzeln: ,Der Mond scheint zu uns hinein/ Er sieht mich als armen Commis-‘. Und ein anderes Mal: ,Der Mond ist die Wunde der Nacht/ Blutstrophen sind alle Sterne/ Ob ich dem blühenden Glück auch ferne/ Ich bin dafür bescheiden gemacht/ Der Mond ist die Wunde der Nacht‘“ (Text und Faksimile: Geschwister Tanner (Manuskript), KWA IV.2, S. 22– 25). Dazu kommentiert Groddeck: „Die Verse, die Simon ,auf einen Papierrand‘ heimlich zu ,krizzeln‘ beginnt, stammen ebenfalls aus dem Konvolut jener 40 Gedichte, die Walser 1898 an Widmann geschickt hatte“ (Groddeck 2014, S. 43).  Das Motiv des Schreibers findet sich auch in Andersens undatiertem Märchen Der Schreiber (Orig.: Skriveren) aus dem Nachlaß. In diesem gibt es zwei Erzähler: Einen nicht benannten Freund, der die Geschichte des Schreibers erzählt sowie eine Erzählerinstanz, welche diese Erzählung erzählt. Darin wird der Inhalt der von dem Schreiber verfassten Texte von deren Form entkoppelt: Die Figur des Schreibers bei Andersen hat in einem Amt die Aufgabe, bestimmte Texte, die ihm vom Amtsleiter vorgegeben sind, mit schönen Buchstaben zu schreiben. Übermütig beginnt er eigene Texte „über Maler und Bildhauer, über Dicher und Leute, die Musik machen“ zu verfassen. Allerdings produziert er nur „gewaltigen Unsinn“, den er regelmäßig als „Druckfehler“ aus den Zeitungen zurückrufen muss. Vgl. Andersen 2003, S. 7– 8.  Das Bilderbuch ohne Bilder – ein paradoxer Titel – fängt in 33 Bildern (33 Abenden) die Eingebungen des Mondes ein, die dieser allabendlich einem Maler, der eine künstlerische Schaffenskrise hat, eingibt: „,Male nur Das, was ich erzähle,‘ sagte er bei seinem ersten Besuche, ,und Du wirst ein recht hübsches Bilderbuch erhalten‘.“ (Bilderbuch 1900, S. 6). Der Rückbezug auf die ursprüngliche Bedeutung der Miniatur als kleines (Porträt‐)Bild wird hergestellt, da die 33 Abschnitte als Text in wechselnder Erzählperspektive zwischen der Perspektive der 1. Person (des Malers) und der Perspektive des Mondes geschrieben werden, bzw. in der Bedeutung des Titels als Bilder eines Bilderbuchs gemalt werden (wobei das Bilderbuch Andersens ohne Bilder auskommen muss). Auf die zweite mögliche Bedeutung der Miniatur als kleine (verzierende) Malerei

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dort sitzt die Erzählerinstanz, ein Ich-Erzähler, wie die Figur des armen Commis in einem geschlossenen Raum (in ihrem Malatelier unter dem Dach) und erhält Besuch vom Mond, der zum Fenster hineinscheint: „Ich warf ihm Kußhände zu, und er schien weit in mein Kämmerchen herein und versprach, daß er jeden Abend, wenn er ausginge, einige Augenblicke zu mir hereinschauen wolle“ (Andersen 1900, S. 6). Bis zu diesem sehr frühen Zeitpunkt des Commis decken sich die Erzählperspektive und das Motiv des Zweizeilers sowie des Bilderbuchs. Doch bis auf den Brief zum Besten, der in der ersten Person Singular aus der Sicht des Commis geschrieben ist (KWA I/1, S. 56), wird der Text durchgängig bereits ab der „Vorrede“ von einer Erzählerinstanz in der ersten Person Singular erzählt, die offensichtlich nicht mit dem Commis identisch ist, da sie über die Figur des Commis in der dritten Person berichtet. Dadurch entsteht eine durch ihre Ambiguität ähnlich irritierende Erzählsituation wie in der „Einleitung“ zu FKA, die

in Handschriften oder Büchern wird in den Abschnitten „Paralleldrucke“ und „Räuber“ eingegangen. Die 33 Abende suggerieren eine chronologische Abfolge, da der Mond ja verspricht, dem Maler regelmäßig von dem, was er gesehen hat, zu berichten, und damit dem Maler eine künstlerische Eingebung zu verschaffen. Allerdings bauen die Inhalte der einzelnen Bilder nicht notwendigerweise aufeinander auf; die Inhalte könnten ebenso in einer anderen Reihenfolge aufgeschrieben (oder gemalt) werden. Ebenso müssen die einzelnen Bilder aus verschiedenen Gründen nicht, wie es der direkt aufeinanderfolgende Abdruck und die durchgehende Nummerierung der einzelnen Bilder suggeriert, direkt ohne eine größere Unterbrechung aufeinanderfolgen: Durch die unterschiedlichen Mondphasen (Voll-, Halb-, oder aussetzender Mond) kann der Mond nicht lückenlos in das Fenster des Malers hereinstrahlen und Mond und Maler sind zusätzlich des Öfteren durch eine Wolke getrennt (Bilderbuch 1900, S. 7). Es ist folglich nicht eindeutig festzustellen, inwieweit erzählte Zeit und Erzählzeit in Deckung zu bringen sind, oder ob sie auseinanderliegen. Die an sich separaten und auch an verschiedenen Orten erfahrenen Eindrücke des Mondes werden in der Form des Bilderbuchs zu einem Gesamttext zusammengefügt, der durch die scheinbar zusammengehörenden Einzelabschnitte (Miniaturen) eine abgeschlossene Einheit suggeriert. Einem ähnlichen Verfahren unterliegen die Nachtwachen von Bonaventura, deren kaleidoskopischen Wechsel der Schauplätze in den 16 beschriebenen Nachtwachen oft verstörende Einzeleindrücke einfangen. Diese thematisieren anhand der wechselnden Rollen und Masken der geschilderten Figuren und deren Erlebnissen die satirische Negierung von Positionen und führen die Verweigerung vor, diese einzunehmen oder gar beizubehalten. Auch hier ist ein möglicher Lektüre- oder Kenntniseinfluss für die Analyse der interferierenden Merkmale nebensächlich: Das Bilderbuch ohne Bilder ist in Nietzsches Bibliothek nachgewiesen (nachgewiesen in der Ausgabe: Bilderbuch ohne Bilder. Berlin 1856, 42 S., 16 cm. Vgl.: Nietzsches persönliche Bibliothek, S. 110) und J.V.Widmann war in persönlichem Kontakt mit Andersen und hätte Walser mit dessen Ästhetik vertraut machen können). Widmann kannte Andersen persönlich, wie der Brief an Carl Spitteler Nach April 1873 (Ohne genaue Datumsangabe) belegt (T: WB 1, S. 330): „Der Märchendichter Andersen ist hier gewesen und hat ,dem Dichter Widmann‘ seine Photographie geschenkt, was mir immer doch mehr Freude macht als allenfalls ein Orden.“ (Stauffacher. 1998, S. 740).

2.3 Fritz Kocher’s Aufsätze – Spiel mit der Autorinstanz

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stark denen in JGB und in der Vorrede von MA I ähnelt und die folgenden Deutungsmöglichkeiten erlaubt: 1) Der Zweizeiler ist ein (Auszug aus einem) Gedicht, das von verschiedenen Instanzen verfasst worden sein könnte und dem Prosastück Der Commis vorangestellt ist. Diese Instanzen könnten sein: ‒ die Figur des Commis aus dem gleichnamigen Prosastück, die hier in der ersten Person von seiner Begegnung mit dem Mond berichtet, ‒ ein unbekannter Autor, der in der Erzählperspektive eines Commis schreibt ‒ oder die Sprecherinstanz, die als Ich-Erzähler das Prosastück erzählt. Somit gäbe es einen Mond, einen Ich-Erzähler und eine Commis-Figur. 2) Da der Ich-Erzähler aus der Vorrede sehr ähnlich charakterisiert ist wie der Mond in dem Zweizeiler und auch wie der Mond in Andersens Bilderbuch – Es war mir ein Vergnügen, in seine kleine frische, wenig abgegraste Welt zu schauen, und darin Winkel zu finden, dies so schattenhaft heimlich von der sanften Sonne beschienen sind. Gewiß habe ich meine Augen bei desem schönen Ausflug zu wenig aufgetan, bin an vielen lieblichen Plätzchen vorbeigelaufen, wie es ja geschieht auf Reisen. (KWA I/1, S. 47)

–, besteht die Möglichkeit der Lesart, den Ich-Erzähler, der in die kleine Welt des Commis in seinem Schreibzimmer hineinschaut, bei gleichzeitiger Verkehrung der Perspektive in seiner Funktion mit dem Mond im Bilderbuch gleichzusetzen. Die Verkehrung besteht darin, dass der Mond in Andersens Bilderbuch dem Maler allnächtlich als Anleitung für seine Bilder berichtet, was er außerhalb dessen Maleratelier beobachtet hat. Der Ich-Erzähler in Der Commis erzählt lediglich das, was er in der engen Schreibstube der Commis-Figur, die eine ganze bereisbare Welt aufzuspannen scheint, sieht. Somit wäre gegenüber dem Bilderbuch eine Instanz (die des dem Mond zuhörenden Malers) weggefallen, da der Ich-Erzähler im Commis die Beobachtungen selbst macht, sie selbst erzählt und auch selbst die neun Abschnitte des Commis als neun Bilder malt. ⁶⁶ Der hier vergleichend festgestellte Perspektivwechsel von einem Fokus auf die große Welt außerhalb des Malerateliers (Bilderbuch) auf den Fokus in die

 Die synästhetische Art Robert Walsers zu schreiben, die der Malerei ähnlich ist, läßt sich anhand der Szene auf dem See aus dem Fritz-Kocher-Aufsatz Aus der Phantasie aufzeigen: Diese fängt, nicht zuletzt da sie Farben beschreibende Adjektive einsetzt (weißlich, grünlich, bläulich), die sich auf dem Wasser spiegelnde Szene wie eine malerische Idylle ein (KWA I/1, S. 27 f.). „Der Dichter besetzt die Stelle des Malers selbst“, schreibt Elke Siegel, „allerdings nicht als Maler, sondern als Dichter, der mit der Schreibfeder und mit den Worten malt und illustiert“ (Siegel 2001, S. 112). Vgl. auch Fattori 2008.

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kleine Welt des Commis-Büros (Der Commis) ist selbstverständlich im Commis poetologisch nicht explizit mit Referenz auf einen bestimmten Prätext wie das Bilderbuch artikuliert. Doch führt die aufgezeigte Verwirrung um die möglichen unterschiedlichen Erzählerinstanzen in Verbindung mit deren jeweils unterschiedlichen Perspektiven auf ihre Erfahrungswelt sowie auf den Text eine Bandbreite solcher möglichen Perspektivierungen selbst vor. Denn die Frage Wer spricht? schwingt, wie die Analyse gezeigt hat, nicht nur subtil mit, sondern ist geradezu strukturbildend für den Text an sich. Um dies mit Pichlers (2012) und Dellingers (2015) Analyseergebnissen der nachträglichen Vorrede von MA I zu verdeutlichen: Nachträglichen Vorreden wohnt traditionell eine Bestätigungsfunktion inne, die nicht nur in MA I durch die aufgezeigten Irritationen unterlaufen werden, sondern auch in der Vorrede zu Der Commis durch deren perspektivische Offenheit.⁶⁷ Ähnlich wie in Von einem Dichter der „Schelm von Verfasser“ nimmt auch der Ich-Erzähler in der „Vorrede“, die eine Passage einleitet, in welcher der Text das umsetzt, was poetologisch in ihm formuliert wird, ein Werturteil (hier jedoch seiner eigenen Texte) vor. Seiner Meinung nach dürfte das wenige Aufgezeichnete „doch immerhin erfrischend und nicht zu ermüdend wirken“ (KWA I/1, S. 47). Dass er damit ein ästhetisches Werturteil spricht, das so eigentlich von einem Leser ausgesprochen werden müsste, zeigt ebenso wie Von einem Dichter eine Vermischung der Ebenen der Instanzen an. Seine Entschuldigung eröffnet ein Wortspiel, das aus einer phonetisch-semantischen Ambiguität besteht: „Entschuldige, Leser, daß ich dir vorrede. Aber Vorreden sind nun einmal eine Sucht von lustigen Schriftstellern“ (KWA I/1, S. 47). Das Adjektiv „vorreden“ bezieht sich im Kontext des fälschlicherweise durch den Ich-Erzähler ausgesprochenen Werturteils im Sinne einer gemeinten Bevormundung auf den Leser und das Subjekt „Vorrede“ auf die begriffliche Bezeichnung des Prätextes, in dem die beiden Sätze stehen. Der Text kommentiert demnach das, was er in einer Doppeldeutigkeit performativ vorführt: Der Ich-Erzähler scheint um das irritierende Potenzial (nachträglicher) Vorreden zu wissen, und durch das Wortspiel wird der Ich-Erzähler selbst zu einem „lustigen Schriftsteller“.⁶⁸

 Pichler verweist auf die von Gérard Genette beschriebene Funktion nachträglicher Vorreden, Leserreaktionen aufzunehmen und damit die „Glaubwürdigkeit und Plausibilität des Dargestellten zu stärken“. Zugleich werden, so Pichler, vom Erzähler selbst vorgetragene und nicht näher ausgewiesene Fremdcharakterisierungen wie die vorliegenden „in der Narratologie jedoch auch als der erste Schritt in die Richtung eines unzuverlässigen Erzählers erachtet“ Pichler (2012, S. 311). Vgl. Dellinger 2015, S. 347.  Ein solches Wortspiel, das auf einer semantisch-phonetischen Ambiguität beruht, findet sich beispielsweise auch in Fritz Kocher’s Aufsatz Der Beruf: „Taugen wir zu Besserem, als wozu sie

2.4 Der Spaziergang/Hans [der Träumer]

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Wie auch bereits in FKA verabschiedet sich der fiktive Herausgeber von seinem Leser: „Leb‘ wohl und verzeih mir“ (KWA I,1, S. 47). Damit überlässt der fiktive Herausgeber von Der Commis den Leser dem Text und entzieht sich im Zusammenspiel mit der offenen Perspektivik hinsichtlich der Funktionen der einzelnen auftretenden Instanzen der Verantwortung, diese Funktionen gegenüber dem Leser festlegen zu müssen.⁶⁹

2.4 Der Spaziergang/Hans [der Träumer] Der Text Der Spaziergang aus dem Jahr 1917⁷⁰, war Walsers meisterkaufte BuchVeröffentlichung mit einem breiten und anhaltenden Leser-Echo sowie einer positiven Aufnahme in der zeitgenössischen Literaturkritik.⁷¹ Der Spaziergang als Erzählmodell (so der Titel von Albes 1999)⁷² wird von Walser auffallend oft eingesetzt – sei es, dass der Spaziergang allein titelgebend für seine Prosastücke ist, sei es, dass das Spazierengehen die Texte poetologisch strukturiert⁷³ oder

uns fürs Leben bestimmt haben, so ist später immer Zeit umzusatteln. Man sinkt deshalb noch nicht zum Sattler hinunter“ (KWA I/1, S. 29).  Vorausgewiesen sei an dieser Stelle auf die Analyse einer Passage des Prosastücks Hans von 1917, in der die verschiedenen Instanzen des Textes (die Figur Hans, der Erzähler und der Leser) versuchen, sich gegenseitig die Verantwortung für den Textinhalt zuzuschieben. Vgl. das Kapitel Der Spaziergang.  ED in: Schweizerische Erzähler, 2. Serie, Bd. 9. Frauenfeld/Leipzig. 1917. Da einige poetologische Eigenheiten des Spaziergangs wie die Anordnung und Platzierung einzelner hier untersuchter Textabschnitte (Miniaturen) für die Interpretation von Bedeutung sind, wird aus diesem Erstdruck zitiert, der als elektronisches Faksimile der KWA beigelegt ist.  11.600 Exemplare wurden gedruckt, mindestens 9.000 Exemplare verkauft (vgl. KWA I/8, S. 267).  Die Erzählung Spaziergang gilt der jüngsten Walserforschung unter einer biografischen Annäherung „als Schlüsselwerk, da sie die legendäre Spaziergangs- und Wanderpassion des Autors poetologisch wende“ (Pfeiffer, Sorg 2019, S.VII).Vgl. zu den Erzählmodellen die unterschiedlichen Beiträge in diesem Sammelband, der gleichzeitig, als erster Band, die durch Lucas Marco Gisi, Annie Pfeifer und Reto Sorg begründeten Robert Walser-Studien eröffnet.  Nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Beispiele: Spaziergang; ED: Der Neue Merkur I/2 (Mai 1914), S. 222– 224, Obertitel Prosastücke Kleine Dichtungen, 1914/1915, S. 212– 215; (unter dem Titel Spaziergang (I)): „Ich habe einen wohligen, kleinen, appetitlichen Spaziergang gemacht, leicht und angenehm wickelte er sich ab. Ich ging durch ein Dorf, dann [fett von B.S.] durch eine Art von Hohlweg, dann durch einen Wald, dann über ein Feld, dann wieder durch ein Dorf, dann über eine eiserne Brücke […]“; „Übrigens werde ich sehr wahrscheinlich auch über die Brücke noch etwas zu sagen haben. […] Und dann kam ich, wie gesagt, zu der Brücke, die ganz im Golde und im Silber der Sonne schimmerte und zuckte.“; SW 4, S. 131, 132. Sonntagmorgen; ED: Kleine Dichtungen (1914/1915), S. 189 – 190: „Bald war ich zu Hause im angenehm geheizten

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motivisch⁷⁴ vorkommt. Beide Fälle dieses Erzählmodells sind in Der Spaziergang präsent, so dass dieser vorbereitend für spätere Texte wirkt oder durch die erzähltechnischen Verfahren früherer Texte poetologisch oder motivisch vorbereitet wurde. Aufgrund seines ironisch selbstbezüglichen Erzählverfahrens gilt er als ein „Schwellentext“ (Sorg 1998) zur Moderne des 20. Jahrhunderts: Bei gleichzeitiger Einheit von Person (einem Ich-Erzähler), Ort (einem bis ins Detail geschilderten und in den einzelnen Stationen nachvollziehbaren Spaziergang) und Zeit (ca. ein Tag), welche eine formale Geschlossenheit des Textes suggeriert, bilden die einzelnen episodischen Strukturen des Textes einen Gegenentwurf, der die klassische Homogenität des Textaufbaus in Frage stellt.⁷⁵ Als Referenz,Vorbild und Abstoßungspunkt zugleich für die geschlossene Form des Textes hat die Forschung die Novelle, die eine „unerhörte Begebenheit“ (Aust 2012, S. 10 – 24) schildert, ausgemacht, um die es zu Beginn des 20. Jahrhunderts anhaltende Diskussionen gegeben hat und die ähnlich wie die ubiquitäre Auseinanderset-

Zimmer. Ich setzte mich an den Tisch, ergriff die Feder und schrieb dieses.“; SW 4, S. 120. Sonntagsspaziergang; ED: Die Rose (1925), S. 12– 17, (unter dem Titel Sonntagsspaziergang (I)). Der Spaziergänger wird gefragt, wann sein nächstes Buch herauskomme: „,Geduld, erwiderte der Betroffene, und er fügte bei, ihn dünke Mensch sein und spazieren so schön, wie am Schreibtisch sitzen und Bücher erfolgreich absetzen.“; „Daß er immer phantastiert, gedichtet haben mußte beim Spazieren!“, (SW 8, S. 10 – 11). Das an den Beispielen aufgezeigte poetologische Modell des Spazierengehens wird in dem frühen Text Walsers, der unter dem Titel Sechs kleine Geschichten 4 in der Insel veröffentlicht wurde, konterkariert: „Hernach unternahm er, von Abenteuerlust angefeuert, einen Spaziergang, welcher ihn durch Felder, Wälder, Wiesen, Dörfer, Städte, über Flüsse, Seen immer unter dem schönen Himmel führte. Aber zu Feldern,Wieden,Wegen,Wäldern, Dörfern, Städten und Flüssen sagte er immerfort: Kerls: Euch habe ich fest im Schädel. Bildet Euch nicht länger ein, Ihr Leute, dass Ihr auf mich einen Eindruck macht. Er ging heim und lachte beständig vor sich hin: Ich habe sie alle, ich habe sie alle im Kopf“ (Insel II/4, S. 220).  Nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Beispiele: Der Ausflug; ED: März VIII/1, H. 8 (21.02.1914), S. 271– 272, Obertitel Kleine Sachen; Kleine Dichtungen (1914/1915), S. 234– 235: „Beim Bahnübergang mußte ich warten, aber ich blieb ganz gern eine kleine, feine Weile stehen“ (SW 4, S. 145); Sonntagsspaziergang; ED: Vierteljahresblätter des V.d. B. (Volksverband der Bücherfreunde) 1/2 (Mai 1926), S. 15, Obertitel Zwei kleine Geschichten; Mkg. 132, Nr. 2. (unter dem Titel Sonntagsspaziergang (II)). Der Ich-Erzähler dichtet auf einem Spaziergang und spricht eine ihm unbekannte Frau an: „Hier, verehrte Frau, zog Ihr dienstfertiger Diener, wenn Sie nichts gegen einen Eifer einzuwenden haben, der sich bemüht, Ihnen zu schmeicheln, Notizbuch und Bleistift hervor, um unter den Bäumen zu dichten“ (SW 17, S. 88).  Die folgenden Ausführungen sind an der Bestandsaufnahme des Robert Walser Handbuchs zum Spaziergang und dessen Auseinandersetzung mit der Novelle orientiert. Vgl. dort S. 150. Reto Sorg vermutet, dass der Spaziergang „aus einer Folge journalistischer, essayistischer, meta-literarischer, diaristischer, epistolarer und theatralischer Episoden [besteht], die zum Teil auch als selbständige Prosastücke publizierbar wären […]“ (Sorg 2019, S. 121).

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zung mit Nietzsche ein konstantes Hintergrundgeräusch bildet, dem sich Walser nur schwer entziehen konnte.⁷⁶ Reto Sorg zeigt dementsprechend, dass „im Spaziergang […] der Spaziergänger, um sein Erleben zu beschreiben, explizit ,Schlüsselwörter des Novellendiskurses‘ (Aust 2012) wie ,Neues‘ und ‚Unerhörtes‘ (SW 5,25), ,Zentrum‘ und ,Höhepunkt‘ (SW 5, 55), ja, sogar den Begriff der ,Novelle‘ [verwendet]“ (Sorg 2018, S. 10). Offenkundig also scheint die literarische Gattung der Novelle Walser stark herauszufordern, wie Peter Utz festhält (Utz 2008, S. 33), da die Forschung Walsers Verhältnis zur Novelle meist unter den Begriffen von Ironie und Parodie abhandle.⁷⁷ Utz‘ intelligente Analyse meldet aber zugleich Zweifel an der „stabile[n] Referenz“ der aus seiner Sicht noch nicht differenziert genug bestimmten Gattung an.⁷⁸ Aus diesem Grund schlägt er sieben Thesen vor, die eine Novelle ausmachen, die sich statt an deren inneren Struktur an deren medialen Funktion ausrichten⁷⁹, um zum Ergebnis zu kommen, dem im folgenden Abschnitt gefolgt wird: „Walser hat erkannt, dass der klassischen Novelle ihre literarischen, medialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen abhanden ge-

 Vgl.: Rath 2000, S. 271– 278; Kiefer 2010, S. 61– 78. „Zur Gattung der Novelle, die ihre Blüte im 19. Jahrhundert erlebt und nach 1900 von den Modernen beargwöhnt wird, hat Walser ein gespaltenes Verhältnis: ,Es war einmal eine Novelle, ein so krankes Ding, als je eines sein konnte‘ (SW 16, 411), beginnt er 1914 einen Text, der, so Peter Utz, ,der Novelle den Totenschein ausstellt‘ [Utz 2008, S. 38]“ (Sorg 2018, S. 10).  Wie etwa bei Jürgens 1976, S. 74 ff.; Unglaub 1983; Pestalozzi 1987; Wagner 2002, S. 92.  „Denn die ,Novelle‘ ist schon im neunzehnten Jahrhundert eine wenig randscharfe Gattung. Zwar hat Goethe mit seiner Novelle einen Idealtypus der Gattung prägen wollen, und seine viel zitierte Bemerkung zu Eckermann, eine Novelle sei ,eine sich ereignete, unerhörte Begebenheit‘ [Goethe zu Eckermann, 25.1.1827. Zit. Nach: Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 6. S. 744.] bestimmt die literaturwissenschaftliche Diskussion bis heute maßgeblich mit. [Vgl. als Überblick: Schlaffer 1993, Aust 2012]. Doch alle Versuche einer immanenten Formbestimmung der Novelle scheitern an der Vieldeutigkeit des Begriffs, der sich nie sicher gegen die ,Erzählung‘ oder den ,Roman‘ abgrenzen lässt“ (Utz 2008, S. 33).  1. Novellen sind Journalliteratur (Zeitschriften, Almanache, Taschenbücher und Zeitungen); 2. In diesen medialen Kontext rückt die Novelle auch in die Nähe zur „Realität“; 3. Seit ihren Anfängen ist die Novelle die Gattung der fingierten Mündlichkeit; 4. In der Hochblüte der bürgerlichen Lesekultur im späten neunzehnten Jahrhundert ersetzt die Novelle strukturell auch das Drama, mit dem man sie immer wieder vergleicht; 5. Die Novelle wird im neunzehnten Jahrhundert zur Gattung des bürgerlichen Subjekts, im doppelten Sinn: Neben jenem Subjekt, das als Erzähler über die Geschichte verfügt, stellt sie häufig auch einen ,Charakter‘ ins Zentrum. 6. Im Zeitalter nationaler Ausdifferenzierungen der europäischen Literaturen wird die Novelle in symptomatischer Weise kulturtopographisch verortet; 7. Der bevorzugte Stoff ist schon seit Boccaccio die sich entfesselnde Liebe.

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kommen sind. Darum steht für ihn die Gattung selbst in Frage“ (Utz 2018, S. 47 f.).⁸⁰ Knapp seien hier einige Textstellen genannt, welche die Anlehnung an die Novelle plausibilisieren und gleichzeitig das poetologische Verfahren Walsers offenlegen, die den ironisierenden Umgang mit der Novelle ermöglichen: Erstes Indiz ist der den Text eröffnende Satz „Ich teile mit“ (Spaziergang, S. 5), der auf die Schilderung eben jener unerhörten Begebenheit hoffen lässt, die üblicherweise das Hauptcharakteristikum einer Novelle ausmacht. Die Abfassung eben jener scheint der Ich-Erzähler im Sinn zu haben, wenn er in folgender Passage das Spazierengehen als poetologisches Modell ausbreitet: ‚Spazierenʻ, gab ich zur Antwort, ‚muß ich unbedingt, um mich zu beleben und um die Verbindung mit der lebendigen Welt aufrecht zu halten, ohne deren Empfinden ich keinen halben Buchstaben mehr schreiben und nicht das leiseste Gedicht in Vers oder Prosa mehr hervorbringen könnte. Ohne Spazieren wäre ich tot, und mein Beruf, den ich leidenschaftlich liebe, wäre vernichtet. Ohne Spazieren und Bericht-Auffangen könnte ich auch keinen Bericht mehr abstatten und nicht den winzigsten Aufsatz mehr, geschweige denn eine ganze lange Novelle verfassen.ʻ (Spaziergang, S. 57)

Der Leser bleibt jedoch bei der Zuschreibung der eigentlichen unerhörten Begebenheit im Unklaren: Sind es die mannigfaltigen Eindrücke, wie z. B. die „Kommissionen [über die] so umständlich wie möglich Bericht abgelegt oder abgestattet werden [soll]“ (Spaziergang, S. 38), das Spazierengehen selbst oder das Mittagessen bei der Frau Aebi, auf das die Erzählstationen des ersten Teils des Textes zulaufen? Dieses Mittagessen ist in der Einladung für Punkt halb ein Uhr, also in der Mitte des Tages (und somit in der Mitte des Textes, der in etwa einen Tag von vermutlich Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang beschreibt) anberaumt, findet auch um halb ein Uhr statt und befindet sich, auf die Seitenzahlen bezogen, ziemlich genau in der Mitte des Textes. Um die formale Geschlossenheit des Textes zu simulieren, wird das Mittagessen als dessen quasi zentrale unerhörte Begebenheit visuell unterstrichen und „Frau Aebi“ druckgraphisch abgesetzt. Der Selbstkommentar der Sprecherinstanz in der ersten Person Singular unterläuft jedoch die Exaktheit der formalen Geschlossenheit, da über das Mittagessen eben nicht genau in der Mitte des Textes berichtet wird: „Meine Pünktlichkeit war ein Meisterwerk. Man weiß, wie Meisterwerke selten sind.“ (Spaziergang, S. 39). Zum einen ist diese Aussage eine Kritik an Texten im Novellendiskurs der Zeit sowie anderen Texten, deren Autoren den Anspruch auf Meisterhaftigkeit stellen, da sie

 „Die Novelle steht damit als überkommenes literarisches Erbstück der Dynamik der Moderne im Wege“ (Utz 2008, S. 37).

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bestimmten Formvorgaben folgen. Zum anderen wird durch die Aussage der Sprecherinstanz, liest man sie selbstbezüglich, deutlich, dass diese sehr wohl um die Abweichung von der Formstrenge seines eigenen Textes weiß. Die zeitliche Pünktlichkeit des Spaziergangs (das Mittagessen um halb ein Uhr) korrespondiert mit der Platzierung der druckgraphischen Darstellung in der exakten Mitte des Textes, nicht so jedoch ca. 20 Seiten später, wo dieselbe Sprecherinstanz explizit die Mitte des Spaziergangs in Analogie zur Mitte des Textes ankündigt: Der Spaziergang schien immer schöner, reicher und größer werden zu wollen. Hier beim Bahnübergang schien mir der Höhepunkt oder etwas wie das Zentrum zu sein, von wo aus es leise wieder sinken würde. Ich ahnte bereits etwas vom beginnenden sanften Abendabhang. (Spaziergang, S. 60)

Dies mag für die Dauer des intradiegetisch stattfindenden Spaziergangs zwar stimmen, trifft allerdings nicht das druckgraphische ‚Zentrum‘ des Textes. Somit konkurrieren zwei Textstellen um die Mitte des Textes: Das Mittagessen mit Frau Aebi, das tatsächlich die druckgraphische Mitte einnimmt und die Schilderung über den Bahnübergang, welche das Zentrum des Textes für sich beansprucht. Auch an anderer Stelle wird durch die Sprecherinstanz in einer Spannung aufbauenden, rhetorisch gestellten Frage die angebotene unerhörte Neuigkeit – „Was sah und entdeckte ich Neues, Unerhörtes und Schönes?“ – auf zweierlei Weise widerspruchsreich ad absurdum geführt: „Ei, ganz einfach besagtes allerliebstes Putzgeschäft und Modesalon“ (Spaziergang, S. 25). Was hier entgegen der „sprachliche[n] Kürze, Prägnanz und Schärfe“ der „Reichsgerichtsfeder“ (Spaziergang, S. 28), mit der die Sprecherinstanz vorgibt, ihre Eindrücke zu notieren, sehr umfangreich und mit schmückenden Beiworten als neu, schön und unerhört vorbereitet wird, entpuppt sich als profanes Putzgeschäft, das allenfalls ironisch als unerhörte Neuigkeit verstanden werden kann. Grund dafür ist die Frage der Sprecherinstanz an den Leser, ob von seiner Seite aus ein Interesse an einem Putzgeschäft bestünde.⁸¹ Neben dieser Unschärfe führt der Ich-Erzähler seine Leser weiter in die Irre: Zusammen mit den sich zuverlässig erfüllenden Prolepsen (zum Beispiel: „Von weitem sehe ich bereits einen Bahnübergang, den ich zu überschreiten haben werde“; Spaziergang, S. 38) kann der Leser sich auf den ersten Blick auf einen ihm angebotenen Autor-Leser-Pakt einlassen, der ihm suggeriert, dass es sich bei Der

 „Eine bescheidene Frage: Ist vielleicht nachgerade für ein zierliches Putzgeschäft unter grünen Bäumen hervorragendes Interesse und womöglich etlicher Beifall spärlich vorhanden?“, (Spaziergang, S. 24).

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Spaziergang um einen Text handelt, der entsprechend dem Spazierengehen in gemäßigtem Tempo gleichförmig sich entwickeln wird: Indem du dir, lieber gewogener Leser, die Mühe nimmst, sorgfältig mit dem Schreiber und Erfinder dieser Zeilen vorwärts in die helle, freundliche Morgenwelt hinaus zu marschieren, nicht eilig, sondern vielmehr ganz behaglich, sachlich, glatt, bedächtig und ruhig, gelangen wir beide vor die bereits vorgemerkte Bäckerei mit Goldinschrift […]. (Spaziergang, S. 14 f.)

Dieser ruhigen Gangart der Erzählung stehen Tempiwechsel in der Erzählung entgegen, die den Text an manchen Stellen beschleunigen, an anderen wieder verlangsamen, wie die Analyse zeigen wird. Beispielhaft sei hier ein Zitat von der ersten Seite des Textes angebracht, welches der eben zitierten Textstelle diametral entgegensteht, da durch die getätigte Aussage nicht nur der Spaziergang der Sprecherinstanz, sondern in gleichem Maße auch die Erzählung an sich beschleunigt wird: „Ich muß mir jedoch aus das strengste verbieten, mich auch nur zwei Sekunden lang bei dieser Brasilianierin oder was sie sonst sein mochte, aufzuhalten; denn ich darf weder Raum noch Zeit verschwenden.“ (Spaziergang, S. 5). Neben diesen knapp skizzierten ironischen Verfahren in Bezug auf die Referenz der Novelle nimmt Der Spaziergang unter der Fragestellung nach ästhetischen Verfahren und deren Ähnlichkeiten mit Nietzsche eine zweifache Schlüsselrolle ein: Wie die anderen besprochenen Texte Walsers (Von einem Dichter, Fritz Kocher’s Aufsätze, Prosper Merimée) auch, unterliegt Der Spaziergang Verfahren, die eine Ästhetik vorbereiten, die sich 1925 im Räuber verdichtend kulminiert. Dazu zählt die im hohem Maße reflexive Auseinandersetzung mit Poetiken, wie sie bei Horaz und Platon zu finden sind. Des Weiteren finden sich in Der Spaziergang zwei Ebenen, die eine Ähnlichkeit mit der Poetologie Nietzsches aufzuzeigen ist: Die erste ist eine Miniatur, die sich offenkundig mit dem Zarathustra, dessen ästhetisch-philosophischen Verfahren sowie dessen (Nach‐)Wirkung auf den Literaturbetrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinandersetzt, deren Motive paraphrasiert beziehungsweise direkt poetologisch im Text umsetzt. Die zweite Ebene ist in der motivischen Auseinandersetzung mit dem Motiv ,Hans der Träumer‘ aus Nietzsches GT angelegt, die, so wird zu zeigen sein, neben dem ironischen Umgang mit der Novelle, einen weitere strukturbildenden Einfluss auf den Spaziergang hat. Letztere wird zusammen mit dem Prosastück Hans, das im Jahr 1916 erstveröffentlicht wurde (SW 7, S. 173 – 206), in dem diesem Kapitel folgenden Exkurs behandelt werden. Zur Exemplifizierung wird zunächst die Miniatur in den Blick genommen, die sich mit den Poetiken von Horaz und Platon beschäftigt, um anschließend die zwei Zarathustra-Miniaturen einer textnahen Analyse zu unterziehen, die sich im

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Spaziergang sowie in dem Prosastück Hans befinden. Diese beiden ZarathustraMiniaturen beziehen sich nicht explizit aufeinander, jedoch liefern sie in der Zusammenschau ein einheitliches Bild der Auseinandersetzung mit der Figur Zarathustra oder dem Werk Also sprach Zarathustra, die Walser offensichtlich vorgenommen hat.

2.4.1 Miniatur: Horaz und Platon Flankiert wird die Auseinandersetzung Walsers mit der zeitgenössischen Debatte um die Novelle in Der Spaziergang mit einer diese stützenden Beschäftigung mit klassischen Poetiken. Die grundlegenden Forderungen Platons und Horaz’ an die Dichtung werden dabei paraphrasierend in Miniaturen vorgeführt⁸², deren Inhalt als poetologische Handlungsanweisung die tatsächliche ästhetische Ausführung des Spaziergangs teilweise konterkariert. Die Poetik-Miniaturen wirken aus diesem Grund wie ein irritierender Stolperstein, da sie ein ästhetisches Verfahren vorschlagen, das so nicht oder nur teilweise im Spaziergang umgesetzt wird. So transportiert die Sprecherinstanz namentlich fast komplett die Trias des Wahren, Schönen und Guten, die als Gedanke auf Platon zurückgeführt werden kann⁸³, wenn sie über den Spaziergang ihre Gedanken über die Poesie des Spa-

 Marc Caduff hat darauf hingewiesen, dass das Diktum prodesse und delecatare vor allem im Frühwerk Walsers Anwendung findet. Dabei loten die Prosastücke vorrangig in Bezug auf den dafür wichtigen Prätext Lessings Laokoon oder Über die Grenzen von Malerei und Poesie, die Grenzen zwischen Malerei und Poesie aus. Caduff nennt als eingängigstes Beispiel das Prosastück Jahrmarkt. In: SW 1, S. 40 – 42 (ED: Sonntagsblatt des Bund 14 (06.04.1902), S. 107, Obertitel Fritz Kocher’s Aufsätze; Fritz Kocher’s Aufsätze, 1904, S. 44– 46); Vgl.: Caduff 2016, S. 87.  „Das nun, was dem Erkannten Wahrheit verleiht und dem Erkennenden das Vermögen, sage, sei die Idee des Guten: Denke sie dir als Ursache der Erkenntnis und der Wahrheit, sofern sie erkannt wird; und obgleich beide, Erkenntnis und Wahrheit, etwas so Herrliches sind, wirst du unter ihr selbst zu Recht noch etwas weit Herrlicheres vorstellen; wie es vorhin richtig war, Licht und Gesichtssinn für sonnenartig zu halten, sie sich aber als Sonne vorzustellen nicht richtig ist, so ist es auch hier recht, jene beiden für gutartig zu halten, aber unrichtig, eine von beiden sich als gut vorzustellen, nein, das Wesen des Guten ist noch höher zu schätzen.Von einer unvorstellbaren Herrlichkeit, sagte er, sprichst du da, wenn sie Erkenntnis und Wahrheit ermöglicht, selbst aber noch an Herrlichkeit über diesen beiden stehet; denn Sinnenlust verstehst du gewiss nicht darunter. […]. Du wirst wohl einräumen, glaube ich, dass die Sonne dem Gesehenen nicht nur die Sichtbarkeit verleiht, sondern auch Werden, Wachsen und Nahrung, ohne dass sie selbst ein Werden ist? Das ist sie nicht! Und so räume denn nun auch ein, dass dem Erkannten von dem Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern ihm auch Sein und Wirklichkeit zukommt, ohne dass das Gute Wirklichkeit ist, sondern vielmehr an Würde und Macht noch über die Wirklichkeit hinausragt“ (Platon 2017, 508e – 509a).

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ziergangs sowie deren ästhetischen Entstehungsbedingungen reflektiert und über diesen als „voll sehenswerter und fühlenswerter bedeutender Erscheinungen“ berichtet : Bedenken Sie, wie der Dichter verarmen und kläglich scheitern muß, wenn nicht die mütterliche und väterliche und kindlich schöne Natur ihn immer wieder von neuem mit dem Quelle des Guten und Schönen erfrischt. (Spaziergang, S. 55)

Der hier formulierte hehre Anspruch, sich regelmäßig an der Quelle des Guten und Schönen der Natur zu erfrischen, wird zu einer poetologischen Herausforderung, liest man den Folgesatz, der eine für Walser typische asyndetische Reihung als Stilmittel enthält: Höchst liebevoll und aufmerksam muß der, der spaziert, jedes kleinste lebendige Ding, sei es ein Kind, ein Hund, eine Mücke, ein Schmetterling, ein Spatz, ein Wurm, eine Blume, ein Mann, ein Haus, ein Baum, eine Hecke, eine Schnecke, eine Maus, eine Wolke, ein Berg, ein Blatt oder auch nur ein armes weggeworfenes Fetzchen Schreibpapier, auf das vielleicht in liebes gutes Schulkind seine ersten ungefügen Buchstaben geschrieben hat, studieren und betrachten. (Spaziergang, S. 56)

Durch die Reihung der insgesamt siebzehn hier aufgezählten „Ding[e]“, erreicht Walser zwei Wirkungen dieses Satzes: Zunächst wird das Tempo der Erzählung erhöht, da in diesem einzigen Satz so viele Eindrücke aufgelistet sind, wie ein gesamter, einen ganzen Tag dauernder Spaziergang mit sich bringt. Der Satz spiegelt folglich en miniature – nicht auf der Inhaltsebene, doch durch die Aufzählung einzelner Wegmarken eines Spaziergangs poetisch – den Gesamttext Der Spaziergang wider. So wird zunächst der Anschein der Unmöglichkeit erweckt, die Umfänglichkeit der Natur und Kultur abbilden zu können, da man sich durch die Beschleunigung nicht en detail mit den einzelnen aufgezählten „Ding[en]“ beschäftigen kann. Um diesem Schein entgegenzuwirken, muss der Leser sich in einer wiederholenden, evtl. mehrfachen und verlangsamenden Lektüre, diesem Satz widmen. Was intradiegetisch eine Beschleunigung zu sein scheint, ruft eine Verlangsamung des empirischen Leseverhaltens hervor, das den mannigfaltigen Leseeindruck sortieren und ordnen muss. Diesen Gedanken kündigt die Sprecherinstanz, die ästhetische Wirkung des eben zitierten Satzes reflektierend, bereits einige Sätze zuvor an, wenn sie die zusammenhängende Funktionsweise des Spaziergangs mit dem Einsammeln von Eindrücken näher charakterisiert: Ein Spaziergang fördert mich beruflich und macht mir zugleich auch noch persönlich Spaß und Freude; er erquickt und tröstet und freut mich, ist mir ein Genuß und hat gleichzeitig die Eigenschaft, daß er mich zu weiterem Schaffen reizt und anspornt, indem er mir zahlreiche

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kleine und große Gegenständlichkeiten als Stoff darbietet, den ich später zu Hause emsig und eifrig bearbeite. (Spaziergang, S. 54)

Die Bearbeitung der „Gegenständlichkeiten“ zu einem Stoff scheint dem Diktum Horaz’ zu folgen, demzufolge ein Kunstwerk, auch die Literatur „geschlossen und einheitlich sein“ sollte: Erst in der nachträglichen Ordnung („zu Hause“) wird der – aus Sicht Horaz’ – lächerliche Eindruck vermieden, dass die Einzelteile eines Ganzen als nicht zusammengehörend scheinen. Sie kämen Horaz vor, wie „Gebilde, so nichtig wie Träume von Kranken, erdichtet, so daß nicht Fuß und nicht Kopf derselben Gestalt zugehören“⁸⁴ Wie in diesem Kapitel einleitend gezeigt wurde, arbeitet sich Der Spaziergang genau an diesem Zusammenfügen von Einzelteilen zu einem vermeintlich geschlossenen Ganzen ab: Was durch die Referenz der Novelle als eine erstrebenswerte geschlossene Form vorgegeben zu sein scheint, wird durch die mannigfaltigen Miniaturen in ihr unterlaufen. Der Spaziergang ist demnach als eine wichtige poetologische Vorstufe des Räubers aus dem Jahr 1925 zu lesen, der dieses ästhetische Verfahren weiter radikalisiert und verdichtet. In ihrer Auskunft gegenüber dem Vorsteher, die gleichsam als Selbstrechtfertigung ihres täglichen Spazierengehens verstanden werden kann, transportiert die Sprecherinstanz das bekannte Diktum Horaz’, demzufolge die Arbeit der Dichter entweder „nützen [prodesse] oder erfreuen [delectare] wollen […] oder zugleich, was erfreut und was nützlich fürs Leben ist, sagen“.⁸⁵ Ohne Spazieren würde ich ja gar keine Beobachtungen und gar keine Studien machen können. […] Auf einen schönen und weitschweifigen Spaziergang fallen mir tausend

 „Wollte zum Kopf eines Menschen ein Maler den Hals eines Pferdes fügen und Gliedmaßen, von überallher zusammengelesen, mit buntem Gefieder bekleiden, so daß als Fisch von häßlicher Schwärze endet das oben so reizende Weib: könntet ihr da wohl, sobald man auch zur Besichtigung zuließ, euch das Lachen verbeißen, Freunde? Glaubt mir, Pisonen, solchem Gemälde wäre ein Buch ganz ähnlich, in dem man Gebilde, so nichtig wie Träume von Kranken, erdichtet, so daß nicht Fuß und nicht Kopf derselben Gestalt zugehören“ (Horatius 1984, S. 5).  „Entweder nützen oder erfreuen wollen die Dichter oder zugleich, was erfreut und was nützlich fürs Leben ist, sagen.Wozu du auch immer ermahnst, sei kurz, damit deine Worte schnell der gelehrigen Sinn erfaßt und treulich bewahrt; alles, was überflüssig ist, entfließt dem vollen Herzen. Was man des Vergnügens wegen erfindet, sei dicht an der Wahrheit: daß nicht das Stück verlange, ihm alles, was ihm gefällt, auch zu glauben […]. Die Abstimmungsgruppe der Senioren verleumdet die Dichtungen ohne Nährwert, die vornehmen Ramnes lassen die herben links liegen; jede Stimme erhielt, wer Süßes und Nützliches mischte, indem er den Leser ergötzte und gleicherweise belehrte. Solch ein Buch verdient der Sosii die Groschen, gelangt übers Meer und verlängert seinem bekannten Verfasser die Lebensdauer“ (Horatius 1984, S. 27).

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brauchbare nützliche Gedanken ein. […] Spazieren ist für mich nicht nur gesund und schön, sondern auch dienlich und nützlich. (Spaziergang, S. 54)

Das Spazierengehen ist der Sprecherinstanz „dienlich und nützlich“, da es ihr ermöglicht, Eindrücke einzusammeln und diese zu erzählen. Dabei sind Spazierengehen, Erzählung sowie auch die Schriftstellerei gleichzusetzen, da die Sprecherinstanz sowohl den Spaziergänger, den Erzähler des Spaziergangs als auch eine Schriftstellerexistenz verkörpert. Die Selbstauskunft oder Selbstrechtfertigung der Sprecherinstanz erreicht somit die Qualität einer existenziellen Fragestellung, wie sie von Horaz in Bezug auf den Dichter gestellt wird: Ist dessen Dichtung nützlich und erfreut sie, so verlängert sie ihrem „Verfasser die Lebensdauer“⁸⁶. Symptomatisch dafür sind die mehrfachen Leseransprachen der Sprecherinstanz, die eine Rückversicherung bei ihrer Leserschaft simulieren: „sehr geehrte Herrschaften, Gönnerschaften und Leserschaften“, „lieber gewogener Leser“ (Spaziergang, S. 21, 14 f.). Von einer Simulation kann man deswegen ausgehen, da die Sprecherinstanz, wie eingangs dieses Kapitels gezeigt, keinen Wert auf die Belastbarkeit dieser Kommunikation legt (beispielsweise verspricht sie eine bestimmte Gangart, die aber nicht eingehalten wird, spricht von etwas Unerhörtem, das eine Seite zuvor bereits angekündigt worden ist). Auf diese Weise erzeugt die Sprecherinstanz beim Leser die Illusion, wählen oder mitbestimmen zu können, wie die Erzählung weitergehen soll. Die bereits zitierte Frage im Zusammenhang mit dem Putzgeschäft ist ein Beispiel hierfür („Eine bescheidene Frage: Ist vielleicht nachgerade für ein zierliches Putzgeschäft unter grünen Bäumen hervorragendes Interesse und womöglich etlicher Beifall spärlich vorhanden?“), denn die Sprecherinstanz nimmt das Ergebnis des Votums vorweg: Ich glaube stark daran, und so wage ich die ganz ergebene Mitteilung zu machen, daß ich im Gehen und Vormarschieren auf dem schönsten aller Wege einen ziemlich albernen, jünglinghaften und alten Freudeschrei aus einer Kehle ausstieß, die solches und ähnliches selber nicht für möglich hielt. (Spaziergang, S. 25)

Erzähltheoretisch stellt sich aufgrund einer solchen Äußerung in diesen beiden zitierten Sätzen die Frage, welche Instanz an dieser Stelle ihre Stimme erhebt. Denkbar wäre die Sprecherinstanz, die ihre Frage an einen fiktiven Leser richtet, oder die Position des intradiegetischen Spaziergängers einnimmt, der einen Freudeschrei ob seiner unmöglichen Entscheidung ausstößt.Wie diese Frage auch beantwortet wird, Walser befolgt die poetische Handlungsanweisung des Horaz  „Solch ein Buch verdient der Sosii die Groschen, gelangt übers Meer und verlängert seinem bekannten Verfasser die Lebensdauer“ (Horatius 1984, S. 27).

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und unterläuft sie zugleich: Durch die Ansprache an den Leser suggeriert er dessen Mitbestimmung über „Süßes und Nützliches“ – im Duktus Horaz‘ wären die Leser die „Abstimmungsgruppe der Senioren“ (Horatius 1984, S. 27) – missachtet aber durch Selbstentscheid dessen Votum. Diese Finte mag den realen Leser letztendlich doch im Sinne Horaz’ erfreuen.

2.4.2 Zarathustra-Miniaturen in Der Spaziergang (1917) und in Hans (1917) Zarathustra-Miniatur I – Der Spaziergang Tomzack als phänotypische Figur? Die sich im Erstdruck von 1917 auf den Seiten 28 – 31 befindliche von mir sogenannte Zarathustra-Miniatur wurde mit Fokus auf die dort auftauchende Figur Tomzack von Peter Utz bereits in seinem Aufsatz von 1994 und seiner Monographie aus dem Jahr 1998 sowie aktuell in seinem Beitrag zu den Robert WalserStudien besprochen. In seinen Beiträgen setzt Utz Tomzack, der dem spazieren gehenden Ich wie aus dem Nichts begegnet, dem Wesen nach mit der Figur des Zarathustra gleich und leitet in seiner Monographie zwei Deutungsebenen dieser Begegnung her: Die erste Ebene erklärt er aus dem zeitgenössischen Diskurs der Psychoanalyse und interpretiert das Auftauchen der Figur Tomzack mit dem Doppelgängermotiv, das Freud in seinem Essay Das Unheimliche im Jahr 1919 beschrieben hat: „Tomzack erscheint entsprechend als eine Personifikation jenes ,Anderen‘ und ,Fremden‘, das sich das ,Ich‘ spazierend und schreibend ständig vom Leib halten muß“ (Utz 1998, S. 175).⁸⁷ Auf einer interpretatorischen Ebene, die sich einer philosophischen Argumentationsweise bedient, beschreibt Utz Tomzack als „eine Figur der ,ewigen Wiederkehr‘, des anti-teleologischen Denkens“ (Utz 1994, S. 150)⁸⁸, die aus dem Nichts zu kommen scheint und nach der kurzen Begegnung mit dem spazieren gehenden Ich auch wieder dorthin verschwindet. Utz erkennt zwar an, dass eine statische Gegenüberstellung von Nietzsche und Walser nicht weiterführend und die Festlegung Walsers auf eine anti-nietzscheanische Position zu einfach sei, doch ist seine Schlussfolgerung, die gerade mit den Gegensätzen der riesenhaften Erscheinung des Tomzack, den er mit dem Pathos Nietzsches gleichsetzt und der kleinen Form Walsers herleitet (Utz 1994, S. 177) für einen poetologischen Zugang zum Text Der Spaziergang nicht in dem Maße weiterführend, wie es das Potenzial des in der Zarathustra-Miniatur vor Sorg sieht den einsamen Riesen Tomzack „unmittelbar als Alter Ego des Spaziergängers“ (Sorg 2018, S. 8 f), der den ersten Handlungsgipfel einer an ein klassisches Drama erinnernde Verlaufskurve darstellt.  Fast wortgleich findet sich dieses Zitat auch in: Utz 1998, S. 176.

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geführten ästhetischen Verfahrens zulässt. Denn Utz argumentiert, dass „die leerlaufende Zeit Tomzacks […] die Antithese zur linearen Zeitanordnung des ,Spaziergangs‘, mit der Walser diese Welt schreibend erschließt [, ist]. So nimmt Walser in der Gestalt des Tomzack das ,Andere‘, von dem sich sein Text wegschreibt, in diesen Text hinein“ (Utz 1994, S. 150). Dies mag zwar auf der philosophischen, den Zeitkontext betrachtenden Ebene, auf der sich Utz in seiner Argumentation dem Text nähert, logisch erscheinen – sind doch vor allem in der zeitgenössischen Rezeption die Attribute des Pathos und des Riesenhaften für Nietzsche (oder sein nicht gelesenes Werk?) ubiquitär.⁸⁹ Entsprechend argumentiert Utz (2018) denn auch mit Apollinaire und Benne (2009) mit einer von Nietzsche ablassenden neuen, jetzt auf den Surrealismus abzielenden Stoßrichtung, die letztlich Tomzacks Auftritt als Öffner für die in den 1910er Jahren aufkommende Kunstrichtung interpretiert.⁹⁰ So kann Roussel (2009) die Figur Tomzack als Allegorie der Nietzsche-Rezeption zu Beginn des 20. Jahrhunderts deuten: „Es scheint sich also um einen Menschen zu handeln, der zum Ungeheuer mutiert ist. Dies jedenfalls ist die Geschichte der Nietzsche-Rezeption […]“ (Roussel 2009, S. 374). Jedoch greift diese Zuschreibung unter einer poetologischen Perspektive schon allein deswegen zu kurz, da Kurscheidt in seinem Beitrag Tomzack als phänotypisch unheimliche Figur des Anderen mit Odradek aus Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters vergleicht oder mit einem anderen Typus aus der jüdisch-mystischen Tradition, mit „Ahasverus, dem ,ewigen Juden‘, dem Christus verkündete: Ich will stehen und ruhen, du aber sollst gehen bis an den Jüngsten Tag“ (Kurscheidt 1987, S. 139).⁹¹ Durch die von Kurscheidt aufgezeigten weiteren Vergleichsmög-

 „Walser begegnet hier Nietzsche also in höchst indirekter Gestalt, als ins Riesenhafte verzerrte, verflachte Schattenfigur. Mit ihr scheint kein direktes Gespräch möglich – es ist der Schatten, den Nietzsche ins 20. Jahrhundert wirft“ (Utz 1998, S. 176).  „Was auch immer diese viel diskutierte Figur [Tomzack] bedeuten mag: sie bricht die Realitätsillusion, in der man sich als mitspazierender Leser noch wiegen kann. Tomzacks Auftritt öffnet den Text im Sinne jenes Surrealismus, zu dem genau das Jahr 1917 erstmals das Stichwort liefert. [dazu in der Fußnote bei Utz: Guillaume Apollinaires Theaterstück Les mamelles de Tirésias (Die Büste des Tiresias), das im juni 1917 uraufgeführt wird, trägt den Untertitel „drame surrealiste“. – Auf Walsers Nähe und Affinität zum Surrealismus verweisen schon Evans: Robert Walsers Moderne, S. 31, und Benne: „Schrieb je ein Dichter so aufs Geratewohl?]“. Und im gleichen Jahr löst bei Marc Chagalls Spaziergang der fantastische Flug der Frau fast auch den Mann seiner Verhaftung mit dem Boden einer Realität, die noch eines ländlichen Spaziergangs sein könnte“ (Utz 2019, S. 55).  Zu überlegen wäre, inwieweit die phänotypisch angelegte Reihe der Figuren Tomzack, Odradek, Ahasverus um Gustav Meyrincks Der Golem erweitert werden kann.

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lichkeiten wird die Erklärung, Tomzack (möglicherweise ausschließlich) auf den Zarathustra zurückführen zu können, ihrer Singularität beraubt. Des Weiteren erscheinen die von Kurscheidt ins Spiel gebrachten Figuren in Texten unterschiedlicher Autoren, bzw. stammen aus der biblischen Überlieferung, die sich jeweils durch eine ihnen eigene ästhetische Verfahrensweise auszeichnen und deren einziger Schnittpunkt die motivische Übernahme der phänotypischen Eigenschaften ihrer Figuren sind. Utz übersieht auch, dass es zwar eine lineare Zeitordnung im Spaziergang gibt, diese aber – wie bereits eingangs dieses Kapitels knapp in Bezug auf die Novelle gezeigt wurde – kein Garant dafür ist, dass der Text ,klassisch‘ geschlossen nach formalen Kriterien funktioniert. Zwar entwickelt sich der Text entsprechend den Stationen des Spaziergangs und es werden die angekündigten Inhalte der Prolepsen zuverlässig erfüllt, doch bauen die einzelnen episodischen Strukturen, die Miniaturen, inhaltlich nicht notwendigerweise auf einander auf. Da der Text keinen sich entwickelnden Erzählstrang aufweist, könnten die Miniaturen auch in einer anderen Reihenfolge zusammengestellt sein.⁹² Bei einem Blick in den „Versuch einer Selbstkritik“ in GT gibt Nietzsche einen Hinweis auf die Wirkweise auf die, wie Walser in seinem Dramolett Aschenbrödel es nennt, „ganz/verschobne[n] Dinge“⁹³, wenn er über den mehrere Jahre nach dem eigentlichen Haupttext geschriebenen Paratext unentschieden spricht, dass dieser eine „späte Vorrede (oder Nachrede)“ (GT 1, KSA 1, S. 11)⁹⁴ sei. Damit bezeugt er den artifiziellen und illusionären Charakter des „Versuchs“, da dieser als nachträgliche Vorrede getarnt, mit noch größerem zeitlichen Abstand als es für eine Vorrede üblich ist (hier: das „Vorwort an Richard Wagner“), dem eigentlichen Text der GT vorangestellt wurde. Da Nietzsche in einer aus über zwanzig Fragen bestehenden Fragekaskade die legitimatorische Grundlage von GT beinahe entzieht, könnte man getrost nicht nur von einer (den Haupttext anzweifelnden) ‚Nachrede‘, sondern gar von einem Abgesang auf den Haupttext sprechen. Auf der Grundlage dieses artifiziellen und illusionären Charakters ist es ratsam, sich bei der Analyse des Spaziergangs nicht allein auf die Auseinandersetzung mit Nietzsche in Der Spaziergang über die Figur des Tomzack-Zarathustra und dessen in die Philosophie Nietzsches weisenden Charakterzüge zu beschränken. Diese sind recht rasch zu finden, da sie, wie Zitate von einzelnen

 Vgl. dazu auch Marc Caduff, der anhand des Vorworts des fiktiven Herausgebers von Fritz Kocher’s Aufsätzen zeigt, dass die „lineare Chronologie“ der Aufsätze nicht gewährt sei, da die einzelnen Aufsätze diesem „zufällig in die Hände“ (Caduff 2016, S. 91) geraten seien.  Aschenbrödel: „das gäbe doch kein Ende uns, / weil Anfang, Mitte, Ende ganz/verschobne Dinge sind“ (SW 14, S. 67).  Vgl. auch: Pichler 2012.

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Abschnitten oder Schlagworten aus dem Zarathustra, dem Leser sofort ins Auge springen müssen, wie die folgende Beschreibung Tomzacks. An dieser lässt sich exemplarisch vorführen, dass die von Walser übernommenen Schlagworte bei ihm bereits eine changierende Bedeutung gegenüber ihrem Prätext erhalten: „Ein unendlicher Schmerz sprach aus seinen müden schlaffen Bewegungen. Er war nicht tot und nicht lebendig, nicht alt und nicht jung“ (Spaziergang, S. 30 f.). Der Schmerz als Motiv kommt im Zarathustra in mehreren Passagen als ein konkreter, den Körper betreffenden Schmerz vor⁹⁵ und nicht als ein abstrakter, „elegische[r] Schmerz“ (GT, KSA 1, S. 125) wie überwiegend in GT⁹⁶, am prominentesten jedoch in „Von den Verächtern des Leibes“, in dem ein Disput zwischen dem Ich, dem Selbst und dem Leib inszeniert ist, wer von ihnen denn letzten Endes derjenige sei, der das sagen habe: „Das Selbst sagt zum Ich: ,hier fühle Schmerz!‘ Und da  „Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da es heiss war, und hatte seine Arme über das Gesicht gelegt. Da kam eine Natter und biss ihn in den Hals, so dass Zarathustra vor Schmerz aufschrie“ (Z I Natter, KSA 4, S. 87). „Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tönen. Und wenn du sagen wirst ,ich habe nicht mehr Ein Gewissen mit euch‘, so wird es eine Klage und ein Schmerz sein. Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das eine Gewissen: und dieses Gewissens letzter Schimmer glüht noch auf deiner Trübsal“ (Z I Schaffenden, KSA 4, S. 80).  „Das Dasein unter dem hellen Sonnenscheine solcher Götter wird als das an sich Erstrebenswerthe empfunden, und der eigentliche Schmerz der homerischen Menschen bezieht sich auf das Abscheiden aus ihm, vor allem auf das baldige Abscheiden: so dass man jetzt von ihnen, mit Umkehrung der silenischen Weisheit, sagen könnte, „das Allerschlimmste sei für sie, bald zu sterben, das Zweitschlimmste, überhaupt einmal zu sterben“ (GT, KSA 1, S. 36). „Er [der Lyriker, B.S.] ist zuerst, als dionysischer Künstler, gänzlich mit dem Ur-Einen, seinem Schmerz und Widerspruch, eins geworden und producirt das Abbild dieses Ur-Einen als Musik, wenn anders diese mit Recht eine Wiederholung der Welt und ein zweiter Abguss derselben genannt worden ist; jetzt aber wird diese Musik ihm wieder wie in einem gleichnissartigen Traumbilde, unter der apollinischen Traumeinwirkung sichtbar. Jener bild- und begrifflose Wiederschein des Urschmerzes in der Musik, mit seiner Erlösung im Scheine, erzeugt jetzt eine zweite Spiegelung, als einzelnes Gleichniss oder Exempel“ (GT, KSA 1, S. 43). „Ein ganz verschiednes Ziel hat die Kunst des Plastikers: hier überwindet Apollo das Leiden des Individuums durch die leuchtende Verherrlichung der Ewigkeit der Erscheinung, hier siegt die Schönheit über das dem Leben inhärirende Leiden, der Schmerz wird in einem gewissen Sinne aus den Zügen der Natur hinweggelogen“ (GT, KSA 1, S. 108). „Das Dionysische, mit seiner selbst am Schmerz percipirten Urlust, ist der gemeinsame Geburtsschooss der Musik und des tragischen Mythus“ (GT, KSA 1, S. 152). „Es liegt also auf den Zügen der Oper keinesfalls jener elegische Schmerz eines ewigen Verlustes, vielmehr die Heiterkeit des ewigen Wiederfindens, die bequeme Lust an einer idyllischen Wirklichkeit, die man wenigstens sich als wirklich in jedem Augenblicke vorstellen kann: wobei man vielleicht einmal ahnt, dass diese vermeinte Wirklichkeit nichts als ein phantastisch läppisches Getändel ist, dem jeder, der es an dem furchtbaren Ernst der wahren Natur zu messen und mit den eigentlichen Urscenen der Menschheitsanfänge zu vergleichen vermöchte, mit Ekel zurufen müsste: Weg mit dem Phantom!“, (GT, KSA 1, S. 125).

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leidet es und denkt nach, wie es nicht mehr leide – und dazu eben s o l l es denken. Das Selbst sagt zum Ich: ,hier fühle Lust!‘ Da freut es sich und denkt nach, wie es noch oft sich freue – und dazu eben s o l l es denken“ (Z I Verächtern, KSA 4, S. 40).⁹⁷ Sollte Walser sich also auf den Zarathustra in dieser Miniatur rückbeziehen, so hat er den Begriff des Schmerzes als elegischen auf eine sehr hohe Ebene abstrahiert oder schlichtweg den Prätext changierend verarbeitet. Die sich nicht auf einen Zustand festlegen wollende Beschreibung könnte als Verständnis Walsers auf die oftmals sich wiedersprechenden philosophischen Positionen in den einzelnen Abschnitten des Zarathustra verstanden werden. Sie kann aber auch als ein Missverständnis interpretiert werden, das auf den zu Walsers Zeiten überall kursierenden, aus dem Kontext gerissenen und zum Teil falsch wiedergegebenen Nietzsche-Zitaten basiert. So stellt sich Zarathustra in der achten Vorrede auf die Frage des Hausbesitzers, an dessen Türe er aus Hunger und Durst klopft, wer Einlass begehre, vor als „[e]in Lebendiger und ein Todter“ (Z I Vorrede, KSA 4, S. 24). Diese Selbstauskunft meint jedoch nicht, dass Zarathustra diese beide biologischen Zustände in sich vereint, sondern er hat im Kontext dieser Szene ja den abgestürzten, toten Seiltänzer bei sich, den er beerdigen möchte. Erfolgsversprechender ist eine Analyse der einzelnen Miniaturen und derer Poetologie, um sich von der rein philosophisch fundierten Lesart loszulösen. Bevor mit der eigentlichen Lektüre der Zarathustra-Miniatur begonnen wird, soll auf die sie einleitenden poetologischen Besonderheiten eingegangen werden, die durch eine vergleichende Lektüre mit Texten Nietzsches methodisch gefasst werden.

2.4.3 In Prolepsen denken – Gangarten des Denkens Nimmt man an, dass die eigentliche Zarathustra-Miniatur mit dem langen, über fast eine ganze Druckseite reichenden Satz „Indem ich wie ein besserer Strolch“ (Incipit) auf S. 28 beginnt, so weisen bereits die diesem vorstehenden Sätze

 Da Gerhardt (2000) den Versuch einer rein philosophischen Interpretation dieser Textstelle ohne Kontextbezug weder im Zarathustra noch im weiteren Werk Nietzsches unternimmt, kommt er zu der für ihn unzweifelhaften Conclusio („es läßt sich versichern“ (S. 126)), dass der Leib als vernünftig gelten muss: „Da die Vernunft sich immer nur in der Trägerschaft eines Leibes findet, muß auch dieser Träger, der Leib, als vernünftig gelten. Und da er in dieser Trägerschaft früher und allemal umfänglicher ist als seine ausdrücklich ,vernünftig‘ genannte Leistung, kann er tatsächlich als ,größer‘ angesehen werden“ (Gerhardt 2000, S. 128).

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poetologische Verfahrensweisen auf, die denen Nietzsches ähneln.⁹⁸ Die Sätze „Aber wann komme ich wohl endlich zu dem wohlverdienten Schmaus bei meiner Frau Aebi? Ich fürchte, daß das noch ziemlich lange dauert, da noch erkleckliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind“ (Spaziergang, S. 28) zeigen ein ähnliches Verfahren auf, wie es im Textanfang von Prosper Mérimée vorgeführt werden wird: Die Sprecherinstanz fragt hier nach dem eigentlichen Hauptereignis des Textes (dem Mittagessen bei Frau Aebi), das bereits mehrfach angekündigt worden ist und auf das der erste Teil des Textes zuläuft. Zum einen scheint hier ein Ruf zu erklingen, der mahnt, den Text in einer ordentlichen Reihenfolge zu erzählen bzw. die Prolepse mit der Ankündigung des Mittagessens einzulösen. Im Gegensatz zu Prosper Mérimée fehlt an dieser Stelle jedoch der Anruf einer Instanz wie der des Rechtsanwalts Rodmann, welche vermeintlich in der Lage sein soll, für den ordnungsgemäßen Ablauf des Textes garantieren zu können. Stattdessen wird deutlich, dass die Sprecherinstanz zu wissen scheint, dass auch ihr ein „Irrtum“ unterlaufen kann, wie sie an späterer Stelle eingesteht, und in diesem Zusammenhang den Leser bittet, diesen „nicht übel“ zu nehmen. Die „nachträglich[e]“ (Spaziergang, S. 51) Korrektur der Sprecherinstanz weist an dieser Stelle nicht dieselbe den Textfluss unterbrechende Qualität der „Phantasieentgleisung“ wie in Prosper Mérimée auf, wo das Auftauchen der „zehn Vagabunden“ (AdB 1, S. 113) die Sprecherinstanz zutiefst verunsichert, jedoch eine ähnliche, den Text aufschiebende Funktion, wie der Textanfang von Prosper Mérimée: Kann dort die eigentliche Erzählung ob der immer wieder anhebenden Schreibbemühung der Sprecherinstanz erst sehr spät beginnen, so stehen im Spaziergang dem Bericht über das Mittagessen „erkleckliche Hindernisse“ im Weg. Die Uneindeutigkeit der Sprecherinstanz, die sie dadurch evoziert, Irrtümer oder gar Phantasieengleisungen in ihre Erzählung einzubauen, ruft beim Leser nicht nur Irritationen ob der daraus entstehenden Unzuverlässigkeit hervor, da sie den Fluss der Erzählung immer wieder unterbrechen, sondern drückt in Verbindung mit den von Walser vor allem im Spaziergang und im Räuber häufig eingesetzten Prolepsen auch eine Art des Denkens aus, die sich in verschiedenen Modi manifestieren kann. Zur Erläuterung sei der Aphorismus 27 aus JGB her-

 Die Entscheidung, an welcher Stelle genau die Zarathustra-Miniatur beginnt, lässt eine monokausale Begründung nicht zu: Folgt man Utzens philosophisch und zeitkontextuell angelegter Argumentation, so wäre die Zarathustra-Miniatur auf die wenigen Sätze zu begrenzen, in der die Figur Tomzack-Zarathustra behandelt wird. Zieht man eine poetologisch-fundierte Abgrenzung, die auf den mit der im Zarathustra und anderen Schriften Nietzsches vorkommenden Poetologie interferiert, müsste Der Spaziergang aufgrund seiner poetologischen Charakteristika an sich als solche verstanden werden.

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angezogen, der die verschiedenen Arten des Denkens im Kontext des (Miss‐) Verstandenwerdens in unterschiedlichen Gangarten des Denkens ausdrückt: Es ist schwer, verstanden zu werden: besonders wenn man gangasrotogati denkt und lebt, unter lauter Menschen, welche anders denken und leben, nämlich kurmagati oder besten Falles ,nach der Gangart des Frosches‘ mandeikagati. (JGB 27, KSA 5, S. 45)⁹⁹

Das Vorgehen, einen Text wesentlich durch das stilbildende Merkmal der Prolepse zu strukturieren, ließe sich demzufolge am ehesten durch die „Gangart des Frosches madeikagati“ beschreiben: Die zu einem früheren Zeitpunkt des Textes angekündigten Textereignisse werden, wie im Fall von Der Spaziergang, zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegriffen¹⁰⁰ und erfordern vom Leser die Aufmerksamkeit, die auseinanderliegenden, aber aufeinander referierenden Textstellen, gedanklich zusammenzubringen. Der auf den ersten Blick sich linear entwickelnde Spaziergang, von der Sprecherinstanz als „behaglich, sachlich, glatt, bedächtig und ruhig“ (Spaziergang, S. 14 f.¹⁰¹) beschrieben, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen folglich als ein durch das Nebeneinander von Miniaturen unterbrochenen Text, deren Anfänge und Enden von Prolepsen umrahmt sind. Der Fortgang der Erzählung sowie deren Lektüre sind somit charakterisiert durch voraus- und zurückschauende (oder wie der Gangart des Frosches entsprechenden, springenden) Bewertung der Prolepsen und deren Einlösung sowie daraus resultierend mit einer Verlangsamung oder Beschleunigung der Erzählung bzw. der Lektüre (Nietzsche selbst ordnet in seinen Aufzeichnungen (so auch Heinrich Köselitz alias Peter Gast) diesen aus dem indischen Kulturkreis stammenden Denkarten musikalische Vortragsbezeichnungen aus der europäischen Musiksprache zu, die verschiedene Tempi bezeichnen). Erwartet der Leser durch die an sich selbst gerichtete Frage der Sprecherinstanz nach dem baldigen Mittagessen ein presto der Erzählung, nämlich dessen Erfüllung, so wird dem Fortgang der Erzählung mit dem die Zarathustra-Miniatur einleitenden Satz das nächste Hindernis in den Weg gelegt und damit die Erzählung wieder durch ein lento verlangsamt. Der Begriff „Gangart“ wird von der Sprecherinstanz gleich zu

 Vgl. auch NL 1882, KSA 10, S. 89: „G a n g u n d G a n g a r t – Ich habe gehen g e l e r n t : seitdem lasse ich mich laufen.“; WS 89, KSA 2, S. 593: „Auf den Gang Acht geben. – Der Gang der Sätze zeigt, ob der Autor ermüdet ist; der einzelne Ausdruck kann dessen ungeachtet immer noch stark und gut sein, weil er für sich und früher gefunden wurde: damals als der Gedanke dem Autor zuerst aufleuchtete“.  Im Räuber ist dies in aller Regel nicht der Fall. Vgl. das Kapitel „Räuber“.  Vgl. dazu die später in diesem Kapitel thematisierte Charakterisierung des Riesen Tomzack als „unruhig“.

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Beginn des Spaziergangs bei der Charakterisierung des ihr begegnenden Professors eingeführt¹⁰² und deren Wechsel explizit in seinem Prosastück Fritz, das wie Der Spaziergang ebenfalls 1917 erscheint, thematisiert: Mit Riesenschritten eilte ich jetzt ins Riesengebirge und von da nach Thüringen wo mir eine Menge mittelalterlicher Burgen auffiel, wie wohl es vielleicht besser gewesen wäre, wenn ich weder mit Riesenschritten noch in irgendwelcher anderen Gangart ins Riesengebirge und von da nach Thüringen gegangen wäre. (SW 5, S. 178)

Das Prosastück Fritz drückt dieses Denkmuster oder diese Denkbewegung, dass Spazieren und Denken, beziehungsweise Schreiben zusammenfallen, dadurch aus, dass Walser es mit Überschriften in einzelne Zwischenkapitel gegliedert hat, die wie die Stationen einer Wanderung das Stück in Abschnitte einteilen: Diese Stationen sind im Grunde keine richtigen Kapitel, sondern Walser setzt druckgraphisch Wörter einzelner Sätze ab, um einen Abschnitt zu markieren. Bei dieser Aneinanderreihung von konkreten und abstrakten Begriffen vermischen sich Stationen, die vom Erzähler oder dessen Figur im Stück erwandert werden können – zum Beispiel die geographischen Orte (Rom, Amsterdam, Zürich usw.) – mit Stationen, die abstrakt narrative Punkte einer Erzählung bilden (Dame, Vertrauensposten, Optimisten usw.). Die Aneinanderreihung dieser Stationen könnte einen narrativen Fluss der Erzählung ermöglichen, Doch durch immer wieder eingeschobene, zumeist konjunktivische, Fragen verhindert Walser diesen: „Warum musste ich durchaus Städte wie etwa Pisa sehen?“; „Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich Städte wie Ravenna nie gesehen hätte?“, (SW 5, S. 175). Diese immer wieder eingeworfenen Fragen, die zum Teil existenziell werden: „Warum bin ich überhaupt auf die Welt gekommen?“, verhindern eine einheitliche Gangart der Erzählung, wie Walsers Erzähler selbst kommentiert, da sie „unterminierend“ (SW 5, S. 176), „unterhöhlend“ (SW 5, S. 177) oder „zerklüftend“ (SW 5, S. 178) sind. Immer wieder kommt der narrative Fluss ins Stocken, wird die Glaubwürdigkeit des Erzählers in Frage gestellt und führt mit den so entstehenden Widersprüchen zu Irritationen beim Leser: Der scheinbar mühelos assoziative Fluss der Gedanken des Erzählers wird aus dem Gang gebracht und oft zu einem Wechsel der Erzählrichtung, einer Abbiegung auf dem Spaziergang, genötigt. Die konjunktivischen Einschübe, dass etwas besser nicht stattgefunden hätte, sind nicht nur Unterbrechungen des Fortgangs der Handlung sondern eine Infragestellung der Richtigkeit der Handlungen oder gar der eigenen Existenz des Erzählers. So

 „Des berühmten Gelehrten Gangart glich einem ehernen Gesetz; Weltgeschichte und Abglanz von längst vorübergegangenen Taten blitzten aus Herrn Professor Meilis harten, hinter buschigen Augenbrauen verborgenen Augen hervor“ (Spaziergang, S. 6).

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scheint sich der Erzähler Fritz sogar selbst aufheben zu wollen: Sein Name, der an die Figur Fitz Kocher aus FKA von 1904 erinnert, wird von ihm selbst in Frage gestellt – „Wäre es nicht besser gewesen, wenn man mir einen anderen Namen gegeben hätte?“ –, ohne dabei den Grund für die Ablehnung zu nennen oder eine bejahende Namensalternative anzubieten. Stattdessen startet der Ich-Erzähler eine Fragekette unbegründeter Ablehnungen: „Aus der Juravorstadt ging ich hervor, aus der ich vielleicht besser nie hervorgegangen wäre. Mein Vater war Radtreiber. Wäre es nicht besser gewesen, wenn mein Vater nie Räder getrieben hätte?“, (SW 5, S. 175) usw. Und so endet das Stück Fritz mit dem Satz: „[O]bwohl ich glaube, daß es vielleicht besser sein wird, lieber nie die Feder zu diesem Zweck in die Hand zu nehmen, da ich offenbar am besten überhaupt keine Zeile hierüber schreibe.“ Mit diesem Schlusssatz stellt der Erzähler sein eigenes Schreiben in Frage und deutet damit auch an, die inhaltliche Wertigkeit seiner Erzählung aufzuheben.¹⁰³

2.4.4 Lichtblitze und Blitzlichter – Zarathustras Heimatlosigkeit Der die Zarathustra-Miniatur einleitende Satz sei hier im Ganzen wiedergegeben, um an ihm quasi in nuce dieses Verfahren der Beschleunigung und Verlangsamung der Erzählung aufzuzeigen und damit die eigentliche Analyse der Zarathustra-Miniatur einzuleiten [fette Hervorhebungen durch B.S.]: Indem ich wie ein besserer Strolch, feinerer Vagabund und Tagedieb oder Zeitverschwender und Landstreicher so des Weges ging, neben allerlei zufriedenem behaglichen Gemüse vollbepflanzten und vollgestopften Gärten vorbei, neben Obstbäumen und neben Bohnenstangen und Stauden voller Bohnen vorbei, neben hochaufragendem Getreide, wie Roggen, Hafen und Weizen vorbei, neben einem Holzplatz mit vielen Hölzern und Holzspänen vorbei, neben saftigem Gras und neben einem artig plätschernden Wässerchen, Fluß oder Bach vorbei, neben allerhand Leuten, wie lieben handeltreibenden Marktfrauen, hübsch vorbei, neben einem mit Luft –und Freudenfahnen geschmückten Vereinshaus ebenso gut wie an manchen andern gutmütigen und nützlichen Dingen vorbei, neben einem besonders schönen und lieben Feen-Apfelbäumchen vorbei und weiß der liebe Gott an was

 Eine ähnliche Aufhebung in Form einer konjunktivischen Alternative findet sich in Geschwister Tanner: „Viel besser, Sie würden mich zu Ihrem Hause hinausgewiesen haben“ (KWA I/ 2, S. 26) sagt die Figur Simon Tanner zu einer Dame, bei der er ein Zimmer zur Miete besichtigt. Die Figur Kaspar entgegnet dem dichtenden Poeten Sebastian: „Dichten Sie lieber überhaupt nicht“ (KWA I/2, S. 76). Simon Tanners Selbstauskunft lautet: „Ich heiße Simon, und habe bis jetzt nichts getan“ (KWA I/2, S. 173). Vgl. auch den Ausruf des Rezensenten der Schelmengeschichte in Der Schelm (1928/1929): „Wenn mir doch eine derartige Kennzeichnungsart nie aus dem Mund herausgefahren wäre!“, (SW 20, S. 346).

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sonst noch allem Möglichen vorbei, währenddessen mich immer allerlei mehr oder weniger schöne und angenehme Gedanken, stark beschäftigten, weil beim Spazieren viele Einfälle, Lichtblitze und Blitzlichter sich ganz von selber einmengen und einfinden, um sorgfältig verarbeitet zu werden, kam ein Mensch, ein Ungeheuer, ein Ungetüm mir entgegen, der mir die helle lichte Straße fast völlig verdunkelte, ein lang- und hochaufgeschossener unheimlicher Kerl, den ich leider nur allzu gut kannte, ein höchst sonderbarer Geselle, nämlich der Riese Tomzack. (Spaziergang, S. 28 f.)¹⁰⁴

Stehen dem eigentlichen Fortgang der Erzählung noch etliche Hindernisse im Weg, so scheint auf den ersten Blick der die Zarathustra-Miniatur eröffnende Satz quantitativ mit seiner Länge über fast eine Druckseite im Erstdruck von 1917 dabei das größte zu sein. Jedoch besteht der Satz aus etlichen parallel gebauten Nebensätzen mit der Anapher „vorbei“¹⁰⁵, welche die erzählte Zeit deutlich gegenüber der Erzählzeit raffend beschleunigt. Die Sprecherinstanz berichtet in diesem Satz von so vielen Eindrücken an unterschiedlichen räumlichen Orten, die empirisch geographisch weiter auseinanderliegen und deswegen eher nicht in einen einzelnen Satz passen. Der Leser muss den Satz gegebenenfalls mehrfach lesen, um die einzelnen Stationen bewusst wahrzunehmen und zu versuchen, für diese

 Anne Fuchs hat jüngst eine Einordnung des Spaziergangs zusammen mit anderen Prosastücken Walsers in den Diskurs der sogenannten speed politics (vgl. Duffy 2009) vorgenommen: Deren wesentliche Merkmale seien in den Texten Walsers als agile „Beschleunigungs- und Entschleunigungsmanöver“ poetologisch erkennbar und würden eine „performative Textdynamik vor allem aus den wechselnden Posen und Gangarten des Ich“ hervorbringen, die unterschiedliche „Mobilitätsgrammatik[en]“ der Zeit Walsers abbilden. So liest sie den einleitenden Satz der Zarathustra-Miniatur als eine Walsersche Simulation der Landschaftswahrnehmung eines Eisenbahnreisenden: „An die Stelle des Raum-Zeit-Kontinuums der durchwanderten Landschaft tritt hier ein mittels der Aufzählung erreichter Mobilitätseffekt, der erst durch das Auftreten des Riesen Tomzack in die narrative Ordnung zurückgeführt wird. Die Liste der flüchtig wahrgenommenen Gegenstände zerstört hierbei genau jene Tiefendimension der Landschaft, die für die romantische Naturerfahrung noch konstitutiv war. Zu der Auflösung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund in Walsers Beschreibung tritt das Moment der Akzeleration und Dynamisierung der rhythmischen Wiederholung des Adverbs ,vorbei‘, welches die Flüchtigkeit der Wahrnehmungen des Spaziergängers deutlich akzentuiert. Während Walser in seinen Berliner Prosatexten oftmals Naturmetaphern bemüht, um die pulsierende Dynamik des Großstadtlebens zu evozieren, imitiert er in Der Spaziergang an dieser Stelle den flüchtigen Blick aus dem Eisenbahnfenster, um die durchwanderte Umgebung als moderne Wahrnehmung einer beschleunigten Wirklichkeit erfahrbar zu machen“ (Fuchs 2018, S. 135).  Zur Anapher als Stilmittel vgl. auch Der Spaziergang: „Ich habe einen wohligen, kleinen, appetitlichen Spaziergang gemacht, leicht und angenehm wickelte er sich ab. Ich ging durch ein Dorf, dann [fett von B.S.] durch eine Art von Hohlweg, dann durch einen Wald, dann über ein Feld, dann wieder durch ein Dorf, dann über eine eiserne Brücke […]“ (SW 4, S. 131).

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eine Relevanz für das Fortschreiten der Handlung zu erkennen. Folgt der Leser dabei dem bereits genannten, von der Sprecherrolle angebotenen Erzähler-LeserPakt, über alles so „umständlich wie möglich“ (Spaziergang, S. 38) zu berichten, so wird er auch in dieser Textstelle enttäuscht – die in dem Satz vorgetragenen Stationen sind für die Handlung an sich irrelevant, da sie in dieser Anhäufung keinerlei Mehrwert für die Begegnung mit Tomzack am Ende des Satzes beitragen. Die Sprecherinstanz scheint demnach in zweifacher Weise ein Strolch, Vagabund oder Tagedieb zu sein, mit denen sie sich, den Satz einleitend, vergleicht. Sie untergräbt auch hier den von ihr angebotenen Pakt mit dem Leser und sammelt wie die Landstreicher, die scheinbar wahllos von Ort zu Ort ziehen, Eindrücke ein, die ihr während des Vagabundierens begegnen. Mit Blick auf den Räuber, der gut neun Jahre später entsteht, kann dieses vagabundierende Einsammeln von Eindrücken als vorbereitende Stufe für dessen poetologisches Verfahren, sich intertextuell Ideen und Verfahren aus fremden Texten anzueignen, gelesen werden.¹⁰⁶ Ist der Inhalt der in den Nebensätzen geschilderten Eindrücken für das Fortkommen der Handlung an sich irrelevant, so verhält sich dies für eine poetologische Betrachtung diametral entgegensetzt. Denn, dass unter den Eindrücken „nützliche[…] Dinge[…]“ und „schöne und angenehme Gedanken“ sind, lässt auf einen Bezug zu dem bekannten Diktum Horaz schließen, nach dem Dichtung nützlich sein soll (vgl. die Analyse der Horaz-Miniatur). Allerdings wird dieser Bezug zum Altmeister der Poetik und damit dessen Nützlichkeitseinschätzung der Dichtung an dieser Stelle gleich mit abgewertet, da diese in der langen Reihe der Nebensätze fast untergehen und die Sprecherinstanz diese mit der direkt folgenden Aussage „und weiß der liebe Gott an was sonst noch allem Möglichen“ der Beliebigkeit preisgibt. Der Bezug zu Zarathustra lässt sich an dieser Stelle über dessen Abschnitt „Von den Dichtern“ herstellen, in dem Zarathustra das Diktum Platons über die Dichterlügen – dass die Dichter zu viel lügen – aufgreift, um seinem Jünger in einem Dialog mit ihm vorzuführen, dass es keine Unterscheidung zwischen wahren und falschen Meinungen geben könne, da auch er selbst, Zarathustra, ein Dichter sei (Z II Dichtern, KSA 4, S. 163 – 164).¹⁰⁷ Deutlich vorge-

 Vgl. dazu auch: Prosper Mérimée, der Verfasser der Carmen. In dem Prosastück ist das Räubermotiv indirekt bereits durch den Titel, der historischen Figur Prosper Mérimée bereits eingeführt: In der Erzählung Carmen berichtet der Erzähler über das Leben des Räubers Don José.  “,Seit ich den Leib besser kenne, – sagte Zarathustra zu einem seiner Jünger – ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das ,Unvergängliche‘ – das ist auch nur ein Gleichniss.‘ ,So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und damals fügtest du hinzu: ,aber die Dichter lügen zuviel.‘ Warum sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lügen?‘ ,Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf. Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe meiner Meinungen

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führt wird dieses selbstentlarvende Verfahren von Walser gegen Ende des Spaziergangs in einer Miniatur, in der die Sprecherinstanz in über mehr als zwei Seiten in der Beschreibung einer Werbe„[t]afel“ einer „Herrenpension“ in übertriebener Weise die Werberede eines Gastronomen simuliert und am Ende dieser in einer Metalepse die Glaubwürdigkeit des eben Ausgeführten selbst hinterfragt: „Zwei bis drei Leser werden vielleicht in die Wahrscheinlichkeit dieses Plakates einige Zweifel setzen, indem sie sich sagen werden, daß man nicht recht daran glauben könne“ (Spaziergang, S. 81). Die Sprecherinstanz entlarvt damit zunächst den Fiktionscharakter von Werbung generell und warnt vor „nervöser Gier“ und „Neuigkeitenschnapper[n]“ (Spaziergang, S. 82, 81¹⁰⁸). Mit diesem Ansatz möchte die Sprecherinstanz den „ernsthafte[n] Schriftsteller“ von den Werbetextern abgrenzen, da dieser sich von jenen darin unterscheide, nicht allein „Anhäufung von Stoffliche[m] zu besorgen“ (Spaziergang, S. 82¹⁰⁹). Wie Zarathustra mit seinem Jünger, tritt die Sprecherinstanz an dieser Stelle quasi in einen fiktiven Dialog mit dem Leser, da sie dessen Zweifel an der Wahrscheinlichkeit des Plakats von diesem unaufgefordert, gleichsam in vorauseilendem Gehorsam aufgreift und dadurch ihren – immer an den fiktiven Leser gerichteten – Ausführungen zur Unterscheidung zwischen „Schönheit“ und „Segen“ nützlicher Dichtung sowie von ephemerer Werbung Ausdruck verleihen kann. Die Feststellung der Sprecherinstanz, „[f]ür solcherlei Leute [die Werbetexte erhoffen, B.S.] dichtet der Dichter keinesfalls“ (Spaziergang, S. 81), scheint die Ehrbarkeit der Dichter retten zu wollen, schließt jedoch direkt an das Zarathustra-Diktum der Dichterlüge an, da der Werbetext ebenfalls erdichtet ist, die Sprecherinstanz sich im Spaziergang mehrmals selbst als unglaubwürdig erwiesen hat und die Auseinandersetzung erlebte. Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte? Schon zuviel ist mir′s, meine Meinungen selber zu behalten; und manchen Vogel fliegt davon. Und mitunter finde ich auch ein zugeflogenes Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege. Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen? – Aber auch Zarathustra ist ein Dichter. Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?‘ Der Jünger antwortete: ,ich glaube an Zarathustra.‘ Aber Zarathustra schüttelte den Kopf und lächelte. Der Glaube macht nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an mich. Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lügen zuviel: so hat er Recht, – wir lügen zuviel. Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen wir schon lügen.“ Vgl. dazu Zittel 2011, S. 50 – 52.  Die Werbung mit ihren Mechanismen ist bereits in Der Gehülfe ein wichtiges Motiv, das für die erfolglosen Verwertungsversuche Toblers und damit indirekt für seinen Bankrott steht: Eine seiner nicht kommerzialisierbaren Erfindungen ist die „Reklame-Uhr“ (KWA I/3, S. 17).  Vgl. dazu auch den oben in der Analyse der Horaz-Miniatur aufgezeigten Widerspruch, der durch die Forderung Horaz’, dass Literatur geschlossen und einheitlich sein sollte, entsteht: In der Ausführung unterläuft Der Spaziergang mit seinen episodenhaften Strukturen und den aufgezeigten Miniaturen diese Geschlossenheit und Einheitlichkeit.

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mit Werbung, bzw. die Übernahme von deren Mechanismen für Walser selbst ein wichtiges produktives Movens für sein Schreiben liefert: Die an dadaistische Sprachspiele erinnernden Attribute, welche die Sprecherinstanz im ebenfalls 1917 erschienenen Prosastück Na also zur Beschreibung seines eigenen (Schriftsteller‐) Zustands verwendet („so so und La la, na ja […] na-nu“ SW 5, S. 175) ¹¹⁰, genauso wie die Verwendung des Oxymorons (heller Sonnenschein bei Mondlicht, SW 5, S. 171), das als Stilmittel einen Sinn wie im Gedicht Dunkel war′s der Mond schien helle erhält, basiert auf der Auseinandersetzung Walsers mit den Werbefotos und -texten des Unternehmens Odol in den Zeitschriften und Tageszeitungen, in denen er seine Beiträge abdrucken konnte.¹¹¹ Die Verdichtung der Anpreisung der Leistungen des Produkts und die ständige Wiederholung des Produktnamens führen nicht nur dessen Sinnlosigkeit vor, sondern geben dem Prosastück Na also eine ihm eigene ästhetische Struktur. Peter Utz’ Lesart, dass die Auseinandersetzung Walsers mit der Werbung auf dessen Wahrnehmung fußt, die Werbung der Tageszeitungen als direkte Konkurrenz für seine eigenen Feuilleton-Beiträge zu sehen (beide werden unter dem berühmten Strich zuunterst auf der Seite gedruckt), ändert nichts an der Tatsache, dass Walser die ästhetische Funktions-

 Benne legt zu Walser generell seine „starke Arbeitsthese“ vor: „In der deutschen Literatur ist Robert Walser der Autor mit den ausgeprägtesten Affinitäten und Parallelen zu den poetischen Verfahren des Surrealismus“ (Benne 2009, S. 50). Banki liest die surrealistisch anmutenden Einschübe im Prosastück Kleist in Thun (1913) als Sinnauflösung: „Wenn in dieser Beschreibung das referenzielle Abschildern scheitert und zum Klischee verkommt, emanzipiert sich die Sprache, lässt realistische sowie stilisierte Naturbeschreibung hinter sich und gibt sich ganz ihrer Eigendynamik hin – bis hin zur Auflösung ihres Sinns. Damit ist ihre Funktion als Bedeutungsträger und mithin ihre Funktionalität als Medium infrage gestellt und die Selbstreferenzialität der Sprache greift sich über ihre Referenzialität hinweg Raum: ,La la la.‘“ (Banki 2018, S. 110).  Vgl. auch: „Ferner nicht zu übersehen oder zu vergessen: Aufschriften und Ankündigungen wie ,Persil‘ oder ,Maggis unübertroffene Suppenrollen‘ oder ,Continental-Gummiabsatz‘ oder ,Die beste Milch-Schokolade‘ oder ich weiß wahrhaftig nicht, was sonst noch alles“ (Spaziergang, S. 77). Dazu Utz: „Mit ihr [der Phantasie] kontrastieren jedoch in der Folge die Werbetafeln, die als konkrete Zitate direkt in den Text einmontiert werden, von ,Maggis unübertroffene Suppenrollen‘ bis zu ,Continental-Gummiabsatz enorm haltbar (SW 5, 70) – eine zeitgenössische Reklame, die den Spaziergänger besonders ansprechen muss […]. Hier bewegen wir uns in einem Stadttext als einer Zeichenwelt, wie ihn erst zehn Jahre später zum Beispiel Alfred Döblin mit Berlin Alexanderplatz endgültig als Verfahren der literarischen Großstadtdarstellung etablieren wird“ (Utz 2018, S. 53). Die zigfache Nennung von Odol in Na also erinnert in der Vervielfachung des Produktnamens an eine Illustration aus der Zeitschrift Jugend aus dem Jahr 1903, auf der die Werbung für Odol-Mundwasser ebenfalls vervielfacht zu sehen ist: Die Standbilder der brandenburgisch-preußischen Herrscher auf der Siegesalle im Tiergarten in Berlin werden von OdolFlaschen überdeckt (vgl. Abb. 3 im Anhang). Peter Utz hat in seinem Aufsatz von 2001 auf verschiedene Bild- und Textquellen als Vorbild für die Odol-Nennung in Na also hingewiesen. Nicht jedoch auf die Siegesalle in Berlin: Utz: „Odol“ und andere literarische Quellen.

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weise der ephemeren, unwahrscheinlichen Werbung produktiv für sein Schreiben übernimmt – sei es als eigenes Prosastück oder als eine auf seine eigene Texte verweisende Miniatur eines Prosastücks in Der Spaziergang, das Werbung thematisiert. Was sich durch das Durchscheinen der Dichterlüge den Bezug zum Zarathustra in der ersten Hälfte des die Zarathustra-Miniatur einleitenden Satzes bereits erahnen lässt, verdichtet sich in dessen weiterem Verlauf zusehends. Die Nebensätze, die mehrere Begebenheiten festhalten, an denen die Sprecherinstanz ‚vorbei‘spaziert bilden den dramaturgischen Vorlauf für das Erscheinen von Tomzack, der am Ende des Satzes druckgraphisch abgesetzt als dessen Höhepunkt wie ein sich entladendes Gewitter erscheint. Angekündigt wird er bereits durch das chiastisch verschränkte Wortspiel der „Lichtblitze und Blitzlichter“, die sich der Sprecherinstanz auf ihren Spaziergängen wie „Einfälle“ „ganz von selber einmengen und einfinden“¹¹² Nicht allein der Blick in den Zarathustra weist auf die Verbindung zwischen den Lichtblitzen und Tomzack hin, wo der Blitz mit dem Übermenschen, der landläufig wahrgenommenen Quintessenz der Lehre Zarathustras, in Verbindung gebracht wird: „Ich will die Menschen den Sinn ihres Seins lehren: welcher ist der Übermensch, der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch“ (Z I Vorrede, KSA 4, S. 23).¹¹³ Der kulminierende Einfall des Satzes „ein Mensch, ein Ungeheuer, ein Ungetüm“, auf den in der Miniatur I alles hinsteuert, ist Tomzack, dessen Name lautmalerisch zackig die Blitze in sich verkörpert und gleichzeitig als Widerspruch der „behaglich, sachlich, glatt, bedächtig und ru-

 Die Erfahrung eines Blitzes bei einem Spaziergang findet sich auch in Walsers Naturstudie: „Eines Abends lief ich aus größerer Entfernung so rasch wie möglich nach Hause. Über der staubigen Landtraße flogen drohende Wolken. Vereinzelt fielen schwere harte Regentropfen. Sturm fegte über den See. Das alles hatte eine besondere Art von Schönheit. Ich lief und ging mit dem stürmenden Himmel, mit dem aufziehenden Ungewitter. In der Nächtlichkeit sah ich Kirschblüten. Stark roch die Erde, und der Himmel war bis fast aufs Land herabgesunken. Alles war von dampfenden Rauch umzogen. Auf einem Berg in weiter Ferne strahlte ein großes Feuer. Da donnerte und blitzte es schon. Aus der Natur schien ein Wühlen, leises Toben, dumpfes Krachen hervorzubrechen. Rechtzeitig langte ich noch vor Ausbruch des Gewitters zu Hause an.“ (SW 7, S. 70 f). In dem Prosastück Reisebericht beschreibt Walser ein „Blitzendes Luftmeer“ (SW 7, S. 36) sowie in einer Landschaftswahrnehmung Wetterleuchten am Horizont: „Drinnen im weiten unkenntlichen Land blitzte hie und da noch ein Licht auf.“ (SW 7, S. 56).  Vgl. auch: „Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müsstet? Seht, ich lehre euch den Übermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn!“ (Z I, Vorrede, KSA 4, S. 16). „Ich liebe alle Die, welche wie schwere Tropfen sind, einzeln fallend aus der dunklen Wolke, die über den Menschen hängt: sie verkündigen, dass der Blitz kommt, und gehen als Verkündiger zu Grunde. Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes, und ein schwerer Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz heisst Übermensch. –“ (Z I Vorrede, KSA 4, S. 18).

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hig[en]“ Gangart eines Spaziergangs entgegensteht. Die an den Leser adressierte Einschätzung der Sprecherinstanz: „Nicht wahr, lieber Leser, der Name allein klingt schon nach schrecklichen und schwermütigen Dingen“ (Spaziergang, S. 28 f.), lässt die spekulativ gedachte Übernahme der pejorativen Präfixe aus der wertenden Beschreibung „Unmensch“ und „Ungetüm“ zu, wodurch Tomzack indirekt durch die onomatopoetische Zuschreibung seines Namens zugleich als „unbehaglich“, „unsachlich“ und „unruhig“ charakterisiert ist. In Anspielung auf die v. a. im Zarathustra mehrfach thematisierte Heimatlosigkeit der Hauptfigur¹¹⁴ führt die Sprecherinstanz die Charakterisierung Tomzacks etwa in der Mitte der Miniatur entsprechend fort: Für ihn gab es keine Ruhe. Ruhelos ging er in der Welt umher. In keinem sanften Bett schlief er, und in keinem wohnlichen Hause durfte er wohnen. Er hauste überall und nirgends. Heimat hatte er keine, und irgend ein Heimatrecht besaß er keins. Ohne Vaterland und ohne Glück war er; gänzlich ohne Liebe, und ohne Menschenfreude mußte er leben. Anteil nahm er nicht, und auch an ihm und an seinem Treiben und Leben nahm niemand Anteil. (Spaziergang, S. 30)

Fast wörtlich zitiert die Sprecherinstanz Schlagworte wie „Vaterland“ und „Heimatrecht“ aus dem Zarathustra ¹¹⁵ und spielt mit dem Wortpaar „überall und

 Bereits der erste Satz thematisiert z. B. die Heimat(losigkeit): „Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge“ (Z I Vorrede, KSA 4, S. 11). In Der Schatten wird die Heimatlosigkeit allerdings nicht nur allein Zarathustra zugeschrieben, sondern durch die Rede seines Schattens gleich verdoppelt: „Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unstäter Wille; Flatter-Flügel; ein zerbrochenes Rückgrat. Diess Suchen nach meinem Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess Suchen war meine Heimsuchung, es frisst mich auf. ,Wo ist – mein Heim?‘ Darnach frage und suchte ich, das fand ich nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges – Umsonst!“, (Z IV Schatten, KSA 4, S. 340 – 341). Berühmt auch jene Zeilen aus dem Gedicht Freigeist. Abschied: „Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat! […] Weh dem, der keine Heimat hat!“, (NL 1884, KSA 11, S. 329): Dort haben die Vögel eine negative Konnotation: „Die Krähen schrei’n/ Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt“ oder „Flieg‘, Vogel, schnarr‘/ Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton!“. In Walsers Prosastück An die Heimat sind die Vögel dagegen positiv konnotiert: „Es ist Sonntag, und im Sonntag ist es Morgen, und im Morgen weht der Wind, und im Wind fliegen alle meine Sorgen wie scheue Vögel davon“ (SW 3, S. 11).  „Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit meiner Sehnsucht! Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und Mutterländern. Aber Heimat fand ich nirgends unstät bin ich in allen Städten und ein Aufbruch an allen Thoren. Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwärtigen, zu denen mich jüngst das Herz trieb; und vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterländern. So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere: nach ihm heisse ich meine Segeln suchen und suchen. An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Väter Kinder bin: und an aller Zukunft – diese Gegenwart! Also sprach Zarathustra“ (Z II Bildung, KSA 4,

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nirgends“¹¹⁶ auf den Untertitel vom Zarathustra an – Ein Buch für Alle und Keinen. Damit könnte natürlich auch eine Anspielung auf die im Kapitel über den Stand der Forschung aufgezeigte ubiquitäre Präsenz Nietzsches zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeint sein, welche es aufgrund der kursierenden Nietzsche-Schlagwörter auch ermöglicht, Nietzsche aus zweiter Hand gefiltert zu zitieren und für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.¹¹⁷ Zieht man hingegen den Dialog zwischen Zarathustra und seinem Schatten aus dem Abschnitt Der Schatten aus dem vierten Teil des Zarathustra zu Rate, wird die Deutung konkreter und erweitert den von Kurscheidt vorgeschlagenen Rückbezug des Ashaver-Motivs auf Kafka, das mit dem Riesen Tomzack sowie dem Wandern verbunden ist. Beide Figuren sind, gleich Tomzack, ruhelos und ständig in Bewegung, da sich Zarathustra von seinem Schatten verfolgt fühlt („Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir nachlaufen! ich – laufe ihm davon“ (Z IV Schatten, KSA 4, S. 338). Der Schatten klagt Zarathustra gar sein Leid, ewig ruhelos umherwandern zu müssen: „Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig

S. 155). Sind die Begriffe „Vaterland“ und „Heimat“ räumlich verortet, so verweist dieses Zarathustra-Zitat auch auf die Differenz zwischen Wunsch und Erfüllung in dem zeitlichen Spannungsverhältnis von Gegenwart und Zukunft. In Geschwister Tanner scheint die Figur Simon just dieses Spannungsverhältnis aus dem Zarathustra aufzugreifen und seiner Verweigerung von Bildung und Entwicklung damit Ausdruck zu verleihen: „Ich will keine Zukunft, ich will eine Gegenwart haben. Das erscheint mir wertvoller. Eine Zukunft hat man nur, wenn man keine Gegenwart hat, und hat man eine Gegenwart, so vergißt man, an eine Zukunft überhaupt nur zu denken“ (Geschwister Tanner, KWA I/2, S. 43). Bei Nietzsche heißt es entsprechend: „Zu weit flog ich in die Zukunft: ein Grauen überfiel mich. Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. Da floh ich rückwärts, heimwärts – und immer eilender: so kam ich zu euch, ihr Gegenwärtigen und in’s Land der Bildung“ (Z II Bildung, KSA 4, S. 153). Die Figur Jakob von Gunten artikuliert gleich im ersten Satz des gleichlautenden Romans seine Nichterwartung an die Ausbildung im Institut Benjamenta: „Man lernt hier sehr wenig, es fehlt an Lehrkräften, und wir Knaben vom Institut Benjamenta werden es zu nichts bringen, d. h. wir werden alle etwas sehr Kleines und Untergeordnetes im späteren Leben sein“ (KWA I/4, S. 9). Folglich erwartet er nichts anderes als später im Leben eine „runde Null“ zu werden (KWA I/4, S. 47).  Jakob von Gunten’s selbstgeschriebener Lebenslauf hebt mit seinen biographischen Zeitund Raumdaten ähnlich unbestimmt wie folgt an: „Unterzeichneter, Jakob von Gunten, Sohn rechtschaffener Eltern, den und den Tag geboren, da und da aufgewachsen, ist als Eleve in das Institut Benjamenta eingetreten […]“ (KWA I/4, S. 45).  Angesichts der zahllosen Unzulänglichkeiten in der Charakterisierung der Figur Tomzack sieht Tobias (2018) diese als Grund für die Schreibhemmung der Sprecherinstanz: Tomzack „lacks all features, all defining traits and to this extent constitutes a blank slate. The narrator can never be done with Tomzack. He can never exhaust him in representation, for Tomzack is nothing but a name for the blankness that threatens to engulf the narrator were he to cease to write – were he to walk instead“ (Tobias 2018, S. 47).

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zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin“¹¹⁸ (Z IV Schatten, KSA 4, S. 339). Der Dialog thematisiert zudem die Ichspaltung und setzt die Thematik des Doppelgänger-Ichs qua Form um.¹¹⁹ Mit der meteorologischen Gewittermetapher der „Lichtblitze und Blitzlichter“ wird in diesem ersten Satz bereits der Bogen zum letzten Satz der Miniatur gespannt: Deutet hier die Sprecherinstanz den Bezug zu Zarathustra nur an, so bezeichnet sie dort Tomzack direkt als „Übermensch“ (Spaziergang, S. 31¹²⁰), als sie sich von diesem verabschiedet. Deutlich wird dadurch die schriftstellerische Leistung, den Bogen von der anfänglichen Allusion über die Gewittermetapher bis zu deren Konkretion am Ende der Miniatur zu spannen, die Walser in dieser Miniatur als „Meisterstück“ vorführt. Zwei weitere ähnliche vorwegnehmende Brückenschläge gelingen Walser ausgehend von der Zarathustra-Miniatur. Die Feststellung der Sprecherinstanz „Kein Grab mit Blumen gab es für ihn“ (Spaziergang, S. 31), widerspricht zwar dem Ende des Zarathustra, der mit dem Schlusssatz „glühend und stark, wie eine Morgensonne“ seine Höhle verlässt – die Figur Zarathustra hat kein Grab nötig¹²¹ –, ist jedoch in Einklang zu bringen mit der durch die Sprecherinstanz artikulierten aporetischen Feststellung über Tomzack: „Hunderttausend Jahre alt schien er mir zu sein, und es schien mir, als müsse er ewig leben, um ewig nicht lebendig zu sein. Er starb jeden Augenblick und vermochte dennoch nicht zu sterben.“ (Spaziergang, S. 31). Bereits hier ist schon ein Verweis auf das Ende des Spaziergangs erkennbar, an dem sich die Sprecherinstanz fragt: „Sammelte ich Blumen, um sie auf mein Unglück zu legen?“ (Spaziergang, S. 85). Zwar sammelt die Sprecherinstanz Blumen für ihr vermutetes Unglück, das nicht näher erläutert wird, und geht, ohne die Blumen, die ihr aus  Das anonyme, deutschsprachige Volksbuch vom Ewigen Juden, gedruckt und erschienen in Leiden 1602, gab dieser Figur den Namen Ahasveros.  Zu einer weiteren Variante des Doppelgänger-Ichs, das über das Motiv des Schattens ausgedrückt wird, vgl. das Märchen Der Schatten von Hans Christian Andersen (2003, orig.: Skyggen, 1847): Glaubt sich Zarathustra von seinem Schatten verfolgt und hat mit diesem gemeinsam den Glauben an Worte und Werte und große Namen verlernt (KSA 4, S. 340), so vertauscht Andersens Märchen die Rollen: Der Schatten der Hauptfigur entwickelt dort ein Eigenleben, bis er schließlich fleischgeworden die Position der Hauptfigur einnimmt, die wiederum ihre menschlichen Eigenschaften verlierend, selbst zu einem Schatten wird. In Dialogform streiten sich die Hauptfigur und ihr Schatten über diese Entwicklung, bei der der einstige Schatten mehr und mehr die gesellschaftlichen Privilegien der Hauptfigur übernimmt.  Vgl. auch Walsers Prosastück Unterhaltung zwischen dem Dämonischen und dem Gutmütigen (1925): Hier insistiert der Dämonische (als Höllenhund) gegenüber seinem Dialogpartner auf seine eigene „Übermenschlichkeit“ (SW 17, S. 375).  Auch der eigentlich unzulässige biographische Bezug zum Autor des Zarathustra, Friedrich Nietzsche, erklärt nicht die Aussage der Sprecherinstanz im Spaziergang, hat Nietzsche doch direkt nach seinem Tod in seiner Geburtsstadt Röcken eine Grabstätte erhalten.

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der Hand gefallen sind, nach Hause (es bleibt offen, ob es das Einzelschicksal der nicht erwiderten Liebe zu einem Mädchen ist oder ein Kollektivschicksal des Menschen, was die Reflexionen der Sprecherinstanz über die eigene Vergänglichkeit vermuten lässt). Dennoch schließt der letzte Satz des Spaziergangs mit „alles war dunkel“¹²²; eine Vorwegnahme, die durch die Tatsache, dass Tomzack in der Zarathustra-Miniatur die „helle lichte Straße fast völlig verdunkelte“ bereits symbolisch ablesbar ist.¹²³ Dass dabei der Blitz im Zarathustra aus „der dunklen Wolke Mensch“ selbst kommt, scheint in der Zarathustra-Miniatur eine leicht schiefe Adaption der Gedanken Nietzsches zu sein – genauso wie die vermischende Projektion der Charakteristika des Übermenschen mit den Charakteristika der Figur Zarathustra, welche eben dessen Philosophie zu lehren scheint. Die weiterführender Lektüre des Zarathustra macht jedoch deutlich, dass eine derart ambivalente Lesart im Zarathustra in Vom Baum am Berge selbst durchaus angelegt ist, wo Zarathustra von einem Jüngling erwartungsvoll für den Übermenschen gehalten wird und durch dessen Kommen auf den ersten Blitz hofft.¹²⁴ Auch entsteht durch die Zuschreibung der „Lichtblitze und Blitzlichter“ ein merkwürdiger Widerspruch, da Tomzack (der (Licht‐)Blitz und Übermensch) „die lichte Straße“zumindest für die kurze Dauer des Blitzens eigentlich erhellen müsste. Stattdessen verdunkelt er sie „fast völlig“, was als oberflächliches Lektüreergebnis des Zarathustra nicht verwundern mag, stellt sich doch Zarathustra dem gestürzten und gerade gestorbenen Seiltänzer folgendermaßen vor: „Dunkel ist die Nacht und dunkel sind die

 In den nachgelassenen Fragmenten findet sich allein drei Mal fast wörtlich folgender Satz: „Im dunklen G e w i t t e r will ich verschwinden: und für meinen letzten Augenblick will ich Mensch zugleich und Blitz sein“ (NL 1883, KSA 10, S. 497). Vgl. auch NL 1883, KSA 10, S. 460 – 461 und NL 1883, KSA 10, S. 416 – 444.  Zu dem Unglück und der Dunkelheit vgl. auch das Prosastück Von einem Dichter (Besprechung siehe Kapitel Sechs Erzählungen): „Er schlägt eine Seite nach der anderen um und findet, dass jedes Gedicht ein ganz besonderes Gefühl in ihm erweckt. Er drückt, aber es kommt nichts heraus, er stösst, aber es geht nichts hinaus, er zieht, aber es bleibt alles wie es ist, nämlich dunkel.“; „Eins ist aber sicher, der Dichter, der sie gemacht hat, weint noch immer, über das Buch gebeugt; die Sonne scheint über ihn; und mein Gelächter ist der Wind, der ihm heftig und kalt in die Haare fährt“ (Insel II/4, S. 217).  „Nun wartet er und wartet, – worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der Wolken zu nahe: er wartet wohl auf den ersten Blitz? Als Zarathustra dies gesagt hatte, rief der Jüngling mit heftigen Gebärden: ,Ja, Zarathustra, du sprichst die Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte ich, als ich in die Höhe wollte, und du bist der Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns erschienen bist? Der N e i d auf dich ist′s, der mich zerstört hat!‘ – So sprach der Jüngling und weinte bitterlich. Zarathustra aber legte seinen Arm um ihn und führte ihn mit sich fort“ (Z I Baum, KSA 4, S. 52).

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Wege Zarathustra′s. Komm, du kalter und steifer Gefährte! Ich trage dich dorthin, wo ich dich mit meinen Händen begrabe“ (Z I Vorrede, KSA 4, S. 23). Der Widerspruch lässt sich jedoch in zwei Schritten in Bezug auf das ästhetische Verfahren der Texte Walsers produktiv auflösen. Zunächst empfiehlt sich eine genaue Lektüre von Das Nachtlied, mit der die vermeintliche Polarität von Nacht (dunkel) und Tag (hell) überwunden werden kann und die wiederum zeigt, dass man schlecht beraten ist, den Zarathustra und seine Motive sowie seine vermeintlich eindeutigen Denkweisen in einzelnen Textsegmenten wörtlich zu (über)nehmen, ohne sie in Bezug zu anderen Textsegmenten zu setzen. Erinnert sei an dieser Stelle an die Bedeutung der Dunkelheit im Prosastück Von einem Dichter, wo diese die fehlende oder nicht mögliche Sinnzuschreibung bei der (Selbst)Interpretation der zwanzig Gedichte meint. Erst durch die (wiederholende) Lektüre des „Schelm von Verfasser[s]“ (Insel II/4, S. 217), der sich ebenfalls über die Gedichte beugt, kommt eine Sinnzuschreibung zustande¹²⁵: Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen. Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden: Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe. Licht bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber diess ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin. Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen! Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Leuchtwürmer droben! – und selig sein ob eurer Licht-Geschenke. Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurück, die aus mir brechen. (Z II Nachtlied, KSA 4, S. 136)

Dieses Textsegment zeigt, dass im Dunkeln der Nacht gerade jene produktiven Kräfte in der Figur des Zarathustra erwachen, die Tomzack durch die Sprecherinstanz abgesprochen werden. Die Tag-Nacht-Opposition wird an dieser Stelle dialektisch überwunden. In einem weiteren Schritt können die beiden Begriffe „Lichtblitze und Blitzlichte“ jeweils in zwei Bedeutungen gelesen werden, die ihnen zugleich produktive und destruktiv-störende Eigenschaften verleihen, deren vermeintliche Opposition – gleich der Auflösung der vermeintlichen Polarität von Tag (hell) und Nacht (dunkel) aufgehoben werden kann.¹²⁶

 „Er drückt, aber es kommt nichts heraus, er stösst, aber es geht nichts hinaus, er zieht, aber es bleibt alles wie es ist, nämlich dunkel“ (Insel, II/4. S. 217). Vgl. das Kapitel Sechs Erzählungen.  Vgl. dazu auch Roland Barthes’ paradoxen Titel seines Buches Die helle Kammer (1985): Dieser bezieht sich auf die Dunkelkammer, in der Negativfilme entwickelt werden, die empfindlich auf Lichteinstrahlung reagieren.

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Die Lichtblitze können entweder als Lichter von meteorologischen Blitzen am Horizont, die bei einem Gewitter sich entladen und von Donner begleitet werden oder in einem medizinischen Sinn als Lichtblitze gelesen werden, die bestimmte Ausprägungen von Migräne oder eine Netzhautablösung als Sehstörung begleiten und helle leuchtende Zickzackmuster, helle flimmernde Punkte oder unscharfe Bereiche im Sichtfeld des Betroffenen hervorrufen, in denen dieser nichts oder bestenfalls konturenhaft Dinge erkennt.¹²⁷ Betont sei, dass der Rückbezug auf den medizinischen Diskurs an dieser Stelle nicht auf eine biographische Anspielung auf den Migränepatienten Nietzsche abzielt, wie dies jüngst immer wieder zum Beispiel von der neurologischen und psychiatrischen Disziplin der Medizin in Verbindung als Grundlage für einen neurophilosophischen Ansatz unternommen wurde¹²⁸, sondern dass Krankheitssymptome der Lichtblitze allein als Metapher für die poetologische Analyse gelesen werden.

 Initiale Lichtblitze können symptomatisch für eine irreversible Netzhautablösung (ablatio retinae) sein (vgl. Grehl, Reinhardt 2013, S. 234); Flimmerskotome: Bezeichnet einen meist peripher beginnenden Gesichtsfeldausfall (Skotom) mit visuellen Sensationen wie Flimmern oder Blitzen (vgl.: Sachsenweger 2003, S. 424). Des Weiteren können Lichtblitze symptomatisch sein für hypertensive Entgleisung (temporär), Sinusvenenthrombose (irreversibel), Schlaganfall (Insult (irreversibel) oder transistorisch ischämische Attacke (irreversibel)). Den Hinweis auf die medizinische Dimension der Lichtblitze sowie die medizinische Beratung zur Symptomatik verdanke ich Frau Dr. med. Andrea Greiner.  „There are some arguments that Friedrich Nietzsche suffered from the autosomal dominant vascular microangiopathy: Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy (CADASIL). Here, a hypothesis is formulated supporting that CADASIL presenting with symptoms of bipolar disorder and Gastaut-Geschwind syndrome would contribute to the increased insight and creativity of a philosopher whose perceptions and intuitions often bear out the results of modern neuroscience. Alterations of the brain default and reward networks would account for such an increased level of introspection and creativity. A new framework on approaching illness is proposed, which, in conformity with Nietzsche’s positive view, outlines the enabling aspects of some otherwise highly disabling neuropsychiatric disorders.“; Perogamvros, Perrig, Bogousslavsky, Giannakopolous 2013, S. 174; Orth, Trimble 2006; „OBJECTIVE: To examine the possibility that an intracranial mass may have been the etiology of the headaches and neurological findings of the philosopher Friedrich Nietzsche (1844– 1900) and the cause of his ultimate mental collapse in 1889. METHODS: The authors conducted a comprehensive English and German language literature search on the topic of Nietzsche’s health and illness, examining Nietzsche’s own writings, medical notes from his physicians, contemporary medical literature, biographical texts, and past attempts at pathography. We also examined archived portraits and engravings of the philosopher from 1864 onward. An English language search in the modern literature on the topic of psychiatric presentations of intracranial mass lesions was also conducted. RESULTS: From his late 20s onward, Nietzsche experienced severe, generally rightsided headaches. He concurrently suffered a progressive loss of vision in his right eye and developed cranial nerve findings that were documented on neurological examinations in addition

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Beiden Bedeutungen – der meteorologischen wie der medizinischen – gemein ist, dass sie vorübergehend Unannehmlichkeiten verursachen (ein Gewitter zieht wie eine Migräneattacke vorüber), dabei aber auf die ästhetische Wahrnehmung übertragen werden können. Kann die Wahrnehmung eines sich entladenden Gewitters bei aller Bedrohlichkeit erhaben sein (etwa bei der Betrachtung eines aus der Ferne aufziehenden oder sich am Horizont entladenden Gewitters), so weisen die anatomischen Lichtblitze auf einen (ver)störenden Einfluss der Sehgewohnheiten (der ästhetischen Wahrnehmung) hin, die den Rezipienten irritieren können. Eine ähnlich ambivalente Wirkung erzeugen die den phonetischen Chiasmus komplettierenden „Blitzlichter[n]“: Gleich dem Blitzlicht einer Fotokamera oder eines meteorologischen Blitzes können sie im Verständnis eines Geistesblitzes¹²⁹ für eine kurze Zeit einen bestimmten Ausschnitt in der Perspektive des Fotografen oder des Betrachters erhellen. Im Falle der Fotokamera trägt das Blitzlicht, je nach Intensität und Ausrichtung dazu bei, bestimmte Bereiche der Perspektive deutlicher werden zu lassen und auch Farbnuancen in der dann entwickelten Fotografie mit zu beeinflussen. Für den Fotografierten¹³⁰ ist es dagegen oftmals unangenehm, direkt in die Kamera und dabei in das Blitzlicht schauen zu müssen, da mitunter seine Augen durch die Helligkeit des Blitzlichtes irritiert werden

to a disconjugate gaze evident in photographs. His neurological findings are consistent with a right-sided frontotemporal mass. In 1889, Nietzsche also developed a new-onset mania which was followed by a dense abulia, also consistent with a large frontal tumor. CONCLUSION: A close examination of Nietzsche’s symptomatic progression and neurological signs reveals a clinical course consistent with a large, slow growing, rightsided cranial base lesion, such as a medial sphenoid wing meningioma. Aspects of his presentation seem to directly contradict the diagnosis of syphilis, which has been the standard explanation of Nietzsche’s madness. The meningioma hypothesis is difficult, though not impossible, to prove; imaging studies of Nietzsche’s remains could reveal the bony sequelae of such a lesion“ (Owen, Schaller, Binder 2007, S. 626).  Geistesblitze tauchen in Walsers Naturstudie auf: „Federleicht und scharmant [sic!] vermöchte ich diese und jene unterhaltungslektürenhafte, nette, zarte, galgenstrickliche, hübsche, pikante Episode galant und womöglich ein wenig mokant anzubringen und hervorzuzaubern. […] Könnte oder dürfte es mir hier um Witze, brillante Geistesblitze, um Blendwerk, Feuerwerk, Pfeffer, ungesunden Reiz zu tun sein?“ (SW 7, S. 75).  Mit Roland Barthes Worten wäre der Fotografierte wie folgt zu beschreiben: „Und was photographiert wird, ist Zielscheibe, Referent, eine Art kleines Götzenbild, vom Gegenstand abgesondertes eidolon, das ich das spectrum der PHOTOGRAPHIE nennen möchte, weil dieses Wort durch seine Wurzel eine Beziehung zum ,Spektakel‘ bewahrt und ihm überdies den etwas unheimlichen Beigeschmack gibt, der jeder Photographie eigen ist: die Wiederkehr des Toten“ (Barthes 1985, S. 17).

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können.¹³¹ Beide Lesarten scheinen jedoch die Intention Walsers zu untermauern, an dieser Stelle eben genau jene unbehaglichen und unruhigen Charakteristika zu evozieren, die über die Figur Tomzack in einem meteorologischen, medizinischen oder fotografischen Sinne verbunden werden. Walser hätte positiv gewendet, ja auch von Einfällen, Lichtblicken und Blitzlichtern sprechen können; stattdessen setzt er tautologisch Lichtblitze und Blitzlichter in einem (ver)störenden Sinn zur Charakterisierung Tomzacks ein, die, en miniature, für das poetologische Verfahren Walsers stehen, den Fluss der Erzählung zu unterbrechen und beim Leser Irritationen hervorzurufen. Das Wortspiel „Lichtblitze und Blitzlichter“ lässt sich nicht nur auf die Blitzmetaphorik in Nietzsches Zarathustra, sondern – in Anknüpfung an die subjekt- und sprachkritische Position in JGB – auch auf die Sprachkritik in GM beziehen, wo Nietzsche darlegt, wie die „Verführung der Sprache“ das Trugbild eines freien Subjekts erzwingt: Die Volksannahme trennt „den Blitz von seinem Leuchten“ und nimmt das Leuchten als das „T h u n“ und „Wirkung eines Subjekts“ (dem Blitz) an. Nach Nietzsche verdoppelt das Volk aber im Grunde das „Thun, wenn es den Blitz leuchten lässt“ zu einem „Thun-Thun“ und setzt damit „dasselbe Geschehen einmal als Ursache und dann noch einmal als deren Wirkung“ (GM I, KSA 5, S. 279). Mit diesem sprachkriti Dem Autor dieser Arbeit sind zwei Texte bekannt, in denen visuelle Irritationen als ästhetisches Wahrnehmungsmuster explizit über Symptome wie Flimmerskotome zum Ausdruck gebracht werden: 1. Robert Walser: Jakob von Gunten: „Ich schreibe in fliegender Hast. Ich bebe am ganzen Körper. Es flackert vor meinen Augen wie auf und ab tanzende Irrlichter“ (KWA I/4, S. 120). An dieser Stelle reflektiert Jakob seine eben erlebte Entzauberung der inneren Gemächer des Instituts Benjamenta, die er bis dahin traumgleich wie ein Fanum als Etwas zauberhaft Uberhöhtes wahrgenommen hat. 2. Karl Brand: Novelle im Traum von 1916 (vgl. das Kapitel „Walsers Prager Texte“, das ausführlich auf dieses Wahrnehmungskonzept eingeht): „Wieder muß ich ermüdet halten. Einförmigkeit der Nacht macht den Menschen müde. Und meine Müdigkeit schmerzt, ich fühle diesen Schmerz durch alle Glieder rinnen. Über die Straße springt vom Häusersims eine schwarze Katze ab, knapp über meine Füße, daß ich wild aufschrecke. Ich fühle beißenden Schmerz in den Augen, die blinzelnd das nächtliche Tier suchen. Und ich sehe es in der Mitte der Straße, ich glaube, sein sonst weiches, schwarzes Fell naß und struppig zu sehen. Es ist zerrauft wie das eines räudigen Hundes. Aber seine zwei Augen brennen, funkeln durch die nächtliche Straße. Meine Augen hängen an denen des Tieres, von dem mein Hirn nicht loskommen kann. Immer sehe ich in das Feuer dieser Augen, bis dies Feuer in meinem Hirn zu sprechen beginnt, mit sonderbarer Stimme, stumm, aber klar“ (Brand 1916/1992, S. 414 f). Die Wirkung einer direkten Blitzeinwirkung auf das menschliche Auge setzt Hitchcock in seinem Film Das Fenster zum Hof (Rear Window, 1954) filmisch eindrucksvoll um: L. B. „Jeff“ Jefferies versucht, im Rollstuhl sitzend und unfähig, sich physisch zu wehren, den überführten Mörder Thorwald aufzuhalten, indem er – der damaligen Technik entsprechend – einzelne Blitzlichtbirnen auslöst und auf ihn richtet. Thorwald erleidet dadurch Flimmerskotome im oben beschriebenen Sinn, was Hitchcock jeweils für den Zuschauer aus einer subjektiven Kameraperspektive heraus erlebbar, die Thorwalds Perspektive einnimmt, durch das Aufblenden eines grellen roten Kreises umsetzt.

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schen Rückbezug auf Nietzsche unterstreicht das eingelassene Wortspiel „Lichtblitze und Blitzlichter“ zusätzlich die durch die unterschiedlichen Gangarten und die Frage nach der Sprecherinstanz entstehenden Irritationen beim Lesen des Spaziergangs. Dass dabei „der unendlich kleine Augenblick […] die höhere Realität und Wahrheit, ein Blitzbild aus dem ewigen Flusse [ist]“ (NL 1881, KSA 9, S. 502), bekräftigt die Herangehensweise, bei der Lektüre der Prosastücke Walsers das Augenmerk auf die in sie eingepassten Miniaturen zu richten, die poetologisch die Struktur des Gesamttextes sowie deren ästhetische Verfahren vorgeben. Vor allem im Räuber wird dieses Verfahren als auf Nietzsches Poetologie fußendes Verfahren zu bestimmen sein.¹³² Vorgeführt wird solch ein irritierender Blitz im Spaziergang selbst in der am Anfang stehende Miniatur des Buchkaufes in einem Buchladen, in der die Sprecherinstanz sowohl bei der Figur des Buchhändlers als auch beim Leser durch seinen langen Monolog, der großes Interesse an einem bestimmten Buch auszudrücken scheint, die Erwartung weckt, dass sie das Buch tatsächlich käuflich erwerben möchte. Tatsächlich fungiert die lange Rede dramaturgisch wie der erste Satz der Zarathustra-Miniatur, in dem sie eine bestimmte Erwartungshaltung aufbaut, die sich dann, im Buchladen in einem irritierenden, weil antiklimatischen ,Blitz‘ der Erzählung entlädt: „,Ich danke Ihnen recht sehr‘, sage ich kaltblütig, ließ das Buch, das die absolut weiteste Verbreitung gefunden hatte, weil man es unbedingt gelesen haben mußte, lieber ruhig liegen, wo es lag, und entfernte mich geräuschlos, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren“ (Spaziergang, S. 9).

Einschub: Walsers Kampf mit dem Dämon Nietzsche: Unterhaltung mit dem Feuerhund Aufgrund der beiden Darstellungen der Nietzsche-Bezüge im Spaziergang von Roussel, der „Walsers Kampf mit dem Dämon Nietzsche“ (Roussel 2009, S. 366)¹³³

 Vorwegnehmend sei an dieser Stelle das von Claus Zittel beschriebene Beispiel aus der 5. Vorrede des Zarathustra genannt. Dort heißt es: „Und hier endet die erste Rede Zarathustra′s, welche man auch die Vorrede heisst“ (Z I Vorrede, KSA 4, S. 20). Wie Zittel richtigerweise betont, ist die Vorrede zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zu Ende, das Zitat steht genau ihrer Mitte. Glaubte man dem Erzählerkommentar, so müsste die Vorrede an dieser Stelle zu Ende sein und nicht noch fünf weitere Teile enthalten, in denen der Erzähler, ein „Verwirrspiel“ (Zittel 2014, S. 69) mit dem Leser beginnt.  Zur Genese von Roussels Zuschreibung des „Dämon[s| Nietzsche“ liegt gleichermaßen eine Anlehnung an den Titel von Walsers Prosastück sowie an Stefan Zweig: Der Kampf mit dem Dä-

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anhand von Walsers Unterhaltung zwischen dem Dämonischen und dem Gutmütigen (1925, im Folgenden Unterhaltung; SW 17, S. 373 – 375)¹³⁴ beschreibt, sowie Birkner (2016), die diesem Prosastück unter Zuhilfenahme von Utz eine Gegenüberstellung von Kleinsein bei Walser und vermeintlichem Großsein des Zarathustra bei Nietzsche attestiert, sei dieses in einem kurzen Einschub analysiert. Denn beide Interpreten übersehen in ihrer Darstellung, dass in der Unterhaltung das Gespräch mit dem Feuerhund aus dem Zarathustra (Von grossen Ereignissen) aufgenommen ist. Die vergleichende Analyse der beiden Texte soll helfen, einen Beitrag zur Entschlüsselung der Tomzack-Figur als „Kryptogramm des ,modernen Nietzsche‘“ (Roussel 2009, S. 373) zu liefern, sowie die Herkunft der Rhetorik des Dämonischen in Walsers Prosastück zu verdeutlichen.¹³⁵ Dabei wird sichtbar, dass die von Utz und Birkner aufgemachte Opposition von Groß und Klein nicht haltbar ist. So wird die Zarathustra-Miniatur I um einen weiteren nietzscheschen Aspekt der Tomzack-Figur erweitert sowie die folgende Analyse der ZarathustraMiniatur II in Walsers Hans vorbereitet. Dass die Figur des Feuerhunds durch die Forschung bei Nietzsche philosophisch-kulturwissenschaftliche Deutungen erfährt (Deleuze 1962)¹³⁶, geographisch

mon: Hölderlin, Kleist, Nietzsche nahe. Da ein Auszug aus Stefan Zweigs Buch bereits im Feburar 1925 vorabgedruckt worden ist und die Unterhaltung zwischen dem Dämonischen und dem Gutmütigen im März 1925 gedruckt wurde, wäre es möglich, dass Walser Zweigs Buch und damit den Titel kannte. Stefan Zweig: Nietzsches Flucht in die Freiheit. [Vorabdruck aus Der Kampf mit dem Dämon. In: Das Tagebuch. 6 (1925). S. 421– 427. Für Zweig ist das Dämonische „die ursprünglich und wesenhaft jedem Menschen eingeborene Unruhe, die ihn aus sich selbst heraus, über sich selbst hinaus ins Unendliche, ins Elementarische treibt, gleichsam als hätte die Natur von ihrem einstigen Chaos ein unveräußerliches unruhiges Teil in jeder einzelnen Seele zurückgelassen, das mit Spannung und Leidenschaft zurück will in das übermenschliche, übersinnliche Element.“ (S. 9). Vokabeln wie ,unruhig‘ oder ,übermenschlich‘ finden sich zwar im Spaziergang wie in der Unterhaltung, doch entwirft Zweig zu dem Dämonischen, das er über die drei titelbildenden Dichter exemplifiziert, mit dem Gegensatz der Dichterfigur ein streng dualistisches Konzept wie es aus der GT mit Nietzsches apollinisch-dionysischem Konzept bekannt ist. Nietzsche selbst verwendet den Ausdruck ,Dämon‘ in seinen Briefen und Schriften dutzendfach. Am prominentesten ist sicherlich der Einsatz des Begriffs im Kontext des Gedankens zur ewigen Wiederkunft im vierten Buch der FW (FW KSA 3, S. 570).  Es ist wohl anzunehmen, dass Walser das Prosastück anlässlich des 25. Todesjahres Nietzsches verfasst hat, zu dem, wie schon zu seinem Todesjahr zahlreiche Publikationen über ihn und seiner Schriften erschienen sind – hier eine beispielhafte Auswahl an Publikationsorganen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) in alphabetischer Reihenfolge der Verfasser: Kuh 1925; Lessing 1925; Levy 1925; Mann 1924/1925; Mess 1925; Nietzsche 1898/1925; Przywara 1925.  Vgl.: Birkner 2016, S. 439 f.  „Tiefgründiger noch entwickelt Zarathustra dann jenes dunkle Symbol des Feuerhundes. Dieser symbolisiert die Gattungstätigkeit, in ihm kommt das Verhältnis des Menschen zur Erde zum Ausdruck“ (Deleuze 1962, S. 152).

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verortet wird¹³⁷ und ihr soziologische Implikationen zugeschrieben werden¹³⁸ ist für die hier vorgenommene Analyse nicht zentral, da 1. das poetologische Verfahren im Mittelpunkt stehen soll und 2. angenommen wird, dass Walser die Figur des Feuerhunds ausschließlich unter einer solchen Perspektive und mit Blick auf das ästhetische Verfahren im enstprechenden Zarathustra-Abschnitt reflektiert. Nicht nur übernimmt Walser in seinem Prosastück aus dem Gespräch mit dem Feuerhund das Motiv der „Höllenhundhaftigkeit“ (SW 17, S. 374), sondern als grundlegende Ähnlichkeiten die Form betreffend lässt Walser in der Unterhaltung zwei Figuren in den Dialog treten, wobei die Bezeichnung der Figuren, wie in einem Dramentext, ihren jeweiligen Redebeiträgen vorangestellt sind. Auch die Szenencharakterisierung „In einem fein ausgestatteten Gemach“ wirkt wie die Regieanweisung eines Theaterstücks. Die Bezeichnung der Figuren, die in dem dem Prosastück vorangestellten Satz als „Scheinbarleichtbeeinflußbare[r]“ und als der „Dämonische“ eingeführt werden, changiert für beide Figuren beinahe in jedem einzelnen Redebeitrag von „Dienstmann“ (SW 17, S. 373) über „Dienstfertiger“, „Ahnungsloser“, „Gutmütiger“, „Bescheidender“ usw., bzw. von „Dämonischer“ zu „Höllenhund“ (SW 17. S. 374).Weiter ist mit der Feuerhund-Passage im Zarathustra gemein, dass dort ebenfalls die Bezeichnung des „Feuerhund[s]“ changiert – er wird zum „Heuchelhund!“, (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 168) und zu „Freund Höllenlärm“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 169) – und dass Zarathustra seinen Jüngern und der Schiffsbesatzung, mit der er auf der Feuerinsel gelandet ist, sein Gespräch mit dem Feuerhund erzählt. Gleich der Theatersituation, die

 „Die neuen Ideen der Freigeister finden auf vulkanischen Boden gute Bedingungen. Paolo D‘Iorio stellt die These auf, dass es sich beim ,Feuerhund‘, der auf einer rauchenden Insel wohnt und der in der Rede Zarathustras von den ,Großen Ereignissen‘ vorkommt, um die ,Insel‘ des Vesuv handelt. Auch wenn sich der Vesuv nicht auf einer Insel befindet, wirkt seine Lage perspektivisch von Sorrent aus wie eine Insel im Golf von Neapel. So konnte Nietzsche von seinem Balkon der Villa Rubinacci aus ,den eben damals sehr aufgeregten, abends Feuersäulen emporsendenden Vesuv‘ [Malwida von Meysenbug: Der Lebensabend einer Idealistin. Nachtrag zu den Memoiren einer Idealistin. Hg. von Berta Schleicher. Stuttgart/Berlin/Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt, 1927, Band 2, S. 236.], Heimat des Feuerhundes, und die Insel Ischia, Heimat der Freigeister, beobachten“ (Freregger 2015, S. 108); Samuel Saenger spricht bei seiner Beschreibung von EC von „vulkanischen Entladungen“ (Saenger 1909, S. 1492).  Der „Umsturz- und Auswurf-Teufel“ wird nach Naumann mit dem zeitgenössischen Sozialismus und Demokratismus oder Eugen Dührung assoziiert: „Unter der Fahrt zur Gräberinsel ist wohl die Erinnerung an die glücklichen Zeiten schwärmerischer Jugendideale gemeint, unter den ,großen Ereignissen‘, die eigentlich solche gar nicht sind, die Erhebung des Demokratismus, wobei der ,Feuerhund‘ die Sozialdemokratie vorstellt“ (Hollitscher 1904, S. 92). Der „Feuerhund“ wird in Zusammenhang mit den Vulkanen / vulkanischen Tätigkeiten gebracht; Sommer 2016, S. 54.

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durch die Bezeichnung der Figuren und der vorangestellten Regieanweisung in der Unterhaltung hergestellt wird, referiert Zarathustra seine Erzählung in einer Binnenerzählung vor seinem Publikum. Durch diese Erzählstiuation im Zarathustra wird jedoch ein Indiz dafür augenscheinlich, dass die durch die Forschung aufgemachte Opposition von groß und klein nicht haltbar ist, nimmt man Zarathustras erzählerische Potenz und deren Fähigkeit, Menschen in seinen Bann zu ziehen, als Maßstab. Denn seine Jünger schenken seinen Ausführungen keine Beachtung, sie „hörten ihm kaum zu“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 170). Darin wiederholt sich das, was auf der Ebene von Zarathustras Binnenerzählung der Feuerhund ebenfalls vollzieht: In der Erzählung Zarathustras wird der Feuerhund entzaubert und hält es beschämt durch die ihn entlarvende Rhetorik Zarathustras nicht mehr aus, diesem zuzuhören.¹³⁹ Statt ein fesselnder Redner zu sein, der seine Zuhörer durch seine erzählende Potenz in seinen Bann zieht, muss Zarathustra darüber sinnieren, ob er nicht wohl ein Gespenst sei oder ob sein Schatten hätte anwesend sein sollen. Wiederum taucht hier das Doppelgänger-Motiv aus Der Wanderer und sein Schatten auf, mit dem oben eine weitere Deutung des ewig wandern müssenden Tomzack vorgeschlagen wurde. Beide Hauptfiguren (der Scheinbarleichtbeeinflußbare und Zarathustra) machen sich daran, das Geheimnis ihres Gegenübers (Feuerhund und Dämonischer) zu ergründen und schließlich bis zur Verlegenheit zu entzaubern: Zarathustra unternimmt dies aus eigenem Ansporn heraus¹⁴⁰, Walsers Scheinbarleichtbeeinflußbarer wird damit konfroniert.¹⁴¹ Wiederum gemein ist Ihnen jedoch, dass sie von Beginn ihrer Konversation an den Überredungskünsten des Dämonischen bzw. des Feuerhunds und deren erschreckenden Attribute, die jene sich selbst verleihen, keinen Glauben schenken. Weder die Drohung „sofort felsenfest an meine [des Dämonischen, B.S.] Übermenschlichkeit glauben“ (SW 17, S. 375) zu sollen, noch der durch den Feuerhund selbst formulierte Anspruch „das wichtigste Thier auf Erden“¹⁴² zu sein, beeindrucken die Figuren in beabsichtigtem Maße. Zarathustras Erkenntnis über den Feuerhund, die seine Erzählung einleitet und dass er dessen Wesen mit dem von nicht näher benannten „Auswurf- und

 „Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er’s nicht mehr aus, mir zuzuhören. Beschämt zog er seinen Schwanz ein, sagte auf kleinlaute Weise Wau! Wau! Und kroch hinab in seine Höhle. –“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 170).  „Diess Geheimniss zu ergründen gieng ich über das Meer“; „Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe!“, (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 168).  Dämonischer: „Sie sind ein Armungsloser, aber ich will Sie aus Ihrer Zuversichtlichkeit herausreißen“ (SW 17, S. 375).  „Diess Geheimniss zu ergründen giengt ich über das Meer“; „Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe!“, (Za II Ereignissen, KSA 4, S. 170).

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Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen fürchten“ gleichsetzen kann und durchschaut habe, übernimmt der Scheinbarleichtbeeinflußbare in der Unterhaltung: Auch er hat verstanden, dass die Krankheit Feuerhund nur wachsen kann, wenn man ihr Glauben schenkt und ihr auf diese Weise Nahrung gibt. Derart kann er den Feuerhund im Dialog – nun als Bescheidener – wie folgt desavouieren: „So glaube ich wenigstens an die Liebenswürdigkeit der Macht meiner mir allezeit Lebensbegleiterin gebliebenen Bescheidenheit. An die Teufel glauben die – Teufel!“ (SW 17, S. 375). Die in Bezug auf die Wirkweise der Teufel inhaltlich vorgeführte gemeinsame Erkenntnis führt in der Charakterisierung des Dämonischen nicht nur zu einer Anpassung in der Wortwahl der beiden Texte¹⁴³, sondern auch in der Darstellung der Veränderung des Charakters insgesamt: Schafft der Scheinbarleichtbeeinflußbare, so ungezwungen zu lächeln, „daß der Höllenhund sichtlich magert, indem er einschrumpft“ und der Dämonische „sich in seiner Verlegenheit aufs Knirschen“ verlegt (SW 17, S. 375), so ist dies eine deutliche Reminiszenz an die Wesensänderung des Feuerhunds im Zarathustra, wenn dieser ihn rhetorisch entlarvt: Der Feuerhund ist gegen Ende des Gesprächs „still“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 170), zieht seinen Schwanz ein und verzieht sich in seine Höhle. Ist der Feuerhund für Zarathustra eine Krankheit der Haut der Erde, so macht der Scheinbarleichtbeeinflußbare durch seine standhaften Repliken den Dämonischen – wenn auch nicht zu einer Krankheit – so doch derart „krank“, dass die Unterhaltung an diesem Punkt endet und „[d]as vermeintliche Werkzeug zu dämonischen Zwecken […] seinen üblichen Spaziergang“ antreten kann. Dass der Scheinbarleichtbeeinflußbare (der Gutmütige) sich nicht durch seine „Leichtbeeinflußbarkeit“ (SW 17, S. 375) hat beeinflussen lassen, zeigt, dass er nicht an die „Lügen“ hat glauben wollen, die der Feuerhund (Nietzsche) alias der Dämonische (Walser) vorträgt sowie an damit verbundene Selbstlügen, die dieser evoziert.¹⁴⁴ Mit eingeschlossen ist dabei eine (sprach)kritische Haltung, die sich skeptisch gegenüber artikulierten Meinungen verhält. Wenn der Scheinbarleichtbeeinflußbare an den „Herr[n] Dämon“ adressiert, dass dieser sich „zu ei „Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. ,Wie? schrie er, das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt’s ihm auch?‘ Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Ärger und Neid ersticken“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 170). „Ihr Bemühen, mir Furcht einzujagen, ermutigt mich, Ihnen zu sagen, daß Sie ein neiderfüllter, eifersüchtiger, kleinlicher, gern großwärender, bedauernswerter Mensch sind, den ich in seines Wesen Grenzen zurückzutreten bitte“ (SW 17, S. 375).Vgl. dazu auch Banki, die feststellt, dass die Stimmen der Figuren Walsers mit denen aus den Prätexten so veschränken, „dass ihre Stimmen sich abzuwechseln und letztlich zu verschmelzen scheinen“ (Banki 2018, S. 107).  Zarathustra desavouiert den Feuerhund (Krankheit) – „über den haben sich die Menschen Viel vorgelogen und vorlügen lassen“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 168).

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nem Dämon erhöhen“ will, der er gar nicht ist¹⁴⁵, so ist damit nicht allein dessen argumentative Haltung im Dialog gemeint, sondern vielmehr die Kritik an bestimmten von dem Dämonischen verwendeten Begriffen wie „Übermenschlichkeit“ (SW 17, S. 375), die selbsterklärend und (selbst)nötigend dessen Position festigen sollen.¹⁴⁶ Ähnliches gilt für die den Redeanteilen vorangestellten Bezeichnungen der Figuren: Da diese permanent changieren¹⁴⁷ und kontinuierlich mit neuen Begriffen weitere Charaktereigenschaften suggerieren, bleibt die Frage, ob aus ihnen noch eine eindeutige Bedeutung abgeleitet werden kann.¹⁴⁸ Da sie sprechende Namen nachahmen, die jedoch dem Inhalt des Textes wiedersprechen, sind sie ebenso zu hinterfragen wie bspw. der Begriff der„Übermenschlichkeit“, welcher Schrecken einflößen soll, letzten Endes jedoch im dem „kleinlaute[n] […] Wau! Wau!“ (Z II Ereignissen, KSA 4, S. 170) des Feuerhunds endet.

2.4.5 Zarathustra-Miniatur II Die zweite Textstelle, die als Zarathustra-Miniatur gelesen werden soll, befindet sich im ebenfalls 1916 erschienenen längeren Prosastück Hans (SW 7, S. 173 – 206). Zur besseren Unterscheidung sei im Folgenden die Zarathustra-Miniatur im Spaziergang Miniatur I und die in Hans Miniatur II genannt. Die Miniatur II wurde außer durch die bereits zitierte, sehr ungenaue und andeutungsvolle Anmerkung von Scheffler (2010, S. 143) noch nicht mit Nietzsche im Allgemeinen oder mit dem Zarathustra in Verbindung gebracht. Urs Herzog weist lediglich in Bezug auf den riesig aufgerichteten Hass und Wahnsinn auf die Wesensanalogie zu dem „irren Riesen Tomzack“ sowie der Königin aus Schneewittchen hin (Herzog 1974, S. 23) und wertet die Begegnung der Sprecherinstanz mit Tomzack in Der Spaziergang als dessen apotropäische Haltung gegenüber dem drohenden Wahnsinn: Dieser „ist zugleich vergegenwärtigt und ferngehalten in der Distanz des Anderen“ (Herzog 1974, S. 22).

 „Weil ich dem Bedächtigen und Hochgesinnten gutsinnig gewesen bin, Sie das gewußt haben, und weil Sie diesen Wertvollen innerlich stets gefürchtet haben, Höllenhund, armseliger, der Sie sind, und Sie um sein Ableben ein schlechtes Gewissen bekommen haben, so stieg in Ihnen die Idee auf, mich zu Ihrem Werkzeug zu stempeln, sich dagegen zu einem Dämon erhöhen, der Sie gar nicht sind“ (SW 17. S. 375).  Vgl. die obige Ausführung zur „Verführung der Sprache“ aus der GM.  Vgl.: Schubert 2014.  Vgl.: „Sprache […] gibt sich ganz ihrer Eigendynamik hin – bis hin zur Auflösung ihres Sinns“ (Banki 2018, S. 110).

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Die von Herzog unter dem Aspekt des Hasses und des Wahnsinns vorgenommene pauschale Gleichsetzung Tomzacks mit der in der Miniatur von Hans auftretenden Figur ist aus zweierlei Gründen jedoch als verkürzt abzulehnen: Erstens ist eine solche Lesart, Wahnsinn als psychopathologischen Ausdruck und als etwas notwendig Abzuwehrendes zu lesen, das (wie auch bei Herzog) auf Walsers Biographie rückbezogen wird, nicht zuletzt durch die überzeugende Arbeit von Walt (2015) widerlegt und überwunden. Sie verstellt vielmehr durch diese Abwehrhaltung einer vermeintlich ‚irren‘ Ausdrucksweise des Anderen das einer Ästhetik innewohnende Potenzial, die über den Wahnsinn und seine Phänomene spricht bzw. diesen für ihre ihr inhärenten Poetologie produktiv anwendet: Gerade die Missverständnisse auf noetischer wie akustischer Ebene, die durch die Auseinandersetzung mit Phänomenen des Wahnsinns wie unverständliche Artikulation oder narrative Kurzschlüsse kalkuliert hervorgerufen werden, machen die Miniatur II zu einer auf Nietzsche rekurrierende poetologischen Schlüsselstelle.¹⁴⁹ Zweitens ist die Miniatur II derjenigen des Spaziergangs sehr ähnlich aufgebaut und unterliegt ähnlichen poetologischen Verfahren. Diese lässt Herzog bei seiner pauschalen Gleichsetzung der beiden Figuren jedoch vollständig außer Acht und bezieht sich in seiner äußerst knappen Herleitung ausschließlich auf die über die Figurenrede oder durch Erzählercharakterisierung verfügbaren Inhalte. Dabei hätte ihm auffallen müssen, dass die Miniatur II – ergänzend zu der Miniatur I – weitere Aspekte des Zarathustra sowie dessen Inhalte in den Blick nimmt. Der für die Schlussfolgerungen Herzogs zentrale „Hass“ kommt dagegen in der Miniatur I überhaupt nicht vor oder wird auch nicht angedeutet. Eine strukturelle Parallele gibt es zwischen beiden Miniaturen durch die Begegnung mit den von Herzog gleichsetzten Gestalten, die unvermittelt und von der übrigen Handlung losgelöst die Schauplätze betreten. Auch in Hans begegnet die diesem Prosastück namensgebende Titelfigur auf einem Spaziergang einer Gestalt, die sie – im Gegensatz zur Zarathustra-Miniatur im Spaziergang – nicht anspricht (es ist ein namenloser „Mann“, SW 7, S. 180) und zu der sie auch keine Bekanntschaft wie zu dem „Freund Tomzack“ geschlossen zu haben scheint, die in ihrer Charakterisierung jedoch Charakterzüge aufweist, die denjenigen Tomzacks ähneln, bzw. diese ergänzen. Gleich der konkreten Gestalt des Tomzack, der als „Koloß […] oder vielmehr Riesengestalt“ beschrieben wird (Spaziergang, S. 30)¹⁵⁰, weisen die artikulierten Inhalte des „Mannes“ für Hans’  Vgl. dazu die späteren Kapitel „Räuber“ und „Walsers Prager Texte“.  Das Bild der Riesin verwendet Walser in dem Prosastück Guten Tag, Riesin!, indem er die Großstadt Berlin als solche personifiziert: „Es ist, als schüttle da eine Riesin ihre Locken und strecke ein Bein zum Bett heraus, wenn man am frühen Morgen, noch ehe die Elektrischen fahren, von irgendeiner Pflicht angetrieben, in die Weltstadt hineingeht“ (SW 3, S. 63).

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Wesenszüge auf, die Walser in der Erinnerung von Hans an dieser Stelle mit einer okkasionellen Wortneuschöpfung als „gigantenturmhaft“ und „bis in den Himmel hinauftürm[end]“ beschreibt. Mit der Charakterisierung Tomzacks in der Miniatur I: „Groß schaute er mich an, d. h. er schaute nur so von hoch oben auf mich herab; denn er überragte mich an Länge und Höhe um ein Bedeutendes“ (Spaziergang, S. 30), ist zum einen die Körpergröße des Riesen, zum anderen die kulturelle Bedeutung des Tomzack-Zarathustra zum Ausdruck gebracht, der wie ein Schatten den Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts bestimmt. Die wörtliche Bezeichnung „Übermensch“ in der Miniatur I gibt einen offensichtlichen Hinweis auf den Prätext Zarathustra, während dieser in der Miniatur II nur indirekt über Beschreibungen herzustellen ist. So fällt in der Miniatur I auf, dass Tomzack, obwohl er von der Sprecherinstanz angesprochen wird, kein einziges Wort äußert; die Sprecherinstanz diesen aber trotzdem beschreiben kann, da sie ihn „leider nur allzu gut kannte“. Dahingegen ist der „Mann“ in der Miniatur II dadurch charakterisiert, dass er „mit überlauter Stimme eine Sprache führte und Worte in die Gegend hinausschrie, wie nur ein gegen Gott und Welt ingrimmig sich auflehnender Rebell sie in den Mund nehmen mag“ (SW 7, S. 180). Scheitert in der Miniatur I die Kommunikation dadurch, dass Tomzack auf die Ansprache nicht reagiert, so führt die Miniatur II vor, dass die Artikulationen des „Mannes“ „ungehört“ bleiben, da dieser „ihm [Hans] den Rücken kehrte“ und „[j]emand, an den der Wütende seine zornige Deklamation hätte richten können, war im Umkreis nirgendwo zu erblicken“ (SW 7, S. 181) war. Das Scheitern der Kommunikation, das hier vorgeführt wird, muss als leicht schiefer Rückbezug auf Zarathustras Erkenntnis in der fünften Vorrede gelesen werden: Nach seinen an das Volk gerichteten Worten erkennt Zarathustra, dass dieses ihn nicht verstanden hat und dass er „nicht der Mund für diese Ohren“¹⁵¹ sei. Schief ist dieser Rückbezug deswegen, da Zarathustra seine Worte in verständlicher Intonation an seine Zuhörer gerichtet hat; diese haben ihn akustisch wohl, nur noetisch nicht verstanden. Das noetische Nichtverstandenwerden greift Nietzsche ebenfalls im Aphorismus 27 in JGB auf, der betont, dass es „schwer [ist] verstanden zu werden“ und der dem „Spielraum und Tummelplatz des Missverständnisses“ (JGB 27, KSA 5, S. 45) vor dem eindeutigen Verstandenwerden den Vorzug gibt. Was dort als kalkuliertes Missverständnis gehandelt wird, wird in der Miniatur II nicht eindeutig als noetisches Missverstehen oder Missverständnis dargestellt, da der „Mann“ sich sehr wohl artikuliert.

 „Als Zarathustra diese Worte gesprochen hatte, sahe er wieder das Volk an und schwieg. ,Da stehen sie: sie verstehen mich nicht, ich bin nicht der Mund für diese Ohren“ (Z I, Vorrede, KSA 4, S. 18).

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Allerdings richtet er seine Deklamation in den „menschenleere[n] Raum“ an „Bäume[…] und Winde[…]“, die für „Menschen unbesonnene Aufführung weder Gehör noch Verständnis haben können“ (SW 7, S. 180).¹⁵² Unabhängig davon, ob es sich an dieser Stelle um einen Menschen oder um Bäume oder Winde als Adressaten handeln würde, muss eine akustische Verständigung von vornherein ebenfalls zum Scheitern verurteilt sein: Denn glaubt man den Ausführungen der Erzählerinstanz, so „harmonierte [mit dem Mann] sozusagen [das] Wetter selber, da es sich fast ebenso rauh und stürmisch gebärdete wie jener der mit überlauter Stimme eine Sprache führte und Worte in die Gegend hinausschrie“ Fragwürdig ist diese Aussage deshalb, weil die Harmonie eines Schreienden mit einem sich rau und stürmisch gebärdenden Wetter merkwürdig erscheint – denn möchte man verstanden werden, so artikuliert man sich deutlich, nicht schreiend, und schon gar nicht vor einer überlauten, windigen Wetterkulisse. Folglich müsste man eher von einem Wettstreit der Stimme mit den Naturgewalten sprechen sowie annehmen, dass Hans den „Mann“ aufgrund der tosenden Winde akustisch auch nicht verstehen kann. Hans’ Schlussfolgerung, dass die Rede des Mannes „schreckliche Wirkungen verbreitet, grausige Zustände ringsumherschleudert“, kann demnach nicht über die akustische Wahrnehmung selbst hergeleitet sein, sondern über eine Beobachtung und Beschreibung der Körpersprache, die in dem die Miniatur II einleitenden Satz als „auf schreckliche Manier gestikuliter[end]“ (SW 7, S. 179 f.) erreicht wird. Die Wirkung des „Mannes“ kann – wie bei Tomzack in der Miniatur I – die Metapher der Dunkelheit bemühend auch in der Miniatur II als eine „dicke, mond- und sternlose Mitternacht“ (SW 7, S. 183) beschrieben werden, allerdings lediglich über dessen „entsetzlichen, grauenvollen Gesten“, nicht über die tatsächlich geäußerten Inhalte seiner Rede. Die Merkwürdigkeit der Tatsache, dass der „Mann“, streng genommen, zu einem Publikum spricht, das ihn nicht verstehen kann, wird verstärkt durch Hans’ Beobachtung, dass er mit „dürren Wahngebilden, höchstens also mit einem Phantom“ (SW 7, S. 181) zu sprechen scheint. Dass sie ihn gleichermaßen zu verführen und zu verhöhnen scheinen, ist nur logisch, da die Sprecherinstanz in der Miniatur I Tomzack als „Phantom“ verabschiedet und somit beide in den zwei Miniaturen vorkommenden Gestalten als solches gelesen werden können (Spaziergang, S. 30). Folglich würde der „Mann“ in der Miniatur II nicht nur alleine

 Vgl. auch die Selbstaussage des Dienstmanns (dem Scheinbarleichtbeeinflußbaren) gegenüber dem Dämon aus der Unterhaltung zwischen dem Dämonischen und dem Gutmütigen: „Dann rede ich allzu stürmisch und herzlich mit den Lüften, klage mich und die Menschen der Unvernunft an, bin empört und empöre mich über meine Empörtheit“ (SW 17, S. 373).

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ohne Publikum deklamieren, sondern mit seinem eigenen Ich sprechen.¹⁵³ Was derart in der Miniatur II als Selbstgespräch vorgeführt wird, wird im Text Hans wie in einer Handlungsanweisung selbst umgesetzt, wenn der Erzähler über das Leseverhalten der Hauptfigur berichtet: „Sein Lieblingsbuch war das Erdbeerimareili von Jeremias Gotthelf, eine Erzählung, die er mitunter halblaut für sich vorlas, wobei sich ihm sein Dachzimmer trefflich als Vortragssaal zu eignen schien. Rezitator und horchendes Publikum war er offenbar selber“ (SW 7, S. 175). Hans scheint hier, gleich dem wie auf einer Theaterbühne deklamierenden und gestikulierenden „Mann“, den er beobachtet, selbst die Inszenierung einer Lesung aufzuführen. Dass er dabei zugleich Vortragender und Zuhörer sein soll, weist auf den Bezug zu der von Nietzsche in JGB diskutierten „Subjekts-Vielheit“ (JGB 12, KSA 5, S. 27) hin, die eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und in der Folge die Festschreibung des „Individuum[s]“ (NL 1881, KSA 9, S. 502), wie auch durch den mit sich selbst deklamierenden „Mann“ vorgeführt, erschwert. Die Miniatur II in Hans endet in einer Metalepse, die, wie auch schon Von einem Dichter, Der Spaziergang und Fritz Kocher’s Aufsätze, mit den unterschiedlichen narrativen Instanzen des Textes spielt: Die noch recht einfach nachzuvollziehende Leseransprache („Bist nicht auch du der Meinung, lieber Leser, daß die selig sein sollen, die das Leben, mag es immerhin auch Schlimmes bringen, gutmütig hinnehmen?“, SW 7, S. 183) wird im Folgesatz dadurch verkompliziert, dass die Sprecherinstanz an dieser Stelle die zwei weiteren Instanzen des Textes, Hans und deren Autor, einführt: Worte wie die eben angeführten sagt eigentlich eher Hans als der Autor, der in der Tat am besten täte, hübsch im Hintergrund zu bleiben und aufs peinlichste zu schweigen, statt sich vorzudrängen, was durchaus nicht gut aussieht. (SW 7, S. 183)

Dies hat zur Folge, dass sich in diesen beiden Sätzen die folgenden vier Textinstanzen versammelt finden: die angesprochenen Leser, die Figur Hans, der Autor und die Sprecherinstanz. Gleichzeitig wird von der Sprecherinstanz versucht, herauszufinden, wer von diesen die Autorität über das in der Zarathustra-Miniatur II beziehungsweise in dem Text Hans Gesagten besitzt.¹⁵⁴  Vgl. zeitgenössische Beiträge, welche die Wahrnehmung Nietzsches als Einsamen vorgeben: Wir schauen zum „Einsamsten der Einsamen“ (Joёl 1903, S. 461; Fränkel 1906).  An anderer Stelle in „Hans“ findet sich eine ähnliche Situation: „Die Sache soll insofern sogleich untersucht sein, als gemeldet wird, Hans sei nämlich eines Sonntagnachmittags wieder einmal, wie schon oft, keck und vergnüglich spazieren gegangen.“ Unklar ist, wer die Sache gemeldet hat, wer die Sache untersuchen soll, und wer genau die Sprecherinstanz ist, die davon berichtet (SW 7, S. 180).

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Dies führt zu einer paradoxen Situation: Der Leser wird angerufen, indirekt zu bestätigen, dass die Figur Hans gegenüber dem Autor das Vorrecht besitze, zu bestimmen, in welchem Duktus die Miniatur zu schreiben sei.¹⁵⁵ Unklar ist jedoch letzten Endes, welche von diesen Instanzen die vorangestellten Aussagen gemacht hat: Ist es der empirische Autor, der im Text als solcher genannt wird, der aber gar nicht im Text präsent sein darf? Ist es die Sprecherinstanz, die ja von Hans in der dritten Person berichtet? Diese ist jedoch auf die Erinnerung der Figur Hans angewiesen, da sie ja von seinen Erlebnissen berichtet. Dabei muss allerdings muss betont werden, dass die Erinnerungen der Figur Hans als äußerst unzuverlässig bewertet werden müssen, da dieser sich an einer Stelle „unmöglich mehr deutlich erinnern“ (SW 7, S. 185) konnte und an anderer Stelle sich mit „ziemlich guten Gedächtnis erinnerte“ (SW 7, S. 179). Sollte die Figur Hans selbst diese Aussage getätigt haben, so bräuchte man die Sprecherinstanz in dieser Form nicht, da Hans für sich selber sprechen könnte. Offensichtlich versucht die Sprecherinstanz die verschiedenen Instanzen im Text im Sinne einer von Alber und Disselkötter (2000) für das Verfahren im Räuber attestierten „Dekonstruktion der Erzählpositionen“ (Albert, Disselnkötter, 2000, S. 265) gegeneinander auszuspielen, da sie dem Autor, der als Urheber des Textes nach Belieben seinen Figuren Aussagen zuschreiben kann, seine Autorität entzieht und gleichzeitig versucht, der Figur Hans etwas in den Mund zu legen.¹⁵⁶ Der Leser sieht sich an dieser Stelle mit einer perspektivischen Offenheit konfrontiert, die, ganz wie in JGB 1 am Beispiel des Ödipus-Mythos vorgeführt, nicht eindeutig aufzeigt, wer der Fragende und wer der Befragte, wer das Subjekt und wer das Objekt der Handlung ist, und die einen archimedischen Punkt der Erkenntnis vermissen lässt. Diese Offenheit, durch die am Ende der Zarathustra-Miniatur II in Hans unentschieden bleibt, welche der Instanzen sich im

 Zum Umgang Walsers mit der Funktion der Zeugenschaft eines Textes vgl. das Kapitel „Prosper Merimée“.  Indlekofer stellt in ihrer Analyse des Mikrogrammas Autofahrt die Frage: „Wer schreibt, der Autor oder der Text?“, (Indlekofer 2014, S. 221).Vgl. SW 19, 29 – 32; KWA III/1, S. 4. In Hans wird der „Verfasser“ einige Sätze später, wie er von der Sprecherinstanz genannt wird, dafür, dass er offensichtlich nicht geschwiegen hat und etwas erzählt hat, was dem Leser oder der Sprecherinstanz nicht gefallen könnte, gemaßregelt: „Welcher offenkundige, eiserner Wille zur Disziplin! Soeben tüchtig gemaßregelter Verfasser richtet sich, obwohl recht sehr schüchtern, nunmehr nachgerade auf und meint sowohl kleinlaut wie scheinbar leider ziemlich vorlaut, falls er sich nicht gröblich irre, steige ja reizendster Duft von Speckrösti ihm jetzt in die Nase!“, (SW 7, S. 180). Eine sehr ähnliche Maßregelung findet sich auch in Na also: „Herr Verfasser! Mensch! Was ist mit Ihnen? Sind Sie närrisch?“, (SW 5, S. 172). Vgl. auch die Besprechung des Mikrogramms Prosper Merimée in gleichlautendem, späteren Kapitel, in dem noch einmal auf die Funktion der Maßregelung eingegangen werden wird.

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Sinne eines Autors für die Miniatur verantwortlich zeichnen muss, zeitigt ein mittelbare und eine unmittelbare Konsequenz: Die mittelbare Konsequenz weist auf ein ästhetisches Verfahren, das im Räuber (1925) weiter radikalisiert und verdichtet wird. Dieses setzt räuberisch um, was hier in Hans poetologisch angelegt ist: Der Räuber als Modell¹⁵⁷ eignet sich intertextuell Verfahren aus Prätexten an, arbeitet diese um, lässt die Grenzen zwischen den Figuren verwischen, überträgt Charakteristika von Figuren auf andere und überschreitet Grenzen der narrativen Ebenen, was in der Summe wie die Übertragung von fremdem Eigentum anmutet. Die unmittelbare Konsequenz ist in der Miniatur II selbst zu finden: Die aufgezeigten Ungereimtheiten bezüglich der Erinnerungsfähigkeit der Figur Hans im Zusammenspiel mit der perspektivischen Offenheit führen zu einer Unglaubwürdigkeit des in der Miniatur Ausgesagten. Damit begibt sich die Sprecherinstanz in Bezug auf die Verlässlichkeit ihrer Kommunikation auf eine Ebene mit dem von der Figur Hans beobachteten „Mann“, den Hans wie ein „Schauspiel“¹⁵⁸ beobachtet und der offensichtlich selbst mit sich redet. Ist Hans ob der Unverständlichkeit des durch den „Mann“ Artikulierten offensichtlich irritiert und kann dessen Benehmen nicht verstehen, so zwingt ihn der Text, durch die beiden analysierten und eine perspektivische Offenheit erzeugenden Sätze, zum Wechsel seiner Perspektive – er ist nicht mehr, analog zu Nietzsches Beschreibung der attischen Tragödie in der GT, allein Zuschauer der Szene, sondern der Text führt genau das aus, was er mit Befremden beschreibt.¹⁵⁹ Die Figur Hans ist jetzt „zugleich Subject und Object, zugleich Dichter, Schauspieler und Zuschauer“ (GT 8, KSA 1, S. 48) und kann – aufgrund der aufgezeigten Autoritätszuschiebungsversuche der Sprecherinstanz, die jedoch erfolglos bleiben – mit dem Text gleichgesetzt werden. So sind jene zwei die Zarathustra-Miniatur II abschließenden Sätze gleichzusetzen mit dem Gebaren des Mannes und seinen Kommunikationsversuchen: Er kämpfte mit einem vollkommenen Nichts, schlug sich lächerlichster Erbitterung mit einem absolut Unsichtbaren herum, verteidigte sich wie auf Leben und Tod gegen durchaus nur eingebildeten, übermächtigen Angriff, sprach mit Gestalten und Stimmen, die entweder niemand als nur er oder vielleicht nicht einmal er selber sah und hörte. (SW 7, S. 181)

 Vgl.: Villwock 1993.  Schaak verwendet in ihrer Dissertation den Begriff „Sprachbühne“ um diese Konstellation in Walsers Prosastücken zu beschreiben (Schaak 1999, S. 9).  „Nur muss man sich immer gegenwärtig halten, dass das Publicum der attischen Tragödie sich selbst in dem Chore der Orchestra wiederfand, dass es im Grunde keinen Gegensatz von Publicum und Chor gab […]“ (GT, KSA 1, S. 59).

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Kämpft der „Mann“ mit dem „Nichts“ und übt er seine „Gebaren [ohne] die geringste Wirkung“ (SW 7, S. 181) in einer offensichtlich als nihilistisch zu beschreibenden Handlung aus, so vollziehen die beiden letzten Sätze der Zarathustra-Miniatur II dies poetisch für den Text an sich. Noch deutlicher wird diese nihilistische Bewegung im dem Prosastück Fritz, das bereits zur Illustration des Spaziergangs als Beispiel für Denk- und Gangarten angeführt wurde, durch die sich selbst aufhebenden Fragen der Sprecherinstanz („Warum bin ich überhaupt auf die Welt gekommen?“, SW 5, S. 176) vorgeführt. Diese Fragen verhindern nicht nur eine einheitliche Gangart der Erzählung, sondern beenden letzten Endes den Text selber, da sie ihm durch das Infragestellen der Textinhalte die eigene Grundlage entziehen und auf diese Weise den abschließenden Satz von Fritz vorbereiten. In diesem kündigt die Sprecherinstanz, die mit der Zuschreibung des Namens Fritz hadert¹⁶⁰, an, keine weiteren Texte mehr zu verfassen: „[O]bwohl ich glaube, daß es vielleicht besser sein wird, lieber nie die Feder in die Hand zu nehmen, da ich offenbar am besten überhaupt keine Zeile hierüber schreibe“ (SW 5, S. 183). Führt die Sprecherinstanz in Fritz mehr oder weniger in praxi vor, sich gleichsam selbst aufzuheben, indem sie mit ihrer Namenszuschreibung hadert, alle ihre

 „Sie [eine Dame, B.S.] warf die Frage auf: ,Heißen Sie nicht etwa Fritz?‘ Ich sagte, daß dies ungefähr mein Name sei. Behaupten wollte ich zwar nach dieser Richtung hin nichts, weil Irrtümer ja bekanntlich nie ausgeschlossen seien“ (SW 5, S. 180). Die „Dame“ wird als in Initialen gedruckte Überschrift eines Abschnittes zwei Seiten zuvor eingeführt und der Leser muss diese zwei Seiten zurückblättern, um Gewissheit zu bekommen, welche Person mit dem den Satz einleitenden Personalpronomen gemeint ist. Dies zeigt zum einen, dass durch dieses Verstecken der Referenz im Text die (Selbst)aufhebung der Personencharakterisierung, gleich der Sprecherinstanz, die mit dem ihn bezeichnenden Namen „Fritz“ hadert, in einem nihilistischen Sinne ästhetisch umgesetzt wird. Zum anderen setzt der Text poetisch um, was zuvor als „unterminierend“, „unterhöhlend“ oder „zerklüftend“ (SW 5, S. 176, 177, 178) beschrieben wurde. Die frühe Nennung der „Dame“ und ihre später im Text auf sie weisende Referenz des Personalpronomens erfüllt somit eine ähnliche Funktion wie die Prolepsen im Spaziergang. Für den Namen Fritz lassen sich zwei mögliche Referenzen aufzeigen: Die erste wäre der intratextuelle Bezug zu der gleichnamigen Hauptfigur aus Fritz Kocher’s Aufsätzen, deren Aufbau mit der Funktion und Rolle der Autorschaft ein ironisches Spiel treiben (vgl. das Kapitel „Fritz Kocher’s Aufsätze“) und in einzelnen in ihnen enthaltenen Schulaufsätzen dieses weiter perfektionieren, wie bei der Analyse des Räubers zu zeigen sein wird (vgl. das Kapitel „Räuber“). Der zweite wäre ein biographischer Ansatz, der sich über Paralleldrucke herleiten lässt: Bekannterweise hat Friedrich Nietzsche seine Briefe an Familienangehörige mit Fritz unterzeichnet, so auch den an seine Schwester Elisabeth aus Sils vom 14. September 1888, der in der Neuen Rundschau zusammen mit Robert Walsers Fabelhaft abgedruckt wurde: „Mein liebes Lama“ (1872) Gruß: „Mit diesem etwas indianerhaft gerathenen Schluß grüßt und umarmt Dich, mein liebes Lama, Dein Bruder Fritz“ (Friedrich Nietzsche (1888/1913), S. 1372 f).

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Aktivitäten über die Gebühr kritisch hinterfragt und letzten Endes ankündigt, ihre eigene Existenz abzuschaffen, die ja aus Schreiben besteht, so intendiert sie offensichtlich eine Wirkung wie der „Mann“ in Hans, Worte „ungehört“ verhallen, und dessen „Gebaren [nicht] die geringste Wirkung ausübte“ (SW 7, S. 181).

Exkurs 2: Hans [der Träumer] Was in der Zarathustra-Miniatur II im Prosastück Hans in Verbindung mit dem Spaziergang neben den Bezügen zum Zarathustra als Bezug zur GT über die Nivellierung des Gegensatzes von Publikum und Chor (also Schauspieler) zur Argumentation herangezogen wurde, weist auf ein weiteres, einschlägiges Motiv aus der GT hin: Das von ,Hans dem Träumer‘. Dieses auf der Figur ,John-a-dreams‘ (im englischen Original) aus Shakepeares Hamlet basierende Motiv wird gegen Ende des 7. Abschnittes eingeführt: Die Erkenntnis tödtet das Handeln, zum Handeln gehört das Umschleiertsein durch die Illusion – das ist die Hamletlehre, nicht jene wohlfeile Weisheit von Hans dem Träumer, der aus zu viel Reflexion, gleichsam aus einem Ueberschuss von Möglichkeiten nicht zum Handeln kommt; nicht das Reflectieren, nein! – die wahre Erkenntniss, der Einblick in die grauenhafte Wahrheit überwiegt jedes zum Handeln antreibende Motiv, bei Hamlet sowohl als bei dem dionysischen Menschen. (GT 7, KSA 1, S. 57)¹⁶¹

Bemerkenswert ist, dass Hamlet sich selbst als ,Hans der Träumer‘ sieht („Und ich / Ein blöder, schwachgemuter Schurke, schleiche / Wie Hans der Träumer, meiner Sache fremd, / Und kann nichts sagen […]“ Hamlet 1990, 2. Aufzug, 2. Szene), Nietzsche dagegen Hamlet in Opposition dazu mit dem dionysischen Menschen gleichstellt, der Erkenntnis aus dem Einblick in die grauenhafte Wahrheit gezogen hat und dessen Handeln genau aufgrund dieser Erkenntnis getötet wird. Gerade diese auf das Handeln, bzw. das sich daraus ergebende Nichthandeln, bezogene Distinktion zwischen einem zunächst durch die Illusion umschleierten Menschen, der dann als dionysischer Mensch Erkenntnis erlangt und dem Nichthandeln aus (zuviel) an Reflexion, ist wesentlich für die Lektüre in diesem Exkurs. Anhand dieser wird im Folgenden ein strukturelles Modell für je eine Lesart des Spaziergangs sowie von Hans vorgeschlagen, mit dem der Textkorpus dieses Kapitels um folgende Autoren und deren Texte erweitert wird:  Sich selbst zitierend verwendet Nietzsche dann das Motiv in EC, um seine Arbeit zu den UB selbstreflexiv zu charakterisieren: „Die vier Unzeitgemässen sind durchaus kriegerisch. Sie beweisen, dass ich kein ,Hans der Träumer‘ war, dass es mir Vergnügen macht, den Degen zu ziehn, – vielleicht auch, dass ich das Handgelenk gefährlich frei habe“ (EH UB, KSA 6, S. 316).

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Maria Czygan-Waldemar: Hans der Träumer und andere Erzählungen (CzyganWaldemar 1922) Rudolf Huch: Hans der Träumer (Huch 1903)

Das zu entwickelnde strukturelle Modell bezieht sich – im Gegensatz zu der sonst in dieser Arbeit angewandten Methode, die sich vorrangig auf einzelne Textsegmente und Miniaturen konzentriert – auf die Gesamttexte. Aufgrund dieser Abweichung und der weiteren, dass die Ähnlichkeit zwischen Walser und Nietzsche hier auf einem Motiv begründet wird, ist dieses Kapitel als Exkurs zu verstehen. Wie bereits ausgeführt, bleibt die Methode, gemeinsame Motive aufzuspüren und zu analysieren, auf einem vergleichsweise oberflächlichen Niveau der Textarbeit, da eine motivische Übernahme sich auf einer ersten Ebene der intertextuellen Adaption befindet: Der Text zeigt, macht aber nicht. Das Machen entsteht erst durch eine konkrete poetologische Umsetzung der intertextuellen Vorbilder. Jedoch soll durch dieses Vorgehen im Zusammenspiel mit der Methodik der übrigen Kapitel dieser Arbeit quasi ex negativo ein Alleinstellungsmerkmal Walsers in der Nietzsche-Rezeption aufgezeigt werden. Das strukturelle Modell soll zunächst vorrangig anhand des Prosastücks Hans in Zusammenspiel mit dem Spaziergang entwickelt werden, um es dann, in einem weiteren Schritt, auf die übrigen Texte anzuwenden. Der Analyse vorangestellt sei die Information, dass Walsers Text, anders als Maria Czygan-Waldemar und Rudolf Huch, implizit den Ersten Weltkrieg als zeitgeschichtliche Erfahrung in seinen Texten 1916 und 1917 thematisiert.

Das Motiv ,Hans der Träumer‘ als Grundlage für ein literarisch-strukturelles Modell – entwickelt am Beispiel von Hans und Der Spaziergang Betrachtet man das Prosastück Hans unter der von Nietzsche in der GT getroffenen Distinktion von Handeln bzw. Nichthandeln, die auf Erkenntnis oder (zu viel an) Reflexion basiert, so fällt auf, dass die Figur Hans selbst kaum handelt – die These ist, dass dies aus zu viel Reflexion heraus geschieht und speziell die Figur Hans, gleich Hans dem Träumer aus Hamlet aus einem Überschuss an Möglichkeiten jenem erkenntnisgeleiteten „dionysischen Menschen“ gegenüber zu stellen ist. Seine Tätigkeiten sind zu Beginn des Prosastücks durch Bewegungen wie „Schlendern, Herumstreifen und Spazieren“– denen im Spaziergang sehr ähnlich – gekennzeichnet, die nicht proaktive Teilnahme, Interaktion oder Gestaltung erahnen lassen, aus denen eine Erkenntnis erwachsen könnte, sondern für Hans

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eine Situation vorbereiten, in der „er […] eine Stunde lang träumen könnte“ (SW 7, S. 173).¹⁶² Dieser Traumzustand „spiegelt“¹⁶³ ihm eine permanente illusorische Kindheitssituation vor, in der es sich für ihn ergibt, „daß alles rundherum unendlich weich und schön wurde, er eine süße Wehmut unmöglich zu unterdrücken vermochte“ (SW 7, S. 185). So verwundert es nicht, dass „sein Lieblingsbuch das Erdbeerimareili von Jeremias Gotthelf“ war, dessen weibliche Hauptfigur ebenfalls in Tagträumen lebt¹⁶⁴, und das er, wie bereits gezeigt, von der übrigen Welt abgeschieden in seinem Zimmer „mitunter halblaut für sich vorlas“ (SW 7, S. 175). In diesem traumhaften Zustand des distanzierten Betrachtens und Anschauens¹⁶⁵ ist Hans dem Typus des „apollinische[n] Griechen“ gleich, dessen „apollinisches Bewusstsein [zunächst] nur wie ein Schleier diese dionysische Welt vor ihm verdeckte“ (GT 2, KSA 1, S. 34). Eine ihm Erkenntnis ermöglichende Situation findet zunächst nicht statt und so ergeht sich Hans in der Reflexion seiner Situation:

 Der Traum ist ein gerade in den 1910er Jahren von Walser häufig verwendetes Motiv, das allerdings nicht immer im Sinne des Motivs ‚Hans der Träumerʻ zu verstehen ist. Es hat in den genannten Texten oft eine surreale Funktion, auf die im Kapitel „Walsers Prager Texte“ näher eingegangen wird: In Der Traum (II) spricht der Ich-Erzähler von der „Macht des fieberartigen Traumes“, die allerdings in den letzten beiden Sätzen aufgelöst wird: „Endlich erwachte ich aus all dem Hoffnungslosen. O wie freute ich mich, daß es nur ein Traum war“ (SW 4, S. 107). In Der Kuß (I) erlebt die Sprecherinstanz traumartige Sequenzen auf einer Theaterbühne: „Der Schlaf hat innere Augen, und so muß ich denn gestehen, daß ich mit einer Art von zweiten und anderen Augen dasjenige sah, was auf mich zustürzte“ (SW 4, S. 25). Vgl. auch Jakob von Gunten: „Weiß Gott, manchmal will mir mein ganzer hiesiger Aufenthalt wie ein unverständlicher Traum vorkommen“ (KWA I/4, S. 11).  Die Verwendung der Metapher des Spiegels bei Walser in Bezug auf Selbsterkenntnis und daraus sich ableitende Handlungsoptionen wird im Kapitel „Räuber“ ausführlich in Bezug auf Nietzsche sowie weitere diese Metapher verwendende Texte analysiert.  Das Mädchen Mareili träumt, begegnet im Waldeinem Schloßfräulein und hält diese für einen Engel: „Von Mareili war alle Müdigkeit gewichen; es kam hei, als hätte es Räder unter seinen Füßen, als hätte die Freude ihm Flügel wachsen lassen. Einen Augenblick nur hatte es ihns betrügt, daß hatte ihns bezaubert, jetzt war es glücklich, seinen Engel auf Erden zu haben in Menschengestalt“ (Gotthelf 1850/1978, S. 26). „Die Mutter verstaunete ganz, als Mereili ihr berichtete, wie es ihm heute ergangen und wie es den Engel lebendig auf der Welt gefunden. Als sie aber vor Erstaunen zu sich selbsten kam, es sei kein Engel gewesen, sondern eine vornehme Herrenfrau oder Herrentochter? Daran, daß sie es von Anfang an gesagt und nur um Mareilis willen geschwiegen, lebte sie wenigstens ebenso wohl als am Engel selbst. Mareili gönnte und ließ der Mutter die Freude, recht gehabt zu haben, wie die Mutter ihm die Freude am Engel, und wo jedes dem Andern seine Freude gönnt, da ists schön, da ist Friede“ (Gotthelf 1850/1978, S. 27).  Vgl. dazu auch die späteren Ausführungen zu Huch (1903): Hans der Träumer.

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Hans hatte sich nämlich schon die längste Zeit hie und da vorgeworfen, daß er nur immer glatt und leicht so für sich selbst hinspaziere, weder an die Leute noch irgendwie an rauhes, tägliches Erwerbsleben geknüpft sei, vielmehr an Menschen wie Verhältnissen nur vorüberhusche, nicht so sehr im Leben stehe, wie leider eher nur daneben vorbeigehe, am Leid und an der Freude der Menschen und zwar keinesfalls achtlos, doch aber eigentlich zu schnell, zu stark mit sich selbst beschäftigt, vorüberfahre, deshalb tätiges, leidendes Leben, statt mitzuleben, im Grund nur anschaue, viel zu sehr Zuschauer, dementsprechend viel zu wenig handelnder Teilnehmer, wesentlich ergriffener Beteiligter zu sein. (SW 7, S. 194)

Zu dieser Erkenntnis, die, um mit den Bildern Nietzsches aus GT zu sprechen, durch den Blick auf die „Entsetzlichkeiten des Daseins“ der „dionysischen Welt“ (GT 3, KSA 1, S. 35) evoziert wird, welche im Verlauf von Hans durch das apollinische Bewusstsein umschleiert bleibt, wird er gegen Ende des Textes regelrecht gezwungen, als im August der Krieg ausbricht und „es ernst für Hans“ (SW 7, S. 205) wird. Die im Irrealis gehaltene Formulierung drückt den apollinischen Schleier aus, der das Unmögliche verdecken soll: „Was jedermann für unmöglich gehalten haben wollte, war plötzlich nackte, harte, schreckensverbreitende Wirklichkeit geworden“ (SW 7, S. 205 f.). Der Krieg als das alle Illusionen zerstörende Momentum erscheint in Hans relativ unvermittelt und plötzlich gegen Ende des Prosastücks. Nicht so im Spaziergang, in dem der Krieg ebenfalls am Ende ausbricht, aber durch das oben erläuterte Verfahren der Prolepse sowie durch rhetorische Formulierungen bereits früh im Text angekündigt wird. Die besprochene Prolepse, die einen zu überschreitenden Bahnübergang vorankündigt¹⁶⁶, bildet nicht nur ein narratives Element des erzähltechnischen Verfahrens des Spaziergangs, sondern nimmt mit der Beschreibung der dem „unnütze[n] Zivilpublikum […] freundlich und patriotisch“ (Spaziergang, S. 60) zuwinkenden Soldaten und Militärs, die in dem den Bahnübergang passierenden Zug sitzen, den Ausbruch des Krieges am Ende des Spaziergangs vorweg. Noch wird an dieser Stelle das durch die Zivilisten erwiderte Winken gleich der weichen und schönen Stimmung zu Beginn von Hans als „eine Bewegung [beschrieben], die rund herum liebliche Stimmungen verbreitete“ (Spaziergang, S. 59 f.). Der Krieg wird nicht nur durch die euphemistische Beschreibung der im Zug vorbeifahrenden Soldaten angekündigt, sondern ebenfalls rhetorisch durch den Ich-Erzähler vorbereitet, wenn dieser beispielsweise in seinem Verhandlungsgespräch mit dem Schneider eine bildhafte Sprache verwendet, die eindeutig aus dem Bereich der Irenik entlehnt ist:

 „Von weitem sehe ich bereits einen Bahnübergang, den ich zu überschreiten haben werde“ (Spaziergang, S. 38).

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Diese Anspielung dürfte Sie entwaffnen. Da ich einsehen mußte, daß es unmöglich sei, irgend etwas auszurichten, und da ich mir sagen mußte, daß meine vielleicht nur allzu feurige und umgestüme Attacke sich in eine schmerzliche und schmähliche Niederlage verwandelt hatte, so zog ich meine Truppen aus dem unglücklichen Gefecht zurück, brach weich ab und flog beschämt davon. (Spaziergang, S. 51)

Nicht nur auf der inhaltlichen Ebene im Gespräch mit dem Schneider scheint der Krieg bereits früh durch die martialische Bildhaftigkeit durch, sondern auch in Bezug auf die poetische Organisation des Textes selbst. So scheint die Sprecherinstanz, nachdem ihr der geordnete Fortgang des Texts aufgrund der „Schwachheit der Organisation“ ihrer Selbst für einen Moment entglitten ist¹⁶⁷, mit militärischer Strenge und Disziplin neu organisieren zu wollen: Ich setze voraus, daß mir Neueinrichtung und Umgruppierung so gut gelingen wie irgend einem Generalfeldmarschall, der alle Umstände überblickt und alle Zufälligkeiten und Rückschläge in das Netz seiner, es wird gestattet sein, zu sagen, genialen Berechnungen zieht. In den Tagesblättern liest solches ein fleißiger Mensch gegenwärtig täglich, und er merkt sich Ausdrücke, wie: Flankenstoß. (Spaziergang, S. 27)

Der alles organisieren sollende „Generalfeldmarschall“ gleicht – obgleich er von der Sprecherinstanz aus einer Zeitungslektüre entlehnt zu sein scheint – dem „Regenten“ Nietzsches, der glaubt die „Subjekts-Vielheit“ (JGB 12, KSA 5, S. 27) des menschlichen Bewusstseins kontrollieren zu können. Dass aber auch ein solcher „Generalfeldmarschall“ den Text nicht organisieren kann, zeigt zunächst die Widersprüchlichkeit, die durch die Sprecherinstanz hervorgerufen wird, wenn sie am Anfang des Textes ankündigt, „alle diese hoffentlich zierlichen netten Zeilen mit deutscher Reichsgerichtsfeder“ (Spaziergang, S. 28) schreiben zu wollen. Schon allein die diese Feder charakterisierenden Beiworte „kurz“, „prägnant“, „scharf“ (Spaziergang, S. 28) des Folgesatzes konterkarieren das Bemühen, zierliche und nette Zeilen zu schreiben, sowie die Tatsache, dass die Sprecherinstanz an anderer Stelle beabsichtigt, „so umständlich wie möglich Bericht“ (Spaziergang, S. 38) abzulegen. Auch die distanzierte Haltung der Sprecherinstanz gegenüber dem zackigen Tomzack sowie die Ankündigung zu Beginn des Spaziergangs, mit militärischer Präzision eine bestimmte Marschzahl bei der Erzählung einhalten zu wollen, zeugt von der Inkompatibilität der irenischen Bildersprache im Spaziergang.Wird der Leser in diesem Satz eingeladen, „mit dem

 „Hier habe ich mich wieder einmal neu zu orientieren“ (Spaziergang, S. 27). Vgl. dazu die Tisch-Metapher Nietzsches, welche das menschliche Bewusstsein als ein „Hintereinander von Gedanken“ charakterisiert, „wie als ob ein Gedanke die Ursache des Folgenden sei. Thatsächlich sehen wir den Kampf nicht, der sich unter dem Tisch abspielt“ (NL 1885 – 1886, KSA 12, S. 112).

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Schreiber und Erfinder dieser Zeilen vorwärts in die helle, freundliche MorgenWelt hinaus zu marschieren“, so stehen die folgenden charakterisierenden Beiworte in auffälligem Widerspruch zur zackigen Wesensart eines Marsches: „nicht eilig, sondern vielmehr ganz behaglich, sachlich, glatt, bedächtig und ruhig“ (Spaziergang, S. 15). Zusammenfassend ist der am Ende des Spaziergangs angedeutete Krieg („Jungens mit hölzernen Waffen bewaffnet, die den europäischen Krieg nachahmen, in dem sie sämtliche Kriegsfurien entfesseln“, Spaziergang, S. 76) unterschwellig bis deutlich sichtbar inhaltlich und über die Bildsprache durchgängig im Text präsent, bleibt aber letzten Endes durch die aufgezeigten Widersprüchlichkeiten inhaltlich und narrativ ein Störfaktor der Organisation des Textes. Der Krieg nimmt im Spaziergang nicht im gleichen Maße Besitz von dem Ich-Erzähler wie im Prosastück Hans, in dem die gleichnamige Hauptfigur physisch zum Kriegseinsatz eingezogen wird: „Er fuhr nach Bern, um sich dort zu stellen“ (SW 7, S. 206). Dennoch verdunkeln sich auch im Spaziergang in einem 1) intratextuellen Selbstverweis auf die Zarathustra-Miniatur I und 2) intertextuellen Selbstverweis auf Von einem Dichter¹⁶⁸ die Erlebnisse der Sprecherinstanz zusehends: Wozu dann die Blumen? ‚Sammelte ich Blumen, um sie auf mein Unglück zu legen?’, fragte ich mich, und der Strauß fiel mir aus der Hand. Ich hatte mich erhoben, um nach Hause zu gehen; denn es war schon spät, und alles war dunkel. (Spaziergang, S. 84)¹⁶⁹

Wie bereits in FKA, dessen Erstdruck von 1904 mit der von Karl Walser besorgten Illustration von Fritz Kocher’s Grab endet, schließt die Sprecherinstanz mit einer Reflexion über ihr Dasein, den Spaziergang, die – entsprechend dem düsteren Kriegsszenario – den Gedanken an ihr Grab mit einschließt: Erde, Luft und Himmel anschauend, kam mich der betrübliche, unweigerliche Gedanke an, daß ich zwischen Himmel und Erde ein armer Gefangener sei, daß alle Menschen auf diese Art und Weise kläglich gefangen seien, daß es für alle nur den einen finsteren Weg gebe, nämlich in das Loch hinab, in die Erde, daß es keinen andern Weg in die andere Welt gebe als den, der durch das Grab geht. (Spaziergang, S. 84)

 Vgl. 1) das Prosastück Von einem Dichter, in welchem dem Dichter beim Versuch, ein Werturteil über seine eigenen Gedichte zu fällen, alles dunkel bleibt, 2) die Zarathustra-Miniatur I, in der Tomzack die lichte Straße verdunkelt.  Simon Tanner spricht zu dem im Schnee erfrorenen Dichter Sebastian: „Wie nobel er sich sein Grab ausgesucht hat. […] Wenn ich Blumen hätte, ich schüttete sie über dich aus“ (KWA I/2, S. 123).

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In dem Maße, wie die physische Konfrontation mit dem Krieg im Spaziergang vermieden wird, setzt der Text die sich aus den das Motiv von ,Hans dem Träumer‘ umgebenden Überlegungen Nietzsches zum Zusammenspiel der apollinischen und dionysischen Elemente ergebenden Konsequenzen ästhetisch um. Die durch die aufgezeigten motivischen und narrativen Widersprüche werden im Sinne von GT als „Hässliche[s] und Disharmonische[s]“ (GT 24, KSA 1, S. 152) selbst in den Text integriert. Bis auf die aufgezeigten Sprünge, die durch die Ankündigungen und Erfüllungen der Prolepsen hervorgerufen werden, unterliegt der Spaziergang einer linearen Chronologie der Erzählung. Nicht so das Prosastück Hans, dessen Rahmenhandlung die Kriegssituation an sich darstellt.¹⁷⁰ Die dazwischenliegende Handlung und Geschehnisse sind mehrmals als „Phantasien“¹⁷¹ oder „Erinnerungen“ gekennzeichnet (SW 7, S. 179, S. 181, S. 190), die mit Hilfe der Sprecherinstanz, die nicht mit Hans identisch ist, in einer Rückschau berichtet werden. So kann es sein, dass diese Erinnerungen ab und zu eher vage und unbestimmt oder an manchen Stellen gar unzuverlässig sind¹⁷². In letzter Konsequenz wird die durch die Kriegsrahmenhandlung umgebende Binnenerzählung sogar durch die Selbstaussage Hans’ selbst als eine Art Traum entlarvt: „,Soll ich von allen schönen, geliebten, guten Träumen mich jetzt trennen?‘ redete er, ,und alles, was mir kostbar war, unweigerlich fortwerfen?‘“, (SW 7, S. 206). Eine Erkenntnis, die entsprechend der Passage über Hans den Träumer im siebten Abschnitt von GT nach dem „wahren Blick in das Wesen der Dinge […][i]n der Bewusstheit der einmal geschauten Wahrheit“ (GT 7, KSA 1, S. 56) als Ekel auftreten müsste, tritt allerdings nicht erkennbar ein. Hans bleibt entsprechend dem Anfangsbefund ein Träumer in der Definition Nietzsches, der aus einem Zuviel an Reflexion nicht in die Handlung kommt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das strukturelle Modell, das aus Hans und dem Spaziergang entwickelt wurde, sich durch die beiden folgenden Merkmale auszeichnet:

 So leitet der erste Satz von Hans den Text gleich einer Incipit-Formel eines Märchens (Es war einmal …) ein, die eine ahistorische Überzeitlichkeit markiert: „Wann Hans etwas nachher, da für ihn vieles anders geworden war, er sich mit gänzlich andern Dingen beschäftigt sah, hin und wieder an die Zeit zurückdachte […]“ (SW 7, S. 173).  Hans: „Der da meinte, daß ihn dies und das an Granada, Madrid, Barcelona, Sevilla und Toledo mahne, hatte übrigens solche Städte nie gesehen, woraus man ersieht, daß er entweder gern prahlte oder gern log, oder gern schwindelte, oder gern dichtete, spann und simulierte. Menschen, die Phantasie haben und Gebrauch davon machen, gelten leicht als Spitzbuben“ (SW 7, S. 176).  SW 7, S. 184.

Rudolf Huch: Hans der Träumer (1903)

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Vor allem im Prosastück Hans zeigt sich, dass die Figur durch ein Zuviel an distanzierter Reflexion sich in dem sie umgebenden „Überschuss an Möglichkeiten“ nicht in dem Maße orientieren kann, dass die Möglichkeit einer Teilhabe an den Betrachtungsgegenständen ausreichend gegeben ist. Ein Erkenntnis erzwingender Umstand tritt gegen Ende des Textes ein, der für den Leser durch Signale, wie Vorausdeutungen, narrative Besonderheiten oder in der Figurenkonstellation, erkennbar ist. Diese Signale sind zum Teil auch für die intradiegetischen Figuren erkennbar, werden von ihnen jedoch durch die Verhüllung durch den apollinischen Schleier nicht wahrgenommen, anders gedeutet oder schlichtweg ignoriert.

Rudolf Huch: Hans der Träumer (1903): erste Ichheiten/Maria Czygan-Waldemar: Hans der Träumer (1922): Kitsch Diesem Muster folgen auch die beiden Texte Hans der Träumer, ein Roman von Rudolf Huch, der 1903 im Insel-Verlag Leipzig veröffentlicht wurde¹⁷³, sowie Hans der Träumer, eine kurze Geschichte von Maria Czygan-Waldemar aus dem Jahr 1922 (der Einfachheit halber und zur besseren Unterscheidung: Hans 1903 und Hans 1922). Vor allem als direkte Charakterisierung ihrer Figuren setzen sie das Motiv von ,Hans dem Träumer‘ ein: so in Hans 1922 in der Figur des Landarztes Hans Martin, der durch die übermäßige Hingabe an seinen Beruf das Leben verträumt, so dass seine Bedienstete ihn im Gespräch mit der mit dem Landarzt befreundeten Justiziarin explizit charakterisiert: „,Hans den Träumer nennen Sie ihn!“ (Czygan-Waldemar 1922, S. 10). Auch die Hauptfigur des Romans Hans 1903, Hans Fabricius, der im Laufe des Romans Jura studieren wird, jedoch eine poetische Neigung besitzt und sich als Schriftsteller versucht, wird, zunächst von seiner Mutter, als Kind als ein märchenhafter Träumer einführend charakterisiert („Hans, träume nicht!“, Huch 1903, S. 10¹⁷⁴) und schließlich gegen Ende explizit durch die neutrale Erzählerinstanz als „Hans der Träumer“ (Huch 1903, S. 381) bezeichnet. Die Charakterisierung als „Hans der Träumer“ zieht sich durch den gesamten Text und wird von verschiedenen Figuren, die mit Hans Fabricius zu tun haben, immer wieder bestätigt. So beurteilt der erfahrene Verleger und

 Robert Walser hätte diesen Text über seine Kontakte in die Redaktion erst der Zeitschrift und dann des Verlags kennen können.  „Ach! Etwas glitschiges, widriges flog ihm ins Gesicht. Der Tafelschwamm. Weg war die Vision“ (Huch 1903, S. 10).

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Buchhändler Rosenstock dem ihm von Hans Fabricius vorgelegten Dramenentwurf zweifach mit einer Aussage, die indirekt aussagt, dass Hans ein Träumer sei, der an der „Wirklichkeit“ vorbeilebt: „Ja, aber Mann Gottes, haben Sie denn die letzten zehn Jahre verschlafen? Vor zehn oder fünfzehn Jahren, da wäre so was gegangen, aber heute!“, (Huch 1903, S. 353, S. 321¹⁷⁵).Was in Hans 1922 vermutlich als erbauliche Vorweihnachtslektüre als Veröffentlichung in der Reihe Ensslins Roman und Novellenschatz [sic!] vom November 1922 gedacht war, endet dementsprechend kitschbehaftet in der Erkenntnis, dass die heimliche Zuneigung, die er gegenüber Hilde, der Tochter der Justiziarin, hegt, auf längst vermuteter Gegenseitigkeit beruht: „Das Blut schoß Herrn Martin in den Kopf. ,Träumer! Hans Träumer! Die Menschen hatten recht, die ihn so nannten. – Heftig wandte er sich dem Zimmer zu“ (Huch 1903, S. 16), in dem sich Hilde kniend unter dem Weihnachtsbaum befindet. Aus seinem Traum erwachend, spricht der Landarzt sie mit folgenden Worten – den letzten der kurzen Erzählung – an: „,Hilde‘ sagte er weich, ,Tante Lenzen hat mir erzählt, daß ich unter dem Christbaum meine Gabe finden würde. Habe ich die rechte an mich genommen? Ich möchte sie so gern behalten als ein Geschenk des Himmels‘“ (Czygan-Waldemar 1922, S. 17).¹⁷⁶ Wohl nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Text länger ist, kann Hans 1903 das Motiv von ,Hans dem Träumer‘ stärker variieren und die abschließende Erkenntnis eindrucksvoller formulieren sowie stärker poetisch umsetzen. Die Erkenntnis kommt für Hans Fabricius nicht vollkommen plötzlich und überwältigend, es ist mehr ein Erkenntnisprozess, der im Laufe des Textes als sich entwickelnder beschrieben wird. Die Begegnungen des Jurastudenten mit seinen Kommilitonen lassen ihn durch seine Träumereien – speziell bei den Brüdern des „Corps Saxonia“¹⁷⁷ – durchweg als naiven Eigenbrötler erscheinen¹⁷⁸, ein Zustand, dessen er sich zunächst selbst gar nicht bewusst ist: „Er fand, daß er heute sehr viel gelernt und einen großen Sprung gemacht hatte; sehr gereift und männlich kam er sich vor“ (Huch 1903, S. 93). Hans Fabricius pflegt die Vorliebe, sich auf seinen „Poetensitz“ in der Natur zurückzuziehen: „Hier saß er oft und  Nochmals wiederholt Rosenstock diese Beurteilung im selben Gespräch mit Hans Fabricius etwa zehn Seiten später mit identischem Wortlaut: „Ja, aber Mann Gottes, haben Sie denn die letzten zehn Jahre verschlafen?“, (Huch 1903, S. 332).  Angesichts der Einfachheit der Konstruktion und des offensichtlichen Kitsches dieser Erzählung, könnte diese dem Prinzip nach in die Reihe der trivialliterarischen Vorbilder gestellt werden, die Robert Walser über deren Motive und erzähltechnische Verfahren parodistisch in seinen eigenen Texten verarbeitet. Walser selbst nennt diese Texte zum Beispiel: „Gattingeschichtchen“ (SW 20, S. 346). Vgl. dazu Fuchs 1994.  „In diesem Kreise sich als Dichter bekennen, ebensogut konnte man mit langen Locken und einer Lyra im Arme zum Diner erscheinen“ (Huch 1903, S. 261).  „Er war also den Studenten auch verhaßt“ (Huch 1903, S. 79).

Rudolf Huch: Hans der Träumer (1903)

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versank in Träumerei“ (Huch 1903, S. 59) und entwickelt Phantasien deren Inhalte er sich in Nachhinein nicht mehr zu erinnern vermag. Allerdings unterliegt Hans Fabricius einer selbstreflexiven Entwicklung seiner selbst, die sich in kleinen Schritten entwickelt und mit der noch nicht verstandesgeleiteten Reflexion, sondern einem vagen Gefühl beginnt: Wieder kam ihm jenes unheimliche Gefühl, als bestände sein ganzes Studentenleben aus unzusammenhängenden Traumgesichten [sic!]; als versäumte er über totem Scheinwesen sein in alle Ewigkeit nur einmal gegebenes, wirkliches Leben. (Huch 1903, S. 213)

Dieser Prozess wird narrativ begleitet von immer schlechter werdenden Attributen in der Beschreibung von Hans Fabricius’ Lebenssituation als promovierter Jurist durch die neutrale Erzählinstanz¹⁷⁹ und spitzt sich immer mehr zu auf die selbstreflexive Auseinandersetzung Hans Fabricius’ über seinen Bezug zu dem Erlebten. Dabei wird ihm die Diskrepanz zwischen seiner phantastischen Traumwelt und der ihn umgebenden Lebensrealität immer deutlicher. Mit dem durch den Verleger Rostenstock artikulierten Anklang an die Dichterlüge aus dem Zarathustra („Für mich ist das meine Dichtung. Lügen! sagte Rosenstock.Wer spricht denn von Lügen? Was gehen den Dichter die Thatsachen an?“, Huch 1903, S. 345) wird dem Leser und auch Hans Fabricius vorgeführt, dass seine Traumgebilde als ein sich selbst belügendes Phantasma zu verstehen sind. Die sich immer mehr verdichtenden, sich selbst hinterfragenden Gedankenströme und Monologe von Hans Fabricius werden anfänglich noch von einer neutralen Erzählerinstanz berichtet, schlagen dann durch einen Wechsel der Erzählperspektive in die ersten Person Singular aber die knapp 30 letzten Seiten des Textes um in eine Innenschau der Gedankenwelt Hans Fabricius’. Mit dem biblischen Bild des Tales, durch das Hans Fabricius sein Erwachen aus dem Traum artikuliert¹⁸⁰, gibt er dem Leser und sich zu erkennen, dass er sich auf die „Suche nach der Wirklichkeit“ jenseits seiner Traumwelten begeben möchte: „Der Nebel ist verschwunden, es ist aus mit den Visionen“ (Huch 1903, S. 377, 367). Diese mitunter verwirrenden

 „[V]erlorener Sohn“; „Welt von toten Steinen, die schmutziges Kanalwasser bespülte“; „feindseliges Element“, „Noch freilich erschien dieser Kampf aussichtslos. Die unförmliche Masse, die er zwingen wollte, verhielt sich gegen seine Würfe wie ein Nilpferd gegen ein Sonnenstäubchen“ (Huch 1903, S. 336).  „Wie in verfluchtes Thal sehe ich das Leben hinter mir liegen. Schmale Wege ohne Geländer führen an lose verdeckten Gruben vorbei, in die Schwerter und Lanzen gesteckt sind, mit der Spitze nach oben.Wie ein Mondsüchtiger bin ich durch dieses Thal gewandert, mit geschlossenen Augen. Nun aber an seinem Ausgange bin ich aufgewacht und danke schaudernd dem unerforschlichen Gestirn, das mich an all den Höllengruben vorüber in dieses Gestade der Ruhe geleitet hat, todmüde, aber doch mit unversehrten Gliedern“ (Huch 1903, S. 359).

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und schwer verständlichen Zwiegespräche mit sich selbstentpuppen sich auf den letzten Seiten des Textes als ein Aufschrieb von Hans, in denen er Rechenschaft über sein Leben ablegt.¹⁸¹ Der Fokus dieser Aufzeichnungen gleicht in seiner Ausrichtung und Argumentationsweise mit der Diskussion Nietzsches um die „Subjekts-Vielheit“ (JGB 12, KSA 5, S. 27) des Menschen. Allerdings zeichnen sich die Selbstgespräche nicht durch einen multiperspektivischen Ansatz aus, sondern setzen im Ansatz eine Dualität des menschlichen Selbst voraus. Dieser Ansatz setzt, wie es anhand der narrativen Umsetzung zu zeigen sein wird, den Leser einem ähnlichen Problem aus, wie es bereits in den Walsertexten der Fall gewesen ist. So kann Hans Fabricius in seinen Aufzeichnungen zunächst ein zweites Ich ansprechen: „Wir werden uns recht nahe kommen, ich und – ich. Ob wir gut miteinander auskommen werden?“ (Huch 1903, S. 367). Ist dieses Bild von zwei Ichs noch einigermaßen nachvollziehbar, so verkompliziert sich die Vorstellung der verschiedenen Ichheiten ¹⁸² im Textverlauf zusehends, wenn Hans Fabricius offensichtlich versucht, seine Erfahrung der Differenz zwischen Traumwelt und Wirklichkeit in eine Konstellation von Instanzen zu fassen, welches die Freud’sche Trias von Ich, Es und Über-Ich vorwegzunehmen scheint, diese aber nicht exakt abbildet: In einem engen und dunklen Ich sind zwei Gesellen eingesperrt. Der eine läuft wie ein Raubtier im Käfig auf und ab, bäumt sich krampfhaft und verlangt gewaltsam etwas zu thun, entweder aufzubauen oder in Trümmer zu schlagen. Der andere sitzt in seinem Winkel, still und stumm, es ist nichts von ihm zu erkennen als große weit geöffnete Augen. (Huch 1903, S. 367)

Wenn nun das Ich selbst wiederum in „zwei Gesellen“ aufgeteilt ist, deren Verhältnis sich zudem auch noch durch einen agonalen Charakter auszeichnet, so scheint auch in diesem Text von Huch im Sinne Nietzsches die Frage nach einer,

 „Dies war das letzte, was Hans der Träumer niederschrieb“ (Huch 1903, S. 381). Huch nutzt den extradiegetischen Rahmen auf den letzten Seiten des Textes, um dem Leser die direkt davor gestellten, auf einer intradiegetischen Ebene angesiedelten, schwer verständlichen Selbstgespräche oder Mitschriebe einer verzweifelten Existenz, als solche zu markieren. Solcherlei Markierungen oder Kommentierungen von schwer oder gar unverständlichen Sätzen oder gar ganzer Textpassagen sind in den Texten Walsers in der Regel nicht zu finden. Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn im späteren Kapitel „Walsers Prager Texte“ solche und ähnliche textimmanenten Verfahren als Poetik der Unverständlichkeit diskutiert werden.  Der Begriff „Ichheit“ stammt aus Walsers Mikrogramm Mit kraftvoller Zartheit (Mkg. 409, Nr. 1; ADB 5, S. 49) und wird hier bewusst als Vorgriff auf die Analyse im späteren Kapitel „Walsers Prager Texte“ verwendet.

2.5 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung

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das Subjekt organisierenden, Instanz virulent.¹⁸³ Hans Fabricius findet für sich auf diese Frage keine befriedigende Antwort und die Erkenntnis darüber in Zusammenspiel mit der diese Erkenntnis befördernde Unvereinbarkeit seiner Traummit der Wirklichkeitswelt führt letzten Endes zu seinem Suizid.

2.5 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung Wie schon in Von einem Dichter und in FKA setzt in Prosper Merimée ein Spiel mit der Autorschaft ein, das sich ebenfalls verschiedener Instanzen annimmt, die im Zusammenspiel an der Produktion eines Textes sowie dessen Rezeption beteiligt sind – jedoch sich anders als in den bereits analysierten Texten auf das Prinzip der Zeugenschaft eines Textes und damit verbunden auf die Ironisierung von Textanfängen konzentriert. Gleich der Horaz-Miniatur in Der Spaziergang scheint Walser sich in dem zu Lebzeiten unveröffentlichten Mikrogramm poetischer Verfahren und Konzepte zu bedienen, die in Poetiken antiker Rhetoriker beschrieben sind, nur dass er in dem Mikrogramm diese nicht paraphrasiert, sondern sie poetologisch umsetzt. Um dies zu belegen, wird der einleitende Teil des Texts zunächst einer textnahen Lektüre unterzogen, um die narrative Struktur des Textes, die Figurenkonstellationen sowie stilistische Besonderheiten herauszuarbeiten. In einem zweiten Schritt werden die aus dieser Analyse entstehenden Befunde mit den als intertextuelle Prätexte zu verstehenden Poetiken klassischer Autoren und deren Konzepten zur Zeugenschaft sowie mit einschlägigen Stellen aus dem Zarathustra zusammengeführt, um die so entstehenden Interferenzen zu dokumentieren.

2.5.1 Close Reading Das Mikrogramm hebt im ersten Satz unvermittelt scheinbar medias in res mit dem Namen des französischen Autors an, der im angeschlossenen Relativsatz als Verfasser seines berühmtesten Werkes näher charakterisiert wird¹⁸⁴: „Prosper Mérimée, der Verfasser der Carmen, und dieser schlichte, ehrliche deutsche Rechtsanwalt Rodmann, was für Kontraste!“ (AdB 1, S. 111). Dürfte Mérimée zumindest über sein Werk auch bis heute bekannt sein, über das er hier charakte „Wenn nun der im Winkel siegt, so wird aus dem Ich ein stilles Wesen, Friede wird in seinem Blicke sein und seine Gegenwart wird die Menschen beruhigen. Wenn aber der andere Alleinherrscher wird, so muß das Ich. …“ (Huch 1903, S. 367).  Prosper Mérimée (1803-1870) verfasste 1845 seinen Roman Carmen.

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risiert wird, so ist es der Rechtsanwalt Rodmann dagegen dem heutigen Leser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Er wird stattdessen von der Erzählerinstanz mit drei Adjektiven charakterisiert, die ihm allerdings kein vergleichbares Alleinstellungsmerkmal oder einen ähnlichen Bekanntheitsgrad verleihen würden. Der diesen gegensätzlichen Charakterisierungen nachgestellte Ausruf unterstreicht nicht nur die Kontraste der Figuren an sich (die eine ist als Künstler – über ihr Werk – gleichsam ein kultureller Gemeinplatz, die andere ist ein unbekannter Rechtsanwalt), sondern auch deren unterschiedliche Charakterisierung. Dieser Kontrast wird im Folgesatz durch stereotype Zuschreibung der geographischen Herkunft der beiden Figuren in variierter Form noch verstärkt.¹⁸⁵ Wie durch den Folgesatz ersichtlich wird, hat der (eigentlich) unbekannte Rechtsanwalt Rodmann für das Mikrogramm eine Funktion, die – entgegen der Erwartung – eine viel wichtigere ist als die des Schriftstellers. Er wird auf Anrufen der Erzählerinstanz in die Pflicht genommen und soll für die Richtigkeit der Figurenkonstellation garantieren, die eine Grundlage für den korrekten Ablauf des nachfolgenden Textes bildet: Nun, Herr Rodmann, wie ist es? Dient(e) in Ihrem Büro nicht ein junger strebsamer Mensch namens Lindner, und rettete dieser junge Herr Lindner nicht einst einem Gutsbesitzer das Leben, und setzt später dieser Gutsbesitzer nicht diesen jungen und zweifellos scharmanten Herrn Lindner zu seinem Universalerben ein? (AdB 1, S. 111)

Unerwartet ist die Ansprache des Rechtsanwalts deswegen, da der Text mit dem bekannten Schriftsteller Mérimée durch die Erzählerinstanz eigentlich eine Kapazität auf dem Gebiet der Literatur anbietet, welche für Inhalt, Fortgang und Figuren eines literarischen Textes wie dem vorliegenden zu garantieren besser geeignet scheint. Stattdessen bestätigt der Rechtsanwalt „Herr Rodmann, dieser Mann der Ordnung und der redlichen Erwerbsart“ durch ein Nicken stumm

 „Das Mittelmeer, an dessen Gestade die lebenslustigen Orangen wachsen, und dazu die sanftäugige Ostsee mit ihren schüchternen Bädern, die im Buchengrün eingebettet liegen wie Hoffnungen in träumenden Herzen lieber, junger Mädchen“ (AdB 1, S. 111). Die Bedeutung, die der Autor des Carmen-Romans vermittelt durch Bizets Oper für Nietzsche hatte, ist bekannt. In Der Fall Wagner entwickelt Nietzsche aus der Gegenüberstellung des Bizetschen Meisterwerks Carmen seine Ansicht über Richard Wagner und bedient sich hier ähnlicher klimatischer Gegenüberstellungen bei der Charakterisierung der beiden gegenständlichen Musiker: „Auch dies Werk [Carmen] erlöst; nicht Wagner allein ist ein ,Erlöser‘. Mit ihm nimmt man Abschied vom f e u c h t e n Norden, von allem Wasserdampf des Wagnerschen Ideals. Schon die Handlung erlöst davon. Sie hat von Mérimée noch die Logik in der Passion, die kürzeste Linie, die h a r t e Nothwendigkeit; sie hat vor Allem, was zu heissen Zone gehört, die Trockenheit der Luft, die l i m p i d e z z a in der Luft, Hier ist in jedem Betracht das Klima verändert“ (WA, KSA 6, S. 15).

2.5 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung

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die Richtigkeit der durch die Erzählerinstanz gestellten Frage, die wiederum diese Antwort bejahend, aber nicht überzeugend kommentiert: „Die Sache scheint daher zu stimmen.“ (AdB 1, S. 111). Die Erzählerinstanz spielt mit dem Verb ‚scheinen‘ auf den artifiziellen und illusionsbasierten Charakter von Kunst im Allgemeinen und Literatur im Speziellen an (worin auch das Mikrogramm Prosper Mérimée einbezogen ist) und nimmt mit der dadurch ausgedrückten Skepsis vorweg, dass der Rollentausch zwischen dem Rechtsanwalt und dem Schriftsteller ebenfalls nicht aus dem Reich des Scheins führen wird. Auch wenn der „schlichte, ehrliche“ Rechtsanwalt in seiner ihm zugeschriebenen Funktion als Zeuge des Textes einen ordentlichen Ablauf zu garantieren scheint, so tauchen die „zehn Vagabunden“ als „Phantasieentgleisung“ und „Fehler im Vortrag“ (AdB 1, S. 113) später im Text trotzdem auf und irritieren temporär wie ein Lichtblitz den Fortschritt der Erzählung. ¹⁸⁶ Die „zehn Vagabunden“ tauchen jedoch nicht wie aus dem Nichts auf; sie sind vielmehr bereits eine Seite zuvor vorweggenommen, als Lindner seinem alten Bekannten Brieger auf die „Vagabundenschulter“ (AdB 1, S. 112) klopft. Es handelt sich demnach an dieser Stelle mehr um eine Wiederaufnahme und Vervielfachung eines bereits eingeführten Motivs als um ein plötzliches Erscheinen. Das inhaltliche Vervielfachen der „Vagabunden“ verweist wiederum auf die Performanz des Textes an sich: Wie zu zeigen sein wird, vervielfachen sich in Prosper Mérimée die Erzählinstanzen, die narrativen Ebenen sowie das Angebot, an einer bestimmten Stelle einen Textanfang zu definieren.¹⁸⁷ Prosper Mérimée’s Carmen verweist mit seiner Hauptfigur Don José auf das räuberische Aneignen von fremdem Eigentum, was auf das ästhetische Verfahren übertragen, das Aneignen von fremden Motiven, Textstrukturen und intertextuellen Verfahren meint. Der Text Prosper Mérimée deutet somit über den Namen seiner Hauptfigur dieses im Räuber 1925 weiter vorangetriebene Verfahren an.¹⁸⁸

 Was hier im Sinne eines Fehlers im Vortrag negativ konnotiert ist, wurde im Vergleich dazu im Prosastück Ein Maler (1904) als etwas Positives angesehen: Phantasie beziehungsweise Phantasieren ist dort als eine gleichsam mimetische Fähigkeit verstanden, Natureindrücke mit Zeit- und Raumabstand wiederzugeben: „Darin also besteht mein Phantasieren. Mein Phantasieren ist selbstverständlicher Sklave der Natur, wenn es nicht selbst die Natur ist. In meinem Gehirn steckt meine ganze jetzige und zukünftige Gemäldesammlung“ (KWA I/1, S. 67), und: „meine Phantasie ist ganz nur noch ergebene Untertanin und Wiedergeberin der Natur, ist Natur selber!“, (KWA I/1, S. 78).  Auf einer abstrakten Ebene steht die Vervielfachung der „Zehn Vagabunden“ auch für die Vervielfachung der Stimmen in den Walsertexten generell, was beim Leser immer wieder die Frage aufwirft: Wer spricht?  „Ich zweifelte nicht, es mit einem Schmuggler, vielleicht gar mit einem Räuber zu tun zu haben. Aber was lag mir daran? Ich kannte den spanischen Charakter hinlänglich, um überzeugt

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Nachdem sich die Erzählerinstanz bei dem Rechtsanwalt nach der Richtigkeit der Figurenkonstellation erkundigt hat, meint jene, nun die eigentliche Geschichte erzählen beginnen zu können: „Und nun hin[ein]gesprungen in’s Milieu dieser unserer allerneusten Geschichte“ (AdB 1, S. 111). Dieser Satz lässt die Vermutung zu, dass die Erzählerinstanz an dieser Stelle auf so etwas wie einen existierenden Autor-Leser-Pakt hinweist, denn das Adjektiv „neu“ weist darauf hin, dass es bereits mehrere Geschichten, etwa in einer Fortsetzung gegeben haben könnte. Der fiktive Leser, der hier indirekt adressiert ist, könnte bereits auf diese Geschichte gewartet haben. Die Geschichte kann hier verstanden werden entweder als eine aktuelle Botschaft eines mündlichen Berichts (gleich einer Zeitung) oder aber als eine aktuell veröffentlichte Erzählung eines fiktiven Autors, die nun dem Leserpublikum vorgestellt wird. Es gibt zwei Möglichkeiten, die bisher analysierten fünf Sätze von Prosper Mérimée in Bezug auf den Gesamttext zu deuten: 1) Die Sätze sind eine dem eigentlichen Text vorangestellte Vorrede, der mit dem Satz „Zunächst sehen wir unseren neugebackenen Landwirt in Konfektionsgeschäfte treten […]“ (AdB 1, S. 111) beginnt.¹⁸⁹ Diese Vorrede liefert dem Leser – im Gegensatz zu dem unvermittelt einsetzenden ersten Satz – ab ovo die inhaltliche Information, dass Herr Lindner als Universalerbe des Gutshofs eingesetzt worden ist: Der Rechtsanwalt Rodmann nimmt dabei als intradiegetische Figur der Lindner-Erzählung gleichsam die Rolle des Testamentsvollstreckers ein. 2) Die Sätze sind keine Vorrede im strengen Sinn, sondern gehören zum Text selbst als Teil eines poetologischen Gesamtkonzepts, das zum einen ironisch mit den Incipit-Konventionen eines Textes umgeht und in Anlehnung an Pichler (2012) zu sein, daß ich von einem Manne, der mit mir gegessen und geraucht hatte, nicht zu befürchten haben würde. […] Ich hoffte, den Unbekannten allmählich zu vertraulicheren Mitteilungen zu bewegen, und lenkte […] die Unterhaltung auf das Thema der Straßenräuber. Natürlich sprach ich von diesen Männern mit großem Respekt. Es gab damals in Andalusien einen berühmten Räuber namens José-Maria, dessen Taten in aller Munde waren. Sollte es denkbar sein, daß der Mann, neben dem ich hier einherreite, eben dieser José-Maria ist? fragte ich mich … Ich erzählte alles, was ich von diesem Helden wußte, lauter Geschichten, die für ihn höchst rühmlich waren, und mit Entschiedenheit äußerte ich meine Bewunderung seiner Tapferkeit und seines Edelmutes. ,José Navarro ist nur ein Spitzbube‘ sagte der Fremde kalt“ (Mérimée/Titel 1845, S. 259). Mérimées Erzählungen arbeiten häufig mit kriminellen und gaunerischen Motiven: So z. B. handelt Matteo Falcone (1829) von Banditen, die in der korsischen Macchia Zuflucht vor dem Gesetz suchen und in seiner Erzählung Das blaue Zimmer (1866) meint ein Liebespaar, das sich heimlich in einem Hotel vor den Toren von Paris trifft, Zeuge eines Mordes im Nachbarzimmer zu sein.  Vgl. auch Der Gehülfe: In einem nächtlichen Traum erlebt Joseph Marti Szenen aus seinem Wacherleben des vorangegangenen Tages. Zwischen den Traumsequenzen passieren Sprünge: „Wieder machte der Traum einen Sprung und zwar ins Toblersche Kontor hinunter“ (KWA I/3, S. 54).

2.5 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung

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als ‚Walsers Spiel mit dem Paratext‘ bezeichnet werden kann: Das, was auch als Beiwerk des Textes bezeichnet werden kann und wesentliche Vorinformationen zum Text an sich liefert, wird in dieser Lesart nicht auf den Inhalt, sondern auf die Textperformanz selbst fokussiert. Zum anderen ironisieren diese ersten fünf Sätze das Konzept der Zeugenschaft eines Textes, das sich in das bereits an Von einem Dichter oder Der Spaziergang gezeigte Konzept der Überschreitung narrativer Ebenen einfügt, welches ein wesentliches Strukturmerkmal der Ästhetik Walsers ausmacht: Der Rechtsanwalt Rodmann wäre demnach nicht allein als intradiegetischer Testamentsvollstrecker zu deuten, sondern eben auch als Zeuge für den Text an sich, da er ja von der Erzählerinstanz angesprochen wird, um die Richtigkeit der die Erzählung bedingenden Grundvoraussetzung zu bestätigen. Aufgrund der Tatsache, dass bereits in den ersten Sätzen eine Widersprüchlichkeit bezüglich der Erzähltechnik (medies in res vs. ab ovo) sowie der Verlässlichkeit des Rechtsanwalts Rodmann zu konstatieren ist (Rodmann bestätigt die Richtigkeit der Vorgeschichte, doch die Lindner-Erzählung entgleist in die Phantasie mit den „zehn Vagabunden“), wird der zweiten Lesart der Vorzug gegeben. Ironisiert die widersprüchliche Erzähltechnik den Textanfang, so zeigt die Figur Rodmann einen ironischen Umgang mit dem Konzept der Zeugenschaft an (zunächst sei die Ironisierung des Textanfangs behandelt, um dann auf die Ironisierung der Zeugenschaft einzugehen). Dadurch ergeben sich in Bezug auf einen möglichen Textanfang vier verschiedene Ansätze, den Text beginnen zu lassen. Sie stellen sich wie folgt dar: 1. „Prosper Mérimée […].“ (Incipit) 2. „Prosper Mérimée […]“ (Überschrift) 3. „Und nun hineingesprungen […].“ 4. „Zunächst sehen wir unseren neugebackenen Landwirt […].“

1. „Prosper Mérimée […].“ (Incipit) Bereits der erste Satz ist in Bezug auf die These, dass es sich bei den ersten fünf Sätzen um eine Ironisierung eines Textanfangs handelt, aufschlussreich: Der Satz steht druckgraphisch ganz zu Anfang des handschriftlichen Mikrogramms (183/II) sowie in der Druckfassung von AdB und markiert dadurch einen Textanfang (vgl. Abb. 1). Der Satz zeichnet sich jedoch – neben der aufgezeigten artifiziellen Kontraststruktur – durch das Fehlen eines Verbs aus. Was ebenfalls als Stilmittel für die Simulation mündlicher Rede oder die Erzeugung von Spannung gedeutet werden kann, unterstützt die eben formulierte These: Der Text scheint ,Startschwierigkeiten‘ zu haben, beziehungsweise das Verfassen des Textes scheint noch nicht zu funktionieren, was angesichts der mehrfach vertauschten Rollen und dem Überschreiten narrativer Erzählebenen in diesen wenigen Sätzen nicht

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2 Einzelanalysen

verwundern dürfte: Der Rechtsanwalt wird in die Rolle des Schriftstellers Mérimée gedrängt und wird von einer Erzählerinstanz, die ihn in direkter Rede anspricht, implizit gebeten, für die Richtigkeit ihrer Erzählung zu bürgen.

2. „Prosper Mérimée […]“ Da Walser in seinem ab 1924 praktizierten zweistufigen Schreibverfahren (mit Bleistift als Mikrogramm und mit Tinte in Reinschrift) seinen Texten nur dann mit einem Titel versehen hat, wenn er wusste, dass er sie an Verleger und Redakteure verschicken würde, so ist Prosper Mérimée, wie alle unveröffentlichten Mikrogramme ohne Titel überliefert. Wie bei den übrigen Mikrogrammen in AdB übernimmt der vom Herausgeberteam vergebene Titel „Prosper Mérimée […]“ das Incipit des Textes als editionsphilologische Sortierung der 526 Mikrogramme. Inhaltlich wirkt dies wie eine redundante Verdopplung des ersten Satzes des Textes und erweitert diesen zugleich nachträglich um einen zusätzlichen Paratext. Gisi (2013) hat dieses postume Verändern, Hinzufügen oder Wegnehmen von Texten und Textteilen ergänzend zu Grevens Beobachtungen (2003) am Beispiel von Carl Seelig ausführlich vorgeführt und kritisiert, der [i]m Namen des Autors Walsers Werk als Nachlassverwalter in den ersten Ausgaben entscheidend mit eigener Hand geprägt hat: Seine Funktion als Editor hat Seelig nicht nur bei der Festlegung der Werkgrenzen, sondern auch in der Editionspraxis selbst relativ frei interpretiert. Aus editionsphilologischer Perspektive erwies sich sein Vorgehen nicht nur als unsorgfältig, etwa wenn er die Texte nicht chronologisch anordnete, unzuverlässig datierte oder bei Textkonstitution nachlässig verfuhr, sondern kam in Fällen, in denen er eigene Titel setzte, sogar einer Annexion von Walsers Autorschaft gleich. (Gisi 2013, S. 143)¹⁹⁰

3. „Und nun hineingesprungen […].“ Dieser Satz ist das Signal der Erzählerinstanz, die bereits den Rechtsanwalt Rodmann angesprochen hat, dass „unsere[…] allerneuste[…] Geschichte“ (AdB 1, S. 111) beginnen könne und gleichzeitig das letzte Signal einer den Text erzählerisch kommentierenden Instanz vor dem Beginn der eigentlichen Erzählung. Wie auch schon in Von einem Dichter als auch in Der Spaziergang markiert die Wortwahl des Verbs an dieser Stelle die poetologische Gangart des Textes: Tatsächlich ist der von der Erzählerinstanz gewählte Übergang von der Vorgeschichte in die Erzählung hinein sprunghaft und wiederholt den unvermittelten Einstieg des ersten Satzes. Dass diese sprunghafte Gangart für die Erzählerinstanz offen Vgl. auch Greven 2003, S. 25 u. S. 27 f.

2.5 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung

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sichtlich nur schwer einzuhalten ist, zeigt die Reaktion der Erzählerinstanz auf ihre „Phantasieentgleisung[en]“ sowie die Bezichtigung der Erzählerinstanz durch eine nicht zu identifizierenden Stimme zu lügen („Was Sie da aber auch lügen, Sie Dichter, sagen Sie mal!“, AdB 1, S. 112), da sie wohl bei der Beschreibung des sich freuenden Kellners für den Geschmack der anonymen Stimme zu lange verweilt: „Gut, nur sorgsam weiter. Nur nicht gesprengt. Wie wir doch alles Gejage so hassen“ (AdB 1, S. 113). Die Erzählerinstanz retardiert offensichtlich die gesprengte Gangart, die aus dem Vokabular des Reitens abzuleiten ist – ein zu schnelles Springen ist nicht erwünscht.¹⁹¹ Damit wird der im ersten Satz durch die inhaltliche Beschreibung der beiden Figuren wie durch die unterschiedliche Qualität der Beiworte für diesen Text als Grundstruktur des Textes eingeführte Paradigma des Kontrasts performativ umgesetzt: Der Text springt zwischen narrativen Metalepsen, Erzählfokussierungen und der eigentlichen Erzählung hin und her, wohingegen die Erzählerinstanz, die den Großteil des Textes verantwortet, jedoch alles hassenswertes Gejage verneinen möchte. Übertragen auf einen möglichen Textanfang bleibt mit dieser Metapher nur der Sprung zum letzten hier diskutierten Einstieg in den Text.

4. „Zunächst sehen wir unseren neugebackenen Landwirt […].“ Durch die den Satz einleitende, als extradiegetisch zu lesende Vorrede wird dieser Satz auf die narrative Ebene einer intradiegetischen Erzählung gebracht. Somit könnte dieser Satz den eigentlichen Textanfang bilden, da der ihm folgende Text – abgesehen von den in ihm eingebetteten narrativen Metalepsen – eine narrative Einheit bildet, die eine abgeschlossene Form suggeriert.

 Das Hineinsprengen einer unerwarteten Instanz in den Text ist als irritierendes narratives Element bei Nietzsche durchaus bekannt. Genannt sei hier der als „Epilog“ bezeichnete letzte Aphorismus aus der FW, in dem die Geister des Buches die Sprecherinstanz, die vorgibt der Autor des Textes zu sein, plötzlich über diesen herfallen: „[D]ie Geister meines Buches selber fallen über mich her, ziehn mich an den Ohren und rufen mich zur Ordnung. ,Wir halten es nicht mehr aus – rufen sie mir zu –; fort, fort mit dieser rabenschwarzen Musik. Ist es nicht rings heller Vormittag um uns? […] Gab es je eine bessere Stunde, um fröhlich zu sein?“, (FW 383, KSA 3, S. 637). Damit sprengen die Geister im reittechnischen Wortsinn nicht nur in die Erzählung hinein, sondern sprengen im Sinne eines Sprengstoffes den Verlauf der Erzählung, auch wenn sie hier die Sprecherinstanz zur Ordnung rufen.

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2 Einzelanalysen

2.5.2 Zeugenschaft: Dichterlüge, Meinung, Wissen Als explizites Indiz für die Fokussierung auf die Zeugenschaft kann die Metalepse „Was Sie da aber auch lügen, Sie Dichter, sagen Sie mal!“ gedeutet werden, die einen Ordnungsversuch der Sprecherinstanz einleitet („Lassen Sie mich nur machen“, AdB 1, S. 112) und mit dem „Dichter-Gleichnis, Dichter-Erschleichnis“ in „Von den Dichtern“ im Zarathustra interferiert, in welchem Zarathustra sagt, dass er nicht mehr die Ursachen seiner Meinungen kenne.¹⁹² Auf der Hand liegt mit Blick auf diese Passage natürlich der identifizierte Prätext Platons, die Politeia, als gemeinsamer intertextueller Fluchtpunkt von Zarathustra und Prosper Merimée, dessen Nietzsche-Adaption in der Lesart von Zittel (1999/2011) nicht als eine einfache Negierung oder Umkehrung von Platons Diktum, sondern als eine Infragestellung der „Gleichnishaftigkeit jedweder Rede“¹⁹³ überhaupt gedeutet  “,Seit ich den Leib besser kenne, – sagte Zarathustra zu einem seiner Jünger – ist mir der Geist nur noch gleichsam Geist; und alles das ,Unvergängliche‘ – das ist auch nur ein Gleichniss.‘ / ,So hörte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Jünger; und damals fügtest du hinzu: ,aber die Dichter lügen zuviel.‘ Warum sagtest du doch, dass die Dichter zuviel lügen?‘ / ,Warum? Sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehöre nicht zu Denen, welche man nach ihrem Warum fragen darf. / Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Gründe meiner Meinungen erlebte. / Müsste ich nicht ein Fass sein von Gedächtniss, wenn ich auch meine Gründe bei mir haben wollte? / Schon zuviel ist mir‘s, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher Vogel fliegt davon. / Und mitunter finde ich auch ein zugeflogenes Thier in meinem Taubenschlage, das mir fremd ist, und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege. / Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lügen? – Aber auch Zarathustra ist ein Dichter. / Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?“, (Z I Dichtern, KSA 4, S. 163).  Claus Zittel: „Auch wenn man es nicht formal philologisch ,beweisen‘ kann, wird durch die Interpretation der Stelle ,eindeutig‘, daß der Prätext aus den Büchern 2 und 10 der Politeia besteht, in welchem der Topos der Dichterkritik seine verbindlichste Formulierung gefunden hatte“ (Zittel 2011, S. 36 f). Doch nicht einfach Zitat von Platon, sondern auch dessen Kritik: „Auf welche Weise Nietzsche Platon kritisiert, wird deutlich, wenn man die Differenz von Zarathustras Eingangsworten zu einem weiteren Bezugstext betrachtet. In „A n G o e t h e “ (PV An Goethe, KSA 3, S. 639) spottet Nietzsche: ,Das Unvergängliche ist nur dein Gleichnis‘. Im Zarathustra führt er das Goethe-Zitat in bezeichnender Abwandlung an: ,Das Unvergängliche – das ist auch nur ein Gleichnis‘. Die Worte ,auch nur‘ verleihen der Aussage den ganz anderen, allgemeinen Sinn, daß nun alles Gleichnis ist, woraus folgt, daß auch Platons Ideenreich nichts weiter als eine bloße Fabelwelt ist. Auf diese Weise wird der Platonismus, nicht einfach umgekehrt und das Vergängliche zum Wahren erklärt, sondern mit dem Aufweis der Gleichnishaftigkeit jedweder Rede wird das ontologische Paradigma verlassen […]“ (Zittel 2011, S. 37). Eine Seite später stellt Zittel in einer Fußnote Robert Walser explizit in Nietzsches Verständnis einer Dichtertradition, die vor allem mit dem spätromantischen Dichtungsverständnis bricht, nach dem gerade nur der Dichter die Wahrheit sprechen könne: „Statt in die Nachfolge der Romantik und der Genie-Ästhetik gehört Nietzsches Dichtungsverständnis in den Kontext radikal zweifelnder ästhetischer Selbstthema-

2.5 Prosper Mérimée – kontrastreiche Vervielfachung

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wird. Die Frage, ob es in einer Rede, oder einem Text, eine verbindliche Wahrheit geben kann, würde sich unter dieser Prämisse erübrigen, da die Antwort im negativen Sinne bereits vorweggenommen ist. Umso auffälliger ist es, dass Walser in Prosper Merimée angesichts dieser deutlichen Entschiedenheit durch den, dem Verfahren der Dichterlüge des Zarathustra folgenden Anruf „Was Sie da aber auch lügen, Sie Dichter“ (AdB 1, S. 112) trotzdem in den ersten Sätzen die Anrufung einer Zeugenschaft für den nachfolgenden Text simuliert, was das Verwirrspiel um die Kohärenz des Textes noch weiter verschärft. Schließlich ist ja auch der positiven Bestätigung der Richtigkeit der Frage ein relativierendes „scheinen“ entgegengestellt.¹⁹⁴ Die bereits aufgezeigte Ambiguität des Textes wird durch diese Widersprüchlichkeiten weiter verstärkt und führt zu einer Irritation des Lesers. Neben dem ersten identifizierten Prätext Platons, der Politeia, lassen sich ebenso dessen Schriften Menon und Theätet sowie von Quintilianus’ Ausbildung des Redners mit den darin vertretenen Positionen anführen, um in Bezug auf die in Prosper Merimée vorliegende ironische Vorführung eines Textanfangs im Zusammenspiel mit der Anrufung einer Zeugenschaft für einen Text dessen ästhetisches Verfahren zu erläutern. Die folgenden Ausführungen sollen lediglich ein Möglichkeitsfeld von Deutungen im Kontext der Positionen der Prätexte aufzeigen, was aber angesichts der verwirrenden Figurenkonstellation und komplexen narrativen Struktur von Prosper Merimée legitim ist, denn zu der Frage Wer spricht hier? gesellt sich zwangsläufig die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des Textes an sich. Letztere ist in Prosper Merimée stark an die Strategien der Sprecherinstanz geknüpft, ob der Text glaubwürdig oder unglaubwürdig erscheint. Im Dialog zwischen Menon und Sokrates, der die Erörterung der beiden Begriffe der Meinung und der Überlegung zum Gegenstand hat, führt Sokrates am Beispiel der Kenntnis oder eben Unkenntnis einer bestimmten Wegstrecke aus, dass eine wahre Meinung, auch wenn sie auf Unkenntnis basiere, „fürs richtige Handeln kein schlechterer Führer [sei] als die Überlegung.“ (Platon 2005 S. 84; vgl. insb. Abschnitt 97 a-b).

tisierung. 1882, nahezu zeitgleich zum Zarathustra, veröffentlichte Conrad Ferdinand Meyer die letzte Fassung seines Gedichts Möwenflug, in welchem das poetische Ich im klaren Spiegelbild des Meeres mit Grauen die völlige Gleichheit von ,Trug und Wahrheit‘ feststellt, und auf sich, den Dichter, zurückwendet: ,Und du selber? Bist du echt beflügelt? / Oder nur gemalt und abgespiegelt? Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen? / Oder hast du Blut in deinen Schwingen.‘ Von hier aus, führt über die selbstreflexive Thematisierung des ästhetischen Scheins in Teten wie etwa Hofmannsthals Gestern, Robert Walsers Für die Katz, bis hin zu Shymborskas Freude am Schreiben aus Salz ein direkter Weg von Nietzsche in die Moderne und Gegenwart“.  „Die Sache scheint daher zu stimmen“ (AdB 1, S. 111).

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2 Einzelanalysen

Im Theätet nimmt Platon eine Unterscheidung zwischen Meinung und Wissen vor, die am Beispiel eines Richters erläutert wird, der bei einer Gerichtsverhandlung ein Urteil fällen muss. Das erste Merkmal der Unterscheidung ist, dass die Meinung anderer vorrangig von Advokaten und Rednern gebildet wird, indem diese (den Richter ohne faktenbasiertes Wissen) überzeugen.¹⁹⁵ Erst eine Meinung in Verbindung mit einer Erklärung würde Wissen ergeben.¹⁹⁶ Ergänzt man diese beiden Positionen um die Ausführung von Quintilianus zu einer freiwilligen und unfreiwilligen Zeugenschaft vor Gericht in Quintilians Ausbildung des Redners, welche besagt, dass ein unfreiwilliger Zeuge auch Schaden wollen könnte¹⁹⁷, und wendet diese auf die Figuren-Text-Konstellation an, so ergibt sich folgendes Bild: Im Gegensatz zu der zitierten Passage aus dem Zarathustra, in der Zarathustra erklärt, dass ihn die Gründe seiner von ihm vertretenen Meinungen nicht mehr interessierten, wird Meinung in diesen Konzepten nicht durch eine Person vertreten, sondern bei einer anderen immer erst gebildet, sei es durch Überzeugung oder durch Erklärung. In beiden Ansätzen geht es jedoch um die Richtigkeit einer Meinung. Wie Dellinger (2012) gezeigt hat, greift Nietzsche gerne auf eine Subversionstechnik zurück, „nämlich die Delegation der Sprecherrolle und damit verwobener assertiver Engagements an gewisse typologische Gestalten, bei denen oft nicht ganz klar ist, ob, wann und inwieweit“ (Dellinger 2012, S. 318) sich die Sprecherrollen mit ihnen identifizieren. Damit würde undeutlich, ob es sich letzten Endes um eine Meinung oder eine Maske handelt (Zarathustra kann in diesem Sinne auch jegliche Frage nach dem ‚Warum‘ seiner Meinungen unbeantwortet von sich weisen¹⁹⁸). Bezogen auf das Mikrogramm Prosper Merimée, in dem ebenfalls eine Delegation von der Schriftstellerfigur Merimée an den Anwalt Rodmann die Zeu-

 „Sokrates: Die Kunst der allerklügsten Männer, die man Redner und Advokaten nennt. Denn diese überreden durch ihre Kunst nicht, indem sie lehren, sondern indem sie bewirken, daß man meint, was sie gerade wollen. Oder glaubst du etwa, es gebe solche großartigen Lehrer, [b] die in der kurzen Zeitspanne einer Wasseruhr den wahren Hergang von Ereignissen Hörern klarmachen können, die nicht dabei waren, etwa bei Geldraub oder anderen Gewalttaten?“, (Platon: 2007, S. 192; vgl. insb. Abschnitt 201 a – c).  „Sokrates: Wenn allerdings, mein Freund, vor Gericht wahre Meinung und Wissen dasselbe wären, würde auch der beste Richter ohne Wissen meinen. Nun aber ist offensichtlich beides etwas Verschiedenes. […] Theätet: Was ich schon einmal, Sokrates, jemanden habe sagen hören, kommt mir jetzt wieder in den Sinn. Er sagte nämlich, wahre Meinung verbunden mit Erklärung sei Wissen, [d] die ohne Erklärung aber läge außerhalb des Wissens. Und wovon es keine Erklärung gebe, das sei, wie er sich ausdrückte, nicht wißbar, wovon es aber eine gebe, das sei wißbar“ (Platon 2007, S. 192).  Quintilianus 2011. Vgl. insb. Buch 5, Kap. 7, ebd., S. 527– 529.  Dellinger 2012, S. 317.

2.6 Der Räuber

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genschaft des Textes betreffend stattfindet, ist zu fragen, ob der Text als wahre Meinung oder als Maske der Sprecherinstanz verstanden werden kann. Die in den Erzählfluss intervenierende Metalepse „Was Sie da aber auch lügen“ (AdB 1, S. 112) verhindert jegliche Unterscheidungsmöglichkeit, da an dieser Stelle eine weitere, anonyme Instanz im Text erscheint und eine eventuell zu diesem Zeitpunkt akzeptierte narrative Ordnung – einen archimedischen Punkt der Erkenntnis, wie in der Analyse von JGB vorgeführt – wieder in Frage stellt. Denn keine der im Text agierenden Instanzen kann eine der in den vorgestellten Konzepten der Zeugenschaft genannten Voraussetzungen erfüllen: Der Leser findet keine Erklärung, dass das im Text Vorgestellte sich als Wissen herausstellen könnte, und weiß auch nicht, ob es sich um eine freiwillige und unfreiwillige Zeugenschaft handelt. Aufgrund der aufgezeigten Ambiguitäten narrativer Art und der verwirrenden Figurenkonstellationen, muss er jedoch vermuten, dass es sich um eine unfreiwillige Zeugenschaft handeln muss, die deswegen möglicherweise Schaden zufügen möchte. Letzten Endes bleibt festzuhalten, dass der Text den Leser von einer Meinung überzeugen möchte, die dieser sich aufgrund der Irritationen erst bilden muss, da er nicht sicher wissen kann, ob es sich um eine Meinung oder um eine Maske handelt.

2.6 Der Räuber Die Räuber-Mikrogramme blieben zu Lebzeiten Walsers unveröffentlicht – Walser hat sie seiner Brieffreundin Frieda Mermet zusammen mit anderen Mikrogrammblättern in einem Schuhkarton zur Aufbewahrung übergeben. Sie wurden erst Mitte der sechziger Jahre von „Jochen Greven entdeckt, in der Folge unter Mitarbeit von Martin Jürgens transkribiert und 1972 im Rahmen der ersten WalserGesamtausgabe veröffentlicht.“ (Vgl. Editorische Vorbemerkung. In: AdB III. S. 5). Dabei hat Walser die 35 Abschnitte, welche die Sprecherinstanz in der ersten Person Singular des Räuber-Texts an einer Stelle „Kapitel“ (AdB III, S. 50) an anderer „Abschnitt“ (AdB III, S. 67) nennt, auf 25 einzelnen Mikrogrammblättern niedergeschrieben, auf denen in manchen Fällen auch Teile der ebenfalls im Jahr 1925 verfassten Felix-Szenen notiert waren. Aufgrund der kurzen Entstehungszeit von etwa sechs Wochen plädiert Greven für die Annahme, dass jeder der 35 Abschnitte je als einzelnes Tagwerk entstanden sein könnte.¹⁹⁹ Zusammengesetzt  Editorische Notiz: „Obwohl die einzelnen Manuskriptblätter innerhalb des Bleistift-Konvoluts verstreut waren, ergab sich die Reihenfolge der 35 Abschnitte zwangsläufig, da die Textanschlüsse von Blatt zu Blatt übergreifen“ (SW 12, S. 197). Vgl. Morlang: Editorischer Bericht. In: AdB III, S. 242.

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ergeben sie dann einen Text, der aus mehr oder weniger stark korrespondierenden Abschnitten und Inhalten besteht, ohne jedoch eine Chronologie der Erzählung zu gewährleisten. Dass der Räuber aufgrund der Methode, aus disparat zu scheinenden, zusammengesetzten Einzelstücken eine exemplarische Form des modernen oder avantgardistischen Romans zu bilden, in der Forschung gerne als ein Beispiel eines solchen zitiert wird, liegt auf der Hand. Exemplarisch hierfür Thomas Bolli: Hierzu gehören das Vorenthalten wichtiger Informationen und das montageartige narrative Aufschieben, Nachholen und Vorwegnehmen.Weiter sind die irritierenden Abschweifungen, die schockartigen Überraschungen und der Automatismus des Schreibens avantgardistische Elemente des „Räuber“-Romans. (Bolli 1991, S. 104)

Die Forschung bedient sich bei der Herausarbeitung der avantgardistischen und modernen Merkmale und Funktionsweisen des Räubers ex post Begriffen und Methoden wie z. B. des „Identitätsparadigma[s]“ (De Bruyker 2008), der „Repräsentation“ (Bucher 2002) oder der „Oberhandtechniken“ (Bürgi-Michaud 1996). Zur Analyse des Räubers sind stattdessen vor allem die wesentlichen ästhetischen Merkmale heranzuziehen, die in den untersuchten Prosastücken – wie zum Bespiel das selbstreflexive Schreiben und Irritation durch Überschreiten der Erzählebenen (Von einem Dichter), das Spiel mit der Autor- und Herausgeberschaft (Fritz Kocher′s Aufsätze), der Wechsel der Gangarten und die irritierenden Lichtblitze (Der Spaziergang) sowie die Simulation eines Textanfangs (Prosper Merimée) – als strukturbildend aufgezeigt wurden. Diese kommen in verdichteter und radikalisierter Form im Räuber vor und tragen nicht nur zu einem Verständnis der von Bolli genannten avantgardistischen Elemente eines modernen Romans bei, sondern rechtfertigen in ihrer Gesamtschau auch die These, dass die Texte Walsers, insbesondere der Räuber, ausgehend vom Fokus auf Nietzsches Subjektkritik mit der Poetologie seiner Texte als ästhetischer Vollzug dieser interferieren. Die Lektüre des Räubers erfolgt wiederum textnah anhand einzelner Textstellen und wird in diesem Kapitel in zwei Schritten umgesetzt: Im ersten Schritt erfolgt eine Annäherung an die im Räuber vorzufindende polyphone Orchestrierung von Stimmen über eine ästhetisch-philosophische Methodik, bei der die zum Teil schon vorgestellten subjektkritischen Positionen Nietzsches herangezogen werden. Im zweiten Schritt wird deren poetologische Umsetzung aufgezeigt, die stark mit der eingangs dieser Arbeit dargestellten ästhetischen Verfahren Nietzsches in JGB Ähnlichkeiten aufweist.

2.6 Der Räuber

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2.6.1 Ästhetisch-philosophische Annäherung Betrachtet man nun unter der den Werkkontext Walsers und die angenommene Ähnlichkeit mit Nietzsches Poetologie berücksichtigende Methode z. B. die von Bolli benannten narrativen Elemente und Verfahren des Räubers, so muss man zunächst festhalten, dass diese Elemente nicht allein erst im Räuber im Jahr 1925 in den Texten Walsers vorkommen. Sie bewirken jedoch erst hier durch ihre Verdichtung und Kombination eine Radikalisierung von Walsers in früheren Texten erprobten Erzähltechniken. In dem zu Lebzeiten unveröffentlichten Manuskript Eine Art Erzählung von 1928 bezeichnet Walser seine Art zu schreiben als ein „mannigfaltig zerschnittenes oder zertrenntes Ich-Buch“ (SW 20, S. 322), was der Formulierung von Walsers Zeitgenossen Leopold Ziegler über das ,Ich‘ bei Nietzsche im Zarathustra doch recht nahe kommt.²⁰⁰ Ziegler spricht in seinen Zarathustra-Glossen (1915 und 1916) von einer „Mannigfaltigkeit der Zustände“, in die sich das ,Ich‘ bei Nietzsche sowie „in ein Bündel von höchst ungleichen Tätigkeiten, Strebungen, Organen“ (Ziegler 1916 S. 778) aufgelöst hat. Die Formulierung „Ich-Buch“ (SW 20, S. 322) Walsers meint allerdings mitnichten eine biographistisch oder pathologisch hergeleitete Ästhetisierung eines alter egos Walsers, sondern ist vielmehr der Ausdruck einer experimentellen Poetik mit den Mitteln der Kurzprosa: So spielt Walser mit der Konstitution des ,Ichs‘, indem er zum Beispiel in einem Mikrogramm-Text diese Zustände als Manipulation in der Ich-Figur verortet: „In mir machen sich die angenehmsten Manifestationen fühlbar. Ich bin eine aus Heiterkeit bestehende Manipulation“ (AdB 4, S. 24). Dass durch die mitunter mehreren Anteile des ,Ichs‘ und die wie eine polyphone Orchestrierung in den Texten auftauchenden Stimmen der Eindruck entstehen kann, dass es sich bei der Sprecherinstanz in der ersten Person Singular in Walsers Texten nicht um ein einzelnes Ich, sondern um mehrere Ichs handelt, ist ein ästhetisches Kalkül seiner Poetologie. Die Vielheit der Stimmen wirft beim Leser oftmals die Frage auf, wer hier eigentlich spricht. Dabei ist es von Walser durchaus darauf angelegt, „mißverstanden zu werden“ (AdB 3, S. 25), wie der Ich-Erzähler in einem späten Mikrogrammtext mit Freude an dem von ihm hervorgerufenen kommunikativen Missverständnis berichtet. In der Konsequenz bedeutet dies für Walser ebenso,

 Die Zarathustra-Glossen I und II wurden 1915 und 1916 in der Neuen Rundschau veröffentlicht und sind in der Forschung in Bezug auf Walser noch unkommentiert. Zarathustra-Glossen I, Zarathustra-Glossen II, in Die Neue Rundschau, 26 (1915), und 27 (1916), S. 1644– 1665 und S. 774– 788. In der Neuen Rundschau wurden z. B. auch Friedrich Nietzsches Briefe aus dem Jahre 1888 neben Prosastücken Walsers abgedruckt, Neue Rundschau 24 (1913), S. 1367– 1390, zusammen mit Walsers Fabelhaft (S. 1405 – 1406) und Aschinger (S. 1535 – 1536). Vgl. dazu auch Strinz 2017.

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dass der Ich-Erzähler selbst korrigierend in den Text eingreifen kann, wenn zum Beispiel, wie gezeigt, in Prosper Mérimée zwei auftretende Stimmen über die Wahrhaftigkeit der Aussagen streiten: „Wie Sie da aber auch lügen, Sie Dichter, sagen Sie mal! Lassen Sie mich nur machen“ (AdB 1, S. 112) oder an anderer Stelle die Erzählung durch die erzählerische Polyperspektivität zu entgleiten droht: Verfolgt man die Orchestrierung und polyperspektivischen Erzählung in den Mikrogrammen Walsers zurück in die Schriften Nietzsches, so stößt man im ersten Teil des Zarathustra, „Von den Verächtern des Leibes“, auf die Tatsache, dass dort ‚Selbst‘ und ‚Bewusstsein‘ getrennt voneinander betrachtet werden und in der Konsequenz auch ‚Selbst‘ und ‚Handlung‘ auseinander fallen (Z, KSA 4, S. 39 f.)²⁰¹. In JGB argumentiert Nietzsche mit einer „Subjekts-Vielheit“ (JGB 12, KSA 5, S. 27), die aus einem dezentral organisierten Subjekt entsteht. Durch die Tatsache, dass der „Regent“ im Sinne Nietzsches zu wissen und kontrollieren zu glauben scheint, wird er für die Poetologie Walsers, der um die Nicht-Kontrolle des Regenten (NL KSA 11, 40[21], S. 638) weiß, produktiv.

2.6.2 Der Räuber Im Räuber kulminiert dieses in den Mikrogrammen der Vorjahre bereits angelegte ästhetische Verfahren: Denn obwohl der Ich-Erzähler sich gegen Ende des Räubers resolut gegen die Räuber-Figur abzugrenzen versucht – „Ich bin ich, und er ist er“ (AdB 3, S. 149) – so scheinen Ich-Erzähler und Räuber-Figur im Text meist ähnlich oder identisch²⁰². Insofern ist es legitim, die folgende Aussage über die Räuber-Figur auch auf den Ich-Erzähler zu übertragen: Und nun verfolgte man ihn.Verfolgte man ihn wegen der Flüchtigkeit seiner Heiratsanträge? […] Verdiente er, daß man ihn verfolgte? Wußte er das überhaupt? Ja er wußte, ahnte, spürte es. Dieses Wissen verlor sich und kehrte wieder zu ihm zurück, es zerbrach, um sich wieder hübsch zusammenzufügen. (AdB 3, S. 44)

 Vgl. Zittel 2003, S. 110.  Vgl.: Villwock 1993, S. 117.Vgl. dazu die Replik Toblers in Der Gehülfe auf Joseph Martis Frage, ob seine kaufmännischen Fehlentscheidungen und wirtschaftlichen Misserfolge auf Trunkenheit zurückzuführen seien: In dem frühen Text Walsers verneint die Figur Tobler kategorisch, dass der Mensch aus einer „(Subjekts‐)Vielheit“ – wie sie in dieser Arbeit als Position Nietzsches diskutiert wird – bestehen könnte: „Der Mensch besteht nicht aus zweierlei Dingen, sonst wäre wahrhaftig das ganze Erdenleben eine zu bequemliche Sache. […] Mit verborgenen Leidenschaften, oder wie die Dinger heißen mögen, von denen die Philosophen reden, sehe ich mich nicht zu rechnen genötigt“ (KWA I/3. S. 41).

2.6 Der Räuber

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Wieder scheinen hier ‚Selbst‘ und ‚Bewusstsein‘, bzw. ‚Selbst‘ und ‚Handlung‘ auseinander zu fallen und das einheitliche Wissen ein illusorisches „Blitzbild aus dem ewigen Flusse.“ (NF, KSA 9, 11[156], S. 502) des Hintereinander von Gedanken zu sein. Entsprechend ist es für Walser dann auch möglich, seine assoziativen Gedankenketten und polysyndetischen Reihen zu starten, die zumeist unkontrolliert ins Leere laufen und seine narrativen und kommunikativen Fehlleistungen zu inszenieren. Im Räuber-Text von 1925 entwickelt Walser von ihm in früheren Texten verwendete stilbildende Erzähltechniken weiter und radikalisiert damit das ästhetische Verfahren. Mehrere Male reißt der Ich-Erzähler verschiedene Gegebenheiten, Personen, Geschehnisse an, um jedoch darauf zu verweisen, den Bericht über die angefangenen Ereignisse später an anderer Stelle fortzusetzen: So heißt es zum Beispiel „Auch hierüber wird zu reden sein“ (AdB 3, S. 12), „Davon zuversichtlich später“ (AdB 3, S. 21), „Es wird hievon noch die Rede sein“ (AdB 3, S. 30) oder „Hievon im nächsten Kapitel mehr“ (AdB 3, S. 50). Tatsächlich macht die Sprecherinstanz nur in den seltensten Fällen ihre Ankündigung wahr und greift den meist durch Assoziationen unterbrochenen Plot später wieder auf. Auf die Poetologie des Räubers übertragen heißt dies, dass kaum einer der angekündigten Motive oder Handlungsstränge von dem Ich-Erzähl wieder aufgegriffen oder in einen sinnstiftenden chronologischen Erzählablauf überführt wird. Noch 1917, in Der Spaziergang bilden die Prolepsen und Ankündigungen ein verlässliches, stilbildendes Element, durch das die Handlung der Erzählung chronologisch und sinnstiftend organisiert wird: Kündigt die Sprecherinstanz in einer Prolepse an, eine Bank aufsuchen, einen Bahnübergang überqueren oder bei einer Bekannten Mittagessen zu wollen, so trifft dies im überwiegend zeitdeckendem Erzählen des Spaziergangs zuverlässig ein. Das Erzählen in Der Spaziergang ist mit den Erfahrungen eines Spaziergangs gleichzusetzen, das heißt das Denken des Erzählers und das Fortschreiten der Erzählung sind wie bei einem Spaziergang an bestimmte chronologisch und sinnstiftend wirkende ‚Wegmarken‘ geknüpft, an denen sich Denken wie Handlung orientieren. Nicht so im Räuber von 1925: Zusammen mit der Kürze der 35 Abschnitte, und deren Unterepisoden, übernehmen die Ankündigungen und Prolepsen die Funktion eines zur Illusionsbrechung eingesetzten erzähltechnischen Verfahrens, wie es beispielsweise auch in der 5.Vorrede im Zarathustra vorkommt. Dort heißt es: „Und hier endet die erste Rede Zarathustra’s , welche man auch die Vorrede heisst“ (Z, KSA 4, S. 20). Wie Zittel richtigerweise betont, ist die Vorrede zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zu Ende – das Zitat steht genau in ihrer Mitte. Glaubte man dem Erzählerkommentar, so müsste die Vorrede an dieser Stelle zu Ende sein und nicht noch fünf weitere Teile enthalten, in denen der Erzähler, ein „Verwirrspiel“ mit dem

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Leser beginnt.²⁰³ Das im Räuber dominante Prinzip der Abschweifung ist zudem auf Nietzsches für dessen eigenes Schreiben wichtige Charakterisierung des „freieste[n] Schriftsteller aller Zeiten“, Lorenz Sterne, in MA II zurückzuführen. Diesem attestiert Nietzsche, „nicht die geschlossenen, klare“ Art des Schreibens vorzulegen, sondern dafür zu sorgen, dass die „bestimmte Form fortwährend gebrochen, verschoben, in das Unbestimmte zurückübersetzt wird“ (MA II, KSA 2, S. 424). Sternes charkateristische „Abschweifungen“ erzeugten ein Gefühl des „Schwebens“, in dem die Rollen von „Leser“ und „Autor“ (MA II, KSA 2, S. 425) vertauscht seien. Dieser Ansatz, von einem fehlenden Ganzen auszugehen, lässt sich für Walser nicht nur für dessen ‚Ich‘ anwenden, sondern auch für den Räuber als aggregierte Form von Walsers Kleiner Prosa (Brod 1913, S. 1043 – 1046) fruchtbar machen. Dieser setzt sich montageartig aus „vielen Einzelheiten“ (Ziegler 1916, S. 784) zusammen: Sei es, dass die Sprecherinstanz in den einzelnen Abschnitten metapoetisch auf einen intertextuellen Kontext der Zeit referiert („Und der Räuber beraubte dann Geschichten, in dem er immer solche kleinen Volksbüchlein las und sich aus den gelesenen Erzählungen ureigene zurechtmachte, wobei er lachte“, AdB 3, S. 37), dass die Abschnitte auf Motive anderer Texte Walsers rekurrieren²⁰⁴ oder dass die Sprecherinstanz zitathaft die Seiltänzermetapher aus

 „Auch wendet der in Nietzsches Also sprach Zarathustra Erzähler Kunstgriffe an, die den Techniken Andersens frappierend ähneln, etwa wenn (wie dort) Erzählerkommentare die Handlung unterbrechen, um die eigene Darbietungsweise zu thematisieren, die Gattung hinterfragen, die Geschichte als wahre Historie ausgeben und mittendrin als beendet erklären. So wird in Also sprach Zarathustra der Leser bereits am Ende des fünften Abschnittes der Vorrede von einem Erzählerkommentar irritiert: ,Und hier endet die erste Rede Zarathustra′s , welche man auch die Vorrede heisst.‘ (N., 1980, 4: 20). Die Vorrede ist jedoch nicht zu Ende, wir befinden uns genau in ihrer Mitte, und es beginnt ein Verwirrspiel, in dem die Reden des Protagonisten und die Kapitelüberschrift von Nietzsches Buch ineinander verschwimmen“ (Zittel 2014, S. 69).  So findet man im Räuber-Text Motive wie den ‚Peruaner‘ oder den ‚Automoblist‘, die im Spaziergang vorkommen, oder das Motiv des ‚Commiss‘, das Walser bereits in frühen Jahren leitmotivisch einsetzt, vgl. Räuber-Roman (AdB III, S. 11, S. 12). Auch verwendet Walser das Motiv des Spaziergangs als Sinnbild für geordnetes Erzählen: „Nötig ist, daß es eine Richtung, eine Straße für uns bedeutete“ (AdB 3, S. 27). Auch bestimmte Motive werden im Räuber von Walser aus seinen eigenen Prätexten übernommen, so z. B., dass die Figuren über fremde Städte berichtet, in denen sie selbst nie gewesen sind: „Was die Stadt Pontarlier betrifft, so hatte er sie aus einem bekannten Buch kennengelernt“ (AdB 3, S. 13). Vgl. dazu das Prosastück Hans: „Der da meinte, daß ihn dies und das an Granada, Madrid, Barcelona, Sevilla und Toledo mahne, hatte übrigens solche Städte nie gesehen, woraus man ersieht, daß er entweder gern prahlte oder gern log, oder gern schwindelte, oder gern dichtete, spann und simulierte. Menschen, die Phantasie haben und Gebrauch davon machen, gelten leicht als Spitzbuben“ (SW 7, S. 176). Vgl. dazu Bolli:

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dem Zarathustra mit einfließen lässt: „Eines Nachts hatte er [der Räuber, B.S.] sich als Tänzer versucht, der über das Geländer einer von unseren Brücken tänzelte. Die Tänzelei gelang spielend, und die Zuschauer wurden ob der Gewagtheit ganz böse“ (AdB 3, S. 69).²⁰⁵ Illusionsbrechend reflektiert die Sprecherinstanz über die Gattung des Geschriebenen: Mal bezeichnet der Erzähler den Räuber-Text als „Blätter“ (AdB 3, S. 144), als „eine große, große Glosse, lächerlich und abgründig“, oder „buchhändlerische[s] und literarische[s] Unternehmen“ (AdB 3, S. 148). Die Form des Textes – seine ‚Kapitel‘ oder ‚Abschnitte‘ – trägt das ihrige dazu bei, zu zweifeln, ob es sich bei dem Räuber-Text tatsächlich um einen Roman handelt, wie er in den Druckausgaben und der Forschung bezeichnet wird. Die Abschnitte erinnern in ihrer Kürze an einzelne Prosastücke Walsers, die jedoch, da es keine sich durch den gesamten Text ziehende chronologische Handlungsentwicklung gibt, austauschbar scheinen und in ihrer Binnenstruktur zum Teil Ansätze von Erzählungen in größeren romanhaften Handlungen aufweisen, größtenteils jedoch in mehrere autonom für sich stehende Episoden aufgegliedert sind. Denn allein den Text durch das mikrogrammische Schreibverfahren und die Hervorhebung von Marginalisiertem zur Glosse – auf was? – zu erklären, wie es Peter Utz vorführt, scheint nicht weit genug gedacht. Angesichts der Komplexität der Erzählstruktur des Textes und seiner narrativen Verfahren, ist es nicht ausreichend, den Text zum Beispiel die in der Forschung und durch die Herausgeber verwendete Bezeichnung ‚Roman‘ durch die Verschiebung auf eine weitere Bezeichnung wie ‚Glosse‘ einzuengen²⁰⁶. Auch wenn sie schmeichelt, aber unter diesem Gesichtspunkt bleibt die von Rudolf Bohren vorgelegte rein theologische Interpretation des Räubers als „Walser-Evangelium“ (Bohren 1995, S. 10)²⁰⁷ unter dem Aspekt der Glosse abzulehnen, aber in Bezug auf Nietzsche weiterzuentwickeln: „Könnte es sein, daß Walser mit seinem Roman zunächst ,lächerlich und abgründig‘ eine ,Glosse‘ zu Nietzsche schrieb?“ (Bohren 1995, S. 78). Auf die Frage nach der Gat-

„Es ist keine Ausnahme, daß Figuren und Themen des ,Räuber‘-Romans in Prosatücken aus der Berner Zeit anzutreffen sind“ (Bolli 1991, S. 89).  Vgl. dazu auch die beiden bereits im Kapitel „Fritz Kocher’s Aufsätze/Der Commis“ besprochenen Sätze aus dem Aufsatz Der Beruf: „Gaukler sein, wäre schön. Ein berühmter Seiltänzer, Feuerwerk hinten auf dem Rücken, Sterne über mir, einen Abgrund neben, und so eine feine schmale Bahn vor mir zum Schreiten“ (KWA I/1, S. 30). Dieses Zitat wäre ein motivischer ‚Lichtblitz‘, der im Text Der Beruf von 1904 bereits aufscheint und über zwanzig Jahre später im Räuber motivisch wieder aufgenommen wird.  Vgl.: De Bruyker 2008, S. 240.  Einen ähnlichen christlich religiös geprägten Ansatz auf Walsers Texte verfolgt auch Borchmeyer (1980), der in der Figur Jesus einen gemeinsamen Fluchtpunkt der beiden Autoren Walser und Nietzsche als Grundlage für seine Analyse sieht.

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tungszuschreibung des Räubers im Allgemeinen sowie auf die Lesart Bohrens, den Räuber als Glosse auf Nietzsche zu lesen, wird später in diesem Kapitel noch näher eingegangen werden.

2.6.3 Miniatur: Edith-Rezension Betrachtet man die auf Seite 62 des Räubers beginnende Textstelle unter dem Vorzeichen von Nietzsches subjektkritischer Auseinandersetzung mit dem cartesianischen cogito-Begriff v. a. in JGB 16 und JGB 17, so mag diese wie eine ästhetische Umsetzung von Nietzsches Überlegungen wirken. In der Räuber-Textstelle ab S. 62 fällt auf, dass diese – exemplarisch für weitere Textstellen – durch die konsequente Überschreitung narrativer Ebenen sowie die Vermischung von Erzählerinstanzen geprägt ist, die beim Leser für heftige Irritationen sorgen. Erzähltheoretisch formuliert, wirft der nicht immer eindeutige Modus der Fokalisierung die Frage auf: Wer spricht? – oder nach den zitierten Überlegungen Nietzsches: Wer denkt? Bereits im ersten Satz nimmt der Ich-Erzähler die Rolle eines Rezensenten ein, die eine mehrfache Funktion erfüllt: Die Sprecherinstanz verlässt hier in der von ihm angenommenen oder durch ihn vorgegebenen Rolle des Rezensenten die Ebene der Erzählung und tritt – ähnlich wie dies in Von einem Dichter vorgeführt wurde – temporär in eine idealtypische Konstellation des Literaturbetriebs. Ein Rezensent oder ein Literaturkritiker übernimmt üblicherweise die Kritik von frisch erschienenen Texten in literaturkritischen Organen wie Zeitschriften oder Zeitungen. Diese Konstellation setzt voraus, dass es mehrere unterschiedliche Entitäten, nämlich einen Autor, eine Publikationsinstanz, einen Rezensenten und ein Lesepublikum gibt, das entweder den literarischen Text, dessen Rezension oder beide liest. Die Sprecherinstanz nimmt demnach eine doppelte Rolle ein: die einer intradiegetischen Erzähler-Instanz und die einer extradiegetischen Rezensions-Instanz.²⁰⁸ Dies hat zur Folge, dass in dem diesen Satz folgenden Abschnitt miniaturhaft eine kritische Rezension im Text Räuber vorgeführt wird. Rezensiert, oder stärker betont, kritisiert wird allerdings auf den

 Dieses Verfahren der doppelten Rolle konnte im Prosastück Von einem Dichter nachgewiesen werden, die Simulation einer Rezension in Hier wird kritisiert, sowie die Selbstrezension in Fritz Kocher’s Aufsätze. Die doppelte Rolle ist auch in Die Nachtwachen des Bonaventura angelegt, wenn die Schauspieler von Hamlet und Ophelia ihre Bühnenrolle mit der Realität vermischen und sich in ihren gegenseitigen Briefen ihre Bühnenliebe gestehen – Ophelia an Hamlet: „Sieh da kann ich mich nimmer herausfinden, ob ich ein Traum – ob es nur Spiel oder Wahrheit, und ob die Wahrheit wieder mehr als Spiel – eine Hülse sitzt über der andern, und ich bin oft auf dem Punkte den Verstand darüber zu verlieren“ (Klingemann 2012, S. 11 f).

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ersten Blick nicht ein Text, sondern die weibliche Hauptfigur Edith, mit der die Sprecherinstanz in einer „vollkommene[n] Voreingenommenheit“ (AdB 3, S. 62) abrechnet. Dies verwundert: Denn aus den bis zu dieser Stelle erhaltenen Informationen kann dem Leser nicht erkennbar sein, weswegen die Sprecherinstanz einen Grund für eine Abrechnung mit Edith haben könnte. Vielmehr liegt ein Grund dafür beim Räuber, der sich von Edith verfolgt fühlt, da Edith „Kommissärinnen“ (AdB 3, S. 11) nach ihm auszusenden scheint, wie auf der ersten Seite des Räubers zu lesen ist.²⁰⁹ Obwohl sich die Sprecherinstanz resolut gegen die Räuber-Figur abzugrenzen versucht, „Ich bin ich, und er ist er“ (AdB 3, S. 149), – so scheinen die Sprecherinstanz und die Räuber-Figur in dieser oder anderen Passagen im Text meist ähnlich oder identisch²¹⁰. Eine ähnliche Vermischung wie zwischen der Sprecherinstanz und dem Räuber findet mit der Figur Edith auf S. 63 statt: Ist sie nach der Logik der bisherigen Informationen eine intradiegetische Figur auf der Erzählebene des Räubers und der Sprecherinstanz, so wird sie durch den Satz: „Die halbe Welt, insbesondere die literaturkundige, ist von deiner Lieblichkeit durchdrungen“ buchstäblich literarisiert: Die Sprecherinstanz erfüllt hier wiederum die von ihr angenommene Rolle des „Rezensenten“, wie sie es eine Seite vorher angekündigt hat und führt als Instanz die literaturkundige Welt in ihre Erzählung ein, die von der Lieblichkeit der fiktiven Figur Edith durchdrungen ist. Nicht eindeutig auflösbar ist, auf welcher Ebene sich die Rezeption und das Interesse an der Figur Edith vollzieht: „Für dich interessieren sich schon eine Menge Frauen. Sie alle sind der Ansicht, dass dich der Räuber schlecht behandelt habe“ (AdB 3, S. 63).²¹¹ Ist es die narrative intradiegetische Ebene, welche die Miniatur-Rezension als den Räuber-Text an sich einbettet, oder ist es eine idealtypisch hergestellte Situation einer Rezension auf abstrakter Ebene? Hinsichtlich dieser Fragen wird der Leser mit einer aporetischen Situation konfrontiert, die an die Dichterfigur in Von einem Dichter erinnert: Auch dort ist es nicht möglich, das narrative „Rätsel der Aufgabe“ (Insel II/4, S. 217) zu beantworten. Die Unentscheidbarkeit, ob es sich  Vgl. dazu den Beitrag Edith in der Zeitschrift PAN (1912) über den „Reichsverband gegen die Sozialdemokratie“, in dem eine Edith die Rolle der Muse aber auch einer (amorösen) Bekanntschaft einnimmt: „Edith ist aber ihre Muse. Edith? Man denke nicht etwa an ein spiritistisches Medium; der Name trügt. Sie ist Lieblicheres, die ,Bekanntschaft‘ eines der Herren von dieser hochpolitischen Zentrale. Man erfährt das aus einem Pack Briefe, den der ,Vorwärts‘ veröffentlicht hat, und in dem Herr Harmsen Herrn Geyer gelegentlich seine Edith vorwirft. Im schönen Monat Mai schreibt er noch in lustreicher Erinnerung: ,Ich war bei unserer Trennung ganz voll – – Ist E. bei Ihnen? Herzlichen Gruss an Sie und Edith‘“ Edith 1912, S. 264.  Villwock 1993, S. 117.  Das Durchkreuzen der narrativen Ebenen ist wie gezeigt auch ein stilbildendes Element in JGB.

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nun um eine konkrete Figur oder ein für eine Gattung stehendes Abstraktum handelt, verleiht der Struktur beider Prosastücke einen ambigen Charakter, dem letzten Endes nur durch verschiedene Lesarten, nicht aber durch eine eindeutige Sinnzuschreibung zu begegnen ist. In der zweiten Lesart wäre diese Miniatur im Räuber als eine trivialliterarische Parodie auf die Gattung des Liebesromans zu verstehen, markiert durch den einleitenden Satz „Edith liebt ihn“ (AdB 3, S. 11).²¹² Folglich könnte man die Textstelle auf S. 62 und 63 auch als eine Rezension auf den Räuber-Text an sich interpretieren, da die Miniatur-Rezension sich auf ein wichtiges strukturbildendes Merkmal des Textes und dessen literarisches Gattungsvorbild konzentriert: Die Beziehung zwischen Edith und dem Räuber sowie den Liebesroman. Fuchs (1994) hat das Verfahren der trivialliterarischen Parodie sehr schön anhand mehrerer Prosastücke der Berner Zeit herausgearbeitet, in denen Walser „kleine Romane, die man für dreißig Centimes kaufen kann“ (SW 20, S. 314)²¹³, also „Dreißigcentimesbändchen“ (Eine Ohrfeige und Sonstiges; SW 8, S. 64), oder „[k]iosksche Quellen“ (Der Schelm; SW 20, S. 345), wie sie von Walser an anderer Stelle genannt werden, bespricht, beziehungsweise aus diesen Leseeindrücke mitunter montageartig verarbeitet. Das Verfahren, sich fremder Gattungen zu bedienen, charakterisiert auf diese Weise das intertextuell gesehen räuberische Verfahren des Räubers, nach dem Edith ja auch (in kriminalistischer Manier) „Kommissärinnen“ aussendet. Dieses wird von Walser in dem unveröffentlichten Manuskript Der Schelm (1928/1929), das selbst eine Rezension simuliert, durch die Sprecherinstanz eher als befremdend empfunden, thematisiert: „In einer Schelmengeschichte, die ich hier gerne rezensiere, wurde von einem Menschen eine Kostbarkeit gestohlen, dem man eine solche Aufführungsweise nicht von ferne zumutete“ (SW 20, S. 345). Auf das

 In der Interpretation Malcolm Penders löst dieser „dramatisch einfache erste Satz des Romans“ im Leser „tatsächlich [eine] automatische Erwartungen auf eine Eheschließung aus“ (Pender 2011, S. 152). Carsten Dutt hat in seiner exemplarischen Analyse der Skizze (I) die „Formklischees trivialer Liebesromane“ (SW 15,75 f.; ED: Februar 1911, in PAN) in Walsers Prosastücken herausgearbeitet. Als zeitgenössischen Hintergrund nennt Dutt u. a. Hedwig CourthsMahlers „sprudelnde Produktion“ (Dutt 2011, S. 202) von Liebesromanen. Bezogen auf den Räuber wäre dessen Figurenkonstellation (zwei Frauen (Edith und Wanda) und ein Mann (die Räuberfigur)) als Adaption einer klischeehaften Figurenkonstellation Courths-Mahlers Die wilde Ursula von 1912 denkbar, welche die dortige Dreiecksbeziehung der Figuren Ursula von Erlenhorst, um welche die beiden Männer Will Vollrat und Kurt Arnstetten buhlen, umdreht (Courths-Mahler 1912).  „Eine dieser Erzählungen nennt sich ,Le Semeur de Larmes‘ und ist von jemand verfaßt, der vielleicht nur so nebenbei Bücher schreibt, gleichsam wahrscheinlich zu seinem persönlichen Vergnügen“ (SW 20, S. 314).

2.6 Der Räuber

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Verfahren, Werbeslogans als Prätexte zu verarbeiten, wurde bereits anhand des Textes Na also mit den dort karikierten Werbesprüchen zum Mundwasser Odol hingewiesen. Dieses sich der Werbung bedienende Verfahren wird ebenfalls im Räuber angewendet: „Kopfläuse verschwinden in einer einzigen Nacht“ (AdB 3, S.44). Dass dabei reale räuberische Kräfte wirken können, zeigt das folgende Zitat aus dem Prosastück Lenzens ‚Soldaten‘: „Entweder der Dichter erlebt am eigenen Leib und Gemüt etwas, oder er stiehlt die Sujets aus den neuesten Nachrichten, welcher Diebstahl ja bis zum heutigen Tag meines Wissens noch nie bestraft worden ist“ (SW 15, S. 26). Dieses Verfahren spezifiziert Caduff: Der Erzähler stemmt sich jedoch gegen eine solche Vorverurteilung: Lenzens ,Soldaten‘ sind wie aus einem Zeitungsblatt abgeschrieben, freilich unter Hinzufügen von Kunstgriffen, deren Vorhandensein in den Spalten eines Tageblatts oder Kuriers oder täglichen Anzeigers allerdings wenig zu bemerken ist. Die genuine Tätigkeit des Dichters, das „Hinzufügen von Kunstgriffen“, deklariert der Erzähler als ein Distinktionsmerkmal von Literatur. Walsers Prosastück selbst trägt exakt denselben Titel, auf den hier angespielt ist, nämlich „Lenzens Soldaten“, so dass diese Aussage des Erzählers gleichzeitig Walsers eigenes Schreibeverfahren impliziert. (Caduff 2016, S. 116)²¹⁴

Das weitere Verfahren, die narrativen Ebenen zu kreuzen, folgt den aus Von einem Dichter und Prosper Merimée bekannten Überschreitungen und Durchmischungen der Erzählerinstanzen. Allerdings muss an dieser Stelle betont werden, dass die literarische Vorbildgattung des Liebesromans in dieser Miniaturrezension zwar deutlich anklingt, jedoch sich lediglich in dem dort beschränkten Raum wiederspiegelt. Von dem Text Räuber als Gesamtes von einer Adaption des Liebesromans zu sprechen, ist nicht ratsam, da es sich bei der Dreiecksbeziehung zwischen Wanda, Edith und dem Räuber wohl maximal um eine Liebestragödie handeln dürfte und da in der weiteren Argumentation dieses Kapitels in Frage gestellt werden soll, dass der Räuber-Text wie in der Forschung behauptet mit dem Begriff ‚Roman‘ befriedigend als eine literarische Gattung eingeordnet werden kann. Die Miniatur-Rezension fällt allerdings schief aus, denn die durch den angenommenen Rezensenten-Status der Sprecherinstanz evozierte Schreib- oder Leseszene ist wie in Von einem Dichter jeweils eine doppelte: In der Schreibszene wird zum einen eine Rezension verfasst und zum anderen wird der Räuber-Text an sich fortgeschrieben. In der Leseszene gibt es einen realen Leser, der den Text Räuber liest, die fiktiven und nicht benannten Leser der Miniatur-Rezension sowie die gerade identifizierten Leserinnen des Textes, die annehmen, dass der Räuber Edith schlecht behandelt habe. Verkompliziert wird das Verständnis des Ab Zitat Robert Walser aus: SW 15, S. 26.

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schnitts dadurch, dass die Sprecherinstanz (oder selbstbenannt Rezensent) mit dem Schreiben fortfährt – eine Tätigkeit, die einem Autor zugestanden werden muss, aber nicht einem Erzähler – dieser müsste erzählen und nicht schreiben. Nimmt man nun an, dass ein Autor allwissend sein muss, um seinen Text schreiben zu können, so wird diese Annahme durch den weiteren Verlauf dieser Textstelle ad absurdum geführt. Denn der Ich-Erzähler ist keinesfalls allwissend, sondern besitzt dieser Erzählerkategorie lediglich ein beschränktes Wissen, wie durch seine Ausführungen über den Räuber als Informationsquelle für seine Erzählung deutlich wird: Der Räuber gesteht, dass er dem Ich-Erzähler „etwas vorgelogen“ hat, obwohl – und dies ist wiederum ein narrativer Widerspruch – dieser sich in der „Obhut“ des Ich-Erzählers befände. Die Selbstbezeichnung der Sprecherinstanz als „Beaufsichtiger“ (AdB 3, S. 62) des Räubers und die jedoch damit verbundene offensichtliche Unmöglichkeit, über den beaufsichtigten Räuber, bzw. über weitere Figuren wahrheitsgemäß zu berichten, erinnert stark an den von Nietzsche in den nachgelassenen Fragmenten eingeführten „Regenten“ (NL 1885, KSA 11, S. 638) des menschlichen ErkenntnisApparates, der aber nur glaubt zu wissen und glaubt kontrollieren zu können, was in seinem Reich vor sich geht. In praxi führt dies Nietzsche beispielsweise in der bereits zur Illustration der sprengend-springenden narrativen Qualitäten in Prosper Merimée zitierten Stelle in der FW vor, wenn dort die Geister des Buches über die Sprecherinstanz herfallen und diese verlachen. Eine solche radikalisierte Vermischung oder gar ironisierende Auflösung von konventioneller erzähltheoretischer Fokalisierung oder von narrativen Schemata ist in der ästhetischen Umsetzung bei Walser eine notwendige Konsequenz für die Darstellung des Subjekts in seinen Texten entsprechend Nietzsches Überlegungen zum Denkvorgang an sich, wie er sie in JGB 16 ausführt: jenes „ich denke“ setzt voraus, dass ich meinen augenblicklichen Zustand mit anderen Zuständen, die ich an mir kenne, v e r g l e i c h e , um so festzusetzen, was er ist: wegen dieser Rückbeziehung auf anderweitiges „Wissen“ hat er für mich jedenfalls keine unmittelbare „Gewissheit“. (JGB 16, KSA 5, S. 30)

Walser entwickelt dabei ein ästhetisches Verfahren, das als ein Bewusstseins- und Handlungsmodell bei Nietzsche als Illusion von Ursache und Wirkung angelegt ist – es heißt bei Nietzsche dazu wie folgt im Nachlass aus dem Herbst 1880: Nur durch Association, durch eine logisch unzugängliche und absurde Beziehung zwischen einem Gedanken und dem Mechanism eines Triebes (sie begegnen sich vielleicht in einem Bilde z. B. dem eines streng Befehlenden) kann ein Gedanke (z. B. beim Commandowort) eine Handlung „hervorbringen“. Eigentlich ist es ein Nebeneinander. Es ist nichts von Ursache

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und Wirkung zwischen Zweckbegriff und Handlung, sondern dies ist die große Täuschung, als ob es so wäre! (NL 1880, KSA 9, S. 289)

Die Frage nach Wahrheit und Lüge, nämlich, ob die Aussage, dass der Ich-Erzähler irre sei, wahr ist, oder ob die Sprecherinstanz lügt, ist in dieser Logik Nietzsches denn auch nebensächlich, denn durch das Wegfallen von „Ursache und Wirkung zwischen Zweckbegriff und Handlung“ wirft sich vielmehr die Frage nach dem Wollen, das für Nietzsche ein „irregeleitetes Phantasma unsers Kopfes“ (NL 1880, KSA 9, S. 264) ist – Walser spricht in Prosper Merimée von einer „Phantasieentgleisung“ (AdB 1, S. 113) – und einem agierenden, kontrollierenden ,Ich‘ auf. Entsprechend formuliert die Sprecherinstanz im Räuber den Erzählfluss als an- und ausgehende Lichter Mit dem Abgeben des Buches war es so: Dem Räuber war ein Buch geliehen worden von einer Dame mit weißem Haar, die innerlich sehr jugendlich fühlte. Warum fallen mir jetzt eine Menge Damenmäntel ein? Wohin gehören dieselben? Die Lichter gehen mir auf und sterben wieder. (AdB 3, S. 26)

Was hier mit an- und ausgehenden Lichtern beschrieben wird, ist nicht im Sinne der Lichtblitze aus dem Spaziergang zu verstehen: Sie deuten vielmehr auf die Verbildlichung eines Gedankenstroms hin, bei dem einzelne Gedanken – die Damenmäntel – für einen kurzen Augenblick in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen. Dieses visuelle Wahrnehmungskonzept ist in enger Verwandtschaft zu einem akustischen Wahrnehmungskonzept zu verstehen, das sich angesichts der vielen Stimmen, die in Walsers Texten auftauchen und mit einander kommunizieren, mit der Frage Wer spricht? verdeutlichen lässt. Das permanente Geräusch der Stimmen erzeugt in der Folge „Gehörs-Hallucinationen“ (GD Sokrates, KSA 6, S. 69) mit denen der Leser konfrontiert wird. Über dieses Wahrnehmungskonzept wird im nächsten Kapitel eine Brücke zu Autoren und deren Texten wie Paul Adler, Leonhard Frank oder Karl Brand geschlagen: Diese transportieren in ihren Texten akustische Wahrnehmungskonzepte, die, wie für Walser ähnlich z. B. von Benjamin konstatiert wurde, dem Wahnsinn oder dem Irresein zuzurechnen sein könnten. Wie Zittel (2016) jedoch anhand von Texten des jungen Kafka exemplifiziert hat, ist diese Art von Texten, die von diesen speziellen Wahrnehmungskonzepten handeln und dabei das (gestörte) Wahrnehmungskonzept in ihrer poetischen Umsetzung vorführen, „nicht als Exempel eines verwirrten Erzählens, sondern als präzise Beschreibung verwirrter und verwirrender Wahrnehmungssituationen“ (Zittel 2016, S. 119) zu verstehen.

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Eine Erläuterung der punktuellen Wahrnehmung, die im Räuber als an- und ausgehende Lichter beschrieben wird, findet sich bei Nietzsche im Nachlass wie folgt: Unser Bewußtsein hinkt nach und beobachtet wenig auf einmal und während dem pausirt es für Anderes. Diese Unvollkommenheit ist wohl die Quelle, daß wir Dinge glauben und im Werden etwas Bleibendes annehmen: ebenso daß wir an ein Ich glauben. Liefe das Wissen so schnell wie die Entwicklung und so stätig, so würde an kein „Ich“ gedacht. (NL 1880, KSA 9, S. 283)

Auf den Räuber angewandt hieße dies eine ästhetische Umsetzung dieser radikalen Subjektkritik, da Räuber-Figur und Sprecherinstanz nicht oder nur sehr schwer und wenn dann nur punktuell auseinanderzuhalten sind. Ein ästhetischphilosophisches Verfahren, das in der nachträglichen Vorrede von MA I als Spiel mit der Selbst- und Fremdcharakterisierung zu finden ist: Wenn dort die Sprecherinstanz das Wirken ihrer Schriften und Taten durch indirekte Zitate nicht näher bezeichneter Dritter beschreibt: „Es ist mir oft genug und immer mit grossem Befremden ausgedrückt worden, dass es etwas Gemeinsames und Auszeichnungen an allen meinen Schriften gäbe […]“ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 13), und diese Sprecherinstanz sich in höchstem Maße als unzuverlässig erweist, da sie in einem poetologischen Verfahren, selbst „Schlingen und Netze für unvorsichtige Vögel“ (MA I Vorrede, KSA 2, S. 13) auslegt – was ihr ja gerade durch die anonymen Kritiker vorgeworfen wird –, dann finden sich im Räuber etliche Beispiele, die dem Verfahren in der Vorrede gleichen. Dies können sein die Durchkreuzung der narrativen Ebenen, oder die Unmöglichkeit, Räuber und Sprecherinstanz auseinanderzuhalten: Da diese ähnlich zu sein scheinen, sich gleichzeitig voneinander abzugrenzen versuchen und aber sehr ähnliche Charakterzüge aufweisen, ist die Ähnlichkeit zu dem verwirrenden Wechselspiel zwischen Selbstund Fremdcharakterisierung deutlich – auch die Sprecherinstanz im Räuber legt auf ihre Weise „Schlingen und Netze für unvorsichtige Vögel“.

2.6.4 Prätexte Unumgänglich scheint es bei der Analyse der Subjektkritik bzw. deren ästhetischer Umsetzung im Räuber vor allem, die Perspektive auf noch nicht untersuchte Prätexte (ob Walsers eigene oder fremde) und durch diese transportierte Poetologien sowie motiv- und strukturbildende Verfahrensweisen zu eröffnen. Walser selbst greift dem Leser dabei tüchtig unter die Arme, wenn der Ich-Erzähler über weite Strecken den Inhalt von Jeremias Gotthelfs Uli der Knecht sowie die Charaktereigenschaften der Hauptfigur Uli knapp paraphrasiert und dadurch zu er-

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kennen gibt, dass er letzten Endes Teile der Figur Uli in die Figur des Räubers hat einfließen lassen.²¹⁵ Sie [Fräulein Stalder] war aber ganz einfach so eine Art Eliseli, so ein Bildungsschwatzbäschen, wie uns gerade niemand anders als Gotthelf einst in „Uli der Knecht“ vor die Augen führt, eine, die den Uli nichts als bessern, bilden, verfeinern, korrigieren wollte und zur Strafe für diesen Unverstand einen unverständigen Mann bekam. Der Räuber war zeitweise ein ebenso zartes wie geradliniges Kalb wie Uli. Wie dieser, so neigte auch er dahin, jeden dummen Hund für gescheit, und jeden schlechten Hund für brav zu halten, weshalb sich jeder Donnersfötzel und Plagöri, hätte ich bald gesagt, erdreistete, sich über ihn lustig zu machen. (AdB 3, S. 57 f.)

Ebenso wie Uli bei Gotthelf nicht durch Fräulein Stalder „[ge]bilde[t], verfeiner[t] und korrigier[t]“ werden kann, erweist sich auch die Räuber-Figur durch Einfluss seiner Frauen Edith und Wanda als nicht beeinflussbar und provoziert letzten Endes sogar das Attentat in der Kirche auf ihn. Auch Uli der Knecht steht in einer Dreierkonstellation mit zwei Mägden, Ürsi und Stini, von denen er sich wie „von zwei Gewalten angezogen und abgestoßen“ fühlt, denn „immer dringlicher kam es ihm vor, sich bald zu entscheiden, denn es schien ihm, als ob er nach und nach veralte und daß wenn er sich nicht bald entscheide, so einen Alten Keine mehr nähme“ (Uli der Knecht 1850/1978, S. 104). Auch der Räuber kann bzw. will sich nicht zwischen seinen Frauen entscheiden. Das einzige Indiz für eine Entwicklung, die die Figur durchgemacht zu haben scheint, ist die verklausulierte Formulierung der Sprecherinstanz im letzten Satz des Räubers: Der Ernst schaut uns an, ich schaue auf, und so unlogisch das auch scheint, bin ich des Glaubens und erkläre ich mich mit allen denjenigen einverstanden, die meinen, es sei schicklich, daß man den Räuber angenehm finde und daß man ihn von nun an kenne und grüße. (AdB 3, S. 150)

Der hier geschilderte, vermeintliche Aufstieg, der sich durch die Tatsache äußert, dass man den Räuber als durch das Attentat tragische Person in Bern nun kenne und grüßen könne, beruht aber wohl eher auf der Tatsache des öffentlichen Pistolenbeschusses durch Wanda, der zur Rache für Rathenau überhöht wird, als auf einer tatsächlichen positiven Wandlung des Räubers. Als grundlegende methodische Vorarbeit für die Konstituierung der Figur des Räubers vorbildhaft ist die wunderbare Studie von Villwock, der in seinem Ansatz „in der abstrakten Definition dessen, was ein Räuber ist“ einen nietz-

 Auf Charles Dickens’ Roman David Copperfield als Prätext für den Räuber weist Karl Wagner in seinem Beitrag hin: Wagner 2011, S. 135.

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scheanischen Ansatz verfolgt, ohne dabei Nietzsche explizit als Referenz zu erwähnen. Für Villwock gibt es eine „so starke Unsicherheit und Interferenz der Kategorien und Perspektiven […], daß von einer Definition nur in uneigentlichem Sinne gesprochen werden kann; es handelt sich eher um ein offenes Möglichkeitsfeld mit durchaus unbestimmten und unbestimmbaren Grenzen“ (Villwock 1993, S. 68). Das metaleptische Verfahren mit den mehrfachen Überschreitungen und Verwischungen, das Walser in der Textstelle S. 62 f. in beinahe übertriebener Verdichtung vorführt, ist in seiner intertextuellen Rückbeziehung auf anderes Wissen auf weitere Prätexte v. a. im Hinblick auf deren poetologische Verfahren ausweitbar: Das Prosastück Der gestiefelte Kater vom September 1929 in der Prager Presse ²¹⁶ bespricht sicher nicht zufällig Ludwig Tiecks gleichnamiges Theaterstück und dessen Art zu schreiben. Es heißt dort: „Dichtete dieser gestiefelte Dichter nicht ein Buch in der ausgesprochensten, durchdachtesten Dummkopfsprache?“ (SW 20, S. 414). Was Walser in Bezug auf Tieck als „Dummkopfsprache“ bezeichnet, kann auf die narrative Struktur des gestiefelten Katers und dessen ironisierende Haltung gegenüber der Gattung des Dramas, beiziehungsweise dessen unterschiedlichen Aufführungspraktiken bezogen werden, die durchgängig durch das poetologische Verfahren der Metalepse geprägt ist: Der gestiefelte Kater inszeniert den Versuch einer Theateraufführung mit mindestens einem Stück im Stück, mehreren Spielebenen und Rollendimensionen. Unzählige Metalepsen mit Figuren, die aus der Rolle fallen und die Aufführungspraxis reflektieren und kritisieren, unterlaufen die Idee einer Theateraufführung und die Möglichkeit, den intradiegetischen Autor dieses fiktiven Theaterstücks, der selbst auftritt und von seinen Figuren angegangen wird, ernst zu nehmen.²¹⁷ Zwar zeichnen Walsers hier besprochene Texte deutlich das dargelegte Verfahren aus, das in Anlehnung an Friedrich Schlegel Elemente einer „Poesie der

 15.9.1929, Dichtung und Welt Nr. 37.  Tieck 1797/2001. Der gestiefelte Kater erschien 1797 im 2. Band der Volksmärchen von Peter Leberecht (ein Pseudonym Tiecks) und im gleichen Jahr noch in zwei gleichlautenden Einzelausgaben, die eine (auf Veranlassung des Verlegers) mit einem mystifizierenden Zusatz zum Titel: „Der gestiefelte Kater. Kindermärchen in drei Akten, mit Zwischenspielen, einem Prologe und Epiloge. Aus dem Italienischen. Erste unverbesserte Auflage. Bergamo 1797, auf Kosten des Verfassers. In Kommission bei Onorio Senzacolpa“ und weiteren scherzhaften Bemerkungen; die andere mit gleichem Titel und der Verfasser- und Verlagsangabe „von Peter Leberecht. Berlin 1797 bei Karl Aug. Nicolai“.

2.6 Der Räuber

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Poesie“ (Schlegel 1958, Bd. 2, S. 205) beinhaltet: Ähnlich wie in vielen der Romantik zuzurechnenden Texten²¹⁸ sind auch bei Walser die Protagonisten Dichter (Von einem Dichter) oder Schriftsteller (Der Spaziergang) und Aufsatzschreiber (Fritz Kocher’s Aufsätze). Um jedoch die Abweichung des ironischen Verfahrens Tiecks als Vertreter der Romantik von Walser, beziehungsweise dessen Verständnis von Ironie deutlich zu machen, ist die poetologische Referenz Nietzsche einzubeziehen. Dabei sei jedoch zunächst Georg Lukács Einordnung der romantischen Position als Abgrenzungspunkt hinzugezogen. Dieser beschreibt die frühromantische Position der Ironie als „Selbsterkenntnis und damit die Selbstaufhebung der Subjektivität“ (Lukács 1920/1963, S. 73), was letzten Endes zu „einer wahrhaften, Totalität schaffenden Objektivität“ (Lukács 1920/1963, S. 93) führe. In Walsers Texten und seinen Figuren hingegen ist eine Selbsterkenntnis, die aus den bei ihm aufgezeigten Selbstaufhebungsfiguren vergleichbar erwachsen könnte, nicht erkennbar, zumal Lukács in seinen Beobachtungen von einer „zu Ende gegangenen Subjektivität“ (Lukács 1920/1963, S. 93) bei den Ästhetikern der Frühromantik spricht. Auch ist im Unterschied zu den Romantikern der Bezug auf eine Totalität, auf ein denkbares Absolutes nicht gegeben²¹⁹, da Walsers Verfahren nicht von einem Ganzen aus zum Einzelnen denkt. Diese Lesart unterstreicht Greven (1960/2009), der in Walsers Werk die Darstellung einer Welt eines isolierten Individuums beschreibt: In Robert Walsers Werk ist „Welt“ also nie als eine schlechthin gegebene objektive Sphäre anzutreffen, innerhalb derer sich Leben abspielt, sondern nur als Erlebnis-, Erfahrungs- oder Reflexionsgegenstand eines der Dichtung selbst direkt oder indirekt immanenten Subjekts, das das Autor-Ich oder auch ein anderes sein kann, in das es sich verwandelt. Zugleich ist der Bezug eines Ichs zur Welt, und zwar häufig in seiner problematischen Form (Isolation, jedoch nur im engeren sozialen Sinne), mindestens eines der zentralen gehaltlichen Themen, die immer wiederholt gestaltet werden. (Greven 1960/2009, S. 28)

Weitere wie die hier vorgeführten Irritationen hinsichtlich narrativer Erzählkonventionen beginnen gleich zu Beginn des Räubers mit den ersten beiden Sätzen „Edith liebt ihn. Hievon nachher mehr“ (AdB 3, S. 11). Der erste Satz startet medias

 Beispielsweise: Eichendorff: Ahnung und Gegenwart (1815), Novalis: Heinrich von Ofterdingen (1800/02), Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen (1833), Franz Ch. Horn: Die Dichter (1817/1818), Arnim: Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott (1818).  Von Petersdorff 2014, S. 42. Von Petersdorff unterscheidet die Ironie Nietzsches von der der Romantiker vor allem unter folgendem Aspekt: „Das ironische Widerspiel heterogener gesellschaftlicher Positionen wird […] bei Nietzsche sehr viel schärfer dargestellt als in der Romantik, wo es durch die Vorstellung eines idealen und in der Zukunft wieder möglichen Konsenses eingehegt wurde.“ (von Petersdorff 2014, S. 30).

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in res und setzt zum einen voraus, dass der Leser die Figur Edith offensichtlich bereits zu kennen habe, was nicht der Fall ist, und verunsichert den Leser mit der ersten von drei Prolepsen in diesem Abschnitt „Hievon nachher mehr“ – der Leser müsste an dieser Stelle eigentlich einen anderen Verlauf der Erzählung erwarten, kündigt die Prolepse doch ein Zurückkommen auf Edith an späterer Stelle an. Tatsächlich gehen die Folgesätze jedoch direkt auf die weibliche Hauptfigur Edith und ihre Beziehung (oder vielleicht besser: Nichtbeziehung (?)) zum Räuber ein. Dies verwundert umso mehr, da die für Edith vorgesehene Prolepse doppelt erfüllt wird: fälschlicherweise in den Folgesätzen dieses ersten Abschnitts und richtigerweise bereits auf der ersten Seite – „Sie hat ihn gleichsam vom ersten Augenblick an herzlich lieb gehabt, er aber hat es nicht für möglich gehalten“ (AdB 3, S. 11) –, sowie an mehreren weiteren Stellen im Text (z. B. in der Edith-RezensionsMiniatur auf S. 62) – die anderen beiden Prolepsen laufen jedoch ins Leere, d. h. sie werden nicht wieder aufgegriffen. Der Text erfüllt demnach mit Beginn der Erzählung nicht, was er poetologisch einzuhalten verspricht und scheint so seine eigene Anfangsschwierigkeit zu demonstrieren – die Gedanken werden assoziativ in einzelnen Schritten wie in einer essayistischen Schreibweise entwickelt. Nimmt man Nietzsche als Referenz für solch ein essayistisches Schreibverfahren, das scheinbar assoziativ seine eigenen Entstehungsbedingungen mit reflektiert, so bietet sich ein genauer Blick auf die Entstehungsgeschichte z. B. der Umwertung aller Werte, die in der Insel-Ausgabe von 1901 zusammen mit Walsers Sechs kleinen Geschichten abgedruckt wurden. Die „Umwertung“ ist hier druckgraphisch als Fließtext gleichgesetzt mit den anderen dort veröffentlichten Texten mit Jugendstil-Verzierungen des Textes, einer Initiale als schmückendem Anfangsbuchstaben, welche von den Herausgebern der Insel, genau wie bei den Walser-Texten, für das Jugendstil-Konzept der Zeitschrift hinzugefügt wurden. Der Blick auf die Genese der Umwertung zeigt jedoch, dass dem in der druckgraphischen Fassung einheitlich wirkenden Fließtext ursprünglich eine klare Struktur gefehlt hat, da dieser handschriftlich in Notizbüchern niedergeschrieben worden ist. Durch die vorzufindenden Streichungen und Überschreibungen kann der Leser der Umschriften deutlich die Entwicklung von Gedanken in einzelnen Schritten nachvollziehen: Anaphern, und Wiederholungen prägen ebenso das Erscheinungsbild der Handschrift, wie z.T. Originalzitate von Quellen und Prätexten, die Nietzsche für die Entwicklung seiner physiologischen Ästhetik heranzieht – in diesem Fall Charles Férés Sensation et Mouvement aus dem Jahr 1887²²⁰.

 Silenzi 2015.

2.6 Der Räuber

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Mit dem Verweis oder der Rückbeziehung auf die Erzählung Carmen des französischen Schriftstellers Prosper Mérimée im gleichnamigen Prosastück wird – neben anderen bekannten Prätexten aus Walsers Repertoire und Fremdtexten, wie z. B. Vulpius Rinaldo Ronaldini oder Schillers Räuber – das Motiv des Räubers zusammen mit einem für den Räuber strukturgebenden Element eingeführt. Der Bericht der Hauptfigur des „Bandit[en]“ und „Straßenräuber[s]“ (AdB 1, S. 113) Don José, dem Ehemann Carmens, gegenüber einem namenlosen Ich-Erzähler ist durch die Aufzählung seiner begangenen Straftaten, die man als Sünden lesen kann, wie eine Beichte aufzufassen. Auch Walsers Räuber besitzt ein „Sündenregister“ (AdB 3, S. 46), wenn auch nicht im kriminellen Sinne, über das er gegen Ende des Textes auf der Kanzel der Kirche gegenüber der Öffentlichkeit Zeugnis ablegt, zu der auch Edith und weitere seiner Liebschaften gehören, wie Wanda, die mit dem Revolver auf ihn schießen wird. Eine weitere, dieses Mal nicht motivische, sondern strukturell-analoge Rückbeziehung – eher spekulativer Natur – ließe sich über den knappen Eingangssatz „Edith liebt ihn“ (AdB 3, S. 11) eröffnen, der medias in res die Erzählung eröffnet und gleichzeitig so etwas wie einen strukturgebenden Rahmen für den Räuber-Text bildet. Es ist hier an Kafkas Prozess zu denken, dessen erster Satz ähnlich unverhofft beginnt und gleichzeitig die Handlung des Romans mit dem blutigen Ende der Hinrichtung Josef K.s vorwegnimmt: „Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hatte, wurde er eines Morgens verhaftet“ (Der Prozess 2008, S. 238). Es ist eher unwahrscheinlich, dass Ediths „Kommissärinnen“, die sie nach dem Räuber auszusenden scheint, in gänzlicher Analogie zu den zwei Herren, die K. abholen und am Ende des Romans auch hinrichten, zu sehen sind. Die „Kommissärinnen“ als Abgesandte einer nicht näher bezeichneten Instanz verleihen der Räuber-Figur jedoch etwas Anrüchiges, wobei die Räuber-Figur bei Walser nicht überwiegend kriminell veranlagt ist. Auffällig scheint auf jeden Fall die strukturelle Analogie zwischen dem Räuber und dem Prozess: Der vorletzte Abschnitt vor dem letzten resümierenden Abschnitt spielt in einer Kirche, wo der Räuber von der Kanzel herab über sein Sündenregister berichtet und eben von Wanda mit der Pistole angeschossen wird. Im Kapitel „Prozess Im Dom“, das in den meisten historisch-kritischen Editionen als vorletztes vor dem Schlusskapitel herausgegeben wurde, begegnet Josef K. im Dom einem Geistlichen, der sich als Gefängniskaplan entpuppt und der von einer Kanzel herab K. über den Fortgang seines Verfahrens berichtet.²²¹

 Einen weiteren möglichen Prätext für die Kanzelszene im Räuber, speziell den von Edith abgegebenen Schuß könnte C.F. Meyers: Der Schuß von der Kanzel (1878) bilden: Pfarrer Wertmüller wird von seinem Vetter arglistig hinters Licht geführt, der ihm statt wie versprochen, eine

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2.6.5 Spiegel Ausgehend von einer Lektüre zweier Textstellen des Räubers soll anhand des darin behandelten Motivs des Spiegels das Verhältnis von Subjekt und Objekt sowie das Zusammenspiel von Selbst und Handlung aufgezeigt und poetologische Implikationen für die Performanz des Textes abgeleitet werden.²²² Dass Nietzsches Verfahren in den Texten Walsers als strukturbildendes Vorbild präsent

Pistole mit schwergängigem Abzug, eine Handfeuerwaffe mit sehr sensiblem Druckpunkt für die Predigt reicht: „Frisch und flott ging es in die Predigt hinein, und schon war sie über ihr erstes Drittel gediehen. Noch einmal lauerte der Gerneal [auf die Kanzel, B.S.] empor, sichtlich enttäuscht, mit einem fast vorwurfsvollen Blicke, der sich aber plötzlich erheiterte. Der Pfarrer hatte im Feuer der Aktion, während sein Linke vor allem Volke gestikulierte, mit der durch die Kanzel gedeckten Rechten instinktiv das geliebte Terzerol wieder herausgezogen. ,Lobet Gott mit großem Schalle!‘ rief er aus, und paff! knallte ein kräftiger Schuß. Er stand im Rauch. Als er wieder sichtbar wurde, quoll die blaue Pulverwolke langsam um ihn empor und schwebte wie ein Weihrauch über der Gemeinde. Entsetzen, Schreck, Erstaunen, Ärger, Zorn, ersticktes Gelächter, diese ganze Tonleiter von Gefühlen fanden ihren Ausdruck auf den Gesichtern der versammelten Zuhörer. Die Kirchenältesten im Chor aber zeigten entrüstete und strafende Mienen. Die Lage wurde bedenklich“ (Meyer/Der Schuß von der Kanzel 1878, S. 699). Dem Grundmotiv der Erzählung (der Pfarrer mit einer sich auf der Kanzel entladenden Schußwaffe) liegt eine alte Volkserzählung zugrunde, die in ca. einem Dutzend Varianten im deutschsprachigen Raum kursiert und seit dem Jahr 1675 nachweisbar ist (vgl. Merckens 1957, S. 103 – 113). Als Quelle für C.F. Meyers Erzählung nennt Merckens die „Geschichte von dem Pfarrer von Ziegelhausen, wie sie unter dem Titel: ,… s‘ Pistölele wolle probiere!‘ von Josef Viktor Widmann zuerst in der Offiziellen Festzeitung für das Eidgenössische Schützenfest in Bern 1910, Nr. 1 veröffentlicht worden ist. Widmann, der von 1862– 1864 in Heidelberg Theologie studierte, hat die Geschichte vom Pfarrer selbst gehört“ (Merckens 1957 S. 111). Vgl. auch Hoppe 1970 und Bülck 1954. Wie auch schon bei den Schriften Friedrich Nietzsches – allen voran dem Zarathustra – liegt die Vermutung nahe, dass Robert Walser, sollte er Der Schuß von der Kanzel nicht gelesen haben, über Widmann zur Kenntnis des Grundmotivs der Erzählung C.F. Meyers Kenntnis gekommen sein könnte. In beiden Fällen kommt es jedoch in der entsprechenden Passage des Räubers zu einer Verkehrung der Perspektiven: Der Räuber, der auf der Kanzel steht, wird von Edith von unten aus dem Kirchenraum mit der Pistole angeschossen. Auch löst Ediths Schuss in der Gemeinde keine entsetzten, ärgerlichen oder zornigen Reaktionen, welche die Lage bedenklich werden lassen, denn „[d]er Schuß war kaum vernommen worden. Daß es gar keinen Knall gegeben hatte, wurde als geheimnisvoll empfunden“ (AdB. 3. S. 143).  Das Motiv des Spiegels kommt bei Walser öfters vor, bspw. in Geschwister Tanner: „Wie schön und unschuldig noch immer meine Hände aussehen. Wenn sie Augen hätten, so würde ich ihnen einen Spiegel entgegenhalten, damit sie sähen, wie schön sie sind“ (KWA I/2, S. 92) oder in Jakob von Gunten: „Taschenspiegel besitzen wir Schüler übrigens alle, obschon wie eigentlich gar nicht wissen, was Eitelkeit alles bedeutet“ (KWA I/4, S. 23); Das Institut Benjamenta ist überdies reichlich mit Spiegeln aller Art ausgestattet: „Spiegel sind an den Wänden. Es ist sogar ein ganz großer Spiegel da, der vom Boden bis an die Decke hinaufreicht“ (KWA I/4, S. 78).

2.6 Der Räuber

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sein können, kann aus Grevens Beitrag „… den Blick anzublicken, ins Anschauen zu schauen“. Beobachtung und Selbstreferenz bei Robert Walser geschlossen werden, der die „selbstreferente[…] Beschreibung einer selbstreflexiven Beobachtung“ (Greven 1994, S. 12) als stilbildendes Merkmal der Texte Walsers auf zweierlei Weise nachweist: Zum einen bringt er mehrere Beispiele aus bis dato in der Forschung unter diesem Aspekt noch unkommentierten frühen Texten Walsers, in denen das Verfassen von Texten, das Erzählen, das Verhältnis von Autor, Figur und Leser/Rezipient als Verfahren vorgeführt werden, die durch die Brechung von konventionellen Erzähltechniken wie zum Beispiel durch die Vermischung von Erzählebenen zur Irritationen bei den Lesern führen können. Aus diesen Einzelbefunden kann Greven zum anderen schließlich eine – der gebotenen Kürze seines Aufsatzes entsprechend – knapp formulierte Theorie der Selbstbeobachtung entwickeln, anhand derer nicht nur die ästhetische Qualität der Texte Walsers stringent beschrieben wird. Die Brücke zu Nietzsche lässt sich relativ leicht nicht nur zu dem Prätext schlagen, den Greven als Paten für seinen Titel und als Grundlage für seine methodischen Überlegungen ausgesucht hat: Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik. Dort hat Claus Zittel (2014) in folgendem Satz die Fähigkeit zur Selbstreflexion als poetologische Schlüsselstelle identifiziert: [….] denn in jenem Zustande ist er [der Urkünstler der Welt], wunderbarer Weise, dem unheimlichen Bild des Mährchens gleich, das die Augen drehn und sich selber anschaun kann; jetzt ist er zugleich Subject und Object, zugleich Dichter, Schauspieler und Zuschauer. (GT, KSA I, S. 48)

Die frappante Ähnlichkeit der Formulierungen, die Augen zu drehen und sich selber anschauen zu können (Nietzsche), bzw. „den Blick anzublicken, ins Anschauen zu schauen“ (Walser), allein belegt nicht sicher eine Lektüre von Nietzsches Geburt der Tragödie, wie dies Wagner (1991) unabhängig von dieser Textstelle richtig vermutet: Denn in dem unveröffentlichten Manuskript Der Knabe aus dem Jahr 1928 oder 1929 genießt der titelgebende Knabe den Blick seiner Erzieherin, die ihn täglich mit gemessenen Blick musterte, und seine Pflicht war, diesen Blick geduldig auf sich ruhen zu lassen. Er schaute den prüfenden Blick voll Artigkeit an. Für ihn war′s gewissermaßen angenehm, den Blick anzublicken, ins Anschauen zu schauen, das Examiniertwerden möglichst nett zu examinieren. (SW 20, S. 116)

Der Knabe dreht nicht in gleicher Ausführung wie in der Nietzsche-Passage die Augen nach innen, um sich selber anzusehen, doch birgt der artige Blick des Examinierten auf den Blick der ihn examinierenden Erzieherin eine vergleichbare selbstreflexive Potenz wie der „Genius im Actus der Zeugung mit jenem

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Urkünstler der Welt verschmilzt“ (GT, KSA I, S. 47 f) – der Knabe ist zugleich Beobachteter und Beobachtender, Subjekt und Objekt zugleich. In der ersten Textstelle auf S. 16 zu Beginn des Räubers scheint Walser das Motiv des Blickes in den Spiegel aus dem Zarathustra aufzugreifen. In der Zarathustra-Rede „Das Kind mit dem Spiegel“²²³ erinnert sich Zarathustra daran, im Traum von einem Kind einen Spiegel vorgehalten bekommen zu haben, in dem er „eines Teufels Fratze und Hohnlachen erblickte“ (Z II Kind, KSA 4, S. 105). Der Ich-Erzähler möchte den Räuber dabei begleiten, seine Geliebte um Entschuldigung zu bitten, da er in Gesellschaft „Hoch der Kommunismus“ gerufen hat: Vielen, die übermütig sind, fehlt′s an Mut, und vielen, die stolz sind, an Stolz, und vielen, die schwächlich sind, an der Seelenstärke, ihre Schwäche zu bekennen. Vielfach treten also Schwache stark auf, Verärgerte fröhlich, Erniedrigte stolz, Eitle bescheiden, wie z. B. ich, der ich aus nichts als Eitelkeit nie in den Spiegel blicke, indem mir der Spiegel unverschämt und unartig vorkommt. (AdB 3, S. 16 f.)²²⁴

Die Sprecherinstanz verkehrt hier nach der Aufzählung von Gegensätzen den Mythos des eitlen Narziss, der sich selbstverliebt im See anblickt, in eine ästhetische Perspektive, die anscheinend ohne ein Gegenüber – in diesem Fall ohne den Spiegel – auskommen muss. Das Motiv des Spiegels könnte aus dem Zarathustra stammen, die Idee jedoch, dass der Spiegel in diesem Kontext ein Eigenleben besitzt – er ist „unartig“ und „unverschämt“, Eigenschaften, die nur einem belebten Wesen zugeschrieben werden dürfen – könnte Walser aus einem Paralleldruck von Oscar Wildes Prosagedicht: Der Schüler in einer Ausgabe der Zeitschrift Die Insel aus dem Jahr 1902 aufgegriffen haben, in der Walser seinen dramatischen Einakter Die Knaben veröffentlichte. Die Bergnymphen, die Oreaden, sprechen in dem Prosagedicht Oscar Wildes bewundernd mit dem Teich, in dem sich Narziss anschaute. Der Teich aber erwidert ihnen: „Ich aber liebte den Narziss, wenn er an meinem Ufer lag und auf

 In der Erzählung Der Spiegel des Kindes von Paul Adler (1912) hat der Spiegel die Funktion, demjenigen, der in ihn hineinschaut, Stationen seines bisherigen Lebens als Bilder zu zeigen.  Das Motiv der Eitelkeit in Verbindung mit dem Spiegel ist auch bereits in fast wortgleicher Darstellung in Jakob von Gunten zu finden: Jakob’s Mitschüler Kraus „gebraucht auch öfters den Spiegel, um die Fortschritte der Heilung zu beobachten, nicht aus leerer Eitelkeit. Er würde, wenn er nicht diesen Makel [von Wunden] trüge, nie in den Spiegel schauen, denn die Erde kann nichts Uneitleres, Unaufgeblaseneres hervorbringen als ihn“ (KWA I/4, S. 30).

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mich niederschaute, denn in dem Spiegel seiner Augen sah ich immer meine eigene Schönheit“ (Insel III/7, S. 122).²²⁵ Kommt es bei Wilde zwischen Narziss und dem personifizierten Teich offensichtlich zu einem Austausch der Blicke, und schaut Zarathustra tatsächlich im Traum in den Spiegel und sieht darin eines „Teufels Fratze und Hohnlachen“ (Z II Kind, KSA 4, S. 105), so weigert sich der Ich-Erzähler im Räuber, den personifizierten Spiegel anzuschauen – aus Eitelkeit mit der er auftritt. Die Eitelkeit ist aber nur vorgeschoben, denn durch die angeführten Gegensatzpaare schwach und stark, verärgert und fröhlich muss man ableiten, dass der Ich-Erzähler im Grunde nicht eitel, sondern bescheiden ist und das Verweigern des Blicks in den Spiegel nur ein Spiel sein kann – der bescheidene Erzähler hätte den Blick in den Spiegel geworfen. Auf diese Art wird die Erwartung des Lesers unterlaufen, der bei der Erwähnung eines Spiegels verständlicherweise auch einen Blick hinein vermuten würde. Dass die von der Sprecherinstanz genannten Gegensatzpaare zwar die Figur des Räubers charakterisieren, der übermütig das „Hoch auf den Kommunismus“ ausgerufen hat, dem aber jetzt der Mut fehlt, sich bei seiner Geliebten zu entschuldigen, hebelt die ausgeführte Interpretation nicht aus, da die Figur des Räubers sowie die Sprecherinstanz oft nicht auseinander zu halten sind, bzw. an manchen Stellen des Räubers ganz und gar identisch scheinen. Aus der vermeintlichen Fremdcharakterisierung wird auf diese Weise eine Selbstcharakterisierung der Sprecherinstanz, die in dieser Lesart eine narzisstische Konstellation wie in Oscar Wildes Der Schüler letztendlich doch ermöglicht. Dass diese als ästhetisches Verfahren im Räuber durchgeführt werden kann, ist bereits in Fritz Kocher’s Aufsätzen poetologisch angelegt und erklärt auch die Möglichkeit, den Spiegel im Räuber derart zu personifizieren. Dazu sei eine Passage aus dem Aufsatz Aus der Phantasie analysiert, welche die festgehaltenen konkreten Befunde der offenen (narrativen) Perspektivik auf einer abstrakten, die Verfasstheit des Subjekts betreffenden Ebene als poetologische Schlüsselstelle zusammenfasst und zugleich in praxi als ästhetisches Verfahren umsetzt. Die Figur Fritz Kocher beschreibt in diesem Aufsatz folgende Naturszene, in der eine Gräfin und ein Knabe auf einem Teich in einem Boot über

 Diese Form der Selbstbeobachtung in Oscar Wildes Gedicht in Prosa könnte Walser als Vorbild für die Darstellung von selbstreflexiven Verfahren in diversen seiner Prosastücke aufgegriffen haben: So zeigt Greven, dass im Prosastück Simon. Eine Liebesgeschichte (SW 2, S. 15) in einer Erzählung von einer Erzählung erzählt wird, Fritz Kocher′s Aufsätze dieses Verfahren in der Simulation des Schulaufsatzes vorführen und „[e]ine in der Struktur nicht unähnliche Variante solcher ,eingekleideten‘ Selbstbeobachtung […] etwa der Text Von einem Dichter in den Sechs kleinen Geschichten [bietet]“ (Greven 1994, S. 14).

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einen See rudern, welche eine selbstreflexive Verdoppelung des Verfassers durch die Spiegelung auf dem Wasser einleitet: Die Dame hält die weiße Hand in das grünliche, bläuliche Wasser. Das Wasser ist warm. Es küßt die dargebotene Hand. Es hat einen recht feuchten Mund zum Küssen. […] Die braunen Rebberge spiegeln sich schön im Wasser, auch die Landhäuser. Natürlich! Das eine, sowie das andere muß sich spiegeln. Keines hat einen Vorzug. Alles, was das Ufer belebt an Gestalt und Farbe, ist dem See unteran, der mit ihm macht, was er will. Er spiegelt′s. Er ist der Zauberer, der Herr, das Märchen, das Bild. […] Wir haben′s schon beschrieben, wenn auch ungenügend gesagt. Wir? Ei, spreche ich in der Mehrzahl? Das ist eine Schriftstellergewohnheit, und ich komme mir, wenn ich Aufsätze schreibe, immer wie ein Schriftsteller vor. (KWA I/2, S. 28)²²⁶

Caduff deutet diese Passage als eine parodierende Verschiebung eines „frühromantischen Topos, denn nicht etwa der Edelknabe küsst die Hand der Gräfin, sondern das Wasser“ und der „See als Spiegel wird zu poetologischen Metapher einer mimetischen, wirklichkeitsabbildenden Fantasie, die als Bild das Geschehen sistiert […]“ (Caduff 2016, S. 9). Eine erläuternde Eingrenzung dieser poetologischen Metapher sowie deren Funktion wird allerdings nicht ausgeführt. Denn offensichtlich bleibt Caduff bei seiner Analyse auf der Ebene des intradiegetischen Geschehens, die, so scheint es, sich auf die libidinöse Absicht des Knaben sowie dessen sublimierendes Verhalten konzentriert. Folglich erfährt auch die auffällige temporäre Vervielfachung der Sprecherinstanz nicht die Aufmerksamkeit, die sie als direkter Ausdruck eines poetologischen Verfahrens verdient. Eine derartige Lesart mit Blick auf die in dieser Arbeit immer mitzudenkende Subjektstruktur ist die Folgende: Die Sprecherinstanz beschreibt in diesem Aufsatz auf einer zweiten intradiegetischen Ebene anhand des Naturphänomens einer sich spiegelnden Wasseroberfläche eine optische Vervielfachung, in diesem Fall eine Verdoppelung, der sich am Ufer befindlichen Gegenstände und Eindrücke. Der Spiegel hat für die Natur in Aus der Phantasie noch die Bedeutung,

 Vgl. auch folgende Textstellen im Prosastück Leben eines Malers sowie in Geschwister Tanner: „Einmal begleitete der Maler eine schöne Frau vor die Stadt hinaus. Indem sie ihn aufmerksam anschaute, fragte sie ihn, ob sie ihn für edel halten dürfe. Im Wald regnete es leise. Wie lieb, wie süß ist solcher Regen. Bei solchen zarten Sommerregenwetter schnellen Herzen auf wie Knospen. Auf die Frage, die soeben an ihn gerichtet worden war, lächelte der Maler. Das Lächeln war schön. Für eine Unterhaltung zarter Art bedeutet solch artiges, behutsames Lächeln weit mehr als manche feinsten Worte. ,Ja, ich glaube, daß Sie edel sind‘, sagte sie und beantwortete somit ihre Frage selber. Bei einem kleinen runden See, in dessen stillem grauen Wasser sich alles Umliegende weiche widerspiegelte, blieben sie stehen, um sich zu küssen.“; SW 7, S. 30. „An diesem Morgen fuhren Kaspar und Klara in einem kleinen, farbigen Boot auf dem See. Der See war ganz ruhig wie ein glänzender, stiller Spiegel.“; KWA I/2, S. 58.

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klar und eindeutig die wesentlichen Eigenschaften der sich ihm entgegenstellenden oder in ihn blickenden Personen zu spiegeln und nicht, wie Oscar Wildes Teich eine narzisstische Perversion zu vollziehen. Diese ,reine‘ Lesart der Funktion eines Spiegels findet sich auch im Aufsatz Höflichkeit in FKA, wo es heißt: „Die Höflichkeit ist für gesittete Menschen ein Vergnügen, und am Grad und an der Art seiner Höflichkeit erkennt man, das Wesen eines Menschen wie von einem Spiegel zurückgeworfen“ (KWA I/1, S. 21). Doch bereits durch die Verben „machen“, „wollen“, „spiegeln“ ist der See das gestaltende Subjekt dieser Szene: Nicht allein die Gegenstände „müssen“ sich ihm gleich einem Herrscher „untertan“ machen und verdoppeln, sondern auch, jetzt auf einer ersten intradiegetischen Ebene, die Sprecherinstanz, die der Figur Fritz Kocher zugeschrieben wird. Aus dem ‚Ich‘ wird temporär als „Phantasieentgleisung“²²⁷ (AdB 1, S. 113) ein ‚Wir‘. Entzieht sich die Sprecherinstanz in Fritz Kocher’s Aufsätzen noch selbstkorrigierend der spiegelnden Vervielfachung, so sind im Räuber die Räuberfigur und die Sprecherinstanz als Figuren sowie in der Durchkreuzung der narrativen Erzählebenen nicht mehr voneinander zu trennen, wie die folgende Szene im Spiegelsaal aufzeigt: Wie dem nun auch sei, so haben sich ja da im Spiegelsaal, wo ja auch um bares Geld gespielt wird, eines Abends Wanda und Edith eine Begegnung gegeben, von der ich schon sprach. […]

 Die Phantasie als den Text steuerndes Element erfährt in verschiedenen Texten Walsers unterschiedliche Bewertungen. Was beispielsweise in Jakob von Gunten – „Was ich manchmal für Einbildungen habe! Es grenzt beinahe an das Absurde“ (KWA I/4, S. 93); „Nun, ich bedaure tief, derart geträumt und gedichtet zu haben“ (KWA I/4, S. 112) – oder im Mikrogramm (vgl. das Kapitel „Prosper Merimée“) im Sinne eines Fehlers im Vortrag negativ konnotiert ist, wird im Vergleich dazu im Prosastück Ein Maler (1904) als etwas Positives angesehen. Phantasie beziehungsweise Phantasieren ist dort als eine gleichsam mimetische Fähigkeit verstanden, Natureindrücke mit Zeit- und Raumabstand wiederzugeben: „Darin also besteht mein Phantasieren. Mein Phantasieren ist selbstverständlicher Sklave der Natur, wenn es nicht selbst die Natur ist. In meinem Gehirn steckt meine ganze jetzige und zukünftige Gemäldesammlung“ (KWA I/1, S. 67) und „meine Phantasie ist ganz nur noch ergebene Untertanin und Wiedergeberin der Natur, ist Natur selber!“ (KWA I/1, S. 78). Eine den Erzählfluss eher störende „Phantasieentgleisung“ findet sich in Der Gehülfe in einer Szene, welche der hier analysierten in Höflichkeit stark ähnelt: Joseph Marti setzt mit Frau Tobler und deren Kindern in einem kleinen Ruderboot über einen See und kommuniziert in seiner träumerischen Einbildung mit der personifizierten Tiefe des Sees: „Steige, hebe dich, Tiefe! Ja, sie steigt aus der Wasserfläche singend empor und macht einen neuen, großen See aus dem Raum zwischen Himmel und See. Sie hat keine Gestalt, und dafür, was sie darstellt, gibt es kein Auge. Auch singt sie, aber in Tönen, die kein Ohr zu hören vermag. Sie streckt ihre feuchten, langen Hände aus, aber es gibt keine Hand, die ihr die Hand zu reichen vermöchte. […] Es muß zugegeben werden, daß Joseph sich ein wenig zu sehr seinen Einbildungen überlassen hatte“ (KWA I/3, S. 50).

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Und hinter einem Vorhang, den er eng zuzog, stand der Gegenstand des Gespräches, unserer Räuber, und hörte dasselbe Wort für Wort, und wir, die wir hier erzählen, standen dicht neben ihm und mahnten ihn an Unparteilichkeit, indem wir ihm ins Ohr flüsterten: „Bleibe kalt und womöglich künstlerisch.“ Und der „kuriose Bursche“, wie ihn Selma nannte, gehorchte uns, obwohl es ihm war, als müsse er hervortreten, so sehr zitterte ihm die Begierde, sich an der einzigartigen Unterhaltung zu beteiligen. (AdB 3, S. 99)²²⁸

Die Sprecherinstanz, die sich in expliziten Äußerungen vehement von ihrer Räuber-Figur abzugrenzen versucht, spricht diese an dieser Stelle direkt an und gibt ihr über die Grenze der narrativen Erzählebene hinweg gleichsam Regieanweisungen, wie sie sich in der Situation zu verhalten habe.²²⁹ Durch den offensichtlichen Widerspruch, dass die Sprecherinstanz im Gegenteil an anderer Stelle auf die Informationen des Räubers angewiesen ist, um die Erzählung fortzusetzen – er hat ihr „etwas vorgelogen“ (AdB 3, S. 62), und wieder an anderer Stelle sogar bei der „Niederschrift dieses Buches“ (AdB 3, S. 133) mithilft – wird nicht nur offenkundig, dass es sich nicht um eine allwissende Sprecherinstanz handeln kann, sondern dass im Räuber mit den unterschiedlichen Sprechermodalitäten gespielt wird. In dem gleichen Maße wie Sprecherinstanz und Räuber an manchen Stellen identisch zu sein und sich dadurch zu verdoppeln scheinen („Die Schwäne dort im Schloßteich […]. Wo sah ich das? Vielmehr, wo hat das der

 Die Szene erinnert an Hamlet (3. Aufzug, 4. Szene), in der Polonius hinter einem Vorhang das Gespräch zwischen Hamlet und Gertrude belauscht und von Hamlet ermordet wird, da dieser ihn für den König hält – Hamlet zu Gertrude: „Kommt, setzt Euch nieder; Ihr sollt nicht vom Platz,/ Nicht gehen, bis ich Euch einen Spiegel zeige,/ Worin Ihr Euer Innerstes erblickt.“. Dem Räuber hinter dem Vorhang wiederfährt im Spiegelsaal zwar nicht das gleiche Schicksal wie Polonius; allerdings ist die Konstellation zwischen Wanda und Edith und Räuber die gleiche wie am Schluss in der Kirche, als das Attentat auf den Räuber verübt wird. Somit wäre die Szene im Spiegelsaal in Verbindung mit dem Motiv des Vorhangs in Hamlet eine symbolische Vorwegnahme (eine Prolepse), da der Spiegelsaal und Kirche die einzigen beiden Szenen im Räuber sind, in denen die Konstellation dieser drei Figuren zustande kommt. Motive aus Hamlet scheinen bereits auch in Geschwister Tanner eine wichtige Rolle zu spielen, wie z. B. der fieberträumende Monolog von Klara Agappaia, der an Ophelias Selbstmord im Wasser erinnert: „Aus Klaras Munde war nicht viel zu verstehen, als etwa kurze, abgerissene, halb gesungene, halb gesprochene Sätze: ,Im Wasser, nein, sieh doch, tief, tief. Das hat lange gebraucht, lange, lange. Und du weinst nicht. Wenn du wüßtest. Es ist so schwarz und so schlammig um mich herum. Aber sieh doch. Ein Veilchen wächst mir zum Munde heraus. Es singt. Hörst du? Hörst du’s? Man sollte meinen, ich wäre ertrunken. So schön, so schön. Gibt es nicht ein Liedlein darauf? Die Klara! Wo ist sie nun? Such sie such sie doch. Aber du müßtest ins Wassser gehen. […] Ich sehe die Fische schwimmen“ (KWA I/2, S. 89).  Die Sprecherinstanz spricht nicht nur den Räuber direkt an, sondern auch weitere Figuren. Z. B. Wanda: „Auch du, Wanda warst sehr bequem, und wenn nun auch er seinerseits etwas bequem geworden wäre, düfrten wir uns über ihn stark beklagen?“, (AdB 3, S. 132).

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Räuber gesehen?“; AdB 3, S. 76), grenzen sie zugleich sich gegenseitig voneinander ab. Das Motiv des Spiegels führt jedoch nicht nur zu einer Verdoppelung der Erzählerinstanz, sondern weist darüber hinaus auch auf das ästhetische Verfahren des Räubers an sich hin, denn der Leser erfährt weder in dem Zitat noch in unmittelbarer Umgebung dessen etwas über den Inhalt des Gesprächs zwischen Edith und Wanda; vielmehr schweift die Sprecherinstanz über die Beschreibung des Verhältnisses des Räubers zum Spiegelsaal sowie über eine ihn dort ansprechende Frau ab und springt in der Erzählung der Handlung an die Textstelle, „wo er für richtig fand, sich auf die Fußspitzen zu stellen“ (AdB 3, S. 100). Dadurch, dass diese sich zwar im selben Mikrogramm, doch in AdB drei Textseiten weiter vorne befindet, wird in der Chronologie der Erzählung zurückgesprungen. Anders als in Der Spaziergang werden diese Sprünge im Räuber jedoch nicht explizit durch einen Metakommentar wie bei den sich zuverlässig erfüllenden Prolepsen im Spaziergang angekündigt oder kommentiert, sondern geschehen durch eine Abschweifung des Erzählens zu neuen Motiven oder Erzählsträngen, die auf den ersten Blick nichts mit den Motiven, in denen sich die Erzählung verliert, zu tun haben. Da jedoch die meisten neuen Erzählstränge ebenfalls wieder durch Abschweifungen unterbrochen und meist an einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden, ergibt sich daraus ein Muster. Dieses ist auch anhand der zitierten Textstelle im Spiegelsaal nachweisbar: Erfährt der Leser an dieser Stelle nichts über den Inhalt, kommt die Erzählerinstanz etliche Seiten später darauf zu sprechen und gibt dem Leser zu verstehen, dass es sich um eine Aussprache der beiden Konkurrentinnen um ihr gemeinsames Objekt der Liebe, den Räuber gehandelt hat: „,Wie kamst du dazu, ihn mir zu rauben?‘ richtete sie nun im Spiegelsaal die Frage an Edith“ (AdB 3, S. 128). Nachdem durch die direkte Rede ein Dialog zwischen den beiden Damenfiguren zu erwarten wäre, lässt die Antwort Ediths wiederum einige Seiten in AdB auf sich warten – erst im nächsten Mikrogramm folgt die den Dialog fortsetzende Antwort auf die Frage: „Und Edith antwortete im Spiegelsaal auf Wandas Vorwurf, sie habe ihr den Räuber geraubt […]“ (AdB 3, S. 131). Dass dann wiederum kurz danach die Sprecherinstanz diesen zersplitterten Dialog kommentiert „Sie wissen es ja, wer es war, der sich hinter dem Vorhang aufhielt. Ich sagte es Ihnen meines Wissens“ (AdB 3, S. 133) zeigt wiederum eine merkwürdige Überschreitung der narrativen Ebenen an und komplettiert mit diesem das Mikrogramm abschließenden Kommentar den zerbrochenen Dialog. Die einzelnen Splitter dieses Dialogs oder die einzelnen Fragmente der Erzählung wirken auf diese Weise wie die einzelnen Scherben eines zerbrochenen Spiegels, die entweder als Einzelteile oder als behelfsartig wieder zusammengesetztes Ganzes Eindrücke nicht unverfälscht als Ganzes,

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sondern lediglich kaleidoskopisch dem Betrachter spiegeln können²³⁰, der in den Spiegel blickt. Unter dieser Prämisse lässt sich auch die Tatsache deuten, dass die Sprecherinstanz „aus Eitelkeit“ nicht in den Spiegel blicken möchte, da dieser eine reine Reflektion des ihn Betrachtenden nicht leistet. Ganz wie in JGB die Sprecherinstanzen darüber reflektieren, warum eine „unmittelbare Gewissheit“ (JGB 17, KSA 5, S. 30 f.) nicht möglich sein kann, und dies durch den Text Nietzsches poetologisch selbst durch die aufgezeigten Ambivalenzen und Durchkreuzen von konventionellen narrativen Normen vorgeführt wird, zerbricht Walser in der ästhetischen Ausführung des Räubers poetologisch die über die Metapher des Spiegels erwartbare reine Erkenntnis durch Selbstbetrachtung in ihm.²³¹ Als Vorbild für diese Verweigerungshaltung der selbstbetrachtenden Erkenntnis lassen sich Die Nachtwachen des Bonaventura anführen, in denen der Ich-Erzähler über das sich in der „zehnten Nachtwache“ verdichtende „Masken“ und „Larven“-Motiv (Klingemann 2012, S. 88) erkennt, dass sein ,Ich‘ eben hinter unzähligen Masken und Larven verborgen ist, die eine nach der anderen die darunterliegende verbirgt. Bei einem hypothetisch angenommenen Blick in einen Spiegel, so schlussfolgert der Ich-Erzähler, würde er letzten Endes jedoch in ein „Nichts“ blicken.²³²

 Die kaleidoskopische Struktur bemerkt auch schon Greven vor allem in den Prosastücken der von ihm sogenannten Berner Jahre (1920 – 1929): „Diese Stücke enthalten, allerdings in scheinbar willkürlicher und kaleidoskopartiger Verwerfung, Splitter eines fortgesetzten ,Inneren Monologs‘ ihres Ich-Subjekts, der Berichterstatter berichtet sich selbst“ (Greven 1960/2009, S. 23).  Mit Robert Walsers Drei Liedern wurde in der Inselausgabe von 1901 ebenfalls von Heymel die Erzählung Spiegel abgedruckt, die die Metapher des Spiegels auf symbolischer Ebene ebenfalls die ihm landläufig zugesprochene Fähigkeit der (Selbst)Erkenntnis aberkennt: „Da die Spiegel sich gegenüber standen, erweiterten sie durch unendliche Wiederbilder die Halle zu einem gewaltigen gläsernen Palast von Spiegelsälen und bildeten so für die Phantasie einen seltsamen und wundervollen Irrgarten, in dem sie sich in abendlichen Träumereien ergehen mochte“ (Heymel 1901, S. 268). „Die drei Freunde wußten nicht, was sie sagen sollten, sie schauten sich an, und als sie in die Spiegel sahen, erblickten sie wohl hundert schwarze Gestalten, aber sie erkannten sich nicht mehr in ihnen“ (Heymel 1901, S. 275).  „Wer bin ich denn, wenn die Larven verschwinden sollten? Gebt mir einen Spiegel ihr Fastnachstsspieler, daß ich mich selbst einmal erblicke – es wird mir überdrüssig nur immer eure wechselnden Gesichter anzuschauen. Ihr schüttelt – wie? steht keine Ich im Spiegel wenn ich davor trete – bin ich nur der Gedanke eines Gedanken, der Traum eines Traumes – könnt ihr mir nicht zu meinem Leibe verhelfen, und schüttelt ihr nur immer Eure Schellen, wenn ich denke es sind die meinigen? – Hu! Das ist ja schrecklich einsam hier im Ich, wenn ich euch zuhalte ihr Masken, und ich mich selbst anschauen will – alles verhallender Schall ohne den verschwundenen Ton – nirgends Gegenstand, und ich sehe doch – – das ist wohl das Nichts das ich sehe!“, (Klingemann 2012, S. 88).

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Etwa in der Mitte des Räubers greift Walser das Motiv des Blicks wieder auf, dieses Mal nicht als gegenseitiger Blick zwischen der Sprecherinstanz und einem Spiegel, sondern in der Bedeutung einer Fähigkeit zur Selbstreflexion, wie sie Claus Zittel (2014) anhand der bereits zitierten poetologischen Schlüsselstelle in der GT, beschrieben hat. Zur Erinnerung sei sie noch einmal genannt – es heißt bei Nietzsche: denn in jenem Zustande ist er [der Urkünstler der Welt], wunderbarer Weise, dem unheimlich Bild des Mährchens gleich, das die Augen drehn und sich selber anschaun kann; jetzt ist er zugleich Subject und Object, zugleich Dichter, Schauspieler und Zuschauer. (GT, KSA I, S. 48)

Im Räuber beschreibt der Erzähler im Kontext einer Tanzszene in einem Gasthaus, wie er am Rande der Tanzfläche sitzend, eine schöne Frau beobachtet: Ruhig, beinah grandios wie ein in sich seit längstem Abgeschlossener schaute ich mit keinen anderen als meinen eigenen, bis dahin von mir selbst noch nie angeschauten Augen in′s sich bewegende Vergnügen hinein, mich sozusagen für eine Schöne oberflächlich und elegant erwärmend, die, ähnlich einem Bild, auf einem Stuhle saß, den sie mit ihrem Auf-ihm-Sitzen meinen Blicken zu entziehen wußte. (AdB 3, S. 71 f.)

Das nach innen gedrehte Auge, das Zittel als Motiv aus Hans Christian Andersens Text Das Mädchen, welches auf das Brot trat (Andersen 1860) identifiziert hat, hätte hier die selbstreflexive Funktion übernehmen können, die sonst ein Spiegel hat, doch auch hier bleibt Walser wie bei dem Spiegel aus dem Zarathustra bei der Übernahme des Motivs stehen, ohne es in selbiger Weise auszuführen. Stattdessen fokussiert der Blick des Ich-Erzählers auf den nebensächlichen Stuhl, auf dem die Schöne sitzt. Die Poetologie Walsers steht damit jedoch nicht in Opposition zu der Philosophie Nietzsches oder in der Wahl von Motiven in Opposition zu dessen Darstellungsweise, vielmehr setzt sie diese konsequent ästhetisch um (aus diesem Grund überzeugt auch der Ansatz der Motiv-Forschung bei Walser nicht). So arbeitet Nietzsche sich z. B. in JGB als Analytiker seiner Zeit an prägenden wissenschaftlichen Positionen und auch einzelnen Philosophen und deren Überzeugungen ab, um die Architektur ihrer, wie er schreibt, „Philosophen-Bauwerk[e]“ (JGB, KSA 5, S. 11) auf deren Belastbarkeit hin zu prüfen. Nietzsche hinterfragt dabei kritisch z. B. die materialistische Atomistik (JGB 12, KSA 5, S. 26), Kants „Kategorientafel“ (JGB 11, KSA 5, S. 24), Schellings „intellektuale Anschauung“ (JGB 11, KSA 5, S. 25) der Romantik oder Schopenhauers Willens-Begriff als „Ding an sich“ (JGB 16, KSA 5, S. 29) und argumentiert ironisch gegen die Grammatik der Logiker (JGB 11, KSA 5, S. 31, 54), um letzten Endes für eine Aufhebung von Gegensätzen in Begrifflichkeiten und einzelperspektivischen Weltanschauungen zu plädieren, die durch die

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Aufgabe der gewohnten Perspektiven in einer noch nicht einschätzbaren Summe von „gefährliche[n] Vielleichts“ (JGB 2, KSA 5, S. 17) münden kann. Dieser Methodik folgend nimmt der Räuber die Motivik des Spiegels sowie des Sichselbstanschauens auf, die Bolli wie vorhin zitiert als „irritierende Abschweifungen“ bezeichnet²³³, da die beiden Episoden des Spiegels und des Blickes in der Tanzszene in der Chronologie der Erzählung für sich stehen bleiben und ins Leere laufen.

2.6.6 Der Räuber – ein Roman? Dieses für die Darstellung des Subjekts notwendige relationale Denken ohne eine unmittelbare Gewissheit zum Beispiel in Bezug auf eine eindeutige SubjektPrädikat-Ordnung, bzw. Subjekt-Prädikat-Objekt-Ordnung schlägt sich folgerichtig über den Inhalt auch auf die Form des Textes selbst nieder, der sich auf existierende Modelle und narrative Techniken rückbezieht. Wie bereits zu Anfang des Kapitels dargestellt, ist zu bezweifeln, ob die konventionelle Gattungsbezeichnungen des Romans oder der „Glosse auf einen Roman“ die Wesensmerkmale des Räuber-Textes befriedigend einfangen können.²³⁴ Allein wie Utz unter

 Vgl. Todorow, die von einer „innertextuellen Intermedialität“ bei Walser spricht: „Die poetologische Konsequenz zeigt sich in der Fülle der Blickführungen, Figuren des Sehens und Visualitäts-Paradigmen, die Walsers Texte strukturieren“ (Todorow 2011, S. 81).  Karl Wagner versucht den Gattungsbegriff für den Räuber zu verteidigen, in dem er Walser eine ihm eigene „Romanpoetik“ attestiert, die noch von keiner modernen Poetik des Romans hinreichend charakterisiert worden sei. Als Beispiel für eine solche Romanpoetik führt Wagner Lukács’ Die Theorie des Romans von 1916 an: Wagner konstatiert, „dass Walsers erhaltene Romane typologisch die Spanne vom ,realistischen‘ Roman (Der Gehülfe) bis zu dem strikt a-mimetischen ,Räuber‘-Roman umfassen; mithin fast alle Möglichkeiten einer frühmodernen Poetik des Romans“ (Wagner 2011, S. 133). Wagner spannt ein weites Panorama, um Walsers Räuber in die Romanlandschaft um die Jahrhundertwende einzuordnen: Von bspw. Jens Peter Jacobsen: Niels Lyhne (1880) über Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) bis hin zu James Joyce: Ulysses (1922). Ergänzt werden muss Wagners Kanon zu prätextuellen Romanen des Räubers um Robert Müllers Roman Tropen. Der Mythos der Reise von 1915, der z.T. ähnlich der hier untersuchten Walsertexte ein poetologisches Spiel mit den Fiktionsebenen treibt: Über die in expressionistischer Manier vorgeführte Wiedergabe von Gedanken, Gesprächen, Träumen, Halluzinationen und Trancezuständen werden Fragen zu Identität, Co-Existenz und Ichverlust behandelt. Die Hauptfigur Hans Brandlberger ist eine erzählte Figur, die als Erzählerfigur zugleich Autor des Binnenromans ist und durch das Vorwort des fiktiven Herausgebers Robert Müller (eine erfundene Erzählerfigur des empirischen Autors Robert Müller) eingeführt wird. In der Folge verschwimmen die verschiedenen Bewußtseins- und Wirklichkeitsebenen des Romans und der

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der Prämisse „psychoanalytische[r] Deutungsmuster“ von einer „Zersetzung der Romanform“ (Utz 2002, S. 186) auszugehen, kann die bereits zitierte Interpretation Zieglers in Bezug auf Nietzsches Denkweise entgegengestellt werden, die sich, wie gezeigt wurde, gleichermaßen in eine poetologische Verfahrensweise der Texte Nietzsches als auch Walsers übertragen lässt, nämlich, „daß Nietzsche niemals von einem Ganzen aus zum Einzelnen denkt: vielmehr fehlt das Ganze, in welchem sich die vielen Einzelheiten organisch zusammenschließen könnten“ (Ziegler 1916, S. 784). Greven gibt am Beispiel von Geschwister Tanner die Stoßrichtung der Argumentation vor, wenn er dessen Konstruktionsweise als „eigentlich nur ein Bündel von soundsovielen Prosastücken mit einer gewissen inhaltlichen Verwandtschaft und narrativen Verkettung“ (Greven 1987, S. 85) beschreibt und die auch von Barbara von Reibnitz konstatierte „konstellative Offenheit“ (von Reibnitz 2009, S. 145) des Textes anknüpfend an die in diesem Kapitel analysierte Spiegelmetapher über das Bild der zersplitterten Einzelteile die Passgenauigkeit von Inhalt und Form der Prosastücke konstatiert: „Aus den Scherben zerfallener Gattungen und trivialer Mitteilungsmuster fügte er [Walser, B.S.] wie aus Mosaiksteinen diese Sprachfelder zusammen, die Neues kundtun konnten“ (Greven 1987, S. 89) Die von Greven und von Reibnitz anhand von Geschwister Tanner aufgezeigten ästhetischen Verfahren, verdichten und radikalisieren sich im Räuber vor allem auch in Bezug auf seine Gesamtform.²³⁵ Wenn den Räuber seine eigene Tapferkeit glauben macht, er „sei ein moderner Romanheld“ (AdB 3, S. 98), so ist – vor dem Hintergrund der oftmals ironischen Brechung konventioneller narrativer Verfahren – durch dieses selbstgegebene klischeehafte Attribut Skepsis in Bezug auf den hier intradiegetisch genannten Gattungsbegriff angeraten, der per se ein geschlossenes Ganzes voraussetzt²³⁶: Denn tapfer kann auch ein Dramenheld oder eine lyrische Figur sein, ebenso wie eine Figur aus einem Roman, der nicht aus dem 20. Jahrhundert stammt und somit nicht modern ist. Durch die letztgenannte Zeiteingrenzung ergibt sich, dass modern hier im Sinne von A. Müller (2007) und Caduff (2016) als historisch verortet verstanden werden muss. Zeigt jener anhand von FKA Walsers „Beitrag zur Moderne um 1900“ (A. Müller 2007, S. 7) auf, indem er den Charakter der Aufsätze durch Stilvorbilder aus Kunst, Literatur und Schulbuchliteratur des späten 19. Jahrhunderts erklärt, und deren Verfahrensweisen als vorbildhaft oder gleichgestellt zum Beispiel mit psychoanalytischen Verfahren interpretiert, so Leser wird beispielsweise durch von der Erzählerinstanz angebotenen Versionen und Wahrnehmungsperspektiven von Todesfällen verwirrt.  Vgl. auch die Auseinandersetzung mit der Form der Novelle in Der Spaziergang.  Nach Jürgens verhält sich Walser „den Ansprüchen der literarischen Gattung […] [gegenüber] höchst nonchalant“ (Jürgens 1991, S. 87).

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verortet dieser die frühen Texte Walsers intertextuell im „Echoraum der Literatur“ (Caduff 2016, S. 23). Um die (Selbst)einschätzung der Räuberfigur zu belegen, dass ein moderner Romanheld tapfer sein müsse, müsste man untersuchen, inwieweit die Protagonisten von Romanen Merkmale der Tapferkeit aufweisen, die nach der eben beschriebenen zeitlich begrenzten Definition modern sind.²³⁷ In Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit eines Gattungsbegriffs für den Räuber ist wiederum die Überlegung Nietzsches in JGB richtungsweisend, dass es keine „unmittelbare Gewissheit“ (JGB 16, KSA 5, S. 30) geben könne. Das Verfahren, welches dort ausgehend von Spirs Idee einer grundlegenden Erkenntnis der Wirklichkeit durch die irritierende poetologische Machart des Textes die Möglichkeit derselben dekonstruiert, kann auf den Formbegriff selbst angewendet werden. Dieser ist durch die konsequente und radikale Ironisierung narrativer Konventionen im Text letztlich nicht fixierbar. So kann Todorow (2011) den Prosastücken aufgrund der vielfältigen Facetten ihrer Widersprüche wesentliche Eigenschaften einer offenen, essayistischen Schreibweise attestieren, die eine Gattungszuordnung schwierig macht.²³⁸ Ein solches Unterfangen, das gleichsam die Fixierung durch Begrifflichkeiten kritisiert²³⁹, und dadurch Irritationen auf der Rezeptionsebene erzeugt, lässt sich theoretisch und in praxi anhand des sogenannten Aphorismus 29 vorführen, der 1901 als Paralleldruck in der Inselausgabe neben Drei Lieder von Robert Walser abgedruckt wurde. Im Aphorismus 29 hinterfragt Nietzsche die Systematisierung seiner Texte unter dem Begriff „Aphorismen“ kritisch: „Es sind Aphorismen! Sind es Aphorismen? – Mögen Die, welche mir daraus einen Vorwurf machen, ein wenig nachdenken und dann sich vor sich selber entschuldigen. Ich brauche kein Wort für mich“ (Insel II/3, S. 11 = NL 1880, KSA 9, S. 356). Es ist paradox, dass diese Kritik Nietzsches am Begriff des Aphorismus unter dem Titel Aphorismus veröffentlicht wird, und zeigt deutlich, dass Elisabeth Foerster-Nietzsche und die Herausgeber der Insel Nietzsches Sprachkritik am „Bau der Begriffe“ (WL, KSA 1, S. 886) nicht verstanden haben. In WL geht Nietzsche davon aus, dass der Mensch dem Fundamentaltrieb

 Als zeitgenössischer Kontext ,moderner‘ Romane, die ebenfalls in der Zeit das Räubers entstanden sind, böten sich zur Untersuchung der Tapferkeit ihrer Protagonisten beispielsweise an (in chronologischer Reihenfolge): Franz Kafka: Der Process (1914/15), Thomas Mann: Der Zauberberg (1924), Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz (1929). Diesen gemein ist, dass ihre Protagonisten nicht durch herausragende Tapferkeit ausgezeichnet sind, sondern im Gegenteil eher determiniert sind und an den sie bestimmenden Umständen scheitern.  Todorow 2011, S. 69.  Zu den einzelnen Schritten der Fixierung über die Metapher zum Begriff und dessen Kritik vgl. Zittel 1995, S. 77.

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zur Metaphernbildung unterliegt²⁴⁰ bevor die Wissenschaft aus den Bildern Begriffe festschreibt und diese durch „Gesetze, Privilegien, Unterordnungen“ (WL, KSA 1, S. 881) zur Norm macht. Somit ist es nur folgerichtig, wenn der Räuber sich aufgrund seiner eigenwilligen heterogenen Struktur an Binnenerzählungen, Verweisen und Formzitaten einer eindeutigen Gattungszuordnung entzieht.²⁴¹ Würde man, nun in der Methodik von WL den Räuber als ,Glosse‘ auf einen Roman oder als „Glosse auf Nietzsche“ (Bohren 1995, S. 10) in einem fixierten Sinn lesen, so ergeben sich folgende Interpretationsmöglichkeiten:

Eine „große, große“ Glosse auf einen Roman? Vorweggestellt sei der Hinweis, dass es sich hierbei um ein den eigenen Text resümierendes Zitat einer Sprecherinstanz handelt²⁴², die durch die aufgezeigten narrativen Irritationen und ironisierenden Verfahren in nur sehr geringem Maße vertrauenswürdig ist. Gleiches gilt für die Selbsteinschätzung des Räubers, der sich für einen Moment wie ein moderner Romanheld fühlt. Die Formulierung „große, große Glosse“ weist eine grammatikalische Analogie zu der Formulierung Nietzsches über die „freie[n], s e h r freie[n] Geister“ (JGB Vorrede, KSA 5, S. 13) in der Vorrede zu JGB auf, die im vierten Kapitel dieser Arbeit durch die Überbetonung der Steigerung der Attribute als Indiz für den Illusionscharakter der freien Geister gedeutet wurde. Zwar fehlt bei Walser das Adverb „sehr“ sowie dessen Sperrdruck als druckgraphische Anleitung (der Räuber kam zu Lebzeiten Walsers nie zum Druck), den Sprachrhythmus an dieser Stelle zu ändern, um dadurch die Steigerung überzubetonen. Doch die die Alliteration begleitende Verdoppelung des Adjektivs „groß“ lässt diese Formulierung selbst beinahe „lächerlich“ (AdB 3, S. 148) und eine wörtliche Lesart ob der aufgezeigten Bedeutungsebenen „abgründig“ erscheinen.²⁴³ Wie zum Beispiel in Von einem Dichter, wo der Kopf des

 WL, KSA 1, S. 887.  Als methodische Folie könnte hier ebenfalls JGB herangezogen werden: Die neun Hauptstücke bestehen vorrangig aus ausformulierten Prosaabschnitten, wobei das vierte Hauptstück (Sprüche und Zwischenspiele): aphoristische Form annimmt – oder in Bezug auf Nietzsches zitierte Begriffskritik – diese ironisiert. Schließlich folgt abschließend der Nachgesang: Aus hohen Bergen (eigentlich lautet der gesamte Titel: Aus hohen Bergen. Nachgesang.) in Gedichtform.  „Und nun zum Schluß des Buches noch dies Resumee. Das ganze kommt mir übrigens vor wie eine große, große Glosse, lächerlich und abgründig“ (AdB 3, S. 148).  Malcolm Pender stellt dementsprechend auch nüchtern fest: „Einen Haupttext, zu dem der ,Räuber‘-Roman die Glosse hätte sein können, gibt es in jedem Fall nicht“ (Pender 2011, S. 154). In Anlehnung an Carsten Dutt’s Interpretation des im April 1928 in der Prager Presse abgedruckten Prosastücks Die Glosse (SW 19, S. 287– 289) ließe sich beim Räuber von einer „Metaglosse“ (Dutt 2008, S. 55) sprechen, die mit Erwartungsmuster und Rollenzumutungen spielt: Die Erzählerin-

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interpretierenden Dichtes sowie die Satzgefüge buchstäblich „zerbrechen“ (Insel II/4, S. 217), führt der Räuber an dieser Stelle inhaltlich aus, was er poetologisch vorgibt. In dieser Lesart wäre der kurze Satz mit dieser poetologischen Selbstanleitung als metatextuelle Glosse im Sinne einer handschriftlichen Anmerkung eines Texts zu interpretieren. Somit wäre die Zuschreibung durch die Sprecherinstanz an den Räuber, er fühle sich wie „ein moderner Romanheld“ (AdB 3, S. 98) nicht unbedingt als Negativabgrenzung gegenüber bestehenden, „tapferen“ Romanhelden, sondern als Ironisierung von im Räuber nicht benannten Tapferkeitskonzepten im modernen Roman zu verstehen.²⁴⁴

Eine „große, große Glosse“ auf Nietzsche? Mit Blick auf die Gattungsfrage in Betracht gezogen werden soll auch Bohren’s hypothetische Frage: „Könnte es sein, daß Walser mit seinem Roman zunächst

stanz spricht hier von sich als „Glossentor“ und „Glossenschmied“ (SW 19, 287) und resümiert ihre Schreibbemühungen folgendermaßen: „Somit bin ich froh, eine Glosse über das Schicksal und den Wert der Glosse in Angriff genommen zu haben, und als Feldherr der Buchstaben, die ich befehlige, und die meine treuen Truppen sind, glaube ich einen, wenn auch nicht großen, so doch echten Glossensieg zu erringen, indem mich nämlich jetzt die Engel der Prosapoesie umsingen“ (SW 19, S. 288 f.). Dutt spricht, in Anlehnung an Grevens Bezeichnung für Walsers Texte „NichtGattung“ (Greven 1992, S. 21) gar von einer „Anti-Gattung“ bei Walser, „deren reflexive Struktur Gattungsbegriffe einzig zitiert, um sie auf die eine oder andere Weise zu relativen und so zum Spielmaterial je und je singulärer Texte zu machen“ (Dutt 2008, S. 52). In Bezug auf die Gattungsproblematik ist André Gides: Die Falschmünzer (im französischen Original: Les Faux-Monnayeurs, 1925) anzuführen, in dem Gide die Grenzen der Gestaltungsprinzipien des modernen Romans auslotet. Die experimentelle Verwendung unterschiedlicher Erzählperspektiven weisen einen ähnlich hohen Grad an Selbstreflexivität in Bezug auf narrative Verfahren auf wie Walsers Räuber. Die Position des allwissenden Erzählers wird durch das kokettierende Eingeständnis seiner Nicht-Allwissenheit aufgegeben, die Erzählung wechselt von inneren Monologen zu Tagebuchfragmenten der Hauptfigur Edouard, aus dessen Roman zusätzlich Passagen zitiert werden, so daß gewissermaßen eine Fiktion der Fiktion entsteht.  Eine reine Opposition oder Negierung ist nicht indiziert, da der Räuber selbst Elemente einer Montage(prosa) enthält, wie sie bei den genannten Texten von Döblin oder Musil zu finden sind (und bereits in früheren Texten Walsers wie Na also angelegt sind). Die eingesetzten Montagetechniken zeichnet zunächst aus, dass sie die zeitliche Kohärenz auflösen, also die narrative Struktur als Prägung einer sie organisierenden Mitte (nämlich dem ‚Ich’) aufheben. Auf diese Weise kann eine Brücke geschlagen werden zu einer experimentellen ‚Wahnsinns’-Prosa, die im nächsten Kapitel Walsers ‚Prager Texte’ besprochen wird. Desavouiert wird im Grunde das Entwicklungsmotiv, das mit dem Begriff des Romans – zumindest seit der Prägung durch die Romantik – assoziiert wird. Der Erzählfluss wird gehemmt, da das Subjekt der Entwicklung, das ‚Ich’, in der Moderne verloren geht und es ihm nicht mehr gelingt, seine Welt sinnvoll zu organisieren.

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,lächerlich und abgründig‘ eine ,Glosse‘ zu Nietzsche schrieb?“, (Bohren 1995, S. 78). Bohren bezieht die zitierten Attribute „lächerlich und abgründig“ nicht wie die Sprecherinstanz auf den Räuber-Text als Roman, sondern auf seine Interpretation des Räubers als Glosse auf Nietzsche. Leider öffnet Bohren das einschränkende „zunächst“ nicht, da er diese in der Frage formulierte These nicht, wie sonst die übrigen Thesen in seinem Aufsatz in Bezug auf die Bibel sehr textsicher, in einem weiteren Schritt durch eine textnahe Lektüre verifiziert. Stattdessen behauptet Bohren, neben den von ihm aufgezeigten biographischen Parallelen, „auf Schritt und Tritt Entsprechungen, Distanzierungen, Verfremdungen Nietzsche gegenüber feststellen“ (Bohren 1995, S. 80) zu können, sollte er ebenso textsicher bei Nietzsche wie in der Bibel sein. Den Verdacht, dass es sich bei dem Beitrag von Bohren selbst um eine glossenhafte, kommentierende Meinung handeln könnte, beiseite lassend, verdient jedoch seine, von ihm nicht belegte, These Aufmerksamkeit: Der Räuber wäre demnach eine Kommentierung Nietzsches, das auf der ersten Ebene durch die Anspielung auf dessen ästhetisches Verfahren²⁴⁵ sowie die Nennung Nietzsches²⁴⁶ markiert ist, sowie auf der zweiten Ebene wie gezeigt das ästhetische Verfahrens selbst umsetzt und mit diesem poetologisch interferiert. Da dieses darauf spekuliert, missverstanden zu werden und dadurch die aufgezeigten Widersprüche bis hin zur Selbstaufhebung treibt, kann und darf die glossierende Kommentierung selbst auch „lächerlich und abgründig“ sein. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass das – nach Bohren – kommentierte Vorbild selbst wie oben anhand des Aphorismus-Begriffs gezeigt, konventionelle Gattungskonzepte stark herausfordert.²⁴⁷ Dementsprechend kann angesichts der aufgezeigten, offenen Perspektivik nicht eine einengende Gattung bedient werden. Stattdessen empfiehlt es sich, den Räuber als eine Realisation von Walsers Prosaexperimenten zu sehen. Diese werden im nächsten Kapitel – Walsers ,Prager Texte‘ anhand des bereits angeklungenen Wahrnehmungskonzepts erläutert

 „Zehn Uhr Vormittag // ist′s, er betritt, aus hellgrünen Auen niedersteigend, wieder die Stadt, wo ihm ein Plakat die Ermordung Rathenaus ankündigt, und was tat da der wundervolle, seltsame Fötzel, er klatschte in die Hände, anstatt daß er vor Schreck und Trauer umgesunken wäre bei solcher niederschmetternden Benachrichtigung. Suche einer uns nur das Händeklatschen zu erklären. Die Beifallskundgebung dürfte vielleicht mit einem Löffeli zusammenhängen“ (AdB 3, S. 21). Vgl. Greven 1996.  „Denn ist nicht nach Friedrich Nietzsche das Anschauen, das Miterleben einer Tragödie im feineren und höheren Sinn eine Freude, eine Lebensbereicherung? ,Bravo’ hat er da sogar noch extra ausgerufen und hat sich nachher in′s Café verfügt. Wie ist dieses rohe ,Bravo’ zu erklären? Eine schwierige Nuß, das, doch probieren wir′s“ (AdB 3, S. 21).  Vgl. zur Gattungsproblematik des Zarathustra: Zittel 2011, S. 65 – 69.

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2 Einzelanalysen

werden. Die bereits erarbeiteten Befunde hinsichtlich Erzählerinstanz, narrativen Verfahren, und Miniaturcharakter werden noch einmal durch eine textnahe Lektüre von ausgewählten Prosastücken Walsers (Walsers ,Prager Texte‘) exemplifiziert und in den Kontext von poetologischen Verfahren von ebenfalls ausgewählten ,Prager Autoren‘²⁴⁸ gestellt. Aus dieser vergleichenden Lektüre wird das hier vorbereitete ästhetische Wahrnehmungskonzept als eine Poetik der Unverständlichkeit definiert werden.

2.7 Walsers Prager Texte 2.7.1 Zeitungsdrucke Wie im Kapitel über die Sechs kleinen Geschichten bereits gezeigt wurde, ist bei Walser zu beobachten, dass er zwar zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere die drei Romane und bis 1925 mehrere Bücher als Sammelbände seiner Prosastücke veröffentlichen konnte, sein Hauptpublikationsorgan jedoch die Tageszeitungen und Zeitschriften gewesen sind.²⁴⁹ Die Abdrucke seiner Prosastücke erfolgten in Deutschland und der Schweiz in mitunter namhaften Organen wie z. B. dem Berliner Tagblatt, dem Leipziger Tageblatt, der Frankfurter Zeitung, der Neuen Züricher Zeitung, den Basler Nachrichten oder dem Bund in Bern. Obwohl Walser in seinem Leben nie Böhmen oder Prag besucht hat²⁵⁰, so ist dort doch ein geographischer Schwerpunkt zu konstatieren, an dem er einen sehr großen Anteil seiner Texte im Feuilleton der Prager Zeitschriften zum Druck bringen konnte. In Böhmen waren diese Publikationsorgane die Bohemia – Prager Tageszeitung, das Prager Tagblatt – hier veröffentlichte Walser von 1907– 1937 55 Texte – und die Prager Presse, in der in den Jahren von 1925 – 1937 insgesamt 205 Texte von Walser abgedruckt worden sind.²⁵¹

 Der Terminus ‚Prager Texte’ zur Bezeichnung der ausgewählten Walsertexte aus der Prager Presse und die Bezeichnung ‚Prager Autoren’ werden im Laufe des Kapitels erläutert werden.  Bei vielen Schriftstellern ist dies umgekehrt: Sie veröffentlichen erst kleine Texte in Zeitungen und schreiben dann größere Romane oder Erzählungen. Dennoch ist bei Walser von Beginn an in Fritz Kocher′s Aufsätze von 1904 aber auch in den Romanen von 1907– 1909 ein szenischer Charakter zu bemerken, der in seiner je einzeln miniaturhaften Abgeschlossenheit stark an die Form der kleinen Prosa in den Feuilletons der Zeitungen erinnert.  Vgl.: Todorow: 2009, S. 199.  Vgl.: von Reibnitz 2012.

2.7 Walsers Prager Texte

159

Die Verbindung nach Prag und dort vor allem zur Prager Presse ist wohl schon sehr früh über Franz Blei als Vermittler zustande gekommen, der die ersten Gedichte Walsers im Berner Bund 1897 gelesen und daraufhin den Redakteur Joseph V. Widmann angeschrieben hat, um so Kontakt zu Walser aufzunehmen. Blei ermöglichte Walser als Mitherausgeber der Monatszeitschrift Die Insel weitere Publikationen und stellte den Kontakt zu Otto Pick her, der ab der ersten Ausgabe der Prager Presse (27. 3.1921) als Feuilleton-Redakteur bis 1939 die Autoren für das Feuilleton auswählte und für den Inhalt des Abgedruckten verantwortlich war. Walser schickte Otto Pick ab 1925 regelmäßig neue Texte, die in aller Regel auch von Pick in der Prager Presse abgedruckt wurden – wie sich aus dem Abgleich des Briefwechsels zwischen Walser und Pick sowie der Prager Presse rekonstruieren lässt.²⁵² Aus dem Briefwechsel zwischen Walser und Pick lassen sich zwei Beobachtungen festhalten: 1. Dass Walser seine Texte an mehrere Zeitungsredaktionen schickte, bis sie zum Druck gelangten, wie der Brief von Walser an Otto Pick vom April 1926 belegt: Darf ich Ihnen hier eine Bühnenbesprechung nebst einem Aufsatz „Stil“ zur eventuellen Veröffentlichung anbieten? „Stil“ ist übrigens bereits einer deutschen Zeitung eingesandt worden und wurde mir zurückgegeben. (Br, S. 276)

2.

Dass Walser sich den Anforderungen und Wünschen der jeweiligen Redaktion anzupassen bemühte, wie sich aus demselben Brief an Pick entnehmen lässt: Die betreffende Zeitung bat mich, ihr Sächelchen einzusenden, worüber gelächelt werden könne. Ich bin jetzt damit beschäftigt, diese Art von belächelnswerten Sächelchen auszuarbeiten, was natürlich mitunter mit Mühe verknüpft ist. (Br, S. 276)

Aus diesen beiden Beobachtungen lässt sich ableiten, dass Walser geschickt in eigener Sache verhandelt: Er hat seine Texte wohl nicht gezielt für eine bestimmte Zeitung geschrieben, sondern versucht, sein vorhandenes Material möglichst breit gestreut bei verschiedenen Herausgebern unterzubringen. In Einzelfällen war er wohl auch bereit, falls möglich, Überarbeitungen auf Wunsch der Redakteure vorzunehmen. Dass auf diese Weise ein geographischer Veröffentlichungsschwerpunkt in Prag zustande gekommen ist, liegt wohl an dem wohlabgewogenen ästhetischen, vor allem aber wirtschaftlichen Kalkül, das Walser bei der Auswahl seiner Prosastücke angewandt hat und das den Prosastücken im

 Vgl. auch D. Müller 2011, S. 163; Seelig 1990, S. 11.

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internationalen Feuilletongeschäft durchaus einen „Warencharakter“ verlieh, wie Utz (2012, S. 49 f.) attestiert. Da jedoch, wie gezeigt, die Struktur auch längerer Prosastücke wie Der Spaziergang oder der Räuber durch die kleine Form der in ihnen aufzufindenden Miniaturen zersplittert ist, so ist anzunehmen, dass die Form der kleinen Prosa bei Walser nicht allein durch die platzökonomischen Vorgaben der Tageszeitungen bedingt ist, sondern dass vielmehr umgekehrt die knappen Spalten des Feuilletons Walser ein ideales Medium boten, seine Texte, die sich inhaltlich mit ebenso kleinen Motiven und szenischen Darstellungen beschäftigen, in den Zeitungen abzudrucken. Dass Walser bei der handschriftlichen Abfassung seiner Texte das GehaltGestalt-Gefüge in Hinsicht auf die Kleinheit der Motive und des Platzangebots beim Druck stets mitdenkt, ist in seinen Handschriften bereits in frühen Jahren zu sehen. Am deutlichsten jedoch erinnern die Mikrogramme aus den Jahren 1924– 1933 in ihrer graphischen Anordnung an die Feuilleton-Abdrücke in Spaltenform in Zeitungen.²⁵³ Dem Grundwesen des Feuilletons folgend haben Walsers Texte auf den ersten Blick wenig Bezug zu tagesaktuellen politischen Geschehnissen. So schreibt Walser Texte, die über das kulturelle Theatergeschehen der Zeit reflektieren, wie über den österreichischen Schauspieler und Operettensänger Alexander Girardi in dem Prosastück Über Girardi und allerlei Sonstiges (Prager Presse vom 18.12. 1928). Der reale Schauspieler Girardi bleibt der Aufhänger, bzw. steht beispielhaft für einen Text über die Schauspiel- und die Theaterszene, doch erfährt der Leser nicht allzu viel über ihn – in vier knappen Sätzen berichtet die Sprecherinstanz, die in der ersten Person Singular ‚Ich‘ erzählt, von Girardis Schauspielkunst. Sonst geht die Sprecherinstanz in dem Text rasch zu „allerlei Sonstigem“ über, das den größten Part des Prosastücks ausmacht, wie z. B. „Schauspiele, die ich irgendwann und -wo sah“ (SW 18, S. 271). Die Sprecherinstanz springt von einem Eindruck zum nächsten, die kaleidoskopisch in kurzen Absätzen festgehalten werden. Es ist dies zum Beispiel die Beschreibung der Einladung eines „als geistreich geltende[n] Mensch[en]“ oder die Erinnerungen an eine nicht näher benannte Schauspielerin. Auch schlüpft die Sprecherinstanz in die aus Von einem Dichter, Hier wird kritisiert und dem Räuber bekannte Rolle eines Kritikers – hier eines Theaterkritikers –, um „eine berühmte Liebestragödie“ zu rezensieren, „die mir im Stadttheater einer bekannten, schöngelegenen Stadt gleichsam auf einem Servierbrett serviert wurde.“ (SW 18, S. 272).

 Um dies zu veranschaulichen, vgl. Abb. 2: MKG. 484r im Anhang. D. Müller 2011/2012, S. 96.

2.7 Walsers Prager Texte

161

Im Text Emil und Natalie (Prager Presse vom 11.1.1930) sind dies sehr viele einzelne Eindrücke, die durch die Sprecherinstanz in jedem Absatz, ja beinahe in jedem neuen Satz verarbeitet werden, sodass durchaus der Eindruck entstehen kann, dass es sich bei der Sprecherinstanz nicht um ein einzelnes Ich, sondern um mehrere Ichs handelt, die gleichsam mit dem Bericht ihrer Erlebnisse den Text Emil und Natalie polyphon orchestrieren. In den beginnenden Sätzen von Ueber Girardi und allerlei Sonstiges führt Walser dieses Prinzip der mehreren Ichs vor, in dem die Sprecherinstanz in der ersten Person Singular vor seinen eigenen herrschaftlichen Eigenschaften erschrickt: Ich nahm vergangene Nacht einen kolossalen Knall; ein wahrer Paukenschall von einem Ohrenwiderhall war es, der davon herzurühren schien, daß irgend ein Gebieter oder Machthaber mit seinem Fuß auf den Boden stampfte, so ein Stück Grandiosität, daß seine Ungehaltenheit, Ungeduld zum Ausdruck brachte. War ich es etwa selber? Zugunsten des Glaubens, ich sei eine Wohlerzogenheit, verzichte ich darauf, mir ein Herrscherbenehmen zuzutrauen. (SW 18, S. 271)²⁵⁴

Das Zitat zeigt zum einen, dass Walser, ähnlich wie anhand der Werbetexte und -slogans, die er in Na also und dem Räuber, in seine Texte einbaut, sehr wohl auch Kenntnis von den tagesaktuellen, politischen Zeitungsinhalten genommen hat, die über dem Strich des Feuilletons stehen. Wenn ein „Gebieter“ oder ein „Machthaber“ auf den Boden stampft, so kann damit zum Beispiel ein Staatspräsident oder sonstiger politischer Führer gemeint sein, dessen Handeln einen (politischen) „Knall“ oder „Paukenschlag“ auslöst. Solcherlei politische Ereignisse sind in Zeitungsbeiträgen, wie „Zehn Jahre slowakische Unabhängigkeit“ oder „Kommunistendemonstrationen gegen Hoover“ kommentiert, die sich in der Ausgabe der Prager Presse vom 18.12.1928 zusammen mit Über Girardi abgedruckt finden. Des Weiteren zeigt dieses Zitat zusammen mit dem Befund der mehreren Ichs aus Emil und Natalie, wie Frank Möbus zu dieser Art des Walserschen Erzählens richtigerweise anmerkt, folgendes: ,Ich‘: Das kann hier auch die ,Beschreibung‘ oder ,Erzählung‘ selbst sein, die vom Ich des ,Verfassers‘ unterschieden ist, ein primäres Ich kann ein ganz anders sprechendes sekundäres Ich schaffen. Wo genau aber jeweils die Abgrenzung zwischen den einen und dem

 In seinem Vergleich Girardis mit den Schauspielerkollegen Rittner und Hauptmann attestiert Jürgen Fehling dem Schauspieler überragende Schauspielfähigkeiten: „Die Stücke, die dieser Schauspieler spielt, bekommen von ihm ihren Schein, wie die Erde von der Sonne, und wenn sie selbst Leuchtkraft besitzen […] so wird sie doch von seinem Glanze überstrahlt.“ Und weiter: „Ihr glücklichen Augen, die ihn gesehn!“, (Fehling 1915, S. 440).

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2 Einzelanalysen

anderen Ich verläuft, bleibt uns verborgen, da Walser keine formalen Wegmarken setzt: Die Stimmen seiner diversen Erzähler sind gelegentlich keiner bestimmten Instanz zuzuweisen, so daß wir schließlich nicht mehr zu beurteilen vermögen, wer uns was erzählt. (Möbus 2000, S. 210)

Die einzelnen Prosastücke Walsers, seien sie nun in der Prager Presse oder woanders abgedruckt worden, müssen durch ihre Kürze, die unzähligen Eindrücke, die sie kaleidoskopisch festhalten²⁵⁵, und durch das Zerfallen der Sprecherinstanz in verschiedene Instanzen²⁵⁶ ihrem Charakter nach etwas Fragmentartiges besitzen²⁵⁷, denn wie anhand der aufgezeigten Subjektkritik Nietzsches und deren ästhetischer Umsetzung in JGB, der GD und der Vorrede zu MA gezeigt, stellen jene Stücke durch die Annahme einer „Subjekts-Vielheit“ (JGB 12, KSA 5, S. 27) nicht nur die Einheitlichkeit desselben in Frage, sondern lassen durch narrative Widersprüche in der Struktur der Texte ein einheitliches Ganzes vermissen. Dass Barbara von Reibnitz die Texte Walsers in der Prager Presse als konstitutiv für Walsers Schaffen ansieht²⁵⁸ und dass diese, wie Dominik Müller feststellt, wie viele Texte aus der Berner Zeit (1920 – 1929)²⁵⁹, ihr eigenes „Verfertigtwerden“ (D. Müller 2011/2012, S. 178) thematisieren, mag der Sache nach richtig sein, berücksichtigt aber nicht die Tatsache und verkehrt vielmehr die intertextuell chronologische Kausalität, dass, wie gezeigt, bereits die frühen Prosastücke (zum Beispiel: Von einem Dichter, Fritz Kocher’s Aufsätze) genau durch dieses Verfahren strukturell geprägt sind. So identifiziert Thüring (2014) bei seiner Analyse des frühen Walsertextes Der Greifensee (1899) bereits einen diesem „eigenen poetischen Hypertext“, der als Zeuge einer „,moderne[n]‘ Selbstreflexion“ (Thüring

 Vgl.: Greven 1960/2009, S. 23.  Vgl. Utz: „In dieser Entwurzelung der Autorinstanz steckt aber eine Wurzel moderner, instabiler und reflexvier Autorschaft: die Dissoziierung des sprechenden ,Ichs‘ sowohl von seinem Gegenstand wie auch vom Namen einer realen Autorpersönlichkeit“ (Utz 2001, S. 158).  Vgl. dazu Gräfin von Schwerin: „Als ein (literarisches) ,Fragment‘ wird ein bruchstückhafter Text bezeichnet, dessen Ganzheit zerbrochen, unvollendet geblieben, verloren gegangen oder planvoll verfehlt worden ist. Das Fragment kann im engeren Sinne seit der Romantik zu den literarischen Kleinformen zugeordnet werden; seine offene Form unterscheidet es vom Aphorismus und bringt es in die Nähe zum Essay. Die fragmentarische Form ist im weiteren Sinne prinzipiell gattungsunabhängig: so gibt es fragmentarische Romane, Dramen und Gedichte.“ Von Schwerin baut ihre Definition auf der Friedrich Schlegels in seinen Athenäums-Fragmenten auf: „Ein Fragment, so schreibt Schlegel in der 206. Athenäums-Reflexion, müsse ,gleich einem kleinen Kunstwerk von der ungebundenen Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel.‘. Und im 24. Athenäums-Stück heißt es: ,Viele Werke der Alten sind Fragmente geworden. Viele Werke der Neuen sind es gleich bei der Entstehung‘“ (Gräfin von Schwerin 2011, S. 89).  von Reibnitz 2012, S. 595.  Nach: Greven 1960/2003, S. 23.

2.7 Walsers Prager Texte

163

2014, S. 146) den selbstreflexiven Verfahren der späten Texte Walsers in Nichts nachsteht. Allenfalls lässt sich eine Radikalisierung und Verdichtung dieses Verfahrens in diesen Texten beobachten, wie zum Beispiel in einem im Dezember 1929 in der Prager Presse abgedruckten Prosastück, das mit Fragment ²⁶⁰ betitelt ist, und in dem märchenhaft anmutenden Je t′adore vom Juni 1928 (ebenfalls Prager Presse). In dem Text, der gerade 35 Zeilen einer Textspalte der Prager Presse lang ist – also ungefähr ein Drittel des Girardi-Textes oder von Emil und Natalie umfasst –, tritt das Fragment in personifizierter Form in der Figur des Galans Fragmentino auf und buhlt um die schöne Schokolada. Diese weist ihn jedoch schroff ab und Fragmentino steht am Schluss alleine da, noch bevor eine Romanze sich überhaupt hat entwickeln können – es heißt im Text Je t’adore: „Fragmentinos Hut saß auf seinem Kopf wie die bildhaft wiedergegebene Täuschung über sich selber“ (SW 18, S. 325). Die Texte Walsers müssen nicht als Täuschung gelesen werden, doch erzeugen sie dadurch, dass sie zum Teil assoziativ eine große Vielzahl an Eindrücken festhalten, und durch die innere polyperspektivische Haltung des selbstreflexiven Ichs eine diegetische Fragmentarizität und werden dadurch experimentell in ihrer Konstruktion.

2.7.2 Prager Texte Hält man nun fest, dass die in der Prager Presse veröffentlichten und hier besprochenen Texte beispielhaft für Walsers Prosaexperiment sind, so sind drei verbindende Merkmale zu konstatieren, welche die bereits erarbeiteten Befunde bestätigen: 1. Die Texte zeugen von einer instabilen und reflexiven Erzähler-Instanz, was wiederum zu einer Dissoziierung des sprechenden ,Ichs‘ führt.²⁶¹

 Bei dem Titel muss man jedoch aufpassen, ob es sich um eine Fremd- oder Selbstzuschreibung handelt: Denn wie anhand von Prosper Merimée gezeigt wurde, hat Walser in der ersten Stufe seines zweistufigen Schreibverfahrens den Mikrogrammen in aller Regel noch keinen Titel gegeben. Diese setzte er erst nach der Abschrift mit Tinte dazu oder sie wurden von einem Redakteur hinzugefügt. Es ist somit nicht sicher, ob der Titel Fragment die von einem Redakteur gemeinte Bezeichnung einer Art Textgattung meint, oder ob Walser den Titel bewusst so gewählt hat.  Dissoziation: ein Begriff aus der Psychologie, der die Trennung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten beschreibt, welche normalerweise assoziiert sind. Diese Definition korrespondiert mit dem angeklungenen ästhetischen Wahrnehmungskonzept, das auf akustischen

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2. 3.

2 Einzelanalysen

Sie halten bedingt durch diese Dissoziierung kaleidoskopisch Eindrücke fest.²⁶² Sie besitzen diegetischen Fragmentcharakter.

Peter Utz, der hier für die folgende Position stellvertretend für weitere Autoren genannt sei²⁶³, hat bereits zu Recht angemerkt, dass es bei der Lektüre und dem Verständnis der Texte Walsers – seien sie nun als Prosastücke oder als FeuilletonArtikel verstanden – eine wichtige Rolle spielt, ob die Texte als Editionen wie den in von Joachim Greven besorgten Sämtlichen Werken bei Suhrkamp, in einer druckortbezogenen Kritischen Walser-Ausgabe ²⁶⁴ oder direkt in den Original-Zeitungen der Zeit gelesen werden.²⁶⁵ Denn zwischen „Buchdeckeln lesen sich die Feuilletons anders als verstreut in den Bleiwüsten der Zeitungen: Der Einzeltext verliert an Querbezügen zu seinem Zeitkontext, was er im ,Gesamtwerk‘ an werksinternen Bezügen gewinnt“ (Utz 1998, S. 296).

Gehörs-Hallucinationen und Lichtblitze visueller Art basiert. „Der Leser wird quasi zum Zeugen dissoziierten Denkens.“ (Gardian 2015, S. 486).  Vgl. die vorbereitenden Ausführungen zur Spiegelmetapher aus dem Räuber.  Vgl.: Jochen Greven: Robert Walser. Figur am Rande, in wechselndem Licht. Frankfurt a. M. 1992, bes. S. 21– 34; Peter Utz: In den Feuilletonpantoffeln tanzen. In: ders.: Tanz auf den Rändern. Frankfurt a. M. 1998, S. 295 – 368; Utz: Zu kurz gekommene Kleinigkeiten; Todorow: Intermediale Grenzgänge.  Die KWA nimmt für sich in Anspruch, durch „[d]ie druckortbezogene Edition […] einen neuen Blick auf den Rezeptions- und Produktionszusammenhang von Robert Walsers Texten“ zu eröffnen, bleibt jedoch letzten Endes hinter diesem Anspruch zurück. Denn die KWA liefert zwar die Namen der Autoren sowie deren Titel, die auf derselben Seite wie die Texte Walsers in den Tageszeitungen abgedruckt sind, allerdings nicht über diese Seite hinausreichend. Der Gang ins Archiv wird somit auch nicht durch die KWA abgenommen, möchte man die druckortbezogenen Intertexte zu Walsers Feuilletonbeiträgen aufspüren. Vgl. von Reibnitz 2012, S. 584.  Utz (2018) hat anhand Walsers Spaziergang gezeigt, dass auch bei größeren Erzählungen das Publikationsorgan – hier die Reihe Schweizerische Erzähler – eine entscheidende Rolle bei der Verortung und Beurteilung Walsers in den zeitgenössischen Literaturbetrieb spielen kann: „Als Band 8 erscheint dort von Johannes Jegerlehner Das verlassene Dorf. Zwei Geschichten aus dem Wallis. Dieses Bändchen flankiert den Spaziergang auf der andren Seite, neben dem Füsilier Wipf […]. Es steht exemplarisch für jene schweizerische Alpenliteratur, die in der Zeit Konjunktur hat: Das verlassene Dorf erzählt vom letzten Bergbauern auf einer unwirtschaftlichen, von den Naturgefahren bedrohten Alm im Aletschgebiet. Er widersteht der Versuchung, mit seiner Tochter nach Argentinien auszuwandern, weil ihn ,die starken Arme der Alpenheimat umklammert‘ halten und an die sprichwörtliche ,Scholle‘ [Jegerlehner 1917, S. 24 u. 33.] binden. Das bezahlt er, nach einem Sturz, mit seinem Leben. Man versteht, mit Blick auf diesen und ähnliche Texte dieses Genres, dass ein Eduard Korrodi im folgenden Jahr, übrigens ebenfalls im Hubert-Verlag, skeptisch feststellen wird: ,niemand wird behaupten, daß der Aufstieg auf die Alpen auch zugleich ein künstlerischer Aufstieg gewesen sei‘ [Korrodi 1918/1995, S. 53]“ (Utz 2018, S. 60).

2.7 Walsers Prager Texte

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Über diesen Ansatz können Walsers Texte über den Publikationsort Prag jedoch nicht nur, wie Utz dies über ein Verfahren der „Ohralität“ (Utz 1998, S. 256 – 294) im Zeitlärm vorführt, in den allgemeinen Zeitkontext gesetzt werden – Die „Ohralität“ registriert nach Utz sensibel die Eindrücke und verarbeitet diese ästhetisch. Utz führt dies anhand des Begriffsfelds der Nervosität vor. Dieses eignet sich für einen solchen exemplarischen Einblick in die Zeitbezüge von Walsers Werk, auch wenn es bei Walser zunächst marginal scheint. Denn ,nervös‘ ist mehr als nur ein beliebiges Modewort, das die dichterische Sprache seiner Zeit infiltriert. ,Nervös‘ meint auch und gerade die Porösität des Subjekts für die Zeiterscheinungen; ,nervös‘ ist in diesem Zusammenhang gleichzusetzen mit ,sensibel‘. (Utz 1998, S. S. 53)²⁶⁶

Das Verfahren, das Utz vorschlägt, ermöglicht jedoch einen Bezug zu den zeitgenössischen Schriftstellern, der nicht allein auf eine gegenseitige rezeptive Haltung fokussiert ist, sondern die verbindenden poetologischen Strukturmerkmale bzw. deren individuelle Ausprägungen über das Wahrnehmungskonzept in den Blick nimmt. Es hilft daher dabei nicht, wie dies z. B. Stromšík tut, einen wie auch immer gearteten ein- oder beidseitigen Rezeptionseinfluss zu konstruieren. Denn seine ernüchternde empirisch fundierte Feststellung, „[d]ie tschechische Walser-Rezeption ist leicht zu beschreiben: sie war praktisch gleich null“ (Stromšík 2007, S. 105), würde dieses Unterfangen schon vor seinem Start ad absurdum führen. Stattdessen ist die Einschätzung von Todorow zielführend, die die hohe Publikationsquantität der Texte Walsers in Prag folgendermaßen erklärt: Seine kontinuierliche literarische Präsenz am Rand der deutschsprachigen Welt in Prag legt die weitergehende Überlegung nahe, dass sein literarischer Ort an der einen, der weit westlich gelegenen Peripherie deutscher Sprache mit jener anderen, nicht nur östlicheren Peripherie der deutschsprachigen Minderheitenkultur Prags und ihrer deterritorialisierten ,kleinen Literatur‘ (Franz Kafka) müheloser und besser korrespondiert haben könnte als mit den dominanten reichsdeutschen, schweizerischen oder Wiener Feuilletons, die sich den Modernismen der zeitgenössischen Kunst doch nur zögernd und mit erheblichen Vorbehalten öffneten. (Todorow 2009, S. 199)²⁶⁷

 Allerdings bleibt Utz, wie schon in seinem Befund, dass es in Walsers Texten Verfahren gebe, die durch Nietzsche beeinflusst werden, auf der reinen Beschreibungsebene stehen. Eine wirkliche Analyse des ästhetischen Verfahrens an sich, welches die Kernmerkmale eines porösen Subjekts bilden, bleibt Utz schuldig.  Wie Morlang anhand der Interaktion zwischen Walser und Eduard Korrodi gezeigt hat, könnten auch pragmatische und persönliche Befindlichkeiten bei Druckerfolgen oder -misserfolgen eine Rolle gespielt haben (Morlang 2002).

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2 Einzelanalysen

Wenn Todorow von korrespondierenden literarischen Orten spricht, so ist der Schritt nicht abwegig, den in dieser Arbeit verfolgten Ansatz des poetologischen Vergleichs nicht nur auf Robert Walser und Friedrich Nietzsche zu beschränken, sondern deren ähnliche poetologischen Merkmale auch an Autoren und deren Texten auszuloten, welche diese spiegeln. Eine diesen Ansatz ermöglichende grundlegende Vorarbeit liefert Heidemarie Oehm in ihrer Berliner Habilitationsschrift, wenn sie die Gattungsform folgender Autoren und deren ausgewählter Werke als expressionistische Reflexionsprosa einordnet. Dieser Einschätzung vorangestellt ist ihre Analyse der von ihr so genannten Bewegungsstruktur der Selbstüberwindung der Subjektivität bei Nietzsche sowie eine existenzdialektische Bewegungsstruktur der Subjektivität bei Kierkegaard²⁶⁸. Die von ihr untersuchten Autoren sind, entsprechend der Reihenfolge ihrer Analyse: Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes, Albert Ehrenstein: Tubutsch, Carl Einstein: Bebuquin oder die Dilletanten des Wunders, Reinhard Goering: Jung Schuk, Paul Adler: Nämlich und Gottfried Benn: Rönne-Novellen. In dieser Zusammenschau schreibt Oehm den genannten Autoren ein verbindendes Element zu, das nicht allein durch eine gattungstheoretische Zuordnung oder zeitliche Zugehörigkeit zur wie auch immer definierten literarischen Epoche des Expressionismus funktioniert, sondern durch den gemeinsamen Bezug auf die Subjektivismuskonzeptionen Nietzsches und Kierkegaards fußt. Mit Oehms Ansatz ist es nicht nur möglich, die Debatte nach der Gattungszuordnung von Walsers Texten (wie bereits im Kapitel über den Räuber geschehen) um Konzepte zu erweitern, die eben die Perspektive auf einen poetologischen Vergleich mit Autoren ermöglichen, bei denen auf den ersten Blick keine Anknüpfungspunkte möglich scheinen, sondern in Verbindung mit Todorow die Fragestellung, was einen typischen Prager Text ausmacht, um eben jene Charakteristika der aus dem Vergleich resultierenden poetischen Merkmale zu erweitern. Wenn beispielsweise Susanne Fritz in ihrer 2005 erschienenen Studie anhand von Textanalysen von ,typischen‘ Prager Schriftstellern wie unter anderem Rainer Maria Rilke, Viktor Dyk, Max Brod, Egon Erwin Kisch, Hans Natonek, Karl Hans Strobl, Gustav Meyrink und Paul Leppin die „Entstehung des Prager Textes“ nachzuzeichnen versucht, so resümiert sie ihre Arbeit mit den beiden folgenden hauptsächlichen Kriterien, die „für die Zugehörigkeit einer Schrift zum >Prager Text< grundlegend [sein sollen]: 1. Prag als Folie der Projektion muß explizit namentlich benannt werden: ,[s]pätestens Meyrinks Erfolg [mit dem Golem, S.F.] macht ,Prag als Stoff‘ zur literarischen Mode‘ [Schmitz/Udolph 2001, S. 181] Dem entsprechen auf der Ebene der Werkstruktur oftmals

 Vgl. Oehm 1993.

2.7 Walsers Prager Texte

167

Selbstzuschreibungen (,ein Prager Roman‘, ,eine Prager Gespenstergeschichte‘ oder die Verwendung eines Prager Psychotops auf dem Buchdeckel usw.), die den Geltungsanspruch des nachfolgenden Textes formulieren. 2. Der Prager Kulturkreis muß symbolisch überhöht bzw. emotional besetzt sein, er muß als Psychotop fungieren. Neben bauliche Psychotope treten dabei historische; beide Kategorien machen das semiotische Inventar des „Prager Textes“ aus. Im Unterschied zu Schriften über Triest oder Venedig, die einen relativ einheitlichen >Text< der jeweiligen Stadt als bürgerliche Handelsstadt bzw. Zentrum der Dekadenz entwerfen, wird Prag von den unterschiedlichsten Interessengruppen für sich reklamiert: so etwa von Angehörigen des Judentums als Stadt des jüdischen Bürgertums […], von Deutschnationalen als Vorposten des Deutschtums […], von Esoterikern als mystische Stadt […], von Sozialisten als Brennpunkt ihrer Bewegung […], von Journalisten als Pressezentrum […] und natürlich nicht zuletzt von den Tschechen als Kapitale ihres Nationalstaats […]. (Fritz 2005, S. 209)

Walser und seine Texte lassen sich logischerweise weder unter das erste Kriterium, das „‚Prag als Stoff‘“ voraussetzt, noch unter das zweite Kriterium der symbolischen Überhöhung des Prager Kulturkreises subsumieren, denn weder kennt Walser Prag und dessen kulturellen oder städtebaulichen Alleinstellungsmerkmale aus eigener Erfahrung, noch ließe er sich als politischer oder weltanschaulicher Autor für eine der genannten Strömungen instrumentalisieren. Dies soll jedoch nicht heißen, dass Fritz’ Argumentation die Folgerichtigkeit ihrer Methode für den von ihr untersuchten Autorenkreis abgesprochen werden soll; vielmehr können anhand der aufgezeigten Merkmale der Prager Texte Walsers (den in Prag veröffentlichten Texten)²⁶⁹ wie einer instabilen und reflexiven ErzähIerinstanz, den kaleidoskopischen Eindrücken der Texte sowie deren Fragmentcharakter poetologische Ähnlichkeiten auch mit diesem Autorenkreis aufgezeigt werden. Die Autorengruppen Oehms und Fritz’ ergänzend, wird über die „werksinternen Bezüge“ (Utz 1998) und die genannten Merkmalen des Wahrnehmungskonzepts für die bereits besprochenen Walsertexte ein Bezug zu Autoren aufzuzeigen sein, der in einem ersten Schritt über ihre geographische Ansiedlung in Prag, ihre Mitarbeit bzw. über ihr Publizieren in der Prager Presse oder dem Prager Tagblatt zu bestimmen ist und deren Texte in den 1910er- und frühen 1920er Jahren entstanden sind. Die Autorengruppe, die mit ihren ausgewählten

 Walsers Prager Texte als Spätwerk greifen, wie bereits gezeigt, ästhetische Merkmale auf, die in den früheren Texten bereits angelegt sind und sich in den Veröffentlichungen der späten Jahre verdichten und radikalisieren. Aus diesem Grund werden in diesem Kapitel auch Passagen aus den Texten und Analyseergebnisse früherer Kapitel dieser Arbeit zur Argumentation herangezogen.

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Texten in den Blick genommen wird, ist die Folgende (in alphabetischer Reihenfolge)²⁷⁰: a. Paul Adler: Nämlich (1915); Die Zauberflöte. Roman. (1916)²⁷¹ b. Karl Brand: Novelle im Traum (1916/1992) c. Leonhard Frank: Der Irre (1918/1980) d. Hans Natonek: Wahnsinnig. Groteske (1920/1992)²⁷² e. Franz Werfel: Blasphemie eines Irren (1918/1992)²⁷³ Diesen Texten ist gemein, dass sie sich – wie es einige der Titel bereits andeuten – mit dem Irresein von Individuen und Wahnsinn, der durch gesellschaftliche Normen geprägt ist, als literarisches Motiv beschäftigen. Irresein und Wahnsinn werden zum Teil in expressionistischer Manier zu einem ästhetischen Verfahren gemacht oder anders ausgedrückt: Wahnsinn als Vehikel für Prosaexperimente verwendet. In den Texten ist das Verfahren konstitutiv, das Oehm am Beispiel von Paul Adlers Nämlich beschreibt: „[D]ie Scheidung von Innenwelt und Außenwelt, von Realität und Imagination, von Subjektivität und Objektivität [verliert] ihre Bedeutung“ (Oehm 1993, S. 259). Dabei soll der Wahnsinn nicht allein als Motiv verstanden werden²⁷⁴, auch nicht als bloße Beschreibung desselben, sondern als eine präzise poetologische Umsetzung „verwirrter und verwirrender

 Einen biographischen Überblick zu den Autoren Paul Adler und Hans Natonek gibt Serke (1987).  Ab 1921 Redakteur der Prager Presse. Teufel (2017) und Zittel (2018) haben jeweils eine Ausgabe u. a. der beiden Adler-Texte herausgebracht. Zitiert wird aus den jeweiligen Erstdrucken.  Natonek schreibt als Redakteur in der Prager Presse: Zeitungs-Impressionen (15. 2.1922). Hans Natonek ist der einzige der Autorengruppe, bei dem man auf zweierlei Weise eine Kenntnis von Robert Walser konstruieren könnte: 1924 wurde Hans Natonek zum Ressortleiter des Feuilletons und stellvertretenden Chefredakteur der NLZ [Neue Leipziger Zeitung] ernannt. „Regelmäßig brachten ,Leipziger Tageblatt‘, ,Leipziger Zeitung‘ bzw. ,Neue Leipziger Zeitung‘ Originalbeiträge oder Zweitdrucke von […], Max Brod, […] Joachim Ringelnatz, […] [und] Robert Walser.“ Über diese Redakteurstätigkeit und evtl. über Mund-zu-Mund-Propaganda von Joachim Ringelnatz, der Walsers Jakob von Gunten redigierte, hätte er Walser und dessen Texte kennen können. Vgl. Böttger 2013, S. 41.  Werfels Texte werden ebenfalls in der Prager Presse gedruckt.  Unter diesem Aspekt spannend ist, dass Thomas Anz Walsers Prosastück Der Traum (SW 4, S. 105 – 107) in seinem Sammelband Wahnsinn. Phantasien über den Wahnsinn. Expressionistische Texte. München 1980 neben 27 anderen von ihm als expressionistisch identifizierten Autoren mit ihren Texten wie Alfred Döblin: Die Ermordung einer Butterblume, Carl Einstein: Der Besuch im Irrenhaus, Jakob von Hoddis: Der Visionarr oder Ernst Blass: Der Nervenschwache herausgibt. „Wie im Traum doch alles an die Grenze des Wahnsinns streift.“ reflektiert Jakob von Gunten seine regelmäßigen Traumeskapaden, in denen er das Erlebte im Institut Benjamenta verarbeitet (KWA I/4, S. 77).

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Wahrnehmungssituationen“ (Zittel 2016, S. 119)²⁷⁵, wie es bereits im Räuber vorgeführt werden konnte. Selbstkommentare – wie zum Beispiel in der Zauberflöte von Paul Adler – „Ein Kurzschluß der Handlung! Papageno sprang auf die Bretter an falscher Stelle, in tobend gelbem Gewande. Anstatt zu singen, züngelte er zunächst wie die antike Schlange des Vorspiels gegen den hilflosen Tamino“ (Zauberflöte, S. 118) – zeugen von einer selbstreflexiven Haltung der Sprecherinstanzen in diesen Texten sowie davon, dass die dem Text immanente Poetologie nicht nur mitgedacht, sondern deren normative Kraft auf den Text stets explizit artikuliert wird. Gardian hat in seiner überzeugenden Analyse von Texten von Paul Adler und Robert Müller darauf hingewiesen, dass in deren Texten die „Ekstasen und Halluzinationen der psychopathischen Zustände sowie die Bilder des Traums […] nun fruchtbar gemacht und in Bezug zum rationalen Denken gebracht werden“ (Gardian 2015, S. 478). Gardian untermauert seine Argumentation mit dem Rückgriff auf Nietzsches Ausführungen über das mystisch-magische Bilderdenken in den Traum-Aphorismen von MA, in denen dieser das Bilderdenken, „als ein auf Analogie bzw. metonymischer Kontinguität und metaphorischer Äquivalenz – Freuds Mechanismen der Traumarbeit: Verschiebung und Verdichtung – statt auf

 Bereits 1910 veröffentlichte Walser im Simplicissimus das Prosastück Germer (SW 3, S. 114– 120) über die gleichnamige Hauptfigur, einen Büroangestellten, der aufgrund einer Arbeitsüberlastung und Gleichförmigkeit der Arbeit pathogene Züge des Wahnsinns aufweist: „Es wird auch nicht schlecht über die vermutlichen und vermeintlichen Ursachen von Germers geistiger Verwilderung hin und her gesprochen. Der Posten ist schuld. Der Posten ist zu aufreibend. Längst gehörte Germer vom Posten weg. Jeder andere würde an solch einem Posten ebenfalls verrückt. Und dann wird geflüstert, Rüegg sei schuld, Herr Rüegg, der Unterchef. Dieser habe den Germer mit kalter Berechnung in den Wahnsinn gehetzt“ (SW 3, S. 118). Und auch in dem 1914 in den Deutschen Monatsheften – Die Rheinlande ein Prosastück Der Traum (SW 4, S. 105 – 107) das in kafkaesker Weise das Erzähl-Ich in seinem Traum mit einer das Ich beherrschenden unpersönlichen, institutionellen Macht konfrontiert, finden sich Anklänge, die durch die Verfremdung der Realität durch den Traum das Ich als Unnormal erscheinen lassen: „Mir träumte, daß ich in eine Art von Anstalt und Institut hineingekommen sei, in einen Sonderbund, in eine verriegelte, unnatürliche Absonderung, welche von höchst kalten und höchst eigentümlichen Verordnungen regiert wurde“ (SW 4, S. 106); „Alles war mir unverständlich, doch das Grausamste war, daß sie nur über die Ratlosigkeit und Hilflosigkeit lächelten, in der sie mich sahen. Nach allen Seiten schaute ich mich mit flehenden Augen um, damit ich ein freundliches Auge sähe, doch ich sah nur den offenen mitleidlosen Hohn mich mit seinen Blicken messen“ (SW 4, S. 106). Die Absicht der Institution, die durch das anonyme Pronomen „sie“ vertreten wird, erzeugt eine luzide Realität, die das Erzähl-Ich gegen Ende des Prosastücks nur dadurch auflösen kann, dass es freudig feststellt, dass alles nur ein Traum gewesen sei: „Tot wie sie waren, setzten sie nur Tote voraus. Endlich erwachte ich aus all dem Hoffnungslosen. O wie freute ich mich, daß es nur ein Traum wa.“ (SW 4, S. 107).

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Kausalität beruhendes Prinzip“ (Gardian 2015, S. 478) beschreibt, sowie auf WL, wo Nietzsche die Rückgewinnung jener „ursprünglich in hitziger Flüssigkeit aus dem Urvermögen menschlicher Phantasie hervorströmenden Bildermasse“ (WL, KSA I, S. 883)²⁷⁶ thematisiert. Durch die narrativen Eigenschaften der Texte Adlers und Müllers, die denjenigen im Räuber gleichen²⁷⁷, käme schließlich das diegetische „atemporale[…] Erleben“ einer „chronologische[n] Absurdität“ (Gardian 2015, S. 483)²⁷⁸ heraus. Die Auswahl der Prager Autoren und ihrer Texte führt zudem den Ansatz von Zittel (2016) weiter, der gegen die vor ihm in der Forschung verbreitete Meinung, die Prager Autoren hätten einen ‚Inselstatus‘, argumentiert.²⁷⁹ Er widerlegt mit seiner Analyse der Veröffentlichung Anschauung und Begriff. Grundzüge eines Systems der Begriffsbildung ²⁸⁰ von Max Brod und Felix Weltsch die verbreitete Ansicht, dass es in Prag keinen fruchtbaren Austausch zwischen künstlerischen und wissenschaftlichen Avantgarden gegeben hätte. Dem eine brentanistische Position vertretenden Text wohne vor allem auch eine Poetik inne, welche die Prager Texte weit weniger wissenschaftlich, sondern in einer Poetik der Ver-

 Vgl. Walser: Naturstudie: „Was wir zu betrachten und an uns anzuziehen meinen, gießt sich aus unserem eigenen Innern hervor usw. Übrigens bezieht sich dies auf Späteres, während hier eigentlich von Früherem geredet sein sollte. Eigentümlich ist, wie mir Frühes und Spätes, Jetziges und Längstvergangenes, Deutlich-Gegenwärtiges und Halbschonvergessenes in- und übereinanderschwimmen und schimmern und wie blitzende Lichter, schwerfällige Wellen zusammenfallen und übereinanderwogen“ (SW 7, S. 60).  In Bezug auf Adlers Nämlich schreibt Gardian: „Gerade das Nebeneinander von Gattungen, Texten und deren Dekomposition, die Unvermitteltheit der Absätze, dann aber wieder die Fortsetzung einzelner Abschnitte selbst über Kapitelgrenzen hinaus heben die Einheit des Textes im Sinn von Kohärenz auf“ (Gardian 2015, S. 487 f).  Rodewald weist das Widerspiel von Vorläufigkeit und Wiederholung als „das dominante Spiel- und Strukturprinzip des Walserschen Werkes“ aus. Folglich „unternimmt Walser [in Fritz Kocher’s Aufsätze. B.S.] […] den Versuch, eine Geschichte zwar kontinuierlich zu erzählen, aber zugleich die Fragwürdigkeit eines solchen erzählerischen Kontinuums dadurch zu demonstrieren, daß ihm kein kontinuierliches Geschehen mehr entspricht“ (Rodewald 1970, S. 38, 41).  Zittel argumentiert damit – ohne sie zu zitieren – gegen Fritz (2005) mit ihrer Definition eines Prager Textes, die sich aus pragmotivischen und (lokal- und national‐)politischen Elementen speist und dadurch diesen Texten implizit einen Inselstatus zuspricht.  „Meine Leitthese lautet, dass die Schrift des Prager Autorenduos [Max Brod und Felix Weltsch: Anschauung und Begriff. Grundzüge eines Systems der Begriffsbildung. Leipzig. Kurt Wolff Verlag 1913.] als ein zentrales Bindeglied zwischen den in Prag vermeintlich getrennten Sphären von Wissenschaft und Kunst fungierte, da in ihr nicht nur eine originelle wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit dem Brentanismus geführt, sondern auch eine Poetik in nuce formuliert wurde. Liest man im Anschluss Texte der Prager Literaten vor diesem Hintergrund, nehmen sie sich weit weniger wissenschaftsfern aus, als gemeinhin angenommen“ (Zittel 2016, S. 63).

2.7 Walsers Prager Texte

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schwommenheit weit künstlerischer als bisher wahrgenommen erscheinen lasse. Seinem Untersuchungskanon gehören neben Franz Kafka: Die Aeroplane in Brescia (1909), Hugo Salus: Seelen und Sinne (1913), Fritz Mauthner: Abend im Irrenhaus (1914) Gustav Meyrinck: Chimäre (1913) auch Karl Brand: Novelle im Traum (1916/1992) sowie Paul Adler: Nämlich ²⁸¹ (1915) an. Über letzteren schreibt Zittel, dass er die Wahrnehmungsperspektiven in seinem kleinen Roman Nämlich durcheinander wirbelt, „indem er die vermeintlich apriorischen Verstandeskategorien aus den Angeln hebt“ (Zittel 2016, S. 104).²⁸² Die Ausrichtung der Argumentation wird auf die Analyse von Paul Adlers Texten Nämlich und Die Zauberflöte hinarbeiten, da diese, so die These, in ihren strukturellen und narrativen Verfahren denen des Räubers am nächsten stehen beziehungsweise die für Walser Prager Texte beschriebenen Merkmale am stärksten verdichtet vorweisen und ästhetisch umsetzen. Die Analyse der genannten Texte von Brand, Frank, Natonek und Werfel liefern argumentative Grundlagen zur Bestätigung dieser These.

1. Die Texte zeugen von einer instabilen und reflexiven Erzähler-Instanz, was wiederum zu einer Dissoziierung des sprechenden ,Ichs‘ führt In Leonhard Franks Text: Der Irre aus der Prager Presse von 1922 gibt es zwar keinen Erzähler der ersten Person, der über die namenlose Hauptfigur berichtet – namenlos aber offensichtlich ein ausgemachter Irrer, wie der Titel verrät. Doch kann Frank die Herausforderung der Selbstreflexion und der Dissoziation, die Trennung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten, in der innerpersonalen Struktur der Hauptfigur anlegen: Sie muss anhand der sie erreichenden – zumeist visuellen oder akustischen Wahrnehmungen – entscheiden, ob Krieg oder Frieden herrscht. Die friedliche Umgebung der Stadt lässt für ihn jedoch nur den Schluss zu, dass Krieg sein muss, „flüsterte das gesunde, sachliche Ich, das

 Vgl. die Rezensionen und Würdigungen: Ehrenstein (1916); Einstein (1916); Loerke (1916), Friedländer (1918).  Teufel ordnet Nämlich in den Kontext der modernen Psychopathographie ein, welche Wahnsinn nicht klinisch sondern metaphorisch begreift und die moderne Subjektkonzepte aufruft, „wie sie um 1910 eben nicht nur in den dafür zuständigen Wissenschaften, sondern auch in den Medien des literarischen Expressionismus diskutiert wurden und von dort auf die Literatur zurückwirkten“ (Teufel 2014, S. 262). Teufel nennt dazu exemplarisch die Publikation Die Einwirkung der Allgemeinheit auf das Individuum des Psychoanalytikers Ott Groß in der Aktion, wo Groß, unter Berufung auf Nietzsche und Freud, die Gesellschaft als erste Ursache pathogener Störungen des Individuums reklamiert (Groß 1913/1982). Der Einfluß Groß‘ auf die literarische Generation von 1910, besonders auf Franz Jung, Leonhard Frank, Walter Hasenclever, aber auch Franz Werfel, ist bekannt.

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sich im Hinterkopf des Irren verkrochen hatte“(Frank 1918/1980, S. 122). Sucht man in den Texten Walsers nach einer ähnlichen Personenstruktur, so wird man nicht nur im Textanfang über den Schauspieler Girardi fündig, wo sich die Sprecherinstanz über einen möglicherweise von ihr verursachten „Paukenschlag“ oder „Ohrenwiderhall“ erschrickt, sondern trifft auf ein sehr ähnliches Vokabular wie bei Frank, der von einem „sachliche[n]“ oder „hartnäckige[n] Ich“ (Frank 1918/1980, S. 122) spricht. In dem Mikrogramm 221 Nr. 2 mit der paradoxen Leseanweisung im Incipit „Leserinnen sollten, was mir hier entsteht, lieber nicht beachten“ (Textanfang) heißt es Noch nicht lang ist es seit der Sekunde her, die mir die Einbildung zu übermitteln gewußt hat, es sei eventuell prächtig für mich, mich in ein mit heroischer Musik durchflutetes und -duftetes Gemach oder auch bloß Lokal zu setzen, was denn auch prompt vom unermüdlichen Ich [Hervorhebung B.S.] ausgeführt wurde, dessen Vorhandensein ich immer wieder lebhaft begrüßte. (AdB 4, S. 20)

So wie der Namenlose in Der Irre Beweise sammelt, dass kein Krieg sein kann – „Wäre Krieg, dann würden auch die Schneeflocken nicht lautlos fallen, sondern giftig-krachend explodieren. Wäre Krieg, dann würden auch die Schneeflocken nicht weiß sondern rot sein.“ (Frank 1918/1980, S. 121) –, und in seiner Beweisführung als „phantasievolle[r] Irrsinnige[r]“ (Frank 1918/1980, S. 124) auf seine visuell-akustische Einbildung angewiesen ist, so lässt sich auch die Sprecherinstanz in diesem Mikrogramm von der verstrichenen Sekunde überzeugen ²⁸³, dass ein „unermüdliches Ich“ das Begehren nach einem Kaffeeaufenthalt ausführen muss. Wiederholt der Namenlose in Der Irre mantrahaft seine Bedingungsfloskel „Wäre Krieg […]“, die ihn überzeugt, dass Friede herrscht, so beziehen sich seine Eindrücke jedoch auf äußere Wahrnehmungen wie die Schneeflocken oder das Lachen von Passanten, lediglich das sachliche Ich in seinem Hinterkopf interpretiert diese äußeren visuellen und akustischen Wahrnehmungen.²⁸⁴

 Der Relativsatz bezieht sich ausdrücklich auf die ihm vorangestellte Sekunde. Wäre der eingeschobene Satz kausal zu verstehen, so müsste er heißen: „Noch nicht lang ist es seit der Sekunde her, dass mir die Einbildung zu übermitteln gewußt hat, es sei eventuell prächtig für mich, mich in ein mit heroischer Musik durchflutetes und -duftetes Gemach oder auch bloß Lokal zu setzen […]“. Diese Irritation mag ein bewusstes ästhetisches Kalkül Walsers gewesen sein, oder auf einen Transkriptionsfehler des Herausgeberteams der Mikrogramme zurückzuführen sein. Durch diese Ambiguität der Lesart jedoch wird auch diese Textstelle unter poetologischem Aspekt wieder zu einer ergiebigen: Sie irritiert in gleichem Maße wie die Begegnung der Sprecherinstanz mit ihrem unermüdlichen Ich.  Billeter spricht dem Namenlosen als Typus des Wahnsinnigen eine Sonderrolle in der expressionistischen Literatur zu; in ihr „wird der Typus des Wahnsinnigen häufig als der wahre Normale hingestellt, der sich radikal von allen gesellschaftlichen Zwängen befreit hat und der

2.7 Walsers Prager Texte

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Nicht so in den Mikrogrammen, wo die Einbildung als Subjekt die beiden Instanzen der Sprecherinstanz sowie das den Befehl der Einbildung ausführende unermüdliche Ich zu bestimmen scheint. Vervielfachen sich in Von einem Dichter die Erzählinstanzen, die narrativen Ebenen, sowie in Prosper Mérimée zusätzlich das Angebot, an einer bestimmten Stelle einen Textanfang zu definieren, so vervielfachen sich an dieser Stelle offensichtlich die Ich-Anteile und es kann vorkommen, dass die Sprecherinstanz ihrem Ich begegnet: „Auf einer der Bänke hatte eine mir nahestehende Persönlichkeit [Hervorhebung B.S.] Platz genommen, nämlich ich“ (AdB 4, S. 32). Mit Leopold Zieglers Zarathustra-Glosse kann dieser Befund wie folgt kommentiert werden: Das Subjekt „hat sich aufgelöst in ein Bündel von höchst ungleichen Tätigkeiten, Strebungen, Organen, in eine Mannigfaltigkeit der Zustände.“ (Ziegler 1916, S. 778).²⁸⁵ Ziegler belegt seine Argumentation nicht direkt mit Zitaten aus dem Nietzsche-Text, doch lässt sich seine Feststellung zum Beispiel im ersten Teil des Zarathustra, in „Von den Verächtern des Leibes“ nachvollziehen, wo „Selbst“ und „Bewusstsein“ getrennt voneinander betrachtet werden und in der Konsequenz auch „Selbst“ und „Handlung“ auseinander fallen (Z I, Von den Verächtern des Leibes, KSA 4, S. 39 f.)²⁸⁶. In einer radikalen Weiterentwicklung führt dies dazu, dass im Mikrogramm 409 Mit kraftvoller Zartheit in einem einzigen Satz drei Instanzen zu identifizieren sind, die einer Ich-Einheit zugerechnet werden können: „Mit kraftvoller Zartheit bewegt sich meine an Schreibmaschinen denkende, kaffeehausbesucheinbetrachtziehende Ichheit [Hervorhebung B.S.], die ihr Ich eigentlich gar nicht mehr empfand, unter dem Dach einer alten Brücke“ (AdB 4, S. 49). Es ist dies die durch das Possessivpronomen „mein“ bestimmbare Sprecherinstanz, eine „Ichheit“²⁸⁷,

einzige Sehende unter den Blinden ist. Sein menschlicher Wahnsinn ist die Antithese zum angepassten Bürger; das Motiv des Wahnsinns gibt die Möglichkeit, die angenommen ,gesunde‘ Welt des Bürgertums aus der Sicht des Irren grotesk und klarsichtig zu entlarven“. Allerdings bleibt die Frage nach dem ästhetischen Gehalt des Textes und seiner Machart durch diese typologisierende Gegenüberstellung unbeantwortet. Vgl. Billeter 2005, S. 207.  Vgl. auch: Villwock 1993, S. 124; Corinna Schubert spricht unter philosophischer Perspektive jüngst von einem variablen Ich bei Nietzsche, „in immer neu sich ziehenden, sich wieder verwischenden, permeablen Grenzen. Der diagnostische ,Zerfallsprozess‘ ist also bei genauerem Hinsehen nicht nur ein solcher, dissoziierender, sondern in gleichem Maße auch ein aneignender, assoziierender“ (Schubert 2014, S. 183). Dellinger betont, dass es sich bei Nietzsches Perspektivismus, keinesfalls um einen Relativismus handele, da die „Bewertung von Perspektiven [in den Texten Nietzsches] selbst Teil des Perspektivengeschehens, nicht aber ein unabhängiger, es stabilisierender Faktor ist“ (Dellinger 2017, S. 68) – Gleiches gilt für das Ich in Walsers Texten.  Vgl. dazu: Strinz 2017.  Nietzsche verwendet in der GT für die Charakterisierung des apollinischen Lyrikers den Begriff der „Ichheit“: Die Bilder des Lyrikers sind „nichts als e r selbst und gleichsam nur ver-

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die durch das okkasionell wortgeschöpfte lange Adjektiv charakterisiert ist und durch das ungewöhnliche Suffix wie ein „Gebieter oder Machthaber mit […] Herrscherbenehmen“ (SW 18, S. 271) wirkt, sowie ein weiteres ‚Ich‘, das zwar im Text erwähnt, aber nicht empfunden wird. Wer von den beiden Ichs aber tatsächlich empfindet (die „Ichheit“ oder das zweite „Ich“), bleibt durch die grammatikalisch ambige Formulierung aber letzten Endes offen und so liegt wiederum das Bild des von Nietzsche ins Spiel gebrachten vermeintlichen „Regenten“ (NL 1885, KSA 11, S. 638) nahe, der glaubt, die in der „Subjekts-Vielheit“ (JGB, 12, KSA 5, S. 27) innewohnende „Vielheit von Kräften“ (NL 1885, KSA 11, S. 461) beherrschen zu können. Gleich der Sprecherinstanz von JGB, die ausgehend von den philosophischen Überlegungen Afrikan Spirs nach einer „unmittelbaren Gewissheit“ (JGB 17, KSA 5, S. 30) sucht, suchen die Sprecherinstanzen im Kanon der in diesem Kapitel besprochenen Texte nach der für ihre Subjektkonstitution unmittelbaren Gewissheit, die allerdings nicht gefunden werden kann, wie die poetische Umsetzung der kaleidoskopischen Eindrücke und die mannigfaltig aufgespaltenen Anteile der Ichs in den Texten zeigen. In Natoneks Groteske Wahnsinnig wird der Student Peteroff das Opfer eines Hörfehlers, das Opfer seiner eigenen akustischen Fehlleistung, die ihn beinahe seine gesunde Existenz kostet: Der Student Peteroff hört, wie ein Kommissar bei seiner Zimmerwirtin einen Paul Petterhofer sucht: „Wohnt hier der geistesgestörte Student der Rechte Paul Petterhofer?“ (Natonek 1920/1992, S. 385). Aufgrund des Gleichklangs der beiden Namen Peteroff und Petterhofer nimmt der Student an, dass Diagnose und Fahndungsbefehl ihm gälten und nimmt sie in einer kranken Logik direkt an: „Er hatte das Gespräch nebenan gehört; hatte erfahren, daß er wahnsinnig war. Ganz deutlich. Geistesgestört – und sein Name“ (Natonek 1920/ 1992, S. 385). Dieser Logik folgend führt er – vernunftbasiert – die irritierende und widerspruchsvolle Handlung durch, wahnsinnig zu sein Es schien ihm das Vernünftigste, still zu halten und wahnsinnig zu sein. Wahn-sin-nig. […] Zur Sicherheit schrieb er mit Blaustift auf ein großes Blatt Papier: ,Ich – bin – to – tal wahn – sin – nig – Basta.’ Und fühlte sich bedeutend ruhiger. (Natonek 1920/1992, S. 386)

Es liegt auf der Hand, dass der Gleichklang der beiden Namen, genau wie die von Walser in seinen Prosatexten häufig verwendeten reimenden Wortspiele –

schiedene Objectivationen von ihm, weshalb er als bewegender Mittelpunkt jener Welt ,ich‘ sagen darf: nur ist diese Ichheit nicht dieselbe, wie die des wachen, empirisch-realen Menschen, sondern die einzige überhaupt wahrhaft seiende und ewige, im Grunde der Dinge ruhende Ichheit, durch deren Abbilder der lyrische Genius bis auf jenen Grund der Dinge hindurchsieht“ (GT, KSA 1, S. 45).

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wie z. B. „Paukenschall von Ohrenwiderhall“ (SW 18, S. 271)²⁸⁸ im Girardi-Text – eine ästhetisch-akustische Umsetzung dessen sind, was man als schizophrene Stimmen bezeichnen kann: Sie klingen zum Verwechseln ähnlich und die Sprecherinstanz kann nicht feststellen, welche die reale Stimme ist, da auf der poetischen Ebene auch nicht aufgrund der vielen Subjektangebote wie Sprecherinstanz, ‚Ichheit‘ oder ‚Ich‘ und der grammatikalischen Ambiguitäten nicht definiert werden kann, welche Instanz nun Subjekt und welche Objekt ist. Ähnlich wie in Natoneks Groteske greift auch Walser im Mikrogrammtext mit dem Titel Wie die sich so selber fallen ließ die Idee auf, dass sein erzählendes Ich dem Wahnsinn zugeschrieben werden könnte. Hier allerdings in umgekehrter Perspektive, das Ich gibt seinem Gegenüber für einen Augenblick das Signal, selbst wahnsinnig zu sein: „So z. B. sagte ich einst zu meinem Jugendfreund Firmiani: ,Du, ich bin wahnsinnig.‘ Ich sagte ihm das so aus Laune. Es war lediglich ein Einfall. Aber er hielt′s für wahr“ (AdB I, S. 33). Tatsächlich wahnsinnig wird der Protagonist in Franz Werfels Blasphemie eines Irren dargestellt, der als Ich-Erzähler offensichtlich als Insasse einer Klinik eine nicht näher bezeichnete Gruppe von Menschen als „meine Herren“ anspricht und diesen erläutert, dass er „Gott“ der Herr sei. Er ist dabei überzeugt, „gut bürgerlich und ohne weiteren Titel“ (Werfel 1918/1992, S. 354) eine Funktion (nämlich die von Gott) zu erfüllen, die ihn als Individuum auszeichnet, was er den gesamten Text hindurch trotz offensichtlich durchgängiger Anwesenheit der „Herren“ in einem Monolog gegenüber diesen erläutert – ein Dialog kommt nicht zustande, da der Ich-Erzähler in einem assoziativen Redefluss etwaige Fragen der „Herren“ vorwegnimmt, diese selbst artikuliert und ohne Unterbrechung die Antworten darauf liefert. Obwohl der Ich-Erzähler in Blasphemie eines Irren – anders als der Student Peteroff in Natoneks Groteske, der erst durch das akustische Missverständnis die Diagnose des Wahnsinns für sich annimmt, – von seiner Identifikation als Gott überzeugt ist, was er durch seine „sonore Stimme“ beweist: „Jetzt wo ich aufrichtig von meinem Dasein überzeugt bin, bitte ich – hören Sie, meine Herren –, bitte ich zu glauben, daß ich bin und daß ich der bin, der ich bin“ (Werfel 1918/1992, S. 357), so widerstrebt ihm letzten Endes seine eigene Erkenntnis, durch diese Gewissheit als ein Individuum oder ein Individualist zu gelten. „Ich habe schmerzlich erkannt, daß ich ein Individuum bin, ein Individualist! Hören Sie: Indivi-Dualist“ (Werfel: 1918/1992, S. 357), artikuliert der Ich-Erzähler, bestimmt aber doch unzufrieden mit diesem Befund. Die Begründung dieser Unzufriedenheit sucht er in der Logik der Sprache, die ihm

 Zu den gleichklingenden Wortspielen siehe auch den Chiasmus in Leserinnen sollten, was mir hier entsteht, lieber nicht beachten: „Schaffende schlafen und Schlafende schaffen“ (AdB 4, S. 20.)

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zum einen die Möglichkeit eröffnet, gleich einer bürgerlich anerkannten Identität in einer Klinik Gott zu sein, ein Zustand, mit dem er sich offensichtlich abgefunden zu haben scheint. Zugleich evoziert die Logik der Sprache eine für ihn paradoxe Situation, da sie ihn gleich dem Studenten Peteroff in Natoneks Groteske von einer fremden, ihn bestimmenden Autorität abhängig macht. Glaubt jener durch eine ihn im Grunde nicht betreffende Diagnose, tatsächlich wahnsinnig zu sein, und fügt sich durch sein Verhalten in diese Rolle, so hadert dieser sprachkritisch mit der ihn beschreibenden Begrifflichkeit „Indivi-Dualist“, die druckgraphisch bereits als zwei Bedeutungseinheiten markiert ist: „Pfui diese Sprache! Glauben Sie ja nicht, daß sie niemals und nirgends, daß sie mystisch entstanden ist. Sie stammt immer von Autoren her, von zweideutigen Schuften. Hören Sie nur, wie sie sich über uns auf lateinisch lustig machen. Sie sagen: ,Unteilbar und zwiefach‘ in einem Wort“ (Werfel: 1918/1992, S. 357). Der den IchErzähler in Blasphemie eines Irren durch die begriffliche Einengung festlegende Autor und die eine Krankheit diagnostizierende Autorität in Wahnsinnig sind somit von der Sprachbedeutung her gleichzusetzen, nämlich als Urheber des Schicksals ihrer Figuren.²⁸⁹ Karl Brands Novelle im Traum deren Erstdruck 1916 im Prager Tagblatt erfolgte, unterliegt einem Kompositionsprinzip, das Walsers Prosastück Der Traum von 1914 sehr ähnelt und dabei ein dissoziierendes Ich in walserscher Manier entwirft. Die Handlung beginnt mit einer Sprecherinstanz in der ersten Person Singular (einem Ich-Erzähler), der nachts am Bett seines durch eine schwere Lungenkrankheit fieberkranken und fantasierenden Freunds sitzt: Ich fühle, so berichtet der Ich-Erzähler, daß „der Kranke die grauumwölkten Augen aufschlägt und in die meinen bohrt, etwas schreit in mir stumm auf, … fühle … weiß, furchtbares Bewußtsein, ich bin in den Leib des Todkranken eingekerkert … ich fühle den Schmerz und pfeife den Husten aus der wehen Lunge“ (Brand 1916/ 1992, S. 413). Die Wahrnehmung, in den Körper des sterbenden Freundes übergegangen zu sein, nimmt der Ich-Erzähler wohl deswegen wahr, weil er ob der fortgeschrittenen Stunde am Bett des Freundes einschläft und beginnt, ähnlich wie Walsers Ich in Der Traum einen luziden Traum zu träumen: „[I]ch bin wach

 Keinesfalls ist jedoch mit der Beziehung des Autors ein sozialpsychologisch-biographistischer Ansatz gemeint, den Weber verfolgt. Zum einen müsste klar sein, dass der biographische Autor nicht mit seinen Figuren gleichgesetzt werden kann, zum anderen konnte anhand Fritz Kocher’s Aufsätze gezeigt werden, welche produktiv-ästhetischen Möglichkeiten sich eröffnen, liest man diese Darstellungsweise als ein geschicktes Spiel mit der Autorschaft. Vgl. Weber 1990: Weber wählt einen biographischen Ansatz, der die Persönlichkeitsstruktur und die biographischen Erfahrungen des Autors Werfel mit denen seiner Figuren vergleicht. So sieht Weber Parallelen im oralen (S. 70 ff.), im analen (S. 76 ff.) sowie im ödipalen Thema (S. 83 ff.).

2.7 Walsers Prager Texte

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im Schlaf und weiß alles, was draußen vorgeht…“ (Brand 1916/1992, S. 413). Nun in der Perspektive des Todkranken gefangen, irrt der Ich-Erzähler rastlos durch die nächtlichen Straßen und Gassen in Prag: Kaum daß ich noch gehe, selbst verwundert über mich selbst, vergesse ich das Bild der Straße, der Häuser. Dann aber schrecke ich auf … dort, das Haus, das ich bewohne, von dem Hause fort bewegt sich ein Leichenzug. Er kommt an mir vorbei, ich sehe die schwarze Leinwandtafel mit den weißen Buchstaben und irgend einem blauen Wappen. Ich sehe näher hin: Die Tafel trägt meinen Namen … man begräbt mich und ich stehe hier, lebe, Wahnsinn will mein Hirn zerfetzen und der wilde Aufschrei lähmt mich. (Brand 1916/1992, S. 416)

Ebenso wie bei Walser geschieht zum Ende des Textes die Lösung aus dem Traum oder Alptraum: … da öffnen sich zwei Augen, ich sehe das grüne Nachtlicht, ich sitze im Lehnstuhl neben dem Kranken und halte seine brennende Hand in der meinen. Kalter Schauer schüttelt mich. Ich liebe ihn, den einundzwanzigjährigen Jüngling, aber ich weiß, er wird sterben, bald sterben. Seine heiße Hand hat mirs gesagt. (Brand 1916/1992, S. 416)

2. Die Texte halten – bedingt durch die Dissoziierung des Ichs – kaleidoskopisch Eindrücke fest Ähnlich wie die Texte Walsers oft nur in einem Satz die unterschiedlichsten Eindrücke ausschnittartig festhalten, geschieht dies in den Texten der vorgestellten Prager Autoren. In Leonhard Franks Der Irre entsteht eine abwechselnde Perspektive auf die Phänomene Krieg und Frieden in Verbindung mit Wahnsinn und geistiger Gesundheit. Bedingt durch die Dissoziierung des namenlosen Irren, der mit den widerstreitenden Wahrnehmungen seines hartnäckigen Ichs und seinem gesunden Ich zu kämpfen hat, wird seine Erkenntnis eingeschränkt und er exemplarisch für einen Menschen, „der nur das wissen darf, was ihm an Wissen zugeteilt, zugemessen wird“ (Frank 1916/1980, S. 123). Bei den stattfindenden Dialogen, in denen zwei Stimmen das Für und Wider, die Richtigkeit der einen oder der anderen Wahrnehmung diskutieren, ist folglich nicht ganz eindeutig zu bestimmen, welcher der beiden Anteile denn nun tatsächlich eine Aussage macht und, ob diese – angesichts der an dieser Stelle des Textes fehlenden Objektivierungsmöglichkeit durch mangelnde Kontextinformationen wie Erzählerkommentar oder beschreibenden Text – Gültigkeit besitzt. Erst in den letzten Sätzen des Texts wird die Annahme des Namenlosen, dass Frieden sei, durch einen als objektiv erkennbaren Erzählerbericht, der das Wechselspiel der Stimmen und subjektiven Eindrücke auflöst, objektiv als falsch zu erkennen gegeben,

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denn es ist letzten Endes „Tatsache, daß Krieg war“; die Straßen sind voll von „Leid“, „Krüppeln“ und „Kriegsbericht[en]“ (Frank 1916/1980, S. 124). Der Student Peteroff in Natoneks Groteske Wahnsinnig nimmt aufgrund seines tragischen Hörfehlers die Diagnose des gesellschaftlich normierten Wahnsinns und damit eine bestimmte Perspektive an: „Höchste Zeit, das Individuum in einer Irrenanstalt zu internieren – gemeingefährlich, viel zu lange herumlaufen lassen“ (Natonek 1920/1992, S. 385) Die Traumabschnitte, die sequenzartig an der Hauptfigur Karl Brand vorbeiziehen, sind ähnlich knapp wie Walsers meist einsätzige Texteindrücke, die ihre Sprecherinstanz berichtet. Der Erzähler von Brands Novelle im Traum beginnt in der dritten Person über seinen siechenden Freund zu berichten und nimmt schließlich die Perspektive des Todkranken und Fiebernden ein. Im seinem Traum – oder im Fieberwahn des sterbenden Freundes – irrt er durch die nächtlichen Straßen und nimmt in einer surrealen Realität mehrere Begegnungen wahr, die er berichtet, als würde er ein einzelnes Bild beschreiben: Im Dunkel eines Haustores auf den Fliesen kauert ein Wesen. Ich beuge meinen Kopf an sein Gesicht. Ein Mann ohne Nase, das linke Auge ausgeflossen, das rechte traurig in den Himmel gestochen. Auf seinem Schoß hält er eine Ziehharmonika, die Finger spielen, aber kein Ton dringt aus dem bauchigen Instrument hervor. Ich fliehe … (Brand 1916/1992, S. 414)

Die Bilder, die durch den Erzähler in der Novelle im Traum beschrieben werden, wechseln jedoch genauso rasch einander ab, wie die ungebremste Kaskade an Fragen und Antworten, die der Ich-Erzähler in Blasphemie eines Irren in einem assoziativen Redefluss produziert.²⁹⁰ Der Wechsel der Perspektive, der Übergang zwischen objektivem Ich-Erzähler und träumenden Ich, das seinem eigenen Leichenzug begegnet, geschieht subtil und erfordert beim Leser höchste Konzentration, um die einzelnen Ebenen auseinander halten zu können (Das Verfahren, die Erzählerinstanz zu wechseln beziehungsweise die klare Trennung zwischen den Figuren zu verwischen, ist aus Von einem Dichter und dem Räuber bekannt). Die Abschnitte in Paul Adlers Nämlich – über 100 Abschnitte auf 95 Druckseiten – sind zum Teil durch Überschriften als Aufzeichnungen der Hauptfigur, des IchErzählers (Paolo Sauler) gekennzeichnet. Durch die Kürze ihrer Form aber auch durch ihre große Zahl bleiben sie fragmentarisch und bieten einen kaleidoskopischen Blick auf die Erfahrungswelt der Hauptfigur.

 Vgl. die Fragekaskade in JGB 1.

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3. Die Texte besitzen diegetischen Fragmentcharakter Durch die Dissoziierung der Ich-Erzähler in den Texten und deren kaleidoskopische Wahrnehmung erhalten die Texte diegetisch einen fragmentarischen Charakter. Dieser drückt sich durch nicht näher spezifizierte Dialoge, deren Dialogpartner nicht eingeführt werden (Der Irre), durch kurze Abschnitte (Nämlich, Die Zauberflöte) oder durch fehlende Informationen aus. Dies wirft mit Blick auf die Form der Texte die Frage nach deren Gattung auf, die, wie anhand der Zuschreibung des Räubers als Roman gezeigt wurde, diskussionswürdig ist. Für Walsers Texte gibt es die unterschiedlichsten Gattungsbezeichnungen, die man je nach Urhebergruppe der Benennung in drei Kategorien unterteilen kann: Zum ersten die von Walser selbst gewählten Begriffe und Bezeichnungen wie Prosastücke, Essays, Aphorismen, Jakob von Gunten, Ein Tagebuch, und zum zweiten die von den zeitgenössischen Herausgebern in den Zeitungen vergebenen verschiedenen Bezeichnungen wie zum Beispiel: Dramatisches (Tobold), Episches (Zwei Aufsätze: Rinaldini – Lenau, zusammen mit Kafkas Das Urteil), Lyrisches (Gedicht: Handharfe am Tag, Brod 1913/ 1978, Inhaltsverzeichnis), Drei Lieder von Robert Walser (Insel II/3, S. 112) oder Sieben Stücke. ²⁹¹ Zum dritten gibt es die Gattungsbezeichnungen der Sekundärliteratur, die Jochen Greven in einem Aufsatz 1987 wie folgt zusammengefasst hat. Er kommt auf 16 Gattungsbezeichnungen: „Aufsatz, Artikel, Studie, Essay, Glosse, Traktat, Tagebuchnotiz, Plauderei, Skizze, Phantasie, Märchen, Anekdote, Erzählung, Novelle, Bild, Gedicht in Prosa“ (Greven 1987, S. 83). Die bereits für Walser durchexerzierte Fragestellung nach der Angemessenheit der Gattungsbezeichnung ‚Roman‘ für den Räuber soll ebenfalls für die beiden Texte Nämlich und Die Zauberflöte Paul Adlers diskutiert werden, da diese, obwohl sie beide circa zehn Jahre vor der Entstehung des Räubers veröffentlicht worden sind, in Bezug auf die Textgestalt sehr ähnlichen Verfahrensweisen unterliegen. Adlers Nämlich führt als Vorspruch ein (Pseudo)-Zitat Hölderlins: ‚Da nämlich ist Heinrich gegangen.‘²⁹² Das Wort ‚nämlich‘ ergreift Adler nicht nur für den Titel des Textes, sondern auch als Zauberwort für den Ich-Erzähler Paolo Sauler, dass bald dieser selber, bald Christus, bald der Vater auf Erden oder im Himmel sein wird. Diese Verschiebung der Bedeutung von einer realen Figur

 Die weissen Blätter. Eine Monatsschrift, Jg. 1/I (1913/1914). Kraus Reprint Nendeln/Liechtenstein 1969.  Baßler sieht darin eine Variante von „Da ist Ulrich / Gegangen“ aus dem Winkel von Hardt (Baßler 1994, S. 31). Teufel weist in ihrem Stellenkommentar der gesammelten Werke Adlers darauf hin, dass der Titel nicht nur den als Motto vorangstellten Hölderlin-Vers zitiert, sondern vielmehr zugleich auf den wichtigsten Referenztext von Nämlich, auf Gerhart Hauptmanns Roman Der Narr in Christo Emanuel Quint (1910) verweist; Nämlich 1917, S. 141 f.

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(Paolo Sauler) zur nächsten durch diesen imaginierten, auf die im letzten Abschnitt dieses Kapitels („Poetologie der Unverständlichkeit“) unter akustischem und noetischem Aspekt noch näher eingegangen werden wird, erinnert in ihrem Verfahren an die Verdoppelungsbewegungen aus dem Räuber, welche dort anhand der Spiegelmetapher erläutert wurden: Dort wird nach dem Vorbild aus dem frühen Prosastück aus Fritz Kocher’s Aufsätzen die Räuberfigur wie durch einen Spiegel verdoppelt und durch die narrative Verschränkung der Erzählebenen und -perspektiven sind die Räuberfigur und die Sprecherinstanz nur schwer auseinanderzuhalten. Gleichzeitig führt diese Verdoppelung zu unvollständiger Informationsweitergabe und in der Folge zu widersprüchlichen Aussagen der Figuren und irritierenden Situationen. Ähnliches gilt für die genannten Figureninstanzen in Nämlich: Die Perspektive des Ich-Erzählers auf seine Umgebung führt in dem Text, der keine logische Entwicklung hat, zum einen dazu, dass die Aufschriebe der Hauptfigur unvollständig und unzuverlässig sind und zum anderen setzt Adler den Wahnsinn ästhetisch um, in dem er den Text nicht in einzelne Kapitel einteilt, sondern in größtenteils nicht übertitelte Einheiten, die, ähnlich wie im Räuber, perspektivisch einzelne Eindrücke festhalten und in ihrem Zusammenspiel eine mehr oder weniger plausible Handlung ergeben: „Ich weiß wirklich nicht, warum ich seit einiger Zeit so abgerissen in meinen Niederschriften bin. Mein Gedächtnis leidet zusehends. […] Ich bin mir selbst schon vollkommen mysteriös“ (Nämlich, S. 159). Anders als jedoch in Prosper Merimée, wo das Auftauchen der zehn Vagabunden durch die Sprecherinstanz selbstreflexiv als eine „Phantasieentgleisung“ (AdB 1, S. 113) kommentiert und durch diese Metalepse die Erzählung wieder in geordnete Bahnen gelenkt wird, gelingt es der Sprecherinstanz in Nämlich, dem Ich-Erzähler auf den ersten Blick nicht, eine solche, das narrative Verfahren des eigenen Textes korrigierende, selbstreflexive Haltung einzunehmen. Denn die Aussage: „Nur noch dieses Eine, Flüchtigste, ohne das alles andre ein Bruchstück ist“ führt nicht dazu, dass das angekündigte ‚Eine, Flüchtigste‘ den Text davor bewahrt, „ein Bruchstück zu bleiben“ (Nämlich, S. 45). Vielmehr folgt das narrative Verfahren in Nämlich hier dem der unzuverlässigen, weil nicht erfüllten Prolepsen im Räuber oder der Ironisierung eines Textanfangs in Prosper Merimée. Das ästhetische Verfahren zeigt an diesen Stellen die narrativen Widersprüche auf, die vorführen, dass der Text in seiner ästhetischen Umsetzung nicht das vollzieht, was poetologisch in ihm angekündigt worden ist. Die Sprecherinstanz im Text Nämlich versucht zwar, eine narrative Ordnung herzustellen, die ähnlichen Verfahrensmustern wie dem im Spaziergang unterliegt. Diese geben dort als Wegmarken des physischen Spazierengehens der Hauptfigur topographische Punkte und zukünftig zu erreichende narrative Stationen an, die den Verlauf der Handlung zuverlässig strukturieren. So versucht der Ich-Er-

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zähler in Nämlich sich auf einem gemeinsamen Ausflug der Anstaltsinsassen über Straßennamen Orientierung zu geben: Ihr sagt, ich müßte das wissen. Ich muß mit euch gehen. Was wissen, weshalb gehen, wohin wissen? Das hier ist Staub, das dort ist eine dicke Spinne. Rühret Dienerinnen, nicht an diesen Staub! Da sind wider Mauern, dazwischen ist Raum genug für das Unbekannte. […] Da ist die Nürnberger Straße, das die Regensburger Straße und hier die von Eger. Hier oder dort? Im König von Ungarn oder von Polen? Und welcher Art Gespenst? (Nämlich, S. 46)

Die fragende Struktur der zitierten Sätze, bei denen man nicht weiß, ob es sich um einen Dialog mit den anonymen ‚Ihr‘ handelt, oder um ein sich selbst aufmunterndes Zwiegespräch der Sprecherinstanz lassen jedoch Zweifel, ob dieses Verfahren des Memorierens scheinbar bekannter Straßenzüge ein Erkennen ermöglicht, das eine Ordnung in das erzähltechnische Verfahren von Nämlich bringt. Vielmehr geschieht eine der aus Walsers Mikrogramm Mit kraftvoller Zartheit bekannten, vergleichbare Bewegung: Wird dort eine eindeutige Zuordnung von Subjekt und Objekt durch eine grammatische Ambiguität verhindert, so wird in Nämlich gar die Stellung von Subjekt und Objekt vertauscht: „Der Weg ist verrückt, was läuft er mir vor den Füßen? Gedanken und böse Wege wären an die Leine zu legen. Nerv besinne dich: Maikäfer und Bier. Ein Kreuzweg wirft sich mir an den Hals, wie dem Herakles“ (Nämlich, S. 45).Was im zweiten Satz dieses Zitats wie eine poetische Selbstanweisung in Walsers Spaziergang klingt, die das narrative Verfahren des Textes in geordnete Bahnen bringt, kann an dieser Stelle jedoch den „verrückt[en]“ Weg nicht einfangen, was dadurch erklärt werden könnte, dass es sich bei der Formulierung „Der Weg ist verrückt“ um eine semantische Doppeldeutigkeit handelt: Der Weg kann bildlich in einem pathologisch-wahnsinnigen Sinn ‚verrückt‘ sein, oder er könnte in einem durch den Kontext des Spazierengehens naheliegenden Sinn als topographisch ‚verrückt‘, also nicht mehr an seinem Platz befindlich, gedeutet werden. In beiden Fällen käme die Sprecherinstanz vom rechten und vernünftigen Weg ab, der eine geordnete Erzählung voraussetzt, und so bleibt Nämlich bruchstückhaft und hält assoziativ kaleidoskopische Eindrücke fest. Einen hohen Grad an Selbstreflexivität weist die Sprecherinstanz jedoch auf, wenn sie das Scheitern ihrer Bemühung konstatiert, eine Ordnung in das narrative Verfahren des Textes zu bringen. Die Auflösungen nach ins Leere gelaufenen Passagen kommentiert sie als dialogisch anmutende Antwort auf die von ihr implizit in den jeweils vorangestellten Passagen formulierten Fragen nach Ordnung des Erlebten oder Erkenntnis desselben an drei Stellen mit der Formel: „Nichts glücklicherweise. Nichts.“ (Nämlich, S. 46, S. 48, S. 51). Diese Passagen etwa in der Mitte von Nämlich kulminieren im Erstdruck von 1915 in der nihilistischen Feststellung: „Nichts. Nichts. Nichts. Es ist nichts auf der Welt“, die am

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Ende der Seite steht und von einer leeren, weißen Folgeseite druckgraphisch verstärkt wird (Nämlich, S. 51). Die Feststellung ist in ihrer Aussage durch die Beobachtungen der Hauptfigur in der Miniatur II in Walsers Prosastück Hans bekannt, welche die Wirkung des wild gestikulierenden und mit dem „Nichts“ kämpfenden Mannes als „völlig verschwendet“ und als ungehört verhallt, sinnlos und ohne „geringste Wirkung“ (SW 7, S. 181) beschreibt. Das dahinterliegende Konzept lässt sich aus dem Schluss der Nachtwachen von Bonaventura, die bereits zur Illustration der Spiegelmetapher im Räuber hinzugezogen worden sind, herleiten. In der sechszehnten Nachtwache wird der Text mit folgendem Dialog beendet: ,Wehe! Was ist das – bist auch du nur eine Maske und betrügst mich? – Ich sehe dich nicht mehr Vater – wo bist du? – Bei der Berührung zerfällt alles in Asche, und nur auf dem Boden liegt noch eine Handvoll Staub, und eine paar genährte Würmer schleichen sich heimlich weg, wie moralische Leichenredner, die sich beim Trauermahle übernommen haben. Ich streute diese Handvoll väterlichen Staub in die Lufte [sic!] und es bleibt – Nichts!‘ ,Drüben auf dem Grabe steht noch der Geisterseher und umarmt Nichts!‘ ,Und der Wiederhall im Gebeinhause ruft zum letztenmale – Nichts!‘ –. (Klingemann 2012, S. 136)

In Klingemanns Nachtwachen wird das Nichts dem ,Ich‘ der Figuren zugeschrieben, das über das Motiv der „Maske“ und der „Larve“ (Klingemann 2012, S. 88) in mehreren Lagen verdeckt ist. Letzten Endes blickt das ,Ich‘, wie in der Analyse des Räubers gezeigt, bei einem hypothetisch angenommenen Blick in einen Spiegel jedoch letzten Endes ebenfalls in ein Nichts. Das Motiv der Maske wird von Nietzsche aufgegriffen und in JGB wie Schubert (2013) anhand der Wanderer-Figur in JGB 278 interpretiert, dazu eingesetzt, „Positionen und Perspektiven zu wechseln, sich nirgendwo endgültig fest-stellen zu lassen“, und sich in ihren „eigenen Masken und Vielfältigkeiten“ (JGB 190, KSA 5, S. 111) zu bewahren²⁹³. Diese im Gegensatz zur nihilistischen Auslegung des Maskenmotivs in der NachtwachenPassage eher positive Auslegung Schuberts des Maskenmotivs²⁹⁴ würde in der Lesart dieser Arbeit bei Walsers Subjektkonstruktionen nicht greifen. Denn wie ist garantiert, dass eine letztgültige Maskenebene als solche wahrhaft erkannt werden kann? Die Analyse der Subjektstruktur im Mikrogramm Mit kraftvoller Zartheit hat gezeigt, dass durch die grammatikalisch ambige Formulierung offen bleibt, ob die Ichheit oder das zweite ,Ich‘ tatsächlich empfindet, wer von beiden Instanzen also Subjekt oder Objekt bildet. Und wie ist ausgeschlossen, dass sich

 Vgl.: Schubert 2013, S. 304.  Dieser Lesart folgt auch Benne, der die „Tragik, die Nietzsches Deutung des Maskenmotivs entstammt“ als von Walser „ins komödienhafte umgedeutet“ (Benne 2007, S. 44) sieht.

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nicht wie in den Nachtwachen hinter der letzten Maske das Nichts verbirgt? Ebenso greift die positive Auslegung Schuberts in der Bewertung der „Nichts“Zitate in Nämlich, die Ausgangspunkt dieser vergleichenden Überlegung sind, nicht, denn zum einen werden die Antworten auf die implizit gestellten Fragen durch die nihilistischen Feststellung nicht ins Positive gewendet, sondern laufen wie die Passagen, die ihnen voran gestellt sind, ins Leere, namentlich ins „Nichts“. Zum anderen ist in Nämlich eine Bewegung zu beobachten, die auch – aber eben nicht ausschließlich – eine Maske nach der anderen entfernt, um den wahren Kern freizulegen zu versuchen. Diese Bewegung ist bemüht, dem Text Teile hinzuzufügen, um ein nicht näher spezifiziertes Ganzes zu erreichen („Nur noch dieses Eine, Flüchtigste, ohne das alles andre ein Bruchstück ist“; Nämlich, S. 45). Folglich kann, wie auch schon für den Räuber mit Zieglers Beobachtung (1916) ein Verfahren beschrieben werden, das dieser aus seiner Analyse der Subjektstruktur im Zarathustra abgeleitet hat.

2.7.3 Poetologie der Unverständlichkeit – ein unverständlicher Dichter Anhand der exemplifizierten drei Hauptbefunde der Dissoziation des sprechenden ‚Ichs‘, den kaleidoskopischen Eindrücken sowie deren Fragmentcharakter, lässt sich eine Poetologie bestimmen, welche sowohl die Prager Texte als auch die Texte Walsers charakterisiert. Dabei bedingen sich die drei Hauptbefunde gegenseitig: Die vage Bestimmung eines den Text organisierenden Ichs, bei dem es letzten Endes nicht eindeutig möglich ist, Subjekt und Objekt zu identifizieren, führt zu den nicht vollständigen Eindrücken, die wie ein „Blitzbild aus dem ewigen Flusse“ (NL 1881, KSA 9, S. 502) jeweils die eine Perspektive der unzähligen Individuen, aus denen das Subjekt nach Nietzsche besteht, aufblitzen lassen. Die fragmentarischen Anspielungen spiegeln schließlich dieses Heterogene und Nichtabgeschlossene wieder. Was bis zu dieser Stelle durch rein visuelle Metaphern beschrieben wurde, ließe sich in Anlehnung an Zittel (2016) als eine „Poetik der Verschwommenheit“ charakterisieren, die er im Kontext der Prager Auseinandersetzung mit Brentano aus einer Relation zwischen Wahrnehmungsbildern herleitet: Brod und Weltsch sprechen […] nicht von anschaulichen Begriffen, was etwas missverständlich ist, da sie damit Relationen zwischen Wahrnehmungsbildern meinen, die aus traditioneller Sicht vage und unbestimmt erscheinen. Es ist also eher eine Theorie der Vagheit und Unbestimmbarkeit, nicht eine der Kontur oder Gestalt, die sie vorlegen. Die scharfen und individuell bestimmten Bilder, die Wahrnehmung und Empfindung liefern, werden Brod und Weltsch zufolge durch den anschaulichen Begriff daher gerade nicht distinkt erkannt, sondern zu unscharfen und verschwommenen Bildern geformt. Die Ver-

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schwommenheit (Kap. 3) ist also nicht primär als ursprüngliches diffuses Chaos von Sinnesdaten gegeben, sie residiert auch nicht wie bei Freud im Unbewussten, sondern entsteht als eine Art Hof, der jede Einzelbeobachtung umflirrt. (Zittel 2016, S. 74)

Auf die besprochenen Texte – zunächst die Walsers – angewendet bedeutet dies, dass dessen missverständliche und irritierende Phrasierung nicht allein als „inszenierte Fehlleistungen […] auf das Unbewusste [und] ein psychologisches Konzept“ (A. Müller 2007, S. 7) verweisen, sondern als „präzise Beschreibung verwirrter und verwirrender Wahrnehmungssituationen“ (Zittel 2016, S. 119) zu verstehen sind. Die in der Zarathustra-Miniatur eingeführten „Lichtblitze und Blitzlichter“ (Spaziergang, S. 28 f.) verweisen so auf eine Poetik der Störung visueller Art, wenn Skotome die eigentlich fixierten Einzelbilder des einzelnen Individuums als Momentaufnahme „umflirren“. In der Folge kommt es zu Überlagerungen der Eindrücke wie zwischen dem Dichter und dem „Schelm von Verfasser“ (Insel II/4, S. 217) in Von einem Dichter, der Funktion des Rechtsanwalts Rodmann und der Zeugeninstanz eines Texts in Prosper Merimée, zwischen der Erzählerinstanz und dem Rezensenten sowie dem Erzähl-Ich und der Figur des Räubers im Räuber. Zwei Stellen aus den Texten der untersuchten Prager Autoren, die eine ähnliche Qualität einer poetologischen Schlüsselstelle in Bezug auf die beschriebene Poetik der visuellen Störung aufweisen, sind in Karl Brands Novelle im Traum und Paul Adlers Nämlich zu finden. Die Erzählerinstanz in der Novelle im Traum begegnet, nun in der ersten Person als Ich-Erzähler, bei ihrem Irren durch das nächtliche Prag einer Katze, und bekommt durch das angestrengte Suchen in der Dunkelheit schmerzende Augen: Wieder muß ich ermüdet halten. Einförmigkeit der Nacht macht den Menschen müde. Und meine Müdigkeit schmerzt, ich fühle diesen Schmerz durch alle Glieder rinnen. Über die Straße springt vom Häusersims eine schwarze Katze ab, knapp über meine Füße, daß ich wild aufschrecke. Ich fühle beißenden Schmerz in den Augen, die blinzelnd das nächtliche Tier suchen. Und ich sehe es in der Mitte der Straße, ich glaube, sein sonst weiches, schwarzes Fell naß und struppig zu sehen. Es ist zerrauft wie das eines räudigen Hundes. Aber seine zwei Augen brennen, funkeln durch die nächtliche Straße. Meine Augen hängen an denen des Tieres, von dem mein Hirn nicht loskommen kann. Immer sehe ich in das Feuer dieser Augen, bis dies Feuer in meinem Hirn zu sprechen beginnt, mit sonderbarer Stimme, stumm, aber klar. (Brand 1916/1992, S. 414 f.)

Die leuchtenden Katzenaugen lösen im Hirn des Ich-Erzählers die Halluzination aus, dass die Katze mit ihm spreche. In Nämlich können das „Augenflimmern“ sowie das „Augen[brennen]“ der Erzählinstanz, die angibt, nach ihrem Bruder „Paolo“ zu heißen, als auslösende Symptome für eine gestörte visuelle Wahrnehmung verstanden werden, die dann als wirre, unzusammenhängende Ein-

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drücke von ihr berichtet werden (Nämlich, S. 30, S. 45, S. 10): Die Tatsache, dass die einzelnen Abschnitte einer alogischen, den Gesetzen der Assoziation folgenden Form eine „Segmentierung des Handlungsablaufs“ (Binder 1991, S. 180) bewirken, wird ergänzt durch die unterschiedlichen Verschiebungsbewegungen, die mit der Lautverschiebung (z. B. der Übergang von „Ahorun“ zu „Avorun“²⁹⁵) auch immer eine Bedeutungsverschiebung mit sich bringen, so dass ebenfalls durch die Methode der (lautlichen) Verschiebung die einzelnen Figuren auf den ersten Blick nicht auseinanderzuhalten sind. So wird aus dem ursprünglichen „Paolo“ (der mit dem Namen seines Bruders bereits eine identifikatorische Verschiebung erfährt) ein „Sauler“, dann ein „Paulus“, und durch diesen phonetischen Gleichklang schließlich ein Saulus, der wiederum mit den biblischen Erweckungsphantasien des Paolos korrespondiert. In diesen erscheint ihm Jesus, der mal „Christus“, mal „Herr Nämlich“ genannt wird und der sich letzten Endes wohl in der Erzählerinstanz konzentriert: „Ich fühle meinen Besuch“ (Nämlich, S. 23, 29, 53). Diese Verschiebungen beschreiben Egyptien und Hoffmann als Metamorphosen (D. Hoffmann 2003, S. 215), die eine konsistente Identität auflösen, da es Adlers Prinzip ist „jeder einzelnen in den verschiedenen Kultursphären, mythologischen oder historischen Kontexten eine je besondere Erscheinungsweise zuzuordnen“ (Egyptien 1994, S. 388 f.). Fraglich ist jedoch, ob mit der von Egyptien und Hoffmann benutzten Metapher der Metamorphose, die bereits von Adlers Zeitgenossen Meïr Wiener 1922 gewählt wurde, um Die Zauberflöte als eine „Vision von jüdischer Art“ (Wiener 1922, S. 257) zu beurteilen, tatsächlich das eingefangen werden kann, was Adler poetisch umsetzt: Ist mit der Metamorphose in einem mythologischen Kontext eine zeitweilige oder dauerhafte Gestaltumwandlung gemeint, so wird diese oftmals von Gottheiten gewählt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; sie geschieht also willentlich²⁹⁶. Dagegen sind die Verwandlungen Adlers keinesfalls als willentliche zu bezeichnen, sondern vielmehr Ausdruck einer wandernden Wahrnehmung. Die Verschiebungen setzen poetisch das um, was in Nämlich poetologisch als Anweisung für das ästhetische Verfahren zu finden ist – „Die Augen brennen einem nur davon, besonders, bei dem schlechten Licht, das man an diesem Orte hat. Die Ohren sind heute das reine Läutewerk“ (Nämlich, S. 45). Gerade die explizite Selbstaussage auf das poetologische Verfahren eines akustischen „Läutewerks“, das die Sinne überfordert und eine getrübte Wahrnehmung zeitigt, weist auf eine zweite Art der poetischen Störung.

 Vgl. dazu: Egyptien 1994, S. 387.  Vgl.: Wilde 2000.

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Die Poetik der Störung wurde bis jetzt als eine „Poetik der Verschwommenheit“ visueller Natur erklärt; sie lässt sich jedoch in gleichem Maße als eine Poetik der Unverständlichkeit bestimmen²⁹⁷, die auf akustischer Ebene funktioniert und auf Basis der folgenden Passage aus dem Vorwort der GD (oder Wie man mit dem Hammer philosophiert) Nietzsches basierend gelesen werden kann: Eine andere Genesung, unter Umständen mir noch erwünschter, ist G ö t z e n a u s h o r c h e n … Es giebt mehr Götzen als Realitäten in der Welt: das ist m e i n ,böser Blick‘ für diese Welt, das ist auch mein ,böses O h r ‘ … Hier einmal mit dem H a m m e r Fragen stellen und, vielleicht, als Antwort jenen berühmten hohlen Ton hören, der von geblähten Eingeweiden redet – welches Entzücken für Einen, der Ohren noch hinter den Ohren hat, – für mich alten Psychologen und Rattenfänger, vor dem gerade Das, was still bleiben möchte, l a u t w e r d e n m u s s … (GD Vorwort, KSA 6, S. 57 f.)

Die Sprecherinstanz bedient sich einer akustischen Metapher wenn sie das Bild ‚mit dem Hammer zu philosophieren‘ bemüht und daran denkt, mit diesem Werkzeug an die metallenen Monumente oder Statuen der Götzen wie „mit einer Stimmgabel“ (GD Vorwort, KSA 6, S. 58) zu rühren.²⁹⁸ Die Sprecherinstanz meint so, die Götzen zwingen zu können, einen Ton zu erzeugen, um den Wahrheiten, für welche die Götzen im Gegensatz zu den Realitäten stehen²⁹⁹, einen Ton zu

 Vgl. etwa Baßler, der die sogenannte „unverständliche Prosa“ als „notwendiges Durchgangsstadium moderner Prosaliteratur“ bezeichnet, das sich „nicht in gleicher Weise durchgesetzt [hat] wie abstrakte Techniken in der bildenden Kunst“ (Baßler 1994, S. 19). Baßlers Argumentation greift Teufel in der Argumentationslinie und im Titel ihrer Dissertation wieder auf, (vgl. Teufel 2014, S. 337). Mit Nietzsche aus der FW gesprochen, ist die Unverständlichkeit bereits im Schreiben an sich angelegt: „Z u r F r a g e d e r Ve r s t ä n d l i c h k e i t . – Man will nicht nur verstanden werden, wenn man schreibt, sondern ebenso gewiss auch n i c h t verstanden werden“ (FW, KSA 3, S. 633).  Das Bild des Philosophen mit dem Hammer scheint älter zu sein. In einer anonymen Polemik von 1800 z. B. wurde Schelling als Philosoph mit dem Hammer dargestellt: „[…] ein unbekannter aus Jena, möglicherweise war es Kotzebue, führte eine geniale Farce vor, den ,Turm zu Babel‘, ein burleskes Meisterwerk, das die Berühmtheiten ausnahmslos und schonungslos runtermachte: Wieland, Goethe, Schiller, die Schlegels – Schelling wurde mit wütendem Ausdruck und als Philosoph mit dem Hammer dargestellt… Schelling mit der Keule des Genies schlägt herum im Gebäude/ (als wenn er der Esau von dem Isaac Newton wär‘)/ Goethe (wackelt und kukt hinab)/ Was wühlst du mir unten im Fundament, du Schwein!/ Du haust in meinem Thurm zu viel Lichtlöcher hinein./ Schelling (hämmert fort)/ Vater Goethe gönne mir Licht!“, (Tilliette 2004, S. 111). Es kann gut sein, dass Nietzsche hier ein (seinerzeit) bekanntes Bild aufgreift und dann (mit der Stimmgabel) in eine unerwartete Richtung fortspinnt.  Vgl. EH: „Das, was G ö t z e auf dem Titelblatt heisst, ist ganz einfach das, was bisher Wahrheit genannt wurde. G ö t z e n - D ä m m e r u n g – auf deutsch: es geht zu Ende mit der alten Wahrheit …“ (EH GD, KSA 6, S. 354).

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entlocken und diesen in einem zweiten Schritt als hohlen Ton zu entlarven. Gerade die offensichtliche Vorfreude der Sprecherinstanz auf eine möglicherweise durch das Anschlagen entstehende Dissonanz kognitiver und akustischer Art belegt, dass es sich um ein wohlüberlegtes ästhetisches Kalkül handelt. Denn bereits durch das Gleichsetzen von Hammer und Stimmgabel entsteht eine kognitive Dissonanz, auch wenn sie durch den Kommentar Andreas Urs Sommers (2012) relativiert wird.³⁰⁰ Beiden Erklärungen, der visuellen und der akustischen, gemein ist, dass sie durch eine kalkuliert provoziertes Missverständnis³⁰¹ eine noetische Unverständlichkeit beim Leser hervorrufen, der durch die poetischen Irritationen (Überschreitung der narrativen Ebenen, den rasanten Wechsel der ErzählerWahrnehmungsperspektiven und unklar konturierte Individuen) sehr aufmerksam die einzelnen Eindrücke zu einer Sinneinheit zusammenfügen muss. Eine akustische und noetische Unverständlichkeit wird demnach nicht nur poetisch im Text selbst und dessen Rezeption durch den Leser erzeugt, sondern auch in gleichem Maße durch die Einordnung der hier besprochenen Texte in ästhetische Konventionen, von denen sie abweichen. Dieser Gedanke wird am Ende des Kapitels nochmals aufgegriffen und – wie bereits im Kapitel über den Räuber – mit Blick auf die Gattungsproblematik der Texte Adlers diskutiert werden. Beispielsweise sei für die noetische Unverständlichkeit die „vollkommene Voreingenommenheit“ (AdB 3, S. 62) mit der die Sprecherinstanz im Räuber die Figur Edith vernichtend kritisiert genannt, die zeigt, dass sie anstelle des Räubers agiert, da sie selbst keinen Grund dazu hat.Wie weiter jedoch anhand der grammatikalischen Ambiguität im Mikrogramm Mit kraftvoller Zartheit gezeigt werden konnte, ist die eindeutige Zuordnung von Subjekt und Objekt in der „Vielheit von Kräften“ (NL 1885, KSA 11, S. 461) nicht immer möglich. Schubert bezeichnet in dieser Situation, in der klar konturierte Grenzen nicht auffindbar scheinen, – ausgehend von einer Nachlassstelle Nietzsches – das ,Ich‘ als „fort-

 „Es muss hier kein Bildbruch vorliegen, da die Stimmgabel durchaus auch im medizinischdiagnostischen Gebrauch war, was N. aus seinen medizinischen Lektüren wissen konnte […]. Bei einer Stimmgabel hört man freilich nicht den Ton, den das damit angeschlagene Objekt selbst von sich gibt, sondern den Ton der Stimmgabel. Intensität und Lautstärke des Stimmgabel-Tons hängen aber vom Objekt ab, an das die Stimmgabel angeschlagen und auf das sie dann abgestützt wird. Hohle Gegenstände […] bieten einen sehr guten Resonanzraum.Wer die Stimmgabel benutzt schließt also indirekt auf die Beschaffenheit des angeschlagenen Gegenstandes. Diese Indirektheit und Vermitteltheit des Erkenntnisweges ließe als Beschreibung der in GD angewandten Methode verstehen. Sie problematisiert die Möglichkeit eines direkten ,Durchgreifens‘ auf die Wirklichkeit. Die Metapher der Stimmgabel lässt sich auch zur Beschreibung des Verhältnisses von Text und Leser anwenden“ (Sommer 2012, S. 222).  Vgl. JGB 27 und die Ausführungen zur Zarathustra-Miniatur im Spaziergang.

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2 Einzelanalysen

während variabel in immer neu sich ziehenden, sich wieder verwischenden, permeablen Grenzen“ (Schubert 2014, S. 183). Bei Nietzsche heißt es entsprechend dem bereits hier eingeführten Bild der einander widerstreitenden Kräfte: Die Annahme des E i n e n S u b j e k t s ist viell. nicht nothwendig; viell. ist es ebensogut erlaubt, eine Vielheit von Subjekten anzunehmen, deren Zusammenspiel u. Kampf unserem Denken u. überhaupt unserem Bewußtsein zu Grunde liegt? Eine Art A r i s t o k r a t i e von ,Zellen‘, in denen die Herrschaft ruht? Gewiß von pares, welche miteinander an′s Regieren gewöhnt sind u. zu befehlen zu verstehen? (NL, 1885, KSA 11, S. 650)

Angesichts dieses Befundes und der vielen Stimmen, die in Walsers Texten auftauchen und mit einander kommunizieren, stellt sich die Frage Wer spricht?‘. Das permanente Geräusch der Stimmen erzeugt in der Folge „Gehörs-Hallucinationen“ (GD Sokrates, KSA 6, S. 69) mit denen der Leser konfrontiert wird. Der „Ohrenwiderhall“ aus dem Girardi-Text (SW 18, S. 271) gibt genauso einen Hinweis auf die akustischen Störungen und Unverständlichkeiten in den Walsertexten wie der Hörverstehensfehler in Natoneks Groteske Wahnsinnig, der den Studenten Peteroff glauben macht, er sei ein wahnsinniger Irrer. Der Hörverstehensfehler in Wahnsinnig wird begleitet durch die Beschreibung von mannigfaltigen akustischen Sensationen, welche die einleitenden Sätze des Texts durchziehen³⁰²: „[D]as Papier knistert, eine Stimme murmelt, Frau Schallaböck³⁰³, die Wirtin,

 Gardian beschreibt die visionären Passagen in Adlers Nämlich wie folgt: „Der Vision korrespondiert bei Adler verstärkt die Audition: das Läuten von Glocken oder ein Rauschen ,in mir wie in der Muschel fern von dem Meere‘ (S. 20) als Metaphorisierung des zunehmend referenzlosen ,Rauschens‘ der Textbewegung. Diese invertiert die sprachliche Konstitution von Sinn und reduziert Bedeutung auf das bloße Geschehen eines Sprechakts. Abstrakt ist dieses Verfahren als Abzug inhaltlicher Kohärenz und Reduktion textgenerativer Praxis auf die Herstellung minimaler Kohäsion durch Leitmotivik und rhetorische Prozesse der Wiederholung, Verdichtung und Verschiebung. Der Text inszeniert ein metonymisches Gleiten, das dem Prinzip der freien Assoziation verpflichtet ist“ (Gardian 2015, S. 485). Vgl. dazu Bankis Analyse der Ambivalenz von Referenz in Walsers Kleist in Thun: „Selbstrefenzialität ist so bei Walser keine neben der referenziellen Biografik gleichberechtigte Form, sondern ein an die Unmöglichkeit der Referenz gebundenes Produkt ihrer Spaltung in Bezeichnetes und Entzogenes der Bezeichnung“ (Banki 2018, S. 104).  Ein offensichtlich sprechender Name: Eine Frau, die einen Schall erzeugt, der dem eines (Ziegen)Bocks gleicht. Bereits in Der Gehülfe scheint Walser die Aussprache- und Hörproblematik im „Zungenfehler“ der Kammerfrau Pauline zu erproben: „Si-vi, Si-vi! Wie schneidend das klingt. Und doch schneidet es nicht einmal recht. Ein grobes, seit Jahren nicht mehr geschliffenes Küchenmesser kann ebenso gut Sivi rufen, wie Pauline, die infolge eines Zungenfehlers da I nicht zu artikulieren vermag. […] Zu der Dora sagt die Pauline immer: Do-li, denn jetzt erstreckt sich ihre schwache Zunge auf das r im Namen Dorli, das I spricht sie aus, was verwunderlich genug ist, da sie es bei Si-vi doch stets wegläßt“ (KWA I/3, S. 99 f).

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wispert ängstlich und Peteroff hört Gezischel“ (Natonek 1920/1992, S. 385).³⁰⁴ Das Konzept der ‚Ohralität‘ von Peter Utz bleibt auf diese Weise kein rein rezeptives des Zeitlärms, sondern produziert gleich den visuellen Flimmerskotomen, die ein Erkennen eines an sich klar konturierten Gegenstands verhindern, eine Störung akustischer Art der Stimmen, die durch polyphone Geräusche überlagert sind und „kunstvolle[…] Perspektivwechsel“ (Vollmer 1991, S. 270) ermöglichen.³⁰⁵ Unter dieser Prämisse wäre es zu kurz gegriffen, das Ende der Novelle im Traum, in dem der Ich-Erzähler sein eigenes Begräbnis beobachtet, biographistisch als „einsame[…] Zwiesprache mit sich selbst“ (Binder 1990, S. 294 f.) ³⁰⁶ des tuberkulosekranken Brands zu deuten, denn gerade „die extreme Subjektivität“ (Vollmer 1991, S. 277) ermöglicht die Poetik der Unverständlichkeit, die beispielsweise in Paul Adlers Nämlich als „heftiges Ohrenklingen“, „Innerstes Geflüster“ oder „Glockenläuten“ (Nämlich, S. 13, 65, 29) beschrieben wird. Vielmehr zeitigt die Überlagerung der Perspektiven und der akustischen Sensationen eine Undefinierbarkeit auch der permeablen Subjektgrenze im Sinne Schuberts (2014), wenn die Sprecherinstanz Paolo sich fragt: „Was rauscht draußen aber immer noch stärker? oder drinnen?“ (Nämlich, S. 28). Als poetologische Schlüsselstelle ist das Verfahren der sich überlagernden Stimmen noch eindeutiger in Paul Adlers Zauberflöte dargelegt:

 Die Figur Simon Tanner differenziert sehr schön zwischen hören und horchen: „Wenn man sagt: hören, so wird eigentlich etwas gehört, aber wenn man sagt: horchen, so horcht man vergeblich, man hört nichts, man möchte hören. Horchen ist Sache des Kindes, das in eine dunkle Kammer eingesperrt wird.“ (KWA I/2, S. 54).  Rassiller sieht in Paul Adlers Nämlich einen Text, der bestimmten medientheoretischen/ medienphilosophischen Texten der Postmoderne/ des Poststrukturalismus den Weg bereitet (Kittler, Baudrillard, Deleuze, Derrida, Paul de Man). Vgl. Rassiller (2006). Beispielhaft: Friedrich Kittler (1993), der – auf psychoanalytischer Grundlage – medientheoretisch anhand einiger Songs von Pink Floyd deren textliche und musikalische Performance als „Kurzgeschichte von Ohr und Wahnsinn im Zeitalter der Medien“ (S. 133) beschrieben hat. Kittler resümiert in seiner kryptischen Art mit einer (von Nietzsche entliehenen?) Dynamit-Metapher: „Also ist die Geschichte des Ohrs im Zeitalter seiner technischen Sprengbarkeit immer schon Geschichte des Wahnsinns.“, denn „Rauschen, Zischen, Flüstern, Wassertropfen, Reden und Schreien sind als Akusasmen die häufigsten Erscheinungen bei Halluzinationen“ (S. 139).  Gegen diese Lesart Binders argumentiert auch Teufel am Beispiel von Paul Adlers Nämlich: „Denn Adlers Nämlich erlaubt es nicht, die Abspaltungen der Sauler-Gestalt als bloße >Einbildung< eines Narren zu rationalisieren (und zu bagatellisieren), und dies gelingt nicht zuletzt dadurch, daß als Erzählergestalt der Irre selber fungiert, so daß der Wirklichkeitsstatus der Abspaltungen letztlich ungeklärt bleibt; Paul Sauler kann nur das wiedergeben, was ihm geschieht, nicht aber das Geschehende deuten“ (Teufel 2014, S. 291).

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In frechem Wagemut, den den Töchtern zu tadeln nicht und zu rühmen nicht zusteht, hat Tamino, der Altarflöte Dieb, es versucht, die Jungfrauen Gottes in ihres Vaters innerm Schoß zu überraschen. Viel Stimmen [sic!], so hohe wie tiefe körperlose Schatten aufeinandergelegt, haben den Seelenwanderer hart an den Rand abgedrängt eigenen Seelenverlustes. Wie ein Wirbel versank Tamino in dieses Bodenlose. (Zauberflöte, S. 62)

Was hier als „Bodenlose[s]“ beschrieben wird, ist in der Zauberflöte eine wahrhafte Umsetzung der Metapher der polyphonen Orchestrierung, denn der Text, der in der Erstausgabe von 1916 mit „Roman“ untertitelt ist und über seinen Titel auf die Oper von Mozart verweist, adaptiert akustische und musikalische Elemente zu seiner strukturellen Gestaltung. Die Figuren erzeugen ein „Heulen“ (wie der Wind), ein „[t]yphonisches Stöhnen“ und „[K]ling[en]“, „[S]chreien“ und „[S]ingen“ (Zauberflöte, S. 79, S. 171, S. 70, S. 154, S. 153). Die musikalischen Vortragsbezeichnungen betiteln einzelne Abschnitte des Texts, wie zum Beispiel „GRAVE. FÜR DEN SANGMEISTER AUF DEM HOHLHOLZ ZU SPIELEN: VON DEM JÜNGER“, „Largo“ oder „Gästelied“ und geben ihm durch diesen Wechsel der Tempi einen Wechsel der Gangarten vor (Zauberflöte, S. 18, S. 19, S. 21).³⁰⁷ Der zusätzliche Wechsel zwischen musikalischen, Prosa- und Lyrikelementen „sowie Dialogpartien einer fiktiven Opernaufführung, bei der Zitate aus dem Schikanederschen Libretto mit eigenen Gesangstexten verbunden sind“ (Egyptien 1994, S. 388), erzeugen einen eigenen Rhythmus, wie Benne (2013) sie anhand der die Lesegeschwindigkeit beschleunigenden und retardierenden Verwendung von Sperrdrucken und Satzzeichen in JGB beschrieben hat. Gleich der aufeinandergelegten Stimmen kommt es (ähnlich wie in Nämlich) zu einer motivischen und strukturellen Verdoppelung, wenn der Titel des Textes als Abschnittsüberschrift „DIE ZAUBERFLÖTE“ wiederholt wird und die Oper Zauberflöte im Text als Oper aufgeführt wird. Deren Figuren agieren auf der Erzählebene („Ich bin der Direktor Sarastro“; Zauberflöte, S. 112) wobei es im Sinne der permeablen Subjektgrenzen Nietzsches wie im Räuber zu Unschärfen bei der Personenabgrenzung kommt³⁰⁸,

 Dieser Methode nach, den Fluss der Erzählung durch eingeschobene unterschiedliche Gattungen zu unterbrechen, ist Die Zauberflöte dem Zarathustra nicht unähnlich. In diesem kommen, vor allem gegen Ende im vierten Teil, immer wieder Abschnitte, die als Lied übertitelt sind, beziehungsweise – auch vermehrt im vierten Teil – durch lyrische Elemente charakterisiert sind, die sich druckgraphisch in Versform von den übrigen Prosapassagen abheben: Vgl. ZA II, Das Tanzlied; Das Grablied; Za III, Das andere Tanzlied; Za IV, Das Nachtwandler-Lied, Unter Töchtern der Wüste (lyrische Elemente), Das Lied der Schwermuth (lyrische Elemente), Der Zauberer (lyrische Elemente).  Villwock stellt für den Räuber fest, „daß sich Walser diesem Konglomerat von Identitätsentwürfen (das sich aber gerade in seiner Pluralität und Offenheit als attraktives ,Identifikations’angebot erweist) seinerseits nur inkonsequent, auf verschiedenen Stufen der Konkretion,

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die unter anderem dadurch bedingt sind, dass die Namen der Personen gleich klingen und sich von ihrer Buchstabierung her bis auf einen Buchstaben kaum unterscheiden³⁰⁹: Da unser Stammpublikum zuverlässig ist, können Sie sogleich heute ohne besondere Vorbereitung in die Rolle des Tamino eintreten. Sie brauchen nur auf dem Theaterzettel ihren Namen ganz wenig zu ändern, Herr Tamin. Sie singen bei Ihrem gottbegnadeten Organ ohne Mühe. Unser Souffleur, Herr Gehrke, wird Ihnen nicht unbekannt sein, er behauptete wenigstens, er wäre Ihr Großvater. (Zauberflöte, S. 112)³¹⁰

Im Prosastück Das Alphabet aus dem Jahr 1921 führt Walser die unklare Grenze der Rollen anhand der Überschreitung der Grenze zwischen Figur und Schauspieler vor, indem er Kausallogik vertauscht: „R. ist ein Räuber mit romantischem Mantel, der sich offenbar bloß zum Schauspieler ausbildet. Er übt sich als Karl Moor“ (SW 17, S. 193).³¹¹ Damit ist auch angedeutet, dass die Figur des Räubers im

aus verschiedenen Perspektiven und in ständig wechselnder, nie genau einzuschätzender Ernsthaftigkeit einschreibt“ (Villwock 1993, S. 68).  Gleich dem aus Na also und dem Spaziergang bekannten Verfahren, Werbeanzeigen oder Zeitungsartikeln zu paraphrasieren, führt Adler die Figur des Tamin wie in einem Zeitungsartikel ein, der von dessen Beziehungstat berichtet. Allerdings verschwimmen auch hier die Grenzen der narrativen Ebenen, denn Karl Tamin wird auf derselben narrativen Ebene eingeführt wie die Opernfigur Papageno: „ROLLE DES KARL TAMIN WIE DES FÜHRERS PAPAGENO ,Der sechszehnjährige Elektrotechniker Karl Tamin aus der Kantstraße versuchte im Tiergarten, morgens nach einer durchschwärmten Nacht, seine Geliebte, die 20jährige Kontoristin Eve Gutmann, zu erschießen. Nachher tötete sich der leichtfertige junge Mensch selbst. Das verletzte Mädchen wurde in ein Hospital gebracht …‘“ (Zauberflöte, S. 87).  Dieses Verfahren der doppelten Rolle konnte im Prosastück Von einem Dichter nachgewiesen werden, die Simulation einer Rezension in Hier wird kritisiert, sowie die Selbstrezension in Fritz Kocher’s Aufsätze. Die doppelte Rolle ist auch in Nachtwachen des Bonaventura angelegt, wenn die Schauspieler von Hamlet und Ophelia ihre Bühnenrolle mit der Realität vermischen und sich in ihren gegenseitigen Briefen ihre Bühnenliebe gestehen – Ophelia an Hamlet: „Sieh da kann ich mich nimmer herausfinden, ob ich ein Traum – ob es nur Spiel oder Wahrheit, und ob die Wahrheit wieder mehr als Spiel – eine Hülse sitzt über der andern, und ich bin oft auf dem Punkte den Verstand darüber zu verlieren“ (Klingemann, S. 112 f).  In Adlers Zauberflöte findet sich eine diesem Verfahren ähnliche Passage, die Papageno ebenfalls entsprechend der einzelnen Buchstaben des Alphabets formuliert (s. Ende der Fußnote). Teufel (2014) kommentiert diesen wie folgt: „Der Sinn dieser scheinbar perfekten Nonsens‘ erhellt sich vielmehr aus einer früher getroffenen Aussage, in der Papageno bekannte, ,die ganzen Buchstaben hindurch‘ (Z, 49) abergläubig zu sein. Eben dies übersetzt Paul Adler in eine formale Struktur […]“ (Teufel: Der >un-verständliche< Prophet. Paul Adler, S. 347). Auffällig ist, dass der Text in der Zauberflöte tatsächlich poetologisch das umsetzt, was die narrative Instanz zu tun ankündigt, wohingegen in Walsers Texten gerade eine Dissonanz dadurch erzeugt wird, dass der Text im poetologischen Vollzug von der Ankündigung der narrativen Instanz abweicht. Das

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Räuber lediglich eine Rolle (aus)übt. Wie in Karl Brands Novelle im Traum verschwimmen in der Zauberflöte die Ebenen der Erzählung und die Grenzen zwischen dem Personal der Oper und den Figuren der Rahmenhandlung lösen sich auf, sodass die Opernfigur Tamino fragen muss: „Schlafen wir oder wachen wir Papageno?“ (Zauberflöte, S. 37), um sich ihrer narrativen Realität zu versichern, in der sie sich an dieser Stelle befindet. Mit Teufel (2014) kann man dementsprechend im Vergleich zu Nämlich festhalten: „Wurde in Nämlich eine einzige Figur in die einander widersprechenden Teile ihrer selbst aufgespalten, so setzt die Zauberflöte umgekehrt eine Vielzahl traditionell geschiedener Figuren in eins […]“ (Teufel 2014, S. 337) Angesichts der aufgezeigten Bruchstückhaftigkeit von Nämlich und der sich in der Zauberflöte überlagernden Stimmen, die sich auf der strukturellen Ebene als fragmentartig wiederspiegeln, muss die Bezeichnung „Roman“ im Untertitel des Erstdrucks der Zauberflöte 1916 relativiert werden³¹², denn bei Paul Adler ist der Leser aufgrund der Form seiner Texte ähnlich wie bei Walser – wegen der zeitgenössischen Zuschreibung sowie der Diskussion in der Forschungslite-

Beispiel aus der Zauberflöte untermauert die Methodik dieser Arbeit, einzelne Textsegmente aus längeren Texten Walsers (wie zum Beispiel Der Spaziergang oder Hans) als Miniaturen zu lesen. Denn Walsers Text Das Alphabet spiegelt im Kleinen das wieder, was in der Zauberflöte quasi als Alphabet-Miniatur durch die narrativen Instanz Papageno in Inhalt und Quantität durchgeführt wird: „Die Absicht, o Kläglicher, fürchtet der Anbeter so gut wie das Aussprechen zum Anfang. Unter den Bewegungen bangt meinem Brahminen vor allen beugenden und bindenden, unter den Cirkeln vor der Chimäre des C. In der Dürre unterdrückt er wegen eines dorrenden Dingsda den Durst. Eine Eidechse ist seinem Einsiedlerkopf eine Einsicht von einem dort sonnenden Element. Auf seinen Füßen flüchtet er feiger als ein von den Fellachen verfolgter Fuchs. Wie ein Frevler fürchtet er das Fayum flinke Finsternis. Der Gespensterfreund geistert und hüpft in den Hosen wie ein Jammergestalt. Kommt ihm die Liebe, so muß so ein Mönch neurotisch auf Orakel pürschen. Quillt ihm die Reue oder im Park eine Rosenblut, so säubert, schneidet, stutzt er so lang an allem Richtigen und Reinern herum, bis ihm, Tollheit und Tiefsinn! der Ursprung ein Uhu-Unheil versichert hat. Wisse, wenn in der weiten Welt nur ein wild bewachsener Wehwinkel wäre, der Zitterich würde hinein, bei allem Zagen, auf seine Zypressengruft zielen!“, (Zauberflöte. S. 49 f).  Teufel nähert sich dem Text zunächst mit der Bezeichnung „Thesenroman“, um diesen Zuschreibungsversuch jedoch sofort wieder zu relativieren, da er von allem abweiche, „was um 1910 als Roman gelten konnte“: „Zunächst einmal enthält Adlers Text, obwohl er >Roman< genannt wird, sämtliche Gattungen und verschiedene Genres: von der >Novelle< über Lieder und Mysterienspiele bis hin zu >Ballade< – die allerdings keine wirkliche ist: Sie ist in Prosa verfaßt. […] Insbesondere die formalen Experimente jedoch – die Auflösung der Einheit der Romanfiguren, der Verzicht auf eine fortschreitende Handlung und der Gebrauch einer >imitativen Form< – machen deutlich, daß Adler auf jeden Versuch einer mimetischen Beschreibung von Wirklichkeit verzichtet hat“ (Teufel 2014, S. 400). Teufels Einschätzung basiert allerdings weniger auf konkreten formalen (Struktur)Untersuchungen, sondern auf dem Hinzuziehen von zeitgenössischen Meinungen, die sich durch die Unkonventionalität des Romans irritiert sahen.

2.7 Walsers Prager Texte

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ratur – vor die Frage gestellt, wie diese mit einer Gattungsbezeichnung befriedigend charakterisiert werden können. Die in der Forschungsliteratur vorhandenen Deutungs- und Erklärungsansätze für die beiden Texte bleiben – wie der Versuch, Walsers Räuber als Roman zu klassifizieren – unbefriedigend und zeugen eher von dem ästhetischen und Irritations-Potenzial der Texte, das hermeneutische Ansätze herausfordert, als von einer souveränen Eindeutigkeit des Beschreibungswerkzeugs letzterer. So weist Teufel (2014) darauf hin, dass Nämlich auf der Werbeanzeige des Hegner-Verlags in Paul Adlers Zauberflöte, die sechs Monate nach Nämlich erschien, den Untertitel „Erzählende Aufzeichnungen“ trägt³¹³. Abicht (1972), der die erste umfassende Abhandlung biographischer Art³¹⁴ über Adler vorgelegt hat, versucht die wechselnden Elemente zwischen Prosa, Liedern und Gedichten, traumartigen Sequenzen, Betrachtungen und Beschreibungen als „völlig untraditionellen Charakter [eines] ,neuen Romans‘“(Abicht 1972, S. 154) zu deuten. Hoffmann bezeichnet Nämlich als Prosatext und Die Zauberflöte als Roman, ohne diese Gattungsbezeichnungen und die damit vorgenommene Differenzierung zu begründen (D. Hoffmann 2003, S. 211 und 215). Eher religiösweltanschauliche Annäherungen wie die von Egyptien (1994) und Hoffmann (2003), die Adlers poetisches Verfahren lediglich als Mittel zum Zweck des Transports eines religiösen oder mythischen „Synkretismus“³¹⁵ sehen, helfen

 Der Untertitel stammt nicht von Karl Otten, wie Kleinschmidt klarstellt. Vgl. Kleinschmidt (1915/1999), S. 458: „Die angebliche Untertitelung geht auf Karl Otten zurück, der Nämlich in seine Anthologie Prosa jüdischer Dichter aufnahm […] und dort […] diese Gegebenheit suggeriert.“ Vgl. Otten 1959, S. 626 und Teufel 2014, S. 253.  Abicht beschreibt sein Unterfangen im Vorwort als „erste umfassende Monographie über das Leben und Werk des Prager deutschen Dichters Paul Adler (1878 – 1946)“ (Abicht 1972, Vorwort S. V).  Vgl. dazu Egyptien 1994: „Für Adler ist dieser Synkretismus aber nicht allein ein poetisches Programm, sondern der Kern seiner Weltanschauung, wie auch seinen Essays zu religiösen Fragen, vor allem zum Judentum, zu entnehmen ist“ (D. Hoffmann 2003, S. 212). Eine eingehende Untersuchung des Romans Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow (entstanden zwischen 1928 und 1940, erschienen ab 1966 in der russischen Literaturzeitschrift Moskwa) hinsichtlich der Einordnung in den Reigen der in diesem Kapitel besprochenen Prager Texte würde sich lohnen: Auch in ihm wird durch die Überlagerung von verschiedenen Zeitebenen (der Erzählstrang im 20. Jahrhundert, in dem der namenlose Meister als Schriftsteller ein Buch über Pontius Pilatus verfasst und der Erzählstrang um die Geschichte des Pontius Pilatus Jahrhunderte davor) sowie durch schwarzmagische Elemente ein überzeitlicher Synkretismus erzeugt. Elemente des Wahnsinns (die schizophrene Spaltung der Figur Iwan in einen früheren Iwan und einen jetzigen Iwan) tragen dazu bei, dass der bereits durch die Überlagerung der Zeitschichten erreichte Synkretismus und die dadurch evozierte Durchkreuzung von Erzählebenen und Figurenidentitäten verstärkt werden. Vgl. Bulgakow 1994.

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auch nur bedingt weiter, um sich der Form des Textes zu nähern.³¹⁶ Auffällig bei der Methodik der Abhandlungen über Paul Adler, die einer poetischen Fragestellung nachgehen, sind zweierlei Dinge: Erstens besprechen sie stets bei der Analyse von Nämlich den Text Die Zauberflöte zusammen (oder umgekehrt). Dies ist nachvollziehbar, da die beiden Texte von ihrer poetischen Machart her sehr ähnlich sind. Zweitens – und dies ist in Bezug auf die Frage nach einer möglichen Gattungsbezeichnung viel aufschlussreicher – folgen die Interpreten bei ihrer Analyse von Nämlich oder der Zauberflöte in aller Regel der Chronologie des Textes in der Reihenfolge seines Drucks. Sie gehen dabei nicht ausschließlich thematisch vor und suchen nach einem bestimmten Motiv oder nach einem bestimmten, beide Texte bestimmenden ästhetischen Strukturprinzip. Die Tatsache, dass klassische literaturwissenschaftlich-hermeneutisch Herangehensweisen bei Texten wie Nämlich, der Zauberflöte oder dem Räuber eher ihre eigenen Grenzen erfahren, als befriedigende Lösungs- und Erklärungsansätze für die Verfasstheit der Texte zu liefern, sieht Oehm in Bezug auf Nämlich jedoch nicht als „als Problem, sondern vielmehr als Ausgangspunkt der Analyse“ (Teufel 2014, S. 22). Gerade die die Meinungen der Kritiker irritierenden Elemente „wie Ich-Zerfall, Sprach- und Weltbild-Zerfall“, die Adler „nicht verbalisiert und postuliert, sondern in die Struktur seiner Texte selbst übersetzt“ (Teufel 2014, S. 15), seien nach Teufel die Möglichkeit, Adlers Texte als „praktizierte Poetik“ mit „poetologische[n] Reflexionen innerhalb seiner Dichtungen“ (Teufel 2014, S. 253) zu lesen.

 Teufel merkt zur Geschichte der Adler-Forschung lapidar an, dass diese „zu keinem geringen Teil eine Wertungsgeschichte ohne Textanalyse“ sei (Teufel 2014, S. 19).

3 Ausblick 3.1 Weitere Vergleichstexte Das erste Desiderat fordert weitere Analysearbeit: Aufgrund ihrer spezifischen Fokussierung auf ausgewählte Texte Walsers und Nietzsches konnte in dieser Arbeit einer poetologischen Analyse weiterer Prätexte auf ihre Ähnlichkeiten mit Nietzsche (1) und Walser (2) nicht nachgegangen werden. Gemeint sind solche Texte, die Nietzsche nachgewiesenermaßen zur Kenntnis genommen hat, bzw. jene Autoren mit ihren Texten, die als möglicher Prätext durch die Forschung für Walser nachgewiesen oder diskutiert worden sind. (1) Für Nietzsche sind diese beispielsweise von Loukidelis (2013) für den von ihm sogenannten Aphorismus 17 in JGB dargelegt worden. Als Beispiel sei hier die in der Analyse von JGB zitierte Textpassage von Lichtenberg genannt, aus der Nietzsche nach Loukidelis Gedanken zur Subjektkritik entlehnt und – dies behauptet Loukidelis nicht, liegt aber angesichts der frappanten Ähnlichkeit hinsichtlich Wortwahl, Syntax und Inhalt auf der Hand – Formulierungen aus der Textpassage wohl wörtlich in JGB übernommen hat.¹ In Hinblick auf die Ähnlichkeiten zwischen Walser und Nietzsche bemerkenswert ist, dass die von Lichtenberg durchgeführte, den cartesianischen cogitoBegriff negativ bewertende Gleichsetzung von ,denken‘ und ,blitzen‘ in JGB selbst nicht zu finden ist. Wohl aber greift die Zarathustra-Miniatur in Der Spaziergang das Bild des Blitzes in der Formulierung „Lichtblitze und Blitzlichter“ wieder auf, wo an dieser Stelle eine der bewertenden Gleichsetzung Lichtenbergs ähnliche Bildsprache vollzogen wird, wenn die Sprecherinstanz erläutert, dass „beim Spazieren viele Einfälle, Lichtblitze und Blitzlichter sich ganz von selber einmengen und einfinden“ (Spaziergang, S. 29)². Somit interferiert der für Nietzsche nachgewiesene Prätext Lichtenbergs über das Bild des Blitzes und die damit evozierte Bewertung des cogito-Begriffs nicht mit JGB, dafür aber mit dem Spaziergang Walsers. Eine weitere, sehr umfangreiche Quelle für nachgewiesenermaßen von Nietzsche besessenen und auch größtenteils gelesenen Prätexten weist der in der  „Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewusst, die nicht von uns abhängen; andere, glauben wir wenigstens, hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis.“; SB II, K 76: Lichtenberg 1998.  Die drei neben einander gestellten Wörter: Einfälle, Lichtblitze und Blitzlichter werden als Aufzählung und somit deren Einzelbedeutungen nicht als identisch verstanden. https://doi.org/10.1515/9783110639056-004

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3 Ausblick

Darstellung ,Nietzsches persönliche Bibliothek‘ dokumentierte Buchbestand Nietzsches, der von den Herausgebern in drei Phasen eingeteilt wird³: 1. Bildungsbibliothek eines Wunderkindes: Gedichtbände, Musikalien, Bibel des Vaters, erste philosophische Werke, sukzessive immer mehr Werke des klassischen Altertums. 2. Fachbibliothek eines jungen Gelehrten, ab dem Alter von 24 Jahren als Basler Professor: Handbücher, Kompendien und Lexika der klassischen Philologie. 3. Handbibliothek eines wandernden Philosophen, 1879 nach Aufgabe der Basler Professur: Nietzsche hat bei seinen häufigen Umzügen immer Bücher und Zeitschriften dabei, die er sich bei Bedarf in Kisten Bücher nachschicken lässt. (2) Einen guten Überblick zu Forschungsliteratur über Walsers Prätexte liefert das Kapitel „Intertextualität“ aus dem Robert Walser Handbuch (Gisi 2015, S. 304– 309). Die grundlegende Fragestellung dieses noch ausstehenden Analyseschritts wäre, ob diese Texte, oder zumindest eine Auswahl daraus, ein ähnliches ästhetisches Verfahren aufweisen, wie es z. B. in den Texten Nietzsches für JGB nachgewiesen werden konnte. Inwieweit die Prätexte Nietzsches generell nicht nur ein gedanklich-thematisches, sondern auch poetologisches Vorbild für Nietzsche bilden, wird entsprechend zu prüfen sein. Zu bestimmen wäre, ob dieses Verfahren von Nietzsche aus seinen Prätexten (teilweise) imitiert wurde, oder ob Nietzsche das für sein Schreiben spezifische poetologische Verfahren (ausschließlich) erst als angemessene ästhetische Reaktion auf den Inhalt des von ihm Gelesenen und offensichtlich Kritisierten entwickelt hat. Speziell für Walser ergibt sich durch die in dieser Arbeit herangezogenen Autoren und Texte ein weiterer Blick auf Vergleichstexte, die nicht Prätexte für Walser bilden, sondern über die Sekundärliteratur zur Analyse von v. a. Walsers Prager Texten herangezogen worden sind. Zu nennen sind hier diejenigen Texte der Prager Autoren, welche Fritz (2005) zur Untermauerung ihrer Definition des-

 Vgl.: NPB, S. 35. Zitiert werden in dieser Dokumentation auch Briefwechsel von Montinari und Colli, die ein intertextuelles Verfahren Nietzsches im Umgang mit seinen Prätexten aufzeigen: „Aber es ist eine Arbeit, die vor uns niemand gemacht hat. Habe ich Dir z. B. schon erzählt, daß ich zwei Nietzsche zugeschriebenen ,Aphorismen′ aus dem Willen zur Macht gefunden habe, die nichts anderes sind, als die Übersetzung zweier Abschnitte aus Tolstoi und Renan? Man muß auf der Hut sein.“ (NPB S. 21).

3.2 Poetologischer Vergleich: Lyrik

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sen, was einen Prager Text ausmacht, untersucht hat.⁴ Des Weiteren sind zu nennen: Oehm (1993), die eine Reihe von Autoren in den Blick nimmt, um damit die expressionistische Prosa⁵ und das expressionistische Stationendrama⁶ zu illustrieren, sowie Zittel (2016), der seine Theorie einer Poetik der Verschwommenheit ebenfalls mit einem Kanon von Prager Autoren untermauert.⁷ Sollten hier poetologische Gemeinsamkeiten mit Walsers Texten aufzeigbar sein, so würde sich der Kreis der hier untersuchten Prager Autoren (Paul Adler, Karl Brand, Leonhard Frank, Hans Natonek, Franz Werfel) entsprechend erweitern.

3.2 Poetologischer Vergleich: Lyrik Wie in der Einleitung erwähnt, wurden die Gedichte und die lyrischen Texte Walsers und auch Nietzsches in dieser Arbeit aus ökonomischen Gründen nicht für den poetologischen Vergleich berücksichtigt.⁸ Der poetologischen Potenz der Dichtung Nietzsches wird aktuell jedoch in der Forschung zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, wie die beiden Sammelbände der Herausgeber Grätz und Kaufmann (2018) sowie von Benne und Zittel (2017) belegen. Auch die Walserforschung nähert sich einer systematischen poetologischen Analyse der Gedichte und lyrischen Texte Walsers an, wie der ältere Beitrag von Groddeck (1997) und der jüngere von Neher (2011) zu Walsers später Lyrik zeigen sowie das Kapitel aus Caduffs Dissertation (2016) vorführt, in dem der Ansatz verfolgt wird, aus dem Dialog von Vers und Prosa Schlüsse auf das revisionistische Verfahren von Wal-

 Fritz (2005) untersucht Texte von u. a.: Rainer Maria Rilke, Viktor Dyk, Max Brod, Egon Erwin Kisch, Franz Carl Weiskopf, Auguste Hauschner, Hugo Salus, Gustav Meyrink, Vítězslav Nezval, Paul Leppin.  Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes; Albert Ehrenstein: Tubutsch; Carl Einstein: Bebuquin oder die Dilletanten des Wunders; Reinhard Goering: Jung Schuk; Gustav Sack: Paralyse; Paul Adler: Nämlich; Gottfried Benn: „Rönne“-Novellen.  Reinhard Johannes Sorge: Der Bettler. Eine dramatische Sendung; Georg Kaiser: Von morgens bis mitternachts. Stück in zwei Teilen; Franz Theodor Csokor: Die rote Straße. Ein dramatisches Werk in vierzehn Bildern; Ernst Toller: Die Wandlung. Das Ringen eines Menschen; Friedrich Wolf: Der Unbedingte. Ein Weg in drei Windungen und einer Überwindung; Julius Maria Becker: Das letzte Gericht. Eine Passion in vierzehn Stationen; Rolf Lauckner: Die Reise gegen Gott. Ein Drama; Paul Zech: Das trunkene Schiff. Eine szenische Ballade.  Zittel nennt zum Beleg seiner These beispielsweise: Hugo Salus, Ernst Weiss, Leo Perutz und Hermann Grab (Zittel 2016, S. 62).  Der jüngst erschienene Band der neu gegründeten Reihe Lyrikologie belegt das Interesse der Forschung an poetologischen Fragestellungen wie beispielsweise nach Sprecherinstanzen in der Lyrik: (Hilldebrandt, Klimek, R. Müller, Zymner 2018).

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3 Ausblick

sers Dramoletten zu schließen.⁹ Wie am Beispiel des der Vorrede zu Der Commis vorangestellten lyrischen Zweizeilers gezeigt werden konnte, wird bereits dort, wie auch in den Texten selbst, die Perspektive thematisiert (vgl. das Kapitel FKA). In der Folge treten tatsächlich Vers und Prosa in einen Dialog, da sie 1. denselben poetologischen Inhalt thematisieren (die Perspektive am Beispiel des Blicks des Mondes) und 2. jeweils Elemente der anderen Gattung aufweisen (vgl. Von einem Dichter, in dem über den Sprachrhythmus ein lyrisches Element in das Prosastück einfließt).¹⁰

 Vgl. dazu auch die vagen Ansätze von Utz (2002) zu einer Subjektdeutung in dem Dramolett von Robert Walsers Aschenbrödel, die allerdings die Poetologie des Textes außer Acht lassen.  Der Gattungswechsel selbst wird von Walser explizit kommentiert: „O, ich schreibe hier einen Prosaaufsatz ,der den Charakter eines Briefes hat und der wieder einem Gedicht ähnlich sein wird, wenn er ausfällt, wie ich wünsche, daß es der Fall wäre.“ (AdB 4, S.56) „Für mich ist jeder Essay etwas wie ein Roman, jedes Gedicht etwas wie ein theatralischer Monolog.“ (SW 19, S.176). Vgl. dazu auch Gräfin von Schwerin: „In den Mikrogrammen finden sich sechzehn ProsatextEntwürfe, die mit einem Gedicht oder ein Gedicht mit einem Prosatext-Entwurf beendet werden, und acht Entwürfe, die insgesamt zwischen Prosa, Gedicht und dramatischer Szene oszillieren.“ (Gräfin von Schwerin 2011, S. 100). Sie führt dazu folgende Beispiele aus den Mikrogrammen an: AdB 1, S. 77; AdB 4, S. 482; AdB 4, S. 270; AdB 1, S. 127.

4 Literatur-/Abbildungsverzeichnis Literatur Nietzsches Schriften und Briefe werden nach den folgenden Ausgaben zitiert: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden. Hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari. München/Berlin/New York 19882. Neuausgabe 1999. (KSA) Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden. Hrsg. v. Giorgio Colli / Mazzino Montinari. München / Berlin / New York 1986. (KGB) Walsers Schriften und Briefe werden nach den folgenden Ausgaben zitiert: Robert Walser: Aus dem Bleistiftgebiet. Hg. v. Bernhard Echte/Werner Morlang. Frankfurt a. M. 1985 – 2000. Robert Walser: Briefe. Hrsg. v. Jörg Schäfer unter Mitarbeit v. Robert Mächler. Genf, Hamburg: Kossodo 1975 [= GW 12/2]. Um Nachträge erweitert als Taschenbuch. Frankfurt a. M. 1979. Robert Walser: Kritische Ausgabe sämtlicher Drucke und Manuskripte. Hrsg. v. Wolfram Groddeck/Barbara von Reibnitz. Basel/Frankfurt a. M.: 2008 ff.. Robert Walser: Sämtliche Werke in Einzelausgaben. 20 Bd. Hrsg. v. Jochen Greven. Frankfurt a. M. 1985 – 1986.

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Abb. 1: MKG. 183r © Robert Walser-Stiftung Bern / Keystone

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Abb. 2: MKG. 484r © Robert Walser-Stiftung Bern / Keystone

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4 Literatur-/Abbildungsverzeichnis

Abb. 3: Werbung für ODOL mit Siegesallee Berlin; Aus: Jugend, München, 1903, Nr. 7, 4. Februar 1903. Berlin, Sammlung Archiv für Kunst und Geschichte. © akg-images.

Personenregister Abicht, Ludo 193 Adler, Paul 13 f., 134, 144, 166, 168 – 172, 178 – 180, 184 f., 187 – 189, 191 – 194, 197 Albert, Claudia 99 Allemann, Beda 1 f. Andersen, Hans Christian 11, 13, 39, 53 – 55, 83, 128, 151 Apollinaire 68 Banki, Luisa 2, 10, 21, 79, 93 f., 188 Benn, Gottfried 166 Benne, Christian 4, 5, 8, 14, 21 – 23, 68, 79, 182, 189, 197 Bierbaum, Otto Julius 32 Birkner, Nina 7, 90 Blei, Franz 15, 32, 159 Böckmann, Paul 5 Bolli, Thomas 3, 124 f. 126 f., 130 f., 154 Born, Marcus 21 f. Böschenstein, Bernhard 2 Brand, Karl 13 f., 89, 136, 168, 171, 176 – 178, 184, 189, 192, 197 Brändle, Maximilian 2 Brod, Max 6 f., 128, 166, 168, 170, 176, 180, 184, 197 Bucher, André 124 Bürgi-Michaud, Thomas 124 Caduff, Marc 1, 19, 38 f., 45, 47 – 49, 62, 69, 133, 146, 155 f., 197 Christen, Forrer 1 Conrad, Michael Georg 17, 33, 121 Czygan-Waldemar, Maria 13, 103, 111 f. Dauner, Dorea 2 De Bruyker, Melissa 9, 124, 129 Decartes 22 Deleuze, Gilles 90, 189 Dellinger, Jakob 1, 10, 27 f., 41, 56, 122, 173 Disselnkötter, Andreas 99 Dyk, Viktor 166, 197 Egyptien, Jürgen

185, 190, 193

https://doi.org/10.1515/9783110639056-006

Ehrenstein, Albert 166, 171, 197 Ehrich-Haefeli, Verena 48 Einstein, Carl 166, 168, 171, 197 Endres, Martin 10 f. Foucault, Michel 9, 42, 52 Frank, Leonhard 13 f., 135, 168, 171 f., 177 f., 197 Fricke, Harald 1 Fritz, Susanne 11, 14, 32, 45, 47, 51 f., 55, 74 f., 101, 124, 145, 158, 166 f., 170, 198 f. Gardian, Christoph 164, 169 f., 188 Gellhaus, Axel 6 f., 47 Girardi, Alexander 160 f., 163, 172, 175, 188 Gisi, Lucas Marco 4, 16, 24, 57, 118, 196 Goering, Reinhard 166, 197 Goethe, Johann Wolfgang von 38 f., 59, 122, 186 Gotthelf, Jeremias 98, 104, 138 f. Gräfin von Schwerin, Kerstin 7, 162, 198 Greven, Jochen 2, 8 f., 36, 48, 118, 123, 139, 143, 145, 150, 153, 156 f., 162, 164, 179 Groddeck, Wolfram 7 f., 11, 16, 24, 32, 53, 197 Heffernan, Valerie 9 Heftrich, Eckhard 24, 28 Herzog, Urs 94 f. Heymel, Alfred Walter 32, 150 Hillebrand, Bruno 5 Hoffmann, Daniel 52 f., 185, 193 Hölderlin, Friedrich 7, 10 f., 32, 90, 179 Horaz 62 f., 65 – 67, 77 f., 113 – Horaz 65 – 67 Huch, Rudolf 13, 17, 103 f., 109 – 113 Kafka, Franz 11, 69, 82, 135, 141, 154, 165 f., 171, 179, 197 Kant, Emanuel 20 – 22, 151 Kierkegaard, Søren Aabye 9, 166 Kisch, Egon Erwin 166, 197

224

Personenregister

Klingemann, August 13, 130, 150, 182, 191 Kurscheidt, Georg 69, 82

Roth, Carolin von 7 Roussel, Martin 69, 89 f.

Leppin, Paul 166, 197 Lessing, Theodor 21, 49, 63, 90 Loukidelis, Nikolaos 19 – 23, 195 Lukács, Georg 139, 152

Salus, Hugo 171, 197 Scheffler, Kristen 1, 6 f., 94 Schelling, Friedrich 151, 186 Schiller, Friedrich 42, 141, 186 Schlegel, Friedrich 42, 138 f., 162, 186 Schöffling, Klaus 32 Schopenhauer, Arthur 22 f., 151 Schröder, Rudolf Alexander 32 Schubert, Corinna 22, 94, 173, 182 f., 187 – 189 Schwab, Gustav 40 Schwarz, Annette 7 Shakespeare, William 13, 41 Sophokles 30 Sorg, Reto 1, 57 – 59, 68, 81, 197 Spir, Afrikan 20 – 22, 31, 154, 174 Sprengel, Peter 6 Steffen, Hans 5, 10 Stegmaier, Werner 1, 7, 10, 24 Sterne, Lorenz 53, 128 f. Stiemer. Hendrik 1 Strelis, Joachim 7 Strindberg, August 32 Strobl, Karl Hans 166 Stromšík, Jiří 165

Mächler, Robert 6 Mann, Heinrich 32, 51, 64, 68, 90, 95 – 98, 100 – 102, 110, 114, 116, 132, 137, 154, 178, 182 Mascha, Andreas 6 Mauthner, Fritz 171 Mermet, Frieda 16, 123 Meyrink, Gustav 166, 197 Möbus, Frank 161 f. Morlang, Werner 7, 14, 43, 123, 165 – Müller, Andreas 1, 9, 24, 45, 47 f., 50 – 53, 152 f., 159 f., 162, 169 f., 184, 197 Müller, Dominik 24, 45, 47 f., 50 – 53, 152, 159 f., 162, 169 f., 197 Natonek, Hans 13 f., 166, 168, 171, 174 – 176, 178, 190 f., 197 Nietzsche, Friedrich 1 – 26, 28 – 34, 36 – 38, 40 f., 47 – 49, 54, 59, 62, 68 – 70, 71 – 73, 82 – 84, 86 – 91, 93 – 96, 98, 100 – 106, 108, 112, 114, 119 – 122, 124 – 126, 128 – 130, 134 – 136, 138 – 140, 142 f., 150 f., 153 – 157, 162, 165 f., 169 – 171, 173 f., 182 f., 186 – 190, 195 – 197 Oehm, Heidemarie 194, 197

2, 9, 27 f., 166 – 168,

Pestalozzi, Karl 48, 59 Petersdorff, Dirk von 19, 26, 139 Pfeiffer, K.Ludwig 1, 57 Pichler, Axel 1, 10 f., 21 f., 24, 26, 29, 46, 56, 70, 116 Pick, Otto 11, 159 Platon 13, 38, 62 f., 78, 120 – 122 Pütz, Peter 5 Reibnitz, Barbara von

16, 153, 158, 162, 164

Teichmüller, Gustav 20, 22 Teufel, Annette 26 f., 91, 93, 144 f., 168, 171, 179, 186, 189, 191 – 194 Thüring, Hubert 1, 3, 75, 162 Tieck, Ludwig 138 f. Todorow, Almut 152, 154, 158, 164 – 166 Treichel, Hans Ulrich 7 Utz, Peter 1, 5 f., 16 f., 24, 59 f., 67 – 69, 81, 90, 129, 152 f., 160, 162, 164 f., 167, 189, 198 Verlaine, Paul 32 Villwock, Peter 2, 9, 100, 126, 131, 137 f., 173, 190 f. Vollmer, Hartmut A. 189 Vulpius, Christian August 141

Personenregister

Wachendorff, Elke-A. 24 Wagner, Karl 1, 59, 70, 114, 137, 143, 154 Walser, Karl 50, 107 Walser, Robert 1 – 9, 11 – 17, 21 f., 24, 30, 32, 34, 36 – 39, 43 – 45, 47 – 49, 51 – 54, 57 – 60, 62 – 64, 66, 68 – 70, 71 f., 74, 76, 78 – 81, 83, 85, 87 – 93, 95 f., 99 f., 103 f., 110, 112 f., 117 f., 121, 123 – 129, 132 – 136, 138 – 145, 147, 150 – 179, 181 – 184, 188, 190 – 193, 195 – 199, 228 f. Walt, Christian 1, 7 f., 95, 171 Wedekind, Frank 32 Weltsch, Felix 170, 183 Werfel, Franz 13 f., 168, 171, 175 f., 197

225

Wetze, Tanja 6 Whitman, Walt 32 Widmann, Josef V. 14 f., 32, 53 f., 142, 159 Wiener, Meïr 17, 165, 185 Wilde, Oscar 32, 144 f., 147, 185 Willy, Rudolf 16 Ziegler, Leopold 5, 18 f., 125, 128, 153, 173, 183 Zirmunskij, Viktor 12 Zittel, Claus 1 f., 7, 10, 19, 28, 41, 78, 89, 120, 126 – 128, 135, 143, 152, 154, 157, 168 – 171, 183 f., 197

Sachregister Also sprach Zarathustra 15, 63, 81, 128 Autor 2, 4 – 7, 9, 11, 13 f., 19 – 21, 23, 25, 28, 30, 32, 43, 46, 50 – 52, 55, 57, 60 f., 69, 73, 79, 83, 88, 98 – 100, 102, 113 f., 116, 118 f., 124, 128 – 130, 134 f., 138 f., 143, 152, 158 f., 164, 166 – 168, 170, 176 f., 184, 195 – 197 Berner Bund 14, 17, 32, 45, 48, 63, 158, 159 Bilderbuch ohne Bilder 11, 13, 39, 53 f. Blasphemie eines Irren 13 f., 168, 175 f., 178 Blitz 80, 84, 86 – 89, 195 – Blitzlichter 75 f., 80, 83 f., 87 – 89, 184, 195 – Flimmerskotom 86, 88, 189 – Lichtblitze 75 f., 80, 83 – 89, 124, 135, 164, 184, 195 Carmen

77, 113 – 115, 141

Erzählerinstanz 22, 31, 35, 40 f., 45, 49, 53 f., 56, 97, 109, 111, 114 – 119, 130, 133, 149, 153, 156, 158, 178, 184 f. Expressionismus 9, 166, 171 expressionistisch 152, 166, 168, 172, 197 Felix-Szenen 123 Feuerhund 89 – 954 Fritz Kocher 1, 12, 32, 38, 45, 48, 50 – 53, 56, 62 f., 69, 98, 101, 107, 129 f., 139, 145, 147, 162, 170, 176, 180, 191 Gangart 7, 23, 62, 66, 71 – 74, 76, 80, 89, 101, 118 f., 124, 190 Gattung 11, 16 f., 59 f., 128 f., 132 f., 138, 153, 156 f., 170, 179, 190, 192, 198 Glosse 5, 18 f., 125, 129 f., 152, 155 – 157, 173, 179 Götzen-Dämmerung 186

Dämon 89 f., 93 f., 97 Der Commis 12, 32, 45, 49, 52, 55 – 57, 129, 198 Der gestiefelte Kater 138 Der Irre 13 f., 168, 171 f., 177, 179, 189 Der Kampf mit dem Dämon 90 – Der Dämonische 83, 93 Der Schuß von der Kanzel 141 f. Der Spaziergang 1, 7, 12, 44 f., 50, 57 f., 61 – 65, 68, 69, 72 – 74, 76, 78, 80, 94, 98, 103, 108, 113, 117 f., 124, 127, 139, 149, 153, 160, 192, 195 Die fröhliche Wissenschaft 26, 41, 90, 119, 134, 186 Die Geburt der Tragödie 62, 70 f, 90, 100, 102 – 105, 108, 143 f., 151, 173 f., Die Sorge des Hausvaters 69 Die wilde Ursula 132 Dramolett 9, 16, 32, 69, 198

3, 6, 9, 13, 15 f., 20 f., 23, 25 f., 28 f., 31, 33, 35, 39 – 41, 43, 49 – 58, 60 – 63, 65 f., 68 f., 70 – 89, 92 – 94, 96 – 98, 101 f., 104 – 108, 110 – 113, 115 f., 120 – 122, 125 – 128, 130 – 132, 134 – 137, 139, 141 f., 144 – 151, 154, 156, 159 – 163, 169, 171 – 185, 187, 189 – 191, 194 – 196, 198 – Ichheit 109, 112, 173 – 175, 182 Intertextualität 196

Ecce homo 6, 15, 102, 186, Emil und Natalie 12, 161, 163 Erdbeerimareili 98, 104

Leser 5, 9, 28, 35 f., 40 f., 46, 49 – 51, 56 f., 60 – 62, 64 – 67, 69 f., 72 – 74, 76 – 76, 80 f., 88 f., 98 f., 102, 106, 109, 111 f.,

https://doi.org/10.1515/9783110639056-007

Hamlet 13, 102 f., 130, 148, 191 Hans 1, 7, 12 f ,45, 50, 57, 62 f., 68, 90, 94 – 100, 102 – 105, 107 – 113, 128, 152, 182, 192 Ich

Jenseits von Gut und Böse Je t′adore 12, 163 Krieg

8, 29

17, 105 – 108, 171 f., 177 f.

228

Sachregister

114 – 116, 121, 123, 125, 128, 130 – 133, 135 f., 140, 143, 145, 149, 153, 160, 164, 178, 187 f., 192 Lyrik 12, 70, 197 Lyrische Erstlinge 14, 17, 32 Menon 121 Menschliches, Allzumenschliches 26 – 29, 38, 46, 55 f ., 128, 136, 162, 169 Metalepse 30 f., 40, 78, 98, 119 f., 123, 140, 180 Mikrogramm(e) 7 f., 11 f., 43, 99, 112 – 114, 117 f., 122, 123 f., 125 f., 129, 149, 160, 163, 172, 175, 181 f., 187, Miniatur 11, 37, 40, 53 f., 57, 62 – 65, 68, 69, 71, 73, 75 – 78, 80 f., 83 f., 88 – 90, 94 – 103, 107, 113, 130 – 133, 140, 160, 182, 184, 187, 192, 195 Mond 39, 53 – 55, 79, 97, 198 Nachtwachen 11, 13, 54, 130, 150, 182 f., 191 Nämlich 13 f., 20 f., 27, 35, 37, 39, 73, 76, 84 f., 98, 105, 107, 122, 130, 133, 135, 153, 156, 166, 168, 170 f., 173, 175 f., 178 – 185, 188 – 190, 192 – 194, 197 Neue Rundschau 5, 17 f., 32, 101, 125 Novelle 13 f., 58 – 60, 62 f., 65, 69, 88, 153, 166, 168, 171, 176, 178 f., 184, 189, 192, 197 Objekt 25, 29, 31, 98 f., 142, 144, 149, 152, 175, 181 – 183, 187 Ödipus 29 f., 99 Odol 79, 133 Perspektivik 57, 145, 157 Phantasie 33, 39, 45, 55, 79, 108, 111, 115, 117, 128, 145 – 147, 150, 168, 170, 179 – Phantasieentgleisung 72, 115, 121, 135, 147, 180 Physiologie der Kunst 18 f., 33 f. Poetik 1, 7, 11, 36, 41, 62 f., 77, 113, 125, 152, 170, 183 f., 186, 194, 197 – Poetik der Unverständlichkeit 112, 158, 186, 189

Poetologie 1 – 3, 7 f., 11 – 13, 35 f., 47, 62, 71 f., 89, 95, 124 – 127, 136, 151, 169, 180, 183, 198 poetologisch 2 f., 8, 11 – 13, 19 – 22, 30 f., 34, 36 f., 39 f., 44, 46 f., 49 f., 56 – 58, 60, 62 – 65, 68 f., 71 f., 76 f., 86, 88 f., 91, 95, 100, 103, 113, 116, 118, 124, 136, 138 – 140, 142 f., 145 f., 150 – 154, 156 – 158, 165 – 168, 172, 180, 184 f., 189, 191, 194 – 198 Politeia 13, 38, 120 f. Prager Presse 12 f., 138, 155, 158 – 163, 167 f., 171 Prätext 19 f., 23, 36, 38, 49, 56, 63, 69, 71, 93, 96, 100, 113, 120 f., 130, 133, 136 – 138, 140 f., 143, 195 f. Prolepse 61, 70, 72 – 74, 101, 105, 108, 127, 140, 148 f., 180 Prosaexperiment 157, 163, 168 Prosper Merimée 12, 62, 99, 113, 120 – 122, 124, 133 – 135, 147, 163, 180, 184 Räuber 1, 3, 9, 12, 17, 45, 54, 62, 65, 72 f., 77, 89, 95, 99 – 101, 104, 115 f., 123 – 137, 139 – 142, 144 f., 147 – 157, 160 f., 164, 166, 169 – 171, 178 – 180, 182 – 184, 187, 190 – 194 Rezeption 5, 8 f., 12, 31, 33 f., 45, 69, 103, 113 131, 164 f., 187 Rhythmus 21, 37, 42, 190 Roman 11 – 13, 17, 32, 59, 82, 109 f., 113 f., 124, 128 f., 132 f., 137, 141, 152 – 158, 162, 167 f., 171, 179, 190, 192 f., 198 Schneewittchen 16, 18, 94 Spaziergang 33, 39, 57 – 66, 68 – 70, 72 – 74, 76 – 81, 83 f., 89 f., 93 – 97, 101 – 103, 105 – 108, 127 f., 135, 149, 164, 180 f., 184, 187, 191, 195 Spiegel 47, 104, 142, 144 – 152, 166, 180, 182 f. Sprecherinstanz 2, 20 – 23, 25 – 31, 33, 39 f., 43 f., 46, 52 f., 55, 60 – 66, 72 f., 76 – 85, 89, 94, 96 – 101, 104, 106 – 108, 119 – 121, 123, 125, 127 – 137, 144 – 151, 155 – 157, 160 – 162, 169, 172 – 176, 178, 180 f., 186 f., 189, 195, 197

Sachregister

Stimme(n) 9, 65, 70, 90, 93, 96 f., 100, 115, 119, 124 – 126, 135, 162, 175, 177, 184, 188 – 190, Subjekt 2, 17, 20, 29, 31, 46, 48, 56, 59, 88, 98 f., 106, 112 f., 126, 134, 139, 142, 144 f., 147, 150, 152, 156, 162, 165, 173 – 177, 181 – 183, 187 f. – Subjektkonzept 171 Subjektkritik 2 – 4, 8 f., 16, 20, 31, 124, 136, 162, 195 – Subjektstruktur 146, 182 f. Theätet 121 f. Tomzack 68 – 70, 71, 73, 76 f., 80 – 85, 88, 90, 92, 94 – 97, 106 f. Traum 13 f., 88, 104, 108, 110 f., 113, 116, 130, 144 f., 150, 168 f., 171, 176 – 178, 184, 189, 191 f. – Hans der Träumer 13, 62, 102 – 104, 109, 112 – Träumer 7, 50, 57, 103 f., 109 – 111 Über Girardi und allerlei Sonstiges Übermensch 5, 80, 83 f., 96 – Übermenschlichkeit 83, 92, 94

12, 160

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Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne 28 Umwertung aller Werte 5, 18, 33 f., 36 f., 39, 140 Von einem Dichter 12, 18, 33 – 36, 39 – 41, 43 f., 46 f., 56, 62, 84 f., 98, 107, 113, 117 f., 124, 130 f., 133, 139, 145, 155, 160, 162, 173, 178, 184, 193, 198 Wahnsinn 13, 81, 94 f., 135, 156, 168 f., 171, 173, 175, 177 f., 180, 189, 193 Wahnsinnig. Groteske 13 f., 168 Wahrnehmungskonzept 3, 13, 88, 135, 157 f., 163, 165, 167 Werbung 78 – 80, 133, 222 Zarathustra 5 – 7, 18 f., 27, 44, 62 f., 68 – 73, 75 – 78, 80 – 85, 88 – 96, 98 – 102, 107, 111, 113, 120 – 122, 125 – 127, 129, 142, 144 f., 151, 157, 173, 183 f., 187, 190, 195 Zauberflöte 13 f., 168 f., 171, 179, 185, 189 – 194